Quaestiones Disputatae: Über die Wahrheit VI: De veritate, q. 25-29 9783787319060, 9783787333639

In diesem Band werden die abschließenden Erörterungen der ›Untersuchungen über die Wahrheit‹ vorgelegt, die Thomas von A

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Quaestiones Disputatae: Über die Wahrheit VI: De veritate, q. 25-29
 9783787319060, 9783787333639

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THOMAS VON AQUIN

Quaestiones Disputatae

Thomas von Aquin

Quaestiones Disputatae

THOMAS VON AQUIN

Quaestiones Disputatae Vollständige Ausgabe der Quaestionen in deutscher Übersetzung Herausgegeben von Rolf Schönberger Band 6

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

THOMAS VON AQUIN

Über die Wahrheit De veritate Teilband 6 Übersetzt von Paul D. Hellmeier O.P., Andreas Schönfeld S.J. und Jörg Alejandro Tellkamp

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Süddeutsch-österreichischen Provinz des Dominikanerordens

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-7873-1906-0

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2014. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platte und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. – Satz: post scriptum, www.post-scriptum.biz. Druck: Strauss Buch, Mörlenbach. Bindung: Litges & Dopf, Heppenheim. Gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreiem Werkdruckpapier. Printed in Germany.

INHALT

x x v. über die sinnesempf indung 1. Artikel: 2. Artikel:

3. Artikel:

4. Artikel: 5. Artikel: 6. Artikel: 7. Artikel:

Ist die Sinnesempfindung ein erkennendes Vermögen oder ausschließlich ein strebendes? . . . Ist die Sinnesempfindung ein einfaches Vermögen oder wird sie in mehrere Vermögen unterteilt, nämlich das begehrende und das überwindende? . Befinden sich das überwindende und das begehrende Strebevermögen ausschließlich im niederen Strebevermögen oder auch im höheren? Gehorcht die Sinnesempfindung der Vernunft? . . Kann es in der Sinnesempfindung Sünde geben? . Ist das begehrende Strebevermögen verderbter und befleckter als das überwindende? . . . . . . . Kann die Sinnesempfindung in diesem Leben von der besagten Verderbnis geheilt werden? . . . . .

3

12

19 24 28 34 39

x x v i. über die a ffek te der seele 1. Artikel: 2. Artikel: 3. Artikel: 4. Artikel:

Auf welche Weise erleidet die vom Körper getrennte Seele? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Auf welche Weise erleidet die mit dem Körper verbundene Seele? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Ist der Affekt ausschließlich im sinnlichen Strebevermögen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Wie kann von den Gegensätzen und Unterschieden der Seelenaffekte gesprochen werden? . . . . . . . 74

VI

5. Artikel: 6. Artikel: 7. Artikel: 8. Artikel: 9. Artikel: 10. Artikel:

Inhalt

Sind Hoffnung, Furcht, Freude und Trauer die vier Hauptaffekte der Seele? . . . . . . . . . . . . . . 83 Erwerben wir durch die Affekte Verdienste? . . . 89 Mindert ein dem Verdienst hinzugefügter Affekt das Verdienst? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Hatte Christus derartige Affekte? . . . . . . . . 108 Hatte die Seele Christi den Affekt des Schmerzes hinsichtlich der höheren Vernunft? . . . . . . . 116 Hätte der Schmerz des Affekts, der in der höheren Vernunft Christi war, die Freude des Genusses verhindert und umgekehrt? . . . . . . . . . . . . 125

x x v ii. die gnade 1. Artikel: 2. Artikel: 3. Artikel: 4. Artikel: 5. Artikel: 6. Artikel: 7. Artikel:

Ist Gnade etwas positiv Geschaffenes in der Seele? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist die heiligmachende Gnade dasselbe wie die Liebe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kann irgendein Geschöpf die Ursache der Gnade sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sind die Sakramente des Neuen Bundes die Ursache der Gnade? . . . . . . . . . . . . . . . . Ist in einem Menschen nur eine heiligmachende Gnade? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist die Gnade im Wesen der Seele wie in einem Träger? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist die Gnade in den Sakramenten? . . . . . . . .

137 147 154 171 188 202 208

x x v iii. die rechtfertigung des gottlosen 1. Artikel: 2. Artikel:

Besteht die Rechtfertigung des Gottlosen im Nachlaß der Sünden? . . . . . . . . . . . . . . . 213 Kann der Nachlaß der Sünden ohne Gnade geschehen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

Inhalt

3. Artikel: 4. Artikel:

5. Artikel: 6. Artikel: 7. Artikel: 8. Artikel:

9. Artikel:

Ist zur Rechtfertigung des Gottlosen die Wahlfreiheit erforderlich? . . . . . . . . . . . . Welche Bewegung der Wahlfreiheit ist zur Rechtfertigung erforderlich? Ist dazu eine Bewegung der Wahlfreiheit auf Gott hin erforderlich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist zur Rechtfertigung eine Bewegung der Wahlfreiheit gegen die Sünde erforderlich? . . . Sind die Eingießung der Gnade und die Vergebung der Schuld dasselbe? . . . . . . . . . Geht der Vergebung der Schuld der Natur nach die Eingießung der Gnade voraus? . . . . . . . . Geht der Eingießung der Gnade in der Rechtfertigung des Gottlosen der Natur nach eine Bewegung der Wahlfreiheit voraus? . . . . . . . Findet die Rechtfertigung des Gottlosen in einem einzigen Moment statt? . . . . . . . . . . . . . .

VII

232

248 254 258 261

269 276

x x ix. die gnade chr isti 1. Artikel: 2. Artikel:

3. Artikel: 4. Artikel: 5. Artikel: 6. Artikel: 7. Artikel: 8. Artikel:

Gibt es in Christus eine geschaffene Gnade? . . . Ist dazu, daß die menschliche Natur mit dem Wort in der Person vereinigt wird, habituelle Gnade erforderlich? . . . . . . . . . . . . . . . . Ist die Gnade Christi unendlich? . . . . . . . . . Kommt Christus die Gnade des Hauptes seiner menschlichen Natur nach zu? . . . . . . . . . . . Ist in Christus irgendeine habituelle Gnade dazu erforderlich, daß er Haupt sei? . . . . . . . . . . Konnte Christus Verdienste erwerben? . . . . . Konnte Christus für andere Verdienste erwerben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konnte Christus im ersten Moment seiner Empfängnis Verdienste erwerben? . . . . . . . .

285

291 294 302 312 316 321 327

VIII

Inhalt

nachworte Zu den Quaestionen 25–26 von Jörg Alejandro Tellkamp . . . 337 Zur Quaestion 27 von Andreas Schönfeld . . . . . . . . . . . 347 Zu den Quaestionen 28–29 von Paul Hellmeier . . . . . . . . 370 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

THOMAS VON AQUIN

Über die Wahrheit

XXV. ÜBER DIE SINNESEMPFINDUNG

Die hier behandelten Fragen lauten: 1. Ist die Sinnesempfindung ein erkennendes Vermögen oder ausschließlich ein strebendes? 2. Ist die Sinnesempfindung ein einfaches Vermögen oder wird sie in mehrere Vermögen unterteilt, nämlich das begehrende und das überwindende? 3. Befinden sich das überwindende und das begehrende Strebevermögen ausschließlich im niederen Strebevermögen oder auch im höheren? 4. Gehorcht die die Sinnesempfindung der Vernunft? 5. Kann es in der Sinnesempfindung Sünde geben? 6. Ist das begehrende Strebevermögen verderbter und befleckter als das überwindende? 7. Kann die Sinnesempfindung in diesem Leben von der besagten Verderbnis geheilt werden?

1. Artik el Diese Frage handelt von der Sinnesempfindung. Die erste Frage lautet: Ist die Sinnesempfindung ein erkennendes Vermögen ist oder ein ausschließlich strebendes?1 1. Es scheint, daß es sich um ein erkennendes Vermögen handelt, weil, wie Petrus Lombardus in der 24. Unterscheidung des 2. Buch der Sentenzen sagt, »du wirst gewahr, daß das, was unsere Seele mit den Tieren gemein hat, zur Sinnesempfindung gehört«.2 Die Erkenntnisvermögen der Sinne aber haben wir mit den Tieren gemein. Deshalb gehören die erkennenden und strebenden Vermögen zur Sinnesempfindung. 1 Paralleltexte: Sent. II, d. 24 q. 2 a. 1; Sum. theol. I, q. 81 a. 1. 2 Petrus Lombardus, Sent. II d. 24 c. 5 (PL 192, 703; ed. Coll. S. Bon. I,

454).

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2. Augustinus sagt im 12. Buch Über die Dreieinigkeit, daß »wir die Bewegung der sinnlichen Seele, die sich auf die Sinne des Körpers erstreckt, mit dem Vieh gemein haben, und sie ist von der Weisheit der Vernunft ausgeschlossen«.3 Seinen Ausführungen fügt er dies hinzu: »Mit den Sinnen nimmt der Körper freilich die körperlichen Dinge wahr, die ewigen Dinge hingegen und die unveränderlichen, geistigen werden mit dem der Weisheit dienenden Vernunft erkanntn«.4 Die Wahrnehmung der körperlichen Dinge aber gehört in den Bereich der erkennenden Vermögen. Daher ist die Sinnesempfindung, deren Aktualisierung eine sinnliche Bewegung darstellt, ein erkennendes Vermögen. 3. Dagegen wurde eingewandt, daß Augustinus dies hinzufügte, um die Gegenstände der Sinne zu verdeutlichen. Dementsprechend erstreckt sich die Bewegung der Sinnesempfindung auf die Sinne des Körpers, insofern sie auf ihre Sinnesgegenstände bezogen sind.5 – Dagegen spricht: Augustinus fügte dies hinzu, um zu zeigen, auf welche Weise sich die Sinnesempfindung von der Vernunft absondert. Auf die körperlichen Dinge hingegen, von denen Augustinus sagte, sie seien die Gegenstände der Sinne, bezieht sich die Vernunft, wobei die niedere Vernunft ordnet und die höhere urteilt. Auf diese Weise sondert sich die Sinnesempfindung nicht von der Vernunft ab. Daher meinte Augustinus nicht das, was gesagt wurde. 4. Beim Fortschritt der in uns wirkenden Sünde nimmt, wie Augustinus an jener Stelle sagt, die Sinnesempfindung den Platz der Schlange ein. Die Schlange aber kündete bei der Verführung der Ureltern von der Sünde und warb für sie. Die Verführung ist erkennender und nicht strebender Art, weil es ihr eigen ist, zur Sünde zu führen. Die Sinnesempfindung ist deswegen eine erkennende Kraft. 5. Augustinus sagt im selben Buch, daß »die Sinnesempfindung in Nachbarschaft der dem der Wissenschaft dienenden Vernunft 3 Augustinus, De trin. XII, 12, 17 (PL 42, 1007; CCSL 50, 371). 4 Augustinus, De trin. XII, 12, 17 (PL 42, 1007; CCSL 50, 371). 5 Was hier mit dem Begriff »Sinnesgegenstand« wiedergegeben wird,

steht für den Ausdruck sensibile, der sowohl den materiellen Gegenstand an sich bezeichnen kann, aber auch die mentale Repräsentation seiner qualitativen und quantitativen Eigenschaften, so wie seine intentionale Beschreibung.

1. Artikel

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steht«.6 Sie stünde nicht in ihrer Nachbarschaft, wenn sie nur strebender Art wäre, schließlich ist die der Wissenschaft dienende Vernunft erkennender Art. Sie würde dementsprechend zu einer anderen Gattung von Seelenvermögen gehören. Daher ist die Sinnesempfindung erkennender und nicht nur strebender Art. 6. Augustinus unterscheidet im 12. Buch Über die Dreieinigkeit die Sinnesempfindung sowohl von der höheren als auch von der niederen Vernunft, in welcher auch das höhere Strebevermögen des Willens enthalten ist. Anderenfalls könnte es in ihm die Todsünde nicht geben. Wie noch zu zeigen sein wird, unterscheidet sich das niedere Strebevermögen nicht wie die übrigen Vermögen vom höheren Strebevermögen. Folglich ist die Sinnesempfindung kein niederes Strebevermögen. Sie ist allerdings eine niedere Seelenkraft, wie aus ihrer Definition hervorgeht. Daher ist sie ein niederes erkennendes Vermögen. Beweis des Mittelsatzes: Der akzidentelle Unterschied zwischen den Gegenständen deutet auf keinen artspezifischen Unterschied der Vermögen hin. Die Unterschiede beim Sehvermögen kommen nicht deswegen zustande, weil man einen Menschen oder einen Esel sieht. ›Mensch‹ und ›Esel‹ kommen dem Gegenstand des Sehens zu, insofern sie sichtbar sind. Doch der von den Sinnen wahrgenommene Gegenstand des Strebens und der vom Intellekt erfaßte, durch welchen scheinbar das niedere vom höheren Strebevermögen unterschieden wird, kommt dem Gegenstand des Strebens insofern zu, als er erstrebenswert ist, da der Gegenstand des Strebens insofern er erstrebenswert ist, ein Gut ist, dem es zukommt, von den Sinnen oder vom Intellekt erfaßt zu werden. Deswegen ist das niedere Strebevermögen kein vom höheren unterschiedenes Vermögen. 7. Es wurde eingewandt, daß die beiden erwähnten Strebevermögen bezüglich eines schlechthin Guten und eines momentanen Guten unterschieden werden. – Dagegen spricht: So wie sich der Intellekt auf die Wahrheit bezieht, so bezieht sich das Strebevermögen auf ein Gut. Das schlechthin Wahre allerdings, welches notwendig ist, und das momentane Wahre, welches kontingent ist, unterteilen den Intellekt nicht in zwei Vermögen. Folglich kann das Strebe6 Augustinus, De trin. XII, 12, 17 (PL 42, 1007; CCSL 50, 371).

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vermögen hinsichtlich des schlechthin Guten und hinsichtlich des momentanen Guten nicht in zwei Vermögen unterteilt werden. 8. Wie es scheint, ist das momentane Gut ein scheinbares Gut. Das schlechthin Gute hingegen ist ein wahrhaftes Gut. Allerdings stimmt das höhere Strebevermögen gelegentlich einem scheinbaren Gut zu und das niedere Strebevermögen strebt manchmal nach einem wahrhaften Gut, wie es zum Beispiel die für den Körper notwendigen Dinge sind. Folglich führen das momentane Gut und das schlechthin Gute zu keiner Unterscheidung zwischen einem höheren und einem niederen Strebevermögen, wobei man zum selben Schluß wie zuvor kommt. 9. Das Sinnesvermögen unterscheidet sich vom Strebevermögen, wie Aristoteles im 1. Buch Über die Seele verdeutlicht, wo er fünf Gattungen von Seelentätigkeiten charakterisiert, nämlich Ernährung, Wahrnehmung, Streben, Ortsbewegung und Erkenntnis.7 Die Sinnesempfindung gehört aber in den Bereich des Sinnlichen wie bereits der Name belegt. Folglich ist die Sinnesempfindung kein Strebevermögen, sondern ein erkennendes Vermögen. 10. Was immer auf die Definition zutrifft, trifft auch auf dem definierten Begriff zu. Die Definition der Sinnesempfindung, die Petrus Lombardus in der 24. Distinktion des 2. Buchs der Sentenzen aufstellt, stimmt mit der niederen Vernunft überein, welche sich manchmal auch auf die körperlichen Sinne bezieht und auf dasjenige, was zum Körper gehört.8 Folglich ist die niedere Vernunft mit der Sinnesempfindung identisch. Aber die Vernunft ist ein erkennendes Vermögen und deswegen ist es auch die Sinnesempfindung. Dagegen spricht: 1. Die Definition der Sinnesempfindung besagt, daß sie »ein Strebevermögen der zum Körper gehörenden Dinge ist«.9 2. Die Sünde befindet sich im Streben und nicht nur im Erkennen. In der Sinnesempfindung ist die Sünde aber etwas sehr Unbedeu7 Aristoteles, De an. I, 14; 411 a 26. 8 Petrus Lombardus, Sent. II d. 24 c. 4 (PL 192, 701–706; ed. Coll. S. Bon.

I, 453). 9 Petrus Lombardus, Sent. II d. 24 c. 4 (PL 192, 702; ed. Coll. S. Bon. I, 453).

1. Artikel

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tendes, wie Augustinus im 12. Buch Über die Dreieinigkeit sagt.10 Folglich ist die Sinnesempfindung ein Strebevermögen. Antwort: Die Sinnesempfindung scheint nichts anderes zu sein als ein Strebevermögen des sinnlichen Teils. Man nennt die Sinnesempfindung gleichsam etwas vom Sinnlichen Abgeleitetes. Denn die Bewegung des strebenden Teils hat ihren Ursprung irgendwie im erkennenden Teil, weil jedes Wirken eines passiven Dings in einem aktiven seinen Ursprung nimmt. Das Strebevermögen ist aber ein passives Vermögen, weil es vom Gegenstand des Strebens, der ein unbewegter Beweger ist, wie im 3. Buch Über die Seele gesagt wird, bewegt wird.11 Der Gegenstand des Strebens bewegt allerdings das Strebevermögen nur, wenn er erkannt wird. Insofern nämlich das niedere Strebevermögen von dem von den Sinnen erkannten Gegenstand des Strebens bewegt wird, sagt man, daß seine Bewegung sinnlich ist und daß das Vermögen selbst als Sinnesempfindung bezeichnet wird. Dieses sinnliche Strebevermögen befindet sich zwischen dem natürlichen Strebevermögen und dem höheren vernünftigen Strebevermögen, welches Wille genannt wird. Dies kann nämlich daran genau erkannt werden, daß in jedem Gegenstand des Strebens zweierlei Sachverhalte betrachtet werden können: Die Sache selbst, die erstrebt wird, und der Grund des Strebens, beispielsweise der Genuß, der Nutzen oder ähnliches. Das natürliche Strebevermögen richtet sich nämlich auf die zu erstrebende Sache, ohne die Gründe des Strebens erkannt zu haben. Denn das natürliche Streben ist nichts anderes als eine gewisse Neigung auf eine Sache hin und eine Hinordnung auf einen zuträglichen Sachverhalt, ähnlich einem Stein, der nach unten fällt. Da aber das Sein einer natürlichen Sache auf naturhafte Weise bestimmt ist, und ihr nur eine einzige Neigung zukommt, ist eine Erkenntnis nicht erforderlich, durch die, gemäß der Gründe des Strebens, eine erstrebenswerte Sache von einer nicht erstrebenswerten unterschieden wird. Aber diese Erkenntnis wird bei dem vorausgesetzt, 10 Augustinus, De trin. XII, 12, 17 (PL 42, 1007–1008; CCSL 50, 372). 11 Aristoteles, De an. III, 5; 433 b 11.

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der die Natur schuf, und der jedem Wesen seine ihm eigene Neigung bezüglich der ihm gemäßen Sache verliehen hat. Das höhere Strebevermögen aber, der Wille, richtet sich unmittelbar und absolut auf die Gründe des Strebenswerten, etwa wenn der Wille zuvörderst und hauptsächlich das Gute oder den Nutzen und dergleichen erstrebt. Er erstrebt aber diese oder jene Sache in nachgeordneter Weise, insofern er an der besagten Vernunft teilhat. Und dies ist so, weil das vernünftige Wesen derart wirkkräftig ist, daß es nicht ausreichte, einer einzigen Sache zuzuneigen, schließlich benötigt es viele und verschiedene Sachen. Deshalb neigt es etwas Allgemeinem zu, das in vielen Sachen zu finden ist. Weil es Allgemeines erfaßt, neigt es der erstrebenswerten Sache zu, in der es die Gründe des Strebens erkennt. Das niedere Strebevermögen des sinnlichen Teils hingegen, welches Sinnesempfindung genannt wird, neigt derselben Sache zu, insofern es darin den Grund des Strebens antrifft. Es richtet sich aber nicht auf den Grund des Strebens selbst, weil das niedere Strebevermögen nicht nach dem Guten an sich, dem Nutzen oder dem Genuß an sich strebt, sondern nach diesem Nutzen und nach diesem Genuß. In dieser Hinsicht untersteht das sinnliche Strebevermögen dem vernünftigen. Und weil es sich nicht nur auf diese Sache richtet oder nur auf jene, sondern auf all jenes, was nützlich ist und Genuß bereitet, so steht es über dem natürlichen Strebevermögen. Daher bedarf es der Erkenntnis, mit der es das Genußbringende vom nicht Genußbringenden unterscheidet. Das offensichtliche Merkmal dieser Unterscheidung besteht darin, daß das natürliche Strebevermögen die Notwendigkeit bezüglich einer Sache beinhaltet, auf die es sich ausrichtet, etwa wenn der schwere Gegenstand notwendigerweise nach unten strebt. Das sinnliche Strebevermögen aber beinhaltet keine Notwendigkeit bezüglich irgendeiner Sache bevor diese unter dem Gesichtspunkt des Genußbringenden oder Nützlichen erfaßt wurde. Wenn sie erst einmal als genußbringend erfaßt wurde, richtet es sich notwendigerweise auf sie aus. Das vernunftlose Tier, das die genußbringende Sache betrachtet, kann nicht umhin, zu dieser zu streben. Der Wille aber beinhaltet eine Notwendigkeit bezüglich des Guten und der Nützlichkeit. Der Mensch will notwendigerweise ein Gut, aber sein Streben beinhaltet keine Notwendigkeit bezüglich dieser

1. Artikel

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oder jener Sache, so sehr sie auch als gute und nützliche aufgefaßt wird. Dies ist so, weil jedes Vermögen ein gewisses notwendiges Verhältnis zu dem ihm eigenen Gegenstand hat. Daher muß man dies so verstehen, daß der Gegenstand des natürlichen Strebevermögens diese Sache ist, insofern sie genau diese ist. Das sinnliche Strebevermögen aber strebt nach dieser Sache, insofern sie zuträglich und genußbringend ist, wie etwa das Wasser, weil es dem Geschmackssinn zuträglich; es wird aber nicht erstrebt, insofern es Wasser ist. Der dem Wille eigentümliche Gegenstand ist absolut betrachtet das Gute selbst. Deshalb unterscheidet sich die Erfassung der Sinne von der des Intellekts, denn den Sinnen kommt es zu, dieses farbige Ding zu erfassen, während der Intellekt das Wesen der Farbe erfaßt. Folglich erweist sich, daß das Strebevermögen als Wille in seiner Artbestimmung von der Sinnesempfindung unterschieden wird, ebenso wie das Gute an sich und diese gute Sache aus unterschiedlichen Gründen erstrebt werden. Denn das Gute wird seiner selbst wegen erstrebt, aber diese gute Sache wird erstrebt, insofern sie an etwas teilhat. So wie die teilhabenden Teile durch die Teilhabe vervollkommnet werden, etwa diese gute Sache durch das Gute, so herrscht das höhere Strebevermögen über das niedere und der Intellekt beurteilt auf dieselbe Weise das von den Sinnen Erfaßte. Und so ist der eigene Gegenstand der Sinnesempfindung eine gute oder eine dem Wahrnehmenden zuträgliche Sache. Dies kann auf zweierlei Weise geschehen: Zum einen, wenn es dem Sein des Wahrnehmenden zuträglich ist, wie etwa das Nahrungsmittel, das Getränk und dergleichen. Zum anderen, wenn es den Sinnen beim Wahrnehmen förderlich ist, wie wenn die schöne Farbe dem Sehvermögen beim Sehen dient und der gemäßigte Ton dem Gehör beim Hören. Petrus Lombardus gibt vollständig Auskunft über die Sinnesempfindung, indem er sagt, daß sie »ein gewisses niederes Seelenvermögen ist«, womit er ihren Unterschied zum höheren Strebevermögen beschreibt.12 Indem er hingegen sagt, daß »aus dem niederen Strebevermögen die Bewegung stammt, die auf die 12 Petrus Lombardus, Sent. II, d. 24 c. 4 (PL 192, 701–706; ed. Coll. S. Bon. I, 453).

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Sinne des Körpers verweist«, bezeichnet er ihre Eigenschaft in Bezug auf diejenigen Sachen, die den Sinnen zuträglich sind, wenn sie wahrnehmen. Wenn er aber sagt: »Auch [gibt es] ein Strebevermögen bezüglich der Sachen, die zum Körper gehören«, will er ihre Eigenschaft in Hinblick auf die der Selbsterhaltung zuträglichen Dinge bezeichnen. Zu 1. Zur Sinnesempfindung gehört etwas auf dreierlei Weise. Erstens, wenn es zum Wesen der Sinnesempfindung gehört. Auf diese Weise gehören nur die sinnlichen Strebevermögen zur Sinnesempfindung. Zweitens, wenn es eine Voraussetzung der Sinnesempfindung ist. Dementsprechend gehören die sinnlichen Erkenntnisvermögen zur Sinnesempfindung. Drittens, wenn etwas der Sinnesempfindung nachfolgt, weswegen die ausgeführten Bewegungen zur Sinnesempfindung gehören. Deshalb ist es wahr, daß all diejenigen Eigenschaften, die wir mit den Tieren gemein haben, irgendwie zur Sinnesempfindung gehören, obwohl nicht alle zum Wesen der Sinnesempfindung gehören. Zu 2. Augustinus benutzt seine Aussage, um zu veranschaulichen, wie die Akte der äußeren Sinne sind, auf die sich die Bewegung der Sinnesempfindung richtet, nicht aber um zu zeigen, daß die Wahrnehmung der körperlichen Dinge eine Bewegung der Sinnesempfindung ist. Zu 3. Die Bewegung der niederen Vernunft bezieht sich auf die Sinne des Körpers, aber nicht in derselben Weise wie die Sinne, die ihre Gegenstände wahrnehmen. Denn die Sinne nehmen ihre Gegenstände als Einzelne wahr; der Akt der niederen Vernunft aber bezieht sich auf den Sinnesgegenstand unter einem allgemeinen Gesichtspunkt. Die Sinnesempfindung hingegen richtet sich genau so wie die Sinne auf die Sinnesgegenstände, nämlich, wie gesagt, auf partikuläre Weise. Deshalb greift das Argument nicht. Zu 4. Die Schlange hat bei der Verführung der Ureltern nicht nur etwas als erstrebenswert vorgestellt, sondern sie täuschte, indem sie für es warb. Der Mensch würde aber nur dann durch ein sinnlich Vorgestelltes getäuscht werden, wenn das Vernunfturteil an die Affekte des sinnlichen Teils gebunden wäre. Und deswegen ist die Sinnesempfindung ein Strebevermögen.

1. Artikel

11

Zu 5. Die Sinnesempfindung steht in Nachbarschaft der der Vernunft dienenden Wissenschaft, aber nicht in Hinblick auf die Gattung des Vermögens, sondern in Hinblick auf die Gegenstände, denn beide beziehen sich auf zeitliche Dinge, obwohl jede, wie gesagt, auf unterschiedliche Weise. Zu 6. Unterschiedliche Erkenntnisse würden sich nur dann akzidentellerweise auf die Strebevermögen beziehen, wenn unterschiedliche Erkenntnisse mit unterschiedlichen Erkenntnisgegenständen verbunden wären. Denn das Sinnesvermögen, das sich nur auf Einzelgegenstände bezieht, erfaßt nicht das Gute im absoluten Sinn, sondern nur dieses einzelne Gut. Da sich der Intellekt hingegen auf Universelles bezieht, erfaßt er das Gute im absoluten Sinn, wodurch das niedere vom höheren Strebevermögen unterschieden wird, wie bereits gesagt wurde. Zu 7. Das momentane Gut, auf welches sich das sinnliche Strebevermögen bezieht, ist ein Einzelgut, das unter dem Aspekt des Hier und Jetzt betrachtet wird; auch wird es betrachtet, ob es notwendig oder kontingent ist. Denn, wie in Pred. 11, 7 steht, »die Sonne zu schauen, erfreut das Auge«, gleichgültig, ob es sich um ein wahrhaftes Gut oder um ein scheinbares handelt. Zu 8. Daraus ergibt sich die Antwort auf den achten Einwand. Zu 9. Der sinnliche Teil kann auf zweifache Weise verstanden werden. Zum einen insofern er sich vom Strebevermögen unterscheidet. Auf diese Weise gehört die Sinnesempfindung nur dann in den sinnlichen Teil, wenn sie sich auf das bezieht was gleichsam ihr Ursprung ist, von dem sie ihren Namen erhält. Zum anderen aber kann der sinnliche Teil verstanden werden, entweder weil er das Strebe- und Bewegungsvermögen enthält oder weil die sinnliche Seele von der vernünftigen und vegetativen abgetrennt wird. Dementsprechend ist die Sinnesempfindung im sinnlichen Teil der Seele enthalten. Zu 10. Die niedere Vernunft nimmt auf andere Weise als die Sinnesempfindung auf die körperlichen Sinne und die zum Körper gehörenden Dinge Bezug, wie bereits gesagt wurde. Deshalb ist das Argument nicht zwingend.

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2. Artik el Die zweite Frage lautet: Ist die Sinnesempfindung ein einfaches Vermögen oder wird sie in mehrere Vermögen unterteilt, nämlich in das begehrende und das überwindende?13 Es scheint, daß es sich um ein einfaches Vermögen handelt, das nicht in mehrere Vermögen unterteilt wird, denn: 1. Die Definition von Sinnesempfindung besagt, daß es sich um »eine gewisse niedere Seelenkraft« handelt.14 Dies würde man nicht behaupten, wenn sie mehrere Kräfte beinhalten würde. Folglich scheint es, daß sie nicht in mehrere Vermögen unterteilt wird. 2. Ein und dasselbe Seelenvermögen »bezieht sich auf ein Gegensatzpaar, so wie das Sehvermögen auf das Weiße und das Schwarze«, wie im 3. Buch Über die Seele gesagt wird.15 Das Zuträgliche und das Abträgliche ist aber gegensätzlich; folglich bezieht sich ein und dasselbe Vermögen auf beide. Das begehrende Vermögen bezieht sich aber auf das Zuträgliche und das überwindende Vermögen auf das Abträgliche. Daher ist ein und dieselbe Kraft überwindend und begehrend, weswegen die Sinnesempfindung nicht in mehrere Vermögen unterteilt wird. 3. Durch ein Vermögen entfernt sich eine Sache von einem Endpunkt und nähert sich einem anderen, so wie wenn sich der Stein wegen der Eigenschaft der Schwere vom höheren Ort entfernt und sich dem niedrigstem Ort nähert. Aber wegen der überwindenden Kraft entfernt sich die Seele vom Abträglichen, indem sie vor ihm flieht. Durch die begehrende Kraft hingegen nähert sie sich dem Zuträglichen, indem sie es begehrt. Folglich ist dieselbe Seelenkraft sowohl überwindend als auch begehrend, woraus dasselbe folgt wie zuvor. 4. Der eigentümliche Gegenstand der Freude ist das Zuträgliche. Die Freude aber befindet sich nur im begehrenden Vermögen; daher 13 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 81 a. 2; In De an. III, c. 8 (ed. Leon. XLV/1, 238–243). 14 Petrus Lombardus, Sent. II d. 24 c. 4 (PL 192, 701–706; ed. coll. S. Bon. I, 453). 15 Aristoteles, De an. III, 12; 422 b 24.

2. Artikel

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ist der eigentümliche Gegenstand des Begehrens das Zuträgliche. Das Zuträgliche aber ist der eigentümliche Gegenstand jeder Sinnesempfindung, denn die zum Körper gehörenden Dinge sind Dinge, die dem Körper zuträglich sind. Folglich ist die Sinnesempfindung im Ganzen nichts anderes als das überwindende Vermögen. Aus diesem Grund ist entweder das überwindende Vermögen mit dem begehrenden identisch oder das überwindende gehört nicht zur Sinnesempfindung. Was immer man auch annimmt, man gelangt an das Argumentationsziel, nämlich daß die Sinnesempfindung eine einfache Kraft ist. 5. Dagegen wurde eingewandt, der Gegenstand der Sinnesempfindung sei auch das Schädliche oder Abträgliche, auf das sich das überwindende Vermögen erstreckt. – Dagegen spricht: So wie das Zuträgliche der Gegenstand der Freude ist, so ist das Schädliche oder Abträgliche Gegenstand der Trauer. Aber sowohl Freude als auch Trauer befinden sich im begehrenden Vermögen. Folglich sind sowohl das Zuträgliche als auch das Abträgliche Gegenstand der Sinnesempfindung, und so kommt man zum selben Schluß wie zuvor. 6. Das sinnliche Strebevermögen setzt Erkenntnis voraus. Ein und dasselbe Erkenntnisvermögen erfaßt aber das Zuträgliche und Abträgliche. Folglich bezieht sich ein und dasselbe Strebevermögen auf beide, womit man zum selben Schluß wie zuvor kommt. 7. Augustinus zufolge ist »der Haß ein gereifter Zorn«.16 Der Haß aber befindet sich im begehrenden Teil, wie im 2. Buch der Topik nachgewiesen wurde.17 Denn die Liebe befindet sich in diesem Teil, der Zorn aber befindet sich im überwindenden. Folglich sind der überwindende und der begehrende Teil ein und dieselbe Kraft, anderenfalls könnte sich der Zorn nicht in beiden befinden. 8. Derjenige Aspekt der Seele, der jedem beliebigen Vermögen zukommt, bedarf keines bestimmten Vermögens, das von anderen unterschieden wäre. Das Begehren aber gehört zu jedem beliebigen Seelenvermögen, was daraus zu ersehen ist, daß jedes beliebige Seelenvermögen sich an seinem Gegenstand erfreut und es begehrt. Um 16 Augustinus, Enarr. in Psal. 54, 7 (CCSL 39, 661). 17 Aristoteles, Top. II, 7; 113 a 33.

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zu begehren, bedarf es folglich keines ordnenden Vermögens, das von anderen unterschieden wäre. Dementsprechend ist das begehrende kein vom überwindenden unterschiedenes Vermögen. 9. Die Vermögen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Aktualisierung. Aber jeder überwindende Akt beinhaltet einen begehrenden Akt, denn der Zorn beinhaltet das Begehren der Rache, und so ist es auch bei den übrigen Strebevermögen. Folglich ist das begehrende kein vom überwindenden unterschiedenes Vermögen. Dagegen spricht: 1. Die Unterscheidung des sinnlichen Strebevermögens, die Johannes von Damaskus im 2. Buch vornimmt, verweist auf ein überwindendes und ein begehrendes Vermögen.18 Ähnliches schreibt Gregor von Nyssa im Buch Über die Seele und ihre Vermögen.19 Das Strebevermögen ist nämlich der Sinnesempfindung untergeordnet. Folglich beinhaltet die Sinnesempfindung mehrere Vermögen. 2. Im Buch Über den Geist und die Seele werden diese drei bewegenden Vermögen unterschieden, »das vernünftige, das begehrende und das überwindende«.20 Doch das vernünftige Vermögen unterscheidet sich vom überwindenden und folglich dieses vom begehrenden. 3. Aristoteles siedelt im 3. Buch Über die Seele das Begehren und das Empfinden, daß heißt das begehrende und das überwindende Vermögen, im sinnlichen Strebevermögen an.21 Antwort: Das Strebevermögen der Sinnesempfindung umfaßt diese zwei Kräfte, nämlich das überwindende und das begehrende, welche zwei voneinander unterschiedene Vermögen sind. Dies ist auf folgende Weise zu ersehen. 18 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 12 (PG 94, 928; ed. Buytaert

118 f.). 19 Richtig: Nemesius de Emesa, De nat. hom. 16 (ed. Verbeke-Moncho,

95 f.). 20 Pseudo-Augustinus, De spiritu et anima 4 und 13 (PL 40, 781 und

789). 21 Aristoteles, De an. III, 14; 432 b 6.

2. Artikel

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Das sinnliche Strebevermögen stimmt in gewisser Weise mit dem natürlichen Strebevermögen überein, insofern sich beide auf ein Ding richten, das dem Strebenden zuträglich ist. Es ist erwiesen, daß sich das natürliche Strebevermögen, dem doppelten Wirken natürlicher Dinge gemäß, auf zweierlei richtet. Das eine Wirken ist das, durch welches das natürliche Ding danach trachtet, das zu erwerben, was sein Wesen erhält, beispielsweise wenn der schwere Gegenstand sich nach unten bewegt, um dort erhalten zu bleiben. Das andere [Wirken] ist das, durch das eine natürliche Sache aufgrund einer aktiven Qualität das ihm Entgegengesetzte zerstört. Dies ist bei zerstörbaren Dingen unstreitig notwendig, denn sie würden vom Entgegengesetzten zerstört werden, wenn sie nicht die Kraft hätten, sich gegen es durchzusetzen. So richtet sich folglich das natürliche Strebevermögen auf zweierlei aus, nämlich darauf, das zu erreichen, was mit der Natur übereinstimmt und ihr gesonnen ist und darauf, über das zu siegen, was ihr widerstreitet. Ersteres ergibt sich gewissermaßen auf Art und Weise des Empfangens; das Zweite hingegen geschieht auf Art und Weise des Erwirkens, weswegen es auf verschiedene Prinzipien zurückgeführt wird. Empfangen und erwirken entstammen nicht demselben Prinzip, etwa das Feuer, das durch seine Leichtigkeit nach oben getragen wird und das das der Hitze Entgegengesetze zerstört. Auf diese Weise sind im sinnlichen Strebevermögen diese zwei Aspekte anzutreffen, denn das Tier strebt vermittels des Strebevermögens nach demjenigen, was mit ihm übereinstimmt und ihm gesonnen ist; dies geschieht durch die begehrende Kraft, deren eigentümlicher Gegenstand das sinnlich Begehrliche ist. Es strebt auch danach, die Herrschaft und den Sieg über das ihm Entgegengesetzte zu erlangen; dies geschieht durch die überwindende Kraft, weswegen gesagt wird, ihr Gegenstand sei etwas Schwieriges. Auf diese Weise wird deutlich, daß das überwindende ein vom begehrenden unterschiedenes Vermögen ist, denn es gibt unterschiedliche Gründe etwas aufgrund des Begehrlichen und aufgrund des Schwierigen zu erstreben. Gelegentlich wird die Schwierigkeit vom Genuß getrennt und sie vermischt sich mit den Trauer verursachenden Dingen, so wie wenn ein Tier, nachdem es sich der Lust entledigte, der es sich hingab, den Kampf aufnimmt und sich durch

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die empfangenen Schmerzen nicht abschrecken läßt. Und wiederum scheint eines von diesen Vermögen, nämlich das begehrende, auf das Empfangen zugeordnet zu sein. Es erstrebt etwas, um sich mit dem ihm Genüßlichen zu vereinen. Das andere Vermögen aber, nämlich das überwindende, ist dem Erwirken zugeordnet, denn durch eine Tätigkeit überwindet es das ihm Entgegengesetzte und Schädliche, indem es im Sieg eine gewisse Höhe über sich selbst einnimmt. Im Allgemeinen kann man bei den Seelenvermögen feststellen, daß Empfangen und Erwirken auf unterschiedliche Seelenvermögen bezogen sind, was beim tätigen und beim passiven Intellekt zu sehen ist. Avicenna zufolge gehören deswegen Stärke und Schwäche des Herzens zum überwindenden Vermögen, als handele es sich um eine dem Hervorbringen zugeordnete Kraft.22 Zum begehrenden Vermögen aber gehört das Ausdehnen und Zusammenziehen des Herzens als handele es sich um eine dem Empfangen zugeordnete Kraft. Es geht also aus dem Gesagten hervor, daß das überwindende Vermögen dem begehrenden irgendwie gleichsam als sein Verteidiger zugeordnet ist. Dazu ist notwendig, daß das Tier durch das überwindende Vermögen den Sieg über Entgegengesetztes erlangt, damit das begehrende Vermögen ohne Widerstand vom Genüßlichen kosten kann. Ein Anzeichen dafür besteht darin, daß sich die Tiere wegen genußbringender Dinge bekämpfen, handele es sich um geschlechtliche Vereinigung oder um Nahrung, wie im 8. Buch Über die Tiere gesagt wird.23 Daher kommt es, daß alle überwindenden Affekte ihren Anfangs- und Schlußpunkt im begehrenden Affekt haben. Denn der Zorn nimmt seinen Anfang in einer zugefügten Trauer, die sich im begehrenden Vermögen befindet und er endet nach erreichter Genugtuung in Freude, welche sich wiederum im begehrenden Vermögen befindet. Ähnlich nimmt die Hoffnung ihren Anfang im Verlangen oder in der Liebe und endet im Genuß. Man hat auch zu wissen, daß sowohl von seiten der Erkenntnisvermögen als auch von seiten der Strebevermögen der sinnlichen Seele etwas ihrem eigenen Wesen gemäß zukommt. Etwas kommt 22 Vermutlicherweise bezieht sich Thomas hier auf Avicenna, De an. V, 8 (ed. Van Riet II, 180). 23 Aristoteles, Hist. an. IX, 1; 608 b 19 ff.

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ihr zu, insofern sie ein wenig an der Vernunft teilhat, indem sie in ihrem vollkommenen Zustand die Grenze der Vernunft berührt. Dionysius sagt im 7. Kapitel Über die göttlichen Namen, daß die göttliche Weisheit »die Endpunkte der ersten Prinzipien mit denen der zweiten verbindet«.24 So kommt das Vorstellungsvermögen gemäß ihrer eigenen Natur der sinnlichen Seele zu, weil in ihr die von den Sinnen erfaßten Formen aufbewahrt werden.25 Aber die Schätzkraft, durch welche das Tier die von den Sinnen nicht erfaßten Intentionen, etwa Freundschaft oder Feindschaft, wahrnimmt, befindet sich in der sinnlichen Seele, insofern sie ein wenig an der Vernunft teilhat. Daher wird aufgrund der Definition dieser Schätzkraft gesagt, die Tiere hätten eine gewisse Klugheit, wie aus dem Anfang der Metaphysik hervorgeht, etwa wenn das Schaf vor dem Wolf flieht, dessen Feindschaft es niemals sinnlich erfaßt hat.26 Ähnlich verhält es sich mit dem Strebevermögen. Daß das Tier nämlich mit den Sinnen nach dem begehrlichen Gegenstand strebt, was ja zum begehrenden Strebevermögen gehört, beruht auf der der sinnlichen Seele eigenen Definition. Daß sie aber ohne den begehrlichen Gegenstand nach dem Sieg strebt, der mit Schmerzen erreicht wird, was ja zum überwindenden Strebevermögen gehört, kommt ihr insofern zu, als sie irgendwie an ein höheres Strebevermögen heranreicht. Daher kommt das überwindende Strebevermögen der Vernunft und dem Willen näher als das begehrende. Aus diesem Grund handelt der im Zorn Willensschwache weniger schimpflich als der im Begehren Willensschwache, schließlich entbehrt ersterer der Vernunft in geringerem Maß, wie Aristoteles im 2. Buch der Ethik sagt.27 Aus dem Gesagten geht also hervor, daß Überwinden und Begehren unterschiedliche Vermögen sind. Auch geht hervor, welchen Gegenstand sie haben und wie das überwindende Strebevermögen das begehrende unterstützt und ihm überlegen ist und würdiger als es ist, genau so wie die Schätzkraft unter den Erkenntnisvermögen des sinnlichen Teils [überlegener und würdiger] ist. 24 25 26 27

Dionysius Areopagita, De div. nom. VII, 3 (PG 3, 872 B; Dion. I, 407). Dieses Vokabular geht auf Avicenna zurück. Aristoteles, Metaph. I, 1; 980 b 21. Die richtige Stelle ist Aristoteles, Eth. Nic. VII, 6; 1149 b 1.

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Zu 1. Die Sinnesempfindung ist eine einzelne Kraft, weil sie gattungsgemäß eine einzige ist, obwohl sie in verschiedene Arten oder Teile unterschieden wird. Zu 2. Sowohl der zuträgliche erfreuliche Gegenstand als auch der abträgliche trauererzeugende gehört zum begehrenden Strebevermögen, insofern vor dem einen geflohen und der andere angestrebt wird. Es gehört aber zum überwindenden Strebevermögen, einen gewissen Abstand zu beiden zu haben, so daß etwa das Schädliche überwunden und das Erfreuliche mit Sicherheit in Besitz gebracht werden kann. Zu 3. Dem begehrenden Strebevermögen kommt es zu, vor dem Schädlichen zurückzuweichen und auf das Erfreuliche zuzugehen. Aber dasjenige zu bekämpfen und zu überwinden, was schädlich sein kann, das gehört zum überwindenden Strebevermögen. Zu 4. und 5. Das Zuträgliche, insofern es zuträglich ist, ist der Gegenstand des begehrenden Strebevermögens. Aber es ist der Gegenstand der gesamten Sinnesempfindung, insofern es auf irgendeine Weise dem Tier zuträglich ist, sei es auf dem Weg der Schwierigkeit oder auf dem Weg des Genußes. Zu 6. Ein und dasselbe begehrende Strebevermögen verfolgt das Zuträgliche und flieht vor dem Abträglichen. Daher unterscheidet sich das begehrende vom überwindenden Strebevermögen nicht aufgrund des Zuträglichen und Schädlichen, wie bereits deutlich wurde. Zu 7. Wenn gesagt wird, der Haß sei ein gereifter Zorn, handelt es sich um eine Aussage bezüglich der Ursache und nicht um eine Aussage bezüglich des Wesens. Denn die überwindenden Leidenschaften werden auf die begehrenden zurückgeführt, wie bereits gesagt wurde. Zu 8. Das Begehren des tierischen Strebevermögens gehört ausschließlich zum begehrenden Strebevermögen, aber das Begehren des natürlichen Strebevermögens gehört zu jedem beliebigen Vermögen. Denn jedes beliebige Seelenvermögen ist eine gewisse Natur und es hat eine natürliche Neigung. Eine ähnliche Unterscheidung trifft auf die Liebe, das Erfreuen und dergleichen zu. Zu 9. In der Definition der überwindenden Leidenschaften wird der Akt des Strebens allgemein vorausgesetzt, so daß das Streben nicht etwas ist, was zum begehrenden Strebevermögen gehört, es sei

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denn es handele sich um seinen Anfangs- und Schlußpunkt. Dies ist so wie wenn man sagt, der Zorn sei ein Streben nach Rache aufgrund einer vorhergehenden Beleidigung.

3. Artik el Die dritte Frage lautet: Befinden sich das überwindende und das begehrende Strebevermögen ausschließlich im niederen Strebevermögen oder auch im höheren?28 Es scheint aber, daß es sich auch im höheren befindet, denn: 1. Das höhere Strebevermögen erstreckt sich auf mehr Dinge als das niedere, da es sowohl auf Körperliches als auch auf Geistiges bezogen ist. Wenn das niedere Strebevermögen folglich in zwei Kräfte unterteilt wird, nämlich das überwindende und das begehrende, so sollte auch das höhere Strebevermögen sehr viel stärker unterteilt werden. 2. Jede Kraft, die von sich aus zur Seele gehört, gehört zum höheren Teil, denn die niederen Kräfte sind der Seele und dem Körper gemein. Das überwindende und das begehrende Strebevermögen gehört von sich aus zur Seele, weswegen es im Buch Über den Geist und die Seele heißt: »Die Seele hat diese Vermögen, bevor sie sich mit dem Körper durchmischt, weil sie ihr ja natürlicherweise zukommen und von ihr nicht unterschieden sind. Die ganze Substanz der Seele setzt sich vollständig und vollkommen aus diesen drei Aspekten zusammen, d. h. der Vernünftigkeit, dem begehrenden und dem überwindenden Teil«.29 Folglich gehört das überwindende und das begehrende Strebevermögen zum höheren Strebevermögen. 3. Aristoteles im Buch Über die Seele und dem 11. Buch der Metaphysik folgend, ist nur der vernünftige Teil der Seele vom Körper trennbar.30 Der überwindende und der begehrende Teil bleibt aber in der vom Körper getrennten Seele bestehen, wie im Buch Über 28 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 82 a. 5; In De an. III, c. 8 (ed. Leon. XLV/1, 238–243). 29 Pseudo-Augustinus, De spiritu et anima 13 (PL 40, 789). 30 Aristoteles, De an. II, 4; 413 b 25 und Metaph. XII, 3; 1070 a 24.

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den Geist und die Seele festgestellt wird. Folglich gehört das überwindende und das begehrende Strebevermögen zum vernünftigen Teil der Seele. 4. Das Bildnis der Dreieinigkeit ist im höheren Teil der Seele zu suchen. Einige Autoren haben aber dem Bildnis einen vernünftigen, einen überwindenden und einen begehrenden Teil zugeschrieben. Folglich gehört das überwindende und das begehrende Strebevermögen in den höheren Teil der Seele. 5. Die Nächstenliebe ist im begehrenden Strebevermögen, die Hoffnung aber im überwindenden. Weder die Nächstenliebe noch die Hoffnung befinden sich im sinnlichen Strebevermögen, welches sich nicht auf immaterielle Dinge erstreckt. Folglich befindet sich weder das überwindende noch das begehrende Strebevermögen ausschließlich im niederen Strebevermögen, sondern auch im höheren. 6. Die menschlichen Vermögen sind diejenigen, die der Mensch zusätzlich zu den tierischen hat und die dem höheren Teil der Seele angehören. Petrus Lombardus aber unterscheidet ein zweifaches überwindendes Strebevermögen: Das menschliche und das nicht menschliche. Ähnlich verhält es sich mit dem begehrenden. Folglich befinden sich die erwähnten Vermögen nicht nur im niederen Strebevermögen, sondern auch im höheren. 7. Die Tätigkeiten der Sinnesvermögen, sowohl der erkennenden als auch der strebenden, bleiben nicht in der getrennten Seele erhalten, denn sie werden durch körperliche Organe betätigt. Anderenfalls wäre die Sinnenseele der Tiere unvergänglich, da sie ja von sich aus ihre Tätigkeiten vollziehen könnte. In der getrennten Seele bleiben aber Freude und Trauer, Liebe und Furcht und dergleichen erhalten, was dem überwindenden und dem begehrenden Strebevermögen zugeschrieben wird. Folglich befindet sich das überwindende und das begehrende Strebevermögen nicht nur im sinnlichen Teil, sondern auch im intellektiven. Dagegen spricht: Johannes von Damaskus, Gregor von Nyssa und Aristoteles siedeln diese Vermögen im sinnlichen Strebevermögen an.

3. Artikel

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Antwort: Der Akt des strebenden Teils setzt den Akt des erkennenden voraus und die Unterscheidung der Strebevermögen untereinander weist eine Ähnlichkeit zur Unterscheidung der Erkenntnisvermögen auf. Wir finden nämlich in den Erkenntnisvermögen, daß das höhere Erkenntnisvermögen bezüglich derjenigen Gegenstände einzig und ungeteilt bleibt, in Bezug auf welche die unteren Erkenntnisvermögen unterschieden werden. Mittels eines einzigen Vernunftvermögens erkennen wir das Wesen all jener Sinnesgegenstände, durch die die Sinnesvermögen unterschieden werden. Augustinus zufolge ist daher das, was man sieht und hört äußerlich verschieden; innerlich ist es im Intellekt ein und dasselbe.31 Ähnlich verhält es sich mit den Strebevermögen, daß heißt, daß das höhere Strebevermögen ein einziges bezüglich aller erstrebenswerten Gegenstände ist, obwohl die niederen Strebevermögen hinsichtlich verschiedener erstrebenswerter Gegenstände unterschieden werden. Der Grund dafür ist in beiden Teilen zu finden, denn die höhere Kraft hat einen universellen Gegenstand; die niederen Kräfte haben Einzelgegenstände. Vieles kommt wesentlich solchen Einzelgegenständen zu, die sich akzidentellerweise auf universelle Gegenstände beziehen. Weil die akzidentelle Differenz zu keiner Artunterscheidung führt, sondern nur die wesentliche Differenz, sind die artunterschiedenen niederen Vermögen dort zu finden, wo das höhere Vermögen ohne Unterscheidung bleibt. Dies ist offensichtlich beim Gegenstand des Intellekts der Fall, der etwas Bestimmtes ist, weswegen ein und dasselbe intellektive Vermögen sich auf all das erstreckt, was ein Wesen hat. Auch wird es nicht durch solche Differenzen unterschieden, die die Definition des Wesens nicht unterscheiden. Da der Sinnesgegenstand aber ein Körper ist, der ursprünglich die Sinnesorgane in Bewegung setzt, ist es notwendig die Sinnesvermögen gemäß ihrer verschiedenen Bewegungsarten zu unterscheiden. Aus diesem Grund ist der Sehsinn ein vom Hörsinn unterschiedenes Vermögen, weil die Sinne durch Farbe und Geräusch auf unterschiedliche Weise bewegt werden. Ähnlich verhält es sich bei den Strebevermögen, da, wie oben bereits gesagt wurde, der Gegenstand 31 Augustinus, De trin. XV, 6, 10 (PL 42, 1064; CCSL 50A, 473).

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des höheren Strebevermögens das Gute im absoluten Sinn ist.32 Der Gegenstand des niederen Strebevermögens ist aber eine Sache, die dem Tier irgendwie förderlich ist. Das Schwierige und das Genußbringende ist dem Tier nicht aus demselben Grund zuträglich, wie bereits gezeigt wurde. Dadurch wird der Gegenstand des niederen Strebevermögens wesentlich unterschieden, nicht aber der Gegenstand des höheren Strebevermögens, der sich in jeder Weise auf ein Gut im absoluten Sinn richtet. Man hat zu wissen, daß, so wie sich die Tätigkeit des Intellekts auf dieselben Dinge bezieht wie die Sinnesvermögen (allerdings auf höhere Weise, schließlich erkennt er auf universelle und immaterielle Weise das, was die Sinne auf materielle und singuläre Weise erfassen), sich die Tätigkeit des höheren Strebevermögens auf dieselben Dinge bezieht wie die niederen Strebevermögen, wenn auch auf höhere Weise. Denn die niederen Strebevermögen richten sich auf materielle Weise zusammen mit einer Veränderung des Körpers auf ihre Gegenstände aus; dieser Veränderung wegen wurden die Bezeichnungen ›überwindendes‹ und ›begehrendes‹ Strebevermögen verwendet. In der Tat sind einige Akte des höheren Strebevermögens denen des niederen ähnlich, allerdings ohne jegliche Veränderung. Und so werden zuweilen die Tätigkeiten des höheren Strebevermögens mit den Namen der Affekte bezeichnet.33 Dies ist so wie wenn der Wille zur Rache als Zorn und die Ruhe des Willens bezüglich eines liebenswerten Gegenstandes als Liebe bezeichnet wird. Aus dem selben Grund wird der Wille, der diese Akte hervorbringt, gelegentlich als überwindender und begehrender bezeichnet, allerdings nicht im eigentlichen Sinn, sondern aufgrund einer gewissen Ähnlichkeit, nicht aber weil es im Willen unterschiedliche dem überwindenden und begehrenden Strebevermögen ähnliche Kräfte gebe.

