"He! Ich habe viel Stress! Ich hasse alles": Theologisieren mit Kindern aus bildungs- und religionsfernen Milieus 9783766843210

Ist Kindertheologie nur etwas für Kinder aus dem bildungs-bürgerlichen Milieu? Dieser Frage bzw. diesem Vorwurf will das

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German Pages 158 [157] Year 2014

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"He! Ich habe viel Stress! Ich hasse alles": Theologisieren mit Kindern aus bildungs- und religionsfernen Milieus
 9783766843210

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Jahrbuch für Kindertheologie Band 13

Gerhard BüttnerFriedhelm Kraft

Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen Herausgegeben von Anton A. Bucher, Gerhard Büttner, Veit-Jakobus Dieterich, Petra Freudenberger-Lötz, Christina Kalloch, Friedhelm Kraft, Hanna Roose, Bert Roebben, Martin Rothgangel, Thomas Schlag, Martin Schreiner und Elisabeth E. Schwarz

»He! Ich habe viel Stress! Ich hasse alles« Theologisieren mit Kindern aus bildungs- und religionsfernen Milieus Jahrbuch für Kindertheologie Band 13

Herausgegeben von Gerhard Büttner und Friedhelm Kraft

Calwer Verlag Stuttgart

eBook (pdf): ISBN 978–3–7668–4321–0 ISBN 978–3–7668–4320–3 © 2014 by Calwer Verlag GmbH Bücher und Medien, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags. Umschlaggestaltung: Karin Sauerbier, Stuttgart Satz und Herstellung: Karin Class, Calwer Verlag Druck und Verarbeitung: Beltz Bad Langensalza GmbH E-Mail: [email protected] Internet: www.calwer.com

Öhler Jugend und Schöpfung – historische und neutestamentliche Anmerkungen

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Inhalt

Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Bernhard Grümme Unter Ideologieverdacht. Bildungsferne und arme Kinder in der Kindertheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Katharina Kammeyer Inklusives Theologisieren in Gesprächen und darüber hinaus. Anregungen zur Klärung von Teilhabemöglichkeiten durch fachdidaktische Niveaudifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Mirjam Schambeck »Das ist ein durchsichtiges Paket, was überall durch kann.« Prinzipien des Theologisierens mit (religionsfernen) Kindern. . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Michael Fricke Über Kindertheologie an der Förderschule. Ein Beitrag aus grundsätzlicher und empirischer Sicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II. Pädagogische Anregungen

Noemi Bravená Theologisieren mit religionsfernen Kindern zum Thema Engel. . . . . . . . . . . . . . . . 69 Frank M. Lütze »Jesus hat sich ans Kreuz nageln lassen, weil er voll hinter seiner Weltanschauung stand.« Christentum reflektieren mit nicht religiös sozialisierten Kindern und Jugendlichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Johannes Schimming »Der ist ausgebrochen!« – als Halbgott oder Zombie? Ein Gespräch über Ostern mit bildungs- und religionsfernen Kindern in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

6 Barbara Strumann »He! Ich habe viel Stress! Ich hasse alles.« Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung klagen zu Gott. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sabine Dievenkorn Theologie mit und für Kinder in Chile – Religionspädagogische Impulse aus Schule und Kirche in modernen postkolonialen Strukturen. . . . . . . . . . . . . . . 102 Gerhard Büttner Gottesbilder von Kindern als Herausforderung für die kindertheologische Forschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Rainer Oberthür »Glauben Christen an drei Götter?« Trinität – biblisch-theologische Grundlagen und Impulse zum Theologisieren mit Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Viola Maria Fromme-Seifert Madita, Gott und der Eifelturm – Theologische Gespräche mit Kindern mitten im Leben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Gerhard Büttner Mindeststandards kindertheologischer Forschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Friedhelm Kraft Wie lernt der Mensch Religion? In welcher Weise ist Glaube lehrbar?. . . . . . . . . . 142 III. Buchbesprechungen

Herbert Stettberger: Empathische Bibeldidaktik. Eine interdisziplinäre Studie zum perspektiveninduzierten Lernen mit und von der Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerhard Büttner / Veit-Jakobus Dieterich: Entwicklungspsychologie in der Religionspädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mirjam Zimmermann / Constantin Klein / Gerhard Büttner (Hg.): Kind – Krankheit – Religion. Medizinische, psychologische, theologische und religionspädagogische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katharina Kammeyer / Erna Zonne / Annebelle Pithan (Hg.): Inklusion und Kindertheologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theologisieren mit Kindern – Grundlagen, Impulse und Beispiele aus der Praxis, DVD von Guy Rainotte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Autorinnen und Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Vorwort

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Vorwort

Nach mehr als einem Jahrzehnt Kindertheologie lohnt es sich trotzdem immer wieder zu prüfen, an welchen Stellen der Diskurs weiterzuführen ist. In den Anfangsjahren bemühten wir uns, den Ansatz im Gespräch mit der Theologie zu profilieren. Wir begannen dann zu überlegen, wie Kinder in einer religiös pluralen Welt mit den Differenzen umgehen. Es erwies sich damals (JaBuKi 8) als schwierig, auf empirische Befunde zurückzugreifen. Erst danach lag (etwa durch die entsprechenden Tübinger Studien) belastbares Material vor. In einer ähnlichen Situation befinden wir uns derzeit im Hinblick auf die Theologie von Kindern, die fern von einem bürgerlichen Milieu aufwachsen, das in der Regel zumindest offen für religiöse Themen ist. Die Fragestellung ist schwerwiegend, zielt sie doch mitten hinein in die Selbstbeschreibung von Kindertheologie einerseits, in das Selbstverständnis dessen, was Kirche sein kann und soll, andererseits. Betrachten wir die Imperative, die die Kindertheologie von Anfang an gesetzt hat. Friedrich Schweitzer empfahl, nur dort von Kindertheologie zu sprechen, wo ein reflexiver Anteil in den kindlichen Äußerungen erkennbar sei. Ohne diesen solle man es bei Religion belassen. Anton Bucher hatte schon immer darauf insistiert, dass es darauf ankomme, die Kinder immer selbst zu Wort kommen zu

lassen, im Zweifelsfall nachzufragen und auf eine Interpretation weitgehend zu verzichten. In dem Bemühen, den Wissenspool dessen, was Kinder zu zentralen theologischen Themen denken, möglichst zu vergrößern, empfahl es sich, mit solchen Kindern ins Gespräch zu kommen, die sich möglichst gut artikulieren konnten. Alle drei genannten Schritte sind höchst plausibel und haben sich – wenn man eine umfassende »Werkschau«, wie sie etwa im neuen »Handbuch Theologisieren mit Kindern« (Calwer / Kösel, 2014) vorliegt, als Gradmesser annimmt – bewährt. Beim zweiten Hinschauen wird jedoch deutlich, dass die Kindertheologie – zumindest im deutschsprachigen Raum – damit den Weg verfolgt, den die Kirchen ihnen weitgehend vorgeben. Im bildungsfernen Milieu sind sie kaum noch vertreten. Nach der entsprechenden Jugendstudie des BDKJ rekrutieren sich kirchlich affine junge Katholiken nur aus drei von sieben Milieus: dem traditionellen, dem bürgerlichen und dem postmaterialistischen. Alle drei gehören nicht zu dem, was man traditionellerweise Unterschicht genannt hat.1 Die Studie ist deshalb so aufschlussreich, weil sie einerseits im Hinblick auf Kinder (9–13) noch sehr vorsichtig ist mit einer sozia1 Wie ticken Jugendliche? Hg. vom BDKJ und Misereor, Düsseldorf o.J., 25.

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Vorwort

len Verortung in Milieus, jedoch deutlich wird, dass die Milieus der Jugendzeit sich schon sehr stark an die des Erwachsenenalters annähern. Liest man die Studie in Richtung Kindertheologie, dann erklärt sie sehr gut, warum die dokumentierte Praxis in der Regel aus den genannten Milieus stammt. Carsten Gennerichs Studie zur »Dogmatik des Jugendalters« macht ebenfalls deutlich, dass Inhalte und Stile, die man landläufig der Theologie zuordnet, eher Milieus im Sinne der genannten BDKJ-Studie zugehören. Für die Kindertheologie bedeutet dies, dass – nicht überraschend – die besten Erkenntnisse in der eigenen Nahumwelt zu finden sind. Wer die JaBuKiBeiträge genauer kennt, weiß oft genau, welche Kollegenkinder die Quelle der Erkenntnis bildeten. Das ist dann nicht problematisch, wenn ich herausfinden möchte, in welche gedanklichen Gefilde bereits Kinder im Hinblick auf bestimmte theologische Inhalte vordringen können. Dies zu wissen, ist wichtig, weil es einen Rahmen zu formulieren hilft, innerhalb dessen etwa Unterrichtsgespräche stattfinden können. Außerdem garantieren die so ausgewählten Kinder, dass ihre Antworten in der Regel ein bestimmtes Reflexionsniveau aufweisen und dass man bei ihnen nachfragen kann, wenn etwas unklar geblieben ist. Will sich die Kindertheologie – wie in diesem Jahrbuch – den Kindern anderer Milieus zuwenden, dann ist dies theologisch und pädagogisch gut begründet. Betrachten wir diese Kinder genauer, dann werden wir zwei markante Unterschiede finden: diese Kinder sind meist sprachlich weniger geübt und es fehlt ihnen eine entsprechende Begrifflichkeit. Das damit verbundene pädagogische

Postulat lautet dann, sich nicht so sehr auf sprachliche Äußerungen zu fixieren, sondern Kindertheologie »ganzheitlicher« zu betreiben. Dagegen ist gewiss nichts einzuwenden. Doch ergeben sich – das zeigen auch einige Beiträge dieses Jahrbuchs – dann zwei Probleme. Es ist definitiv schwierig, in den sprachlich z.T. recht knappen Äußerungen der Kinder die reflexive Seite zu identifizieren. Leichter fiele es, den von Schlag und Schweitzer propagierten Begriff der »impliziten Theologie« hier in Anschlag zu bringen. Ein weiteres Problem stellt sich beim Umgang mit den von den Kindern produzierten Artefakten. Gerade dort, wo es den Kindern schwer fällt, deren Bedeutung und Bedeutsamkeit selbst zu artikulieren, fühlt sich der erwachsene Partner zur Interpretation aufgefordert. Aber darf er das – nach den Regeln der Kindertheologie? Bei der Durchsicht der Beiträge fällt auf, dass das Problembewusstsein zu den hier angesprochenen Fragen durchaus da ist. Was wir brauchen, sind Studien aus den religions- und bildungsfernen Milieus. Was hier erst einmal als Problem des Feldzugangs erscheinen mag, stellt sich bei genauerem Hinsehen als ein Schlüsselproblem von Kirche überhaupt heraus. Wie werden wir vertrauenswürdig und gesprächsfähig mit Kindern (und Menschen generell) in diesen Milieus? Vorschau auf die Beiträge

Bernhard Grümme weist in seinem Beitrag auf die »stillschweigenden Voraussetzungen« der Kindertheologie hin und fragt in kritischer Absicht nach den »realen« Kindern. Grümme fordert eine Kinder-

Vorwort

theologie, die ihre Standortgebundenheit im bildungsbürgerlichen Milieu kritisch reflektiert und entfaltet Konturen einer »kritischen marginalitätssensiblen Kindertheologie«. Katharina Kammeyer schlägt eine Brücke von der Kindertheologie zum Inklusionsdiskurs. Kammeyer zeigt, in welcher Weise die Inklusionsperspektive die Vielfalt der Lernausgangslagen und Lernniveaus im Theologisieren aufzeigen kann und verbales und nonverbales Handeln als gleichberechtigt und zusammengehörend erscheinen lässt. Am Beispiel der Niveaustufendifferenzierung wird der fachdidaktische Beitrag der Kindertheologie zu einer Förderdiagnostik herausgearbeitet. Mirjam Schambeck entwirft in ihrem Beitrag Prinzipien für ein Theologisieren mit religionsfernen Kindern mit Hilfe der Leitbegriffe Induktion, Konstruktion, Identifizierung, Instruktion und Positionierung. Schambeck zeigt am Beispiel der Frage »Wie Gott hilft?«, in welcher Weise diese didaktischen Prinzipien als ein Instrument für eine »kriteriengeleitete Planung« von kindertheologischen Lehrprozessen fungieren. Michael Fricke reflektiert den Zusammenhang der Konstituierung von Kindertheologie – »Kindertheologie ist, was Kindertheologen dafür halten« – und dokumentiert Schüleräußerungen aus einer Förderschule zum Thema »Alt sein und werden«. Im Blick auf die sprachlichen Voraussetzungen der Förderschule geht es Fricke um eine Weitung des »Nachdenkens« über Themen des Glaubens, insofern Nachdenklichkeit sich in vielfältigen Formen zeigen lässt. Der Beitrag von Noemi Bravená dokumentiert und reflektiert Kindervorstel-

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lungen zum Thema Engel im Kontext der tschechischen Gesellschaft. Theologisieren mit religionsfernen Kindern bildet ein »neues Paradigma« in der tschechischen Religionspädagogik mit dem Ziel, den eher fragmentarisierten »Glauben der Kinder« zu entdecken. Frank Lütze geht in seinem Beitrag der Frage nach, inwieweit ein Theologisieren im Religionsunterricht auch dann möglich ist, wenn sich Teile der Schülerinnen und Schüler selbst als religionslos verstehen. Lütze markiert am Beispiel von Aussagen konfessionsloser Jugendliche zum Tod Jesu die zentrale Herausforderung der Übertragung theologischer Denkfiguren aus einer »Phantasiewelt« in eine »reale Welt« und gewinnt damit ein Kriterium, damit theologische Gespräche auch als »theologisch« benannt werden können. Johannes Schimming bietet in seinem Beitrag einen gut dokumentierten Einblick über die Möglichkeiten, in einem bildungsfernen und religionsfernen Milieu im Rahmen offener Kinderarbeit erste Ansätze zu einem theologischen Gespräch zu schaffen. Er zeigt, dass Kinder aus religionsfernen Elternhäusern durchaus über »Fragmente« religiösen Wissens verfügen, die sie in ihre »individuellen Sinnstrukturen« integrieren. Barbara Strumann zeigt in ihrem titelgebenden Aufsatz, wie es gelingen kann, dass Schülerinnen und Schüler zwischen Kindheit und Jugend mit emotionalen Beeinträchtigungen ihre aggressiven Ge­ fühle mit Hilfe von Klagepsalmen artikulieren können. Sabine Dievenkorn gibt in ihrem Beitrag einen Einblick in die Praxis des Religionsunterrichts einer chilenischen Vorortschule. Deutlich wird, wie der

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Vorwort

spezifische kulturelle Kontext das Verständnis des Theologisierens in Aufnahme von befreiungstheologischen Impulsen formt. Gerhard Büttner reflektiert in seinem Beitrag zu den kindlichen Gottesbildern, was es bedeutet, dass wir bei spracharmen Kindern deren Artefakte als Ausdruck von Kindertheologie deuten möchten, dazu aber nicht immer die gewünschten Gespräche führen können. Rainer Oberthür liefert einen Gegenentwurf zu einer von ihm angemerkten »religionspädagogischen Trinitätsvergessenheit«. Nach einer kurzen theologischen Einführung werden praktische Anregungen für das Theologisieren mit Kindern zur Trinität präsentiert. Die Dokumentation von Arbeitsergebnissen zeigt eindrückliche Beispiele einer »authentischen Kindertheologie«. Viola Maria Fromme-Seifert verdeutlicht am Beispiel der fünfjährigen Madita die Komplexität des je individuellen Gottesbildes von Kindern. In Anknüpfung an

ihre Studie reflektiert sie die Ausdrucksweisen der »persönlichen Gottesbeziehung« von Kindern, die insbesondere in personalen Gestaltungsformen des von Kindern erstellten Bildmaterials zum Ausdruck kommt. Gerhard Büttner nimmt in seinem kleinen Beitrag zur kindertheologischen Forschung die Frage auf, was man denn realistischerweise von den Masterarbeiten der Studierenden erwarten kann und muss und was nicht. Friedhelm Kraft fragt nach der Lehrbarkeit von Religion. Lernen »von« Religion ist in performanzorientierten und kindertheologischen Zugängen möglich, ohne dass sich die Spannung zwischen Glauben und Lernen auflöst. Auch dies zeigen die dokumentierten Schüleräußerungen zum Thema Jesus Christus. Rezensionen kindertheologisch besonders relevanter Veröffentlichungen der letzten Zeit schließen diesen Band ab. Gerhard Büttner und Friedhelm Kraft

Grümme Unter Ideologieverdacht. Bildungsferne und arme Kinder in der Kindertheologie

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Bernhard Grümme Unter Ideologieverdacht. Bildungsferne und arme Kinder in der Kindertheologie

Lehrkraft: Gott hat zu Jona gesprochen und hat zu ihm gesagt, er soll nach Ninive gehen. […] Was denkt ihr, wie fühlt er sich, wenn Gott so was zu ihm sagt? Wie fühlt man sich da, wenn man so was machen muss? Christoph: Ängstlich. Lehrkraft: Ängstlich, genau. Sibylle: Ich wusste gar nicht, dass Gott sprechen kann. Kian: Gott kann doch gar nicht sprechen, oder? Schüler: Doch, doch. Lehrkraft: Er hat zu Jona gesprochen. Young-Kwang: Denkst du, Gott hat keinen Mund? Sibylle: Kann des sein, dass er ’ne Wolke ist? […] Lehrkraft: Genau, des stellt sich jeder ein bisschen anders vor. Kian: Nein. Ich stell mir ’nen ganz normalen Mensch vor. Richard: Meine Schwester stellt sich Gott als äh / wie ein Licht vor.1

Viele werden diesen Text kennen: Er stammt aus dem Forschungszusammenhang zur Kindertheologie von Petra Freudenberger-Lötz und ist von ihr an verschiedenen Stellen bereits veröffentlicht worden.2 Wie kaum eine zweite Religionspädagogin in Deutschland hat sie sich um das Design, das Profil und die Grundlagen der Kindertheologie verdient gemacht. Sie versucht nicht nur, ein Theologisieren der Kinder voranzutreiben – und inzwischen auch der Jugend-

lichen, sondern sie macht dies auch zu einem Bestandteil der Lehrerbildung. In der von ihr eingerichteten Forschungswerkstatt sollen die Lehramtsstudierenden jene Kompetenzen an Gesprächsfähigkeit erwerben, die sie brauchen, um im kindertheologischen Feld kompetent tätig werden zu können. Es lohnt sich, einen Blick in diese Werkstatt hinzuwerfen. In diesem vorliegenden Text geht es um eine Didaktik des Theologisierens mit Kindern im Zusammenhang von Überlegungen zur Lehrerprofessionalität, also der Frage, wie Lehrerinnen und Lehrer professionell Religion unterrichten können. Zunächst einmal ist es interessant, wie Freudenberger-Lötz diesen Textauszug für diese Professionalisierungszusammenhänge fruchtbar machen möchte. Sie fragt: »Was lässt sich hier beobachten? Die Lehrkraft möchte gemeinsam mit den Schülern herausfinden, wie sich Jona angesichts des göttlichen Auftrags, nach Ninive zu gehen, gefühlt haben mag. Den Kindern stellt sich 1 Annike Reiß / Petra Freudenberger-Lötz, Didaktik des Theologisierens mit Kindern und Jugendlichen, in: Bernhard Grümme u.a. (Hg.), Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik, Stuttgart 2012, 143. 2 Vgl. ebd., 142f; vgl. Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Kindern – Chancen und Herausforderungen für die Lehrer/in­ nenausbildung, in: Theo-Web, 6. Jg. 2007, Heft 1, 12–20.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

jedoch im Blick auf die Erzählung eine andere Frage, nämlich die Frage nach Gott: Kann Gott sprechen? Hat er einen Mund? Ist Gott vielleicht eine Wolke? In kurzer Zeit formulieren die Kinder eine Reihe von Fragen; man kann die Energie, mit der sie ihr Anliegen vorbringen, förmlich spüren. Ein derartiges Engagement im Umgang mit biblischen Geschichten ist kennzeichnend für Grundschüler; sie mögen die Erzählungen und gehen darin geradezu auf. Zudem wird deutlich, wie die Kinder die Gottesfrage handhaben: Es geht ihnen nicht darum, ob Gott ist, sondern wie Gott ist – auch dies ist eine typische Beobachtung. Die Schüler, angeführt von Sybille, durchkreuzen also die Pläne der Lehrkraft und so ist diese Unterrichtssequenz ein gutes Beispiel für die Spontanität, mit der sich eine Gelegenheit zum Theologisieren ergeben kann«.3 Freudenberger-Lötz paraphrasiert, kommentiert und erläutert die Kinderäußerungen. Sie spitzt diese Erläuterungen zu auf die eigentliche Pointe. Es geht ihr darum zu zeigen, wie kreativ, initiativ und eigenständig die Kinder in ihrem Nachdenken über Gott und ihren Gotteskonstruktionen sind und inwiefern diese bereits theologiehaltig sind. Geradezu spannend wird es nun zu beobachten, welche praktischen Impulse sie aus diesem Beispiel gewinnen will. Es sind vor allem drei: »1. Aus dem Transkriptausschnitt geht nicht hervor, wie das Gespräch weitergeht. Aus welchen Gründen sollte die Lehrkraft diesen Moment nutzen, um den Fragen der Kinder nachzugehen – gegebenenfalls auf Kosten ihrer Unterrichtsplanung? 2. Vergegenwärtigen Sie sich noch einmal die Rollen der Lehrkraft im theologischen Gespräch sowie die damit ver-

bundenen Aufgaben und Herausforderungen. Überlegen Sie nun, (a) wie sich die Fragen und Gedanken der Kinder ins Gespräch bringen ließen; (b) welche Deutungsperspektiven die Schüler zum Weiterdenken anregen könnten. 3. In diesem Beitrag wurde mehrfach erwähnt, dass beim Theologisieren auch die Lehrkraft in ihrem Standpunkt und in ihrer Glaubenshaltung gefordert sein kann. Was also würden Sie antworten, wenn die Kinder Sie fragten: ›Und was glaubst Du?‹.«4 Was ist das Spannende? Es sind weniger die konkreten Ausformungen dieser Impulse. Dies läuft auf eine stark kompetenzorientierte, subjektorientierte, dialogisch-korrelative Form des Lehrerhandelns hinaus. Die Kinder sollen durch Impulse und Moderationen zum eigenen Nachdenken ermutigt und befähigt werden. Es sind vor allem die Präsuppositionen, die stillschweigenden Voraussetzungen, die gemacht werden, die Annahmen an Kompetenzen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Motivationen auf Seiten der Kinder. Zwar ist dies eine reale Situation, durch valide empirischer Verfahren erhoben und transkribiert. Doch wird an keiner Stelle dieses Textes überhaupt nur ansatzweise problematisiert, ob die hier dokumentierten eindrucksvollen Leistungen der Kinder eine generelle Leistung von Kindern in diesem Alter sind oder eben nicht. Es wird so getan, als wenn man dies verallgemeinern und universalisieren könnte. Kinder können sich demnach – sprachphilosophisch ausgedrückt – sprachlich auf ihre Weise 3 Reiß / Freudenberger-Lötz (wie Anm. 1), 143. 4 Ebd.

Grümme Unter Ideologieverdacht. Bildungsferne und arme Kinder in der Kindertheologie

altersgerecht schon theologisch relevant und syntaktisch angemessen äußern. Sie haben eine religiöse Sprach- und Kommunikationsfähigkeit, eine Fragekompetenz, eine Inhaltskompetenz, aus der heraus sie sich in einem propositionalen Akt semantisch auf den Gottesgedanken so beziehen, dass dieser sprachliche Akt selber eine propositionale Relevanz hat, dass dieser sprachliche Akt also tatsächlich theologisch etwas austrägt. Und sie haben drittens eine ungebrochene Motivation, dies zu tun. Doch ist dies wirklich generell der Fall? Wieweit berechtigt dieses Gesprächsbeispiel zu Universalisierungen? Gilt dies überall, für Kinder in Baden-Württemberg wie in Niedersachen, für Kinder in der Grundschule wie in den unteren Klassen der Hauptschule oder des Gymnasiums, für Kinder von Lehrern, von Professoren wie für Kinder von Fabrikarbeiten, Aldikassiererinnen oder Harz-4-Empfängern? John Hull, der berühmte englische Religionspädagoge, ist zu recht dafür gewürdigt worden, die theologische Kraft bereits in Kinderäußerungen aufzuzeigen.5 Nur wird dabei oft übersehen, dass es eben seine eigenen Kinder waren. Die aber, so wird man unterstellen können, werden zumindest eine Sensibilität fürs Theologische geradezu osmotisch in diesem Religionspädagogenhaushalt aufgenommen haben. Kurzum: Wir haben es hier mit einem Symptom zu tun für ein tiefliegendes Desiderat. Es scheint so zu sein, als wenn die Kindertheologie sich zu wenig Rechenschaft gibt über die konkreten Zusammenhänge, in denen sie steht. Kindertheologie reflektiert zu wenig über ihre lebensweltlichen, kulturellen, politischen und ökonomischen Kontexte. Sie bleibt abstrakt. Dass dies nicht

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allein die Kindertheologie, sondern die Religionspädagogik und Schulpädagogik insgesamt betrifft, will ich an einem biographischen Beispiel dokumentieren. Als Klassenlehrer habe ich ein Projekt zum »Lernen-lernen« mit meinen neuen Fünftklässlern an einem Gymnasium in Hamm durchgeführt. »Wie lerne ich? Wie schaffe ich Ruhe? Wie ordne ich meinen Schreibtisch?« Am Ende der Stunde kommt ein Mädchen weinend zu mir und sagt: »Ich habe keinen Schreibtisch, ich habe kein eigenes Zimmer, sondern muss mit meinen zwei Geschwistern am Küchentisch lernen«. Ich hatte nicht in Rechnung gestellt, dass man nicht unter den Bedingungen sein Lernen organisieren kann, als es die eigenen Kinder in einem durchschnittlichen Lehrerhaushalt tun können. Damit war ich in die Falle einer typischen Ausprägung der Religionspädagogik getappt, für die man erst sehr langsam in der Religionspädagogik selber sensibel wird: die eigene Mittelschichtsorientierung des Lehrerhandelns. Mittelschichten unterrichten Mittelschichten, dies scheint nach Untersuchungen etwa aus der Politikdidaktik das uneingestandene Selbstverständnis und die Presupposition des Lehrerhandelns zu sein.6 So 5 Vgl. J. M. Hull, Wie Kinder über Gott reden. Ein Ratgeber für Eltern und Erziehende, Gütersloh 1997. 6 Vgl. Wolfgang Sander, Politische Bildung im Religionsunterricht. Eine Untersuchung zur politischen Dimension der Religionspädagogik, Stuttgart 1980, 77ff; vgl. Bernhard Grümme u.a. (Hg.), Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik, Stuttgart 2012; vgl. Frank M. Lütze, Religionslehrer/in an Hauptschulen werden – Überlegungen zu schulformspezifischen Akzenten im theologischen Studium, in: Theo-Web 10. Jg. 2011, Heft 1, 85–97; 93–95.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

entstehen hermeneutische Desiderate, Blindeflecken, im Zusammenhang eines professionellen Lehrerhandelns. In letzter Zeit gibt es Veröffentlichungen, die dieses Desiderat im Hinblick auf Elitenförderung, auf Hochbegabte und overachiever markieren.7 Was aber immer noch kaum beachtet wird, sind die konkreten Bedingungen religiösen Lernens von benachteiligten, armen oder auch bildungsfernen Schülerinnen und Schülern. Diesem Aspekt gilt es im Folgenden im Bereich der Kindertheologie nachzuspüren. Ich werde in 3 Schritten vorgehen: 1. werde ich Anliegen und Design der Kindertheologie kurz in Erinnerung rufen, 2. dann das bereits in der Problemexposition eben angedeutete Desiderat analytisch präzise freilegen und 3. Kategorien anzubieten versuchen, die in dieser Problemlage weiterführen können. 1. Kindertheologie als Radikalisierung der Subjektorientierung

Eigentlich müsste sich die Kindertheologie schon im Ansatz und in den Grundkategorien ihres Vollzugs die Perspektive und die Anliegen gerade der benachteiligten, bildungsfernen und armen Kinder zu eigen machen. Denn die Kindertheologie beruht auf einem prinzipiellen Perspektivenwechsel. Sie lässt sich als Verschärfung der Subjektorientierung innerhalb der Religionspädagogik verstehen. Sie macht Schluss mit einem religionspädagogischen Vollständigkeitsdenken. Kinder brauchen nicht das komplette theologische Wissen vermittelt zu bekommen. Sie denkt aus der Perspektive der Kinder. Kindertheologie versteht sich

als von Kindern selber hervorgebrachte Theologie. Anthropomorphe Gottesvorstellungen sind demgemäß keineswegs als defizitär anzusehen, weil sie ein zu überwindendes Gottesbild artikulieren oder lediglich kindliche Doppelungen von sozialisatorisch vermittelten Gottesvorstellungen darstellten. Vielmehr seien diese als Eigenkonstruktionen in ihrer »Imaginationskraft und theologischen Kompetenz« gerade deshalb anzuerkennen, weil Kinder sich im Lichte ihrer Denkkategorien und Vorstellungsschemata theologisch artikulierten und auch Bibeltexte eigenständig interpretierten.8 Andererseits zeigt schon die Lerntheorie, dass Kinder nicht nur zur eigenständigen Konstruktion freigelassen werden müssen. Kinder sind zudem auf Vermittlung von religiösen Inhalten angewiesen. Nur so kann Lernen, kann Bildung, kann religiöse Mündigkeit, kann religiöse Entwicklung und gegebenenfalls ein Wachsen im Glauben erfolgen. Würden Lehrer, Eltern und Erzieher die Kinder in ihrem Theologisieren nicht korrigieren, würden nicht neue Perspektiven eingebracht, um neue Selbstkonstruktionsprozesse anzubahnen, würde man die Kinder auf eine 1. Naivität festlegen und ihnen nicht den Schritt in eine reflektierte Religiosität der 2. Naivität ermöglichen.9 7 Vgl. Gudrun Guttenberger / Bärbel Husmann, Begabt für Religion. Religiöse Bildung und Begabungsförderung, Göttingen 2007. 8 Vgl. Anton A. Bucher, Kindertheologie: Provokation? Romantizismus? Neues Paradigma, in: Mittendrin ist Gott. Kinder denken nach über Gott, Leben und Tod, JaBuKi 1, Stuttgart 2002, 30. 9 Insgesamt vgl. Bernhard Grümme, Kindertheologie: Modethema oder Bereicherung für die Religionspädagogik, in: RpB 57/06, 103– 118.

Grümme Unter Ideologieverdacht. Bildungsferne und arme Kinder in der Kindertheologie

Beides, aneignende Konstruktion und Vermittlung, wären stattdessen korrelativ zusammenzuführen. Darum ist jene dimensionale Unterscheidung wichtig, die ich mit Friedrich Schweitzer aus der Kinderphilosophie übernehme. Es geht um die Unterscheidung einer Theologie der Kinder, einer Theologie mit Kindern sowie einer Theologie für Kinder. Diese Dimensionen sind wohl analytisch von einander abzuheben, greifen aber dennoch im Lernprozess ineinander und ergänzen sich.10 Diese drei Dimensionen der Kindertheologie dürfen deshalb nicht gegeneinander ausgespielt werden. Ich plädiere dafür, eine Theologie für Kinder als eine dienende, eine diakonische Theologie anzulegen, die alle genannten Aspekte der Kindertheologie integriert und sich daher inmitten der Ambivalenz zwischen der Idealisierung der Kindheitstheologie einerseits und der Kritik an religiöser Erziehung als Indoktrination andererseits lokalisiert. Sie bietet den Kindern eine Sprache für ihre Fragen und Erfahrungen an, hält aber auch Impulse und tragfähige Angebote zur Weiterentwicklung ihrer religiösen Entwicklung bereit, indem sie an der je persönlichen Theologie der Kinder, ihren Denkmustern und ihren biographischen Erfahrungen anknüpft, jedoch die religiösen Lernprozesse konstitutiv offen hält. Eine solche diakonische, integrative Kindertheologie würde das Eigenrecht des Kindes auf seine Religion und seine Theologie wahren, das »ihm jenseits seines Entwicklungsstandes und seiner Leistungen immer zukommt«, und zugleich aber die Mündigkeit der Kinder anzielen.11 Kinder haben demnach ein »Anrecht auf religiöse Bildung«.12 Lothar Kuld hat hier gerade im Interesse der Mündigkeit darauf insistiert, dass Kin-

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der die Begegnung auch mit Erwachsenen brauchen, die seine Art zu denken verstehen und respektieren und deshalb in der Lage sind, den »vom Kind selbst vorangetriebenen Prozeß der Ausdifferenzierung von Ich und Außenwelt zu unterstützen«.13 In einem sehr weiten Theologie- und Religionsbegriff ist Kindertheologie darin theologisch, dass sie über religiöse Vorstellungen und Denkleistungen von Erwachsenen hinausgehend den Kindern eine ihren kognitiv-entwicklungspsychologischen Voraussetzungen gemäße »gleichsam selbstreflexive Form des Denkens über religiöses Denken« zutraut.14 Kindertheologie ist also dort gegeben, wo Kinder über ihre eigenen Äußerungen zu großen Fragen nochmals kritisch nachdenken, wo sie sich entsprechend des diakonisch-integrativen Verhältnisses der drei Dimensionen der Kindertheologie in ein Gespräch verwickeln lassen, wo sie ihre Religion und ihre Gedanken zur Religion eigens zum Thema machen.

10 Vgl. Friedrich Schweitzer: Was ist und wozu Kindertheologie?, in: Im Himmelreich ist keiner sauer. Kinder als Exegeten, JaBuKi 2, Stuttgart 2003, 9–18, 11–13; vgl. Henning Schluß: Ein Vorschlag, Gegenstand und Grenze der Kindertheologie anhand eines systematischen Leitgedankens zu entwickeln, in: ZPT 01/05, 23–35. 11 Friedrich Schweitzer: Lebensgeschichte und Religion. Religiöse Entwicklung und Erziehung im Kindes- und Jugendalter, Gütersloh 5 2000, 164. 12 Anton A. Bucher (wie Anm. 8), 25. 13 Kuld, Lothar: Kinder denken anders. Anmerkungen zur Kontroverse um die »Erste Naivität«, in: KatBl 115/1990, 184. 14 Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie (wie Anm. 10), 10.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

2. Kontextlosigkeit. Desiderate

Insofern die Kindertheologie damit die Kinder selber zu Agenten der Theologie erklärt, handelt es sich um die Radikalisierung der religionspädagogischen Subjektorientierung. Nur bleiben dabei mehrere Dinge unbeachtet, die nach unserer Problemexposition am Anfang noch schärfer benannt werden können. Vier Dinge drängen sich auf: 1. Nicht nur ist, wie Anton A. Bucher dies einmal im Hinblick auf den Projektionscharakter von Kinderbildern formuliert hat, »bislang unterblieben, Kinder selber zu fragen, ob sie sich als ›TheologInnen‹ verstehen, was man ihnen ohnehin operational und verständlich umschreiben müsste«.15 Kindertheologie beruht stark auf theologischen Annahmen wie der Gottesbildtheologie, dem Kind als Geschenk Gottes, der Theologie der Gotteskindschaft und ist deshalb von theologischen Konstruktionen eines bestimmten Kinderbildes nicht frei.16 2. Noch grundsätzlicher wäre allerdings zu prüfen, ob die realen Kinder im Blick sind, wenn wir von Kindertheologie im Kindergarten oder in der Schule sprechen. Das Schülerbild unterstellt sozusagen eine bürgerliche Normalbiographie: bürgerlicher Mittelstand, in einer halbwegs intakten Familie situiert. Diese Mittelschichtsorientierung hat an den religionspädagogischen Konzepten interessanterweise der Politikdidaktiker Wolfgang Sander herausgearbeitet. Neuerdings haben Johnsen und Schweitzer ebenfalls in kritischer Absicht darauf hingewiesen, dass die verdienstvolle Institution von »Kinderunis« gleichwohl eine Fixierung auf das Bildungsbürgertum verrate. Entgegen dem eigenen Ideal würde

man dort eben gerade nicht eine breite Auffächerung der Herkunft der Kinder nachweisen können. Haupt- und Sonderschüler träfe man dort nicht.17 Frank Lütze hat einen solchen Nachweis der Mittelschichtsorientierung für den RU in der Hauptschule unternommen und damit zugleich die Milieugebundenheit der Kindertheologie implizit verdeutlicht.18 Man könnte dies anhand unseres Eingangsbeispiels noch weiter begrifflich zuspitzen im Rückgriff auf die kultursoziologische Bildungstheorie Pierre Bourdieus und soziolinguistische Forschungen Basil Bernsteins. Auch wenn inzwischen der Defizittheorie Bernsteins eine eher anerkennungsorientierte Differenztheorie entgegengestellt wird, so bleiben doch die analytischen Kategorien auch für unser Erkenntnisinteresse relevant. Bernstein arbeitet die Unterscheidung zwischen einem elaborierten Code und einem restringierten Code sowie die jeweilige soziologische Milieu- und Schichtenbindung heraus. Während der elaborierte Code, gekennzeichnet durch grammatikalisch anspruchsvolle und korrekte Sprache mit Fremdwörtern und 15 Anton A. Bucher, An wirklichen Kindern vorbei, und doch unersetzbar: Kinderbilder, in: JRP 20/04, 71. 16 Vgl. Karen Marie Yust, ,»Als Christ / Christin aufwachsen«: Kindertheologie im US-amerikanischen Kontext, in: Gott gehört so ein bisschen zur Familie. Mit Kindern über Glück und Heil nachdenken, JaBuKi 10, Stuttgart 2011, 11–24. 17 Vgl. Elisabeth Tveito Johnsen / Friedrich Schweitzer: Was ist kritische Kindertheologie? Vergleichende Perspektiven aus Norwegen und Deutschland, in: Gott gehört so ein bisschen zur Familie. Mit Kindern über Glück und Heil nachdenken, JaBuKi 10, Stuttgart 2011, 34. 18 Vgl. Frank M. Lütze (wie Anm. 6).

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Begründungen, der gebildeten Mittelund Oberschicht zuzuordnen ist, situiert sich der restringierte Code im Milieu bildungsferner Schichten. Dieser restringierte Code ist geprägt von einfachem Satzbau, sehr begrenztem Wortschatz, bezogen auf ein von allen Kommunikationsteilnehmern irgendwie geteiltes Wissen, von grammatikalisch fehlerhaften, oft unvollständigen, wenig argumentativen Sätzen.19 Bourdieu hat auf der Basis einer solchen soziolinguistischen Unterscheidung die »feinen Unterschiede« zwischen den gesellschaftlichen Schichten herauspräpariert. Sein zentraler Begriff ist der des ›Habitus‹ als einem in sozialer Praxis und in Abhängigkeit von einer bestimmten Klasse konstituierten Phänomen. »Der Habitus ist nicht nur strukturierende, die Praxis wie deren Wahrnehmung organisierende Struktur, sondern auch strukturierte Struktur: das Prinzip der Teilung in logische Klassen, das der Wahrnehmung der sozialen Welt zugrunde liegt, ist seinerseits Produkt der Verinnerlichung der Teilung in soziale Klassen«. Insofern ist der Habitus ein »System von Differenzen«.20 Denk-, Wahrnehmungs- Handlungsweisen unterscheiden sich also nach sozialer Lage, mehr noch: der Habitus dient geradezu dazu, sich von anderen Klassen zu unterscheiden, indem je unterschiedliche Arten des Denkens und Handelns antrainiert werden. Distinktionsgewinne werden durch die Akkumulation nicht nur von pekuniärem, sondern eben auch von kulturellem Kapital Bourdieus erworben. Dazu gehören Musik, Lebensstil, aber eben auch Bildung. Sein Vorwurf an die Adresse der Bildungsinstitutionen lautet, dass sie trotz der verbalen Betonung von Chancengleichheit gerade den

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bildungsfernen Schichten keinen Zugang zum kulturellem Kapital vermitteln. Im Gegenteil: sie tragen zu deren Exklusion bei.21 Bezogen auf die Kindertheologie weckt dies sehr unangenehme aufrüttelnde Fragen: Unterstellt nicht die Kindertheologie mit einem bestimmten Sprachvermögen, Reflexionsvermögen und Motivationshintergrund einen elaborierten Code und damit auch einen (bildungs-)bürgerlichen Habitus? Gerade weil sie sich – trotz des Insistierens mancher Kindertheologen auf einer ganzheitlichen Zugang, der eben auch produktorientierte und handlungsorientierte Methoden einschließt – vorwiegend im Gespräch und im Modus kognitiv-diskursiven Lernens vollzieht, kann die Kindertheologie ungewollt eine höchst verhängnisvolle Eigendynamik entwickeln. Was ist mit Kindern, die sich lediglich im restringierten Code äußern? Inwiefern können sie überhaupt das normative Potential von Kindertheologie erreichen, sprachlich artikulierte Reflexion über den Glauben und über Religion zu sein? Inwiefern wiederholt damit nicht die Kindertheologie jenen gesellschaftlichen Marginalisierungsprozess von Bildungsfernen, die durch ihren restringierten Code in ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Teilhabe abgehängt werden, während sie die anderen dagegen privile19 Vgl. Basil Bernstein, Beiträge zu einer Theorie des pädagogischen Prozesses, Frankfurt a.M. 1982. 20 Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M. 1987, 279. 21 Vgl. Ders., Wie die Kultur zum Bauern kommt: Über Bildung, Schule und Politik, Hamburg 2001, 35–39.

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giert?22 Inzwischen haben die childhood studies und die Kindheitsforschung sich mit diesen sozialen Konstruktionen von Codes und Habitus beschäftigt.23 Die Kindertheologie indessen bleibt hier blind. Eine solche Tendenz ist in mehrfacher Hinsicht verhängnisvoll: 1. Für schulische Zusammenhänge identifiziert Frank Lütze eine Schwierigkeit des Hauptschulunterrichts in der Spannung zwischen dem »Habitus in unterprivilegierten Milieus und dem an der Schule gepflegten Habitus der ›legitimen‹ Mittelschichtskultur« wie er insbesondere bei den Lehrkräften vorherrsche.24 2. Dies würde sich aber auch theologisch auswirken. Lütze hat nachgewiesen, dass das Gottesbild von Hauptschülern sich signifikant von Schülern anderer Schulformen unterscheidet. Hauptschüler begreifen sich eher in einem durch Zwänge vorgegebenen Rahmen. Damit korreliert eine Gotteskonstruktion, die weniger die Beziehung zwischen Gott und Mensch, weniger das Dialogische in den Vordergrund stellt. Stattdessen sind Aspekte wie Macht, wie Weltenlenkung, wie Vorsehung dominant.25 Ich sehe nicht, wo sich die Kindertheologie diesem Zusammenhang zwischen Habitus, Code und theologischer Konstruktion ausdrücklich und reflexiv stellen würde. 3. Vor allem aber bleibt unklar, inwiefern sie sich der inneren Tendenz dieser Habitusverengung selber bewusst ist. Würde sie diese nicht kritisch reflektieren, so die große Gefahr, würde sie unbewusst und sozusagen hinter ihrem Rücken die Kinder durch Kindertheologie in ihre jeweiligen Milieus hineinsozialisieren und damit zum Status Quo einer Exklusion und Benachteiligung

von marginalisierten und bildungsfernen Kindern beitragen. Gotthilf Hiller hat in Bezug auf die Schule von der Gefahr gesprochen, zwar Bildung anstreben zu wollen, faktisch aber affirmativ und sozialintegrativ zu wirken. Schule unterliege gar eine »kulturimperalistische Attitüde«, die gesellschaftliche Defizite allenfalls kompensieren und damit zur Anpassung statt zur Mündigkeit beitrage.26 Insofern muss Kindertheologie in einem kritischen Sinne selbstreflexiv werden, indem sie selber ihre Standortgebundenheit im bildungsbürgerlichen Milieu kritisch reflektiert. Nur wenn sie radikal den Zusammenhang von »Erkenntnis und Interesse« ( Jürgen Habermas) bedenkt, kann sie die normativ intendierte Radikalisierung der Subjektorientierung wirklich einholen. Sie müsste dies aber zugleich in der Reflexion und Kritik der gesellschaftlichen Pluralisierungsprozesse wie der gesellschaftlichen und ökonomischen Verobjektivierungs- und Segregationsprozesse tun. Daher hätte die Kindertheologie sich fremden theologischen Zeugnissen gesellschaftlich benachteiligter, marginalisierter Kinder auszusetzen, die quer zu den eingangs zitierten, anheimelnd naiven Kinderäu22 Vgl. Elisabeth Tveito Johnsen / Friedrich Schweitzer (wie Anm. 17), 33f. 23 Vgl. Michael-Sebastian Honig, Das Kind in der Kindheitsforschung. Gegenstandskonstitution in den childhood studies, in: MichaelSebastian Honig (Hg.), Ordnungen der Kindheit. Problemstellungen und Perspektiven der Kindheitsforschung, Weinheim / München 2009, 47f. 24 Vgl. Frank M. Lütze (wie Anm. 6), 87. 25 Vgl. ebd., 91–95. 26 Gerhard Gottfried Hiller, Ausbruch aus dem Bildungskeller. Pädagogische Provokationen, Langenau 31994, 18; 25.

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ßerungen stehen, wie sie Inger Hermann unter dem aussagekräftigen wie schönen Titel »Halt’s Maul, jetzt kommt der Segen« versammelt und publiziert hat.27 Die Subjektorientierung müsste also fortgeschrieben werden zu dem Bewusstsein dafür, dass es stets auch und grundlegend um eine noch zu gewinnende, den Kontexten abzutrotzende und in den Kontexten kritisch markierte Subjektwerdung geht. Kindertheologie müsste zeigen, so etwa auch Friedrich Schweitzer, dass auch sie einen Beitrag zu dieser Subjektwerdung der Kinder leisten kann und die nicht individualistisch verengt werden darf.28 Kurzum: um marginalisierten, bildungsfernen Kindern gerecht zu werden, hätte die Kindertheologie ideologiekritisch, emanzipatorisch, im strengen Sinne subjektorientiert und kontextuell zu sein. Eine solche Kindertheologie könnte man eine kritische, marginalitätssensible Kindertheologie nennen. 3. Ressourcen

Wie es scheint, gibt es für die Entfaltung einer solchen kritischen marginalitätssensiblen Kindertheologie erste Anzeichen. Es gibt inzwischen Ansätze einer Kindertheologie im Horizont der Politischen Theologie, die die Relevanz des Gebetes in seinen gesellschaftskritischen Aspekten hervorheben.29 Aus einem interdisziplinären Diskurs heraus entfaltet Katharina Kammeyer das Potential der soziologischen Kindheitsforschung für die Kindertheologie. Gerade dort, wo sich diese als emanzipatorischer Ansatz verstehe, könne dieser interdisziplinäre Dialog fruchtbar werden. Denn aus

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diesem Dialog heraus wird der Kon­ struktionscharakter von Kindheit aus der Perspektive der Erwachsenen besonders deutlich und wird das Bemühen der Kindertheologie um die Würde der sinngenerierenden Perspektive der Kinder sowie der dialogische Charakter der Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen zumindest auf der Beziehungsebene auf eine interdisziplinäre Basis gestellt. Kindertheologie soll als kontextuelle Theologie entfaltet werden, die einen abstrakten Universalismus durch Partikularisierung unterbricht und auf der Linie kontextueller Theologien wie der Befreiungstheologie oder der Feministischen Theologie den Subjektstatus jedes einzelnen Kindes in seiner theologischen Würde gegenüber den Erwachsenen wie gegenüber der herkömmlichen Theologie in einem bestimmten Kontext zur Geltung bringt. Kammeyer will durch diese Kontextualisierung zeigen, wie die »Kontexte von Menschen, in denen sie in 27 Vgl. Inger Hermann, Halt’s Maul, jetzt kommt der Segen. Kinder auf der Schattenseite des Lebens fragen nach Gott, Stuttgart 102011. Vgl. auch Rudolf Tippelt, Jugendphase und sozialer Wandel. Anforderungen und Überforderungen der Schule, in: Patrick Becker / Stephan Mokry (Hg.), Konsequenzen aus der Jugendforschung für Theologie, Pastoral und (Religions-)Unterricht, Würzburg 2010, 119–132; Dörthe Vieregge, Religiosität sozial benachteiligter Jugendlicher geschlechtsbezogen interpretiert, in: Annabelle Pithan / Silvia Arzt / Monika Jakobs (Hg.), Gender – Religion – Bildung, Gütersloh 2009, 208–218. 28 Vgl. Friedrich Schweitzer: Art. »Kind«, in: LexRp 2001, 1000–1005, 1003. 29 Vgl. Bertil Langenohl, Beten lohnt sich nicht! Politische Theologie für Kinder oder von Kindern?, in: Thomas Polednitschek / Michael J. Rainer / José A. Zamora (Hg.), Theologischpolitische Vergewisserungen, Münster 2009, 345–349.

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einer konkreten Gemeinschaft und zu einer konkreten Zeit leben, Theologie mitbestimmen«.30 Dies ist gerade im Dienste der auch von ihr normativ bestimmten Subjektwerdung der Kinder höchst bedeutungsvoll. Stark treten dabei die Aspekte von Intergenerationalität, Selbstkonstruktion und Lernen ins Zentrum. Um das von Kammeyer anvisierte emanzipatorische Potential der Kindertheologie umfassend zur Geltung bringen zu können, hätte freilich eine noch stärker soziologisch-systemische Betrachtung des gegenwärtigen Kontextes hinzugefügt werden müssen, die auch die politischen Strukturen kategorial berücksichtigt. Dem widmen sich Johnsen und Schweitzer in ihrer Profilierung einer kritischen Kindertheologie. Aus einem komparativen Diskurs der religiösen Bildung und der Kindertheologie in Norwegen und in Deutschland entwickeln beide die Spuren einer kritischen kontextuellen Kindertheologie. Deren Kennzeichen ist es, eine Theologie der Kindheit und eine Kindertheologie zusammenzubringen. Was ist darunter zu verstehen? Eine Theologie der Kindheit ist die aus Erwachsenenperspektive hervorgehende Erforschung dessen, wie über Kinder in Theologie und Gesellschaft gedacht wird, wie Kinder behandelt werden, wie sie leben, unter welchen Bedingungen sie aufwachsen. Die konkreten Kinder in konkreten, je bestimmten Kontexten sind im Blick. Diese Konkretion bezahlt sie gleichwohl mit einer Abstraktion, geht sie doch aus einer Außenperspektive auf die Kinder zu. Die Kinder selber kommen dort nicht zu Wort. Demgegenüber will die Kindertheologie die Kinder selber zur Sprache bringen und die Kinder sich als Subjekte ihres Gottden-

kens artikulieren lassen. Doch diese Subjektförmigkeit ist wiederum durch eine Abstraktion erkauft. Die Kontexte, und damit treffen sich Johnsen und Schweitzer mit meiner Analyse, bleiben unbedacht. Eine kritische Kindertheologie bringt nun Kindertheologie und Theologie der Kindheit in einen Dialog, in dem beide aufeinander angewiesen sind. Die Kindertheologie braucht eine Theologie der Kindheit, »um eine kritische und selbstreflexive Perspektive zu gewinnen« und um dafür zu sorgen, das »die Kindertheologie auf konkrete Kinder mit ihren Lebenskontexten« und Erfahrungen bezogen wird und sich »auf die Frage einlässt, in welchem jeweils ganz bestimmten Sinne sie zur Subjektwerdung dieser Kinder angesichts ihrer Lebenskontexte beiträgt«.31 Damit werden auch die Machtfrage und Strukturfragen virulent. Umgekehrt ist eine Theologie der Kindheit nur dann vor einer Subjektlosigkeit und einem Überspielen der Kinder gefeit, wenn sie die Stimme der Kinder selber zu Gehör bringt. Dies aber geschieht in der Kindertheologie. Während eine Theologie der Kindheit durch Kindertheologie subjektiviert wird und in einem emphatischen Sinne Erfahrungsbezug gewinnt, wird eine Kindertheologie durch eine Theologie der Kindheit durchaus im politisch-strukturellen Sinne kontextualisiert.32 Johnsen und Schweitzer haben Gespür für die politischen und systemischen 30 Katharina Kammeyer, Kindheitsforschung und Kindertheologie. Ein kindertheologischer Blick auf Beiträge soziologischer Kindheitsforschung, in: Theo-Web 11. Jg. 2002, Heft 1, 53. 31 Elisabeth Tveito Johnsen / Friedrich Schweitzer (wie Anm. 17), 31. 32 Vgl. ebd., 31–35.

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Aspekte des Kontextualitätsbegriffs. Allerdings bleibt wenigstens an dieser Stelle unklar, wie denn beide Zugänge, der strukturelle wie der subjekt- und erfahrungsorientierte Aspekt, aufeinander bezogen werden können. Zudem könnte ihre kritische Kindertheologie durch einen konstruktiven Bezug zur Lebenslagenforschung innerhalb der childhoodstudies und Kindheitsforschung begriffliche kategoriale Schärfe gewinnen. Möglicherweise könnte eine kritische marginalitätssensible Kinderkindertheologie hier weiterführende Perspektiven einbringen, die ihrerseits auf einen politisch sensiblen Bildungsbegriff zurückgreift. 4. Konturen einer kritischen marginalitätssensiblen Kindertheologie

In neueren Entwicklungen der Kindheitsforschung findet sich eine Unterscheidung, die auch eine kritische marginalitätssensible Kindertheologie bereichern könnte. Dort werden die Akteursperspektive und die Strukturperspektive unterschieden: erstere nimmt die Kinder in den Blick, untersucht deren Selbstvollzüge und Praktiken und nicht primär die Erwartungen der Gesellschaft oder der Institutionen. Dagegen wendet sich die Strukturperspektive den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen, sozialen und kulturellen Milieus, Weltbilder und ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen zu. Das Interessante ist nun die Verhältnisbestimmung der beiden Größen, die durchaus empirisch basiert ist. Drei Einflussfaktoren greifen ineinander: Kulturelle, ökonomische und sozialstrukturelle Faktoren sind – erstens

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– die Rahmenbedingungen, unter denen Kinder aufwachsen. Die wiederum sind diesen Bedingungen nicht einfach passiv überantwortet. Denn – zweitens – eignen sich Kinder diese Bedingungen durchaus aktiv an. »Kinder entwickeln unterschiedliche Strategien des Umgangs mit den Lebensbedingungen, die sie vorfinden«.33 Und drittens setzen sich Kinder durchaus eigensinnig mit den entwicklungsbedingten Herausforderungen aus­­einander, mit denen sie konfrontiert sind. Für die Kindheitsforschung ist das Kind also »Ko-Konstrukteur seiner Lebenswelt und Selbsterfahrung, das sich zusammen mit anderen Kinder sowie Erwachsenen aktiv und kreativ die Welt aneignet und sie im günstigsten Fall mitgestaltet, obschon eben nicht vergessen werden darf, dass es viele Kinder gibt, die Opfer und zum Objekt degradiert sind. Die Unterscheidung zwischen Akteursund Strukturperspektive schlägt sich nieder in der jeweils auszuhandelnden Balance zwischen Ideen über Kinder und den Erfahrungen der Kinder, zwischen Kindheit und Kindsein als sozialkultureller Lebensphase und gesellschaftlicher Lebensrealität und dem konkreten Kind.34 Dementsprechend unterscheidet die Kindheitsforschung subjektbezogene und strukturbezogene Ansätze, die sie kritisch aufeinander bezieht. Für unsere Fragestellung ist das Lebenslagenkonzept besonders aussagekräftig, weil es das Zusammenwirken 33 Heike Deckert-Peaceman / Cornelie Dietrich / Ursula Stenger, Einführung in die Kindheitsforschung, Darmstadt 2010, 9. 34 Vgl. ebd.; vgl. auch Vera Bamler / Jilian Werner / Cornelia Wustmann, Lehrbuch der Kindheitsforschung. Grundlagen, Zugänge und Methoden, Weinheim / München 2010, 35–73.

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individueller und struktureller Faktoren erfasst. Demnach werden strukturelle, also ökonomische, kulturelle, politische Rahmenbedingungen, und individuelle Spielräume ins Verhältnis gesetzt.35 Für marginalisierte bildungsferne Kinder hat ein solches Konzept in empirischen Studien durchaus divergente Bewältigungsmuster herausgearbeitet, die auch nochmals unterschiedlich sind von denen marginalisierter bildungsferner Erwachsener. So konnte herausgearbeitet werden, dass elterliche und kindliche Lebenslagen sich unterscheiden können, wenn Kinder etwa soziale Netzwerke nutzen können, um Erscheinungen von Armut zu kompensieren. Strategien wie die des Mit-sich-selbst-Ausmachens, der aktiven Auseinandersetzung oder auch der externalisierenden Verlagerung konnten in Studien bei Grundschülern nachgewiesen werden.36 Andererseits zeigt aber die Lebenslagenforschung, so das differenzierende Fazit Heike DeckertPeacemans, dass die »in Teilen der Kindheitsforschung starke Fokussierung auf Kinder als eigenständige Akteure und Konstrukteure ihrer Lebenswelt angesichts der vielfältigen Beschränkungen des kindlichen Aktionsspielraumes in den konkreten Zusammenhängen von Familie, Armut, Schule und Freundschaft relativiert werden muss«.37 Eine kritische marginalitätssensible Kindertheologie mit ihrem ideologiekritischen, emanzipatorischen, im strengen Sinne subjektorientierten und kontextuellen Impetus kann hieran anknüpfen. Gerade um marginalisierten, bildungsfernen Kindern gerecht zu werden, hätte sie strukturelle und subjektorientierte erfahrungsbezogene Aspekte aufeinander zu beziehen. Der Rahmen freilich, in

dem dies konzeptionell möglich ist, ist ein bildungstheoretischer. In einem angemessenen praktisch-kommunikationstheoretischen, alteritätstheoretisch grundierten Bildungsbegriff könnten sowohl die individuellen subjekthaften Vollzüge der Kinder in ihrer je spezifischen Lebenslage und theologischen Kraft als auch die strukturellen Bedingungen in deren gegenseitigem Bedingungsverhältnis, wie dies eben das Lebenslagenkonzept der Kindheitsforschung verdeutlicht hat, zur Geltung gebracht werden. Bildung ist im Anschluss an Helmut Peukert jenes geschichtlich unabschließbare Handeln, das auf die Konstituierung freier Subjekte und deren Befähigung zur »Identität in universaler Solidarität« abzielt.38 Praxis heißt hier »unter erfahrenen und erlittenen Widersprüchen und damit unter Entfremdung auf eine nicht entfremdete Lebensform hin verändernd zu handeln, eine Lebensform, in der Identitäten gemeinsam gefunden werden, sodass mit den Verhältnissen sich Subjekte verändern können und umgekehrt«.39 Dazu gehört wesentlich eine advokatorische Praxis, die auf eine »Wiederherstellung der Freiheit eines Individuums« abzielt, »und sei es in der Form, dass sie ein neues Verhältnis zu gebroche35 Vgl. Heike Deckert-Peaceman / Cornelie Dietrich / Ursula Stenger (wie Anm. 33), 56–62. 36 Vgl. Vera Bamler / Jilian Werner / Cornelia Wustmann (wie Anm. 34), 169ff. 37 Heike Deckert-Peaceman / Cornelie Dietrich / Ursula Stenger (wie Anm. 33), 85. 38 Norbert Mette, Religionspädagogik, Düsseldorf 1994, 139. 39 Helmut Peukert, Was ist eine praktische Wissenschaft? Handlungstheorie als Basistheorie der Humanwissenschaften: Anfragen an die praktische Theologie, in: Zur Rettung des Feuers. Solidaritätsschrift für Kuno Füssel, Münster 1981, 280–295, 289.

