Quantitative Szenarien zur Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung in Deutschland bis zum Jahr 2000 [1 ed.] 9783428480012, 9783428080014


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Quantitative Szenarien zur Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung in Deutschland bis zum Jahr 2000 [1 ed.]
 9783428480012, 9783428080014

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DEUTSCHES INSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG

BEITRÄGE ZUR STRUKTURFORSCHUNG

HEFT 150 ·1994

Bernd Görzig, Martin Gornig und Erika Schulz

Quantitative Szenarien zur Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung in Deutschland bis zum Jahr 2000

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Görzlg, Bernd: Quantitative Szenarien zur Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung in Deutschland bis zum Jahr 2000 I bearb. von Bernd Görzig, Martin Gornig und Erika Schulz. Berlin : Duncker & Humblot, 1994 (Beiträge zur Strukturforschung ; H. 150) ISBN 3-428-08001-7 NE: Gornig, Martin: ; Schulz, Erika: ; GT

Herausgeber: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Königin-Luise-Str. 5, 0-14195 Berlin Telefon (0 30) 82 99 10 - Telefax (030) 8299 12 00 Schriftleitung: Dr. Bernhard Seidel Verlag: Duncker & Humblot GmbH, earl-Heinrich Becker-Weg 9, 0-12165 Berlin. Alle Rechte vorbehalten Druck: 1994 bei ZIPPEL-Druck, Oranienburger Str. 170, 0·13437 Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-08001- 7

Inhalt Seite

Vorwort

5

O.

Zusammenfassung

7

1.

Zur Vorgehensweise

19

2.

Veränderte Rahmenbedingungen in Europa

22

2.1

Technologisch-organisatorischer Wandel

22

2.2

Pol itisch-wirtschaftl iche Integrationsprozesse

29

2.3

Zwei Szenarien

37

3.

Bevölkerung und Erwerbspersonenpotential

39

3.1

Entwicklung der Außenwanderungen

39

3.2

Ergebnisse für Westdeutsch land

44

3.3

Ergebnisse für Ostdeutsch land

49

4.

Nachfrage, Produktion und Beschäftigung

54

4.1

Ausgangsbedingungen beim Produktionspotential

54

4.2

Entwicklungstrends in Westdeutschland

58

4.3

Entwicklungstrends in Ostdeutsch land

64

5.

Veränderung sektoraler Beschäftigungsstrukturen

78

5.1

Zur Ausgangssituation

78

5.2

Entwicklungen in Westdeutsch land

79

5.3

Entwicklungen in Ostdeutsch land

86

6.

Einkommensverteilung und -umverteilung

94

6.1

Preise, Löhne und Gewinne

95

6.2

Abgaben und Transfers

102

6.3

Finanzierungsprobleme des Staates

107

Literaturverzeichn is

110

3

Tabellenverzeichnis

Tabelle 0/1

Kennziffern der Entwicklung der Bevölkerung in Deutschland bis zum Jahr 2000

Tabelle 0/2 Tabelle 3/1

Entwicklung der Einwohnerzahl 1989 bis 1993

Tabelle 3/2

Entwicklung von Bevölkerung und Erwerbspersonenpotential in Westdeutsch land

40 45 48

Entwicklung von Bevölkerung und Erwerbspersonenpotential in Ostdeutsch land

Tabelle 3/5

14

Bevölkerungsentwicklung nach Altersgruppen in Westdeutschland

Tabelle 3/4

9

Kennziffern der Wirtschaftsentwicklung in Deutschland bis zum . Jahr 2000

Tabelle 3/3

Seite

50

Bevölkerungsentwicklung nach Altersgruppen in Ostdeutschland

53

Tabelle 4/1

Entwicklung von Nachfrage und Produktion in Westdeutschland

63

Tabelle 4/2

Produktionsentwicklung und Arbeitsmarkt in Westdeutsch land

65

Tabelle 4/3

Direktinvestitionen westlicher Unternehmen in Ostdeutsch land 1991 bis 2000

Tabelle 4/4

69

Entwicklung des Produktionspotentials der Unternehmen in Ostund Westdeutsch land

70

Tabelle 4/5

Entwicklung von Nachfrage und Produktion in Ostdeutsch land

74

Tabelle 4/6

Produktionsentwicklung und Arbeitsmarkt in Ostdeutsch land

77

Tabelle 5/1

Sektorstruktur der Bruttowertschöpfung in Westdeutsch land

80

Tabelle 5/2

Sektorstruktur der Beschäftigung in Westdeutschland

84

Tabelle 5/3

Sektorstruktur der Bruttowertschöpfung in Ostdeutsch land

87

Tabelle 5/4

Sektorstruktur der Beschäftigung in Ostdeutsch land

91

Tabelle 6/1

Preisentwicklung in West- und Ostdeutschland

96

Tabelle 6/2

Einkommensverteilung in West- und Ostdeutsch land

98

Tabelle 6/3

Einkommensumverteilung in West- und Ostdeutsch land

Tabelle 6/4

Kennziffern zur Entwicklung des Staatshaushalts in West- und Ostdeutsch land

4

103

108

Vorwort Die Verhältnisse in Europa und vor allem auch in Deutschland haben sich mit dem Beginn der neunziger Jahre wesentlich geändert. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Öffnung der Staaten Mittel- und Osteuropas und die Vereinigung Deutschlands. Nicht zu vernachlässigen sind aber auch -die Herausforderungen durch die Vollendung des EGBinnenmarktes und durch den technologischen und organisatorischen Wandel der Wirtschaft. In einer solchen Situation sind begründete Vorstellungen über künftige wirtschaftliche und demographische Prozesse notwendiger denn je.

Rational begründete Zukunftsschau in Form von Szenarien und Prognosen und ihr Beitrag zu zukunftstauglichem politischem Handeln ist allerdings umstritten. Prognosen sind der Politik oft unbequem und dies umso mehr, je mehr sie Entwicklungen voraussagen, die von gesteckten politischen Zielen abweichen. Nicht selten mahnen sie zum Umsteuern, ohne daß sie politisch Gehör finden. Überstürztes politisches Handeln in Perioden plötzlichen Erwachens zeugen vom schwierigen Verhältnis zwischen Prognose und Politik.

Gleichwohl sind Prognosen als Versuch "Schneisen in die Zukunft zu schlagen" notwendig. Sie sind vor allem erforderlich, um aktives politisches Handeln vorzubereiten und zu unterstützen. Denn ohne Prognosen wissen wir erst recht nicht, was auf uns zukommt. Mit Prognosen wissen wir es zwar auch nicht genau und zuverlässig, aber wir gewinnen zumindest Anhaltspunkte und setzen uns mit der Zukunft bewußt auseinander. Die Erarbeitung von Prognosen ist deshalb eine wichtige Grundlage für die Politikberatung.

Ausgehend von dieser Erkenntnis arbeiten das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und die Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (BfLR) als zwei auf dem Feld der Politikberatung tätige Forschungsinstitute seit einiger Zeit bei Prognosen enger und arbeitsteilig zusammen.

Im Blickpunkt der BfLR steht dabei die Raumordnungsprognose, die gegenwärtig von ihr erarbeitet wird. Sie hat das Ziel, mittelfristige Entwicklungstendenzen der Bevölkerung, der Erwerbspersonen und Arbeitsplätze, der Haushalte und Wohnungen sowie der Siedlungsflächen in den Teilräumen der Bundesrepublik Deutschland aufzuzeigen und zu quantifizieren. Solche regionalen Entwicklungen hängen in großen Teilen von gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen ab. Sie müssen daher eingebunden werden in gesamtwirtschaftliche Überlegungen zur Entwicklung von Wirtschaft und Bevölkerung in Deutschland. Entsprechende gesamtwirt5

schaftliche quantitative Szenarien werden vom DIW als Baustein der Raumordnungsprognose im Auftrag und in Abstimmung mit der BflR erstellt.

Der vorliegende Bericht stellt die Ergebnisse dieser quantitativen Szenarien zur Bevölkerungsund Wirtschaftsentwicklung in Deutschland bis zum Jahre 2000 vor. Sie wurden 1993 erstmals vom DIW im Auftrag der BfLR durchgeführt. Da das DIW und die BfLR die Durchführung von Prognosen als eine Daueraufgabe verstehen, sollen solche Szenarien in regelmäßigen Zeitabständen fortgeschrieben werden.

6

O. Zusammenfassung Zur Vorgehensweise

Die Ausarbeitung gesamtwirtschaftlicher Prognosen gestaltet sich gerade in der jetzigen Phase äußerst schwierig. Quantitative Vorausschätzungen basieren traditionell zumeist auf langen Zeitreihen. Diese bilden die Verhaltensmuster der Unternehmen und Haushalte ab und lassen mittels Trendfortschreibung oder ähnlicher Verfahren quantitative Abschätzungen der künftigen wirtschaftlichen Verhältnisse zu. In Westdeutsch land haben und werden die durch den westeuropäischen Integrationsprozeß, die Öffnung Osteuropas und insbesondere die deutsche Vereinigung ausgelösten externen Impulse an Bedeutung gewinnen. Es ist daher unerläßlich, über mögliche Trendbrüche in den Entwicklungsmustern nachzudenken. Für Ostdeutschland kann die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion als ein großer Trendbruch aufgefaßt werden. Aus den bisherigen Entwicklungstrends in der ehemaligen DDR lassen sich daher keine Rückschlüsse auf künftige Entwicklungen ziehen. Ebenso wenig ist es möglich, angesichts der völlig

andersartigen

Ausgangssituation

unreflektiert

bestimmte

Verhaltensmuster

aus

Westdeutsch land auf Ostdeutsch land zu übertragen.

Um dennoch zu begründeten Vorstellungen über künftige wirtschaftliche Prozesse zu gelangen, ist hier auf die Szenariotechnik zurückgegriffen worden, in der wesentliche Entwicklungsbedingungen alternativ gesetzt und auf deren Basis unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungspfade quantitativ beschrieben werden. Ausgangspunkt der Szenarien sind dabei Überlegungen sowohl zum technologisch-organisatorischen Wandel der Wirtschaft als auch zu den generellen Perspektiven des Welthandels und der Stellung Deutschlands im internationalen Wettbewerb. Die beiden hier beschriebenen Szenarien unterscheiden sich vor allem in ihren außenwirtschaftlichen Annahmen, da gerade in diesem Feld sehr unterschiedliche Entwicklungstrends möglich erscheinen.

Im ersten sogenannten Integrationsszenario wird damit gerechnet, daß eine Sicherung und Weiterentwicklung des liberalen Welthandels gelingt und in Osteuropa eine Stabilisierung der Wirtschaft einsetzt, die allmählich eine stärkere .Einbindung dieser Länder in die internationale Arbeitsteilung ermöglicht. Die hiermit erfahrungsgemäß verbundenen Impulse lassen erwarten, daß die weltwirtschaftliche Dynamik überwiegend hoch ist.

Das zweite, sogenannte Stagnationsszenario ist dagegen eher durch zunehmende Behinderungen des Welthandels und starke Belastungen im Zuge des wirtschaftlichen Umstellungs7

prozesses in Osteuropa gekennzeichnet. Es ist anzunehmen, daß dies auch negative Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung weltweit besitzt. Stabilisierend auf die Wirtschafts2ntwicklung wirkt sich aber auch unter diesen Bedingungen der Integrationsprozeß in Westeuropa aus.

Ein wesentliches Glied der Projektionskette ist die konsistente Abbildung der Entwicklungspfade von Stromgrößen der Sozialproduktsberechnung und ihrer Auswirkungen auf die Vermögensbestände. Zeitraum der Modellrechnung ist die Periode 1992 bis 2000. Berücksichtigt wurde jedoch auch die im Herbst 1993 für das Jahr 1994 prognostizierte Entwicklung. Trotz dieses Bezugs zur aktuellen wirtschaftlichen lage sind die Unterschiede zwischen den beiden Szenarien allerdings nicht primär Ausdruck verschiedener konjunktureller Entwicklungsprozesse, sondern basieren auf unterschiedlichen

Annahmen

zu den

längerfristigen

Wachstumspfaden der deutschen Wirtschaft. Eingebunden sind hierbei auch Überlegungen zur Bevölkerungsentwicklung. Anders als zumeist üblich wird die Bevölkerungsentwicklung jedoch nicht als exogene Größe behandelt, die als fest vorgegeben in das Modell übernommen wird. Im Gegenteil: Die hier dargestellten Entwicklungspfade für die Wirtschaft sind in einem iterativen Prozeß mit der erwarteten Bevölkerungsentwicklung abgestimmt worden. Grundlage hierfür waren die potentiellen Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte.

Zuwanderungen und Bevölkerung in Deutschland Angesichts der geänderten politischen Rahmenbedingungen in Europa werden die Zuzüge nach Deutschland in beiden Szenarien per Saldo auch künftig hoch bleiben. Deutschland in der Mitte Europas mit einer relativ offenen Grenze auch zu den östlichen Nachbarländern wird sich von den veränderten Migrationsströmen in Europa nicht abkoppeln können. Dies gilt sowohl für Aussiedler als auch für Asylbewerber und die Wanderungen übriger Ausländer. Insgesamt wird für den Zeitraum 1993 bis 2000 im Integrationsszenario mit Nettozuzügen von 2,7 Mill. gerechnet. Im Stagnationsszenario ergibt sich für 1993 bis 2000 ein kumulierter Außenwanderungssaldo von 3,9 Mill. Personen.

Bei gleichzeitig zumindest auf mittlere Frist zu erwartenden nur geringen natürlichen Bevölkerungsverlusten wird die Bevölkerungszahl

Deutschlands weiter ansteigen.

Im

Integrationsszenario wird erwartet, daß die Gesamtbevölkerungszahl von rund 81 Mill. 1992 auf 83,S Mill. im Jahr 2000 steigt. Im Stagnationsszenario könnte sie sogar auf knapp 85 Mill. anwachsen.

8

Tabelle 0/1

Kennziffern zur Entwicklung der Bevölkerung in Deutschland bis zum Jahr 2oo} 2000

2000 1992

Integrations- Stagnations- Integrations- Stagnationsszenario

szenario

szenario

szenario

Veränderun2 in vH

in Mill Personen

Deut8chland 81,3

83,5

84,8

2.7

4.3

Altersaufbau 0-20 Jahre 20-60 Jahre 60 Jahre und älter

17,2 47,3 16,8

17.9 46.3 19:3

18.2 47,2 19.5

4,2 -2,1 14.4

5,7 -0,3 15.5

Erwerbspersonenpotential 1)

41,3

42.2

43,0

2,2

4,1

Bevölkerung

nachrichtlich: Kumulierter Wanderungssaldo 1993-2000

-

2,7

3,9

8,3

11,1

12.0

50.9

50,6

50,7

65.6

68,3

69,8

4.1

6.4

Altersaufbau 0-20 Jahre 20-60 Jahre 60 Jahre und älter

13,4 38,4 13,8

14,8 37,8 15,7

15,1 38,7 15,9

10.6 -1,6 13.7

13.0

Erwerbspersonenpotential 1)

32,8

34,2

35,1

4.3

7,0

nachrichtlich: Kumulierter Wanderungssaldo 1993-2000 2)

-

2,6

3.9

Ausländeranteil an der Bevölkerung in vH 3)

10,1

13,4

14.4

Anteil des Erwerbspersonenpotentials an der Bevölkerung in vH

50,0

50,1

50.3

Ausländeranteil an der Bevölkerung in vH 3) Anteil des Erwerbspersonenpotentials an der Bevölkerung in vH

W..tdeut.chland Bevölkerung

0,9 15,2

O.td.,t8chland I

15.7

15,2

15,0

-3.2

-4,5

Altersaufbau 0-20 Jahre 20-60 Jahre 60 Jahre und älter

3.8 8.9 3.0

3,1 8.5 3.6

3.0 8.4 3.5

-18,4

-4,0 17,4

-19,9 -5.5 16.8

Erwerbspersonenpotential I)

8.5

8.0

7.9

-5.9

-7.1

0.1

0.0

1.3

3,4

4,3

54,6

52.8

52,6

Bevölkerung

nachrichtlich: Kumulierter Wanderungssaldo 1993-2000 2) Ausländeranleil an der Bevölkerung in vH 3) Anteil des Erwerbspersonenpotentials an der Bevölkerung in vH

1) In der Abgrenzung des IAB.- 2) Einschließlich innerdeutsche Wanderungen.- 3) Ohne Einbürgerungen. Quellen: Statistisches Amt der DDR; Statistisches Bundesamt; Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: 1992: Schätzungen des DIW: 2000: SzenarienmodeU des DIW.

9

Bevölkerungsentwicklung in Westdeutsch land Von den verstärkten Außenwanderungen wird aller Voraussicht nach in erster Linie Westdeutsch land betroffen sein. Hinzu kommt, daß auch in den kommenden jahren die Wanderungen von Ost- nach Westdeutsch land höher sein werden als in umgekehrter Richtung. Dies gilt insbesondere, weil die deutlichen Unterschiede auf den Arbeitsmärkten noch für eine längere Zeit bestehen bleiben. Für den kumulierten Wanderungssaldo Westdeutsch lands (einschließlich der innerdeutschen Wanderungen) ergibt sich für den Zeitraum 1993 bis 2000 im Integrationsszenario ein Wert von rund 2,6 Mil!. Personen und im Stagnationsszenario von knapp 4 Mil!. Personen.

Unter Berücksichtigung der natürlichen Bevölkerungsentwicklung ist damit in beiden Szenarien mit einem deutlichen Anstieg der Bevölkerungszahl in Westdeutsch land einschließlich Berlin (West) bis zum jahr 2000 zu rechnen. Im Integrationsszenario dürfte die Bevölkerungszahl von etwa 65 Mill. Einwohnern 1992 auf etwas mehr als 68 Mil!. Menschen im jahr 2000 steigen. Im Stagnationsszenario dürfte die Gesamtbevölkerungszahl im jahr2000 nochmals um 1,5 Mil!. Personen höher liegen als im Integrationsszenario. Der Anteil älterer Personen (im Alter von über 60 jahren) steigt in beiden Szenarien auf rund 23 vH und der Ausländeranteil steigt auf 13,5 vH bzw. 14,5 vH.

Die erwartete Veränderung von Niveau und Struktur der Bevölkerung in Westdeutsch land hat Rückwirkungen auf viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereiche. Bedeutsam ist vor allem der Einfluß auf das Arbeitskräfteangebot. Die Vorausschätzung des Arbeitskräfteangebots basiert auf der künftigen Entwicklung der Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter (15 bis unter 65 jahren) und ihrem Erwerbsverhalten. In bezug auf das Erwerbsverhalten wird angenommen, daß die Bildungsbeteiligung weiterhin leicht ansteigt und insbesondere die Erwerbsbeteiligung der Frauen mit Kindern sich in den mittleren Altersjahren erhöht. Das Erwerbsverhalten der Zuwanderer wird sich dem der bereits hier lebenden Deutschen und Ausländer rasch anpassen.

Insgesamt ergibt sich aus diesen Vorausschätzungen im Integrationsszenario ein Anstieg des Erwerbspersonenpotentials auf 34,2 Mil!. und im Stagnationsszenario auf 35,1 Mil!. Der Anteil des Erwerbspersonenpotentials an der Bevölkerung nimmt in beiden Fällen zu. Im Stagnationsszenario liegt er mit 50,4 vH noch etwas über dem im Integrationsszenario, da der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter durch die stärkeren Zuwanderungen von Ausländern höher ausfällt. 10

Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland Angesichts der erwarteten Abwanderungen von Deutschen aus den östlichen in die westlichen Bundesländer und der natürlichen Bevölkerungsentwicklung dürfte die Einwohnerzahl trotz der Zuwanderungen aus dem Ausland bis zum Jahr 2000 abnehmen. Im Integrationsszenario verringern sich aufgrund der relativ günstigen wirtschaftlichen Entwicklunng in Ostdeutsch land die Abwanderungen nach Westdeutsch land deutlich und die Wanderungen in umgekehrter Richtung nehmen zu. Insgesamt wird mit einer Einwohnerzahl im Jahr 2000 von 15,2 Mill. gerechnet. Etwas niedriger fällt die Bevölkerungszahl mit 14,9 Mill. im Stagnationsszenario aus. Der Anteil der Ausländer wird zwischen 3 und 4 vH liegen.

Die Abwanderung vornehmlich jüngerer Erwerbspersonen und die Änderung des Geburtenverhaltens führen zu einer deutlichen Verschiebung in der Bevölkerungsstruktur. Während 1991 noch fast jeder vierte Einwohner in Ostdeutsch land jünger als 20 Jahre war, wird im Jahr 2000 nur noch rund jeder fünfte Einwohner zu dieser Altersgruppe gehören und damit unter das westdeutsche Niveau gefallen sein. Dementsprechend ist auch der Anteil älterer Personen im Jahr 2000 in beiden Szenarien höher als in den westlichen Bundesländern.

Die Veränderung der Bevölkerung in den einzelnen Altersjahren bestimmte in den vergangenen Jahren auch wesentlich die Entwicklung des Erwerbspersonenpotentials. Entsprechend ging im Zuge der Abwanderungen in Ostdeutsch land auch das Erwerbspersonenpotential von 9,8 Mill. im Jahr 1989 auf 8,7 Mill. im Jahr 1992 zurück. Für die Entwicklung des Erwerbspersonenpotentials bis zum Jahr 2000 sind dagegen vor allem Veränderungen der Erwerbsbeteiligung entscheidend.

In der ehemaligen DDR war die Erwerbsbeteiligung bei den Männern vor allem in den Altergruppen 15 bis unter 25 und in den Gruppen 55 bis unter 65 Jahren deutlich höher als diejenige der deutschen Männer in Westdeutsch land. Für die Vorausschätzung wird im Prinzip von einer Angleichung an die Erwerbsbeteiligung in Westdeutsch land ausgegangen, wobei jedoch die Nachwirkung der Vorruhestands- bzw. Altersübergangsgeldregelung berücksichtigt wurde.

Für die Erwerbsbeteiligung der Frauen wird hier angenommen, daß sich ein Teil der Frauen in den nächsten Jahren entmutigt vom Arbeitsmarkt zurückzieht und auch künftig die Mütter kleiner Kinder diese - zumindest eine Zeit lang - selber betreuen wollen. Die Erwerbsquoten werden in dieser Variante in den mittleren Altersjahren erheblich sinken. Im Jahr 2000 wird 11

das Erwerbsverhalten der jungen Frauen lediglich geringfügig über demjenigen in Westdeutschland liegen. Im Integrationsszenario ergibt sich aus der Bevölkerungsentwicklung und den genannten Annahmen zur Erwerbsbeteiligung ein Erwerbspersonenpotential von etwa 8 Mil!. Personen in Ostdeutsch land. Im Stagnationsszenario ist das Arbeitskräftepotential im Jahr 2000 auf knapp 7,9 Mil!. Personen zu schätzen.

Außenhandel und Wirtschaftswachstum in Deutschland Für die Einschätzung der mittelfristigen Wachstumsperspektiven der Bundesrepublik nehmen Überlegungen zur Stellung der deutschen Wirtschaft im internationalen Handel eine zentrale Rolle ein. In Verbindung mit der schwierigen konjunkturellen Situation häufen sich hierbei in jüngster Zeit wieder Zweifel an der Vorteilhaftigkeit Deutschlands als Produktionsstandort. Angeführt werden hierbei höhere staatliche Abgaben, stärkere Umweltschutzauflagen und engere Regulierungen in wichtigen Forschungsfeldern wie z.B. der Gentechnologie. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu wichtigen westeuropäischen Konkurrenzländern verwiesen. Mit statistischen Kennziffern läßt sich freilich eine solche Diagnose kaum belegen, sieht man von dem teils konjunkturell, teils wechselkursbedingten stärkeren Anstieg der Lohnstückkosten in letzter Zeit einmal ab. Die Standortqualität und damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands läßt sich allein an Einzelindikatoren wie Lohn-, Steuer- und Abgabesätzen ohnehin nicht festmachen. Entscheidend ist letztlich die Effizienz des Gesamtsystems im Preis- und Qualitätswettbewerb. Angesichts einer der bestentwickelten Infrastrukturen und eines breit gefächerten, hohen Qualifikationsniveaus der Beschäftigten ist eine gravierende und dauerhafte Verschlechterung der Wettbewerbsposition Deutschlands innerhalb Weste uropas nicht in Sicht. Entsprechend muß auch der zu erwartende zusätzliche Konkurrenzdruck, der durch die Öffnung Mittel- und Osteuropas und durch den technologisch-organisatorischen Wandel entsteht, nicht nur als Gefahr für die heimische Produktion angesehen werden. Hier wird es durchaus Bereiche geben, in denen deutsche Produzenten unter erheblichen Anpassungsdruck geraten werden, aber auch solche, in denen sich neue Entwicklungsperspektiven auftun. In diesem Zusammenhang kann die räumliche Nähe zu den Staaten Mittel- und Osteuropas beispielsweise als Chance verstanden werden, durch die Nutzung des Bezugsmarktes Osteuropa die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu verbessern.

12

Die außenwirtschaftlichen Herausforderungen der neunziger Jahre dürften damit insgesamt mehr in der Notwendigkeit struktureller Anpassungsprozesse bestehen und weniger der Ausdruck einer generellen Wettbewerbsschwäche der deutschen Wirtschaft sein. Es ist zu erwarten, daß bei einer Belebung der Weltkonjunktur deutlich positive Impulse auf die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland ausgehen. Unter diesen günstigen außenwirtschaftlichen Bedingungen ist zu erwarten, daß die wirtschaftliche Dynamik bis zum Ende des Jahrzehnts in Deutschland wieder ansteigt. Im Integrationsszenario wird für Deutschland insgesamt mitjahresdurchschnittlichen Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts gegenüber 1992 von über 2,5 vH gerechnet. In Verbindung mit deutlich geringeren binnenwirtschaftlichen

Impulsen und stärkeren Umstrukturierungs-

problemen der ostdeutschen Betriebe könnte unter den Bedingungen des Stagnationsszenarios der konjunkturelle Erholungsprozeß dagegen nur ausreichen, um jahresdurchschnittliche Wachstumsraten von rund 1,5 vH bis zum Jahr 2000 zu erzielen.