32 Vgl. De ver. q. 25 a. 1. 33 Thomas’ Argumentation beruft sich auf die unterschiedlichen Be-

deutungen des Begriffs passio, der u. a. sowohl eine physische Veränderung bezeichnen kann als auch die affektiven Regungen der Seele. Diese Unterscheidung spielt in der folgenden Quaestio 26 eine herausragende Rolle.

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Zu 1. Obwohl das höhere Strebevermögen sich auf mehr Dinge erstreckt als das niedere – schließlich hat es das allgemein Gute zum eigentümlichen Gegenstand – wird es nicht in mehrere Vermögen unterteilt. Zu 2. Jenes Buch ist nicht von Augustinus und es muß nicht anerkannt werden, daß er es verfasst hat.34 Man kann sagen, daß entweder auf das überwindende und begehrende Strebevermögen hinsichtlich einer Ähnlichkeitsbeziehungen Bezug genommen wird oder daß in Bezug auf den Ursprung der Vermögen gesprochen wird, denn alle Vermögen, so auch die sinnlichen, fließen aus dem Wesen der Seele. Zu 3. Bezüglich der Sinnesvermögen gibt es zwei Meinungen: Einige sagen nämlich, daß sie ihrem Wesen nach in der getrennten Seele verbleiben35; andere hingegen stellen fest, daß sie im Wesen der Seele wurzelhaft verbleiben.36 Auf welche Weise auch immer dies ausgesagt wird, die überwindenden und begehrenden Strebevermögen verbleiben auf keine andere Weise [in der Seele] wie die übrigen Seelenkräfte. Aus diesem Grund wurde im bereits erwähnten Buch festgestellt, daß die vom Körper zurückweichende Seele, die Sinne und das Vorstellungsvermögen mit sich nimmt. Zu 4. Augustinus geht im Buch Über die Dreieinigkeit den vielen Weisen der Dreieinigkeit in unserer Seele nach, in welcher eine gewisse Ähnlichkeit zur ungeschaffenen Dreieinigkeit besteht, obwohl sich der wahre Urgrund des Abbilds nur im Geist befindet.37 Aufgrund des Urgrunds der erwähnten Ähnlichkeit siedeln einige Autoren das Abbild im vernünftigen, im überwindenden und im begehrenden Teil an, obwohl dies nicht im eigentlichen Sinn ausgesagt wird. Zu 5. Die Nächstenliebe und die Hoffnung befinden sich im eigentlichen Sinn im überwindenden und im begehrenden Teil, denn 34 Thomas ist sich bewußt, daß die Schrift De spiritu et anima nicht authentisch ist. 35 Petrus Lombardus, Sent. IV, d. 44 c. 7 (PL 192, 947; ed. Coll. S. Bon. II, 520 f.). 36 Albertus Magnus, Sent. IV d. 44 a. 43 (ed. Borgnet XXX, 601 a). 37 Augustinus: De trin. XI, 2–5 (CCSL 50, 334–339).

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die Hingabe zur Nächstenliebe und die Erwartung der Hoffnung ergeben sich ohne Affekt. Es wird aber eingewandt, daß die Nächstenliebe insofern im begehrenden Teil ist, als sie sich im Willen befindet, insofern dessen Akte denen des begehrenden Teils ähneln. Aus einem ähnlichen Grund wird gesagt, die Hoffnung befinde sich im überwindenden Teil. Zu 6. Das überwindende und das begehrende Strebevermögen ist nicht wesentlich menschlich oder vernünftig als gehörte es zu einem übergeordneten Teil, sondern [es ist menschlich] durch Teilhabe, insofern es der Vernunft gehorcht und an seiner Leitung teilhat, was auch Johannes von Damaskus feststellt.38 Zu 7. Freude und Furcht, welche Affekte sind, verbleiben nicht in der getrennten Seele, da sie aufgrund körperlicher Veränderungen in Erscheinung treten. Dennoch sind diese Affekte dem Willensakt ähnlich. 4. Artik el Die vierte Frage lautet: Gehorcht die Sinnesempfindung der Vernunft?39 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. In Röm. 7, 19 wird gesagt: »Ich tue nicht das, was ich will, sondern vollbringe das Übel des Hasses«. So wie es eine gewisse Glosse besagt, wird dies aufgrund der Bewegung der Sinnesempfindung festgestellt.40 Folglich gehorcht die Sinnesempfindung weder dem Willen noch der Vernunft. 2. An jener Stelle wird gesagt: »Ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meiner Vernunft im Streit liegt«, usw.41 Dieses Gesetz ist aber die Sinnesempfindung und folglich widerstreitet es dem Gesetz des Geistes, d. h. der Vernunft und deswegen gehorcht die Sinnesempfindung der Vernunft nicht. 38 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 12 (PG 94, 928 C; ed. Buytaert 119). 39 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 81 a. 3; Sum. theol. I-II, q. 17 a. 1; In Eth. I, 20 (ed. Leon. XLVII/1, 71–73). 40 Petrus Lombardus, In Epistolam ad Romanos VII, 15–18 (PL 191, 1422–1424) 41 Röm. 7, 23.

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3. So wie die Erkenntnisvermögen aufeinander zugeordnet sind, so sind es auch die Strebevermögen. Der Intellekt aber hat keine Gewalt über die Akte der äußeren Sinne, schließlich sehen oder hören wir nicht, wann immer der Intellekt es gebietet. Folglich ordnet sich auch die Bewegung der Sinnesempfindung der Vernunft nicht unter. 4. Die naturgegebenen Dinge in uns ordnen sich der Vernunft nicht unter. Durch einen natürlichen Antrieb richtet sich die Sinnesempfindung aber auf seinen erstrebenswerten Gegenstand. Folglich ordnet sich die Bewegung der Sinnesempfindung der Vernunft nicht unter. 5. Die Bewegungen der Sinnesempfindung sind Affekte der Seele, die bestimmte Verfassungen des Körpers voraussetzen, wie Avicenna feststellt.42 Dies ist so wie wenn der Zorn ein heißes und verfeinertes Blut voraussetzt und die Freude ein milderes Blut. Die Verfassung des Körpers ordnet sich aber der Vernunft nicht unter und folglich auch nicht die Bewegung der Sinnesempfindung. Dagegen spricht: Johannes von Damaskus sagt, daß die überwindenden und begehrenden Strebevermögen, welche Teile der Sinnesempfindung sind, irgendwie an der Vernunft teilhaben.43 Folglich hat die Vernunft auch Macht über die Bewegung der Sinnesempfindung. Dies geht aus den Lehren des Aristoteles im 1. Buch der Ethik und Gregors von Nyssa hervor.44 Antwort: Im Ordnungsverhältnis der bewegbaren Dinge und der Beweger muß man zu einer sich selbst bewegenden Sache gelangen, die dasjenige bewegt, was sich nicht von selbst bewegt. Denn alles was durch ein anderes hervorgebracht wird, wird auf etwas zurückgeführt, was 42 Avicenna, De an. IV, 4 (ed. Van Riet II, 61). 43 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 12 (PG 94, 928 C; ed. Buy-

taert, 119). 44 Aristoteles, Eth. Nic. I, 20; 1102 b 30; Nemesius, De nat. hom. c. 16. (ed. Verbeke-Moncho, 95 f).

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von sich aus existiert, wie aus dem 8. Buch der Physik hervorgeht.45 Da der Wille sich aus dem Grund selbst bewegt, weil er Macht über seine Tätigkeit hat, ist es notwendig, daß die übrigen Kräfte, welche sich nicht von selbst bewegen, von ihm irgendwie bewegt werden. Jede andere Kraft hat je mehr an seiner Bewegung teil, umso näher sie ihm steht. Daher gehorchen die niederen Strebevermögen in Bezug auf ihre hauptsächlichen Tätigkeiten dem Willen, da sie ihm am nächsten stehen. Andere aber sind entfernter, so wie die Kräfte der Ernährung und der Erzeugung, und sie werden vom Willen in Hinblick auf gewisse äußere Tätigkeiten in Bewegung gesetzt. Aus drei Gründen werden nämlich die niederen Strebevermögen, d. h. das überwindende und das begehrende, der Vernunft untergeordnet. Zum ersten von seiten der Vernunft. Da ein und dieselbe Sache unter verschiedenen Bedingungen betrachtet werden kann und auf das Genüßliche oder Schreckliche zurückgeführt wird, so steht die Vernunft der Sinnesempfindung vermittels der Vorstellung einer unter dem Gesichtspunkt des Genuß- oder Trauerbringenden erfaßten Sache entgegen; und so wird die Sinnesempfindung auf Freude oder Trauer zubewegt. Daher sagt Aristoteles im 1. Buch der Ethik, daß die Vernunft »zum Besten« rät.46 Zum zweiten von seiten des Willens: Bei den aufeinander zugeordneten und verbundenen Seelenkräften verhält es sich so, daß die intensive Bewegung der einen, und häufig in der höheren, auf die übrigen übergeht. Da sich aus diesem Grund der Willen auf etwas vermittels der Wahl hinbewegt, folgt deshalb das überwindende und das begehrende Strebevermögen der Bewegung des Willens. Daher wird im 3. Buch Über die Seele festgestellt, daß ein Strebevermögen ein anderes Strebevermögen bewegt, nämlich das höhere das niedere, so wie eine Sphäre eine andere Sphäre im Bereich der Himmelskörper bewegt. Zum dritten von seiten des die Bewegung ausführenden Teils. So wie das Ausrücken des Heeres in den Krieg vom Befehl des Befehlshabers abhängt, so bewegt die Bewegkraft in uns die Glieder nur auf Befehl dessen, was in uns herrscht, nämlich die Vernunft, unabhängig von der Bewegung der niederen Kräfte. Daher unterdrückt die Vernunft 45 Aristoteles, Phys. VIII, 9; 256 a 4 ff. 46 Aristoteles, Eth. Nic. I, 20; 1102 b 15.

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das überwindende und das begehrende Strebevermögen, so daß sie nicht auf die äußeren Akte übergeht. Aus diesem Grund wird in Gen. 4, 7 gesagt: »Das Strebevermögen wird dir unterstehen«.47 Dementsprechend wird deutlich, daß das überwindende und das begehrende Strebevermögen der Vernunft untersteht, und ähnlich verhält es sich mit der Sinnesempfindung, obwohl die Bezeichnung ›Sinnesempfindung‹ den Seelenkräften zugesprochen wird, nicht weil sie an der Vernunft teilhaben, sondern weil sie zum Wesen des sinnlichen Teils gehören. Daher wird nicht im eigentlichen Sinn gesagt, die Sinnesempfindung unterstehe der Vernunft, wie es beim überwindenden und begehrenden Strebevermögen der Fall ist. Zu 1. Die Worte jenes Apostels werden so verstanden, weil es nicht allgemein in unserer Macht steht, alle ungeordneten Bewegungen der Sinnesempfindung zu verhindern, obwohl wir einzelne Bewegungen verhindern können, wie aus dem Gesagten hervorgeht. Zu 2. Wenn die Sinnesempfindung in sich betrachtet wird, widerstreitet sie der Vernunft, gleichwohl kann die Vernunft sie unterdrücken, wie bereits gesagt wurde. Zu 3. Auch die niederen Erkenntnisvermögen gehorchen den höheren, wie beim Vorstellungsvermögen und den übrigen inneren Sinnen zu sehen ist. Daß aber die äußeren Sinne der Vernunft nicht gehorchen, rührt daher, daß der äußere Sinn des wahrnehmbaren Gegenstands bedarf, um wahrnehmen zu können. Ohne diesen könnte er nicht aktualisiert werden. Zu 4. Das niedere Strebevermögen richtet sich natürlicherweise auf eine Sache nur aus, nachdem sie unter dem Aspekt des eigentlichen Gegenstands vorgestellt wurde, wie bereits gesagt wurde.48 Da es daher der Vernunft zukommt, eine und dieselbe Sache unter verschiedenen Aspekten vorzustellen, wie etwa ein Nahrungsmittel als erfreulich oder lebensbedrohend, kann sie die Sinnesempfindung unter verschiedenen Aspekten bewegen. 47 Siehe auch Sum theol. I-II q. 10 a. 3 sed contra. 48 Vgl. De ver. q. 25 a. 1. Bei den eigentlichen Gegenständen handelt es

sich um den jeden äußeren Sinnesvermögen eigenen Objektbereich, etwa Farbe beim Sehsinn, Geräusch beim Hörsinn usw.

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Zu 5. Die körperliche Verfassung, die zur Beschaffenheit des Körpers gehört, untersteht der Vernunft nicht. Aber dies ist auch nicht erforderlich, damit die erwähnten Affekte aktualisiert werden, sondern nur, damit der Mensch über sie verfüge. Die gegenwärtige Veränderung des Körpers, die die Aktualisierung dieses Affekts begleitet, etwa die Sammlung des Bluts um das Herz herum oder dergleichen, ergibt sich aus dem Vorstellungsvermögen und untersteht deswegen der Vernunft.

5. Artik el Die fünfte Frage lautet: Kann es in der Sinnesempfindung Sünde geben?49 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Augustinus zufolge »kann man nur willentlich sündigen«.50 Die Sinnesempfindung unterscheidet sich aber vom Willen; folglich gibt es keine Sünde in der Sinnesempfindung. [2. Das Argument fehlt.] 3. Die Sünden bleiben in der getrennten Seele bestehen. Die Sinnesempfindung aber bleibt nicht in der getrennten Seele bestehen, und da es sich um ein Vermögen zusammengesetzter Dinge handelt, wird sie durch den Körper aktualisiert. »Worauf sich die Potenz bezieht, darauf bezieht sich auch der Akt«, wie Aristoteles im Buch Über den Schlaf und das Wachen sagt.51 Folglich gibt es in der Sinnesempfindung keine Sünde. 4. Im 5. Buch des Gottesstaates gibt es Augustinus zufolge etwas, was hervorbringt, aber nicht hervorgebracht wird, nämlich Gott; in ihm gibt es keine Sünde. Es gibt aber etwas, was hervorbringt und hervorgebracht wird, etwa der Wille; in ihm gibt es die Sünde. Es gibt aber etwas, was hervorgebracht wird, aber nichts hervorbringt, wie die Sinnesempfindung, und folglich gibt es in ihr keine Sünde. 49 Paralleltexte: Sent. II d. 24, 3, 2; Sum. theol. I-II, q. 74 a. 3–4; De malo q. 7 a. 6 (ed. Leon. XXIII, 174–176). 50 Augustinus, De duabus animabus 10 (PL 42, 101 u. 104; CSEL 25, 68). 51 In Anlehnung an Aristoteles, De somno 1; 454 a 8.

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5. Es wurde eingewandt, daß es in der Sinnesempfindung allein aus dem Grund Sünde geben kann, weil ihre Bewegung unterbunden werden kann. – Dagegen spricht: Bei dem, was die Vernunft verhindern kann, es aber nicht tut, wird in einem abgeleiteten Sinn von einer Zustimmung der Vernunft ausgegangen, die sicher nicht zur Sünde hinreicht, denn für das Verdienst ist eine ausdrückliche Zustimmung nötig. Gott ist geneigter sich zu erbarmen als zu bestrafen, wie eine gewisse Glosse im Prolog zu Jeremias feststellt.52 Folglich ist auch dies kein Grund zu sagen, in der Sinnesempfindung gebe es Sünde. 6. »Niemand sündigt bezüglich einer Sache, die er nicht verhindern kann«.53 Wir können aber die Unordnung der Bewegungen der Sinnesempfindung nicht verhindern. Wie Augustinus nämlich sagt, wollte der Mensch das Böse nicht verhindern, als er es verhindern konnte, »er konnte es nicht niederschlagen wie er wollte«.54 Folglich gibt es in der Sinnesempfindung keine Sünde. 7. Wenn die Bewegung der Sinnesempfindung rechtens ist, dann ist sie keine Sünde, so wie wenn der Ehemann sich seiner Frau nähert. Die Sinnesempfindung aber unterscheidet nicht zwischen rechtens und unrecht und folglich wäre es keine Sünde, wenn sich die Sinnesempfindung auf ein Unrecht hinbewegte. 8. Tugend und Sünde sind konträre Begriffe; in der Sinnesempfindung kann es aber Tugend nicht geben und folglich auch nicht Sünde. 9. Die Sünde gibt es nur bei dem, dem sie zugerechnet werden kann. Der Sinnesempfindung wird aber die Sünde nicht zugerechnet, da sie ihre Tätigkeiten nicht beherrscht; dies tut der Wille. Folglich gibt es in der Sinnesempfindung keine Sünde. 10. Der materielle Aspekt der Todsünde kann in der Sinnesempfindung existieren. Wir sagen nämlich nicht, daß es in ihr Todsünde 52 Origenes, Homiliae in Jeremiam I (PG 13, 255 A); siehe auch De ver. q. 15 a. 4 arg. 13. 53 Siehe Sum. theol. I-II, 109, 8 arg. 1. Das Zitat ist nicht wörtlich und dem Sinn der Formulierung kommt am nächsten Augustinus, Contra Iulianum opus imperfectum I, 73 (CSEL 85/1, 84). 54 Es handelt sich wiederum um kein wörtliches Zitat. Siehe aber Augustinus, Contra Iulianum libri sex V, 27 (PL 44, 801).

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gebe, weil sie nicht den formalen Aspekten der Todsünde entspricht. Der formale Aspekt der läßlichen Sünde, nämlich das Fehlen der geschuldeten Ordnung, befindet sich nicht in der Sinnesempfindung, sondern in der Vernunft, der es zukommt, zu ordnen. Folglich gibt es in der Sinnesempfindung keine läßliche Sünde. 11. Wenn ein Blinder, der von einem Sehenden geführt wird, in eine Grube fällt, ist dies kein Verfehlen des Blinden, sondern des Sehenden. Da nämlich die Sinnesempfindung gewissermaßen blind ist gegenüber den göttlichen Dingen, wäre es nicht ihre Sünde, wenn sie Unrechtes täte, sondern vielmehr der Vernunft, die sie leiten muß. 12. So wie die Sinnesempfindung von der Vernunft irgendwie geleitet wird, so auch die äußeren Glieder, von denen wir aber sagen, es gebe in ihnen keine Sünde. Folglich gibt es sie auch nicht in der Sinnesempfindung. 13. Die Disposition und die Form befinden sich in derselben Sache, weil der Akt der aktiven Dinge im Passiven und Disponierten ist. Die läßliche Sünde disponiert aber zur Todsünde. Wenn es die Todsünde folglich nicht in der Sinnesempfindung geben kann, so auch nicht die läßliche Sünde. 14. Der Akt der Unzucht steht der Sinnesempfindung näher als der Vernunft. Gäbe es in der Sinnesempfindung Sünde, würde es sich um eine Todsünde handeln, wie es etwa die Unzucht ist. Daß dies aber falsch ist, sieht man daran, daß es in ihr keine Sünde geben kann. Dagegen spricht: 1. Augustinus sagt: »So manche Sünde ergibt sich, wenn das Fleisch das dem Geist Entgegengesetzte begehrt«.55 Dieses Begehren des Fleisches gehört aber zur Sinnesempfindung; folglich kann es in ihr Sünde geben. 2. Petrus Lombardus sagt in der 24. Unterscheidung des 2. Buchs der Sentenzen, daß die läßliche Sünde in der Sinnesempfindung existiert.56 55 Augustinus, De civ. Dei XIX, 4 (CCSL 48, 666). 56 Petrus Lombardus, Sent. II, d. 24 c. 8 (PL 192, 703; ed. Coll. S. Bon.

I, 456).

5. Artikel

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Antwort: Die Sünde ist nichts anderes als eine Tätigkeit, die von der rechten Ordnung, die es geben muß, abweicht. Auf diese Weise hat man davon auszugehen, daß es die Sünde in den Dingen gibt, die von Natur aus existieren, und in solchen, die auf Kunstfertigkeit beruhen, wie Aristoteles im 2. Buch der Physik feststellt.57 Eine moralische Sünde ergibt sich dann, wenn die Handlung vom moralisch Gebotenen abweicht. Jemand vollzieht eine moralische Handlung, weil sie irgendwie in uns liegt und ihr demzufolge Lob und Tadel gebührt. Daher ist die Handlung, die vollkommen in unserer Macht liegt, eine vollkommen moralische Handlung. Hierin kann der vollkommene Grund der moralischen Sünde liegen, etwa bei den Handlungen, die der Wille wählt und ausübt. Die Tätigkeit der Sinnesempfindung liegt aber nicht vollkommen in unserer Macht, weil sie dem Vernunfturteil zuvorkommt. Sie liegt irgendwie in unserer Macht, insofern die Sinnesempfindung der Vernunft untergeordnet ist, wie bereits58 gesagt wurde. Und daher gehört ihre Tätigkeit in die Gattung der moralischen Handlungen, wenn auch der unvollkommenen. Aus diesem Grund kann es in der Sinnesempfindung keine Todsünde geben, welche eine vollkommene Sünde ist, sondern nur eine läßliche Sünde, in welcher man einen unvollkommenen Grund moralischer Sünden antrifft. Zu 1. Das Subjekt einer Sache ist zweifacher Art, nämlich primär und sekundär. So wie die Oberfläche das primäre Subjekt der Farbe ist, so ist der Körper das sekundäre Subjekt, insofern er der Oberfläche untergeordnet ist. Und ebenso hat man zu sagen, daß das primäre Subjekt der Sünde der Wille ist; die Sinnesempfindung aber ist das Subjekt der Sünde, insofern sie irgendwie am Willen teilhat. Zu 2. Die Tätigkeit der Sinnesempfindung ergibt sich in uns nicht aus dem Wesen der Sinnesempfindung, sondern daraus, daß die Kräfte der Sinnesempfindung durch Teilhabe vernünftig sind. Zu 3. Die Eindrücke der Sünden, von welcher Kraft auch immer sie ausgeführt worden sind, verbleiben im Gewissen. Geht man da57 Aristoteles, Phys. II, 14; 199 a 33. 58 De ver. q. 25 a. 4.

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her davon aus, daß die Sinnesempfindung in der erwähnten Weise in ihrer Ganzheit Bestand hat, kann die Sünde der Sinnesempfindung Bestand haben. Die Frage aber, ob die Sinnesempfindung nicht doch Bestand hat, ist an anderer Stelle zu diskutieren. Zu 4. Obwohl die Sinnesempfindung in sich betrachtet nichts hervorbringt, bringt sie in dem Maße etwas hervor, wie sie irgendwie an der Vernunft teilhat. Zu 5. Es wird nicht gesagt, die Sünde sei in der Sinnesempfindung aufgrund einer abgeleiteten Übereinstimmung mit der Vernunft. Wenn nämlich die Bewegung der Sinnesempfindung das Vernunfturteil unterbindet, gibt es eine Zustimmung weder im abgeleiteten noch im expliziten Sinn. Aus der Tatsache selbst, daß die Sinnesempfindung der Vernunft untergeordnet werden kann, ergibt sich, daß ihre Tätigkeit den Charakter der Sünde hat, obwohl sie der Vernunft zuvorkommt. Man hat zur Kenntnis zu nehmen, daß, obwohl die Zustimmung im abgeleiteten Sinn gelegentlich zur Sünde hinreicht, sie nicht notwendigerweise zum Lob führt. Zum Guten ist sie notwendiger als zum Bösen, da sich das Böse aus einzelnen Mängel ergibt, das Gute aber aus einer ganzen und vollständigen Ursache, wie Dionysius im 4. Kapitel der Göttlichen Namen sagt.59 Zu 6. Die Sünden der Sinnesempfindung können wir freilich im Einzelfall vermeiden, allerdings nicht alle, wie aus den Erläuterungen einer anderen Frage hervorgeht.60 Zu 7. Wenn sich jemand seiner Ehefrau aus Gründen der Sinnesempfindung, die noch nicht die Grenzen des der Ehe Gemäßen überschreiten, nähert, so ergibt sich eine läßliche Sünde. Daraus geht hervor, daß die Bewegung der Sinnesempfindung, die das Vernunfturteil des Ehepartners verhindert, eine läßliche Sünde ist. Wenn aber die Vernunft festlegt, es sei rechtens etwas zu begehren, dann liegt selbst dann keine Sünde vor, wenn sich die Sinnesempfindung auf denselben Gegenstand ausrichtet. Zu 8. Die moralische Tugend befindet sich in den Kräften der Sinnesempfindung, nämlich der überwindenden und begehrenden Kraft, wie Aristoteles im 3. Buch der Ethik zeigt, wo er feststellt, daß 59 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 30 (PG 3, 729 C; Dion. I, 298) 60 Vgl. De ver. q. 24 a. 12.

5. Artikel

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Mäßigung und Tapferkeit in den Bereich der Sinnesempfindung gehören.61 Da aber die Sinnesempfindung diesen Kräften ihren Namen verleiht in Bezug auf die natürliche Neigung des Sinnesvermögen, das der Vernunft widerstreitet, nicht aber insofern es an ihr teilhat, so wird im eigentlicheren Sinn gesagt, es gebe die Sünde in der Sinnesempfindung und die Tugend im überwindenden und begehrenden Vermögen. Die Sünde aber, die in der Sinnesempfindung ist, widerstreitet der Tugend nicht, und daher folgt ihr die Vernunft nicht. Zu 9. Jede Sünde wird dem Menschen zugerechnet, insofern er einen Willen hat. Es wird gesagt, die Sünde befinde irgendwie in dem Vermögen, dessen Tätigkeit entstellt werden kann. Zu 10. Der materielle Aspekt der Todsünde kann auf dreierlei Weisen verstanden werden. Erstens wenn der Gegenstand die Materie des Akts darstellt. Auf diese Weise befindet sich die Materie der Todsünde gelegentlich in der Sinnesempfindung, etwa wenn jemand dem Genuß der Sinnesempfindung zustimmt. Zweitens wenn gesagt wird, die äußere Handlung sei materiell in Hinblick auf die innere Handlung, welche den formalen Aspekt der Todsünde darstellt, etwa wenn die äußere und die innere Handlung eine einzige Sünde darstellt. Dementsprechend kann die Tätigkeit der Sinnesempfindung materiell in der Todsünde enthalten sein. Zum dritten stellt das Materielle in der Todsünde eine Ausrichtung auf das Gute, das mit dem Ziel austauschbar ist, dar; das Formale aber ist die Abkehr von einem nicht austauschbaren Gut. Deswegen kann das, was in der Todsünde materiell ist, nicht auch in der Sinnesempfindung sein. Aus den erwähnten Gründen folgt nicht, daß die Todsünde dort nicht sein kann, wo es keine läßliche Sünde gibt. Zu 11. Es wird gesagt, es gebe Sünde in der Sinnesempfindung, nicht weil sie ihr zugerechnet wird, sondern weil durch sie eine Handlung vollzogen wird. Sie wird dem Menschen zugerechnet, insofern diese Handlung in seiner Verfügungsgewalt liegt. Zu 12. Nur die äußeren Glieder werden bewegt. Die niederen Strebevermögen bewegen ähnlich wie es der Wille tut. Insofern sie ein wenig am Willen teilhaben, können sie das Subjekt von Sünden sein. 61 Aristoteles, Eth. Nic. III, 19; 1117 b 23.

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Zu 13. Eine Disposition ist zweifacher Art: Zum einen, wenn das Erleidende dazu disponiert wird, eine Form zu empfangen. Eine solche Disposition befindet sich im selben Gegenstand zusammen mit der Form. Zum anderen, wenn das Tätige dazu disponiert wird, tätig zu werden. Diese ist wahrhaftig nicht im selben Gegenstand wie die Form, zu der sie sich disponiert. Eine solche Disposition ist läßlich, wenn sie in der Sinnesempfindung liegt, und eine Todsünde, wenn sie in der Vernunft liegt, denn die Sinnesempfindung ist wie die Triebfeder der Todsünde, insofern sie die Vernunft veranlaßt, zu sündigen. Zu 14. Obwohl der Akt der Unzucht hinsichtlich des Gegenstandes der Vernunft dem begehrenden Vermögen nähersteht als der Vernunft, steht er wegen der Befehlsgewalt der Vernunft dennoch der Vernunft näher. Denn die äußeren Glieder führen die Handlung nur auf Befehl der Vernunft aus. Daher kann es in ihnen die Todsünde geben, nicht aber in der Tätigkeit der Sinnesempfindung, die dem Vernunfturteil vorausgeht.

6. Artik el Die sechste Frage lautet: Ist das begehrende Strebevermögen verderbter und befleckter als das überwindende?62 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Die Verderbnis und Befleckung der menschlichen Natur entspringt der Ursünde. Die Ursünde befindet sich nämlich im Wesen der Seele wie in einem Subjekt, weil sie [d. i. die Ursünde], wie einige sagen, auf die Seele aufgrund ihrer Vereinigung mit dem Körper übertragen wird, mit dem sie wesentlich vereint ist. Weil sich nämlich alle Vermögen in gleicher Weise dem Wesen der Seele nähern, insofern sie in ihr wurzeln, so scheint es, daß die Befleckung und Verderbnis im begehrenden Strebevermögen nicht stärker ist als im überwindenden und den übrigen Vermögen. 62 Paralleltexte: Sent. II, d. 31 q. 2 a. 2; Sum. theol. I-II, q. 83 a. 4; De malo q. 4 a. 2 ad 12 (ed. Leon. XXIII, 113) u. q. 5 a. 1 (ed. Leon. XXIII, 129–133).

6. Artikel

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2. Aus der Verderbnis unseres Wesens ergibt sich eine gewisse Neigung zur Sünde.63 Die überwindenden Sünden sind aber schwerwiegender als die begehrenden, weil Gregor zufolge die geistigen Sünden eine größere Schuld darstellen als die des Fleisches.64 Folglich ist das überwindende Strebevermögen verderbter als das begehrende. 3. Aus der Verderbnis unseres Wesens entspringt eine schlagartige Bewegung der Seele. Die Bewegungen des überwindenden Strebevermögens scheinen aber schlagartiger zu geschehen als die des begehrenden. Das überwindende wird von einer gewissen Seelenkraft bewegt, während das begehrende durch eine gewisse Verzärtelung der Seele bewegt wird. Folglich ist das überwindende Strebevermögen verderbter als das begehrende. 4. Die Verderbnis und Befleckung, von der wir sprachen, stellt eine Zerstörung des Wesens dar und wird durch die Erzeugung weitergegeben. Die überwindenden Sünden sind ›natürlicher‹ und werden von den Eltern in stärkerem Maße an die Kinder weitergegeben als die begehrenden Sünden, wie Aristoteles im 7. Buch der Ethik sagt.65 Folglich sind die überwindenden Sünden verderbter als die begehrenden. 5. Die Verderbnis in uns entspringt der Sünde der Ureltern. Doch die Ursünde der Ureltern war der Stolz bzw. der im überwindenden Strebevermögen befindliche Übermut. Folglich ist auch in uns das überwindende Strebevermögen verderbter und befleckter als das begehrende. Dagegen spricht: Dort, wo die Schmach größer ist, dort sind es auch Verderbnis und Befleckung. Doch Aristoteles stellt im 8. Buch der Ethik fest, daß der im Begehren Willensschwache schmählicher 63 Man wird wohl in diesem Zusammenhang corruptio nicht im aristotelischen Sinn von Zerstörung übersetzen müssen, sondern im moralisierend-theologischen Sinn von Verderbnis, auch wenn Thomas einige Zeilen weiter beide Bedeutungen in Zusammenhang bringt. 64 Gregor der Große, Moralia in Iob XXXIII, 15 (PL 76, 688 B; CCSL 143B, 1695). 65 Aristoteles, Eth. Nic. VII, 6; 1149 b 6.

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ist als der im Überwinden Willensschwache.66 Folglich ist das begehrende Strebevermögen verderbter und befleckter als das überwindende. 2. Wir sind dort verderbter, wo wir Schwierigerem widerstehen. Es ist aber schwieriger gegen die Lust anzukämpfen, welche zum begehrenden Strebevermögen gehört, als gegen das überwindende Strebevermögen, wie Aristoteles im 2. Buch der Ethik feststellt.67 Folglich sind wir im begehrenden verderbter als im überwindenden Strebevermögen. Antwort: Verderbnis und Befleckung der Ursünde unterscheiden sich insofern, als die Verderbnis zur Schuld gehört, die Befleckung aber zur Strafe. Es wird gesagt, die Urschuld befände auf zweierlei Weise in einem Seelenvermögen. Zum einen in wesentlicher, zum anderen in ursächlicher Weise. Wesentlich ist sie entweder im Wesen der Seele oder im intellektiven Teil, wo sich die ursprüngliche Gerechtigkeit ansiedelt, welche durch die Ursünde ausgelöscht wurde. Ursächlich aber befindet sie sich in jenen Vermögen, die die Tätigkeit der menschlichen Erzeugung betreffen, durch welche die Ursünde weitergegeben wurde. Diese Tätigkeit betrifft das Erzeugungsvermögen, das sie ausführt. Sie betrifft das begehrende Strebevermögen als würde sie unter dem Aspekt des Genusses befohlen werden. Den Tastsinn betrifft sie, insofern sie den Wahrnehmenden erfreut. Unter den Sinnen wird die Befleckung deswegen dem Tastsinn zugeschrieben, [sie wird] unter den Strebevermögen dem begehrenden [zugeschrieben], [und] unter allen Seelenvermögen dem Erzeugungsvermögen, von dem gesagt wird, es sei verderbt und befleckt. Die Verderbnis der Seele, von der wir sprachen, muß als körperliche Zerstörung aufgefaßt werden, die hervorgerufen wird, wenn das die einzelnen konträren Teile Umfassende entfernt wurde und sie sich auf das richten, was ihrem Wesen entspricht. Auf diese Weise kommt die Auflösung des Körpers zustande. Ähnlich war 66 Eigentlich handelt es sich um einen Hinweis auf Aristoteles, Eth. Nic. VII, 6; 1149 b 1. 67 Aristoteles, Eth. Nic. II, 3; 1105 a 7.

6. Artikel

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es, nachdem die Urgerechtigkeit verschwunden war, durch die im Zustand der Unschuld die Vernunft sich alle niederen Vermögen völlig unterwarf, als sich die niederen Vermögen auf die ihnen eigenen Gegenstände ausrichteten, nämlich die Begehrkraft auf den Genuß, die überwindende Kraft auf den Zorn und dergleichen. Daher vergleicht Aristoteles im 1. Buch der Ethik diese Teile der Seele mit den aufgelösten Teilen des Körpers.68 So wie nicht gesagt wird, die Zerstörung des Körpers entstehe in der Seele, durch deren Verschwinden der Körper aufgelöst werde, sondern vielmehr im aufgelösten Körper, so daß diese Zerstörung in den sinnlichen Kräften entstehe, insofern das, was sie beinhalten, vernunftlos ist und sich auf vielerlei richtet. [Die Zerstörung] entsteht nicht in der Vernunft selbst, es sei denn ihre eigene Vollkommenheit würde durch eine Trennung von Gott verloren abhanden gehen. Deswegen: Je weiter sich eine der niederen Kräfte von der Vernunft entfernt, umso verderbter ist sie. Weil das überwindende Strebevermögen der Vernunft deshalb näher steht, gleichsam als würde – Aristoteles im 7. Buch der Ethik zufolge – etwas Vernünftiges an ihrer Bewegung teilhaben, so ist das überwindende nicht so verderbt wie das begehrende. Zu 1. Obwohl alle Vermögen im Wesen der Seele wurzeln, fließen jedoch einige früher als andere aus dem Wesen der Seele. Zur ursprünglichen Ursache haben sie ein unterschiedliches Verhältnis. Deswegen sind die durch die Ursünde bedingte Verderbnis und Befleckung nicht bei allen vergleichbar. Zu 2. Aus der Tatsache, daß das überwindende Strebevermögen an der Bewegung der Vernunft in größerem Maße teilhat als das begehrende ergibt sich, daß die überwindenden Sünden schwerwiegender sind; die begehrenden sind aber schändlicher. Das Gutdünken der Vernunft vergrößert nämlich die Schuld, so wie auch Unwissenheit die Schuld mindert. Von der Vernunft Abstand zu nehmen, in der die ganze menschliche Würde besteht, ist eine Schmach. Daraus geht hervor, daß das begehrende Strebevermögen in dem Maße verderbter ist wie es sich von der Vernunft entfernt. 68 Aristoteles, Eth. Nic. I, 20; 1102 b 18.

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3. Die überwindenden und begehrenden Bewegungen lassen sich auf zwei Weisen betrachten, nämlich beim Streben und in der Ausführung. Beim Streben tritt die begehrende Bewegung plötzlicher, als die überwindende auf, weil das überwindende Strebevermögen gewissermaßen auf syllogistischer Weise die beabsichtigte Rache mit der empfangenen Unbill abwägt und vergleicht, wie im 7. Buch der Ethik gesagt wird.69 Das begehrende Strebevermögen aber wird ausschließlich durch die Erfassung des Genüßlichen zum Genuß hinbewegt, wie an jener Stelle gesagt wird. Doch die Ausführung der überwindenden Bewegung tritt plötzlicher auf, als die begehrende, weil das überwindende Strebevermögen mit einer gewissen Unerschrockenheit und Zuversicht handelt. Das begehrende hingegen neigt infolge einer gewissen hinterhältigen Verzärtelung dem Erreichen der Zielvorstellung zu. Daher sagt Aristoteles im 7. Buch der Ethik, daß »der Zornige nicht hinterhältig, sondern offenmutig ist, das begehrende Vermögen aber ist hinterhältig«, worauf er einen Vers Homers zitiert, der besagt, daß »Venus trügt und ihr Gürtel schillernd ist«.70 Damit wird die Täuschung bezeichnet, durch die Venus selbst den Verstand des äußerst Weisen beraubt. Zu 4. Es wird gesagt, daß etwas auf zweifache Art natürlicherweise existiert: Entweder in Bezug auf die Natur der Art oder in Bezug auf die Natur des Individuums. Hinsichtlich der Natur der Art sind die begehrenden Sünden natürlicher als die überwindenden, weswegen Aristoteles im 2. Buch der Ethik feststellt, daß die Lust »vom Kindesalter an uns alle während unseres ganzen Lebens miternährt«.71 Aber hinsichtlich der Natur des Individuums sind die überwindenden Sünden natürlicher. Dies ist so, denn, betrachtete man die Sinnesbewegung von seiten der Seele, so würde sich das begehrende Strebevermögen auf natürlichere Weise seinem Gegenstand nähern, da er an sich natürlicher und zuträglicher ist. Was die Natur erhält, sind nämlich Speise und Trank und dergleichen. Betrachtete man dies von seiten des Körpers, so würde sich, allgemein und verhältnismäßig gesprochen, aufgrund der Bewegung des Zorns 69 Aristoteles, Eth. Nic. VII, 6; 1149 a 33. 70 Aristoteles, Eth. Nic. VII, 7; 1149 b 14–17. 71 Aristoteles, Eth. Nic. II, 2; 1149 a 35.

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eine stärkere körperliche Veränderung und Regung ergeben, als aufgrund des Begehrens. Darum führt die körperliche Verfassung, in der die Kinder den Eltern am meisten ähneln, eher zur Herrschaft des Zorns als zur Herrschaft des Begehrens. Deswegen ahmen die Kinder ihre Eltern bei den Sünden des Zornes eher nach als bei den Sünden des Begehrens. Was nämlich von der Seele herrührt, bezieht sich auf die Art, was aber von einer bestimmten körperlichen Beschaffenheit herrührt, wird eher dem Individuum zugerechnet. Die Ursünde ist die Sünde der gesamten menschlichen Natur, woraus hervorgeht, daß das Argument nicht greift. Zu 5. In uns ereignet sich die Verderbnis in umgekehrter Reihenfolge als bei Adam, da in ihm die Seele den Körper verdirbt und die Person die Natur. Bei uns verhält es sich umgekehrt. Obwohl aus diesem Grund bei Adam die Sünde zuerst zum überwindenden Strebevermögen gehörte, gehört die Verderbnis in uns vielmehr zum begehrenden.

7. Artik el Die siebte Frage lautet: Kann die Sinnesempfindung in diesem Leben von der besagten Verderbnis geheilt werden?72 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Die besagte Verderbnis wird auch Zunder73 genannt. Von der heiligen Jungfrau wird nämlich gesagt, sie sei in diesem Leben vollständig vom Zunder befreit gewesen, vor allem bei der Empfängnis des Sohns Gottes. Folglich ist die Sinnesempfindung in diesem Leben heilbar. 2. All jenes, was der Vernunft gehorcht, ist empfänglich für die Richtigkeit der Vernunft. Die Kräfte der Sinnesempfindung hingegen, nämlich die überwindenden und begehrenden, gehorchen der

72 Paralleltexte: Sum. theol. I-II, q. 74 a. 3 ad 2. 73 Das Wort »Zunder« übersetzt hier den lateinischen Ausdruck fomes,

mit dem Thomas die Erregtheit der Gemüter und die nachfolgende moralische Verfehlung anspricht.

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Vernunft, wie bereits gesagt wurde.74 Folglich ist die Sinnesempfindung empfänglich für die Rechtschaffenheit der Vernunft und deshalb kann sie durch das der Verderbnis Entgegengesetzte geheilt werden. 3. Die Tugend steht der Sünde entgegen. In der Sinnesempfindung aber kann es Tugend geben, wie Aristoteles im 3. Buch der Ethik sagt.75 Mäßigung und Tapferkeit gehören in den unvernünftigen Teil. Folglich kann die Sinnesempfindung in diesem Leben von der Verderbnis der Sünde geheilt werden. 4. Der Verderbnis der Sinnesempfindung ist es zu eigen, daß ihr die ungeordneten Bewegungen entspringen, die der Verschrobenheit des Begehrens entstammen. Der Mäßige hat aber keine dieser Begehren; dadurch unterscheidet er sich vom Willensstarken, der sie hat, ihnen aber nicht folgt, wie aus dem 7. Buch der Ethik hervorgeht.76 Folglich kann die Sinnesempfindung in diesem Leben vollständig geheilt werden. 5. Wenn die Verderbnis unheilbar ist, so geht dies auf den Heilenden, auf die Medizin, auf die Krankheit oder auf das Wesen des zu Heilenden zurück. Sie geht aber nicht auf den Heilenden, nämlich den allmächtigen Gott, zurück. Auch geht sie nicht auf die Medizin zurück, weil, wie in Röm. 5, 15 steht, die Gabe Christi ist wirkmächtiger als die Sünde Adams, der diese Verderbnis verursacht hat. Auch geht sie nicht auf die Krankheit zurück, weil sie nicht naturgemäß ist. Auch geht sie nicht auf das Wesen des zu Heilenden zurück. Es ist nützlich, die Unbeständigkeit zu entfernen, weil der Mensch ihrer wegen dem Übel zuneigt und dem Guten gegenüber stumpfsinnig wird. Folglich ist die Sinnesempfindung in diesem Leben heilbar. Dagegen spricht: 1. Zumindest die Notwendigkeit der läßlichen Sünde ist eine Folge der Notwendigkeit zu sterben. In diesem Leben wird die Notwendigkeit zu sterben nicht aufgehoben; folglich auch nicht die Not74 Vgl. De ver. q. 24 a. 4. 75 Aristoteles, Eth. Nic. III, 19; 1117 b 23. 76 Aristoteles, Eth. Nic. VII, 9; 1152 a 1.

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wendigkeit der läßlichen Sünde. Deswegen wird auch die Verderbnis der Sinnesempfindung nicht aufgehoben, die der erwähnten Notwendigkeit entspringt. 2. Wäre die Sinnesempfindung in diesem Leben heilbar, könnte sie höchstens durch die Sakramente der Kirche, welche geistige Heilmittel darstellen, geheilt werden. Doch wie die Erfahrung zeigt, hat sie nach dem Empfangen der Sakramente Bestand. Folglich ist die Sinnesempfindung in diesem Leben nicht heilbar. Antwort: Die Sinnesempfindung kann in diesem Leben nur durch ein Wunder geheilt werden. Der Grund dafür liegt darin, daß das, was natürlich ist, nur durch eine übernatürliche Kraft verändert werden kann. Eine Verderbnis der Art, daß gesagt wird, die Teile der Seele seien verderbt, folgt gewissermaßen aus einer natürlichen Neigung. Daß es dem Menschen im ursprünglichen Zustand gegeben war, durch die Vernunft die unteren Kräfte und durch die Seele den Körper völlig zu beherrschen, stammt nicht aus der Kraft der natürlichen Prinzipien, sondern aus der Kraft der Urgerechtigkeit, die durch die göttlichen Freizügigkeit hinzugegeben wurde. Als aber die Gerechtigkeit durch die Sünde aufgehoben wurde, kehrte der Mensch, entsprechend seiner natürlichen Prinzipien, zum Zustand des Zuträglichen zurück. Aus diesem Grund sagt Dionysius im 3. Kapitel der Kirchlichen Hierarchie, daß die menschliche Natur durch die Sünde »verdientermaßen einem Ende zugeführt wurde, das ihrem Anfang entsprach«.77 So wie der Mensch von Natur aus stirbt und nur durch ein Wunder unsterblich werden kann, so neigt das begehrende Strebevermögen von Natur aus dem Genüßlichen zu und das überwindende der Schwierigkeit, auch wenn dies der Vernunftordnung widerstreitet. Diese Verderbnis kann also nur dann beseitigt werden, wenn eine übernatürliche Kraft dies auf wundersame Weise zustandebringt.

77 Dionysius Areopagita, De eccl. hier. III, 11 (PG 3, 441A; Dion. II,

1235).

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Zu 1. Die heilige Jungfrau wurde auf wundersame Weise vom Zunder befreit. Zu 2. Die überwindenden und begehrenden Strebevermögen gehorchen der Vernunft, insofern ihre Bewegungen von der Vernunft geordnet und zurechtgestutzt werden, aber nicht so, als würden ihre Neigungen völlig beseitigt werden. Zu 3. Der im überwindenden und begehrenden Strebevermögen angesiedelten Tugend wird von der besagten Verderbnis nicht widersprochen, weswegen diese nicht vollständig beseitigt wird. Ihr wird aber wegen einer übermäßigen Neigung der besagten Kräfte in Hinblick auf ihre eigenen Gegenstände widersprochen. Auf diese Weise wird die Tugend beseitigt. Zu 4. Aristoteles zufolge mangelt es dem Gemäßigten nicht völlig an Begehren, sondern nur an den heftigen, die der Willensstarke haben kann. Zu 5. Aus diesen vier Argumenten ergibt sich, daß die Sinnesempfindung in diesem Leben nicht geheilt werden kann. Obwohl Gott sie heilen könnte, ordnete er gemäß seiner Weisheitsordnung an, daß sie in diesem Leben nicht geheilt werden sollte. Ähnlich verhält es sich mit den Gaben der Gnade, die Christus uns gibt. Obwohl sie wirkmächtiger sind als die Sünde des Urmenschen, sind sie nicht darauf hingeordnet, die erwähnte Verderbnis zu beseitigen, die zur Natur gehört, sondern um die Schuld der Person zu beseitigen. Ähnlich verhält es sich mit dieser Verderbnis: Obwohl sie der ursprünglich eingerichteten Naturordnung entgegensteht, ist sie dennoch die Folge der sich selbst überlassenen Natur. Es nützt dem Menschen, daß die Unzulänglichkeit der Sinnesempfindung bestehen bleibt, damit die Sünde des Übermuts verhindert werde. Kor. 12, 7 stellt fest: »Damit ich mich nicht über die Größe der Offenbarung hinwegsetzen möge, wurde mir ein Stachel ins Fleisch gegeben«. Deswegen bleibt diese Unzulänglichkeit nach der Taufe im Menschen bestehen, so wie ein weiser Arzt davon absieht, eine Krankheit zu heilen, die nur unter Gefahr einer schwereren Krankheit geheilt werden kann.

XXVI. ÜBER DIE AFFEKTE DER SEELE

Die hier behandelten Fragen lauten: 1. Auf welche Weise erleidet die vom Körper getrennte Seele? 2. Auf welche Weise erleidet die mit dem Körper verbundene Seele? 3. Ist der Affekt ausschließlich im sinnlichen Strebevermögen? 4. Wie kann von den Gegensätzen und Unterschieden der Seelenaffekte gesprochen werden? 5. Sind Hoffnung, Furcht, Freude und Trauer die vier Hauptaffekte der Seele? 6. Erwerben wir durch die Affekte Verdienste? 7. Mindert ein dem Verdienst hinzugefügter Affekt das Verdienst? 8. Hatte Christus derartige Affekte? 9. Hatte die Seele Christi den Affekt des Schmerzes hinsichtlich der höheren Vernunft? 10. Hätte der Schmerz des Affekts, der in der höheren Vernunft Christi war, die Freude des Genusses verhindert und umgekehrt?

1. Artik el Diese Frage handelt von den Affekten der Seele. Die 1. Frage lautet: Auf welche Weise erleidet die vom Körper getrennte Seele?1 Es scheint, daß sie aufgrund des körperhaften Feuers nichts erleidet; denn: 1. Augustinus sagt nämlich im 12. Buch Über den Wortlaut der Genesis, das Tätige sei herausragender als das Erleidende.2 Jede be1 Paralleltexte: Sent. IV, 44, 3, 3, 3; ScG IV, 90; De an. q. 21 (ed. Leon. XXIV/1, 176–182); Quodl. II, 7, 1 [13] (ed. Leon. XXV/2, 231–233) u. III, 10, 1 [23] (ed. Leon. XXV/2, 281); Comp. theol. I, 180 (ed. Leon. XLII, 151–152). 2 Augustinus, De Gen. ad litt. XII, 16 (CSEL 28/1, 402).

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liebige Seele ist aber herausragender als der Körper. Folglich kann die Seele aufgrund des körperhaften Feuers nichts erleiden. 2. Es wurde eingewandt: Das Feuer wirkt auf die Seele insofern, als es das Instrument der rächenden göttlichen Gerechtigkeit ist. – Dagegen spricht: Das Instrument vervollständigt die instrumentelle Tätigkeit nur durch die Ausübung einer natürlichen Tätigkeit, so wie wenn das Taufwasser die Seele heiligt, indem es den Körper wäscht oder wie wenn mittels einer Säge ein Schemel hergestellt wird, indem das Holz zerteilt wird. Das Feuer kann aber auf die Seele keine natürliche Tätigkeit ausüben und folglich kann es als Instrument der göttlichen Gerechtigkeit in der Seele nicht tätig werden. 3. Es wird gesagt, die natürliche Tätigkeit des Feuers sei das Brennen, und so ist es natürlicherweise in der Seele tätig, insofern es die brennbaren Bestandteile mit sich führt. – Dagegen spricht: Die brennbaren Bestandteile, von denen gesagt wird, die Seele führe sie mit sich, sind die Sünden, denen das Feuer des Körpers nichts anhaben kann. Da folglich jede natürliche Tätigkeit den Charakter des Gegensätzlichen hat, scheint es, die Seele könne aufgrund des körperlichen Feuers nichts erleiden, insofern es die brennbaren Bestandteile mit sich führt. 4. Augustinus sagt im 12. Buch Über den Wortlaut der Genesis: »Es sind keine körperlichen Bestandteile, sondern solche, die ihnen ähneln, durch welche die von der Seele verlassenen Körper im Guten oder im Schlechten affiziert werden«.3 Folglich ist das Feuer, durch welches die getrennte Seele bestraft wird, nicht körperlich. 5. Johannes von Damaskus stellt am Ende des 4. Buchs fest: »Der Teufel wird seine Dämonen und seine Menschen, nämlich den Antichrist, und die Gottlosen und die Sünder dem ewigen Feuer übergeben, welches nicht so wie bei uns materieller Art ist, sondern es ist so, wie es insbesondere Gott kennt«.4 Jedes körperliche Feuer ist materiell. Folglich ist das Feuer, durch welches die Seele erleidet, nicht körperlich. 6. Es wurde eingewandt: Das körperliche Feuer zieht die Seele in 3 Augustinus, De Gen. ad litt. XII, 32 (CSEL 28/1, 426). 4 Johannes Damascenus, De fide orth. IV, 27 (PG 94, 1228 A; ed. Buy-

taert, 385).

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Mitleidenschaft, insofern es von ihr gesehen wird, wie Gregor im 4. Buch der Dialoge sagt: »Das Feuer zieht von sich aus die Seele, durch die man sieht, in Mitleidenschaft«.5 Und so ist das, was die Seele unmittelbar in Mitleidenschaft zieht, kein Körper, sondern die wahrgenommene Ähnlichkeit eines Körpers. – Dagegen steht: Das Gesehene, insofern es gesehen wurde, ist die Vervollkommnung des Sehenden. Aus diesem Grund führt das Gesehene nicht zur Niedergeschlagenheit des Sehenden, sondern eher zu seiner Ergötzung. Wenn folglich etwas Gesehenes zu Niedergeschlagenheit führt, dann, weil es anderenfalls schadete. Das Feuer aber kann die Seele nur peinigen, indem es auf sie wirkt, wie nachgewiesen wurde. Wenn die Seele folglich sieht, erleidet sie nicht aufgrund des Feuers. 7. Es besteht eine gewisse Entsprechung zwischen Tätigem und Erleidendem. Es besteht aber keine Entsprechung zwischen nicht Körperlichem und dem Körper. Folglich kann die Seele aufgrund des körperlichen Feuers nichts erleiden, da es ihr zukommt auf nicht körperliche Weise zu erleiden. 8. Wenn das körperliche Feuer nicht auf natürliche Weise auf die Seele wirkt, ist es notwendig, daß dies durch ein hinzugefügtes Vermögen geschieht. Dieses Vermögen ist folglich entweder körperlich oder geistig. Es kann aber nicht geistig sein, weil ein körperliches Ding keine geistigen Vermögen empfangen kann. Wenn es aber körperlich ist – denn die Seele ist hervorragender als jedes körperliche Vermögen – dann kann die Kraft des Feuers nicht auf sie wirken. Folglich kann die Seele weder auf natürliche noch auf übernatürliche Weise etwas erleiden. 9. Es wurde eingewandt: Die Seele wird durch die Sünde niederträchtiger als ein körperliches Geschöpf. – Dagegen spricht: Augustinus stellt im Buch Über die wahre Religion fest, daß die lebendige Substanz würdiger ist als jede andere nicht lebendige Substanz. Die vernünftige Seele lebt aber nach der Sünde ein naturgemäßes Leben weiter.6 Folglich verwandelt sie sich aufgrund des körperlichen Feuers, welches eine nicht lebende Substanz ist, in nichts Unwürdigeres. 5 Gregor der Große, Dialogi IV, 29, 2 (PL 77, 368 A; SC 265, 100). 6 Auch hier handelt es sich um keine genaue Wiedergabe von Augusti-

nus, De vera rel. 15, 29 (CCSL 32, 205).