Grümme Unter Ideologieverdacht. Bildungsferne und arme Kinder in der Kindertheologie

ner und beschädigter Identität« ermöglicht.40 In diesem Zusammenhang ist religiöse Bildung dann jene intersubjektive, gesellschaftlich situierte Praxis, der es um das Subjektsein, um das Subjektwerden, um das Subjektbleiben der Menschen vor Gott geht. Religiöse Bildung orientiert sich an ihren Subjekten und versteht sich als Hilfe zur Menschwerdung des Menschen. Zu einem solchen Bildungsbegriff gehört neben ästhetischen, pragmatischen und kognitiven Dimensionen auch eine politische Dimension, die sich durch Merkmale wie Parteilichkeit, Wahrnehmungsbezogenheit, Kritik, Emanzipation und Transformationsbezogenheit auszeichnet.41 Ein solcher mehrdimensionaler Bildungsbegriff erlaubt die gegenseitige Inbezugsetzung gesellschaftskritischer wie subjektorientierter Aspekte. Er kann damit die konzeptionelle Basis für eine marginalitätssensible kritische Kindertheologie sein. 4. Fazit

Das hier allenfalls ahnungsweise skizzierte Gerüst einer kritischen marginalitätssensiblen Kindertheologie schlägt sich auch in didaktisch-methodischer Hinsicht nieder, womit letztlich zugleich ein Fazit zu ziehen ist. Drei Schlagworte seien genannt: 1. Ganzheitlich: Es geht um die Überwindung einer tendenziell in der Kindertheologie gegebenen kognitiven Engführung. Wie sich an verschiedenen Beispielen zeigen ließe, gibt es ermutigende Beispiele dafür, dass auch handlungsorientierte und produktorientierte Verfahren ein Forum kindlicher Artikulation und Reflexion sein können.42 Dies

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wäre eine Möglichkeit, die aufgezeigten segregierenden Tendenzen innerhalb der Kindertheologie zu Lasten benachteiligter bildungsferner Kinder zumindest abzuschwächen. Die einseitige Privilegierung bildungsaffiner Kinder mit deren elaborierten Code würde unterlaufen. 2. Advokatorisch-ermutigend: Kindertheologie sollte insbesondere diejenigen ermutigen, sich einzubringen, die dies nicht tun und sich stattdessen in den oben beschriebenen Kompensationsmechanismen im Umgang mit Armut und Benachteiligung dem Theologisieren entziehen wollen, weil sie sich selber nichts zutrauen. Johnsen und Schweizer haben zu Recht auf die Befreiungspädagogik Paulo Freires hingewiesen.43 Das pädagogische Paradox, »stellvertretend für das Kind in Anknüpfung an seine Wünsche und Bedürfnisse dessen Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu behaupten und somit vorgreifend zu realisieren«,44 würde zugleich eine besondere Schärfe und Konkretisierung dadurch erhalten, dass es angesichts bildungsferner Kinder 40 Ders., Tradition und Transformation. Zu einer pädagogischen Theorie der Überlieferung, in: RpB 19/1987, 29. 41 Vgl. Bernhard Grümme, Religionsunterricht und Politik. Bestandsaufnahme – Grundsatzüberlegungen – Perspektiven für eine politische Dimension des RU, Stuttgart 2009, 103– 147. 42 Vgl. Claudia Rosenhammer, Mit Hauptschü­ lerIn­nen Gott auf der Spur, in: KatBl 131/2006, 356–359; vgl. Dies., Durchs Kreuz ins Leben?, in: KatBl 136/2011, 34–38; vgl. Hans Schmid, Religionsunterricht mit HauptschülerInnen, in: KatBl 120/1995, 100ff. 43 Vgl. Elisabeth Tveito Johnsen / Friedrich Schweitzer (wie Anm. 17), 32–34. 44 Ursula Peukert, Psychische und soziale Bedingungen kindlicher Identität, in: PRB 4/1979, 20f; vgl. Norbert Mette (wie Anm. 38), 115f.

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einen stark advokatorischen Einschlag bekommen würde, der wiederum gesellschaftskritischen wie emanzipatorischen Rang hätte.45 3. Heterogenitätsfähig: Eine solche Kindertheologie würde sich selber eine Heterogenitätsfähigkeit voraussetzen. Ohne die konzeptionelle, didaktische und methodische Veranschlagung je individueller Zugänge und Problemlagen der Kinder wie zugleich der gesellschaftlich-ökonomisch strukturellen Lebenslagen würde Kindertheologie hinter das eigene Postulat der Subjektorientierung zurückfallen.46 Insgesamt gesehen gilt damit: Kindertheologie bleibt abstrakt, wenn nicht gar ideologieanfällig, wenn sie sich den Herausforderungen durch marginalisierte bildungsferne Kinder nicht stellt. Kindertheologie muss deshalb in den Horizont von Bildungsgerechtigkeit gerückt werden, einen Horizont, der – seinerseits ideologisch und politisch hoch aufgeladen – in seinem Ringen um ein angemessenes Verhältnis von Biblischer Gerechtigkeit, Verteilungs-, Befähigungs-, Teilhabe- und meritokratischer Gerechtigkeit bislang wohl sozialethisch und philosophisch, aber kaum religions-

pädagogisch im Blick ist.47 Dazu ist die Kindertheologie freilich auf den interdisziplinären Dialog mit der Pädagogik, der Armutsforschung und den Sozialwissenschaften angewiesen. Insbesondere die Resilienzforschung, wie sie derzeit in der Elementarpädagogik wie in der Religionspädagogik ihre Brisanz zeigt, wäre eine fruchtbare Gesprächspartnerin.48 45 Vgl. Ursula Peukert, Eine neue Kultur des Aufwachsens für Kinder. Zur Sicherung frühkindlicher Bildungspresse, in: Andrea Liesner / Ingrid Lohmann (Hg.), Gesellschaftliche Bedingungen von Bildung und Erziehung. Eine Einführung, Stuttgart 2010, 202. 46 Vgl. Katharina Kammeyer: Theologisieren in heterogenen Lerngruppen – Empirische Einsichten in Perspektiven von Lehrkräften und konzeptionelle Überlegungen, in: Veit-Jakobus Dieterich (Hg.), Theologisieren mit Jugendlichen. Ein Programm für Schule und Kirche, Stuttgart 2012, 191–210. 47 Vgl. Bernhard Grümme, Bildungsgerechtigkeit: ein Desiderat religiöser Bildung in der Schule, in: Stimmen der Zeit, 2012/7, 472–482; Friedrich Schweitzer, Menschenwürde und Bildung. Religiöse Voraussetzungen der Pädagogik in evangelischer Perspektive, Zürich 2011; Norbert Mette / Judith Könemann (Hg.), Bildung und Gerechtigkeit?! Warum religiöse Bildung politisch sein muss, Mainz 2013. 48 Vgl. Carola Fleck, Religiöse Bildung in der Frühpädagogik, Münster 2011, 138–155.

Kammeyer Inklusives Theologisieren in Gesprächen und darüber hinaus

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Katharina Kammeyer Inklusives Theologisieren in Gesprächen und darüber hinaus. Anregungen zur Klärung von Teilhabemöglichkeiten durch fachdidaktische Niveaudifferenzierung Der Inklusionsdiskurs fordert dazu auf, Kindern in ihrer Vielfalt Teilhabemöglichkeiten an Bildungsprozessen zu ermöglichen (1.). Vor diesem Hintergrund stellt sich auch dem Ansatz der Kindertheologie, in dem das Kind als Ausgangspunkt religiöser Bildung durch selbstbestimmtes Fragen und Deuten betrachtet wird, die Frage nach Chancen des Lernens in der heterogenen Gruppe bzw. nach möglichen Benachteiligungen und notwendiger Befähigungsgerechtigkeit (2.). Inklusion ist weiterhin der Anlass, um eine Perspektive für vielfältige Lernausgangslagen und Lernniveaus im Theologisieren zu entwickeln. Hierzu werden Beispiele untersucht, in denen verbale und nicht-verbale Ausdrucksmöglichkeiten im Mittelpunkt stehen (3.). Auf diese Weise werden die Stärken des Theologisierens in Diagnostik und Niveau- bzw. Binnendifferenzierung sowie der Verständigung in der Lerngruppe sichtbar (4.). 1. Inklusion – vom Umgang mit Verschiedenheit in der vielfältigen Gemeinschaft 1.1 Allgemeinpädagogische Zielgedanken

Der Begriff der »Inklusion« wird in der allgemeinpädagogischen Diskussion in der Regel auf das »Übereinkommen der

Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen« aus dem Jahr 2008 zurückgeführt.1 Das Recht aller Kinder auf den Besuch einer inklusiven Schule wird dort insbesondere für Kinder mit Behinderungen unterstrichen, d.h. für Kinder mit kognitiven, sozialen oder emotionalen Beeinträchtigungen, die angesichts der begrenzten pädagogischen Möglichkeiten an den meisten deutschen Regelschulen sonderpädagogische Förderung erforderlich machen (derzeit zumeist separat oder integrativ). Über diese dichotome Einteilung hinaus treten Kinder in der inklusiven Sicht insgesamt ihrer Vielfalt an Hintergründen für ihr Leben und Lernen in unser Bewusstsein. Heute lesen wir die Erklärung der UNESCO Konferenz »Special Needs Education: Access and Quality«, die im spanischen Salamanca im Jahr 1994 stattfand, als Beschreibung einer 1 So heißt es im Text: »States Parties recognize the right of persons with disabilities to education. With a view to realizing this right without discrimination and on the basis of equal opportunity, States Parties shall ensure an inclusive education system at all levels and lifelong learning directed to« (Art 24.1) sowie folgend: »Persons with disabilities are not excluded from the general education system on the basis of disability, and that children with disabilities are not excluded from free and compulsory primary education, or from secondary education, on the basis of disability« (Art 24.2a), zugänglich über http://www.un.org/disabilities/ default.asp?id=284.

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Inklusiven Schule: »… dass Schulen alle Kinder, unabhängig von ihren physischen, intellektuellen, sozialen, emotionalen, sprachlichen oder anderen Fähigkeiten aufnehmen sollen. Das soll behinderte und begabte Kinder einschliessen, Strassen- ebenso wie arbeitende Kinder, Kinder von entlegenen oder nomadischen Völkern, von sprachlichen, kulturellen oder ethnischen Minoritäten sowie Kinder von anders benachteiligten Randgruppen oder -gebieten.«2 Ausgangspunkt sind also die Fähigkeiten anstatt einer Defizitorientierung, und die Aufdeckung von Benachteiligungen, die sowohl durch beeinträchtigende Ausgangssituationen der Kinder als auch durch ungeeignete Schulstrukturen entstanden sind. Pädagogisch und didaktisch bedeutet dies, dass Schulen auf dem Weg zur Inklusion von vornherein von einer Vielfalt von Bedürfnissen ausgehen und entsprechende kommunikative Strukturen im Schulleben und in einem binnendifferenzierten Unterricht anbieten.3 Gefragt wird: Wer braucht den Text in Langform, wer braucht ihn in einfachen, kurzen Sätzen? Wer braucht Veranschaulichung, wer Abstraktion? Wer braucht mehr, wer weniger Zeit zum Üben? Wer einen übersichtlichen Rückzugsraum? Zugleich rücken gemeinsame Themen für die ganze Schülerschaft ins Bewusstsein, beispielsweise: Wie lässt sich die Spannung zwischen erlebter Freiheit und Fremdbestimmung gestalten?4 Angenommen wird, dass diese Strukturen und Themen allen Schülerinnen und Schülern zugutekommen. Viele Schulen haben ihren Unterricht dahingehend verändert, dass Phasen für individualisiertes Lernen und Phasen für kooperatives Planen, Erarbeiten bzw.

Zusammentragen von Ergebnissen zunehmen, ebenso das Team-Teaching von Lehrpersonen. Transparenz und Abstimmungsnotwendigkeiten werden hierdurch wichtiger. Rollenerwartungen und Aufgaben sowie Entwicklungen müssen nicht nur unter den Lehrpersonen, sondern auch unter den Schülerinnen und Schülern immer wieder thematisiert werden. Vom Verlauf dieser Kommunikation und von der Entwicklung der binnendifferenzierten Unterrichtsformen hängt in der Regel die Zufriedenheit der Beteiligten ab. Dies gilt für Klassen, in die neue Mitschüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf kommen, wie für grundsätzlich alle, in denen die bestehende Differenz und ihre Gestaltung in Vielfalt thematisiert werden. 1.2 Fachdidaktische Zielgedanken

Schon jetzt wird deutlich, dass das Theologisieren eine hohe Passung für inklusive Klassen hat: Es bietet einen hohen Grad an Subjektorientierung in Phasen individualisierten Lernens und klare Regeln 2 Zugänglich über http://www.unesco.at/bildung/basisdokumente/salamanca_erklaerung. pdf. 3 Vgl. z.B. Reinhard Stähling / Barbara Wenders, Das können wir hier nicht leisten. Wie Grundschulen doch die Inklusion schaffen können. Ein Praxisbuch zum Umbau des Unterrichts, Baltmannsweiler 22013. 4 Komplementär hierzu werden in schulformspezifischer Perspektive Themen herausgestellt, die besonders für eine Teilpopulation, die sich auf einen Schultyp konzentriert, gelten sollen. Hiermit werden wichtige Tendenzen beschrieben. Die Förderung von subjektiven und intersubjektiven Umgangsweisen mit den Phänomenen betreffen jedoch Fähigkeiten, die eine schulformübergreifende Aufgabe darstellen.

Kammeyer Inklusives Theologisieren in Gesprächen und darüber hinaus

für das kooperative Zusammentragen verschiedener Sichtweisen und Schwerpunktsetzungen, also für das Darstellen, Anhören und Abwägen von Fragen und Lösungen in der Gruppe. In dem Band »Religionsunterricht neu denken« reflektiert Rudolf Englert neue Ansätze der Religionsdidaktik und bewegt sich dabei ebenso in der Spannung zwischen einer Defizitorientierung und einem produktiven Umgang angesichts der Ausgangsbedingungen für religiöse Bildung. Er diagnostiziert grundsätzlich »Neuansätze zum Umgang mit Verlusten«.5 Verluste sind Erfahrungen mit gelebter Religion und die Normativität religiöser Tradition sowie didaktische Möglichkeiten: »Die Religion verliert ihre lebensweltliche Bedeutung, die Theologie ihren Anspruch auf objektive Wahrheit, die Didaktik ihr Ideal von einem durchorganisierten Unterricht.«6 In dieser Situation erkennt er eine Chance zur Weiterentwicklung. Wenn es im Religionsunterricht nicht mehr darum gehen kann, vorgegebene Wahrheiten zu vermitteln, gewinnt die Ermutigung der Schülerinnen und Schüler zu eigenen Sinnkonstruktionen an Bedeutung: »Ein solches Ermutigungsethos wird durch Theorien gestützt, für die das Bewusstsein von der Relativität jeder denkbaren WeltAnschauung kein wie auch immer zu bannender Schrecken, sondern ein notwendiges Stück Aufklärung darstellt«.7 An die Stelle von einer »Anwendung von Religion« tritt die Aufgabe von Religionsunterricht als Ort, an dem Unbedenklichkeiten fragwürdig und Antworten in Fragen übersetzt werden und sich ein Umgang mit Tradition als »kreatives Erinnern« ereignet.8 Hierzu fragt Eng-

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lert an, was es dann noch zu lehren und zu lernen gäbe. Aus Sicht der Kindertheologie ist diese Frage nicht schwer zu beantworten: Nicht nur die Entwicklung von Fragen, sondern ebenso auch von vielfältigen, zu prüfenden Antworten von Lernenden und Lehrenden in gerade dieser postulierten aufgeklärten Form, stellt sich als Lehr-Lernfeld dar. Im Rahmen des Inklusionsdiskurses kann neu unterstrichen und ergänzt werden: Hierzu gehört das Abwägen verschiedener Antworten und auch von verschiedenen Lernwegen, die jeweils verschiedenen Menschen in ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen wichtig sind. Kindertheologie kann sich also in der Skizze Englerts Religionsunterricht neu zu denken genau wiederfinden: »Offenheit zulassen, Raum für unterschiedliche Verläufe geben, Differenzierungen fördern, Multiperspektivität einüben, individuelle Adaptionen des Unterrichtsgegenstandes unterstützen«.9 Es verbindet sich das durch die konstruktivistische Lerntheorie formulierte Wissen darum, dass Lernangebote nie eins zu eins übernommen werden, sondern als Anstöße und Irritationen dienen, mit der Überzeugung, dass der gut kommunizierte Umgang mit diesen Anstößen durch die Schülerinnen und Schüler zu jeweils ei5 Rudolf Englert, Religionsdidaktik wohin? – Versuch einer Bilanz, in: Bernhard Grümme / Hartmut Lenhard / Manfred L. Pirner (Hg.), Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik, Stuttgart 2012, 247–258, 250. 6 Ebd., 250. 7 Ebd. 251. 8 Ebd. 251 mit Bezug auf eine Formulierung von Beuscher und Zilleßen in Grümme / Lenhard / Pirner (wie Anm. 5) , 82. 9 Ebd. 252.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

genen Bedeutsamkeiten führt, die dann besonders gut gelernt werden können.10 Die Inklusionsperspektive wird in dem genannten Band nicht thematisiert. Im Folgenden wird die These entfaltet, dass jedoch erst ihre Verschränkung mit den Überlegungen Englerts dazu beiträgt, dass die fachdidaktischen Grundsätze aufgehen: 1. Nur mit dem Blick auf die Vielfalt der Klasse ohne dichotome Verengungen können die individuellen Lernausgangslagen von Kindern angemessen diagnostiziert werden. Kinderund auch Jugendtheologie kann das grundsätzlich angenommene Relevanzproblem von Religion besser differenzieren, indem in der Beobachtung geübte Lehrpersonen diagnostisch wahrnehmen, wie Kinder ihre Ausgangsbedingungen und Lernschritte selbst darstellen. 2. Eine didaktische Offenheit, die bei jedem Schüler von einer anderen Anschlussrationalität ausgeht, braucht eine Form, um diese Vielfalt zu organisieren und zu moderieren und eben kein Angebot im »Schrotschussverfahren«. Dem Lehrbarkeitsproblem von Religion begegnet Kinder- und Jugendtheologie mit ihrer rezeptions­ orientierten Grundausrichtung und Angeboten auf verschiedenen Niveaus auf der Grundlage des Perspektiv­ wechsels. Diese kommen dann zu einem Ertrag, wenn sich dieser Perspektivwechsel nicht nur auf die Lehrkraft und die Kinder bezieht, sondern auch auf die Verständigung der Kinder untereinander. 3. Nicht zuletzt die Hinwendung zum Gebrauch von Religion, wie sie durch die Performative Religionsdidaktik in

Verbindung mit einem klaren deutungstheoretischen Bezug beschrieben wurde, gewinnt durch den Inklusionsdiskurs. Inklusive Klassen kennen bereits verschiedene Formen von Sprache und Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, auch mit Grenzen der Verständigung und deren Überwindung bzw. die Notwendigkeit diese zu respektieren. 2. Benachteiligung und Befähigungsgerechtigkeit

Die Inklusionsperspektive stellt neben dem produktiven Umgang mit verschiedenen Lernausgangsbedingungen auch immer ein (selbst-)kritisches Postulat dar. Mit dieser Perspektive verbindet sich für uns die Frage nach möglichen Benachteiligungen, die von Theorie oder Praxis der Kindertheologie ausgehen könnten, so dass Kinder dem Risiko der Ausgrenzung ausgesetzt sind.11 Der Umgang mit Verschiedenheit schließt ein, »möglichst frühzeitig und umfassend passgenaue Hilfen bereitzustellen«, um dem im Grundgesetz formulierten Anspruch (GG Art. 3, Abs. 3), Benachteiligungen zu verhindern, gerecht zu werden. Zusammen mit dem Einfluss von materiellen Ressourcen von Familien stellen die Kategorien Gender, interkultureller Hintergrund und kognitive Fähigkeiten die vier Variablen dar, in denen in der 10 Vgl. hierzu etwa die Jahrbücher für Konstruktivistische Religionsdidaktik, hg. v. Gerhard Büttner / Hans Mendl / Oliver Reis / Hanna Roose, z.B. Bd. 3: Lernumgebungen, Hannover 2011. 11 Vgl. auch den Beitrag von Bernhard Grümme in diesem Jahrbuch für Kindertheologie.

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Erziehungswissenschaft in der Regel Diversität auf Chancen und Benachteiligungen bzw. unterstützende pädagogische Bedingungen hin untersucht wird.12 Die Durchsicht der elf Jahrbücher für Kindertheologie und der drei Sonderbände zu biblischen Texten und zum Credo macht zunächst einmal deutlich, dass Kinder hinsichtlich ihrer Lebensweisen, Interessen, persönlichen Konstitutionen und ihrer Herkunftsfamilien grundsätzlich wenig beschrieben werden.13 In nur drei von insgesamt 199 Beiträgen werden Kinder mit physischen oder kognitiven bzw. sozial-emotionalen Beeinträchtigungen beteiligt (Lauster im Sonderband 2008, Benk im Sonderband 2005, Kammeyer im JaBuKi 2002 sowie hinsichtlich erkrankter Kinder Büttner / Zimmermann sowie Roggenkamp-Kaufmann im JaBuKi 2011). In vielen Beiträgen wird indirekt deutlich, dass die beteiligten Kinder ein hohes Maß an sozialen Beziehungen und Zugang zu materiellen und kulturellen Gütern erleben. Soziale und materielle Hintergründe kommen z.B. in einer Studie zu Tieren als Zugang zur Schöpfung indirekt vor (Dinter / Naurath / Scholz im JaBuKi 2012). Ganz explizit wird das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus im Kontext von Armut und Reichtum von südafrikanischen Kindern interpretiert (Zimmermann / Kok im JaBuKi 2009). Kinder, deren Grundbedürfnisse nach Verlässlichkeit und Fürsorge eklatant unberücksichtigt sind, bringen diese Erfahrungen deutlich in ihr Gebetskonzept ein (Kammeyer im JaBuKi 2006) und stellen sie im schöpfungstheologischen Gespräch dem Glauben an eine gute und schöne Schöpfung entgegen.14 Interkulturelle / -religiöse Dimensionen kommen vor allem in Band 8

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zu religiöser Differenz in Betracht: Hier denken u.a. christliche und muslimische Kinder in jeweils eigenen Gruppen über das Ergehen nach dem Tod nach (Naurath im JaBuKi 2009). Eine kultursensible Perspektive nehmen auch die Beiträge auf, die Gottes- bzw. Selbstbilder von Kindern bzw. ihr Verständnis von Kirche 12 Die Differenzierungen, die Lehrkräfte im Blick auf das Fach Religion einziehen, umfassen darüber hinaus religiöse Erfahrungen und Religionszugehörigkeit, Wissen und religiöse Entwicklung, Sprachkompetenz und Argumentationsstile sowie Interesse, Altersgruppe und auch körperliche Beeinträchtigungen, vgl. hierzu Katharina Kammeyer, Theologisieren in heterogenen Lerngruppen. Empirische Einsichten in Perspektiven von Lehrkräften und konzeptionelle Überlegungen, in: Veit-Jakobus Dieterich (Hg.), Theologisieren mit Jugendlichen. Ein Programm für Schule und Kirche, Stuttgart 2012, 191–210, 194. 13 Dies hat damit zu tun, dass die analytische Haltung eher von einer wissenssoziologischen Konzentration auf die sich in Texten darstellende Deutungen geprägt ist; vgl. Katharina Kammeyer, »Lieber Gott, Amen!« Theologische und empirische Studien zum Gebet im Horizont theologischer Gespräche mit Vorschulkindern, Stuttgart 2009, 337ff. 14 Lauster stellt heraus, dass der Glaube an Gott als der gute Schöpfer des Himmels und der guten Erde für die beteiligten Kinder eine kontrafaktische Deutung der Wirklichkeit darstellt, und diese Deutungsleistung des christlichen Schöpfungsglaubens jedoch an lebensweltliche Plausibilitäten gebunden ist. Vgl. Jörg Lauster, Gott der Schöpfer des Himmels und der Erde, in: JaBuKi Sonderband, Stuttgart 2008, 34–44, 42. Er geht über die Gruppe der Kinder, die sich mit sozialen und materiellen Beeinträchtigungen auseinandergesetzt hat, hinaus: »Es ist ein außerordentlich wichtiger Ertrag des Gesprächs mit den Kindern, dass Kinder im späteren Grundschulalter ganz unabhängig von ihrem Hintergrund sich solche Fragen stellen. […] Die Frage, was Gott tatsächlich alles geschaffen hat und ob er es auch wirklich gut geschaffen hat, ist letztlich auch das Thema der akademischen Schöpfungslehre« (ebd. 43).

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

und ihre religiösen bzw. nicht religiösen Sozialisationsbedingungen gegenüberstellen (de Roos sowie Eckerle im JaBuKi 2002, Reiher 2004, Szagun 2007, Liebold sowie de Roos 2005). Genderperspektiven, die Angebote und Auswertungskategorien nach Mädchen und Jungen bzw. jeweiligen Bildern unterscheiden, ziehen gerade einmal drei Beiträge ein (Hilger / Dregelyi 2002, Naurath 2007, Kliss im Sonderband 2008). Auffällig ist, dass in keinem der Beiträge Kinder mit geistiger Behinderung beteiligt sind. Insgesamt wird Verschiedenheit in der Gruppe selten thematisiert. Differenzierungen in der Vorbereitung von Einheiten zum Theologisieren mit Kindern aus religions- oder bildungsfernen Kontexten finden nicht statt. Wenn Kinder im Blick auf körperliche oder kognitive Beeinträchtigungen, hinsichtlich ihrer familiären kulturellen und religiösen Erziehung oder auch im Blick auf materielle Ressourcen hervorgehoben werden, dann werden sie stets als Gruppe von Kindern, die insgesamt diese Bedingungen teilen, beobachtet. Nur hinsichtlich der Geschlechterrollen finden Beobachtungen an gemischten Jungenund Mädchengruppen statt. Die Settings, in denen theologisiert wird, entsprechen damit den exklusiven bzw. koedukativen Bedingungen, in denen die Mehrheit von Kindern in der Schule oder der Kirchengemeinde lebt, lernt und mit religiösen Themen umgeht. Deutlich wird jedoch auch, dass integrative bzw. inklusive Religionsklassen bzw. Gemeinde- oder Familienkontexte unterrepräsentiert sind, indem sie schlichtweg bisher noch nie zum Thema gemacht wurden. Insofern stellt sich tatsächlich die Frage, inwiefern Kinder in ihrer Vielfalt an Lernausgangslagen und Lebensweisen

im Theologisieren nicht nur unterrepräsentiert, sondern möglicherweise durch diesen Ansatz benachteiligt werden. Produktiv formuliert geht es darum, Benachteiligungen, die Kinder aufgrund unpassender didaktischer Strukturen im Theologisieren erleben, abzubauen, so dass der Ansatz des Theologisierens für alle passend werden kann. Hierbei ist im Sinne einer anzustrebenden Befähigungsgerechtigkeit eine Perspektive hilfreich, die von Ungleichheit und individueller Unterschiedlichkeit ausgeht.15 Befähigungsgerechtigkeit geht dabei nach den Amerikanerinnen Amartya Sen und Martha C. Nussbaum über das Prinzip von gleichheitsorientierter Fairness hinaus. Nicht gleiche Ausgangsbedingungen für alle werden verschiedenen Menschen gerecht, sondern ungleiche, jeweils passende, bedürfnisorientierte Bedingungen. In der Regel wird in diesem Kontext beispielhaft darauf verwiesen, dass etwa Menschen mit Behinderung auch dann Unterstützung brauchen, wenn von ihnen keine »faire« Gegenleistung zu erwarten ist.16 Im Sinne des Inklusionsdiskurses wird hingegen deutlich, dass Beziehungen dieser Art in wesentlich mehr Situationen vorkommen und letztlich alle Menschen betreffen, die sich zwischen Autonomie und Angewiesenheit bewegen.17 15 Im Sinne der Forderung »Niemand darf verloren gehen!« hat die EKD auf der Synode 2010 mehr Bildungsgerechtigkeit gefordert. 16 Vgl. Friedrich Schweitzer, Menschenwürde und Bildung. Religiöse Voraussetzungen der Pädagogik in evangelischer Perspektive, Zürich 2011, 34. 17 Bildung wird in dieser Perspektive so verstanden, dass sie zur Befähigung von Menschen beiträgt zum Leben, körperlicher Gesundheit und Integrität, zum Gebrauch der Sinne, Einbildungskraft und des Denkens, zu Emotionen,

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3. Vielfältige Kindheiten und pädagogische Konzepte zum Umgang mit Heterogenität

Das Bild des Dialoges zwischen gleichberechtigten Ungleichen ist der Kindertheologie nicht fremd.18 Die Ungleichheit wird auf die Erfahrungen und Zugänge, Denkstile, Ausdrucksweisen und auf die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen von Kindern bezogen, die in der Auseinandersetzung mit der »Rede von Gott unter den Bedingungen menschlicher Wirklichkeit«19 anders als Erwachsene vorgehen und daher als Produzenten von Kindertheologie gewürdigt werden. Was weniger beachtet wird, ist die Ungleichheit der Kinder untereinander bzw. der Konstruktionscharakter von Kindheiten. So wird zwar die Perikope der Kindersegnung im Mk 10 zu ihrer grundsätzlichen Würdigung herangezogen, ebenso wie sie als Erinnerung an den Vorbildcharakter von Kindern dient, das Reich Gottes zu empfangen. Was aber das Vorbildliche von Kindheiten ausmacht, hat theologiegeschichtlich jeweils unterschiedliche, teils widersprüchliche Auslegungen erfahren, denn jede Interpretation erfolgt freilich auf dem Hintergrund der jeweiligen Theologie und der kulturellen und geschichtlichen Prägung des Kindheitsverständnisses.20 Kindheiten können als Projektionsfläche für Reinheit bzw. Gehorsam dienen oder aber im Sinne von Erbsündenlehre und Erlösungsbedürftigkeit von Geburt an als Lebensphase gelten, in der die Buße an erster Stelle zu stehen habe. Das Bild des Kindes, das der Ansatz der Kindertheologie zu Beginn des 21. Jahrhunderts gezeichnet hat, ist eine weitere Konstruktion dieser

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Art. Mit ihm wird vor allem die Selbsttätigkeit des Kindes hervorgehoben, seine Umwelt und sein Bild von Gott elementar fragend und deutend sowie mit Bezug auf die christliche Tradition zu gestalten. Es lohnt sich, genauer zu unterscheiden, wie Kinder und Theologie, wie Theologie von Kindern, innerhalb des Diskurses charakterisiert wurden: Wilfried Härle sieht ihre Stärke in der Elementarität ihrer Fragen, der Leiblichkeit ihres Denkens und der Verfremdung des Vertrauten.21 Mirjam Zimmermann betont eine Theologie

praktischer Vernunft und Beziehungen, zum Leben mit anderen Spezies, zum Spiel und zur Kontrolle über die eigene Umwelt. Vgl. ebd. 18 Vgl. Henning Schluß, Ein Vorschlag, Gegenstand und Grenze der Kindertheologie anhand eines systematischen Leitgedankens zu entwickeln, in: ZPT 57 1/2005, 23–34. 19 Friedhelm Kraft / Martin Schreiner, Zehn Thesen zum didaktisch-methodischen Ansatz der Kindertheologie, in: Theo-web 6. Jg. 1/2007, 21–24, 22. 20 Zur Konstruktion von Kindheiten vgl. Katharina Kammeyer, Kindheitsforschung und Kindertheologie. Ein kindertheologischer Blick auf Beiträge soziologischer Kindheitsforschung, in: Theo-web 11. Jg. 2/2012, 38–63; grundlegend Friedrich Schweitzer, Die Religion des Kindes. Zur Problemgeschichte einer religionspädagogischen Grundfrage, Gütersloh 1992. Schweitzer regt quasi ergänzend zur Frage nach kulturellen Einflüssen auf theologische Deutungen zur Kindersegnung zu einem neuen Diskurs über religiöse und weltanschauliche Voraussetzungen für pädagogische Kindheitsbilder und pädagogische Bewertungen von Kindheit an und erinnert in der multireligiösen Situation an Traditionen von nicht-christlichen Religionen (etwa zur Kindheit des Gautama Buddha oder des Propheten Mohammed). Vgl. Friedrich Schweitzer, 68. 21 Wilfried Härle, Was haben Kinder in der Theologie verloren. Systematisch-theologische Überlegungen zum Projekt einer Kindertheologie, in: JaBuKi 3, Stuttgart 2004, 11–27.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

mit einem Lebensweltbezug von Kindern, die sich jedoch »durch Konsistenz, Abstraktion und Sprachlichkeit auszeichnet.«22 Oswald Bayer sieht im konkreten, exzentrischen Sich-Verhalten des Menschen eine theologische Grundhaltung, Friedrich Schweitzer hingegen die Fähigkeit zur Metareflexion.23 Die Sichtweisen auf Kinder, also die Konstruktionen von Kindheiten unterscheiden sich offensichtlich deutlich; nicht zuletzt die Kinder selbst, die jeweils vor Augen sind. Deutlich wird, dass nicht alle Kinder die genannten Aspekte erfüllen: Einige Kinder verfremden Theologie nicht, sondern ähneln in ihren Beiträgen akademischer Theologie bzw. einige wiederholen schlichtweg, was sie von Erwachsenen gehört haben. Andere spielen biblische Geschichten in so vielen Alternativen nach bzw. weiter, dass von Konsistenz nicht die Rede sein kann. Einige Kinder setzen sich mit ihrer Umwelt grundsätzlich basal perzeptiv oder konkret handelnd auseinander, verzichten überwiegend auf Verbalsprache, Abstraktion und Metareflexion und entwickeln in diesen perzeptiven oder handelnden Kategorien auch ihre Konzeptionen von Gott und seinem Wirken am Menschen. Wenn Kindertheologie eine Methode unter vielen wäre, bräuchte diese Auswahl an Kindern bzw. der Ausschluss von anderen nicht problematisiert werden. Dann wäre es legitim, dass Kindertheologie neben anderen Ansätzen steht, in denen nonverbale Ausdrucksformen eine größere Rolle spielen und denen eine größere Passung für inklusive Gruppen zugeschrieben wird.24 Wenn mit Kindertheologie jedoch der religionspädagogische Anspruch verbunden wird, Theologie

von Kindern insgesamt wahrzunehmen und zu würdigen und dabei ein klassisches akademisches Theologieverständnis emanzipativ zu erweitern, spricht vieles dafür, diese Erweiterung fortzusetzen! Dann ist es notwendig, weitergehend als bisher Kinder in ihren unterschiedlichen Kindheiten einzubeziehen und sie auf verschiedenen Wegen der Aneignung zu befähigen, selbst nach Gott suchen, fragen, deuten und so auf die Fragen antworten zu können und hierbei verschiedene Deutungen zu unterscheiden. Die Haltung, von Kindern als aktiven Konstrukteuren ihrer Umwelt irritierende theologische Bereicherungen zu erwarten, gilt dann auch für Kinder, die bisher eher als Empfänger diakonischer Unterstützungsangebote im Blick sind.25 Auf diese Weise kann Religionspädagogik nicht nur Kindheitsbilder aufgreifen, sondern auch solche prägen.26 Eine inklusive Kin22 Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchen-Vluyn 2010, 69. 23 Vgl. hierzu Katharina Kammeyer (wie Anm. 13), 44–55. 24 Aus unserer Perspektive ist es auffällig, dass die Kindertheologie in der Handreichung zu inklusivem Religionsunterricht nicht aufgezählt wird. Vgl. Wolfhard Schweiker, Arbeitshilfe Religion inklusiv. Grundstufe und Sekundarstufe I, Stuttgart 2012, 45ff. 25 So wird in der Kinderrechtskonvention in Artikel 23,1 formuliert, dass »ein geistig oder körperlich behindertes Kind ein erfülltes und menschenwürdiges Leben unter Bedingungen führen soll, welche die Würde des Kindes wahren, seine Selbständigkeit fördern und seine aktive Teilnahme am Leben der Gemeinschaft erleichtern«, vgl. http://www.kinderrechtskonvention.info/behinderte-kinder-3595/. 26 So z.B. Bonnie J. Miller-McLemore, die in ihrem Band »Let the children come. Reimagining Childhood from a Christian Perspective«,

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dertheologie, die einen vielgestaltigen, niveaudifferenzierten Reflexionsbegriff vertritt,27 zeigt ein Bild von Kindern auf, die eigene Glaubensdeutungen entwickeln können und die dies auf verschiedene, allesamt kindliche Weisen tun: in verbaler Sprache und im Tun sowie in Interaktionen von Kindern untereinander und zwischen Kindern und Erwachsenen. Auf diese Weise kann die Kindertheologie auf Augenhöhe mit anderen didaktischen Ansätzen zum Umgang mit Heterogenität kommunizieren, die folgende Grundsätze mitbringen: a) die Anerkennung statt Assimilation von Differenz sowie die Reflexion von Differenzkategorien, b) die Etablierung von individueller Unterstützung von allen Schülerinnen und Schülern sowie c) von demokratischen Lernformen und d) das Einüben von Mehrperspektivität.28 Diese Kriterien werden im Folgenden aufgenommen, um die Stärken des Theologisierens in Gesprächen und darüber hinaus herauszustellen. 3.1 Theologisieren in Gesprächen

Das gebräuchliche Theologieverständnis als »sekundäre Sprach- und Reflexionsform«, die »religiöser Lebenshaltung und -gestaltung folgt«29 macht deutlich, dass es um eine Form des Sich-Verhaltens zu religiöser Praxis geht, um Positionen abzuwägen. Meist wird sie verbal verstanden, was auch hier würdigend aufgenommen werden soll. Denn gegenüber anderen religionspädagogischen Ansätzen zeichnet sich das Theologisieren gerade durch eine sorgfältige Gesprächsführung aus, auf die sich Studierende mithilfe der Analyse längerer

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Transkriptionen von Unterrichtsgesprächen gut vorbereiten können. Das Synonym der »theologischen Gespräche mit Kindern« unterstreicht dies. Aus dem Philosophieren mit Kindern zeigen die »Werkzeuge der Schlauen Denker«, wie Sprache Raum und Mut zum Selberdenken gibt, indem sie hilft, Gewohnheiten und Alternativen zu klären sowie Beispiele und Begründungen zu finden. Die Werkzeuge lauten: Stimmt das wirklich so? Gib ein Beispiel, das deine Meinung

San Francisco 2003, das Bild des Kindes in der Leistungs- und Konsumgesellschaft dekonstruiert, nach welchem Erwachsene sie im Wettbewerb um Bildungsgüter und zugleich als schützenswerte Konsumempfänger betrachten. 27 Vgl. Hans-Jürgen Röhrig, Mädchen und Jungen als autonome Theologinnen und Theologen? Chancen und Grenzen einer »Kindertheologie«, in: Agnes Wuckelt u.a. (Hg.), »Und Gott schuf dem Menschen ein Gegenüber …«. Im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Angewiesensein, Münster 2011, 54–71, 57: »Reflektieren darf jedoch nicht nur kognitiv verstanden werden. […] Ein rein kognitiver Reflexionsbegriff birgt die theologisch-anthropologisch nicht akzeptable Gefahr, zum Beispiel jüngeren Mädchen und Jungen oder Schülerinnen und Schülern mit individuellem Förderbedarf, die Möglichkeit des Theologisierens abzusprechen. Es geht um einen breiten, mehrdimensionalen Reflexionsbegriff, der allen Mädchen und Jungen die Kompetenz des Theologisierens zuspricht. Über kreative Zugänge – wie das Bilder malen und zeichnen, Puzzlen, Tonarbeiten, über Standbilder, Rollenspiele etc. – haben sie die Möglichkeit, das Wahrgenommene und Erfahrene auszudrücken und auf einer zweiten Ebene zu reflektieren.« 28 Diese Grundsätze sind z.B. auf Beiträge von Annedore Prengel zurückzuführen. Vgl. z.B. Dies., Diversity Studies. Grundlagen und Probleme der Pädagogik der Vielfalt, in: Gertraude Krell u.a. (Hg.), Diversity Studies. Grundlagen und disziplinäre Ansätze, Frankfurt a.M. 2007, 49–68. 29 Vgl. Kraft / Schreiner (wie Anm. 19).

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

unterstützt! Wer weiß ein Gegenbeispiel? Was meinst du mit … (diesem Begriff / dieser Aussage)? Gib einen Grund an! Welche Annahme steckt dahinter? Welche Folgerung können wir ableiten?30 So erweitern reflexive Gespräche Denk- und Handlungsweisen gerade für Kinder, die es gewohnt sind, Formulierungen nachzusprechen. Dies gilt insbesondere für diejenigen mit hoher religiö­ ser Sozialisation, für die Theologisieren eigene Inhalte eröffnet gegenüber Formulierungen, die mitunter nur Hülsen darstellen, wie die, dass Jesus Gott selbst ist. In der von Petra FreudenbergerLötz dokumentierten Unterrichtseinheit in einer 4. Klasse zur Frage nach dem Ver­hältnis von Jesus Christus und Gott Vater füllen die Kinder das Bekenntnis von Chalcedon von Jesus Christus als wahrem Gott und wahrem Mensch. Zur Veranschaulichung der Thematik dieses Aufsatzes greife ich auf dieses Material noch einmal zurück: »Gregor: Ja, ich denk, dass er beides ist, weil er hat gelitten wie ein Mensch und hat sich auch gefreut wie ein Mensch, aber ähm, er hat gehandelt wie Gott.« [… darauf ergänzt Kim:] »Äm, ich find des auch so wie der Gregor, dass des beides eigentlich gehen würde, weil er, ähm, irgendwie schon wie ein Mensch geleidet hat […] und viel / viele Sachen wie ’en Gott eher gemacht hat, was kein Mensch eigentlich richtig tun kann.« Manuel stimmt zu und ergänzt: »Ähm, ich find auch, dass er beides war, weil er wurde ja von Menschen auf die Erde gebracht und er ist Gottes Sohn eigentlich, aber, ja und er hat auch Gottes Wort geredet. Aber am Anfang kann er vielleicht wahrer Gott gewesen sein, und dann war er wahrer Gott und wahrer Mensch gleichzeitig. […] Lukas entgegnet: »Aber er kann doch nicht beides

gleichzeitig sein! Des wär doch so, wie wenn ich jetzt ich und der Tobias gleichzeitig wär. Des geht doch nicht! Des ist doch irgendwie unlogisch!« Manuel: »Ja, es kann ja auch verschiedene Meinungen geben. Und: Für Gott ist ja nichts unlogisch. Er kann eigentlich alles erklären, wenn man ihn richtig verstehen könnte.« […] Kim: »Also, ich möchte jetzt was zu Lukas seiner Meinung sagen. Also, des kann man nicht vergleichen mit unserem Leben jetzt, find ich […] dass des eigentlich net unlogisch wär, eigentlich, dass äm, die Hälfte von Gott äm in / ’n bisschen in ihm drinsteckt [Kim gestikuliert heftig]. […] er is ja nicht gleichzeitig Mensch und Gott gleichzeitig, manchmal ist er ’n bisschen Mensch und manchmal ’n bisschen Gott vielleicht sogar auch.«31

Sorgfältiges Argumentieren beruht darauf, einander gut zuzuhören und Beiträge anderer Kinder begründet aufzunehmen bzw. abzulehnen, ohne dabei dem Gegenüber diese Sicht abzusprechen. Auf diese Weise stellt das Theologisieren eine demokratische Lernform par excellence dar, die das Einüben von Mehrperspektivität fördert. Darüber hinaus machen andere Beispiele deutlich, wie Sprache verbale Ausdrucksräume schafft, in denen Kinder sich selbst und Gott in einen Zusammenhang bringen können. Gegenüber Sozialisationshintergründen, in denen religiöse Hoffnungen und Horizonte in 30 Eva Zoller-Morf, Selber denken macht schlau. Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen. Anregungen für Schule und Elternhaus, Oberhofen 2010, 37. 31 Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Kindern. Untersuchungen zur Professionalisierung Studierender und Anstöße zu forschendem Lernen im Religionsunterricht, Stuttgart 2007, 204.

Kammeyer Inklusives Theologisieren in Gesprächen und darüber hinaus

keinerlei Gestalt und Sprache vorkommen, wird der Lernzuwachs deutlich: »Der Gott hat mich umgeben.« formuliert die 11-jährige Irene angesichts häuslicher Gewalt und der Erfahrung von Trost durch Gott und leiht sich hierzu die Sprache aus Psalm 139.32 Ein Junge, der sexuelle Gewalt erlebt, trägt sich mit dieser Erfahrung in die Josefgeschichte ein: »Joseph wurde verkauft. Das war sehr schlimm für ihn …«33 Weil Gewalt und Vernachlässigung in verschiedener Form gerade keine exklusiven Probleme sind, sondern alle gesellschaftlichen Gruppen betreffen, ist es wichtig, allen Schülerinnen und Schülern solche befreiende und klagende Sprache anzubieten. Theologisieren mittels Sprache kann sich dann der Emanzipation von Kindern widmen, die von Ausschluss und der Gefahr nicht gehört zu werden bedroht sind. Es fällt leicht, mit Johnson und Schweitzer dazu aufzufordern, gerade »Kinder, die meinen, dass es auf ihre Gedanken nicht ankommt oder sie für wertlos halten, zu ermutigen und zu unterstützen.«34 Wie Kinder hierbei auf nonverbale Elemente zurückgreifen, zeigt z.B. der häufig zitierte Lukas, der im Rahmen der oben genannten Unterrichtseinheit zur Christologie formuliert: »Jesus lebte als Menschlicher Gott, er ist Gott der eine Menschliche Gestalt annahm. Er ist kein Teil Gottes er ist das Kind Gottes. Also ist es Gott der sein Kind zur Welt setzte und das als Mensch.«35 Er schreibt diesen spannungsvollen Satz auf ein Blatt, das über und über mit gelben und rosa Kästchen verziert ist, die er im Schachbrettmuster anordnet und die einen flirrend spannenden und ebenso leuchtenden wie verschwimmenden Untergrund für die Ergebnispräsentation darstellen.

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Dieses Beispiel ist interessant, weil sich theologische Formulierung und künstlerischer Ausdruck verbinden. Verbaler und nonverbaler Ausdruck leuchten den erwachsenen Beobachtern hier leicht ein – anders als im oben zitierten Gespräch das Gestikulieren von Kim, das weder genauer beschrieben noch als Impuls aufgenommen wird. 3.2 Theologisieren über das Gespräch hinaus 3.2.1 Ergänzungen von nonverbalen und verbalen Interpretationen

Handelndes Tun und künstlerisches Gestalten sind wichtige Modi des Theologisierens: Ausgehend von der Frage danach, wie Jesus bzw. Gott durch Jesus wirken kann, haben die Kinder in der genannten Unterrichtsreihe außerdem das Gleichnis vom verlorenen Schaf kennengelernt und durch wählbare An32 Inger Hermann, »Halt’s Maul, jetzt kommt der Segen …« Kinder auf der Schattenseite des Lebens fragen nach Gott, Stuttgart 1999, 128. So schreibt Jörg Thierfelder schon in der ersten Auflage im Jahr 1999 im Geleitwort zu Hermanns Band: »In den Schülerbeiträgen dieses Buches kommt eine Kindertheologie zur Sprache, die nicht nur durch hohes Reflexionsniveau, sondern vor allem durch existentielle Tiefe überzeugt« (11). 33 Ebd. 61. 34 Elisabeth T. Johnsen / Friedrich Schweitzer, Was ist kritische Kindertheologie? Vergleichende Perspektiven aus Norwegen und Deutschland, in: JaBuKi 10, Stuttgart 2011, 25–36, 33. Vgl. hierzu Barbara Strumann im vorliegenden Jahrbuch. 35 Abgebildet bei: Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Jugendlichen, München / Stuttgart 2012, 138. Zeichensetzung und Rechtschreibung wurde gegenüber dem Original nicht korrigiert.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

gebote einer Lernlandschaft vertieft.36 Sie haben sowohl eine Geschichte darüber geschrieben, wann sie selbst sich einmal verloren gefühlt haben wie das Schaf, als auch entfaltet, was in diesem Gleichnis eigentlich verglichen wird. Mit Godly Play Materialien haben sie das Gleichnis nachgespielt und dabei entschieden, welche Szene aus dem Gleichnis ihnen am wichtigsten ist. Diese Angebote zur Wahl zu stellen, stellt eine Grundform der Anerkennung von Differenz an Lernwegen, Interessen, Fähigkeiten und Bedürfnissen dar.37 Formen von individueller Unterstützung können hier ansetzen und insbesondere auch den nonverbalen Bereich des Figurenspiels ausdifferenzieren, um die Geschichte zu vertiefen: Auf den Impuls: »Mir ist an dieser Geschichte wichtig, weil …« schreibt ein Kind: »Mir ist wichtig, dass er das Schaf wieder findet, weil er es mag.«38 Zu dieser emotionalen Ebene einer Beziehung zu gelangen, ist im Ausdrucksspiel leicht. Für die theologische Interpretation ist sie elementar wichtig. Wir können davon ausgehen, dass Deutungen dieser Art, die im Spiel oder nonverbalen Ausdruck gewonnen werden, in Prozesse des Theologisierens häufig einfließen, auch wenn sie nicht in jedem Fall verbal wiedergegeben werden. Verstehen wir die »Rede von Gott unter den Bedingungen menschlicher Wirklichkeit« als »Anrede durch Gott in den Kontext der Kindheit«,39 dann findet dieser Bereich der Erfahrungen und Ausdrucksweisen, die nicht verbal zum Ausdruck kommen, deutliche Berücksichtigung. Theologie im Sinne Luthers zu verstehen, die erlebt und erlitten wird, bedeutet dann für die Kindertheologie, Reflexionsleistungen auch

darin zu sehen, dass Deutungs- und Variationsspielräume im Tun eingeholt werden. Es gibt zahlreiche Situationen, in denen Theologie genau diesen Charakter hat: Ein Mädchen im Kindergarten gräbt im Sandkasten und verkündet: »Ich grabe nach Gott.« Zwei andere Kinder im Kindergarten entwickeln eine Gebetshaltung mit nach oben gerichtetem Blick und deuten dann: »Dann sieht Gott das dann, dass sie, dass er oder sie Gott meint.«40 In einer Grundschulklasse spielen Mädchen und Jungen fünf verschiedene Szenen zu der Bitte »Und führe uns nicht in Versuchung«, und finden auf diese Weise fünf verschiedene Interpretationen dazu, wie Gott Menschen angesichts von Handlungsoptionen unterbricht und zum Nachdenken und Umdenken verhilft.41 Im Anschluss daran loten sie die Überzeugungskraft der jeweiligen Interpretationen aus, die sich im Spiel zum Teil anders entwickelten als geplant und die durch 36 Vgl. Petra Freudenberger-Lötz (wie Anm. 35), 155ff. 37 Damit betreffen die Überlegungen zur inneren Differenzierung hier vor allem die didaktische Dimension, andere Dimensionen stellen die Vorgaben und Voraussetzungen der Schulorganisation, der Unterrichttyp und die Kompetenzperspektive dar. Vgl. Wolf-Thorsten Saalfrank, Differenzierung, in: Ewald Kiel (Hg.), Unterricht sehen, analysieren, gestalten, Bad Heilbrunn 2008, 65–95, 72ff. 38 Petra Freudenberger-Lötz (wie Anm. 35), 170. 39 Angela Kunze-Beiküfner, Kindertheologie im Kontext des Kindergartens – Grundlagen und Praxis-Beispiele, in: JaBuKi 5, Stuttgart 2006, 95–110. 40 Katharina Kammeyer (wie Anm. 13), 396ff und 439ff. 41 Elisabeth Naurath, »Wenn ich mich ganz stark konzentriere, muss man einfach glauben. Und dann hört Gott das!« Beten mit Kindern in der Grundschule, in: JaBuKi 6, Stuttgart 2007, 153–166, 159.

Kammeyer Inklusives Theologisieren in Gesprächen und darüber hinaus

die Spielenden und die Beobachtenden unterschiedlich verstanden wurden. Die Überlegungen von Joyce Mercer, die ihren Sohn im Gottesdienst beobachtet, lassen sich auf das Verhältnis von Kindertheologie als Theologie von Kindern und die Erwartungshaltung der Erwachsenen beziehen: »Perhaps children with ADHD function as prophets, calling us to humility with reminders that our efforts to be attentive to God do not define the boundaries of God’s presence or work in our lives«.42

Die wechselseitige Bereicherung von verbalen und nonverbalen Ausdrucksweisen, also dem Sagbaren und dem Unsagbaren, das nur gezeigt werden kann, in die Kindertheologie aufzunehmen, bedeutet, »bounderies of God’s presence or work in our lives« abzubauen. Indem solche Grenzen unserer Wahrnehmung sich weiten, weitet sich die Gruppe von Kindern, die zum Theologisieren dazugehört, zu einer inklusiven Gruppe. Die Verbindung von Sagbarem und Unsagbaren ist nicht nur aus der qualitativen Sozialforschung lange bekannt.43 Rainer Oberthür schreibt vor fast 20 Jahren aus religionspädagogischer Sicht in seinem Bande »Kinder und die großen Fragen«: »Die besondere Hervorhebung des Fragens meint natürlich nicht eine einseitig kognitive Haltung. Der ganze Mensch ist ergriffen. […] Im Umgang mit Kindern wird mir immer wieder deutlich: Wenn sie wirklich von etwas gefesselt sind, gibt es keine Trennung von Begreifen und Ergriffensein, keine Reflexion ohne Emotion.«

Das Verhältnis der Erfahrung und der Klärung, eine sprachliche »Entfesselung«, hat die Performative Religionsdidaktik systematisiert. Komplementär

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hierzu ist es die Aufgabe der Kindertheologie die begonnene Diskussion des Verhältnisses fortzusetzen. Eine Möglichkeit besteht darin, einen reflexiven, verbalen Austausch, so verstanden als Theologisieren, auf hiervon zu unterscheidende performative Gestaltungen zu beziehen.44 Im Rahmen der inklusiven Perspektive liegt es jedoch näher, in beiden religionspädagogischen Ansätzen, dem Theologisieren und dem performativen Lernen, Freiräume für Kinder zu schaffen, um handelnde und verbale Interpretationen in einem deutlich an der Frage und an der eigenen Deutung orientierten Unterricht zu entfalten. 3.2.2 Exkurs Kompetenzen im Fach Deutsch im Primarbereich

Ein Blick in das Fach Deutsch zeigt, wie komplex die Verbindung von Verbalsprache und deutendem Wirklichkeits42 Joyce Ann Mercer, Attending to Children, attending to God. Children with ADHD and Christian Spirituality, in: Bert Roebben / Katharina Kammeyer (Hg.), Inklusive Religious Education. International Perspectives, Münster 2014, 63–88, 83. 43 So Burkhard Fuhs, Qualitative Interviews mit Kindern. Überlegungen zu einer schwierigen Methode, in: Friederike Heinzel (Hg.), Methoden der Kindheitsforschung. Ein Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive, Weinheim, München 2000, 90: »Die – in allen Bereichen der Sozialforschung relevante – Doppelung der Kommunikation zwischen dem Sagbaren, das beschrieben werden kann, und dem Unsagbaren, das nur gezeigt werden kann, betrifft die Befragung mit Kindern in besonderer Weise.« 44 Im Ansatz so bei Friedhelm Kraft, Theologisieren im Religionsunterricht und performativer Religionsunterricht – zwei didaktische Ansätze bzw. Leitbilder für den Religionsunterricht im Widerstreit?, in: JaBuKi 6, Stuttgart 2007, 111–120.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

verständnis ist: In der Internationalen Grundschulleseuntersuchung von 2006 z.B. liegen 13,2% (2011: 15,4%) der beteiligten Kinder der 4. Klasse unter der Kompetenzstufe III, d.h. sie konnten (nach dem Lesen eines Sachtextes über Pinguine) Fragen wie »Wo liegt die Antarktis?« oder »Wie halten sich die Pinguine warm?« nicht beantworten. Nur 10,8% von ihnen erreichen die Kompetenzstufe V (2011: 9,5%) und konnten mit Bezug auf den Text die Frage »Würdest du gerne in die Antarktis reisen?« begründend beantworten. Dieses Beispiel ist aufgrund des Schwerpunktes beim Leseverständnis nicht unmittelbar mit dem Theologisieren vergleichbar, denn in der Regel erfolgt das Theologisieren nicht in Form des Lesens eines Textes mit schriftlichen Aufgaben. Es macht jedoch deutlich, was für eine Leistung es darstellt, ohne Handlungen zu arbeiten und eine eigene Position zu formulieren. Insofern lässt sich folgern, dass die Anwendung von Sprache einer besonderen Förderung bedarf. Hier ist das Theologisieren ein sehr gutes Übungsfeld. Es lässt sich aber ebenso folgern, dass, wenn wir bei den bestehenden Fähigkeiten von Kindern wirklich anknüpfen wollen, neben die Verbalsprache noch andere Ausdrucksmöglichkeiten treten sollten, sowohl auf der Ebene der Textbegegnung als auch auf der der Interpretation. 3.2.3 Gezielter Einsatz von nonverbalen Ausdrucksweisen

Wer sich die Welt stärker in einem handelnden Modus erschließt als durch das Sprechen, hält dies zumeist auch in der Frage nach Gott so. Das bedeutet nicht immer, dass auf das Sprechen gänzlich verzichtet wird. Wo wenig Sprache ge-

braucht werden kann, ist ihr gezielter, genauer und einfacher Einsatz umso wichtiger. Einige der Werkzeuge der Schlauen Denker sind deshalb hierbei hilfreich. Empfehlenswerte leichte theologische Gespräche zeichnen sich dadurch aus, dass anstelle von völlig offenen Fragen Lösungen bzw. Argumente als Auswahloptionen angeboten werden, die die Schüler/innen dann leichter begründen können: »Mit welchem Bild kannst du etwas davon zeigen, wie Gott ist?«45 Kleinschrittige und konkrete Entscheidungsspielräume in Erzählungen lassen sich gut mit Medien wie aus dem Godly Play verbinden: »Welche Stelle in dieser Geschichte ist dir wichtig? Baue sie noch einmal auf! Welche hat dich überrascht?« Im Sinne des Jeux dramatique werden Stationen im Raum noch einmal aufgesucht, in dem verschiedene Kinder ihre Rollen aus einer Geschichte dargestellt haben und die durch ihre Requisiten markiert sind: »Welche Stelle unserer Geschichte war für dich schön, interessant? Welche war nicht angenehm? Welche war merkwürdig?« Oder in der Kirchenraumpädagogik: »Welcher Platz im Kirchenraum? Worüber hast du dich gewundert?«. In Dialogen mit Teilnehmenden, die wenig oder keine Verbalsprache gebrauchen, fällt auf den ersten Blick Ungleichheit als Asymmetrie besonders auf. Als gewinnbringende Reflexionsform können vielfältige Variationsformen in der Kommunikation erst dann betrachtet werden, wenn Ungleichheit von Verschiedenen sein darf und ihnen Gleichberechtigung zuerkannt wird. Ein Hin45 Vgl. Rainer Oberthür , Die Symbol-Kartei. 88 Symbol- und Erzählbilder für Religionsunterricht und Gruppenarbeit, München 2012.