Wirtschaftsentwicklung in Westdeutsch land Mit der zu erwartenden konjunkturellen Erholung bei wichtigen westlichen Handelspartnern und den allgemein günstigeren Außenhandelsbedingungen im Integrationsszenario werden die Exporte Westdeutsch lands in diese Länder wieder zulegen. Gleichzeitig dürfte aber auch der Importbedarf Westdeutsch lands wieder steigen. Ostdeutsch land wird in den Handelsbeziehungen Westdeutsch lands als Abnehmer und verstärkt auch als Lieferant von Waren und Dienstleistungen eine wichtige Rolle spielen. Im Stagnationsszenario ist die expansive Dynamik der Exporte Westdeutsch lands spürbar geringer. Verursacht durch die schwächere Nachfrageentwicklung dürften aber auch die Importe weniger stark zunehmen. Hierzu dürfte auch beitragen, daß im zweiten Szenario sich die Exportfähigkeit Ostdeutsch lands und Osteuropas nur vergleichsweise langsam verbessert. In diesem Falle wird die wirtschaftliche Dynamik in Westdeutschland erst mittelfristig wieder ein höheres Niveau erreichen. Im Integrationsszenario kann, ausgelöst durch außenwirtschaftliche Impulse sowie eine Verbesserung des Investitionsklimas und getragen vom privaten Konsum, mit jahresdurchschnittlichen Wachstumsraten des realen Bruttosozialprodukts von knapp 2 vH gegenüber 1992 gerechnet werden: Ein - angesichts des konjunkturell hohen Ausgangswertes 1992 - steiler Wachstumspfad, der nur erreicht werden wird, wenn es gelingt, die gegenwärtige Wachstumsschwäche schnell zu überwinden. Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte wieder deutlich ansteigen und mit knapp 30,5 Mil\. Personen auch spürbar über der Beschäftigtenzahl von 1992 liegen. Bei einer weiterhin deutlichen Zunahme der Kapitalintensität nimmt die Produktivität, bezogen auf die Zahl der Erwerbstätigen, gleichzeitig um etwa 1,5 vH jährlich zu. 13

Tabelle 0/2

Ke·nnziffern der Wirtschaftsentwicklung in Deutschland bis zum Jahr 2000 2000

2000 1992

Intcgrati~ns-I Stagnatio~sszenano

Integrati~n~-I Stagnatio~s-

szenano

szenano

szenano

Jahresdurchschnittliehe Veränderung in vH

in Mrd DM 1) DeuUichiand Privater Verbrauch Staalsverbrauch Anlageinvestitionen Lagerveränderungen Export Importe Bruttosozialprodukt Nachrichtlich: Enverbstätige in 1000 Personen Reg. Arbeitslose in 1000 PeBOnen

1.4

1645 573 679 -3

2002 620 849 20

1840 602 748 20

2,5 1.0 2,8

0,6 1,2

840 844

1223 1160

1087 1064

4,8 4,1

3,3 2,9

2890

3554

3233

2.6

1.4

35832 2978

36565 2993

3486S

2,0 1,2 2,3

0,8 0,9

4306

WestdeuUichland

1.1

Privater Verbrauch Staatsverbrauch Anlageinvestitionen Lagerveränderungen

1452 481 571 -2

1700 530 15

1589 514 615 15

Export Importe

1054 877

1462 1271

1138

4.8

4,2

2,9 3,3

Bruttosozialprodukt

2681

3119

2915

1.9

1.1

29487 1808

30550

29450 2941

5.8

3,3 -0.6 2.6

Nachrichtlich: Enverbstätige in 1000 Personen Reg. Arbeitslose in 1000 Personen

684

2008

1320

Ostdeolsebland Privater Verbrauch Staats"'erbrauch Anlageinvestitionen Lagerveränderungen

193

Export Importe Bruttosozialprodukt Nachrichtlich: Enverbstätige in 1000 Personen Reg. Arbeitslose in 1000 PeBOnen

302 90 165

251 88 1:\3 5

74 256

166 294

122

10.6

1.7

6,4 1.1

210

435

318

9,5

5.3

6345 1170

6015

5415 1365

92 108 -1

5

985

280

-0.3

5.4

1) In westdeutschen bzw. ostdeutschen Preisen von 1991.

Quellen: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung;

14

1994: DIW (1993 d); 2000: Szenaricnmodell des DIW.

Im Stagnationsszenario sind die außen- und binnenwirtschaftlichen Impulse wesentlich niedriger. Damit fällt der Erholungsprozeß im Vergleich zum gegenwärtigen konjunkturellen Tief deutlich bescheidener aus. Die Wachstumsanstöße dürften dennoch ausreichen, auch hier einen jahresdurchschnittlichen Zuwachs des Bruttosozialprodukts bis zum Jahr 2000 von etwas mehr als 1 vH gegenüber 1992 zu erreichen. Obwohl auch im zweiten Szenario die Kapitalintensität ansteigt, wird der durchschnittliche Produktivitätsanstieg geringer ausfallen. Dies ist vor allem Ausdruck einer strukturellen Veränderung der Erwerbstätigkeit. Mit den hohen Zuwanderungen und dem damit verbundenen Druck auf den Arbeitsmarkt dürften geringfügige und instabile Beschäftigungsverhältnisse an Bedeutung zunehmen. Die Zahl der Erwerbstätigen könnte dabei auch im Stagnationsszenario mit fast 29,5 Mill. Personen wieder den konjunkturell günstigen Wert von 1992 erreichen.

Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland In den Jahren 1990 und 1991 kam es in Ostdeutsch land jeweils zu extremen Produktionsrückgängen. Allerdings ist die ostdeutsche Wirtschaftsleistung 1992 und voraussichtlich auch 1993 - ausgehend von dem niedrigen Niveau - kräftig gestiegen. Besonders dynamisch entwickelte sich die Investitionstätigkeit.

Auch für die mittel- bis längerfristigen Perspektiven der ostdeutschen Wirtschaft ist die Investitionstätigkeit von zentraler Bedeutung. Unter der neuen Kosten- und Marktsituation sind große Teile des vorhandenen ostdeutschen Produktionsapparates nicht mehr effizient einsetzbar. Ein Anschluß an das wirtschaftliche Niveau in Westdeutschland kann daher nur bei einer umfassenden Erneuerung und Modernisierung des Kapitalstacks gelingen. Dies kann Ostdeutschland allerdings nicht aus eigenen Kräften leisten. Angesichts weiter steigender Tariflöhne werden die ostdeutschen Betriebe in absehbarer Zeit kaum eine Ertragskraft erreichen, die eine Finanzierung der notwendigen Investitionen aus eigenen Mitteln sicherstellt. Eine zentrale Rolle für den Umstrukturierungsprozeß in Ostdeutsch land spielen daher westliche D i rekti nvestitionen.

In den Jahren 1991, 1992 und 1993 haben die Direktinvestitionen bereits einen erheblichen Umfang erreicht. Offen ist jedoch, ob dies ein einmaliger Investitionsschub oder der Beginn eines umfangreichen dauerhaften Engagements westlicher Privatunternehmen in Ostdeutschland ist, und in welchem Ausmaß damit neue Produktionskapazitäten erstellt und neue wettbewerbsfähige Arbeitsplätze geschaffen werden. Daher sind alternative Investitionspfade angenommen

15

worden, deren mögliche Wirkungen auf Produktivität und Beschäftigung mit Hilfe von Kapitalstockrechnungen bestimmt wurden.

Im Integrationsszenario wird angenommen, daß bei den Direktinvestitionen das hohe Niveau von 1992 in den nächsten Jahren erhalten bleibt und in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre die Direktinvestitionen Schritt für Schritt durch Investitionen der ostdeutschen Unternehmen ersetzt werden. Gegenüber 1992 steigt das Investitionsvolumen der Unternehmen ohne Wohnungsvermietung insgesamt bis zum Jahr 2000 real nochmals an. Im Stagnationsszenario wird dagegen unterstellt, daß die westlichen Direktinvestitionen im Zuge der konjunkturellen Probleme im Westen bereits kurzfristig stark zurückfallen. Allerdings ist auch in diesem Fall damit zu rechnen, daß es langsam zu einer verstärkten Investitionstätigkeit privatisierter ostdeutscher Unternehmen kommt.

Im Integrationsszenario könnten etwa 4,7 Mill. Menschen im Jahr 2000 in ostdeutschen Unternehmen Beschäftigung finden. Im Stagnationsszenario dürften es dagegen nur etwa 4 Mill. Beschäftigte sein. Im Unternehmensbereich ohne Wohnungsvermietung in Ostdeutsch land würde unter Berücksichtigung sektoraler Unterschiede und ausgehend von den Preisstrukturen 1991 im ersten Szenario eine Produktivitätsrelation zu Westdeutschland von etwa 80 vH und im zweiten von ungefähr 70 vH erreicht werden. Berücksichtigt man zusätzlich Anpassungen der Preisstrukturen, lägen die Relationen noch etwas höher.

Die Perspektiven der Engagements westlicher Unternehmen und zum künftigen Investitionspfad in Ostdeutschland in den beiden Szenarien dürften sich vor allem auf die Entwicklung des Außenhandels auswirken. Im Integrationsszenario mit einem deutlich höheren Investitionstempo in Ostdeutsch land und einer schrittweisen Einbindung Osteuropas in den Welthandel sind die Exportchancen mittelfristig günstig einzuschätzen. Von Bedeutung sind hier einerseits die guten Absatzbedingungen in Westdeutschland und andererseits Möglichkeiten zur Wiederbelebung des Osthandels. Aber auch bei dem schwächeren Investitionspfad im Stagnationsszenario ist im Zuge der Unternehmensverflechtung mit einer Ausweitung der Ausfuhren Ostdeutsch lands nach Westdeutsch land in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre zu rechnen.

Noch stärker als auf der Exportseite wird sich der Umstrukturierungsprozeß auf der Importseite bemerkbar machen. Betrachtet man die bisherige Struktur der Direktinvestitionen und Privatisierungen, so liegen die Schwerpunkte vor allem bei Branchen, die stark auf den binnenwirtschaftlichen Absatz ausgerichtet sind. Zudem läßt sich bei den ostdeutschen Konsumenten wieder eine stärkere Präferenz für heimische Verbrauchsgüter erkennen, und 16

auch das zunehmende Gewicht von Infrastruktur- und Bauinvestitionen spricht für eine stärkere Ausrichtung der Nachfrage auf ostdeutsche Produzenten.

Insgesamt nimmt die Produktion in Ostdeutsch land in bei den Szenarien deutlich zu. Unter den Bedingungen des Integrationsszenarios ergeben sich für das Bruttosozialprodukt jahresdurchschnittliche Zuwachsraten bis zum jahr 2000 von 9,5 vH. Im Stagnationsszenario sind es immerhin noch knapp 5,5 vH Wachstum im jahresdurchschnitt, die bis zur jahrtausendwende erreicht werden. Diese extrem hohen Zuwachsraten sollten allerdings nicht zu Fehleinschätzungen führen. Sie sind letztlich wesentlich durch den Zusammenbruch der DDRWirtschaft bestimmt und signalisieren zum großen Teil nur eine Normalisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Ein starker Wachstums- und Aufholprozeß im Vergleich zur Situation vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch ergibt sich nur im ersten Szenario.

Trotz der außerordentlichen Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung dürfte sich in Ostdeutsch land die Zahl der Erwerbstätigen zwischen 1992 und 2000 weiter verringern. Denn eine günstige Entwicklung auf der Absatzseite ist nur möglich, wenn angesichts der neuen Kostenrelationen die Arbeitsproduktivität extrem ansteigt. Der Gesamtumfang der Erwerbstätigkeit wird daher selbst unter den günstigen Rahmenbedingungen des Integrationsszenarios vermutlich nur etwa 6,1 Mill. Beschäftigte erreichen. Die Beschäftigtenzahl läge damit um ein Drittel niedriger als in den Zeiten der ehemaligen DDR. Gegenüber dem 1994 erwarteten Beschäftigungsumfang wird die Zahl der Erwerbstätigen allerdings wieder leicht steigen. Im Stagnationsszenario ist dagegen von einer nochmals um 700 Tsd. geringeren Erwerbstätigenzahl auszugehen. Im Vergleich zur Vollerwerbsgesellschaft der ehemaligen DDR 1989 bedeutet dies, daß auch auf mittlere Frist fast nur jeder zweite Arbeitsplatz erhalten bleibt.

Bleibende Ost-West-Kontraste Die hier in Auszügen vorgestellten gesamtwirtschaftlichen Szenarien enthalten durch den gesonderten Ausweis der Entwicklung in West- und Ostdeutsch land unmittelbar Aussagen zur künftigen Regionalstruktur in Deutschland. Die Szenarien machen dabei zunächst deutlich, daß sich in vielen Bereichen die Anpassungsprozesse Ostdeutschlands fortsetzen werden. Dies gilt in besonderer Weise für jene Felder, bei denen schon heute starke Anpassungen stattgefunden haben, wie den Lohnsätzen, der Arbeitszeit oder dem privaten Verbrauch.

In anderen Bereichen allerdings, die ebenso wichtig für die Einschätzung und Beurteilung des regionalen Gefälles in Deutschland sind, zeichnen sich erhebliche Differenzen im Ost-West17

Vergleich auch auf mittlere Frist ab. Dies gilt beispielsweise für die Bevölkerungsentwicklung. In Westdeutsch land ist mit starken Zuwächsen zu rechnen. In Ostdeutsch land nimmt die Bevölkerungszahl noch leicht ab. Während in Westdeutsch land vor allem in den Agglomerationsräumen der Siedlungsdruck weiter anhält, führt die Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutsch land bei vielen ländlichen Regionen zu einer "kritischen" Abnahme der Siedlungsdichte. Ebenfalls spürbare Unterschiede sind bei den sektoralen Beschäftigungsstrukturen zu erwarten. Ausprägen dürfte sich dies vor allem bei der Stellung der Industrie in der Gesamtwirtschaft. Selbst unter den günstigen Bedingungen des Integrationsszenarios ist ein starkes West-Ost-Gefälle im Industriebesatz zu erwarten.

Besonders deutlich werden die Ost-West-Gegensätze jedoch am Arbeitsmarkt hervortreten. Für Ostdeutschland zeichnet sich unter den Bedingungen des Integrationsszenarios zwar eine leichte Verbesserung der Beschäftigungssituation bis zur Jahrtausendwende ab. Da gleichzeitig auch für Westdeutsch land mit einem Wiederanstieg des Beschäftigungsgrades gerechnet wird, dürfte dennoch die Arbeitslosenquote im Durchschnitt doppelt so hoch liegen wie in Westdeutschland. Im Stagnationsszenario bei weiter abnehmender Beschäftigtenzahl werden die Arbeitsmarktprobleme noch größer sein. Daß in diesem Fall nicht noch größere Differenzen zu Westdeutsch land zu erwarten sind, beruht zum einen auf Kompensationseffekten, die sich durch eine erzwungene Reduzierung der Erwerbsbeteiligung, höheren Abwanderungen von Deutschen und hoch bleibenden Auspendlersaiden in Ostdeutsch land ergeben. Zum anderen dürften in Verbindung mit dem stark zunehmenden Arbeitskräfteangebot auch in Westdeutschland die Arbeitsmarktprobleme anhalten.

18

1. Zur Vorgehensweise Quantitative Vorausschätzungen basieren tradititionell zumeist auf langen Zeitreihen. Diese bilden die Verhaltensmuster der Unternehmen und Haushalte ab und lassen mittels Trendfortschreibung oder ähnlicher Verfahren quantitative Abschätzungen der künftigen demographischen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu. Ein solches Vorgehen setzt allerdings voraus, daß im wesentlichen die Rahmenbedingungen für die Akteure stabil sind und lange Reihen zur Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung vorliegen.

Beides ist zur Zeit für Deutschland nicht gegeben. In Westdeutsch land haben und werden die externen Impulse, ausgelöst durch den westeuropäischen Integrationsprozeß, die Öffnung Osteuropas und insbesondere die deutsche Vereinigung an Bedeutung gewinnen. Es ist daher unerläßlich, über mögliche Trendbrüche in den Entwicklungsmustern nachzudenken. Für Ostdeutsch land kann die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion als ein großer Trendbruch aufgefaßt werden. Aus den Entwicklungstrends in der ehemaligen DDR lassen sich daher keine Rückschlüsse auf künftige Entwicklungen ziehen. Ebenso wenig möglich ist es, angesichts der völlig

andersartigen

Ausgangssituation

unreflektiert

bestimmte

Verhaltensmuster

aus

Westdeutsch land auf Ostdeutsch land zu übertragen.

Traditionellen Prognoseverfahren fehlt somit ihr wichtigstes Instrument: der "stabile Trend". Entsprechend ist eine Anpassung, Ergänzung und Modifizierung des Prognoseinstrumentariums notwendig. Deshalb wird hier auf die Szenariotechnik zurückgegriffen, in der wesentliche Entwicklungsbedingungen alternativ gesetzt werden und auf deren Basis unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungspfade quantitativ beschrieben werden (Gornig 1992a). Hintergrund der Setzungen zu wichtigen exogenen Einflußgrößen bilden qualitative Bewertungen vor allem der Auswirkungen des technologisch-organisatorischen Wandels und der Integrationsprozesse in Europa auf die Stellung Deutschlands im internationalen Wettbewerb. Bei der Beschreibung der Entwicklungpfade werden Auswirkungen auf der Verwendungs- und Entstehungsseite dargestellt. Darüber hinaus stellen die Interdependenzen zwischen den Entwicklungen der Stromgrößen der Sozialproduktsberechnung und den Sach- und Geldvermögensbeständen ein wesentliches Glied der Projektionskette dar (vgl. Abbildung 1/1).

Zur Abbildung der Szenarien ist auf der Basis der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ein quantitativer Rahmen in Form eines Szenarienmodells entwickelt worden. Der Prognosezeitraum erstreckt sich auf die Periode 1992 bis 2000. Berücksichtigt wurde jedoch auch die gegenwärtig bis zum Jahr 1994 prognostizierte Entwicklung. Dies geschieht vor allem, um die 19

aktuellen Umstrukturierungsprozesse in Ostdeutsch land besser zu erfassen. Durch diesen Bezug ergibt sich darüber hinaus die Möglichkeit, die mittelfristigen Entwicklungsperspektiven in das gegenwärtige konjunkturelle Bild einzuordnen. Die Szenarien selbst allerdings sind nicht primär Ausdruck

unterschiedlicher

konjunktureller

Erholungsprozesse,

sondern

basieren

auf

unterschiedlichen Annahmen zu den längerfristigen Wachstumspfaden der deutschen Wirtschaft.

Die Quantifizierungen werden aufgrund der extrem unterschiedlichen Ausgangsbedingungen im West- und Ostteil Deutschlands in einem Zwei-Regionen-Modell vorgenommen. Die räumliche Abgrenzung wurde in der Weise vorgenommen, daß Ostdeutsch land dem Beitrittsgebiet entspricht und Westdeutsch land das frühere Bundesgebiet einschließlich des Westteils von Berlin umfaßt. Die Entwicklung im jeweils anderen Teil wird entsprechend als exogene Einflußgröße in der betrachteten Region wirksam. Dies gilt nicht nur für die realen Warenströme, Wanderungen oder Pendlerbewegungen, sondern auch für Transfers und Vermögensübertragungen.

Anders als zumeist üblich wird darüber hinaus die Bevölkerungsentwicklung nicht als exogene Größe behandelt, die als fest vorgegeben in das Modell integriert wird. Im Gegenteil: In dem hier verfolgten Ansatz wird den Interdependenzen zwischen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Komponenten der demographischen Entwicklung große Bedeutung beigemessen. Deshalb werden in einem iterativen Prozeß sowohl Wirtschafts- als auch Bevölkerungsentwicklung gemeinsam vorausgeschätzt. Im Mittelpunkt des Abstimmungsprozesses stehen die potentiellen Auswirkungen der Wanderungen auf die Arbeitsmärkte. Berücksichtigt werden hierbei sowohl die unmittelbaren Auswirkungen auf das Arbeitskräfteangebot

als auch

Bevölkerungszunahme.

20

mögliche

Nachfrage- und

Produktionseffekte

einer stärkeren

..J,.

N

Auslands· einkommen Übertraggurgen

Wanderungen Pendler

Importe

Exporte

Andere Bundes· länder Ausland

einkommen

.

- Unternehmen - Haushalt - Staat

-Steuem - Transfers

Umverteilung

.1..

I

grad

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i

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I

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Arbeitsplätze

lt I'

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I

r Vermögens- ~ I einkommen

- - -- -

Erwerbstätige

- - --

I

-

- Unternehmen - Haushalt - Staat

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I

1 I I I 1

h-l

-

- - - -

___ I

Arbeitsplatzproduktivität

Produktionspotential

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Anlageverm/isen Unternehmen

- - - - - - - - - - - --- - - ---

IP~oduktions- I

------

--------- - - - - - -

Einkommensverwendung

~------

4

- Priv. Verbrauch - Staatsverbrauch - Investitionen

Inländische Verwendung

- landwirtschaft - Energie, Bergbau - Verarb. Gewerbe - Handel, Verkehr - Dienstleistungen - Staat

Produktion

Abbildung 1/1: Strom- und Bestandsgrößen West- bzw. Ostdeutschlands im DIW-Szenarienmodell

I

-

-':I'

Arbeitskräftepotential

Erwerbsverhalten

Bevölkerung

- Wohnungsbau - Staat

Anlagevermögen

2. Veränderte Rahmenbedingungen in Europa Von zentraler Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft sind Veränderungen des Welthandels und der internationalen Arbeitsteilung. Neue Aspekte ergeben sich in diesem Zusammenhang insbesondere vor dem Hintergrund neuer Technologien und Organisationskonzepte sowie den politisch-wirtschaftlichen Integrationsprozessen in Europa. Daher wird hier zunächst der Versuch unternommen, die Potentiale für eine Veränderung wirtschaftlicher Entwicklungsmuster einzugrenzen, die sich in bezug auf die veränderten Standortanforderungen der Unternehmen im technologisch-organisatorischen Wandel und die Ausweitung der Standortalternativen im Rahmen der westeuropäischen Integration und der Öffnung Mittel- und Osteuropas auf mittlere bis längere Frist bilden.

2.1 Technologisch-organisatorischer Wandel Neue Technologien

Die Abschätzung der ökonomischen Wirkungen neuer Technologien ist äußerst schwierig. Dies gilt schon allein wegen der prinzipiellen Unvorhersehbarkeit von Innovationen und wegen der Vielfalt neuer technologischer Entwicklungen. Um das Spektrum künftig wichtiger Technologiefelder abzugreifen, ist es daher notwendig, auf thesenartige Bewertungsschemata für Technologiebereiche zurückzugreifen (DIW 1990; Prognos 1989).

Auf mittlere Frist werden ökonomisch bedeutende Veränderungen von Produkt- und Produktionsstrukturen voraussichtlich weiterhin von Technologien ausgehen, die im Zusammenhang mit der Mikroelektronik stehen. Zwar ist die Mikroelektronik als grundlegende Innovation nicht mehr unbedingt neu, aber die Anwendungsfelder in der Wirtschaft dürften bei weitem noch nicht ausgeschöpft sein.

Ein wichtiges, bislang aber nur wenig erschlossenes Anwendungsfeld zeichnet sich hier in der Vernetzung einzelner computergestützter Aktivitäten im Produktionsprozeß ab (VDI-TZ 1991). Dabei geht es zunächst darum, aufbauend auf ein System vereinheitlichter Datenerfassung und abgestimmter Datenschnittstellen die Arbeiten in einem Bereich auch für andere Teile des Produktionsprozesses zu nutzen. Beispiele sind Verbindungen zwischen Konstruktion (CAD) und Materialflußplanung (PPS) in bezug auf Stück- oder Teilelisten oder die Übernahme von Konstruktionsdaten direkt in die Programmierung von CNe-Maschinen.

22

Der Grundgedanke der Vernetzung von computergestützten Aktivitäten im Wirtschaftsprozeß geht aber weit über den eigentlichen Produktionsbereich hinaus. Letztlich wird angestrebt, die gesamte Wertschöpfungskette vom Lieferanten der Vorprodukte bis zum Abnehmer der Endprodukte durch die Vernetzung der Einzelaktivitäten zu kontrollieren und zu steuern. Es geht also nicht nur um die innerbetriebliche Koordinierung. Vielmehr wird auch die Einbeziehung anderer Betriebsstätten des Unternehmens sowie anderer Unternehmen und Kunden unter Nutzung der neuen Möglichkeiten der Telekommunikation angestrebt. Anfang der neunziger Jahre war die Verbreitung solcher überbetrieblicher Vernetzungen noch gering.

Die hohe Bedeutung computergestützter integrierter Produktionsprozesse für die künftige Wirtschaftsentwicklung begründet sich dabei vor allem durch die Reduzierung der Bedeutung -

von Skalenerträgen und

-

von Transaktionskosten.

Massenproduktionsvorteile haben die vorhandenen Produktionsstrukturen geprägt. Dahinter stecken zum einen der Degressionseffekt mengenunabhängiger Fixkosten bei steigender Produktionsmenge. Zum anderen handelt es sich aber auch um Spezialisierungs- und Automatisierungsvorteile bei wachsender tayloristischer Arbeitsteilung. Integrierte Produktionsprozesse senken die Bedeutung von Skalenvorteilen deutlich ab. Selbst bei kleinen Bestellmengen je Fertigungsauftrag sind die Fixkosten für Einrichtung, Planung etc. sehr gering und gleichzeitig besteht dennoch die Möglichkeit hoher Automatisierung der Arbeitsabläufe (Sorge 1987).