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10. Wenn das nicht körperliche Feuer die Seele niederdrückt, dann geschieht dies nur, weil sie es als etwas Schädliches erkennt oder empfindet. Eine Sache schadet, weil sie etwas entfernt. Daher sagt Augustinus, daß das Böse deswegen schadet, weil es das Gute tilgt.7 Das körperliche Feuer kann aber aus der Seele nichts tilgen und folglich kann es sie nicht niederdrücken. 11. Es wurde eingewandt, daß das körperliche Feuer die Herrlichkeit der göttlichen Schau entfernt. – Dagegen spricht: Den Jünglingen, die ausschließlich durch die Ursünde verdammt wurden, ermangelt es der göttlichen Schau. Wenn das körperliche Feuer den Verdammten nichts zusätzlich entreißt, dann wäre ihre Strafe nicht größer als die Strafe derer, die durch die gegenwärtige Sünde in der Hölle bestraft werden und als die Strafe der Jünglinge, die in der Vorhölle bestraft werden; dies bestreitet Augustinus. 12. Alles, was auf etwas anderes wirkt, prägt ihm die Ähnlichkeit seiner Form auf, durch welche es wirkt. Das Feuer aber wirkt durch die Hitze. Da die Seele nicht erhitzt werden kann, so scheint es, daß sie aufgrund des Feuers nichts erleiden kann. 13. Gott ist geneigter, sich zu erbarmen, als zu strafen. Das Instrument der göttlichen Barmherzigkeit, nämlich die Sakramente, hilft nicht dem, der sich willentlich gegen sie stemmt, vor allem wenn es sich um einen Erwachsenen handelt. Durch das Instrument der göttlichen Gerechtigkeit, welches ein körperliches Feuer ist, empfängt die sich wehrende Seele keine Strafe. Es ist offenkundig, daß sie sie nicht willentlich empfängt. Folglich wird sie in keiner Weise vom körperlichen Feuer bestraft. 14. Alles, was etwas durch etwas anderes erleidet, wird durch es irgendwie bewegt. Die Seele kann aber in Bezug auf jede beliebige Bewegungsart durch das körperliche Feuer nicht bewegt werden, was induktiv deutlich wird. Folglich kann die Seele durch das körperliche Feuer nichts erleiden. 15. Alles, was etwas durch etwas anderes erleidet, steht mit ihm in einer materiellen Verbindung, wie aus Boethius’ Buch Über die zwei Naturen in der einen Person Christi hervorgeht.8 Die Seele 7 Augustinus, Ench. 4, 12 (CCSL 46, 54). 8 Boethius, Contra Euth. et Nest. 6 (ed. Moreschini, 206–241).

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und das körperliche Feuer stehen aber in keiner materiellen Verbindung und folglich kann sie von ihm nichts erleiden. Dagegen spricht: 1. Lk. 16, 24 sagt in Bezug auf die Seele über die in der Hölle befindlichen Reichen lediglich: »Ich werde in diesem Feuer gekreuzigt«. 2. Gregor stellt im 15. Buch der Moralia zu Hiob 20, 26 fest: »Wen es nicht verbrennt, den wird das Feuer verschlingen«.9 Deswegen sagt er: »Das Feuer der Hölle, welches körperlich ist und den Bösen mit sich leiblich verbrennt, wird weder durch das menschliche Verlangen entfacht noch wird es durch das Holz genährt. Ist es erst einmal geschaffen, ist es nicht löschbar und es muß nicht entfacht werden und ihm fehlt keine Hitze«. 3. Cassiodor sagt in seinem Buch Über die Seele, die vom Körper getrennte Seele höre und sehe mit ihren Sinnen wirksamer als wenn sie sich im Körper befände.10 Während sie sich im Körper befindet, wird sie von der Wahrnehmung körperlicher Dinge gepeinigt. Folglich wird sie sehr viel stärker gepeinigt, als wenn sie vom Körper getrennt wäre. 4. So wie die Seele nicht körperlich ist, so sind es auch nicht die Dämonen; doch diese leiden aufgrund des körperlichen Feuers, wie aus Matth. 25, 41 hervorgeht: »Gehet, ihr Verfluchten«, usw. Dies trifft also auch auf die getrennte Seele zu. 5. Es ist schwieriger, die Seele zu rechtfertigen, als sie zu strafen. Doch es gibt einige Bestandteile des Körpers, die auf die Seele in Hinblick auf ihre Rechtfertigung wirken, insofern es sich um Instrumente der göttlichen Barmherzigkeit handelt, wie es die Sakramente der Kirche zeigen. Folglich können einige Bestandteile des Körpers, insofern sie Instrumente der göttlichen Gerechtigkeit sind, auf die Seele zu ihrer Strafe wirken. 6. Das Niederträchtige kann durch das Edle etwas erleiden. Das körperliche Feuer aber ist edler als die Seele der Verdammten. Folglich können die Seelen der Verdammten vom körperlichen Feuer 9 Gregor der Große, Moralia in Iob XV, 29 (PL 75, 1098 D; CCSL 143A,

770). 10 Cassiodorus, De anima, c. 4 (PL 70, 1286 C; CCSL 96, 543).

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verändert werden. Beweis des Mittelsatzes: Jegliches Sein ist edler als das Nicht-Sein. Aber das Nicht-Sein ist edler als die Seele der Verdammten, wie Mt. 26, 24 zeigt: »Für ihn wäre es besser gewesen, er wäre nie geboren worden«. Folglich ist jedes Sein edler als die verdammte Seele und so ist es auch das körperliche Feuer. Antwort: Um diese Frage und die folgenden zu verdeutlichen, ist es nötig zu wissen, was Erleiden eigentlich ist.11 Man hat zu wissen, daß die Bezeichnung ›Erleiden‹ auf zweierlei Weise verwendet wird: In einem allgemeinen und einem eigentlichen Sinn. Im allgemeinen Sinn wird gesagt, der Affekt bedeute das Empfangen von etwas auf beliebige Weise, womit man der Bedeutung des Wortes folgt, denn ›Erleiden‹ kommt aus dem Griechischen ›patin‹, was ›Empfangen‹ bedeutet. Im eigentlichen Sinn ist von ›Erleiden‹ insofern die Rede, als Tätigkeit und Passivität Bewegungen sind, nämlich insofern das Erleidende etwas aufgrund von Bewegung empfängt. Da sich jede Bewegung in der Mitte zwischen konträren Termini befindet, ist es nötig, daß das, was vom Erleidenden empfangen wird, dem entgegengesetzt ist, was das Erleidende einbüßt. In Bezug darauf, was das Erleidende empfängt, gleicht sich das Erleidende dem Tätigen an. Wenn man deswegen ›Erleiden‹ im eigentlichen Sinn versteht, ist das Tätige dem Erleidenden entgegengesetzt und jeder Affekt bedeutet einen Verlust an Substanz. Ein solches Erleiden ergibt sich nur durch Veränderungsbewegungen, denn bei der Ortsbewegung empfängt das Bewegende nichts, sondern das Bewegende wird an einem Ort empfangen. Bei der Bewegung des Wachsens und Abnehmens wird nicht eine Form empfangen oder abgetrennt, sondern etwas Substantielles, beispielsweise das Nahrungsmittel, dessen Aufnahme oder Ausscheiden eine größere oder geringere Ausdehnung nach sich zieht. Beim Entstehen und Vergehen gibt es Bewegung 11 Im Corpus dieses Artikels sieht man besonders gut die schillernde Vielfalt an Bedeutungen des Begriffs passio und folglich die Schwierigkeit, ihm in einer Übersetzung gerecht zu werden. Da es sich in diesem Artikel um die begriffliche Klärung der allgemeinen Merkmale von passio handelt, ist hier von Erleiden die Rede; siehe Fußnote 30.

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und Gegensatz nur aufgrund einer vorausgehenden Veränderung. Dementsprechend ergibt sich das Erleiden im eigentlichen Sinn nur aufgrund einer Veränderung, durch welche eine entgegengesetzte Form aufgenommen und eine andere entfernt wird. Weil beim Erleiden im eigentlichen Sinn etwas entfernt wird, insofern ein Erleidendes von einer bestehenden Qualität in eine entgegengesetzte verwandelt wird, wird die Bezeichnung ›Erleiden‹ durch den Sprachgebrauch derart erweitert, daß von ›Erleiden‹ die Rede ist, wann immer etwas fehlt, was ihm [eigentlich] zukommt. Dies ist so, wie wenn wir sagen, das Schwere erleide dadurch, daß seine nach unten gerichtete Bewegung verhindert wird und daß der Mensch leide, wenn er an der Ausführung seines Willens gehindert wird. Im ersten Sinn ist das Erleiden sowohl in der Seele als auch in jedem beliebigen Geschöpf zu finden, weil jedem Geschöpf die Potentialität beigemischt ist, durch die jedes subsistierende Geschöpf etwas empfangen kann. ›Erleiden‹ im zweiten Sinn aber ist nur dort anzutreffen, wo es Bewegung und Gegensätzlichkeit gibt. Die Bewegung ist nur in Körpern anzutreffen und die Gegensätzlichkeit der Formen und Qualitäten nur in erzeugbaren und vergänglichen Dingen, weswegen nur derartige Dinge im eigentlichen Sinn erleiden können. Daher kann die Seele, weil sie nicht körperlich ist, auf diese Weise nichts erleiden. Auch wenn sie etwas empfängt, so geschieht dies nicht durch die Überführung eines Gegensatzes in einen anderen, sondern durch ein einfaches Einfließen des Tätigen, so wie wenn die Luft von der Sonne erleuchtet wird. Der dritten Weise gemäß, derzufolge die Bezeichnung ›Erleiden‹ im übertragenen Sinn verstanden wird, kann die Seele deswegen erleiden, weil ihre Tätigkeiten unterbunden werden können. Einige Autoren, die ihre Aufmerksamkeit darauf lenkten, daß die Seele nicht im eigentlich Sinn etwas erleiden könne, sagten, daß alles, was in den heiligen Schriften zur leiblichen Strafe der Verdammten gesagt wurde, metaphorisch verstanden werden müsse, so daß etwa die bei uns bekannten körperlichen Strafen geistige Peinigungen bezeichnen, durch die der Geist der Verdammten bestraft wird. Auch im entgegensetzten Fall müssen wir durch die von den Schriften verheißenen körperlichen Freuden als die geistigen Freu-

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den der Seligen verstehen. Es scheint, diese Meinung sei von Origenes und Algazali vertreten worden.12 Wenn wir aber an die Wiederauferstehung glauben, glauben wir nicht nur an die zukünftige Strafe des Geistes, sondern auch an die der Körper. Der Körper kann allerdings nur durch die körperliche Peinigung bestraft werden. Es handelt sich um dieselbe, die den Menschen nach der Wiederauferstehung geschuldet ist, wie aus Mt. 25, 41 hervorgeht: »Verdammte, gehet dahin im ewigen Feuer«, usw. Daher ist es notwendig zu sagen, wie Augustinus im 21. Buch des Gottesstaates nachwies, daß selbst die Geister irgendwie durch körperliche Strafen affiziert werden. Es besteht aber keine Ähnlichkeit der Herrlichkeit der Seligen zur Strafe der Verdammten, weil die Seligen auf einen Zustand gehoben werden, der ihr Wesen überragt; deswegen werden sie durch den Genuß der Gottheit selig. Die Verdammten aber steigen zu einem Zustand hinab, der unter ihnen steht, weswegen sie auch durch körperliche Qualen bestraft werden. Aus diesem Grund sagten einige Autoren, daß die getrennte Seele irgendwie bestraft werden wird, obwohl es sich um keine körperlichen Strafen handelt. Gleichwohl ähneln diese Strafen den körperlichen Strafen, die die Schlafenden quälen. Augustinus scheint im 12. Buch Über den Wortlaut der Genesis dieser Meinung gewesen zu sein, aber auch Avicenna.13 Doch dies ist nicht möglich, denn derartige körperliche Repräsentationen sind nicht intelligibel, denn [intelligible Repräsentationen] sind universell, aus deren Kontemplation keine Seelenqualen hervorgehen, sondern vielmehr Labsal in Anbetracht der Wahrheit. Daher ist es nötig, die Repräsentationen der Vorstellungskraft zu erkennen, welche nur in einem körperlichen Organ existieren können, wie die Philosophen nachweisen, die aber weder die getrennten Seelen noch die Dämonen haben. Daher sagen andere [Autoren], daß das Erleiden der getrennten Seele aus den Körpern selbst komme. Wie dies geschehen kann, wird von ihnen auf unterschiedliche Weise beantwortet. Einige sa12 Origenes, Peri archon II, 10 n. 4 (PG 11, 237 A; ed. Görgemanns / Karpp, 430); Algazali, Metaphysica II, 5.4 (ed. Muckle, 186 ff.). 13 Augustinus, De Gen. ad litt. XII, 32 (CSEL 28/1, 426); Avicenna, Phil. prima IX, 7 (Van Riet 2, 520).

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gen, daß die getrennte Seele ihre Sinnesvermögen verwendet. Deswegen wird sie vom Feuer bestraft, wenn sie das körperliche Feuer wahrnimmt. Dies ist offenkundig, wie Gregor im 4. Buch der Dialoge feststellt: »Die Seele erleidet aufgrund des Feuers, weil sie es sieht«.14 Dies scheint aber nicht wahr zu sein. Zum ersten, weil die Tätigkeiten der Sinnesvermögen nur durch die körperlichen Organe zustande kommen können; anderenfalls wären die Sinnesseelen der Tiere unzerstörbar, insofern sie von sich aus ihre Tätigkeiten vollziehen könnten. Zum zweiten: Wenn man voraussetzt, die getrennten Seelen könnten wahrnehmen, könnten sie trotzdem nicht von den Sinnesgegenständen affiziert werden, denn der Sinnesgegenstand als solcher stellt die Vervollkommnung des Wahrnehmenden dar. So verhält es sich auch mit den intelligiblen Gegenständen des Intellekts. Aus diesem Grund verursacht etwas Wahrgenommenes oder Verstandenes als solches weder Schmerz noch Trauer, sondern nur, weil es abträglich ist oder als Abträgliches erkannt wird. Aus diesem Grund ist es nötig, die Art und Weise zu finden, der zufolge das Feuer für die getrennte Seele schädlich werden kann. Die Behauptung einiger Autoren ist aber unmöglich: Obwohl dieses körperliche Feuer dem Geist nicht schaden kann, kann es dennoch als schädlich erkannt werden. Dies scheint mit Gregors Feststellung im 4. Buch der Dialoge übereinzustimmen: »Weil die Seele sich brennen sieht, brennt sie«.15 Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Dämonen, deren Sinnesschärfe herausragend ist, ihr [eigenes] Wesen und das körperliche Feuer nicht viel besser erkennen als wir, so daß sie fälschlicherweise glaubten, das körperliche Feuer könne ihnen schaden. Daher muß gesagt werden, daß [die Seele] wahrhaftig und nicht nur dem Anschein nach vom körperlichen Feuer gepeinigt wird. Dies ist, was Gregor im 4. Dialog sagt: »Den Worten des Evangeliums können wir entnehmen, daß die Seele den Brand nicht nur sehend, sondern auch erfahrend erleidet«.16 Den Grund dafür beschreiben manche17, indem sie sagen, das körperliche Feuer könne 14 15 16 17

Gregor der Große, Dialogi IV, 29, 2 (PL 77, 368 A; SC 265, 100). Ebd. Ebd. Albertus Magnus, Sent. IV, d. 44 a. 37 (ed. Borgnet XXX, 592a–593b).

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als Instrument der göttlichen Gerechtigkeit auf die Seele wirken, obwohl es dies seiner Natur nach nicht kann. Es gibt viele Dinge, deren eigene Natur nicht hinreicht, etwas zu bewirken, was sie dennoch als Instrument einer anderen tätigen Sache bewirken können. Das Element ›Feuer‹ reicht beispielsweise nicht aus, das Fleisch zu erzeugen, es sei denn, es sei das Instrument des Nahrungsvermögens. Dies scheint jedoch nicht hinzureichen, denn das Instrument bewirkt keine Tätigkeit, die die eigene Natur übersteigt, es sei denn sie wird durch etwas bewirkt, was ihrer Natur entspricht, so wie im Gegenargument festgestellt wurde. Aus diesem Grund ist es nötig, die Art und Weise zu finden, nach der die Seele irgendwie natürlicherweise aufgrund des körperlichen Feuers leiden kann. Dies kann man folgendermaßen verstehen. Die nicht körperliche Substanz kann sich auf zweierlei Weise mit dem Körper vereinigen: Zum einen als Form, insofern sie den Körper belebt; zum anderen, vermittels einer Tätigkeit oder eines Habitus, als Beweger des Bewegten oder als etwas Ortsbestimmtes. Weil aber die Form und das, wovon sie Form ist, ein Sein hat, so stellt die auf Weise der Form zustande gekommene Vereinigung der geistigen mit der körperlichen Substanz eine Vereinigung bezüglich ihrer Existenz dar. Aber die Existenz keiner Sache unterliegt ihrer [eigenen] Wirkmächtigkeit und folglich steht es nicht in der Macht der geistigen Substanz, sich mit dem Körper zu vereinigen oder sich von ihm auf Weise einer Form zu trennen; dies wird durch das Naturgesetz oder die göttliche Kraft bewirkt. Da allerdings die Tätigkeit einer Sache in der Macht des willentlich Handelnden liegt, so liegt es in der Macht der geistigen Natur, sich mit dem Körper auf Weise des Bewegenden oder Ortsbestimmten zu vereinen und sich ebenso, gemäß der Naturordnung, von ihm zu trennen. Doch dasjenige, was die auf diese Weise mit dem Körper vereinte geistige Natur davon abhält und hemmt und sozusagen anbindet, übersteigt die Natur. Daher bewirkt das körperliche Feuer, das als Instrument der göttlichen Gerechtigkeit tätig ist, etwas über die Naturkraft Hinausgehendes, wie es beispielsweise das Hemmen und Anbinden der Seele ist. Dementsprechend erleidet die Seele aufgrund des Feuers der dritten erwähnten Weise entsprechend, wenn wir sagen, das Erleiden sei all das, was von der eigenen Tätigkeit oder von etwas

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anderem, das ihm entspricht, abgehalten wird. Diese Weise des Erleidens drückt Augustinus im 21. Buch des Gottesstaates folgendermaßen aus: »Warum sagen wir nicht, wenn auch auf wundersame Weise, daß auch die nicht körperlichen Geister aufgrund des Feuers wahrhaft körperliche Pein erleiden können, wenn doch der Geist der Menschen, der unkörperlich ist, nun in den körperlichen Gliedern hat eingeschlossen werden können, um dann mit den Körpern durch seine unauflösbare Fesseln verknüpft zu werden? Denn die unkörperlichen Geister der Dämonen werden bei der körperlichen Pein an das Feuer gebunden werden. Doch nicht so, daß das Feuer, an das sie gebunden werden, durch die Verbindung mit ihnen eingehaucht und belebt wird, sondern vielmehr so, daß sie vom Feuer die Strafe empfangen, ohne dem Feuer Leben zu geben, indem es sich auf wundersame und unaussprechliche Weise mit ihnen verbindet«.18 Dieselbe Art und Weise beschreibt Gregor im 4. Buch der Dialoge so: »So lange die Wahrheit den reichen Sünder als durch das Feuer Verdammten darstellt, würde kein Weiser leugnen, daß die Seelen der Verworfenen im Feuer bleiben«.19 Zu 1. Das Tätige muß nicht schlechthin hervorragender sein als das Erleidende, sondern nur insofern es tätig ist. Demzufolge ist das Feuer, insofern es in der Seele als Instrument der göttlichen Gerechtigkeit wirkt, hervorragender als die Seele, gleichwohl nicht schlechthin. Zu 2. In jenem Erleiden und jener Tätigkeit gibt es etwas Natürliches, wie gesagt wurde. Zu 3. Das Gegenargument bezieht sich auf das Erleiden im zweiten Sinn, das auf dem Gegensatz der Formen beruht. Dies trifft aber in diesen Fall nicht zu. Zu 4. Diesbezüglich stellt Augustinus im 12. Buch Über den Wortlaut der Genesis nichts ausdrücklich fest; vielmehr forscht er auf dem Weg des Zweifels nach. Folglich sagt er nicht in einem absoluten Sinn, daß das, was die getrennte Seele affiziert, »nicht kör-

18 Augustinus, De civ. Dei XXI, 10 (CCSL 48, 776). 19 Gregor der Große, Dialogi IV, 29, 3 (PL 77, 368 B; SC 265, 102).

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perlich sei, sondern den Körpern ähnele«.20 Er spricht aber unter einer Bedingung, nämlich daß, wenn diese Dinge so wären, sowohl Freude oder Trauer die Seele affizieren könnten. Ebenso stellt er fest, daß »auf körperliche Orte nur etwas Körperliches hinführt«.21 In Form einer Disjunktion fügt er hinzu: »oder nicht örtlich«, daß heißt hinsichtlich der Angleichung an einen Ort. Zu 5. In Bezug auf die Strafe der getrennten Seele muß zweierlei bedacht werden, nämlich das, was zuvörderst peinigt und das, was ihm nachfolgt. Was zuvörderst peinigt ist das körperliche Feuer selbst, indem es die Seele in der erwähnten Weise zurückhält. Doch es würde die Trauer in die Seele nur dann eingießen, wenn sie von der Seele erkannt würde. Daher ist das, was nachfolgend peinigt, das erkannte Feuer, welches die Seele hemmt. Dieses Feuer ist nicht materiell, sondern geistig. Daher kann Johannes’ von Damaskus Aussage bestätigt werden. – Man kann auch sagen, daß er es nicht für ein materielles Feuer hält, weil es die Seele nicht durch eine materielle Tätigkeit bestraft, so wie wenn es die Körper bestraft. Zu 6. Dieses Feuer wird als schädlich erkannt, insofern es hemmt und anbindet. Auf diese Weise kann sein Anblick betrüben. Zu 7. Das Geistige steht in keinem Verhältnis zum Körperlichen, wenn man ›Verhältnis‹ im eigentlichen Sinn versteht, nämlich in Hinsicht auf das Verhältnis von einer Quantität zu einer [anderen] Quantität, entweder [in Bezug] einer ausgedehnten [Quantität] zu einer ausgedehnten [Quantität], oder [in Bezug] einer wirksamen [Quantität] zu einer wirksamen [Quantität]. Dies ist wie bei zwei Körpern, die aufgrund von Ausdehnung und Wirksamkeit zueinander in einem Verhältnis stehen. Die Wirksamkeit der geistigen Substanz gehört aber nicht zur selben Gattung wie die Wirksamkeit der körperlichen Substanz. Wenn man allerdings ›Proportion‹ in einem weiten Sinn als irgendeine Beziehung versteht, dann besteht ein Verhältnis des Geistigen zum Körperlichen, durch welches das Geistige natürlicherweise auf das Körperliche wirken kann, obwohl dies umgekehrt nur durch göttliches Eingreifen geschehen kann.

20 Augustinus, De Gen. ad litt. XII, 32 (CCEL 28/1, 426). 21 Ebd.

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Zu 8. Das Instrument bewirkt seine instrumentelle Tätigkeit, insofern es vom primär Tätigen bewegt wird, wodurch es irgendwie an der Wirksamkeit des primär Tätigen teilhat, nicht aber weil jene Wirksamkeit im Instrument vollkommen existiert, schließlich ist die Bewegung eine unvollkommene Tätigkeit. Das Gegenargument diesbezüglich träfe zu, wenn eine vollkommene Wirksamkeit im Instrument nötig wäre, um die instrumentelle Tätigkeit zu bewirken. Zu 9. Selbst die sündige Seele ist ihrer Natur gemäß edler als jedes beliebige körperliche Vermögen. Aber der Schuld gemäß wird sie unwürdiger als das körperliche Feuer, allerdings nicht schlechthin, sondern nur als Instrument der göttlichen Gerechtigkeit. Zu 10. Jenes Feuer schadet der Seele, nicht aber indem es ihr eine ihr innewohnende absolute Form fortnimmt, sondern indem es ihre freie Tätigkeit behindert und sie zum Stillstand bringt, wie bereits gesagt wurde. Zu 11. Aufgrund des Fehlens der Gnade besteht in den Kindern lediglich ein Fehlen der Schau Gottes ohne einen verhindernden tätigen Gegensatz. Die in der Hölle Verdammten sind nicht nur wegen des Fehlens der Gnade von der Schau Gottes ausgeschlossen, sondern sie werden auch gewissermaßen durch Gegensätze verhindert, so daß sie von den körperlichen Strafen in Beschlag genommen werden. Zu 12. Die Seele leidet durch das Feuer nicht als würde sie von ihm verändert, sondern in der erwähnten Weise. Zu 13. Das Willentliche gehört zum Begriff der Gerechtigkeit, nicht aber zum Begriff der Strafe, sondern es ist ihr vielmehr entgegengesetzt. Die Instrumente der göttlichen Barmherzigkeit, welche der Rechtfertigung dienen, wirken nicht auf die sich sträubende Seele. Die Instrumente der göttlichen Gerechtigkeit aber wirken strafend auf die sich sträubende Seele. Zu 14. Das Gegenargument handelt vom Erleiden im eigentlichen Sinn, daß heißt von der Bewegung, von der wir hier aber nicht reden werden. Zu 15. In Bezug auf das Erleiden im eigentlichen Sinn, ist es nötig, daß es eine ihm untergeordnete gegensätzliche Materie hat, wie bereits festgestellt wurde. Damit es zu einem wechselseitigen Erleiden kommt, ist es nötig, daß es eine gemeinsame Materie gibt.

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Dennoch kann etwas aufgrund einer Sache verändert werden, mit der sie keine materielle Verbindung hat, so wie wenn die niederen Körper aufgrund der Sonne verändert werden. Auch kann etwas irgendwie erleiden, wenn es überhaupt keine Materie hat, wie bereits gesagt wurde. Obwohl aus einigen Gegenargumenten Wahres folgt, sind die Argumente trotzdem nicht zutreffend, weswegen sie nun der Reihenfolge nach beantwortet werden sollen. Zu 1. Im 21. Buch des Gottesstaates weist Augustinus die Falschheit des Nachweises nach: »Ich würde sagen, daß die Geister ohne jeden Körper genauso verbrennen werden, wie jener Reiche in den Höllen brannten, als er ausrief: ›Dieses Feuer peinigt mich‹22, doch ich merke wohl, daß man mir richtigerweise hätte entgegenhalten können, daß jenes Feuer derselben Art war wie das der Augen, die er erhob und mit denen er Lazarus sah, wie die Zunge, der er etwas Feuchtigkeit wünschte, und wie der Finger des Lazarus, mit dem sie ihm zugeführt werden sollte. Doch es gab dort nur körperlose Seelen. Folglich war auch das Feuer, das sie verschlang, nicht körperlich«; dies ist nachzuvollziehen.23 Es scheint also, daß jene Autorität nicht vermag, das Argumentationsziel zu erreichen, es sei denn man fügt etwas hinzu. Zu 2. Das Höllenfeuer verbrennt von seiten des Tätigen auf körperliche Weise die nicht körperlichen Substanzen, aber nicht von seiten des Erleidenden. Auf diese körperliche Art und Weise verbrennen die Körper der Verdammten. Zu 3. Die Worte Cassiodors scheinen nicht wahr zu sein, wenn von den äußeren Sinnen die Rede ist. Damit sie aber bestätigt werden können, müssen sie in Bezug auf die geistigen inneren Sinne verstanden werden. Zu 4. Der Autorität des Evangeliums kann geantwortet werden, daß es sich ausschließlich um ein geistiges Feuer handelt, weil die Körper der Verdammten durch es nicht bestraft werden können.

22 Lk. 16, 24. 23 Augustinus, De civ. Dei XXI, 10 (CCSL 48, 777).

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Daher ist das Argument nicht hinreichend, um zu zeigen, was es beabsichtigt. Zu 5. Ähnliches folgt, was aus Ähnlichem kommt. Zu 6. Schlußendlich muß gesagt werden, daß es für die verdammte Seele, insofern sie ein gewisses Wesen ist, besser ist zu sein, als nicht zu sein. Insofern sie aber dem Jammer und der Schuld untergeordnet ist, müssen die Worte des Herrn so verstanden werden, daß es besser wäre, es gäbe sie nicht.

2. Artik el Die zweite Frage lautet: Auf welche Weise erleidet die mit dem Körper verbundene Seele?24 Es scheint, daß sie nicht auf akzidentelle Weise erleidet; denn: 1. Im Buch Über den Geist und die Seele wird gesagt, die mit dem Körper verbundene Seele sei wegen der Freundschaft von Körper und Seele nicht frei.25 Was aber nicht zu Grunde gehen kann, kann sich dennoch davor fürchten, zu Grunde zu gehen. Die Furcht ist aber ein gewisser Affekt. Folglich leidet die mit dem Körper verbundene Seele von sich aus, weil es ihr von sich aus nicht eigen ist, zu Grunde zu gehen. 2. Alles, was einer Sache die Vollkommenheit verleiht, ist hervorragender als sie. Der Körper verleiht der Seele die Vollkommenheit, denn die Seele verbindet sich mit dem Körper, damit sie in ihm vollendet werde. Folglich ist der Körper hervorragender als die Seele und dementsprechend kann die Seele von sich aus vom Körper verändert werden, mit dem sie verbunden ist. 3. Die Ortsbewegung der Seele ist akzidentell, weil sie sich akzidentellerweise an dem [selben] Ort befindet, an dem sich der Körper an sich befindet. Von einer Form oder Qualität aber, welche in einem Körper ist, wird nicht gesagt, sie sei akzidentellerweise in der Seele. Da folglich der Affekt hinsichtlich einer Form oder Qualität existiert, schließlich existiert er gemäß einer Veränderungsbewe24 Paralleltexte: Sent. III, d. 15, 2, 1 qc. 2; Sum. theol. I-II, q. 22 a., 1. 25 Pseudo-Augustinus, De spiritu et anima, c. 14 (PL 40, 789).

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gung, scheint es, die Seele könne im Körper etwas nur akzidentellerweise erleiden. 4. Eine akzidentelle Bewegung unterscheidet sich von einer teilweisen Bewegung, wie im 5. Buch der Physik dargelegt wird.26 Die Seele aber ist Bestandteil einer zusammengesetzten Sache, die von sich aus bewegt wird, wie aus dem 1. Buch Über die Seele hervorgeht.27 Folglich sollte nicht gesagt werden, die Seele werde akzidentellerweise bewegt, sondern nur wie ein Teil bei der Bewegung des Ganzen. 5. Was wesentlich existiert geht dem, was akzidentellerweise existiert, voraus. Doch bei den Affekten der Seele ist das vorrangiger, was der Seele entspringt als das, was dem Körper entspringt, denn der Körper wird durch die Erkenntnis und das Streben der Seele verändert, wie es bei Zorn, Furcht und dergleichen deutlich wird. Folglich darf man nicht sagen, wegen dieser Affekte erleide die Seele akzidentellerweise und der Körper wesentlich. 6. In jeder Sache ist der formale Aspekt hauptsächlicher als der materielle. Bei den Affekten der Seele ist das formal, was der Seele entspringt, und dasjenige ist materiell, was dem Körper entspringt. Die formale Definition des Zornes ist folgende: »Der Zorn ist das Streben nach Rache«. Die materielle Definition aber besagt: »Der Zorn ist das Zusammenfließen des Bluts um das Herz herum«. Folglich ist bei diesen Affekten dasjenige hauptsächlicher, was der Seele entspringt als das, was dem Körper entspringt. Es folgt dasselbe wie zuvor. 7. So wie Freude, Trauer und die übrigen Affekte der Seele sich nicht ohne den Körper in der Seele befinden, so auch nicht das Empfinden. Es wird aber nicht gesagt, die Seele empfinde akzidentellerweise. Folglich darf man auch nicht sagen, die Seele erleide akzidentellerweise. Dagegen spricht: 1. Ein Erleiden durch Bewegung ergibt sich aus der Veränderung, wenn man, wie gesagt, »Affekt« im eigentlichen Sinn versteht. Die 26 Aristoteles, Phys. V, 1; 224 a 21. 27 Aristoteles, De an. I, 10; 408 a 34 ff.

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Seele aber wird ausschließlich auf akzidentelle Weise verändert. Folglich ist ihr Erleiden ausschließlich akzidentell. 2. Die Seelenkräfte sind nicht vollkommener als die Substanz der Seele. Im 1. Buch Über die Seele stellt Aristoteles fest, daß die Kräfte nicht wesentlich altern, sondern nur aufgrund der Schwäche des Körpers.28 Also erleidet die Seele nicht wesentlich, sondern nur akzidentellerweise. 3. All jenes, was wesentlich bewegt wird, ist teilbar, wie im 6.  Buch der Physik nachgewiesen wurde.29 Die Seele ist aber unteilbar und folglich wird sie nicht wesentlich bewegt und deswegen erleidet sie nicht wesentlich. Antwort: Im eigentlichen Sinn von ›Erleiden‹ ist es unmöglich, daß etwas nicht Körperliches erleidet, wie oben festgestellt wurde.30 Folglich ist ein Körper das, was wesentlich im eigentlichen Sinn von ›Erleiden‹ erleidet. Wenn also die Seele im eigentlichen Sinn erleiden kann, dann geschieht dies nur aufgrund ihrer Verbindung mit dem Körper und folglich geschieht dies akzidentellerweise. Ihre Verbindung mit dem Körper ist zweifach: Zum einen als Form, insofern sie dem Körper Existenz verleiht, indem sie ihn belebt. Zum anderen als Beweger, insofern sie vermittels des Körpers ihre Tätigkeiten ausübt. Auf beide Weisen erleidet die Seele akzidentellerweise, aber in unterschiedlicher Hinsicht. Was aus Materie und Form zusammengesetzt ist, ist unter dem Aspekt der Form derart tätig, daß es unter dem Aspekt der Materie erleidet. Deswegen nimmt das Erleiden in der Materie seinen Anfang und deshalb gehört es in gewisser Hinsicht akzidentellerweise zur Form. Das Erleiden des Erleidenden wird vom Tätigen abgeleitet, weil das Erleiden die Wirkung einer Tätigkeit ist. Das Erleiden des Körpers wird der Seele deswegen in zweifachem Sinn auf akzidentelle Weise zugeschrieben. Zum einen, wenn das Erleiden im Körper seinen Anfang nimmt und in der Seele, inso28 Aristoteles, De an. I, 10; 408 b 18. 29 Aristoteles, Phys. VI, 5; 234 b 10. 30 Vgl. De ver. q. 26 a. 1.

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fern sie mit dem Körper als Form verbunden ist, abgeschlossen wird. Hier handelt es sich um ein körperliches Erleiden. Beispiel: Wenn der Körper verletzt wird, wird die Verbindung des Körpers mit der Seele geschwächt. Auf diese Weise erleidet die Seele, die ihrem Sein nach mit dem Körper verbunden ist, akzidentellerweise. Zum anderen, wenn das Erleiden in der Seele seinen Anfang nimmt, insofern sie den Körper bewegt und im Körper zum Abschluß wird. Dieses Erleiden wird ein seelisches genannt.31 Dies ist am Zorn, an der Furcht und dergleichen zu sehen, denn diese Affekte werden durch die Erkenntnis und das Streben der Seele tätig, worauf eine Veränderung des Körpers folgt. Dies ist so, wie wenn die Veränderung des Bewegten der Tätigkeit des Bewegers folgt und zwar hinsichtlich jeder Art und Weise, der zufolge das Bewegbare die Disposition hat, der Bewegung des Bewegers zu gehorchen. Wenn ein Körper auf diese Weise von einer Umwandlung verändert wurde, dann wird auch gesagt, die Seele erleide akzidentellerweise. Zu 1. Die Seele fürchtet sich nicht davor, zu vergehen so als würde sie als solche vergehen, sondern sie fürchtet, die Verbindung [mit dem Körper] könne durch ihre Trennung vom Körper vergehen. Wenn sie ihre eigene Vergänglichkeit fürchtet, dann nur, weil sie zweifelt, ob sie mit der Zerstörung des Körpers nicht auch akzidentellerweise zerstört werden kann. Daher kommt der Seele die Vergänglichkeit weder wesentlich zu, noch ist der Seele ohne eine Verbindung zum Körper der Affekt der Furcht zueigen. Zu 2. Obwohl die Seele im Körper vollendet wird, so wird sie nicht durch den Körper vollendet, wie Augustinus im 12. Buch Über den Wortlaut der Genesis feststellt.32 Entweder wird sie durch Gott vollendet, oder sie vollendet sich selbst mit Hilfe des Folge leistenden Körpers. Dies ist so, wie wenn der mögliche Intellekt durch die Kraft des tätigen Intellekts mit Hilfe des Vorstellungsbildes, durch welches intelligible Erkenntnisinhalte aktualisiert werden, vollendet wird. 31 Erst hier beginnt Thomas eigentlich von Affekten zu sprechen, insofern nun die Regungen der Seele thematisiert werden. 32 Augustinus, De Gen. ad litt. XII, 16 (CSEL 28/1, 401–403).

3. Artikel

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Zu 3. Obwohl der Seele die Qualität des Körpers in keiner Weise zukommt, so haben Seele und Körper eine Verbindung und Tätigkeit gemein. Daher wirkt sich das Erleiden des Körpers akzidentellerweise auf die Seele aus. Zu 4. Der Affekt tritt in der Verbindung aus Seele und Körper nur vermöge des Wesens des Körpers auf. Daher tritt er in der Seele nur akzidentellerweise auf. Das Argument träfe auch zu, wenn der Affekt dem Ganzen unter dem Aspekt des Ganzen zukäme und nicht nur unter dem Aspekt eines Teils. Zu 5. Der Zorn und jeder beliebige Affekt der Seele kann auf zweierlei Weise betrachtet werden. Zum einen unter dem eigentlichen Begriff des Zorns. Auf diese Weise existiert er früher in der Seele als im Körper. Zum anderen, insofern er ein Affekt ist und dementsprechend existiert er früher im Körper; erst dort erhält er den Charakter des Affekts. Daher sagen wir nicht, die Seele zürne akzidentellerweise, sondern sie erleide akzidentellerweise. Zu 6. Daraus ergibt sich die Lösung des sechsten Arguments. Zu 7. Es wird nicht gesagt, die akzidentelle Empfindung der Seele habe denselben Grund wie die Freude, obwohl man sagt, sie erleide akzidentellerweise.

3. Artik el Die dritte Frage lautet: Ist der Affekt ausschließlich im sinnlichen Strebevermögen?33 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Christus erlitt mit seiner ganzen Seele, wie aus jenem Psalm hervorgeht: »Meine Seele ist des Bösen voll«;34 hierdurch erklärt die Glosse35 die Affekte. Die Gesamtheit der Seele bezieht sich auf die Vermögen. Folglich kann in jedem beliebigen Seelenvermögen ein Affekt sein und dementsprechend ist er nicht nur im sinnlichen Teil. 33 Paralleltexte: Sent. III, d. 15, 2, 1 qc. 2; Sent. IV, d. 49, 3, 1 qc. 2 ad 1; Sum. theol. I, q. 20 a., 1; Sum. theol. I-II, q. 22 a., 3; In Eth. II, 5 (ed. Leon. XLVII/1, 89–92). 34 Psalm 87 (87), 4 [vulgata]. 35 Glossa Petri Lombardi, PL 191, 811 D.

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2. Jede Bewegung und Tätigkeit, die der Seele an sich ohne dem Körper zukommt, gehört zum intellektiven Teil, nicht aber zum sinnlichen. Wie aber Augustinus im 14. Buch des Gottesstaates sagt »wird die Seele nicht nur vom Fleisch affiziert, so daß sie begehrt, fürchtet, sich erfreut und betrübt. Wahrhaftig können diese Bewegungen auch von ihr selbst hervorgebracht werden«.36 Folglich befinden sich solche Affekte nicht nur im strebenden sinnlichen Teil. 3. Der Wille ist ein Teil des intellektiven Vermögens, wie aus dem 3. Buch Über die Seele hervorgeht.37 Doch wie Augustinus im 14. Buch des Gottesstaates sagt »ist der Wille freilich in allen, nämlich in der Furcht, der Freude und dergleichen. Doch, was ist Begehren und Freude anderes, als die Übereinstimmung des Willens mit dem, was wir wollen? Und was anderes ist Angst und Trauer, als das Abweichen des Willens von dem, was wir nicht wollen? Folglich sind solche Affekte auch im intellektiven Teil. 4. Tun und Erleiden finden nicht in demselben Vermögen statt. Offensichtlich sind die Sinne aktive Vermögen, denn es scheint, der Basilisk töte durch seinen Blick und die menstruierende Frau verunreinige durch ihren Blick den Spiegel, wie aus dem Buch Über den Schlaf und das Wachen hervorgeht.38 Folglich darf man im sinnlichen Teil keine Affekte der Seele ansiedeln. 5. Das aktive Vermögen ist edler als das passive. Doch die vegetativen Vermögen sind aktiv; die Sinnesvermögen sind edler als sie. Folglich sind auch die Sinnesvermögen aktiv. Daraus folgt dasselbe wie zuvor. 6. Aristoteles zufolge beziehen sich die vernünftigen Vermögen auf Gegensätze.39 Der Genuß ist der Trauer entgegengesetzt; da folglich der Genuß im eigentlichen Sinn im intellektiven Teil ist, wie aus dem 7. und 10. Buch der Ethik40 hervorgeht, so scheint es, daß es in ihm auch Trauer gibt. Auf diese Weise können die Affekte im intellektiven Teil bestehen. 36 37 38 39 40

Augustinus, De civ. Dei XIV, 5 (CCSL 48, 420). Aristoteles, De an. III, 14; 432 b 5. Aristoteles, De somno 2; 459 b 27. Aristoteles, Metaph. IX, 2; 1046 b 3. Aristoteles, Eth. Nic. VII, 12; 1152 b 33; X, 6; 1174 b 20.

3. Artikel

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7. Es wurde eingewandt, die Worte des Aristoteles müssen in Bezug auf entgegengesetzte Tätigkeiten verstanden werden. – Dagegen spricht: Wissen und Unwissenheit sind gegensätzlich und befinden sich im intellektiven Teil der Seele und dennoch sind sie keine Tätigkeiten. Folglich müssen Aristoteles’ Worte nicht in Bezug auf diese Tätigkeiten verstanden werden. 8. Aristoteles sagt im 2. Buch der Physik, die Ursache, sei diese gegenwärtig oder abwesend, ist eine und dieselbe, wie beispielsweise der Kapitän für die Rettung und den Untergang des Schiffes.41 Doch der gegenwärtige intelligible Erkenntnisinhalt bringt im intellektiven Teil den Genuß hervor. Folglich führt in ihm der abwesende intelligible Erkenntnisinhalt zur Trauer. Daraus folgt dasselbe wie zuvor. 9. Johannes von Damaskus sagt im 2. Buch, daß »der Schmerz kein Affekt sei, sondern die Empfindung eines Affekts«.42 Folglich befindet er sich in einer sinnlichen Kraft und nicht in einer strebenden. Aus demselben Grund befindet sich der Genuß in einer sinnlichen Kraft, so wie auch die übrigen Seelenaffekte. 10. Johannes von Damaskus im 2. Buch und Aristoteles im 2. Buch der Ethik stellen fest, daß Freude und Trauer eine Folge des Affekts seien.43 Aus diesem Grund gehen die Affekte der Seele Freude und Trauer voraus. Freude und Trauer aber befinden sich im strebenden Teil. Folglich befinden sich die Seelenaffekte in jenem Teil, der dem strebenden vorausgeht. Daher befinden sich die Seelenaffekte im erkennenden Teil, der dem strebenden vorausgeht. 11. So wie der Körper bei den Tätigkeiten des sinnlichen Strebevermögens verändert wird, so geschieht es auch bei den Tätigkeiten der sinnlichen Erkenntnisvermögen. Folglich ist der Affekt nicht nur im strebenden Teil, sondern auch im erkennenden. 12. Das Erleiden im eigentlichen Sinn ergibt sich aus dem Verlust von etwas und dem Empfangen eines Gegensatzes. Dies ist im intellektiven Teil der Fall, denn er verliert die Schuld und empfängt die Gnade; er verliert die Gewohnheit der Unzucht und wird der Ge41 Aristoteles, Phys. II, 5; 195 a 11. 42 Johannes Damscenus, De fide orth. II, 22 (PG 94, 940 D; ed. Buy-

taert, 132). 43 Johannes Damascenus, a.a.O; Aristoteles, Eth. Nic. II, 3; 1104 b 14.

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wohnheit der Keuschheit zugeführt. Folglich befindet sich das Erleiden im eigentlichen Sinn im höheren Teil der Seele. 13. Die Bewegung der sinnlichen Strebevermögen folgt der Sinneserkenntnis. Gelegentlich aber werden in uns die Affekte aufgrund eines Gegenstandes erregt, den die Sinne nicht erfassen können, wie beispielsweise die Scham vor niederträchtigen Handlungen oder die Furcht vor der Zukunft. Folglich können dergleichen nicht im Teil des sinnlichen Strebens sein und deswegen kann man nur noch feststellen, daß sie im Teil des vernünftigen Strebens sind, nämlich im Willen. 14. Unter den übrigen Affekten ist die Hoffnung angesiedelt. Die Hoffnung aber befindet sich im intellektiven Teil der Seele, weil die heiligen Väter, die sich in der Vorhölle befinden, Hoffnung hatten. Die Bewegung des sinnlichen Teils bleibt in der getrennten Seele hingegen nicht bestehen. Folglich befinden sich die Affekte auch im intellektiven Teil der Seele. 15. Das Bildnis befindet sich im intellektiven Teil. Die Seele erleidet allerdings aufgrund der Wirkkraft des Bildnisses, weil die Wirkkräfte des Bildnisses, die die Gnade jetzt bewirken, die Freude der Herrlichkeit bewirken werden, wenn der Zustand der Herrlichkeit erreicht ist. Folglich befindet sich der Affekt nicht nur im sinnlichen Strebevermögen der Seele. 16. Johannes von Damaskus gemäß ist »der Affekt die Bewegung von etwas auf etwas [anderes] hin«.44 Der Intellekt wird aber von etwas auf etwas [anderes] hinbewegt, indem er von den Prinzipien zu den Schlußfolgerungen gelangt. Folglich gibt es im Intellekt Affekte weswegen man zum selben Schluß wie zuvor kommt. 17. Aristoteles sagt im 3. Buch Über die Seele, daß »das Verstehen ein gewisses Erleiden sei«.45 Doch das Verstehen ist im Intellekt und folglich gibt es im Intellekt Affekte. 18. Dionysius sagt über Hierotheus im 2. Kapitel Über die göttlichen Namen46, daß die göttlichen Dinge durch das Leiden dem 44 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 22 (PG 94, 941 A; ed. Buytaert, 132). 45 Aristoteles, De an. III, 4; 429 b 24. 46 Dionysius Areopagita, De div. nom. II, 9 (PG 3, 648 B; Dion. I, 104).

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Göttlichen nähergebracht werden. Doch bezüglich des sinnlichen Teils, der zur Aufnahme des Göttlichen nicht fähig ist, gab es kein Leiden des Göttlichen. Folglich befindet sich der Affekt nicht nur im sinnlichen Teil. 19. Kein bestimmtes Seelenvermögen darf sich auf das hinordnen, was in den Seelen akzidentellerweise existiert. Von dem, was nämlich akzidentell ist, gibt es weder eine Wissenschaft noch ein bestimmtes Vermögen und deswegen befindet sich der Affekt nicht nur im sinnlichen Strebevermögen. Dagegen spricht: 1. Johannes von Damaskus sagt im 2. Buch: »Der Affekt ist die Bewegung der Strebekraft bei der Vorstellung des Guten oder Schlechten«.47 Auch: »Der Affekt ist eine unvernünftige Bewegung der Seele bedingt durch den Verdacht des Guten oder Schlechten«. Folglich befindet sich der Affekt ausschließlich im unvernünftigen Teil der Seele. 2. Der Affekt im eigentlichen Sinn ist Folge einer verändernden Bewegung, wie bereits gesagt wurde. Die Veränderung aber befindet sich nur im sinnlichen Teil der Seele, wie im 7. Buch der Physik nachgewiesen wurde.48 Folglich ist der Affekt ausschließlich im sinnlichen Teil. Antwort: Im eigentlichen Sinn befindet sich der Affekt ausschließlich im sinnlichen Strebevermögen, wie aus den zwei von Johannes von Damaskus und Gregor von Nyssa gegebenen Definitionen hervorgeht.49 Dies wird folgendermaßen deutlich. ›Erleiden‹ wird auf dreifache Weise ausgesagt, wie bereits gesagt wurde. Zum ersten auf allgemeine Weise, derzufolge alles Empfangen ein Erleiden ist. Auf diese Weise befindet sich das Erleiden weder in jedem beliebigen Teil der 47 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 22 (PG 94, 940 D; ed. Buytaert 132). 48 Aristoteles, Phys. VII, 6; 248 b 27. 49 Johannes Damascenus a.a.O.; Nemesius de Emesa, De nat. hom., c. 16 (ed. Verbeke-Moncho, 95 f.).

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Seele noch nur im sinnlichen Strebevermögen. Wird das Erleiden derart verstanden, sagt Averroes im Buch Über die Seele, sind alle Vermögen der vegetativen Seele aktiv, sind alle Vermögen der sinnlichen Seele passiv [und] sind alle Vermögen der vernünftigen Seele teils aktiv – aufgrund des tätigen Intellekts – und teils passiv – wegen des passiven Intellekts.50 Diese Art von Affekt kommt vielmehr den Strebevermögen zu, obwohl er sowohl den Erkenntnis- als auch den Strebevermögen zukommt. Der Grund dafür liegt darin, daß die Erkenntnistätigkeit in der erkannten Sache ist, insofern sie im Erkennenden liegt; die Tätigkeit des Strebens hingegen richtet sich auf eine Sache, wie sie in sich selbst ist. Was vom Erkenntnisvermögen empfangen wird, hat in geringerem Maß die Eigenschaft der erkannten Sache als das, was vom Strebevermögen unter dem Aspekt des Erstrebenswerten erfaßt wird. Daher befindet sich das Wahre, das den intellektiven Teil vervollständigt, im Verstand, das Gute hingegen, das das Strebevermögen vervollständigt, befindet sich in den Dingen, wie im 6. Buch der Metaphysik festgestellt wird.51 Auf andere Weise wird ›Erleiden‹ im eigentlichen Sinn ausgesagt. Diese besteht im Entfernen des Gegensatzes und des Empfangens eines anderen vermöge einer Veränderung. Diese Weise des Erleidens kommt der Seele nur aufgrund des Körpers zu und zwar auf zweifache Weise: Zum einen, insofern sie mit dem Körper als Form vereint ist. Dementsprechend leidet sie mit dem Körper mit, wenn dieser einen körperlichen Affekt erleidet. Zum anderen, insofern sie mit ihm als Beweger verbunden ist; dementsprechend bewirkt die Tätigkeit der Seele eine Veränderung im Körper. Es wird, wie erwähnt52, gesagt, dieser Affekt sei ein seelischer. Der bereits erwähnte körperliche Affekt wird den Vermögen zugeordnet, insofern sie im Wesen der Seele wurzeln, da die Seele ihrem Wesen gemäß die Form des Körpers ist. Deshalb gehört der Affekt primär zum Wesen der Seele. Ein solcher Affekt kann den Vermögen nämlich auf dreifache Weise zugeschrieben werden. Zum einen, wenn er im Wesen der Seele wurzelt. Und da alle Vermögen derart in der 50 Averroes, De an. II, comm. 52 (ed. Crawford, 209–211). 51 Aristoteles, Metaph. VI, 4; 1027 b 25. 52 Vgl. De ver. q. 26 a. 2.

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Seele wurzeln, wird der erwähnte Affekt allen Vermögen zugeordnet. Zum zweiten, wenn die Akte der Vermögen durch eine Verletzung des Körpers unterbunden werden. Auf diese Weise wird der erwähnte Affekt all solchen Vermögen zugeordnet, die körperliche Organe verwenden und die bei der Verletzung des Körpers an ihrer Aktualisierung indirekt gehindert werden. Dies bezieht sich auch auf solche Vermögen, die keine körperlichen Organe benutzen – etwa die intellektiven – insofern sie von den die Organe gebrauchenden Vermögen etwas empfangen. Daher kommt es, daß bei der Verletzung des Organs des Vorstellungsvermögens auch die Tätigkeit des Intellekts unterbunden wird, da der Intellekt für seine Tätigkeit Vorstellungsbilder benötigt. Zum dritten bezieht sich der Affekt auf ein solches Vermögen, das sich selbst erfaßt. Und so bezieht er sich eigentlich auf den Tastsinn, denn dieser nimmt die Bestandteile wahr, aus denen sich das Tier zusammensetzt und er nimmt auch die Aspekte wahr, die das Tier zerstören. Da der Körper durch den Affekt vermittels einer Tätigkeit der Seele verändert wird, muß der Affekt des Tieres in jenem Vermögen sein, das dem Körper beigefügt wird und dessen Funktion es ist, den Körper zu verändern. Ein solcher Affekt befindet sich nicht im intellektiven Teil, dessen Tätigkeit keines körperlichen Organs bedarf. Auch befindet er sich nicht im Teil der sinnlichen Wahrnehmung, weil die Bewegung des Körpers dem Erfassen der Sinne nur aufgrund des Strebevermögens folgt, welches ja unmittelbar bewegt. Daher verfügt es aufgrund seiner Art von Tätigkeit sofort über das körperliche Organ, wie etwa das Herz, das der Ursprung derjenigen Bewegung ist, die bestimmt, was der Ausführung dessen zukommt, worauf sich das sinnliche Strebevermögen richtet. Aus diesem Grund erhitzt es sich im Zorn und in der Furcht erkaltet es gewissermaßen und zieht sich zusammen. Daher kommt es, daß nur im sinnlichen Strebevermögen der Affekt der Seele im eigentlichen Sinn anzutreffen ist. Die Kräfte der pflanzlichen Seele sind aber offenkundig weder aktiv noch passiv, obwohl sie Organe verwenden. Der Affekt kommt eigentlicher den Strebevermögen zu als den erkennenden, wie anfänglich gesagt wurde. Und dies ist ein Grund, weswegen das sinnliche Strebevermögen dem Affekt eigentlicher unterliegt als das sinnliche Erkenntnisvermögen. Ebenso steht das höhere affek-

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tive Vermögen dem eigentlichen Begriff des Affekts näher als das intellektive Vermögen. In der dritten Weise wurde ›Affekt‹ gewissermaßen im übertragenen Sinn ausgesagt, insofern etwas auf jede beliebige Weise vom dem abgehalten wird, was ihm angemessen ist. Dementsprechend haben die Seelenvermögen Affekte, wenn die ihnen eigenen Akte verhindert werden. Wie bereits festgestellt wurde, ist dies irgendwie bei allen Seelenvermögen zu beobachten. Nun sprechen wir aber von den Affekten der Seele im eigentlichen Sinn, die, worauf bereits hingewiesen wurde, nur im sinnlichen Strebevermögen anzutreffen sind. Zu 1. Die Seele Christi erlitt im Ganzen die körperlichen Leiden und deshalb bezog sich dieses Leiden auf alle Vermögen, zumindest auf diejenigen, die im Wesen der Seele wurzeln. Dies geschah aber nicht so, daß der Affekt der Seele in jedem beliebigen Seelenvermögen als in seinem eigenen Subjekt war. Zu 2. Augustinus äußerte sich gegen gewisse Platoniker, die behaupteten, der Ursprung all jener Affekte befände sich im Fleisch.53 Augustinus vertrat die Auffassung, daß, auch wenn niemandes Fleisch verderbt sei, der Ursprung der Affekte in der Seele liegen könne. Aus diesem Grund sagt er nicht, daß diese Affekte ohne das Fleisch vervollkommnet werden, sondern nur, daß die Seele nicht allein aufgrund des Fleisches derartige Affekte erleidet. Zu 3. Entweder versteht Augustinus das Wort ›Wille‹ in einem weiten Sinn als ein beliebiges Strebevermögen, oder er versteht ›Furcht‹ und ›Freude‹ und dergleichen als Tätigkeiten des Willens, die den im sinnlichen Strebevermögen existierenden Affekten ähnlich sind. Wie in der Frage zur Sinnesempfindung gesagt wurde, gibt es nämlich im Willen eine gewisse Freude und Trauer und dergleichen, aber nicht im eigentlichen Sinn von ›Erleiden‹.54 Man kann auch sagen, Augustinus bezeichne diese Affekte als Willen, insofern dem Menschen aufgrund von Willensakten solche Affekte verliehen werden, nämlich dadurch, daß das niedere Strebevermögen 53 Augustinus, De civ. Dei XIV, 5 (CCSL 48, 419 f.). 54 Vgl. De ver. q. 25 a. 3.