Kammeyer Inklusives Theologisieren in Gesprächen und darüber hinaus

dernis für die Kommunikation besteht häufig in der Annahme, »dass die eigene Sprache, also die Sprache der Bezugsperson, der Sprache des [von einer Beeinträchtigung] Betroffenen überlegen ist« und »dass der Bezugsperson in der Regel ein höheres Reflexionspotential zu eigen ist«.46 Ein Lernprozess hingegen wird in einer Perspektive möglich, in der Kommunikation als Dialog zur Erfahrungsbereicherung verstanden wird. »Dialog zielt darauf, sich mit Anderen zu verständigen. Das bedeutet zunächst, Unterschiede wahrzunehmen, anzuerkennen und zu belassen. Gemeinsamkeit bildet sich dann im Prozess der Verständigung, im Wechsel zwischen Nähe und Distanz, in Annäherung und Abgrenzung der Dialogpartner. Die Eigenständigkeit des Anderen bedeutet: sich um die ›Sprache‹ des Anderen zu bemühen, herausfinden, wie sich der Partner ausdrückt und welche Wege er geht: Beobachten, ausprobieren, agieren und reagieren, gemeinsam gestalten sind Voraussetzungen für gelingende Verständigung.«47

Die bekannte Formulierung von der fides quaerens intellectum, von dem Glauben, der auf der Suche nach Einsicht ist, lässt sich dann auch so verstehen, dass Kinder im Spiel und in ihren Beziehungen glaubend und vertrauend handeln, damit sie erkennen und also auch nonverbale Beiträge in Bezug zu verbalen mit ins Theologisieren aufgenommen werden. Vor einem umfassenden Verständnis von Kindheiten und einem Sprachverständnis, das auch unübersetzbare Metaphern einschließt, ist es sinnvoll, dieses nonverbale Handeln gegenüber diskursivem verbalem Handeln als gleichberechtigt und zusammengehörend zu unterscheiden, ohne es abzuwerten. Didaktisch liegt es nahe, in

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einer vorbereiteten Umgebung verbale und nonverbale Angebote zu kombinieren. 4. Diagnostik, Niveaudifferenzierung und kooperative Verständigung in der theologisierenden Lerngruppe

Abschließend lassen sich für unser Beispiel von der Frage nach dem göttlichen und menschlichen Jesus nun verschiedene Niveaus ausdifferenzieren. In Verbindung damit werden Zeitpunkte für diagnostische Beobachtungen der Schülerinnen und Schüler herausgestellt sowie Zeiten individuellen und kooperativem Theologisierens. Lernwege des Gesprächs, solche zur handlungsorientierten Auseinandersetzung mittels der Godly-Play-Materialien und solche als schriftliche Erzähl- und Deutungsauf46 Anita Müller-Friese, Verstehst du auch, was du liest? Sonderpädagogische Impulse für eine adressatenorientierte Bibeldidaktik, in: Wolfgang Grünstäudl / Markus Schiefer Ferrari (Hg.), Gestörte Lektüre. Disability als hermeneutische Leitkategorie biblischer Exegese, Stuttgart 2012, 219–235, 223ff mit Bezug auf Peter Radtke: »Gemeinhin geht man davon aus, dass in einem gelingenden Gespräch, beide Gesprächspartner mehr oder minder dasselbe Verständigungspotential besitzen. Im Blick auf Menschen mit Behinderungen ist das aber nicht vorauszusetzen: ›Die sprachliche Kommunikation erfolgt nicht auf einer Ebene. Das bezieht sich sowohl auf die Stilebene und das Abstraktionsvermögen, als auch auf die Sprachform, also verbale gegen non-verbale Äußerungen.‹ Das Kommunikationsmittel von Menschen mit einer schweren geistigen Behinderung ist der Körper und damit die natürlichste Sprache der Welt, nämlich […] die Berührung« (Peter Radtke, Dialog in asymmetrischen Beziehungen, in: Agnes Wuckelt u.a. [Hg.], »Und Gott schuf dem Menschen ein Gegenüber« [wie Anm. 27], 9–19, 13). 47 Anita Müller-Friese, unveröffentlichte Thesen.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

gaben sind bereits vorgestellt worden. Zusätzlich ziehe ich noch die Jeux dramatiqueMethode48 hinzu, um als Beispiel einer biblischen Wundergeschichte die wunderbare Brotvermehrung nach Joh 6,1–15 zu erschließen und hierbei insbesondere nonverbale Perzeptions-, Ausdrucks- und Interaktionsebenen zu entfalten. Eine Hinführung unter dem Thema »Kraft teilen« stellt erste Fragen, die im Tun beantwortet werden: Was kann ich allein heben? Was nur zu zweit? Was sogar nur zu fünft?49 Diese Fragestellung thematisiert individuelle und kooperative Erfahrungen ganz explizit und lässt jeweils eigene Schwerpunktsetzungen und Lösungen zu. Der Verlauf von Jeux dramatique sieht danach eine Textbegegnung durch Vorlesen vor. Hierbei ist bereits zu überlegen, wie Figuren, Bildkarten oder Gegenstände wie geteiltes Brot das erste Hören der Erzählung erleichtern können. Im Anschluss hieran wählen alle Kinder eine Rolle (dies können Lebewesen, Dinge oder Naturgewalten sein), stellen vor, wer sie sind und was sie in dieser Rolle zu erleben und zu tun beabsichtigen, d.h. was sie gern tun wollen und was nicht. An dieser Stelle ist die Lehrperson als Beobachterin gefragt, diagnostisch Lernausgangsbedingungen wahrzuneh­ men. Im Sinne der Kindertheologie nimmt sie bereits erste Deutungsvoraussetzungen, die die Kinder im Blick auf den Text anstellen, wahr: Zu der Spannung von Rückzug und Nähe Jesu: Wer greift den Wunsch nach Alleinsein auf, wer den nach Nähe, den die Menge äußert? Zu den Rollen der Jünger bzw. der Menge: Wer will eine aktive Rolle einnehmen und das Brotteilen organisieren? Wer betont das Sattwerden? Wer will be-

obachten, was geschieht? Zur Rolle Jesu: Wer will Jesus bei den Menschen darstellen, wer betend an seinem Rückzugsort, wer in seiner Wirkungskraft, wer als König? Nachdem die Kinder sich mit Requisiten und Verkleidungen versorgt haben, liest die Leitung die Geschichte nochmals vor.50 Alle Kinder beginnen gleichzeitig in ihrer Rolle zu spielen und können dabei auch interagieren, während die Leitung sich beim Lesen auf aktuelle Protagonisten zubewegt und so Schwerpunkte setzt. Im Nachgespräch gibt es die Möglichkeit, Elemente aus dem Spiel zu wiederholen, Erfahrungen in der Rolle zu beschreiben, eigene Erfahrungen zu teilen, anderen Kindern Fragen zu ihrem Spiel zu stellen und zu interpretieren, was sie Neues über das Verhältnis von Jesus und Gott erfahren und entdeckt haben.51 Die Frage nach der Rolle Jesu gewinnt durch dieses Spiel: In Verbindung mit dem Fokus auf seine Kraft und die Quelle dieser Kraft sowie durch das Wechselspiel des Rückzugs Jesu und seiner Zuwendung zu Gott und zu den 48 Andrea Braner, Hinterm Bibeltor geht’s los. Biblische Geschichten erleben im Ausdrucksspiel, Göttingen 2011. 49 Vgl. ebd., 86. 50 Eine gut geeignete Nacherzählung spannt einen Bogen von Jesus, der allein sein möchte, über seine Zuwendung zu Frauen, Männern und Kindern mit ihren Anliegen und seiner Rede von Gott, der die Menschen lieb hat. Die Frage nach der Versorgung der Gruppe mit Nahrung führt zur Suche nach Lebensmitteln, dem Auftritt des Jungen mit seinen fünf Broten und zwei Fischen, dem Gebet Jesu und dem Teilen. Abschließend wird von der Fülle erzählt, dem Wunsch der Gruppe, Jesus festzuhalten und wiederum Jesu Wunsch, sich zurückzuziehen. Vgl. ebd. 86f. 51 So Petra Freudenberger-Lötz in: Braner, Hinterm Bibeltor geht’s los (wie Anm. 48), 27.

Jugendtheologie (Schlag / Schweitzer)

Kompetenzen Theologie von Theologie mit Theologie für (Berliner Modell) Kindern Kindern Kinder

Implizite Theologie, von Erwachsenen interpretiert Persönliche Theologie / Auffassung von Gott Explizite Theologie als Nachdenken über religiöse Vorstellungen Gebrauch von theol. Deutungen d. Dogmatik Theologische Argumentation

Deuten mit lebensweltlichen Erfahrungsbezügen (Niveau I) Deuten mit gelernten religiösen Konzepten (Niveau II)

Wahrnehmung und Ausdruck von Empfindungen, Erfahrungen, Wünschen, Überzeugungen u. Konzepten

Perspektivwechsel zwischen verschiedenen Religionen (Niveau III), außerreligiösen Kontexten (Niveau IV) und unterschiedlichen Fachlogiken (Niveau V) vollziehen

Perspektivwechsel zwischen den anwesenden Kindern

Auseinandersetzung mit einer biblisch-christlichen Perspektive

Gebrauch von theol. Deutungen d. Dogmatik Perspektivwechsel zwischen verschiedenen Religionen, außerreligiösen Kontexten und Fachlogiken

Menschen bilden sich Antworten handelnd heraus. Die Frage danach, wie Jesus heute wirkt, kann ebenso bereits im Handeln gedeutet werden. Es muss überlegt werden, was genau als »Brot und Fisch« weitergegeben werden soll. Ein zusammengewickeltes Tuch, das sich nach und nach entfaltet? Neu auftauchende Stücke Brot? Eine kräftigende Berührung oder ein leichtes Schulterklopfen? In eine biblische Geschichte so einzutauchen, sie handelnd zu erfahren und zu deuten, kann als eine gelungene Erweiterung des verbalen Deutungshorizonts gelten.52 Als differenzierende Expertin kann die Lehrkraft darauf achten, dass nicht nur inhaltlich Impulse in einer notwendigen Tiefe im Deutungsprozess vorhanden sind, sondern ebenso, dass tatsächlich alle Kinder ihre Perspektiven auf Jesus als Mensch und Gott nahe

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Lernformen: basal-perzeptiv, konkret-handelnd, anschaulich-modellhaft u. abstrakt-begrifflich, narrativ, reflexiv, argumentativ, klagend, lobend, fragend, deutend, antwortend, unterscheidend …

Kammeyer Inklusives Theologisieren in Gesprächen und darüber hinaus

bei den Menschen und in Verborgenheit entwickeln und, soweit es geht, mit den anderen teilen können. Im Gespräch untereinander und im Handeln kommt dann die Moderationsrolle zum Tragen, die nochmals – nun inhaltlich – differenziert, indem sie unterschiedliche Fragen und Deutungen für die Kinder sichtbar macht und herausstellt. Die Fragen der Förderdiagnostik »Was kann das Kind? Was muss es noch lernen? Was kann es als nächstes lernen? Wie lernt das Kind?«53 entsprechen der Perspektive der Beob52 Ebd., 30. 53 Vgl. Rainer Möller, Guter (Religions-)Unterricht zwischen Kompetenzorientierung und inklusiver Didaktik. Einsehbar unter http:// www.cimuenster.de/themen/Religionsunterri cht_Religionspaedagogik/Guter-_Religions_ Unterricht_Kompetenzorientierung_Inklusion_2012.pdf, 10.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

achtung, die sowohl punktuell wie auch im ganzen Prozess des kindertheologischen Arbeitens zum Zuge kommt. Der Ansatz der Kindertheologie bietet die Möglichkeit, solche Lernausgangssituationen, -prozesse und -ergebnisse sowohl hinsichtlich der Lernwege (hier als verbale und nicht verbale unterschieden) als auch des Wissens, der Erfahrungen und der Deutungskompetenzen zu untersuchen. Damit erfüllt die Kindertheologie einen zentralen fachdidaktischen Beitrag zur immer wichtiger werdenden Rolle der Diagnostik.54 Ähnlich wie in der Jugendtheologie55 können so auch in der Kindertheologie verschiedene Modi unterschieden werden. Die Überlegungen zu einer Niveaudifferenzierung, die die Inklusionsdidaktik im Übrigen mit einer Kompetenzorientierten Didaktik teilt, wenn auch aus verschiedenen Begründungszusammenhängen,56 werden hier abgebildet. Die Niveaustufendifferenzierung religiöser Deutungskompetenz aus dem Berliner Kompetenzmodell erweist sich als hilfreich, um die Unterscheidung und Verbundenheit der Niveaus hinsichtlich der inhaltlichen Ebenen (aus persönlicher Erfahrung und vor einem biblischem Horizont bzw. anders religiösem oder nicht religiösem Horizont) darzustellen.57 Niveaus der Lernform werden hier mit dem Modell von Schweiker als basal-perzeptiv, konkret-handelnd, anschaulich-modellhaft, abstrakt-begrifflich58 bezeichnet, was die Unterscheidung und Verbundenheit von nonverbalen und verbalen Anteilen im Theologisieren darstellt. Für jedes Thema ist nun für diese Niveaus (oder zumindest einige, die für eine Lerngruppe ausgewählt werden)

zu überlegen, wie sich inhaltlich-theologische Aspekte hierzu verhalten. Für unsere Frage danach, wie das Bekenntnis von Jesus als wahrer Gott und wahrer Mensch verstanden werden kann, bedeutet dies: Der Mensch Jesus, der Sättigung und Ruhe gebraucht hat, und Gott selbst, der die Not der Menschen umfassend stillt, rücken durch das Spiel und das Gespräch in einen spannungsvollen Zusammenhang. Deutlich wird auch: die theologischen Inhalte entsprechen nur zum Teil einer Niveaustruktur etwa hinsichtlich einer Entwicklung von Komplementarität. Statt einer linearen Entwicklung einer Argumentation steht deutlicher das Abwägen und Vergleichen verschiedener theologischer Figuren im Vordergrund (vereinfacht: mal ganz Mensch, mal ganz Gott, beides …), was besser als Netz, etwa als Mindmap wiedergeben wird.59 Das Zusammentragen und Abwägen von situativ gebundenen Sichtweisen im Bemühen, gültige Ant54 Vgl. Eduard W. Kleber, Diagnose, in: HeinzHermann Krüger / Werner Helsper (Hg.), Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft, Opladen u.a. 8 2007, 115–130. 55 Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer u.a., Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion, Neukirchen-Vluyn 2012, 11. 56 Vgl. zu dieser These Rainer Möller (wie Anm. 53). 57 Vgl. Dietrich Benner / Rolf Schieder / Henning Schluß / Joachim Willems, Religiöse Kompetenz als Teil öffentlicher Bildung, Paderborn 2011, 126. 58 Vgl. Wolfhard Schweiker, Arbeitshilfe Religion inklusiv (wie Anm. 24), 41–44. 59 Vgl. Katharina Zeitler, Siehst du die Welt auch so wie ich? Philosophieren in der Kita. Mit Kindern fragen, nachdenken, Werte erfahren, Freiburg u.a. 2010 und die Mindmaps in dem geplanten Handbuch zum Theologisieren mit Kindern.

Kammeyer Inklusives Theologisieren in Gesprächen und darüber hinaus

worten und neue Fragen zu finden, entspricht ganz dem Gedanken der gleichberechtigten Kooperation im Sinne von Inklusion und nicht zuletzt dem Stil christologischer Argumentation. Alternativen zur eigenen Erfahrung und Sichtweise kennen zu lernen, gelingt dann, wenn hierfür während der Erarbeitungsphasen Raum, Zeit und Identifikationsspielräume gegeben werden. Für Gruppen, die bisher stärker im Gespräch theologisiert haben, wird das Abwägen von Alternativen durch handelnde Anteile eine Erweiterung darstellen. Andersherum ist es für Gruppen, die vor allem über das Tun gelernt haben, neu, in kurzen Gesprächsrunden am Schluss, Sichtweisen zu vertreten, zu vergleichen und zu einem Perspektivwechsel zu gelangen. Zum Inklusionsgedanken gehört dazu,

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dabei jedes eigene Niveau als in sich sinnvoll und schlüssig zu würdigen und auch seine Grenzen zu bemerken. Die Metareflexion solcher Unterscheidungen und Verhältnisbestimmungen der verschiedenen Beiträge untereinander ist dabei eine Lernaufgabe an sich und bereichert das Theologisieren als Gespräch. Nicht jedes Kind wird sich auf allen Ebenen beteiligen, und nicht alle Beiträge müssen immer aufeinander bezogen werden. Ein Anfang besteht bereits darin, an einer Weggabelung verschiedene Lernwege anzubieten und mindestens zwei verschiedene Ergebnisse hervorzuheben. Wer erfährt, dass die suchende Haltung des Theologisierens zu mehr als einer Antwort führt, die beide geschätzt werden, hat es leicht, eine dritte und vierte vorzuschlagen.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Mirjam Schambeck »Das ist ein durchsichtiges Paket, was überall durch kann.« Prinzipien des Theologisierens mit (religionsfernen) Kindern

Kindertheologie hat sich im religionspädagogischen Diskurs als feste Größe etabliert. Die Theologie von Kindern zu erheben, mit Kindern zu theologisieren und eine Theologie für Kinder zu entwickeln ist zur gängigen Aufschlüsselung geworden, das Vorgehen von Kindertheologie zu beschreiben.1 Die meisten Studien, die sich als kindertheologische Veröffentlichungen verstehen, konzentrieren sich neben grundlagentheoretischen Vergewisserungen darauf, die Theologie von Kindern zu erheben. Überlegungen, wie eine Theologie für Kinder aussieht, die die Konzepte der Kinder ernst nimmt, und wie ein Theologisieren mit Kindern gelingen kann, das sich nicht damit zufrieden gibt, die Denkwelten von Kindern wahrzunehmen, blieben dagegen unterbelichtet. Ebenso wenig wurde bislang darauf reflektiert, für welche Kinder sich der kindertheologische Ansatz eignet. Funktioniert er nur bei Kindern, die in ihren Familien schon bestimmte religiöse Sprachspiele und Überlegungen über Religion kennengelernt haben? Setzt Kindertheologie, wie sie bislang konzeptualisiert wurde, voraus, dass Kinder ein bestimmtes Ausdrucksvermögen und damit auch eine bestimmte sprachliche und logische Intelligenz mitbringen? Mit anderen Worten: Ist Kindertheologie überhaupt mit religions- oder bildungsfernen Kindern möglich? Der folgende Beitrag entwirft auf diesem Hintergrund Prinzipien für ein

Theologisieren mit (religionsfernen) Kindern, die zugleich als Planungsinstrument für konkrete religiöse Lehr- und Lernprozesse dienen. Erste Beobachtungen aus dem alltäglichen kindertheologischen Geschäft sollen aufmerksam machen auf Aufgaben, denen sich ein Theologisieren mit religionsfernen Kindern stellen muss. 1. Heute geht es ums Nachdenken: Wie das Theologisieren mit Kindern beginnt

Es ist ein Gespräch in einem Kindergarten. Ferdinand, 6,3 Jahre alt, schaltet sich immer wieder aktiv in den Austausch ein, überstürzt sich geradezu, um seine Gedanken zum Thema »Gott« loszuwerden. Der Impuls der Erzieherin lautete: »Heute geht es ums Nachdenken, ums Überlegen, Gedankenmachen. Erzählt mal, was habt ihr denn schon alles so über Gott gehört.«2 Im Gespräch geht es zunächst um die Frage, wo Gott wohnt, schließlich wie er überhaupt Kontakt zu den Menschen aufnimmt, und wie dieser Kontakt näherhin beschrieben werden kann. Die Kinder, die bis auf Ensar, der aus einer 1 Vgl. Friedrich Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie?, in: JaBuKi 2, Stuttgart 2003, 9–18. 2 Mein herzlicher Dank geht an dieser Stelle an Carolin Lampa, die unterschiedliche Interviews führte und transkribierte.

Schambeck Prinzipien des Theologisierens mit (religionsfernen) Kindern

muslimischen und religionspraktizierenden Familie stammt, allesamt aus sogenannten religionsfernen Familien kommen, in denen Glaube und Fragen der Religion keine explizite Rolle spielen, thematisieren zutiefst theologische Fragen: Wo Gott ist, wie die Beziehung des Menschen zu Gott und umgekehrt zu denken sind, wie Gottes Gottsein buchstabiert werden kann. Was auffällt: Erstens zeigt sich im Laufe des Gesprächs immer wieder, dass die Kinder ihre Vorstellungen sozusagen erst in actu entwickeln. Steht beispielsweise die Frage erst einmal im Raum, wie Gott zu den Menschen in Kontakt tritt, so kommen auch Überlegungen ins Spiel, wie dies denkbar ist: Die Kinder sprechen dann von Raketen, von Teleskopen im Unterschied zu Fernrohren, von Fischangeln und Paketen etc. Zweitens wird deutlich, dass die Kinder die theologischen Fragen zu entschlüsseln suchen, indem sie auf Alltagsgegenstände, -vorstellungen und -abläufe zurückgreifen. Die Frage nach Gottes Gottsein, die sich für die Kinder an dem Thema entscheidet, wie Gott den Menschen hilft, beantwortet Ferdinand beispielsweise durch einen Rekurs auf den Versand von Postpaketen. Gott hilft den Menschen, indem er ihnen Pakete zustellt. Diese sind normalerweise unsichtbar, weil durchsichtig. »Nur manche Menschen können auch die Pakete sehen«, so dass sie fähig sind, es zu öffnen und die von Gott zugedachte Hilfe entgegenzunehmen. Und die Hilfe, »das ist ein durchsichtiges Paket, was überall durch kann.« Insgesamt kann damit allein dieses Fallbeispiel auf folgende religionspädagogische Herausforderungen aufmerksam machen, auf die ein Theologisieren

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mit religionsfernen Kindern antworten muss: 1. Werden Kinder mit theologischen Fragen konfrontiert, entwickeln sie – vergleichbar mit anderen Fragestellungen und Themengebieten – je ihre Strategien und Vorstellungen, damit umzugehen. Das ist eine Erkenntnis, die in der Kindertheologie sozusagen zur Binsenweisheit geworden ist. 2. Auch diese interviewten religionsfernen Kinder beließen es im Gespräch nicht nur dabei, die gestellten Fragen mit einer für sie plausiblen Antwort zu bedenken, sondern entwickelten aus einem Gedankenkreis weitere Themen. Das heißt, dass für die Kinder die Fragen über Gott, obwohl sie nicht in den Familien ausdrücklich aufgegriffen werden, dennoch Fragen sind, die nach weiteren Erklärungen verlangen. 3. Um die gestellten theologischen Fragen zu erhellen, griffen die Kinder auf Alltagskonzepte zurück. Zugleich zeigte sich in der Dramaturgie des Gesprächs, dass die Kinder nicht ganz zufrieden waren mit dem ihnen verfügbaren Wissen. Das ergab sich u.a. auch daraus, dass das Gespräch an nicht wenigen Stellen ins Leere lief. Die Kinder wussten nicht mehr weiter und füllten diese Leerstelle, indem sie einfach andere, nicht unmittelbar mit der gestellten Frage zusammenhängende Themen assoziierten. Hier z.B. die verschiedenen Antriebssysteme von Raketen oder auch die unterschiedlichen Modalitäten des Postversands. Den Kindern stand kein theologisches und damit domainspezifisches Begriffsinstrumentarium, Vorstellungs- oder Deutereservoir zur Verfügung, das sie hätten fruchtbar machen können. Das merkten sie und das schien auch ein Grund zu sein, dass der Gesprächsfaden versackte.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Allein diese wenigen Beobachtungen machen bewusst, dass ein Theologisieren mit religionsfernen Kindern bestimmte Prinzipien berücksichtigen muss, damit Kinder Gespräche über Religion als interessant und weiterführend erleben können. 2. Prinzipien des Theologisierens mit (religionsfernen) Kindern 2.1 Theologische Themen ins Spiel bringen – Induktion

Nachdenken über Gott und die Welt aus religiös(-christlicher) Perspektive möchte ins Spiel gebracht werden. Das ist bei Kindern der Fall, die in ihren Familien über Fragen der Transzendenz, des Woher und Wohin sprechen; und das gilt auch für religionsferne Kinder. Kinder drängen einerseits selbst danach, die »unentscheidbaren Fragen« zu stellen. Andererseits ist mit der Definition von Allgemeinbildung, wie sie Jürgen Baumert weiter entfaltet hat,3 deutlich geworden, dass Welt zu begegnen eben auch heißt, sich mit den Fragen der Letztbegründung von Welt auseinanderzusetzen. Und hier spielt Religion neben der Philosophie eine unaufgebbare Rolle. Insofern ist sowohl aus intrinsischen Motiven – von den Kindern und deren Fragen her – als auch aus extrinsischen, eben bildungstheoretischen Gründen, eine Auseinandersetzung mit Religion zu rechtfertigen. Die Rostocker Langzeitstudie mit Kindern in konfessionslosem Kontext hat zudem bewusst gemacht, dass Kinder, die nicht herausgefordert werden, ihre religiösen Suchbewegungen mit anderen auszutauschen, häufig über Jahre hinweg in »eingekapselte[n] Schemata«4 bleiben

und unfähig sind, weiterführende religiöse Impulse aufzunehmen. Prekär wird dies bei Jugendlichen, die aufgrund ihrer Fixierung auf ein szientistisches Weltbild Eindimensionalitäten des Denkens auch bei Fragen vorziehen, die notwendigerweise den Perspektivenwechsel, die Fähigkeit zur Selbstreflexivität und das Umgehen mit unterschiedlichen Rationalitäten erfordern, wie das bei existentiellen Fragen der Fall ist und insofern auch bei allen Fragen des Religiösen.5 Ein Weg, die Beschäftigung mit Religion bei (religionsfernen) Kindern in Gang zu setzen, ist die Induktion. Das heißt, dass theologische Fragestellungen aktiv von den Erzieher/innen und Lehrpersonen thematisiert werden. In der kindertheologischen Literatur gibt es dazu eine große Anzahl von Gesprächs­ einstiegen. Diese reichen von Impulsen wie z.B.: »Erzähl mal, was denkst du über Gott« bis zu den Einstiegen, die in der Rostocker Langzeitstudie unter der Leitung von Anna-Katharina Szagun gebraucht wurden und nicht nur auf Verbalisierung setzten, sondern Kinder zum 3 Vgl. Jürgen Baumert, Deutschland im internationalen Bildungsvergleich, in: Nelson Killius / Jürgen Kluge / Linda Reisch (Hg.), Die Zukunft der Bildung, Frankfurt a.M. 2002, 100–150. 4 Anna-Katharina Szagun, Zum Beispiel: Bodo und Cornelli. Gottesbilder von Kindern in konfessionslosem Kontext. Ergebnisse einer empirischen Langzeitstudie in Rostock, in: Praxis Gemeindepädagogik 58 (2005), H. 2, 16–23, hier: 17. 5 Vgl. dazu Martina Kumlehn, Spurensuche und Differenzwahrnehmung. Den Sinn für (christliche) Religion im weitgehend konfessionslosen Umfeld öffnen und bilden, in: Michael Herbst / Roland Rosenstock / Frank Bothe, Zeitumstände: Bildung und Mission, Bern 2009, 71–89, hier: 79f.

Schambeck Prinzipien des Theologisierens mit (religionsfernen) Kindern

gestalterischen Ausdruck von Metaphern über Gott mittels Collagen motivierten.6 Wichtig ist, den theologischen Themen einen Raum zu geben und den Kindern damit zu ermöglichen, sich zu diesen wichtigen Fragen Gedanken zu machen. Für Kinder, die sonst nicht über solche Fragen mit Erwachsenen sprechen, wird zudem deutlich, dass sie ihre Überlegungen nicht nur mit sich alleine ausmachen müssen. Eine entsprechende Gesprächseinladung kann zeigen, dass sie ihre Fragen nach dem Unendlichen, nach Gott und wo er wohnt, auch in der sonst dazu sprachlosen Erwachsenenwelt artikulieren können. 2.2 Zu eigenen Überlegungen motivieren – Konstruktion

An das Prinzip der Induktion schließt sich dasjenige der Konstruktion an. Wurde durch einen entsprechenden Einstieg markiert, dass Fragen über Religion einen Platz haben, ist es wichtig, Kinder zu ihren eigenen Überlegungen über Gott und die Welt anzuregen. Kindern einen Raum zu ermöglichen, ihre eigenen Vorstellungen, Strategien und »metaphysischen Systeme« zu entwickeln, ist wohl das größte Verdienst der inzwischen etablierten Kindertheologie. Auch wenn sich in Gesprächssituationen nicht selten Dramaturgien einstellen, in denen nicht mehr das Thema, sondern die Assoziation im Mittelpunkt steht – also nicht mehr die Frage, wo Gott wohnt, beispielsweise interessiert, sondern ein Räsonieren über Raketen und deren Antriebssysteme in den Vordergrund tritt –, so macht dieses Eröffnen von Denkräumen auf zweierlei aufmerksam: Zum einen erleben Kinder,

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dass sie in diesen gewichtigen und nicht einfach zu beantwortenden Fragen »gefragt« sind. Sie werden als Gesprächspartner/innen ernst genommen und gewinnen v.a. dann, wenn solche Gespräche immer wieder stattfinden, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein in Sachen Religion. Zum anderen haben die unterschiedlichsten Studien, die unter dem Paradigma der Kindertheologie angestellt wurden, nachhaltig verdeutlicht, wie theologieproduktiv Überlegungen von Kindern über Gott und die Beziehung Gottes zum Menschen sind. Religiöse Bildungsprozesse konnten von daher passgenauer konzipiert und effektiver gestaltet werden. Indem sie von den Konzepten der Kinder her entwickelt wurden und Möglichkeiten anboten, die je eigenen Vorstellungen konsistent weiterzuentwickeln, wurde das Angebot von Lernmöglichkeiten in Lehrsituationen erweitert und damit die Lern-Nutzung wahrscheinlicher. 6 Vgl. die unterschiedlichen Bände zur Rostocker Langzeitstudie: Anna-Katharina Szagun, Dem Sprachlosen Sprache verleihen. Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen (= Kinder erleben Theologie 1), Jena 2006. Dies. / Michael Fiedler, Religiöse Heimaten. Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen (= Kinder erleben Theologie 2), Jena 2008. Astra Dannenfeldt, Gotteskonzepte bei Kindern in schwierigen Lebenslagen. Zur Genese des Gotteskonzeptes in einem mehrheitlich konfessionslosen Umfeld in Wechselwirkung mit dem kindlichen Selbstkonzept und der Lebensweltwahrnehmung (= Kinder erleben Theologie 3), Jena 2009. Michael Fiedler, Strukturen und Freiräume religiöser Sozialisation. Religiöse Sozialisation und Entwicklung von Gotteskonzepten bei Kindern aus Familien im konfessionslosen Kontext Ostdeutschlands (= Kinder erleben Theologie 4), Jena 2010.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

2.3 Lebensrelevante und theologisch ausdeutbare Chiffren ausmachen – Identifizierung

Der folgende Schritt der Identifizierung erfordert von den Lehrpersonen eine hohe Wahrnehmungskompetenz. Hier geht es darum, die Gesprächsbeiträge der Kinder darauf hin zu befragen, 1. welche Themen überhaupt angestoßen wurden (hier z.B. die Frage nach Gott selbst: Wo wohnt er?; nach der Beziehung Gottes zum Menschen: Gott nimmt über Fernrohre, Teleskope, Raketen und den Postversand Kontakt zu den Menschen auf; bis hin zu Überlegungen über Gottes Gottsein: Gott hilft!), 2. welche Themen als besonders drängend empfunden wurden und von daher möglichst bald weiter verfolgt werden sollten und 3. welche »Chiffren« ausgemacht werden können, die es erlauben, Themen sowohl von lebensweltlichen Erfahrungen her als auch mittels theologischer Konzepte zu füllen. Die Chiffren selbst können sowohl den lebensweltlichen Sprachspielen als auch den theologischen angehören. Wichtig ist nur, dass sie in beide »Welten« hinein eine diskursiv wie existentiell gefüllte Vermittlungsfunktion übernehmen. Im obigen Gesprächsausschnitt bietet es sich z.B. an, das helfende Handeln als vermittelnde Chiffre fruchtbar zu machen. Diese ist theologisch zu beleuchten, insofern das Handeln Gottes bzw. Gottes Gnade als liebende und heilende Zuwendung zum Menschen und zur Welt reflektiert wird. Sie ist aber auch lebensweltlich ausdeutbar, wie das Ferdinand selbst ins Wort bringt, mittels der Rede von der Hilfe, die Menschen zuteil wird – sei es durch andere Men-

schen, durch Situationen oder auch durch Gott selbst. Die Identifizierung, die mehrere Aspekte umfasst, markiert im Lehr-Lerngeschehen ein diagnostisches Geschehen. 2.4 Theologisches Wissen anbieten – Instruktion

Sollen Kinder nicht nur auf ihr Assoziationspotenzial zu bestimmten Fragestellungen und Themen festgeschrieben werden, muss ihnen domainspezifisches Wissen angeboten werden. Das heißt in Bezug auf Religion, dass sich Kinder mit theologischem Wissen auseinandersetzen können. Die im Gespräch eruierte Chiffre »Wie ist das helfende Handeln (Gottes) zu denken?« muss im Schritt der Instruktion durch theologische Deutungen angereichert werden. Hier bietet es sich z.B. an, 1. Deutungen aus der Theologiegeschichte anzuführen, die vom unmittelbaren Eingreifen Gottes sprechen, bis hin 2. Erzählungen zu verhandeln, die vom indirekten Agieren Gottes sprechen, das in den biblischen Geschichten nicht selten mittels Boten Gottes ausgestaltet wird wie etwa in der Geschichte von Tobit und Tobias. Oder schließlich (3) das komplexe Ineinander von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit mit Kindern zu verhandeln. Das bedarf freilich der theologischen Expertise aufseiten der Lehrenden. Und das braucht auch das rechte Wahrnehmen, welche theologischen Fragestellungen von den Kindern überhaupt aufgeworfen werden, und wie man diese angemessen bearbeiten kann. Mit anderen Worten: gefragt ist also religionsdidaktisches Knowhow.

Schambeck Prinzipien des Theologisierens mit (religionsfernen) Kindern

2.5 Zu einer begründeten Positionierung anstiften – Positionierung

Die Auseinandersetzung mit theologischem Wissen geschieht nicht um ihrer selbst willen. Die Instruktion dient vielmehr dazu, den Kindern Denkräume zu eröffnen, um in ihren eigenen Überlegungen bzw. Konzepten weiterzukommen. Konkret bedeutet das, im didaktischen Prozess nicht einfach bei der Darbietung theologischen Wissens stehen zu bleiben, sondern die Kinder anzustiften, angesichts des Kennengelernten ihre Vorstellungen nochmals zu überdenken. Das kann geschehen, indem Kinder z.B. gefragt werden: Was ist für Dich aus dem, was wir gerade gehört haben, wichtig geworden? Hast Du etwas kennengelernt, das Du so noch nie gehört hast; und was meinst Du dazu? Im didaktischen Prozess bleibt es also nicht dabei, die Denkwelten der Kinder neben den Denkwelten der Theologie zu verhandeln. Im Sinne eines echten Theologisierens mit Kindern soll vielmehr ein dialogisches Zusammenspiel zwischen beiden Wirklichkeitserfahrungen ermöglicht werden, indem der Lehrprozess Angebote macht, so dass Kinder das je kennengelernte Wissen konfigurieren können. Man könnte dazu auch sagen: so dass Kinder kognitive Korrelationsprozesse anstellen. 2.6 Angemessene Lernwege wählen – Didaktisches Arrangement

Grundsätzlich gilt, dass alle Prinzipien aufeinander verwiesen sind, insofern sie erst in ihrem Miteinander einen Prozess des Lehrens und Lernens entwerfen.

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Damit lassen sich die Prinzipien auch mit unterschiedlichen Phasen im LehrLernprozess identifizieren. Diese Phasen bauen aufeinander auf, auch wenn es aufgrund der konkreten Lehr- und Lernsituation nötig sein kann, zu einem früheren Prinzip wieder zurückzukehren, weil es etwa während der Positionierungsphase von den Kindern eingefordert wird, zur Instruktion zurückzukehren und hier kennengelerntes Wissen nochmals zu vertiefen. Das didaktische Arrangement kann auch erfordern, beispielsweise die Positionierungsphase immer wieder vorzunehmen, um Kindern nicht erst am Ende, sondern auch während des LehrLernprozesses zu ermöglichen, sich ihrer kognitiven oder auch existentiellen Erkenntnisgewinne bewusst zu werden. Insgesamt gilt es darauf zu achten, für die einzelnen Phasen angemessene Lernwege auszuwählen. Diese müssen den Kindern, der Sache und der konkreten Phase im Lehr-Lerngeschehen gerecht werden. Damit stehen Entscheidungen an wie: Inwiefern ist es angemessen, die Phase der Induktion gerade bei Kindern, die sich noch kaum mit religiösen Fragestellungen explizit auseinandergesetzt haben, als Gespräch durchzuführen oder doch lieber mittels des Malens und Gestaltens von Collagen zu konzipieren, um jüngeren Kindern ein noch vorbegriffliches Ausdrucksinstrumentarium zur Verfügung zu stellen? Insgesamt soll durch die unterschiedlichen Prinzipien ein Prozess des Theologisierens mit (religionsfernen) Kindern eröffnet und strukturiert werden, so dass kindertheologische Settings weder zu nichtssagenden Gesprächen verkommen noch Inhalte hinter den Methoden

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

verschwinden oder auch Themen irrelevant, weil lebensfern ausgesagt werden. Das folgende Beispiel versucht, einen Ausschnitt aus einem Prozess des Theologisierens mit Kindern zu beleuchten. Der Fokus der Ausführungen liegt auf dem Part der Instruktion und wie er in Lehr-Lernsituationen mit (religionsfernen) Kindern fruchtbar gemacht werden kann. 3. Wie Gott hilft – Theologisieren mit (religionsfernen) Kindern

Ferdinand interessiert sich dafür, wie Gott hilft. Er versteht Hilfe als konkretes Ausmerzen einer Bedürftigkeit im Sinne, dass zunächst etwas fehlt, dieser Mangel aber durch eine entsprechende Gabe ausgeglichen wird. Der 6-Jährige bedient sich dazu einer Vorstellung aus seiner Alltagswelt, nämlich dem Paketversand, und stilisiert ihn zur göttlichen Abhilfemöglichkeit, um einen von Menschen empfundenen Mangel zu beheben. Ferdinand deutet damit auf seine Weise das (hilfreiche) Handeln Gottes aus und konkretisiert Gottes Gottsein, indem er es mittels der an die Menschen zugestellten Pakete als unmittelbare Hilfe auslegt. 3.1 Gottes Handeln theologisch gedeutet

Ist das helfende Handeln (Gottes) als lebensweltlich und theologisch ausdeutbare Chiffre identifiziert, geht es in einem nächsten Schritt darum, entsprechende theologische Deutungen zu thematisieren und Ferdinand als Möglichkeit anzubieten, diese mit seinen eigenen Überlegungen zu verschränken.

Wie Sabine Pemsel-Maier treffend ausführt, gilt es dazu, das Verhältnis von Gottes Transzendenz und Immanenz, von Gott und Welt sowie von göttlichem und menschlichem Handeln zu beleuchten,7 und damit letztlich die Frage nach der Geschichtsmächtigkeit Gottes zu stellen. Im christlichen Glauben werden diese Verhältnisbestimmungen nicht als aus Gegensätzen bestehend verstanden, die einander ausschließen im Sinne einer absoluten Ganzandersheit. Der christliche Glaube denkt Transzendenz und Immanenz, Gott und Welt, Gnade und Freiheit vielmehr als durch Gott selbst, und zwar durch seine Liebe bedingte und vermittelte Verschiedenheit. Damit wird Transzendenz in der Immanenz auffindbar und der Gott in uns wird zum Verweis, dass Gott mehr ist als das, was wir von ihm begreifen und ahnen können. Gott und Welt werden weder zu einander ausschließenden Kategorien, noch gehen sie ineinander auf. Der christliche Gott wird vielmehr als Schöpfer denkbar, der seine Spuren in die Welt gezeichnet hat, so dass die Welt lesbar wird auf Gott hin und Gott selbst sich als »weltlicher Gott« zu erkennen gibt, weil er sich aus Liebe, das heißt aus uneinholbarer Freiheit, an die Welt »gebunden« hat. Ebenso müssen Gnade und Freiheit nicht mehr als konkurrierende Vermögen gedeutet werden, die miteinander im Kampf um den je eigenen Geltungsraum sind. Christlich verstanden wird die Freiheit des Menschen vielmehr als höchster Ausweis Gottes und als Schwester der Liebe gezeichnet. 7 Vgl. Sabine Pemsel-Maier, Jugendtheologie trifft Systematische Theologie. Zum Diskurs über ein mögliches Eingreifen Gottes in die Welt, in: RpB 67/2012, 57–68, hier: 65–67.

Schambeck Prinzipien des Theologisierens mit (religionsfernen) Kindern

Die Komplexität dieser Ausführungen, die hier nur in groben Strichen angedeutet werden konnte, findet in nicht wenigen biblischen Erzählungen ihren narrativen und poetischen Ausdruck. So sprechen Psalmen wie Ps 139 oder Ps 131 auf eindrückliche Weise von Gott, der im Herzen der Menschen wohnt und zugleich der ist, den die Himmel nicht fassen können. Am schwierigsten ist nicht nur für Kinder das Verhältnis von göttlichem und menschlichem Handeln, von Gnade und Freiheit zu deuten. Insofern soll im Folgenden ein mögliches theologisches Gesprächsangebot hierzu skizziert werden. In der Theologie lassen sich vier grundlegende Positionen – aus denen sich wiederum Mischmodelle ergeben – unterscheiden, das Handeln bzw. Nichthandeln Gottes in Welt zu denken: 1. Die Vorstellung vom direkten, interventionistischen Eingreifen Gottes in die Welt, die auch im sog. aktualistischen Modell der Vorsehung einen Ausdruck gefunden hat8 und als Kehrseite des Deismus gilt, der Gott als höheres Wesen rein jenseitig zur Welt und ohne weiteren Bezug zu ihr bzw. ohne Wirkmächtigkeit in ihr denkt. 2. Die Vorstellung vom mittelbaren Eingreifen Gottes in die Welt, indem er sich als Erst-Ursache der »Zweit-Ursachen« bedient, wie z.B. der Boten (Engel), der Menschen, der Naturgesetze oder auch konkreter Situationen, wie es auch das Verständnis der sapiential-ordinativen Vorsehung ausdrückt.9 3. Die Rede vom Handeln Gottes durch seinen Heiligen Geist, der im Menschen und der gesamten Schöpfung wirkt und sie zum Guten anstiftet, wie sie im sog. Repräsentationsmodell angesprochen wird.10 4. Die Vorstellung, dass Gott gar nicht handelt, weil

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er nicht existiert (Atheismus) oder weil er nicht mächtig genug ist, zu handeln (Depotenzierung des Gottesbegriffs, hier durch Reduktion der Allmacht).11 Die erste Vorstellung ist angesichts der Autonomie der irdischen Wirklichkeit, der menschlichen Freiheit sowie auf dem Hintergrund naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und der Schwierigkeiten, die sich daraus für das sowieso schon drängende Theodizeeproblem ergeben, theologisch höchst fragwürdig geworden.12 Die zweite Vorstellung gewinnt im Sinne einer subjektiven Gewissheit, dass Gott im Leben des Einzelnen und der Welt handelt, Plausibilität. Für den Einzelnen ist sie von daher mehr als eine subjektive Empfindung und vielmehr als Überzeugung zu gewichten. Allerdings heißt das auch, sie im Range einer subjektiven Gewissheit und nicht einer objektiv zugänglichen Tatsachenevidenz ansichtig zu machen. Die dritte Deutung vom geistgewirkten Handeln Gottes in der Welt zeigt sich als integrierendes Modell, indem es einerseits nach wie vor das Erkennen des 8 Vgl. Reinhold Bernhardt, Was heißt Handeln Gottes? Eine Rekonstruktion der Lehre von der Vorsehung, Gütersloh 1999, 314–379. 9 Vgl. ebd., 380–398. 10 Vgl. ebd., 399–466. 11 Eine etwas andere, wenngleich sich in den Grundgedanken berührende Systematik entfaltet Saskia Wendel, Der ›beständige Wunsch, ein würdiges Glied im Reiche Gottes zu sein‹ (I. Kant). Das Bittgebet auf dem Prüfstand der Vernunft, in: Magnus Striet (Hg.), Hilft beten? Schwierigkeiten mit dem Bittgebet, Freiburg i.Br. 2010, 11–30, hier: 17–27. 12 Vgl. Christoph Böttigheimer, Glaubensnöte. Theologische Überlegungen zu bedrängenden Glaubensfragen und Kirchenerfahrungen, Freiburg i.Br. 2011, 25–33, hier: 28f; Klaus von Stosch, Gottes Handeln denken. Ein Literaturbericht zur Debatte der letzten 15 Jahre, in: ThRv 101 (2005) Sp. 89–108, hier: Sp. 89.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Handeln Gottes in die subjektive Gewissheit verweist und andererseits das Gute, das in der Welt passiert, mit Gottes Handeln identifiziert. Das heißt, dass hier Evidenzen des Guten, die sich in der Welt zeigen und auch intersubjektiv, und in diesem Sinne »objektiv« ausweisbar sind, in einer bestimmten – nun mehr wieder das Subjekt einfordernden Weise – gedeutet werden. Die vierte Denkmöglichkeit rechnet nicht (mehr) mit einem Handeln Gottes und entlässt die Welt in eine kalte und einsame Selbstverwiesenheit ohne begründenden Grund. So abstrakt die theologischen Deutungen einerseits wirken, so lebensbedeutsam können sie andererseits auch für Kinder sein, was folgender Gesprächseinstieg plausibilisieren mag. 3.2 Gottes Handeln mit Kindern thematisieren

Die theologischen Deutungen könnten beispielsweise als Gesprächsimpuls eingeführt werden: »Auch andere Menschen haben sich über die Frage Gedanken gemacht, wie Gott den Menschen hilft. Die einen haben sich vorgestellt, dass er – schwupp di wupp – einfach die Dinge wieder ins Lot bringt, die aus den Fugen geraten sind. Daraufhin haben andere eingewendet, dass man sich selbst dann gar nicht mehr anstrengen würde, weil sowieso Gott alles selbst besorgt. Wieder andere meinten, dass man dann allmählich das Vertrauen verlöre, auch selbst etwas zu können und auch selbst etwas zustande zu bringen. Was meinst Du dazu?«

Die Vorstellung, dass Gott indirekt mittels Boten (Engel) im Leben der Men-

schen wirkt, können Kinder z.B. durch eine Auseinandersetzung mit der biblischen Tobit-Erzählung kennenlernen. Wichtig ist, die Geschichte nicht nur zu erzählen, sondern den Kindern immer wieder Konstruktions- und Positionierungsmöglichkeiten einzuräumen, die es den Kindern erlauben, ihre durch das Kennengelernte aufgeworfenen Fragen zu artikulieren, ihre gewonnenen Einsichten bewusst zu machen und sich selbst angesichts des Neuen eine kognitive und / oder existenzielle Position zu verschaffen. So lassen sich auch die dritte und vierte Deutemöglichkeit des Handelns Gottes thematisieren: Über biblische Erzählungen beispielsweise, über Geschichten von berühmten Menschen, wie Mahatma Gandhi, Ruth Pfau, oder auch local­ heroes, die sich von Gottes Geist inspiriert wissen und sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen. Das kann auch gelingen über Gesprächsimpulse wie z.B.: »Manche Menschen glauben, dass es Gott gar nicht gibt. Sie können ihn in unserer Welt nicht (mehr) sehen und schließen deshalb darauf, dass er auch nicht existiert. Was meinst Du dazu?« 4. Von der Kindertheologie zum Theologisieren mit Kindern im Sinne religiöser Lehr- und Lernprozesse

Man könnte sich freilich fragen, was die gewonnenen Prinzipien an Mehrwert bringen gegenüber der für die Kindertheologie kennzeichnenden und am Beginn des Beitrags zitierten Beschreibung, Kindertheologie als Theologie von, für und mit Kindern auszuweisen. Außer-

Schambeck Prinzipien des Theologisierens mit (religionsfernen) Kindern

dem drängt sich die Frage auf, ob die eruierten Prinzipien speziell für religionsferne oder insgesamt für das Theologisieren mit Kindern gelten. Zur ersten Problemstellung lässt sich anmerken, dass das Anliegen, das hinter der von Friedrich Schweitzer vorgenommenen Dimensionierung von Kindertheologie steht, mittels der Prinzipien in einen religionsdidaktischen Prozess übersetzt werden konnte. Die schon länger in den kindertheologischen Schriften brodelnde Frage: Was machen wir mit den erhobenen Vorstellungen von Kindern über Religion?, die auch als Frage identifiziert werden kann: Wie kommt es zu religiösem Lernen in der Kindertheologie?,13 kann mithilfe der aufgestellten Prinzipien einer ersten Antwort zugeführt werden. Die Prinzipien erlauben, eine kriteriengeleitete Planung von kindertheologischen Lehrprozessen vorzunehmen und religiöse Lernprozesse damit zu strukturieren. Mit anderen Worten: es wird durch die Prinzipien deutlich, dass es nicht nur um das Erheben von theologischen Überlegungen geht, wie sie die Kinder anstellen. Es geht auch nicht nur darum, eine kindgerechte Theologie zu formulieren, die anknüpfungsfähig ist an die Vorstellungen von Kindern. Religiöses Lernen ereignet sich nämlich erst dort, wo es zu einem dialogischen Zusammenspiel beider Denkwelten kommt. Man könnte auch sagen, wo kognitive Korrelationsprozesse möglich werden, so dass Kinder in ihren eigenen Überlegungen über Religion befördert werden.

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Zur zweiten Fragestellung bleibt zu sagen, dass einerseits die aufgezeigten Prinzipien für das Theologisieren mit Kindern, egal ob religiös sozialisiert oder aus religionsfernen Familien, gelten und eine Planungshilfe sind, damit aus Gesprächen Lerngelegenheiten werden. Andererseits wurde gerade im Zusammenhang des Theologisierens mit religionsfernen Kindern deutlich, wie wichtig das Moment des Induzierens theologischer Themen ist. Auch wenn Kinder von sich aus die Frage nach dem, was das Leben hält und trägt, einbringen, so ist es gerade für Kinder, die es in ihren Familien nicht gewohnt sind, über religiöse Fragen zu sprechen, besonders wichtig und hilfreich, für diese Denkräume nicht nur selbst Sorge tragen zu müssen, sondern diese angeboten zu bekommen. Das wirft freilich die Frage auf, wie über Religion in öffentlichen, das heißt kommunalen oder staatlichen Kindertagesstätten geredet werden soll und darf. Das aber ist ein anderes, wenn auch drängendes Problem.14 13 Vgl. Friedrich Schweitzer, Kindertheologie und Elementarisierung. Wie religiöses Lernen mit Kindern gelingen kann, Gütersloh 2011, 18.26.77f. Schweitzer versucht eine Erweiterung bzw. Vertiefung der Kindertheologie auf religiöse Lehr- und Lernprozesse hin durch den Elementarisierungsansatz zu erreichen. 14 Vgl. Mirjam Schambeck, Religiöse Kompetenz – Zauberformel oder praktisches Element? Elementarpädagogische Anstöße, in: Werner Gatzweiler / Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK)-Bundesverband e.V. (Hg.): »Gesucht: Pädagogische Fachkraft als Zeugin des Glaubens«, Freiburg i.Br. 2014 i.E.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

Michael Fricke Über Kindertheologie an der Förderschule. Ein Beitrag aus grundsätzlicher und empirischer Sicht

Dieser Beitrag hat nicht bildungsferne Milieus im Blick, sondern die Förderschule. Kinder- und Jugendtheologie basiert üblicherweise auf gedanklich-verbalem Austausch. Wie aber gestaltet sie sich bei Schülerinnen und Schülern1, die auf diesem Feld weniger Übung, Interesse oder Fähigkeiten mitbringen? In diesem Beitrag werden grundsätzliche Überlegungen zur Kinder- und Jugendtheologie angestellt, Schüleräußerungen aus einer Förderschule zum Thema »Alt sein und alt werden« dokumentiert und diese in einer Abschlussreflexion im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Kindertheologie gewürdigt. 1. Definition »Kindertheologie« 1.1 Subjekte des Glaubens – Produzenten von Theologie

Unter Theologie verstehen wir die Reflexion über den christlichen Glauben. Im engeren Sinn ist damit die wissenschaftliche bzw. professionell betriebene Theologie gemeint. Darüber hinaus findet Theologie immer dort statt, wo Christen gedankliche Rechenschaft über den Glauben ablegen (Allgemeines Priestertum). Diese zweite Form der Theologie wird als »Gemeinde- bzw. Laientheologie« bezeichnet.2 Darin ist die Rede von der »Kindertheologie« bzw. »Theologie von Kindern« zu verorten. Insofern Kin-

der als »Subjekte von Glauben« anzusehen sind, können sie auch »Produzenten von Theologie« sein.3 Facetten solcher theologischer Produktionen sind z.B. das Hervorbringen von Gottesbildern und Kosmologien, Auslegen von biblischen Texten und Deuten von Kontingenz.4 Bei der Frage, was das Charakteristikum von »Kindertheologie« sei, werden in der Fachdiskussion zwei Aspekte besonders hervorgehoben: Eigenständigkeit und Selbstreflexivität. 1.2 Eigenständigkeit als Merkmal?

Traditionell waren Kinder im Unterschied zu erwachsenen Laien nicht als Personen im Blick, die »eigenständig« 1 Im Folgenden mit »Schüler« wiedergegeben. 2 Wilfried Härle, Was haben Kinder in der Theologie verloren? Systematisch-theologische Überlegungen zum Projekt einer Kindertheologie, in: »Zeit ist immer da.« Kinder erleben Hoch-Zeiten und Fest-Tage, JaBuKi 3, Stuttgart 2004, 11–27, hier: 24, sowie Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchen-Vluyn 2010, 89. 3 Härle, Was haben Kinder in der Theologie verloren? (wie Anm. 2), 15 und 22. 4 Vgl. Anton A. Bucher, Kindertheologie: Provokation? Romantizismus? Neues Paradigma?, in: »Mittendrin ist Gott.« Kinder denken nach über Gott, Leben und Tod, JaBuKi 1, Stuttgart 2002, 9–27, hier: 17–20.

Fricke Über Kindertheologie an der Förderschule. Ein Beitrag aus grundsätzlicher und empirischer Sicht

Rechenschaft über den Glauben abgeben. Ihre Art religiös zu denken galt bis weit ins 20. Jahrhundert hinein als defizitär5 und angewiesen auf Leitung und Lenkung durch Erwachsene. Mitte der 1990er Jahre wurde in der Evangelischen Kirche ein »Perspektivenwechsel« mit dem Ziel gefordert, die religiösen Entdeckungsprozesse von Kindern angemessen wahrzunehmen.6 Hieran knüpfte das Postulat der Kindertheologie-Bewegung über die Fähigkeit der Kinder zum eigenständigen Nachdenken an. Für P. Freudenberger-Lötz ist der Hauptgedanke der Kindertheologie, dass »Kinder und Jugendliche eigenständig Theologie treiben«.7 F. Schweitzer führt in ähnlichem Sinn aus, dass »Kinder nicht nur ein eigenes Gottesbild oder Gottesverständnis haben, sondern dass sie über dieses Verständnis auch selber und selbstständig nachdenken und dass sie dabei auch zu durchaus eigenen Antworten gelangen«.8 Es ist unbestritten, dass Kinder religiöse Ideen und Sachverhalte, die ihnen begegnen, nicht nur reproduzieren, sondern individuell rezipieren, verarbeiten und – möglicherweise an ganz anderen Orten und zu anderen Gelegenheiten – in eigenen Formulierungen »neu hervorbringen«. Das Herausstellen der »Eigenständigkeit« als wesentliches Erkennungsmerkmal von Kindertheologie ist jedoch problematisch. Zum einen stehen wir vor dem Messdilemma, dass darin besteht, dass eine Erhebung von Kinderäußerungen in der Regel nur im Rahmen von Forschungs- oder LehrLern-Kontexten möglich ist, die ihrerseits nie frei von Einwirkungen durch Erwachsene sind. Es handelt sich immer um »reaktive« Kinderäußerungen. Zum anderen gibt es bei der inhaltlichen Ana-

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lyse von Kinderäußerungen keine Kriterien, mit denen sich die Eigenständigkeit zuverlässig identifizieren ließe – so sind etwa »Originalität« oder »Unterschied zu Erwachsenengedanken« keine objektiv überprüfbaren Kategorien. 1.3 Selbstreflexivität als Merkmal?

Kinder denken über Glaube, Bibel, Gott und die Welt nach und äußern ihre Gedanken. Ist das bereits »Kindertheologie«? Es gibt prominente Stimmen, wie z.B. F. Schweitzer und M. Zimmermann, die dies verneinen. Von »Kindertheologie« könne man nur sprechen, wenn das Kennzeichen der »Selbstreflexivität« vorliege.9 Es müsse »über allgemeines Nachdenken hinaus eine zumindest im Ansatz reflexive bzw. selbstreflexive Form des Denkens erkenn5 Vgl. Friedrich Schweitzer, Die Religion des Kindes. Zur Problemgeschichte einer religionspädagogischen Grundfrage, Gütersloh 1992, 401–405. 6 Vgl. EKD / Kirchenamt (Hg.): Aufwachsen in schwieriger Zeit. Kinder in Gemeinde und Gesellschaft, Gütersloh 1995, 101; in Verbindung mit ebd., 70: »Kinder sind selbständige religiöse Entdecker und eigene kleine Theologen; nehmen wir sie bei der Suche und eigenständigen religiösen Sinngebung ernst?« 7 Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Kindern und Jugendlichen. Konzeptionelle Grundlegung und empirische Befunde, in: »Mir würde das auch gefallen, wenn er mir helfen würde.« Baustelle Gottesbild im Kindes- und Jugendalter, JaBuKi Sonderband, Stuttgart 2011, 11–20, hier: 11. 8 Friedrich Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie?, in: »Im Himmelreich ist keiner sauer.« Kinder als Exegeten, JaBuKi 2, Stuttgart 2003, 9–18, hier: 10. 9 Vgl. Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern (wie Anm. 2), 86 und Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie (wie Anm. 8), 10.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

bar« werden10 und sich zeigen, dass die Kinder eine »Meta-Ebene« einnehmen.11 Allerdings wenden Zimmermann und Schweitzer dieses Argument nicht durchgehend an. So räumt Schweitzer ein, dass die Übergänge von religiösem Denken und Kindertheologie »fließend« seien.12 Zimmermann kann sogar sagen, dass »das Denkwürdige der Kinderäußerungen« vielfach darin liegt, »dass sie in kindlicher Unbeschwertheit eigene Sprache mit der Sprache der biblischen und kirchlichen Tradition verknüpfen« – als Beispiel führt sie das kindliche Sprachspiel »Gott kommt von Gurt, denn er beschützt mich« an.13 Hier erfolgt die Attribuierung der kindlichen Äußerung als Kindertheologie explizit nicht aufgrund des Merkmals »Selbstreflexivität«, sondern aufgrund dessen, was man mit der Eigenschaft »kindlich« auszudrücken meint: unvoreingenommenes, überraschendes und poetisch-kreatives Denken und Reden. Damit zeigt sich eine Nähe zum Diskurs in der Kinderphilosophie, die das kindliche Nachdenken als »Momente heller Einsicht« und ein »ahnendes Sich-Wundern« versteht.14 Wenn aber das »Selbstreflexive« de facto nicht näher bestimmt wird (womöglich, weil es nicht bestimmbar ist), erweist sich die Forderung nach der Trennung zwischen einer »einfachen«, aber inhaltlich »überraschenden« sprachlichen Äußerung und einer »(selbst)reflexiven« weder als notwendig noch als sinnvoll. Abschließend lässt sich feststellen, dass es Kindertheologie-Definitionen gibt, die ganz auf die erörterten Merkmale der Eigenständigkeit und Selbstreflexivität verzichten:15 So sind für W. Härle Kinder »Produzenten von Theologie«16, insofern sie fähig sind, »Glaubensbilder und Metaphern zu produzieren und theologische

Einsichten zu formulieren.17 Diese vergleichsweise reduzierte Definition unterstreicht also das Denken und Hervorbringen in Verbindung mit Bildern und Sprache. Härle nennt darüber hinaus als spezifische Leistungen von Kindern die »Elementarität des Zugangs«, die »Leiblichkeit des Denkens«, die »Radikalität des Fragens« und die »Verfremdung des Vertrauten«,18 räumt jedoch ein, dass diese Kriterien nicht empirisch gewonnen sind. 1.4 Kindertheologie ist, was Kindertheologen dafür halten

Nachdem die genannten Merkmale nicht geeignet sind, den Begriff »Kindertheologie« unstrittig zu definieren, bietet es sich an, auf eine formale Betrachtung zurückzugreifen. Es ist unzweifelhaft, dass sich das junge Phänomen der »Kindertheolo10 Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern (wie Anm. 2), 84, die fast im Wortlaut Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie (wie Anm. 8), 10 aufnimmt. 11 Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern (wie Anm. 2), 83. 12 Vgl. Schweitzer, Was und wozu Kindertheologie (wie Anm. 8), 10. 13 Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern (wie Anm. 2), 91. 14 Hans-Bernhard Petermann, Wie können Kinder Theologen sein? Bemerkungen aus philosophischer Perspektive, in: Gerhard Büttner / Hartmut Rupp (Hg.), Theologisieren mit Kindern, Stuttgart 2002, 95–127, hier 107f. 15 Eine Mittelposition vertritt Bucher, Kindertheologie (wie Anm. 4), 27: Kinder gestalten zwar »theologische Deutungsmuster und Vorstellungen eigenständig«, dies aber »weniger begrifflich-abstrakt als vielmehr ikonisch und narrativ-mythisch«. 16 Härle, Was haben Kinder in der Theologie verloren? (wie Anm. 2), 22. 17 Ebd., 24. 18 Ebd., 24–26.

Fricke Über Kindertheologie an der Förderschule. Ein Beitrag aus grundsätzlicher und empirischer Sicht

gie« in der wertschätzenden Suche und Wahrnehmung von Kinderäußerungen durch Erwachsene konstituiert. Kindertheologie entsteht im Akt der Zuschreibung von außen. F. Kraft notiert in diesem Sinn: »In der ›Kindertheologie‹ geht es darum, die ›Religion des Kindes‹ sowie die Produktivität und Fähigkeit der Kinder zu theologischer Reflexion neu zu entdecken und zu würdigen.«19 Auch M. Zimmermann sieht diesen Zusammenhang, wenn sie Kindertheologie als »Tätigkeit« von Kindern und zugleich als »wissenschaftliche Wahrnehmung dieser Tätigkeit« bezeichnet.20 Somit schlage ich folgende Definition vor: Als Kindertheologie sind diejenigen Äußerungen kindlichen Nachdenkens zu Themenbereichen des christlichen Glaubens zu bezeichnen, die in einem formellen oder informellen21 Forschungsoder Lehr-Lern-Kontext von Erwachsenen mit einer entsprechenden Intention gesucht und angeregt, dokumentiert und gedeutet werden. Diese Definition leistet zweierlei: Die Leistungen der Kinder werden wahrgenommen und erfahren eine angemessene Würdigung. Zum anderen zeigt sie, dass heutige Kinder nicht auf wundersame Weise über neue Fähigkeiten verfügen, die frühere Kinder-Generationen nicht hatten, sondern dass sich (nur) die Herangehensweise der Erwachsenen gegenüber den Kindern verändert hat. 2. Kindertheologie in der Förderschule? 2.1 Dilemma

Kann es Nachdenken über den Glauben im Sinne der Kindertheologie an der Förderschule geben? H.-J. Röhrig hat in

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der Diskussion im Hinblick auf Schüler im Grundschul- und im Förderbereich darauf hingewiesen, dass der »Reflexionsbegriff« nicht »kognitiv« verengt werden, sondern »mehrdimensional ästhetisch« verstanden werden müsse, damit niemand ausgeschlossen werde.22 Röhrig wendet sich gegen den Gedanken, dass Schüler mit Lern- und anderen Behinderungen möglicherweise nicht als Akteure von Kindertheologie gelten könnten, weil sie nicht über die zur Kindertheologie als notwendig empfundenen kognitiven Möglichkeiten verfügen. Röhrig zufolge hätten jüngere Kinder und solche mit Förderbedarf »über kreative Zugänge […] die Möglichkeit, das Wahrgenommene und Erfahrene auszudrücken und auf einer zweiten Ebene zu ›reflektieren‹«.23 Kindertheologie ist somit »eine Theologie der breit reflektierten Kindergedanken und -gefühle, die verbal und nonverbal (eben auch ästhetisch) kommuniziert werden können.«24 Dieser Gedanke wird nach der Dokumentation des Unter19 Kraft, Friedhelm: »Wenn dein Kind dich morgen fragt …«. Der Kirchentag lädt ein zum »Theologisieren« (nicht nur) mit Kindern: in: Loccumer Pelikan 04/2004, 171–174, hier 172. Ähnlich Schweitzer, Was und wozu Kindertheologie (wie Anm. 8), 10. 20 Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern, (wie Anm. 2), 88. 21 Vgl. John Hull, Wie Kinder über Gott reden. Ein Ratgeber für Eltern und Erziehende, Gütersloh 1997. 22 Vgl. Hans-Jürgen Röhrig, Mädchen und Jungen als autonome Theologinnen und Theologen? Chancen und Grenzen einer »Kindertheologie«, in: Agnes Wuckelt u.a. (Hg.), »Und schuf dem Menschen ein Gegenüber …« – Im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Angewiesensein, Münster 2011, 54–71, hier: 57. 23 Vgl. ebd. 24 Ebd.