Eine weitere wesentliche Änderung durch computergestützte Produktionsabläufe ergibt sich im Zusammenhang mit der Frage nach Eigenproduktion oder Fremdbezug bestimmter Güter und Dienstleistungen. Standardisierte Datenerfassung und computergestützte Vernetzungen führen zu deutlich geringeren Transaktionskosten beim Fremdbezug. Die Kosten von Informationsbeschaffung, Vertragsabschluß, Lieferkontrolle und ggf. Konditionsanpassungen nehmen ab (Ewers, Becker, Fritsch 1989).

Daß solche einschneidenden technologischen Veränderungen auch die Möglichkeiten der internationalen Arbeitsteilung beeinflussen, ist offensichtlich. Von Bedeutung sind dabei eine Reihe von Wirkungszusammenhängen zwischen Technik und Raum. Hinsichtlich integrierter Produktionsprozesse in Verbindung mit neuen Telekommunikationstechniken ergeben sich zunächst mehr Freiheitsgrade für die Standortwahl. Die Kosten der Raumüberwindung für den Informationsaustausch sinken. Eine aus anderen ökonomischen Gründen wie der Ausnutzung

23

internationaler Lohnkostenunterschiede gewünschte räumliche Trennung von Produktionsprozessen wäre möglich.

Auf der anderen Seite sind allerdings auch wesentliche Grenzen für eine räumliche Trennung von Produktionsprozessen erkennbar. Eine wesentliche Voraussetzung für die vernetzte Steuerung von Produktionsprozessen ist eine Vereinheitlichung der Datenerfassung. Dies heißt aber auch, daß nur solche Informationen räumlich disponibel werden, die sich in gewisser Weise standardisieren lassen. Auf absehbare Zeit werden sich komplexe Informationen in ein solches System nicht integrieren lassen. Entsprechend werden persönliche Kontakte und das In- Augenschein-Nehmen wichtig bleiben.

Darüber hinaus sind die infrastrukturellen Voraussetzungen im Bereich der Telekommunikation für einen internationalen Informationsaustausch in Europa noch lange nicht geschaffen. Dies gilt vor allem für Mittel- und Osteuropa, teilweise aber auch für die südlichen EG-Länder. Weiterhin ist zu beachten, daß dem Austausch von Informationen in vielen Fällen auch die Notwendigkeit zum physischen Transport folgt. Letztlich müssen die Einzelteile oder Komponenten der Güter zusammengeführt werden und zum Abnehmer gelangen. Durchgreifende technisch induzierte Senkungen der Transportkosten sind wiederum auf mittlere Frist im Bereich des physischen Transports nicht erkennbar. Eher dürfte hier davon auszugehen sein, daß im Zusammenhang mit Umweltschutzaspekten und zunehmenden Stillstandszeiten im Verteilungssystem die Kosten steigen. Neue Organisationskonzepte

Die Technologien der neunziger Jahre besitzen hinsichtlich ihrer ökonomischen Umsetzbarkeit vermutlich deutl ich höhere Freiheitsgrade, als dies für bisherige Techniken galt (VDI-TZ 1991). Deshalb lassen sich Vorstellungen zu Veränderungen ökonomischer Prozesse nicht allein aus technologischer Sicht ableiten. Hinzutreten müssen Überlegungen zu Bedingungen und Anforderungen aus anderen Bereichen des ökonomischen Umfeldes.

Im Zusammenhang mit den Auswirkungen computergestützter Produktionstechniken sind dabei parallel laufende Veränderungen der Organisationskonzepte eine wichtige Einflußgröße (Peters, Waterman 1982; Picot, Reichwald 1980). Ausgangspunkt für die Überlegungen zu neuen Organisationskonzepten der Produktion waren neben den neuen technischen Möglichkeiten vor allem auch Veränderungen der Nachfrage. Diese zeichneten sich im Vergleich zur Vergangenheit durch eine steigende Differenzierung der Produktanforderungen und eine

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zunehmende Instabilität der Verbrauchsansprüche aus. Gleichzeitig verstärkte die zunehmende Internationalisierung der Märkte den Konkurrenzdruck.

Eine mögliche Antwort im Bereich Organisation auf die zunehmende Produktvielfalt, die höheren Auslastungsschwankungen und den steigenden Preis- und Kostendruck wird im Konzept der "Iean-production" gesehen. Gemeint ist hiermit vor allem die Verringerung der Fertigungstiefe der Unternehmen in dem Sinne, daß sie sich auf für sie strategisch wichtige Tätigkeitsbereiche konzentrieren und die anderen Teilbereiche auslagern. Damit 5011 zum einen erreicht werden, durch Spezialisierung die zunehmende technologische und organisatorische Komplexität der Produktion beherrschbar zu machen. Zum anderen geht es aber auch darum, durch Reduzierung der Kommunikations-, Entscheidungs- und Ablaufstrukturen die Flexibilität zur Marktanpassung zu erhöhen (Drucker 1990; Johannsson, Mattsson 1987).

Die Verringerung der Fertigungstiefe ist dabei weder das einzige noch unbedingt ein notwendiges Kriterium neuer Organisationskonzepte. Betrachtet man Beispiele für das Konzept der "schlanken Produktion" in japanischen, US-amerikanischen und auch deutschen Automobilund Elektrotechnikkonzernen, 50 zeigt sich, daß die organisatorischen Veränderungen sehr viel breiter angelegt sind. Untrennbar verbunden mit den neuen Produktionskonzepten ist beispielsweise die Veränderung der Arbeitsorganisation innerhalb der Betriebe (Piore, Sabel 1984). Konzentrierten sich die Rationalisierungsbemühungen früher fast ausschließlich auf eine immer weitergehende Zerlegung und Mechanisierung einzelner Arbeitsschritte, so zeichnen sich heute in Verbindung mit neuen Fertigungstechnologien Tendenzen in die umgekehrte Richtung ab. Zunehmende Komplexität und Ansprüche an Qualität und Flexibilität machen offensichtlich eine Integration von Arbeitsschritten in Form unterschiedlicher Arten der Gruppenarbeit erforderlich. Auf technologischer Seite stehen zunehmend Lösungen zur Verfügung, die gleichzeitig zur Integration der Arbeitsschritte weiterhin eine Zunahme der Kapitalintensität erlauben.

Die Integration von Arbeitsschritten auf betrieblicher Ebene ist dabei ein Weg, den steigenden Ansprüchen an die Koordinierung der Produktionsprozesse gerecht zu werden. Das Ziel neuer Organisationskonzepte ist aber weiter gespannt. Letztlich geht es um die Kontrolle und Steuerung des Gesamtproduktionsprozesses. Trotz oder gerade aufgrund von Spezial isierungsprozessen - z.B. auf der Ebene der Unternehmen im Rahmen der "Iean-production" - wird die Bedeutung überbetrieblicher Koordinierung zunehmen. Dabei kann sie sich zum einen auf andere rechtlich selbständige oder abhängige Unternehmen beziehen. Die neuen Organisationskonzepte schließen zum anderen aber auch einen zunehmenden Koordinierungsbedarf

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zwischen - in größerem Maße eigenverantwortlich handelnden - Betrieben eines Unternehmens ein.

Die Anwendung neuer Organisationsformen in Verbindung mit neuen Fertigungs- und Kommunikationstechnologien schafft Potentiale auch zur Veränderung der internationalen Arbeitsteilung. Dies gilt generell bei einer umfassenden Verringerung der Fertigungstiefe von Unternehmen bzw. Betrieben. Eine Reihe von Produktionsprozessen sind damit nicht mehr von vornherein an den Standort des Hauptbetriebes bzw. der Entstehung des Hauptprodukts gebunden. Im Zusammenhang mit diesem zusätzlichen räumlichen Freiheitsgrad ergibt sich ein erhebliches Verlagerungspotential.

Exemplarisch für die Nutzung dieses Freiheitsgrades sind die Strategien des "world-widesourcing". Bei dieser Strategie orientiert sich die Standortwahl für einen eigenen Betrieb oder die des Zulieferers fast ausschließlich an einem Vergleich der Herstellungskosten (lmrie 1986; Thurow 1985). Räumlich differenzierend wirkende Transport- und Transaktionskosten werden weitgehend vernachlässigt. Der Produktionsstandort eines Gutes mit einer bestimmten Qualität liegt dann dort, wo die geringsten Lohn- und Kapitalkosten bzw. die niedrigsten Produktionsauflagen und Abgabenbelastungen vorliegen.

Die Ausnutzung internationaler Produktionskostenunterschiede ist dabei an sich nichts Neues. Lohnkosteninduzierte räumliche Verlagerungsprozesse konnten beispielsweise schon in den sechziger Jahren bei der Textil- und Bekleidungsindustrie festgestellt werden. Die neue Dimension des "global-sourcing" liegt in der zunehmenden Möglichkeit, einzelne Produktionsprozesse räumlich getrennt durchzuführen. Es geht also nicht mehr - wie im Zusammenhang mit der Produktlebenszyklusthese oder der neuen internationalen Arbeitsteilung diskutiert - um die Entscheidurtg, einen Gesamtproduktionsprozeß entweder an jenem oder diesem Ort durchzuführen, sondern für jeden Teilprozeß den kostengünstigsten Standort zu finden. Damit erschließen sich für die räumliche Verlagerung auch Wirtschaftsbereiche, die bislang offenbar ihren festen Standort in bestimmten Industrieländern hatten.

Entscheidende Voraussetzung dafür, ob die neuen Freiheitsgrade in der Standortwahl tatsächlich zu Dezentralisierungsprozessen im Sinne einer Strategie des "global-sourcing" führen, ist, daß räumliche Fühlungsvorteile (Lokalisationsvorteile) künftig eher unbedeutend sind. Im Zuge der Verringerung der Fertigungstiefe ausgelagerte Produktionsprozesse sind damit auch räumlich nicht mehr an den Hauptbetrieb gebunden. Für sie kann die Standortwahl nach eigenen Kriterien getroffen werden.

26

Deutlich werden diese Zusammenhänge, wenn man die bisherige räumliche Verteilung von Bezugsmärkten betrachtet. Hierzu liegen einige Analysen zu Branchen wie dem Straßenfahrzeugbau oder der Elektrotechnik vor, die in bezug auf neue Fertigungstechnologien und Organisationsformen zu den führenden Wirtschaftszweigen zählen. Ein wichtiger Aspekt für die Einschätzung der Bedeutung der räumlichen Nähe zum Hauptabnehmer ist dabei die in den vorliegenden Analysen erkennbare Differenzierung der räumlichen Bezugsmärkte nach Produktgruppen (Einem, Diller, Arnim 1992; Hoffmann, Kaplinsky 1988; Jürgens, Dose, Malsch 1985).

Unterscheidet man hier zwischen

(a)

komplexen und technisch hochwertigen Spezial produkten,

(b)

Produkten mit mittlerem Komplexitätsgrad und Qualitätsanspruch sowie

(c)

vergleichsweise einfachen standardisierten Produkten untergeordneter Bedeutung,

ergeben sich erhebliche Differenzen in den räumlichen Lieferdistanzen. Mit Abstand am geringsten ist die räumliche Entfernung zwischen Produzent und Abnehmer in der Produktklasse (b). In diesem Bereich machen der hohe Bedarf an Produktabstimmung sowie die hohen Anforderungen an Liefergenauigkeit und an eine rasche Umstellung des Lieferumfanges offenbar räumlich enge Verbindungen notwendig. Deutlich höher als im Fall (b) sind die Lieferradien bei Spezial produkten (a) und vergleichsweise einfachen Vorprodukten (c). In diesen Bereichen ergibt sich bislang wohl eher eine größere Bedeutung der spezifischen Standortanforderungen der Produzenten im Vergleich zur räumlichen Nähe zu den Hauptabnehmern. Die spezifischen Standortanforderungen der beiden Produktbereiche unterscheiden sich allerdings erheblich. Im Bereich der Spezialprodukte (a) dürfte die Verbindung zu entsprechenden Forschungseinrichtungen oder der Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften entscheidend sein, während im zweiten Fall wohl am ehesten eine Orientierung an den Kosten ubiquitärer Produktionsfaktoren zu vermuten ist.

Die unterschiedlichen Lieferradien nach der Art der jeweiligen Produkte selbst in Branchen, in denen die Einführung neuer Fertigungstechniken und Organisationskonzepte vergleichsweise weit vorangeschritten ist, zeigt, daß zumindest für einen Teilbereich die räumliche Nähe ein entscheidender Standortfaktor ist. In diese Richtung weisen auch Untersuchungen zu den Verflechtungsbeziehungen in ausgewählten Regionen (Tödling 1990; Poire 1990; Camagni 1988; scott 1988).

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Die teils entgegengesetzten Effekte lassen eine direkte Ableitung ökonomischer Überlegungen nicht zu. Per saldo spricht aber einiges dafür, daß auch künftig die größeren Freiheitsgrade der Standortwahl aufgrund neuer Fertigungs- und Kommunikationstechniken nicht unbedingt zu starker Verlagerung von Produktionsprozessen aus Hochlohnländern wie der Bundesrepublik führen. Einschränkend wirken hierbei nicht nur die genannten Grenzen aufgrund der vorhandenen Kommunikations- und Verkehrsinfrastruktur und technologischer Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten. Vielmehr ergeben sich gerade im Zusammenhang mit den neuen Organisationskonzepten der Dezentralisierung entgegengesetzte Tendenzen.

Die Strategie der Ilean-production" verlangt für alle Teile und Teilsysteme die Abstimmung und Integration in das Gesamtkonzept der Produktion. Dies bedeutet eine frühzeitige Offenlegung der eigenen Forschungs- und Entwicklungsziele, -zwischenergebnisse und -vorhaben sowie die Zusammenarbeit in firmenübergreifenden Forschungs- und Entwicklungsgruppen einschließlich der Zuführung von Spezial-Knowhow durch produktionsbezogene Dienste von Ingenieuren, Software-Spezialisten, Steuerberatern, Juristen und Marketingfachleute. Darüber hinaus müssen Module baukastenartig normiert und angepaßt werden; gemeinsame Qualitätsstandards müssen festgelegt werden; Investitionen, z.B. in eine neue Verfahrenstechnologie, müssen zwischenbetrieblich koordiniert werden; die eingesetzte Software muß abgestimmt, gemeinsame Marketingstrategien müssen entwickelt werden.

Der für solche Kooperationen notwendige Informationsaustausch wird auf absehbare Zeit nicht standardisierbar sein, da die konkrete Form der Abstimmungsprozesse ständig wechselt und er sich auch auf subjektive Einschätzungen und Erwartungen bezieht. Hinzu kommt, daß das Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Kooperationspartnern ein spezifisches Vertrauensverhältnis voraussetzt (Sabel, Herrigel, Kern 1991). Persönliche Kontakte und damit räumliche Nähe spielen für solche Koordinierungsprozesse eine wesentliche Rolle. Damit können die neuen Möglichkeiten der Fertigungs- und Informationstechnologien nur bedingt für eine Verstärkung der internationalen Arbeitsteilung genutzt werden.

Versteht man die neuen Organisationskonzepte nicht nur als Versuch, durch die Trennung von Produktionsprozessen bestehende räumliche Kostendifferenzen besser auszunutzen, sondern auch als Versuch, die Flexibilität des Gesamtproduktionsprozesses durch Spezialisierung und Kooperation zu erhöhen, dürften die räumlichen Effekte eher in Polarisierungstendenzen münden. Je nachdem, inwieweit bei bestimmten Teilproduktionen die Kooperationsprozesse standardisierbar sind, ergibt sich eine andere Richtung der Standortverlagerungen. Bezogen auf die erwähnten Produktklassen könnte dies heißen:

28

einerseits eine noch weitergehende Dezentralisierung von einfachen untergeordneten Produktionen im Sinne einer Strategie des "global sourcing" und

-

andererseits eine noch stärkere räumliche Zusammenführung zentraler Tätigkeitsfelder des Produktionsprozesses, bei der es künftig z.B. auch vermehrt zur Errichtung von Zweigniederlassungen durch Hersteller von Spezialprodukten und -komponenten in der Nähe der Hauptabnehmer kommen kann.

Im Zusammenhang mit den Flexibilitätsbemühungen dürften ähnliche nach Produktgruppen differenzierte Wirkungen auch von Konzepten zur Reduzierung der Lagerhaltung ausgehen. Produktionen im "just-in-time"-Verfahren werden aus organisatorischer Sicht in denjenigen Lieferbereichen die Dezentralisierungstendenzen kaum bremsen, wo relativ gleichbleibende Mengen und Qualitäten gefordert werden. Dort aber, wo häufige Umstellungen und Anpassung der Zulieferer notwendig sind, werden kurze Transportzeiten vorteilhaft sein.

2.2

Politisch-wirtschaftliche Integrationsprozesse

Westeuropäische Integration

Deutschland ist ein fester Bestandteil der Europäischen Gemeinschaft und eng eingebunden in die politischen und wirtschaftlichen Netzwerke Westeuropas. Zumindest in Westdeutsch land ist die Entwicklung von Wirtschaft und Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten stark von den westeuropäischen Integrationsprozessen geprägt worden. Aber auch in Ostdeutsch land gilt mit der Herstellung der deutschen Einheit das Recht der Europäischen Gemeinschaft, und neben westdeutschen sind es vornehmlich westeuropäische Unternehmen, die sich verstärkt in der ehemaligen DDR engagieren.

Hohe Bedeutung ist dementsprechend den politischen Veränderungen in Westeuropa beizumessen, will man Einschätzungen zu den künftigen Tendenzen der Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung in Deutschland gewinnen. Besonderes Augenmerk wurde hierbei in den letzten Jahren auf die Ankündigung der Schaffung eines "Europäischen Marktes" gelegt. 1985 legte die EG-Kommission ein Weißbuch zur Vollendung des EG Binnenmarktes bis zum Jahresende 1992 vor. Insgesamt hielt die EG-Kommission die Verabschiedung von etwa 300 Einzeimaßnahmen zur Vereinheitlichung und Deregulierung für erforderlich. Allerdings konnten nicht alle Maßnahmen in ihrer ursprünglich vorgesehenen Kompromislosigkeit bis Anfang 1993 realisiert werden. Dies gilt etwa im Bereich der Steuerharmonisierung oder bei 29

einer Reihe von Dienstleistungen. Der weitgehenden Harmonisierung ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitiken sind die Mitgliedsländer auch noch nicht nahe genug gekommen.

Ende 1991 wurden in Maastricht weitere Schritte zur wirtschaftlichen und politischen Integration innerhalb der Europäischen Gemeinschaft beschlossen (EG-Kommission 1992). Hinsichtlich

wirtschaftlich

wichtiger Einzelentscheidungen

wie der Einführung einer

gemeinsamen europäischen Währung bestehen dennoch in bezug auf Terminplanung und konkrete Umsetzung noch große Unsicherheiten (LehmentJScheide 1992). Insbesondere die Schwierigkeiten bei der Realisierung einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik und die immer noch hohen Disparitäten in der Wirtschaftskraft der einzelnen Mitgliedsländer sprechen dafür, daß erst auf weit längere Frist als bisher angenommen eine Europäische Währungsunion möglich erscheint.

Ähnliche Unsicherheiten bestehen hinsichtlich der Neuregelung der Beziehungen zwischen EG und EFT A (Senti 1992). Zum Jahresbeginn 1994 bilden beide einen einheitlichen Wirtschaftsraum in Westeuropa. Zumindest offen ist jedoch, welcher Grad an Harmonisierung und Liberalisierung erreicht werden kann. Dies nicht nur, weil für spezifische Problemfelder wie die Landwirtschaft oder den Finanzsektor einvernehmliche Lösungen ausstehen, sondern auch, weil gerade diejenigen EFTA-Staaten, die ein hohes Interesse an einer engen Anbindung an die EG-Staaten besitzen, konkrete Pläne zur Realisierung einer Vollmitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft besitzen.

Gegenläufige Tendenzen sind bei der Neuordnung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen der Europäischen Gemeinschaft zu den Staaten Mittel- und Osteuropas zu erkennen (Böhnlein/Heitger 1991). Die EG hat sich hier bemüht, mit einer Reihe dieser Staaten Handelsabkommen abzuschließen, die den freien Warenverkehr zwischen Ost und West gewährleisten sollen und gleichzeitig nicht zu einem hohen Anpassungsdruck für die westeuropäische Wirtschaft führen. Parallel dazu signalisieren vor allem die Polen, die Tschechen und die Ungarn ihr Interesse, möglichst bald die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft zu erlangen. Auch wenn die wirtschaftlichen Probleme dieser Länder und die Erklärung der Europäischen Gemeinschaft, daß eine Osterweiterung auf absehbare Zeit nicht ansteht, einer raschen Mitgliedschaft entgegenstehen, könnte sich dies rasch ändern, wenn die Notwendigkeit immer größer würde, den Demokratisierungsprozeß in Mittel- und Osteuropa stärker abzustützen.

30

Schwieriger als die Regelung der Beziehungen innerhalb Europas scheint die Gestaltung der EG-Außenbeziehungen zur übrigen Welt. Die Probleme, noch 1993 die Verhandlungen im Rahmen des allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATI) erfolgreich zu beenden, zeigten, daß die wirtschaftlichen Integrationsprozesse in den einzelnen großen Wirtschaftsregionen Westeuropa, Nordamerika und Süd-Ost-Asien nicht gleichbedeutend mit einer generellen Liberalisierung des Welthandels sind. Vielmehr' besteht durchaus die Gefahr, daß trotz der erzielten Übereinkunft im Rahmen des GA TI zwar innerhalb der einzelnen Wirtschaftsregionen der Freihandel verstärkt wird, diese sich aber nach außen zunehmend abschotten. Welche Auswirkungen zudem die Forderung der Dritten Welt nach einem gerechteren Anteil am Wohlstand auf den Welthandel besitzen werden, ist derzeit kaum abzusehen.

Auf mittlere Sicht ist für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft teilweise unabhängig von den längerfristigen Konzeptionen zur politischen Union und den Neuregelungen der Außenbeziehungen der Europäischen Gemeinschaft vor allem der EG-Binnenmarkt von zentraler Bedeutung, da sich auch der Großteil des Außenhandels auf diese Länder bezieht. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Auswirkungen des Binnenmarktes wird im allgemeinen von insgesamt hohen Wachstumsimpulsen ausgegangen. Theoretisch werden diese vor allem mit den kostensenkenden Effekten der Deregulierung und dem Wegfall der Grenzkontrollen und der besseren Nutzung von Großbetriebsvorteilen begründet. Darüber hinaus wird als mehr generell wachtumsfördernder Effekt die zunehmende Wettbewerbsintensität angeführt, die zu einer höheren Effizienz zwingt und zu einer Beschleunigung des technischen Fortschritts beiträgt.

Die für den Gesamtraum der Europäischen Gemeinschaft modellmäßig quantifizierten Wachstumseffekte sind allerdings sehr abstrakt (Cecchini 1988). Insbesondere liefern sie nur bedingt Hinweise darauf, welche konkreten Auswirkungen für einzelne Länder - also auch für Deutschland - zu erwarten sind. In der wissenschaftlichen Diskussion Ende der achtziger Jahre nahm diese Frage dementsprechend einen breiten Raum ein. Grundsätzlich können hierbei zwei methodische Ansätze unterschieden werden: Identifizierung primär sektoraler Effekte, Identifizierung primär räumlicher Effekte.

Die primär sektoral orientierten Ansätze betonen, daß sich hinter dem Stichwort "EG Integration" ein ganzes Bündel an Einzeimaßnahmen verbirgt, die oft für einzelne Wirtschaftssektoren von zentraler Bedeutung sind. Dieses Bündel ist folglich aufzuschnüren, damit die Wirkungen im einzelnen erfaßt und unter regionalen Aspekten bewertet werden können 31

(Döhrn 1989). Insgesamt wird erwartet, daß vor allem in den Investitionsgüterindustrien und der chemischen Industrie im Zuge des beschleunigten technischen Fortschritts und höherer Investitionspfade starke Wachstumsimpulse vom EG-Binnenmarkt ausgehen. Als weitere Wirtschaftsbereiche mit deutlich positiven Entwicklungsanstößen werden der Verkehrssektor und die unternehmensorientierten

Dienstleistungen angesehen, da mit zunehmenden

Anforderungen im Logistikbereich und einem steigenden Planungs- und Steuerungsbedarf zu rechnen ist.

Ausgehend von diesen Überlegungen der sektoralen Wirkungen der Bestimmungen zum EGBinnenmarkt wurde versucht, an hand der bisherigen Wettbewerbsstellung der einzelnen Mitgliedsländer in den Wirtschaftsbereichen und den Standortbedingungen für die einzelnen Branchen die Binnenmarkteffekte regional zuzuordnen. In den meisten dieser Studien wird vor allem aufgrund der starken Wettbewerbsposition deutscher Unternehmen innerhalb der EG im Investitionsgüterbereich mit überdurchschnittlich hohen Wachstumsanstößen für die alte Bundesrepublik gerechnet (prognos 1990; Empirica 1989).

Andere Forschungsansätze, in denen der Frage nach den künftigen regionalen Entwicklungsmustern nachgegangen wird, stellen räumliche Aspekte in den Mittelpunkt. Die Einschätzungen der diesbezüglichen theoretischen Erklärungsansätze und empirischen Arbeiten, die die regionalen Auswirkungen des EG-Binnenmarktes untersuchen, fallen sehr unterschiedlich aus. Das Spektrum reicht von einer Verstärkung der regionalen Unterschiede zwischen Zentren und Peripherien einerseits (z. B. Koch 1990; Steinle 1990; sowie im Grundsatz auch SinziSteinle 1989) bis zu einem zunehmenden Ausgleich regionaler Disparitäten andererseits (z. B. Genosko 1990; Molle 1990; Krieger-Boden 1987).