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der Neigung des höheren Strebevermögens folgt, wie in der Frage zur Sinneswahrnehmung festgestellt wurde. Daher fügt Augustinus hinzu: »In dem Maß wie der Wille des Menschen angezogen oder abgestoßen wird, so wandelt er sich und ergießt sich auf diesen oder jenen Affekt«.55 Zu 4. Das Sinnesvermögen ist keine aktive, sondern eine passive Kraft. Es wird nämlich nicht gesagt, daß, weil die aktive Kraft aktualisiert wird und tätig ist, jede übrige Seelenkraft aktiv sei; vielmehr wird gesagt, ein Vermögen sei aktiv, wenn es sich auf seinen Gegenstand bezieht, so wie wenn ein Tätiges sich auf ein Erleidendes bezieht; das passive Vermögen aber bezieht sich auf seinen Gegenstand, so wie sich das Erleidende auf das Tätige bezieht. Das Sinnesvermögen bezieht sich auf den Sinnesgegenstand, so wie wenn das Erleidende sich auf das Tätige bezieht, so daß der Sinnesgegenstand das Sinnesvermögen verändert. Daß allerdings der Sinnesgegenstand gelegentlich vom Sinnesvermögen verändert wird, nämlich auf akzidentelle Weise, geschieht, wenn das Sinnesorgan eine Qualität besitzt, die einen Körper verändern kann. Daher hat die Verunreinigung, durch die die menstruierende Frau die Spiegel verunreinigt, oder der Basilisk, der durch seinen Blick Menschen tötet, nichts mit dem Sehvermögen zu tun. Das Sehvermögen wird dadurch vervollkommnet, daß es die sichtbaren Spezies in sich aufnimmt, was ja ein gewisses Erleiden darstellt. Aus diesem Grund ist das Sehvermögen passiv. Nähme man aber an, das Sinnesvermögen brächte etwas aktiv hervor, dann würde daraus nicht folgen, daß das Sinnesvermögen nichts erleiden kann. Nichts spricht dagegen, daß ein und dasselbe Vermögen in Bezug auf Verschiedenes aktiv und passiv sein kann. Ginge man wiederum davon aus, daß das Sinnesvermögen, das ein Erkenntnisvermögen bezeichnet, zu keinem Erleiden in der Lage wäre, so könnte dadurch nicht ausgeschlossen werden, daß es im sinnlichen Strebevermögen Affekte geben kann. Zu 5. Obwohl das Tätige auch in Bezug auf ein und dieselbe Sache schlechthin edler ist als das Passive, spricht nichts dagegen, daß etwas Passives edler als etwas Tätiges sein kann, insofern das Passive aufgrund eines edleren Affekts eher etwas erleidet als die Tätigkeit, 55 Augustinus, De civ. Dei XIV, 6 (CCSL 48, 421).

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durch die ein Tätiges tätig ist. Dies verhält sich so wie beim Erleiden, aufgrund dessen gesagt wird, der mögliche Intellekt sei ein passives Vermögen. Auch ist das Sinnesvermögen, das etwas auf immaterielle Weise empfängt, edler als die Tätigkeit, aufgrund derer das vegetative Vermögen auf materielle Weise tätig ist, nämlich vermittels der Qualitäten der Elemente. Zu 6. Der Genuß, der im intellektiven Teil durch die Vereinigung mit dem angemessenen intelligiblen Gegenstand angesiedelt ist, hat keinen Gegensatz, weil es erforderlich wäre, daß dieser intelligible Gegenstand etwas Gegensätzliches hat, welches die Ursache des Gegensatzes wäre. Dies ist aber unmöglich, weil es zum intelligiblen Erkenntnisinhalt keinen Gegensatz gibt. Die Arten der Gegensätze sind nämlich in der Seele keine Gegensätze, wie im 7. Buch der Metaphysik gesagt wird.56 Daher erfreut sich der Mensch nicht nur an solchen Dingen, die er als gute erkennt, sondern auch an solchen, die er als schlechte erkennt, insofern er sie erkennt. Die Erkenntnis selbst des Schlechten stellt für den Intellekt ein Gut dar. Deshalb hat der Genuß des Intellekts keinen Gegensatz. Es wird aber gemeinhin gesagt, Trauer und Schmerz seien im intellektiven Teil, insofern der Verstand etwas erkennt, was dem Menschen schadet und wogegen sich der Wille stemmt. Da das Schädliche dem Verstand allerdings nicht schadet, insofern er es erkennt, stehen Trauer und Schmerz dem Genuß des Verstands nicht entgegen. Dieser kommt durch das dem Verstand Zuträgliche zustande, insofern er erkennt. Zu 7. Das Vernunftvermögen bezieht sich auf Gegensätzliches, das ihm in einer Hinsicht eigentümlich ist und das er in anderer Hinsicht mit den übrigen Vermögen teilt. Daß nämlich das Vernunftvermögen das Subjekt gegensätzlicher Akzidentien ist, haben es und andere Vermögen gemein, da alle Gegensätze im Subjekt identisch sind. Daß es sich aber auf gegensätzliche Tätigkeiten bezieht, ist allein ihm zu eigen. Die natürlichen Vermögen sind hingegen auf einen Gegensatz festgelegt. Und so stellt Aristoteles fest, daß sich die Vernunftvermögen auf Gegensätzliches richten. Zu 8. Die Abwesenheit des Steuermannes ist lediglich die akzidentelle Ursache für den Untergang des Schiffes, insofern nämlich 56 Aristoteles, Metaph. VII, 6; 1032 b 2.

3. Artikel

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seine Voraussicht fehlte, die den Untergang des Schiffs verhindert hätte. Ähnlich ist das Entfernen oder Fehlen des intelligiblen Erkenntnisinhaltes nicht die Ursache von Trauer, sondern des Fehlens von Genuß. Das Verhältnis der Wirkungen entspricht dem Verhältnis der Ursachen. Aus diesem Grund sind Verstehen und nicht Verstehen, welche sich kontradiktorisch gegenüberstehen, die Ursache des Genusses und des Fehlens von Genuß, die ebenso kontradiktorisch sind; sie sind aber nicht die Ursache von Genuß und Trauer, welche konträr sind. Wenn man aber den Irrtum hinnimmt, der der Erkenntnis der Wahrheit entgegensteht, so kann dieser nicht die Ursache von Trauer sein. Denn entweder wird der Irrtum für Wahrheit gehalten, und dementsprechend würde der Irrtum ebenso wie die Wahrheit Genuß erzeugen, oder er wird als Irrtum erkannt, was nur dann geschehen kann, wenn die Wahrheit erkannt wurde; und dementsprechend würde abermals die Erkenntnis des Irrtums Genuß erzeugen. Zu 9. Trauer und Schmerz unterscheiden sich in dem Sinn, daß Trauer ein gewisser Affekt der Seele ist und gewissermaßen im Erfassen des Abträglichen seinen Anfang nimmt; im Streben nach Tätigkeit und zusätzlich in einer körperlichen Veränderung wird sie abgeschlossen. Der Schmerz aber ergibt sich aufgrund eines körperlichen Leidens. Daher meint Augustinus im 14. Buch des Gottesstaates, daß »gesagt wird, der Schmerz beziehe sich gewöhnlich auf körperliche Zustände«.57 Daher nimmt er in einer Verletzung des Körpers seinen Anfang und wird durch das Erfassen des Tastsinns abgeschlossen, weswegen der Schmerz im Tastsinn wie im Erkennenden ist, wie bereits58 gesagt wurde. Zu 10. Sowohl Johannes von Damaskus als auch Aristoteles sagen, daß Freude und Trauer dem Erleiden folgen, wenn auch mit unterschiedlicher Bedeutung. Indem Johannes von Damaskus und Gregor von Nyssa dasselbe Wort gebrauchen, sprechen sie vom körperlichen Erleiden, dessen Erkenntnis Freude oder Trauer verursacht und dessen sinnliche Erfahrung Schmerz bereitet. Im 2. Buch der Ethik spricht Aristoteles hingegen zweifelsohne von den Affekten der 57 Augustinus, De civ. Dei XIV, 7 (CCSL 48, 421–423). 58 Vgl. De ver. q. 25 a. 2.

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Seele und hat damit im Sinn, daß auf alle Affekte der Seele Freude und Trauer folgen. Der Grund dafür liegt darin, daß unter allen Affekten der begehrenden Vermögen Freude und Trauer, die durch das Erlangen des Zu- oder Abträglichen verursacht werden, den letzten Platz einnehmen. Alle überwindenden Affekte finden in den begehrenden Affekten ihren Abschluß, wie in der Frage zur Sinnesempfindung festgestellt wurde.59 Daher bleibt zu sagen, daß alle Affekte der Seele in Freude oder Trauer ihren Abschluß finden. Aus keiner dieser beiden Bedeutungen folgt, daß sich die Affekte im erkennenden Teil befinden, denn das körperliche Erleiden gehört zum Wesen des Körpers. Die übrigen Affekte der Seele aber befinden sich im strebenden Teil, in dem auch Freude und Trauer sind, allerdings in Bezug auf ihre vorausgehenden Tätigkeiten. Wenn es unter den Tätigkeiten des Strebens keine Ordnung gäbe, würde aus den Worten Aristoteles’ folgen, daß sich die Affekte der Seele nicht im strebenden Teil befinden, wo Freude und Trauer sind, sondern im erkennenden. Zu 11. Weder das Sinnesvermögen noch ein anderes Erkenntnisvermögen bewegt unmittelbar, sondern nur vermittels des Strebevermögens. Aus diesem Grund wird der Körper hinsichtlich seiner materiellen Dispositionen in Bezug auf die Tätigkeit der sinnlichen Erkenntniskräfte nur dann verändert, wenn eine Bewegung des Strebevermögens hinzugefügt wird, auf die eine Veränderung des Körpers, der sich zum Gehorchen disponiert, plötzlich folgt. Obwohl die sinnliche Erkenntniskraft gleichzeitig mit dem Organ verändert wird, liegt dort im eigentlichen Sinn kein Affekt vor, da während der Sinnestätigkeit das körperliche Organ nicht wesentlich verändert wird, sondern nur aufgrund einer geistigen Veränderung, der zufolge die sinnlichen Spezies vom wahrnehmenden Organ ohne Materie empfangen werden, wie im 2. Buch Über die Seele festgestellt wurde.60 Zu 12. Obwohl im intellektiven Teil etwas verloren geht und etwas empfangen wird, so geschieht dies nicht auf dem Weg der Veränderung, die ein kontinuierliches Empfangen und Verlieren darstellt, sondern durch ein schlichtes Einfließen bezüglich der ein59 Vgl. De ver. q. 25 a. 2. 60 Aristoteles, De an. II, 24; 424 a 17.

3. Artikel

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gegossenen Habitus. Die Gnade wird nämlich in einem einzigen Augenblick eingegossen, und durch sie wird die Schuld sofort ausgelöscht. Die Veränderung aber, durch die das Laster der Tugend oder die Unwissenheit der Wissenschaft zugeführt wird, betrifft akzidentellerweise den intellektiven Teil, wobei die Veränderung wesentlich im sinnlichen Teil stattfindet, wie aus dem 7. Buch der Ethik hervorgeht.61 Aus dem, was eine Veränderung im sinnlichen Teil hervorbringt, folgt augenblicklich eine Vollkommenheit im intellektiven Teil, nämlich so, daß das, was im intellektiven Teil entsteht, der Endpunkt einer im sinnlichen Teil stattfindenden Veränderung ist. Beispiel: Die Erleuchtung ist der Endpunkt einer Ortsbewegung und sie erzeugt schlechthin eine Veränderung. Dies ist, was hinsichtlich der erworbenen Habitus zu verstehen ist. Zu 13. Ein niederes Streben kann aufgrund der intellektiven Erkenntnis auf zweierlei Weise zustandekommen: Zum einen, wenn das, was der Intellekt allgemein erkennt, im Vorstellungsvermögen individuell gebildet wird. Dementsprechend wird das niedere Strebevermögen bewegt, wenn es dem Intellekt Glauben schenkt und vernunftgemäß die zukünftigen Strafen erfaßt und die entsprechenden Vorstellungen bildet, etwa wenn es sich das brennende Feuer und die nagenden Würmer und dergleichen vorstellt. Daraus ergibt sich im Strebevermögen der Affekt der Furcht. Zum anderen, wenn durch die intellektive Erkenntnis das höhere Strebevermögen bewegt wird, welches das niedere Strebevermögen aufgrund eines Überfließens und Befehls mitbewegt. Zu 14. Die Hoffnung, die in der getrennten Seele verbleibt, ist kein Affekt, sondern ein Habitus oder eine Willenstätigkeit, wie bereits gesagt wurde.62 Zu 15. Aus der Segnung oder Vervollkommnung des Bildnisses ergibt sich nichts anderes, als daß es im intellektiven Teil Affekte gibt, und zwar in dem Sinn, daß alles Empfangen ein Erleiden darstellt. Zu 16. Es wird gesagt, das Erleiden sei die Bewegung einer empfangenen Sache in Richtung auf eine andere empfangene Sache, 61 Eigentlich Aristoteles, Phys. VII, 6; 248 b 27. 62 Vgl. De ver. q. 25 a. 3.

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nicht aber einer Tätigkeit in Richtung auf eine andere Tätigkeit. Deswegen gibt es im Intellekt eine Bewegung von einer Sache auf eine andere. Zu 17. Im üblichen Sinn von ›Erleiden‹ wird gesagt, das Verstehen sei ein Erleiden, insofern alles Empfangen ein Erleiden ist. Zu 18. Jener Affekt, von dem Dionysius spricht, ist nichts anderes als eine Affektion in Bezug auf das Göttliche, welche in stärkerem Maß den Charakter des Erleidens hat als den des einfachen Erfassens, wie bereits gesagt wurde. Gemäß Joh. 14, 21, wird aus der Affektion selbst das Göttliche offenbar: »Wer mich aber liebt, wird von meinem Vater geliebt werden und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren«.

4. Artik el Die vierte Frage lautet: Wie kann von den Gegensätzen und Unterschieden der Seelenaffekte gesprochen werden?63 Es scheint, daß dies nicht hinsichtlich von Gut und Übel geschieht; denn: 1. Die Kühnheit steht nämlich der Furcht entgegen. Beide Affekte aber beziehen sich auf ein Übel, weil sich die Kühnheit dem nähert, wovor die Furcht flieht. Folglich ergibt sich der Gegensatz der Seelenaffekte nicht aufgrund von Gut und Übel. 2. Die Hoffnung ist der Hoffnungslosigkeit entgegengesetzt. Beide beziehen sich allerdings auf ein Gut, welches die Hoffnung zu erlangen trachtet und deren Erlangen die Hoffnungslosigkeit mißtraut. Folglich ergibt sich der Gegensatz der Seelenaffekte nicht aus Gut und Übel. 3. Johannes von Damaskus im 2. Buch und Gregor von Nyssa unterscheiden die gegenwärtigen von den zukünftigen Seelenaffekten und die guten von den schlechten.64 Auf das zukünftige Gut rich63 Paralleltexte: Sent. III, 26, 1, 3; Sum. theol. I-II, q. 23; In Eth. II, 5 (ed. Leon. XLVII/1, 89–92). 64 Johannes Damscenus, De fide orth. II, 12 (PG 94, 929 B; ed. Buytaert, 119); »Gregor von Nyssa« – tatsächlich: Nemesius de Emesa, De nat. hom. c. 17 (ed. Verbeke-Moncho, 96–101).

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tet sich die Hoffnung oder das Begehren, auf das gegenwärtige Gut die Lust oder der Genuß bzw. die Freude. Auf das zukünftige Übel richtet sich die Furcht, auf das gegenwärtige die Trauer. Gegenwart und Zukunft haben einen akzidentellen Bezug auf Gut und Übel. Folglich ist der wesentliche Unterschied der Seelenaffekte nicht im Guten und Üblen begründet. 4. Im 14. Buch des Gottesstaates unterscheidet Augustinus zwischen Trauer und Schmerz in dem Sinn, daß die Trauer zur Seele gehört, der Schmerz aber zum Körper.65 Dies hat wiederum nichts mit dem Begriff des Guten oder Üblen zu tun, womit man dasselbe wie zuvor folgert. 5. Zwischen Ausgelassenheit, Wonne, Freude, Genuß, Frohsinn und Heiterkeit gibt es einen gewissen Unterschied. Anderenfalls wäre es unnütz gewesen, diese Begriffe miteinander zu verknüpfen, wie aus Jes. 35, 10 hervorgeht: »Wonne und Freude werden erlangt«. Weil folglich all diese Begriffe bezüglich des Guten ausgesagt werden, scheint es, daß Gut und Übel die Seelenaffekte nicht unterscheiden. 6. Im 2. Buch unterscheidet Johannes von Damaskus die folgenden vier Arten der Trauer: »Schwermut, Zerknirschtheit, Neid, Barmherzigkeit«, über die hinaus es noch die Reue gibt.66 All diese Affekte werden in Bezug auf ein Übel ausgesagt, womit man zum selben Schluß wie zuvor kommt. 7. Johannes unterscheidet sechs Arten der Furcht, nämlich »Trägheit, Scham, Scheu, Verwunderung, Verdutztheit und Pein«, auf welche wiederum nicht die erwähnte Unterscheidung zutrifft, womit man zum selben Schluß wie zuvor kommt.67 8. Dionysius rechnet im 4. Kapitel der Göttlichen Namen den Eifer zur Liebe; beide Affekte beziehen sich auf ein Gut, womit man zum selben Schluß wie zuvor kommt.68

65 Augustinus, De civ. Dei XIV, 7 (CCSL 48, 421–423). 66 Johannes Damscenus, De fide orth. II, 14 (PG 94, 932 B; ed. Buytaert,

121). 67 Ebd. II, 15 (PG 94, 932 C; ed. Buytaert, 121). 68 Dionysius Areopagita, De div. nom. II, 13 (PG 3, 712; Dion. I, 218).

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Dagegen spricht: 1. Die Tätigkeiten werden aufgrund ihrer Gegenstände unterschieden. Die Seelenaffekte sind Tätigkeiten der Strebekraft, deren Gegenstand das Gute und das Üble ist. Folglich werden die Seelenaffekte durch Gut und Übel unterschieden. 2. Aristoteles im 2. Buch der Ethik gemäß folgen Freude und Trauer den Seelenaffekten.69 Freude und Trauer werden aber in Bezug auf Gut oder Übel unterschieden. Folglich unterscheiden Gut und Übel die Affekte der Seele. Antwort: Bei den Seelenaffekten ist eine dreifache Unterscheidung auszumachen: Die erste, nach der sie gewissermaßen generisch unterschieden werden, nämlich insofern sie verschiedenen Vermögen angehören, so wie wenn die begehrenden von den überwindenden Affekten unterschieden werden. Der Grund für eine solche Unterscheidung unterliegt den Bestimmungen, durch die die Vermögen unterschieden werden. Da oben in der Frage zur Sinnesempfindung bereits festgestellt wurde, daß der Gegenstand des begehrenden Vermögens das sinnlich Erfreuliche ist, der Gegenstand aber des überwindenden Vermögens das Schwierige oder das Hindernis, so gehören solche Affekte zum begehrenden Vermögen, die sich dem schlechthin Genüßlichen oder seinem Gegenteil zuordnen lassen. Solche Affekte richten sich auf das überwindende Vermögen, die sich auf den schwierigen Aspekt diesbezüglich beziehen. So tritt der Unterschied zwischen Begehren und Hoffnung zutage, denn von Begehren ist die Rede, wenn sich das Strebevermögen etwas Erfreulichem zubewegt; es wird aber gesagt, die Hoffnung sei eine gewisse Überhöhung des Strebevermögens in Bezug auf ein Gut, das als mühsam oder schwierig angesehen wird. Ähnlich verhält es sich mit den übrigen Affekten. Der zweite Unterschied zwischen den Affekten der Seele besteht darin, daß in ein und demselben Vermögen verschiedene Affektarten unterschieden werden. Dieser Unterschied ist bei den begehrenden Affekten in zweifacher Hinsicht auszumachen. Zum einen 69 Aristoteles, Eth. Nic. II, 3; 1104 b 14.

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bezüglich der Gegensätzlichkeit der Gegenstände, wodurch die Freude, die sich auf ein Gut richtet, von der Trauer, die sich auf ein Übel richtet, unterschieden wird. Zum anderen, insofern sich die begehrende Kraft unter verschiedenen Aspekten auf denselben Gegenstand richtet oder insofern verschiedene Stufen im Fortschreiten der Strebebewegung auszumachen sind. Der Gegenstand des Begehrens vereint sich zunächst in der Seele des Strebenden mit dem hinsichtlich dessen, was er als ähnlich oder angemessen erfaßt. Daraus ergibt sich der Affekt der Liebe, der nichts anderes ist, als daß das Strebevermögen die Form des zu erstrebenden Gegenstandes empfängt. Aus diesem Grund wird gesagt, die Liebe sei die Vereinigung des Liebenden mit dem geliebten Gegenstand. Was aber derart in der Seele vereint ist, sucht weiter und trachtet nach einer tatsächlichen Vereinigung, damit der Liebende in den Genuß des Geliebten komme. Dementsprechend kommt es zum Affekt des Begehrens, der ja, nachdem er tatsächlich erreicht wurde, Freude erzeugt. Folglich kommt die Liebe in der Bewegung des begehrenden Strebevermögens an erster Stelle, an zweiter das Begehren und zuletzt kommt die Freude. Im Gegensatz zu diesen Affekte muß man diejenigen betrachten, die sich einem Übel zuordnen, wie etwa der Haß im Gegensatz zur Liebe, die Flucht im Gegensatz zum Begehren und die Trauer im Gegensatz zur Freude. Wie bereits in einer anderen Frage geklärt wurde, haben die überwindenden Affekte ihren Ursprung in den begehrenden und münden in diese. Daher ist in diesen ein Unterschied hinsichtlich der verschiedenen begehrenden Strebevermögen zu finden. Darüber hinaus gibt es in ihnen eine eigene Unterscheidung bezüglich der Definition ihrer eigentümlichen Gegenstände. Von seiten des begehrenden Affekts ergibt sich eine Unterscheidung, nach der aufgrund des Guten und Üblen beziehungsweise des Genüßlichen und seines Gegenteils unterschieden wird. Außerdem wird hinsichtlich dessen, was tatsächlich und was nicht tatsächlich im Besitz ist, unterschieden. Doch die den überwindenden Affekten eigene Unterscheidung kommt daher, daß diese Affekte das Strebevermögen überschreiten oder nicht überschreiten. Dies ist eine Angelegenheit der Urteilskraft. Diese Affekte scheinen das Hindernis zu unterscheiden, als handle es sich um eine wesentliche Differenz.

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Der im überwindenden Teil existierende Affekt kann sich folglich auf etwas Gutes oder etwas Übles beziehen. Wenn es sich um ein Gut handelt, so kann dieses im Besitz sein oder nicht. Bezüglich eines besessenen Guts gibt es keinen Affekt im überwindenden Teil, denn ein Gut, welches man schon besitzt, bereitet dem, der es besitzt, keine Schwierigkeiten, weswegen dort der Begriff des Hindernisses nicht angewandt werden kann. Bezüglich eines Guts, das man noch nicht besitzt, kann der Begriff des Hindernisses aufgrund der Schwierigkeit des zu erlangenden Gegenstands angewandt werden. Wenn dieses Gut als ein solches angesehen wird, das die Fähigkeit überschreitet, dann ergibt sich Hoffnungslosigkeit; wenn es aber nicht als ein solches angesehen wird, das die Fähigkeit überschreitet, dann ergibt sich Hoffnung. Wenn aber die Bewegung des überwindenden Affekts hinsichtlich eines Übels betrachtet wird, so ergibt sich zweierlei: Entweder findet sie in Bezug auf ein noch nicht besessenes Übel statt, welches freilich als hinderlich angesehen wird, weil das Schwierige zu vermeiden ist; oder der Affekt ist bereits im Besitz bzw. er ist mit dem Bewegenden vereint, was wiederum den Begriff des Hindernisses beinhaltet, insofern geurteilt wird, die Überwindung des Hindernisses sei schwierig. Wenn sich der überwindende Affekt auf ein noch nicht gegenwärtiges Übel bezieht, das als ein Übel angesehen wird, welches die Fähigkeiten überschreitet, so ergibt sich der Affekt der Furcht. Wenn es sie nicht übersteigt, so ergibt sich Kühnheit. Wenn aber das Übel gegenwärtig ist, wird es entweder als die Fähigkeit nicht überschreitend angesehen, woraus sich der Zorn ergibt, oder als die Fähigkeit überschreitend. Daraus ergibt sich kein Affekt im überwindenden Teil, sondern es verbleibt lediglich der Affekt der Trauer im begehrenden Teil. Folglich ist die Unterscheidung, die hinsichtlich der Bewegung des Strebevermögens als unterschiedliche Stufen erkannt wird, nicht die Ursache eines Gegensatzes, denn solche Affekte unterscheiden sich, insofern sie vollkommen oder unvollkommen sind, wie es beim Begehren und der Freude der Fall ist. Die Unterscheidung aber, die hinsichtlich der Gegensätzlichkeit der Gegenstände festgestellt wird, führt an sich zu gegensätzlichen Affekten. Daher werden bei den begehrenden Affekten die Gegensätze in Hinblick auf Gut und Übel verstanden, etwa Freude und Trauer, Liebe und Haß. Im überwin-

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denden Affekt kann ein zweifacher Gegensatz ausgemacht werden: Zum einen hinsichtlich der Unterscheidung des eigentümlichen Gegenstands, etwa ob dieser die Fähigkeit überschreitet oder nicht. Auf diese Weise sind Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, Kühnheit und Furcht entgegengesetzt. Dabei handelt es sich um einen eigentlicheren Gegensatz. Zum anderen hinsichtlich des Unterschieds des begehrlichen Gegenstands, also hinsichtlich von Gut und Übel. Demzufolge scheinen Hoffnung und Furcht entgegengesetzt zu sein. Der Zorn aber kann keinesfalls einen gegensätzlichen Affekt haben, weder bezüglich des Gegensatzes von Gut und Übel – weil es in Hinblick auf ein gegenwärtiges Gut keinen Affekt im überwindenden Teil geben kann – noch in Hinblick auf den Gegensatz dessen, was die Fähigkeit überschreitet oder nicht überschreitet, schließlich ruft das Übel, das die Fähigkeit überschreitet, keinen Affekt im überwindenden Teil hervor, wie bereits gesagt wurde.70 Daher ist dem Zorn unter allen Affekten zueigen, daß ihm nichts entgegengesetzt ist. Der dritte Unterschied zwischen den Affekten der Seele, der auf zweifache Weise auftritt, ist gewissermaßen akzidenteller Art. Zum einen hinsichtlich der Intensität oder des Nachlassens, so wie wenn der Eifer die Intensität der Liebe impliziert und die Raserei die Intensität des Zornes. Zum anderen aufgrund der materiellen Unterschiede des Guten und Üblen, so wie wenn sich Barmherzigkeit und Neid unterscheiden, welche zur Art der Trauer gehören. Denn der Neid ist eine Trauer bezüglich fremden Wohlstands, insofern dieser als ein eigenes Übel angesehen wird. Die Barmherzigkeit aber ist eine Trauer bezüglich fremden Unglücks, insofern es als ein eigenes Übel angesehen wird. Dasselbe kann auch auf die übrigen Affekte angewandt werden. Zu 1. Der Gegenstand des überwindenden Affekts ist nicht das Gute und Üble im absoluten Sinn, sondern ein hinzugefügter Umstand der Schwierigkeit. Daher gibt es bei diesen Affekten nicht nur einen Gegensatz hinsichtlich von Gut und Übel, sondern auch hin70 Thomas möchte an dieser Stelle, auch etymologisch, einen Zusammenhang zwischen dem Zorn (ira) und dem überwindenden Begehren (passio irascibilis) herstellen.

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sichtlich des Unterschieds, durch den das Schwierige sowohl in ein gutes als auch ein übles unterschieden wird. Zu 2. Daraus ergibt sich die Lösung des zweiten Arguments. Zu 3. Gegenwart und Zukunft werden als Unterschiede verstanden, durch die die Seelenvermögen unterschieden werden, insofern das Zukünftige noch nicht tatsächlich mit ihnen vereint ist. Die Bewegung des Strebevermögens ist allerdings hinsichtlich dessen vollkommener, was sich tatsächlich mit ihm vereint als dasjenige, was noch tatsächlich weit weg ist. Obwohl Zukunft und Gegenwart eine gewisse Unterscheidung der Affekte zulassen, bedingen sie jedoch keinen Gegensatz, so wie sie auch nicht den Unterschied zwischen Vollkommenheit und Unvollkommenheit bedingen. Zu 4. Im eigentlichen Sinn des Wortes darf der Schmerz nicht zu den Affekten der Seele gezählt werden, weil er von der Seele lediglich eine Erkenntnis empfängt. Der Schmerz ist die Empfindung einer Verletzung, die wiederum in einem Körperteil auftritt. Daher fügte Augustinus an jener Stelle seiner Abhandlung der Affekte der Seele hinzu, die Bezeichnung ›Trauer‹ sei der Bezeichnung ›Schmerz‹ vorzuziehen, schließlich werde die Trauer im Strebevermögen vervollkommnet, wie bereits gesagt wurde. Zu 5. Genuß und Freude unterscheiden sich aus demselben Grund wie Trauer und Schmerz, denn der sinnliche Genuß stammt aus der Verbindung des Körpers mit dem zuträglichen Gegenstand; aus der Seele aber kommt die Wahrnehmung des Zuträglichen. Der geistige Genuß beinhaltet eine gewisse tatsächliche Verbindung eines zuträglichen Gegenstands mit einem anderen zuträglichen Gegenstand, zusammen mit der Wahrnehmung dieser Verbindung. Daher sagt Platon bei der Definition des sinnlichen Genusses, »der Genuß sei das Hervorbringen des Sinnlichen in der Natur«.71 Indem aber Aristoteles den Genuß im Allgemeinen definiert, stellt er fest, daß »der Genuß eine natürliche Tätigkeit ist, die von der Natur nicht verhindert wird«.72 Diese Tätigkeit ist dem verbundenen zuträglichen Gegenstand zuträglich, welcher Genuß, zumal geistigen, hervorbringt. Beiderseits beginnt der Genuß deshalb mit einer 71 Vgl. Aristoteles, Eth. Nic. VII, 12; 1152 b 13. 72 Ebd. 1153 a 14.

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tatsächlichen Verbindung und wird durch ihre Erkenntnis vervollkommnet. Die Freude aber beginnt mit der Erkenntnis und findet im Affekt ihren Abschluß. Aus diesem Grund ist der Genuß zuweilen die Ursache der Freude so wie der Schmerz die Ursache der Trauer ist. Die Freude unterscheidet sich von der Fröhlichkeit und dergleichen in Bezug auf Intensität und Nachlassen. Denn die übrigen Affekte bezeichnen eine gewisse Intensität der Freude; diese Intensität bezieht sich entweder auf eine innere Disposition, die eine innere Ausweitung des Herzens einschließt; hierbei handelt es sich um Fröhlichkeit. Die Fröhlichkeit bezeichnet gewissermaßen eine Ausweitung.73 Wenn aber die Intensität der Freude in Hinblick auf gewisse äußere Zeichen hervorbricht, dann handelt es sich um Ausgelassenheit. Von Ausgelassenheit ist die Rede, wenn eine innere Freude irgendwie nach außen hervorbricht. Dieses Hervorbrechen ist an der Veränderung des Gesichtsausdrucks zu bemerken, weil das Gesicht wegen seiner Nähe zur Vorstellungskraft die Anzeichen eines Affekts zuerst offenbart; und daraus entsteht die Heiterkeit. Auch ergibt sich das Hervorbrechen daraus, daß die Affekte aufgrund der Intensität der inneren Freude auf Worte und Taten gerichtet werden. Hierbei handelt es sich um den Frohsinn. Zu 6. Die von Johannes von Damaskus erwähnten Arten der Trauer stellen gewisse Arten und Weisen der Trauer dar, die ihr als akzidentelle Unterschiede beigefügt werden. Sie ergibt sich aus der Intensität der Bewegung, und insofern sie sich in einer inneren Disposition befindet, dem Herzen nämlich, wird sie Schwermut genannt. Diese stellt eine ›erschwerende Trauer‹ dar, so daß man an Tätigkeiten keinen Gefallen findet. Auch ergibt sie sich, wenn auf eine äußere Disposition zugegangen wird. Deshalb ist die Zerknirschtheit eine Trauer, die »die Sprache nimmt«. Von seiten des Gegenstands, wenn er in anderen Dingen anzutreffen ist, wird sie aber als ein eigenständiges Übel angesehen. Wenn aber ein fremdes Gut als ein eigenes Übel angesehen wird, so handelt es sich um Neid. Wenn allerdings das fremde Übel als ein eigenes Übel angesehen wird, dann handelt es sich um Barmherzigkeit. Die Reue fügt aber 73 Hier kommt einmal mehr eine der von Thomas so geschätzten Etymologien ins Spiel. Wörtlich heißt es: Dicitur enim laetitia quasi latitia.

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der Trauer im Allgemeinen kein besonderes Unterscheidungsmerkmal hinzu, schließlich bezieht sie sich im absoluten Sinn auf ein eigenständiges Übel. Daher wird sie von Johannes von Damaskus beiseite gelassen. Es können viele Arten der Trauer genannt werden, wenn all diejenigen beachtet werden, die sich akzidentellerweise auf ein solches Übel beziehen, das Trauer hervorruft. Zu 7. Da die Furcht ein Affekt ist, der sich aus einer erkannten abträglichen Sache ergibt, weil sie die Fähigkeit überschreitet, werden die Arten der Furcht gemäß der entsprechenden abträglichen Gegenstände unterschieden. Diese können sich auf dreifache Weise auf den Strebenden beziehen. Zum einen in Bezug auf die eigene Tätigkeit. Insofern man sich vor der eigenen Tätigkeit als zu arbeitsaufwendig fürchtet, handelt es sich um Trägheit. Wird sie aber als schändliche gefürchtet, so handelt es sich um Scheu, die ja »eine Furcht vor einer schändlichen Handlung« ist. Zum zweiten hinsichtlich der Erkenntnis, wenn erkannt wird, daß eine erkennbare Sache jede Erkenntnis überschreitet. Die Beschäftigung mit ihr wird als überflüssig und deshalb als abträglich angesehen. Wenn ein Gegenstand die Erkenntnis überschreitet, liegt dies entweder an seiner Gewaltigkeit, die Verwunderung auslöst, die ja »eine Furcht vor einer zu großen Vorstellung« ist, oder es liegt an fehlender Gewohnheit. Dabei handelt es sich um Verdutztheit, die ja, Johannes von Damaskus74 zufolge, »eine Furcht vor ungewohnten Vorstellungen« ist. Drittens hinsichtlich eines Affekts, der aus etwas anderem stammt. Man kann sich vor diesem Affekt fürchten oder er kann der Grund von Schändlichem sein. Es handelt sich dabei um die Scham, die »die Furcht in Erwartung einer Schmähung« ist. Oder sie ergibt sich aufgrund einer Verletzung; hierbei handelt es sich um Pein, aufgrund derer der Mensch sich davor fürchtet, in ein Unglück zu geraten. Zu 8. Der Eifer fügt der Liebe eine gewisse Intensität hinzu. Dabei handelt sich um eine stürmische Liebe, die es nicht erduldet, den Geliebten zu teilen.

74 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 15 (PG 94, 932 c; ed. Buytaert,

122).

5. Artik el Die fünfte Frage lautet: Sind Hoffnung, Furcht, Freude und Trauer die vier Hauptaffekte der Seele?75 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. In Augustinus’ Aufzählung der vier Hauptaffekte der Seele im 14. Buch des Gottesstaates setzt dieser die Lust an die Stelle der Hoffnung.76 Dies wird scheinbar auch durch die Worte Vergils bestätigt, der bei der Benennung der Hauptaffekte sagte: »Diese Menschen begehrten, fürchteten, erfreuten sich und schmerzten«.77 2. Je vollkommener etwas ist, umso vorrangiger scheint es zu sein. Die Bewegung der Kühnheit ist aber vollkommener als die Bewegung der Hoffnung, da sie sich mit einer größeren Intensität auf ihren Gegenstand richtet. Folglich ist die Kühnheit ein vorrangigerer Affekt als die Hoffnung. 3. Alles wird nach Vorrangigerem benannt. Das überwindende Vermögen aber wird nach dem Zorn benannt. Folglich muß der Zorn zu den Hauptaffekten gezählt werden.78 4. So wie es bei den überwindenden Affekten solche gibt, die sich auf Zukünftiges richten, so ist es auch bei den begehrenden. Derjenige begehrende Affekt, der sich auf Zukünftiges richtet, nämlich das Begehren, wird nicht als Hauptaffekt angesehen. Folglich sind es auch nicht die Furcht und die Hoffnung, welche sich im überwindenden Teil ebenso auf Zukünftiges richten. 5. Vom Vorrangigen ist die Rede, weil es unter allem übrigen zuerst existiert. Gregor der Große zufolge »ist vorrangig, was unter allen übrigen Dingen zuerst existiert«.79 Aber unter allen Affekten ist die Liebe der erste; aus der Liebe stammen alle übrigen Affekte. Folglich sollte die Liebe als Hauptaffekt angesehen werden. Paralleltexte: Sent. III, 26, 1, 4; Sum. theol. I-II, q. 25 a., 4. Augustinus, De civ. Dei XIV, 3 (CCSL 48, 416–418). Vergilius, Aeneis VI, 733 (ed. Ribbeck, 518). Hier spielt Thomas abermals auf die begriffliche Abhängigkeit von irascibilis und ira an. 79 Gregor der Große, In Evang. II hom. 34 (PL 76, 1251 D; CCSL 141, 308). 75 76 77 78

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6. Es scheint, daß solche Affekte vorrangig sind, von denen andere abhängen. Doch es scheint, daß von Freude und Trauer alle anderen Affekte abhängen, denn nach Aristoteles im 2. Buch der Ethik ist der Seelenaffekt Folge von Freude und Trauer.80 Folglich sind nur diese beiden Affekte, nämlich Freude und Trauer, Hauptaffekte. 7. Es wurde eingewandt, Freude und Trauer seien die Hauptaffekte im begehrenden Teil; Hoffnung und Furcht seien die Hauptaffekte im überwindenden. Dies widerspricht aber dem im Buch Über den Geist und die Seele Festgestellten: »Aus dem begehrenden Teil rühren Freude und Hoffnung, aus dem überwindenden Schmerz und Angst«.81 8. Aufgrund der Eigenschaft des überwindenden Vermögens ist die Hoffnung der Hoffnungslosigkeit entgegengesetzt und die Furcht der Kühnheit. Im begehrenden Teil wird aber von zwei entgegengesetzten Hauptaffekten hinsichtlich der Eigenschaft des begehrenden Teils ausgegangen, nämlich Freude und Trauer. Folglich sollten im überwindenden Teil zwei Hauptaffekte angenommen werden, nämlich Hoffnung und Hoffnungslosigkeit oder Furcht und Kühnheit. Dagegen spricht: 1. Im Buch Über den Geist und die Seele heißt es: »Es wird gedacht, der Affekt habe vier Teile. Während wir etwas lieben, freuen wir uns bereits oder wir hoffen in der Freude. Hinsichtlich dessen, was wir hassen, empfinden wir Schmerz und haben Angst vor dem Schmerz«.82 Folglich sind die folgenden die vier Hauptaffekte: Freude, Schmerz beziehungsweise Trauer, Hoffnung und Furcht. 2. Indem Boethius im Buch Der Trost der Philosophie die Hauptaffekte auszählt, sagt er: »Banne die Freuden, banne das Fürchten, Hoffnung vernichte, Schmerzen entferne«.83 Man kommt zum selben Ergebnis wie zuvor. Aristoteles, Eth. Nic. II, 3; 1104 b 14. Pseudo-Augustinus, De spiritu et anima, c. 4 (PL 40, 782). Ebd. Boethius, Philos. consol. I m. 7 (Moreschini, 26; CCSL 94, 16 f.). Übersetzung O. Gigon, 39 ff. 80 81 82 83

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Antwort: Die Hauptaffekte der Seele sind vier, nämlich Trauer, Freude, Hoffnung und Furcht. Der Grund dafür liegt darin, daß von Hauptaffekten die Rede ist, weil sie vorrangig sind und die übrigen Affekte aus diesen stammen. Da die Seelenaffekte im Teil des sinnlichen Strebevermögens sind, werden jene Affekte vorrangig sein, die unmittelbar dem Gegenstand des Strebens entspringen. Dieser Gegenstand ist aber ein Gut oder ein Übel.84 Diejenigen Affekte werden aber gewissermaßen nachgeordnet sein, die der Vermittlung anderer Affekte entspringen. Damit ein Affekt unmittelbar aus einem Gut oder Übel stammt, bedarf es zweierlei: Zum einen ist es nötig, daß er aus einem wesentlichen Gut oder Übel stammt, denn was akzidentell ist, kann nicht vorrangig sein. Zum zweiten ist es nötig, daß er voraussetzungslos entsteht, so daß der Affekt aufgrund zweier Aspekte als vorrangig bezeichnet wird, nämlich daß er weder aus einem akzidentellen noch aus nachgeordneten Gegenstand stammt, der den Platz des Tätigen einnimmt. Dem Gut entspringt aber ein Affekt in wesentlicher Weise, wenn es aus einem Gut hervorgeht, insofern es gut ist. Ein Affekt entsteht aber akzidentellerweise, wenn er aus einem Gut stammt, insofern es ein Übel ist. Umgekehrt ist dies in Bezug auf das Übel zu verstehen. Das Gut, insofern es gut ist, lockt und zieht an. Wenn daher ein Affekt, der sich einem Gut zuneigt, ein Streben darstellt, dann handelt es sich um einen Affekt, der wesentlich aus einem Gut folgt. Die Verhinderung des Strebens ist dem Übel zueigen, insofern es schlecht ist. Wenn sich daher ein Affekt auf ein Gut bezieht, aufgrund dessen vor einem Gut geflohen wird, dann handelt es sich nicht um ein wesentliches Gut, sondern um ein solches, das als dem Übel gleichwertig angesehen wird. Umgekehrtes muß vom Übel gesagt werden, denn der Affekt, der vor dem Übel flieht, entstammt wesentlich einem Übel. Akzidentellerweise kann er sich einem Übel nähern. Es ist also offensichtlich, auf welche Weise der Affekt wesentlich aus einem Gut oder einem Übel stammt.

84 Nachfolgend wird der Ausdruck malum unterschiedslos mit ›übel‹ oder ›schlecht‹ übersetzt.

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Je nachgeordneter etwas bei der Erlangung des Ziels ist, umso vorrangiger ist es in der Absicht und im Strebevermögen. Daher entstammen die voraussetzungslosen Affekte einem Gut oder Übel, aus denen das Erreichen des Ziels besteht. Wenn sie erst einmal vorausgesetzt werden, treten andere Affekte zutage. Freude und Trauer kommen wesentlich aus dem Erreichen des Guten oder Schlechten, denn die Freude stammt aus einem Gut, insofern es gut ist; die Trauer kommt aber aus Schlechtem, insofern es schlecht ist. Ähnlich entspringen alle übrigen begehrenden Affekte wesentlich einem Gut oder Übel. Dies kommt daher, daß der Gegenstand des Begehrens in einem absoluten Sinn gut oder schlecht ist. Alle übrigen Affekte setzen allerdings Freude und Trauer als eine Art Ursache voraus. Denn das Gut des Begehrens bringt etwas Geliebtes oder Erwünschtes hervor, weil es als erstrebenswert aufgefaßt wird. Das Übel aber ist hassenswert und vor ihm wird geflohen, insofern erkannt wird, daß es Trauer erzeugt. In der Rangordnung der erstrebenswerten Gegenstände sind Freude und Trauer vorrangig, obwohl sie in der Reihenfolge der Ausführung und Erlangung nachgeordnet sind. Im überwindenden Teil sind nicht alle Affekte die wesentliche Folge von Gut und Übel, vielmehr sind einige wesentlich, andere aber sind akzidentell. Dies ist so, weil Gut und Übel nicht im absoluten Sinn Gegenstände des überwindenden Affekts sind, sondern weil ihnen der Begriff der Schwierigkeit hinzugefügt wird. In Bezug auf ihn kann das Gute verabscheut werden, weil es die Fähigkeit überschreitet, aber auch kann nach dem Übel getrachtet werden, insofern es verworfen oder unterdrückt werden kann. Kein Affekt kann im überwindenden Teil voraussetzungslos nach einem Gut oder Übel trachten. Nachdem das Gut erreicht wurde, ergibt sich kein Affekt im überwindenden Teil, wie bereits geklärt wurde. Ein gegenwärtiges Übel bringt einen Affekt hervor, aber nicht wesentlich, sondern nur akzidentellerweise, insofern man sich nämlich einem gegenwärtigen Übel zuwendet, um dieses zu verwerfen oder zu unterdrücken, wie es beim Zorn zu sehen ist. Aus dem Gesagten85 geht daher hervor, daß es vorrangige Affekte gibt, die wesentlich aus einem Gut oder Übel stammen, wie etwa 85 Vgl. De ver. q. 26 a. 4.

5. Artikel

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Freude und Trauer. Andere ergeben sich wesentlich, sind aber nicht vorrangig, nämlich die übrigen begehrenden Affekte und die überwindenden Affekte der Furcht und der Hoffnung: Der eine flieht vor einem Übel, der andere aber geht auf ein Gut zu. Andere Affekte sind weder wesentlich noch vorrangig, wie die übrigen Affekte des überwindenden Teils, nämlich die Hoffnungslosigkeit, die Kühnheit und der Zorn, von denen gesagt wird, sie gingen auf ein Übel zu und flöhen vor einem Gut. Folglich sind die vorrangigsten Affekte Freude und Trauer. Furcht und Hoffnung sind in ihrer Gattung vorrangig, weil sie im überwindenden Vermögen, in dem sie sich befinden, keine anderen Affekte voraussetzen. Obwohl die übrigen begehrenden Affekte, wie die Liebe und das Verlangen, der Haß und die Flucht wesentlich aus einem Gut oder einem Übel entstehen, sind sie in ihrer Gattung nicht vorrangig, da sie andere Affekte in dem Vermögen, in dem sie sich befinden, voraussetzen. Daher kann nicht gesagt werden, es handle sich weder schlechthin noch in ihrer Gattung um vorrangige Affekte. Daraus ergibt sich, daß es nur vier Hauptaffekte gibt: Freude, Trauer, Hoffnung und Furcht. Zu 1. In einem und demselben Vermögen geht ein anderer Affekt der Lust und dem Verlangen voraus, nämlich die Freude, die der Grund des Verlangens ist. Daher kann das Verlangen kein Hauptaffekt sein. Auch wenn die Hoffnung einen anderen Affekt voraussetzt, so existiert dieser nicht im selben Vermögen, sondern im begehrenden. Alle überwindenden Affekte haben nämlich ihren Ursprung in den begehrenden Affekten, wie bereits in einer anderen Frage festgestellt wurde. Daher kann sie ein Hauptaffekt sein. Wegen einer gewissen Ähnlichkeit setzt aber Augustinus das Verlangen oder die Lust an Stelle der Hoffnung, denn beide Affekte beziehen sich auf ein Gut, das noch nicht erreicht wurde. Zu 2. Die Kühnheit kann kein Hauptaffekt sein. Sie entstammt einem akzidentellen Gut, da sie sich auf ein Übel bezieht, das in Begriff ist, angegriffen zu werden. Der Kühne greift das Übel an, insofern er den Sieg hochschätzt und insofern die Zurückweisung des Übels ein gewisses Gut ist. Wegen eines solchen Guts geht die Kühnheit aus der Hoffnung hervor. Bei gründlicher Erwägung stellt man

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fest, daß die Hoffnung der Kühnheit vorausgeht, denn die Hoffnung auf den Sieg oder wenigstens die Hoffnung auf die Verhinderung eines Übels verursacht die Kühnheit. Zu 3. Auch der Zorn entspringt einem akzidentellen Übel, insofern nämlich der Zornige die Rache für das ihm zugefügte Übel als ein Gut ansieht und sich ihm zuneigt. Daher ist die Hoffnung auf die zu befriedigende Rache die Ursache des Zorns. Wenn daher jemand verletzt wird und keine Hoffnung darauf hat, Rache auszuüben, so zürnt er nicht, sondern trauert oder fürchtet sich lediglich, wie Avicenna feststellt.86 Dies ist so, wie wenn der Bauer vom König verletzt wird. Aus diesem Grund kann der Zorn kein Hauptaffekt sein. Er setzt nicht nur die im begehrenden Teil befindliche Trauer voraus, sondern auch die Hoffnung, die im überwindenden Teil ist. Der überwindende Teil erhält seine Bezeichnung vom Zorn, da es sich um den letzten Affekt des überwindenden Teils handelt.87 Zu 4. Die begehrenden Affekte, die sich auf Zukünftiges beziehen, gehen irgendwie aus den Affekten hervor, die sich im selben Vermögen auf Gegenwärtiges beziehen. Die im überwindenden Teil befindlichen Affekte, die sich auf Zukünftiges beziehen, gehen aus keinen Affekten desselben Vermögens hervor, die sich auf Gegenwärtiges beziehen, sondern aus solchen, die in einem anderen Vermögen sind, wie etwa Freude und Trauer. Daher besteht keine Ähnlichkeit. Zu 5. Auf dem Weg der Ausführung oder des Erlangens ist die Liebe der erste Affekt. Doch auf dem Weg der Absicht kommt die Freude vor der Liebe und gehört zur Definition der Liebe, vor allem weil sie ein begehrender Affekt ist. Zu 6. Unter allen Affekten sind Freude und Trauer die vorrangigsten, wie bereits gesagt wurde. Trotzdem sind Hoffnung und Furcht die vorrangigen Affekte in ihrer Gattung, wie das Gesagte zeigt. Zu 7. Da jenes Buch nicht von Augustinus ist, besteht keine Notwendigkeit, seiner Autorität zu folgen. Vor allem in diesem Zusammenhang sind offensichtliche Fehler enthalten: Die Hoffnung befindet sich nicht im begehrenden Teil, sondern im überwindenden; die 86 Avicenna, De an. IV, 4 (ed. Van Riet, 2, 58 f.). 87 Vgl. Anm. 57.

6. Artikel

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Trauer befindet sich nicht im überwindenden, sondern im begehrenden. Wäre es aber nötig, diese Autorität zu akzeptieren, dann könnte man sagen, daß von jenen Vermögen in Hinblick auf den Wortgehalt gesprochen wird. Das Begehren bezieht sich auf ein Gut; aus diesem Grund kann man sagen, daß alle auf ein Gut bezogenen Affekte dem Begehren zugeordnet werden. Der Zorn aber entspringt einem zugefügten Übel, weswegen alle auf ein Übel bezogenen Affekte dem überwindenden Teil zugeordnet werden können. Dementsprechend kann die Trauer dem überwindenden Teil und die Hoffnung dem begehrenden zugeordnet werden. Zu 8. Die den überwindenden Affekten eigene Gegensätzlichkeit, nämlich eine Fähigkeit zu überschreiten oder nicht, bringt akzidentellerweise einen anderen Affekt aus einem Gut oder Übel hervor. Das Überschreiten der [eigenen] Fähigkeit führt zur Abkehr; das Nicht-Überschreiten zur Hinkehr. Wenn diese Unterschiede im Guten betrachtet werden, dann ergibt sich akzidentellerweise aus einem Gut ein die Fähigkeit überschreitender Affekt. Würde er sich auf ein Übel beziehen, dann wäre er eine akzidentelle Folge, insofern er das Vermögen nicht überschreitet. Aus diesem Grund kann es im überwindenden Teil keine zwei Hauptaffekte geben, welche unmittelbar konträr wären, wie es etwa die Hoffnung und die Hoffnungslosigkeit oder die Kühnheit und die Furcht sind und wie es im begehrenden Teil die Freude und die Trauer waren.

6. Artik el Die sechste Frage lautet: Erwerben wir durch die Affekte Verdienste? 88 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Indem wir Vorschriften erfüllen, erwerben wir Verdienste. Doch, wie Augustinus im 14. Buch des Gottesstaates sagt, durch die göttlichen Vorschriften werden wir dazu geführt, uns zu freuen, zu fürchten, Schmerz zu empfinden und dergleichen.89 Folglich erwerben wir durch die Affekte Verdienste. 88 Paralleltexte: Sent. II, d. 36, 2; Sum. theol. I-II, q. 24. 89 Augustinus, De civ. Dei XIV, 9 (CCSL 48, 425–430).