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Theoretische Grundlagen und empirische Einblicke

richtsprojekts in der Diskussion aufgegriffen werden. 2.2 Welt der Förderschule

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Gegebenheiten der Förderschule. Bundesweit haben (im Jahr 2004) 5,54 % aller Schüler diagnostizierten Förderbedarf, der Förderschwerpunkt »Lernen«, der für die unten beschriebene Unterrichtsdokumentation relevant ist, stellt mit 2,93 % (= 53 %) die größte Gruppe der Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf.25 Die – heute nicht mehr so bezeichnete – »Lernbehinderung« ist laut KMK (2004) bei Kindern und Jugendlichen gegeben, »die in ihrer Lernund Leistungsentwicklung so erheblichen Beeinträchtigungen unterliegen, dass sie auch mit zusätzlichen Lernhilfen der allgemeinen Schulen nicht ihren Möglichkeiten entsprechend gefördert werden können.«26 Kritisch wird in der Diskussion angemerkt, dass es sich bei »Lernbehinderung« nicht um einen »objektiven Tatbestand, sondern um ein askriptives Phänomen« handle.27 Der Begriff sei letztlich nicht inhaltlich gefüllt, sondern rein verwaltungstechnisch und stehe in Abhängigkeit zum deutschen gegliederten Schulsystem.28 Auch wenn man dieser Kritik nicht zur Gänze folgen will, liegt ein Problem sicher in dem Unspezifischen bzw. in der Multisymptomatik des Phänomens. So gibt die KMK folgende Auskunft: »Die pädagogische Ausgangslage von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen des Lernund Leistungsverhaltens, insbesondere des schu­lischen Lernens, stellt sich vielfach in Verbindung mit Beeinträchtigun-

gen der motorischen, sensorischen, kognitiven, sprachlichen sowie sozialen und emotionalen Fähigkeiten dar«.29 Wichtig ist zu beachten, dass die Bedingungen des Unterrichtens und Lernens an der Förderschule anders, aber nicht unvergleichbar mit denen an der Regelschule sind. M. Wiprächtiger-Geppert hat in ihrer Studie zum Literarischen Lernen gezeigt, wie Förderschüler zwischen 11- und 14 Jahren sich im Setting des »Literarischen Unterrichtsgesprächs« mit nachdenklichen, zuweilen skurrilen kurzen Erzähltexten (z.B. H. Höfle, Peter sammelt Zeit) oder Gedichten (z.B. G. Jatzek, Mein Monster), beschäftigen und diese für sich enträtseln.30 Sie untersucht etwa die Fähigkeit der Kinder, Text, Vorstellung und Sprache zu verbinden, Texte eigenständig zu interpretieren oder eine individuelle Verbindung zum Text aufzunehmen31 und kommt zu dem Schluss, dass die Förderschüler ihres Samples über die nötige

25 Vgl. Rudolf Kretschmann, Lernschwierigkeiten, Lernstörungen und Lernbehinderung, in: Jürgen Walter / Franz B. Wember (Hg.), Sonderpädagogik des Lernens, Göttingen u.a. 2007, 4–32, hier: 7. 26 Zit. n. Kretschmann ebd. 27 Ute Geiling / Georg Theunissen, Begriffsdiskussion, Erscheinungsformen, Prävalenz, in: Günther Opp / Georg Theunissen (Hg.), Handbuch schulische Sonderpädagogik, Bad Heilbrunn 2009, 339–343, hier: 343. 28 Vgl. ebd., 339. 29 Zit. n. Kretschmann, Lernschwierigkeiten (wie Anm. 25), 5. 30 Vgl. Maja Wiprächtiger-Geppert, Literarisches Lernen in der Förderschule. Eine qualitativ-empirische Studie zur literarischen Rezeptionskompetenz von Förderschülerinnen und -schülern in literarischen Unterrichtsgesprächen, Baltmannsweiler 2009. 31 Vgl. ebd., 236–247.259–264.

Fricke Über Kindertheologie an der Förderschule. Ein Beitrag aus grundsätzlicher und empirischer Sicht

Kompetenz verfügen, um in einen »Verstehensprozess mit einem anspruchsvollen (kinder-)literarischen Text« eintreten zu können.32 3. Nachdenken über »Alt-sein und alt-werden« 3.1 Das Feld

Es ist nicht selbstverständlich, dass sich Schüler einer Förderschule an einer Unterrichtsdokumentation beteiligen, bei dem es um das Theologisieren geht. Ein sonderpädagogisches Förderzentrum in Nordbayern mit dem Schwerpunktbereich Lernen, emotionale und soziale Entwicklung, Sprache hat dies möglich gemacht.33 Neun Schülerinnen und Schüler der 7. und 8. Klasse, Julia, Peter, Lars, Stefan, Aaron, Emil, Gero, Daniel und Nico34 hatten mit ihrer Lehrkraft35 im Rahmen der Lerneinheit »Diakonisches Lernen« über einen Zeitraum von sechs Wochen am Anfang des Jahres 2013 wöchentliche Begegnungen mit Bewohnern eines Altenheims der Diakonie für die Dauer von je 60 Minuten. Das Konzept des »Diakonischen Lernens« sieht vor, dass Schüler nicht nur im Klassenzimmer über Aktivitäten und Äußerungen der Diakonie informiert werden, sondern außerhalb des Klassenzimmers mit Bewohnern und Mitarbeitern diakonischer Einrichtungen eigene Erfahrungen machen, darunter auch die Erfahrung, helfen zu können.36 In diesem Fall kochten sie mit und für die Senioren, bedienten und unterstützten sie beim Essen, sangen Lieder (christliche und Volkslieder), machten Bewegungs- und Brettspiele und unterhielten sich mit den Senioren.

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Nach der Aktionsphase traten die Schüler in eine Reflexionsphase ein. Diese war für die vorliegende Dokumentation in einer Doppelstunde, in der ich selbst als dokumentierender Forscher im März 2013 anwesend war, und der folgenden Einzelstunde geplant. Im Oktober 2013 fand ein zweiter Besuch in der Klasse statt, bei dem die Schüler mit mir über ihre Bilder sprachen, die sie in der Einzelstunde gemalt hatten, in der ich nicht anwesend war. Ich verwende im Folgenden der Einfachheit halber den Begriff »Kindertheologie«, auch wenn es sich bereits um »Jugendliche« handelt. 3.2 Erstes Nachdenken über das »Alt-sein«

In einem Tagebucheintrag sollen die Schüler als Vorbereitung auf die Doppelstunde vier Sätze zum Thema »Das denke ich über das Älterwerden« notieren. Die Schüler schreiben:37 Nico: Wenn man alt wird, ist alles langweilig. Dann kann man sich nicht mehr so gut bewegen, hat man keine Freunde mehr. Man hat keine Lust mehr. Aaron: Man wird schwächer. Man wird abhängig. Man hat keine Lust mehr auf anstrengende Sachen. Man wird reifer. 32 Ebd., 277. 33 Aufgrund datenschutzrechtlicher Aspekte können keine genaueren Angaben gemacht werden. 34 Namen der Schüler/innen wurden verändert. 35 Name der Lehrkraft wird aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht genannt. 36 Vgl. dazu Michael Fricke, Diakonisches Lernen an der öffentlichen Schule, in: Quatember 76. Jg. (2012), 160–166. 37 Die Orthografie der Schülertexte wurde korrigiert.

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Peter: Dass ich immer älter werde. Dass ich bald sterb’. Das ist schön, älter zu werden. Das Leben zu leben, egal wie alt man ist. Lars: Dann sehe [ich] nicht mehr so schön aus wie früher. Dann verändert sich das Leben. Du kriegst Falten im Gesicht. Deine Hände verändern sich. Stefan: Alles wird langweilig. Man wird volljährig. Das Leben wird leer. Man darf Autofahren. Julia: Über eine Familie. Über ein schönes Haus mit Haustieren. Über einen schönen Beruf. Und dass man viel lacht und Freude hat jeden Tag. Und das man Geld hat. Emil: Eine gute Arbeit haben. Eine Familie haben. Liebe Freunde haben. Und eine Freundin haben. Gero: Verantwortung übernehmen, selbstständig werden, für sich selber sorgen, Arbeit.

Alle (anwesenden) Schüler bewältigen die Aufgabe. Inhaltlich lassen sich zwei Ebenen feststellen: Das »Älterwerden« wird zum einen auf das Erwachsenwerden gegenüber dem Kindsein und zum anderen auf das hohe Alter bezogen. Das Erwachsenwerden bzw. -sein wird überwiegend positiv gesehen: Man kann für sich selbst sorgen, ist selbstständig, genießt die Volljährigkeit, darf Autofahren, kann Verantwortung übernehmen und ein eigenes Leben mit Familie, Freunden bzw. Freundin haben. Man hat ein Haus (mit Haustieren), Beruf und Geld. Das hohe Alter dagegen bringt physische Veränderungen mit sich – etwa Verlust von Schönheit, Falten, Hände verändern sich (Verlust von Tatkraft?), schlechtere Bewegungsmöglichkeiten, Schwachheit, Todesnähe – aber auch psychisch-emotionale Veränderungen wie das Gefühl der Leere und Lustlosigkeit und soziale Ver-

änderungen wie Isolation und Abhängigkeit. All das wird überwiegend negativ beschrieben. Daneben gibt es auch die positive Aussage, dass man reifer wird und es schön ist, älter zu werden. Damit wird das Motto verbunden »das Leben zu leben, egal wie alt man ist«. Die Schüler zeigen, dass sie die alten Menschen während der vorangegangenen Wochen genau beobachtet haben und deren Leben auf verschiedenen Ebenen beschreiben und deuten. Motive, die mit Inhalten oder Vollzügen christlichen Glaubens zu tun haben, tauchen in dieser freien Reflexion nicht auf. 3.3 Nachdenken im gemeinsamen Gespräch

Die zu dokumentierende Doppelstunde sollte einerseits die intensive Reflexion befördern und auswertbare Daten hervorbringen, andererseits aber auch dem Anspruch eines abwechslungsreichen Unterrichts genügen und die Schüler als lernende Personen ernstnehmen und respektieren. Inhaltlich sollte das Phänomen des Alt-werdens und Alt-seins von verschiedenen Seiten her beleuchtet werden. Die Stunde bestand aus fünf Schritten: 1. In einer Anfangsrunde stellen sich alle Beteiligten vor. Dies wird mit der Aufgabe verbunden, sich eines der in der Kreismitte liegenden Blätter unterschiedlicher Bäume zu nehmen und beschreiben. Die Baum-Metapher wird in den nächsten Schritten weitere Bedeutung erhalten. 2. Nun folgt eine Phantasiereise, die an die realen Begegnungen im Altenheim anknüpft und im Malen und im Gespräch verarbeitet wird. 3. Die Schüler hören die

Fricke Über Kindertheologie an der Förderschule. Ein Beitrag aus grundsätzlicher und empirischer Sicht

Geschichte vom »Baum der sich nicht lumpen ließ« und tauschen sich anschließend darüber aus. 4. Anhand von Fotos alter Menschen aus dem Altenheim versetzen sie sich in die Situation der Alten und teilen ihre Ideen im Gespräch mit. 5. Die Schüler denken über das Alt-sein mit Hilfe von ausliegenden Symbolen nach. Geplant war, dass sie abschließend über das Alt-sein im Hinblick auf ihre eigenen Hoffnungen und Befürchtungen nachdenken und dabei auch die christliche Frage nach dem »Ende« und dem »Danach« einbeziehen. Dies ließ sich jedoch in der Doppelstunde nicht mehr realisieren. In einer Stunde nach den Osterferien wurde dies nachgeholt und durch die Aufgabe ergänzt, das Thema »So fühle ich mich beim Helfen« zeichnerisch umzusetzen. 3.4 Begegnungen in der Phantasie

Durch eine Phantasiereise imaginieren die Schüler einen Gang ins Altenheim und die Begegnung mit einem Menschen, dem sie etwas erzählen und der ihnen zuhört, der ihnen ein gutes Wort mit auf den Weg gibt. Danach sollen sie etwas von dem Eindruck der Begegnung zeichnerisch festhalten. Alle Schüler bringen etwas aufs Papier. Die Bilder zeigen Motive, in denen Begegnungen zwischen Jung und Alt erfolgen (Häuser, Räume, Gärten). Die Erklärungen der Jugendlichen zu den Bildern sind meist sehr kurz. Zwei Schüler, Stefan und Aaron, explizieren, dass sie sich auf die Begegnung mit den Senioren und diese sich ebenfalls über die Besuche freuten.

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3.5 Gespräch über ein Kinderbuch – The Giving Tree

Die Schüler hören und sehen die Geschichte vom »Baum, der sich nicht lumpen ließ«, ein Kinderbuch von S. Silverstein, das im Original »The Giving Tree« heißt.38 Es erzählt, wie ein Baum einem kleinen Jungen bis ins Greisenalter hinein Geborgenheit und Freundschaft schenkt, ihn begleitet und mit allem versorgt, was er zu geben hat (Äpfel, Äste, Stamm). Das anschließende Gespräch dauert ca. 4 Minuten. L: Kannst du vielleicht kurz sagen, was dir durch den Kopf gegangen ist, als du die Geschichte gehört hast? Julia: Der Baum wollte ihm immer helfen, helfen. Nico: Und irgendwann konnte er nicht mehr helfen. Peter: Was mir aufgefallen ist, der Junge ist nur zum Baum gegangen, wenn er was brauchte. Sonst ist er gar nicht hingegangen. Julia: Doch, zum Spielen. Stefan: Ich fand, dass der Baum ihm immer helfen wollte, wenn er irgendwas brauchte, und, ja. L: War das jetzt eine lustige Geschichte, eine fröhliche, viele haben ja zwischen drin mal gelacht. Stefan: Es war eher eine traurige Geschichte für den Baum, weil er jetzt nur noch so mickrig ist. Julia: Was so lustig war … Äpfel [unverständlich] L: Was war denn das Erstaunlichste vielleicht für dich an der Geschichte? Gero: Der Junge hat viel vom Baum verlangt und der Baum hat ihm alles gegeben, und war trotzdem glücklich. 38 Shel Silverstein, Der Baum, der sich nicht lumpen ließ. Deutsche Nachdichtung von Harry Rowohlt, Zürich 2010.

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L: Und war trotzdem glücklich, oder? Gero: Der Baum. Peter: Ich frag mich gerade, ein Baum kann doch gar nicht sprechen. Julia: Des wollt ich auch sagen. […] L: Ich hab mir jetzt vorgestellt, dieser Baum ist wie ein Mensch. Ein Mensch, der auch ganz viel gegeben hat. Und da sind mir die ganzen vielen Menschen eingefallen, denen wir begegnet sind im Altersheim. Ich hab mir vorgestellt, wenn jeder von denen so ein Baum war. Und jetzt sind sie nur noch so der Stamm, weil jetzt haben sie nicht mehr so diese Blüte und diese Energie gehabt. Aber sie sind noch da. Manche wirken wirklich wie so ein Stamm, wenn man sie so sieht, wenn sie an den Tischen lehnen und sich gar nicht mehr bewegen, dann hat man wirklich das Gefühl, die sind nur noch starr und unbeweglich. Verschiedene: Mhmh [zustimmend].

Die Schülergruppe erfasst den Hauptgedanken des Buches: Der Baum schenkt sich her, weil er den kleinen Jungen glücklich machen will. Die Schüler wundern sich darüber. Es erscheint ihnen als ein Ausnutzen bzw. sich ausnutzen Lassen. Sie erkennen, dass der Baum glücklich ist, auch wenn er sich selbst bis zum Verschwinden herschenkt. Sie sehen, dass im kleinen Jungen auch Zufriedenheit aufkommt, als er am Ende beim Baum bleibt. Die Traurigkeit, die dem Buch innewohnt, erfasst die Gruppe ebenfalls. In der Gruppe wird thematisiert, dass ein Baum nicht sprechen kann. Die von der Lehrkraft geäußerte Idee, dass man sich als Mensch, wie es der Baum im Buch getan hat, im Laufe seines Lebens »hergeben« kann, ruft Zustimmung, aber keine weiteren Wortmeldungen hervor.

3.6 Wie geht es Alten?

Die Schüler erhalten die Fotos von den Senioren, die sie im Heim besuchten, und Arbeitsblätter mit dem Auftrag »Versetze dich hinein. Was empfindet er / sie? (drei Ich-Sätze aufschreiben)«. Als Hilfe werden folgende Stichwörter vorgegeben: Aussehen, Beweglichkeit, Gesundheit, Beruf und Arbeit, Familie und Freunde, Erinnerungen, Erfolge, Glauben, Lebensfreude und Zukunftspläne. Hier zwei exemplarische Antworten. Julia: Ich denke, dass sie wieder sehen will. Ich denke, dass sie zum Friseur gerne will. Ich denke, dass sie wieder jung sein will. Ich denke, dass sie mal jemanden kennenlernen will, der ihre Enkelin A.F. kennt. [Ln erklärt dazu: Sie hat uns immer gefragt, ob wir ihre Enkelin kennen, jedes Mal, wenn wir da waren, das war ihr ganz wichtig und niemand kannte sie, sie wohnt auch in X., aber in einem anderen Stadtteil.] Emil: Ich sehe nichts. Ich bin schon alt, meine Gesundheit ist mir wichtig. Meine Familie und meine Freunde sind mehr wichtig. Ich würde mich freuen, dass ich wieder sehen könnte. Mein Glaube ist, dass ich noch nicht sterbe. Meine Zukunftspläne sind noch lange zu leben und noch viele schöne Geburtstage zu verbringen.

Es fällt der Gruppe schwer, ohne Hilfestellung der Lehrkraft Formulierungen aus der Ich-Perspektive vorzunehmen. Die Schwierigkeiten mögen Ursachen im kognitiven Bereich haben, können aber auch Ausdruck der Distanz zu den Alten und deren Situation sein. Inhaltlich bestätigen sich die Merkmale von Alt-sein, wie sie in der Vorreflexion (3.2) genannt wurden. Alt-sein bedeutet Begrenztheit und Minderung der Lebensqualität. Da-

Fricke Über Kindertheologie an der Förderschule. Ein Beitrag aus grundsätzlicher und empirischer Sicht

neben tauchen aber auch Differenzierungen auf, die sich im Zusammenspiel von Erfahrung und Imagination ergeben. So wird bei Julia der alte Mensch in seinen Bedürfnissen wahrgenommen. Zum einen rückt die personale Würde der Alten ins Blickfeld (Besuch beim Friseur), zum anderen die Sozialität (Beziehung zu den Enkeln). In einem kurzen Gespräch über eine andere Bewohnerin tragen Schüler Aspekte zusammen, die sie aus den Besuchen erfahren haben und Anhaltspunkte dafür sind, dass ein alter Mensch auch über Lebensfreude verfügt (sich auf den Geburtstag freuen, Eis essen, singen, lachen). In Hinblick auf diesen Abschnitt lässt sich sagen, dass die Erfahrung im Altenheim die Wahrnehmung verändert und diese das Konzept über das Alt-sein. Das Thema »Glaube des alten Menschen« wird durch das entsprechende Stichwort auf dem Arbeitsblatt angeregt. Zwei Schüler nehmen es auf. Peter verweist nur unbestimmt darauf, dass er denkt, »sie hatte einen guten Glauben«, ohne das weiter zu explizieren. Emil sagt: »Mein Glaube ist, dass ich noch nicht sterbe.«. Hier ist der Inhalt des Glaubens die Hoffnung, noch am Leben bleiben zu können. Ob Gott, Schicksal, Zufall oder Krankheit über den Todeszeitpunkt entscheidet, bleibt ungesagt.

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gelegt: ein Oldtimer, Pfennig, Porzellan, altes Buch, heruntergebrannte Kerze, Schreibmaschine, altes Handy, Hausschuhe. Die Gesprächsdauer beträgt fünf Minuten. Die alten Gegenstände lösen bei den Schülern eine doppelte Reaktion aus. Zum einen verstehen die Schüler sie als Metapher für Altwerden und Sterben (abgebrannte Kerze), zum anderen als Hinweis auf eine frühere Zeit, in der die Alten das Leben bewältigen mussten (Schreibmaschine). Das Gespräch ist insgesamt verhalten. Zwei Schüler, Stefan und Daniel, übergehen den Impuls, Vergleiche anzustellen. Sie äußern sich direkt zum Alt-sein. Stefan: Ich habe eigentlich immer gedacht, dass Alt-sein überhaupt kein Spaß macht, dass man einfach älter wird und immer alles langweiliger wird. Mehrere: kichern, lachen. MF: Ok, und was denkst du jetzt? Stefan: Eigentlich bin ich fasziniert, was die in ihrem Alter noch alles schaffen, z.B. mit Kochen und alles noch, dass die des alles noch im Kopf haben, wie man des kocht und so.

Der Schüler macht deutlich, dass durch die Begegnung mit den Alten eine Veränderung in seiner Einschätzung eingetreten ist. Alt-sein wirkt auf ihn nicht mehr nur langweilig, sondern er blickt bewundernd auf die Alten und ihre Fähigkeiten.

3.7 »Alt-sein ist wie …«

Als letzter Schritt der Doppelstunde ist eine Reflexion über das Alt-sein geplant. Dazu sollen die Schüler ausgehend von Gegenständen einen Vergleich anstellen. Die Lehrerin legt diese aus, Schüler kommentieren: Große Kiste, Gegenstände werden um das goldene Tuch herum

3.8 So fühle ich mich beim Helfen

Die Stunde nach der Dokumentationsstunde beginnt mit einem Rückblick auf die Begegnungen im Altenheim unter dem Motto »So fühle ich mich beim Helfen« Die Schüler malen mit Pinsel

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und Wasserfarbe im Format DIN A3. Im Vergleich zu den Bildern der Phantasiereise aus der vorigen Stunde fallen Veränderungen auf. Die Bilder enthalten mehr Farben, freiere und kühnere Formen. Wiederkehrende Motive auf den Bildern sind strahlende Sonnen, Herzen und Blüten, daneben bunte Balken und Muster. Hier werden zwei Bilder vorgestellt und mit Kommentierungen durch die Schüler ergänzt, die aus dem Dokumentationsgespräch vom Oktober 2013 stammen.

Gero: Ich würde es eher sehen als Vergleich also dass die Sonne ein Herz ist, ein Lebensspender, denn ohne Wärme gäbe es kein Leben. Daniel: Der oder die wollte helfen, Leuten, die krank sind, denen Liebe und Sonne schenken. MF: Kannst du sagen, wie dein Bild entstanden ist? Julia: Ich habe das Bild gemalt, weil daran gedacht habe, was ich alles mit den alten Leuten unternommen habe, ja, und das hat mir Spaß gemacht.

Julias Bild besteht aus zwei Strahlenfiguren, links oben eine gelbe Sonne mit Strahlen, rechts unten ein tiefrotes Herz mit orangefarbenen Strahlen, ansonsten ist das Blatt weiß. Die Strahlen wechseln sich bei beiden Elementen in kurzen und langen Strichen ab. Sonne und Herz stehen je für sich, ohne Bezug zu einander, bis auf einen Strahl, der vom Herz ausgeht und einen Strahl, der von der Sonne ausgeht, fast berührt. Beide liegen auf einer gedachten Linie. Das Bild wirkt auf den Betrachter fröhlich. Beim Gespräch über das Bild kommentieren die Schüler:

Daniels Bild zeigt eine Wiese mit drei sehr kleinen, blühenden Blumen in zarten Farben mit Stängel und Blättern. Darüber schweben Sterne oder Blüten, nur eine berührt das Gras durch einen violetten Stängel. Die schwebenden Sterne / Blüten sind viel größer als die verwurzelten Blumen auf der Wiese. Für den Betrachter baut sich ein Gegensatz auf durch den Eindruck der kleinen Blumen, die in der Erde verwurzelt sind, und die Sterne / Blüten, die sich frei bewegen können.

Jochen [neuer Schüler]: Ich sehe ein Herz mit vielen Strahlen und eine Sonne. Dass derjenige vielleicht von Herzen helfen will. Nico: Das [Herz] strahlt Liebe aus.

Ein halbes Jahr später äußern sich die Schüler auch zu Daniels Bild. Julia: Das sind Sterne drauf, acht. Maria [neue Schülerin]: ich würde sagen, das ist so Feuerwerk. Luan: Sieht aus wie ein japanisches Zeichen.

Fricke Über Kindertheologie an der Förderschule. Ein Beitrag aus grundsätzlicher und empirischer Sicht

Jochen [neuer Schüler]: Da sind auch Blumen, vielleicht draußen, im Park irgendwo. L.: Ich sehe da oben Himmelssterne und da unten Blumen. Die kleinen Blumen spiegeln das so wider, sind wie so ein Abbild von diesen großen Sternen, die man am Himmel sieht. Das eine ist auf der Erde, das andere im Himmel. MF: Was hast du dir bei deinem Bild gedacht? Daniel: Dass die alten Leute rausgeschoben werden, und dass das halt ein Feuerwerk für die ist. […] L.: Das Thema hieß »so fühle ich mich beim Helfen«. Was hat das mit dir zu tun, dieses Feuerwerk? Daniel: Dass wir das angezündet haben für die Alten. L.: Also dass, das, was wir getan haben, wie ein Feuerwerk war für die Alten? Daniel: Ja. MF: Was ihr gemacht habt, war wie ein Feuerwerk? L: Hat ein bisschen Lebendigkeit reingebracht, was Neues. Daniel: Ja.

Insgesamt sind die Bilder intensive Ausdrücke für die im Altenheim gewonnen Eindrücke. Die Schüler haben eine Beziehung zu ihren Erfahrungen und Gefühlen aufgebaut, die sie kommunizieren können. Die in den Bildern vermittelten Gefühle wie Freude, Stolz, Zufriedenheit werden verbal durch die Schülergespräche bestätigt.

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tern. Die am häufigsten übernommene Vorgabe (5 von 7) ist: »Wenn ich alt bin, erwarte ich nichts mehr«. Zweimal wurde gewählt »Wenn ich alt bin, muss ich nicht mehr schwer arbeiten« und je einmal »Wenn ich alt bin und sterbe, werde ich wieder zu Erde« und »Wenn ich alt bin, kann ich Dinge tun, zu denen ich nie Zeit hatte«. Es gab acht weitere Sätze, die nicht ausgewählt wurden: »Wenn ich alt bin, habe ich viel Zeit für mich … habe ich Zeit für meine Enkelkinder … fürchte ich mich vor dem Tod … bin ich schon näher bei Gott … habe ich die Hoffnung auf ein neues Leben bei Gott … habe ich die Hoffnung bei Gott bald meinen Frieden zu finden … habe ich die Hoffnung mich bald bei Gott ausruhen zu dürfen … habe ich die Hoffnung bald zu Gott nach Hause zu kommen.« Es überwiegen die negativen Eindrücke vom Alt-sein (vgl. 3.2 und 3.7). Langeweile, Freudlosigkeit, Immobilität und Inaktivität sind die prägenden Merkmale, mit den Worten von Peter: »Weil ich bald sterbe und ich kann nichts machen. Ich kann nichts mehr machen.« Daneben gibt es wenige positive Aspekte, wie Zeit zu haben, nicht mehr schwer arbeiten zu müssen. Obwohl von 14 Sätzen fünf mit explizitem Bezug auf Gott formuliert waren, tauchen Inhalte oder Vollzug von Glauben bei keiner Antwort auf. 4. Diskussion

3.9 »Wenn ich alt bin …«

Abschließend sollte das eigene Altwerden imaginiert werden. Dazu erhalten die Schüler Textstreifen zur Lektüre und Auswahl; sie sollen den ausgewählten Satz fortschreiben und Wahl erläu-

Blicken wir zunächst auf die im Verlauf des Unterrichts entstandenen und hier dokumentierten Schüleräußerungen. (1) Die Quellen sind schriftlicher, mündlicher und zeichnerischer Art. Beim Vergegenwärtigen der schriftlichen

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und mündlichen Äußerungen entsteht der Eindruck einer gewissen Sprödigkeit. Die Gespräche sind kurz, beinahe nur Wortwechsel. Auf den beschriebenen Arbeitsblättern werden die Impulse kaum aufgenommen und eigenständig weitergeführt. Dagegen überwiegt bei den gemalten Bildern, besonders bei der Serie »So fühle ich mich beim Helfen« der Eindruck einer intensiven und persönlichen Auseinandersetzung. (2) Das Thema »Alt sein und alt werden« bleibt den Schülern fern, obwohl sie durch die wiederholten Begegnungen im Altenheim auf konkrete Erfahrungen zurückgreifen können. Hier scheint eine grundsätzliche Schwierigkeit des Themas zu liegen: Alt sein ist eine Erfahrung, über die Schüler noch nicht verfügen. Fremd scheint auch die Idee zu sein, dass alte Menschen deswegen in einem besonderen Licht erscheinen, weil sie ihr Leben lang etwas von sich hergegeben haben (siehe Buch »Giving Tree« 3.5). (3) Inhaltlich wird »Alt-sein« überwiegend als Zustand der Begrenzung und des Niedergangs beschrieben. Auf diesem Hintergrund sind einige Schülereinsichten hervorzuheben, in denen zum Ausdruck kommt, dass sich die Sicht auf Alt-sein und alte Menschen zumindest temporär verändert hat. Dieser Erkenntnisprozess ist im Modell des »Diakonischen Lernens« angestrebt und lässt sich auch in anderen Schulformen und Altersstufen nachweisen.39 (4) Auch wenn an mehreren Stellen zum Nachdenken über den Transzendenzbezug angeregt wurde, fand dies keine Resonanz bei den Schülern. Das Thema »Gott« bzw. der »Glaube« spielt keine Rolle. Im (selbst-)kritischen Rückblick auf

das Lernarrangement lässt sich jedoch sagen, dass diese Perspektive mehr ins Zentrum hätte gerückt werden können. (5) Von zentraler Bedeutung und Aussagekraft ist die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema »So fühle ich mich beim Helfen«. Der thematische Fokus ist attraktiv, weil er auf die vergangenen Tätigkeiten abzielt. Die Schüler erleben sich als aktiv und können selbstbestimmt und individuell den Weg der Gestaltung beschreiten. Die Bilder zeugen von einer lebendigen und intensiven Auseinandersetzung. Die eigene Rolle, Freude ins Altenheim zu bringen, wird als positiv empfunden. Was ergibt sich aus der Dokumentation für die Diskussion zur Kinder- und Jugendtheologie?

Das Dilemma liegt auf der Hand. Kinder- und Jugendtheologie ist, wie jede Theologie, unvermeidlich an Sprache gebunden.40 Unzweifelhaft sind in der Förderschule die Möglichkeiten und Routinen der Schüler im Hinblick auf verbalen Ausdruck andere als an der Regelschule. Inwiefern ist es also sinnvoll, an der Förderschule Kinder- und Jugendtheologie entdecken zu wollen? Wir haben Kindertheologie definiert als eine 39 Vgl. bei Fricke, Diakonisches Lernen (wie Anm. 36), 165, die Aussage eines Gymnasiasten der 12. Klasse nach Begegnungen im Altenheim: »Was sich bei mir verändert hat, die Sicht auf andere alte Menschen, […] wenn man sich selber mal mit Leuten beschäftigt hat, hat man einfach gemerkt, dass da mehr dahinter ist […].« 40 Vgl. Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern (wie Anm. 2), 86.

Fricke Über Kindertheologie an der Förderschule. Ein Beitrag aus grundsätzlicher und empirischer Sicht

von Erwachsenen geleistete Suche nach und Deutung von Äußerungen kindlichen Nachdenkens zu Themenbereichen des christlichen Glaubens. Wenn man Kindertheologie auf gesprochene bzw. geschriebene Gedanken beschränkt, könnte man angesichts der dokumentierten, zurückhaltenden Gespräche zur Folgerung gelangen, dass sie unter Schülern mit Lernbehinderungen kaum existiert. Allerdings ist das Thema »Alt-sein und Alt-werden« nicht nur für Jugendliche, sondern für jeden Menschen, der sich nicht selbst am Lebensabend befindet, fremd und schwer zugänglich. Mit anderen Worten: Von den gewonnenen Dokumenten lässt sich in diesem Fall keine weitergehende Folgerung begründen. Diese Schülergruppe hat jedoch die Bedeutung von Bildern für die Suche nach Kindertheologie unterstrichen. Es ist im Allgemeinen, wie auch im besonderen Fall der Förderschule aus drei Gründen angemessen, Äußerungen hinzuzuziehen, die durch Medien jenseits des Worts kommuniziert werden. Zum einen, weil Theologie auch in Bildern kommuniziert und anhand von Bildern analysiert werden kann, wie die Geschichte der christlichen Kunst und der Ikonen zeigt. Zum anderen teilen gerade Kinder sich und ihre Gedanken über das Medium Bild in besonderer Weise mit.41 Zum dritten ist das theologisch-anthropologische Argument anzuführen: Wenn Schüler mit Lernbehinderungen wie alle Schüler »Subjekte von Glauben« sind, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass sie nicht auch »Produzenten von Theologie« sein könnten, zumal hier das kreative Moment des Nachdenkens eine wichtige Rolle spielt, das auch über Bildern vermittelt wird.

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Wenn man der Auffassung ist, dass sich Förderschüler nicht im selben Maß auf der Ebene des mündlichen und schriftlichen Gesprächs bewegen, sie aber aus der Kindertheologie nicht exkludieren möchte, bleibt nur Lösung, das »Nachdenken« über Themen des Glaubens weiter zu fassen. In diesem Sinn ist die These Röhrigs zu bejahen, dass Nachdenklichkeit in vielfältigen Formen eingefangen und dokumentiert werden muss. Zum Nachdenken ist jeder befähigt, entscheidend ist, welche Mittel zur Stimulation und Dokumentation eingesetzt werden. Die oben entwickelte Definition von Kindertheologie als Wahrnehmung kindlichen Nachdenkens über Glaubensthemen erlaubt, einen breiten Kreis von Akteuren und Wegen einzuschließen. Kindertheologie ist nicht l’art pour l’art. Als Forscher erfahren wir durch unsere Untersuchungen viel von Schülern. Dabei handelt es sich nicht um »für immer« feststehende Erkenntnisse, sondern um punktuelle, kontextbedingte und kontingente Einsichten. Sie haben keinen (besonderen) Wert in sich, sondern dienen einer größeren Aufgabe. Kindertheologie ist letztlich ein Ansatz, dem religiösen Lernen der Schüler zu dienen. Dies zeigt sich bereits durch die bekannte Auffassung von Kindertheologie in den drei Spielarten »von«, »mit« und »für Kinder«.42 Im dokumentierten Projekt waren diese alle vertreten, inso41 Vgl. Daniel Widlöcher, Was eine Kinderzeichnung verrät. Methode und Beispiele psychoanalytischer Deutung, Frankfurt a.M. 1993. 42 Vgl. Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie (wie Anm. 8), 11–14; Michael Fricke, Von Gott reden im Religionsunterricht, Göttingen 2007, 181–194.

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fern man die eigene Hilfstätigkeit und die Grenzen menschlichen Daseins als Gegenstandsbereiche der Theologie ansieht. Es gab Phasen der Theologie von Kindern (Tagebuch zum Alt-sein, Bilder zur Phantasiereise, Bilder »So fühle ich mich beim Helfen«), mit Kindern (Vergleich mit alten Gegenständen, sich hineinversetzen in den alten Menschen) und für Kinder (Geschichte vom Baum der sich nicht lumpen ließ, Lehrererklärungen).

Durch diesen dreifachen Weg der Kindertheologie sollen die Schüler aktiviert, ihr Zutrauen zu den eigenen Fähigkeiten gefördert, ihr Interesse und ihre Lust an der Beschäftigung mit religiösen Themen geweckt und verstetigt werden. Insofern ist Kindertheologie kein neues Ziel im Religionsunterricht, sondern ein Weg, bisherige Ziele besser umzusetzen.

Bravená Theologisieren mit religionsfernen Kindern zum Thema Engel

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Noemi Bravená Theologisieren mit religionsfernen Kindern zum Thema Engel

Die christliche Religion prägt die Geschichte und Kultur des tschechischen Volkes. Die Menschen bringen daher ein Vorverständnis auch ohne eine explizite Bildung über den christlichen Glauben und seinen Symbolen mit. Begegnungen mit christlicher Religion erfolgen implizit in Familie, Schule und Öffentlichkeit. Im Folgenden wird das Konzept Theologisieren mit Kindern im Kontext einer atheistischen Gesellschaft diskutiert. Es wird eine Antwort auf die Frage versucht, inwieweit Theologisieren mit religionsfernen Kindern erfolgen kann. 1. Kindheit im Kontext der tschechischen Gesellschaft

Inwiefern kann im Kontext der tschechischen Gesellschaft von religionsfernen Kindern gesprochen werden? Wir gehen davon aus, dass das Kind nicht in einem Vakuum lebt, sondern dass es durch die Familie und den politisch-kulturellen Kontext geformt wird. Vor der samtenen Revolution (bis zum Jahre 1989) finden wir in der Tschechoslowakei vor allem zwei Auffassungen von Kindheit, die jeweils in den weltanschaulichen Bezügen christlich oder atheistisch begründet waren. Die Wende brachte eine Verschiebung der weltanschaulichen Gesamtlage. Darum ist es nötig eine aktuelle postmoderne Typolo-

gie des Verständnisses von tschechischer Kindheit vorzustellen. 1.1 Religiöse Kindheit

Unter diesem Begriff verstehe ich die Kindheit, die von religiösen Bezügen in der Familie oder Religionsunterricht geprägt wurde. Zu unterscheiden sind Erziehungsstile, die Kinder in ein christliches Weltbild hineinführen im Sinne von Exklusivität und Abgrenzung bzw. von Stilen, in denen Orientierung mit Offenheit für andere Weltbilder einhergehen. Vor der samtenen Revolution in der Tschechoslowakei war christliche Erziehung oft durch starke doktrinäre Elemente gekennzeichnet. Pubertät lässt sich als »brave« Pubertät beschreiben mit der Folge, dass im Jugendalter vielfach religiöse Normen überschritten wurden, um gerade das auszuprobieren, was verboten war. Heutzutage praktizieren christliche Eltern eine mehr offene christliche Erziehung, doch exklusive Erziehungsformen finden wir weiterhin. 1.2 Säkularisierte Kindheit

Der Begriff säkular wird in der tschechischen Gesellschaft vor allem von Christen als Gegenbegriff zu religiös wahr-

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Pädagogische Anregungen

genommen. Die Eltern dieses Typs von Kindheit sind atheistisch im Sinne der marxistischen Ideologie erzogen worden. Allerdings sind die heutigen jungen Eltern nach der Wende geboren. Sie erlebten säkularisierte Tendenzen schon als ein milderes Residuum der Vergangenheit. Die säkularisierte Kindheit verliert dadurch ihren antireligiösen Charakter. Die tschechische Gesellschaft ist mehrheitlich nicht mehr antireligiös eingestellt. Der Begriff säkular erhält heute eine andere Bedeutung. Es geht weniger um eine antireligiöse Haltung, sondern vielmehr um eine Haltung des Desinteresses und der Gleichgültigkeit gegenüber gelebter und institutionalisierter Religion. 1.3 Dechristianisierte Kindheit

Mit dem Begriff dechristianisierte Kindheit kennzeichne ich eine christentumsferne Kindheit. Grundlegend ist eine ambivalenten Wahrnehmung: Obwohl die heutige tschechische Gesellschaft von der christliche Tradition und Kultur geformt ist – ein Beispiel ist die Wertschätzung christlichen Kunst –, wird das Christentum nicht als gelebte Religion, sondern als Resultat der allgemeinen Humanität des Menschen, seiner Macht und seiner ethischen Handlungen wahrgenommen. Die ambivalente Haltung der Eltern dem christlichen Glauben gegenüber liegt begründet in einer prinzipiellen Kritik an der Kirche als Institution. Die Kirche wird für Fehler haftbar gemacht und es fehlen mehrere überzeugende Persönlichkeiten, die sich zum Christentum bekennen.

1.4 Spirituelle Kindheit

Spiritualität ist ein moderner Begriff und die tschechische Gesellschaft würdigt ihn positiv. Solche Kindheit kennt Erfahrungen, die mit einem Gefühl von Verbundenheit zum Mitmenschen, Natur, Kosmos zusammenhängen. Spirituelle Kindheit ist offene und wahrnehmende Kindheit auf der Grundlage von individuellen Erfahrungen. Spiritualität ist prinzipiell persönlich, sie kann ganz verschiedene Intensitäten, Impulse, Erlebnisse und Erfahrungen in sich schließen. 1.5 Religiösbewusste Kindheit

Diesem Typ von Kindheit begegne ich in meinen Forschungsvorhaben. Ich meine damit die Kinder, die aus Familien kommen, die sich nicht zu einer Religion bekennen. Diese Kinder wissen, dass sie Religion im Alltag begegnen können. Das religiösbewusste bzw. christentumsbewusste Kind praktiziert zwar keine Religion, doch es verfügt über Wissensbestände über die christliche Religion. 1.6 Religionsferne Kindheit

Zu fragen bleibt, ob im Blick auf die tschechische Gesellschaft überhaupt von einer religionsfernen Kindheit gesprochen werden kann. Die Tschechen wurden sehr stark durch die christliche Kultur geprägt und vor 63 Jahre haben sich fast 90 Prozent der Bevölkerung zum Christentum bekannt (mehr als acht Millionen). Die Statistiken weisen

Bravená Theologisieren mit religionsfernen Kindern zum Thema Engel

heute nur 15 Prozent Gläubige aus, die einer Religionsgemeinschaft angehören.1 Allerdings wird damit nicht eine innere Haltung erfasst. Religionsferne Kindheit heißt Kindheit in Distanz zu gelebter Religion mit der Folge, dass Religion nur in begrenzen Ausschnitten wahrgenommen wird. 2. Zur Auswahl des Themas für ein theologisches Gespräch

Im Vergleich zu den klassischen Unterrichtsfächern sehen tschechische Eltern beim Religionsunterricht in besonderer Weise auf die Inhalte des Faches. Darum hat das theologische Gespräch mit religionsfernen Kindern die Aufgabe, mit den Eltern als Mit-Gestalter des Themas und des Unterrichtsverlaufs zu rechnen. Denn die religionsfernen Kinder sind von diesen Eltern und ihren Zugängen zu Religion geprägt. Das didaktische Dreieck (Lehrer, Lernstoff, Lernen) muss in diesem Sinne mit einem weiteren Bezugspunkt ergänzt werden, der beim Theologisieren berücksichtigt werden soll: Der Erwachsene als der Mit-Lernende, den Lernstoff und die Methoden Mit-Beeinflussende. Dieser Bezugspunkt spielte auch eine wichtige Rolle bei der Wahl des Themas für das theologische Gespräch. Es wird ein Lehrstoff gesucht, der primär als Teil der Erbe der Kultur und nicht als Lehrstoff der Kirche angesehen wird. Märchen sind sehr beliebt und sie enthalten religiöse Bezüge. Wir finden dort die Begegnung mit Engeln. Daher habe ich mich für das Thema Engel entschieden. Das Thema Engel wird in dreifa-

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cher Weise mit den Kindern bearbeitet: Erhebung der Vorstellungen der Kinder, Erarbeitung der biblischen Weihnachtserzählung (Lk 2,8–16) und eines Filmausschnittes aus dem tschechischen Märchen mit dem Titel »Engel des Herrn«.2 Es ist allgemein an staatlichen Grundschulen in Tschechien sehr schwer die Zustimmung der Eltern zu religiösen Forschungsprojekten zu gewinnen. Daher wurden die Gespräche mit ausgewählten Kindern außerhalb der Schule geführt. Das Engelthema hat eine theologische Relevanz. Für meinen Forschungsansatz war der Hauptgedanke wichtig, dass der Engel auf Gott und sein Werk verweist. Nach Ellen Stube geschieht dies »in einem sehr verborgenen Sinn – auch bei Engeln aus ganz säkularen Kontexten«.3 Dass Engel als Himmelsboten auf Gott verweisen, hat für viele Erwachsene und Kinder keine Bedeutung mehr. Dennoch soll diese Bedeutungsebene im theologischen Gespräch auch zur Sprache kommen.

1 Vgl. dazu Tschechisches Statistikamt: Population by religious belief and sex by 1921, 1930, 1950, 1991, 2001 and 2011 censuses (http://www.czso.cz/csu/2013edicniplan.nsf/t/ 8E00179824/$File/4032130118.pdf). Nach der letzten Volkszählung im Jahre 2011 bekannten sich zum Christentum nur 1,5 Millionen Einwohner (ca. 15 Prozent). 2 Das Märchen »Engel des Herrn« (2005) von dem Regisseur Jiří Strach (katholisch) zählt in der Weihnachtszeit zu den meistgeschauten Filmen. Das Motiv stammt von der bekannten tschechischen Schriftstellerin Božena Němcová. 3 Ellen Stube, Die Wirklichkeit der Engel in Literatur, Kunst und Religion, Münster 1995, 267.

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Pädagogische Anregungen

4. Kindervorstellungen über Engel

Kindervorstellungen über Engel haben eine Nähe zu biblischen Vorstellungen, insbesondere wenn diese in der tschechischen Kultur verankert sind. 4.1 Wie sieht der Engel aus?

Die Kinder haben kein Problem einen Engel als Mädchen oder Junge zu zeichnen. Sie sehen ihn als Typ des Helden, der Menschen hilft und fliegen kann. Er hat zwei wichtige Merkmale: Flügel und Heiligenschein. Den Begriff Aureole verknüpfen sie mit Heiligkeit. Er bezeichnet das gute Verhalten. Manche Kinder verstehen diesen Begriff kaum. Engel leben im Himmel, aber fliegen regelmäßig zur Erde. Für die Mehrheit der Kinder sind sie unsichtbar. Doch Kinder mit religiösen Grosseltern denken, dass sie auch für uns ab und zu sichtbar werden. Wo lebt der Engel? M: Im Himmel. Kann er auch auf der Erde sein? M: Ja. Das ist z. B. dann, wenn dem Engel Gott eine Berufung gibt. Er geht dann auf die Erde und Gott gibt ihm den menschlichen Leib. Und dann kann ich ihm sehen, sonst nicht. (Anežka, 12 Jahre)

Die Kinder formulieren unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich bestimmter Alltagsgegebenheiten. Manche Engel schlafen im Bett, auf den Federwolken, manche schlafen überhaupt nicht. Einige wechseln die Kleidung, andere tun das nicht. Manche Engel essen das gleiche, was Menschen essen, andere brauchen

kaum etwas zu essen oder essen etwas ganz Spezielles: »Zum Frühstück essen die Engel das Samengebäck, was sie Himmel gezüchtet haben. Zum Abendessen haben sie solche farbigen Blätter. Jedes Blatt schmeckt anders, z.B. gelbe Farbe schmeckt sauer« (Maria Luisa, 8 Jahre).

4.2 Welche Aufgaben haben Engel?

Alle Kinder einigen sich darauf, dass Engel fliegen und den Menschen helfen. Sie nennen aber weitere Aktivitäten des Himmelsboten: »im Himmel sein, singen, Gott gehorchen, Himmeltor zu bewachen, mit anderen Engeln spielen usw.« Diese Aussagen stammen von Kindern, die das Märchen »Engel des Herrn« bereits gut kennen. Ein Mädchen hat noch eine andere Tätigkeit erwähnt: »Die Engel haben einen solchen Beutel mit Samen, und die Samen bewirken, dass die Menschen auf Erden sich gut benehmen. Die Engel schütten die Samen auf Menschen.« (Maria Luisa, 8 Jahre). 4.3 Typologie der Engeln

Alle Kinder kennen das Wort Schutzengel. Einige Kinder mit gläubigen Grosseltern kennen das bekannte Gebet: »Schutzengel mein, lass mich dir empfohlen sein …« Andere Arten von Engeln kennen Kinder nur, wenn sie jemand darauf aufmerksam gemacht hat. So wurde in einer Grundschule in der Adventzeit jeden Tag ein versteckter Engel gesucht. Ein Kind konnte darum den Engel Gabriel nennen, aber wusste nichts Konkretes

Bravená Theologisieren mit religionsfernen Kindern zum Thema Engel

über ihn. Ein Mädchen sagte, dass ein Hauptengel existiert, der die Herrschaft über alle Engel hat. 4.4 Engel und andere Figuren

Die Kinder sehen den Engel – wie im Filmmärchen – in Beziehung mit anderen Engeln, Gott, Menschen, St. Nikolas oder dem Teufel. Insbesondere heben sie die Beziehung des Engels zum Nikolaus. Den Kindern wurde auch die Frage gestellt, warum der Teufel in dem Märchen einen Platz im Himmel hat. Die Antwort war bei allen Kindern gleich: »er ist doch Freund von Engel Petronel und darum erlaubte ihm Gott im Himmel zu bleiben«. Die Kinder wissen davon, dass Engel bei dem Geburt Jesu anwesend waren. Sie erklären, welche Rolle die Engel in dem Weinachstext der Bibel spielten: sie waren bei Jesus, sie verkündigten seinen Geburt, sie waren die Kindermädchen, sie haben Jesus geholfen, usw. Nur ein Kind knüpfte an das Wort Heiland und sagte: »Die Engel waren bei dem Geburt des Jesuskindes. Das Christkind war sehr nett und half allen. Dann ist es gestorben und begegnete wieder den Engeln und Gott im Himmel« (Maria Luisa 8 Jahre). Die größte Schwierigkeit hatten fast alle Kinder mit einer konkreten Beschreibung der Beziehung zwischen Engel und Gott. Erst nachdem sie Filmabschnitt gesehen hatten, konnten sie diese Beziehung genauer beschreiben. Deutlich wurde, dass religionsferne Kinder wenig Vorstellungen darüber haben, dass Engel als Wesen zu Gott gehören und bestimmte Aufgaben zu erfüllen haben.

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4.5 Die Beziehung des Kindes zum Engel

Auch religionsferne Kinder glauben an die Existenz von Engeln, vor allem in der Adventzeit. Alle erzählen über St. Nikolaus, der mit einem Engel und dem Teufel durch die Stadt geht und die Kinder fragt, ob sie brav waren. Mit dem Verlust des Glaubens an das Christkind verlieren Kinder auch den Glauben an Engel. Sie sehen sie aber weiter als eine Märchenfigur. Sie können über Engel als ein Thema sprechen, ohne dass sie an ihre Existenz glauben. Einige sehen in Engel einen Helden und wünschen sich darum auch ein Engel zu werden. Nur Kinder mit gläubigen Grosseltern und ein dreizehnjähriges Mädchen sahen eine Beziehung zwischen Engel und Gott. Es stellte sich heraus, dass dieses Mädchen biblische Texte selbständig gelesen hatte. Insgesamt verdeutlichen die Gespräche mit den Kindern, dass sie ohne biblische Kenntnisse Engel (auch Weihnachtsengel) nicht in einem primären Zusammenhang mit Gott sehen. Theologisierens mit religionsfernen Kindern kann daher nicht das »allgemein bekannte« vorauszusetzen. Aufgabe ist es, das fragmentarische Wissen der Kinder zu entdecken und in einem theologischen Zusammenhang zu setzen. 5. Theologisieren mit religionsfernen Kindern

Das Kind spricht über das Thema ohne einen Glaubensbezug. Theologisieren mit religionsfernen Kindern kann darum auf dem Weg zwischen der Welt des Kindes und seinem Wissen, seiner Phantasie

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Pädagogische Anregungen

und der Welt des Glaubens der Lehrperson entstehen. Die Welt des Kindes ist die bekannte und sichere Welt. Dazu gehören Eltern, Freunde, Schule, Kultur, Hobbys usw. Hier begegnet das Kind Engel als einen »statischen« Teil der Kultur – im Rahmen der Advents- oder Weihnachtszeit, auf Bildern usw. Es ist das sichtbare Bild eines Engels. Darum ist es nicht sinnvoll auf dieser Ebene zu fragen, ob das Kind an die Existenz der Engel glaubt. Denn die Antwort ist klar: »Nein«. Stattdessen sollten Gespräche bei den Vorstellungen der Kinder ansetzen. Das Kind bekommt einen Raum, um über seine Erfahrungen aus seiner eigenen Welt zu sprechen oder selber den Schritt in die Welt der Phantasie zu machen. Die Welt der Phantasie ist die bekannte und sichere Welt für das Kind, wo alles möglich ist. Hier verwandeln sich die statischen Bilder der Kultur in eine dynamische Erzählung. Der Engel fliegt, spricht in den Märchen, kommt in der Adventzeit zu dem Kind oder das Kind selber spielt einen Engel. Erst wenn die Vorstellungen über Engel sich gleichsam »dynamisieren«, kann es zu einem weiteren Schritt kommen, indem Vorstellungen von Engeln mit der Welt des christlichen Glaubens verknüpft werden. Die Welt des Glaubens ist eine unsichere Welt. Sie ähnelt der Welt der Phantasie. Doch sie ist irgendwie anders. Mit Hilfe des Bibeltextes (Lk 2,8–16) und des Märchens (»Engel des Herrn«) bekommt das Gespräch eine andere Dimension: der Engel ist ein Bote Gottes. Bibeltext und Filmausschnitt ergänzen sich, um das Gespräch weiterentwickeln zu können. Die Welt der Kultur, der Phantasie und des Glaubens stehen nebeneinander und vermischen sich doch. Aufgabe der

Kindertheologie ist, das Kind für eine Verknüpfung dieser Welten zu öffnen. Es ist nicht zu erwarten, dass religionsfernen Kindern durch theologische Gespräche in der Welt des Glaubens beheimatet werden. Theologisieren muss den Kontext der Kinder berücksichtigen, so dass jedes Kind: – dem Gespräch und den Fragen inhaltlich folgen kann; – christliche Motive aus seiner Kultur formuliert und diese in die Welt der Phantasie überträgt; – Bezüge zur Welt des Glaubens entdeckt. 6. Fazit

Theologisieren mit religionsfernen Kindern bildet ein neues Paradigma in der tschechischen Religionspädagogik. Es geht vor allem darum, dass dem Kind die Welt des Glaubens konkret gezeigt wird. Ich verstehe den Sinn von theologischen Gesprächen in der Idee des »Wahrheitmachens«. Das ist ein spezieller Begriff des tschechischen Erziehungsphilosophen Radim Palouš, der auf den grieschischen Begriff »aletheuein« zurückgeht. Er stellt fest, dass das Märchen und Mythen in unserer Gesellschaft nicht mehr zur Beunruhigung des Menschen dienen, sie verbleiben ohne Wirkung. Radim Palouš formuliert: »Der moderne Mensch, egal ob gläubig oder ungläubig, staunt nicht mehr, denn der Himmel oder Engel gehören schon zu dem sakralen Sortiment, auf das wir durch die Tradition adaptiert wurden«.4 4 Radim Palouš, Zuzana Svobodová. Homo educandus: Filosofické základy teorie výchovy, Praha 2011, 27.

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In seinem Buch mit dem Namen »Die Heretische Schule« spricht er über die »Bergerziehung, d.h. Höhererziehung«. Diese Erziehung kann den heutigen Menschen zurück zur Verwunderung und zur Überwältigung der Torheit führen. Torheit, die nicht zugesteht, dass der Mythos über die »Stellung des Menschen in der Welt« spricht.5 An diese Gedanken kann sehr gut das Theologisieren mit religionsfernen Kindern anknüpfen. Theologisieren im Sinne einer »Bergerziehung« »entwaffnet und stellt das Innere des Menschen der umgebenden Wirklichkeiten hin«.6 Biblische Geschichten führen Kinder in eine transzendente Wirklichkeit mit konkreten Bezügen für das Leben ohne Kinder zu vereinnahmen. Radim Palouš sagt: »Die Einzelteile der mythischen Geschichte sind nicht mit abstrakten Konsequenzen verknüpft, sondern die

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mythische Geschichte fließt«.7 Ihre Aufgabe ist nicht etwas zu beweisen oder zu erzwingen. Im Vergleich zum Philosophieren hat das theologische Gespräch einen anderen Bezugspunkt: Es artikuliert explizit bzw. implizit die gelebte Beziehung zu Gott. Dieser Beitrag ist im Rahmen des Forschungsprojektes GAUK Nr. 330411: »Transcending and its meaning fort he socialization and formation process of child’s personality« der Karlsuniversität Prag entstanden und die Forschung wurde auch durch das Stipendium der Jan Hus Bildungsstiftung gefördert.

5 Ebd., 25. 6 Ebd., 91. 7 Ebd., 131–132.

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Pädagogische Anregungen

Frank M. Lütze »Jesus hat sich ans Kreuz nageln lassen, weil er voll hinter seiner Weltanschauung stand.« Christentum reflektieren mit nicht religiös sozialisierten Kindern und Jugendlichen Überschaut man die vorliegenden Bände des Jahrbuchs für Kindertheologie, so zeigt sich, dass die Mehrzahl der dokumentierten theologischen Gespräche mit Kindern und Jugendlichen aus einem westdeutschen Kontext stammt, der zumindest rudimentär durch eine volkskirchliche Prägung gekennzeichnet ist. Die Situation in den ostdeutschen Bundesländern stellt sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bekanntlich anders da. Der folgende Beitrag geht der Frage nach, ob und unter welchen Bedingungen theologische Gespräche auch mit Kindern und Jugendlichen möglich sind, die ohne religiösen Bezug aufwachsen und sich selbst als nicht religiös einschätzen. Kaum ein Unterschied zwischen Westund Ostdeutschland ist fast 25 Jahre nach der Friedlichen Revolution noch so ausgeprägt wie die religiöse Differenz. Etwa vier Fünftel der Ostdeutschen gehört keiner Religionsgemeinschaft an, und wenn auch die Zahlen leicht rückläufig sind, so bezeichnen sich im Jahr 2013 noch immer 72 % der Ostdeutschen als wenig oder gar nicht religiös. Diese Haltung ist offenbar in erster Linie ererbt: Von den unter 55-Jährigen im Osten geben weniger als 20 % an, religiös erzogen worden zu sein.1 Gleichwohl ergeben sich Gelegenheiten für religionsbezogene Gespräche mit Kindern und Jugendlichen: Zwar besucht die Mehrheit der konfessi-

onslosen Schülerinnen und Schüler den Ethikunterricht, doch reicht der Anteil konfessionsloser Teilnehmer im evangelischen Religionsunterricht immerhin von einem guten Viertel (Thüringen)2 über ein gutes Drittel (Sachsen)3 bis hin zu einer knappen Hälfte (Sachsen-Anhalt)4 der Religionsschüler. Ist ein Theologisieren im Religionsunterricht auch dann möglich, wenn ein guter Teil der Gesprächsteilnehmer sich selbst als religionslos versteht? Ich möchte die spezifischen Herausforderungen und Bedingungen theologischer Gespräche in diesem Kontext diskutieren anhand von Essays, die 1 Detlef Pollack / Olaf Müller, Religiosität und Zusammenhalt in Deutschland. Religionsmonitor 2013. Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh 2013; online verfügbar unter http://religionsmonitor.de/pdf/Religionsmonitor_Deutschlan d.pdf, zuletzt geprüft am 22.09.2013, 12; 15. 2 27,2 %: Michael Wermke, Evangelischer Religionsunterricht in Ostdeutschland. Empirische Befunde zur Teilnahme thüringischer Schülerinnen und Schüler, Jena 2006 (Religionspädagogik im Diskurs 2), 21. 3 37,7 %: Helmut Hanisch, »Sie sollen die Möglichkeit haben, sich mit dem christlichen Glauben zu beschäftigen.« Die Schule als Lernort des Glaubens im ostdeutschen Kontext, in: Michael Domsgen (Hg.), Konfessionslos – eine religionspädagogische Herausforderung. Studien am Beispiel Ostdeutschlands, Leipzig 2005, 185–240, hier: 206. 4 48,4 %: Michael Domsgen / Frank M. Lütze: Schülerperspektiven zum Religionsunterricht. Eine empirische Untersuchung in SachsenAnhalt, Leipzig 2010, 71.