Ausgangspunkt der Konvergenzthesen sind die großen Faktorpreisunterschiede zwischen den hoch entwickelten zentralen Regionen Europas und den wirtschaftlich eher schwachen peripheren Regionen wie Portugal und Griechenland. Die Konvergenzthese basiert auf der Annahme, daß bei funktionierenden Preismechanismen eine Mobilität der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit, und damit auch des technischen Know-how gegeben ist, die für einen allmählichen wirtschaftlichen Ausgleich des Entwicklungsniveaus zwischen Ländern und Regionen sorgt. Unter diesen Bedingungen fördert der Abbau von Hemmnissen im internationalen Handel sowie im Kapital- und Dienstleistungsverkehr im Zuge der Vollendung des Binnenmarktes ceteris paribus mehr Kohärenz in Europa (Balassa 1961). Hinzu kommt die Erwartung, daß im Zuge der umfangreichen regionalpolitischen Ausgleichsmaßnahmen die

32

infrastrukturellen Bedingungen in den wirtschaftlich schwachen Mitgliedsländern deutlich verbessert werden (Beschel 1991).

Die entgegengesetzte These eines weiteren Auseinanderdriftens der prosperierenden und der armen Regionen in der Europäischen Gemeinschaft geht davon aus, daß Barrieren der regionalen Entwicklung über 1992 hinaus in Europa bestehen bleiben, die durch Sprachunterschiede, Ausbildungsstand, Kapitalausstattung und Raumüberwindungskosten zementiert werden. Eine vollständige Mobilität der Produktionsfaktoren wird es damit letztlich nicht geben. Darüber hinaus werden Agglomerationen bzw. generell bereits entwickelte Regionen Wachstumsvorteile unterschiedlicher Art haben, die ihnen zumindest eine größere Chance geben, ihren Vorsprung auszubauen oder zumindest zu halten. Dabei wird beispielsweise auf die Bedeutung der Infrastrukturausstattung, gewachsener Verflechtungsstrukturen, der Nähe zu Kunden und Wachstumspolen verwiesen.

Im Zusammenhang mit den letzteren Überlegungen werden zu den Gewinnern des durch die weitergehende Integration ausgelösten Strukturwandels folglich vor allem die Regionen der "europäischen Megalopolis" gezählt. Das französische DATAR Institut hat für diese Region den Begriff der "blauen Banane" geprägt (Brunet 1989), eine bananenförmig gekrümmte zentraleuropäische Wachstumszone, die zwar keinen homogenen Raum darstellt, wohl aber eine Kette von relativ dynamischen Verdichtungsregionen, die von London über Brüssel bzw. die Randstad, Düsseldorf/Köln/Bonn, Frankfurt, Stuttgart, München bzw. Basel/Zürich bis nach MailandITurin/Bologna reicht.

Folgt man diesen räumlichen Überlegungen und berücksichtigt, daß große Teile Westdeutschlands der "europäischen Megalopolis" zuzurechnen sind, wären auch hieraus - wie bei den sektoralen Argumentationen - hohe Wachstumseffekte des EG-Binnenmarktes für die alte Bundesrepublik abzuleiten. Darüber hinaus ist bei der Einschätzung der Konvergenztendenzen zu beachten, daß die Lohnkostenvorteile anderer Länder und die Verbesserungen der Infrastruktur nur allmählich im Investitionsprozeß zu Verschiebungen der wirtschaftlichen Aktivitäten führen und daher tendenziell eher langfristig wirken, hingegen sektorale Effekte eher den mittelfristigen Entwicklungspfad festlegen (Zimmermann 1991).

Für Ostdeutsch land, das ebenso wie Westdeutsch land in den Prozeß des Zusammenwachsens Westeuropas integriert ist, spielt in der gegenwärtigen Diskussion der wirtschaftlichen Perspektiven der EG-Binnenmarkt kaum eine große Bedeutung (Werner 1990). Dies ist insoweit

33

auch berechtigt, als in der besonderen Umbruchsituation der dortigen Wirtschaft mögliche Effekte, die vom europäischen Binnenmarkt ausgehen, kaum zu isolieren sind.

Öffnung Mitte/- und Osteuropas

Noch weitaus stärker als durch den Integrationsprozeß im Westen werden die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen in Europa durch den Wandel im Osten verändert. Die ehemals kommunistischen Länder Mittel- und Südosteuropas sowie der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten befinden sich in einem tiefgreifenden politischen, institutionellen und wirtschaftlichen Wandel. Es kann niemanden überraschen, daß dieser Transformationsprozeß äußerst schwierig ist und starke Friktionen nicht ausbleiben. In allen Staaten des ehemaligen Ostblocks sind in den letzten Jahren Produktion und Lebensstandard deutlich gefallen, und es entstand offene Arbeitslosigkeit. Eine grundlegende Besserung der wirtschaftlichen Situation zeichnet sich gegenwärtig nicht ab.

Bei einer Beschränkung auf den mittelfristigen Zeithorizont ist aber weniger der jetzige Umstellungsprozeß als vielmehr sein Ergebnis von Interesse. Entsprechend müssen Vorstellungen darüber entwickelt werden, welches Niveau und welche Struktur die wirtschaftlichen Beziehungen Mittel- und Osteuropas zu Deutschland haben werden, um hieraus Rückschlüsse auf mögliche Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft zu ziehen.

Neben dem Aufbau einer institutionellen Infrastruktur und der makroökonomischen Stabilisierung ist die wohl schwierigste Aufgabe im Transformationsprozeß die Umstellung der Betriebe (Thanner 1992; Schrettl, Clement 1991). Die Bedingungen für die Reorganisation der Betriebe sind allerdings äußerst schlecht. Auf der einen Seite ist die Umstellung der Produkte, der Produktionsprozesse, der Arbeitsorganisation und der Liefer- und Absatzverflechtungen eine wichtige Managementaufgabe. Auf der anderen Seite sind in den Ländern Mittel- und Osteuropas seit Jahrzehnten unternehmerische Verhaltensweisen unterdrückt worden. Eine spärliche Zuwanderung von westlichem Management und die angebotenen Schnellkurse im Westen können das fehlende Unternehmertum nicht ersetzen.

Hinzu kommt der enorme privatwirtschaftliche und öffentliche Kapitalbedarf bei der Umstrukturierung der Produktion und der Modernisierung der Infrastruktur. Einige Studien haben - so schwierig dies methodisch auch ist - versucht, diesen Kapitalbedarf abzuschätzen (Handler/Kramer/Stankovsky 1992; Ochel 1991). Die jährlich aufzubringenden Beträge liegen hierbei für die mitteleuropäischen Länder bei zusammen 100 bis 150 Mrd. US $. Unter 34

Einschluß der Nachfolgestaaten der UdSSR erhöht sich dieser Wert auf jährlich 300 - 500 Mrd. US $. Unberücksichtigt sind hierbei die erheblichen Investitionsbedarfe in anderen Feldern, wie der ökologischen Sanierung.

Angesichts der bereits hohen Verschuldung der östlichen Länder in konvertibler Währung von etwa 160 Mrd. US $ kann dieser Investitionsbedarf kaum durch weitere Auslandskredite gedeckt werden. Auch die Beiträge ausländischer Privatinvestoren oder der Transfer öffentlichen Kapitals dürften eher bescheiden bleiben. Der Großteil des Kapitalbedarfs zur Umstrukturierung der Betriebe und zur Modernisierung der Infrastruktur kann demnach nur durch inländische Ersparnis und damit einen erheblichen Konsumverzicht der Bevölkerung in den östlichen Ländern selbst gedeckt werden (Krahmer 1992; Collins, Rodrik 1991). Der Aufbau eines neuen Kapitalstocks dürfte sich daher nur entsprechend langsam vollziehen.

Zu beachten ist allerdings auch, daß die hier betrachtete Staatengruppe der mittel- und osteuropäischen Länder einschließlich der ehemaligen UdSSR sehr heterogen ist. Der politische Reformprozeß und die Anstrengungen zum Aufbau einer institutionellen Infrastruktur und zur makroökonomischen Stabilisierung sind in den einzelnen Staaten unterschiedlich weit vorangeschritten. Zudem weichen auch die ökonomischen Potentiale der Länder und ihrer Regionen stark voneinander ab (GritsaifTreivish 1990). Dementsprechend sind häufig Vorstellungen über ein phasen- oder ringweises Entwicklungsmuster anzutreffen (Nötzold 1990; Siebert 1992).

Die günstigsten Voraussetzungen für eine intensive Einbindung in die Weltwirtschaft werden hierbei den zentraleuropäischen Staaten beigemessen. Vor allem in der Tschechischen Republik, in Polen und in Ungarn wird es aufgrund der historisch engen Bindungen zu Westeuropa, den stärker marktwirtschaftlichen Traditionen, des vergleichsweise gut ausgebildeten Facharbeiterpotentials und des relativ hohen Niveaus von Auslandsinvestitionen eher zu einer rascheren Stabilisierung der Wirtschaft kommen. Für die südosteuropäischen Staaten, die europäischen Nachfolgestaaten der UdSSR und vor allem für Rußland selbst wird trotz der langfristig hohen Entwicklungspotentiale mittelfristig mit weniger starken Bindungen an Westeuropa und eher noch längeren Zeiträumen des Anpassungsprozesses gerechnet.

Im Verlauf der neunziger Jahre werden sich daher vermutlich zwar die wirtschaftlichen Beziehungen Mittel- und Osteuropas zu Deutschland dynamisch entwickeln, und Deutschland wird für viele dieser Staaten aufgrund der räumlichen Nähe, der traditionellen Wirtschaftsbeziehungen und der Wirtschaftskraft Deutschlands der wichtigste Handelspartner sein; im 35

Außenhandel der Bundesrepublik werden mittelfristig diese Länder aber keine herausragende Rolle spielen. Die Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland werden sich daher eher auf einzelne Bereiche beziehen. In diesen Einzelbereichen allerdings dürften die Veränderungen, die sich durch die Öffnung Mittel- und Osteuropas ergeben, deutlich spürbar sein. So hat sich immerhin der Anteil der länder Ungarn, Polen, der Tschechischen Republik und der Slowakei an den Importen der Bundesrepublik von 1990 bis 1992 von knapp 4 vH auf mehr als 7 vH erhöht.

Zu der Frage, in welchen Feldern Mittel- und Osteuropa als Bezugsmarkt künftig an Bedeutung gewinnen wird, gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die sich mit der Abschätzung des spezifischen Exportpotentials dieser Länder befassen. Die Analysen orientieren sich hierbei sowohl an historischen Handelsstrukturen als Ausdruck traditioneller und kultureller Verbindungen als auch an Spekulationen über komparative Kostenvorteile, die sich aus einer möglichen Entwicklung der Faktorausstattung ergeben (Neven/Röller 1991; Klodt 1991). So schwierig und methodisch problematisch im einzelnen diese Ansätze sind, kommen sie doch zu ähnlichen Ergebnissen. Die höchsten Exportpotentiale zeigen sich demnach bei Rohstoffen und Nahrungsmitteln sowie Industriewaren mit hoher Arbeitsintensität, also in Feldern, die auch schon bislang die Importstrukturen der Bundesrepublik prägen.

Hinsichtlich der strukturellen Dimension vor allem im industriellen Bereich greifen solche überschlägigen Modellrechnungen allerdings zu kurz. Die besondere Qualität des Bezugsmarktes Mittel- und Osteuropa wird hier nicht abgebildet. Denn anders als beispielsweise die Standortvorteile der typischen Schwellenländer beziehen sich diese nicht allein auf geringere Lohnkosten. Die neue Dimension für Deutschland liegt in der Kombination von -

meist gut ausgebildeter Facharbeiterschaft,

-

räumlicher Nähe und

-

Lohnkostenvortei len.

Entsprechend wird sich die Einbindung Mittel- und Osteuropas als Bezugsmarkt für Deutschland auch in anderen Bereichen als den ergeben, die von den bisherigen Niedriglohnländern besetzt werden. Diese neuen Importbereiche werden sich vor allem auf jene relativ einfachen lohnintensiven Produktionen beziehen, die sich aufgrund hoher Transportkosten bislang einer Internationalisierung entzogen haben. Neben einzelnen Zulieferbereichen sind hier vor aller die Industrie der Steine und Erden, die Holzindustrie und die Papierindustrie zu nennen.

36

Allerdings dürfte die Ausweitung des Warenaustausches in solchen transportsensiblen Bereichen durch die bislang desolaten Verkehrs- und Kommunikationsinfrastrukturen in den Staaten Mittel- und Osteuropas begrenzt werden. Selbst für die direkten Anrainerstaaten dürfte sich auch bei deutlich steigenden Infrastrukturinvestitionen die Situation mittelfristig nicht entscheidend verbessern.

Wenig wahrscheinlich scheint auch, daß es den Staaten Mittel- und Oste uropas in absehbarer Zeit gelingt, bei komplexeren Produkten oder Produktkomponenten Exporterfolge zu erzielen. Neben den Defiziten in der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur erscheinen hierfür insbesondere die technologischen Rückstände in der Qualifikation der Beschäftigten und in der Forschungsinfrastruktur zu groß.

Ebenso wie bei den Importen aus Mittel- und Osteuropa werden sich auch bei der Entwicklung dieser Länder als Absatzmarkt für deutsche Produkte die Wachstumspotentiale mittelfristig auf einige Bereiche konzentrieren. Die Struktur des Importbedarfs Mittel- und Osteuropas wird voraussichtlich vor allem durch den vordringlichen Modernisierungsbedarf in den Bereichen Energie/Rohstoffe und Verkehr/Kommunikation bestimmt. Einige konkrete Großprojekte - teils mitfinanziert durch westliche Unternehmen und Staaten - zeichnen sich in diesen Feldern bereits ab. Zum anderen werden bei einer stärkeren Autonomie der Unternehmen vor allem exportorientierte Betriebe ausländische Investitionsgüter erwerben können. Entsprechende Spielräume ergeben sich zum einen über westliche Direktinvestitionen. Zum anderen dürften die günstigen Ertragsaussichten sowie Möglichkeiten wie z.B. Warentauschgeschäfte hier günstigere Voraussetzungen schaffen.

Auch bei einer insgesamt eher mäßigen gesamtwirtschaftlichen Wachstumsdynamik in den Staaten Mittel- und Osteuropas und trotz bestehender Infrastrukturdefizite ist zu erwarten, daß sich durch die wirtschaftliche Öffnung dieser Staaten schon mittelfristig spürbare Veränderungen der sektoralen Produktionsstrukturen in Deutschland ergeben. Während sich für lohn- und transportkostenintensive Produktionen ein bislang nicht gekannter Konkurrenzdruck ergeben kann, entstehen möglicherweise in eher klassischen Bereichen des Anlagenbaus oder der Herstellung von Infrastrukturgütern neue Wachstumspotentiale.

2.3

Zwei Szenarien

Die bisherigen Überlegungen haben deutlich gemacht, daß die auf mittlere Frist relevanten neuen Technologien und Produktionskonzepte sowie die politisch-wirtschaftlichen Integrations37

prozesse ein großes Potential zur Veränderung von Niveau und Struktur der Wirtschaft in Europa und Deutschland besitzen. Mit welcher Dynamik der Diffusionsprozeß neuer Techniken und Organisationsformen im weiteren Verlauf der neunziger Jahre erfolgen wird, ist allerdings kaum vorhersehbar. Ebenso wenig ergibt sich für die Auswirkungen der Integration Westeuropas und der Öffnung Mittel- und Osteuropas auf Bevölkerung und Wirtschaft in Deutschland ein klares Bild, zumal auch im politischen Bereich noch viele Entscheidungen zur Konkretisierung der neuen Rahmenbedingungen ausstehen.

Um dennoch zu Vorstellungen über die demographischen und ökonomischen Entwicklungen in Deutschland bis zum Jahr 2000 zu gelangen, ist es daher unumgänglich, alternative Annahmen zu solchen Rahmenbedingungen zu setzen. Grundsätzlich ergeben sich dabei sehr viele unterschiedliche Kombinationen möglicher Entwicklungstrends in den einzelnen Bereichen des technisch-organisatorischen und politisch-wirtschaftlichen Wandels. Hier wurde allerdings, um die Komplexität nicht zu groß werden zu lassen, versucht, die unterschiedlichen Annahmen zu zwei - als realistisch eingeschätzten - Szenarien zu bündeln. Diese können allerdings weder die gesamte Bandbreite möglicher Entwicklungen einfangen noch den wahrscheinlichen Pfad festlegen, wohl aber diesen eingrenzen.

Im ersten sogenannten Ilntegrationsszenario" wird damit gerechnet, daß eine Sicherung und Weiterentwicklung des liberalen Welthandels gelingt und in Osteuropa eine Stabilisierung der Wirtschaft einsetzt, die allmählich eine stärkere Einbindung dieser Länder in den Welthandel ermöglicht. Die hiermit erfahrungsgemäß verbundenen Impulse lassen erwarten, daß die weltwirtschaftliche Dynamik überwiegend hoch ist. Entsprechend dürfte auch die Umsetzung neuer Technologien und Organisationskonzepte relativ rasch erfolgen.

Das zweite sogenannte "Stagnationsszenario" ist dagegen eher durch zunehmende Behinderungen des Welthandels und starke Belastungen im Zuge des wirtschaftlichen Umstellungsprozesses in Osteuropa gekennzeichnet. Hier ist anzunehmen, daß dies auch negative Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung weltweit besitzt. Außenwirtschaftliche Impulse für die Bundesrepublik dürften vor allem im Zusammenhang mit den Integrationsprozessen in Westeuropa stehen. Neue Techniken und Organisationsformen gewinnen nur in einzelnen Bereichen der Volkswirtschaft stark an Bedeutung.

38

3. Bevölkerung und Erwerbspersonenpotential Deutschland hat gegenwärtig schätzungsweise 81,3 Mill. Einwohner, 15,6 Mill. in den neuen und 65,7 Mill. in den alten Bundesländern. Damit ist die Einwohnerzahl in Westdeutsch land um rund 4 Mill. höher als zum Jahresanfang 1989. Ostdeutsch land hat demgegenüber im gleichen Zeitraum einen Bevölkerungsrückgang von rund 1 Mill. zu verzeichnen (Tabelle 3/1). Diese Entwicklung ist im wesentlichen auf die verstärkten Zuzüge nach Deutschland zurückzuführen. Von 1989 bis 1992 sind per Saldo rund 2,8 Mill. Personen nach Deutschland eingewandert. Von Bedeutung waren aber auch die Abwanderungen aus den östlichen in die westlichen Bundesländer (der Wanderungsverlust betrug im Zeitraum 1989 bis 1992 rund 1 Mill. Personen) sowie der drastische Geburtenrückgang in Ostdeutsch land (die Geburtenzahlen haben sich mehr als halbiert). Auch für die Entwicklung auf mittlere Frist werden die Außenwanderungen die Veränderung der Bevölkerungszahl und -struktur bestimmen. Die Annahmen zum Umfang der Außenwanderungen sind dementsprechend für die Gesamtergebnisse der Szenarien von zentraler Bedeutung.

3.1

Entwicklung der Außenwanderungen

Von 1989 bis 1992 sind nach Deutschland rund 1,4 Mill. Deutsche zugezogen und schätzungsweise 0,4 Mill. fortgezogen. Die Zuzüge der Ausländer betrugen in diesem Zeitraum rund 3,7 Mill., doch waren die Fortzüge mit etwa 2,0 Mill. ebenfalls beachtlich. Es hat also eine deutliche Umstrukturierung bei den in Deutschland lebenden Ausländern stattgefunden. Insgesamt hatte Deutschland in den letzten vier Jahren rund 5,2 Mill. Zuzüge zu verkraften, wobei der weitaus größte Teil auf die westlichen Bundesländer entfiel. Dies wurde teilweise dadurch erleichtert, daß im gleichen Zeitraum 2,4 Mill. Personen Deutschland verlassen haben.

Von Bedeutung für die Außenwanderungen waren vornehmlich zwei Gruppen: die Aussiedler und die Asylbewerber. Nachdem um die Mitte der achtziger Jahre jährlich rund 40 000 Aussiedler im Bundesgebiet aufgenommen worden waren, stieg die Zahl der Zuzüge angesichts der politischen Veränderungen in Polen, aber auch in der Sowjetunion bereits 1988 auf 0,2 Mill. (Schulz 1991).1990 erreichten die Einwanderungen mit knapp 0,4 Mill. ihren höchsten Wert. Danach ist aufgrund des veränderten AntragsteIlungsverfahrens - seit Juli 1990 müssen Aussiedler von ihren Herkunftsländern aus Anträge auf Anerkennung als deutsche Volkszugehörige und auf Einreise stellen - die Zahl der jährlichen Zuzüge auf reichlich 200 000 zurückgegangen. Die Zahl der einreisewilligen Aussiedler dürfte sich jedoch nicht im gleichen

39

Tabelle 3/1

Entwicklung der Einwohnerzahl 1989 bis 1993 westdeutsch-I ostdeutsch-I Deutschland land land in 1000 Personen

Bevölkerung am Jahresanfang 1989 Natürliche Entwicklung 1989-1992 -Geborene -Gestorbene -Saldo Außenwanderungen 1989-1992 Deutsche -Zuzüge -Fonzüge -Saldo Ausländer -Zuzüge -Fortzüge -Saldo Insgesamt -Zuzüge -Fortzüge -Saldo Wanderungen zwischen Ost- und Westdeutschland 1%9-1992 -Zuzüge nach Westdeutschland -Zuzüge nach Ostdeutschland -Saldo

61715

16675

78390

2850 2814 36

572 803 - 131

3422 3617 .195

1367 384 913

46

1412 387 1025

Bevölkerung am Jahresanfang 1993 Natürl. Ent\\icklung .1an.-Sept.l) ]993 Zuzüge von Aussiedl. Jan.-~1.2) ] 993 Zuzüge von Asylbew. Jan.-Sept.2) 1993 Bevölkerung Anfang Oktoher 1993

3

43

3621 1965 1656

120

3741 201'7 1725

4988 2349 2639

166 54 111

5154 2404

1175

-1 175

953

223

.953

0 0 0

65342

15603

80945

118

22

221

-76 29 55

- S3 147 276

65704

15611

81314

- 223

51 69

1750

] ) September geschätzt.- 2) Aufteilung auf die Bundesländer gemäß Quotenregelung geschätzt. Quellen:

40

Statisti.~hes

Bundesamt: Berechnunjten des DIW.

Maße verringert haben; die Zahl der Anträge für die Erteilung von Aufnahmebescheiden ist weitaus höher als die Zahl der tatsächlich eingereisten Aussiedler. Der "Antragsstau" beläuft sich schätzungsweise auf 800 000.

In den letzten vier Jahren haben gut 1 Mill. Personen in Deutschland Asyl beantragt, im letzten Jahr allein 438 000. Die meisten Asylbewerber kamen aus den ost- und südosteuropäischen Ländern, vornehmlich aus dem ehemaligen Jugoslawien (239 000), aus Rumänien (183 000) und der Türkei (94 000). Die Asylbewerber aus dem ehemaligen Jugoslawien sind zum größten Teil Flüchtlinge, aus Rumänien kommen vornehmlich Sinti und Roma, aus der Türkei Kurden.

Die Anerkennungsquote von Asylbewerbern war in den letzten Jahren sehr klein. Sie betrug, bezogen auf die Zahl der Antragsteller (Erstanträge), 1992 etwa 4 vH (in den Vorjahren 5 bis 6 vH). Dennoch führte die Ablehnung eines Asylantrages häufig nicht zur Ausweisung aus Deutschland. Vom Bundesministerium des Innern wurde geschätzt, daß Ende 1992 rund 1,6 Mill. Flüchtlinge in Deutschland lebten. Davon waren 0,1 Mill. Asylberechtigte, 0,13 Mill. Angehörige von Asylberechtigten, 83 000 Kontingentflüchtlinge (Ausländer, die im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommen wurden), 0,69 Mill. de-facto-Flüchtlinge (abgelehnte Asylbewerber oder Ausländer, die keinen Asylantrag gestellt haben, die aber aus humanitären, politischen oder rechtlichen Gründen. nicht in ihre Heimat abgeschoben wurden) und 0,58 Mill. Asylbewerber. In der Zwischenzeit dürfte die Zahl der Flüchtlinge (im weiteren Sinne) weiter gestiegen sein. In den ersten sechs Monaten des Jahres 1993 haben 224 000 Personen Asyl beantragt.

Am 1. Juli 1993 ist das neue Asylrecht in Kraft getreten. Danach können Asylbewerber an der Grenze abgewiesen werden, die aus Staaten der EG oder aus einem sogenannten sicheren Drittstaat einreisen wollen. Außerdem wurden die Asylverfahren verkürzt und die Leistungen an Asylbewerber eingeschränkt. Diese neuen Regelungen haben zu einem deutlichen Rückgang der Asylbewerberzahlen in den Monaten Juli und August geführt, die Zahl ist im September allerdings wieder auf knapp 17000 gestiegen. Inwieweit dieser Rückgang durch Umgehungsstrategien und illegale Zuzüge kompensiert wird, ist zur Zeit nicht abschätzbar. Generell wird erwartet, daß die Zahl illegaler Zuzüge steigt, da das Potential Einwanderungswilliger weiterhin hoch bleiben wird.

Die künftige Entwicklung der Außenwanderungen ist schwer vorauszuschätzen, da sicn die Bestimmungsgründe der Migration angesichts der politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in den Staaten Ost- und Südosteuropas wesentlich verschoben haben. In den 41

siebziger und achtziger Jahren waren - neben den gesetzlichen Regelungen - die konjunkturellen Einflüsse für die grenzüberschreitenden Wanderungen der Ausländer von Bedeutung. Seit Ende der achtziger Jahre scheinen sich die Wanderungen jedoch von der konjunkturellen Entwicklung abzukoppeln.