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2. Augustinus meint im selben Buch, derartige Affekte der Seele seien nicht unwillentlich, sie seien sogar nichts anderes als Willensäußerungen.90 Doch die willentlichen Tätigkeiten können nicht nur in materieller, sondern auch in formaler Hinsicht verdienstvoll sein. Folglich können wir derartiger Affekte wegen Verdienste erwerben. 3. Die Affekte der Seele nähern sich dem Wesen des Willens mehr als die körperlichen, weil wir die Affekte der Seele irgendwie in uns haben, insofern der begehrende und überwindende Teil der Vernunft gehorcht, die körperlichen Affekte tun dies aber nicht. Aber die körperlichen Affekte sind verdienstvoll, wie die Märtyrer belegen, die durch die körperlichen Affekte in das Verdienst der Strahlenkrone des Martyriums kommen. Folglich sind die Affekte der Seele um so verdienstvoller. 4. Die körperlichen Affekte sind verdienstvoll, insofern sie gewollt sind. – Dagegen spricht: Der Wille Christi, zu leiden, kann auch in dem sein, der nie etwas erleiden wird und der trotzdem die Strahlenkrone nicht haben wird. Folglich kommt der körperliche Affekt nicht nur in das Verdienst der Strahlenkrone, weil er gewollt, sondern weil er tatsächlich erfahren wurde. 5. Dasjenige, auf dessen Intensität die Intensität des Lohnes folgt, ist wesentlich und nicht nur in materieller Hinsicht verdienstvoll. Aber auf die Intensität des körperlichen Affekts folgt die Intensität des Lohnes, denn, wie man sagt, »je heftiger jemand etwas erleidet, umso glorreicher wird er gekrönt werden«.91 Folglich erwerben wir durch die Affekte wesentlich und nicht nur in materieller Hinsicht ein Verdienst. 6. Hugo von Sankt Viktor sagt, daß »dem Willen das Werk folgt, so daß der Wille durch sein Werk wachsen möge«.92 Dementsprechend wird ein äußeres Werk auf verdienstvolle Weise vollbracht. Und ähnlich kann der Wille auch im Affekt wachsen. Folglich ist die Tätigkeit des Affekts verdienstvoll, wodurch man zum selben Schluß wie zuvor gelangt. 90 Ebd. 91 Petrus Lombardus, Super Hebr. XI, 35 (PL 192, 499 B). 92 Hugo de S. Victore, De sacramentis II, 14, 6 (PL 176, 561 B; ed.

R. Berndt, 525).

6. Artikel

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7. Da das Verdienst im Willen Bestand hat, ist es nötig, daß dasjenige formal zum Verdienst gehört und es ergänzt, was den Willen formal abschließt und ergänzt. Aber der Affekt, insofern er gewollt ist, ist Gegenstand des Willens und entsprechend bestimmt er den Willen gewissermaßen in formaler Hinsicht. Folglich gehört der Affekt in formaler Hinsicht zum Verdienst. 8. Einige Bekenner empfingen schlimmere Strafen als einige Märtyrer. Daher wird von ihnen gesagt, daß sie lange am Martyrium trugen, während das Leid einiger Märtyrer in einem kurzen und begrenzten Zeitraum stattfand. Trotzdem verdienten die Bekenner keine Strahlenkrone. Und so scheint es, daß das körperliche Leid der Märtyrer von sich aus das Verdienst einer Strahlenkrone nach sich zieht. 9. Diesbezüglich steht in Jak. 1, 2: »Schätzet jede Freude, meine Brüder«. Die Glosse sagt dazu: »Die Betrübnis über die gegenwärtige Gerechtigkeit vergrößert die künftige Krone«.93 Sie wird aber nur durch das Verdienst vergrößert. Da die Betrübnis folglich ein Affekt ist, so ist der Affekt verdienstvoll. 10. Es scheint, es sei dasselbe, was der Psalm besagt: »Kostbar ist in den Augen des Herrn das Sterben seiner Frommen«.94 Von kostbar ist die Rede, weil sie das Kostbare verdienen. Das Kostbare der Mühen ist der durch die Mühen verdiente Lohn. Folglich können wir durch die Affekte Verdienste erwerben. 11. Dagegen wurde eingewandt, daß wir durch die Affekte Verdienste erwerben, insofern sie gewollt sind. – Dagegen spricht Lucias Feststellung: »Daß du mich gegen meinen Willen vergewaltigt hast, verdoppelte die Krone meiner Keuschheit«.95 Folglich würde sich das Leid der Verderbnis, die ungewollt empfangen wird, um die Krone verdient machen. Deswegen ist der Affekt nicht nur dann verdienstvoll, wenn er willentlich ist. 12. Es ergibt sich eine Schwierigkeit hinsichtlich der Notwendigkeit des Verdienstes. Diese tritt in der 24. Unterscheidung des 93 Glossa interlin (114–115). 94 Psalm 116, 15. 95 Vgl. Boninus Mombritius, Sanctuarium seu vitae sanctorum, Paris

1910, II, 108.

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2. Buchs der Sentenzen des Petrus Lombardus zutage. Der Mensch besaß im Zustand der Unschuld kein Verdienst, weil ihn nichts dem Schlechten zutrieb und ihn nichts vom Guten abhielt. Da die Affekte Schwierigkeiten bergen, so scheint es, daß sie von sich aus in Bezug auf das Verdienst entstehen. 13. Die Furcht ist ein Affekt. Da sie auch im intellektiven Teil ist, können wir durch sie in formaler Hinsicht ein Verdienst erwerben. Dies ist bei solchen Dingen offensichtlich, die wir nur durch den Intellekt erkennen, wie zum Beispiel die ewigen Strafen. Folglich können wir aufgrund der Affekte Verdienste erwerben. 14. Der Lohn entspricht dem Verdienst. Doch der Lohn der Herrlichkeit befindet sich nicht nur in der Seele, sondern auch im Körper. Folglich besteht das Verdienst nicht nur in einer Tätigkeit der Seele, sondern auch in einem Erleiden des Körpers. 15. Wo die größte Schwierigkeit besteht, dort ist der Grund des Verdienstes am größten. Doch die Schwierigkeit hinsichtlich der Affekte ist größer als hinsichtlich der Tätigkeiten des Willens. Folglich sind die Affekte verdienstvoller als die Tätigkeiten des Willens, welche trotzdem in formaler Hinsicht verdienstvoller sind. 16. Aufgrund der Tugenden erwerben wir in formaler Hinsicht ein Verdienst. Doch es wird angenommen, die Heiligen hätten gewisse Affekte gehabt, etwa Barmherzigkeit und Reue. Die Philosophen nahmen außerdem an, einige Affekte seien lobenswert und daß sie sich zwischen den Extremen des Lasters befänden, zum Beispiel, wie Aristoteles im 2. Buch der Ethik sagt, die Scheu und der Zorn des Gerechten, die vollständig zur Tugend gehören.96 Folglich erwerben wir aufgrund der Affekte ein Verdienst in formaler Hinsicht. 17. Verdienst und Verdienstlosigkeit befinden sich in derselben Gattung, obwohl sie gegensätzlich sind. In der Gattung der Affekte ist die Verdienstlosigkeit anzutreffen, denn die ersten Bewegungen der Sünde sind gewisse Affekte. Der Zorn und die Schwermut sind gewisse Affekte, die auch in den Todsünden anzutreffen sind. Der Apostel bezeichnete in Röm. 1, 26 die Sünden wider die Natur als Affekte der Schande. Folglich erwerben wir durch die Affekte Verdienste. 96 Aristoteles, Eth. Nic. II, 9; 1108 a 31.

6. Artikel

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Dagegen spricht: 1. Etwas kann nur dann verdienstvoll sein, wenn es in uns liegt, denn Augustinus zufolge »wird aufgrund des Willens gesündigt und rechtens gelebt«.97 Doch die Affekte liegen nicht in uns, denn Augustinus sagt im 14. Buch des Gottesstaates: »Vor den Affekten weichen wir unwillig«.98 Folglich erwerben wir aufgrund der Affekte kein Verdienst. 2. Was dem Willen vorausgeht, kann nicht verdienstvoll sein, denn das Verdienst hängt vom Willen ab. Aber die Affekte der Seele gehen dem Willen voraus, da sie sich im sinnlichen Teil der Seele befinden. Doch die Tätigkeit der Seele befindet sich im intellektiven Teil, welcher auf dem sinnlichen beruht. Folglich können die Affekte nicht verdienstvoll sein. 3. Jedes Verdienst ist lobenswert, doch »wir loben die Affekte nicht, noch verabscheuen wir sie«, wie Aristoteles im 2. Buch der Ethik feststellt.99 Folglich erwerben wir aufgrund der Affekte kein Verdienst. 4. In Christus war das Verdienst wirkungsvoller als in uns. Doch Christus erwarb durch sein Leid kein Verdienst und folglich erwerben wir ihn aufgrund der Affekte nicht. Beweis des Mittelsatzes: Das Verdienst besteht darin, sich das anzueignen, was man nicht hatte oder das zu vermehren, was man in geringerem Maß besaß. Doch Christus konnte sich nichts zu eigen machen oder vermehren, da ihm vom ersten Augenblick seiner Empfängnis an auf vollkommenste Weise das geschuldet war, was unter den Begriff des Verdienstes fällt. Folglich erwarb Christus durch sein Leiden kein Verdienst. 5. Dagegen wurde eingewandt, er habe Verdienste erworben, indem er das ihm Eigene, das auf eine Weise beschaffen ist, auf vielfache Weise vollbrachte. – Dagegen spricht: ein zweifaches Band führt zu einer größeren Verpflichtung. Ebenso führt ein doppeltes Ausmaß des Geschuldeten zu einer größeren Schuld. Wenn Christus von sich aus etwas in größerem Maß Geschuldetes nicht 97 Augustinus, Retr. I, 9 (CCSL 57, 26). 98 Augustinus, De civ. Dei XIV, 9 (CCSL 48, 425–430). 99 Aristoteles, Eth. Nic. II, 4; 1105 b 31.

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vollbringen konnte, so konnte er etwas Geschuldetes nicht auf vielerlei Weise vollbringen. 6. Die Schwierigkeit vermindert das Willentliche. Da nämlich das Verdienst willentlich sein muß, so scheint es, daß solche Tätigkeiten weniger verdienstvoll sind, als diejenigen, die in Hinblick auf ein Verdienst vollzogen werden. Antwort: Aufgrund der Affekte erwerben wir keinen wesentlichen Verdienst, sondern einen gewissermaßen akzidentellen, wenn man ›verdienen‹ im eigentlichen Sinn versteht. Da nämlich von Verdienst hinsichtlich des Lohnes gesprochen wird, so besteht das Verdienst eigentlich darin, daß man etwas als Lohn für sich erwirbt. Dies geschieht nur dann, wenn wir etwas geben, was dieselbe Würdigkeit hat wie das, was als verdienstvoll bezeichnet wird. Doch wir können nur das geben, was uns gehört und dessen Herr wir sind. Wir sind Herren unserer willentlichen Handlungen und zwar nicht nur derjenigen Handlungen, die unmittelbar vom Willen gewählt werden, wie etwa zu lieben und zu wollen, sondern auch diejenigen, die vom Willen vermittels anderer gewählter Vermögen befohlen werden, wie etwa zu laufen, zu sprechen und dergleichen. Diese Handlungen haben dieselbe Würdigkeit des Lohnes des ewigen Lebens nur dann, wenn sie ihre Form durch Gnade und Barmherzigkeit erhalten. In Bezug auf das, wodurch eine Handlung wesentlich verdienstvoll wird, ist es nötig, daß diese Handlung vom wählenden oder vom befehlenden Willen stammt, und daß sie ihre Form von der Barmherzigkeit erhält. Da das Prinzip der Handlung sowohl im Habitus als auch im Vermögen und seinem Gegenstand liegt, so sagen wir, daß wir durch die Habitus, die Vermögen und die Gegenstände ein Verdienst auf gleichsam nachgeordnete Weise erwerben. Doch was vorrangig und wesentlich verdienstvoll ist, ist die durch die Gnade geformte willentliche Handlung. Die Affekte aber gehören weder zum befehlenden noch zum wählenden Willen. Das Prinzip der Affekte an sich liegt nicht in uns, während von einigen willentlichen Handlungen gesagt wird, sie lägen in uns. Daher gehen die Affekte gelegentlich der willentlichen Handlung voraus. Aus diesem Grund erwerben wir wegen der Affekte kein Verdienst. Aber insofern sie

6. Artikel

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den Willen irgendwie begleiten, haben sie ein gewisses Verhältnis zum Verdienst, weswegen gesagt werden kann, sie seien akzidentellerweise verdienstvoll. Der Affekt steht in einem dreifachen Verhältnis zum Willen: Zum einen als Gegenstand des Willens. Hierzu wird gesagt, die Affekte seien verdienstvoll, insofern sie gewollt oder geliebt werden. Dasjenige, weswegen wir nämlich etwas wesentlich verdienen, ist nicht der Affekt selbst, sondern der gewollte Affekt. Zum zweiten, insofern ein Affekt den Willen anregt oder ihm ein Ziel vorgibt. Dies kann auf zweierlei Weise geschehen, nämlich wesentlich oder akzidentellerweise. Wesentlich geschieht es, wenn der Affekt den Willen anregt, das zu erreichen, was eine Ähnlichkeit zu ihm aufweist. Dies ist so, wie wenn der Wille durch das begehrende Vermögen darauf gelenkt wird, dem Begehren zuzustimmen oder wie wenn aufgrund des Zorns die Rache gewollt wird. Auf akzidentelle Weise geschieht es, wenn der Affekt wegen eines Umstands den Willen anregt, das Gegenteil zu wollen. Dies ist so, wie wenn sich der Affekt des Begehrens in einem keuschen Menschen auflehnt und der Wille dem stärkeren Trieb des Begehrens widersteht. Den Schwierigkeiten widerstehen wir in größerem Maß. Dementsprechend wird gesagt, die Affekte seien verdienstvoll, wenn der von den Affekten angeregte Wille verdienstvoll ist. Zum dritten ist das Umgekehrte der Fall, wenn der Wille den Affekt anregt, insofern die Bewegung des höheren Strebevermögens auf das niedere übergeht. Dies ist so, wie wenn jemand willentlich die Schmach der Sünde verabscheut, wobei sich das niedere Strebevermögen auf die Scheu richtet. Deshalb heißt es, die Scheu sei wegen des Willens, der sie verursacht, lobenswert oder verdienstvoll. Der ersten Weise zufolge verhält sich der Affekt zum Willen wie ihr Gegenstand, der zweiten Weise zufolge wie ihr Prinzip und der dritten zufolge wie ihre Wirkung. Aus diesem Grund hat die erste Weise einen größeren Abstand zum Verdienst. Aus demselben Grund könnten Gold oder Silber verdienstvoll oder nicht verdienstvoll genannt werden, insofern wir sie deshalb verdienen oder nicht verdienen, weil wir sie wollen. Die letzte Weise steht dem Verdienst am nächsten, insofern die Wirkung aus der Ursache stammt, nicht aber umgekehrt. Wenn man das Verdienst der Affekte im eigentlichen Sinn

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versteht, dann verdienen wir sie [die Affekte] nur akzidentellerweise. Man kann ›Verdienst‹ auch in einem weiten Sinn verstehen, wenn man sagt, jede Disposition, die etwas in Übereinstimmung mit etwas anderem bringt, erwerbe ein Verdienst. Dies ist so, wie wenn wir sagen, daß es eine Frau aufgrund ihrer Schönheit verdiene, Gattin des Königs zu werden. Dementsprechend sagen wir, daß wir aufgrund der körperlichen Affekte Verdienste erwerben, insofern wir durch diese Affekte irgendwie die Eignung erwerben, die Herrlichkeit zu empfangen. Es ist also nötig, beiden Argumenten zu antworten. Zu 1. Die Vorschriften Gottes ermahnen uns zur Freude und zur Furcht, weil Freude und Furcht und dergleichen Willensakte und keine Affekte sind oder weil diese Affekte aus dem Willen hervorgehen, wie bereits gesagt wurde. Zu 2. Da Augustinus meint, diese Affekte seien willentlich, weil sie in uns dem Willen folgen, fügt er hinzu: »Gemäß der gesamten Vielfalt der Dinge, die erstrebt oder verabscheut werden, von denen der menschliche Willen angezogen oder abgestoßen wird, bewegt man sich und ergießt sich auf diese und jene Affekte«.100 Auch war von den Affekten die Rede, von denen bestimmte Willensakte ihre Bezeichnung erhalten, wie bereits gesagt wurde. Zu 3. Das körperliche Leid des Märtyrers führt nur dann zum Verdienst des wesentlichen Lohnes, wenn es gewollt ist. Doch auf den akzidentellen Lohn, nämlich die Strahlenkrone, ordnet sich das Martyrium verdienstvoll hin, insofern es [das Verdienst] sich auf den Glorienschein gebührend bezieht. Es gebührt sich, daß derjenige, dessen Leid sich dem Leid Christi angleicht, ihm in der Herrlichkeit entspricht, wie Röm. 8, 17 besagt: »Wenn wir mit ihm leiden, werden zugleich verherrlicht«. Man muß aber bedenken, daß sich der Wille nicht auf dieselbe Weise auf die körperlichen Leiden bezieht, solange der Mensch ihrer wegen nichts erleidet. Wenn er sie aber erleidet, dann geschieht dies aufgrund ihrer Bitterkeit. Daher sagt Aristoteles im 3. Buch der Ethik, daß es dem Starken zukommt, 100 Augustinus, De civ. Dei XIV, 6 (CCSL 48, 421).

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ihrer wegen nicht zu trauern.101 Daher ist das tatsächlich widerstandene körperliche Leiden ein Zeichen eines festen und standhaften Willens und es spornt ihn an, insofern sich der Mensch gegen derartige Schwierigkeiten anstrengt. Deshalb kommt dem Bekenner die Strahlenkrone nicht zu, während der Märtyrer sie verdient. Zu 4. Dies erhellt die Lösung zum 4. Argument. Zu 5. Der Intensität des Affekts folgt die Intensität des Lohnes entweder aufgrund ihrer Anständigkeit oder aufgrund der Intensität des Willens. Zu 6. Obwohl der Wille im Affekt und in der äußeren Handlung wächst, besteht keine Ähnlichkeit zwischen beiden, denn die Handlung wird vom Willen befohlen und nicht vom Affekt. Daher ist beider Bezug auf das Verdienst unterschiedlich. Zu 7. Der Gegenstand bestimmt den Willen hinsichtlich der Handlungsart. Das Verdienst ist aber kein Bestandteil der Handlung, wenn man von der Handlungsart im eigentlichen Sinn spricht, sondern ist nur an ihrer Wurzel zu finden, nämlich der Nächstenliebe. Daher ist nicht notwendig, daß wir aufgrund der Affekte ein Verdienst in formaler Hinsicht erwerben, obwohl er als Gegenstand fungiert. Zu 8. Die gesamte Mühsal, die ein Bekenner über lange Zeit über sich ergehen läßt, ist hinsichtlich der Gattung der Tätigkeit nicht mit dem Tod zu vergleichen, den ein Märtyrer in einem Augenblick erleidet. Denn durch den Tod verliert man das im höchsten Maße Liebenswerte, nämlich das Leben und die Existenz. Deswegen ist er äußerst grauenhaft, wie Aristoteles im 3. Buch der Ethik sagt.102 Auf ihn ist die Tugend der Tapferkeit im höchsten Maß bezogen. Dies ist offensichtlich daran zu sehen, daß es von lang andauernder Betrübnis erschöpften Menschen dennoch vor dem Tod graust, gleich als wäre ihnen die Betrübnis lieber, als den Tod zu erleiden. Aus diesem Grund stellt Aristoteles im 9. Buch der Ethik fest, daß sich der Tugendhafte dem Tod aussetzt, indem er es vorzieht, »eine einzige gute Handlung zu vollziehen als viele geringere«.103 Dies ist so, als würde 101 Aristoteles, Eth. Nic. III, 18, 1117 a 32. 102 Aristoteles, Eth. Nic. III, 9; 1115 a 26. 103 Aristoteles, Eth. Nic. IX, 8; 1169 a 24.

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eine tapfere Handlung, die den Tod bringt, schwerer wiegen als viele andere tugendhafte Handlungen. Daher erwirbt der geringste unter den Märtyrern hinsichtlich der Gattung der Handlung ein größeres Verdienst als jeder beliebige Bekenner. Trotzdem konnte ein Bekenner hinsichtlich der Wurzel der Handlung ein größeres Verdienst erwerben, wenn er aufgrund einer größeren Nächstenliebe handelte. Und da der Lohn wesentlich der Wurzel der Nächstenliebe entspricht, der akzidentelle Lohn aber der Gattung der Handlung, so kann es geschehen, daß ein Bekenner hinsichtlich des Lohnes wesentlich hervorragender ist als ein Märtyrer, während dieser jedoch hinsichtlich des Lohnes akzidentell hervorragender sein kann. Zu 9. Jene Glosse spricht von der Wirrung, insofern sie gewollt ist oder insofern sie den Willen anregt. Zu 10. Ähnliches ist zum 10. Argument zu sagen. Zu 11. Wäre eine Jungfrau um Christi willen ihrer Jungfräulichkeit beraubt worden, so wäre diese Verderbnis verdienstvoll, wie auch die übrigen Leiden des Martyriums. Dies wäre der Fall, nicht weil die Verderbnis willentlich wäre, sondern weil ihre Voraussetzungen willentlich wären, etwa das Bekenntnis zu Christus zu wahren und deshalb geschändet zu werden. Deshalb wäre diese Verderbnis willentlich, aber nicht aufgrund eines absoluten Willens, sondern aufgrund eines gewissermaßen bedingten Willens, insofern die Jungfrau es eher vorzieht, die Schande zu erleiden als Christus zu leugnen. Zu 12. Es ergeben sich zwei Schwierigkeiten: Eine ergibt sich aus der Größe der Tat und ihrer Güte. Diese Schwierigkeit ist für die Tugend erforderlich. Die zweite kommt von seiten des Tätigen, insofern dieser die rechten Tätigkeiten nicht ausführen kann oder an diesen gehindert wird. Diese Schwierigkeit beseitigt oder mindert die Tugend. Auf diese Weise führen die Affekte Schwierigkeiten herbei. Die erste Schwierigkeit, die der Tat entstammt, führt gleichsam als Güte der Handlung von sich aus zum Verdienst. Die zweite Schwierigkeit, die auf die Unbeständigkeit des Handelnden zurückgeht, führt nur ausnahmsweise zum Verdienst, wenn sie die Gelegenheit zu einer größeren Anstrengung darstellt. Es ist schließlich nicht wahr, daß Adam, als er in der Gnade stand, im Urzustand kein Verdienst erwerben konnte, obwohl ihn nichts vom Guten abhielt

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und ihn nichts dem Schlechten zutrieb. Denn, hätte er sich standhaft der Herrlichkeit zugewandt wann immer sich ihm Schwierigkeiten boten, so wäre dies offensichtlich nicht verdienstlos gewesen. Auch sagt Petrus Lombardus nicht, daß Adam im Urzustand kein Verdienst hätte erwerben können, sondern Adam sagt, daß er die Sünde ohne Verdienst vermeiden konnte. Er konnte nämlich die Sünde ohne Gnade vermeiden, weil ihn nichts dem Schlechten zutrieb. Ohne Gnade aber kann es kein Verdienst geben. Zu 13. Die Furcht vor den ewigen Strafen, welche von sich aus verdienstvoll ist, ist im Willen anzutreffen und nicht eigentlich im Affekt, wie bereits gesagt wurde. Auch kann aufgrund der ewigen Strafen der Affekt der Furcht im unteren Strebevermögen erzeugt werden, sei es wegen eines Widerhalls des höheren Strebevermögens im niederen, sei es weil sich ein Verstandesbegriff der ewigen Strafen im Vorstellungsvermögen bildet. Dementsprechend wird das niedere Strebevermögen durch den Affekt der Furcht bewegt, doch in diesem Fall hat die Furcht lediglich einen akzidentellen Bezug auf das Verdienst, wie bereits gesagt wurde. Zu 14. [Es fehlt die Lösung zum 14. Argument.] Zu 15. Wenn von den Schwierigkeiten, die in unserer Macht liegen, die Rede ist, so beinhalten die Affekte eine größere Schwierigkeit als die Tätigkeit des Willens. Diese Schwierigkeit führt aber nur akzidentellerweise zum Verdienst, wie gesagt wurde. Dasselbe geschieht auch mit den Affekten. Wenn aber von der Schwierigkeit gesprochen wird, die einer hervorragenden oder guten Sache entspringt und die wesentlich zum Verdienst führt, so liegt die größere Schwierigkeit im Willensakt. Zu 16. Die Philosophen sagen, einige Affekte seien lobenswert, insofern sie die Wirkungen eines guten Willens sind oder auf ihn verweisen, wie es bei der Scheu zu sehen ist, welche darauf verweist, daß der menschliche Wille die Schmach der Sünde von sich weist. Man erkennt dies auch bei der Barmherzigkeit, die ein Zeichen der Liebe ist. Deswegen fassen die Heiligen gelegentlich die Namen dieser Affekte als Habitus auf, aus denen der Wille hervorgeht, der ja das Prinzip dieser Affekte ist. Zu 17. Die ersten Bewegungen des Affekts haben nicht den vollkommenen Charakter der Sünde oder der Verdienstlosigkeit, son-

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dern sie stellen gewisse Dispositionen zur Verdienstlosigkeit dar, so wie beispielsweise eine läßliche Sünde eine Disposition zur Todsünde darstellt. Daher ist es nicht nötig, daß die Bewegungen der Sinnesempfindung an sich verdienstvoll sind, da das Verdienst nur aufgrund eines Willensaktes zustande kommt, wie bereits gesagt wurde. Diese Affekte werden gelegentlich als Laster bezeichnet, insofern die Bezeichnung der Affekte entweder den Willensakt oder auch einen Habitus kenntlich macht. Auch die widernatürlichen Laster werden als Affekte bezeichnet, obwohl sie einem Willensakt entspringen, insofern diese Laster die Naturordnung durcheinander bringen. Auf die Gegenargumente ist Folgendes zu antworten: Zu 1. Zum ersten Einwand ist zu sagen, daß wir uns vor den Affekten unwillig beugen, nicht aber weil ihnen zugestimmt wird, da wir ihnen nur willentlich zustimmen können, sondern hinsichtlich einer Veränderung des Körpers, so wie es beim Lachen und Weinen und dergleichen der Fall ist. Insofern wir ihnen daher willentlich zustimmen oder nicht zustimmen, sind sie verdienstvoll oder verdienstlos. Zu 2. Auch wenn die Affekte des niederen Strebevermögens dem Willensakt gelegentlich vorausgehen, so geschieht dies nicht immer. Die Anordnung der Strebevermögen ist nicht so wie die der Erkenntnisvermögen, denn unser Intellekt empfängt von den Sinnen die Erkenntnisinhalte, weswegen die Tätigkeit des Intellekts ohne eine vorausgehende Tätigkeit der Sinne nicht existieren könnte. Der Wille aber empfängt nichts von den niederen Strebevermögen, sondern er bewegt sich vielmehr von selbst. Daher ist es nicht nötig, daß der Willensakt dem Affekt des niederen Strebevermögens vorausgeht. Zu 3. Obwohl die Affekte nicht wesentlich lobenswert sind, so können sie jedoch akzidentellerweise lobenswert sein, wie bereits gesagt wurde. Zu 4. Christus hat durch sein Leiden sowohl für sich als auch für uns Verdienste erworben. Für sich erwarb er die Herrlichkeit des Körpers, und obwohl er sie durch vorausgehende Verdienste verdient hatte, ist gleichwohl der Glanz der Wiederauferstehung durch eine

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gewisse Schicklichkeit der eigentliche Lohn des Affekts, denn der Lobpreis ist der eigentliche Lohn der Demut. Uns kommt das Verdienst zu, insofern Christus durch sein Leiden den Sünden des gesamten Menschengeschlechts Genüge tat, allerdings nicht aufgrund vorausgehender Taten, obwohl er auch durch diese für uns Verdienste erworben hatte. Zur Genugtuung ist nämlich die Bestrafung als eine Art Vergeltung für die Freuden der Sünde erforderlich. Zu 5. Durch sein Leiden hat Christus die Herrlichkeit des Körpers weder von einer ungebührenden zu einer gebührenden noch von einer weniger gebührenden zu gebührenderen gemacht. Er hat sie allerdings auf andere Weise gebührend gemacht, da sie es zuvor nicht war. Daraus folgt aber nicht, daß sie nun gebührender wäre. Dies wäre die Folge, wenn die Ursache des Gebührenden wachsen würde oder wenn sie sich vervielfachte, wie es der Fall ist, wenn durch ein doppeltes Versprechen die Verpflichtung anwächst. Dies ist bei Christus nicht so, denn seine Gnade wächst nicht an. Zu 6. Die Schwierigkeit unterbindet an sich die Freiwilligkeit, doch sie kann sie akzidentellerweise mehren, wenn jemand gegen die Schwierigkeit ankämpft. Dieselbe Schwierigkeit führt aufgrund des Charakters der Bestrafung zur Genugtuung.

7. Artik el Die siebte Frage lautet: Mindert ein dem Verdienst hinzugefügter Affekt das Verdienst?104 Erwirbt beispielsweise jemand ein größeres Verdienst, wenn er den Armen aufgrund des Mitleids der Barmherzigkeit Gutes will oder wenn er es ohne jeden Affekt allein aufgrund eines Vernunfturteils will? Es scheint, daß derjenige ein größeres Verdienst erwirbt, der nur aufgrund eines Vernunfturteils handelt; denn: 1. Das Verdienst steht der Sünde entgegen. Es sündigt aber derjenige mehr, der nur aufgrund der Wahl sündigt als derjenige, der, angestachelt durch den Affekt, sündigt. Im ersten Fall wird gesagt, 104 Paralleltexte: Sum. theol. I-II, q. 24 a., 3; De malo 3, 11 (ed. Leon. XXIII, 90).

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die Sünde sei die Folge einer ausdrücklichen Bosheit; im zweiten sei sie die Folge der Unbeständigkeit. Folglich erwirbt derjenige ein größeres Verdienst, der Gutes nur aufgrund eines Vernunfturteils verrichtet als der, der es mit dem Affekt der Barmherzigkeit tut. 2. Dagegen wurde eingewandt, daß, damit etwas verdienstvoll sei oder damit eine Handlung tugendhaft werde, es nicht nur davon abhängt, daß Gutes getan werde, sondern auch von der Art und Weise, wie das Gute getan wird. Dies kann ohne den Affekt der Barmherzigkeit nicht geschehen kann. – Dagegen spricht: Aristoteles stellt im 2. Buch der Ethik fest, daß drei Bedingungen erfüllt werden müssen, damit eine Handlung gut ausgeführt wird, nämlich der Wille, der die Handlung wählt, die Vernunft, die das Mittel zur Handlung bestimmt und die Beziehung der Handlung zum gebührenden Ziel.105 All diese Bedingungen können ohne den Affekt der Barmherzigkeit, der zum Geben des Almosens führt, erfüllt werden. Folglich kann ohne diesen Affekt nicht nur eine gute Handlung vollzogen werden, sondern sie kann auch auf gute Weise vollzogen werden. Beweis des Mittelsatzes: Die drei erwähnten Bedingungen werden durch Handlungen des Willens und des Verstandes vollzogen; diese hängen aber nicht vom Affekt ab, weil der Verstand und der Wille die niederen Kräfte bewegen, in denen sich die Affekte befinden. Die Bewegung des Bewegers aber hängt nicht von der Bewegung des Bewegbaren ab. Folglich können die drei erwähnten Bedingungen ohne Affekte erfüllt werden. 3. Ein Akt der Tugend bedarf der Unterscheidung der Vernunft. Daher sagt Gregor der Große in seinen Moralia, »soweit die übrigen Tugenden nicht das in kluger Weise bewirken, was sie erstreben, kann es überhaupt keine Tugenden geben«.106 Alle Affekte aber behindern das Urteil oder die Unterscheidung des Verstandes, weswegen Sallust in der Verschwörung des Catilina sagt, »Alle Menschen, ihr Senatoren, die über zweifelhafte Dinge beraten, sollten von Haß, Freundschaft, Zorn und Barmherzigkeit frei sein«107, »die 105 Aristoteles, Eth. Nic. II, 7; 1106 b 36. 106 Gregor der Große, Moralia in Iob II, 4, 6 (PL 75, 588 D; CCSL 143,

101). 107 Sallustius, De coniur. Catil. 51, 1 (Kurfess, 37)

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Seele sieht nicht einfach das Wahre voraus, wo diese Affekte sie beeinflussen«.108 Folglich vermindern diese Affekte die Lobpreisung der Tugend und so auch ihr Verdienst. 4. Das begehrende Strebevermögen verhindert das Vernunfturteil nicht weniger als das überwindende. Doch der überwindende Affekt trübt auch das Vernunfturteil, wenn er dem Akt der Tugend hinzugefügt wird. Daher sagt Gregor der Große, daß »der Eifer des Zorns den Blick trübt.«109 Und ähnlich trübt die Barmherzigkeit, welche ein begehrender Affekt ist, das Vernunfturteil. 5. Die Tugend ist »eine Disposition des Vollkommenen zum Besten«, wie es im 7. Buch der Physik heißt.110 Dasjenige ist folglich in uns tugendhafter, was uns dem Vollkommenen näher bringt. Gott und die Engel haben eine größere Ähnlichkeit zu denen, die aufgrund eines Vernunfturteils ohne Affekte handeln, denn Gott bestraft ohne Zorn und mildert das Elend ohne den Affekt der Barmherzigkeit. Folglich ist es tugendhafter das Gute ohne Affekte zu tun. 6. Die gereinigten Tugenden der Seele sind würdiger als die übrigen. Wie Makrobius im Kommentar zum Traum des Scipio feststellt, lassen die gereinigten Tugenden die Affekte beinahe in Vergessenheit geraten.111 Folglich ist der ohne Affekte vollzogene Akt der Tugend lobenswerter und verdienstvoller. 7. Je mehr die Nächstenliebe in uns von der fleischlichen Liebe gereinigt ist, umso lobenswerter ist sie. Augustinus sagt in der Regel: »In uns muß die Freude nicht des Fleisches, sondern des Geistes sein«.112 Der Affekt der Liebe zeigt sich zusammen mit einer gewissen Fleischlichkeit. Folglich ist eine Handlung der Nächstenliebe ohne den Affekt der Liebe lobenswerter; derselbe Grund trifft auf die übrigen Affekte zu. 8. Cicero sagt im Buch Vom pflichtgemäßen Handeln, daß es sich geziemt, daß das Wohlwollen nicht aus dem Entflammen der Liebe 108 109 110 111 112

Hildebertus Cenomanensis, Moralis philosophia I, 17 (PL 171, 1020 C). Gregor der Große, Moralia in Iob V, 45 (PL 75, 726 C; CCSL 143, 279). Nicht wörtlich aus Aristoteles, Phys. VII, 3; 246 b 23. Macrobius, Commentarii in Somnium Scipionis I, 8, 9 (ed. Willis, 38). Augustinus, Regula n. 10 (PL 32, 1384).

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entstehe, sondern aus der Beständigkeit des Geistes.113 Das Entflammen gehört aber zum Affekt und folglich mindert der Affekt das Lob des Akts der Tugend. Dagegen spricht: 1. Augustinus sagt im 14. Buch des Gottesstaates: »Solange wir an der Schwäche dieses Lebens tragen, leben wir nicht rechtens, wenn wir überhaupt keine Affekte haben. Der Apostel beschimpfte und verabscheute diejenigen, die meinten, ohne Affekte leben zu können. Auch tadelte sie der erwürdige Psalm, von denen er sagte: ›Ich erwartete Mitleid, doch es gab keines‹«.114 Es scheint, daß wir ohne Affekte nicht rechtens leben können. 2. Augustinus stellt im 9. Buch des Gottesstaates fest: »Ich weiß nicht, ob man nach reiflicher Überlegung den schelten kann, der mit dem Sünder zürnt, damit dieser sich bessere, der mit dem Leidenden Mitleid hat, damit dieser frei werde, der um den Bedrohten fürchtet, damit dieser nicht sterbe. Auch wenn die Stoiker die Barmherzigkeit schelten, so hat viel besser, menschlicher und dem frommen Empfinden angemessener Cicero zum Lobpreis Cäsars gesagt: ›Keine deiner Tugenden ist bewundernswerter und gefälliger als die der Barmherzigkeit‹«.115 Das führt zum selben Schluß wie zuvor. Antwort: Die Affekte der Seele können in einem zweifachen Verhältnis zum Willen stehen. Entweder sie gehen ihm voraus oder sie folgen ihm nach. Wenn sie ihm vorausgehen, so treiben die Affekte den Willen dazu an, etwas zu wollen. Wenn sie ihm nachfolgen, so bewegt er das niedere Strebevermögen zusammen mit den Affekten, da der Wille aufgrund seiner Heftigkeit überfließt. Dies kann auch geschehen, wenn der Wille diese Affekte spontan hervorbringt und sie anreizt. 113 Cicero, De off. I, 15, 47 (ed. Atzert, 17). 114 Augustinus, De civ. Dei XIV, 9 (CCSL 48, 428). Siehe auch Psalm

69 (68), 21 B. 115 Augustinus, De civ. Dei IX, 5 (CCSL 47, 255). Siehe auch Cicero, Pro Ligario 12, 37 (ed. Klotz, 89).

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Insofern die Affekte dem Willen vorausgehen, mindern sie den Charakter des Lobenswerten, da der Willensakt deswegen lobenswert ist, weil er von der Vernunft auf das Gut im geschuldeten Maße und in der geschuldeten Art und Weise zugeordnet wird. Die Art und Weise und das Maß sind nur dann gewährleistet, wenn sie zusammen mit einer auf einer Unterscheidung beruhenden Handlung ausgeführt werden. Diese Unterscheidung wird nicht gewahrt, wenn der Mensch aus dem Antrieb der Affekte heraus etwas will als handele es sich um ein Gut. Die Art und Weise der Handlung ergibt sich, insofern der Drang groß oder klein ist. Dementsprechend wird das geschuldete Maß nur zufälligerweise gewahrt. Insofern die Affekte dem Willen folgen, werden Lob und Güte der Handlung nicht gemindert, schließlich werden sie vom Vernunfturteil, aus dem der Wille folgt, gemäßigt. Vielmehr mehren sie die Güte der Handlung aus zwei Gründen. Erstens auf Art und Weise eines Zeichens, denn der im niederen Strebevermögen auf den Willen folgende Affekt ist Zeichen einer intensiven Bewegung des Willens. Der Wille kann sich in einer von Natur aus passiven Sache nicht heftig auf etwas hinbewegen, ohne daß ein Affekt im niederen Teil die Folge wäre. Daher sagt Augustinus im 14. Buch des Gottesstaates: »Während wir an der Unbeständigkeit dieses Lebens tragen, leben wir nicht rechtens, wenn wir keine Affekte haben«.116 Kurz danach fügt er die Ursache hinzu: »Denn gänzlich ohne Schmerz zu sein, solange wir an diesem Ort des Elends sind, geschieht ›nicht ohne den großen Preis der Größe des Geistes und der Stumpfheit des Körpers‹«.117 Zweitens mehren die Affekte die Güte der Handlung auf Art und Weise eines Hilfsmittels. Wenn der Wille aufgrund des Vernunfturteils etwas wählt, handelt er dann schneller und leichter, wenn der Affekt im niederen Teil mitangeregt wird, da das niedere Strebevermögen der Bewegung des Körpers nähersteht. Aus diesem Grund sagt Augustinus im 9. Buch des Gottesstaates: »Die Bewegung der Barmherzigkeit dient der Vernunft, wenn die Barmherzigkeit derart dargeboten wird, daß sie 116 Augustinus, De civ. Dei XIV, 9 (CCSL 48, 428). 117 Ebd. Augustinus zitiert hier Cicero, Tusc. disp. III, 6 (ed. Pohlenz,

322 f.).

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die Gerechtigkeit bewahrt«.118 Dasselbe sagt Aristoteles im 3. Buch der Ethik, indem er einen Vers Homers heranzieht: »Zeige Tugend und Raserei«.119 Wenn jemand schließlich aufgrund der Tugend der Tapferkeit tugendhaft ist, so führt der der Wahl der Tugend folgende Affekt zu einer energischeren Handlung. Ginge der Affekt der Handlung voraus, würde er das Maß der Tugend mindern. Zu 1. In der Freiwilligkeit besteht der vollkommene Grund, zu loben oder zu tadeln. Daher vermindert dasjenige, was den Grund des Willentlichen mindert, den Grund das Gute zu loben und das Schlechte zu tadeln. Der Affekt, der der Wahl vorausgeht, vermindert den Aspekt des Willentlichen, während der nachfolgende Affekt ein Zeichen der Größe des Willens ist, wie bereits gesagt wurde. So wie er daher im Guten dem Lob beigefügt wird, so wird er im Schlechten dem Tadel beigefügt. Es wird gesagt, daß aus dem Affekt heraus gesündigt wird, wenn der Affekt die Wahl der Sünde hervorbringt. Wer allerdings durch die Wahl der Sünde in den Affekt der Sünde gerät, der sündigt nicht aufgrund des Affekts, sondern zusammen mit dem Affekt. Folglich ist es wahr, daß eine Handlung, die aus dem Affekt heraus vollzogen wird, sowohl den Lob als auch den Tadel mindert. Eine Handlung, die zusammen mit einem Affekt vollzogen wird, kann aber beide steigern. Zu 2. Die Art und Weise der Tugend, die von einem vollkommenen Willen erzeugt wird, kann nicht ohne Affekte entstehen, nicht etwa weil der Wille vom Affekt abhängt, sondern weil der Affekt in einem passiven Wesen notwendigerweise einem vollkommenen Willen folgt. Zu 3. In der Handlung der Tugend sind Wahl und Ausführung notwendig. Die Wahl bedarf der Unterscheidung; zur Ausführung dessen, was festgelegt wurde, bedarf es der Entschlossenheit. Es ist nicht nötig, daß der in der Ausführung befindliche Mensch tatsächlich viel über die Handlung nachdenkt. Wie Avicenna in seiner Sufficientia feststellt, wäre dies eher hinderlich als förder-

118 Augustinus, De civ. Dei IX, 5 (CCSL 47, 254). 119 Aristoteles, Eth. Nic. III, 11; 1116 b 28.

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lich.120 Dies ist beim Spielen einer Zither zu sehen, das sehr behindert werden würde, würde jeder einzelne Anschlag der Saiten von Überlegungen begleitet werden. Ähnliches widerfährt dem Schreiber, würde er beim Aufzeichnen der einzelnen Buchstaben nachdenken. Daher kommt es, daß der Affekt, wenn er der Wahl vorausgeht, die tugendhafte Handlung verhindert, da er das Vernunfturteil, welches zur Wahl notwendig ist, unterbindet. Die Wahl ist bereits nach dem reinen Vernunfturteil vollkommen, so daß der nachfolgende Affekt eher förderlich ist als schädlich, weil er, auch wenn er das Vernunfturteil irgendwie trübt, die Entschlossenheit der Ausführung fördert. Zu 4. Daraus ergibt sich die Lösung zur 4. Frage. Zu 5. Gott und die Engel können keine Affekte empfangen und deshalb folgt aus ihrem vollkommenen Willen kein Affekt. Dieser würde folgen, wären sie fähig, Affekte zu empfangen. Wegen einer gewissen Ähnlichkeit der Handlungen »wird der Name ›Affekt‹ aufgrund der menschlichen Sprachgewohnheit auf die Engel übertragen, allerdings nicht aufgrund der Unbeständigkeit der Affekte«.121 Zu 6. Diejenigen, die in der gereinigten Seele Tugenden haben, sind irgendwie vor den Affekten gefeit, die sich den Dingen zuneigen, die den von der Tugend gewählten [Handlungen] widersprechen. Auch sind sie vor den Affekten gefeit, die den Willen antreiben, nicht aber vor denen, die dem Willen folgen. Zu 7. Der Affekt gehört zur Freude des Fleisches, wenn der Affekt der Liebe der Freude des Willens vorausgeht, nicht aber wenn sie ihr nachfolgt. Diese gehört in den Bereich des Aufbrausens der Nächstenliebe, die darin besteht, daß die Liebe, die sich im höheren Teil befindet, aufgrund ihrer Heftigkeit Veränderungen im niederen Teil hervorruft. Zu 8. Daraus erhellt die Auflösung des letzten Einwandes.

120 Avicenna, Sufficientia I, 14 (Venedig 1508 [ND Frankfurt a. M. 1961], fol. 22rbJ). 121 Augustinus, De civ. Dei IX, 5 (CCSL 47, 254).

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8. Artik el Die achte Frage lautet: Sind derartige Affekte in Christus anzutreffen?122 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Augustinus sagt im 12. Buch Über die Dreieinigkeit, daß das Aktive hervorragender sei als das Passive.123 Kein Geschöpf ist aber hervorragender als die Seele Christi. Folglich kann es in der Seele Christi keine Affekte geben. 2. Makrobius sagt: »Die Stärke der gereinigten Seele besteht darin, die Affekte nicht zu beachten, nicht aber darin, sie zu besiegen«.124 Christus besaß aber im höchsten Maß die Tugenden der gereinigten Seele. Folglich gab es in ihm keine derartigen Affekte. 3. Johannes von Damaskus zufolge »ergibt sich die Bewegung der strebenden Seele durch den Verdacht des Guten und Schlechten«.125 In Christus gab es aber keinen Verdacht, der ja zur Unwissenheit gerechnet werden muß. Folglich gab es in Christus keine Affekte der Seele. 4. Augustinus sagt: »Der Affekt ist eine gegen die Vernunft gerichtete Bewegung der Seele«.126 Doch in Christus gab es keine gegen die Vernunft gerichteten Bewegungen und folglich gab es in ihm keine Affekte der Seele. 5. Hinsichtlich seiner Seele ist Christus kein minderer Engel, sondern nur hinsichtlich der Unbeständigkeit seines Fleisches. In den Engeln gibt es aber keine Affekte, wie Augustinus im 9. Buch des Gottesstaates feststellt.127 Folglich gab es in Christus keine Affekte. 6. Hinsichtlich der Seele war Christus vollkommener als der 122 Paralleltexte: Sent. III, 15, 2, 1 qc. 3; Sum. theol. III, q. 15 a., 3–9; Super Matth. 26; Super Ioh. 12, 5 und 13, 4; Comp. theol. I, 232 (ed. XLII, 181–182). 123 Eigentlich Augustinus, De Gen. ad litt. XII, 16 (CSEL 28/1, 402). An dieser Stelle spricht Augustinus allerdings nicht von agens und patiens, sondern lediglich vom Unterschied zwischen Körper und Seele. 124 Macrobius, In somn. Scip. I, 8, 9 (ed. Willis, 38). 125 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 22 (PG 94, 940 D; ed. Buytaert, 132). 126 Augustinus, De civ. Dei VIII, 17 (CCSL 47, 234). 127 Augustinus, De civ. Dei IX, 5 (CCSL 47, 255).

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Mensch im Urzustand. Allerdings war der Mensch im Urzustand den Affekten nicht unterworfen, denn, wie Augustinus im 9. Buch des Gottesstaates sagt, »zum gegenwärtigen Leben gehört die Unbeständigkeit dieser steten Affekte, selbst bei der Ausübung guter Taten«.128 Im Urzustand gab es aber keine Unbeständigkeit und folglich besaß Christus keine derartigen Affekte. 7. Kein Weiser empfindet Schmerz oder trauert, es sei denn er verlöre ein ihm eigenes Gut. Aus diesem Grund erzeugt ein Übel Trauer, weil es das Gute von sich weist. Das Gut des Menschen ist aber die Tugend, weil nur sie den Menschen gut macht. Da aber in Christus dieses Gut nicht fehlte, gab es in ihm weder Trauer noch Schmerz. 8. Augustinus sagt im 14. Buch des Gottesstaates, »wenn wir mit dem nicht einverstanden sind, was uns unwillentlich widerfährt, trauert ein derartiger Wille«.129 Doch in Christus ergab sich nichts, was er nicht wollte und folglich gab es in Christus keinen Affekt der Trauer und des Schmerzes. 9. Augustinus zufolge ist der Schmerz »die Empfindung von Abtrennung und Zerstörung«.130 In Christus gab es aber weder eine Empfindung der Zerstörung noch der Abtrennung, denn, wie Hilarius sagt, besaß er »die Wirkmächtigkeit der Strafe ohne die Empfindung der Strafe«.131 In ihm gab es keine Abtrennung oder Zerstörung, denn dem höchsten Gut kann nichts verloren gehen. Folglich gab es in Christus keinen Schmerz. 10. Ein und dieselbe Ursache hat eine und dieselbe Wirkung. Der Affekt im Körper der Seligen hatte aber nicht diese Ursache, schließlich waren sie vom Zunder befreit und vereinten sich mit den Seelen der Herrlichen. Da dies im Körper Christi folglich der Fall war, scheint es, er könne den körperlichen Affekt des Schmerzes nicht gehabt haben. 11. Vernünftigerweise empfindet man keine Trauer oder Schmerz, wenn es keine Verletzung gibt. Doch Johannes Chrysostomus wies 128 129 130 131

Augustinus, De civ. Dei IX, 5 (CCSL 47, 255). Augustinus: De civ. Dei XIV, 6 (CCSL 48, 234). Augustinus, De lib. arb. III, 23, 69 (CSEL 74, 147; CCSL 29, 316). Hilarius Pictaviensis, De trin. X, 23 (PL 10, 362; CCSL 62A, 477).

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nach, »daß man nur durch sich selbst Verletzungen erleidet«, was beim Weisen nicht der Fall ist.132 Weil Christus der Weiseste von allen war, gab es ihm folglich keine Trauer. Dagegen spricht: 1. In Mk. 14, 33 wird gesagt: »Jesus begann, sich zu fürchten, zu ekeln und zu trauern«.133 2. Augustinus sagt, daß »diese Bewegungen durch den rechten Willen nicht nur keine Schuld erzeugen, sondern sogar lobenswert sind«.134 Christus aber hatte einen rechten Willen; folglich gab es in ihm diese Bewegungen. 3. Christus hatte die Mängel dieses Lebens, die der Vollkommenheit der Gnade nicht widerstreben. Derartige Affekte heben aber die Vollkommenheit der Gnade nicht auf, sondern sie werden vielmehr von der Gnade verursacht, wie aus dem 14. Buch des Gottesstaates Augustinus’ hervorgeht: »Diese Bewegungen, diese Affekte kommen aus der Liebe zum Guten und aus der heiligen Barmherzigkeit«.135 Folglich hatte Christus derartige Affekte. Antwort: Diese Affekte treten auf unterschiedliche Weise auf, [nämlich] in den Sündern, in den vollkommen und unvollkommen Gerechten, in Christus als Menschen, im Urmensch und in den Seligen. Weder die Engel noch Gott haben sie, weil sie kein sinnliches Strebevermögen haben, dessen Bewegungen derartige Affekte sind. Zur Verdeutlichung des Gesagten hat man zu wissen, daß die Affekte der Seele in vierfacher Hinsicht unterschieden werden können. Dieser Unterscheidung gemäß entsprechen sie mehr oder weniger dem eigentlichen Begriff des Affekts. Erstens wenn in jemand ein Affekt der Seele durch etwas Gegensätzliches oder Abträgliches oder durch etwas Zuträgliches und För132 Johannes Chrysostomus, Liber quod nemo laedatur nisi a seipso (PG 52, 459). 133 Das Zitat ist zusammengezogen aus Mk. 14, 32 und Mt. 26, 37. 134 Augustinus, De civ. Dei XIV, 6 (CCSL 48, 421). 135 Augustinus, De civ. Dei XIV, 9 (CCSL 48, 427).

8. Artikel

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derliches angeregt wird. Dem Begriff des Affekts wird vielmehr entsprochen, wenn der Affekt dem Abträglichen folgt, als wenn er dem Zuträglichen folgte, denn der Affekt schließt in sich eine gewisse Veränderung des Erleidenden ein, durch die er von einer natürlichen Disposition in eine gegensätzliche Disposition überführt wird. Daher kommt es, daß Schmerz, Trauer, Furcht und die übrigen auf ein Übel gerichteten Affekte dem Begriff des Affekts eher entsprechen als Freude, Liebe und die übrigen auf ein Gut gerichteten Affekte, auch wenn diese den Charakter des Affekts beibehalten. Denn das Herz weitet sich wegen der Affekte aus, es entflammt und es verhält sich anders als es ihrer üblichen Disposition entspricht. Daher kann es dazu kommen, daß jemand aufgrund solcher Affekte stirbt. Zweitens entspricht ein Affekt mehr oder weniger dem Begriff des Affekts, wenn er vollständig von außen herangetragen wird oder wenn er ein inneres Prinzip hat. Dem Begriff des Affekts wird eher entsprochen, wenn der Affekt von außen herangetragen wird, als wenn er von innen käme. Von außen kommt er, wenn der Affekt plötzlich beim Auftreten einer zuträglichen oder abträglichen Sache angeregt wird. Von innen kommt er hingegen, wenn die Affekte durch den Willen in der erwähnten Weise verursacht werden. In diesem Fall treten sie nicht plötzlich auf, denn das Vernunfturteil geht ihnen voraus. Drittens entspricht ein Affekt mehr oder weniger dem Begriff des Affekts, wenn etwas entweder vollständig oder unvollständig verwandelt wird. Was irgendwie verändert wird, ohne vollständig verwandelt zu werden, wird nicht im eigentlichen Sinn als Erleiden bezeichnet, von dem die Rede ist, wenn etwas vollständig in sein Gegenteil verwandelt wird. Wir sagen, daß ein Mensch im eigentlicheren Sinn eine Krankheit erleidet, wenn er am ganzen Körper erkrankt, als wenn sie nur einen Teil befallen würde. Dementsprechend wird der Mensch durch derartige Affekte vollständig verwandelt, wenn sie nicht nur im niederen Strebevermögen angesiedelt sind, sondern wenn sie auch das höhere Strebevermögen auf sich ziehen. Wenn sie sich aber nur im niederen Strebevermögen befinden, dann wird der Mensch durch sie gleichsam teilweise verändert. Dieser Weise entsprechend werden sie Vor-Affekte genannt, der ersten Weise nach aber Affekte.