Lütze Christentum reflektieren mit nicht religiös sozialisierten Kindern und Jugendlichen

konfessionslose Jugendliche im Religionsunterricht in Sachsen-Anhalt zu einer klassischen theologischen Fragestellung verfasst haben. 1. Theologische Gehversuche konfessionsloser Jugendlicher in Sachsen-Anhalt

Vor einigen Jahren veröffentlichte Michaela Albrecht eine Untersuchung zur Frage, wie Oberstufenschülerinnen und -schüler in Franken den Tod Jesu verstehen.5 Annchristin Schubert, Studentin an der MLU Halle-Wittenberg, führte dazu 2012 eine ostdeutsche Vergleichsuntersuchung durch.6 Im Rahmen ihrer Staatsexamensarbeit hat sie im Religionsunterricht in der Oberstufe an Gymnasien im Großraum Halle 130 Schülerinnen und Schüler gebeten, zu der Aussage »für uns gestorben« schriftlich Stellung zu nehmen. Eine knappe Hälfte der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler war ungetauft; ein großer Teil von ihnen gab auf dem begleitenden Statistik-Bogen zugleich an, dass auch die Eltern keine Kirchenmitglieder sind und sie selbst kaum oder nie an kirchlichen Angeboten teilnehmen. Ich entnehme dem Gesamtsample, das mir Frau Schubert dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat, im Folgenden die Antworten jener Jugendlichen, die nicht getauft sind sowie einem Kontext ohne (kirchlich-)christliche Anbindung entstammen. Der Aufgabe lag eine kurzer Impulstext zugrunde: Zwei Jungen unterhalten sich nach der Religionsstunde über die Aussage des Lehrers, Jesus sei »für uns gestorben«. Der eine – Martin – äußert

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sein Befremden. An dieser Stelle bricht der Impulstext ab. Die Aufgabenstellung dazu lautet folgendermaßen: 1. Welche Probleme können Menschen mit der Aussage des Lehrers, »Jesus Christus ist für uns gestorben«, haben? Ist diese Aussage auch für Sie problematisch? 2. Hat es für Sie eine Bedeutung, dass Jesus Christus am Kreuz gestorben ist und von Gott auferweckt wurde? Was bedeutet es für Sie? Bzw.: Warum bedeutet es nichts für Sie? 3. Was würden Sie Martin antworten? Die Essays der Jugendlichen, die ohne kirchlich-christliche Anbindung aufgewachsen sind, zeigen untereinander zahlreiche Übereinstimmungen. Traditionelle Deutungsmuster, etwa der Tod Jesu als Rechtfertigungsgeschehen oder als Überwindung des Todes, spielen in ihren Überlegungen nur eine geringe Rolle. Dominant sind demgegenüber Argumentationsfiguren, in denen Distanz und Fremdheit gegenüber dem Geschehen zum Ausdruck kommen. Etwa eine Handvoll Argumentationsfiguren kehrt regelmäßig wieder; drei davon möchte ich im Folgenden näher betrachten.

5 Michaela Albrecht, Für uns gestorben. Die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu Christi aus der Sicht Jugendlicher, Göttingen 2007 (Arbeiten zur Religionspädagogik 33). 6 Ich danke Annchristin Schubert herzlich, dass sie mir die Schüleressays für diesen Beitrag zur Verfügung gestellt hat. Ihre Arbeit ist inzwischen online publiziert, siehe http://www. theo-web.de/online-reihe/008_schubert.pdf, zuletzt geprüft am 22.09.2013.

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Pädagogische Anregungen

2. Argumentationsfiguren konfessionsloser Jugendlicher zum Tod Jesu 2.1 Verdammt lang her!

Wenn es um die Interpretation des »für uns« geht, wird in vielen Essays konfessionsloser Jugendlicher auf den zeitlichen Abstand hingewiesen. So schreibt etwa eine 17-jährige Schülerin: Lebten wir denn schon zu Jesus Zeit, dass er für uns sterben konnte? Nein, wir leben jetzt, also ist dieser Ausdruck / Aussage einfach falsch und völlig unbegründet. (Nr. 88; Schülerin, 17 Jahre)

Niemand kann für jemand sterben, den es noch gar nicht gibt: Diese Logik ist für die Vfn. zwingend. Ihr pflichten in Variationen zahlreiche andere Jugendliche bei. Um nur einige anzuführen: Es bedeutet mir nichts, da ich keine Verbindung zu einem Menschen aufbauen kann der 2000 [sc. Jahre] vor meiner Geburt gelebt hat bzw. angekommen ist. (Nr. 77; Schüler, 17 Jahre) Ich versuche, nach vorne zu schauen und nicht darüber zu grübeln was vor langer Zeit wahr [sic]. (Nr. 33; Schülerin, 16 Jahre) … nicht einschlagend in meinem Leben. Schließlich ereignete sich diese Sache vor mehreren tausend Jahren und es gibt keinen direkten Beweis mehr. (Nr. 36; Schülerin, 17 Jahre) [Der Tod Jesu hat keine Bedeutung für mich, da] der Mythos »Jesus« schon viele Jahre zurück liegt und ich fühle mich dies bezüglich nicht betroffen (Nr. 29, Schülerin, 17 Jahre)

Oder kurz, mit den Worten einer weiteren 17-jährigen Schülerin: Ob Jesus für uns gestorben ist oder nicht, ist doch eh schon lange her. (Nr. 91; Schülerin, 17 Jahre)

Es ist nicht nur die Unsicherheit, ob die Aussagen über den lang zurückliegenden Tod Jesu historisch zuverlässig sind (dazu gleich); es ist vor allem der garstig breite Graben, der solche zufälligen Geschichtswahrheiten von allem trennt, war die Schüler für ihr heutiges Leben als relevant empfinden.7 Dabei scheint Geschichte als eine Art fortlaufender Zeitstrahl vorgestellt, bei dem sich die Nähe zu einem Ereignis sowie seine Relevanz für die Gegenwart in erster Linie durch den zeitlichen Abstand bestimmt. Wenn überhaupt in den Aufsätzen ein Zusammenhang zwischen dem Tod Jesu und der Gegenwart gezogen wird, so ist es ein allgemeiner wirkungsgeschichtlicher Zusammenhang: durch seinen Tod wurde durch die vergangenen Jahrtausende eine neue Weltreligion gegründet und erschaffen. (Nr. 80; Schülerin, 17 Jahre)

Jesus ist diesem Verständnis zufolge bestenfalls initium, zeitlicher Anfang einer Weltreligion. Aber er wird nicht als principium, bis in die Gegenwart bestimmendes Fundament des christlichen Glaubens, sichtbar. 7 Gotthold Ephraim Lessing, Über den Beweis des Geistes und der Kraft (1777), in: Gotthold Ephraim Lessing, Theologiekritische Schriften III, Philosophische Schriften. Hg. v. Herbert G. Göpfel, Darmstadt 1996 (Lessing Werke 8), 9–14, hier: 12f.

Lütze Christentum reflektieren mit nicht religiös sozialisierten Kindern und Jugendlichen

2.2 Und was sagt die Wissenschaft?

Verbreitet wird die Distanz zum »für uns« in den Aufsätzen konfessionsloser Jugendlicher mit der fehlenden Wissenschaftlichkeit begründet. Auch hier zunächst ein Auszug aus dem Statement eines 16-jährigen Schülers, der auf die Frage nach einer persönlichen Bedeutung des Todes Jesu antwortet: Nein, es hat keine Bedeutung für mich. Es ist nicht 100 % wissenschaftlich belegt, dass es genauso abgelaufen ist. Auch ist die Bibel kein wissenschaftliches Buch. Zudem grenzt das »Erwecken« von Gott an einen Mythos! (Nr. 83; Schüler, 16 Jahre)

Dass ein naturwissenschaftlicher Einspruch gegen die Auferstehung Jesu erhoben wird, ist wenig überraschend und begegnet vergleichsweise häufig in den Essays: Niemand kann Tote wieder zum Leben erwecken, nicht einmal irgendein Gott, den es eventuell gar nicht gibt. Einmal tod – immer tod [sic], das ist meine Meinung. (Nr. 88; Schülerin, 17 Jahre) Wenn ein Mensch tot ist, ist er tot, dann kann er nicht wieder auferstehen oder sonstiges. (Nr. 87; Schülerin, 16 Jahre) Ich glaube irgendwo an die Mythos das Jesus auferstanden ist, aber irgendwie auch nicht. […] Jesus hat sicher weitergelebt, da ich denke das sie ihm Betäubungsmittel gegeben haben, damit es so aussieht als ob. (Nr. 35; Schülerin, 16 Jahre)

Dass in diesen (natur)wissenschaftlichen Zweifel allerdings auch der Tod Jesu »für uns« einbezogen wird (»nicht 100% wissenschaftlich belegt, dass es genauso abgelaufen ist«), ist bemerkenswert. Auch

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in zahlreichen weiteren Schüleräußerungen spielt die Opposition Glaube vs. Fakten eine wichtige Rolle. So schreibt eine 17-jährige Schülerin: Für mich hat der Tod Jesu keine Bedeutung, denn niemand kann wirklich beweisen, dass es diesen Mann jemals gab. Deshalb bin ich auch nicht gläubig, denn ich stütze mich auf Fakten, welche im Fall Jesu eindeutig ja nicht vorhanden sind. (Nr. 14; Schülerin, 17 Jahre)

Ähnliche Formulierungen sind zahlreich in den Essays konfessionsloser Jugendlicher: Ich glaube nur Dinge, die mir real & möglich erscheinen oder nachzuweisen sind (Nr. 45; Schülerin, 18 Jahre) Die Aussage erscheint mir märchenhaft, da sie nicht wissenschaftlich belegt ist. (Nr. 70; Schülerin, 17 Jahre) Ich glaube nur was ich sehe oder wovon es eindeutige Fakten gibt. (Nr. 86; Schüler, 17 Jahre)

Eine Absolutsetzung naturwissenschaftlichen Denkens begegnet bei ostdeutschen Jugendlichen ohne religiösen Hintergrund nicht ganz selten. Man wird sicherlich nicht fehlgehen, neben anderen Ursachen darin auch eine Spätfolge marxistischer Religionskritik zu sehen. 2.3 Jedem seine Meinung!

Auffällig ist schließlich, dass eigene distanzierte Positionierungen – in den Worten der Jugendlichen: ich bin nicht-gläubig oder nicht gläubisch, nicht-religiös, nicht Christ bzw. nicht christlich – oder religionskritische Äußerungen häufig einher-

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Pädagogische Anregungen

gehen mit einer ostentativen Betonung religiöser Toleranz. So antwortet jener Schüler, der im Namen der Wissenschaft deutliche Zweifel anmeldet, auf die Frage, was er »Martin« aus dem Impulstext antworten würde: Ich würde ihm nicht entgegensprechen. Jeder soll seinen Glauben haben, den er möchte. (Nr. 83; Schüler, 16 Jahre)

Andere Statements bzw. Antworten an »Martin« lauten ähnlich: Jeder Mensch soll selbst entscheiden ob er daran glaubt oder nicht. (Nr. 29; Schülerin, 17 Jahre) Ich denke, er sollte an das glauben, was ihm angenehm erscheint. Niemand kann ihm vorschreiben, sich schlecht zu fühlen. (Nr. 39; Schülerin, 17 Jahre) Lass dir nicht von irgendwelchen Leuten etwas einreden woran du nicht glauben willst. Beschließe für dich selbst ob er für dich gestorben ist oder nicht. (Nr. 33; Schülerin, 16 Jahre)

Diese Toleranz beruht auf einer klaren Trennung der Welten. Es gibt einen Kosmos, in dem stirbt einer für die anderen, und es gibt einen anderen Kosmos, in dem das nicht gilt. In welcher der beiden Welten man lebt, ist eine Frage des Glaubens: Problematisch ist diese Aussage für mich nicht, denn meiner Meinung nach ist Jesus nur für die Menschen gestorben, die an ihn geglaubt haben. […] Jesus starb für seine Religion und nicht für uns (Nr. 48; Schüler, 18 Jahre) Für mich selbst ist diese Aussage nicht problematisch, da sie ja nur gilt für Menschen die in eine christliche Gemeinde gehören bzw.

Gläubige sind und ich bin es eben nicht. (Nr. 49; Schülerin, 18 Jahre)

Kurz und prägnant bringt eine 18-Jährige die distanzierte Toleranz, die eher eine Form der Nichteinmischung ist, auf den Punkt: Ich persönlich finde diese Aussage ebenfalls fragwürdig. Jesus hätte sich für niemanden opfern müssen. Wenn es jedoch seine persönliche Meinung war, am Kreuz zu sterben, so respektiere ich sie. (Nr. 58; Schülerin, 18 Jahre)

3. Zwischen fremd und absurd: Religiöse Reflexionen mit religionsfernen Kindern und Jugendlichen

Die zitierten Textausschnitte lassen die Schwierigkeiten zahlreicher Jugendlicher ohne kirchlich-christliche Prägung erkennen, sich an einem Gespräch über »für uns gestorben« zu beteiligen. Bisweilen scheitert es schlicht am Wissen, wie in der folgenden Aussage: Es hat für mich aber schon eine Bedeutung, denn das Symbol der Christen ist das Kreuz, also ist es wichtig, dass Jesus im Zeichen der Religion stirbt, das beweist seine Zugehörigkeit. (Nr. 62; Schülerin, 18 Jahre)

Das Grundproblem aber liegt eine Ebene tiefer: Die zitierten Jugendlichen finden weder kognitiv noch affektiv Zugang zu der theologischen Denkfigur. Es erscheint ihnen widersinnig, dass ein »Jahrtausende« zurückliegendes Geschehen etwas mit ihnen zu tun haben soll. Es ist ihnen schleierhaft, wie man auf etwas vertrauen kann, was sich einem auf Fakten konzentrierten wissenschaft-

Lütze Christentum reflektieren mit nicht religiös sozialisierten Kindern und Jugendlichen

lichen Zugriff so ganz entzieht. Und sie wissen – bei aller Toleranz – ziemlich genau, dass man als vernünftiger Mensch mit dem Christentum nichts am Hut hat. Was dieses Resultat am Ende der Schulzeit über den erlebten Religionsunterricht und seine Wirkung aussagt, kann für den Moment offen bleiben. In jedem Fall machen die Essays auf eine signifikante Herausforderung aufmerksam, die es in einem Gespräch über theologische Fragen mit religionsfernen Kindern und Jugendlichen zu beachten gilt. Sie liegt, um es deutlich zu sagen, im Kern weder auf der Wissensebene noch auf der Ebene des persönlichen Glaubens. Das Hauptproblem ist der aus Sicht der religionsfernen Kinder und Jugendlichen mangelnde Wirklichkeitsbezug einer theologischen Denkfigur, der sie zu einem bloßen Gedankenspiel macht. Man wird hier sorgsam unterscheiden müssen: Ein Gespräch eines Christen mit einem – sagen wir: Muslim – über ein (islamisch-) theologisches Problem bewegt sich aus Sicht des Christen zwar nicht in seiner eigenen Vorstellungs- und Glaubenswelt, aber doch in einer prinzipiell vorstellbaren Welt. Viele der zitierten Aufsätze lassen hingegen keinen Zweifel, dass die religionsfernen Jugendlichen das »für uns gestorben« in einer Phantasiewelt verorten: einer Welt, an die zwar andere glauben mögen, von der sie aber sicher wissen, dass sie nicht existiert. Das hindert, wie die Jugendlichen deutlich machen, nicht die menschliche Toleranz gegenüber denen, die das Absurde tatsächlich für wahr halten (»Wenn es jedoch seine persönliche Meinung war, am Kreuz zu sterben, so respektiere ich sie«). Es hindert nicht einmal das logische Gespräch über religiöse Denkfiguren, dass man sie für ein absur-

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des Gedankenspiel hält – zumal, wenn es auf eine Beteiligung am Gespräch, wie im Religionsunterricht, eine Note gibt. Freilich: Ein Bildungsbeitrag, der den Schüler oder die Schülerin in irgendeiner Weise weiterbringt, wäre von einem Gespräch über religiöse Phantasiewelten kaum zu erwarten. Und solange es nicht gelingt, theologische Denkfiguren zumindest ansatzweise aus einer Phantasiewelt in eine mögliche reale Welt zu überführen – in eine Welt, die man vielleicht nicht betritt, die vielleicht fremd bleibt, aber die doch aufhört, absurd zu sein, in eine Welt, die sich zumindest ereignen könnte –, solange dieser Transfer für die Beteiligten nicht gelingt, verdienen solche Gespräche nicht »theologische« Gespräche genannt zu werden, selbst wenn ihre Inhalte klassische Theologumena ventilieren. 4. Ad fontes theologiae. Ansatzpunkte für religionsbezogene Gespräche mit Kindern und Jugendlichen aus religionsfernen Familien

Die Äußerungen der Hallenser Jugendlichen aus konfessionslosen Familien machen aus meiner Sicht auf eine notwendige, unter volkskirchlichen Bedingungen aber leicht zu übersehende Voraussetzung aufmerksam für ein Theologisieren mit Kindern und (vor allem) Jugendlichen, die noch deutlicher zwischen möglichen und phantastischen Welten unterscheiden: Ein Theologisieren, das seinen Namen verdient, ist soweit und nur soweit möglich, wie es im Rahmen einer für wahr gehaltenen oder doch jedenfalls imaginierbaren, als möglich gedachten Welt bleibt. Ein solcher Bezug versteht sich keineswegs von selbst in einem Kon-

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Pädagogische Anregungen

text, in dem Religion jahrzehntelang ins Reich der Märchen verwiesen wurde und gelegentlich noch heute wird.8 In dieser Situation muss ein Theologisieren fortwährend darauf achten, den Kontakt zur Wirklichkeit – und sei es: zu einer möglichen Wirklichkeit – nicht zu verlieren bzw. diesen Kontakt allererst herzustellen. Gerade im religionsfernen Kontext liegt die didaktische Kunst, um es mit einer alten Formulierung Heinrich Roths9 zu sagen, darin beschlossen, »tote Sachverhalte in lebendige Handlungen rückzuverwandeln, aus denen sie entsprungen sind: Gegenstände in Erfindungen und Entdeckungen, Werke in Schöpfungen […], Lösungen in Aufgaben« – und man wird aus religionspädagogischer Sicht fortsetzen: Biblische Aussagen in menschliche Erfahrungen, Dogmen in jene existenzielle Fragen, auf die sie einst eine Antwort suchten. Das kann geschehen durch Gespräche, die ihren Ausgangspunkt nicht bei theologischen Äußerungen suchen, sondern bei jenen Erfahrungen des Menschseins, die ihnen zugrunde liegen – im konkreten Fall etwa: was es heißt, dass mein Leben ein Ende hat, oder was es heißt, schuldig zu werden und Vergebung zu erfahren; ein Diskurs, nebenbei, der zugleich geeignet ist, einige dogmatische Plattitüden zur Schuldvergebung in Frage zu stellen. Kurz: Ein Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen über anthropologische Grundfragen wird in einem religionsfernen Kontext nicht selten dem theologischen Gespräch vorangehen müssen10, um dafür allererst einen religiösen wie nichtreligiösen Schülern gemeinsamen, als real erlebten Boden zu bereiten. Ein alternativer Zugang, um religiöse Aussagen aus der Märchenwelt in eine

denkmögliche Diskurswelt zu holen, ist die Begegnung mit gelebter Religion und mit den Menschen, die ihr Leben und ihr Erleiden religiös deuten. Eindrücklich kann man die Transformation von Religion aus einem Phantasma in eine ernstzunehmende Lebensdeutung beispielsweise erleben bei einem Klosterbesuch mit Schülerinnen und Schülern, jedenfalls, sofern sich ein Mönch bzw. eine Nonne dem Gespräch mit den Jugendlichen wirklich stellt und dabei als Mensch zu erkennen gibt.11 Was vorher ziemlich absurd schien – aus Sicht der Schüler: freiwillig mit Armut, Sexverzicht und in einer mittelalterlichen Kutte zu leben –, wird durch eine solche Begegnung zu einer vielleicht weiterhin fremden, aber doch immerhin respektablen und möglichen Welt. Und in diesem Moment öffnet sich die Tür zu einem redlichen Theologisieren, das mehr ist als ein Ventilieren theologischer Begriffe. 8 So wurde vor gut zwei Jahren in der Mitteldeutschen Zeitung ein Foto von Krippefiguren, die auf dem Hallenser Weihnachtsmarkt aufgebaut wurden, folgendermaßen untertitelt: »Angekommen sind auf dem Markt […] auch die ersten Märchen-Figuren« (MZ v. 15.11.2011, S. 7). 9 Heinrich Roth, Zum pädagogischen Problem der Methode. In: Die Sammlung. Zeitschrift für Kultur und Erziehung 4, 1949, 102–109, hier: 108. 10 Alfred Habichler, Philosophieren und/oder Theologisieren mit Kindern? Eine Option für ein differenzierteres Verständnis, in: »Gott gehört so ein bisschen zur Familie.« Mit Kindern über Glück und Heil nachdenken, JaBuKi 10, Stuttgart 2011, 122–132, hier: 125. 11 Vgl. das Beispiel in Frank M. Lütze, Religion wahrnehmen – in allen Facetten. Überlegungen und Beispiele zur Begegnung von Schülerinnen und Schülern mit gelebtem Christentum in Mitteldeutschland, in: Michael Domsgen / Henning Schluß / Matthias Spenn (Hg.), Was gehen uns »die anderen« an? Schule und Religion in der Säkularität, Göttingen 2012, 143–160, hier: 153f.

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Johannes Schimming »Der ist ausgebrochen!« – als Halbgott oder Zombie? Ein Gespräch über Ostern mit bildungs- und religionsfernen Kindern in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit Rudolf Emlein versuchte bereits vor über 100 Jahren anhand eigener Beobachtungen und mit Schüleraussagen zu zeigen, dass der Religionsunterricht die »Proletarierkinder« nicht mehr erreicht. Statt wissenschaftlicher Fragen, so stellt er einleitend fest, sei deren »religiöses Interesse […] vor allem ein praktisches. […] Sie möchten […] viel lieber wissen: warum hilft Jesus der Mutter nicht, wenn sie unverschuldet in Not und Armut geraten ist durch den Vater, der am Zahltag sein Geld nicht nach Hause bringt. …? Und sie fragen: was haben wir von der Religion, wenn wir mit 14 Jahren ins Geschäft oder in die Fabrik kommen? Hat sie dann noch einen Wert?«1 In gewisser Weise nimmt Emlein ein Anliegen der Kindertheologie vorweg, wenn er seine Beobachtungen zur Lebenswelt und Fragen »bildungsferner« Kinder aus der (Gesprächs-)Praxis entwickelt. Auch wenn sich Begrifflichkeiten verschoben haben, so hat dieser Artikel doch eine ähnliche Zielgruppe wie EmIein im Blick und teilt dessen Interesse an der Lebenswelt und den darin verborgenen religiösen Deutungen der Kinder. 1. Zwischen Schule und Zuhause – Die Offene Kinder- und Jugendarbeit

Sucht man nach institutionalisierten Orten, die von bildungsbenachteiligten Kindern freiwillig und regelmäßig auf-

gesucht werden, findet man diese am ehesten im Rahmen von Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA).2 Die Ausgestaltung und organisatorischen Anbindungen dieser Einrichtungen sind ausgesprochen vielfältig, was vom Gesetzgeber durchaus erwünscht ist.3 Statt eine Reihe von allgemeingültigen Abstrakta über (pädagogische) Angebote, Mitarbeiter und Besucher anzuführen, möchte ich ein konkretes Projekt beschreiben, das nicht paradigmatische, aber exemplarische Chancen und Grenzen einer solchen Einrichtung erkennen lässt.

1 Rudolf Emlein, Religionsunterricht bei Proletarierkindern. Gedanken aus der Praxis – für die Praxis, Göttingen 1912, 12f. 2 Darauf deuten mehrere empirische Erhebungen. Vgl. zusammenfassend Holger Schmidt, Zum Forschungsstand der Offenen Kinderund Jugendarbeit. Eine Sekundäranalyse, in: Ders. (Hg.), Empirie der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, Wiesbaden 2011, 53f. 3 Vgl. die zahlreichen Bezüge im maßgeblichen § 11 SGB VIII (KJHG – Kinder- und Jugendhilfegesetz), der die Orientierung an der Subjektivität der Besuchenden als Zielrichtung ausgibt: »Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.« (Hervorhebung von mir, J.S.)

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1.1 »Wir sind wie eine kleine Familie.« – Die »Schnitte«

Die »Schnitte« findet man nur, wenn man danach sucht. Keine Außenwerbung weist auf die äußerlich unscheinbare 3-Zimmer-Wohnung hin. Vom Hintereingang aus lässt ein mit Window Color gestaltetes Fenster erahnen, dass sich im Hochparterre des sanierten Hochhauses mitten in Halle-Neustadt ein Kindertreff befindet. Der Brandschutz schreibt vor, dass nicht mehr als 10 Kinder gleichzeitig in der Wohnung sein dürfen. Doch diese Kinder, sie sind zwischen 6 und 13 Jahre alt, finden fast täglich nach der Schule ihren Weg in die »Schnitte«, die von den Kindern einst so genannt wurde, weil neben der Hausaufgabenbetreuung ein Mittagessen dort auf sie wartet. Für viele ist es die einzige Mahlzeit am Tag. Zwei von drei Familien im Stadtteil leben von »Hartz IV«. Auch die »Schnitte« ist finanziell nur mit einer Grundversorgung ausgestattet: Die zwei Mitarbeiterinnen werden von der ARGE finanziert, eine Wohnungsgenossenschaft sponsert die Miete, der Rest trägt sich von Spenden und ehrenamtlichen Helfer/innen. Es ist ein Kompromiss zwischen Qualitäts-Ideal und Finanzierungs-Realität. Im näheren Umkreis gibt es noch drei weitere »Schnitten« unter dem Dach des CVJM. Sie erreichen z.T. ein anderes Klientel und bekommen von den jeweiligen Mitarbeitern eine andere Prägung. Sie eint das gemeinsame Ziel, »die Kinder von der Straße zu holen, ihnen einen Zufluchtsort zu bieten, sinnvoll die Freizeit mit ihnen zu gestalten und gegen soziale Defizite zu agieren«.4 »Wir sind wie eine kleine Familie«, sagt eine Mitarbeiterin über ihre Einrichtung. Der Kontakt mit

den Eltern der Kinder ist hingegen nicht immer einfach. Bei meinem ersten Besuch öffnen mir Sami und Niclas5 die Tür, fassen mich vertrauensvoll an den Händen und weichen fortan kaum mehr von meiner Seite. Stolz zeigt mir Niclas ein Bild, das er gemalt hat. Jessi schenkt mir daraufhin spontan eines ihrer Werke. Die meisten Einrichtungsgegenstände haben Gebrauchsspuren, die Wände sind bunt mit Postern und Girlanden verziert. »Ihr feiert wohl heute Geburtstag?«, frage ich. »Nein, bei uns sieht es immer so aus«, antwortet eine Mitarbeiterin. Wir spielen auf einem Bolzplatz vor dem Haus Fußball und gehen zu einem nahegelegenen Spielplatz. Die meisten Kinder spielen dort allein, die wenigen erwachsenen Begleiter sitzen lethargisch am Rand, rauchend und in ihr Smartphone vertieft. Seine Mutter wolle eigentlich nicht, dass er sich auf dem »Assi-Spielplatz« aufhalte, sagt mir ein Junge, der mit uns spielt, aber er komme trotzdem gern hierher. 1.2 Gespräch über Ostern inmitten von religiöser Indifferenz

Halle-Neustadt wurde vor 50 Jahren als moderne, sozialistische Stadt für die Arbeiter in der nahen chemischen Industrie gebaut und war nie besonders religiös geprägt. Eine Kirche findet sich im Stadtbild nicht, der Anteil der Konfessionslosen dürfte bei über 90 % liegen.6 Bei der 4 Vgl. http://www.cvjm-halle.de/5.html (05.07. 2014). 5 Die Namen wurden geändert. 6 Für die gesamte Stadt Halle (einschließlich der bürgerlichen Stadtteile) liegt der Anteil der

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Abb. 1–3: Außen- und Innenansicht der »Schnitte«

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großen Mehrheit ist mit einer kritischen bis indifferenten Haltung gegenüber der Religion zu rechnen.7 Den Mitarbeiterinnen zufolge trifft dies auch auf die Kinder der besuchten Einrichtung zu. Von ihrer Seite werden religiöse Themen nicht aktiv eingebracht. »Schnitte«-Mitarbeiter/innen in anderen Stadtteilen gehen z.T. offener mit ihrem Glauben um, wodurch in anderen Einrichtungen christlich-religiöse Bezüge stärker ins Zentrum rücken. Auch deshalb wurde meinem Projekt prinzipiell offen begegnet. Dass es innerhalb der Einrichtungen zu Wechselwirkungen kommt und die beobachteten Kinder vorher bereits mit dem christlichen Glauben in Berührung gekommen sind, ist nicht auszuschließen. Allerdings wurde es weder von den Kindern noch von den beiden Mitarbeiterinnen erwähnt, hat also wenn, dann nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Die nun folgenden Beobachtungen orientieren sich an einem Gespräch, das ich beim zweiten Besuch in der Einrichtung führte. Es nahmen 7 Kinder (3 Jungen, 4 Mädchen) im Alter von 9–11 Jahren daran teil. Da es für die Kinder das erste strukturiert-geleitete (religiöse) Gespräch in den ihnen vertrauten Räumen war, sollte das Thema an die Erfahrungswelt anschlussfähig sein. Sicherlich wären auch andere Themen denkbar gewesen. Wegen der zeitlichen Nähe des Festes und dessen Verankerung in der Gegenwartskultur, fiel die Wahl auf »Ostern«. Ein Gespräch darüber ist potentiell religionsaffin, muss aber nicht notwendig mit christlichen Inhalten in Verbindung gebracht werden. Im Anschluss wurden Ostereier bemalt, die die Kinder nach Hause mitnehmen konnten. Die Unterhaltung strukturierte sich um

einzelne Gegenstände, zunächst ein kleines, geschmeidiges Holzkreuz, weiterhin ein Foto eines Kruzifixes und schließlich eine Zeichnung des leeren Grabes.8 2. Fern von Bildung und Religion – Herausforderungen für die Kindertheologie 2.1 »Die Kinder können rausgehen.« – Diskurs als Herausforderung

Durch die erste Frage, was die Kinder mit Ostern verbinden, sollten Assoziationen und Anknüpfungen für ein Gespräch eröffnet werden. So begann die Unterhaltung mit folgender Sequenz: Jessi9: Ich weiß was, ich weiß was! JS: Was weißt du denn? Jessi: Ostern ist ein bewegliches Fest. JS: Was heißt denn das? Jessi: Das heißt, also, da haben die Familien was mit den Kindern zu unternehmen. Konfessionslosen bei 87 %. In den sozioökonomisch benachteiligten Stadtteilen dürfte dieser Anteil deutlich höher sein. Vgl. http:// fowid.de/fileadmin/datenarchiv/Religionszugehoerigkeit/Staedte_Religionszugehoerigkeit_2003_2011.pdf. (05.07.2014) 7 Vgl. dazu die differenzierte Analyse bei Gert Pickel, Konfessionslose – Das ›Residual‹ des Christentums oder Stütze des neuen Atheismus, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 12 (2013), H. 1, 12–31. 8 Hätten die Kinder die Verbindung zwischen Kreuz und Ostern nicht selbst hergestellt, hätte ein kurzer Trickfilm über das Ostergeschehen sie darüber informiert und möglicherweise ein Gespräch stimuliert. 9 Aus Gründen der Lesbarkeit wurde das Transkript leicht geglättet. Dialektgefärbte Aussagen wurden der Schriftsprache angeglichen. Nicht unmittelbar sinntragende Zwischenrufe wurden ausgelassen oder durch »[…]« gekennzeichnet.

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Sami: Nee, haben sie nicht! Jessi: Doch! Sami: Die Kinder können rausgehen. Und einkaufen. Jessi: Ja, aber die Kinder, die malen ja mit den Eltern erst die Ostereier an, dann kommt der Osterhase und versteckt die Eier. Sami: Äh Äh, [trompetet mit dem Mund]

Jessis (9) erster Gedanke gilt offensichtlich dem flexiblen Ostertermin und lässt durch die Formulierung durchscheinen, dass in der Schule bereits darüber gesprochen wurde. Die Bedeutung freilich scheint sich ihr nicht erschlossen zu haben und wird originell im Sinne einer die ganze Familie aktivierenden Feier umgedeutet. Sami (9) hingegen ist dieser Bezug sichtlich fremd. Seine Eltern scheinen mit anderen Dingen befasst zu sein und möglicherweise ist ein Grund dafür, dass er täglich einen Großteil seines Nachmittages in der »Schnitte« verbringt, in der emotionalen Distanz der Eltern gegenüber ihrem Kind zu suchen. Im weiteren Gesprächsverlauf versuchte Sami wiederholt das Gespräch zu »stören«, fiel anderen Kindern ins Wort, widersprach grundsätzlich deren Deutungen oder forcierte die Trivialisierung der Unterhaltung. Dies könnte u.U. als Provokation oder Desinteresse gewertet werden. Eine tragfähigere Erklärung für dieses Verhalten scheint mir jedoch noch viel grundsätzlicher ansetzen zu müssen, nämlich bei Erfahrungen in der primären Sozialisation. Einem Gespräch aufmerksam zu folgen, setzt nicht nur gewisse kognitive Fähigkeiten voraus, sondern vor allem auch soziale und emotionale Kompetenzen. Wenn Kinder nicht oder nur selten erfahren haben, dass sich jemand für das interessiert, was sie den-

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ken oder zu sagen hätten, wenn es für sie ungewohnt ist, ihre eigenen Gedanken auszudrücken und sich im Gespräch auf Gedanken anderer zu beziehen, dann wäre nicht nur zu erwarten, dass sie einem wertschätzenden Gespräch Befremden entgegenbringen, sondern mitunter sogar die desinteressierte Haltung ihres unmittelbaren Umfeldes auf alle anderen Gesprächspartner projizieren. Solche Strukturen emotionaler oder sozialer Vernachlässigung stehen natürlich nicht in einem direkten Verhältnis zum Bildungsgrad und Haushaltseinkommen der Eltern – diese lassen sich ebenso in wohlhabenden Familien identifizieren.10 Mit diesen Hinweisen will ich lediglich andeuten, dass »prekäre Lebensverhältnisse« nicht nur über das schulische Leistungsniveau der Kinder oder das Haushaltseinkommen bzw. den Bildungsgrad der Eltern definiert werden sollten. In diesem Sinne greift auch ein gesellschaftlicher Diskurs zu kurz, wenn dieser die Not »bildungsferner« Kinder nur in Bezug auf Art und Höhe der Transferleistungen oder weitreichenden Veränderungen im Bildungssystem thematisiert. Einrichtungen wie die »Schnitte« bemühen sich hingegen, vor allem diesen Mangel an emotionaler Bindung oder sozialer Orientierungslosigkeit aufzufangen und schaffen damit eine wichtige Voraussetzung für das in der Kindertheologie so elementare offene und wertschätzende Gespräch. 10 Allerdings deuten soziologische Studien darauf hin, dass materielle und kulturelle Armut die Gefahr einer sozialen Vernachlässigung zumindest wahrscheinlicher machen. Vgl. die instruktiven Bemerkungen bei Peter Zimmermann, Grundwissen Sozialisation. Einführung in die Sozialisation im Kindes- und Jugendalter, Wiesbaden 2006, 113ff.

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Dass alle Gesprächspartner in der Lage sind, ihre Gedanken und Gefühle sprachlich auszudrücken bzw. die eigene und die fremde Positionen nicht als einander ausschließend zu betrachten, wird mitunter in Gesprächen mit stabil-gebunden und gebildeten Kindern stillschweigend vorausgesetzt. Ein Theologisieren mit Kindern wie Sami müsste sich diese Grundlage der aufmerksamen Gesprächsführung hingegen erst noch schaffen. Berücksichtigt man weiterhin, dass Konstruktionen der Wirklichkeit sich stets aus Voraussetzungen des (familiären) Umfelds speisen, dann hieße dies für potentielle theologische Deutungen von »bildungsfernen« Kindern außerdem, dass deren Lebensumstände, die sozialen und emotionalen Prägungen, die abwesenden Bezugspersonen etc. in der Wahrnehmung mehr Gewicht bekommen müssen. Gerade deshalb, weil sie sich von der Sozialisation der meisten Pädagog/innen und Theolog/innen so sehr unterscheiden. Zu fragen wäre schließlich, welche Auswirkungen dies auf die Symbole und Sprachformen hat, mit denen jene Kinder theologisch operieren können. Im Gespräch fielen etwa viele Antworten sehr knapp aus und Gedankenketten waren eher kurz. Anstelle von explizit formulierten Deutungen waren eher implizite AnDeutungen würdigend aufzunehmen.11 2.2 »Das hatten wir mal in Ethik auch.« – Fragmente religiösen Wissens und theologische An-Deutungen

Eine zweite Schwierigkeit stellt sich der Kindertheologie, wenn das bildungsferne Milieu der Kinder darüber hinaus »religionsfern« geprägt ist. Dahinter steht

m.E. die berechtigte Frage, ob man bei Kindern, die aus religiös-indifferenten Elternhäusern kommen und in einer konfessionslosen Mehrheitsgesellschaft aufwachsen, davon ausgehen kann, dass christlich-religiöse Inhalte gekannt, bzw. dass ein Zugang zu religiösen Sprachgestalten und Ausdrucksformen vorhanden ist? Ist es möglich ohne diese materialen (inhaltlichen) und formalen (sprachlichen) Voraussetzungen ein theologisches Gespräch zu führen? Eine Unterhaltung über »Ostern« könnte sich problemlos in Bezügen zur Kultur oder Lebenswelt verlieren. Es wäre dann jedoch nicht unbedingt ein religiöses Gespräch. Strebt man hingegen an, dass die Kinder in ihren Deutungen auch die

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11 Hier wäre es sicherlich angeraten sonder- und förderpädagogischen Impulsen der Religionsdidaktik mehr Aufmerksamkeit zu schenken und Alternativen zu wortlastigen Diskursen zu bedenken.

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theologische Dimension des Festes einbeziehen, setzt dies mindestens eine grobe Kenntnis des Zeugnisses von Jesu Tod und Auferstehung voraus. Um ein eventuelles Vorwissen der Kinder anzusprechen, legte ich ihnen ein schlichtes Holzkreuz vor, das wegen der kulturell vielfältigen Verankerung nicht zwangsläufig christlich interpretiert werden muss.12 Überraschenderweise stellten die Kinder sofort einen Bezug zum Tod Jesu her, weshalb ihnen ein zweites Symbol, das Bild eines Kruzifix, gezeigt wurde. Daran schloss sich folgender Gesprächsabschnitt: JS: Jetzt zeige ich euch mal [ein] anderes [Kreuz] und zwar so eines hier [zeigt Kruzifix]. Jessi: Das ist Jesus. Alina: Das soll er sein! JS: Das soll er sein? Das ist er nicht wirklich? Alina: Nein, der ist weg. JS: Wieso, wo ist der? Alina: Auferstehung. Kevin: Der wurde entführt. Alina: Nein, Auferstehung. Haben Sie in einer Höhle verschleppt. Jessi: Nein, nicht in einer Höhle! Alina: In einer Höhle und dann war er am nächsten Tag weg. Jessi: Nein, der wurde ins Grab reingelegt. Und dann wa / wollten zw / drei Frauen den einsalben und da war Jesus dann weg. Da war aber ein weißer Engel und der hat dann was gesagt zu den Frauen. Pia: Wir haben [das] erst in Geschichte gehabt. JS: Das habt ihr in Geschichte gehabt? Pia: Ja. Nein, das haben wir jetzt noch. […] Jessi: Wir hatten Ethik jetzt schon ein Jahr lang und da hatten wir das mit Jesus schon jetzt das ganze Jahr. Sami: Wieso ist der an den Händen gefesselt, kann das nicht hier [am Arm] sein und nicht …?

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Alina: Der ist tot. Sami: Ja, du bist auch gleich tot. JS: Wieso ist der gefesselt? Alina: Damit er umgebracht wird. Sami: Na an den Händen hier unten reingeschlagen … Alina: Die Kinder haben ihn verpetzt. Jessi: Nein! Jesus hatte ja zwölf Brüder und ein Bruder von Jesus hat ihn verpetzt.

An dieser Passage ließe sich eine Reihe von Beobachtungen anschließen, die hier nicht erschöpfend ausgeführt werden sollen. Im Hinblick auf die Fragestellung zentral ist m.E. die Beobachtung, dass auch unter den angedeuteten Bedingungen der »Religionsferne« bei den Kindern dieser Stichprobe einige Fragmente religiösen Wissens vorhanden sind. Jessi, Alina (11) und Pia (11) schreiben dies dem Ethik- bzw. Geschichtsunterricht zu.13 Dabei kommt es mir hier nicht darauf an, die tatsächlichen Quellen des Wissens zu rekonstruieren (genauso gut hätten andere Schulfächer oder Medien dieses vermitteln können) oder zu mutmaßen, ob diese konkrete Beobachtung sich in einer empirischen Erhebung bestätigen könnte. Vielmehr möchte ich auf die heuristische Qualität des kindertheologischen Paradigmas hinweisen, das durch die sensible Wahrnehmung der Kinder dazu geeignet ist, vor allem das eigene religionssoziologische Vorverständnis infrage zu stellen. Eine als tabula 12 Denkbar wären etwa Gespräche über Schmuck, Gipfelkreuz, Kirchturm, Friedhof etc. 13 Im Rahmen des kompetenzorientieren Lehrplans ist diese Akzentsetzung zumindest für den Ethikunterricht denkbar, etwa als »lexibles Grundwissen« zur »Förderung der Kompetenz, den Kulturkreis und Glaubensrichtungen beschreiben zu können.« Vgl. http:// www.bildung-lsa.de/pool/RRL_Lehrplaene/ Entwuerfe/lpgsethik.pdf, S.16. (06.07.2014).

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rasa verstandene Religionslosigkeit hätte sich möglicher Anknüpfungspunkte im Voraus beraubt. Stattdessen wäre nach kulturellen Schnittstellen zu suchen, die sich jenseits eines religiösen Elternhauses, der Gemeinde oder des Religionsunterricht befinden und an die ein deutendes Gespräch anschließen kann. Konkret zeigt sich etwa bei Alina, dass sie mit dem Stichwort »Auferstehung« eine Ahnung verknüpft, dass der im Symbol des Kreuzes erinnerte Tod Jesu nicht das zentrale oder mindestens nicht das einzige Element der Ostererzählung ist. Das leere Grab wurde zu diesem Zeitpunkt im Gespräch noch nicht angesprochen, aber selbst Kevin (10), der sich am Ende des Gespräches als Atheist beschreibt und wenig am Diskurs beteiligt, geht mit seinem »Der wurde entführt!« über das Bild des Kruzifix hinaus und schließt sich damit (sicherlich unbewusst) dem in Mt 28,13ff apologetisch gewendeten Erklärungsversuch des Auferstehungszeugnisses an. Alina hingegen weist diese Deutung entschieden ab und möchte das Geheimnis des Geschehens bewahrt wissen. Jessi erinnert sich an den, wahrscheinlich aus dem Unterricht oder einer bildlichen Darstellung bekannten Deute-Engel (Mt 28,5–7 par). So zeigt diese Sequenz, dass man in diesem Fall mindestens drei verschiedene, implizite Näherungen an das Osterereignis aufnehmen und miteinander ins Gespräch bringen könnte. 2.3 Verankerung in der Lebenswelt

An zwei Beispielen zeigt sich m.E., wie die lebensweltliche Prägung in die theologische Deutung einfließt. Auffallend

ist etwa das Interesse von Sami an der physischen Dimension des Kreuzestodes, denn er versucht intensiv zu imaginieren, warum der Gekreuzigte neben den Nägeln noch Fesseln braucht, um am Kreuz hängen zu bleiben. Bei den Mädchen stieß diese Vorstellung eher auf Ablehnung. Auf die später gestellte Frage, warum das Kruzifix in manchen Kirchen hänge, antwortete Alina mit Blick auf die Gottesdienstbesucher: »Die möchten sich bestimmt quälen damit.« Für Sami und Kevin war dies wiederum eine Steilvorlage, die Darstellung des Gekreuzigten als »mega krass« und »geil« zu beschreiben. Von mir wurden diese Äußerung zunächst als nicht hilfreiche »Störungen« übergangen. Bei näherem Hinsehen lassen sich diese jedoch als Reflex der intensiven Mediennutzung und -prägung interpretieren. Ist die Freizeit maßgeblich von gewaltverherrlichenden und actiongeladenen Filmen, Comics oder Spielen bestimmt, dann ist ein Einfluss auch auf die ästhetische Rezeption religiöser Darstellungen mehr als nachvollziehbar.14 Eine 14 Indizien für eine Kovarianz von Bildungsniveau und steigender Mediennutzung lässt etwa die aktuelle JIM-Studie erkennen. Diese wertet zwar die Angaben von Jugendlichen (12–19 Jahre) aus, die Relationen zwischen den Bildungsniveaus lassen sich aber durchaus auf die Kindheit übertragen. So zeigt sich etwa bei Hauptschüler/innen ein zeitintensiverer Fernseh- und Internetkonsum. Ego shooter wie »Call of Duty« fanden bei ihnen breitere Zustimmung als bei den Altersgenossen, die eine Realschule oder das Gymnasium besuchen. Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hg.), JIM 2013. Jugend, Information, (Multi-) Media, Stuttgart 2013, online verfügbar unter: http://www.mpfs. de/fileadmin/JIM-pdf13/JIMStudie2013.pdf (06.07.2014).

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vorschnelle symbolische Übertragung des Leidens Jesu würde demgegenüber Gefahr laufen, die beiden Jungen vor den Kopf zu stoßen und durch Vorbehalte gegenüber der Lebenswelt der Jungen auch deren subjektive (lebensweltlich geprägte) Interpretation zu negieren. Alina ist dagegen an den Ursachen des leidvollen Todes interessiert und beantwortet die eigentlich an Sami gerichtete Nachfrage (»Wieso ist der gefesselt?«) mit dem impliziten Rekurs auf den Verrat durch Judas. Freilich sind es für sie die »Kinder« und für Jessi einer seiner »zwölf Brüder«, die Jesus »verpetzt« haben. Im Gespräch wurde dieser Deutung der Vorzug gegeben und man wäre geneigt, daran eine kindliche Paraphrase der biblischen Erzählung zu sehen. Für die »Brüder« lässt sich dies ohne weiteres zugestehen, denn die Empörung des Verrats aus den eigenen Reihen ist damit vielleicht sogar noch besser ausgedrückt als durch den originalen Begriff der »Jünger«. Die Wendung »verpetzen« deutet demgegenüber in eine andere Richtung, denn der »Verpetzte« hat sich in der Regel vorher schuldig gemacht und diese Schuld kommt durch den Verrat ans Licht. Der biblische Verrat des Judas ist hingegen eher als ein Hinterhalt an einem Unschuldigen zu beschreiben. Mit dieser Unterscheidung will ich andeuten, dass in der Gesprächsführung automatisch Wertungen vorgenommen und sicherlich nicht nur in diesem Beispiel Deutungen vorgezogen werden, die auf den ersten Blick adäquat erscheinen, dagegen andere verworfen werden, die sich der Denk- und Sprachlogik des Gesprächsleiters sperren.

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3. »Jesus ist ausgebrochen!« – als Halbgott oder Zombie?

Wie schon erwähnt, ließ die ungewohnte und zuweilen diffuse Gesprächsatmosphäre nicht immer Raum für konzentrierte und elaborierte Gedankengänge. An einer Szene kurz vor dem Ende des Gesprächs lassen sich jedoch zwei sehr schöne theologische Denkprozesse erkennen. Das Gespräch entwickelt sich durch eine Zeichnung des geöffneten Grabes:

© K. Maisel, www.kigo-tipps.de

JS: [Könnt] ihr mir sagen könnt, was das ist? [Zeichnung vom leeren Grab] Jessi: [Ei]ne Höhle. Alina: Höhle. JS: Und was hat das mit Ostern zu tun? Alina: Da war Jesus drin. JS: Und warum ist die jetzt offen? Alina: Weil die geguckt haben, ob er noch da ist, oder? Jessi: Der ist ausgebrochen. JS: Jesus ist ausgebrochen? Jessi: Jaa! Alina: Wenn er tot ist? JS: Und wo ist der hin? Pia: In den Himmel. Sami: Nach Afrika! Kevin: Nein, der ist zur Sonne gereitet [sic]. Alina: Zu Gott.

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Sami: Der ist zur Sonn / zur Sonne gereitet. Pia: Der wurde zu Gott. JS: Der wurde zu Gott? Alina: Irgendwie … Halbgott? JS: Aha … Alina: Der war Halbgott und jetzt ist er Gott. […] JS: Habt ihr das schon gehabt, im Ethikunterricht? Alina: Nein. Pia: So ein bisschen. […] JS: Aber könnt ihr euch vorstellen, dass man sich da freut, wenn jemand, den man gern hat, nicht mehr tot ist, sondern dann plötzlich wieder lebt? […] Sami: Zombie!! […] Kevin: Oder es ist Frankenstein!

3.1 »Der war Halbgott und jetzt ist er Gott«

Dieses Zitat von Alina ist das Resultat eines sich im Gespräch entwickelnden Gedankens. Zunächst ist für Alina offenbar die Vorstellung prägend, dass die Anhänger/innen Jesu das Grab geöffnet haben (»weil die geguckt haben«). Jessi spricht hingegen Jesus eine Eigenaktivität zu, denn für sie wurde er nicht gestohlen, sondern ist selbst »ausgebrochen«. Alina stellt dies infrage und verweist darauf, dass Jesus doch tot sei. Auf meine Frage hin, wo nun nach Jesus zu suchen sei, antworten Pia, Sami und Kevin auf den ersten Blick eher assoziativ. Alina scheint nun ihre eigene Aussage (»Zu Gott«) mit der von Pia (»Der wurde zu Gott«) zu verknüpfen und über den Zwischenschritt (»Irgendwie … Halbgott«) schließlich zu der o.g. Deutung zu kommen. Dass diese Denkleistung allem Anschein nach ei-

genständig hervorgebracht wurde, zeigt auch ihre Verneinung der Frage, ob sie dies im Ethikunterricht gelernt habe. Mag es auch den Maßgaben des Chalcedonense nicht gerecht werden und Assoziationen zur griechischen Mythologie wecken, so ist doch die Leistungskraft der Denkfigur unverkennbar. Darin ist sowohl das christologische Paradoxon (Gott und Mensch) als auch die in dem Begriff »Auferstehung« mitgedachte Verwandlung (des »alten« in den »neuen« Leib)15 schlüssig elementarisiert. Ob dieser Gedankengang auch von den anderen Kindern nachvollzogen wurde, lässt sich freilich nicht eindeutig ermitteln. Mit gewisser Bestimmtheit kann man aber behaupten, dass Alinas Deutung ein Produkt des gemeinsamen Theologisierens war und sie ohne die Zwischenschritte und Aussagen der anderen Kinder möglicherweise keinen Anlass gesehen hätte, den Tod Jesu infrage zu stellen. 3.2 Jesus Christus – zwischen »Zombie« und »Frankenstein«

Diese beiden Einwürfe von Sami und Kevin wurden von einer großen Unruhe flankiert und kurz darauf bricht das Gespräch ab. Die Bemerkungen wurden zwar kurz aufgenommen, aber nicht weiter verfolgt, denn den Auferstandenen als monströses, halb-totes Zwitterwesen zu beschreiben, lässt selbst bei hartgesottenen Theologen einige Warnsignale aufleuchten. Konterkariert die Vorstellung des unruhigen, unmenschlichen Untoten 15 Vgl. etwa die paulinische Argumentation in 1. Kor 15,44.

Schimming Ein Gespräch über Ostern mit bildungs- und religionsfernen Kindern

nicht die Hoffnungs- und Freudenbotschaft eines Sieges über den Tod? So berechtigt solche Einwände sind, so kann man an der Assoziation mindestens würdigen, dass auch sie eine Verwandlung voraussetzt, denn auch der Zombie ist eben Anderes als ein wieder zum Leben zurückkehrender Mensch. Will man noch weitergehen, so drückt sich darin sogar eine struktur-analoge, Tod und Leben überbrückende Denkfigur aus. Denn während Alina mit dem Begriff »Halbgott« zwischen dem sterblichen Menschen und dem unsterblichen Gott vermittelt, löst Sami die Differenz vom toten und lebendigen Menschen durch den un-toten »Zombie« bzw. Kevin durch den aus toten Bestandteilen zum Leben erweckten »Frankenstein«. Die Überwindung des Todes ist in der Regel keine Alltagserfahrung und lässt sich nur symbolisch beschreiben. Da die »religionsfernen« Sami und Kevin kaum über ein religiöses Symbolrepertoire verfügen, bleibt ihnen eigentlich nichts anderes übrig, als nach Äquivalenten aus ihrer (von Medienkonsum geprägten) Lebenswelt zu suchen. So gesehen ist der zunächst im Gespräch als abwegig eingeschätzte »Zombie« / »Frankenstein« unter den gegebenen Bedingungen im Kern eine durchaus naheliegende Deutung, natürlich vorausgesetzt, man vernachlässigt die phantastischen und actiongeladenen Ausschmückungen. Sami und Kevin werden diese höchstwahrscheinlich nur implizit vollziehen und selbst nicht explizieren können, zumindest nicht in der Weise, wie ein »bildungsnahes« Kind es vermag. Dass aber die sprachlichen Fähigkeiten dies nicht erlauben bzw. die Lebenswelt möglicherweise befremdliche

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Assoziationen bereitstellt, sollte nicht zu der Annahme verleiten, die Redebeiträge vorschnell zu übergehen und den Kindern die Fähigkeit oder den Willen absprechen, sich deutend zur (religiösen) Wirklichkeit zu verhalten. 4. Schlussfolgerungen

Auf der Grundlage des dargestellten Gesprächs und der Beobachtungen will ich fünf mir wichtig scheinende Herausforderungen andeuten, deren Berücksichtigung ein Theologisieren mit bildungsund religionsdistanzierten Kindern aus meiner Sicht bereichern würde. 1. Die Kindertheologie lebt vom offenen Gespräch. Diese Gesprächskultur ist Voraussetzung, aber nicht voraussetzungslos. Haben Kinder in ihrer primären Sozialisation erfahren, dass Diskurse in erster Linie durch soziale Machtverhältnisse entschieden werden, bedarf es einiger Anstrengung, mit ihnen den sachlichen Austausch und die Wertschätzung des fremden Arguments einzuüben. 2. Eine milieuüberschreitende Begegnung ist dann fruchtbar, wenn sie in die Auseinandersetzung mit eigenen Vorurteilen und Klischees führt. Die Beteiligten (insbesondere die Leitenden) eines Gesprächs laufen Gefahr, ihre vorbewussten Erwartungen und Wertungen auf die Teilnehmenden zu projizieren und dadurch implizit fortzuschreiben. Die Grenze zwischen wertvoll-befremdlichen und störendprovokativen Aussagen ist zwar fließend, aber es wäre mehr als lohnend, an Kriterien der Unterscheidung zu arbeiten und insbesondere die ernst-

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Pädagogische Anregungen

haften Gesprächsbeiträge stärker zu profilieren. 3. Wenn der Bildungsgrad mit der Intensität und Art der Mediennutzung korreliert, dann wird diese im Gespräch mit bildungsbenachteiligten Kindern zu einer der wichtigsten Referenzgrößen. Zum einen, weil das Repertoire der (religiösen) Symbole maßgeblich durch diese geprägt sein dürfte, zum anderen, weil anzunehmen ist, dass die medialen Impulse mit sinkendem Bildungsniveau deutlich unkritischer rezipiert werden. Eine reflexive Distanz zu Bildwelten gewaltzentrierter Filme und Spiele einzunehmen, ist anspruchsvoll und (auch für die Kindertheologie) nicht in jedem Fall vorauszusetzen. Eventuell müssen solche Bildwelten vorübergehend integriert werden, um medienunkritische Kinder zu befähigen, diese zu einem späteren Zeitpunkt eigenständig zu problematisieren. 4. Das Attribut »religionsfern« ist als Container-Begriff für einen inhomogenen Teil der Gesellschaft nicht als religiöse tabula rasa zu verstehen, sondern die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, dass auch Kinder aus nichtreligiösen Elternhäusern Fragmente religiösen Wissens aufgenommen und in ihre individuellen Sinnstrukturen integriert haben könnten. In diesem Sinne ist der Verdacht der »Religionslosigkeit« nicht notwendigerweise

eine Grenze für die Kindertheologie, sondern vielmehr im Sinne eines Forschungsdesiderats zu verstehen, also die Herausforderung, jenseits des Bekannten und Erwartbaren religiöse Deutungen wahrzunehmen. 5. Die Identifikation jener religiösen (bzw. religionsaffinen) Deutungen kann sich allerdings nicht gänzlich des Vorwurfs entziehen, dass es sich in Wahrheit nicht um eine rekonstruierte, sondern von den jeweiligen Forschenden konstruierte Religiosität handelt, die mehr über das Subjekt der Forschung als über deren Gegenstand Auskunft gibt. Ob die Stichworte »Zombie« oder »Halbgott« wirklich als religiöse Deutungen gemeint sind, wie oben argumentiert, oder ob eher banalere Intentionen hinter diesen Aussagen steckten, ließe sich nur dann mit einiger Bestimmtheit sagen, wenn die milieubedingte Semantik besser verstanden werden würde. So wäre etwa zu fragen, in welchen Sprachcodes Kinder jener Milieus das kommunizieren, was sie »unbedingt angeht«. Weiterhin wäre zu überlegen, an welchen Orten und gegenüber welchen Gesprächspartnern, dies zur Sprache kommen könnte. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit als neutraler Ort zwischen Schule und Familie hätte als ein Forum für Gespräche dieser Art m.E. ein noch unterschätztes Potential.

Strumann »He! Ich habe viel Stress! Ich hasse alles.«

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Barbara Strumann »He! Ich habe viel Stress! Ich hasse alles.« Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung klagen zu Gott

He, ich habe viel Stress! Ich hasse alles. Ich habe nur Stress. Wieso ist alles scheiße? Hilf mir, mein Herr! Ich kann es schaffen. O bitte hilf mir! Ich habe mal Lob ausgesprochen gekriegt.

Abb. 1

Arbeitsergebnisse mit solchen Botschaften erwartet man nicht als Erstes, wenn man der Frage nachgehen möchte, ob es eine Möglichkeit gibt, nicht nur mit Schülerinnen und Schülern in Grundschulen und Gymnasien zu »theologisieren«. Deshalb werde ich erörtern, ob die Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung, die an meinem Projekt teilgenommenen haben, als bildungs- oder religionsfern bezeichnet werden können. Daran schließen Ausführungen zur Gewalt- und Sprachmacht in den individuellen Klagepsalmen an. Dem Theologisieren nähere ich mich über persönlich relevante, kontextuell und

lebensweltlich verankerte theologische Ausdrucksformen und der Präsentation exemplarischer Schülerpsalmen, die im Rahmen meines Forschungsprojektes entstanden sind. 1. Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung – Bildungs- und Religionsferne Schülerinnen und Schüler?

Bildungs- und religionsfern werden Kinder und Jugendliche mit Unterstützungsbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung häufig bezeichnet. Empi-

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Pädagogische Anregungen

rische Daten, die dies belegen könnten, liegen aber nicht vor. Das Fehlen dieser Gruppe in empirischen wie allgemeinen religionsdidaktischen Veröffentlichungen weist vielmehr darauf hin, dass Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung der Religionspädagogik lange Zeit fern waren.1 Erst jetzt, im Zuge der zunehmend inklusiven Beschulung, taucht auch diese Schülergruppe in einzelnen religionspädagogischen Beiträgen auf.2 Doch ist es nicht die Bildungs- und Religionsferne dieser Kinder und Jugendlichen, die die Religionspädagogik und die Schulen umtreibt. Es sind die herausfordernden Verhaltensweisen, die emotionale Labilität, eine geringe Frustrationstoleranz, Verweigerung, massiv aggressive, aber auch depressive Verhaltensweisen und die vielschichtige Verflochtenheit in unterschiedlichste Gewaltzusammenhänge, die den Religionsunterricht in inklusiven Settings vor eine neue Herausforderung stellen und ihn an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung oft unmöglich erscheinen lassen. 2. Wie kann man sich den Gewalterfahrungen der Schülerinnen und Schüler nähern?