Der Anstieg der Zuwanderungen nach Deutschland in den letzten Jahren - insbesondere die erhöhte Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber - deutet darauf hin, daß heute dem Problemdruck in den Heimatländern eine größere Bedeutung für eine Wanderungsentscheidung zukommt als der aktuellen wirtschaftlichen lage in Deutschland. Die Zunahme der Zuzüge ist jedoch auch darauf zurückzuführen, daß Deutschland nun zu den östlichen Nachbarländern eine "grüne Grenze" hat und durch den Abbau der Wanderungshemmnisse zwischen Ost- und Westeuropa zuvor nicht gekannte Migrationsströme ermöglicht wurden.

Der Umfang der Zuwanderungen wird somit wesentlich davon abhängen, wie sich die wirtschaftliche und politische Situation in Mittel- und Osteuropa entwickelt, da dort sowohl hinsichtlich der Asylbewerber als auch der Aussiedler das Gros des Einwanderungspotentials nach Deutschland liegt. Gleichzeitig müssen bei solchen Vorausschätzungen auch Annahmen über weitere Änderungen der Einwanderungsregelungen berücksichtigt werden. Es ist davon auszugehen, daß mit zunehmendem Einwanderungsdruck eine weitere Verschärfung der restriktiven Bestimmungen eintreten wird. Zur Abschätzung der Zuwanderungen sind hierbei vor allem die möglichen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in Deutschland herangezogen worden. Es wurden die Auswirkungen unterschiedlicher Zuwanderungen sowohl auf das Arbeitskräfteangebot als auch auf die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen sowie die Transferzahlungen und somit das Wirtschaftswachstum analysiert. Als ein Indikator der "Aufnahmefähigkeit" wurde die lage auf dem Arbeitsmarkt herangezogen. In einem iterativen Prozeß erfolgte hierüber die Abschätzung der Zuwanderungen.

Abschätzung der Außenwanderungen bis 2000

Angesichts der geänderten politischen Rahmenbedingungen in Europa werden die Zuzüge nach Deutschland in beiden Szenarien per Saldo auch künftig über dem Durchschnitt in den siebziger und achtziger Jahren liegen. Deutschland in der Mitte Europas mit einer relativ offenen Grenze auch zu den östlichen Nachbarländern wird sich von den veränderten Migrationsströmen in Europa nicht abkoppeln können.

42

Gegenwärtig leben schätzungsweise noch 2,5 Mill. Aussiedler im Ausland, darunter rund 2 Mill. in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion (Rußlanddeutsche). Die große Zahl noch nicht bearbeiteter Anträge auf Anerkennung als Deutscher und Einreise nach Deutschland kann als Indiz dafür gesehen werden, daß ein großer Teil der deutschstämmigen Personen nach Deutschland einwandern will. Dies wird auch hier für die Vorausschätzung zugrunde gelegt, wobei davon ausgegangen wird, daß sich die Zuwanderungen im Laufe der Zeit abschwächen, weil das Potential relativ mobiler Personen abnimmt. Insgesamt wird im Integrationsszenario von 1993 bis zum Jahr 2000 mit Zuwanderungen von Deutschen per Saldo in Höhe von 1,2 Mill. gerechnet (DIW 1993a).

In bezug auf die Ausländerzuwanderungen wird eine relativ restriktive Zuwanderungspolitik in Deutschland unterstellt. Daraus folgt, daß die Zahl der Asylbewerber sich - analog zur Entwicklung seit dem Juli 1993 - merklich reduziert. Es wird damit gerechnet, daß im Prinzip von 1994 an nur noch diejenigen Asylbewerber nach Deutschland kommen, deren Anträge Aussicht auf Erfolg haben. Insbesondere die Asylbewerberzahlen aus dem ehemaligen Jugoslawien (Bürgerkriegsflüchtlinge sollen in der Regel nicht mehr in das Asylverfahren gelangen), aus Rumänien, Bulgarien und der Türkei werden zurückgehen. Bei den Asylbewerbern aus den außereuropäischen Ländern dürfte hingegen nur eine leichte Verringerung stattfinden.

Die grenzüberschreitenden Wanderungen der übrigen Ausländer,

die aufgrund

der

Freizügigkeit innerhalb der EG oder im Rahmen einer Familienzusammenführung nach Deutschland kommen, werden weiterhin hoch bleiben. Insgesamt wird für den Zeitraum 1993 bis 2000 mit Nettozuzügen von 2,7 Mill. gerechnet.

Deutlich höhere Zuwanderungen werden für das Stagnationsszenario unterstellt. Zwar wird auch in dieser Variante ein merklicher Rückgang der Asylbewerberzahlen und eine verstärkte Abschiebung abgelehnter Asylbewerber angenommen. Aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Probleme in Osteuropa dürfte die Zahl der Asylbewerber aber deutlich höher bleiben als im ersten Szenario. Zudem wird damit gerechnet, daß ein Großteil der Aussiedler bereits bis zum Jahr 2000 nach Deutschland kommt. Im Stagnationsszenario ergibt sich damit für 1993 bis 2000 ein kumulierter Außenwanderungssaldo von 3,9 Mill. Personen.

43

3.2

Ergebnisse für Westdeutsch land

Bevölkerungsentwicklung Von den verstärkten Außenwanderungen wird aller Voraussicht nach in erster Linie Westdeutsch land betroffen sein. Zwar soll insbesondere bei den Asylbewerbern künftig die Quotenregelung der Verteilung auf die Bundesländer strikter eingehalten werden, diese wird aber, bedingt auch durch Sekundärwanderungen, letztlich nicht die tatsächliche Verteilung der Zuwanderungen auf West- und Ostdeutsch land bestimmen.

Hinzu kommt, daß auch in den kommenden Jahren die Wanderungen von Ost- nach Westdeutsch land höher sein werden als in umgekehrter Richtung. Dies gilt insbesondere, weil die deutlichen Unterschiede auf den Arbeitsmärkten noch für eine längere Zeit bestehen bleiben. Dennoch ist mit einem Rückgang der Abwanderungen aus Ostdeutsch land zu rechnen. Ein Grund hierfür ist, daß nicht alle Personengruppen die gleiche regionale Mobilitätsbereitschaft besitzen und daher mit der Zeit das Potential relativ mobiler Erwerbspersonen immer stärker zurückgeht. Hinzu kommt, daß bei einer günstigen wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutsch land die Zahl der Personen zunehmen wird, die von Westdeutsch land in die östlichen Bundesländer (zurück)ziehen. Doch auch wenn die Abwanderungen aus Ostdeutschland sich verringern werden, so werden sie durch ihre Selektivität von Bedeutung bleiben. Insgesamt wird mit weiteren Abwanderungen aus Ost- nach Westdeutsch land im Zeitraum 1993 bis 2000 im Integrationsszenario in Höhe von 280 000 und im Stagnationsszenario von 620 000 gerechnet.

Für den kumulierten Wanderungssaldo Westdeutsch lands (einschließlich der innerdeutschen Wanderungen) ergibt sich somit für den Zeitraum 1993 bis 2000 im Integrationsszenario ein Wert von rund 2,6 Mill. Personen und im Stagnationsszenario von gut 3,9 Mill. Personen.

Unter Berücksichtigung der natürlichen Bevölkerungsentwicklung ist damit in beiden Szenarien mit einem deutlichen Anstieg der Bevölkerungszahl in Westdeutsch land bis zum Jahr 2000 zu rechnen (Tabelle 3/2). Im Integrationsszenario dürfte die Bevölkerungszahl von etwa 65 Mill. Einwohnern 1992 auf etwas mehr als 68 Mill. Menschen im Jahr 2000 steigen. Trotz der unterstellten Zuwanderungen setzt sich der Alterungsprozeß der Bevölkerung fort: Im Jahr 2000 werden in Westdeutschland 23 vH 60 Jahre und älter sein. Der Anteil der Ausländer steigt von 10,1 vH 1992 auf etwa 13,5 vH im Jahr 2000. Nicht berücksichtigt sind hierbei Auswirkungen einer verstärkten Einbürgerung auf die Nationalitätenstruktur. 44

Tabelle ?/2

Entwicklung von Bevölkerung und Erwerhspersonenpotential in Westdeutschland

Bevölkel1lng iD MilL Penonen Altersstruktur iD vH 0-20 lahre 20-60 labre 60 labre und älter

2000 Integrations-I Slagnatio~sRenano I Renano

1980

1989

1992

61.7

62.7

65.6

69.8

54.2 19.4

26.4

W.7 58.4 20.9

20.4 58.5 21.1

555

27.8

30.9

32./1

1)

Erwerbspenonenpotential iD MilL PenoDen

21.7

22.8

2)

34.2

35.1

2.6

3.9

nachrichtlicb: Kumuliener Wanderungssaldo 3) iD Mill. Penont'n 1993-2000 darunter: Außenwanderungt'n Zuzüge Fonzüge Saldo Wanderungen zwischen Ost· und Westdeut!oCb)and Zuzüge Fonzüge Saldo Ausländeranteil an der Bevölkerung in vH 4) Anteil des Erwerbspersonenpolt'ntials an dt'r Bevölkerung iD vH

6.7 .$.4

23 0.6 0.3

0.9 0.3 0.6

10.1

13.4

14.4

50.0

50.1

50.3

O~,

7.4

45.1

8.0

I) Für 1980 unrevidiene Ergebnisse.- 2) In der Abgrenzung des 1AB.Wanderungen.- 4) Ohne EiDbdrgerungen.

3) Einscbließlich innerdeutsche

Quellen: Slatistisches Bundesamt; Institut für Arbeitsmant- und Berufsforschung; des DIW; 2000: SzenarieDmodell des DIW.

1992: Schätzungen

45

Im Stagnationsszenario dürfte die Gesamtbevölkerungszdhl im jahr 2000 nochmals um 1,5 Mill. Personen höher liegen als im Integrationsszenario. Der Anteil älterer Personen steigt auch hier auf 22,8 vH und der Ausländeranteil könnte sogar einen Wert von etwa 14,5 vH erreichen. Das heißt, daß unter den Annahmen des Stagnationsszenarios und ohne Berücksichtigung möglicher Einbürgerungen 10 Mill. Ausländer in Westdeutsch land leben würden, knapp 3,5 Mill. mehr als 1992.

Erwerbspersonenpotential Die erwartete Veränderung von Niveau und Struktur der Bevölkerung in Westdeutsch land hat Rückwirkungen auf viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereiche. Bedeutsam ist vor allem der Einfluß auf das Arbeitskräfteangebot. Die verstärkten Zuwanderungen nach Deutschland und die Umzüge von Ost- nach Westdeutsch land haben in den letzten jahren zu einer merklichen Erhöhung des Arbeitskräfteangebots in Westdeutsch land geführt. Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (lAB) ist das Erwerbspersonenpotential in Westdeutsch land von 30,9 Mill. im jahr 1989 auf 32,8 Mill. im jahr 1992 gestiegen (lAB 1992).

Das Erwerbspersonenpotential ist der umfassendste Begriff für das Arbeitskräfteangebot und enthält neben der Zahl der Erwerbstätigen und der registrierten Arbeitslosen auch die sogenannte stille Reserve. Als stille Reserve werden die Personen im erwerbsfähigen Alter bezeichnet, die gegenwärtig zwar nicht erwerbstätig und auch nicht arbeitslos gemeldet sind, aber bei einer günstigeren Arbeitsmarktlage einer Beschäftigung nachgehen würden. Die Steigerung des Erwerbspersonenpotentials in Westdeutsch land um 1,9 Mill. (von 1989 bis 1992) setzt sich aus einer Erhöhung der Zahl Erwerbstätiger um 1,8 Mill., einem Rückgang der Zahl der registrierten Arbeitslosen um 0,2 Mill. und eine Zunahme der stillen Reserve um 0,3 Mill. Personen zusammen. Die Zunahme der Beschäftigung ist teilweise auf die Zuwanderungen zurückzuführen.

Die zuziehenden Aussiedler sind zwar zunächst gut vom Arbeitsmarkt aufgenommen worden, dennoch sind mit der Zeit die Eingliederungsprobleme angesichts der Sprachschwierigkeiten, aber auch der konjunkturellen Entwicklung gestiegen.

Von den zuziehenden Ausländern sind die meisten im erwerbsfähigen Alter. Viele kommen nach Deutschland, um sich hier eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen (abgesehen von den Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen jugoslawien und den Personen, die in ihrer

46

Heimat politisch verfolgt werden). Das Erwerbspersonenpotential der Ausländer ist von 1989 bis 1992 um 0,7 Mill. auf 3,2 Mill. gestiegen. Zwar hat auch die Zahl ausländischer Erwerbstätiger zugenommen, aber deutlich weniger als das Erwerbspersonenpotential. Dies liegt u.a. daran, daß die Asylbewerber auf dem Arbeitsmarkt eine besondere Stellung einnehmen. Für Asylbewerber galt bis Mitte 1991 eine Wartezeitenregelung. Seit dem 1.7.91 können sie erwerbstätig werden, wenn der ihnen angebotene Arbeitsplatz nicht von einem Deutschen oder ihm gleichgestellten ausländischen Arbeitnehmer besetzt werden kann. Sie zählen damit zum Erwerbspersonenpotential, soweit sie an einer Arbeitsaufnahme interessiert sind. Damit erhöhte sich das Erwerbspersonenpotential der Ausländer im Jahresdurchschnitt 1991 um zusätzlich 110 000, wobei eine potentielle Erwerbsquote von 50 vH zugrunde gelegt wurde (lAB 1991).

Angesichts des restriktiven Zugangs zum Arbeitsmarkt dürfte die Zahl der tatsächlich erwerbstätigen Asylbewerber gering sein. 1991 wurde 83 500 Asylbewerbern eine Arbeitserlaubnis erteilt. Die übrigen erwerbswilligen Personen erhöhen zwar das Erwerbspersonenpotential, sie zählen aber zum großen Teil nicht zur Zahl der registrierten Arbeitslosen. Bis zum August 1992 zählten Asylbewerber zu den Arbeitslosen, wenn sie nach einer Beschäftigung in Deutschland arbeitslos wurden. Seit dem August 1992 gelten sie nur dann als arbeitslos, wenn sie auch Lohnersatzleistungen beziehen.

Die Vorausschätzung des Arbeitskräfteangebots basiert auf der künftigen Entwicklung der Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter (15 bis unter 65 Jahren) (Tabelle 3/3) und ihrem Erwerbsverhalten.

Grundlage der Vorausschätzung des Erwerbsverhaltens

bilden

die

Erwerbsquoten des Mikrozensus, die den Anteil der Erwerbspersonen an der Bevölkerung in den jeweiligen Altersgruppen ausweisen. Nach dem Mikrozensuskonzept gilt derjenige als Erwerbsperson, der sich selbst als Erwerbstätiger oder Erwerbsloser bezeichnet. Der Kreis der Erwerbslosen unterscheidet sich von der Zahl der registrierten Arbeitslosen um die Zahl derjenigen Personen, die, ohne beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet zu sein, nach eigenen Angaben Arbeit suchen, sowie um die Zahl der Personen, die zwar beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet sind, aber sich selbst nicht mehr als arbeitssuchend einstufen. Zumeist ist der Kreis der Erwerbslosen nach dem Mikrozensuskonzept größer als die Zahl der registrierten Arbeitslosen; Erwerbslose und Erwerbstätige zusammen umfassen aber weniger Personen als das vom lAB ausgewiesene Erwerbspersonenpotential. Denn mit der Selbsteinstufung der Erwerbslosigkeit wird lediglich ein Teil der zum Erwerbspersonenpotential gehörenden stillen Reserve, nämlich die "aktive" stille Reserve, erfaßt. Der "passiven" stillen Reserve werden die Personen zugerechnet, die wegen einer schlechten Arbeitsmarktlage keine Beschäftigungschancen sehen oder für die die außerfamiliäre Erwerbstätigkeit keine lohnende Alternative ist

47

Bevölkerungsentwicklung nach Altersgruppen in Westdeutschland

Tabelle 3/3

1991 Allengruppen 2000 von ... bis Integrationsszenario tl Stan:ionsszenariO unter.. Jahre Männer L FrauenlInsReS3mt Männer-r FrauenTIos2esamt Männer FrauenIIIl5~esamt 0-15 IS - 20 20-30 30-40 40-50 SO -60

60 -65 65 u.ä.

Insgesamt davon: 15 -65

11.29 3.51 7,62 11.97 9,73 8.43 4.60 11.13

5.97 1.85 4.08 6.37 5.14 4.36 2.29 4,37

5,60 1.74 3.85 5.94 4,82 4.22 2.36 6.87

11.57 3,59 7.93 12.31 9.96

6.47

3.49 9.87

31,28

33.20

64.48

33,60

34.67

68.27

34.42

35.40

69.83

22.72

21,84

44.56

23.46

22.40

45,85

24.09

22,93

47,02

5.~

4.1'7 4.49 1.68 3.40

4,90 1,63 5.26 4,76 3.9Q 4.38

inMiII. 5,47 1,70 3.70 5.79 4.72 4.15 2.33 6,80

5,82 1,81 3.92 6.17 5.00 4.28 2,27 4.32

5.16 1.72 5.62

l,Rl

10.06 3.35 10.88 9.80 8.16 8.88

Quellen: Statistisches Bundesamt: Szenarienmodell des DIW.

48

8.58

4.65 11.24

und die sich deshalb selbst nicht als arbeitssuchend betrachten, obwohl sie bei günstigeren Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt auch wieder erwerbstätig werden würden.

Der Mikrozensus vom April 1991 weist für Westdeutsch land eine Erwerbspersonenzahl von 31,4 Mill. und für Ostdeutschland von 8,7 Mill. aus; dies entspricht in Westdeutsch land gut 97 vH und in Ostdeutsch land über 99 vH des für den Jahresdurchschnitt ausgewiesenen Erwerbspersonenpotentials. Analog zur Vorgehensweise des lAB (Thon 1986) wird hier die Entwicklung des Erwerbspersonenpotentials aufbauend auf der Vorausberechnung der Mikrozensus-Erwerbsquoten und einer Schätzung der "Stillen-Reserve" ermittelt.

In bezug auf das Erwerbsverhalten wird davon ausgegangen, daß die Bildungsbeteiligung weiterhin leicht ansteigt und insbesondere die Erwerbsbeteiligung der Frauen mit Kindern sich in den mittleren Altersjahren erhöht (DIW 1993b). Das Erwerbsverhalten der Zuwanderer wird sich dem der bereits hier lebenden Deutschen und Ausländer rasch anpassen. Diese Vorausschätzung auf der Grundlage der Erwerbsquoten im Mikrozensus umfaßt zwar den weitaus größten Teil des Arbeitskräfteangebots, dennoch dürfte sich aufgrund des auch weiterhin unterstellten Zuzugs von Asylbewerbern die Differenz zum Erwerbspersonenpotential vergrößern.

Insgesamt ergibt sich aus diesen Vorausschätzungen im Integrationsszenario ein Anstieg des Erwerbspersonenpotentials auf 34,2 Mill. und im Stagnationsszenario auf 35,1 Mill. Der Anteil des Erwerbspersonenpotentials an der Bevölkerung nimmt in beiden Fällen zu. Im Stagnationsszenario liegt er mit 50,4 vH noch etwas über dem im ersten Szenario, da der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter durch die stärkeren Zuwanderungen von Ausländern höher ausfällt.

3.3

Ergebnisse für Ostdeutschland

Bevölkerungsentwicklung Die erwarteten Außenwanderungen der Bundesrepublik führen auch in Ostdeutschland zu einer Erhöhung der Zahl der Ausländer. Im Jahr 2000 dürften etwa zwischen 500 Tsd. (Integrationsszenario ) und 650 Tsd. (Stagnationsszenario ) Ausländer in Ostdeutsch land leben. 1992 waren es dagegen nur etwa 200 Tsd. Personen. Der Anteil der Ausländer wird jedoch in beiden Szenarien deutlich unter dem in Westdeutschland liegen: Im Integrationsszenario wird im Jahr 2000 mit einem Ausländeranteil von 3,4 vH in Ost- und 13,4 vH in Westdeutschland gerechnet (Tabelle 3/4). Im S~agnationsszenario ist das Verhältnis 4 vH zu 14,3 vH.

49

Tabelle 3/4

Entwicklung von Bevölkerung und Erwerbspersonenpotential in Ostdeutschland

Bevölkerung in Mill. Penonu

1989

1991

1992

16.4

15.8

IS.7

Altel'Slilruktur in vH 0-20 Jahre 20-60 Jabre 60 Jahre und älter Erwerbspenounpotential 1) in Mill. Personen

24.6

Anleil des Erwerbspersonenpolentials an der Bevölkerung in vII

szenano 15.0

56.7

19.3

20.4 56.2 23.4

8.8

805

8.0

7.9

0.1

0.0

0.6 0.2 0.4

0.8

nachrichtlich: Kumulierter Wanderungssaldo 2) in Mill. Personen 1993-2000 darunter: Anßenwanderungen Zuzüge Fortzüge Saldo Wanderungen zwischu Ost- und Westdeutschland Zuzüge FortzOge Saldo Auslinderanleil an der Bevölkerung in vH 3)

szenano I

56.2

19.2

9.6

24.2

2000 Integrat~ns-I Stagnatio~s-

0.2 0.6

0.3

0.9 -0.6

1.2

0.9

5S.s

55.6

3.4

54.6

52.8

'in vH We5ldeulscbllnd Auslinderanleil Anleil du Erwerbspersonenpotentials

16

10

16

111

109

30

lOS

lOS

1) In der Abgrenzung des IAß.- 2) Einschließlich iDDerdeutsche Wanderungen.- 3) Ohne EinbOrgerungen.

QueUen: Stalistisches Ami der DDR; Statistisches Bundesamt; Institnl' fOr ArtIeilllllarkl- und Berufsforschuni: 1992: Scbätzungen des DIW: 2000: Szenarienmodell des DIW.

50

Angesichts der erwarteten Abwanderungen aus Ostdeutsch land in die westlichen Bundesländer und der natürlichen Bevölkerungsentwicklung wird die Einwohnerzahl trotz der Zuwanderungen aus dem Ausland bis zum Jahr 2000 abnehmen. Im Integrationsszenario verringern sich aufgrund der relativ günstigen wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutsch land die Abwanderungen nach Westdeutsch land deutlich und die Wanderungen in umgekehrter Richtung nehmen zu. Insgesamt wird mit einer Einwohnerzahl im Jahr 2000 von 15,2 Mill. gerechnet. Etwas niedriger fällt die Bevölkerungszahl mit 14,9 Mill. im Stagnationsszenario aus. In diesem Szenario wird zwar angesichts der ungünstigeren wirtschaftlichen Entwicklung mit höheren Abwanderungen nach Westdeutsch land gerechnet, aber die erwarteten starken Zuzüge aus dem Ausland kompensieren dies teilweise. Die Abwanderung vornehmlich jüngerer Erwerbspersonen und die Änderung des Geburtenverhaltens führen zu einer deutlichen Verschiebung in der Bevölkerungsstruktur. Während 1991 noch fast jeder vierte Einwohner in Ostdeutschland jünger als 20 Jahre war, wird im Jahr 2000 nur noch rund jeder fünfte Einwohner zu dieser Altersgruppe gehören. Der Anteil wird damit unter das westdeutsche Niveau gefallen sein. Dementsprechend ist auch der Anteil älterer Personen im Jahr 2000 in beiden Szenarien höher als in den westlichen Bundesländern. Erwerbspersonenpotential

Auch für Ostdeutsch land hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Überlegungen zur Abgrenzung und zum Umfang des Erwerbspersonenpotentials vorgestellt (lAB 1992). Demnach ist in Ostdeutsch land - auch aufgrund der Abwanderungen - das Erwerbspersonenpotential von 9,8 Mill. im Jahr 1989 auf 8,7 Mill. im Jahr 1992 zurückgegangen. Während in Westdeutsch land die stille Reserve unter Berücksichtigung von Arbeitsmarktindikatoren geschätzt wird, gibt es für eine solche Schätzung in Ostdeutsch land noch wenig Anhaltspunkte (BA 1993). Das lAB setzt die stille Reserve in einer mit Westdeutsch land vergleichbaren Abgrenzung für 1992 mit jahresdurchschnittlich 20 000 an. Hinzuzurechnen sind aber auch die Vorruheständler und die Personen in VolIzeitmaßnahmen beruflicher Fortbildung und Umschulung, da ein Teil dieser Personen bei einer günstigen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in Ostdeutsch land wieder eine Arbeitsstelle suchen wird. Insgesamt hat sich die Zahl der "Sonstigen nichtbeschäftigten Erwerbspersonen" auf rund 1,3 Mill. im Jahresdurchschnitt 1992 erhöht 1 . Die Zahl der registrierten Arbeitslosen ist bis auf rund 1,2 Mill. gestiegen, die Zahl der Erwerbstätigen auf 6,2 Mill. zurückgegangen. Die Verringerung des

I Darunter 0,81 MilL Vorruheständler oder Bezieher von Altersübergangsgeld und 0,43 Mill. in VolIzeitmaßnahmen beruflicher Fortbildung und Umschulung.