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Viertens entspricht ein Affekt mehr oder weniger dem Begriff des Affekts, wenn die Verwandlung schwach oder heftig ist. Die schwachen Verwandlungen werden in einem uneigentlicheren Sinn als Affekte bezeichnet. Daher sagt Johannes von Damaskus im 3. Buch: »Nicht alle passiven Bewegungen werden als Erleiden bezeichnet, jedoch sind es die heftigeren und die sinnfälligeren. Jene, die geringfügig und nicht wahrnehmbar sind, sind noch keine Affekte«.136 Man hat also festzustellen, daß die Menschen in diesem Leben, soweit sie Sünder sind, Affekte bezüglich des Guten und Schlechten haben. Manchmal sind diese nicht nur vorhersehbar, sondern sie treten auch plötzlich und heftig auf und häufig sind sie sogar vollkommen. Daher werden diese Menschen im 1. Buch der Ethik »Anhänger der Affekte« genannt.137 Die Gerechten hingegen haben niemals vollkommene Affekte, denn die Vernunft wird nicht von ihrem Weg abgebracht. In den unvollkommenen Menschen sind sie heftig, während sie in den vollkommenen schwach sind, indem sie die niederen Kräfte durch den Habitus der Moraltugenden zügeln. Sie haben nämlich nicht nur vorhersehbare Affekte, sondern auch plötzliche und nicht nur hinsichtlich des Guten, sondern auch des Schlechten. Bei den Seligen, dem Menschen im Urzustand und bei Christus im Zustand der Unbeständigkeit treten derartige Affekte niemals plötzlich auf, denn dadurch, daß die niederen Kräfte den höheren vollkommen gehorchen, tritt keine Bewegung im niederen Strebevermögen auf, es sei denn die Vernunft gebietet es. Aus diesem Grund sagt Johannes von Damaskus im 3. Buch: »Im Herren gingen die natürlichen Affekte dem Willen nicht voraus; willentlich fühlte er Hunger, willentlich fürchtete er sich«, usw.138 Ähnliches hat man hinsichtlich der Seligen nach der Wiederauferstehung und der Menschen im Urzustand zu sagen. Dem widerspricht jedoch, daß Christus die Affekte nicht nur bezüglich des Guten hatte, sondern auch bezüglich des Schlechten. Er hatte nämlich einen wandelbaren 136 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 22 (PG 94, 941 B; ed. Buytaert, 133). 137 Aristoteles, Eth. Nic. I, 3; 1095 a 4. 138 Johannes Damascenus, De fide orth. III, 202 (PG 94, 1084 A; ed. Buytaert, 260).

8. Artikel

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Körper und deswegen konnte er natürlicherweise aufgrund der Vorstellung einer abträglichen Sache den Affekt der Furcht, der Trauer und dergleichen haben. Der Mensch im Urzustand und die Seligen können aber etwas nicht als abträglich erfassen; daher haben sie ausschließlich Affekte in Bezug auf ein Gut, wie etwa die Liebe, die Freude und dergleichen; sie haben aber keine Trauer, Furcht, Zorn usw. Daher gestehen wir ein, daß es in Christus echte Affekte gab. Augustinus sagte im 14. Buch des Gottesstaates, daß Christus »diese Bewegungen aufgrund der Gnade einer äußerst gewissen Verfügung in der menschlichen Seele ebenso akzeptierte, wie er wollte, Mensch zu werden«.139 Zu 1. Das Tätige, insofern es tätig ist, ist nicht notwendigerweise schlechthin hervorragender als das in einem relativen Sinn verstandene Passive. Daher spricht nichts dagegen, daß der Gegenstand der Seele Christi, insofern er aktiv ist, hervorragender ist, während die Seele Christi ein passives Vermögen hat. Zu 2. Im 9. Buch des Gottesstaates meint Augustinus, hierin bestand der Streit zwischen Stoikern und Peripatetikern, der offensichtlich eher verbal als der Sache nach geführt wurde.140 Die Stoiker sagten, derartige Affekte existierten keinesfalls in der Seele des Weisen. Sie meinten, weise sei derjenige, der vollkommen tugendhaft sei in dem Sinne, daß seine Seele von der Tugend gereinigt worden sei. Die Peripatetiker hingegen stellten fest, diese Affekte der Seele würden auch »im Weisen anzutreffen sein, doch sie seien gemäßigt und der Vernunft untergeordnet«.141 Augustinus weist aufgrund des Geständnisses eines Stoikers nach, daß auch sie dachten, solche Affekte erschienen in der Seele des Weisen plötzlich, ohne daß sie sie weder akzeptierten noch ihnen zustimmten. Sie nannten sie nicht Affekte, sondern »Bilder oder Vorstellungen der Seele«. Es geht daraus hervor, daß die Stoiker der Sache nach nichts anderes sagten als die Peripatetiker. Allein ihre Worte stimmten nicht 139 Augustinus, De civ. Dei XIV, 9 (CCSL 48, 427). 140 Augustinus, De civ. Dei IX, 4 (CCSL 47, 251). 141 Ebd.

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überein, denn was die Peripatetiker Affekte nannten, hatte bei den Stoikern einen anderen Namen. Der Theorie der Stoiker entsprechend sagen Makrobius und Plotin, daß es tugendhafte Affekte in der gereinigten Seele nicht gebe, nicht weil es in den tugendhaften Menschen keine plötzlichen Regungen der Affekte geben könne, sondern weil sie entweder die Vernunft mit sich reißen oder weil sie so heftig sind, daß sie den Seelenfrieden erheblich trüben können. Dementsprechend sagt Aristoteles im 7. Buch der Ethik, daß das Begehren in den gemäßigten Menschen nicht so stark ist wie in den Willensschwachen, obwohl in beiden die Vernunft zur Einwilligung geführt wird.142 – Weil diese Affekte aus Gut und Übel hervorgehen, könnte man aber auch zutreffender sagen, daß sie hinsichtlich des Unterschieds von Gut und Übel unterschieden werden müssen. Es gibt gewisse natürliche Güter und Übel, wie etwa Speise und Trank, körperliche Gesundheit und Krankheit und dergleichen. Andere hingegen sind nicht natürlich, wie etwa Reichtum, Ehren und dergleichen. Plotin und Makrobius unterscheiden nämlich die Tugenden der gereinigten Seele von den politischen Tugenden. Daraus ist zu ersehen, daß die Tugenden der gereinigten Seele nur bei denen zu finden sind, die vollständig vom bürgerlichen Umgang abgeschieden und frei sind und sich allein der Kontemplation der Weisheit hingeben. In [solchen Menschen] ergeben sich keine Affekte aus einem bürgerlichen Gut oder Übel; dennoch sind sie nicht vor den Affekten gefeit, die einem natürlichen Gut oder Übel entspringen. Zu 3. Was von einer schwächeren Ursache verursacht wird, kann auch von einer stärkeren Ursache verursacht werden. Um Affekte hervorzurufen, ist ein Urteil sicherlich eine stärkere Ursache als eine Vermutung. Johannes von Damaskus nahm an, daß dies die Mindestanforderung ist, um Affekte zu verursachen, und gab damit zu verstehen, daß eine stärkere Ursache einen stärkeren Affekt verursachen kann. Zu 4. Augustinus sagt im 14. Buch des Gottesstaates, die Empfindungslosigkeit werde auf zweifache Weise ausgesagt.143 Zum einen, insofern vom Fehlen derjenigen Affekte die Rede ist, »welche wider 142 Aristoteles, Eth. Nic. VII, 9; 115 2 a 1. 143 Augustinus, De civ. Dei XIV, 9 (CCSL 48, 427).

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die Vernunft sind und die Seele verwirren«. Zum anderen, insofern jeder Affekt ausgeschlossen wird. Im erwähnten Text wird ›Affekt‹ nämlich so verstanden, daß er einer ursprünglichen Empfindungslosigkeit widerspricht, nicht aber einer nachfolgenden. Diese gab es nur in Christus. Zu 5. Hinsichtlich der intellektiven Seele war Christus den Engeln überlegen. Dennoch hatte er ein sinnliches Strebevermögen, demzufolge es in ihm Affekte geben konnte, die die Engel nicht besitzen. Zu 6. Im Urmenschen gab es gewisse Affekte, wie Freude und Liebe, welche sich auf ein Gut beziehen, nicht aber Furcht und Schmerz, welche sich auf ein Übel beziehen. Diese fallen in den Bereich der gegenwärtigen Unbeständigkeit, die Adam nicht hatte, die Christus aber willentlich auf sich nahm. Zu 7. Die Stoiker sagten, das Gut des Menschen sei nichts anderes als das, wodurch wir Menschen als gut bezeichnen, nämlich die Tugenden der Seele. Die übrigen Güter, nämlich die des Körpers und solche, die zum äußeren Glück gehören, werden nicht als Güter, sondern als Bequemlichkeiten bezeichnet. Die Peripatetiker bezeichnen diese als Güter, wenn auch als geringfügige, während die Tugenden die größten Güter sind. Dieser Unterschied ist lediglich verbaler Art. So wie aus den geringfügigen Gütern der Peripatetiker, so entspringt auch aus den Bequemlichkeiten der Stoiker eine Regung in der Seele des Weisen, die gleichwohl die Vernunft nicht behelligt. Dementsprechend ist es nicht wahr, daß in der Seele des Weisen die Trauer nur aufgrund des Fehlens der Tugend auftreten kann. Zu 8. Obwohl sich die Verletzung des Körpers Christi nicht aus dem Nicht-wollen der Vernunft ergab, widersprach sie dennoch dem sinnlichen Strebevermögen, weswegen dort Trauer auftrat. Zu 9. In Christus gab es sowohl eine wahre Verletzung des Körpers als auch eine wahre Empfindung der Verletzung. Seiner Göttlichkeit gemäß ist er das höchste Gut, dem nichts genommen werden kann, selbst nicht in Hinblick auf seinen Körper. Einige meinen, Hilarius hätte seine Aussage später widerrufen.144 – Man könnte aber 144 Bonaventura, Sent. III, d. 16 a. 1 q. 1 (III, 345–347); der damit Wilhelm von Auvergne referiert.

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auch sagen, er meinte, Christus hätte keine Empfindung der Strafe gehabt, nicht weil er die Strafe nicht fühlte, sondern weil diese Empfindung nicht ausreichte, einen Einfluß auf die Vernunft zu haben. Zu 10. Aus der Tatsache, daß die Seele verherrlicht wird, wird der mit ihr verbundene Körper dem üblichen Verlauf nach verherrlicht und für Verletzungen unempfindlich. Aus diesem Grund sagt Augustinus im Brief an Dioskorus: »Gott machte die Seele derart mächtig, daß ihre übermäßige Glückseligkeit, die den Heiligen am Ende der Zeiten verheißen war, auf die niederen Wesen übergeht, nämlich auf die Körper; die Glückseligkeit, die den Genießenden und Erkennenden eigen ist, fließt zwar nicht über, sondern nur die Fülle des Heils, nämlich die Kraft der Unverderblichkeit«.145 Christus aber hatte aufgrund der durch einer von der Göttlichkeit verfügten Kraft sowohl seine Seele als auch seinen Körper in seiner Gewalt und besaß in seiner Seele die Glückseligkeit und in seinem Körper die Veränderlichkeit. »Das Wort erlaubt dem Körper das, was ihm eigen ist«, wie Johannes von Damaskus sagt.146 Daher war es in Christus einzigartig, daß die Fülle der Glückseligkeit der Seele nicht auf die Herrlichkeit des Körpers überging. Zu 11. Johannes Chrysostomus spricht von der Verletzung, durch die man elend wird, [und] aufgrund derer das Gut der Tugend nämlich entfernt wird. Wie bereits gesagt wurde, tritt der Affekt der Trauer im Weisen nicht allein aufgrund einer solchen Verletzung auf; deswegen folgt dies nicht aus einem solchen Argument.

9. Artik el Die neunte Frage lautet: Hatte die Seele Christi den Affekt des Schmerzes hinsichtlich der höheren Vernunft? 147 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 145 Augustinus, Epist. 118, 14 (CSEL 34/2, 679). 146 Johannes Damascenus, De fide orth. III, 15 (PG 94, 1060; ed. Buy-

taert, 240). 147 Paralleltexte: Sent. III, d. 15, 2, 3 qc. 2; Sum. theol. III, q. 46 a., 7; Comp. theol. I, 232 (ed. Leon. XLII, 181–182).

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1. Es wird gesagt, der Mensch werde verwirrt und von den Affekten verführt, wenn die Erregtheit der Affekte bis an die Vernunft heranreicht. Es geziemt aber dem Weisen nicht, verwirrt zu sein und von den Affekten verführt zu werden. Da Christus aber der Weiseste war, so scheint es, daß in ihm der Schmerz nicht bis an die höhere Vernunft reichte. 2. Es wird gesagt, daß sich jedes Vermögen an seinem eigenen Gegenstand erfreut. Folglich sollte auch der Schmerz einem Vermögen nur wegen etwas Abträglichem zugeschrieben werden, das vom Gegenstand kommt. In Bezug auf die ewigen Dinge, welche die Gegenstände der höheren Vernunft sind, erlitt Christus weder Mangel noch Widerstände. Folglich gab es in der höheren Vernunft Christi keinen Affekt des Schmerzes. 3. Augustinus meint im 14. Buch des Gottesstaates, der Schmerz gehöre zu den Affekten des Körpers.148 Folglich gehört der Schmerz nicht in den Bereich der Seele, es sei denn, sie sei mit dem Körper vereint. In Hinblick auf die höhere Vernunft ist die Seele aber mit dem Körper nicht vereint, schließlich sagt Aristoteles im 3. Buch Über die Seele, der Intellekt sei der Akt keines Körpers.149 Folglich kann es in der höheren Vernunft keinen Schmerz geben. 4. Es wurde eingewandt, die höhere Vernunft vereinige sich mit dem Körper nicht aufgrund einer Tätigkeit; vielmehr vereinige sie sich mit ihm wie eine Form. – Dagegen spricht: Im Buch Über das Schlafen und Wachen stellt Aristoteles fest, daß sich Potenz und Akt auf dasselbe beziehen.150 Wenn sich also der Akt des Intellekts auf die Seele ohne jegliche Verbindung zum Körper bezöge und wenn das intellektive Vermögen einen Bezug zur Seele hätte ohne mit dem Körper vereint zu sein, so wäre die höhere Vernunft mit dem Körper nicht als Form vereint. 5. Johannes von Damaskus zufolge ist der Affekt eine unvernünftige Regung der Seele und des Strebens. Schmerz, Trauer und dergleichen sind aber gewisse Affekte. Folglich gab es sie nicht in der höheren Vernunft Christi. 148 Augustinus, De civ. Dei XIV, 7 (CCSL 48, 423). 149 Aristoteles, De an. III, 7; 429 a 24. 150 Aristoteles, De somno 1; 454 a 8.

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6. Im 14. Buch des Gottesstaates sagt Augustinus, Schmerz und Trauer gehörten zu den Dingen, »die uns nicht willentlich widerfahren«.151 Seiner höheren Vernunft gemäß war Christus mit seinen körperlichen Affekte einverstanden, die ja nicht gegen seinen Willen geschahen, der auf vollkommenste Weise dem göttlichen Willen entsprach. Folglich gab es in Christus hinsichtlich seiner höheren Vernunft weder Trauer noch Schmerz. 7. Dagegen wurde eingewandt, daß die höhere Vernunft als Vernunft die körperlichen Affekte wollte, nicht aber als Natur. – Dagegen spricht, daß ein und dasselbe Vermögen als Vernunft und als Natur betrachtet werden kann. Unterschiedliche Betrachtungsweisen verändern das Wesen einer Sache nicht. Wenn also die höhere Vernunft als Vernunft etwas wollte und es als Natur nicht wollte, dann wollte ein und dasselbe Vermögen etwas und wollte es nicht, was ja unmöglich ist. 8. Aristoteles zufolge ist dem Genuß, der in der Kontemplation liegt, keine Trauer entgegengesetzt.152 Der Genuß der höheren Vernunft besteht in der Kontemplation der ewigen Dinge. Folglich kann in ihr weder Schmerz noch Trauer sein, da Trauer oder Schmerz dem Genuß des Betrachtens widersprechen. Und so gab es in der Seele Christi hinsichtlich der höheren Vernunft weder den Affekt des Schmerzes noch der Trauer. Dagegen spricht: 1. In den Psalmen heißt es: »Meine Seele ist des Übels voll«153; die Glosse fügt hinzu: »nicht mit Sünden, sondern mit Schmerzen«.154 Folglich gab es in jedem Teil Christi Schmerzen und ebenso in der höheren Vernunft. 2. Die Genugtuung entspricht der Schuld. Christus glich durch sein Leiden die Schuld des ersten Menschen aus. Da die Schuld folglich bis an die höhere Vernunft reichte, mußte auch das Leiden Christi bis an die höhere Vernunft reichen. 151 152 153 154

Augustinus, De civ. Dei XIV, 15 (CCSL 48, 438). Aristoteles, Top. I, 15; 106 a 38. Psalm 88 (87), 4 [Vulgatatext]. Petrus Lombardus, Glossa (PL 191, 811 D).

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3. Die Glosse zu »meine Seele ist des Übels voll« besagt, daß die Seele, die Schmerz erleidet, zusammen mit dem Körper, mit dem sie vereint ist, leidet.155 Von Vernunft als Vernunft ist aber in Bezug auf den Körper die Rede, was daraus zu ersehen ist, daß der Engel, der natürlicherweise mit keinen Körpern vereint ist, als Intellekt bezeichnet wird und nicht als Vernunft. Hinsichtlich der mit einem Körper vereinten Seele ist hingegen von Vernunft die Rede. Folglich gab es auch in der höheren Vernunft als Vernunft den Schmerz im Leiden Christi. 4. Augustinus zufolge befindet sich die gesamte Seele im gesamten Körper.156 Folglich ist sie in jedem beliebigen Teil mit dem Körper vereint. Die höhere Vernunft als Vernunft ist aber ein gewisser Teil der Seele. Folglich ist sie mit dem Körper vereint und deshalb erleidet sie den Schmerz des erleidenden Körpers. Antwort: Aus dem Gesagten157 geht hervor, daß der Affekt, durch den die Seele akzidentellerweise etwas erleidet, zweifacher Art ist: Zum einen ist er körperlich und hat seinen Anfang im Körper und kommt in der Seele, insofern sie mit dem Körper vereint ist, zum Abschluß. Zum anderen handelt es sich um einen Affekt der Seele, der verursacht wird, weil die Seele etwas erkennt, was das Strebevermögen in Bewegung setzt. Dieser Bewegung folgt eine gewisse Veränderung des Körpers. Wenn man also vom ersten Affekt spricht, dem Augustinus den Schmerz zuordnet, dann hat man festzustellen, daß der Schmerz des Leidens Christi irgendwie in seiner höheren Vernunft stattfand und irgendwie auch nicht. Im Schmerz gibt es zwei Aspekte, nämlich die Verletzung und die erfahrungsgemäße Wahrnehmung der Verletzung. Die Verletzung tritt zunächst im Körper auf und anschließend in der Seele, insofern sie mit dem Körper vereint ist. Die Seele wird nämlich mit dem Körper durch ihr Wesen vereint. Im Wesen der Seele wurzeln allerdings alle Vermögen und in dieser 155 Ebd. 156 Augustinus, De trin. VI, 6, 8 (PL 42, 929; CCSL 50, 237). 157 Vgl. De ver. q. 26 a. 2–3.

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Hinsicht bezog sich diese Verletzung Christi auf die Seele und auf alle ihre Teile, also auch auf die höhere Vernunft, insofern diese dem Wesen der Seele entspringt. Die erfahrungsgemäße Wahrnehmung der Verletzung bezieht sich nur auf den Tastsinn, wie oben158 festgestellt wurde. Wenn man aber von den Affekten der Seele spricht, so kann es die Trauer, welche ja eigentlich ein Affekt der Seele ist, nur in diesem Teil der Seele geben. Aus ihrem Gegenstand, dessen Erkenntnis und Verlangen Trauer erzeugt, geht die Trauer hervor. Aus dem Gegenstand der höheren Vernunft, nämlich von seiten der ewigen Dinge, konnte sich in der Seele Christi kein Grund zur Trauer ergeben, weil er an ihnen auf vollkommenste Weise Genuß fand. Daher konnte es in der Seele Christi keinen Grund zur Trauer der Seele geben. Folglich erlitt die höhere Vernunft in Christus körperliche Schmerzen, insofern sie im Wesen der Seele wurzeln. Nicht aber erlitt er Trauer in seiner Seele, weil er durch eine ihm eigene Tätigkeit die ewigen Dinge schaute. Zu 1. Der Mensch wird dann verwirrt und den Affekten zugeführt, wenn die Vernunft in ihrer eigenen Tätigkeit den Neigungen der Affekte folgt, indem sie ihnen zustimmt und sie wählt. Der körperliche Schmerz gelangt nicht bis an die höhere Vernunft der Seele Christi, insofern seine eigene Tätigkeit verändert würde, sondern nur insofern der Schmerz im Wesen der Seele wurzelt, wie schon gesagt wurde. Daher greift das Argument nicht. Zu 2. Obwohl sich der Schmerz in der höheren Vernunft der Seele Christi nicht in Bezug auf seinen eigenen Gegenstand ergab, ergab er sich dennoch in Bezug auf seine eigene Wurzel, nämlich das Wesen der Seele. Zu 3. Ein Vermögen kann in zweierlei Hinsicht der Akt eines Körpers sein: Zum einen, insofern es ein bestimmtes Vermögen ist. In diesem Fall wird gesagt, es sei der Akt des Körpers, insofern es dem körperlichen Organ bezüglich der Ausführung der eigenen Tätigkeit seine Form verleiht. Dies ist so wie wenn das Sehvermögen das Auge zur Ausführung des Sehaktes einsetzt. Der Intellekt ist in 158 Vgl. De ver. q. 26 a. 3.

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diesem Sinne kein Akt des Körpers. Zum anderen auf der Grundlage des Wesens, auf dem es sich gründet. In diesem Fall kann sowohl der Intellekt als auch ein anderes Vermögen mit dem Körper als Form vereint werden, insofern diese Vermögen in der Seele sind, die ja ihrem Wesen nach die Form des Körpers ist. Zu 4. Dieser Einwand geht vom Vermögen hinsichtlich des Begriffs des Vermögens aus und nicht, sofern es im Wesen der Seele wurzelt. Zu 5. Johannes von Damaskus spricht von den Affekten der Seele. Der Affekt befindet sich im sinnlichen Strebevermögen wie in seinem eigenen Subjekt, gleichwohl befindet er sich gewissermaßen ursächlich im erkennenden Teil, insofern die Bewegung des Affekts gemeinsam mit dem erkannten Gegenstand im Strebevermögen zutage tritt. Auch gibt es im höheren Strebevermögen gewisse Tätigkeiten, die eine Ähnlichkeit zu den Affekten der niederen Strebevermögen aufweisen. Der Grund dieser Ähnlichkeit geht darauf zurück, daß die Bezeichnung ›Affekt‹ gelegentlich auf die Engel und auf Gott angewandt wird, wie Augustinus im 14. Buch des Gottesstaates feststellt.159 Dementsprechend sagt man, die Trauer befinde sich gelegentlich in der höheren Vernunft sowohl hinsichtlich des Erkennens als auch des Strebens. Obwohl wir nicht sagen, in der höheren Vernunft der Seele Christi habe es Schmerz gegeben, so hatte er Schmerzen, weil sie im Wesen der Seele wurzeln, wie schon gesagt wurde. Zu 6. Dieser Einwand belegt, daß es in der höheren Vernunft, wenn ihre eigene Tätigkeit auf ihren Gegenstand bezogen ist, keinen Schmerz gegeben hat. Und so widerfährt ihr nichts, wenn sie es nicht will. Zu 7. Die Unterscheidung zwischen Vernunft als Vernunft und Vernunft als Natur kann auf zweierlei Weise verstanden werden. Zum einen so, daß die Vernunft als Natur die Vernunft bezeichnet, insofern sie die Natur vernünftiger Geschöpfe ist, nämlich insofern sie im Wesen der Seele begründet ist, die dem natürlichen Körper seine Existenz verleiht. Die Vernunft als Vernunft hingegen bezeichnet das, was der Vernunft zu eigen ist, insofern sie Vernunft 159 Augustinus, De civ. Dei XIV, 5 (CCSL 48, 420).

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ist, nämlich ihr Akt, schließlich werden die Vermögen durch den Akt definiert. Weil sich der Schmerz nicht in der höheren Vernunft befindet, insofern sich seine Tätigkeit auf einen Gegenstand bezieht, sondern insofern er im Wesen der Seele wurzelt, so wird gesagt, die höhere Vernunft als Natur erleide Schmerzen, nicht aber die Vernunft als Vernunft. Beim Sehvermögen, das sich auf dem Tastvermögen gründet, verhält es sich ähnlich, insofern das Sehorgan auch ein Tastorgan ist. Aus diesem Grund kann der Sehsinn auf zweierlei Weise Verletzungen erleiden. Zum einen aufgrund der ihm eigenen Tätigkeit, so wie wenn er durch übermäßiges Licht abgestumpft wird. Hierbei handelt es sich um ein Erleiden des Sehsinns als Sehsinn. Zum anderen, insofern er sich auf dem Tastsinn gründet, so wie wenn ins Auge gestochen oder es durch Hitze zerstört wird. Hierbei handelt es sich um kein Erleiden des Sehsinns als Sehsinn, sondern insofern er ein gewisser Tastsinn ist. Die erwähnte Unterscheidung kann auch auf andere Weise verstanden werden, wie wenn wir sagen, die Vernunft als Natur könne so verstanden werden, daß sie einen Bezug zu den Dingen herstellt, die sie natürlicherweise erkennt und erstrebt. Die Vernunft als Vernunft hingegen kann so verstanden werden, daß sie sich durch ein gewisses Zusammenfügen auf etwas zu Erkennendes oder Erstrebendes zuordnet, schließlich besteht das der Vernunft Eigene im Zusammenfügen. Es gibt nämlich gewisse Dinge vor denen, wenn sie an sich betrachtet werden, geflohen werden muß; sie werden allerdings wegen ihrer Zuordnung auf etwas erstrebt. So sind etwa der Hunger und der Durst an sich zu vermeiden; werden sie aber für die Gesundheit der Seele und des Körpers als nützlich betrachtet, werden sie erstrebt. Deshalb erfreut sich die Vernunft als Vernunft an diesen Dingen, während die Vernunft als Natur sich ihrer wegen grämt. Daher war auch das Leiden Christi an sich betrachtet zu vermeiden, weswegen die Vernunft als Natur sich grämte und es nicht wollte. Insofern das Leiden aber auf das Wohl des Menschengeschlechts zuordnet war, war es gut und erstrebenswert, weswegen die Vernunft als Vernunft es wollte und sich deshalb erfreute. Dies hat allerdings keine Bedeutung für die höhere Vernunft, sondern nur für die niedere, die sich auf Körperliches bezieht, als handele es sich um ihren eigentümlichen Gegenstand. Daher kann

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sie sowohl in einem absoluten wie in einem zusammengesetzten Sinn auf die körperlichen Affekte übergehen. Die höhere Vernunft bezieht sich nicht auf die körperlichen Dinge als Gegenstände und daher bezieht sie sich lediglich auf die ewigen Dinge. Sie betrachtet sie, indem sie über sie im Lichte ewiger Wahrheiten urteilt, auf die sie sich nicht nur beobachtend, sondern auch ratschlagend bezieht. Die höhere Vernunft betrachtet daher die Affekte in Christus nur in ihrer Zuordnung auf die ewigen Wahrheiten, welche ihn erfreuten, weil sie Gott gefielen. Daher fielen in keiner Weise Trauer oder Schmerz in den Bereich der höheren Vernunft hinsichtlich der eigenen Tätigkeit der Vernunft. Es spricht ja nichts dagegen, daß ein und dasselbe Vermögen eine Sache in Bezug auf etwas anderes will, die sie aber nicht um ihrer selbst will. Denn es ist möglich, daß etwas, was nicht in sich gut ist, durch den Bezug auf etwas anderes den Charakter des Guten annimmt, obwohl es in der höheren Vernunft Christi hinsichtlich der körperlichen Affekte keinen Platz hat; auf es bezieht sich die Vernunft nur wollend, wie bereits gesagt wurde. Zu 8. Eine derartige Betrachtung kann auf zweierlei Weise Genuß bringen. Zum einen aufgrund der betrachtenden Tätigkeit. Auf diese Weise widerstreitet der Genuß, der in einer solchen Betrachtung liegt, der Trauer nicht, denn zu dieser Betrachtung, die die Ursache des Genusses ist, gibt es kein Gegenteil. Jede Betrachtung ist genußbringend. Dies ist aber nicht so von seiten der Sinne, denn den Tätigkeiten der Sinne kommen sowohl Trauer als auch Schmerz zu. So wie wir beim Berühren von Zuträglichem Genuß empfinden, so empfinden wir Schmerz beim Berühren von Abträglichem. Auf andere Weise entspringt der Genuß dem betrachteten Ding, insofern etwas als gut oder schlecht angesehen wird. Dementsprechend können sich aus der Betrachtung sowohl Genuß als auch die ihm entgegengesetzte Trauer ergeben. Deshalb verursacht auch die fehlende Erkenntnis Trauer, insofern sie als ein Übel angesehen wird; an sich verursacht sie hingegen nicht die Abwesenheit des Genusses. Allerdings sagen wir nicht, daß der Schmerz in der höheren Vernunft Christi auf diese Weise zustande kommt, sondern daß er im Wesen der Seele wurzelt.

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Auf die Gegeneinwände ist Folgendes zu antworten: Zu 1. Die Glosse stellt nicht fest, die Seele Christi sei der Trauer voll, sondern daß sie des Schmerzes voll sei, insofern sie mit dem Körper mitleidet. Deshalb ist es nicht nötig, daß der Affekt des Schmerzes in die höhere Vernunft gehört; nur wenn er sich im Wesen der Seele befindet, wird er mit dem Körper vereint. Zu 2. Das Leiden Christi würde nur dann Genugtuung verschaffen, wenn es willentlich wäre und aufgrund der Barmherzigkeit empfangen würde. Deswegen ist es nicht nötig, daß sich der Schmerz hinsichtlich seiner ihm eigenen Tätigkeit im höheren Teil der Vernunft Christi befände, etwa so wie als Adam, dem aufgrund der Tätigkeit der höheren Vernunft die Schuld zukam. Denn die Regung der Barmherzigkeit des Erleidenden, welche sich im höheren Teil der Vernunft befindet, entspricht im Zustand der Genugtuung dem, was im Zustand der Schuld der höheren Vernunft zukam. Zu 3. In der Vernunft können zwei Aspekte erkannt werden, nämlich eine gewisse Teilhabe am intellektiven Vermögen, aber auch eine Vernebelung oder Minderung des Intellekts. Die Minderung des intellektiven Vermögens folgt nämlich aus der Seele, insofern sie mit dem Körper vereint werden kann. Doch das Verstandesvermögen befindet sich in ihr, insofern sie nicht vom Körper unterjocht wird, wie es bei den übrigen materiellen Formen der Fall ist. Weil sich daher die Tätigkeit der Vernunft in der Seele befindet, insofern sie am intellektiven Vermögen teilhat, übt sie derartige Tätigkeiten nicht vermittels des Körpers aus. Zu 4. Die Vernunft als Vernunft bezeichnet kein Vermögen, das von der Vernunft als Natur unterschieden wäre; vielmehr bezeichnet sie eine gewisse Art und Weise, dieses Vermögen zu betrachten. Auch wenn der Affekt einer gewissen Betrachtungsweise zufolge zu keinem bestimmten Seelenvermögen gehört, so wird trotzdem nicht ausgeschlossen, daß die Seele in ihrer Gesamtheit erleidet.

10. Artik el Die zehnte Frage lautet: Hätte der Schmerz des Affekts, der in der höheren Vernunft Christi war, die Freude des Genusses verhindert und umgekehrt?160 Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. Die Glückseligkeit befindet sich in größerem Maß in der Seele als im Körper. Es kann aber nicht gesagt werden, der Körper sei glückselig oder herrlich, während er zugleich leidet, schließlich gehört die Unempfindsamkeit zur Herrlichkeit des Körpers. Folglich konnte es auch in der höheren Vernunft Christi nicht zugleich das Leiden des Schmerzes und die Freude des glückseligen Genusses geben. 2. Aristoteles stellt im 7. Buch der Ethik fest, daß jeder beliebige Genuß jede entgegengesetzte Trauer vertreibt.161 Der Genuß aber, durch welchen sich die höhere Vernunft in der Seele Christi an der Göttlichkeit erfreute, war äußerst heftig und folglich hielt er von Christus jede Trauer und jeden Schmerz fern. 3. Die höhere Vernunft schaute auf strahlendere Weise als Paulus im Zustand der Ekstase. Doch die Seele des Paulus wurde nicht nur hinsichtlich der Vernunfttätigkeit durch die Kraft des Schauens vom Körper abgesondert, sondern auch hinsichtlich der Sinnestätigkeiten. Folglich erlitt auch Christus keinen Schmerz – weder in Bezug auf die Vernunft noch in Bezug auf die Sinne. 4. Aus einer starken Ursache folgt eine starke Wirkung. Die Tätigkeit der Seele aber ist die Ursache einer körperlichen Veränderung, was zu erkennen ist, wenn aus der Vorstellung von etwas Schrecklichem oder Erfreulichem der Körper zur Kälte oder Hitze disponiert wird. Weil es folglich in der Seele Christi eine äußerst heftige Freude hinsichtlich der höheren Vernunft gab, so scheint es, daß auch der Körper von dieser Freude verändert wurde. Deswegen konnte es weder im Körper noch in der höheren Vernunft, insofern sie mit dem Körper verbunden ist, Schmerzen geben. 5. Die Schau Gottes ist ihrem Wesen nach wirksamer als die 160 Paralleltexte: Sent. III, d. 15, 2, 3 qc. 2 ad 5; De ver. q. 10 a., 11 ad 3; Sum. theol. III, q. 46 a., 8; Comp. theol. I, 232 (ed. Leon. XLII, 181–182). 161 Aristoteles, Eth. Nic. VII, 14; 1154 b 13.

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Schau Gottes in der untergeordneten Schöpfung. Doch Moses’ Schau Gottes geschah in der untergeordneten Schöpfung, damit er während des vierzigjährigen Fastens vom Hunger nicht gepeinigt werde. Folglich eliminiert die Schau Gottes ihrem Wesen nach, die Christus hinsichtlich seiner höheren Vernunft zukam, in sehr viel stärkerem Maß jede körperliche Pein. Deshalb kann man dasselbe wie zuvor schließen. 6. Das, was sich in einem Höchstmaß befindet, von dem es aber abweichen kann, erfährt keine Veränderung durch Vermengung mit Gegenteiligem. Dies ist so wie bei der Hitze des Feuers, die in ihrem Höchstmaß durch Vermengung mit Kälte keine Veränderung erleidet, obwohl die Hitze wandelbar ist. Die Freude des Genusses befand sich aber in der höheren Vernunft unabänderlich in einem Höchstmaß. Folglich gab es dort keine Vermengung mit dem Schmerz. 7. Der Mensch erlangt die Glückseligkeit sowohl in der Seele als auch im Körper. Beide Arten der Glückseligkeit gehen durch die Sünde verloren. In Christus aber wurde die menschliche Natur hinsichtlich der Glückseligkeit der Seele wiederhergestellt, welche darin besteht, daß die höhere Vernunft sich an der Göttlichkeit erfreuen konnte. Folglich wurde sie in sehr viel stärkerem Maß hinsichtlich der Glückseligkeit des Körpers, der ja minderwertiger ist, wiederhergestellt. Daher hatte er auch hinsichtlich des Körpers keine Schmerzen, und folglich auch nicht in der höheren Vernunft, insofern sie mit dem Körper vereint ist. 8. So wie die Seele Christi mit dem Wort vereint wurde, so auch mit seinem Fleisch. Wenn aber sein Fleisch durch die Vereinigung mit dem Wort verherrlicht wurde, so konnte es in ihm keinen Schmerz geben. Da die höhere Vernunft durch die Vereinigung mit dem Wort verherrlicht wurde, so konnte es in ihr daher keinen Schmerz geben. 9. Augustinus stellt im 12. Buch Über den Wortlaut der Genesis fest, daß sich Freude und Schmerz ihrem Wesen nach in der Seele befinden.162 Freude und Schmerz sind aber Gegensätze. Da sich Gegensätze aber nicht in derselben Sache ihrem Wesen nach befinden

162 Augustinus, De Gen. ad litt. XII, 24 (CSEL 28/1, 416).

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können, so scheint es, daß es in der höheren Vernunft nicht zugleich die Freude des Genusses und den Schmerz des Leidens geben konnte. 10. Der Schmerz folgt aus der Erkenntnis des Abträglichen, die Freude aber aus der Erkenntnis des Zuträglichen. Es ist aber nicht möglich zugleich Abträgliches und Zuträgliches zu erkennen, da Aristoteles sagt, man könne nur einen Sachverhalt zugleich verstehen.163 Folglich konnte es in der höheren Vernunft nicht zugleich Schmerz und Freude geben. 11. Die vollständige Vernunft hat in der Natur ein größeres Vermögen über die Sinnlichkeit als die Sinnlichkeit in der verderbten Natur über die Vernunft hat. Doch in der verderbten Natur zieht die Sinnlichkeit die Vernunft nach sich. Folglich zog die Vernunft in Christus, dessen menschliche Natur eine vollständige Vernunft hatte, die Sinnlichkeit sehr viel stärker nach sich. Deshalb nahm die Sinnlichkeit an der Freude des Genusses teil, welche sich in der Vernunft befand. Daraus ist zu ersehen, daß die Seele Christi den Schmerz vollständig erfahren hatte. 12. Eine Schwäche, die man sich [tatsächlich] zugezogen hat, ist stärker, als eine Schwäche, die nur angenommen wird. Daher ist die Vereinigung in der Person [Gottes] besser als die Vereinigung durch Gnade. Doch die drei Jünglinge, die sich die Schwäche zugezogen hatten, vereinigten sich mit Gott durch seine Gnade, weswegen ihre Körper vom Feuer kein Leid erfahren konnten.164 Aus besserem Grund wurde die Vernunft Christi, der nur eine angenommene Schwäche hatte, durch die Vereinigung in der Person des Wort Gottes und durch ihren Genuß vor dem Schmerz des Leidens bewahrt. 13. Die Freude des Genusses in der höheren Vernunft ergibt sich durch eine Hinwendung zu Gott, der Schmerz des Leidens aber durch eine Hinwendung zum Körper. Da die Vernunft aber einfach ist, kann sie sich nicht zugleich Gott und dem Körper zuwenden, denn was einfach ist, wendet sich in seiner Ganzheit der Sache zu, der es sich zuwendet. Folglich konnte es in der höheren Vernunft

163 Aristoteles, Metaph. IV, 7; 1006 b 10. 164 Hier handelt es sich um Schadrach, Meschach und Abed-Nego, die

von Nebukadnezar dem Feuer übergeben wurden; Dan. III, 19 ff.

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Christi nicht gleichzeitig die Freude des Genusses und den Schmerz des Leidens geben. 14. Es wurde eingewandt: Christus befand sich in einem zweifachen Zustand, nämlich dem des Pilgers und des am Ziel Angekommenen.165 Beiden Zuständen gemäß konnte er zugleich die Freude des Genusses und den Schmerz des Leidens haben. – Dagegen spricht: Der zweifache Zustand Christi wird weder durch einen Gegensatz beseitigt, der sich zwischen Freude und Schmerz befindet, noch wird er durch den Gegenstand der Freude und des Schmerzes unterschieden. Gegensätze können sich nicht im selben Gegenstand befinden und folglich bedeutet der zweifache Zustand Christi nicht, daß es in ihm hinsichtlich der höheren Vernunft zugleich Schmerz und Freude geben konnte. 15. Der Zustand des Pilgers und des am Ziel Angekommenen ist entweder gegensätzlich oder er ist es nicht. Wenn er gegensätzlich ist, kann er sich nicht zugleich in Christus befinden. Wenn er aber nicht gegensätzlich ist, dann scheint es, weil ja Gegensätzliches die Ursache von Gegensätzlichem ist, daß der zweifache Zustand nicht die Ursache sein kann, der zufolge Christus zugleich Freude und Schmerz, welche gegensätzlich sind, haben konnte. 16. Wenn sich ein Vermögen auf seine Tätigkeit richtet, dann wendet es sich von einer anderen Tätigkeit ab. Dies ist sehr viel ausgeprägter, wenn die Tätigkeit eines Vermögens heftig ist und es von einer anderen abläßt. Doch in der höheren Vernunft gab es heftige Freuden und folglich ließ sie vollkommen vom Schmerz ab. 17. Es wurde eingewandt, der Schmerz sei hinsichtlich der Freude materieller Natur gewesen, weswegen der Schmerz von der Freude nicht gehemmt wurde. – Dagegen spricht: Der Schmerz gehörte zum Leiden des Körpers und die Freude zur Schau Gottes. Folglich war der Schmerz des Leidens hinsichtlich der Freude des Genusses nicht materieller Natur. Deshalb konnte es nicht zugleich Schmerz und Freude in der höheren Vernunft Christi geben.

165 Wörtlich wird hier viator als Pilger übersetzt und comprehensor als ein am Ziel Angekommener.

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Dagegen spricht: 1. Dem Verhältnis der Ursachen entspricht das Verhältnis der Wirkungen. Doch die Vereinigung der Seele Christi mit dem Körper war die Ursache des Schmerzes; die Vereinigung mit dem Göttlichen war aber die Ursache der Freude. Diese beiden Vereinigungen behindern sich allerdings nicht gegenseitig und folglich behindern sich Schmerz und Freude nicht. 2. In einem und demselben Augenblick war Christus sowohl Pilger als auch am Ziel Angekommener. Folglich besaß er diejenigen Merkmale, die dem Pilger und dem am Ziel Angekommenen zukommen. Doch es kommt dem am Ziel Angekommenen zu, sich aufgrund des göttlichen Genusses intensiv zu freuen, dem Pilger aber kommt es zu, körperlichen Schmerzen zu empfinden. Folglich gab es in Christus zugleich den Schmerz des Leidens und die Freude des Genusses. Antwort: In Christus behinderten sich die beiden erwähnten Affekte, nämlich die Freude des Genusses und der Schmerz des körperlichen Leidens, auf keine Weise. Um dies zu verdeutlichen, hat man hinsichtlich der Naturordnung zur Kenntnis zu nehmen, daß die höheren und niederen Kräfte und auch die Körper und die Seele wegen des Überflusses eines dieser Bestandteile aufeinander überfließen, weil die Seelenkräfte in einem Wesen vereinigt wird und weil Seele und Körper in einem Kompositum existieren. Aus diesem Grund wird der Körper durch eine Erkenntnis der Seele verändert, indem er warm oder kalt wird. Gelegentlich geschieht dies auch in Hinblick auf Gesundheit oder Krankheit und sogar den Tod. Bei einigen kommt es vor, daß Freude, Trauer oder Liebe den Tod hervorrufen. Daher kommt es, daß die Herrlichkeit der Seele auf den zu verherrlichenden Körper übergeht, wie die erwähnte Textstelle bei Augustinus zeigt.166 Umgekehrt verhält es sich ähnlich, [nämlich] daß die Veränderung des Körpers auf die Seele übergeht. Die mit dem Körper verbundene Seele gleicht sich seiner Verfassung durch Gedankenlosigkeit oder Gelehrigkeit und dergleichen an, wie es im Buch 166 Vgl. De ver. q. 26 a. 8.

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der sechs Prinzipien heißt.167 Ebenso gehen die höheren Kräfte auf die niederen über, worauf auf heftigen Willensbewegungen ein Affekt im sinnlichen Strebevermögen folgt; ebenso werden die Kräfte der Seele durch eine intensive Erkenntnis an ihren Handlungen behindert oder von ihnen abgehalten. Umgekehrt gehen die niederen Kräfte auf die höheren über, indem die heftigen Affekte, die es im sinnlichen Strebevermögen gibt, die Vernunft benebeln, so daß sie gewissermaßen das für schlechthin gut hält, was Affekte im Menschen erzeugt. Bei Christus ist dies anders, denn durch die göttliche Kraft des Wortes wurde die Naturordnung seinem Willen untergeordnet. Deshalb konnte er bewirken, daß die Seele nicht auf den Körper überfließt und umgekehrt. Ebenso konnten die höheren Vermögen auf die niederen übergehen und umgekehrt, da die Kraft des Wortes dies bewirkte, damit sich die Wahrhaftigkeit der menschlichen Natur hinsichtlich ihrer Einzelbestandteile bestätige und damit das Geheimnis unserer Wiederherstellung in seiner Gesamtheit erfüllt werde. Daher sagt Johannes von Damaskus im 3. Buch: »Er wurde in Übereinstimmung mit den Folgen der Natur bewegt, weil das Wort es wollte und erlaubte, daß es alles ihm Eigene erlitt und tat, damit die gesamte Natur die Wahrheit glaube«.168 Deshalb ist Folgendes offensichtlich: Da die höchste Freude sich auch in der höheren Vernunft befindet, sofern die Seele durch deren Tätigkeit in den Genuß Gottes kommt, hatte die Freude selbst in der Vernunft Bestand und ging nicht auf die niederen Seelenkräfte und den Körper über. Andernfalls hätte es darin [d. h. in den niederen Seelenkräften und im Körper Christi] keinen Schmerz und kein Leid geben können. Deshalb reicht die Wirkung des Genusses nicht bis an das Wesen der Seele, weder sofern sie Form des Körpers noch sofern sie Wurzel der niederen Kräfte ist. So nämlich wäre sie bis zum Körper und die niederen Kräfte gelangt, wie es bei den Seligen nach der Wiederauferstehung der Fall ist. Umgekehrt konnte auch der Schmerz, der aufgrund einer Verletzung des Körpers sowohl im Körper als auch 167 Anonymus, Liber sex principiorum, IV (ed. Minio-Paluello, 44 f.). 168 Johannes Damascenus, De fide orth. III, 15 (PG 94, 1060; ed. Buy-

taert, 240).

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in der Seele war, insofern sie Form des Körpers ist, nicht bis an die höhere Vernunft reichen, deren Tätigkeit Gott zugewandt war, so daß sie dadurch irgendwie an dieser Hinwendung hätte behindert werden können. Es ergibt sich also, daß der Schmerz bis an die höhere Vernunft reichte, weil sie im Wesen der Seele wurzelt. In ihr gab es die höchste Freude, insofern sie durch ihre Tätigkeit in den Genuß Gottes kam. Deshalb entsprach die Freude im Wesentlichen aufgrund der ihr eigenen Tätigkeit der höheren Vernunft; auf Grundlage des Wesens der Seele, in der sie wurzelt, entsprach ihr der Schmerz gewissermaßen in einem akzidentellen Sinn. Zu 1. So wie Gott das Gut und das Leben der Seele ist, so ist die Seele das Gut und das Leben des Körpers. Umgekehrt ist aber der Körper nicht das Gut der Seele. Die Leidensfähigkeit ist nämlich ein gewisses Hindernis oder Nachteil hinsichtlich der Vereinigung der Seele mit dem Körper. Daher kann der Körper nicht selig werden, solange er seiner Art gemäß leidensfähig ist, daß heißt, solange er daran gehindert wird, an seinem Gut teilzuhaben. Aus diesem Grund gehört die Empfindungslosigkeit zur Herrlichkeit des Körpers. Die Glückseligkeit der Seele aber besteht in ihrer Ganzheit in ihrem Gut, Gott nämlich. Daher ist die Seele, die in den Genuß Gottes kommt, vollkommen selig, auch dann, wenn es ihr zukommt, teilweise Affekte zu erleiden, die mit dem Körper vereint sind, wie es bei Christus der Fall war. Zu 2. Daß die heftige Freude jede Trauer, auch die nicht entgegengesetzte, vertreibt, ergibt sich aus dem gegenseitigen Einfluß der Kräfte untereinander, den es bei Christus, wie gesagt, nicht gab. Aus dem Grund der Intensität der Kontemplation ergibt sich, daß die niederen Kräfte des Paulus mit seinen Handlungen nichts zu tun hatten. Zu 3. Daraus ergibt sich die Antwort zum dritten Argument. Zu 4. Aus diesem Grund ergibt sich aus der Tätigkeit der Seele eine gewisse Veränderung der Körpers, womit das vierte Argument beantwortet wird. Zu 5. Daraus ergibt sich, daß Moses aufgrund der Kontemplation Hunger und Durst überhaupt nicht oder nur wenig erlitt, obwohl er

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Gott lediglich in der [von ihm] abhängigen Schöpfung sah. Hieraus ergibt sich die Antwort auf das fünfte Argument. Zu 6. In Christus gab es keine Vermischung von Freude und Schmerz, denn die Freude befand sich in dem Teil, der das Prinzip ihrer Tätigkeit ist, in der höheren Vernunft nämlich. Auf diese Weise war er im Genuß Gottes. Der Schmerz aber befand sich in ihr nur, weil er sich auf eine körperliche Verletzung bezog, insofern er ein der durch ein Wesen vermittelter Akt des Körpers ist, in welchem er wurzelt. Dementsprechend wurde die Tätigkeit der höheren Vernunft keinesfalls unterbunden. Und so handelte es sich um reine Freude und reinen Schmerz und beide waren in höchstem Maß vorhanden. Zu 7. Durch eine gewisse Anordnung geschah es, daß Christus, von seiner Empfängnis an, die Herrlichkeit der Seele, nicht aber die des Körpers, zukam. Dies ist so, wie wenn die Seele in ihrer Herrlichkeit in Einklang mit Gott gebracht würde, der Körper aber wegen seiner Leidensfähigkeit eine Ähnlichkeit zu uns aufweisen würde. Mithin wäre sie die angemessene Vermittlerin zwischen Gott und den Menschen, indem sie uns der Herrlichkeit Gottes zuführt und Gott ihr Leiden unsererseits darbietet, wie in Hebr. 2, 10 gesagt wird: »Denn es war angemessen, daß er, der viele Söhne zur Herrlichkeit führen wollte, durch das Leiden vollendet werde«. Zu 8. Die Seele Christi war auf zweifache Weise mit dem Wort verbunden. Zum einen durch den Akt des Genusses. Aufgrund dieser Vereinigung wird sie selig. Zum anderen aufgrund der Vereinigung, die den Aspekt der Seligkeit zwar nicht beinhaltet, aus der sich aber ergibt, daß sie [die Seele Christi] die Seele Gottes ist. Wenn aber angenommen wird, die Seele existiere ohne Genuß in der Einheit der Person, so wäre sie nicht im eigentlichen Sinn selig, denn Gott selbst ist nur dann selig, wenn er sich selbst genießt. Daraus folgt, daß der Körper Christi nicht deshalb herrlich ist, weil er als Sohn Gottes zur Einheit der Person gehört, sondern nur deshalb, weil von der Seele die Herrlichkeit auf ihn niedergeht, schließlich war er in seinem Leiden nicht herrlich. Zu 9. Es ist an sich unmöglich, daß zwei Gegensätze in derselben Sache existieren. Es kommt aber vor, daß in derselben Sache entgegengesetzte Bewegungen auftreten, so daß ihr eine Bewegung

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wesentlich und eine andere akzidentellerweise zukommt. Dies ist so, wie wenn jemand auf einem Schiff in die entgegengesetzte Richtung geht, in die das Schiff sich bewegt. Derart war in der höheren Vernunft Christi die Freude wesentlich, während der Schmerz aufgrund des körperlichen Leidens akzidentellerweise dort existierte. Man kann also sagen, jene Freude und jener Schmerz seien nicht gegensätzlich, da sie sich nicht in derselben Sache befanden. Zu 10. Der Intellekt kann nicht zugleich vieles vermittels unterschiedlicher Erkenntnisinhalte erkennen. Er kann aber vieles aufgrund eines Erkenntnisinhalts erkennen oder auf irgendeine andere Weise vieles als eines erkennen. Auf diese Weise erkennt der Intellekt in der Seele Christi und aller Seligen vieles zugleich, insofern er durch die Schau des göttlichen Wesens anderes erkennt. Gesetzt aber, die Seele Christi könne zugleich nur eines erkennen, so würde dies nicht bedeuten, daß sie nur eine Sache erkennen und zugleich etwas anderes körperlich empfinden könne. Aus diesen beiden Erkenntnisweisen in der Seele Christi folgten der Genuß der Freude aus der Schau Gottes und der Schmerz des Leidens aus der Empfindung des Abträglichen. Wenn man wiederum annimmt, er könne nicht zugleich etwas erkennen und etwas anderes empfinden oder vorstellen, dann könnte eine erkannte Sache auf unterschiedliche Weise das höhere und das niedere Strebevermögen affizieren, so daß im höheren Freude wäre und im niederen Furcht oder Schmerz. Dies ist der Fall, wenn jemand aufgrund einer scheußlichen Medizin erhofft, die Gesundheit zu erlangen. Denn die Medizin, die von der Vernunft unter dem Gesichtspunkt der Gesundheit betrachtet wird, bringt im Willen Freude hervor; der Gesichtspunkt ihrer Scheußlichkeit aber ruft im niederen Strebevermögen Furcht hervor. Zu 11. Diese Vernunft nimmt ihren üblichen Lauf. In Christus aber war sie besonderer Art, so daß kein Vermögen auf ein anderes überfließen konnte. Zu 12. Der Körper der Jünglinge wurde im Feuerofen nicht empfindungslos gemacht. Doch durch göttliches Wirken geschah das Wunder, daß die leidensfähigen Körper vom Feuer nicht versehrt wurden. Auch hätte das göttliche Wirken es vollbringen können, daß weder die Seele Christi noch sein Körper litten. Weshalb dies nicht geschah, wurde nicht gesagt.