Gewalt spielt im Leben der hier genauer zu betrachtenden Kinder und Jugendlichen meines Projektes eine herausragende Rolle. Das heißt, dass diese Thematik auch im Religionsunterricht unmittelbar präsent ist. Die Aufgabe stellt sich damit, diesen Erfahrungen Raum zu geben, so-

dass sie so thematisiert werden können und dass dies schuladäquat geschehen kann. Meine Hypothese war, dass in der Sprachwelt der Bibel angemessene Formulierungen gefunden werden können, an die die Schülerinnen und Schüler anknüpfen können. Gewalt, Aggressionen, Wut, Gewalterfahrungen und Unterdrückung ziehen sich durch die biblischen Texte wie ein roter Faden. In verdichteter Form sind sie in den individuellen Klagepsalmen anzutreffen. »Die biblischen Psalmen konfrontieren uns mit einer Welt voller Feindschaft und Gewalt.«3 Mit der Klage entsteht inmitten von Feindschaft, Hass, Furcht und Gewalt ein Sprachraum. Gegen die Verstrickungen in Gewaltzusammenhänge, die vielen Kindern und Jugendlichen sprichwörtlich die Kehle zuschnüren und sie wiederum zu Gewalt greifen lassen, kann geklagt werden. »Die 1 Eine bekannte Ausnahme stellt das Buch von Inger Herrmann, »Halt’s Maul, jetzt kommt der Segen …« dar. Allerdings spielen sich auch die hier beschriebenen Szenen an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen ab. Vgl. Inger Herrmann, »Halt’s Maul, jetzt kommt der Segen …« Kinder auf der Schattenseite des Lebens fragen nach Gott, Stuttgart 102011. 2 Z.B. Erna Zonne-Gaetjens, Inklusion / Exklusion im Religionsunterricht bei emotionalem/ sozialem Förderbedarf, in: Annebelle Pithan / Agnes Wuckelt / Christoph Beuers (Hg.), »… dass alle eins seien …« – Im Spannungsfeld von Exklusion und Inklusion, Münster 2013, 149–167 und Erna Zonne-Gaetjens, Inklusion. Bildungspolitische Vorgabe und religionsdidaktische Herausforderung, in: Bernd Schröder / Michael Wermkes, Religionsdidaktik zwischen Schulformspezifik und Inklusion. Bestandsaufnahmen und Herausforderungen, Leipzig 2013, 265–280. 3 Erich Zenger, Ein Gott der Rache. Feindpsalmen Freiburg i.Br. 1994, 141.

Strumann »He! Ich habe viel Stress! Ich hasse alles.«

Klagepsalmen bieten einen Ort, von dem aus ein Sprechen über die erfahrene Gewalt möglich wird«4, Wut, Aggressionen und Schuldgefühle ausgesprochen und begangene Gewalttaten nicht mehr verdrängt werden müssen. »Daß verdrängte Angst und unterdrückte Aggressivität nicht die Gewalttätigkeit überwinden, sondern potenzieren, haben wir inzwischen aus der Psychologie gelernt. Es kommt darauf an, mit Ängsten und Aggressionen leben zu lernen, indem man sie sich bewusst macht und gegen ihre Destruktivität angeht. Die Psalmen verdrängen diese nicht, sondern sprechen sie vor Gott aus und übergeben sie in seine Hände.«5

Im Zusammenhang mit Ängsten wird im Religionsunterricht seit über 20 Jahren auf Klagepsalmen zurückgegriffen.6 Die individuellen Klagepsalmen bieten darüber hinaus auch vielfältige Ansatzpunkte für den religionspädagogischen Umgang mit Gewalt und Gewalterfahrungen, wie die exemplarisch angeführten Arbeitsergebnisse auf den kommenden Seiten zeigen werden. 3. Theologisieren mit bildungsfernen und religionsfernen Kindern – Eine persönlich relevante, kontextuell und lebensweltlich verankerte Theologie für Kinder und Jugendliche

Unabhängig davon, ob die Schülerinnen und Schüler, die an dem Projekt teilgenommen haben, nun als bildungs- und religionsfern zu bezeichnen sind oder nicht, dadurch, dass ihnen mit den individuellen Klagepsalmen »Sprachmuster aus der christlichen Tradition zur

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Verfügung«7 gestellt wurden, konnten sie die Psalmtexte als Sprachraum entdecken und als produktive Handlungsmöglichkeit für den Umgang mit Gewalt und Gewalterfahrungen nutzen. In diesem Sprachraum konnten die Kinder und Jugendlichen »ihre eigene Theologie konstruieren bzw. dekonstruieren«8. Eine Theologie, die aus ihrem »Alltag erwächst, kontextuell und lebensweltlich verankert«9 ist. Eine derart angelegte »Kindertheologie steht dem vielfach beklagten Wirklichkeitsverlust von Theologie entgegen, wenn es gelingt, akademische Theologie und lebensweltlich verankerte Alltagstheologien, theologisch-wissenschaftliche und ›laien‹theologische Konstruktionen aufeinander zu beziehen. Kindertheologische Studien haben mannigfaltig unter Beweis gestellt, dass die Auseinandersetzungen von Kindern mit den ›großen‹ Fragen des Lebens zu Ergebnissen führen kann, die Erwachsene nicht nur kaum für möglich gehalten haben, son4 Ulrike Bail, Gegen das Schweigen klagen, Gütersloh 1998, 215. 5 Erich Zenger (wie Anm. 3), 152f. 6 Vgl. Ingo Baldermann, Wer hört mein Weinen? Kinder entdecken sich selbst in den Psalmen, Neukirchen-Vluyn 61999; Ich werde nicht sterben, sondern leben. Psalmen als Gebrauchstexte, Neukirchen-Vluyn 52011; Einführung in die biblische Didaktik, Darmstadt 42011 und weitere. 7 Sabine Pemsel-Maier, Kindertheologie und theologische Kompetenz: Anstöße zu einer Theologie für Kinder, in: Friedhelm Kraft / Petra Freundenberger-Lötz / Elisabeth E. Schwarz (Hg.), »Jesus würde sagen: Nicht schlecht!« Kindertheologie und Kompetenzorientierung, JaBuKi Sonderband, Stuttgart 2011, 77. 8 Ebd., 76. 9 Katharina Kammeyer, »Lieber Gott, Amen!« Theologische und empirische Studien zum Gebet im Horizont theologischer Gespräche mit Vorschulkindern, Stuttgart 2009, 39.

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Pädagogische Anregungen

dern die zugleich deren eigene Deutungen und Interpretationen anregen können. Die ›Theologien der Kinder‹ haben daher einen unersetzbaren Platz in einer lebensweltlich gewendeten Theologie, die sich als ›Anwalt des Subjekts‹ der Alltagswelt von Menschen verpflichtet weiß.«10

Das Forschungsprojekt skizziert den Versuch, der Frage nachzugehen, »wie religiöses Lernen und Lehren zu gestalten ist, das die Subjektorientierung des Religionsunterrichts ernst nimmt, zugleich

aber auch die mit der Offenbarung gegebenen theologischen Ansprüche einlöst.«11 In unvergleichbarer Weise kommen in dem Sprachmuster individueller Klagepsalmen diese theologischen Ansprüche und persönlich relevante, kontextuell und lebensweltlich verankerte theologische Ausdrucksformen (im Sinne der Subjektorientierung) zusammen, was die folgende Tabelle und die exemplarischen Arbeitsergebnisse zeigen.

Psalmtexte als produktive Handlungsmöglichkeit gegen Angst, Wut und Aggressionen

Ziele im Förderbereich

Ziele im fachlichen Bereich

Theologisieren

Die Schülerinnen und Schüler sollen ihre Ängste und Gewalterfahrungen wahr- und ernst nehmen,

den fremden Worten aus der Vergangenheit in ihrer emotionalen Elementarität begegnen

sich mit persönlich bedeutsamen / religiösen Themen auseinandersetzen

ihre Wut und Aggressionen wahr- und ernst nehmen,

von den Entstehungsbedingungen und dem Aufbau der Klagepsalmen erfahren

theologisches Wissen erwerben

die Psalmtexte als neuen Sprachraum entdecken

etwas von der Kraft der Psalmtexte nachempfinden

Kennengelerntes ausdrücken

die Psalmtexte als produktive Handlungsmöglichkeit gegen Angst, Wut und Aggressionen kennen lernen und ggf. selbst einsetzen

10 Friedhelm Kraft / Martin Schreiner, Zehn Thesen zum didaktisch-methodischen Ansatz der Kindertheologie, in: Theo-web. Zeitschrift für Religionspädagogik (6) 1 / 2007, 21–24, hier: 21.

eigene Vorstellungen angesichts des Kennengelernten entwickeln.

11 Sabine Pemsel-Maier, Theologie für Kinder: Instruktion, Perturbation, verbindliches Angebot? Klärungshilfen von Seiten der Systematischen Theologie, in: Anton A. Bucher / Elisabeth E. Schwarz (Hg.): »Darüber denkt man ja nicht von allein nach.« Kindertheologie als Theologie für Kinder, JaBuKi 12, Stuttgart 2013, 57–67, hier: 64.

Strumann »He! Ich habe viel Stress! Ich hasse alles.«

Im Rahmen des Projektes begegneten die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen den Psalmen in ihrer emotionalen Elementarität. In dieser Begegnung setzten sie sich zunächst mit persönlich bedeutsamen Themen (den eigenen Ängsten und Gewalterfahrungen, ihrer Wut und Aggression) auseinander. Die Schülerinnen und Schüler lernten die Psalmtexte als neuen Sprachraum kennen, erfuhren von den Entstehungsbedingungen und

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dem Aufbau dieser alten und doch noch immer so aktuellen Texte. Das gemeinsame Muster der Klagepsalmen aufgreifend, begannen sie ihre ersten eigenen Psalmen zu schreiben. Diese hier exemplarisch abgedruckten Schülerpsalmen vermögen etwas davon zu zeigen, wie die Kinder und Jugendlichen die Psalmtexte als produktive Handlungsmöglichkeit gegen Angst, Wut und Aggressionen einsetzen.12

Hi, Ich möchte hier um einen Hilferuf bitten. Ich habe nämlich heute schlechte Laune. Einige meinen, ich bin doof und dass ich hässlich bin. Das verletzt mich sehr. Gott, vielleicht kannst du ihnen ins Gewissen reden. Es würde mich freuen. Dann macht es bestimmt Spaß wieder zur Schule gehen. Dann hättest du mir wieder neue Hoffnung machen. Danke, dass du mir zugehört hast.

Abb. 2

12 Die Schülerarbeiten werden zur besseren Lesbarkeit in orthographisch korrigierter Form dargestellt. Grammatische Wendungen bleiben weitestgehend erhalten. Im Groben lehnt sich dieses Verschriftlichungsverfahren an Thorsten Dresings / Thorsten Pehl, Praxisbuch Interview und Transkription. Regelsysteme und Anleitungen für qualitative ForscherInnen, Marburg 42012 an.

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Pädagogische Anregungen

Ich bin echt wütend, doch du Herr bringst mir neue Hoffnung. Das ist echt schön, dass du mich schützt (das soll ein Lob sein) DAS ER DICH SCHÜTZT ist dir klar!

Abb. 3

Ich glaube nicht an Gott, weil es keine wissenschaftlichen Beweise gibt und ich glaube nur, was ich sehe. Mein Gott ist Satan, der ist cool. Wenn ich Gott meine, meine ich Satan, weil ich eh in der Hölle komme.

Abb. 4

Strumann »He! Ich habe viel Stress! Ich hasse alles.«

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Lieber Gott, ich möchte, dass du mir Vernunft gibst und dass ich mich wieder vernünftig benehmen kann. Ich habe so viele Leute verletzt. Ich möchte, dass alles gut wird. Bitte, mein Herr!

Abb. 5

4. Die individuellen Klagepsalmen – Ein »Sprachmuster aus der christlichen Tradition« zum Umgang mit Gewalt und Gewalterfahrungen

Inwiefern die Schülerinnen und Schüler, die an dem Projekt teilgenommen haben, als bildungs- und religionsfern bezeichnet werden können, konnte in diesem Artikel nicht weiter geklärt werden. Im Laufe des Projektes hat sich aber gezeigt, dass sich auch Schülerinnen und Schüler mit einer zweifelnden Grundhaltung, einem ambivalenten oder negativen Gottesbild in den individuellen Klagepsalmen mitsamt ihren Zweifeln, Fragen und ihrer Wut wiederfinden konnten. Nur »die Klage hält die widrige Wirklichkeit und Gott zusammen. Sie ist nicht eine beliebige religiöse Ausdrucksform oder Zeugnis einer übertrieben emotionalisierten Gottesbeziehung, sondern

eine legitime und in den widrigen Lebenssituationen oft die einzig mögliche Weise, an Gott festzuhalten.«13 Indem den Schülerinnen und Schülern mit den individuellen Klagepsalmen »Sprachmuster aus der christlichen Tradition zur Verfügung«14 gestellt wurden, haben sie inmitten ihres Alltags einen Ort gefunden, »von dem aus ein Sprechen über die erfahrene Gewalt möglich«,15 wurde, Wut, Aggressionen und begangene Gewalttaten betrachtet, reflektiert und z.T. auch bereut werden konnten. 13 Georg Steins, Klagen ist Gold! In: Georg Steins (Hg.), Schweigen wäre gotteslästerlich. Die heilende Kraft der Klage, Würzburg 2000, 11. 14 Sabine Pemsel-Maier, Kindertheologie und theologische Kompetenz (wie Anm. 7), 77. 15 Ulrike Bail, Gegen das Schweigen klagen (wie Anm. 4) 215.

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Pädagogische Anregungen

Sabine Dievenkorn Theologie mit und für Kinder in Chile – Religionspädagogische Impulse aus Schule und Kirche in modernen postkolonialen Strukturen 1. Educación Cristiana: Pädagogik im und um den Evangelischen Religionsunterricht

Die Mitglieder der evangelischen Kirchen kommen aus den nicht begüterten und aus bildungsbenachteiligten Klassen und Schichten. Daher versammeln sich im Evangelischen Religionsunterricht nicht die Leistungsspitzen einer Klasse. Es versammeln sich Lernende und Lehrende, die aus vergleichbarem kirchlichem Kontext stammen und die ähnliche spirituelle Erfahrungen verbinden. Das bedeutet dann – freilich in je eigener Weise: »Kindertheologie in der Form des Theologisierens ist mehr als nur ein bloßes Reden ›über‹ Religion, sondern setzt das Einverständnis voraus sich auf die ›Praxis‹ Religion (D. Benner) einzulassen.«1

Der Evangelische Religionsunterricht in der Schule ist per se keine Reden »über« Religion, sondern ein Teilen und Mitteilen von gelebter und erlebter Evangelischer Religion. Man mag nach dem Unterschied zu Sonntagsschulen und gemeindekatechetischen Stunden der Kirchen fragen, doch trifft dies nicht den Kern. Im noch immer in der Einführung befindlichen Unterrichtsfach ist es nicht die formale Abgrenzung zwischen Gemeinde- und Religionspädagogik, die die Normen und Rahmenbedingungen kennzeichnet. Es ist stattdessen das effektive Stattfinden die-

ses Unterrichts in einer durch und durch katholisch geprägten Gesellschaft. Da sich die Evangelischen Kirchen und ihre Mitglieder bei angefragter Selbstdefinition als »nicht-katholisch« und als »Gegenkultur« zur allgemeinen mainstream-Kultur definieren,2 werden also nicht Credos, Dogmen und Geschichte behandelt, sondern es wird den gemachten Erfahrungen mit Jesus Christus nachgegangen. Es werden Lieder gesungen, und es wird gebetet. Es werden Erlebnisse berichtet und vor und allem: Es wird in der Bibel gelesen. Das gelesene und gehörte Wort hat für die meisten eine solche Dignität, dass sich historische Fragen nach Herkunft, Zustandekommen und Wirkungskreis nicht stellen. Es werden die Echos beschrieben, die solchen Worte, Verse, Parabeln, Psalmen in uns und in den Kindern haben. Damit gewinnt die Ebene der Deutung Raum, ohne dass sie religionspädagogisch auf Theorien fußend lehrerseitig didaktisch geplant wäre. Es wird über Jesus Christus gelernt und geteilt, was erlebt und gewusst wird und vor allem, was in der Bibel zu 1 Friedhelm Kraft / Martin Schreiner, Zehn Thesen zum didaktisch-methodischen Ansatz der Kindertheologie, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 6 (2007), H. 1, 21–24, 23. 2 Vgl. Sabine Dievenkorn, La noticia del evangelio como traducción intercultural. Una teología sin imperativos en pos de un cristianismo inclusivo y descolonial, Concepción, 2014.

Dievenkorn Theologie mit und für Kinder in Chile

finden ist. Dabei ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die Lernenden wie die Lehrenden »ihre« Bibel haben. Wenn das Wort »ihre« hier besonders hervorgehoben ist, so soll dies auf die Vielfalt der Textausgaben hinweisen. Durch die Bemühungen der Bibelgesellschaften und verschiedenen ökonomisch potenten Kirchen sind in den letzten Jahren viele evangelische bzw. ökumenische Übersetzungen auf dem lateinamerikanischen Markt erschienen. Dass die unterschiedlichen Texte wie von selbst zu historisch-kritisch motivierten Nachfragen führen, ist nicht der Fall. Auch wenn die Worte der Bibel wortwörtlich verstanden werden wollen, führen doch die Übersetzungsdifferenzen nicht zu Bekenntnisdifferenzen, wie im folgenden Beispiel schnell deutlich wird, wenn man sehen kann, wie sich Unterricht vollzieht. Es wird der Wert der Harmonie, der kritischen Nachfragen weder befördert noch unterstützt, in seinem Vollzug deutlich. Man sieht die Gemeinsamkeiten, nicht die Differenzen. Das mag zunächst sehr einschränkend wirken, muss es aber nicht sein. Denn beim lauten Vorlesen beispielsweise werden die Unterschiede hörbar, wenn sie auch nicht diskutiert werden. Wir sind im Unterricht in einer Vorortschule. Die Kinder der siebenten Hauptschulklasse in Coronel haben schon einen langen Schultag hinter sich und sind ebenso abgespannt wie froh, wenn jetzt etwas geschieht, was mit ihrem Leben außerhalb der Schule zu haben kann. Es dauert etwas, bis zum Stundenbeginn Ruhe eintritt. Die 12-Jährigen haben Mühe, zur Ruhe zu kommen. Eigentlich wollte die Lehrerin den Kindern den vorbereiteten Text für heute über die Arbeiter im Weinberg, Mt 20,1–16, vor-

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lesen. Schnell entscheidet sie sich, dies die Kinder tun zu lassen, und man darf neben didaktischen Überlegungen disziplinarische Gründe dafür in Erwägung ziehen. So beginnt die Reihe, nachdem die Kinder den Text nach längerem Suchen gefunden haben, denn bei den unterschiedlichen Bibelausgaben hilft eine Seitenangabe nicht viel weiter. Doch alle Kinder, es sind gut 10, haben ihre Bibel mit. Dann geht es los: Ximena beginnt zu lesen, und schon stellen wir erste Unterschiede fest. Ist der Weinbergbesitzer ein Familienvater, der für seinen möglicherweise auch kleinen Weinanbau Leute sucht, die ihm gegen Bezahlung helfen,3 oder handelt es sich um einen reichen Fincabesitzer, der Weingüter besitzt4? Unerheblich ist das für die Gottesreichsvorstellung und ein Gottesbild nicht. Die Lehrerin erklärt, dass es sich hier nur um unterschiedliche Ausdrucksweisen für dasselbe handelt. Die Kinder scheinen zufrieden. Sie drücken sich schließlich auch in ihrer jeweiligen Sprache aus. Alejandro setzt fort. Die Reihe geht herum. Nicht allen fällt das Lesen leicht. Auch das Mitlesen ist ja nicht so einfach. Doch es bleibt ruhig. Nun kommt es zu der nicht einfachen Stelle der Gehaltszahlung. Luis gibt der ersten zweifelnden und Unrecht äußernden Stimme im Vers 12 Ausdruck: Es ist ungerecht, wenn die einen nur eine Stunde arbeiteten, die anderen aber einen ganzen Tag. In seiner 3 RV 1960: Mt 20.1: »Porque el reino de los cielos es semejante a un hombre, padre de familia, que salió por la mañana a contratar obreros para su viña« (Hervorhebung der Autorin). 4 DHH: Mt 20.1: Sucede con el reino de los cielos como con el dueño de una finca, que salió muy de mañana a contratar trabajadores para su viñedo (Hervorhebung der Autorin).

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Pädagogische Anregungen

Übersetzung antwortet der Weinbergbesitzer sehr freundlich: »Amigo« beginnt er und fragt sehr zugewandt, worin denn die Ungerechtigkeit bestehe? Schließlich hat der Weinbergbesitzer – Familienvater oder nicht – ja kein Versprechen gebrochen. Er fragt ganz direkt zurück: »Bist Du neidisch?«5 Das lässt die Frage nach der empfundenen Gerechtigkeit zunächst erst auch einmal bei den Kindern verstummen. Dann meldet sich Carmen: In ihrer Bibel steht, dass der Weinbergbesitzer mit seinem Eigentum machen kann, was er will.6 Und das ist ja schließlich richtig und sie weiß, dass Gott auch tut, was er will und demjenigen Gutes gibt, der gut ist und nicht neidisch. Bevor die Lehrerin die Gruppe nun in drei Gruppen teilt und zum Nachspielen der Szene auffordert, erklärt sie, dass die Ungleichbehandlung im Leben nicht immer ungerecht ist. Wir sind verschieden und Gott liebt uns je nachdem, wie stark wir im Glauben und eben nicht im Zweifeln sind. Egal ob Recht oder Unrecht, Neid oder Unrechtsempfinden, Vertrauen in Gott ist das wichtigste. Nicht aber das sich selbst messen am Nachbarn. Vermutlich trifft sie damit einen wesentlichen Kern des Gleichnisses, auch wenn uns der hier gegangene didaktische Weg nicht kritiklos einleuchtet. Dann spielen die Kinder die Szene und es wird ihr Frust und ihre Klage über die jenseits aller Lehrerin-Erklärung doch empfundene Ungerechtigkeit laut, jedenfalls in den Spielerinnen und Spielern, die diese Rolle haben. Doch der Familienvater erklärt in allen drei Gruppen liebevoll und zugewandt, dass es nicht ungerecht ist, wenn verschiedene Leute Verschiedenes bekommen. Das haben die Kinder und ihre Familien in Coronel erfahren bei der

Schließung der einst für Chile und die Region so wichtigen Kohlemine. Es traf alle hart, einige aber härter als andere, und wenn heute manche Väter für einen Tag einen Job haben – so etwas gibt es tatsächlich: Ein-Tages-Arbeitsverträge – dann ist oft ein Gottvertrauen nötig, um in dieser Ungerechtigkeit nicht eine Ablehnung durch Gott zu sehen. Dass Gott uns liebt, spüren wir im Herzen, nicht darin, dass uns jemand belohnt oder aber gerecht oder ungerecht erscheint. Das ist das Resümee der Stunde. Die Lehrerin fasst es zusammen und die Kinder sollen bis zur nächsten Stunde einen wichtigen Satz aus dem Unterricht aufschreiben. Den für sie wichtigsten. Dann ist die Stunde vorbei und die Kinder stürmen aus dem Raum und der Schule. Man darf vermuten, dass dies Unterrichtsstrategien sind, die den uns vertrauten fern sind. Dennoch haben sie in anderen kulturellen Kontexten – wie dem hier beschriebenen chilenischen – ihren herausragenden Wert. Verschiedenheit wird sichtbar. Sie wird nicht nivelliert. Das mag als didaktisches Ziel eines Religionsunterrichtes sehr minimalistisch erscheinen, sollte es aber nicht. Sicherlich ist es nicht mit der Formulierung und Begründung eines eigenen Standpunktes gleichzusetzen, aber wem nützt die Forderung nach der Formulierung eines klaren Standpunktes in einer Kultur, in der dies eine sehr untergeordnete Rolle spielt oder gar negative Konnotationen hat. Und die Frage stellt sich neu: Worum geht es eigentlich beim Theologisieren mit Kindern? Dort, wo ein Perspektivwechsel nicht nötig ist, weil 5 Vgl. DHH, Mt 20,1–16 oder La Biblia de las Americas. 6 Vgl. RV 1960.

Dievenkorn Theologie mit und für Kinder in Chile

es neben der eigenen Perspektive keine vergleichbare gibt und die eigene – da sie auf einer Gotteserfahrung gründet – auch nicht in Frage gestellt wird? Dort, wo die Philosophie der Aufklärung nur als ein historisches, europäisches Phänomen in der Philosophie gelebt und gelehrt wird, erscheint das auch keineswegs so naiv, wie dies in den aufgeklärten Sichtweisen von Theologie und Religionspädagogik Betreibenden sich darstellen mag. Man kann es einen unverstellten Zugang zur Religion nennen, der durch Erfahrung und Praxis geprägt ist, und dem der Evangelische Religionsunterricht, die Educación Cristiana – den außerkirchlichen und oft ökumenisch genannten Raum eröffnet, dies mit anderen zu teilen. Vielleicht ist das eine erste Phase in einem noch so jungen Arbeitsfeld. Vielleicht ist es aber auch ein Programm. Denn die meisten Pastorinnen und Pastoren wie auch Religionslehrende haben nie Theologie studiert. Sie sind Zeugen ihres Glaubens, der vor eine Kirche bzw. Gemeinde Anerkennung findet. Aber Bildung und all die ökonomischen Bedeutsamkeiten um dieses Thema ist von der Agenda der eher armen und ärmsten evangelischen Kirchen fast vollständig verschwunden. Das heißt nicht, dass nicht viele Kirchen auch Ausbildungskurse anbieten. Aber die gehen selten dem Amt und der Arbeit voraus. Sie ergänzen sie, sie begleiten sie.

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keit für die das Fach Unterrichtenden. Im Zusammenhang der oben beschriebenen Marktgesetze, die für Bildung, Ausbildung Schule und Universität gelten, sollte das hier jetzt nicht weiter verwundern. Wenn die quantitativ ökonomisch relevante Nachfrage nach einer solchen Ausbildung da ist, wird es sie geben. Wer sollte in einem ökonomisch schwer zu kalkulierenden Terrain für nicht gerade potente Klienten ein solches Angebot unterbreiten? Die zentralistische und eng an Rom und seine Standards gebundene katholische Kultur und Religion hat hier gänzlich andere Voraussetzungen und verfügt über andere Mittel. Doch katholischerseits wird theologisch Bildung nicht als glaubenshinderlich betrachtet. Um sich von den bildungs- und titelbestimmten Kreisen der Gesellschaft abzugrenzen, beschreiten die modernen evangelischen Kirchen auf der Suche nach einer Egalität andere Wege. Sieht man in der Abwertung von Bildung schlicht nur Ignoranz, greift diese Interpretation zu kurz. Es spiegelt sehr viel eher die Suche nach einer Würde des Menschen, die sich nicht in akademischen Titeln und monetärem Guthaben auflöst. Und es ist sicher nicht an den Bildungsbenachteiligten hier akademische Diskurse zu entfachen und postkoloniale Theorien zu entwerfen. »The subaltern cannot speak.«7

2. Religionspädagogik im Vollzug

Mit der gesetzlichen Einführung der Möglichkeit, an den Schulen das Unterrichtsfach Evangelische Religion zu etablieren, verband sich keineswegs die Einführung einer Ausbildungsmöglich-

Das ist eine Feststellung, deren Wiederholung durchaus Aktualität birgt. Es zeigt, wie deutlich, wie nachhaltig Ausschluss 7 Gayatri Spivak, Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Deutsch von Alexander Joskowicz und Stefan Wien, Wien 2007.

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Pädagogische Anregungen

von Bildung funktioniert und was es letztlich bedeutet, wenn Diskurse, die sich nicht auf akademischem Niveau vollziehen, die nicht in geschriebenen Büchern und veröffentlichen Artikeln nachzulesen sind. Sie existieren nicht. Und so werden die Bildungsfernen – und das gilt wohl generell – hier und da zu Studienobjekten, die neue Theorien entwickeln helfen, aber sie kommen aus dem Status Objekt zu sein nicht wirklich heraus. Genau das, was Projekt und Forschung des Theologisierens mit Kindern ermöglichen möchte, ist in autoritär zu beschreibenden Strukturen nicht möglich. »Kindertheologie führt zu spezifischen Anknüpfungen und Affinitäten zu bisherigen religionspädagogischen und allgemeindidaktischen Fragestellungen und Konzeptionen, in denen das Bildungsverständnis unter dem Primat des Subjekts und seiner Lebenswelt begriffen wird.«8

Kindertheologie führt damit zu einer Konsequenz, die sich auf die Religionspädagogik im Allgemeinen und vor allem aus die Ausbildung auswirkt. Es setzt eine Pädagogik voraus, die dem formulierten Ziel Paolo Freires entspricht, wie er es in seiner Pädagogik des Dialogs beschreibt: »Dialog ist ein menschliches Phänomen, das wir dadurch haben, da wir Worte haben, so dass wir das selbst Dialog nennen können. Mit der Suche nach einem Wort und entdecken wir seine konstitutiven Bestandteile. Wir entdecken, dass es kein wirkliches Wort gibt, keins das nicht schon eine Verbindung zwischen Aktion und Reflexion ist, und das nicht schon eine Praxis ist. So zu sagen, ist es das authentische Wort, das die Welt zu transformieren in der Lage ist. Das nicht authentische Wort kann die Realität nicht ver-

ändern, es ist bloßes Geschwätz, Geschwätz und entfremdetes und entfremdendes Wort, von dem man die Klage über die Welt nicht erwarten kann, und das die Welt schließlich seiner aktiven Dimension beraubt, denn in ihm steckt keine Verpflichtung, keine Handlung. Wenn sich das Wort selbst aber ausschließlich auf Handlungen bezieht, wird es jedoch Aktivismus und minimiert die Reflexion, negiert die wirkliche Praxis und macht den Dialog unmöglich. Menschen existieren nicht schweigend, sondern sprechend, in der Arbeit, in Aktion, in Reflexion. Dialog impliziert eine Gemeinschaft von Menschen für die die Verwandlung der Welt eine existenzielle Notwenigkeit ist. Das Wort spiegelt zwei untrennbare Bestandteile: Aktion und Reflexion, die dialektische Beziehung beider ermöglicht den Umgestaltungsprozess in der Welt. Reflexion ohne Aktion wird steril, es ist Wortschwall und Handeln ohne Reflexion ist Aktivismus. Die eigentliche Wort ist die Praxis, weil Menschen handeln müssen, um die Welt zu vermenschlichen, zu verändern und zu befreien.«9 8 Friedhelm Kraft / Martin Schreiner (wie Anm. 1), 22. 9 »El diálogo es un fenómeno humano por el cual se nos revela la palabra, de la que podemos decir que es el diálogo mismo. Por ello hay que buscar la palabra y sus elementos constitutivos. Descubrimos así que no hay palabra verdadera que no sea una unión inquebrantable entre acción y reflexión y, por ende, que no sea praxis. De ahí que decir la palabra verdadera sea transformar el mundo. La palabra inauténtica no puede transformar la realidad, pues privada de su dimensión activa, se transforma en palabrería, en mero verbalismo, palabra alienada y alienante, de la que no hay que esperar la denuncia del mundo, pues no posee compromiso al no haber acción. Sin embargo, cuando la palabra hace exclusiva referencia a la acción, se convierte en activismo, minimiza la reflexión, niega la praxis verdadera e imposibilita el diálogo. Los hombres no se hacen en el silencio, sino en la palabra, en el trabajo, en la acción, en la reflexión. El diálogo implica un encuentro de los hombres para la transforma-

Dievenkorn Theologie mit und für Kinder in Chile

Auch wenn hier der Geist der lateinamerikanischen Befreiungstheologie gegen Endes des letzten Jahrhunderts zu hören ist, trifft es doch einen nach wie vor aktuellen Kern. Und dies vor allem und nach wie vor in Lateinamerika. Gayatri Spivak und Paolo Freire fordern auf ähnliche Weise Ähnliches: Befreiung beginnt mit der Befähigung, sich sprachlich angemessen zu äußern. In der Suche nach der adäquaten Beschreibung verbirgt sich ein reflektierender Dialog, von dem weder die eine noch der andere fordert, dass dieser zwischen zwei bedruckten Buchdeckeln erfolgen sollte. Wesentlich ist in dem Moment der Versprachlichung der Prozess der Reflektion. 3. Vertrauen und gewaltfreie Kommunikation als Maxime des Theologisierens mit Kindern 3.1 Vertrauen als die Grundlage, die das Theologisieren mit Kindern ermöglicht

Damit ist nicht gemeint, dass der oder die Unterrichtende nun theologisch relevant oder nicht, eigene theologische Fachfragen mit den Lernenden thematisiert. Gemeint ist vielmehr, dass bei einem durch den Lehrplan bzw. das Curriculum vorgegebenen Thema Lehrende sich überlegen, was sie selbst spannend und diskussionswürdig finden, was sie selbst herausfordert, und wo es keine Antworten gibt bzw. eine Vielfalt möglich ist. Was interessiert mich wirklich in einem Gespräch über Jesus Christus? Das wäre auch in der deutschen Debatte mit einer Theologin oder einem Religionspädagogen sehr spannend. Es garantiert zudem auf eine sehr simple Weise das Interesse

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des oder der Fragenden an der Antwort der Befragten. Eine altersangemessene Kommunikations- und Ausdrucksweise wird dabei immer vorausgesetzt, ist aber ebenso eine Konsequenz, wenn tatsächliches Interesse besteht. Wenn ich von einem Kind eine Auskunft will, werde ich es immer so fragen, dass es mich versteht und dass mein Anliegen klar und unmissverständlich kommuniziert ist. Eine Lehrerfrage wie z.B. diese: »Wo ist Jesus geboren?« ist keine, die auf echtem Interesse gründet. Allen aktiv oder passiv am Gespräch Beteiligten ist ohne Umschweife klar, dass es sich um eine Kontrollfrage handelt, da mindestens der oder die Fragende zum Vergleich und zur Bewertung der Abweichung eine korrekte Antwort parat hat. Damit ist der zweite wichtige Punkt berührt: Die Entflechtung von Kontrolle und Vermittlung. D.h., es geht um eine klare Trennung von Zensierung im Sinne einer leistungsabfragenden Überprüfung und der Bewertung und Einordnung von Positionen im Sinne eines feedback. Auch hier eignen sich didaktisch motivierte Fragen als ein hilfreiches Instrument, um die lehrende Position zu prüfen. Wenn Kinderantworten der impliziten Wissenskontrolle dienen, ist in der Kommunikation ein Theologisie

ción del mundo, por lo que se convierte en una exigencia existencial. La palabra tiene dos fases constitutivas indisolubles: acción y reflexión. Ambas en relación dialéctica establecen la praxis del proceso transformador. La reflexión sin acción, se reduce al verbalismo estéril y la acción sin reflexión es activismo. La palabra verdadera es la praxis, porque los hombres deben actuar en el mundo para humanizarlo, transformarlo y liberarlo. « http://www.uhu.es/cine. educacion/figuraspedagogia/0_paulo_freire. htm, 3.1.2014 (Übersetzung der Autorin).

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Pädagogische Anregungen

ren nicht mehr möglich. Das zeigen die anhand von Unterrichtsentwürfen gemachten Erfahrungen, die den Kindern und ihrem theologisieren Raum geben. Es erweist sich, dass Kinder eine so ausgeprägte Sensibilität dafür haben, was Erwachsenen von ihnen oder für sie wollen, dass Unterrichtende hier sofort ein Feedback bekommen. Das hilft den für den Unterricht Verantwortlichen mögliche Fehler zu korrigieren. So wird im Dialog eine Sprachfähigkeit erzeugt, die auch den werdenden evangelischen Religionspädagogen in der eigenen theologischen Standortbestimmung befördert. Lehrende und Lernende werden auf diese Weise letztlich eine Lerngemeinschaft, trotz der unterschiedlichen Rollen und Verantwortlichkeiten. 3.2 Gewaltfrei Kommunikation, die jenseits von Rollenunterschieden zwischen Lehrenden und Lernenden die Gleichheit der Würde wahrt

Gewaltfreie Kommunikation ist eine aktuelle Herausforderung, die unabhängig vom kulturellen Zusammenhang gilt. Sie hat auch für die schulische Umgebung in Deutschland eine sehr große Bedeutung.10 Der Terminus der gewaltfreien Kommunikation birgt bereits ohne theoretische Überlegungen eine Anfrage an den eigenen Kommunikationsstil. Neben dem erwähnten scheint es mindestens noch einen anderen zu geben. »›Was springt für mich dabei heraus?‹ – das wird in einer überwältigend materialistisch orientierten Gesellschaft gefördert, die sich den verbissenen Individualismus auf die Fahnen geschrieben hat. Keine dieser negativen

Vorstellungen sind für den Aufbau einer homogenen Familie, Gemeinde, Gesellschaft und Nation nützlich. […] Gewaltlosigkeit heißt, dass wir dem Positiven in uns Raum geben.«11

Eine Theorie zur gewaltfreien Kommunikation ist von Marshall Rosenberg entwickelt12 und aktuell auf Bildungsprozesse übertragen worden. Dabei wird der Ansatz als wertvolle Ressource für ein gelingendes Lernen und Lehren im Unterricht entfaltet. Das Hauptanliegen besteht darin, dass im gegebenen Zwangskontext der Schule eine Kommunikation gestaltet wird, in der Wachstum sowohl für das Individuum als auch für die Schulgemeinschaft möglich wird. So kann Schule überall und in den verschiedensten kulturellen Systemen und Ge­meinschaften »menschenfreundlicher, leichter, angstfreier, erfolgreicher, schöner«13 werden. Voraussetzung ist ein Vertrauen zwischen Menschen, das einen Kontakt ermöglicht, der beide als Menschen anspricht. Gemeint ist also nicht das rollenimmanente Wirken als Funktionär des ausgeübten Berufs oder als Funktionärin der anstellenden Behörde. Die Wertschätzung im Dialog steht in der Wertehierarchie weit über einer wie immer gearteten Motivation zu bestimmten Handlungen. Im schulischen 10 Hilde Fritz / Gottfried Orth, Gewaltfreie Kommunikation in der Schule, Paderborn, 2013. 11 Marshall B. Rosenberg / Arun Gandhi u.a., Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens, 102012, 10. 12 Marshall B. Rosenberg, Kinder einfühlend unterrichten. Erfolg durch gegenseitiges Verständnis. Paderborn, 2005. 13 Hilde Fritz, Gottfried Orth (wie Anm. 10), 9.

Dievenkorn Theologie mit und für Kinder in Chile

Kontext in Chile ist solches Denken revolutionär. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes befreiend – um mit Paolo Freire zu sprechen. Diejenigen, die sonst nicht zur Sprache kommen, werden gehört. Empathie ist das grundlegende Prinzip. Es ist ein Verstehen wollen der bzw. des anderen, was auf Interesse gründet. Interesse an der anderen Person. Damit geht eine Wertschätzung einher, die wir empfinden und die sich eben genau nicht in einem künstlich aufgesetzten Lächeln oder aber in einer die Aggression unterdrücken Sprechweise vermitteln lässt. Authentizität und Respekt gehen damit einher. Im Kontext des zu entwickelnden Ausbildungsmodells für diejenigen, die in Chile mit Kindern theologisieren, wird damit einer im kirchlichen und kulturellen Kontext nicht unvertrauten Umgangsform Raum gegeben. Darin liegt bereits eine enorme Wertschätzung. Steht doch in anderen Kontexten, die der ökonomischen Bewertung unterliegen, die Zurückhaltung von Kritik nicht hoch im Kurs. Wertschätzung teilen und authentisch agieren – das schafft angstfrei Räume, die eine Entfaltung ermöglichen. Kinder sind dafür erfahrungsgemäß sehr dankbar und eröffnen ihrerseits respektvoll dialogische und die Erwachsenen einladende Räume. Im Teilen von spirituellen Erfahrungen ist dies sicher eher möglich, da diese nicht bewertend in Frage gestellt werden. Sie spiegeln Erfahrungen mit Gott, die unabhängig vom jeweils subjektiven Glauben alle in der Überzeugung eint, dass Gott in jeden Fall die Autorität des oder der Leh-

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rerin übersteigt. Hier werden Erlebnisse Grundlage einer Kommunikation, die nicht korrigiert werden können. Diese Erlebnisse entziehen sich allermeist auch einer Bewertung durch eine Lehrerin oder eines Lehrers. Urteilen trennt, wie das deutsche Wort deutlich sagt. Es teilt. Dialogisch ist es nicht und hat daher keinen Raum im Zusammenhang des Theologisierens, weder mit Kindern, noch mit Erwachsenen. Es ist erfahrungsgemäß schwer, sich von Beurteilungen frei zu machen, wenn man doch selbst an Hand von Beurteilungen erzogen wurde. Beim genaueren Hinsehen wird auch ein Begriff wie der der Erziehung fragwürdig. Steckt doch in ihm ein Ziehen, von dem man sich gerade im Zusammenhang christlicher Anthropologie fragen muss, welches Recht wir haben Gottes Geschöpfe zu formen und zu bilden, wenn wir doch bekennen, dass sie Gebilde und Gebildete Gottes immer schon sind. Gewaltfreie Kommunikation ist ein lohnenswertes Basisinstrument religionspädagogischer Ausbildung. Es mag aus Mangel an vielfältigen akademischen Möglichkeiten ins Gespräch gekommen sein und auf dem Nicht-Vorhandensein von Lehrbüchern oder Unterrichtsmaterialien basieren. Es hat sich im Sinne eines Begleitmodells für Lehrende und Lernende als enormer Gewinn erwiesen. Es wahrt die Würde aller am schulunterrichtlichen Dialog Beteiligten und eröffnet an einem anderen Ende der Welt eine zeitgemäße Art des Evangelischen Religionsunterrichtes als Theologisieren mit Kindern.

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Pädagogische Anregungen

Gerhard Büttner Gottesbilder von Kindern als Herausforderung für die kindertheologische Forschung

Noch bevor Sache und Begriff einer Kindertheologie diskutiert wurden, gab es ein ausgeprägtes Interesse an der Art und Weise, in der Kinder Gottesbilder darstellen. Die Funktion dieser kindlichen Gottesbilder war unterschiedlich. Man konnte sie in den Kontext der verschiedenen biblischen Gottesbilder einreihen, Recht und Grenzen einer Darstellung Gottes trotz Bilderverbot diskutieren und bekam gleichzeitig einen Eindruck über die subjektiven Konstruktionen der Kinder. Neben vielen kleinen Dokumentationen sind vor allem die Studien von Anton A. Bucher1 und Helmut Hanisch2 zu nennen. Letzterer hatte seine Untersuchung in einen größeren theoretischen Rahmen gestellt und mit einer wichtigen Forschungsfrage verbunden: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Art des Gottesbildes und der Bereitschaft zum Glauben an Gott. Hanisch war – sensibilisiert durch seinen Wechsel von Württemberg nach Sachsen – aufgefallen, dass die Gottesbilder seiner sächsischen Population sich mit dem Heranwachsen nur wenig von anthropomorphen Vorstellungen lösten im Gegensatz zu den württembergischen Jugendlichen, deren Gottesbild im Kontrast zur Kinderzeit deutlich weniger menschengestaltig waren. Hanisch zog daraus das Fazit, dass eine intensive religiöse Bildung dazu verhilft, dass Kinder sich von ihren anthropomorphen Gottesbildern zugunsten

abstrakter und symbolischer trennen. Wo dies unterbleibt, wirken die anthropomorphen Bilder weiter und finden dann im Jugendalter nur noch Ablehnung – als unangemessen. Die religionspädagogischen Schlüsse Hanischs waren einleuchtend und konsequent: Man muss den Kindern beim Heranwachsen im Religionsunterricht Angebote machen, damit sie sich von ihrer Fixierung auf ein anthropomorphes Gottesbild lösen können. Hanischs Studie überzeugt von der Fragestellung, dem Aufbau bis hin zu den pädagogischen Konsequenzen. Gleichwohl lassen sich an diese Studie kritische Anfragen stellen. So wurde grundsätzlich befragt, ob man aus einem Gottesbild wirklich Rückschlüsse auf das Gotteskonzept des malenden Kindes ziehen könne.3 Man kann aber auch fragen, ob die als Ausgangspunkt vieler Forschungen angenommene Dichotomie konkretes vs. abstraktes Gottesbild denn überhaupt stimmt. Wenn – wie die Studien von Jus-

1 Anton A. Bucher, Alter Gott zu neuen Kindern? Neuer Gott von alten Kindern?, in: Vreni Merz, Alter Gott für neue Kinder, Freiburg/CH 1994, 79–100. 2 Helmut Hanisch, Die zeichnerische Entwicklung des Gottesbildes bei Kindern und Jugendlichen, Stuttgart / Leipzig 1996. 3 Stephanie Klein, Gottesbilder von Mädchen, Stuttgart u.a. 2000 und Dietlind Fischer / Albrecht Schöll (Hg.), Religiöse Vorstellungen bilden, Münster 2000 (online verfügbar).

Büttner Gottesbilder von Kindern als Herausforderung für die kindertheologische Forschung

tin Barrett4 nahelegen – sowohl Kinder als auch Erwachsene prinzipiell über beide Modi verfügen, dann sind möglicherweise viele Fragestellungen bereits unbeabsichtigt manipulativ. D.h., dass es bei neuen Untersuchungen auf eine veränderte Fragestellung ankäme.

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Meine kleine Analyse macht bereits darauf aufmerksam, dass die Kenntnis kollektiver Symbole beim Umgang mit Artefakten hilfreich ist, dass es aber trotzdem nicht erlaubt ist, bindende Schlüsse aus dem Abgebildeten zu ziehen. Das Bild ist demnach immer eine Aufforderung zum Gespräch mit dem Kind.

Die Frage der Interpretation

Die obigen Überlegungen konzentrierten sich erst einmal auf den Malvorgang selbst. Streng genommen wäre demnach eine Interpretation eines kindlichen Gottesbildes ohne Malprotokoll schwierig. Nun gibt es den in diesem Jahrbuch explizit vertretenen Anspruch, auch solche Kinder in den kindertheologischen Diskurs aufzunehmen, die sprachlich weniger artikulationsfähig sind. Es gibt von daher zahlreiche Beiträge, die sich für weniger kognitiv orientierte Zugangsweisen stark machen.5 Hier stellt sich nun – auch jenseits der Forschung – die Frage, wie sollen Erwachsene die so entstandenen Artefakte würdigen? Ich möchte dieser Frage nachgehen anhand eines »Gottesbildes« aus der Sammlung von Hanisch.6 Die Malerin ist 9 Jahre alt. Das Bild enthält drei markante Inhalte. Die obere Bildkante ist bestimmt durch den blauen Himmel. Darunter folgen acht Vögel. Darunter eine fröhlich dreinblickende Person mit einem gelben Gewand. Auf der Brust sehen wir ein Kreuz. Wenn wir – was, wie gesagt höchst wichtig wäre – das Mädchen befragen könnten, würde uns u.a. das Geschlecht der Figur interessieren. Auch wäre es interessant zu erfahren, ob bei dieser menschlichen Gestalt an Jesus gedacht wurde, beim Gewand an einen Priester. Eindeutiger sind das Blau des Himmels und die bereits aus biblischen Wendungen geläufigen »Vögel des Himmels«.

4 Justin L. Barrett, Do children experience God as adults do?, in: Jensine Andresen (Hg.), Religion in mind, Cambridge u.a. 2001, 173–190. Deutsch sind die Studien Barretts leicht zugänglich in den Ausführungen: Jörg Biewald, Zwischen zwei Göttern? – Das doppelte Gottesbild bei Kindern und Erwachsenen, in: JaBuki 7 (2008), 91–110 bzw. Anton A. Bucher, Doch mehr als ein Mensch? Die Entwicklung des Gotteskonzepts bei Kindern, in: JRP 25 (2009), 24–37. 5 Zu den methodischen Versuchen, in der Kindertheologie über die Konzentration auf das Gespräch hinauszukommen, vgl. die einschlägigen Beiträge in: Gerhard Büttner / Petra Freudenberger-Lötz / Christina Kalloch / Martin Schreiner (Hg.), Handbuch Theologisieren mit Kindern, Stuttgart / München 2014. 6 Die von Helmut Hanisch gesammelten Gottesbilder von Kindern sind gesammelt an der Uni Leipzig zugänglich (als CD). Daher stammen auch die beiden folgenden Bilder.

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Pädagogische Anregungen

Anhand eines zweiten Bildes sollen nun noch weitere Erschwernisse bedacht wer­den.

Das Bild beeindruckt in seiner Farbigkeit und der freundlichen Atmosphäre, die es ausstrahlt. Damit ergeben sich aber Probleme des Verstehens. Wer so malt, der tut es gerne und mit Überzeugung. Doch was ist mit dem Thema? Vermutlich könnte uns das Mädchen erzählen, warum es genau dieses Bild gemalt hat. Es könnte erzählen, dass man Gott nicht darstellen soll oder nicht darstellen kann. Es könnte erklären, dass man Gott in seiner schönen Schöpfung erkennen kann. Es könnte auf die »Gottessonne« verweisen, die auf den Baum herabblickt. Vielleicht weiß das Mädchen auch nur wenig über Gott und bringt nur eine positive Assoziation ins Bild. Nun kann man leicht darauf verweisen, dass man das Kind doch einfach fragen sollte. Doch damit ist noch nicht alles gesagt.

Wer die Beiträge von Michael Fricke und Johannes Schimming in diesem Band liest, dem wird auffallen, dass es manchen Kindern gar nicht so leicht fällt, sich zu artikulieren. Dies gilt auch dann, wenn Kinder im Zusammenhang pädagogischer Kommunikation mit durchaus kindertheologischer Intention Artefakte wie Collagen, Bilder etc. hervorbringen, die in ein an-

schließendes Gespräch einbezogen werden sollen. Johannes Schimming hat in seinem Beitrag eindrücklich gezeigt, dass es recht schwierig ist, Anschlussfähigkeit bei Kindern zu finden, die eher spracharm sind und denen eine religiöse Semantik weitgehend fehlt. Ich möchte deshalb anhand des obigen Bildes die Möglichkeiten ausloten, dieses Bild tiefer zu verstehen. Nun gibt es eine lange Tradition der Analyse von Kinderbildern generell.7 Interessant ist an dieser Stelle die tiefenpsychologische Auslegung. Diese ist unbedingt sinnvoll und in der therapeutischen Arbeit mit Kindern kaum verzichtbar. Die Frage kann allenfalls sein, ob es legitim ist, diese Verfahren in pädagogische Kontexte zu übertragen. Zuspitzen lässt sich das in Bezug auf unser spezielles Sujet »Gottesbilder«. D.h., dass das Kind zunächst einmal auf der Ebene des Bewusstsein angesprochen wird, das, was es als Wissen – und sei es als Fragment – über Gott »weiß«, versucht zu Papier zu bringen. Nun ist die wohl berechtigte Annahme der Tiefenpsychologen, dass damit unwillkürlich etwas angesprochen wird, woran das Kind – in Luthers Worten – sein Herz hängt. Dies mag nun aber dem Kind mehr oder weniger unbewusst sein. Nun ist es der Anspruch tiefenpsychologischer Bildinterpretation, in dem Bild mehr zu erkennen als das Kind selber weiß. So hat Gert 7 Wolfgang A. Reiß, Kinderzeichnungen – Wege zum Kind durch seine Zeichnung, Neuwied u.a. 1996; Martin Schuster, Kinderzeichnungen – wie sie entstehen, was sie bedeuten, Berlin u.a. 1994; Armin Krenz, Was Kinderzeichnungen erzählen – Kinder in ihrer Bildersprache verstehen, Freiburg i.Br. 1996.

Büttner Gottesbilder von Kindern als Herausforderung für die kindertheologische Forschung

Sauer etwa einen Katalog von Merkmalen benannt, die Auskunft gegeben können über die Bedeutung einzelner Bildelemente.8 Dies ist die Oben-unten- und die Links-rechts-Unterscheidung; es sind implizite Bewegungsrichtungen im Bild, es sind Farben und Zahlen. Dazu kommt ein Symbolwissen, wie es sich in Brauchtum und Volksweisheit niedergeschlagen hat. Auf dieser Basis möchte ich einige Beobachtungen zu dem zweiten Bild formulieren. Bestimmend ist eine Naturidylle. Zieht man die Beispiele von Rebecca Nye heran,9 dann werden bestimmte Naturerfahrungen von Kindern numinos erlebt. Darin manifestiert sich ein Gefühl des Verbundenseins (connectedness) mit der Welt, den Pflanzen, dem Himmel. Folgt man den bestimmenden Symbolen, dann sind dies der Baum und sie Sinne. Es gibt die Tradition, das Baumsymbol als Repräsentant der Malerin im Bild anzusehen.10 Es strotzt förmlich vor Vitalität. Dies ist als Zeichen einer gewissen Ganzheit vor dem Einbruch der Pubertät durchaus nachvollziehbar. Die Sonne repräsentiert rechts oben das Bewusstsein, auf das hin sich die Entwicklung bewegt. Religiös kann man hier auch die »Gottessonne« ausmachen, die die Energiespenderin für alles Wachstum ist. Diagnostisch könnte das Bild für eine altersentsprechende Entwicklung des Mädchens stehen. Ob es hier eher um ein naturmystisches Erleben geht, oder ob das Sonnensymbol anschlussfähig ist an theologisches, speziell biblisches, Wissen müsste man im Einzelnen nachprüfen.

Artefakte dieses Charakters stehen uns in den Studien von Anna-Katherina Szagun zur Verfügung.11 Sie ließ Kinder mit bewusst offenem Material ihre religiösen Vorstellungen artikulieren. Dabei stellen

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sich aber ähnliche Fragen wie die hier von mir aufgeworfenen. Gerade wenn bei den Werken der Kinder eine explizite religiöse bzw. theologische Semantik nicht vorhanden ist oder sogar bewusst eher vermieden wird, dann steigt automatisch der Interpretationsbedarf und damit die Interpretationsmacht der Erwachsenen. Will man das in einen kindertheologischen Kontext einordnen, muss man sich vergegenwärtigen, dass Anton Bucher das, was er später als Kindertheologie explizit benannt hat, bereits vorher im religionspädagogischen Diskurs verteidigt hat. Liest man seinen Beitrag von vor 20 Jahren, dann grenzt er seinen Zugang zu den Gottesbildern nach zwei Richtungen ab. Einmal in Richtung derer, die die kindlichen Gottesbilder als defizient bezeichnen12, zum andern im Hinblick auf tiefenpsychologische Deutungen. »Wer buchstäblich anthropomorphe Gottesbilder für problematisch hält, […] der tut sich mit den meisten […] Zeichnungen schwer. Allerdings müßte er dann in die Rolle dessen treten, der den Kindern solange sie konkret und anthropomorph über Gott denken, theologische Kompetenz abspricht. […] Über die theologische Legitimität der Gottesbilder von Kindern sollte ohnehin nicht 8 Dieter Boßmann / Gert Sauer, Wann wird der Teufel in Ketten gelegt? Lahr / München 1984, 15ff. 9 David Hay / Rebecca Nye, The spirit of the child, London 1998, 92ff. 10 Karl Koch, Der Baumtest – der Baumzeichenversuch als psychodiagnostisches Hilfsmittel, Bern u.a. 91997. 11 Anna-Katherina Szagun, Dem Sprachlosen Sprache verleihen: Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen, Jena 2006. 12 Bucher (wie Anm. 1), 94.

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Pädagogische Anregungen

entschieden werden, ohne ihre lebensweltliche Befindlichkeit und ihre Biographien miteinzubeziehen, ohne zumindest zu versuchen, diese Bilder auch mit den Augen der Kinder zu sehen.«

Mit dieser Aussage rennt Bucher natürlich in unserem Kontext offene Türen ein, wenngleich die Notwendigkeit, die Kinder konkret zu fragen, hier eher nur angedeutet ist. Im Kontext seiner Argumentation setzt sich Bucher auch explizit mit tiefenpsychologischen Interpretationen dieser Gottesbilder auseinander.13 Hier erscheint mir seine Argumentation sehr apodiktisch. Ich möchte versuchen, eine etwas differenziertere Position zu formulieren.14 Die Interpretation von Gottesbildern von Kindern steht zwischen zwei Extremen. Einerseits ist jedes Bild eine Ausdruck einer bestimmten Vorstellung in einem bestimmten Moment. Insofern ist es radikal individuell zu interpretieren. D.h., dass ein bestimmtes Kind sein Verständnis gerade jetzt artikuliert. Wie oben schon angesprochen, muss man möglichst den Kontext des Malprozesses erhellen, um dem Kind und seinem Werk gerecht zu werden. Dazu kommt – spätesten seit Stephanie Klein – die Erkenntnis, dass ein Bild an sich schon problematisch ist und man eher eine Malserie bräuchte. Auf der anderen Seite steht der kollektive Aspekt. Unsere Kinder generieren ihre Bilder in einem bestimmten kulturellen Kontext innerhalb eines bestimmten kollektiven Wissenspools. Wenn man diese Bilder in einem theologischen Kontext versteht, dann geht

man davon aus, dass die Kinder bereits an bestimmten Elementen des theologischen Wissens Anteil haben. Je vertrauter Kinder mit theologischer Semantik sind, umso deutlicher wird die Affinität dieses Denkens zu dem der kollektiv geteilten Deutungen. Wenn wir also, etwa in dem ersten Bild, die anthropomorphe Figur im Kontext christlicher Vorstellungen zu verstehen suchen, dann deshalb, weil wir zu Recht annehmen, dass das Kind auch in dieser Richtung gedacht hat. Nun ist das mit den von Bucher kritisierten »archetypischen Mustern« vermutlich sehr ähnlich. Die allermeisten Kinder malen in ihren Bildern in der Regel die Sonne rechts oben. In einer Kultur, die von links nach rechts schreibt, wird damit eine implizite Entwicklungslinie von links nach rechts mitgedacht. Solche Beobachtungen (kollektiven Denkens) manifestieren sich ganz gewiss auch in den Bildern – wie z.B. auch die Oben-unten-Dichotomie. Ich denke, solche Kenntnis kann und soll man zur Deutung heranziehen. Dabei ist – mit Bucher – klar, dass der Primat der Deutung erst einmal dem Kind gehört. Doch je weniger Kinder dazu in der Lage sind, das, was sie empfinden, verbal auszudrücken, desto mehr bedürfen sie erwachsenen Beistandes und deren Kompetenz. Insofern ist ein kindertheologischer Zugang zu Gottesbildern immer eine Gratwanderung – vermutlich aber eine notwendige und lohnende

13 Ebd., 90f. 14 Eine Position, der Anton A. Bucher heute vermutlich freundlich gegenübersteht.

Oberthür »Glauben Christen an drei Götter?«

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Rainer Oberthür »Glauben Christen an drei Götter?« Trinität – biblisch-theologische Grundlagen und Impulse zum Theologisieren mit Kindern »Gott kann man nicht sehen, aber man kann ihn spüren. Gott kann mir helfen. Ich finde Gott in allem Guten, was ich tue. Gott ist wie eine Mutter oder ein Vater, kümmert sich um mich, wacht über mich, wenn ich schlafe, beschützt mich, ist immer bei mir. Gott schenkt mir Wärme und Geborgenheit. Gott hat keine feste Gestalt. Gott ist bei allen. Niemand weiß, wie Gott aussieht. Uns bleiben nur Vorstellungen« (Thekla, 9 Jahre).1

Im Mittelpunkt des Theologisierens mit Kindern stehen die Frage nach Gott, die Gottesbeziehung und Gottesvorstellungen der Kinder sowie die Ahnungen und Erfahrungen mit Gott, die wir Menschen machen können. Dabei geht es zum einen um das Bewusstwerden und Zur-Sprache-Bringen dessen, was schon da ist, zum anderen um das Vorantreiben und Entwickeln religiöser Erfahrungsund Lernprozesse im Kontext unserer christlich-jüdischen Glaubensgeschichte, also im Gespräch mit den biblischen Grundlagen und den theologiegeschichtlichen Reflexionen. Hier kommt das konkrete Bekenntnis der Christen als monotheistische Religion mit einem Glauben an den dreieinigen Gott zur Sprache, der als Vater, Sohn und Heiliger Geist gegenwärtig ist. Mehr, als es uns und ihnen bewusst ist, stellen Kinder bereits Fragen, die dieses trinitarische Gottesverständnis berühren, z.B. wenn sie an Jesus gerichtet formulieren: »Wer war denn jetzt dein Vater, Josef oder Gott?« »Hat-

test du wirklich Schmerzen am Kreuz?« Und mehr, als es uns und ihr bewusst ist, kann auch die eingangs zitierte Äußerung Theklas durch eine trinitarische Gottesvorstellung geprägt sein, die den Menschen in Beziehung zu einem Gott über uns, bei uns und in uns begreift. Die Komplexität der Trinitätslehre kann kein Grund sein, sie im Kindesalter noch nicht zu thematisieren. Denn so könnte man auch behaupten, Jugendliche interessiert das nicht mehr. Diese beiden »Ausreden« haben zu einer religionspädagogischen Trinitätsvergessenheit beigetragen, die angesichts der Bedeutung der Dreieinigkeit für den christlichen Glauben und angesichts der Sprachlosigkeit vieler Christen bezüglich eines dreieinen Gottes nicht hinzunehmen ist.2 Schauen wir uns also – notwendigerweise verdichtet in einfachen Gedankenschritten3 – die biblischen und theolo1 In: Rainer Oberthür, Neles Tagebuch, München 2006, 155. 2 Einen Gegenakzent setzt z.B. das Themenheft »Trinität« der Katechetischen Blätter (4/2004). 3 Vgl. dazu folgende grundlegende Literatur: Manfred Gerwing in: Katechetische Blätter 3/2004, 163ff; Bernd J. Hilberath / Bernhard Nitsche, Trinität, in: Peter Eicher (Hg.), Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe, 360– 375; Michael Langer / Regina Radlbeck-Ossmann, Christentum. Ein Reiseführer, München 2010, bes. 76–81; Jürgen Werbick, Gott verbindlich. Eine theologische Gotteslehre, Freiburg i.Br. 2007; Walter Fürst / Jürgen Werbick, Katholische Glaubensfibel, Rheinbach,

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Pädagogische Anregungen

gischen Grundlagen der Trinität an (1.), um anschließend daraus Impulse für das Theologisieren mit Kindern zu entwickeln (2.). 1. Theologische Entfaltung und Diskussion in Theologiegeschichte und Gegenwart

Das christliche Glaubensbekenntnis ist ein Bekenntnis zum dreieinen Gott. Christen beziehen sich und ihren Glauben – auf Gott als Vater, Grund ihrer und aller Existenz und als Hoffnung für das Leben – auf Jesus Christus als Sohn, in dem sich Gott als ganz und gar göttlich und zugleich als ganz und gar menschlich und mitfühlend gezeigt hat, – auf den Heiligen Geist, durch den Gott als Herausforderung und Kraft zum neuen Leben in der Gemeinschaft Gottes zu aller Zeit gegenwärtig wird. Basis dieses christlichen Glaubens ist das jüdische Bekenntnis zu »Jahwe« als der »Ich-bin-der-ICH-BIN-DA«, der als ganz anderer der Welt gegenübersteht und ihr doch unendlich nahe kommt. Die Differenz zwischen dem endlichen Menschen und dem unbegreiflichen Gott ist jedoch so groß, dass nur Gott sie überbrücken kann. Doch Gott ist kein unbewegter Beweger, der einen Anfang schafft und die Welt dann im Stich lässt, sondern Gott-mit-uns, von dem das Heil zu den Menschen kommt. Der Gott der Juden und Christen ist kein weltabgewandter Gott, sondern stiftet in der Geschichte die Gemeinschaft mit den Menschen.