51

Erwerbspersonenpotentials im Zeitraum 1989 bis 1992 ist fast genauso hoch wie die Umzüge aus Ostdeutsch land nach Westdeutsch land und die durchschnittliche Pendlerzah!. Mit dem Mikrozensus 1991 liegen erstmals vergleichbare Ergebnisse der Erwerbsbeteiligung für Ost- und Westdeutsch land vor. Danach zählten sich im Alter von 15 bis unter 65 Jahren in Ostdeutsch land 86 vH der deutschen Männer und 77 vH der deutschen Frauen zu den Erwerbspersonen. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen in Ostdeutschland erreicht also weiterhin ein hohes Niveau, das deutlich über demjenigen der Frauen in den westlichen Bundesländern liegt. Die Erwerbsbeteiligung der Männer war vor allem in den Altersgruppen 15 bis unter 25 und in den Gruppen 55 bis unter 65 Jahren deutlich höher als diejenige der deutschen Männer in Westdeutsch land. Für die Vorausschätzung wird im Prinzip von einer Angleichung an die Erwerbsbeteiligung in Westdeutsch land ausgegangen, wobei jedoch die Nachwirkung der Vorruhestands- bzw. Altersübergangsgeldregelung berücksichtigt wurde. Für die Erwerbsbeteiligung der Frauen wird hier angenommen, daß sich ein Teil der Frauen in den nächsten Jahren entmutigt vom Arbeitsmarkt zurückzieht und auch künftig die Mütter kleiner Kinder diese - zumindest eine Zeit lang - selber betreuen wollen. Die Erwerbsquoten werden in den mittleren Altersjahren erheblich sinken. Bis zum Jahr 2010 wird sich das Erwerbsverhalten der jungen Frauen nicht von demjenigen der Frauen in Westdeutsch land unterscheiden, und auch im Jahr 2000 lediglich geringfügig über demjenigen in Westdeutschland liegen. Im Integrationsszenario ergibt sich aus der Bevölkerungsentwicklung (Tabelle 3/5) und den genannten Annahmen zur Erwerbsbeteiligung ein Erwerbspersonenpotential von etwa 8 Mil!. Personen in Ostdeutschland. Im Stagnationsszenario ist das Arbeitskräftepotential im Jahr 2000 auf knapp 7,9 Mill. Personen zu schätzen. Bezogen auf die Bevölkerung stehen in beiden Szenarien in Ostdeutsch land damit relativ mehr Menschen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung als in Westdeutsch land. Der Anteil des Erwerbspersonenpotentials an der Bevölkerung liegt rund 2,5 vH-Punkte höher als in Westdeutschland. In beiden Varianten ergibt sich dabei trotz der Anpassungen im Erwerbsverhalten an das niedrigere Niveau in Westdeutsch land ein vergleichsweise geringer Rückgang des Erwerbspersonenpotentials zu 1992. Ein wesentlicher Grund für diesen geringen Rückgang liegt darin, daß bislang die vielfältigen Möglichkeiten des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Arbeitskräftepotential deutlich verringert haben, diese Regelungen aber nicht fortgeführt werden.

52

Bevölkerungsentwicklung nach Altersgruppen in Ostdeutschland

Tabelle 3/5

1991 AlteBgruppen 2000 von ... bis ~~~ionsszenariO mtegrationsszenario tl unter.. Jahre Minner I Frauen Ilnslesamt Minner I Frauen I Inslesamt Männer Frauen I Insgesamt

0.47 1.48

3,04 0,84 2.30 2A5 1.88 2.25 0.86 2,17

1.03 0.56 1.01 1,28 1.21 0,87 0.54 0,91

in Mill. 0,98 0,54 0,95 1.15 1.16 0.91 0.59 1.51

2,01 1.09 1.97 2.42 2.36 1.78 1,13 2.42

1.00 0,s5 1,00 1.25 1.18 0.86 0.54 0,91

0.95 0.53 0.93 1.11 1.14 0.91 0.59 1.50

1.95 1.08 1,93 2.37 2.32 1,76 1.13 2.41

7.56

8.23

15.79

7.40

7.78

15.18

7.28

7.66

14.93

5.31

5.27

10.58

5,46

5.30

10.76

5.37

5.21

10.58

0-15 15 - 20 20-30 30-40 40·50 50-60 60 - 65 65 u.ä.

1.56 0.44 1.18 1.25 0.94 1.11 0.39 0.69

1,48 0.41 1.12 1.20

Insgesamt davon: 15 -65

0.9~

1.15

Quellen: Statistisches Bundesamt. Szenarienmodell des DJW.

53

4.

Nachfrage, Produktion und Beschäftigung

4.1

Ausgangsbedingungen beim Produktionspotential

Neben dem Erwerbspersonenpotential werden die angebotsseitigen Bedingungen der mitteIund längerfristigen Entwicklungsperspektiven durch den vorhandenen Kapitalstock und seine Veränderung bestimmt. Im folgenden werden daher zunächst die Ausgangssituationen im Produktionspotential für Westdeutsch land und Ostdeutsch land beschrieben.

Westdeutsch land In Westdeutsch land würde gegenwärtig die Zunahme der Produktionskapazitäten eine friktionslose Steigerung der Produktion um mehr als 4 vH erlauben. Statt dessen geht die Produktion zurück. Kapazitäten bleiben zunehmend ungenutzt. Entscheidend haben die Investitionen in den letzten Jahren zu dieser starken Ausweitung der Kapazitäten beigetragen. Seit 1985 steigt die Investitionsquote des Unternehmensbereichs ohne Wohnungsvermietung in Westdeutsch land. Sie erreichte 1991 mit 19 vH den höchsten Wert seit dreißig Jahren und lag zudem weit höher als in vergleichbaren westeuropäischen Ländern. Im Zeitraum 1985 bis 1991 wurden die Bruttoanlageinvestitionen jahresdurchschnittlich um 7 vH ausgeweitet. Sie haben damit - verglichen mit dem Anlagenbestand - inzwischen ein derartig hohes Niveau erreicht, daß trotz des Rückgangs der Investitionstätigkeit seit 1992 das Bruttoanlagevermögen und das Produktionspotential in der Bundesrepublik weiterhin kräftig zunehmen werden. Auch 1993 ist das Investitionsvolumen mit 296 Mrd. DM immer noch mehr als doppelt so groß wie die Verschrottungen.

Trotz des auch für 1994 erwarteten Rückgangs der Investitionen muß daher mit einer weiterhin überdurchschnittlich starken Ausweitung der Produktionskapazitäten gerechnet werden. Bei rückläufiger Produktion

wird die Auslastung des Produktionspotentials

daher weiter

zurückgehen und mit 85 vH einen Tiefststand erreichen, wie er letztmalig 1982 beobachtet werden konnte.

Neben der Investitionstätigkeit im Unternehmensbereich ist für die Entwicklung des Produktionspotentials auch der Verlauf der Kapitalproduktivität entscheidend. Von 1970 bis zur Mitte der achtziger Jahre ist die potentielle Kapitalproduktivität in Westdeutsch land - in erster Linie bedingt durch die Substitution von Arbeit durch Kapital - mit einer durchschnittlichen Rate von 1,2 vH gesunken. Dieser Prozeß verlief nicht gleichförmig. In der ersten Hälfte der

54

achtziger Jahre verstärkte sich der Rückgang zunächst noch. Eine Verlangsamung des Rückgangs setzte 1986 ein. In den letzten Jahren stieg die Kapitalproduktivität sogar wieder.

Zu den Einflußfaktoren, die längerfristig eine Verlangsamung des Rückgangs der Kapitalproduktivität bewirken, gehören die Veränderungen in der Zusammensetzung der Investitionen (Görzig 1988). So hat der Anteil vergleichsweise kurzlebiger Investitionsgüter mit hoher Kapitalproduktivität tendenziell zugenommen, und teilweise sind durch die Abkopplung von Betriebs- und Arbeitszeiten die betrieblichen Nutzungszeiten ausgeweitet worden (DIW 1988). In den letzten Jahren haben aber auch Sondereinflüsse an Bedeutung gewonnen. Insbesondere im Gefolge der einigungsbedingten Nachfrageexpansion wurden vielfach Sonderschichten eingelegt mit der Folge, daß die Produktivität der Anlagen kurzfristig erhöht werden konnte.

Mit solch einmaligen, die Kapitalproduktivität steigernden Einflüssen ist künftig nicht zu rechnen. Im Hinblick auf das erreichte Niveau des Produktionspotentials ist vielmehr zu erwarten, daß die Unternehmen Kapital wieder stärker einsetzen, um kostensparende Produktionsprozesse einzuführen. Bei steigendem Kapitaleinsatz je Arbeitsplatz werden produktionssteigernde Einflüsse allerdings verstärkt durch den Substitutionseffekt kompensiert. Die Kapitalproduktivität dürfte daher tendenziell weiter sinken.

Ostdeutschland Mit der wirtschaftlichen Entwicklung nach der Wirtschafts- und Währungsunion ist eine Neubewertung des Anlagebestandes der ehemaligen DDR notwendig. Hierbei geht es nicht nur um die Berücksichtigung des Währungsschnittes, sondern auch die· Veränderung der Einsatzmöglichkeiten des Produktionspotentials. Nach wie vor schwierig abzuschätzen ist dabei der Umfang des einsetzbaren Kapitalbestandes. Aufgrund erster vorläufiger Umbewertungen der DDR-Grundmittelbestände läßt sich nach Aussonderung der nicht mehr verwendungsfähigen Teile ein Anlagenvolumen von rund 500 Mrd. DM zu Beginn des Jahres 1991 ermitteln (DIW 1992). Hierbei handelt es sich um jene Anlagenteile aus DDR-Zeiten, die zu diesem Zeitpunkt unter Wettbewerbsbedingungen rentabel einsetzbar waren. Dieser Bestand von Anlagen zu Beginn der Vereinigung ist allerdings in seiner Struktur nicht mit dem westdeutschen Anlagevermögen vergleichbar. Rentabel einsetzbar waren diese Anlagen zum Teil nur wegen der anfangs noch geringen Lohnkosten (Görzig 1992b). Dadurch war es trotz geringerer Arbeitsproduktivität in Teilbereichen möglich, im internationalen Preiswettbewerb zu bestehen und die mangelnde Qualität der Produkte durch niedrigere Preise auszugleichen. Mit dem kräftigen Anstieg der Löhne wurden weitere Teile des Anlagenbestandes unrentabel, da die

55

Produkte zu kostendeckenden Preisen nicht absetzbar waren. Es kam zu zusätzlichen Verschrottungen, die den Bestand weiter minderten. Zum Jahresanfang 1994 dürften aus dem ursprünglichen, zu DDR-Zeiten investierten Anlagenbestand gerade noch Anlagen im Wert von 300 Mrd. DM nutzbar sein. Auch diese Anlagen werden nur etwa zur Hälfte ausgenutzt. Wie die Erfahrungen aus Westdeutschland zeigen, werden Anlagen auch durch eine längere Phase der Unterbrechung entwertet, so daß mit einem weiteren kräftigen Abbau noch vorhandener Betriebsanlagen zu rechnen ist.

Vom Anlagenabbau war bisher in besonderem Maße das Ausrüstungsvermögen

im

verarbeitenden Gewerbe betroffen. Dies führte dazu, daß hier rein rechnerisch der Bauanteil des Anlagevermögens in Ostdeutsch land gegenwärtig sehr viel höher ist als in Westdeutschland. Da Bauten für sich genommen jedoch nicht ohne weiteres für Produktionszwecke einsetzbar sind, können sie auch nicht zum Produktionspotential gezählt werden. Sofern sie jedoch künftig wieder genutzt werden und mit modernen, rentabel arbeitenden Maschinen bestückt werden, ermöglichen sie eine schnelle Steigerung der Produktionskapazitäten. Dies gilt in besonderem Maß für das verarbeitende Gewerbe (Görzig 1992).

In den Wirtschaftszweigen außerhalb des verarbeitenden Gewerbes ist zum Teil der Einfluß des Wettbewerbs auf die Verwertbarkeit der Anlagen geringer. Soweit es sich um langlebige Bauten handelt, ist auch der Lohnkostenfaktor für die Rentabilität von geringerer Bedeutung. Im Verkehr, im Handel und bei den Dienstleistungen dürften, anders als im verarbeitenden Gewerbe, die vorhandenen Anlagen zum Teil sogar bis an ihre Kapazitätsgrenze ausgelastet sein. Es ist daher davon auszugehen, daß der Umfang der Sonderabgänge hier geringer ausgefallen ist. Eher ins Gewicht fallen dürften die Stillegungen in der Energiewirtschaft, beim Bergbau und in der Landwirtschaft. Der kräftige Investitionsanstieg in Ostdeutschland konnte diesen Kapazitätsabbau bisher lediglich kompensieren. Zu einer nennenswerten Ausweitung des Anlagevermögens ist es nicht gekommen.

Für die Ermittlung des Produktionspotentials in Ostdeutsch land spielt neben dem Kapitalbestand auch die Höhe der potentiellen Kapitalproduktivität eine entscheidende Rolle. Als potentielle Kapitalproduktivität wird dabei jene Relation zwischen Wertschöpfung und Kapitalbestand verstanden, die sich bei voller Auslastung aller rentabel einsetzbaren Anlagen ergibt. Bei der Einschätzung der potentiellen Kapitalproduktivität für Ostdeutsch land spielt daher die Frage der Einsatzfähigkeit der ehemals in Ostdeutschland installierten Anlagen eine erhebliche Rolle. Geht man davon aus, daß zum Kapitalbestand Ostdeutschlands nur diejenigen Anlagen zu rechnen sind, die über eine in Westdeutsch land vergleichbare 56

Rentabilität verfügen, dann haben diese Anlagen, beispielsweise im vereinfachten Modell einer Cobb-Douglas Produktionsfunktion, in dem die Profitquote unter Wettbewerbsbedingungen gleich der Produktionselastizität des Kapitalstocks ist, bei gleichen Absatzpreisen die gleiche potentielle Kapitalproduktivität wie entsprechende Anlagen Westdeutsch lands.

Angesichts des anfangs sehr viel niedrigeren Preisniveaus der Produktion dürfte die potentielle Kapitalproduktivität für Anlagen gleicher Rentabilität zunächst sogar über derjenigen Westdeutsch lands gelegen haben. Die durch die Relation Wertschöpfung zu Bruttoanlagevermögen gemessene effektive Kapitalproduktivität liegt dennoch unter der in Westdeutsch land, da die Auslastung des ostdeutschen Produktionspotentials sehr viel geringer ist.

Zwischen der Höhe der Potentialgrößen Kapitalproduktivität, Kapitaleinsatz je Arbeitsplatz und Arbeitsplatzproduktivität gibt es einen engen Zusammenhang, der von zwei Faktoren beeinflußt wird: dem Ausmaß, in dem Arbeitsplätze durch Kapital ersetzt werden, welches sich in der Kapitalintensität niederschlägt, und -

dem allgemeinen Effizienzniveau des Produktionsprozesses, gemesssen durch die totale Faktorproduktivität.

In Ostdeutsch land war infolge der allgemeinen Kapitalknappheit und des eher großzügigen Umgangs mit der Arbeitskraft die Kapitalintensivierung weit weniger vorangeschritten als im Westen. Der Kapitaleinsatz je Arbeitsplatz dürfte hier 1991 mit 60 000 DM etwa 30 vH des Wertes im Westen betragen haben. Dabei ist bereits berücksichtigt, daß Anlagen, die mit einer so geringen Kapitalintensität ausgestattet waren, daß sie angesichts der kräftig gestiegenen Lohnkosten nicht mehr rentabel eingesetzt werden konnten, bereits aus dem Anlagevermögen ausgesondert wurden. Für sich genommen bedingt eine geringe Kapitalintensität zugleich eine hohe Kapitalproduktivität. Auch aus dieser Sicht ist somit die vergleichsweise höhere potentielle Kapitalproduktivität für die in Ostdeutsch land noch nutzbaren Anlagen wahrscheinlich. Dieser Einfluß des nur wenig vorangeschrittenen Austauschprozesses von Arbeit durch Kapital auf die Höhe der Kapitalproduktivität wird allerdings gemindert durch das allgemein niedrigere Effizienzniveau in Ostdeutsch land, das gemeinhin mit der totalen Faktorproduktivität gemessen wird. Diese dürfte in Ostdeutsch land um etwa 35 vH unter den entsprechenden westdeutschen Werten gelegen haben.

57

4.2

Entwicklungstrends in Westdeutschland

Die neuen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verändern die mittelfristigen Entwicklungsperspektiven der westdeutschen Wirtschaft, wenn auch bei weitem nicht in dem Ausmaß wie in Ostdeutsch land. Im Zusammenhang mit der Vereinigung Deutschlands ist es aber auch schon in jüngster Zeit zu Sonderentwicklungen in Westdeutsch land gekommen. Insbesondere die konjunkturelle Situation blieb noch bis ins Jahr 1992 günstig, während in vielen anderen westlichen Industrieländern das Wachstumstempo schon stark rückläufig war. Spätestens seit Beginn dieses Jahres sind die rezessiven Tendenzen aber auch in der westdeutschen Wirtschaft deutlich zu spüren.

Welthandel und Wettbewerbsposition Mit seiner stark außenhandelsorientierten Wirtschaft hängt die Entwicklung in Westdeutsch land auch künftig in hohem Maße von den Veränderungen des Welthandels ab. Vor allem Ende der achtziger Jahre konnte die Bundesrepublik erhebliche Außenhandelsüberschüsse erzielen. Im Zuge der Vereinigung Deutschlands verschlechterte sich zwar gegenüber dem Ausland die Handelsbilanz bedingt auch durch die Zunahme von Importen, die unmittelbar nach Ostdeutschland weitergeleitet werden. Gleichzeitig konnte die westdeutsche Wirtschaft ihre Ausfuhren durch Lieferungen nach Ostdeutsch land insgesamt stark ausweiten, so daß der reale Außenhandelsüberschuß in Preisen von 1991 im Jahr 1992 mit knapp 180 Mrd. sogar um 40 Mrd. höher lag als 1986 (DIW 1993c).

Nicht zuletzt deshalb wurde noch Anfang der neunziger Jahre die Wettbewerbsstellung der westdeutschen

Wirtschaft innerhalb Westeuropas als besonders günstig eingeschätzt.

Entsprechend wurde auch für die positiven Wachstumseffekte des EG-Binnenmarktes angenommen, daß Westdeutsch land davon besonders profitiert. In jüngster Zeit allerdings werden zunehmend Zweifel an der Vorteilhaftigkeit des Produktionsstandortes Deutschland geäußert (Siebert 1993). Angeführt werden hierbei höhere staatliche Abgaben, stärkere Umweltschutzauflagen und engere Regulierungen in wichtigen Forschungsfeldern wie z.B. der Gentechnologie. Vor allem aber wird auf eine Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der westdeutschen Wirtschaft zu wichtigen westeuropäischen Konkurrenzländern im Zuge eines vor allem wechselkursbedingt stärkeren Anstiegs der Lohnstückkosten hingewiesen.

Die Standortqualität und damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit Westdeutsch lands läßt sich aber nicht allein an Einzelindikatoren wie Lohn-, Steuer- und Abgabesätzen festmachen.

58

Entscheidend ist letztlich die Effizienz des Gesamtsystems im Preis- und Qualitätswettbewerb. Angesichts einer der bestentwickelten Infrastrukturen und eines breit gefächerten, hohen Qualifikationsniveaus der Beschäftigen ist eine gravierende und dauerhafte Verschlechterung der Wettbewerbsposition Westdeutsch lands innerhalb Westeuropas nicht in Sicht (DIW 1992). Hinzu kommt, daß auch die Entwicklung der Lohnstückkosten, wenn man sie um temporäre Wechselkursschwankungen bereinigt, nicht auf eine deutliche Abnahme der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik hinweist.

Entsprechend muß auch der zu erwartende zusätzliche Konkurrenzdruck, der durch die Öffnung Mittel- und Osteuropas und durch den technologisch-organisatorischen Wandel entsteht, nicht nur als Gefahr für die heimische Produktion angesehen werden. Hier wird es durchaus Bereiche geben, in denen westdeutsche Produzenten unter erheblichen Anpassungsdruck geraten werden, aber auch solche, in denen sich neue Entwicklungsperspektiven auftun. In diesem Zusammenhang kann die räumliche Nähe zu den Staaten Mittel- und Osteuropas beispielsweise als Chance verstanden werden, durch die Nutzung des Bezugsmarktes Osteuropa die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu verbessern.

Die außenwirtschaftlichen Herausforderungen der neunziger Jahre dürften damit insgesamt eher auf die Notwendigkeit struktureller Anpassungsprozesse auch der westdeutschen Wirtschaft hinweisen, als Ausdruck einer generellen Wettbewerbsschwäche der deutschen Wirtschaft zu sein. Es ist zu erwarten, daß bei einer Belebung der Weltkonjunktur und insbesondere der Absatzbedingungen in Westeuropa deutlich positive Impulse auf die Wirtschaftsentwicklung gerade in Westdeutsch land ausgehen.

Auf mittlere Frist ist vor allem unter den Bedingungen des Integrationsszenarios mit einer starken Ausweitung des Außenhandelsvolumens zu rechnen. Orientierungshilfe für die Einschätzung der Quantitäten geben vorliegende Prognosen zur Entwicklung der Wirtschaft in der EG und des Welthandels. So wird angenommen, daß bis 1997 die westeuropäischen Länder wieder einen deutlich höheren Wachstumspfad erreichen, der im Durchschnitt zu Wachstumsraten des Sozialprodukts von jährlich über 2,5 vH gegenüber 1992 führt (Ifo 1993a). Für den Welthandel werden sogar Zuwächse von über 5 vH zwischen 1991 und 2000 erwartet (Prognos 1993). Auf dieser Basis könnte für Westdeutsch land mit jahresdurchschnittlichen Zuwächsen der Exporte von rund 4 vH gerechnet werden. Dies entspricht nicht ganz den realen Exportzuwächsen der Bundesrepublik in den achtziger Jahren. Gleichzeitig ist aber im Zuge der weiteren Liberalisierung auch ein kräftiger Anstieg der Importe wahrscheinlich, der sogar höher liegen dürfte als bei den Exporten. Ostdeutschland wird dabei als Abnehmer und 59

verstärkt auch als lieferant von Waren und Dienstleistungen eine wichtige Rolle spielen. Der reale Außenbeitrag dürfte sich gegenüber 1994 wieder erhöhen und etwa das Niveau von 1992 erreichen.

Im Stagnationsszenario ist die expansive Dynamik der Exporte Westdeutsch lands spürbar geringer. Aufgrund der schwächeren Nachfrageentwicklung im Inland und der angenommenen stärkeren Importbeschränkungen der EG dürfte aber auch der Zuwachs bei den Importen niedriger sein als im ersten Szenario. Hierzu dürfte auch beitragen, daß im zweiten Szenario sich die Exportfähigkeit Ostdeutsch lands nur vergleichsweise langsam verbessert.

Staatliche Aktivitäten Die veränderten Bedingungen im Zusammenhang mit der Vereinigung Deutschlands haben sich bereits heute in besonderer Weise bei den staatlichen Aktivitäten niedergeschlagen. Auch künftig stehen dem steigenden Bedarf nach staatlichen Dienstleistungen und Investitionen in Westdeutschland erhebliche finanzielle Belastungen durch Umschichtungen von Finanzmitteln nach Ostdeutsch land entgegen. Die Spiel räume für eine Ausweitung der staatlichen Aktivitäten in Westdeutsch land sind daher mittelfristig sehr begrenzt und auch in hohem Maße abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutsch land.

Im Integrationsszenario wird aufgrund der günstigeren Einkommens- und Beschäftigungssituation Ostdeutsch lands Schritt für Schritt ein größerer Anteil der öffentlichen Ausgaben auch von den dortigen Gebietskörperschaften finanziert werden können. In Westdeutschland dürften die damit eröffneten Finanzierungsspielräume für eine moderate reale Ausweitung des Staatsverbrauchs genutzt werden. Die jahresdurchschnittlichen Zuwachsraten zwischen 1992 und 2000 entsprechen mit 1 vH etwa denen im Durchschnitt der achtziger Jahre, doch dürften sie eher eine Obergrenze sein. Zum anderen dürften die Spielräume für eine deutliche Erhöhung der Staatsinvestitionen verwendet werden, die sich im gesamten Verlauf der achtziger Jahre auf einem niedrigen Niveau befanden. Gleichzeitig könnte die steuer- und Abgabenbelastung von Unternehmen und Haushalten gegenüber dem erwarteten Niveau 1994 und 1995 mittelfristig wieder zurückgeführt werden.

Die angenommene ungünstigere Wirtschaftsentwicklung Ostdeutsch lands im Stagnationsszenario läßt unter den gegebenen Bedingungen erwarten, daß mittelfristig die _Transferzahlungen Westdeutsch lands auf hohem Niveau verharren. In Westdeutsch land werden daher vermutlich alle Anstrengungen unternommen, das Wachstum des Staatsverbrauchs und 60

der Staatsinvestition zu begrenzen. Auf der Einnahmenseite dürften Spielräume für eine Rückführung der vorgenommenen und angekündigten Steuer- und Abgabenerhöhungen kaum vorhanden sein.

Bevölkerung, Einkommen und privater Verbrauch Von der inländischen Nachfrage hat der private Verbrauch das größte Gewicht. Wesentliche Bestimmungsgrößen des privaten Verbrauchs sind die Zahl der Konsumenten und das verfügbare Einkommen der Haushalte. Im ersten Szenario zeichnet sich aufgrund der hohen außenwirtschaftlichen Impulse und den stärkeren Aktivitäten des Staates eine mittelfristig wieder günstige Beschäftigungsentwicklung in Westdeutsch land ab. Gleichzeitig bestehen Produktivitätsspielräume, die eine günstige Entwicklung der Einkommen zulassen. Obwohl die Sparneigung weiterhin hoch bleiben wird, ist daher mit einer kräftigen Ausweitung des realen privaten Verbrauchs zu rechnen. Die Zuwächse werden mit rund 2 vH aber deutlich unter denen Anfang der neunziger Jahre bleiben.

Im Stagnationsszenario ist mit der tendenziell geringeren wirtschaftlichen Dynamik in Westdeutschland und den größeren Einkommensbelastungen durch staatliche Ausgabekürzungen und höhere Abgaben von einer ungünstigeren Entwicklung der verfügbaren Einkommen auszugehen. Der private Verbrauch dürfte daher deutlich langsamer zunehmen als im ersten Szenario. Kompensationseffekte, die sich aus der stärkeren Bevölkerungszunahme durch osteuropäische Zuwanderungen ergeben, dürften dagegen gering bleiben. Ein Großteil der Einwandernden wird bei den wirtschaftlichen Bedingungen im Stagnationsszenario nur schwer den Zugang in stabile Beschäftigungsverhältnisse finden. Dies wird entsprechende Auswirkungen auf die Beanspruchung des Transfersystems und die Einkommensposition dieser Bevölkerungsgruppe haben.