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Zu 13. Die Hinwendung eines Vermögens auf etwas geschieht durch seinen Akt und deshalb befand sich die Freude in der höheren Vernunft aufgrund der Hinwendung zu Gott, dem sie sich vollständig zuwandte. Der Schmerz aber ergab sich in der höheren Vernunft durch Anheften oder Anhängen, wodurch er dem Wesen der Seele, gleichsam als seiner Wurzel angeheftet wurde. Zu 14. Der Zustand des Pilgers ist ein Zustand der Unvollkommenheit, während der Zustand des am Ziel Angekommenen ein Zustand der Vollkommenheit ist. Demzufolge war Christus dem Zustand des Pilgers verhaftet, in welchem er und ebenso seine Seele an seinem wandelbaren Körper trugen. Dem Zustand des am Ziel Angekommenen gemäß genoß er Gott durch einen Akt der höheren Vernunft. Dies konnte bei Christus deshalb der Fall sein, weil, wie schon gesagt, das Überfließen eines Zustands auf einen anderen durch Gottes Wirken verhindert wurde. Dies ist also die Ursache, weswegen es in ihm zugleich Freude und Trauer geben konnte. Deshalb kann man sagen, daß es in ihm diese beiden Affekte gemäß beider Zustände gab, denn er befand sich in beiden Zuständen und konnte zugleich Schmerz und Freude, die aus derselben Ursache kamen, erleiden. Zu 15. Obwohl die Zustände des Pilgers und des am Ziel Angekommenen gewissermaßen gegensätzlich sind, konnten sie dennoch zugleich in Christus sein, zwar nicht in Bezug auf dasselbe, sondern auf Unterschiedliches. Ihm war der Zustand des am Ziel Angekommenen eigen, insofern er hinsichtlich der höheren Vernunft durch den Genuß Gott angegliedert wurde. Ihm war aber der Zustand des Pilgers eigen, insofern er durch eine gewisse natürliche Vereinigung sowohl der veränderbaren Seele des Körpers als auch der höheren Vernunft der Seele angegliedert wurde. So wie der Zustand des am Ziel Angekommenen zur Tätigkeit der höheren Vernunft gehörte, so gehörte der Zustand des Pilgers zum veränderbaren Körper und zu den Dingen, die ihm entstammten. Zu 16. Auf Christus trifft das Argument in besonderem Maß zu, daß, wie sehr sich auch ein Vermögen auf seine Tätigkeit richtet, so wendet sich ein anderes von seiner Tätigkeit keinesfalls ab. Dementsprechend wird die Freude der höheren Vernunft durch den Schmerz, der sich in den Sinnen gemäß der Sinnestätigkeit befindet,

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nicht verhindert. Auch wird sie nicht durch den in der höheren Vernunft befindlichen Schmerz verhindert, denn dieser Schmerz war in ihr nicht aktualisiert, sondern betraf sie irgendwie, insofern der Schmerz im Wesen der Seele begründet war. Zu 17. So wie die selige Erkenntnis hauptsächlich das göttliche Wesen betrifft und in nachgeordneter Weise die Dinge, die im göttlichen Wesen erkannt werden, so bezieht sich der Affekt und die Freude der Seligen hauptsächlich auf Gott und in nachgeordneter Weise auf die Dinge, aufgrund derer man sich über Gott zu freuen hat. Dementsprechend konnte das Schmerzensleid hinsichtlich der Freude des Genusses irgendwie materieller Art sein. Jene Freude bezog sich nämlich hauptsächlich auf Gott und in nachgeordneter Weise auf die Dinge, die Gott gefällig waren. Ähnlich verhält es sich mit dem Schmerz, insofern er von Gott hingenommen wurde, weil er dem Heil des Menschengeschlechts zugeordnet war.

XXVII. ÜBER DIE GNADE

Die hier behandelten Fragen lauten: 1. Ist Gnade etwas positiv Geschaffenes in der Seele? 2. Ist die heiligmachende Gnade dasselbe wie die Liebe? 3. Kann irgendein Geschöpf die Ursache der Gnade sein? 4. Sind die Sakramente des Neuen Bundes die Ursache der Gnade? 5. Ist in einem Menschen nur eine heiligmachende Gnade? 6. Ist die Gnade im Wesen der Seele wie in einem Träger? 7. Ist die Gnade in den Sakramenten?

1. Artik el Die Frage handelt von der Gnade. Die erste Frage lautet: Ist die Gnade etwas positiv Geschaffenes in der Seele?1 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Nach Augustinus gilt: »wie die Seele das Leben des Körpers ist, so ist Gott das Leben der Seele«.2 Die Seele aber ist das Leben des Körpers durch keine andere vermittelnde Form; folglich ist es auch Gott in gleicher Weise für die Seele. So ist auch das Leben, das durch die Gnade gegeben ist, nicht durch irgendeine geschaffene Form, die in der Seele vorhanden ist. 2. Die heiligmachende Gnade3, über die wir sprechen, scheint nichts anderes als dasjenige zu sein, gemäß dem der Mensch Gott wohlgefällig ist; man sagt aber, daß ein Mensch Gott wohlgefällig 1 Paralleltexte: Sent. II, d. 26, q. 1, a. 1 (I, d. 17, q. 1, a. 1). Sum. theol. I-II, q. 110, a. 1. ScG III, 150. 2 Vgl. Augustinus, Enarr. in Ps. 70,17 (CCSL 39, 962, 58 f.); Sermo 62, c. 1 (PL 38, 415); Sermo 65, c. 4 (PL 38, 428), Sermo 161, c. 6 (PL 38, 881), Sermo 180, c. 7 (PL 38, 976), Sermo 273, c. 1 (PL 38, 1247); vgl. auch De civ. Dei XIII, 2 (CCSL 48, 386, 26 ff.) u. XIX, 26 (696, 1f.). 3 Zur Unterscheidung der Gnadenarten vgl. unten die Antwort; ferner: ScG III, c. 150 u. 154.

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ist, sofern er von Gott angenommen worden ist. Ein Angenommener wird aber jemand genannt aufgrund der Annahme Gottes4, welche freilich in Gott selbst ist, wie man auch sagt, daß jemand vom Menschen nicht durch etwas angenommen wurde, das im Angenommenen ist, sondern durch die Annahme, welche im Annehmenden ist. Folglich setzt die Gnade nichts im Menschen, sondern nur etwas in Gott. 3. Durch das geistliche Sein der Gnade kommen wir Gott näher als durch das natürliche Sein. Das natürliche Sein in uns hat Gott aber durch keine andere vermittelnde Ursache gewirkt, weil er uns unmittelbar erschaffen hat. Folglich wirkt er auch das umsonst gegebene geistliche Sein5 in uns durch nichts anderes Vermittelndes. So folgt dasselbe wie im ersten Fall. 4. Die Gnade ist eine gewisse Gesundheit der Seele.6 Gesundheit scheint aber im Gesunden nichts anderes zu setzen als die Ausgewogenheit seiner Körpersäfte selbst.7 Folglich setzt die Gnade auch nicht eine Form in der Seele, sondern bedingt, daß die Seelenkräfte8 durch ihre Entsprechung mit der Gerechtigkeit ausgewogen sind. 5. Die Gnade scheint nichts anderes zu sein als eine gewisse Freigebigkeit: umsonst zu geben nämlich scheint dasselbe zu bedeuten, wie freigebig zu geben.9 Die Freiheit aber ist nicht im Empfangenden, 4 Übersetzung für acceptatio Dei. Vgl. unten die Antwort u. Sent. II, d. 26, q. 1, a. 1 arg. 1–2 u. ad 1. Sie umfaßt zwei Aspekte: das Wohlgefällige, das der Annahme wert ist (homo) und den Willen dessen, der daran sein Wohlgefallen findet (Deus). Zum biblischen Sprachgebrauch: 1 Tim. 2, 3; 2 Kor. 8, 12, Röm. 2, 11; 15, 16 o. 1 Petr. 1, 17. 5 Übersetzung für esse gratuitum spirituale (Gegenbegriff: esse naturale). Das Sein der Gnade ist »geistlich« (esse spirituale gratiae); vgl. dazu Röm. 4, 16; 5, 5; 8, 9; 1 Kor. 2, 15; 3, 16; 6,14 o. 2 Kor. 5, 17. 6 Vgl. Alexander Halensis, Glossa in lib. Sent. II., d. 26, nota 2, ed. Quar., 243. 7 Vgl. Avicenna, Canon medic. I, fen I, doctr. 4, c. 1 (Venetiis 1527); Averroes, Metaph. V, comm. 25 (ed. Arist. lat., VIII, 133H); Maimonides, Dux neutr. III, c. 11 (ed. Weiß, 48). 8 Übersetzung für potentiae animae. Das heißt: die Seelenvermögen »Gedächtnis« (memoria), »Verstand« (intellectus) und »Willen« (voluntas); vgl. dazu De ver. q. 10 (Über den Geist); bes. a. 1 ad 3. 9 Übersetzung für gratis dare – liberaliter dare (»aus freien Stücken«).

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sondern im Gebenden. Folglich ist die Gnade in Gott, der uns seine Güter gibt, nicht aber in uns. 6. Kein Geschöpf ist edler als die Seele Christi. Die Gnade aber ist edler als diese, weil durch die Gnade die Seele Christi geadelt wird. Folglich ist die Gnade nicht etwas Geschaffenes in der Seele. 7. Wie sich die Wahrheit zum Verstand verhält, so die Gnade zum Streben.10 Nach Anselm aber ist es eine einzige Wahrheit, die ein jeder Verstand erkennt.11 Folglich ist es auch eine einzige Gnade, durch die ein jedes Streben vollendet wird. Nicht aber kann ein einzelnes Geschaffenes in vielen sein. Folglich ist die Gnade nicht etwas Geschaffenes. 8. Nichts ist in einer Gattung, außer ein Zusammengesetztes.12 Die Gnade aber ist nicht zusammengesetzt, sondern eine einfache Form. Folglich ist sie nicht in einer Gattung. Jedes Geschaffene aber ist in irgendeiner Gattung, daher ist die Gnade nicht etwas Geschaffenes. 9. Wenn die Gnade etwas Geschaffenes in der Seele ist, scheint sie nichts als ein Habitus zu sein. »Drei Dinge sind in der Seele« nach Aristoteles im 2. Buch der Ethik13, nämlich »Vermögen, Habitus und Erleiden«. Die Gnade aber ist nicht ein Vermögen, weil sie sonst naturhaft wäre. Noch ist sie ein Erleiden, weil sie sich sonst hauptsächlich auf den vernunftslosen Teil der Seele bezöge. Weiterhin ist sie aber nicht ein Habitus, denn nach Aristoteles in den Kategorien14 ist ein Habitus eine schwer bewegbare Eigenschaft. Die Gnade aber 10 Übersetzung für affectus (Gemüt, Strebevermögen). Das sinnenhaftes Streben und geistige Streben als Bewegung des Willens sind zu unterscheiden; vgl. Sum. theol. I-II, q. 24, a. 2 c.a. (motus voluntatis in intellectivo). 11 Vgl. Anselm von Canterbury, De veritate, c. 13 (Opera omnia I, ed. Schmitt, 196, 30 ff.); vgl. auch De ver., q. 1, a. 4 arg. 1/ad 1. 12 Übersetzung für compositum. Jede geschaffene Substanz ist »zusammengesetzt«. Das heißt, wird durch metaphysische Koprinzipien konstituiert, nämlich Materie und Form (forma dat esse) bzw. Sein und Wesen (distinctio realis); vgl. unten ad 8. 13 Übersetzung für potentia – habitus – passio. Vgl. Aristoteles, Eth. Nic. II, c. 4; 1105 b 20, sec. transl. Lincolniensis (ed. Gauthier, 168). 14 Aristoteles, Cat., c. 8; 9 a 4, zit. bei Petrus Hispanus, Summulae lo-

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wird sehr leicht entfernt, nämlich durch einen einzigen Akt der Todsünde. Folglich ist die Gnade nicht etwas Geschaffenes in der Seele. 10. Nach Augustinus15 tritt zwischen unsere Seele und Gott nichts Geschaffenes als Mittel. Die Gnade aber tritt zwischen unsere Seele und Gott als Mittel, weil durch die Gnade unsere Seele mit Gott vereinigt wird. Folglich ist die Gnade nicht etwas Geschaffenes. 11. Der Mensch ist edler und vollkommener als die anderen Geschöpfe. Den anderen Geschöpfen aber wurde nicht etwas über ihre natürliche Ausstattung hinaus beigefügt, damit sie von Gott angenommen werden; weil sie doch von Gott gebilligt wurden nach dem Wort in Gen. 1, 31 »Gott sah alles, was er gemacht hatte, und es war sehr gut.« Folglich wird dem Menschen nicht etwas zu seiner natürlichen Ausstattung hinzugefügt16, aufgrund dessen er von Gott angenommen genannt wird. Daher ist die Gnade nicht etwas positiv Geschaffenes in der Seele. Dagegen spricht: 1. Die Glosse17 sagt über das Psalmwort »Damit er das Gesicht mit Öl erfreue«18 die Gnade sei ein gewisser Glanz der Seele, der die heilige Liebe erwirkt. Ein Glanz aber ist etwas Positives in der Seele, das geschaffen wurde; folglich auch die Gnade. 2. Man sagt, daß Gott durch die Gnade auf eine besondere Weise in den Heiligen sei, was sie von anderen Geschöpfen unterscheidet. Aber man sagt nicht, daß Gott auf eine neue Weise in irgendeinem Geschöpf ist, es sei denn aufgrund irgendeiner Wirkung. Folglich ist die Gnade eine Wirkung Gottes in der Seele. gicales, tr. 3, n. 21 (ed. de Rijk 1972, 36, z. 20: »habitus est qualitas difficile mobilis«). 15 Vgl. Augustinus, De trin. III, 8, 14 (CCSL 50, 141, 76 ff.); De ver. rel. 55, 113 (CCSL 32, 259, 124 f.). 16 Übersetzung für superadditur ad sua naturalia. Für Thomas sind Schöpfungs- und Gnadenordnung aufeinander bezogen, wohl aber auch unterschieden. Schöpfung als solche impliziert nicht notwendig die Gnadengabe (superadditum). 17 Vgl. Glossa Petri Lomb. (PL 191, 936 A), nach Augustinus, Enarr. in Ps. 103, 13 (CCSL 40, 1512, 3). 18 Vgl. Ps. 104 (103), 15.

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3. Johannes von Damaskus19 sagt, daß die Gnade eine Ergötzung der Seele ist. Eine Ergötzung aber ist etwas Geschaffenes in der Seele; folglich auch die Gnade. 4. Jede Tätigkeit stammt von einer Form, die verdienstliche Tätigkeit20 aber von der Gnade. Folglich ist die Gnade eine Form in der Seele. Antwort: Das Wort »Gnade« wird gewöhnlich zweifach aufgefaßt: Einmal für etwas, das umsonst gegeben wird, wie wir gewohnt sind zu sagen: »Ich erweise dir diese Gunst.« Ferner für eine Annahme, durch die jemand von einem anderen angenommenen wird, so wie wir sagen: »Dieser hat die Gnade des Königs, weil er dem König wohlgefällig ist.« Diese zwei Bedeutungen stehen in Beziehung zueinander: Es wird nämlich nur etwas umsonst gegeben, weil derjenige, dem gegeben wird, auf irgendeine Weise wohlgefällig ist. So sprechen wir auch hinsichtlich der göttlichen Dinge von einer zweifachen Gnade. Die eine wird umsonst gegebene Gnade21 genannt, wie etwa die Gabe der Prophetie und der Weisheit und dergleichen. Über diese wird hier nicht gehandelt, weil feststeht, daß solche Gaben etwas Geschaffenes in der Seele sind. Die andere Gnade aber wird heiligmachende Gnade22 genannt, nach der ein Mensch Gott wohlgefällig genannt wird; über diese 19 Vgl. etwa Alexander Halensis, Glossa in lib. Sent. II, d. 26, nota 1, ed. Quar., 243; die Damascenus-Stelle ist nicht nachweisbar. 20 Übersetzung für actio meritoria. 21 Übersetzung für gratia gratis data (»frei gewährte Gnade«); vgl. unten a. 5 c. Zur Gnadengabe der »Charismen«: Sum. theol. II-II, q. 171– 177. Die sogenannten Gnadengaben (dona Spiritus Sancti) haben das Ziel, den Gerechtfertigten in seiner Grundverbundenheit mit Gott – was durch die heiligmachende Gnade geschieht – unmittelbarer für den Antrieb des Geistes empfänglich zu machen (Sum. theol. I-II, q. 68, a. 2 c.a.). 22 Übersetzung für gratia gratum faciens (»wohlgefällig machende Gnade«); vgl. Eph. 1, 6 u. Röm. 11, 6. Sie wird auch »Rechtfertigungsgnade« genannt (gratia iustificans); vgl. etwa: Sum. theol. I-II, q. 113, a. 3 c.; unten q. 28, a. 3 arg. 2; ferner a. 4 c: »Causa iustificationis Deus est«.

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sprechen wir nun. Daß diese Gnade etwas in Gott zu setzen vermag, ist offensichtlich: Sie setzt nämlich den Akt des göttlichen Willens, der diesen Menschen annimmt. Ob diese aber etwas in dem angenommenen Menschen setzt, war für manche zweifelhaft; da einige23 behaupten, daß solch eine Gnade nichts Geschaffenes in der Seele sei, sondern allein in Gott. Dies ist aber nicht haltbar. Denn daß Gott jemanden annimmt oder liebt, was dasselbe ist, besagt nichts anderes, als daß er irgendein Gut für ihn will. Gott aber will für alle Geschöpfe das Gut der Natur. Deswegen heißt es, daß er alles liebe; etwa Weish. 11, 25: »Du liebst alles, was ist« usw.; und daß er alles gutheiße; etwa Gen. 1, 31: »Gott sah alles, was er gemacht hatte« usw. Aufgrund einer solchen Annahme sind wir aber nicht gewohnt zu sagen, jemand besitze die Gnade Gottes, sondern insofern Gott für ihn ein übernatürliches Gut will, was das ewige Leben ist, wie es in Jes. 64, 4 heißt: »Kein Auge hat es gesehen, Gott, außer dir, was du denen bereitet hast, die dich lieben«24; daher auch in Röm. 6, 23 »Die Gnade Gottes ist ewiges Leben.« Dieses Gut will Gott jedoch nicht für einen Unwürdigen. Von seiner Natur her ist der Mensch aber eines so großen Gutes nicht würdig, da es übernatürlich ist; und gerade deshalb wird aufgrund dessen, daß jemand Gott wohlgefällig in Hinblick auf dieses Gut gemacht wird, behauptet, daß in ihm etwas ist, durch das er eines solchen Gutes über seine natürliche Ausstattung25 hinaus würdig sei. 23 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. I, d. 17, c. 1 nach Thomas, Sent. I, d. 17, q. 1, a. 1: »der Heilige Geist selbst ist die Liebe bzw. Nächstenliebe, durch die wir Gott und den Nächsten lieben« (ed. Coll. S. Bon. I/2, 142, 9–11); vgl. auch: Chart. Univ. Paris I, n. 194 (ed. Denifle / Chatelain, 220); bes. Sum. theol. II-II, q. 23, a. 2: Ist die Liebe etwas Geschaffenes in der Seele? Zum neutestamentlichen Kontext: Röm. 8, 23–29; bes. 1 Joh. 4, 7–21: »Deus caritas est« (16b). 24 Jes. 64, 4 nach Glossa Petri Lombardi. super I Cor 2, 9 (PL 191, 1551 A); vgl. auch Petrus Lombardus, Sent. I, d. 35, c. 4 (ed. Coll. S. Bon. I/2, 255, 11f.). 25 Übersetzung für sua naturalia. Die Gnade ist gerade dadurch »Gnade«, daß sie gänzlich ungeschuldet ist. Das heißt: Geschenkcharakter und

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Dies bewegt freilich nicht den göttlichen Willen, um den Menschen auf jenes Gut hinzuordnen, sondern vielmehr umgekehrt: aufgrund dessen, daß Gott durch seinen Willen jemanden auf das ewige Leben hinordnet, verleiht er ihm etwas, durch das er des ewigen Lebens würdig sei. Dies ist es, was in Kol. 1, 12 gesagt wird: »Er hat uns würdig gemacht, Anteil zu haben an den Heiligen im Licht.« Der Grund dafür liegt darin, daß, wie das Wissen Gottes die Ursache der Dinge ist26 und nicht von den Dingen verursacht wie das unsrige Wissen, so auch sein Wille der Bewirker des Guten ist, nicht aber verursacht vom Guten wie der unsrige Wille. Folglich sagt man auch von einem Menschen, er besitze die Gnade Gottes nicht nur aufgrund dessen, daß er von Gott in Hinblick auf das ewigen Leben geliebt wird, sondern weil ihm eine Gabe geschenkt wird, durch welche er des ewigen Lebens würdig ist, und diese Gabe wird heiligmachende Gnade genannt. Denn sonst könnte auch von einem, der in Todsünde lebt, gesagt werden, daß er in der Gnade sei, wenn die Gnade nur die göttliche Annahme bezeichnete, da es ja vorkommt, daß ein Sünder im voraus dazu bestimmt ist, das ewige Leben zu besitzen.27 Folglich kann die heiligmachende Gnade auch umsonst gegebene Gnade genannt werden, aber nicht umgekehrt, da nicht jede umsonst gegebene Gabe uns des ewigen Lebens würdig macht. Zu 1. Die Seele ist die Formursache des körperlichen Lebens; von daher belebt sie den Körper durch keine vermittelnde Form. Gott belebt die Seele aber nicht wie eine Formursache, sondern wie eine Wirkursache; weswegen eine mittlere Form dazwischen tritt, wie etwa der Maler die Wand auf wirkursächliche Weise mittels der Ungeschuldetheit bedingen sich gegenseitig. Zur gnadenhaften Vergöttlichung des Menschen durch Teilhabe (participatio): Sum. theol. I, q. 43, a. 5 ad 2; vgl. unten a. 6 c (in fine); Vgl. dazu 2 Petr. 1, 4: »damit ihr an der göttlichen Natur Anteil erhaltet.« (efficiamini divinae consortes naturae). 26 Vgl. Thomas, De ver. q. 2, a. 14 (Sum. theol. I, q. 14, a. 8). 27 Zur Prädestinationslehre: De ver. q. 6, a. 1–6; bes. a. 3 arg. 7 u. ad 7; vgl. auch Sum. theol. I, q. 23 a. 6 ad 2.

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Weiße weiß macht, die Weiße aber ohne eine vermittelnde Form, denn sie macht auf formursächliche Weise weiß.28 Zu 2. Diejenige Annahme, die im göttlichen Willen in Hinblick auf das ewige Gut ist, bringt in dem von Gott angenommenen Menschen etwas hervor, wodurch er würdig ist, jenes Gut zu erlangen, das in einer Annahme seitens des Menschen nicht zuteil wird. Demnach ist die heiligmachende Gnade etwas Geschaffenes in der Seele. Zu 3. Gott bewirkt das natürliche Sein in uns durch die Schöpfung ohne eine vermittelnde Wirkursache, wohl aber mittels einer Formursache, denn die natürliche Form ist das Prinzip des natürlichen Seins. Ebenso bringt Gott das umsonst gegebene geistliche Sein in uns ohne ein vermittelndes Wirkprinzip29 hervor, jedoch mittels einer geschaffenen Form, was die Gnade ist.30 Zu 4. Die Gesundheit ist eine körperliche Eigenschaft, welche durch ausgeglichene Körpersäfte verursacht wird; allerdings wird sie in die erste Art der Qualität gesetzt und so geht der Beweisgrund vom Falschen aus.31 Zu 5. Aus der Freigebigkeit Gottes selbst, aufgrund deren Gott für uns das ewige Gut will, folgt, daß in uns etwas von ihm Gegebenes ist, wodurch wir jenes Gutes würdig gemacht werden. 28 Übersetzung für formaliter album facit (vgl. a. 5 ad 1). 29 Übersetzung für nullo agente mediante. 30 Übersetzung für forma creata, quod est gratia. Vgl. zum Unter-

schied von »geschaffener Gnade« (gratia creata) als dem Menschen innewohnender Heiligungs- bzw. Rechtfertigungsgnade und »ungeschaffener Gnade« als Gott selbst in seiner gnadenhaften Selbstmitteilung (gratia increata): Sent. II, d. 26, q. 1, a. 1 c.; Sent. II, d. 28, q. 1, a. 1 ad 1 o. De ver. q. 29 a. 1 arg. 1. 31 Vgl. Aristoteles, Cat., c. 8; 8 b 25–37: »Als eine Form von Beschaffenheit seien also Haben und Verfassung ausgesprochen. Es unterscheidet sich Haben von Verfassung dadurch, daß es beständiger und längerfristig ist; derartig sind die Arten von Wissen und Trefflichkeit. (…) Verfassung dagegen nennt man, was leicht veränderbar ist und schnell umschlägt, z. B. Wärme, Abkühlung und Krankheit, Gesundheit, und was alles sonst derartig ist.« (ed. Zekl, 51). »Gesundheit« (arg. 4) ist eine Verfassung, die sich schnell verändern kann, d. h. gehört zur zweiten Art der Qualität (8 b 35 ff.). Der Gnadenhabitus ist als solcher für den Gerechtfertigten nicht leicht zu verlieren (vgl. ad 9!)

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Zu 6. Kein Geschöpf ist schlechthin edler als die Seele Christi, aber in gewisser Hinsicht ist jedes Akzidens seiner Seele edler als diese, sofern man das Akzidens der Seele als deren Form gegenüberstellt. Oder es kann gesagt werden, daß die Gnade, sofern sie geschaffen ist, nicht edler als die Seele Christi ist, jedoch sofern sie ein ausdrücklicheres Abbild der göttlichen Gutheit als das natürliche Ebenbild ist, welches in der Seele Christi ist. Zu 7. Es gibt eine einzige erste ungeschaffene Wahrheit, von der jedoch die vielen Wahrheiten, gleichsam als Abbilder der ersten Wahrheit, in den geschaffenen Geistern32 verursacht werden, wie die Glosse33 über jenen Psalm sagt: »Die Wahrheiten wurden von den Söhnen der Menschen gemindert«34. Ebenso gibt es eine einzige ungeschaffene Gutheit, derer sind viele Abbilder in den geschaffenen Geistern durch Teilhabe mittels der Gnade35. Dennoch muß man wissen, daß sich die Gnade nicht auf die gleiche Weise zum Strebevermögen verhält wie die Wahrheit zum Verstand. Denn die Wahrheit verhält sich zum Verstand wie ein Gegenstand, die Gnade aber zum Strebevermögen wie eine formgebende Form36. Es kommt aber vor, daß verschiedene Dinge dasselbe Objekt haben, nicht aber dieselbe Form. Zu 8. Alles, was zur Gattung der Substanz gehört, ist in wirklicher Zusammensetzung zusammengesetzt, weil dasjenige, das zur Kategorie der Substanz gehört in seinem Sein subsistiert und weil sein Sein etwas anderes als es selbst sein muß.37 Andernfalls könnte es sich hinsichtlich des Seins nicht von anderen unterscheiden, da es 32 Das heißt: in Engeln und Menschen (in creatis mentibus). 33 Vgl. Glossa Petri Lombardi (PL 191, 155 A), nach Augustinus, Enarr.

in Ps. 11, 2 (CCSL 38, 82, 3 f.). 34 Vgl. Ps.11, 2. 35 Übersetzung für per participationem gratiae. Das Teilhabeprinzip schließt eine pantheistische Divinsierung aus. Der Begnadete bleibt Kreatur. 36 Übersetzung für forma informans. 37 Übersetzung für quod esse suum sit aliud quam ipsum. Zur Lehre vom Unterschied von Sein (esse) und Wesen (essentia), das heißt der sogenannten »Realdistinktion« (distinctio realis), in allem geschaffenem Seienden: De ente, c. 1 u. 5; De pot. q. 5, a. 4 ad 3; q. 1, a. 2 c.; De spir. creat.

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mit ihnen im Gehalt seiner Washeit38 übereinkommt, was bei allem erforderlich ist, was unmittelbar zu einer Kategorie gehört. Deshalb ist alles, was unmittelbar zur Kategorie der Substanz gehört, zumindest aus Sein und dem, was es ist, zusammengesetzt.39 Es gibt jedoch einige Dinge, die abgeleiteterweise zur Kategorie der Substanz gehören, wie die Prinzipien einer subsistierenden Substanz, in denen sich die zuvor genannte Zusammensetzung nicht findet; denn sie subsistieren nicht und haben deshalb auch kein eigenes Sein. Ebenso kommt den Akzidentien, weil sie nicht subsistieren, kein eigenes Sein zu. Aber ihr Träger ist in Bezug auf sie derart beschaffen;40 daher werden Akzidentien eigentlich mehr zum Seienden gehörig statt Seiende genannt.41 Deshalb ist es dazu, daß etwas in der Kategorie eines Akzidens ist, nicht erforderlich, daß es in wirklicher Zusammensetzung zusammengesetzt ist, sondern allein eine begriffliche Zusammensetzung aus Gattung und Differenz42; und solch eine Zusammensetzung findet sich bei der Gnade. Zu 9. Obwohl durch einen Akt der Todsünde die Gnade verloren geht, geht die Gnade dennoch nicht leicht verloren, weil es für den, der die Gnade besitzt, da sie die Neigung zum Gegenteil verleiht, nicht leicht ist diesen Akt auszuführen; wie nämlich Aristoteles im

q. un., a. 1 c.; Quodl. II, q. 2, a. 3; ScG II, 52; Sum. theol. I, q. 3, a. 3 c u. q. 4, a. 1 ad 3. 38 Übersetzung für in ratione suae quiditatis. 39 Übersetzung für ex esse et quod est. Vgl. Boethius, De hebd., prop. II (ed. Peiper, 169, 26): »Verschieden ist das Sein und das, was ist.« (ed. Elsässer, 37); vgl. auch In Boet. De hebd., lect. II, n. 21 ff. oder. In Met., IV, lect. 2, n. 553 ff. 40 Übersetzung für sed subiectum est aliquale secundum ea. Das heißt: Es besitzt eigenes Sein als »Träger« (subiectum) von ihnen. Dasjenige, was Aufnehmendes bzw. »Unterlage« einer wesenhaften oder akzidentiellen Seinsbestimmung ist; vgl. auch den Begriff »suppositum«: unten a. 3 ad 25 (De div. nom., c. 4, lect. 14: »Omne quod totaliter est aliquale est essentialiter tale«). 41 Vgl. Aristoteles, Metaph. V, 9; 1017 a 19 u. VII, 1; 1028 a 18. 42 Übersetzung für ex genere et differentia (Gattung und artbildender Unterschied).

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5. Buch der Ethik 43 sagt, daß es für den Gerechten schwer ist Unrecht zu tun. Zu 10. Es tritt zwischen unseren Geist und Gott kein Mittel44, weder in wirkursächlicher Weise, weil die Seele von Gott unmittelbar geschaffen und gerechtfertigt wird, noch in der Weise eines beseligenden Gegenstandes, weil die Seele durch das Genießen Gottes selbst selig wird: Es kann jedoch etwas formursächliches Mittel sein, wodurch die Seele Gott ähnlich gemacht werden soll. Zu 11. Die übrigen vernunftslosen Geschöpfe werden von Gott allein in Hinblick auf die natürlichen Güter angenommen. Von daher fügt die göttliche Annahme nichts in ihnen über die natürliche Verfassung hinaus hinzu, durch die sie zu solchen Gütern in Beziehung gesetzt werden. Der Mensch wird von Gott aber in Hinblick auf das übernatürliche Gut angenommen; und deshalb ist etwas über die natürliche Beschaffenheit hinaus Hinzugefügtes45 erforderlich, durch das der (Mensch) zu diesem anderen Gut in Beziehung gesetzt werden kann.

2. Artik el Die zweite Frage lautet: Ist die heiligmachende Gnade dasselbe wie die Liebe?46 Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. Die heiligmachende Gnade in uns ist jene Gabe Gottes, durch die wir von ihm Angenommene sind. Dies aber geschieht durch die Liebe; wie es Spr. 8, 17 heißt: »Ich liebe, die mich lieben.« Folglich ist die heiligmachende Gnade dasselbe wie die Liebe. 2. Augustinus47 sagt, daß jene Wohltat Gottes, durch die der Wille des Menschen zuvorkommend vorbereitet wird, der Glaube ist, nicht aber ungeformter, sondern geformter Glaube, was durch Vgl. Aristoteles, Eth. Nic. V, 15; 1137 a 17. Übersetzung für nihil cadit medium (vgl. oben ad 3). Übersetzung für superadditum. Paralleltexte: Sent. II, d. 26, q. 1 a. 4. Sum. theol. I-II, q. 110 a. 3. Vgl. Augustinus, Ench., c. 106 (CCSL 46, 107, 44 f.); zit. bei Petrus Lomb., Sent. II, d. 26, c. 3 (ed. Coll. S. Bon. I/2, 473, 19 ff.). 43 44 45 46 47

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die Liebe geschieht.48 Da also diese Wohltat die zuvorkommende Gnade49 ist, scheint es, daß die Liebe selbst Gnade ist. 3. Der Heilige Geist wird dazu unsichtbar zu jemandem gesandt, damit er in ihm wohne; durch dieselbe Gabe wird er also gesendet und wohnt er ein. Man sagt aber, daß der Geist durch die Gabe der Liebe gesendet wird, wie auch der Sohn durch die Gabe der Weisheit,50 wegen der Ähnlichkeit dieser Gaben mit den beiden göttlichen Personen. Man sagt aber, daß der Heilige Geist der Seele durch die Gnade einwohnt. Folglich ist die Gnade dasselbe wie die Liebe. 4. Die Gnade ist jene Gabe Gottes, durch die wir wieder würdig gemacht werden, das ewige Leben zu besitzen. Durch die Liebe aber wird der Mensch wieder des ewigen Lebens würdig gemacht, wie aus Joh. 14, 21 offenkundig ist: »Wenn jemand mich liebt, wird er von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich selbst ihm offenbaren.«51 In dieser Kundgabe besteht das ewige Leben. Folglich ist die Liebe dasselbe wie die Gnade. 5. Hinsichtlich des Begriffs der Liebe können zwei Seiten unterschieden werden: durch sie nämlich ist der Mensch Gott teuer und durch sie hat der Mensch Gott lieb. Der Begriff der Liebe meint eher, daß der Mensch Gott teuer sei als daß er Gott lieb habe, wie aus 1 Joh. 4, 10 offenkundig ist: »Nicht als ob wir Gott geliebt haben, sondern weil er selbst uns zuerst geliebt hat.« Dies aber ist der Begriff der Gnade: daß durch sie der Mensch Gott wohlgefällig sei. Folglich scheint, wenn es dasselbe ist, Gott teuer und wohlgefällig zu sein, die Gnade dasselbe wie die Liebe zu sein. 6. Augustinus52 sagt: »Es ist allein die Liebe, welche die Söhne des 48 Übersetzung für fides formata: vgl. oben De ver. q. 14 a. 5 ad 9: »Da die Liebe im Willen ist, fließt ihre Vollkommenheit in gewisser Weise auf den Verstand über: so formt die Liebe nicht bloß den Glaubensakt, sondern auch den Glauben selbst.« 49 Übersetzung für gratia praeveniens. 50 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. I, d. 17, c. 1 (ed. Coll. S. Bon. I/2, 141, 25 ff.) u. d. 15, c. 8 (136, 10 ff.). 51 Vgl. Joh. 14, 21 mit Joh. 14, 23 u. 14, 21. 52 Vgl. Augustinus, De trin. XV, 18, 32 (CCSL 50A, 507, 1 ff.), nach Petrus Lombardus, Sent. I, d. 17, c. 4 (ed. Coll. S. Bon. I/2, 145, 14 ff.).

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Königreichs und die Söhne der Verdammnis unterscheidet.« Denn die übrigen Gaben Gottes sind den Guten und den Bösen gemeinsam. Die heiligmachende Gnade unterscheidet aber die Söhne der Verdammnis und die Söhne des Königreiches und sie ist nur in den Guten. Folglich ist sie dasselbe wie die Gnade. 7. Wenn die heiligmachende Gnade ein Akzidens ist, kann sie nur zur Gattung der Qualität53 gehören und zwar nur zur ersten Art, die Habitus und Disposition54 umfaßt. Wenn sie zudem auch nicht ein Wissen ist, scheint sie nichts anderes als eine Tugend zu sein. Keine andere Tugend aber kann Gnade genannt werden außer der Liebe, welche die Form der übrigen Tugenden ist55. Folglich ist die Gnade Liebe. Dagegen spricht: 1. Nichts geht sich selbst voraus, aber »die Gnade geht der Liebe voraus«, wie Augustinus im 2. Buch Von der Prädestination der Heiligen56 sagt. Folglich ist die Gnade nicht dasselbe wie die Liebe. 2. Es heißt in Röm. 5, 5: »Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.« Das Geben des Heiligen Geistes geht also der Liebe voraus wie die Ursache der Wirkung. Der Heilige Geist aber wird infolge einer seiner Gaben gegeben. Also ist irgendeine Gabe in uns, die der Liebe vorausgeht, und das scheint nichts anderes als die Gnade zu sein. Folglich ist die Gnade etwas anderes als die Liebe. 3. Die Gnade ist immer in ihrem Akt, weil sie den Menschen immer wohlgefällig macht. Aber die Liebe ist nicht immer in ihrem Akt; denn wer die Liebe besitzt, liebt aktuell nicht immer. Folglich ist die Liebe nicht die Gnade. 4. Die Liebe ist eine Art von Wertschätzung.57 Wertschätzung aber ist das, demzufolge wir Wertschätzende sind. Es ist also eigent53 Vgl. Aristoteles, Cat., c. 8; 8 b 27. 54 Übersetzung für habitus et dispositio: vgl. oben a. 1 ad 4. 55 Vgl. oben De ver. q. 14 a. 5 c.: »(die Liebe) ist dasselbe wie die Gnade

bzw. führt die Gnade unabtrennbar mit sich.« 56 Vgl. Augustinus, De dono perseverantiae, c. 16 (PL 45, 1018). 57 Vgl. unten ad 5 (caritas quaedam dilectio est).

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lich die Liebe, derzufolge wir Wertschätzende sind. Wir sind aber nicht aufgrund dessen, daß wir Wertschätzende sind, von Gott angenommen, sondern vielmehr umgekehrt: unsere Akte sind nämlich nicht die Ursache der Gnade, sondern umgekehrt. Folglich ist die Gnade, durch die wir von Gott angenommen sind, etwas anderes als die Liebe. 5. Was mehreren Dingen gemeinsam ist, ist nicht auf die Weise in einem von ihnen, daß es ihm eigentümlich sei. Jedoch kommt das Hervorbringen eines verdienstvollen Aktes jeder Tugend zu. Also kommt es keiner von ihnen zu, daß er ihr eigentümlich ist und daher auch nicht der Liebe. Folglich kommt er ihr als etwas zu, das ihr und allen Tugenden gemeinsam ist. Aber der verdienstvolle Akt stammt von der Gnade. Folglich besagt Gnade etwas der Liebe und den anderen Tugenden Gemeinsames. Aber nicht der Prädikation nach gemeinsam, wie es scheint, weil es sonst so viele Gnaden gäbe wie Tugenden. Folglich ist die Gnade auf die Weise einer Ursache gemeinsam, und so ist sie dem Wesen nach von der Liebe verschieden. 6. Die Liebe vollendet die Seele in ihrer Hinordnung auf den geliebten Gegenstand. Die Gnade aber schließt keine Beziehung auf irgendeinen Gegenstand ein, weil sie sich nicht auf einen Akt, wohl aber auf ein bestimmtes Sein bezieht, nämlich Gott wohlgefällig zu sein. Folglich ist die Gnade nicht die Liebe. Antwort: Einige sagen58, Gnade sei dem Wesen nach dasselbe, was die Tugend der Sache nach ist. Es bestehe aber ein Unterschied dem Begriffsgehalt nach59, so daß Tugend nach dem benannt wird, was den Akt vervollkommnet, Gnade aber nach dem, was den Menschen und dessen Akt Gott angenehm macht. Und im Vergleich zu den anderen Tugenden sei ihnen zufolge besonders die Liebe Gnade. Andere60 hingegen sagen umgekehrt, Liebe und Gnade seien dem Wesen nach unterschieden. Diese Ansicht scheint vernünftiger zu 58 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. II, d. 27, c. 6 (ed. Coll. S. Bon. I/2, 484, 10 ff.) nach Thomas, Sum. theol. I-II, q. 110, a. 3 c. 59 Übersetzung für secundum rem – secundum rationem. 60 Vgl. Albertus, Sent. II, d. 26, a. 11 sol. (ed. Borgnet XXVII, 467).

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sein. Sofern nämlich verschiedenen Naturen verschiedene Ziele zukommen, sind bei den Naturdingen drei Voraussetzungen zum Erreichen eines Zieles notwendig: (1) eine diesem Ziel entsprechende Natur, (2) die Neigung zu diesem Ziel, was das natürliche Streben zu diesem Ziel ist, und (3) eine Bewegung auf das Ziel hin61. Es ist offensichtlich, daß etwa in der Erde62 eine Natur ist, durch die ihr zukommt in der Mitte zu sein, und aus dieser Natur folgt die Neigung zum Mittelpunkt, nach der sie naturgemäß zu solch einem Ort strebt, auch wenn sie durch äußere Gewalt davon zurückgehalten wird. Deshalb wird die Erde, wenn das Hindernis entfernt ist, nach unten bewegt.63 Der Mensch aber ist seiner Natur nach zu einem Ziel in Beziehung gesetzt, für das er ein natürliches Streben besitzt; und zur Erlangung jenes Ziels kann er gemäß der natürlichen Kräfte tätig sein. Dies Ziel ist eine gewisse Beschauung des Göttlichen, soweit es dem Menschen nach seiner Fähigkeit der Natur möglich ist, worin auch die Philosophen64 das höchste Glück des Menschen sahen. Es gibt aber ein Ziel, auf das der Mensch von Gott vorbereitet wird, das die Maßgabe der menschlichen Natur überschreitet, nämlich das ewige Leben, das in der Schau Gottes dem Wesen nach besteht, welche die Maßgabe jedweder geschaffenen Natur überschreitet, da die Schau von gleicher Natur wie Gott allein ist65. (1) Daher ist es notwendig, daß dem Menschen etwas verliehen werde, durch das er nicht nur auf das Ziel hin wirke oder wodurch sein Streben diesem Ziel zugeneigt wird, sondern durch das auch die Natur des Menschen selbst zu einer Würde erhoben wird, gemäß derer ihr solch ein Ziel angemessen ist; und dazu wird die Gnade verliehen. Übersetzung für inclinatio – naturalis appetitus – motus in finem. Das heißt: das Element Erde (terra). Vgl. De ver. q. 24 a. 10 ad 1 u. Aristoteles, De caelo I, 4; 269 b 4. Vgl. De ver. q. 11 a. 3 ad 10; Averroes, De anima III, comm. 36 (ed. Arist. lat., VI/1, 174E ff.) u. De ver. q. 18, a. 5 ad 8. 65 Übersetzung für Deo connaturali existens. Zum Streben nach der ewigen Glückseligkeit (beatitudo), die in der eschatologischen Gottesschau besteht (visio Dei immediata): Sum. theol. I-II, q. 1–5 (bes. q. 3, a. 8). 61 62 63 64

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(2) Zu der Hinneigung aber des Strebevermögens auf dieses Ziel wird die Liebe gegeben. (3) Zum Vollbringen der Werke aber, durch die das zuvor genannte Ziel erreicht wird, werden die Tugenden gegeben. Deshalb ist, wie bei den natürlichen Dingen die Natur selbst etwas anderes als die Neigung der Natur und ihre Bewegung oder ihr Wirken ist, die Gnade bei den umsonst gegebenen Dingen etwas anderes als die Liebe und die übrigen Tugenden. Daß dieses Verhältnis richtig aufgefaßt ist, wird aus dem 2. Kap. der Kirchlichen Hierarchie des Dionysios66 deutlich, wo er sagt, daß jemand nicht ein geistliches Wirken haben kann, außer er habe zuerst ein geistliches Sein empfangen, wie auch nicht ein natürliches Wirken, außer er habe zuerst ein Sein in jener Natur. Zu 1. Gott liebt die, die ihn lieben, jedoch nicht in der Weise, daß die Liebe der ihn Liebenden der Grund ist, weswegen er selbst liebt, sondern vielmehr umgekehrt. Zu 2. Der Glaube wird eine zuvorkommende Gnade genannt, insofern als in der ersten Bewegung des Glaubens die Wirkung der zuvorkommenden Gnade erscheint. Zu 3. Die ganze Dreifaltigkeit wohnt in uns durch die Gnade. Aber einer göttlichen Person kann die Einwohnung speziell durch irgendeine andere besondere Gabe zugeeignet werden, die Ähnlichkeit mit dieser Person hat, und bezüglich derer man auch sagt, daß die Person gesandt werde. Zu 4. Die Liebe würde nicht genügen, um das ewige Gut zu verdienen, außer durch die vorausgesetzte Eignung dessen, der die Verdienste erwirbt, was durch die Gnade geschieht. Anders wäre unsere Liebe nämlich nicht eines so großen Lohnes entsprechend würdig.67 66 Vgl. Dionysius Areopagita, De eccl. hier. II, praef. (PG 3, 392 B; Dion. II, 1108; CD II, ed. Heil / Ritter, 69, 7 ff.; ed. Heil, BGL 22, 101). 67 Übersetzung für esset tanto praemio condigna. Thomas unterscheidet: »Angemessenheitsverdienst« (meritum congruum / congrui) und »Würdigkeitsverdienst« (meritum condignum / condigni); vgl. Sum. theol. I-II, q. 114, a. 3 c (auch a. 6); vgl. unten: q. 28 a. 1 arg. 10; q. 29 a. 7 arg. 1 / c. Der Lohn des ewigen Lebens ist den Werken des Menschen nur angemessen (congruitas), sofern jedes Verdienst prinzipiell in der durch die heilig-

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Zu 5. Es ist kein Widerspruch, daß etwas zuerst der Sache nach ist, was jedoch unter der Rücksicht eines Namens später ist. So ist etwa die Ursache der Gesundheit früher als im Träger der Gesundheit die Gesundheit selbst. Dennoch bezeichnet das Gesunde eher den, der die Gesundheit besitzt, als die Ursache der Gesundheit. In der gleichen Weise, obwohl die göttliche Liebe,68 mit der uns Gott liebt, früher ist als die Liebe, mit der wir ihn lieben, impliziert jedoch der Begriff der Liebe, daß sie zuerst Gott uns liebenswert macht als daß sie uns Gott liebenswert macht: das Erste nämlich bezieht sich auf die Liebe, insofern sie Liebe ist, das Zweite aber nicht. Zu 6. Daß die Liebe allein die Söhne der Verdammnis und die Söhne des Königreiches unterscheidet, kommt ihr zu, insofern sie nicht ungeformt sein kann, wie die anderen Tugenden. Von daher wird damit die Gnade nicht ausgeschlossen, durch die die Liebe selbst geformt wird. Zu 7. Die Gnade gehört zur ersten Art der Qualität,69 obwohl sie nicht im eigentlichen Sinne ein Habitus genannt werden kann, da sie nicht unmittelbar auf den Akt hingeordnet ist, sondern auf ein geistliches Sein, das er in der Seele setzt. Der Habitus ist so eine Disposition im Hinblick auf die Glorie, welche die vollendete Gnade70 ist. Dennoch findet sich nichts der Gnade ähnliches unter den Akzidentien der Seele, die den Philosophen bekannt waren, weil die Philosophen nur jene Akzidentien der Seele kannten, welche auf Akte hingeordnet sind, die der menschlichen Natur entsprechen. 1.–6. Dem anderen stimmen wir zu, obgleich manche ihrer Schlußfolgerungen nicht zutreffend sind.

machende Gnade geschenkten Würdigkeit gründet (condignus); vgl. unten a. 5 ad 5 (in fine). 68 Vgl. oben s.c. 4. 69 Vgl. oben a. 1 ad 4. Zum Begriff des »Habitus« im Kontext der Gnadenlehre (»Tätigkeitsvorprägung«: Sum. theol. I-II, q. 51 a. 4 c (allgemein: q. 49, a. 1 Ist der Habitus eine Qualität? 70 Übersetzung für gratia consummata. »Glorie« (gloria) meint die Herrlichkeit der Anschauung Gottes im himmlischen Vaterland (in patria); vgl. oben c.; vgl. auch De ver. q. 8, a. 7 ad 1 (»gratia est causa gloriae«); Sum. theol. I, q. 95 a. 1 arg. 6.; I-II, q. 4, a. 8 c/ad 1 u. I-II, q. 67, a. 4 ad 3.

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3. Artik el Die dritte Frage lautet: Kann irgendein Geschöpf die Ursache der Gnade sein?71 Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. In Joh. 22, 23 sprach unser Herr zu seinen Jüngern: »Wem ihr die Sünden nachlaßt, dem werden sie vergeben.« Woraus zu sehen ist, daß Menschen die Sünden vergeben können. Die Sünden aber werden nur durch Gnade vergeben. Folglich können Menschen die Gnade verleihen. 2. Dionysius sagt im 14.72 Kap. der Himmlischen Hierarchie73, ebenso wie die der Sonne näheren Himmelskörper Licht von ihr empfangen und auf die anderen Körper übertragen, empfangen die Substanzen, die Gott näher sind, sein Licht in größerer Fülle und geben es an die anderen Substanzen weiter. Das göttliche Licht aber ist die Gnade. Folglich können manche Geschöpfe, welche die Gnade umfassender aufnehmen, sie auch an andere Geschöpfe weitergeben. 3. Nach Dionysius verströmt das Gute sich selbst.74 Folglich besitzt das, was mehr vom Wesensgehalt des Guten hat, auch mehr von der Beschaffenheit des Verströmens. Die geistigen Formen aber besitzen mehr von der Beschaffenheit des Guten als die körperlichen Formen, weil sie ja dem höchsten Gut näher stehen. Wenn also schon die körperlichen Formen, die in manchen Geschöpfen vorhanden sind, das Prinzip ihres Übereinkommens in der Gleichheit der Art sind, umso mehr wird der, der Gnade besitzt, in anderen Gnade verursachen können. 4. Wie das Strebevermögen durch das göttliche Licht der Gnade vervollkommnet wird, so wird der Verstand durch das Licht der Wahrheit vervollkommnet. Das Licht des Verstandes kann aber ein 71 Paralleltexte: Sent. I, d. 14 q. 3. Sum. theol. I-II, q. 112 a. 1. 72 Lies: Kap. 13. 73 Vgl. Dionysius Areopagita, De coel. hier., c. 13, 3 (PG 3, 301 A; Dion.

II, 949; CD II, ed. Heil / Ritter, 44, 20 ff; ed. Heil, BGL 22, 58). 74 Grundsatz: bonum est diffusivum sui. Vgl. oben q. 21 a. 1 arg. 4/ad 4; Dionysius Areopagita, De div. nom, c. 4, 1 u. 4; bes. 20 (PG 3, 693 B–C; 697 C; 717 D f.; Dion. I, 146 f.; 161 f.; 246 f.; CD I, ed. Suchla, 144, 1–6; 147, 2 ff.; 165, 16 ff.; ed. Suchla, BGL 26, 42.44.56); vgl. auch: De cael. hier., c. 1, 1 (PG 3, 120 B; Dion. II, 727 f.; CD I, ed. Suchla, 7, 4 ff.; ed. Heil, BGL 22, 28).

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Geschöpf dem anderen verleihen: Was daraus offensichtlich ist, daß nach Dionysius75 die oberen Engel die niedrigeren erleuchten, und nach ihm ist diese Erleuchtung freilich eine ›Aufnahme von göttlichem Wissen‹76. Folglich kann auch ein vernunftbegabtes Geschöpf einem anderen Geschöpf Gnade verleihen. 5. Christus ist unser Haupt gemäß der menschlichen Natur.77 Dem Haupt aber kommt es zu, das Empfinden und die Bewegung in die Glieder strömen zu lassen. Folglich läßt auch Christus gemäß seiner menschlichen Natur die geistlichen Empfindungen und Bewegungen, an denen nach Augustinus78 die Gnaden erkannt werden, in die Glieder seines mystischen Leibes strömen. 6. Man hat aber gesagt, Christus habe gemäß der menschlichen Natur durch sein Dienstamt die Gnade in die Menschen eingegossen. – Dagegen spricht: Christus ist gegenüber allen anderen Amtsträgern allein das Haupt der Kirche. Aber auf die Weise des Dienstamtes bei der Verleihung der Gnade zu wirken, kommt auch den anderen Amtsträgern der Kirche zu. Folglich reicht es für die Aufgabe des Hauptes nicht, daß Christus auf die Weise des Dienstamtes die Gnade eingießt. 7. Tod und Auferstehung Christi kommen Christus gemäß der menschlichen Natur zu. Wie aber die Glosse zu jenem Psalmwort79 »Am Abend wird das Weinen vergehen« sagt, so ist die Auferstehung Christi »die Ursache der Auferstehung der Seele in der Gegenwart und des Leibes in der Zukunft«80. Die Auferstehung der Seele 75 Vgl. Dionysius Areopagita, De cael. hier., c. 8, 2 (PG 3, 240 C; Dion. II, 880; CD II, ed. Heil / Ritter, 34, 3 ff.; ed. Heil, BGL 22, 49). 76 Übersetzung für divinae scientiae assumptio: vgl. De coel. hier., c. 7, 3 (PG 3, 209 C; CD II, ed. Heil / Ritter, 30, 24; ed. Heil, BGL 22, 49) nach Übersetzung Eriugenas (Dion. II, 858); vgl. auch oben De ver., q. 9, a. 1 arg. 15/ad 15. Zur Mittlerfunktion bzw. Erkenntnisweise der Engel: De ver., q. 9 u. q. 8, a. 10. 77 Vgl. Glossa Petri Lombardi super Eph. 1, 22 (PL 192, 178 D) nach Thomas, De ver. q. 29 a. 4 arg. 16/s.c. 1; vgl. auch Kol. 3, 15. 78 Lies: Glossa Petri Lomb. (wie zuvor); vgl. Sum. theol. III, q. 8, a. 1: »die gesamte Kirche nennt man einen mystischen Leib« (c.). 79 Vgl. Ps. 30 (29), 6. 80 Vgl. Glossa Petri Lombardi (PL 191, 294 D).

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in der Gegenwart geschieht aber durch die Gnade. Folglich ist Christus gemäß der menschlichen Natur die Ursache der Gnade. 8. Die substantielle Form81, die Sein und Leben gibt, ist edler als jedwede akzidentielle Form. Aber manch ein geschaffenes Wirkendes kann die substantielle Form setzen, die Sein und Leben gibt, nämlich die vegetative und sinnenbegabte Form.82 Folglich kann es viel stärker noch eine akzidentielle Form wie die Gnade setzen. 9. Man hat aber gesagt, ein Geschöpf kann deshalb nicht die Gnade verursachen, weil die Gnade nicht aus der Potenz der Materie83 herausgeführt wird, außer es geschähe durch Schöpfung. Schaffen ist aber wegen des unendlichen Abstands zwischen Seiendem und Nichts nur einer unendlichen Macht zu eigen; und somit kann es keinem Geschöpf zukommen. – Dagegen spricht: Unendliches kann nicht durchschritten werden.84 Aber dem Abstand, der vom Seienden zum Nichts reicht, kommt ein Durchschreiten zu, weil das Geschöpf an sich selbst ins Nichts abfallen würde, wenn es nicht, wie Gregor85 sagt, durch die Hand des Schöpfers gehalten würde. Folglich besteht zwischen Seiendem und Nichts kein unendlicher Abstand. 10. Die Gnade verursachen zu können, besagt nicht eine unendliche Potenz schlechthin, sondern allein in einer gewissen Hinsicht. Das ist aus folgendem ersichtlich: Wenn wir sagen würden, daß Gott nichts anderes machen kann außer der Gnade, dürften wir nicht behaupten, daß er von unendlicher Macht schlechthin sei. Es ist aber nicht unstimmig, daß einem Geschöpf eine unendliche Macht in gewisser Hinsicht übertragen wird, weil auch die Gnade selbst gewissermaßen eine unendliche Kraft besitzt, insofern sie einen mit dem unendlichen Gut verbindet. Folglich hindert nichts, daß ein Geschöpf die Kraft besitzt, die Gnade zu verursachen. 81 Übersetzung für forma substantialis – forma accidentialis. 82 Das heißt: die sinnenhafte Seele (anima sensibilis) und vegetative

Seele (vegetabilis), nämlich von Tieren und Pflanzen; vgl. oben ad 8; zur Vernunftsseele (anima rationalis): a. 1 ad 1, a. 3 ad 9 u. a. 6 arg. 1. 83 Übersetzung für potentia materiae. 84 Vgl. Aristoteles, Phys. VI, 9; 237 b 23; vgl. oben De ver. q. 2, a. 2 arg. 7. 85 Vgl. Gregor der Große, Moralia in Iob, XVI, 37 (CCSL 143A, 825, 15 ff.).