Das christliche Verständnis des dreieinen Gottes hat sich auf der Grundlage des biblischen Zeugnisses im intensiven Nachdenken über den Glauben herausgebildet. Man kann sagen, wesentliche Aussagen in grundlegenden Texten des Neuen Testamentes rufen geradezu nach einem trinitarischen Bekenntnis. Jesu Leben und Handeln, seine Verkündigung, seine Reich- Gottes-Praxis, sein Sterben und Auferstehen sind nur von seiner Gotteserfahrung her verstehbar. Jesus weiß sich in einer Wirkeinheit mit dem Vater und sieht alle Menschen durch den Heiligen Geist in diese befreiende Beziehung mit hineingenommen. Schauen wir auf exemplarische Texte: Die Abba-Anrede Gottes durch Jesus wird gesteigert durch Aussagen einer tiefen inneren Verbundenheit Jesu mit Gott (»Ich und der Vater sind eins«, Joh 10,30). Vater und Sohn sind zugleich eine Einheit und voneinander verschieden, wenn sich Jesus als vom Vater gesandt beschreibt, auf seinen Vater verweist, sich in Ahnung seines Todes an ihn wendet, aber sich auch mit ihm identifiziert (»Wer mich sieht, sieht den Vater«, Joh 14,9). Petrus bekennt (Mt 16,16): »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!« Und der heidnische Hauptmann sieht Jesu sterben und erkennt: »Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!« (Mk 15,39). Vergleichbar ist Jesu innere Nähe zum Heiligen Geist, dessen Kraft ihn Mensch werden lässt (Lk 1,35), der ihn begleitet, antreibt und Wunder wirken lässt. In bes. 65–81; Thomas Menges, Das entscheidend unterscheidend Christliche: Der dreieinige Gott, in: Kirche und Schule, Dez./2001, Münster, 1–12.

Oberthür »Glauben Christen an drei Götter?«

der Kraft dieses Geistes geschieht durch den Vater die Auferstehung, so dass Jesus in der Welt gegenwärtig bleibt. Im gesamten Neuen Testament zeigt sich diese Beziehung Jesu zum Vater und zum Heiligen Geist. In der Folge dieser Erfahrungen und ihres Niederschlags in den Offenbarungstexten der Bibel sprachen die ersten Christen Gott nicht nur als Vater an, sondern sahen auch in Jesus als Sohn Gottes und im Heiligen Geist, der Jesu Weg begleitet, ein göttliches Sein. Es entstanden – zunächst zweigliedrig mit Vater und Sohn, dann dreigliedrig – erste Glaubenskurzformeln, die Vater, Sohn und Geist gleichermaßen und gleichwertig ansprachen. Der Auftrag am Ende des Matthäusevangeliums zur Weitergabe des Glaubens ist bereits eine ausdifferenzierte Form: »Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe« (Mt 28,19f). In den ersten Jahrhunderten setzte ein theologisches Weiterdenken ein, das immer neu versuchte, Gott zugleich als den Einen sowie in seiner Dreiheit als Vater, Sohn und Heiliger Geist zu beschreiben. Dabei gab es zwei Gefahren, die ausgewogene Spannung einseitig aufzulösen. Betonte man die Dreiheit Gottes zu sehr, ging das auf Kosten seiner Einheit, sodass ein Glaube an drei Götter (Tritheismus) entstand. Überbewertete man die Einheit Gottes auf Kosten seiner Dreiheit, entstand ebenfalls ein Bruch mit der biblischen Überlieferung: Entweder stellte man sich Gott Vater als die patriarchal übergeordnete Autorität

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vor, was die Göttlichkeit von Sohn und Geist abwertete (Subordinatianismus). Oder man stellte sich Vater, Sohn und Heiliger Geist lediglich als verschiedene Erscheinungsformen des einen Gottes vor, gewissermaßen als sich abwechselnde »Kleider«, in denen Gott sich zeigt: zuerst als Schöpfer-Vater, dann als Erlöser-Sohn und schließlich als gegenwärtig bleibender Geist (Modalismus). Auch diese (für die Griechen sehr einleuchtende) Vereinseitigung widersprach den biblischen Grundlagen und wurde abgelehnt. In Auseinandersetzung mit dem, was unbiblisch war, verstanden die Menschen immer mehr die Trinität als Offenbarung des innersten Wesens Gottes. Eine solche Selbstmitteilung Gottes setzt eine innergöttliche Selbstdifferenzierung voraus. Gott muss einer und in sich selbst verschieden sein – in Gott selbst muss es Einheit und Verschiedenheit geben. Gott ist also immer schon gleichwertig und gleichzeitig da als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Als solcher hat er sich uns Menschen in der Geschichte mitgeteilt. Bei den frühen Konzilien (Nizäa, 325, teilweise noch Konstantinopel, 381) vermied man die Rede von den drei verschiedenen »Personen« zugunsten poetischer Beschreibungen etwa der Besonderheit Jesu als »Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott«. Später (Chalkedon, 451) wurde das eine »Wesen« von den drei verschiedenen »Personen« (in östlicher Theologie »Wirklichkeitsweisen«) unterschieden. Die Unterscheidung von Gottes Wesen und Gottes Wirken spiegelt sich in den Begriffen der immanenten Trinität und der heilsökonomischen Trinität:

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Pädagogische Anregungen

Gott ist in sich so, wie er sich uns mitgeteilt hat und umgekehrt. Folglich ist die Heilsgeschichte (Gottes Wirken) die erkenntnistheoretische Grundlage der immanenten Trinität (Gottes Wesen) und die innergöttliche Dreieinigkeit die sachliche Voraussetzung der Heilsgeschichte. Die Einheit Gottes und die Verschiedenheit Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist ist »in Beziehung« zu sehen: Jede der göttlichen »Personen« ist, was sie ist, nur in Bezug zu den anderen beiden. Das eine innergöttliche Leben geschieht als ein nicht endendes Ereignis wechselseitiger Entsprechung und Durchdringung von Vater, Sohn und Heiligem Geist (Perichorese). Gott ist in sich selbst ein unendliches Beziehungsgeschehen. Die Nachzeichnung des Reflexionsprozesses, der die Christen immer mehr zum Verstehen der Trinität Gottes führte, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gott für uns Menschen immer ein unverstehbares Geheimnis bleibt. Dabei gilt der bis heute richtungsweisende Satz des Vierten Laterankonzils (1215) zur analogen Rede von Gott: »Zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre.« Gott ist immer unendlich viel anders, als wir ihn uns vorstellen können. Schon Anselm von Canterbury (1033–1109) hatte mehr als 100 Jahre zuvor Gott als den umschrieben, über den hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, oder genauer in seinen Worten: »Du bist also nicht nur der, über dem Größeres nicht gedacht werden kann, sondern bist etwas Größeres, als gedacht werden kann.« Bereits Augustinus (354–430) hat bei aller in-

tensiven Beschäftigung mit der Trinität festgestellt: »Si comprehendis, non est Deus«: Wenn du es zu verstehen meinst, ist es nicht Gott, was du verstehst! Alle von uns Menschen gebildeten, noch so stimmigen trinitarischen Begriffe ermöglichen uns letztlich keinen Einblick in das innergöttliche Leben. Sie bleiben höchstens Annäherungen in Analogien und Metaphern. Sie können lediglich verweisen auf das Geheimnis eines Gottes, der in sich selbst Beziehung ist, deshalb wie niemand zur Beziehung fähig ist und die Beziehung zu uns Menschen will. So kommen wir zurück zur vielleicht treffendsten Umschreibung eines trinitarisch verstandenen Gottes, die wir schon im Neuen Testament finden: »Gott ist die Liebe« (1. Joh 4,16). Diese Liebe oder Gemeinschaft, die Gott selber ist, erscheint in der Verbindung wie im Gegenüber zwischen Vater, Sohn und Heiliger Geist. Der Vater ist (als ursprungsloser Ursprung) der »Liebende«, der Sohn ist (als Ursprung aus dem Ursprung) der »Geliebte«, der Heilige Geist ist (als Ursprung aus Vater und Sohn hervorgegangen) die Liebe selbst. Der Glaube der Christen bezieht sich auf eine »gesellige Gottheit« (Kurt Marti). Alle Menschen sind hineingenommen in die Liebe zwischen Vater und Sohn, die der Heilige Geist ist. Denn »wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm« (1. Joh 4,16). Abschließend kann man mit Jürgen Werbick sagen: Die Antwort auf die Frage: Wer ist Gott? ist christlich betrachtet mit Vater, Sohn und Heiliger Geist eine dreifache – die Antwort auf die Frage: Was ist Gott? dagegen ist eine einfache: Gott ist in sich, aus sich und für uns Liebe.

Oberthür »Glauben Christen an drei Götter?«

2. Praktische Anregungen für das Theologisieren mit Kindern zur Trinität 2.1 Gottesfrage, Gottesvorstellung und Gottesbeziehung zur Sprache bringen

Zunächst ist es notwendig, die Frage nach Gott und die Gottesvorstellungen der Menschen vielfältig bewusst zu machen, zur Sprache zu bringen und durch Bild- und Textimpulse weiterzuentwickeln. Ein grundlegendes, praxiserprobtes Beispiel kann so ein Ziel konkretisieren. Vielfach bewährt hat sich die Vorlage einer Bildersammlung4 mit dem Auftrag: »Suche dir ein Bild aus, das für dich etwas von Gott zeigt, oder besser noch, mit dem du den anderen etwas von Gott erzählen kannst!« Ergänzende Erläuterungen zu dieser Aufgabe bringen die Meta-Ebene der Möglichkeiten und Grenzen unserer Gottesvorstellung bereits ins Spiel: – Du wirst dich für ein Bild von vielen Möglichkeiten entscheiden. – Du wirst ein Bild auswählen, was für dich das Richtige ist. Es gibt also kein Falsches. – Du wirst mit dem Bild nur etwas, also ein ganz kleines »Bisschen« von Gott zeigen können. – Du wirst mit dem Bild deine Gedanken oder eine kleine Geschichte erzählen, die etwas von Gott zeigt.

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Beispiele aus einem 2. Schuljahr mit Bildern aus der »Symbol-Kartei« (s.u.): Gott ist bei uns am Tag und in der Nacht.

Gott hilft uns beim Wachsen.

Gott hat uns die Kunst gegeben.

Gott erschafft uns, wie Mama uns leben lässt.

Gott gibt uns die Fantasie.

Gott guckt, dass es immer neues Leben gibt.

Gott weist uns den Lebensweg.

4 Eine Vielfalt dafür geeigneter Bilder enthält: Rainer Oberthür, Die Symbol-Kartei. 88 Symbol- und Erzählbilder für Religionsunterricht und Gruppenarbeit, Illustrationen von Mascha Greune, München 2012.

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Pädagogische Anregungen

Beispiele aus einem 4. Schuljahr: Blumen wachsen auf einer Wiese und werden immer größer. Wir wachsen bei Gott und werden immer größer. Gott gibt uns die Kraft weiterzuleben, wenn unser Herz gebrochen ist. Das Dorf ist Gott. Und wir wohnen alle im Dorf, also in Gott. Deswegen sorgt er immer für uns. Gott ist im selben Moment alles zugleich: quadratisch, viereckig, blau, gelb, grau, achteckig, gut, schlecht, groß, klein und doch ist er nur er, der einzig wahre Gott in einem. Wir erzählen von Gott. Gott ist in uns drinnen, er erzählt von sich. Wir wissen nicht wirklich, wer Gott ist. Aber Gott weiß, wer wir sind.

Diese Äußerungen zeigen die Fantasie und Vorstellungskraft der Kinder, ihre Sensibilität für die Zusammenhänge von Lebenserfahrung und Gotteserfahrung, ihre Kompetenz im Umgang mit Symbolen und in der Bildung kühner Metaphern, ihre Neigung zum Denken in Gegensätzen und ihr Wissen um das

»Nichtwissen« von Gottes Wesen. Erst vor dem Hintergrund solcher Wege kann ein Theologisieren mit Kindern auch den christlichen Glauben an den dreieinen Gott in den Blick nehmen. 2.2 Annäherungen und Vergegenwärtigungshilfen zur Dreieinigkeit Gottes

Eine erste Hinführung zu Thema und Begriff kann folgendes Gedankenspiel sein: »Stell dir vor, du hast ein neues Memo-Spiel erfunden. Es heißt ›Trinität‹ und hat nicht jeweils zwei gleiche Paare, wie wir das sonst bei den üblichen Memo-Spielen kennen, sondern besteht aus jeweils drei Begriffen, die verschieden sind, aber zusammen gehören. Du hast die Wörter auf Karten geschrieben und schön geordnet vor dich hingelegt. Dann aber kommt ein Windstoß durch die offene Tür und fegt alle Karten auf den Boden. Du hebst sie wieder auf und legst sie auf den Tisch. Da liegen sie nun völlig durcheinander und du musst wieder Ordnung in dieses Chaos bringen: links

Breite

Eis

Vater

verlobt

Tiefe

Wasser

Weihrauch

Heiliger Geist

Eins

Glaube

rechts

Hoffnung

Melchior

Papa

Gold

Mitte

Liebe

Mama

Sohn

Myrrhe

Länge

zwei

Balthasar

verliebt

Kind

verheiratet

Kaspar

Dampf

drei

Oberthür »Glauben Christen an drei Götter?«

Und? Hast du es geschafft? Der Name für das Spiel, Trinität, ist gut gewählt, denn das heißt übersetzt »Dreiheit«. Drei Wörter gehören zusammen wie die drei Seiten in einem Dreieck. In der Theologie, der Lehre von Gott, ist mit der Trinität die Dreifaltigkeit Gottes gemeint, die du oben ja auch gefunden hast: Vater, Sohn und Heiliger Geist gehören zusammen. Und das Dreieck ist das Symbol der Dreifaltigkeit.«5 Ein anderer erprobter Einstieg bzw. eine Weiterführung ist die Gleichung 1 + 1 + 1.6 Während es im Mathematikunterricht eine einfache Aufgabe mit dem Ergebnis »3« ist, kann man es im Religionsunterricht als ein »schwieriges Rätsel« oder besser als ein »Geheimnis« umschreiben und bedenken, dass die »Lösung« hier eine »1« ist. Nachdem die Kinder (ggf. mit Hilfe) den Ziffern links vor dem Gleichheitszeichen VATER, SOHN und HEILIGER GEIST zuordnen, werden sie als »Lösung« GOTT benennen. Der Bezug zu Kreuzzeichen und Gebet kann die »Gleichung«, die nur im paradoxen Sinn, im theologischen Sprachspiel eine ist, konkretisieren. Wenn wir beten: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, dann heißt das kurz gesagt: Im Namen von Gott! In Anlehnung an alte TrinitatisZeichnungen7 kann folgendes Modell entwickelt werden: Vorgegeben ist in der Mitte der Tafel das Wort »Gott«. Es ist von einem Dreieck umrahmt und von drei Kreisen mit den Wörtern »Vater«, »Sohn«, »Heiliger Geist« umgeben. Die Schüler probieren die Beziehungen »ist« bzw. »ist nicht« zwischen den vier Elementen aus. Sehr schnell merken sie, dass die Beziehung »ist« jeweils doppel-

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seitig von den drei Kreisen hin zu Gott gilt, was wir mit Doppelpfeilen anzeigen. Schwieriger ist es mit den Beziehungen zwischen den drei Kreisen. Es bedarf u.U. einiger Diskussionen um festzustellen, dass zwischen den drei Kreisen immer »ist nicht« stehen muss. Denn der Vater, den wir meinen, wenn wir von Gott sprechen, ist nicht Jesus Christus, also nicht der Sohn Gottes – der Heilige Geist ist nicht der Vater und auch nicht der Sohn. Diese Grundannahmen in den Beziehungen »ist« und »ist nicht« zwischen Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist können nun auf die drei theologiegeschichtlichen Häresien (s.o.) an der linken und rechten Tafelseite angewendet werden (siehe Abb. des gesamten Tafelbildes): 1. Vater und Sohn und Heiliger Geist sind nicht drei verschiedene Götter – Gott ist einer und einzigartig. 2. Es ist nicht so, dass erst der Vater da war, dann der Sohn ihn abgelöst hat und schließlich der Heilige Geist an dessen Stelle trat – Vater, Sohn und Heiliger Geist sind für alle Zeit auf je eigene Weise als ein Gott da. 3. Es ist auch nicht so, dass Gott-Vater ganz oben steht, darunter Jesus Christus als vom Vater geschaffen und darunter der Heilige Geist untergeordnet ist – Vater, Sohn und Heiliger Geist sind gleichwertig. 5 Rainer Oberthür, Das Buch der Symbole, 276. 6 Vgl. zu den folgenden Unterrichtsideen ausführlich: Rainer Oberthür, 1 und 1 gleich »eins«? Kinder einer 4. Klasse und die Frage nach der Trinität, in: Katechetische Blätter 4/2004, 174–181. 7 Vgl. die Abb. eines Holzschnittes, Buch der Symbole, 270.

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Pädagogische Anregungen

Der Fachbegriff »Trinität« kann den Kindern genannt werden, so dass sie ihn auch selbst verwenden können. Die Begriffe für die Häresien – 1. Tritheismus,

2. Modalismus und 3. Subordinatianismus – sind nicht notwendig. Wichtiger ist, das die Kinder das damit Gemeinte verstehen.

Tafelbild: Zweiter Schritt

Erster Schritt

Dritter Schritt Modalismus

Tritheismus

Tafelanschrift 1./2. Stunde

Nach dieser anspruchsvollen und abstrakten Einführung müssen diese Grundannahmen mit Erfahrungen gefüllt werden. Beim weiteren Nachdenken über die Frage nach dem dreieinen Gott mit Kindern kommt es darauf an, einfache und zugleich stimmige Kurzformeln des Glaubens, Anschauungsmodelle, Bilder und Metaphern zu finden, die den Kindern helfen, die Einheit Gottes und seine Verschiedenheit in sich selbst

Subordinatianismus

zusammenzusehen, so dass die Kinder ansatzweise erahnen und verstehen können, dass der eine Gott immer schon gleichzeitig und gleichwertig als Vater, Sohn und Heiliger Geist da war und ist und sein wird. In kurzen verdichteten Sätzen kann man Kindern durchaus diese elementaren Glaubenswahrheiten beschreiben:

Oberthür »Glauben Christen an drei Götter?«

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»Die Menschen hatten Gott über lange Zeit als ihren Retter und Schöpfer erfahren. Gott war für sie der »Ich-bin-da«, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Nun verstanden und spürten die Christen immer mehr: Gott ist als VATER, Schöpfer und Geheimnis immer über und um uns. Gott ist als SOHN und Retter in Jesus Christus bei und mit uns. Gott ist als HEILIGER GEIST die Kraft und Stärke in uns.« Als noch knappere Umschreibung der Dreieinigkeit Gottes haben sich drei Sätze (in Anlehnung an einen Vorschlag von Hans Küng für das Gespräch mit dem Islam) als hilfreich erwiesen: »Gott ist als Geheimnis über uns, in Jesus Christus mit uns, im Heiligen Geist in uns.« Zur Veranschaulichung können solche Sätze (in knapper oder längerer Fassung) auf eine Folie mit der Umrisszeichnung eines Menschen geschrieben werden, Gott somit also im Leben des Menschen verortet werden. Jedes Kind – vorausgesetzt, es

glaubt, was die Sätze aussagen – kann ein Foto von sich auf ein Blatt mit dieser Skizze kleben und die Seite weiter gestalten, so dass jemand anders besser versteht, was damit gesagt wird (s. Beispiele). Beim ersten Bild wird das vorausgegangene Tafelbild aufgegriffen; es sind Symbole wie die Sonne, das Herz und die Spirale zu entdecken. Im zweiten Bild deutet das Mädchen die Dreieinigkeit mit Hilfe der Metapher der Familie mit Mutter, Kind und Vater.

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Pädagogische Anregungen

Des Weiteren bieten sich eine Reihe von Analogien und Anschauungshilfen an, die Einheit und Verschiedenheit Gottes zusammenzusehen:  Drei Streichhölzer sind voneinander getrennt und verschieden – werden sie gemeinsam angezündet, ergeben sich jedoch ein großes Licht.  Die drei unterscheidbaren Dimensionen Breite, Tiefe und Höhe ergeben zusammen einen einzigen Raum.  Die drei Zustände des Wassers – Flüssiges, Gas und Eis – zeigen, dass dieselbe Materie doch auf verschiedene Weise wirkt.  Die drei Blätter eines Kleeblattes sind jeweils verschieden, ergeben aber zusammen eine schöne Blume.  Nimmt man die drei Grundfarben Rot, Blau und Gelb in reiner Form und mischt sie oder dreht man einen Farbkreis mit den Farben schnell, sieht man die Farbe Weiß.

Solche Analogien haben wegen ihrer Anschauungskraft besondere Möglichkeiten, jedoch immer auch Grenzen. Die mit Abstand hilfreichste Vorstellungshilfe ist m.E. ein von mir so genanntes Spiegeldreieck: es besteht aus drei etwa 35cm x 40cm großen, schichtverleimten Holzseiten, die ein gleichseitiges Dreieck bilden und innen verspiegelt sind (siehe Fotos). Wenn es auf einer der offenen Seiten steht, so dass die andere Öffnung nach oben zeigt, bildet es einen zu den drei Seiten begrenzten, nach oben hin offenen Raum. Erst wenn ich mich auf den Weg mache, nah herankomme und mich herunterbeuge, erlebe ich eine wunderbare Überraschung, besonders, wenn auf dem Boden ein Teelicht angezündet wird. Die Spiegel suggerieren einen nach allen Seiten unendlichen Raum, der erstrahlt durch ein einziges Kerzenlicht in unzähligen Spiegelungen! Der Mensch kann sich die Unendlichkeit vorstellen, aber niemals begreifen.

In ein solches Objekt können nun die drei elementaren Sätze über den dreieinen Gott gelegt werden, so dass Einheit und Verschiedenheit sichtbar wird, ja sogar zur Anschauung kommt, was theologisch mit Perichorese gemeint ist (s.o.). Jede »Person« ist, was sie ist, immer in Beziehung mit den anderen: Gott ist in sich ein einziges Beziehungsgeschehen.

Oberthür »Glauben Christen an drei Götter?«

Auch Kinder können das in Worte fassen: »Da sind drei Spiegel wie für Vater, Sohn und Heiliger Geist – nur die drei zusammen ergeben dieses Bild, diese Weite. / Gott ist ja auch unendlich. / Wir haben uns alle die drei Spiegel angeguckt, die aneinander festgemacht sind. Und dazu passt (finde ich) die Aufgabe 1+1+1=1. Ich weiß nicht wirklich warum, aber nur die drei Spiegel (wenn sie so hingestellt sind), ergeben diese unendliche Weite. Genau wie bei der Aufgabe 1+1+1=1. Nur Vater, Sohn und Hl. Geist ergeben Gott. / Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist sind Licht für uns. In dem Spiegel-Dreieck war eine Seite für den Vater, den Sohn und Heiligen Geist und das Licht in der Mitte. / Gott ist unendlich groß und weit. Ohne die drei Spiegelseiten (Vater, Sohn und Hl. Geist) würde es niemals einen so großen Raum geben. Nur eine einzige Kerze hat diesen riesengroßen Raum erhellt. / Ich kann es nicht in Worten und Buchstaben ausdrücken, nur in meinen Gedanken, aber auch da ist es mein Geheimnis. Auch das Geheimnis von Gott.« Ein weiterer konstruktiver Weg der Annäherung ist die Frage, wie Künstler die Dreieinigkeit Gottes ins Bild bringen. Geeignete Bilder lassen sich vielfältig finden (Internet- Suchmaschinen helfen bei den Stichworten Trinität, Dreieinigkeit, Dreifaltigkeit). Wichtig ist hier die richtige Fragestellung für die Kinder: »Künstler wollen mit ihren Bildern oft etwas darstellen, was eigentlich unsichtbar ist. Bilder helfen, Unsichtbares sichtbar zu machen. So ist für Künstler die Dreieinigkeit Gottes ein spannendes Thema. Wie soll man sie auf einem Bild zeigen? Sucht euch ein Bild aus und beantwortet: Wie hat der Künstler die Dreieinigkeit

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Gottes dargestellt? Wie findet ihr diese Art der Darstellung? Auch abstrakte Bilder können Kinder helfen, eine trinitarische Struktur der Gottesvorstellung zu thematisieren.8 Zu einer der 88 Bilder der »Symbol-Kartei« hatten Kinder im 4. Schuljahr viele Ideen. Wir hatten zunächst über den Kreis als eine vollkommene Form und von daher als ein tiefsinniges Symbol für Gott gesprochen. Die Kinder fanden selbst heraus: »Ein Kreis hat wie Gott keinen Anfang und kein Ende. Er geht immer weiter, ist vollkommen rund und unendlich, so wie Gott ist er immer schon da.« Dann half die Darstellung von den drei Kreisen in einem Kreis auf der Symbolkarte den Kindern, über die Beziehung Gottes zu uns Menschen und über die Dreieinigkeit Gottes nachzudenken. Was können diese Kreise von Gott zeigen und erzählen? »Gott ist der große Kreis, wir sind die kleinen. Gott tut uns zusammen.« »Ich bin der Kreis, der alles umfängt. Ich bin Gott und schütze jeden Menschen gleich stark.« »Gott ist einer und doch drei. Er ist der Heilige Geist, der Vater und der Sohn.« »Der große Kreis ist die Hülle bzw. der Körper von Gott. Die drei inneren Kreise bilden das Gehirn (der Vater), das Herz (der Sohn) und die Seele (Heiliger Geist).« 8 Das folgende Beispiel ist ausführlich im Begleitbuch zur »Symbol-Kartei« (wie Anm. 4) beschrieben, 83–91.

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Pädagogische Anregungen

Später legte ich den Kindern einen Satz von Angelus Silesius vor, der Gott als die Liebe in mir und um mich herum poetisch zur Sprache bringt: »Gott ist mein Mittelpunkt, wenn ich ihn in mich schließe, mein Umkreis dann, wenn ich aus Lieb‘ in ihn zerfließe.« Nach einem Gespräch darüber konnten die Kinder den Satz in einem eigenen Bild mit eigenen Gedanken deuten und weiterdenken.

Der Mensch eingebettet in das Beziehungsgeschehen des dreieinen Gottes! So entsteht immer wieder eine authentische Kindertheologie, wenn wir den Kindern viel zutrauen!

Einen letzten Impuls zur Reflexion der Trinität bietet eine weitere Symbolkarte von Mascha Greune und mein kommentierender Text an: Auf dem Bild eines Mädchens sehen wir erneut die Gotteskreise mit drei lilafarbenen Überschneidungen in der Mitte und ein zusätzlich eingezeichnetes Dreieck (s. Abb.). Das Mädchen kommentiert: »Das Lila ist Gott und das Dreieck der Mensch. Wenn der Mensch Gott aufnimmt, verbreitet sich Gott und man kann erkennen, aus wem er besteht: der Vater, der Sohn und der heilige Geist. Wenn der Mensch das erkennt, wirkt Gott wie eine Hülle um denjenigen.«

»Dieses Bild spielt mit insgesamt sieben Kreisen, einem Dreieck und verschiedenen Symbolen. Vor einem himmelblauen Hintergrund sind in einem dunkelblauen großen Kreis ein leuchtend gelbes Dreieck im Hintergrund und zweimal drei grün ausgefüllte Kreise mit drei weißen Kreisinnenflächen gezeichnet. Die drei grünen Außenkreise treffen im Mittelpunkt zusammen. Die grünen Innenkreise berühren die benachbarten Außenkreise. Alles ist also miteinander

Oberthür »Glauben Christen an drei Götter?«

verflochten, aufeinander bezogen und gehört zusammen. In den drei Kreisen aber sehen wir Verschiedenes. Alpha und Omega mit der Hand im oberen Kreis weisen auf den Schöpfer, der Anfang und Ende in Händen hat. Die Hand zeigt auf das Namenszeichen XP, also die griechischen Anfangsbuchstaben CHI (Ch) und RHO (r) für Christus im linken Kreis. In diesem Christuszeichen ist auch ein Kreuz zu sehen. Wir verstehen: Der Vater schickt seinen Sohn als Mensch in die Welt. Gott wird Mensch in Jesus. Das dritte Bild zeigt mit der Taube ein Symbol des Heiligen Geistes, der am Anfang über dem Wasser der Urzeit schwebte, bei Jesu Taufe dabei war und im Herz der Menschen ist und bleibt. So symbolisiert die Zeichnung den christlichen Glauben: – Christen erfahren: Gott ist als Geheimnis, Schöpfer und Vater über uns. – Christen entdecken: Gott ist in Jesus Christus als Sohn und Erlöser mit uns.

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– Christen spüren: Gott ist im Heiligen Geist als Kraft und Stärke in uns.«9 Hören wir am Ende eine Geschichte, die die Unbegreifbarkeit, Unanschaubarkeit und Unaussprechbarkeit der Trinität vor Augen führt und uns zugleich ermutigt, diesem Geheimnis des Glaubens mit Verstand und Herz nachzugehen – gerade auch mit Kindern! »Einst ging Augustinus – so wird erzählt – am Meer spazieren und dachte über das Geheimnis der Dreifaltigkeit nach. Da bemerkte er ein Kind, das mit seinem Eimerchen Wasser aus dem Meer in einen kleinen, abgegrenzten Bereich schöpfte. ›Was machst du da?‹ ›Ich möchte das Meer in meinen Teich schöpfen!‹ Da lachte Augustinus: ›Das wird dir nie gelingen!‹ Da richtete sich das Kind auf und sagte: ›Ich mache es genauso wie du: Du willst mit deinem kleinen Verstand das Geheimnis des dreieinigen Gottes verstehen!‹« 9 Begleitbuch zur Symbol-Kartei (wie Anm. 4), 90f.

Hinweis: Eine Kurzfassung dieses Beitrags findet sich in: Handbuch Theologisieren mit Kindern. Einführung, Schlüsselthemen, Methoden, hg. von Gerhard Büttner, Petra Freudenberger-Lötz, Christina Kalloch und Martin Schreiner, Stuttgart und München 2014, S. 487–494.

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Pädagogische Anregungen

Viola Maria Fromme-Seifert Madita, Gott und der Eifelturm – Theologische Gespräche mit Kindern mitten im Leben

Madita1, an einem Dienstagmorgen im März, 6.20 Uhr: »Sag mal, würdest Du vom Eifelturm springen, da oben wo man den lieben Gott und die Engelchen sehen kann, wenn da unten ein Schwimmbad ist – oder auf die Seite mit dem Beton?« »Wie kommst Du denn darauf?« fragt mein Mann überrascht zurück. Madita: »Weiß ich auch nicht!« »Hast Du davon geträumt?«, möchte ich wissen. »Ich weiß nicht, was ich geträumt habe, aber ich denk mir das so.« Alle Müdigkeit ist plötzlich verflogen, mein Forscherinstinkt ist hellwach – wieder ein unverhofftes Glaubensgespräch mit unserer Fünfjährigen: »Glaubst du, man kann da oben Gott und die Engelchen sehen?« Madita entgegnet: »Ja, wenn das so ganz hoch ist, dass man an die Wolken kommt und dann muss man von Wolke zu Wolke springen.«

Theologische Gespräche mit Kindern, die Kindern ein großes Potential zusprechen und sie in ihrer religiösen Entwicklung begleiten und bestärken, erfordern aufmerksame Beobachter, stimulierende Gesprächspartner und begleitende Experten.2 Im Religionsunterricht, im Alltag der Kindertagesstätte oder im Gemeindekontext gehen professionelle (Religions-)Pädagoginnen und Pädagogen diesen Weg mit den Kindern und planen Prozesse in einem klar definierten Raum. Eingebettet in Lernarrangements werden Kinder zu religiösen Gesprächen angeregt. Um Theologie von, mit und für Kinder zu betreiben holen sich die Fachkräfte Input und erwerben religionspädagogische Kompetenzen.

Doch wie das einleitende Beispiel zeigt, sind Kinder nicht nur dann angerührt, wenn sie Impulse bekommen oder darum wissen, dass religiöses Suchen in einem bestimmten Rahmen seinen Ort hat. Ihre Fragen sind immer da und suchen sich einen Weg zu Erwachsenen, bei denen sie angebracht werden können. Besonders dort, wo das Kind Bindungen mit Qualität erlebt und Beziehungen aufgebaut hat, wird es sein inneres Suchen in Wort oder Bild bringen, oder auf andere Weise artikulieren. Theologische Gespräche entwickeln sich auch und vielleicht vor allem am Küchentisch3, beim Haare Föhnen, im Garten, oder auf dem Sofa zwischen Eltern und Kind.4 Um konsequent beim Kind ansetzen zu können, das »sich auf seine eigene Weise mit den großen Fragen des Lebens aus1 Klarnamen zum Schutz der Personen geändert. 2 Vgl. die durch Rainer Oberthür abgewandelte Grafik von Petra Freudenberger-Lötz: Rainer Oberthür, Allen alles auf alle erdenkliche Weise!, in: L. Rendle (Hg.): Standorte finden. RU in der pluralen Gesellschaft, Donauwörth 2010, 71. 3 Wie bereits Irene Mieth 1979 »Kinderfragen verlangen Antwort, Katechese in der Küche« (Mainz) festgestellt hat! 4 Für Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer mit religionspädagogischem Schwerpunkt oder pastoralen Mitarbeitern kann sich an diesem Punkt die Frage nach einer begleitenden Form von Elternarbeit stellen.

Fromme-Seifert Theologische Gespräche mit Kindern mitten im Leben

einander setzt«5, bedarf es nicht zwingend einer theologischen oder pädagogischen Ausbildung. Ganz im Gegenteil bietet eine enge Bindung zwischen Kind und Eltern oder einer anderen vertrauten Person eine besondere Ausgangslage, die dem Kind Sicherheit bietet zu explorieren und in schützender Begleitung die Welt zu entdecken. Grundvoraussetzung: Das Gegenüber nimmt die Themen des Kindes zu jeder Zeit ernst. Erwachsene können oft nur einen »geschützten Raum der Begegnung« von Gedanken öffnen, die Inspiration selbst kommt vom Kind. In einer liebevollen Umgebung, in der jede Familie ihre eigenen spirituellen Geschichten schreibt, weil Bezugspersonen ein größeres Fenster in die Welt des Kindes zugänglich ist, kann religiöse Erziehung – und darin eingebettet Theologisieren – Kindern Werkzeuge für das Leben geben. Personale Gottesbilder als Ausdruck einer persönlichen Gottesbeziehung

Mit welcher Nachdrücklichkeit schon Kinder im Kindergartenalter ihre religiösen Ideen verfolgen, zu eigenen beeindruckenden Denkleistungen fähig sind und diese reflektieren, zeigt sich eine Woche später, als Madita bittet, das Licht in ihrer Malecke anzuschalten, weil sie mir ein Bild malen möchte. Ich frage sie, ob sie sich noch an unser Gespräch vom Eifelturm erinnert und ob sie davon ein Bild malen kann.6 Dabei entsteht dieses Bild (B1):

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Beispielbild B1

Während des Malprozesses entwickelt sich das folgende Gespräch: »Möchtest du mir erzählen, was du gemalt hast?« Madita: »Das sind die zwei Engelchen und das ist der Eifelturm.« Finn, ihr dreijähriger Bruder, der auf dem Spielteppich mit Modellautos gespielt hat, kommt zum Maltisch und fragt mich: »Was machen die denn da?« Ich: »Mhh – das musst du Madita fragen.« Finn: »Madita, was machen die Engelchen denn da?« Madita: »Die schauen den Eifelturm an und denken sich, was (zögert) könnte das wohl sein.« Ich: »Achso – dort wo die Engelchen sind gibt es keinen Eifelturm?« Madita: »Genau! Und jetzt male ich noch den lieben Gott. Außerdem nenne ich die (zeigt auf den linken Engel) Sarah und die nenne ich Alicia. Die Engelchen sind nämlich zwei 5 Mirjam Schambeck: Wie Kinder glauben und theologisieren. Religionspädagogische Konsequenzen aus den theologischen Konstruktionen von Kindern, in: Matthias Bahr / Ulrich Kropač / Mirjam Schambeck (Hg.), Subjektwerdung und religiöses Lernen. Für eine Religionspädagogik, die den Menschen ernst nimmt, München 2005, 18. 6 Hilfreich bei Malprozessen ist die Konsultation von Dietlind Fischer / Albrecht Schöll (Hg.), Religiöse Vorstellungen bilden. Erkundungen zur Religion von Kindern, Münster 2000.

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Pädagogische Anregungen

Mädchen. Welches Engelchen gefällt Dir denn am besten?« »Ich mag das Linke sehr gern.« Madita (grinst): »Dich Sarah, finden Viola und Madita am schönsten.« »Warum hast du denn die Farben ausgewählt?« Madita: »Ich liebe Pink und Grün – das sind meine Lieblingsfarben! Mhhh … Ich mal doch noch ein Engelchen. Und das heißt dann Emily. Also Sarah, Alicia und Emily.« Finn hat mittlerweile das Interesse verloren und den Raum verlassen – Madita jedoch malt weiter vor sich hin. Plötzlich ruft sie entschieden: »So, jetzt male ich den lieben Gott und der liebe Gott ist ganz bunt!«, und grinst dabei bedächtig. »So stellst du ihn dir vor?« Madita: »Der ist größer als die anderen.« »Warum ist denn der liebe Gott bunt und hat braune Locken? Du hast mir auch schon erzählt, dass Gott blond ist und einen langen blauen Umhang mit Sternen hat.« Madita: »Er kann ja auch aussehen wie er will – so dass er mir gefällt. Heute sieht er eben aus wie Papa, und er lächelt.« »Aber Flügel hat er keine so wie die Engelchen?« Madita: »Nein (leicht empört) – der hat doch Zauberkräfte und kann im Himmel stehen!«

Dieses Bild von Gott scheint für Madita so bedeutsam, dass ich unter keinen Umständen daran rütteln möchte. So lasse ich mir in der folgenden halben Stunde erklären, warum auch Dornröschen (obwohl sie aus dem Märchen kommt und daher tot ist) ebenso in den Himmel gehört wie der Nikolaus. Außerdem gibt es noch einen weiteren Engel mit blonden Haaren (Maditas Wunschhaarfarbe), der den Namen Pippilotta, Madita, Nishara, Marie Efraimstochter Langstrumpf und damit ihren, den ihrer Freundinnen und den der liebsten Filmfigur trägt. Auf dem Bild sollte auch Schneewittchen nicht fehlen: Eigentlich ebenfalls tot und aus dem Märchen, steht es doch in größter Pracht vor dem Eifelturm, um die Be-

sucher zu geleiten. »Es beugt sich immer nach unten und sagt höflich: Hallo, wie geht es Ihnen heute? Hier geht es lang.« Zu guter Letzt dreht Madita das Bild um, drückt mir einen Stift in die Hand und sagt: »Schreib!« Und ich schreibe: Madita hat das Bild Viola geschenkt. Da ist Nikolaus drauf, Schneewittchen, Dornröschen und ich liebe alle Märchen. Und Engelchen sind da oben und der liebe Gott. Plötzlich hält Madita inne und strahlt mich an: »Viola – das ist ja eine ganze Geschichte! Also schreib: Das ist eine ganze Geschichte von Madita und Viola.« Zahlreiche Studien der letzten Jahrzehnte7 haben gezeigt, dass Kinder aktive Produzenten ihres individuellen Gottesbildes sind. »Die Bilder und die Kommentare der Kinder zu ihrem Entstehungsprozess sind ein Anzeichen dafür, dass Kinder die Welt und, damit eng verbunden, ihre Gottesvorstellungen nicht ausschließlich rezeptiv aufnehmen, sondern sich produktiv 7 Z.B. Anton A. Bucher, Alter Gott zu neuen Kindern? Neuer Gott zu alten Kindern? Was sich 343 Kinder unter Gott vorstellen, in: Vreni Merz (Hg.), Alter Gott für neue Kinder? Das traditionelle Gottesbild und die nachwachsende Generation, Freiburg i.Br. 1994, 79–100; Stephanie Klein, Gottesbilder von Mädchen. Bilder und Gespräche als Zugänge zur kindlich-religiösen Vorstellungsweit, Stuttgart 2000; Maria Otterbach, Gott der Kinder – Ein Forschungsprojekt zu Bildern und Gottesvorstellungen von Kindern, in: Sandra Ecker1e / Regine Gleiß / Maria Otterbach / Wilhelm Schwendermann (Hg.), Gott der Kinder – Ein Forschungsprojekt zu Bildern und Gottesvorstellungen von Kindern, Freiburg i.Br. / Münster 2001; Anna-Katharina Szagun, Dem Sprachlosen Sprache verleihen. Rostocker Langzeitstudien zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen, Jena 2006.

Fromme-Seifert Theologische Gespräche mit Kindern mitten im Leben

aneignen auf je eigene Weise und in engster Beziehung zu dem, was sie wahrgenommen haben.«8 Meine Studie »Gottes Spuren in Kinderherzen«9, in der 132 Bilder und Interviews zum Sprachrohr kindlicher Theologie wurden und die die Art der kindlichen Gottesbeziehung zu ergründen suchte, reiht sich in diese Untersuchungen ein. Dabei hat sich gezeigt, dass die überwiegend personalen Züge der Bilder sowie deren personale Erläuterungen weniger Zeichen verzögerter religiöser Entwicklung, als vielmehr die Ausdrucksform einer persönlichen Gottesbeziehung sind. Um den Aspekt der persönlichen Gottesbeziehung zu beleuchten, wurde im Rahmen der Auswertung auf die von Religionspädagogen wie Bucher und Hanisch gewählte Gegenüberstellung von anthropomorphen und symbolischen Darstellungen bewusst verzichtet.10 Stattdessen wurde mit der Unterscheidung »personal« und »nicht-personal« gearbeitet. Besonders das Siegel »anthropomorph«11 übersieht, welche Präzision hinter den kindlichen Bemühungen steckt, die göttliche Andersartigkeit auszudrücken.12 In ihren Bildern verarbeiten die Kinder das Paradoxon von Nähe und gleichzeitiger Ferne Gottes zu den Menschen. Um ihr Verhältnis zu Gott – und seines zu ihnen – auszudrücken, bedienen sie sich dabei zugleich anthropomorpher als auch symbolischer Aspekte. Es geht darum, wie Gott für das Kind selbst im Leben spürbar ist, etwa als »Freund«, den es sich nur aus menschlicher Perspektive vorstellen kann und dessen Wesen es vor allen Dingen auch über Beziehungen erfährt. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Kinder sich selbst als Bestandteil ihres Gottesbildes sehen und dem im

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Bild Ausdruck verleihen oder es explizit erwähnen (vgl. Beispielbild B2).

Beispielbild B2

Insgesamt schreiben die personal denkenden Kinder Gott weniger menschliche Eigenschaften zu. Sie zeigen vielmehr aus ihrer kindlichen Perspektive, dass er ebenso zu ihrem Leben gehört, wie die Menschen, die sie täglich begleiten. In der Andersartigkeit drückt sich dabei die besondere Stellung Gottes im Leben der Kinder aus – optisch verdeutlicht durch Größe und Dimension des im Bild dargestellten Gottes. 8 Georg Hilger, Eine Theologie des Radierens. Wie Kinder an ihren Gottesvorstellungen arbeiten, in: Katechetische Blätter, 125. Jg. (2000), H. 3, 168. 9 Viola Maria Seifert, Gottes Spuren in Kinderherzen. Wie Erwachsene von und mit Kindern lernen können, Frankfurt a.M. 2012. 10 In Anlehnung an: Klein, Gottesbilder von Mädchen. Bilder und Gespräch als Zugänge zur kindlich religiösen Vorstellungswelt, Stuttgart 2000, 163. 11 Von menschlicher Gestalt, eine menschliche Gestalt oder Eigenschaften annehmend. 12 Vgl. Georg Hilger, Eine Theologie des Radierens (wie Anm. 8), 168.

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Pädagogische Anregungen

Der Großteil der Bilder aus der Studie belegt, dass Kinder in ihren Vorstellungen einen personalen Gott annehmen, zu dem sie eine persönliche Gottesbeziehung haben – Maditas Bild zeigt es ebenso. Gott ist für Kinder ansprechend, er ist elternähnlich – er sieht nicht nur so aus, er hat auch die Charakterzüge von Papa – aber er ist anders! Ebenso wie die sechs- bis zehnjährigen Kinder der Studie tastet sich Madita an das Geheimnisvolle und Unvorstellbare Gottes ohne äußeren Impuls heran. Hier ein weiteres Beispiel: »Weißt Du, ich will jetzt endlich Gott sehen!« (sehr bestimmt) Einige Sekunden Stille. »Ich hab nämlich heute Nacht geträumt, dass ich den sehen kann. Das geht aber ja nicht!« (entrüstet) »Warum möchtest du ihn denn sehen?« »Mhh, naja … ich stell mir das toll vor … und wenn ich mit der Oma in der Kirche bin, dann stell ich mir das vor und jetzt hab ich das geträumt.« »Wie sieht er denn wohl aus, wenn du ihn siehst?« (Wie aus der Pistole geschossen) »Er ist jung, hat blonde Haare und einen blauen Umhang mit Sternen.« »So wie das Samttuch, auf dem der Weihnachtsbaum stand?« »Genau so!«

Für Kinder ist Gott im Verborgenen und doch greifbar. Der Suchvorgang basiert zum einen auf der Erklärung: »Keiner hat Gott je gesehen.« Ein anderer Weg ist die Verknüpfung mit Himmelsphänomenen: Gott versteckt sich in einer Wolke und entzieht sich damit den menschlichen Blicken, oder ist nur zum Teil sichtbar, in Form einer Hand. Im Symbol der Hand, die für Gebor-

genheit und Sicherheit steht, wird das Paradoxon der Nähe und gleichzeitigen Ferne Gottes deutlich: Mit der Hand und über die Hand ist er greifbar und spürbar, dennoch bleibt der Rest von ihm im Verborgenen, transparent oder geisterhaft und damit jeder Greifbarkeit entzogen (vgl. Beispielbilder B3).

Beispielbild B3

Auffällig ist insgesamt, dass die Bilder in der Studie stets die kindliche Lebenswirklichkeit berühren. Das von Erwachsenen skizzierte Klischee, Kinder trügen das Bild von Gott als einem alten, bärtigen Mann im Wolkenschloss mit sich, konnte hier nicht bestätigt werden.13 Hier tritt der strukturgenetische Ansatz Jean Piagets im Umkehrschluss auf und erfährt eine Steigerung. Ausgangspunkt Piagets ist die Übertragung göttli13 Im Gegensatz dazu: Anna-Katharina Szagun, Dem Sprachlosen Sprache verleihen. Rostocker Langzeitstudien zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen, Jena 2006, 35.

Fromme-Seifert Theologische Gespräche mit Kindern mitten im Leben

cher Eigenschaften auf die Eltern.14 Hier hingegen erhält Gott einen elternähnlichen Status – er wird in die Lebenswirklichkeit der Kinder hinein genommen. Diese Beobachtung entspricht der Theorie von Kalevi Tamminen, der eine deutliche Verknüpfung zwischen der als angenehm empfundenen häuslichen Umgebung und dem Konzept eines »guten« Gottes sieht.15 Vater- und Muttersymbole stellen dabei das idealtypische Basismaterial für das Gottesbild des Kindes dar. Mit Hilfe der Erhebungen meiner Studie konnte belegt werden, dass Kinder ihre Umwelt ganzheitlich erfassen und Grenzen überschreiten, zu denen Erwachsenen keine Annäherungsversuche (mehr) unternehmen. Auch ein Blick auf die Geschlechterdifferenzierung zeigt, dass Gott in individuell geprägter Weise im Leben der Kinder vorkommt. Mädchen heben eher Beziehung zu, Gespräch mit und Geborgenheit bei Gott hervor, während Jungen eher die Größe und Allmacht Gottes sowie die damit verbundenen Vorteile betonen. Allerdings haben auch Geschlechterstereotypen Einfluss auf die Ausgestaltung der Bilder: Der gesellschaftliche wie der theologische Vorstellungskonsens der Männlichkeit Gottes geht konform mit den kindlichen Vorstellungen (abgesehen von fünf Mädchen, die einen weiblichen Gott malen, stellen die Kinder Gott als Mann dar!). Letztlich zeigt sich die kindliche Gottesvorstellung als Spiegel tiefster Emotionen und damit der Lebenswirklichkeit – sie berührt stets Einstellungen, Erfahrungen, Wissen und Sehnsüchte. Vielfach ist eher ein jugendlicher Gott vorzufinden, der voller Lebenskraft strotzt und

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kindliche Gesichtszüge besitzt. Der Gott der Kinder ist im Äußeren und Inneren ansprechend für sie (manchmal trägt er sogar den Pulli des Kindes [B4]).

Beispielbild B4

 Gott ist für das Leben der Kinder bedeutsam, ihre Vorstellung von ihm hilft ihnen die Realität zu bewältigen. Sie verbinden das ihnen vermittelte Sachwissen aus Familie, Schule, Gesellschaft und Gemeinde mit den Vorstellungen von ihrem Gott, um das daraus entstandene Gottesbild in Lebenswissen zu transformieren. So weiß Madita zum Beispiel: »Gott liebt meine tote Oma so sehr, dass sie bei ihm einen Garten haben darf, so wie es hier auf der Erde war!« 14 Das Kleinkind spricht den Eltern alle Attribute zu, die Theologen der Gottheit zusprechen. Die Eltern sind Götter; das scheint Ausgangspunkt kindlichen Gefühls zu sein. Vgl. Piaget, Jean, Der Aufbau der Wirklichkeit beim Kinde, Stuttgart 1974. 15 Vgl. Kaveli Tamminen, Religiöse Entwicklung in Kindheit und Jugend. Forschungen zur Praktischen Theologie 13, Frankfurt a.M. 1993, 336–341.

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Pädagogische Anregungen

 Gottesbilder sind den Kindern Hilfe, die nicht verständlichen Bereiche der Realität zu verstehen. Antonia (9):»Wir Menschen sind ja wie Gott gemacht. Er liebt alle Menschen und doch lässt er sie manchmal im Stich. Menschen machen das ja auch so.«16  Kinder mit religiösen Vorbildern haben die Möglichkeit, positive Gottesbilder für sich zu verinnerlichen und Gott als lebensbereichernd zu erfahren. Leon (9): Gott ist einer, der mich immer lieb hat, auch wenn ich Dummheiten gemacht hab. Er ist wie ein Fels, und wenn ich an ihn denke, fühle ich mich sicher und traue mich auch Entschuldigung zu sagen!«17 Was das Kind im religiösen Suchprozess braucht

Am Anfang jedes religiösen Entwicklungs- oder Suchprozesses, in dessen Verlauf das Kind auf seine Weise sein eigenes Gottesbild entwickelt, steht ein naturgegebenes Potential des Kindes, das ich an dieser Stelle als »spirituelle Ressource« bezeichnen möchte. Es handelt sich um die Fähigkeit und das Bedürfnis, sich zu allem in Beziehung zu setzen.18 Religiöse Erziehung kann an diesem Punkt ansetzen und damit Sensibilisierung für diese Beziehungsfähigkeit bedeuten: Das Kind auf dem Weg in die Beziehung zu sich selbst, seiner Umwelt, zu den Mitmenschen, der Zeit und letztlich auch zu Gott begleiten. Andockpunkte liefert Madita immer wieder: So ließ sich die Fünfjährige dabei beobachten, wie sie mit Blumen sprach als seien sie ihre Freundinnen und ihnen erzählte, dass sie sich einsam

fühle, weil gerade keiner mit ihr spielen möchte. Eine besondere Begegnung mit Maditas Spiritualität ergab sich während eines Spaziergangs an einem See. Plötzlich bleibt Madita stehen und zieht – wie schon so oft, wenn sie etwas Wichtiges mitzuteilen hat – an meinem Pullover, dieses Mal jedoch besonders fest. Sie hält mir bedächtig ihre Hand hin, in ihr liegt ein kleiner Kieselstein in Herzform. »Der Stein sieht wie ein Herz aus!« sagt sie überrascht. »Der ist für die Liebe.« Abrupt holt sie aus und wirft den Stein mit aller Kraft ins Wasser, schaut mich mit großen Augen an und sagt: »Die Liebe muss ganz tief sein.« Ich: »Wie meinst du das?« Madita: »Das müsst ihr doch wissen!«, nimmt meine Hand und zieht mich weiter. Solche Erlebnisse, in denen sich im Selbstbewusstsein des Kindes eine spirituelle Selbstpräsenz zeigt, öffnen immer wieder die Tür, gemeinsam die Welt und das, was zwischen Himmel und Erde verborgen liegt, zu entdecken. Was jedes neugierige Kind braucht, um sich auf diese Entdeckungsreise zu machen: – Ein Gegenüber, das zuhört und dem Kind etwas zutraut. – Die Gewissheit, dass es keinen dummen Fragen stellen kann. Die Gewissheit, über alles sprechen und auf alles einen Blick werfen zu können, in einem 16 Das Interview mit Antonia ist in »Gottes Spuren in Kinderherzen« auf S. 80–83 und 93 zu finden. 17 Ebd. mehr zu Leons Vorstellungen, S. 83–86 und 94. 18 Auch beschrieben als Beziehungsbewusstsein (relational consciousness) im Sinne einer Kernkategorie von kindlicher Spiritualität. Vgl. David Hay / Rebecca Nye, The Spirit of the Child, London 1998, u.A. 113.

Fromme-Seifert Theologische Gespräche mit Kindern mitten im Leben

Raum, der zuerst einmal kein richtig oder falsch, keine Wahrheit oder Lüge kennt. – Das Bewusstsein der Erwachsenen, dass das kindliche Gegenüber nicht mit dem Kind der eigenen Kindheit vergleichbar ist, sondern in anderen Kontexten und mit anderen Ideen aufwächst, die es authentisch ausleben will. Es bedarf also auch eines Bewusstseins von Seiten der Erwachsenen für das Potential des Kindes zu diesem Schaffensprozess. – Nicht unbedingt zwingend Kreativität der Erwachsenen, sondern Offenheit für die eigene Kreativität und Weltsicht. Sollte einer nicht religiös sozialisierten Mutter der Schweiß ausbrechen, wenn ihre zweijährige Tochter fragt »Wo wohnt eigentlich Jesus?«, tut sie gut daran zuzugeben, dass sie es nicht weiß. Zumindest hat Lotta nur darauf gewartet, prompt mit »Ich aber – im Heilland!« reagieren zu können. Wenn Kinder nach Gott fragen, wollen sie in ihren Fragen ernst genommen werden – dabei genügt es oft, sie einfach berichten oder kreativ gestalten zu lassen. – Die Frage der Erwachsenen nach der Kinderbrille, nach der kindlichen Perspektive. Die Sicherheit, dass Erwachsene den vom Kind gewählten Weg einschlagen, für die aktuelle Situation sensibel sind und darum wissen, dass sowohl das Kind als auch der gemeinsame Prozess einzigartig sind. Zuhören und Stille auszuhalten, sind dabei die schwierigsten Dinge. – Eine kindgerechte Sprache, die kurz und knapp das sagt, was sie meint, weder verniedlicht noch etwas verschweigt. Kinder sind Experten im

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Fremdsprachenlernen – von Beginn an hören sie Fremdwörter und verinnerlichen diese. Es ist also nicht nötig statt »Jünger« sofort »Freunde« zu sagen – es gilt vielmehr den Begriff zu erklären. – Eine antwortende Haltung und die Bereitschaft zu teilen: Was beispielsweise bedeutet ein Gespräch als Reaktion auf eine Kinderfrage zu öffnen, in dem deutlich wird, dass auch Erwachsene eben diese Fragen haben und nach Antworten suchen. Die Unwissenheit von Erwachsenen lädt das Kind im Besondern ein, sich und seine Gedanken zu reflektieren und diese zu kommunizieren. Beide Gesprächspartner (Kind und Erwachsener) sind dabei Quelle für sich und für den anderen. Versteht die eine Seite die andere nicht, kann jederzeit nachgefragt werden (auch Erwachsene müssen Kinderfragen nicht immer sofort erfassen können). Es gilt dem Kind dabei zu helfen sich seiner eigenen Ideen, Hoffnungen und seines Glaubens bewusst zu werden. – Ein Angebot an weiterführenden Deutungsmöglichkeiten, d.h. ein Angebot an Informationen, die das Kind wie kleine Mosaiksteine in vorhandene Vorstellungen einbauen kann. Biblische Erzählungen entdecken

Dies bedeutet für Eltern beispielsweise auch selbst den Schritt in biblische Erzählungen hinein zu wagen, um dem Kind zum Beispiel Begegnungen mit der Person Jesu anzubieten. Dafür bedarf es keiner exegetisch korrekten Auslegung der Texte, also nicht unbedingt einer

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Pädagogische Anregungen

theologischen Sachkompetenz, sondern schlichtweg Neugier und Interesse, sich gemeinsam mit dem Kind auf die Geschichten einzulassen. Im Sinne eines Verständnisses von Religion, die sich als eine Begleitung in Beziehungen versteht (vgl. oben), sind das Hören und Spielen biblischer Erzählungen, das Äußern und vielleicht auch ins Gebet bringen von Fragen, und vor allem das Von-sichselbst-erzählen-Dürfen, tragend für die Erfahrung eines liebenden Gottes. Hier ist im Besonderen anzumerken, dass sich religiöses Erleben oft nicht in »religiöser Sprache« ausdrückt. So ist religiöses Lernen auch zum wesentlichen Teil soziales Lernen. Rituale einführen – Leben feiern

Erziehende können helfen, die Beziehungen bewusst zu gestalten und vertraute Formen des Umgangs aufzubauen. Tragend sind dabei Alltags- und Festrituale. So wird das Leben zu einem bewussten Geschehen; mit Momenten, die Sicherheit geben (gemeinsames Essen, Gespräche, Beten), aber auch besonderer Beachtung bedürfen, verändern und erfreuen (z.B. Geburtstage). Eine Hilfestellung bietet das Kirchenjahr, es strukturiert die Jahreszeit wie der Sonntag die Wochenzeit und Gebetszeiten die Tageszeit. Wichtig ist auch die Bedeutung des Augenblicks – das Bewusstsein und die Wertschätzung dafür kann eingeübt werden und ist Basis für das Verhältnis zur eigenen Lebenszeit und dem Wissen, dass diese begrenzt ist. Kinder fragen nach dem Tod und brauchen einen ehrlichen Gesprächspartner!

Kinder begleiten – von ihnen lernen

Aus kindertheologischer Sicht ist intergenerationelles Lernen weit mehr als die Aneignung von Wissen und Informationen mit Hilfe einer anderen (oder im Speziellen der Vorgänger-) Generation. Es ist ein gemeinsamer Entwicklungsprozess, ein Aneinander-Wachsen, wobei es eine Bewegung in beide Richtungen gibt. Es handelt sich um eine wechselseitige Lernbeziehung. In Anlehnung an Meese19 ist intergenerationelles Lernen in drei Dimensionen zu betrachten: Übereinander Lernen, Voneinander Lernen, und Miteinander Lernen. Übereinander Lernen-Wollen, bei dem der Inhalt des Lernens in den Personen liegt, ist der erste Schritt dieses Prozesses. Dabei geht es darum, durch Einblicke in die Sichtweise des Gegenübers, die andere Generation besser zu verstehen, was allein zu einem respektvollen Umgang führen kann. Voneinander Lernen als Interaktion sollte beide Bewegungsrichtungen (von oben nach unten und von unten nach oben) beinhalten. Dabei können sowohl ältere als auch jüngere Generationen die Mentorenschaft übernehmen. Beides ist zuletzt Basis für wirkliches Miteinander Lernen (nicht nebeneinander), bei dem der Lerninhalt außerhalb der Gruppe steht. Durch die Gespräche mit Madita und durch die Auswertung der Kinderinterviews der Studie »Gottes Spuren in Kinderherzen« (in Korrelation mit den

19 Vgl. Andreas Meese, Lernen im Austausch der Generationen, in: DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung 2/2005, 39–41.