Erholungsprozesse bei der Investitionstätigkeit Die gegenwärtigen konjunkturellen Probleme sind zu einem wesentlichen Teil auch auf den massiven Einbruch der Investitionstätigkeit bei den Produktionsunternehmen zurückzuführen. Das hohe Investitionsniveau in den Jahren 1989 bis 1992 hatte zu einem Zuwachs des Produktionspotentials geführt, der weit über die folgende Ausweitung der Nachfrage hinausging. Ein deutlicher Wiederanstieg der Investitionen im Unternehmensbereich ohne Wohnungsbau gegenüber 1994 ist daher nur zu erwarten, wenn sich auch die Absatzbedingungen sehr günstig entwickeln. Unter den Bedingungen des Integrationsszenarios 61

zeichnen sich mit der Entwicklung von Exporten und privatem Verbrauch solche Verbesserungen ab. Im Jahr 2000 dürften die Investitionen dieses Bereichs mit real knapp 390 Mrd. DM sogar um etwa 40 Mrd. höher liegen als das bisherige historische Hoch im Jahr 1991. Im Stagnationsszenario wird es gegenüber dem für 1994 erwarteten Wert zwar ebenfalls einen Wiederanstieg der Investitionstätigkeit geben. Das Investitionsniveau dürfte real aber im Jahr 2000 etwa nur den Wert von 1992 erreichen. Die Investitionsquote würde mit rund 21 vH im Unternehmensbereich ohne Wohnungsvermietung allerdings weiterhin im internationalen Vergleich hoch sein.

Die Wohnungsbauinvestitionen hatten sich in den achtziger Jahren ungünstig entwickelt. 1990 lagen sie nur wenig über dem Ausgangswert 1980. In den letzten Jahren ist hier jedoch eine deutliche Ausweitung zu verzeichnen. Allein bis 1994 wird gegenüber 1992 ein Zuwachs von etwas über 4,5 vH erwartet. Angesichts steigender Bevölkerungszahlen dürfte mittelfristig in beiden Szenarien mit einer erheblichen Investitionsaufstockung zu rechnen sein. Die begrenzten finanziellen Möglichkeiten für wohnungspolitische Maßnahmen und finanzielle Belastungsgrenzen bei einer Reihe von Haushalten lassen aber erwarten, daß sie im Stagnationsszenario wesentlich geringer ausfallen als im Integrationsszenario. Die Probleme am Wohnungsmarkt dürften entsprechend noch an Schärfe gewinnen.

Sozialprodukt, Produktivität und Beschäftigung In Tabelle 4/1 sind die hier erkennbaren Entwicklungspfade der einzelnen Nachfragebereiche zusammengestellt worden. Die Ergebnisse zeigen, daß insgesamt die wirtschaftliche Dynamik in Westdeutsch land mittelfristig wieder ein höheres Niveau erreichen wird. Im Integrationsszenario kann, ausgelöst durch außenwirtschaftliche und staatliche Impulse und getragen vom privaten Konsum, mit jahresdurchschnittlichen Wachstumsraten des realen Bruttosozialprodukts von knapp 2 vH gegenüber 1992 gerechnet werden: Ein - angesichts des konjunkturell hohen Ausgangswertes 1992 - steiler Wachstumspfad, der nur erreicht werden wird, wenn es gelingt, die gegenwärtige Wachstumsschwäche schnell zu überwinden.

Die Zahl der Erwerbstätigen steigt ebenfalls wieder an und dürfte mit knapp 30,5 Mill. Personen auch deutlich über der Beschäftigtenzahl von 1992 liegen. Hier wird mit einem Zuwachs um 1 Mill. Personen gerechnet. Bei einer weiterhin deutlichen Zunahme der Kapitalintensität nimmt die Produktivität, bezogen auf die Zahl der Erwerbstätigen, gleichzeitig um etwa 1,5 vH jährlich zu. Der Produktivitätszuwachs liegt damit in einer Größenordnung wie in den achtziger Jahren.

62

Tabelle 4/1

Entwicklung von Nachfrage und Produktion in Westdeutschland 2000

1980

1986

1992

1994

Integrati~nsj StagnAtio~sszenano

szenano

in MrdDM 1)

1138.0 410.0 448,0

12D1,O 445,0

1452,1 481,3

1436

1700

1589

479

530

514

430,0

571.4

532

615

56,0

62,6 162,2 346,6

220

204

296

388

342

Lagerveränderungen

21,0

125,0 249,0 4,0

59 177

Unternehmen 2)

69.0 144,0 235,0

684 76

-1,8

-5

15

15

Privater Verbrauch Staalsverbrauch Anlaeeinvestilionen Staat WohnllllgsbaU

Inländische Nachfrage

2017.0

2503,0

2442

2928

2733

1054.1

1012

1462

1320

2761

3557

3454

4390

4e53

552,0

876.5

850

1271

1138

2209.0

2680,6

2604

3119

2915

129.0

177.6

162

191

182

Export

526,0

2080.0 681,0

Gesamtnachfrage

2543 490,0 2053.0

36,0

Importe Bruttosozialprodukt

68

Nachrichtlich: Außenbeitrag

Jahreldurchschnittliche Veränderung in vH zu 1992

ZurV~riode

Privater Verlmlwch

0,9

3.2

~,6

Staal.5vcrbrauch

1.4

1.3

~,2

~.7

4,9 1,9

-3,5 -2,9 4,5

1,0

4.4 5,7

Anlageinvestitionen Staat

-3,4

Wohnungsbau

-2,3

Unternehmen 2)

2,0

1,1

1.2 2,3

0.8 0,9 1.0 2,9

-7,6

2.5 3,9 1,4

~,2

Inländische Nachfrage

0,5

3.1

-1,2

2,0

1,1

Export

4,4

7.6

-2,0

4,2

2,9

Gesamtnachfrage

1.4 2.0

4.3 8.0

-1,5 -1,5

2,7

Importe

4,8

1.6 3,3

Brutt05Ozialprodu1.1

1,2

3,3

-1,4

1,9

1,1

1) In westdeutschen Preisen von 1991.- 2) Ohne Wohnuogsvermietuog. Quellen: Volks\\irtschaftliche Gesamtrechnung:

1994: DIW (1993 d): 2000: Szenarienmodell des DIW.

63

Im Stagnationsszenario sind die binnenwirtschaftlichen Impulse deutlich geringer. Damit fällt der Erholungsprozeß im Vergleich zur erwarteten Entwicklung 1994 deutlich bescheidener aus. Die Wachstumsanstöße dürften dennoch ausreichen, auch hier einen jahresdurchschnittlichen Zuwachs des Bruttosozialprodukts bis zum Jahr 2000 von etwas mehr als 1 vH gegenüber 1992 zu erreichen.

Obwohl auch im Stagnationsszenario die Kapitalintensität steigt, wird der durchschnittliche Produktivitätsanstieg geringer ausfallen. Dies ist vor allem Ausdruck einer strukturellen Veränderung der Erwerbstätigkeit. Mit den hohen Zuwanderungen und dem damit verbundenen Druck auf den Arbeitsmarkt dürften geringfügige und instabile Beschäftigungsverhältnisse an Bedeutung zunehmen. Die Zahl der Erwerbstätigen könnte daher auch im Stagnationsszenario mit fast 29,S Mill. Personen etwa wieder den konjunkturell günstigen Wert von 1992 erreichen.

Diese vergleichsweise günstige Beschäftigungsentwicklung wird allerdings von der starken Zunahme des Arbeitskräftepotentials überlagert (vgl. Tabelle 412). Zudem ist in Westdeutschland weiterhin mit einer hohen Zahl von Einpendlern aus Ostdeutsch land und den östlichen Nachbarländern zu rechnen. Im Integrationsszenario ergibt sich für das Jahr 2000 aus der Gegenüberstellung von Arbeitskräftepotential und Gesamtbeschäftigung ein Arbeitskräfteüberschuß von 4 Mill. Personen. Im Stagnationsszenario dürfte diese Zahl sogar 6 Mill. erreichen. Schätzungsweise jeweils etwa die Hälfte der Personen dürften nach der derzeitigen Regelung zu den registrierten Arbeitslosen gezählt werden. Die Arbeitslosenquote läge mit fast 6,5 vH im ersten leicht und mit über 9 vH im zweiten Szenario deutlich höher als im Ausgangsjahr 1992, in dem diese Quote 5,8 vH erreichte.

4.3

Entwicklungstrends in Ostdeutschland

Mit der Öffnung der ostdeutschen Wirtschaft nach Westen sind die wirtschaftlichen Schwächen der ehemaligen DDR offengelegt worden. In den Jahren 1990 und 1991 kam es jeweils zu extremen Produktionsrückgängen in Ostdeutschland. 1992 und voraussichtlich auch 1993 allerdings ist die ostdeutsche Wirtschaftsleistung ausgehend von dem niedrigen Niveau wieder kräftig angestiegen. Besonders dynamisch entwickelte sich die Investitionstätigkeit.

64

Tabelle 4/2

Produktionsentwicklung und Arbeitsmarkt in Westdeutschland 2000 1980

1994

1992

1989

Integrations- Stagnationsszenario

szenario

2060

2384

'2IJ76

260S

3115

2911

Produktivität in 1000 DM 1) 2)

TI

86

91

91

102

99

Erwerbilätige in 1000 Prnonen

26856

27658

29450

28540

30550

29450

-104

-92

346

377

340

360

30072

3O'J3S

32799

33215

34181

35106

3112

3185

3658

5049

3971

6016

2228

2038

1808

2604

1998

2951

884

1147

1850

2445

1973

3865

7.6

6.8

5,8

8,5

6,2

9,2

BruuoinJandsprodukt in Mn! DM 1)

PendlerYldo in 1000 Personen Erwerbspersonenpotential in 1000 Personen

Angc:botsiiberschuB in 1000 Personen Registrierte Arbeitslose Stille ReKrve IUl('brichllkh: Arbeilslosenquote in vH

JahresdurchSC'hniulkhe Veranderung zu 1992

zur Vorperiode Brut toinlandsprodukt

1.6

3,9

-1.3

1,9

1,1

Produktivität 2)

1.3

1.8

0,2

1.5

1,1

Erwerbslätige

0,3

2,1

-1.6

0.5

0.0

1) In westdeutschen Preisen von 1991.- 2) Bruuoinlandsprodukt je Erwerbstätigen. Quellen: Volkswirtschaftliche Gesamtnchnung: Erv.rerbspersonenpotentialrechnung da lAD; DIW;

1994: Schätzungen des

2000: Szenarienmodell des DIW.

65

Investitionen und Kapitalstock im Unternehmensbereich Auch für die mittel- bis längerfristigen Perspektiven der ostdeutschen Wirtschaft ist die Investitionstätigkeit von ..zentraler Bedeutung. Unter der neuen Kosten- und Marktsituation sind große Teile des ostdeutschen Produktionsapparates nicht mehr effizient einsetzbar. Ein Anschluß an das wirtschaftliche Niveau in Westdeutsch land kann daher nur bei einer umfassenden Erneuerung und Modernisierung des Kapitalstocks gelingen. Eine zentrale Rolle für den Umstrukturierungsprozeß in Ostdeutsch land spielen dabei westliche Direktinvestitionen.

In den Jahren 1991 und 1992 - sowie voraussichtlich auch 1993 und 1994 - haben die Direktinvestitionen bereits einen erheblichen Umfang erreicht. Für 1992 belaufen sich die Investitionsausgaben westlicher Unternehmen ohne Wohnungsvermietung in Ostdeutsch land auf schätzungsweise knapp 45 Mrd. DM. Etwa 30 vH davon entfallen auf die Bundesunternehmen Bahn und Post (lfo 1993b).

Offen ist jedoch, ob dies ein einmaliger Investitionsschub oder der Beginn eines umfangreichen dauerhaften Engagements westlicher Unternehmen in Ostdeutschland ist, und in welchem Ausmaß damit neue Produktionskapazitäten erstellt und neue wettbewerbsfähige Arbeitsplätze geschaffen werden. Es geht also zunächst um die Frage, wie der Produktionsstandort Ostdeutschland auf mittlere bis längere Frist vor allem im Vergleich zu alternativen Engagements in Westdeutsch land eingeschätzt wird (Krakowski/Lau/Lux 1992; Gornig 1992b). Als Standortvorteile Ostdeutsch lands werden in diesem Bezug gegenwärtig vor allem folgende Punkte genannt: -

Hohe Verfügbarkeit fachlich qualifizierten Personals;

-

Starke Möglichkeit der Selektion bei der Personalauswahl auch nach sozialen Qualifikationen;

-

Leichtere Durchsetzbarkeit neuer Organisations- und Arbeitsformen;

-

Großes und vielfältiges Gewerbeflächenpotential;

-

Nutzung alter Kommunikations- und Absatzverbindungen nach Osteuropa und Rußland;

-

Staatliche Subventionierung der Investitionen und spezifische Absatzförderungen;

-

Günstigere Voraussetzungen zur Partizipation an öffentlichen Großaufträgen;

-

Nutzung von Transportkostenvorteilen bei der Befriedigung der Binnennachfrage;

-

Immer noch geringeres Effektivlohnniveau trotz massiver Tariflohnsteigerungen.

66

Als Standortnachteile bzw. Investitionshemmnisse für ein Engagement in Ostdeutschland werden dagegen häufig aufgeführt:

-

Fehlende oder schlechte Telekommunikationsverbindungen;

-

Qualitativ rückständige Verkehrsinfrastrukur;

-

Finanzielle und ökologische Altlasten der Treuhandbetriebe;

-

Mangelhafte Wohn- und Umweltsituation, die die Anwerbung westlicher Führungskräfte erschwert;

-

Fehlendes innovatives Umfeld bzw. mangelnde Forschungsinfrastruktur.

-

Engpässe bei der institutionellen Infrastruktur und ungeklärte Eigentumsverhältnisse, die die Investitionsprozesse erschweren.

So nützlich und wichtig eine solche Gegenüberstellung für das Verständnis des gegenwärtigen Niveaus und der Struktur westlicher Direktinvestitionen ist, besitzt sie doch nur beschränkte Aussagekraft für die mittelfristigen Investitionspfade. In der Umbruchsituation der ehemaligen DDR ist ein statischer Standortvergleich nicht sehr aussagekräftig; vielmehr unterliegen die genannten Standortvor- und nachteile ständiger Veränderung und sind in gewisser Weise selbst vom Investitionsprozeß abhängig.

So ist z.B. bei einem hohen Investitionspfad westlicher Unternehmen aufgrund der - mit der günstigen wirtschaftlichen Situation zunehmenden - Finanzierungsspielräume der öffentlichen Hand damit zu rechnen, daß Infrastruktur-, Umweltschutz- und Wohnumfeldmaßnahmen eher realisiert werden. Mit dem Abbau dieser und anderer Investitionshemmnisse könnte daher ein dynamisch sich selbst verstärkender Investitionsprozeß einsetzen. Umgekehrt dürften sich bei einer geringen Investitionsneigung in vielen Bereichen die Standortbedingungen weiter verschlechtern. Ohne umfangreiche Investitionen wird sich insbesondere das Angebot an attraktiven Beschäftigungsmöglichkeiten kaum verbessern, und gerade Menschen mit hohen fachlichen und sozialen Qualifikationen würden weiterhin abwandern. Ostdeutsch land würde damit hinsichtlich seines vermutlich wichtigsten Standortvorteils geschwächt.

Diese Überlegungen verdeutlichen, daß der mögliche Investitionspfad in Ostdeutschland auch aus heutiger Sicht schwer eingeschätzt werden kann. Außerdem werden mögliche Standortvorteile künftig nur dann zu Kapitalzuflüssen führen, wenn überhaupt neue bzw. zusätzliche Produktionsstandorte gesucht werden. Das Niveau der Investitionen wird also nicht nur von den relativen Standortbedingungen, sondern auch von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und den anderen Industrieländern abhängen. Neue Produktionsstandorte werden im Regelfall nur dann aufgebaut, wenn zusätzliche Produktionskapazitäten benötigt

67

werden. Produktionsverlagerungen im Sinne einer Schließung einer Produktionsstätte an einem Ort und der Errichtung einer Produktionsstätte an einem anderen Ort stellen eher die Ausnahme dar.

In Abhängigkeit von den weltwirtschaftlichen Bedingungen und staatlichen Aktivitäten kann es somit zu sehr unterschiedlichen Entwicklungspfaden der Investitionen kommen. Daher sind hier, ausgehend von vorhandenen Informationen zu Investitionsplänen in Ostdeutsch land (Treuhandanstalt 1992 und 1993; Ifo 1993c), alternative Investitionspfade für die beiden Szenarien gesetzt worden (Tabelle 4/3).

Im Integrationsszenario wird angenommen, daß bei den Direktinvestitionen das gegenwärtig hohe Niveau in den nächsten Jahren erhalten bleibt und in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre die Direktinvestitionen Schritt für Schritt durch Investitionen der ostdeutschen Unternehmen ersetzt werden. Gegenüber 1992 steigt das Investitionsvolumen der Unternehmen ohne Wohnungsvermietunginsgesamt bis zum Jahr 2000 real nochmals an.

Im Stagnationsszenario fallen dagegen die westlichen Direktinvestitionen bereits nach 1994 stark zurück. Allerdings ist auch in diesem Fall damit zu rechnen, daß es langsam zu einer verstärkten Investitionstätigkeit erfolgreicher ostdeutscher Unternehmen kommt. Im Jahr 2000 dürfte unter den Bedingungen des Stagnationsszenarios die Investitionstätigkeit der Unternehmen ohne Wohnungsvermietung zu Preisen von 1991 etwa dem Niveau von 1992 entsprechen. Die Investitionen in diesem Bereich im Jahr 2000 lägen jedoch deutlich unter dem Wert des Investitionsvolumens von 1993.

In beiden Szenarien zeichnen sich mit dem Investitionsprozeß deutliche Steigerungen im Produktionspotential und der Produktivität ab, wenn auch auf unterschiedlichen Entwicklungspfaden (Tabelle 4/4). Im Integrationsszenario schlägt sich der Investitionsprozeß in einem Wachstum des Bruttoanlagevermögens von knapp 9 vH nieder. Da aufgrund des starken Anstiegs der Kapitalintensität allerdings die Kapitalproduktivität weiter sinken dürfte, wächst das Produktionspotential deutlich langsamer. Berücksichtigt man zusätzlich jedoch die Produktionsspielräume

bei einer Anpassung des Auslastungsgrades

an

westdeutsche

Größenordnungen bei Normalauslastung, dürften angebotsseitig Produktionszuwächse von mehr als 10 vH jährlich im Unternehmensbereich ohne Wohnungsvermietung möglich sein. Im Stagnationsszenario dagegen ist nur eine schwache Ausweitung des effizient-einsetzbaren Produktionspotentials zu erwarten. Die jahresdurchschnittlichen Zuwächse liegen unter 3 vH und erreichen damit noch nicht einmal den Potentialwachstumspfad der westdeutschen Wirt68

Tabelle 413

Direktinvestitioncn westlicher Unternehmcn 1) in Ostdeut&cbland 1991 bis 2000 StapatioDlueuario

lDtepatiolllazenario

1991-19931

1991 -19931 1994 -19961 1994 -19961 1997 -2000 InveatitiOlDlummeu ia Mn! DM 2)

1997 -2000

InvatitiolUZUSllJeD an die Treuhandanatalt EnerJie/Bel'Jbau Verarbeitendes Gewerbe Obrige Bereiche Weitere EnpFmenta watlicber Unternehmen Energie/Bergbau Verarbeitendes Gewerbe Bahn und Post Obrige Bereiche Direktinvatitlonen der Unternehmen Zuaammeu EnergielBergbau Veraroeitendes Gewerbe Bahn und Post übrige Bereiche

60

60

35

60

60

3S

10

2S 2S

10 30 20

15 12

10

2S

10 30

15 12

60

70

55

60

45

35

5 10 30 15

19 35 12

4

5 17 8

5 10 30 1.5

1 5 35

..

. 2S .

1.50

165

120

1.50

11.5

80

20

18 68 3.5 44

2S 46 2S 24

20 45 30

12 40

19

45 30 55

8

2S

2S

.5.5

20

3S 28

8

2

20 2S

16

Jäbrliche Investitionen in Mrd DM 2) Direktinvestitionen der Unternehmen Zusammen

.50

.55

30

SO

38

20

Gesamtinvestitionen der Unternehmen

71

88

94

71

71

67

70,4

62,.5

31,9

70,4

.54,0

29,9

Anteil der Direktinvestitionen in vH

1) Ohne Wohnungsvermietung.- 2) In konslanten Preisen

VOll

1991.

QueUen: 1991 -1993: SdlätzunJeD auf der Duis Treuhandanstalt 1992 und 1993, eowie ifo - Institut 1993 C; 1994 - 2000: SzenarieomodeU des DIW.

69

~

76 38 6,1 4,7 77 35

55 30 8,7

5,s 63

27

Kapitalintensität Arbeitsplatzproduktivität Arbeitsplätze

Erwerilstätige 3) Besetzungsgrad in vH

Arbeitsproduktivität

86

70

Arbeitsproduktivität

22,8 93

87

23,7 98

87

228 97 24,4

97

24,7 99

24,9

260

lOS

2401 92

94

23,8 99

260 101 24,1

2236 92

Potentialrechnung und SzeuarienmodeU des DIW.

23,5 100

22,1 100

Erwerilstätige Besetzungsgrad in vH

217 93 24,1

83

1977

Quellen: Volbwirtechaftlicbe Gesamtrecbnung;

213 91 23,6

166 78 22,2

Kapitalintensität Arbeitsplatzproduktivität Arbeitsplätze

2052 92

6256 0,39 2434

64

4,1 98

194 68 4,2

262 91

813 0;35 '1ß7

2) in ostdeutschen brlw. westdeutschen PreISCIl von 1991.-

2023 94

1554 90

Bruttowertscböpfung Auslastungsgrad in vH

um

6466 0,40

79

40 5S68 0,43 2369

4,6 98

196 8S 4,7

4,6 82

91 43 5,6

363 91

919 0,43 399

1) Unternehmen ohne Wohnungsvermietung.4) Jahresdurcbschnittlicbe Wachstumsrate.

5030 0,43 2143

3691 0,47 1728

Bruttoan1agevermögen Kapitalproduktivität Produktionapotential

5228 0,43 2238

72

WMldeutechland

183

166

148 57

Bruttowertscböpfung Auslastungsgrad in vH

76

512 0,47 241

-

2,9

2,0

-1,8 2,6 2,3 0,6 -1,9 0,1

1,4 1,8 2;3 2,1 0,9 0,6

1,5

0,5

2;3 1,5 0,4

1,9

2,7 ~,7

3,2 ~,3

10,6

~;3

12,6 10,6 -3,2

10;3

8,9 -1,8 7,0

2,9

3,9 0,5 4,4

6,1

-1,1

9,8 6,4 -4,2

5,0

5,2 -3,1 1,9

3) auf Vollbelcbäftigleneinheiten umgerechnet.-

1,9

0,6

2;3 1,4 0,6

2,4

2,0

~,9

31;3

-14,5

38,1 27;3 -29,9

12,2

-3,1 -7,9 -10,8

szenano invH 4)

1,0

0,1

2;3 1,1 0,0

1,1

2;3 -1,2 1,1

7,7

-1,7,

12,4 7,6 -4,6

5,9

7;3 -4;3 2,7

szenano

Integrati~DS-1 StagDati~-

szenano

Integrati~-I Stagnati~1994/1992

2000/1992 1991/1980 1997/1991

2000

szeoano m~ DN 2) bzw. 100II Penooen

1992

1994

463 0,50 232

1991

478 0,54 260

1980

Entwicklung des Produktionspotentials der Unternehmen 1) in Ost- und Westdeutschland

Bruttoanlagevermägen Kapitalproduktivität Produktioospotential

Oetdeutechland

Tabelle 4/4

I

I

!

I

schaft Ende der achtziger Jahre. Neben dem niedrigeren Investitionspfad ist hierfür die stark abnehmende Kapitalproduktivität verantwortlich, die aufgrund des gering bleibenden Gewichts des verarbeitenden Gewerbes sogar unter die Werte für Westdeutsch land absinken kann.

Welche Auswirkungen dies letztlich auf die Beschäftigung im Unternehmensbereich haben wird, hängt in starkem Maße von der erwarteten Lohnentwicklung ab. Die Entwicklungen der jüngsten Zeit weisen darauf hin, daß nach wie vor von einer raschen Angleichung an das westdeutsche Tariflohnniveau auszugehen ist. Allerdings ist damit zu rechnen, daß sich die ostdeutsche Lohndrift eher am unteren Bereich westdeutscher Regionen orientieren wird. Aufgrund struktureller Unterschiede im Arbeitskräfteeinsatz dürfte aber auch das durchschnittliche Tariflohnniveau unter dem in Westdeutsch land bleiben, selbst wenn die Tariflöhne in den einzelnen Lohn- und Gehaltsstufen 100 vH des westdeutschen Vergleichswertes erreichen. Unter diesen Bedingungen werden sich die unterschiedlichen Investitionspfade im ostdeutschen Unternehmenssektor in erster linie im Umfang der Beschäftigung niederschlagen. Im Integrationsszenario könnten etwa knapp 4,7 Mill. Menschen im Jahr 2000 in ostdeutschen Unternehmen Beschäftigung finden. Im Stagnationsszenario dürften es dagegen nur etwas mehr als 4 Mill. Beschäftigte sein. Im Unternehmensbereich ohne Wohnungsvermietung in Ostdeutsch land würde unter Berücksichtigung sektoraler Unterschiede und ausgehend von den Preisstrukturen 1991 im ersten Szenario eine Produktivitätsrelation zu Westdeutsch land von etwa 80 vH und im zweiten von ungefähr 70 vH erreicht werden.