Fromme-Seifert Theologische Gespräche mit Kindern mitten im Leben

Tiefeninterviews der Mütter) wurde deutlich, dass die Frage »Wie Erwachsene von Kindern lernen können«, eine mystagogische Ebene in sich birgt. Es hat sich gezeigt, dass Kinder offen sind für die natürliche Gotteserfahrung – für sie ist Gott überall gegenwärtig. Aus dieser Perspektive heraus können Kinder im Sinne der Mystagogie katechetisch wirken. Sie können eine »Hebammenfunktion« übernehmen und durch ihre Sinnerfahrung und Wirklichkeitsdeutung den Erwachsenen die Lebensbedeutsamkeit Gottes erschließen, d.h. ein Geheimnis erlebbar machen, das tief verborgen schon immer zugegen war. Glaube hat einen grundsätzlichen Wegcharakter und muss in jeder Situation und in jeder Begegnung neu buchstabiert werden, was erklärt, warum dieser Weg nicht alleine bestritten werden kann. Nur durch die Offenheit, Begegnung mit Kindern im religiösen Gespräch zuzulassen, können

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mystagogische Räume eröffnet werden – Erfahrungsräume, die Erwachsenen durch die kindliche Sinnwelt die lebendige Gegenwart Gottes eröffnen. Damit Kinder Initiatoren dieses Prozesses sein können, ist jedoch die Bereitschaft Erwachsener, alte Gottesbilder loszulassen und neue geistliche Aufbrüche zu wagen ebenso von Nöten, wie die Bereitschaft, Kinder in ihrer Andersartigkeit zu tolerieren, ihre kindliche Sinnwelt wahr- und ernst zu nehmen, diese als lebensbereichernd zu verstehen, und Kindern nicht die eigene Meinung überstülpen zu wollen. Gemeinsames Suchen ist nicht planbar, geschieht im Alltag und in Gesprächen: Voraussetzung dafür ist Aufmerksamkeit für die Erkenntnisfähigkeit und die alltäglichen Denkmöglichkeiten von Kindern. So flüstert Madita in der Kinderkrippenfeier: »Ich hab’s verstanden, ich fühl’s jetzt, ich freue mich auch!«

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Pädagogische Anregungen

Gerhard Büttner Mindeststandards kindertheologischer Forschung

Mirjam Zimmermann hat Standards kindertheologischer Forschung formuliert,1 die sich stark an den Gepflogenheiten qualitativer Sozialforschung orientieren. Sie hat dabei kritisch festgestellt, dass ein Großteil der vorliegenden kleineren Studien diese Ansprüche nicht erfüllt. Dieser Tatbestand hat sich wohl bis heute nur wenig verändert. Ich möchte an dieser Stelle einige Anmerkungen zu den Forschungsbedingungen machen und dazu einige Aspekte in den Fokus nehmen, die in dem genannten Beitrag fehlen.

Resultat dieser Schwarmforschung ist. Diese kleinen Studien können den Praktikern wichtige Orientierung vermitteln und verbinden sich dann zusammen zu wichtigem Praxiswissen, z.B. wie man mit einem bestimmten Gleichnis in der Grundschule produktive Gespräche initiieren kann. Wirft man einen Blick auf die Bedingungen, unter denen religionspädagogische Abschlussarbeiten entstehen, dann zeigt sich an den meisten Hochschulen kein ermutigendes Bild. Die Studierenden haben in der Regel zahlreiche Stunden Erziehungswissenschaft studiert, doch entspricht dem normalerweise kei-

1. Die Forschungslandschaft

Das im Forschungsprozess erarbeitete Wissen z.B. zur Christologie von Kindern entspringt im Wesentlichen einigen akademischen Qualifizierungsarbeiten.2 Diese sind meines Wissens alle nicht durch Projekte etwa der DFG veranlasst, sondern an verschiedenen religionspädagogischen Lehrstühlen entworfen worden. Viele der kleineren Beiträge sind oft entstanden als Master- bzw. Abschlussarbeiten,3 manche als Seminarbeitrag. Nun ist es nicht verwunderlich, dass die Finesse dieser Arbeiten nicht immer die Zimmermann’schen Anforderungen erreicht. Gleichwohl wird man sagen können, dass Kindertheologie in ihrem Wissenspool zu einem erklecklichen Maße

1 Wie mache ich gute Kindertheologische Forschung? In: JaBuKi 5, 2006, 69–77; Methoden der Kindertheologie. Zur Präzisierung von Forschungsdesigns im kindertheologischen Diskurs, in: Theo-Web 1 (2006), 99–125. 2 Gerhard Büttner, Jesus hilft!, Stuttgart 2002; Christian Butt, Kindertheologische Untersuchungen zu Auferstehungsvorstellungen von Grundschülerinnen und Grundschülern, Göttingen 2009; Petra Freudenberger-Lötz Theologische Gespräche mit Kindern, Stuttgart 2007, 144ff; Tobias Ziegler, Jesus als »unnahbarer Übermensch« oder »bester Freund«? Neukirchen-Vluyn 2006, Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchen-Vluyn 2010. 3 Vgl. etliche Bände der von Petra Freudenberger-Lötz herausgegebenen Reihe »Beiträge zur Kinder- und Jugendtheologie«.

Büttner Mindeststandards kindertheologischer Forschung

ne Kenntnis zu erziehungswissenschaftlicher Forschung. Weder Datengewinnung noch Auswertung kann als Wissen vorausgesetzt werden. Forschungspraktika oder gar statistisches Grundwissen existieren nirgends. Wenn ich also eine empirische Arbeit betreue, dann erfolgt die einzige Instruktion in der Sprechstunde, in der wir das Thema bereden. Dass unter solchen Bedingungen dann doch zahlreiche ansprechende Arbeiten entstehen, ist ein kleines Wunder und Zeichen individuellen Engagements. Ich halte es für zwingend, dass die Fachdidaktiken an den einzelnen Hochschulen einen Katalog von Qualifikationen formulieren, den sie als sozialwissenschaftliches Grundwissen bei den Studierenden einfordern können. Es bleibt dann ja immer noch die wichtige Aufgabe zu zeigen, wie sich Theologie in einem solchen Medium zeigt und wie diese dann forscherisch begriffen und behandelt werden kann. 2. Der fehlende Blick auf den Forschungsstand

Nach dem Gesagten dürfte deutlich sein, dass man mit wenig praktischem Vorwissen bei empirischen Studien rechnen muss. Dies lässt sich allerdings durch die Konsultation einschlägiger Literatur zumindest zum Teil ausgleichen.4 Auffällig ist freilich, dass vielen Änfänger/innen noch nicht einmal bekannt ist, dass es zu jedem Schritt empirischer Forschung jede Menge Literatur gibt. Wenn man das weiß, dann kann man eben keinen Interviewleitfaden ohne jegliche theoretische Reflexion mehr erstellen. Ein großes Manko sehe ich in dem nur gering

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entwickelten Bewusstsein innerhalb der Religionspädagogik für den Gedanken eines kollektiven Wissensfortschritts. Vielleicht rührt das auch daher, dass jede Lehrperson sich bei der Unterrichtsplanung als origineller Kreator eines eigenen Kunstwerkes sieht. Das hat zur Folge, dass oft wenig geschaut wird, ob ein ähnlicher Gedanke schon einmal publiziert worden ist und wenn dies geschieht, dann wird die Zitation oft »vergessen«. Diese Haltung scheint sich aber auch im Forschungsbereich zu wiederholen. Ich möchte dies erläutern anhand der Untersuchungen zum Gottesbild von Kindern. Das Thema ist von zentraler Bedeutung und findet sich z.T. explizit auch in den Lehrplänen. Kinder ein Bild von Gott malen zu lassen, ist keine große Kunst. Doch welche Resultate erhält man und wie lassen sie sich verstehen? In einer verdienstvollen Studie hat das ComeniusInstitut zu dieser Frage Forscher/innen versammelt.5 Dabei ergaben sich einige Grundregeln, die im Prinzip keine, und sei sie noch so kleine, Studie vernachlässigen darf. So sollte man immer mehrere Bilder malen lassen, weil den Kindern wohl schon klar ist, dass ihr eines Bild das, was sie meinen, nur bedingt treffen kann. Dazu sollte man den Malvorgang, z.B. per Video, begleiten und das Kind immer zu seinem Werk befragen. Dazu gibt es noch eine Fülle anderer Hinwei-

4 Exemplarisch Barbara Friebertshäuser (Hg.), Handbuch qualitativer Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft, Weinheim u.a. ³2010. 5 Dietlind Fischer / Albrecht Schöll (Hg.), Religiöse Vorstellungen bilden. Erkundungen zur Religion von Kindern über Bilder, Münster 2000; inzwischen als CD erhältlich.

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Pädagogische Anregungen

se, ohne deren Kenntnis sich neue Untersuchungen kaum sinnvoll unternehmen lassen. So gewinnt denn auch ein Klassiker zum Thema »Gottesbilder«6 seine Qualität auch dadurch, dass er frühere Studien zur Orientierung mit heranzieht. Generell ist zu sagen, dass es für viele für die Kindertheologie relevante Fragestellungen bereits interessante ältere Studien gibt, in Deutschland schon in den 20er Jahren des letzten Jh. und angelsächsische in großer Zahl. Für das Thema »Gottesbild« hat Justin Barrett etwa die grundlegende Erkenntnis durch Experimente plausibel gemacht, dass Kinder und Erwachsene in der Regel über zwei »Gottesbilder« verfügen, über ein konkretes und ein abstraktes. Diese Studien wurde im Deutschen in zwei ausführlichen Berichten vorgestellt7 – und in späteren kindertheologischen Studien noch nicht einmal zur Kenntnis genommen.8 Ähnliches lässt sich im Hinblick auf andere Themen sagen. Wie kann man dem begegnen? Im Gegensatz zur mangelnden Übung im Hinblick auf empirische Forschung, die Abstriche bei den Erwartungen rechtfertigt, scheint mir die Vernachlässigung des bisherigen Forschungsstandes nicht hinnehmbar. Ich formuliere deshalb im Folgenden drei Schritte, die auch für eine Masterarbeit unabdingbar sind. 1. Recherchieren in deutschen Datenbanken. Im Internet kann man über das Fachportal Pädagogik9 schon weit kommen. In der Regel haben alle Hochschulen die Datenbank des Comenius Institut. Hier finden sich i.d. Regel alle deutschsprachige Literatur zur Religionspädagogik, einschließlich entsprechender Unterrichtsentwürfe.

2. Der amerikanische Religionspädagoge Kenneth E. Hyde10 hat vor 25 Jahren den Versuch gemacht, die religionspädagogische Forschung zu möglichst allen Themen bibliografisch zu erfassen. Dabei bezieht er ältere Literatur mit ein und auch nicht-englische, z.B. deutsche. Es lohnt sich, in diesem Buch die entsprechende Thematik zu suchen und damit die jeweilige Vorgeschichte der eigenen Forschung wenigstens wahrzunehmen. 3. Wer wissen möchte, was Kinder zu Armut, Kosmologie, Bibel oder Dankbarkeit denken, meint in der Regel bei Null anfangen zu müssen. Dieses Wissen ist aber fundamental, wenn ich wissen möchte, wie sich die religiöse Dimension dieser Sachverhalte darstellt. Wer in seiner Universitätsbibliothek die Datenbanken PSYNDEX oder psychINFO aufruft, kann zu den entsprechenden Stichworten

6 Helmut Hanisch, Die zeichnerische Entwicklung des Gottesbildes bei Kindern und Jugendlichen. Eine empirische Vergleichsuntersuchung mit religiös und nicht-religiös Erzogenen im Alter 7 bis 16 Jahren, Stuttgart / Leipzig 1996. 7 Jörg Biewald, »Zwischen zwei Göttern?« Das doppelte Gottesbild bei Kindern und Erwachsenen, in: JaBuKi 7 2008, 91–110; Anton A. Bucher, Doch mehr als ein Mensch? Die Entwicklung des Gotteskonzepts bei Kindern, in: JRP 25 2009, 24–37. 8 Z.B. Petra Freundenberger-Lötz / Ulrich Riegel (Hg.), »Mir würde das auch gefallen, wenn er mir helfen würde«, Baustelle Gottesbild im Kinder- und Jugendalter, JaBuKi-Sonderband, Stuttgart 2011. 9 http://www.fachportal-paedagogik.de/fis_bildung/fis_form.html. 10 Religion in childhood and adolescence. A comprehensive review of the research, Birmingham/Al 1990.

Büttner Mindeststandards kindertheologischer Forschung

(auf Englisch eingeben!) in der Regel eine große Anzahl von Aufsätzen finden. Meist kann man diese direkt herunterladen. Wenn es einem gelingt, eine relativ neue Veröffentlichung zu finden, dann werden dort in der Regel alle bisherigen Untersuchungen kurz referiert. Wenn etwas davon interessant ist, kann man sich dies in meist auf demselben Weg herunterladen.

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Ich fokussiere meine Argumentation auf diesen Aspekt, weil er nach meinem Empfinden bislang zu wenig beachtet wird und gleichzeitig mit vergleichsweise geringem Aufwand zu einer deutlichen Verbesserung der Forschungsergebnisse in der Kindertheologie führen wird.

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Pädagogische Anregungen

Friedhelm Kraft Wie lernt der Mensch Religion? In welcher Weise ist Glaube lehrbar?

»Kirchen raus aus den Schulen«. So lautet die Überschrift eines Artikels im Zusammenhang des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig zum Ethikunterricht vom 16. April 2014 von Parvin Sadigh.1 Der Artikel erhitzte wie gewohnt die Gemüter der Online-Community. Die Vielzahl der Kommentare sprechen für sich: Da ist von der Abschaffung eines »Religionsmonopols«, der »Säkularisierung« der »staatlichen« Schule, der »Ersetzung« des Faches Religion durch »Geografie« bis hin vom »Blödsinn, den die meisten Religionslehrer erzählen« die Rede. Und: Vehement wird als »Lösung« die Abschaffung des »Fremdkörpers« 7.3 GG zugunsten eines Religionsunterrichts »unabhängig von der Konfession, ein(en) Unterricht, wo Kinder alle Religionen verstehen lernen«, gefordert. Szenenwechsel: Im Rahmen einer Dialogveranstaltung zwischen evangelischen und muslimischen Religionslehrkräften in Berlin wird in der Diskussion die Frage des Gebets in der Schule angesprochen. Für den muslimischen Kollegen hat das Ritualgebet seinen Platz in der Moschee und nicht in der Schule. Im Unterricht werden Ablauf und Gebetshaltung lediglich anhand von bildlichen Darstellungen gezeigt. Eine evangelische Lehrkraft signalisiert apodiktisch Zustimmung: »Beten hat im Religionsunterricht keinen Platz!«

Die beiden Schlaglichter spiegeln Momentaufnahmen einer immer heftiger geführten Debatte wider: Warum werden im Religionsunterricht die Kinder nach Konfessions- und Religionszugehörigkeit aufgeteilt? Was unterscheidet Religionsunterricht nach 7.3. GG von einem Religionsunterricht »für alle«? Grundsätzlicher gefragt: Wie lernt der Mensch Religion? Ist Glaube lehrbar? Dass christlicher Glaube auf Lernen angewiesen ist, ist unstrittig. Die Frage aber bleibt: Können organisierte Lernprozesse etwas zum Aufbau von Religiosität beitragen? Und: Wie lässt sich dieser Beitrag bestimmen? Oder um es mit dem Religionspädagogen Joachim Kunstmann zu sagen: »Religion ist lehrbar, allerdings nur in einem begrenzten Maß: als Wissen um Inhalte, um Formen und Einstellungen (...), um Formen der Inkulturation (...) und als religiöse Verhaltensweise (...). Nicht oder nur sehr begrenzt lehrbar ist Religiosität als innere Einstellung und als Form von Bewusstheit.«2 Der Streit um die Lehrbarkeit von Glaube bzw. Religion löst sich in gewisser Weise auf bzw. verliert sich wesent1 www.zeit.de/gesellschaft/schule/2014-04/ethikgrundschule-religion. Dem Artikel sind 141 Kommentare beigefügt. 2 Joachim Kunstmann, Religionspädagogik, Tübingen / Basel 22010, 39.

Kraft Wie lernt der Mensch Religion? In welcher Weise ist Glaube lehrbar?

lich, wenn der Blick sich von den Lehrenden auf die Lernenden richtet. Denn die Lernbarkeit christlicher Religion steht außer Frage. Denn wie auch immer der Impulsgeber gedacht wird, »ob Gott oder ein menschlicher Pädagoge als Lehrer gedacht wird – das menschliche Individuum lernt.«3 Mit diesen Fragen bewegen wir uns im Feld der Pädagogischen Psychologie. Die Religionspädagogik der letzten Jahrzehnte verdankt dieser Bildungswissenschaft wichtige Anstöße. Grundsätzlich ist zu sagen: Lernen ist ein hoch komplexer Vorgang, der wesentlich nicht beobachtbar ist. Lediglich die »äußere« Seite von Lernprozessen können wir wahrnehmen und damit Rückschlüsse auf Lernvorgänge ziehen. Lernpsychologie und Neurobiologie zeigen, dass Lernen als Ausbau von Vernetzungen zu begreifen ist, gelernt wird nur, was auch »abgespeichert« werden kann. Lernen geschieht also nicht durch Wissensaddition und Wissensanhäufung, sondern Lernen kann nur erfolgreich sein, wenn Anknüpfungsmöglichkeiten an bestehendes Wissen, Können, Einstellungen und Erfahrungen gegeben sind. In der neueren Religionspädagogik hat insbesondere die Rezeption konstruktivistischer Theorien einen großen Stellenwert. Konstruktivistische Lerntheorien lenken den Blick auf das beteiligte Subjekt des Lernens. Da Lernen ein aktiver Prozess des lernenden Subjekts ist, der von vielen individuellen Faktoren abhängt, sind Lernprozesse nicht völlig vorhersagbar. Die einzelnen individuellen Lernprozesse vollziehen sich außerdem in der Auseinandersetzung mit den Konstruktionen anderer. Von zentraler Bedeutung ist, dass Lerninhalte nicht 1:1

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auf einen Lernenden übertragen werden können, sie haben den Rang von Irritationen, oder – wie es im Konstruktivismus heißt – von »Perturbationen«, die im besten Fall zu einer konstruktiven Auseinandersetzung und eigenständigen Rekonstruktion führen, im schlechtesten Fall als unbedeutend ausgefiltert werden. Lernen ist immer dann besonders produktiv, wenn die Lerngegenstände in bedeutsamen Kontexten und Situationen dargeboten werden und von den Lernenden als lebensbedeutsam erkannt werden.4 Festzuhalten bleibt: 1. Religiöses Lernen ist »mehr« als eine Anhäufung von religiösen Wissensbeständen. Die in der Tradition dominierende lehrende Weitergabe religiösen Wissens – z.B. in Form des Katechismusunterrichts – hat sich vielfach als »totes Wissen« erwiesen ohne religiöse Bedeutsamkeit. 2. Aus der Subjektorientierung folgt, dass der Prozess der »Aneignung« den entscheidenden Zielhorizont des Verständnisses von Lernen bildet. In didaktischer Perspektive tritt an die Stelle einer Vermittlungsdidaktik eine »Ermöglichungsdidaktik« (Beate Hofmann). Aufgabe des Didaktikers ist es, einen Ermöglichungsrahmen für Aneignungsprozesse des Lernenden zu inszenieren. Religiöses Lernen ist also mehr als eine Einführung in religiöse 3 Bernd Schröder, Religionspädagogik, Tübingen 2012, 204. 4 Vgl. Friedhelm Kraft / Hanna Roose, Von Jesus Christus reden im Religionsunterricht. Christologie als Abenteuer entdecken, Göttingen 2011, 143ff.

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Pädagogische Anregungen

Wissenstatbestände, sondern es geht wesentlich um Aneignungsprozesse im Modus existentieller Auseinandersetzung. Ist Glaube lehr- und lernbar? Nach dem Gesagten kann diese Frage nur mit einem »bedingten Ja« beantwortet werden in dem Sinne: Glauben geht nicht im Lernen auf. Aber ohne Lernen gibt es keinen Glauben. Entscheidend ist die Einsicht, dass sich Lernen in spezifischen Grenzen vollzieht: So wie der theologische Vorbehalt im Blick auf die Unverfügbarkeit des Glaubens konstitutiv ist, muss in pädagogischer Perspektive von einer »Unverfügbarkeit des Lernens« gesprochen werden. An dieser Stelle entsprechen sich das pädagogische Wissen um die Unverfügbarkeit von Lernprozessen und die theologische Einsicht in die Unverfügbarkeit des Glaubens. Die Wirksamkeit pädagogischen Handelns bleibt letztlich offen, insbesondere wenn komplexe Lernleistungen wie die Förderung persönlicher Werthaltungen auf dem Spiel stehen. Roland Schelander vergleicht die Unverfügbarkeit des Glaubens mit der Unverfügbarkeit »geglückten Lebens«: »Glaube ist wie das geglückte Leben unverfügbar. So wie der Einzelne den Glauben nicht besitzen kann, geschweige denn erlernen kann, so ist auch das geglückte und erfüllte Leben dem Pädagogen unverfügbar. Das enthebt nicht von der Notwendigkeit pädagogischer Bemühungen: Das Leben und der Glaube sind auf Lernen und Bildung angewiesen.«5

Die Spannung zwischen Glauben und Lernen ist dennoch unaufhebbar. Bernd

Schröder bezeichnet sie als »religionspädagogisches Paradox«. In Anlehnung an ein Diktum von Karl Barth formuliert er: »Wir sollen als Religionspädagogen den Glauben ansprechend, verständlich und subjektorientiert vermitteln. Wir sind aber zugleich Theologen und können als solche den Glauben nicht vermitteln wollen. Wir sollen beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit unserem Fach gerecht werden.«6

Theologisieren als ein Lernen »von« Religion

Theologisieren ist immer mehr als ein Reden über Religion. Theologisieren setzt das »Einverständnis« (Karl Ernst Nipkow) voraus, sich auf die »Praxis« Religion (Dietrich Benner) einzulassen. Theologisieren ist auf die Aneignungsdimension religiöser Lernprozesse ausgerichtet, insofern die existentielle Auseinandersetzung mit Glaubensinhalten und deren Deutung den Fokus bildet. Dass dies gelingen kann, auch bei dem für viele Lehrkräfte als schwierig angesehenem Thema Christologie, zeigen die Erfahrungen unserer Unterrichtsversuche zum Thema Jesus Christus.7 Schülerinnen und Schüler entfalten ihre Christologie, indem sie im Rahmen einer unterrichtlichen Erarbeitung der Emmauserzählung das eigentümliche Spannungsverhältnis zwischen dem unsichtbaren, aber gegenwärtigen Jesus als dem Auferstandenen in ihren Texten 5 Zit. n. Burkard Porzelt, Grundlegung religiöses Lernen, Bad Heilbrunn 2009, 125. 6 Schröder (wie Anm. 3), 213. 7 Kraft / Roose (wie Anm. 4), 154ff.

Kraft Wie lernt der Mensch Religion? In welcher Weise ist Glaube lehrbar?

zum Ausdruck bringen. Auch wenn es nicht zu »beweisen« ist, wird Jesus »immer für uns da sein«: »Es ist doch klar, Jesus Geist lebt noch, aber sein Körper ist weg!«. Und: »Wenn man ganz fest an ihn glaubt, sieht man ihn«. Interessant ist zu sehen, wie sich in den Texten der Schülerinnen und Schüler die Perspektiven verbinden. Zwar schreiben sie im Sinne der Aufgabenstellung Texte, indem sie einen Jünger auf die Frage des Freundes antworten lassen: Ist Jesus jetzt nicht mehr da? Was wird sich für euch ändern? Gleichzeitig spiegelt sich die eigene Perspektive auf das Geschehen wider. Jesus als der auferstandene und damit unsichtbare Christus ist bestimmend auch für das eigene Jesusbild:  »Er ist nur noch im Herzen für uns da, aber sehen kann man ihn nicht! Wir müssen unseren Weg ohne ihn fortsetzen, aber wenn wir Hilfe brauchen, hilft er uns.«  »Wir haben keinen Begleiter mehr. Wir haben keinen mehr, der uns beschützt und immer da war für uns. Versuche ihn in dir zu spüren und dann überlege dir, was er alles Gutes getan hat und so versuchen wir uns es zu merken.« Die Texte zeigen, dass Jesus Christus nicht nur ein Ereignis der Vergangenheit ist. Er ist im »Herzen« erfahrbar, man kann ihn auch heute noch »spüren«. Aber die Erfahrung ist alles andere als selbstverständlich: Wir müssen uns an das »Gute«, das er getan hat, erinnern und »versuchen« es »uns zu merken«. Warum kann Jesus »helfen«? »Jesus ist Gottes Sohn, er hat ihn zur Welt gebracht und deswegen kann Jesus helfen.« Die Besonderheit Jesu wird im Modus des Bekennt-

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nisses erklärt: Wir »müss(en) nur an Jesus glauben«. Die Schülerinnen und Schüler beschreiten einen Lernweg, der ein Lernen »von« Religion widerspiegelt. Sie setzen sich mit der Emmauserzählung auseinander, indem sie ihre eigene Perspektive auf das Geschehen zum Ausdruck bringen. Sie betreten den Lernweg einer narrativen Christologie. Eine narrative Christologie knüpft an Ereignisse im Leben Jesu an. Aber nicht das Ereignis als solches, sondern die Bedeutung des Geschehens für uns heute steht im Mittelpunkt. Ein persönlich-existentieller Zugang wird sichtbar durch die Eröffnung eines eignen (Sprach)-Raumes, der sich als eine Form religiöser Praxis beschreiben lässt. Die Auswertung der Unterrichtsergebnisse zeigt damit nicht nur den Mehrwert eines Unterrichts, der die Grenzen religions- bzw. christentumkundlichen Lernens überschreitet. Deutlich wird ebenfalls, dass religiöse Praxis in der Schule einen Ort hat, allerdings in didaktischer Brechung in den Konturen einer »Schulreligion«. Orte und Gelegenheiten religiösen Lernens

Religiöses Lernen ereignet sich prinzipiell an solchen Orten und Gelegenheiten, in denen Religion in der Lebenswelt »auftaucht«. Religiöses Lernen kann sich damit gleichsam als Nebenprodukt mit-ereignen. Dennoch ist es sinnvoll auf den Eigenwert der vielfältigen religiösen Lernorte in Familie, Gemeinde und Schule hinzuweisen. Auch wenn dem Religionsunterricht für religiöse Lernprozesse eine besondere Bedeutung

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Pädagogische Anregungen

zukommt – so stellte bereits die EKDDenkschrift »Identität und Verständigung 1994 fest: »Der Religionsunterricht bleibt für die meisten die einzige längerdauernde Gelegenheit in ihrem Leben, um die christliche Glaubensüberlieferung kennenzulernen.«8 – so gibt es keinen Grund formale und nichtformale Bildung gegeneinander auszuspielen. Ganz im Gegenteil: die Wechselwirkung zwischen Angeboten formaler und nonformaler Bildung ist für den Erfolg von Bildungsprozessen entscheidend. Uta Pohl-Patalong vergleicht die Lernorte Schule und Gemeinde am Beispiel des Konfirmandenunterrichts und des Religionsunterrichts. Ohne die Unterschiede zu nivellieren fasst sie das religiöse Lernen in Schule und Gemeinde »als graduelle Unterschiede«. Die Komplexität von Religion erfordert eine Unterscheidung von unterschiedlichen Dimensionen, die zwar nicht zu trennen, aber mit Schwerpunktsetzungen je nach Lernort versehen werden können. Um es anhand der Gesichtspunkte Identifikation und Reflexion zu verdeutlichen: Für den Religionsunterricht ist eine stärkere Ausrichtung auf Reflexivität sinnvoll, während der Konfirmandenunterricht stärker eine Identifikation mit christlichen Inhalten und Ausdrucksformen anbietet. »Wird dieses Gegenüber graduell verstanden, können die Stärken beider Modi im Umgang mit Religion besonders deutlich entfalten werden.«9 Zur Gestaltung religiöser Lernprozesse

Unübersehbar ist, dass Religion in der modernen Lebenswelt einen Gestalt-

wandel erfahren hat. Einerseits besteht in den alltäglichen Lebenswelten ein ungebrochener »Bedarf« an Religion, andererseits hat aber Religion im herkömmlichen Verständnis des christlichen Glaubens ihre kulturelle Selbstverständlichkeit weithin verloren. Das Erscheinungsbild religiöser Phänomene ist vielfältiger und bunter geworden. Die Chiffre von der »Rückkehr der Religion« zeigt zumindest an, dass das »Verschwinden« von Religion in der säkularen Gesellschaft kein quasinaturhafter und unaufhaltsamer Prozess darstellt, sondern gleichzeitige, aber gegenläufige Prozesse sich wahrnehmen lassen: die Zunahme religiös motivierter wie religiös indifferenter Praxen der Lebensführung. Religion in der modernen Lebenswelt hat sich vielfach ins Religiöse »verflüssigt«, sie ist wesentlich Sache der individuellen Sinngebung jedes Einzelnen geworden. Wie hat die Religionspädagogik auf den Wandel von Religion reagiert?

Wir erleben – wie gesagt – neue »Formen des Religiösen« und zugleich eine Fremdheit bzw. Unverständnis gegenüber Formen kirchlich verfasster christlicher Religion. Die performative Didaktik spricht daher nicht ohne Grund im Blick auf Schülerinnen und Schüler vom Christentum als einer »Fremdreligion«.

8 Identität und Verständigung, Gütersloh 1994, 27. 9 Uta Pohl-Patalong, Lernen in Schule und Gemeinde. Ein Vergleich am Beispiel der Konfirmandenarbeit, in: Religionspädagogisches Kompendium, hg. von Martin Rothgangel u.a., Göttingen 2012, 141.

Kraft Wie lernt der Mensch Religion? In welcher Weise ist Glaube lehrbar?

Schülerinnen und Schüler bringen in der Regel keine Erfahrungen mit christlicher Religion aus familiärer bzw. kirchlicher Sozialisation mit, daher muss christliche Religion zu allererst »erschlossen«, »gezeigt« und »erprobt« werden. Religionsunterricht hat damit die Aufgabe, Religion »als eine Praxis« Schülerinnen und Schülern zu erschließen. Religionsunterricht nach dem »Reflexionsmodell« – in der Schule werden vorgängige religiöse Erfahrungen reflektiert – entspricht aus performativer Sicht weder den veränderten Sozialisationsbedingungen noch dem Gegenstand Religion. Gleichzeitig werden mit der Fremdheit christlicher Vollzüge und Lebensformen die »neuartigen Lernchancen« (Bernhard Dressler) betont. Das didaktische Leitbild der Kinderund Jugendtheologie ist in besonderer Weise an den eigenständigen Konstruktionen und Deutungen der Kinder und Jugendlichen interessiert. Gezeigt wird, dass Kinder und Jugendliche eine eigene Theologie haben, die sich von einer »Erwachsenen- bzw. Expertentheologie« unterscheidet. Kinder- und Jugendtheologie begreifen Kinder und Jugendliche als eigenständige Theologen und Philosophen, die mit ihren Denk- und Sprachmöglichkeiten die großen Fragen des Lebens bedenken und eigene Antworten finden. Kinder- und Jugendtheologie und performative Religionsdidaktik haben – bei aller Unterschiedlichkeit der Ansätze – ein gemeinsames Anliegen: Es gilt Religion als ein »Modus der Welterfahrung« unverstellt ins Spiel zu bringen. Religiöses Lernen in Schule und Gemeinde soll

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Schülerinnen und Schülern eine Begegnung mit Religion eröffnen, es soll »in« Religion eingeführt werden. Kurz gesagt: Kinder- und Jugendtheologie sowie performative Religionsdidaktik verbindet das essentielle Interesse an »gelebter« Religion. Wichtig ist dennoch die Unterscheidung der unterschiedlichen Zugänge zu religiösen Kommunikationsprozessen. Erschließung von Religion im performativen Sinne heißt vordringlich, »die symbolischen und performativen Ausdrucksformen von Religion« (Bernhard Dressler) in Gebrauch zu nehmen. Mit anderen Worten: performanzorientierte Lernformen wählen den Zugang zu Religion über die »Gestalt« religiöser Kommunikationsformen. Dagegen sind theologische Gespräche im Sinne der Kinder- und Jugendtheologie eher am »Gehalt« religiöser Kommunikationsformen orientiert. Insgesamt markieren theologische Gespräche mit Kindern und Jugendlichen und performanzorientierte Zugänge zu Religion und Glaube Lernräume, in denen sich das ereignen kann, was Fulbert Steffensky als »eine Art Heimatgefühl« bezeichnet. »Kinder lernen Religion nicht hauptsächlich als Lehre, sondern als eine Art Heimatgefühl, das sie mit bestimmte Zeiten und Rhythmen, mit Orten und Ritualen verbinden. Sie lernen Religion also von außen nach innen.«10

10 Fulbert Steffensky, Gott im Klassenzimmer. Über den Versuch, Religion weiterzugeben, in: Glaube und Lernen 13/ 1998, Heft 1, 4.

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 Herbert Stettberger: Empathische Bibeldidaktik. Eine interdisziplinäre Studie zum perspektiveninduzierten Lernen mit und von der Bibel (Bibel – Schule – Leben 9), Münster u.a. 2012, 656 Seiten

»[B]iblische Texte beherbergen ein enormes empatisches Potential in sich, das es zu entdecken gilt.«(2) Dies setzt sich Herbert Stettberger, an der PH Heidelberg lehrender Professor für kath. Theologie/ Religionspädagogik, in seiner »Empatischen Bibeldidaktik« als Aufgabe. Er wurde mit dieser Arbeit 2012 an der LMU München habilitiert und unternimmt darin den Versuch, »Empathie« als Leitprinzip einer zeitgemäßen Bibeldidaktik zu implementieren. Er selbst nennt in seiner Bibeldidaktik explizit viele Anknüpfungsmöglichkeiten zur Kinder- und Jugendtheologie. So sei der Perspektivenwechsel im Blick auf »[e]inseitig fixe Erklärungsmodelle« (77) angelegt, das »Lernen von religiöser Kommunikation« (93) stehe im Fokus, sein Konzept sei auch »tendenziell empathisch an der RezipientInnenschaft ausgerichtet« (103, 105) und die Kinder wären kompetente Ansprechpartner (114), ja sie treten als »TransformatorInnen« (294), als »mündige« (301) und »autonome ExpertInnen in Erscheinung, die biblische Texte und Botschaften auf ihre eigene Weise wahrnehmen und ggf. auch

ablehnen dürfen.« (295). Folglich kommt er zu dem Ergebnis: »Konzeptionell liegt damit ein zur Kindertheologie analoger Ansatz zugrunde, der ein Lernen mit und von Kindern sowie Jugendlichen beinhaltet.« Die in der Kindertheologie durchaus auch erkannte Notwendigkeit einer »Theologie für Kinder« bleibt dabei allerdings unterbelichtet. Im Folgenden soll dieser Ansatz genauer dargestellt werden: Als Ausgangslage beschreibt Stettberger, dass trotz einer beachtlichen Karriere des Begriffs im 20. Jahrhundert zunächst innerhalb der Sozialpsychologie, dann auch innerhalb der Neurobiologie, dessen intensive Rezeption und ein daraus erwachsendes fundiertes handlungsleitendes Konzept, das unterrichtspraktisch Anwendung finden kann, im Bereich der Theologie / Religionsdidaktik bislang kaum stattgefunden habe bzw. nicht entwickelt worden sei, obwohl er exponierte Vertreterinnen wie Elisabeth Naurath durchaus nennt und rezipiert. Im ersten Kapitel (Zum Begriff Empathie) eröffnet ein Gang durch die Geschichte des Begriffs »Empathie« die Publikation. Dieser führt zur Erkenntnis, dass Empathie als Begriff weder in der LXX noch im NT vorkommt. So sei innerhalb der Bibel »[W]eniger terminologisch als vielmehr konzeptionell« (12;

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68) ein programmatisches, positiv konnotiertes Konzept von Empathie wahrnehmbar. Der Psychologe E.B. Titchener schließlich habe den Begriff »Einfühlung« graeco-anglizistisch mit »empathy« wiedergegeben und somit den Weg für die Karriere des Begriffs als solchen geebnet. Ein klares Konzept von Empathie zeichne sich, die sozialpsychologische und neurobiologische Forschung der letzten Jahrzehnte resümierend, nicht ab. Insofern bedürfe die Verwendung des Begriffs »stets der Präzisierung und insofern der Aktualisierung« (69). Bei der Suche nach im weitesten Sinne »Empathie« explizit oder implizit aufgreifenden religions- und bibeldidaktischen Konzepten im zweiten Kapitel konstatiert der Autor ein implizites Rekurrieren auf empathische Elemente vor allem in den Konzepten der Korrelationsdidaktik und der Elementarisierung (elementare Erfahrungen), da vor allem bei diesen Ansätzen das Reden von »Perspektivenübernahme« und »Perspektivenwechsel« didaktisch intendiert sei. Auch in christlich-theologisch motivierten Projekten zur Gewaltprävention, dem »Compassion-Projekt« und dem »Biographischen Lernen« spielten Perspektivenwechsel und Perspektivenübernahme als letztlich empathisch wirksame Größen eine große Rolle. Fast drängt sich der Eindruck auf, als ließen sich weitgehend alle bibeldidaktischen Tendenzen und Konzepte unter dem Schlagwort »Empathie« anschlussfähig machen, ist »Empathie« ja sowohl Methode als auch übergreifendes Prinzip (574). Im dritten Kapitel entwirft Stettberger ein Modell empathischen Lernens, das

auf Anwendbarkeit zielt und als »repräsentativ, überschaubar, stringent und erweiterungsfähig« (193, kursiv im Original) gelten kann. Er gibt seinem Entwurf den Titel »WITH-Modell«, was als Akronym für folgende Begriffe gelten kann: I. Wahrnehmung des Gegenübers II. Imitation: Modeling III. Teil-Identifikation als Hineinfühlen / Hineindenken in eine Referenzperson: IV. (pro-)soziales, bzw. altruistisches (inter-)kulturelles bzw. (inter-)religiöses Handeln. Damit sieht Stettberger ein handhabbares Modell gegeben, mit dem bibeldidaktische Prozesse, die auf empathisches Verstehen zielen, strukturiert und geplant werden können. Im vierten Kapitel rückt einerseits die Bibel als empathische Potenziale bietende Textsammlung mit ihren spezifischen Merkmalen in den Blick, andererseits die Schülerinnen und Schüler mit ihren spezifischen Voraussetzungen und Bedürfnissen hinsichtlich eines empathisch konzipierten Unterrichts. Wo ein angemessenes Verstehen des Bibeltextes im Vordergrund stehe, seien kognitive Zugänge zu favorisieren, wo die Lebenswelt der Schülerin/des Schülers im Vordergrund sei, dagegen emotional-sensitive Zugänge. Beide ergänzten sich letztlich und müssten im Rahmen eines offene Formen realisierenden, ganzheitliches Lernen anvisierenden Unterrichts zu ihrem Recht kommen. Das Kapitel fünf kann u.E. als Nukleus der Arbeit gelten. Hier wendet Stettberger das WITH-Modell auf Bibeltexte an und eruiert konsequent empathische Lernchancen. Paulus und synoptische

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Wundererzählungen, aber auch alttestamentliche Passagen werden ausgeleuchtet und das in ihnen verborgene empathische Potenzial gehoben. Anschließend werden ausführlich die aus seinem Ansatz erwachsenen didaktischen Perspektiven auf die Gleichniserzählung vom Barmherzigen Samariter entfaltet, vielleicht der empathischste und am stärksten auf Perspektivenübernahme angelegte Text der ganzen Bibel. Das Improvisationsspiel spielt hierbei in der theoretisch-methodischen Umsetzung eine hervorgehobene Rolle, wobei das Vorgehen an sich klassisch erscheint. Gezeigt werden soll in der Applikation, dass sich Empathie als aktiver und reaktiver Prozess in den im WITH-Modell vorgegebenen Phasen entfalten kann. Hier wäre eine empirische Überprüfung bzw. mehr Schüler-O-Ton zumindest exemplarisch sinnvoll, wenn auch aufwändiger gewesen. Formal ist das Druckbild mit großer Schrift und sehr vollen Seiten nicht überzeugend, ferner finden sich einige formale Ungenauigkeiten. Insgesamt unternimmt Stettberger ein beachtliches Unterfangen, um das Konzept »Empathie« in schlüssiger Weise für religionsdidaktische Bemühungen fruchtbar zu machen. Ihm gebührt das Verdienst, ein religionsdidaktisch konsequent den RU im Blick habendes Konzept entworfen zu haben, um empathisches Lernen mit und von der Bibel zu fördern. Sein »WITH-Modell« wirkt praktikabel und schärft den Blick für empathische Zusammenhänge in biblischen Texten, die ohne diese Brille vielleicht manchmal im Unscharfen verharren. Überzeugend fällt Stettbergers Explikation vor allem des Philemonbriefs aus,

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der Paulus als Empathiker von Rang erscheinen lässt. Im Blick auf gesamtbiblische Zusammenhänge wirkt Stettbergers Ansatz jedoch recht selektiv und einlinig. Das AT ist bibeldidaktisch klar unterrepräsentiert und seine diesbezüglichen Erläuterungen (z.B. Abraham im Gespräch mit Gott) wirken weniger überzeugend als diejenigen, die neutestamentliche Zusammenhänge betreffen. Er vertritt explizit die Ansicht, dass im RU vor allem solche Texte Platz haben sollten, die ein hohes empathisches Niveau erkennen lassen. Einer Funktionalisierung und Fragmentisierung biblischer Zusammenhänge vermag er damit nicht zu entgehen. Mirjam Zimmermann und Julian Enners

 Gerhard Büttner / Veit-Jakobus Dieterich: Entwicklungspsychologie in der Religionspädagogik, Göttingen 2013

Für eine subjektorientierte Religionspädagogik ist die Kenntnis und Bezugnahme auf Theorien und Konzepte zur religiösen Entwicklung unhintergehbar. Dennoch fehlt es an Darstellungen, die aktuelle Entwicklungen und neuere Forschungsergebnisse übersichtlich und verständlich aufbereiten. Diese Lücke schließen in beeindruckender Weise Büttner und Dieterich mit ihrem als UTB-Taschenbuch erschienenen Band. Die Autoren vermessen das entwicklungspsychologische Feld mit einer dreifachen Intention: Die »alten« Theorien der strukturell-kognitivistisch ausgerich-

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teten Entwicklungspsychologie werden in Anknüpfung an Piaget dargestellt und auf ihre Tragfähigkeit hin diskutiert. Es folgt eine Skizzierung des domänenspezifischen Paradigmas der neueren Entwicklungspsychologie, deren Ergebnisse in einem dritten Schritt in Aufnahme insbesondere angelsächsischer Studien am Beispiel zentraler theologischer Fragestellungen entfaltet werden. Die ersten Kapitel des Bandes geben Auskunft über die Stufentheorien von Piaget und Kohlberg, »intuitive« Theorien von Kindern als Eckpunkte einer domänenspezifischen Entwicklungspsychologie, Studien zum Wirklichkeitsverständnis und zur Wirklichkeitsdeutung von Kindern und den Stufenmodellen von Oser, Fowler und Streib. Auch nach dem »Abschied von Piaget« ist für die Autoren die Einsicht maßgeblich, dass sich die Defizite der Stufentheorien in einer »Theorie der religiösen Stile« aufheben lassen. Es folgen eine Darstellung der Studien zum »hybriden« und »komplementären« Denken, aus denen die Entwicklungsaufgabe der Fähigkeit zum Begreifen von Perspektivität abgeleitet werden. Die theologisch-thematischen Kapitel des Buches, beginnen mit Fragestellungen einer theologischen Anthropologie, in deren Rahmen insbesondere die Ergebnisse neuerer empirischer Studien zu Todeskonzepten von Kindern und Erwachsenen festgehalten werden. Neben den Studien zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern nehmen die Autoren den aktuellen Diskurs zur Entwicklung von Spiritualität auf. Den Autoren gelingt es immer wieder in überzeugender Weise die Relevanz der angelsächsischen Diskussion für die Entwicklung eines neuen entwicklungspsy-

chologischen Paradigmas aufzuzeigen, ohne die Leistungen der »alten« Stufentheorien abzuwerten. Die Abschlusskapitel des Bandes geben einen Überblick in neuere Sichtweisen zur TheodizeeThematik und zur Entwicklung der Christologiekonzepte bei Kindern und Jugendlichen. Die Religionspädagogik ist auf das Gespräch mit der Entwicklungspsychologie angewiesen. Dazu gehört die Kenntnis des neueren entwicklungspsychologischen Forschungsstandes. Büttner und Dieterich geben mit ihrer kompakten Darstellung Einblicke in einen Diskurs in der Aufeinanderbeziehung von allgemeiner Entwicklungspsychologie und domänen- bzw. fachspezifischer Entwicklungslogik. Dieser Ansatz wird von ihnen als »dritter Weg« der Ausbalancierung eines »Paradigmenwechsels« ausgewiesen. Anders formuliert: Ohne einen »Abschied« zu proklamieren, werden von den Autoren Konturen einer gegenstandsbezogenen Entwicklungspsychologie sichtbar, die sich einer Vielzahl von neueren Studien verdankt. Diese zumeist angelsächsischen Studien für den deutschsprachigen Raum eingebracht zu haben, gehört mit zu den Verdiensten dieses für das Verständnis religiöser Entwicklungsprozesse unverzichtbaren Bandes. Friedhelm Kraft

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 Kind – Krankheit – Religion. Medizinische, psychologische, theologische und religionspädagogische Perspektiven, hg. von Mirjam Zimmermann, Constantin Klein und Gerhard Büttner, Neukirchen-Vluyn 2013, 338 Seiten

Die Beiträge dieses Sammelbandes gehen auf eine interdisziplinäre Fachtagung zurück und bearbeiten ein Thema, das in der Religionspädagogik bisher ein Schattendasein führte: Es gibt zwar Literatur über Inklusion, es gibt auch zahllose Veröffentlichungen zur Frage, wie religionspädagogisch und religionsdidaktisch mit Tod und Sterben umzugehen ist. Aber Krankheit spielt so gut wie keine Rolle in der religionspädagogischen Fachliteratur, schon gar nicht gibt es Versuche, über die Fachgrenzen hinaus zu blicken und auszuloten, was Medizin, Seelsorge und Psychologie zum Thema beizutragen haben. Deshalb schließt die vorliegende Veröffentlichung eine echte Lücke. Die Beiträge sind in sechs Kapiteln strukturiert, die bescheiden als »Annäherungen« bezeichnet werden: (religions-)psychologische, medizinische, systematischtheologische, exegetische und hermeneutische, religionspädagogische sowie praktisch-theologische Annäherungen. Beim Vergleich mancher Überschriften mit den so überschriebenen Aufsätzen merkt man, dass es für die Herausgeber nicht leicht war, das Feld systematisch zu erfassen bzw. das Material lesbar zu bündeln. Das tut der Sache, um die es geht, jedoch keinen Abbruch. Es ist vielmehr zu loben, dass sich eine Fülle von interessanten Fragestellungen finden, die das Feld überhaupt erst einmal eröffnen. Hoch interessant sind die beiden systematisch-theologischen Beiträge: Stephan

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Schaede gibt einen historischen Einblick in die theologische Thematisierung des kranken Kindes von Luther bis Bodelschwingh. Glänzend geschrieben, köstlich zu lesen, voller Sprachwitz und theologischer Unbestechlichkeit. Ernstpeter Maurer kümmert sich um die providentia spezialis, also (vereinfacht gesagt) um die Frage, ob es Sinn macht, mit kranken Kindern zu beten, wenn doch Gott, wie wir glauben, etwas »vorgesehen« hat für das Leben dieses Kindes. Was glauben wir da genau? Maurer unterscheidet Vorsehung von Prädestination, diese wiederum von Determination, um nur zwei der von Maurer getroffenen Differenzierungen zu nennen. Sein Abheben darauf, dass Erzähltes und Dogmatisches zu unterscheiden seien und dass gerade das Sprechen und Erzählen unsere Kontaktschiene bildet sowohl zur biblischen Tradition wie zum kranken Kind. »Gottes Fürsorge ereignet sich im Medium der Sprache« als einer eigenen Ebene der Wirklichkeit (S. 148); genauso ist die personale Begegnung zwischen Seelsorger und Kind eine sprachliche. Und in der Narration (wie im Gebet) lässt sich Identität gestalten. Dass Seelsorge und Dogmatik keine getrennten Welten sein müssen, lässt sich an diesem Beitrag ablesen. Daneben gibt es empirisch unterfütterte Beiträge: Katharina Kammeyer und Janieta Jesuthasan gehen der Frage nach, wie Kinder mit Behinderungen mit Heilungsgeschichten umgehen. Brigitte Müller-Vollbrecht hat aus der Sicht einer Lehrerin einen Praxisbericht aus der Schule der Kinderklinik der Medizinischen Hochschule Hannover beigetragen, Heike Kassebaum und Angela Kessler-Weinrich berichten über ihre Tätigkeit als Seelsorgerinnen in einem

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Kinderkrankenhaus, und Anja Fleischmann geht aus psychologischer Sicht der Frage nach, wie schwer kranken Kindern durch den Einsatz von Kuscheltieren und Klinikclowns geholfen werden kann, mit ihrer Situation umzugehen. Spannend zu lesen sind auch die beiden Beiträge von Ruben Zimmermann und Jantine Nierop. Zimmermann trägt als Neutestamentler sozialgeschichtliche und figurenanalytische Aspekte zu Wundererzählungen bei, in denen kranke Kinder betroffen sind. Gerade die narratologische Figurenanalyse bietet hier viele didaktische Anknüpfungspunkte – und zeigt, nebenbei bemerkt, dass Exegese immer noch (oder wieder?) das Potenzial besitzt, Erkenntnisgewinne mit Gegenwartsrelevanz hervorzulocken. Nierops Untersuchung ist historisch angelegt: Sie hat am Beispiel von Mk 9,14– 29 die Göttinger Predigtmeditationen aus den Jahren 1981–2011 analysiert – ebenfalls sehr gewinnbringend zu lesen. Dass das nicht bei allen Beiträgen der Fall ist, versteht sich von selbst und muss auch wohl so sein – ist doch das Interesse jeder einzelnen Leserin auch durch das geleitet, was sie selbst an Erfahrungen, Vorwissen und Fragen mitbringt. Einem psychoanalytisch ausgebildeten Leser werden bei der im Rahmen einer Fallbeschreibung getroffenen Aussage von Christine Kuhn, »nach 8 Sitzungen« seien bei einem angstgestörten neunjährigen Patienten »keine Störungen im Verhalten mehr erkennbar« (Seite 39) die Haare zu Berge stehen. Verhaltenstherapeutisch geschulte Leser wird diese Aussage womöglich nicht weiter stören. In jedem Fall aber wird der Leser, die Leserin angeregt, über seine/ihre eigenen impliziten Konzepte zum Thema »Krank-

heit« nachzudenken, sie zu erweitern und für ihren Unterricht nutzbar zu machen. Traue ich mich beispielsweise, die Heilung des Taubstummen in einer Klasse zu unterrichten, der ein schwer hörgeschädigtes Kind angehört? Denke ich überhaupt über die Frage nach, wie dieses Kind diese Heilungsgeschichte hört? Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen: Ist »religiös«, wer Krankheit mit Gott in Verbindung bringt? Und heißt das: Ich bin nicht religiös, wenn ich das nicht tue? Was ist eigentlich »religiös« und wer hat hier die Definitionshoheit? Es lässt sich auch fragen, ob es wirklich »Gedankenexperimente« (Gerhard Büttner, Seite 56f.) sind, wenn Kinder darüber zum Nachdenken angeregt werden, ob und wie Gott im Spiel ist, wenn jemand von schwerer Krankheit getroffen wird. Wer sich an Gottes Antwort an Hiob aus dem Wettersturm hält oder an Karl Barths Mahnung, dass Gott der »ganz Andere« ist, wird hier vielleicht eher von Spekulation als von Gedankenexperiment reden. Insgesamt stellt sich mir beim Lesen der Beiträge die Frage: Müssen wir bei der religionspädagogischen Betrachtung des kranken Kindes nicht unterscheiden zwischen letal oder mindestens schwer erkrankten Kindern und »normalen« Kinderkrankheiten? Oder ist es richtig, hier grundsätzlich nicht zu differenzieren, weil Krankheit, Leid und Tod Teil des Lebens sind und nur deshalb so dringlich scheinen, weil sie das implizite Konzept unserer Zeit, dass der Mensch einen Anspruch auf Unversehrtheit und Glück hat, in Frage stellen? Dies sind offene Fragen. Es gehört zur Qualität des Buches, solche Fragen anzuregen. Auch da, wo es Antworten anbietet, werden eigene implizite Sichtweisen und Voreinstellungen aufge-

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fächert, und es entstehen neue Fragen, die zur Differenzierung beitragen. Nichts ist nach der Lektüre dieses Sammelbandes mehr »ein-fach«. Gerade diese Ausdifferenzierung ist das Verdienst der vorliegenden Publikation und der große Gewinn für die Leserinnen und Leser. Bärbel Husmann

 Katharina Kammeyer / Erna Zonne / Annebelle Pithan (Hg.), Inklusion und Kindertheologie, Münster 2014 (Inklusion – Religion – Bildung 1)

Ein Arbeitskreis am Comenius-Institut hat ein interessantes Buch erarbeitet. Katharina Kammeyer stellt kundig und kompakt die inzwischen doch differenzierte Diskussion der Kindertheologie dar. Saskia Flake und Ina Schöder präsentieren das ambitionierte Programm der Inklusion mitsamt seiner die gegenwärtige Realität weit überschreitenden Perspektive. Dagegen lösen die beiden Beiträge zur Implementierung dieses Programms in den niedersächsischen Schulen (Erna Zonne bzw. Nancy Renze) eher Ernüchterung aus. Das implizite Thema des Buches lautet: Wie kann es möglich werden, einen Religionsunterricht so zu gestalten, dass er den Inklusionsansprüchen gerecht wird und gleichwohl (kinder-)theologisch orientiert bleibt? Die Autorinnen gehen dabei so vor, dass sie fragen, welche methodischen Ansätze jenseits des argumentativen Gesprächs denn der Kindertheologie zur Verfügung stehen. Hier finden sich dann die Arbeit mit Psalmtexten im Sinne Baldermanns (Barbara Strumann), das

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kreative Schreiben (Monika Burggraf), bibliodramatische Elemente (Kathrin Hannecken) und Bibliolog (Judith Grube). Alle diese methodischen Zugänge sind unterrichtlich erprobt – wenngleich nur eingeschränkt in inklusiven Konstellationen. Das vorliegende JaBuKi zeigt nun aber, dass es gar nicht so leicht ist, eine solche Praxis zu implementieren. Dazu muss man fragen, ob der Begriff der Kindertheologie es verträgt, so weit gedehnt zu werden, dass er alle die angesprochenen Praktiken ohne weiteres integrieren kann. Die genannten Anfragen schmälern nicht die Wichtigkeit dieses Buches, sondern sie zeigen, welche Aufgaben das Programm des Theologisierens mit Kindern und Jugendlichen noch vor sich hat. Die in diesem Buch in kleiner Dosierung vorgelegten Einblicke in unterrichtliche Praxis sind dazu sehr hilfreich – die Aufgabe einer theoretischen Bewältigung bleibt groß. Gerhard Büttner

 Theologisieren mit Kindern – Grundlagen, Impulse und Beispiele aus der Praxis, DVD von Guy Rainotte / deutsche Bearbeitung Petra Freudenberger-Lötz und Uni Kassel, Calwer Verlag, Stuttgart 2014

Kann man das Theologisieren mit Kindern durch das Anschauen einer DVD lernen? Bevor man zur Skepsis neigt, sollte man dasselbe im Hinblick auf ein Buch fragen. Der frankophone belgische Religionspädagoge Guy Rainotte hat es unternommen, sein Plädoyer für das Philosophieren und Theologisieren mit

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Kindern als DVD zu präsentieren. Seine Argumentation beginnt mit der Frage nach der Spiritualität der Kinder und er setzt seine Argumentation fort mit Reflexionen und Praxisbeispielen zur Kindertheologie und Philosophie. Er hat dazu in der frankophonen Welt Expert/innen aus Frankreich, der Schweiz, Belgien und Kanada zu Wort kommen lassen, dazu die hierzulande bekannten Anton Bucher, Elisabeth Schwarz und Petra Freudenberger-Lötz. So ergibt sich eine kompetente Argumentation, die auf die grundlegende Disposition von Kindern zur Behandlung von »Großen Fragen« hinweist. Die zahlreichen Gesprächsbeispiele aus Unterricht und Katechese zeigen, dass und wie Kinder bereit sind, sich den schwierigen Fragen zwischen Himmel und Erde zu stellen. Dabei werden Klassiker verhandelt wie etwa die Gottesbilder von Kindern, aber auch wichtige Überlegungen, wie man sich an den Grenzen des Wissbaren verhalten sollte. Doch auch methodisch gelungene Praxis mit Bildern, Legekärtchen etc. wird mit eindrücklichen Bildern dokumentiert. Wenn ich die Anfangsfrage aufnehme, dann möchte ich die Antwort differenzieren. Wer kann von der DVD profitieren?

Wer sich ein bisschen mit der Fragestellung beschäftigt hat, der findet in kompakter Weise tragfähige Antworten, z.B. im Hinblick auf die Unterscheidung von Kindertheologie und Kinderphilosophie oder generell zu den Anforderungen an die erwachsenen Gesprächsleiterinnen. Wer sich für eine bestimmte Methode interessiert, kann sich mehrfach die angebotenen Beispiele anschauen. Wahrscheinlich für alle deutschsprachigen Nutzer gilt, dass sie erstmals den durchaus avancierten französischsprachigen Diskurs zur Thematik wahrnehmen und fragen sollten, ob es nicht höchste Zeit sei, etwa die im Film gezeigten Personen zu kontaktieren. Zur französischsprachigen Version gibt es Einblicke auf youtube (→ Rainotte). Es ist ein großes Glück für die deutschsprachige Kindertheologie, dass Petra Freudenberger-Lötz und ihr Team es unternommen hat, diese DVD auf Deutsch zugänglich zu machen und dem Calwer Verlag, dass er dieses Unternehmen unterstützt hat. Die Anschaffung lohnt sich für alle Institutionen, wie Studienseminare, Hochschulen, Institute etc., aber durchaus auch für den individuellen Gebrauch. Gerhard Büttner

Die Autorinnen und Autoren

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Die Autorinnen und Autoren

Dr. Noemi Bravená ist Assistentin am Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Hussitischen Theologischen Fakultät und am Lehrstuhl für Pastorale Lehrfächer und Kanonisches Recht an der KatholischTheologischen Fakultät der Karls-Universität Prag und Verfasserin einer Dissertation über Transzendenz bei Kindern an der dortigen Pädagogischen Fakultät. Dr. Gerhard Büttner ist em. Professor für Evangelische Theologie mit den Schwerpunkten Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Universität Dortmund. Dr. Sabine Dievenkorn ist Pastorin und Professorin an der Facultad Evangélica de Teologia, Comunidad Teologica Evangelica, Colaboradora Ecuménica de mission 21, Concepción, Chile. Dr. Michael Fricke ist Professor für Evangelische Theologie / Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Universität Regensburg. Viola Maria Fromme-Seifert, DiplomReligionspädagogin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt »Religionspädagogik im Elementarbereich« der Katholischen Hochschule NRW, Abteilung Paderborn, Fachbereich Theologie und Promovendin an der Universität Duisburg-Essen.

Dr. Bernhard Grümme ist Professor für Religionspädagogik und Katechetik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Dr. Katharina Kammeyer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie der Technischen Universität Dortmund. Derzeit vertritt sie den Lehrstuhl für Evangelische Religionspädagogik der Universität Duisburg-Essen. Sie ist als Sonderpädagogin tätig sowie in der Koordination der Nachwuchsförderung des Forums für Heil- und Religionspädagogik. Dr. Friedhelm Kraft ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Dr. Frank Michael Lütze ist Professor für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Universität Leipzig. Rainer Oberthür ist stellvertretender Leiter des Katechetischen Instituts des Bistums Aachen, Dozent für Religionspädagogik und Grundschullehrer. Dr. Mirjam Schambeck sf ist Professorin für Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Interreligiöse Kom­ petenz,

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Die Autorinnen und Autoren

Kommunikation der Gottesfrage in der Postmoderne, biblisches Lernen sowie Fragen zum Verhältnis von Religion und Bildung. Johannes Schimming ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Religionspädagogik der Universität Leipzig.

Barbara Strumann, Sonderpädagogin, mit einigen Stunden an eine Hauptschule abgeordnet; Fachberaterin der Bezirksregierung Münster für den Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung / Inklusion; Mitglied im Forschungs- und Nachwuchskolleg FUNKEN der TU Dortmund.