Sachvermögensbildung im Wohnungsbau und im Staatssektor Anders als bei den Produktionsunternehmen kam es bei den Wohnungsbauunternehmen 1990 und 1991 zu kräftigen Rückgängen in der Investitionstätigkeit. Allerdings haben sich die Investitionen im Wohnungsbau 1992 wieder erholt, und bereits für 1994 wird erwartet, daß das Investitionsniveau von 1989 um fast ein Viertel übertroffen wird. Dieser Aufwärtstrend der Wohnungsbauinvestitionen wird sich voraussichtlich mittelfristig fortsetzen. Angesichts der günstigeren wirtschaftlichen Entwicklung im Integrationsszenario, die verbunden ist mit einer potentiell höheren Mietbelastbarkeit der Haushalte und mit größeren Spielräumen für wohnungspolitische Maßnahmen der Gebietskörperschaften, könnte ein Investitionsvolumen im Jahr 2000 von etwa 40 Mrd. DM erreicht werden. Gegenüber dem erwarteten Wert für 1994 entspräche dies einer nochmaligen Erhöhung um rund 10 Mrd. DM. Aber auch im Stagnationsszenario scheint eine d~utliche Steigerung in diesem Bereich möglich. Hierfür spricht vor allem der enorme Sanierungs- und Modernisierungsbedarf, der beipielsweise im Bereich der Wärmedämmung direkt mit hohen Kosteneinsparungen verbunden ist.

71

In beiden Szenarien bleibt es trotz der hohen Wohnungsbauinvestitionen bei einem deutlichen Rückstand

in der Wohnungsversorgung.

Nimmt man das Bruttoanlagevermögen

im

Wohnungsbau als Indikator, so wird der bewertete Vermögensbestand Ostdeutsch lands im Jahr 2000 nur 11 vH des westdeutschen Wertes erreichen. Im Vergleich zu Westdeutsch land sind das bezogen auf die Einwohnerzahl lediglich rund 60 vH. Bei den Investitionen des Staates ist in Ostdeutsch land ebenfalls bereits 1992 ein beachtliches Niveau erreicht worden. Anders als im Wohnungsbau ist jedoch eine weiterhin so starke Aufstockung der Investitionsbeträge mittelfristig nicht zu erwarten. Die Zuwachsraten werden sich gegenüber dem Beginn der neunziger Jahre abschwächen. Dennoch ist davon auszugehen, daß auch im Jahr 2000 pro Kopf der Bevölkerung gerechnet die staatlichen Investitionen in Ostdeutsch land höher sein werden als in Westdeutsch land. Betrachtet man allerdings das Bruttoanlagevermögen des Staates je Einwohner im Jahr 2000, so dürfte Ostdeutsch land - wenn auch mit geringer werdenden Abständen - immer noch hinter dem Ausstattungsniveau mit staatlicher Infrastruktur in Westdeutsch land zurückbleiben.

Anpassungsprozesse beim privaten und staatlichen Verbrauch Eine deutliche Steigerung der Produktivität und eine Stabilisierung der Beschäftigung im Unternehmenssektor sind die Voraussetzungen für eine Anpassung des privaten Verbrauchs Ostdeutschlands an westdeutsche Verhältnisse. Noch 1992 betrug der private Verbrauch je Einwohner in ostdeutschen Preisen von 1991 nur etwa 55 vH des westdeutschen Vergleichswertes (zu westdeutschen Preisen von 1991). Im Integrationsszenario wird im Zuge dergÜnstfgeren Entwicklung von Produktivität und Beschäftigung damit gerechnet, daß sich der private Verbrauch je Kopf in Ostdeutschland real auf etwa 80 vH des westdeutschen Niveaus erhöht. Die realen jährlichen Zuwachsraten des privaten Verbrauchs bei relativ konstanter Bevölkerung dürften in diesem Fall höher liegen als zu Beginn der neunziger Jahre. Dies scheint insoweit auch plausibel, als dem Aufbau neuer Wirtschaftsstrukturen die Erhöhung des Konsumniveaus folgt. Im Stagnationsszenario dagegen ist insbesondere hinsichtlich der Beschäftigungsentwicklung im Unternehmensbereich von deutlich ungünstigeren Bedingungen auszugehen. Daß es zu einer Steigerung der pro-Kopf-Relation des realen privaten Verbrauchs im Vergleich zu Westdeutschland 2 auf knapp 74 vH im Jahr 2000 kommen wird, hat vor allem zwei Gründe. Zum einen werden die verbleibenden Arbeitsplätze eine deutlich höhere Produktivität aufweisen als in der Vergangenheit. Ein Teil der Bevölkerung wird daher in der Lage sein,. sein

2unter Verwendung der Preisrelationen von 1991 .

72

Konsumverhalten rasch westdeutschen Verhältnissen anzupassen. Zum anderen kann davon ausgegangen werden, daß durch die Nettolohnorientierung vieler Transferleistungen an die Haushalte mit der Lohnangleichung die Entwicklung der ostdeutschen Kaufkraft weiterhin gestützt wird. Neben der Entwicklung des realen privaten Verbrauchs in Richtung auf eine Angleichung an westdeutsche Verhältnisse sind im Verlauf der neunziger Jahre weiterhin erhebliche Veränderungen der Preisstrukturen bei den Gütern des privaten Verbrauchs zu erwarten. Überproportionale Preissteigerungen dürften sich hierbei nochmals im Bereich der Wohnungsvermietung, aber auch bei vielen anderen Dienstleistungen mit räumlich begrenztem Absatzgebiet ergeben. Noch stärker als beim privaten Verbrauch werden sich Preisänderungen im ostdeutschen Staatsverbrauch niederschlagen. Im Zuge der Lohnangleichung im öffentlichen Dienst an Westdeutsch land ist hier mit erheblichen nominellen Zuwächsen zu rechnen. Real - gemessen in ostdeutschen Preisen von 1991 - dürfte sich der Staatsverbrauch insgesamt aber gegenüber 1992 kaum verändern. Den Aufgabenzuwächsen, z.B. in Teilbereichen der kommunalen Dienstleistungen, stehen Aufgabeneinschränkungen im Zuge der Übertragungen von Leistungen an private und andere Träger, beispielsweise im Gesundheitswesen, gegenüber. Der Staatsverbrauch je Einwohner in Ostdeutsch land wird daher insgesamt in beiden Szenarien nur aufgrund der leicht abnehmenden Bevölkerungszahl etwas zunehmen. In der realen Rechnung zu ostdeutschen Preisen von 1991 wird auch für das Jahr 2000 eine deutlich geringere pro-Kopf-Relation des Staatsverbrauchs zu Westdeutschland ausgewiesen. Dahinter verbirgt sich jedoch nicht die Annahme einer faktisch schlechteren Versorgung Ostdeutsch lands mit öffentlichen Leistungen im Jahr 2000, dies ist vielmehr eine Folge der Preis- und Lohnkostenunterschiede zwischen West- und Ostdeutsch land im Jahre 1991, dem Basisjahr der Preisbereinigung. Inländische Verwendung, Außenbeitrag und Sozialprodukt

Die Entwicklungspfade von Investitionen und Verbrauch weisen darauf hin, daß auch im weiteren Verlauf der neunziger Jahre mit einem deutlichen Anstieg der realen inländischen Verwendung in Ostdeutschland gerechnet werden kann (Tabelle 4/5). Bei erwarteten jahresdurchschnittlichen Zuwächsen zwischen 4,5 vH im Integrationsszenario und 2,5 vH im Stagnationsszenario wird die Entwicklungsdynamik aber deutlich niedriger liegen als in den Jahren 1991 und 1992, in denen die Wachstumsraten jeweils fast 10 vH erreichten.

73

Tabelle 4/5

Entwicklung von Nachfrage und Produktion in Ostdeutschland 1989

1991

1992

1994

2000 Integrati~DS-1 Stagnatio.nsazenano azenano

in Mn! DM 1) Privatcr Vcrbrauch Staatsverbrauch AnlageinvCltitioncn Staat Wohnungsbau Untcrnehmcn 2) Lagcrverinderungcn

169,6 80.9 62.0 10,9 21,1 30.1 16.0

179,0 86.0 88,0 14,0 14,0 60,0 0.0

193,0 92,0 108.0 18,0 18.0 72,0 -1,0

196 92 136 19 29

3

.5

251 88 133 24 36 73 .5

In1indischc Nachfragc Export

328•.5 60,4

3.53,0 64,0

392,0 74,0

426 77

.562 166

476 122

Gcsamtnachfragc Importe

388,9 65.9

417.0 226,0

466,0 256,0

.503 272

728 294

.598 288

Bruttosozialprodukt

323.0

191,0

210,0

231

434

318

-5.5

-162.0

-182,0

-195

-127

-158

Nachrichtlich: Au8cnbcitrag

88

302 90

16.5 26 "1

98

Jahresdurdlschnittliche Verinderung in vH zu 1992 Zur Vorperiode Privater Verbrauch Staatsvcrbrauch Anlageinveltitionen Staat Wohnungsbau Unternehmen 2) Inländische Nachfrage Export

2,7 3,1 19,1 13,3 -18,.!' 41.2

7,8 7.0 22,7 28.6 28,6 20,0

0.8 0,0 12,2 2,7 26.9 10,6

4,7 10,8 3.9

3,3 -4,6 2,6 3,7 9.1 0,2

3,7 2,9

11,0 15,6

4,2 2,0

4,6 18.6

2,5 6,"

5,8 ~.3

5,4

Gesamtnachfragt! Importe

8.5,2

3.5

11.8 13,3

3,9 3,1

5,7 1,7

3,2 1,1

Bruttosozialprodukt

-23,1

9,9

4.9

9,5

5,3

in vH WestdeutschlaDd Privater Verbrauch je Einwohner StaalsYerbrauch je Einwohner Anlageinvestitionen Staat je Einwohner Wohnungsbau je Einwohner Unternehmen je Erwerbstätigt!D 2)

SO 74

.54 77

.56 78

80

76

80

67 SO

90 33

110 44

133 67

ISS

84

160 83

27

69

104

151

130

124

1) In ostdeutschen Preiaen von 1991.- 2) Ohne Wohnungsvermietung. Quellen: VoIks\\irtscltaftliche Gesamtrechnung;

74

74

48 6.5

1994: DIW (1993 d); 2000: Szenarienmodell des DIW.

Stärker als auf die Entwicklung der inländischen Nachfrage wirken sich die Annahmen zu den Engagements westlicher Unternehmen und zum künftigen Investitionspfad in Ostdeutsch land auf die Entwicklung des Außenhandels aus. Im Integrationsszenario mit einem deutlich höheren Investitionstempo in Ostdeutsch land sind die Exportchancen mittelfristig günstig einzuschätzen. Von Bedeutung sind hier einerseits die guten Absatzbedingungen in Westeuropa und vor allem in Westdeutsch land und andererseits Möglichkeiten zur Wiederbelebung des Osthandels. Aber auch bei dem schwächeren Investitionspfad im Stagnationsszenario ist mit einer kräftigen Ausweitung der Ausfuhren Ostdeutsch lands nach Westdeutsch land in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre zu rechnen. Von wesentlicher Bedeutung sind hierbei strukturelle Veränderungen im Unternehmenssektor. Auf der einen Seite werden vor allem Treuhandbetriebe mit geringerer internationaler Wettbewerbsfähigkeit ausscheiden. Auf der anderen Seite werden die privatisierten Betriebe verstärkt in die nationalen und internationalen Kooperationen der meist westdeutschen Muttergesellschaften eingebunden. Der Anteil der Exporte an der Produktion bleibt allerdings in beiden Szenarien niedriger als in Westdeutsch land, obwohl kleinere Regionen wie z.B. Belgien oder die Niederlande eher höhere Exportquoten besitzen.

Noch stärker als auf der Exportseite dürfte sich der Umstrukturierungsprozeß auf der Importseite bemerkbar machen. Betrachtet man die bisherige Struktur der Direktinvestitionen und Privatisierungen, so liegen die Schwerpunkte vor allem bei Branchen, die stark auf den binnenwirtschaftlichen Absatz ausgerichtet sind. Zudem läßt sich bei den ostdeutschen Konsumenten wieder eine stärkere Präferenz für heimische Verbrauchsgüter erkennen, und auch das zunehmende Gewicht von Infrastruktur- und Bauinvestitionen spricht für eine stärkere Rückverlagerung der Nachfrage auf ostdeutsche Produzenten.

In beiden Szenarien wird daher angenommen, daß nach der extremen Zunahme der Importe, insbesondere aus Westdeutschland, die Zuwachsraten der Einfuhren deutlich geringer werden. Die Importquote von über 65 vH 1992 als Anteil der Importe an der inländischen Verwendung wird in den nächsten Jahren wieder deutlich zurückgeführt werden. Im Stagnationsszenario wird die Importquote voraussichtlich etwa 52 vH und im Integrationsszenario knapp 48 vH betragen. Dies sind aber immer noch deutlich höhere Anteile als in Westdeutsch land mit rund

40 vH. Das reale Außenhandelsdefizit verringert sich damit sowohl im Integrations- als auch im Stagnationsszenario merklich. Betrug es 1992 in Ostdeutsch land noch über 180 Mrd. DM, dürfte es im ersten Szenario auf etwa 125 Mrd. DM sinken, und im zweiten Szenario noch knapp 160 Mrd. DM ausmachen. 75

Insgesamt nimmt damit die Produktion in Ostdeutsch land in beiden Szenarien deutlich schneller zu als die inländische Verwendung. Unter den Bedingungen des Integrationsszenarios ergeben sich für das Bruttosozialprodukt jahresdurchschnittliche Zuwachsraten bis zum jahr 2000 von etwa 9,5 vH. Im Stagnationsszenario sind es immerhin 5,5 vH Wachstum im jahresdurchschnitt, die bis zur jahrtausendwende erreicht werden. Diese extrem hohen Zuwachsraten sollten allerdings nicht zu Fehleinschätzungen führen. Sie sind letztlich wesentlich durch den Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft bestimmt und signalisieren zum großen Teil nur eine Normalisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Ein starker Wachstumsund Aufholprozeß im Vergleich zur Situation vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch ergibt sich nur im ersten Szenario.

So dürfte sich auch trotz der außerordentlichen Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklunl in Ostdeutsch land die Zahl der Erwerbstätigen zwischen 1992 und 2000 weiter verringern. Der hier angenommene Produktionsanstieg ist nur möglich, wenn angesichts der neuen Kostenrelationen die Arbeitsproduktivität extrem steigt. Der Gesamtumfang der Erwerbstätigkeit wird daher selbst unter den günstigen Rahmenbedingungen des Integrationsszenarios vermutlich nur etwa 6,1 Mill. Beschäftigte erreichen. Die Beschäftigtenzahl läge damit um ein Drittel niedriger als in den Zeiten der ehemaligen DDR. Gegenüber dem erwarteten Beschäftigungsumfang für 1993 wird die Zahl der Erwerbstätigen allerdings wieder leicht steigen. Im Stagnationsszenario ist dagegen von einer nochmals um 700 Tsd. Personen geringeren Erwerbstätigenzahl auszugehen. Im Vergleich zur Vollerwerbsgesellschaft der ehemaligen DDR 1989 bedeutet dies, daß auch auf mittlere Frist fast nur etwa jeder zweite Arbeitsplatz erhalten bleibt.

Gleichzeitig ist zu erwarten, daß das Arbeitskräftepotential sich trotz weiterer Abwanderung deutscher Personen nur noch wenig verringert (Tabelle 4/6). Unter Berücksichtigung weiterhin hoher Auspendlerzahlen nach Westdeutsch land einschließlich des Westteils Berlins ergibt sich ein Arbeitskräfteüberschuß von 1,7 Mill. im ersten und von fast 2,2 Mio Personen im zweiten Szenario. Bei den günstigen Bedingungen des Integrationsszenarios erscheint damit lediglich eine Reduktion des Arbeitskräfteüberschusses um etwa 200 000 Personen gegenüber 1992 möglich. Im Stagnationsszenario liegt er sogar deutlich über den etwa 1,9 Mill. Personen von 1992. Die Arbeitslosenquote im jahr 2000 dürfte in beiden Fällen mehr als doppelt so hoch sein wie in Westdeutschland.

76

Tabelle 4/6

Produktionsentwicklung und Arbeitsmarkt in Ostdeutschland 2000 1989

1991

1992

1994

lntegrations- Stagnationsszenario

szenario

319

183

198

222

429

310

Produktivität in 1000 DM 1) 2)

32

25

31

37

71

57

Erwerbstätige in 1000 Personen

91l6O

7220

6345

6069

6075

5400

0

-290

-365

-375

-240

-290

9860

8816

8656

8433

7952

7880

0

ßruttoinlandsprodukt in Mrd DM 1)

Pendlersaldo in 1000 Personen

ErwerbspersonenpotentiaJ in 1000 Personen

1306

1946

1989

1637

2190

Registrierte Arbeitslose

913

1170

1159

935

1370

Stille Reserve

393

776

830

702

820

10,8

14,8

15,2

12,9

19,4

Angebotsüberschuß in 1000 Personen

nachrichtlich: Arbeitslosenquote in vH

Jahresdurchschnittliche Veränderung zur Vorperiode

zu 1992

Bruttoinlandsprodukt

-24,3

8,2

5,9

10,1

5,8

Produktivität 2)

-11,5

23,1

8,3

10,7

7,9

Erwerbstätige

-14,4

-12,1

-2,2

-0,5

-2,0

1) In ostdeutschen Preisen von 1991.- 2) Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen. Quellen: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung; Erwerbspersonenpotentialrechnung des lAß;

DIWj

1994: Schätzungen des

2000: Szenarienmodell des DIW.

77

5. Veränderung sektoraler Beschäftigungsstrukturen 5.1

Zur Ausgangssituation

Die gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme in West- und Ostdeutsch land finden ihren Niederschlag vor allem in einem äußerst hohen Niveau der Arbeitslosigkeit. Der wirtschaftliche Anpassungsdruck durch die veränderten ökonomischen, technischen

und politischen

Rahmenbedingungen äußert sich aber auch in starken Umbrüchen der sektoralen Beschäftigungsstrukturen.

In ganz besonderem Maße gilt dies für Ostdeutsch land und hier vor allem hinsichtlich der Bedeutung der Industrie für Produktion und Beschäftigung. 1989 waren in der ehemaligen DDR noch über 3,2 Mill. Menschen im verarbeitenden Gewerbe tätig. Damit stellte dieser Bereich etwa ein Drittel aller Arbeitsplätze. 1992 waren dagegen nur noch rund 1,4 Mill. im verarbeitenden Gewerbe Ostdeutsch lands tätig. Innerhalb von nur drei Jahren sank damit der Beschäftigungsanteil des verarbeitenden Gewerbes auf nur wenig mehr als 20 vH ab, und 1994 dürften voraussichtlich sogar noch einmal etwa 100000 Personen weniger in diesem Bereich Beschäftigung finden.

Unter ganz anderen Voraussetzungen vollzieht sich seit langem die Tertiärisierung der Beschäftigung in Westdeutsch land. Aber auch hier ging im Verlauf der achtziger Jahren der Beschäftigungsanteil des verarbeitenden Gewerbes um rund 3 vH-Punkte auf gut 30 vH 1989 zurück. Im Zuge der Vereinigung kam es dann zu einer starken Ausweitung der industriellen Beschäftigung. Von 1989 bis 1991 stieg die Beschäftigtenzahl um rund 400 000 Personen auf fast 9,1 Mill. Der Zuwachs blieb allerdings auch in dieser Periode im Vergleich zur Gesamtbeschäftigung leicht unterdurchschnittlich. Mit der einsetzenden Rezession fand die dennoch vergleichsweise günstige Beschäftigungsentwicklung in der Industrie ein schnelles Ende. Für 1994 wird erwartet, daß die Beschäftigtenzahl im verarbeitenden Gewerbe auf weniger als 8,2 Mi/I. fällt und damit der Anteil an der Gesamtbeschäftigung deutlich unter die 30 vH-Marke sinkt.

Im folgenden geht es darum, Vorstellungen darüber zu entwickeln, welche sektoralen Beschäftigungsstrukturen sich nach einer Normalisierung der wirtschaftlichen Lage in Ostdeutsch land und nach einer konjunkturellen Erholung in Westdeutsch land im mittelfristigen Entwicklungspfad

herauskristallisieren.

Ausgangspunkt

hierfür sind

Überlegungen

zur

Entwicklung der sektoralen Produktionsstrukturen in Deutschland anhand der in den beiden Szenarien unterschiedlichen Konstellationen von Wettbewerbsbedingungen

78

und Nach-

fragepotentialen auf den nationalen und internationalen Märkten (Tabellen 5/1 und 5/3). Berücksichtigt man darüber hinaus die unterschiedlichen Produktivitätspotentiale in den Wirtschaftsbereichen,

lassen sich hieraus auch Vorstellungen

über die mittelfristigen

Beschäftigungstendenzen ableiten (Tabellen 5/2 und 5/4).

Die sektorale Differenzierung muß sich allerdings auf die acht großen Wirtschaftsbereiche beschränken. Dies ist notwendig, um ähnlich wie auf der Verwendungsseite möglichst aktuelle statistische Informationen einfließen zu lassen. Damit können auch die jüngsten strukturellen Veränderungen

der deutschen

Wirtschaft berücksichtigt werden, was besonders

für

Ostdeutsch land wichtig ist, da hier erst jetzt erste Konturen sektoraler Entwicklungstrends nach dem Zusammenbruch von 1991 erkennbar werden.

Auf der anderen Seite wird damit jedoch die Dynamik des Strukturwandels nur teilweise abgebildet. Vor allem innerhalb der beiden großen Wirtschaftsbereiche verarbeitendes Gewerbe und Dienstleistungen dürften umfangreiche Strukturveränderungen zu erwarten sein. Zumindest für die vier Industriebereiche Grundstoff- und Produktionsgütergewerbe, Investitionsgütergewerbe, Verbrauchsgütergewerbe und Nahrungs- und Genußmittelgewerbe sind daher hier ergänzende Überlegungen zur Entwicklung der Beschäftigung vorgenommen worden.

5.2 Entwicklungen in Westdeutsch land Warenproduktion Erhebliche Veränderungen der Wettbewerbsbedingungen zeichnen sich mittelfristig in der Landwirtschaft im Zusammenhang mit der Einbindung der ostdeutschen Betriebe und der Neuordnung des Welthandels ab. Vor allem unter den Annahmen des Integrationsszenarios wird der Konkurrenzdruck auf die westdeutsche Landwirtschaft stark zunehmen. Bestehende Produktivitätsreserven müßten dann - soll der Anschluß an die allgemeine Einkommensentwicklung nicht verloren gehen - stärker als bisher genutzt werden. Allerdings werden die Möglichkeiten weiterer Produktivitätssteigerungen begrenzt durch den hohen Anteil von Nebenerwerbsbetrieben und eine immer stärkere Berücksichtigung der landschaftspflegenden Funktionen der bäuerlichen Betriebe. Bei nur unterdurchschnittlicher Nachfrageentwicklung dürfte sich der Beschäftigungsabbau in der westdeutschen Landwirtschaft bis zum Jahr 2000 wieder beschleunigen. Mit rund 800 000 Beschäftigten im Jahr 2000 wird ein Rückgang um mehr als 13 vH erwartet. Im Stagnationsszenario ist eine ähnliche Entwicklung zu erwarten,

79

Tabelle 5/1

Sektorstruktur der Bruttowertschöpfung in Westdeutschland 2000 1980

1989

1992

1994

Integrati~ns-I Stagnatio~s~zellano

~ellarlO

36

35

34

69

70 871

818

inMrdDM 1) Land-und Forstwirtschaft Energie und Bergbau Verarbeitendes Gewerbe

34,2 68,7 674,5

35,0 69,5 722,6

36,4 73,7

m,6·

699

70

Baugewerbe

144,2

132,5

150,8

152

173

154

Handel

178,8

202,2

228,2

211

259

243

Verkehr und Nachrichten Dienstleistungen 2)

98,7 354,4

127,8

148,6

147

526,6

636,6

664

179 814

168 750

Staat und Orga. o.E.

283,1

321,7

342,4

347

362

345

1836,6

2137,9

2394,3

2325

2763

2582

135,9

172,5

190,0

201

252

229

87,5

74,0

91,6

80

100

100

2060,0

2384,4

2676,0

2605

3115

2911

Zusammen 2) 3)

Wohnungsvermietung Bereinigungen Bruttoinlandsprodukt

lahresdurchschnittliche Veränderunlt in vH zu 1992

zum Vorjahr Land- und Forstwirtschaft

0,3

1,3

-1,1

-0,5

-0,8

Energie und Bergbau

0,1

2,0

-3,2

-0,6

-0,6

Verarbeitendes Gewerbe

0,8

2,5

-5,2

1,4

0,6

Baugewerbe

-0,9 1,4

4,4

0,4

1,7

4,1

-3,8

1,6

0,3 0,8

Verkehr und Nachrichten

2,9

Dienstleistungen 2)

5,2 6,5

-0,5 2,1

3,1

1,5 2,1

Staat und Orga. o.E.

4,5 1,4

2,1

0,7

0,7

0,1

Zusammen 2) 3)

1,7

3,8

-1,5

1,8

0,9

Bruttoinlandsprodukt

1,6

3,9

-1,3

1,9

1,1

Handel

2,4

1) In Preisen von 1991.- 2) Ohne Wohnungsvermietung.- 3) unbereinigt. Quellen: Volkswirf5('haftIkhe Gesamtre