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11. Es gehört zur Ehre des Königs, daß er unter sich tüchtige und tugendhafte Soldaten hat. Folglich gehört es auch zur Ehre Gottes, daß die Heiligen, die ihm unterstellt sind, große Vollmacht haben. Wenn man also behauptet, ein Heiliger könne die Gnade verleihen, wird keineswegs die göttliche Ehre beeinträchtigt werden. 12. In Röm. 3, 23 heißt es: »Die Gerechtigkeit Gottes aber durch den Glauben Jesu Christi«; und in Röm 10, 17: »Glaube durch Hören, das Hören aber durch das Wort Christi.« Wenn also das Wort Christi vom Prediger kommt, scheint es, daß die Gnade oder Gerechtigkeit vom Prediger des Glaubens stammt. 13. Jeder kann dem anderen das geben, was das Seine ist. Aber die Gnade oder der Heilige Geist gehört einem Menschen, weil er ihm gegeben wird. Folglich kann einer dem anderen die Gnade oder den Heiligen Geist geben. 14. Niemand muß Rechenschaft ablegen über das, was nicht in seiner Vollmacht liegt. Aber die Vorsteher der Kirche müssen Rechenschaft über die Seelen der ihnen Untergebenen ablegen; wie im Brief an die Hebräer am Schluß: »Sie selbst nämlich wachen, und so werden sie Rechenschaft ablegen für eure Seelen.«86 Folglich unterliegen die Seelen der Untergebenen der Vollmacht der Vorsteher, damit sie diese durch die Gnade rechtfertigen können. 15. Die Diener Gottes sind mehr von Gott angenommen als die Diener des zeitlichen Königs vom König selbst. Aber die Diener des Königs können einem die Gnade des Königs verschaffen. Folglich können auch die Diener Gottes die Gnade Gottes verschaffen. 16. »Was Ursache einer Ursache ist, ist Ursache des Verursachten.«87 Der Priester ist aber die Ursache der Handauflegung, die die Ursache dafür ist, daß der Heilige Geist gegeben wird; wie es in Apg. 8, 17 heißt: »Sie legten ihnen die Hände auf, und sie empfingen den Heiligen Geist.« Folglich ist der Priester die Ursache der Gnade, in der der Heilige Geist gegeben wird. 86 Vgl. Hebr. 13, 17 nach Augustinus, etwa Sermo 35, n. 3 (CCSL 41, 430, 67 ff.), Sermo 82, n. 12 (PL 38, 513). 87 Übersetzung des Axioms: quicquid est causa causae est causa causandi. Vgl. Alanus de Insulis, De arte seu art. cathol. fidei I, reg. 1 (PL 210, 597 D).

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17. Jede dem Geschöpf mitteilbare Vollmacht ist ihm mitgeteilt worden, weil Gott, falls er diese mitteilen konnte und es aber nicht wollte, neidisch gewesen wäre, wie Augustinus88 etwa argumentiert, um die Gleichheit des Sohnes mit dem Vater zu beweisen. Aber die Vollmacht Gnade zu verleihen ist dem Geschöpf mitteilbar gewesen, wie Petrus Lombardus im 5. Teil des 4. Buches der Sentenzen 89 sagt. Folglich ist die Macht Gnade zu verleihen dem Geschöpf mitgeteilt worden. 18. Nach Dionysius90 ist es Gesetz der Gottheit, die untersten Geschöpfe durch die mittleren Geschöpfe zu Gott zurückzuführen. Die Zurückführung des vernunftbegabten Geschöpfes zu Gott geschieht aber insbesondere durch die Gnade. Folglich erlangen durch die höheren vernunftbegabten Geschöpfe die untersten Geschöpfe die Gnade. 19. Es ist größer, die Hauptsache auszutreiben als die Nebensache. Dem Menschen aber ist die Vollmacht, Dämonen auszutreiben, verliehen worden, die bei uns Ursache der Boshaftigkeit sind, wie aus Lukas 10, 17 und Markus am Schluß 91 ersichtlich ist. Folglich ist dem Menschen auch die Vollmacht, Sünden auszutreiben, gegeben worden, und somit Gnade verleihen zu können. 20. Man hat gesagt, die Sündenvergebung geschehe allein durch das Dienstamt. – Dagegen spricht: Der Priester des Evangliums ist machtvoller als der Priester des Gesetzes. Der Priester des Gesetzes aber handelt auf Weise des Dieners. Folglich besitzt der Priester des Evangeliums irgendetwas mehr als das Dienstamt. 21. Die Seele lebt durch das Leben der Natur und das Leben der Gnade. Das Leben der Natur aber teilt die Seele einem anderen mit, 88 Vgl. Augustinus, Contra Maximinum II, c. 7 u. 15 (PL 42, 762; 782); vgl. auch: Petrus Lombardus, Sent. I, d. 20, c. 3 (ed. Coll. S. Bon. I/2, 173, 21 f.). 89 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. IV, d. 5, c. 3 (ed. coll. S. Bon. II, 267, 6 ff.). 90 Vgl. Dionysius Areopagita, De eccl. hier., c. 5, pars 1, 4 (PG 3, 504 C; Dion. II, 1330; CD II, ed. Ritter / Heil, 107, 24 f.; ed. Heil, BGL 22, 133); vgl. unten a. 4 arg. 8/ad 8; vgl. auch De cael. hier., c. 4, 3 (PG 3, 181 A; Dion. II, 812; CD II, 22, 15 ff.; BGL 22, 40). 91 Vgl. Lk. 10, 17 u. Mk. 16, 17 f.

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nämlich dem Körper. Folglich kann sie auch einem anderen Menschen das Leben der Gnade mitteilen. 22. Schuld und Gnade sind Gegensätze. Die Seele aber kann selbst Ursache ihrer Schuld sein. Folglich kann sie selbst auch Ursache ihrer Gnade sein. 23. Der Mensch wird eine Welt im Kleinen genannt, insofern er die Ähnlichkeit mit der Welt im Großen an sich trägt.92 In der Welt im Großen aber stammt eine geistige Wirkung, nämlich die sinnenbegabte und vegetative Seele, von einem Geschöpf. Folglich stammt auch in der Welt im Kleinen, das heißt im Menschen, die geistliche Wirkung der Gnade von einem Geschöpf. 24. Nach Aristoteles im 4. Buch der Meteorologie93 ist ein jedes Seiende vollkommen, wenn es ein anderes ihm ähnliches Seiendes hervorbringen kann; in diesem Fall spricht man von der Vollkommenheit der Natur. Die Vollkommenheit der Gnade aber ist größer als die natürliche Vollkommenheit. Folglich kann derjenige, der die Vollkommenheit der Gnade besitzt, einen anderen in die Gnade versetzen. 25. Das Wirken der Form wird demjenigen zugeschrieben, der die Form besitzt, wie etwa das Erwärmen, das der Akt der Hitze ist, dem Feuer zugeschrieben wird. Das Rechtfertigen aber ist ein Akt der Gerechtigkeit, also ist sie dem Gerechten zuzuschreiben. Die Rechtfertigung94 aber geschieht nur durch die Gnade. Folglich kann auch der Gerechte Gnade verleihen. Dagegen spricht: 1. Augustinus sagt im 15. Buch Über die Dreifaltigkeit95, daß heilige Männer den Heiligen Geist nicht geben können. Aber in der Gabe der Gnade wird der Heilige Geist gegeben. Folglich kann der heilige Mensch nicht die Gnade geben. 92 Übersetzung für minor mundus (Mikrokosmos) – maior mundus (Makrokosmos). Vgl. Aristoteles, Phys. VIII, 4; 252 b 26 nach Thomas, Sum. theol. I-II, q. 2, a. 8 arg. 2. 93 Vgl. Aristoteles, Meteor. IV, 3; 380 a 12. 94 Übersetzung für iustificatio: vgl. unten q. 28, a. 1 u. 6. 95 Vgl. Augustinus, De trin. XV, 26, 46 (CCSL 50A, 526, 34 ff.) nach Petrus Lombardus, Sent. I, d. 14, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I/2, 129, 16 ff.).

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2. Wenn auch derjenige, der die Gnade besitzt, dem anderen Gnade verleihen kann, geschieht dies nicht, indem er die Gnade in ihm aus dem Nichts erschafft, weil das Erschaffen allein Gott zukommt. Ferner geschieht dies auch nicht, indem er ihm etwas von der Gnade schenkt, welche er selbst besitzt, weil auf diese Weise seine Gnade gemindert würde, und er würde von daher, wenn er ein Gott angenehmes Werk ausführt, weniger von Gott angenommen. Was widersprüchlich ist. Folglich kann der Mensch in keiner Weise dem anderen die Gnade verleihen. 3. Anselm beweist im Buch Warum ist Gott Mensch geworden,96 daß die Wiederherstellung des Menschengeschlechtes nicht durch einen Engel geschehen konnte, weil das Menschengeschlecht dann für seine Erlösung bei einem Engel in der Schuld stehen würde, und in keiner Weise zur Gleichheit mit dem Engel gelangen könnte. Aber die Erlösung des Menschen geschieht durch die Gnade. Es ergäbe sich also derselbe Widerspruch, wenn ein Engel dem Menschen Gnade verleihen würde. Umso weniger aber gibt der Mensch dem Menschen die Gnade. Folglich kann kein Geschöpf die Gnade geben. 4. Nach Augustinus97 ist es größer, den Gottlosen zu rechtfertigen als Himmel und Erde zu schaffen. Durch die Gnade aber wird der Gottlose gerechtfertigt. Da also kein Geschöpf Himmel und Erde erschaffen kann, wird es auch nicht die Gnade verleihen können. 5. Jedes Wirken geschieht durch eine gewisse Verbindung des Wirkenden mit dem Erleidenden.98 In ein geistiges Wesen aber, in dem Gnade ist, senkt sich kein Geschöpf ein.99 Folglich kann kein Geschöpf Gnade verleihen.

96 Vgl. Anselm, Cur Deus homo I, 5 (Opera omnia II, ed. Schmitt, 52, 12–24). 97 Vgl. Augustinus, Tract. in Ioh. ev. tract. LXXII, n. 3 (CCSL 36, 509, 14 f.) nach Thomas, Sum. theol. I-II, q. 113, a. 9 s.c. 98 Übersetzung für coniunctionem agentis ad patiens. Vgl. Aristoteles, De gen. et corr. I, c. 6; 322 b 22 u. De malo, q. 16, a. 10 arg. 3; vgl. auch Averroes, De gen. et corr. I, comm. 45 (ed. Arist. lat., V, 361H). 99 Vgl. Pseudo-Augustinus, De ecclesiasticis dogmatibus, c. 83 (PL 58, 999 B); vgl. De ver., q. 28, a. 2 arg. 8 u. Sum. theol. III, q. 8, a. 8 ad 1.

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Antwort: Es ist schlechthin zuzugeben, daß kein Geschöpf die Gnade wirkursächlich verursachen100 kann, gleichwohl ein Geschöpf ein bestimmtes Dienstamt ausüben kann, das auf den Empfang der Gnade hingeordnet ist. Die Begründung dafür ist dreifach: (1) Der erste Grund wird von der Beschaffenheit der Gnade selbst her genommen. Die Gnade nämlich ist, wie gesagt,101 eine Vollkommenheit, die die Seele zu einem übernatürlichen Sein erhebt.102 Es kann aber keine übernatürliche Wirkung von einem Geschöpf geben, und zwar aus zweifachem Grund: (1.1) Erstens nämlich, weil es allein dem zukommt, eine Sache über den Stand der Natur hinaus zu befördern, dessen Sache es ist, die Stufen der Natur festzusetzen und zu begrenzen. Es steht fest, daß dies allein Gott zukommt. (1.2) Zweitens, weil keine geschaffene Kraft ohne zugrundeliegende Potenz der Materie bzw. Potenz von etwas anstelle der Materie wirkt. Das natürliche Vermögen des Geschöpfes aber reicht nicht über die natürlichen Vollkommenheiten hinaus. Von daher kann ein Geschöpf keine übernatürliche Tätigkeit103 hervorbringen. Daher kommt es auch, daß die Wunder allein durch das Wirken der göttlichen Kraft geschehen, obwohl zum Vollbringen eines Wunders ein Geschöpf entweder durch Beten oder durch Ausübung eines wie auch immer gearteten Dienstes mitwirken104 mag. Und deswegen kann kein Geschöpf die Gnade wirkursächlich verursachen. (2) Der zweite Grund wird von der Tätigkeit der Gnade105 her genommen. Denn durch die Gnade wird der Wille des Menschen umgewandelt. Sie nämlich ist es, die den Willen des Menschen dazu vorbereitet, daß er das Gute will, wie Augustinus106 sagt. Den Willen aber umzuwandeln kommt allein Gott zu, obgleich jemand in ge100 Übersetzung für gratiam effective causare. Zu unterscheiden: Formursache (causa formalis) und Wirkursache (causa efficiens). 101 Vgl. oben a. 1 c. 102 Übersetzung für esse supernaturale elevans. 103 Übersetzung für operatio supernaturalis (»übernatürliches Wirken«). 104 Übersetzung für cooperari (effective gratiam causare). 105 Übersetzung für ex operatione gratiae ( »Wirken der Gnade«). 106 Vgl. Augustinus, Enchir., c. 32, 9 (CCSL 46, 67, 87 ff. u. 97 ff.) nach

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wisser Weise die Einsicht eines anderen verändern kann. Das kommt daher, weil der Akt eines Vermögens, da sowohl das Vermögen als auch der Gegenstand Prinzip des Aktes ist, in zweifacher Weise umgewandelt werden kann: (2.1) Einmal seitens des Vermögens, sofern jemand im Seelenvermögen selbst wirkt, was allein Gott in Bezug auf diejenigen Vermögen zukommt, die nicht an Organe gebunden sind, das heißt auf Verstand und Willen.107 In den anderen Vermögen kann nämlich jemand in gewissem Maß auf akzidentielle Weise wirken, sofern er eine Einwirkung auf deren Organe hat. (2.2) Ferner seitens des Gegenstandes, nämlich durch Heranführen eines Gegenstandes, daß er das Vermögen bewege. Den Willen aber bewegt ein Gegenstand nicht mit Notwendigkeit, außer dieser ist von Natur aus gewollt, wie etwa die Seligkeit oder etwas dergleichen, was dem Willen allein von Gott vorgestellt wird.108 Die übrigen Gegenstände bewegen jedoch den Willen nicht mit Notwendigkeit. Den Verstand bewegen mit Notwendigkeit aber nicht nur die ersten von Natur aus gewußten Prinzipien, sondern auch die Schlußfolgerungen, die nicht von Natur aus bekannt sind, wegen ihres notwendigen Beziehungsverhältnisses zu den Prinzipien. Dieses notwendige Beziehungsverhältnis findet sich nämlich nicht seitens des Wollens bestimmter Güter in Hinblick auf das von Natur aus ersehnte Gut, weil man auf vielfache Weise – zumindest was die persönliche Entscheidung betrifft – zu jenem von Natur aus ersehnten Gut gelangen kann. Von daher kann ein Geschöpf den Verstand seitens des Gegenstandes hinreichend bewegen, nicht aber den Willen; seitens des VermöPetrus Lombardus, Sent. II, d. 26, c. 2 u. 4 (ed. Coll. S. Bon. II, 471, 20 ff. u. 473, 29 ff.). 107 Übersetzung für organis affixae: vgl. oben De ver., q. 2, a. 5 ad 2; Sent. III, d. 15, q. 2, a. 1, qc. 2 ad 2 u. Albertus, Sent. III, d. 15, a. 3 sol. (ed. Borgnet XXVIII, 271). Die immateriellen oberen Vermögen (intellectus, voluntas) stehen nur mittelbar über die Sinneserfahrung (sensus) mit den leibgebundenen Seelenkräften (affectus, vegetativum) in Verbindung; vgl. etwa Sum. theol. I, q. 77–82 (bes. 78, a. 1). 108 Vgl. oben De ver. q. 22, a. 5 arg. 1; Augustinus, De trin. XIII, 4, 7 (CCSL 50A, 389, 1 ff.).

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gens aber weder den Verstand noch den Willen. Da also den Willen kein Geschöpf umwandeln kann, vermag auch kein Geschöpf die Gnade zu verleihen, durch die der Wille umgewandelt wird. (3) Der dritte Grund wird vom Ziel der Gnade selbst her genommen. Das Ziel entspricht nämlich dem wirkenden Prinzip, weswegen Ziel und Prinzip des ganzen Universums ein einziges ist. Deshalb geschieht, wie das erste Wirken, durch das die Dinge ins Sein treten, das heißt die Schöpfung, allein von Gott stammt, der das erste Prinzip und letzte Ziel der Geschöpfe ist, auch die Mitteilung der Gnade109, durch die der vernunftbegabte Geist unmittelbar mit dem letzten Ziel verbunden wird, allein durch Gott. Zu 1. Mit Vollmacht läßt allein Gott die Sünden nach, wie Jes. 42110 zeigt: »Ich bin es, der deine Vergehen um meinetwillen auslöscht.«111 Von den Menschen aber sagt man, daß sie durch ihr Dienstamt die Sünden nachlassen. Zu 2. Dionysius spricht über die Übertragung des göttlichen Lichtes durch das Lehren, auf diese Weise nämlich werden die niedrigeren Engel von den höheren (Engeln) erleuchtet. Das ist es, was er dort meint. Zu 3. Es geschieht nicht aus mangelhafter Vortrefflichkeit der Gnade, daß derjenige, der die Gnade besitzt, sie nicht in einen anderen einfließen lassen kann. Sondern es liegt zugleich an ihrer Erhabenheit und der Mangelhaftigkeit dessen, der die Gnade besitzt, weil sie selbst sowohl den Stand der geschaffenen Natur übersteigt als auch derjenige, der die Gnade besitzt, an ihr nicht in einer so großen Vollkommenheit teilhat, daß er sie mitteilen könnte. Zu 4. Der Sache nach gilt vom Willen und Verstand nicht das Gleiche aufgrund des bereits Gesagten. Zu 5. Christus, sofern er Gott ist, gießt die Gnade wirkursächlich ein; sofern er Mensch ist, durch das Dienstamt.112 Daher heißt Übersetzung für collatio gratiae. Lies: 43. Vgl. Jes. 43, 25. Vgl. unten a. 4 c (in fine) u. q. 29, a. 4 c.: »instrumentaliter: et sic humanitas Christi causa est.« Die Gottheit ist »causa principalis«, die 109 110 111 112

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es in Röm. 15,8: »Ich aber sage, daß Christus Jesus Diener gewesen ist« etc. Zu 6. Christus wird deswegen seiner menschlichen Natur nach vor allen anderen Amtsträgern das Haupt der Kirche113 genannt, weil er ihnen gegenüber ein höheres Dienstamt innehatte, insofern er uns nämlich durch seinen Glauben gerecht macht, wir durch die Anrufung seines Namens in die Sakramente eingeweiht werden und durch Tugendkraft seines Leidens die ganze menschliche Natur von der Sünde des Stammvaters gereinigt wird; zudem gibt es viele andere solcher Dinge, die einzig Christus zukommen. Zu 7. Johannes von Damaskus sagt im 3. Buch Über den Glauben114, Christi Menschheit selbst sei gleichsam ein Werkzeug der Gottheit115 gewesen. Deshalb verhalten sich die Dinge, die zur Menschheit gehören, wie etwa die Auferstehung und das Leiden und anderes solcher Art in der Weise eines Werkzeuges116 zum Wirken der Gottheit. Daher also verursacht die Auferstehung Christi die geistliche Auferstehung in uns nicht wie eine Ursache, die hauptursächlich wirkt,117 sondern wie eine werkzeugliche Ursache. – Oder man könnte sagen, sie sei die Ursache unserer geistlichen Auferstehung, sofern wir durch den Glauben an Ihn gerechtfertigt werden. – Oder man könnte sagen, sie sei die exemplarische Ursache der geistlichen Auferstehung, sofern in der Auferstehung Christi selbst eine Ähnlichkeit mit unserer geistlichen Auferstehung gegeben ist. Zu 8. Die sinnenbegabte Seele und vegetative Seele gehen über den Stand der geschaffenen Natur nicht hinaus, wie auch nicht die anderen natürlichen Formen. Deshalb vermag ein natürlicher Wirkfaktor, eine Potenz vorausgesetzt, die in der Natur zu solchen ForMenschheit »causa instrumentalis« (werkzeugliche Ursache); ferner: q. 29 a. 1 ad 9; a. 4 ad 1; a. 5 c./ad 2; a. 7 c. 113 Zur »Gnade des Hauptes« der Kirche (gratia capitis): vgl. unten q. 29 a. 4. c. a. 114 Vgl. Johannes Damascenus, De fide orth. III, 15 (PG 94, 1060 A; ed. Buytaert, 239); vgl. auch c. 19 (PG 94, 1080 B; ed. Buytaert, 258). 115 Übersetzung für instrumentum divinitatis. 116 Übersetzung für instrumentaliter. 117 Übersetzung für causa principaliter agens (Gegenbegriff: causa instrumentalis).

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men gegeben ist, diese Formen in gewisser Weise hervorzubringen. Das Gleiche gilt aber nicht von der Gnade, wie aus dem Gesagten offensichtlich ist. Zu 9. Diese Begründung ist in jeder Hinsicht unzureichend. Geschaffen zu werden ist nämlich einem subsistierenden Ding zu eigen, dem es eigentümlich ist, zu sein und zu werden. Die nicht subsistierenden Formen aber, seien es akzidentielle oder seien es substantielle Formen, werden nicht eigentlich geschaffen, sondern vielmehr mitgeschaffen118, wie sie auch das Sein nicht selbst haben, sondern in einem anderen. Obwohl die nicht subsistierenden Dinge119 keine Materie »aus der« haben, welche ein Teilprinzip von ihnen wäre, haben sie dennoch eine Materie »in der«,120 von der sie abhängig sind, und durch deren Veränderung sie ins Sein geführt werden. Folglich ist ihr Werden eigentlich ein Umgewandeltwerden ihrer Träger. Von daher kommt ihnen, aufgrund der Materie »in der« sie sind, das Geschaffenwerden nicht im eigentlichen Sinne zu. Anders verhält es sich aber mit der vernunftbegabten Seele, die eine subsistierende Form ist.121 Denn ihr kommt es eigentlich zu, geschaffen zu werden. Unter der Voraussetzung dieser Sachlage aber ist jener Einwand damit zu beantworten, daß er falsch ist und falsch schlußfolgert. – Dazu ist zu sagen: mit dem Abstand zweier Dinge voneinander kann es sich auf dreifache Weise verhalten: (1) Einmal, daß der Abstand auf beiden Seiten unendlich ist, etwa wenn einer unendliche Weiße besäße und der andere unendliche Schwärze. Von dieser Art ist der unendliche Abstand zwischen dem göttlichen Sein und dem Nicht-Sein schlechthin. 118 Übersetzung für concreare: vgl. etwa Sum. theol. I, q. 77 a. 7 arg. 1 (»omnes potentiae animae sunt simul animae concreatae«) o. I, q. 66, a. 4 ad 5 (»tempus … concreatum est in suo principio«). 119 Das heißt: die Akzidentien. 120 Übersetzung für materia in qua, das heißt: einen »Träger« (subiectum) und materia ex qua, dasjenige, woraus eine Substanz entsteht ist, also ihr stoffliches Koprinzip (compositum ex materia et forma); vgl. Sum. theol. I-II, q. 55 a. 4 c. 121 Übersetzung für anima rationalis est forma subsistens (vgl. a. 3 ad 9). Die Vernunftseeele ist keine vergängliche Wesenheit (Identitätsprinzip).

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(2) Ferner, daß er auf beiden Seiten endlich ist, zum Beispiel wenn einer endliche Weiße besäße und der andere endliche Schwärze. So hält das geschaffene Sein von dem, was nicht ist, in gewisser Hinsicht Abstand. (3) Drittens, daß der Abstand auf der einen Seite endlich ist und auf der anderen unendlich, etwa wenn einer endliche Weiße besäße und der andere unendliche Schwärze. Solcher Art ist der Abstand zwischen dem geschaffenen Sein und dem Nicht-Sein schlechthin. Denn das geschaffene Sein ist endlich. Das Nicht-Sein aber ist schlechthin unendlich, insofern es jeden Mangel, der gedacht werden kann, überschreitet. Dieser Abstand kann daher von der Seite her, die endlich ist, durchmessen werden, sofern nämlich das endliche Sein selbst sowohl erworben wird als auch verloren geht, aber nicht von jener Seite her, die unendlich ist. Zu 10. Die Gnade verursachen zu können, gehört zur unendlichen Potenz schlechthin, sofern es einer Potenz zukommt, die die Natur hervorbringt, welche unendlich ist. Daher sind diese zwei Sachen nicht miteinander vereinbar: daß jemand Gnade gebe und anderes nicht wirken könne. Zu 11. Zur Ehre des Königs gehört eine solche und so große Macht der Soldaten, die sie ihrer Unterwerfung unter ihn nicht entzieht; nicht aber wenn sie durch ihre Macht der Unterwerfung entzogen würden. Durch die Macht aber Gnade zu verleihen, würde das Geschöpf Gott gleich gemacht, weil es unendliche Macht besäße. Daher würde es der göttlichen Ehre Abbruch tun, wenn ein Geschöpf solch eine Macht besäße. Zu 12. Das Hören ist nicht eine hinreichende Ursache122 für den Glauben, was daraus ersichtlich ist, daß viele hören, die nicht glauben. Die Ursache des Glaubens aber ist derjenige, der bewirkt, daß der Glaubende den Dingen zustimmt, welche gesagt werden. Er wird aber zur Zustimmung durch keine Verstandesnotwendigkeit gezwungen, sondern vielmehr durch den Willen. Deshalb verursacht der Mensch, der von außen verkündigt, nicht den Glauben, sondern Gott, der allein den Willen wandeln kann. Er verursacht aber den Glauben im Gläubigen durch das Hinneigen des Willens 122 Übersetzung für causa sufficiens.

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und Erleuchten des Verstandes mit dem Glaubenslicht123, so daß er demjenigen, was vom Prediger vorgetragen wird, nicht widerstrebt. Mit dem Prediger aber verhält es sich so, daß er von außen zum Glauben bereit macht. Zu 13. Dasjenige, was mein ist wie ein Besitz, kann ich einem anderen geben; nicht aber dasjenige, was mein ist, wie eine innewohnende Form.124 Ich kann nämlich nicht anderen meine Farbe oder Größe verleihen. So kommt aber die Gnade dem Menschen zu, nicht aber auf die erste Weise. Zu 14. Der Vorsteher, obwohl er dem Untergebenen die Gnade nicht verleihen kann, vermag dennoch dabei mitzuwirken, daß die Gnade jemandem verliehen und die gegebene Gnade nicht vernichtet werde, indem er nämlich ermahnt oder tadelt. Und unter dieser Rücksicht, ist er verpflichtet, über die Seelen der Untergebenen Rechenschaft abzulegen. Zu 15. Der Diener des zeitlichen Königs kann jemandem die Gnade des Königs nur auf dem Wege der Fürsprache erwirken. So können auch die Diener Gottes einem Sünder die göttliche Gnade erwirken, indem sie nämlich die Gnade durch Bitten erlangen, nicht aber indem sie die Gnade wirkursächlich hervorbringen. Zu 16. Die Handauflegung verursacht nicht die Herabkunft des Heiligen Geistes. Vielmehr kommt der Heilige Geist gleichzeitig mit der Handauflegung herab. Daher wird im Text nicht gesagt, daß die Apostel, dadurch daß sie die Hände auflegen, den Heiligen Geist verleihen würden, sondern sie legten die Hände auf und jene empfingen, nämlich von Gott, den Heiligen Geist. Wenn man die Handauflegung dennoch in irgendeiner Weise als die Ursache für den Empfang des Heiligen Geistes bezeichnet – und zwar in der Weise, durch die die Sakramente die Ursache der Gnade sind, wie später erklärt werden wird125 –, so wird dies der Handauflegung nicht zukommen, 123 Zum »Glaubenslicht« vgl. Sum. theol. I-II, q. 109 a. 1: »durch das Licht des Glaubens (lumen fidei) oder der Prophetie, welches, sofern es der Natur hinzugefügt wird, Licht der Gnade (lumen gratiae) genannt wird.« (c.a.); ferner: I, q. 12, a. 2 c. (lumen gloriae); vgl. auch: II-II, q. 4 a. 4 ad 3: »Gnade bewirkt den Glauben (gratia facit fidem)«. 124 Übersetzung für forma inhaerens. 125 Vgl. unten a. 4.

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sofern sie vom Menschen ist, sondern vielmehr aufgrund göttlicher Einsetzung. Zu 17. Die Meinung des Petrus Lombardus wird in diesem Fall nicht allgemein angenommen, daß nämlich die Macht zu erschaffen und zu rechtfertigen126 einem Geschöpf verliehen werden könnte. Obwohl Petrus Lombardus auch nicht sagen dürfte, daß die Macht zu rechtfertigen nach Art der Urheberschaft verliehen werden könnte, sondern allein nach Art des geistlichen Dienstamtes. Nicht aber folgt daraus, selbst wenn diese Macht dem Geschöpf mitteilbar ist, daß sie ihm tatsächlich mitgeteilt worden sei. Wenn man nämlich sagt, daß alles, was dem Geschöpf mitteilbar ist, ihm mitgeteilt wurde, so ist das von den Dingen zu verstehen, welche die Natur der Sache erfordert, nicht aber von den Dingen, welche der natürlichen Anlage aus göttlicher Freigebigkeit allein hinzugefügt sein können.127 Bei diesen Dingen nämlich erscheint es nicht als Neid, wenn sie auch nicht verliehen werden. Deshalb gibt es auch keine Ähnlichkeit mit dem Sohn, denn vom Begriff der Sohnschaft gilt, daß der Sohn die Natur dessen hat, der ihn zeugt. Daher wäre es, wenn Gott Vater die Fülle seiner Natur dem Sohn nicht mitteilen würde, offensichtlich entweder einem Unvermögen oder dem Neid zuzuschreiben; und besonders denen zufolge, die behaupteten128, daß der Vater den Sohn aus freiem Willen gezeugt hat. Zu 18. Das Wort des Dionysius ist nicht so zu verstehen, daß die untersten Geschöpfe mit dem letzten Ziel durch die Kraft der mittleren Ursachen verbunden werden, sondern daß die mittleren Ursachen zu dieser Verbindung vorbereiten, sowohl durch Erleuchtung als auch durch jeden anderen Dienst. Zu 19. Jene Macht wurde den Aposteln gegeben, um die Dämonen aus den Leibern auszutreiben, was offensichtlich weniger ist als die Sünde aus der Seele auszutreiben. 126 Übersetzung für potestas creandi et iustificandi. Vgl. Chart. Univ. Paris I, n. 194, ed. Denifle / Chatelain, 221. 127 Übersetzung für naturalibus superaddita ex sola liberalitate divina. 128 Zur christologischen Irrlehre der Eunominaer (strenger Arianismus); vgl. dazu Augustinus, De trin. XV, 20, 38 (CCSL 50A, 515,1–7) u. Petrus Lombardus, Sent. I, d. 6, c. unic. (ed. coll. S. Bon. I/2, 89, 8 ff.).

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Ferner wurde ihnen die Macht nicht gegeben, damit sie die Dämonen durch eigene Kraft austreiben, sondern vielmehr durch die Anrufung des Namens Christi, indem sie es durch Gebet erwirken. Dies ist aufgrund dessen offenkundig, was am Schluß des MarkusEvangeliums gesagt wird: »In meinem Namen werden sie die Dämonen austreiben.«129 Zu 20. Der Gesetzespriester war nicht einmal nach Art des Dienstamtes zur Verleihung der Gnade tätig, es sei denn auf entfernte Weise durch seine Ermahnung und Lehre. Die Sakramente des Alten Bundes, deren Diener er war, verliehen nämlich die Gnade nicht, wie sie die Sakramente des Neuen Bundes verleihen, deren Diener der Priester des Evangeliums ist. Von daher ist das neue Priestertum würdiger als das alte, wie der Apostel im Brief an die Hebräer beweist.130 Zu 21. Die Seele verhält sich anders zum natürlichen Leben als zum Leben der Gnade. Zum Leben der Gnade verhält sie sich wie dasjenige, das durch ein anderes lebt, zum Leben der Natur jedoch wie dasjenige, wodurch etwas anderes lebt. Daher kann die Seele das Leben der Gnade nicht mitteilen, sondern empfängt es als mitgeteiltes. Das Leben der Natur teilt sie aber mit, jedoch teilt sie es nur mit, sofern sie in formursächlicher Weise mit dem Körper vereinigt wird.131 Nicht aber ist es möglich, daß eine Seele mit einer anderen Seele, welche durch das Leben der Gnade leben kann, in formursächlicher Weise vereinigt werde. Von daher ergibt sich keine Entsprechung. Zu 22. Es ist nicht unmöglich, daß ein Wirkendes gemäß seiner Art oder auch unterhalb seiner Art wirkt, aber über seine Art hinaus kann es nichts bewirken. Die Gnade aber steht über der Natur der Seele. Die Schuld jedoch ist der Natur gleich in Bezug auf das sinnenhafte Seelenvermögen oder steht auch unterhalb der Natur in Bezug auf die Vernunft. Von daher ergibt sich keine Entsprechung von Schuld und Gnade.

129 Vgl. Mk. 16, 17. 130 Vgl. Hebr. 7, 1–10, 18. 131 Übersetzung für formaliter unitur.

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Zu 23. Auch in der Welt im Kleinen, nämlich im Menschen, wird ein geistliches Akzidens,132 das die Natur nicht überschreitet, irgendwie durch eine geschaffene Kraft verursacht; wie etwa im Schüler das Wissen durch den Lehrer, aber nicht die Gnade, weil sie die Natur überschreitet. Die sinnenbegabte Seele oder die belebte Seele bleibt aber auf die natürliche Ordnung beschränkt. Zu 24. Die Vollkommenheit der Gnade ist vorzüglicher als die Vollkommenheit der Natur seitens der vervollkommnenden Form, nicht aber in Hinblick auf dasjenige, was vervollkommenbar ist. Denn in gewisser Weise wird das vollkommener besessen, was etwas Naturgegebenes ist als dasjenige, was über die Natur hinaus geht, sofern es nämlich der natürlich wirkenden Kraft entspricht, deren Entsprechungsverhältnis von der übernatürlichen Gabe überstiegen wird. Von daher kann die Natur durch die eigene Kraft nicht irgendeine übernatürliche Gabe übertragen, obwohl sie etwas, das ihr gleicht, in der Natur wirken kann. Allerdings ist dies nicht im allgemeinen Sinne wahr, weil die vollkommeneren Geschöpfe etwas, das ihnen gleicht, nicht machen können; wie etwa die Sonne nicht eine andere Sonne hervorbringen kann, und ein Engel nicht einen anderen Engel. Vielmehr ist dies nur wahr in Hinblick auf die vergänglichen Geschöpfe, deren bemessene Zeugungskraft von der göttlichen Vorsehung stammt,133 damit das Sein der Art fortbesteht, welches durch das Einzelwesen nicht fortbestehen kann. Zu 25. Es gibt einen zweifachen Akt der Form:134 der eine, der die Tätigkeit ist, wie etwa das Erwärmen, welcher auch der zweite Akt genannt wird, und ein solcher Akt der Form wird ihrem Träger135 132 Übersetzung für accidens spirituale. 133 Vgl. oben De ver. q. a. 5 c.a.; Aristoteles, De anima II, 7; 415 b 2;

Thomas, Sent. II, d. 20, q. 1, a. 1 arg. 3; ferner: Aristoteles, De gen. animal. II, c. 1; 731 b 18 ff., Avicenna, Metaph. VI, 5 (f. 94rbD; ed. Van Riet IV, 333) u. Averroes, De anima II, comm. 34 (ed. Arist. lat., VI/1, 67 E). 134 Übersetzung für duplex actus formae: operatio (actus secundus) – materiae informatio (actus primus). Vgl. oben De ver., q. 1, a. 10 ad 3; vgl. auch unten q. 29, a. 8 arg. 8. 135 Übersetzung für suppositum (vgl. oben a. 2 ad 8). Der Begriff ist meist synonym mit »Träger« (subiectum).

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zugeschrieben. Der andere Akt der Form ist aber die Formgebung der Materie, welcher auch erster Akt genannt wird, wie etwa das Beleben des Körpers ein Akt der Seele ist; und solch ein Akt wird dem Träger der Form nicht zugeschrieben: Auf diese Weise aber ist das Rechtfertigen ein Akt der Gerechtigkeit oder Gnade.

4. Artik el Die vierte Frage lautet: Sind die Sakramente des Neuen Bundes die Ursache der Gnade?136 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Bernhard etwa sagt in der Predigt Vom Abendmahl des Herrn,137 wie der Domherr durch das Buch, der Abt durch den Stab, der Bischof durch den Ring eingesetzt wird, so sind die verschiedenen Mitteilungen von Gnaden138 verschiedenen Sakramenten übertragen worden; aber das Buch ist nicht die Ursache der Domherrenwürde, noch der Stab die der Abtswürde, noch der Ring die der Bischofswürde; folglich auch nicht die Sakramente die der Gnade. 2. Wenn das Sakrament die Ursache der Gnade ist, dann ist es entweder die Hauptursache oder eine werkzeugliche Ursache. Es ist aber nicht die Hauptursache, weil auf diese Weise allein Gott Ursache der Gnade ist, wie gesagt wurde;139 aber auch nicht als werkzeugliche Ursache, weil jedes Werkzeug eine natürliche Wirkung auf das hat, worauf es auf werkzeugartige Weise einwirkt. Ein Sakrament aber, weil es etwas Körperliches ist, kann nicht eine natürliche Wirkung auf die Seele haben, welche für die Gnade aufnahmefähig ist. Daher kann es nicht werkzeugliche Ursache der Gnade sein.

136 Paralleltexte: Sent. IV, d. 1, q. 1 a. 4 qc. 1. Sum. theol. I-II, q. 112 a. 1 ad 2. Sum theol. III, q. 62 a. 1. ScG IV, 57. Quodl. XII, q. 10 (ed. Leon. XXV/2, 411–412); Super Gal., cap. 2, lect. 4. De artic. fidei (ed. Leon. XL, B 57–73). 137 Vgl. Bernhard von Clairvaux, Sermo: In cena Domini, n. 2 (Opera V, ed. Leclerq / Rochais, 69, 2–5). 138 Das heißt: die verschiedenen Arten der Gnade (divisiones gratiarum). 139 Vgl. oben a. 3.

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3. Jede wirkende Ursache ist entweder eine vollendende oder eine vorbereitende Ursache,140 wie man Avicennas Worten141 entnehmen kann. Ein Sakrament aber ist nicht die vollendende Ursache der Gnade, weil es auf diese Weise die Hauptursache der Gnade wäre; ferner auch nicht die vorbereitende Ursache, weil die Vorbereitung auf die Gnade142 in demjenigen geschieht, in dem die Gnade ist, nämlich in der Seele, an die eine körperliche Sache nicht heranreicht. Folglich ist ein Sakrament in keiner Weise die Ursache der Gnade. 4. Wenn ein Sakrament die Ursache der Gnade ist, dann entweder durch eigene Kraft oder durch eine darüber hinaus hinzugefügte Kraft: Es ist es nicht durch eigene Kraft, weil auf diese Weise jedes Wasser wie das Taufwasser heiligen würde; ebenso nicht durch eine darüber hinaus hinzugefügte Kraft, weil alles, was in einem anderen aufgenommen wird, in ihm in der Weise des Aufnehmenden aufgenommen wird.143 Daher wird ein Sakrament, weil es ein materieller Grundstoff ist, wie Hugo von Sankt Viktor144 sagt, nur eine materielle Kraft aufnehmen, die aber nicht zur Hervorbringung einer geistlichen Form genügt.145 Folglich ist ein Sakrament in keiner Weise die Ursache der Gnade. 5. Jene im materiellen Grundstoff aufgenommene Kraft wird entweder körperlich oder unkörperlich sein: Wenn unkörperlich, indem sie ein Akzidens und ihr Träger ein Körper ist, wird das Akzidens würdiger als der Träger sein, denn das Unkörperliche ist edler als der Körper. Wenn sie aber eine körperliche Kraft ist und die Gnade verursacht, welche eine geistliche Form und unkörperlich ist, wird folgen, daß die Wirkung edler als die Ursache ist, was wiederum Übersetzung für causa gratiae perfectiva bzw. dispositiva. Vgl. Avicenna, Suffic. I, c. 10 (f. 19rb B). Übersetzung für dispositio ad gratiam. Grundsatz: »omne quod recipitur in altero recipitur in eo per modum recipientis.« Vgl. Sent. I, d. 8, q. 5, a. 3; Sum. theol. I, q. 75, a. 5; ScG II, 74; De pot., q. 7, a. 10 ad 10. Zur Herkunft: Liber de causis, prop. IX (X), n. 99 (ed. Schönfeld, 25); Boethius, Philos. consol. V, 4, 25 (CCSL 94, 96 f.) und ebd. V, 5, 1 (CCSL 94, 100 f.). 144 Vgl. Hugo von Sankt Viktor, De sacramentis I, p. 9, c. 2 (PL 176, 317 D; ed. Berndt, 209 f.). 145 Übersetzung für productio formae spiritualis. 140 141 142 143

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unmöglich ist. Folglich ist es auch unmöglich, daß ein Sakrament die Gnade verursacht. 6. Man hat aber gesagt, daß solch eine hinzugefügte Kraft nicht ein Vollständiges innerhalb einer Art ist, sondern etwas Unvollständiges. – Dagegen spricht: Das Unvollständige kann nicht die Ursache des Vollständigen sein. Die Gnade aber ist etwas Vollständiges. Folglich kann solch eine unvollständige Kraft nicht die Ursache der Gnade sein. 7. Ein vollkommenes Wirkendes muß ein vollkommenes Werkzeug haben. Die Sakramente aber wirken als Werkzeuge Gottes, der das vollkommenste Wirkende ist. Folglich müssen sie vollkommen sein und besitzen auf diese Weise vollkommene Kraft. 8. Nach Dionysius im 5. Kap. der Kirchlichen Hierarchie146 ist es Gesetz der Gottheit, die mittleren Dinge durch die ersten und die letzten Dinge durch die mittleren herbeizuführen. Folglich ist es gegen das Gesetz der Gottheit, daß die mittleren oder ersten Dinge durch die letzten Dinge zu Gott zurückgeführt werden. In der Ordnung der Geschöpfe sind aber die körperlichen die letzten, die geistigen Substanzen jedoch die ersten Geschöpfe. Folglich ist es nicht angemessen, daß durch die körperlichen Grundstoffe dem menschlichen Geist die Gnade verliehen wird, durch die er zu Gott zurückgeführt wird. 9. Augustinus unterscheidet in Dreiundachtzig verschiedene Fragen147 ein zweifaches Wirken Gottes: Das eine Wirken, das Gott durch ein untergebenes Geschöpf ausführt, und das andere Wirken, welches er unmittelbar durch sich selbst wirkt, und solcherart ist das Erleuchten der Seelen. Gnade aber der Seele zu verleihen, bedeutet sie zu erleuchten.148 Folglich gebraucht Gott das Sakrament 146 Vgl. Dionysius Areopagita, De eccl. hier, pars 1, 4 (PG 3, 504 C; Dion. II, 1330; CD II, ed. Heil / Ritter, 106, 24 f.; ed. Heil, BGL 22, 133 f.); zum Argument vgl. auch: Bonaventura, Sent. IV, d. 1, p. 1, a. unic., q. 4 contra 6 (ed. Coll. S. Bon. IV, 20). 147 Vgl. Augustinus, De diversis quaestionibus LXXXIII, q. 53 (CCSL 44A, 87 ff.); zum Argument: Bonaventura, Sent. IV, d. 1, p. 1, a. unic., q. 4, contra 6 (ed. Coll. S. Bon. IV, 20 a–b). 148 Vgl. etwa Summa fratris Alexandri III, pars n. 630 (ed. Coll. S. Bon. IV, 996 b).

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nicht wie ein vermittelndes Werkzeug,149 um die Gnade zu verleihen. 10. Wenn dem materiellen Grundstoff eine Kraft zukäme, durch die er Gnade verursachen kann,150 so bleibt entweder jene Kraft nach dem Vollzug des Sakraments oder sie bleibt nicht: Falls sie bestehen bleibt – also im Taufwasser, nachdem es durch das Wort des Lebens151 geheiligt wurde – wird jemand, der nach der Taufe eines anderen damit ohne Aussprechen der Worte getauft wird, ein Getaufter sein. Dies ist aber falsch. Falls die Kraft aber nicht bleibt, sofern dies nicht einem sie zerstörenden Gegensatz152 zuzuschreiben ist, geht sie durch sich selbst zugrunde. Wenn sie aber etwas Geistliches ist und zu den höchsten Gütern zählt,153 wodurch sie die Ursache der Gnade ist, scheint es widersprüchlich zu sein, daß sie so plötzlich vergeht. 11. Das Wirkende ist vorzüglicher als das Erleidende.154 Von daher beweist Augustinus im 12. Buch Über den Wortlaut der Genesis,155 daß ein Körper in die Seele nicht die Abbilder156 einprägt, durch welche sie erkennt. Daß aber ein Körper, der nicht mit der Seele verbunden ist, in ihr die übernatürliche Form der Gnade verursacht, ist 149 Übersetzung für quasi instrumento medio. 150 Zum Argument: Bonaventura, Sent. III, d. 40, dub. 3 difficultas 3

(ed. Coll. S. Bon. III, 894 b). 151 Übersetzung für verbo vitae. Zur Bestimmung der Taufe: »Baptismus est tinctio in aqua facta verbo vitae sanctificata« (Augustinus zugeschrieben); vgl. etwa Wilhelm von Auxere, Summa aurea IV, tract. 5, cap. 2 q. 1: De baptismismo Christi (Parisiis 1500, f. 249vb [ND Frankfurt 1964 (Minerva); ed. Ribaillier IV, 71–97; hier 73), Albertus, Sent. IV, d. 3, a. 1 (ed. Borgnet XXIX, 57 a), Thomas, Sent. IV, d. 3, a. 1, sol. 1; ferner Glossa Petri Lombardi super Eph. 5, 26 (PL 192, 214 A). 152 Übersetzung für corruptivum contrarium (»sie aufhebende Gegenwirkung«). 153 Vgl. etwa Petrus Lombardus, Sent. II, d. 27, c. 3 (ed. Coll. S. Bon. I/2, 482, 20 ff.) bzw. Augustinus, De lib. arb. II, c. 19 (CCSL 29, 271, 5 ff.). 154 Begriffspaar agens – patiens. Zum Argument: Bonaventura, Sent. IV, d. 1, p. 1, a. unic., q. 4, contra 1 (ed. Coll. S. Bon. IV, 19 b). 155 Vgl. Augustinus, De Gen. ad litt. XII, 16 (CSEL 28/1, 402, 5 ff.). 156 Übersetzung für similitudines. Das heißt: die Ideen bzw. die geistigen Erkenntnisbilder (species intelligibilis).

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noch abwegiger als daß ein mit ihr geeinter Körper eine natürliche Wirkung in ihr verursacht. Folglich scheint es in keiner Weise möglich zu sein, daß solche körperlichen Grundstoffe, wie sie bei den Sakramenten vorkommen, die Ursache der Gnade sind. 12. Die Seele bereitet sich selbst wirksamer auf den Besitz der Gnade vor als sie durch die Sakramente dazu vorbereitet wird, weil die Vorbereitung, durch die sich die Seele vorbereitet, auch ohne ein Sakrament zur Gnade hinführt, nicht aber umgekehrt. Die Seele aber, obgleich sie sich auf die Gnade vorbereitet, erweist sich nicht als die Ursache der Gnade. Daraus folgt: Wenn auch die Sakramente in gewisser Weise auf die Gnade vorbereiten, dürfen sie nicht die Ursache der Gnade genannt werden. 13. Kein weiser Baumeister verwendet ein Werkzeug außer in Übereinstimmung mit dessen Eignung, wie etwa der Wagenbauer die Säge nicht zum Behauen verwendet. Gott aber ist der weiseste Baumeister. Folglich verwendet er auch nicht ein körperliches Werkzeug für eine geistliche Wirkung, die der körperlichen Natur nicht zukommt. 14. Der weise Arzt behandelt stärkere Krankheiten mit stärkeren Heilmitteln. Die Krankheit der Sünde aber ist am schwersten. Folglich mußte Gott zu ihrer Heilung durch Verleihung der Gnade kräftige Heilmittel hinzufügen und nicht die körperlichen Grundstoffe. 15. Die Neuschöpfung der Seele157 muß der Schöpfung in der Weise einer Ähnlichkeit entsprechen. Gott aber schuf die Seele ohne ein vermittelndes Geschöpf.158 Folglich mußte Gott sie durch die Gnade auch auf gleiche Weise neu erschaffen ohne ein vermittelndes Sakrament. 16. Hilfsmittel zu besitzen, ist Kennzeichen der Schwäche des Wirkenden. Werkzeuge aber unterstützen das Wirken des Hauptwirkenden. Folglich kommt es Gott nicht zu, der ja das am mächtig-

157 Übersetzung für recreatio animae. Die Rechtfertigung wird als Neuschöpfung aufgefaßt; vgl. 2 Kor. 5, 17: »Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung (nova creatura).« 158 Übersetzung für nulla creatura mediante. Vgl. oben a. 1 arg. 10/ad 10 (auch ad 3).

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sten Wirkende ist, daß er durch die Sakramente wie durch Werkzeuge die Gnade verleiht. 17. Zu jedem Werkzeug gehört sein natürliches Wirken, das etwas zu der von dem Hauptwirkenden beabsichtigen Wirkung beitragen soll. Das natürliche Wirken des materiellen Grundstoffes scheint aber nichts zur Wirkung der Gnade beizutragen, die Gott in der Seele zu wirken beabsichtigt. Bei der Taufe nämlich hat das Abwaschen keinen näheren Bezug zur Seele als das Wasser selbst. Folglich sind solche Sakramente im Hinblick auf die Gnade nicht in der Weise eines Werkzeuges tätig. 18. Sakramente werden nicht ohne einen Amtsträger gespendet. Wenn also die Sakramente in gewisser Weise Ursache der Gnade sind, dann wird auch der Mensch in gewisser Weise Ursache der Gnade sein. Das widerspricht aber dem Wort Augustins,159 der sagt, daß dem Amtsträger nicht die Macht des Rechtfertigens verliehen wurde, damit die Hoffnung nicht in einen Menschen gesetzt werde. 19. In der Gnade wird der Heilige Geist gegeben. Wenn also die Sakramente die Ursache der Gnade sind, dann werden sie auch die Ursache des Gebens des Heiligen Geistes sein. Das widerspricht aber Augustinus,160 der sagt, daß kein Geschöpf »den Heiligen Geist geben kann«. Folglich sind die Sakramente in keiner Weise die Ursache der Gnade. Dagegen spricht: 1. Was Petrus Lombardus im 4. Buch der Sentenzen, Abschnitt 1, sagt, wo er ein Sakrament des Neuen Bundes wie folgt bestimmt: »Ein Sakrament ist die sichtbare Form der unsichtbaren Gnade, sofern es ihr Bild an sich trägt und als ihre Ursache hervortritt.«161 2. Ambrosius sagt,162 daß die Gnade stärker ist als die Schuld. Dies ist auch durch den Apostel in Röm. 5, 15 offensichtlich. Die Schuld 159 Vgl. Augustinus, Tract. in Ioh. ev. V, n. 7 (CCSL 36, 44,1–8). 160 Vgl. Augustinus, De trin. XV, 26, 46 (CCSL 50A, 526, 34 f.) nach

Petrus Lombardus., Sent. I, d. 14, c. 3 (ed. Coll. S. Bon. I/2, 129, 16 ff.). 161 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. IV, d. 1, c. 2–4 (ed. Coll. S. Bon. II, 231–234). 162 Richtig: Ambrosiaster, Super Rom. 5, 17 (CSEL 81/1, 182).

4. Artikel

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wird aber in der Seele durch die Ansteckung des Körpers163 verursacht. Folglich kann auch die Gnade in der Seele durch eine Heiligung des körperlichen Grundstoffes verursacht werden. 3. Entweder wird durch die Einsetzung der Sakramente des Neuen Bundes den natürlichen Sakramenten des alten Bundes etwas hinzugefügt oder aber nichts: Wenn nichts, dann ist der Welt in der Einsetzung der Sakramente nichts mitgeteilt worden, was widersprüchlich ist. Wenn jedoch etwas hinzugefügt wird, sofern dies nicht vergeblich geschieht, wird es die Wirkfähigkeit von etwas sein, das zuvor nicht wirken konnte. Wenn aber, kommt dies nur der Gnade zu, weil ja dazu die Sakramente eingesetzt wurden. Folglich sind die Sakramente fähig, Gnade zu bewirken. 4. Man hat aber gesagt, daß nur eine Ordnung im Hinblick auf die Gnade hinzugefügt wurde. – Dagegen spricht: Eine Ordnung ist ein bestimmtes Verhältnis. Ein Verhältnis gründet sich aber immer auf etwas Absolutes, aufgrund dessen sich darin eine akzidentielle Bewegung auf dieses hin ergibt. Wenn also eine Ordnung hinzugefügt wird, ist es notwendig, daß auch etwas Absolutes hinzugefügt werde. 5. Das Absolute wird nicht vom Bezüglichen verursacht, weil das Bezügliche das schwächste Sein164 besitzt. Wenn den Sakramenten also nichts hinzugefügt wird außer eine Beziehung durch ihre Einsetzung, werden sie aus dieser Einsetzung nicht heiligen können, was aber Hugo von St. Viktor widerspricht.165 6. Man hat aber gesagt, daß jene Beziehung nicht die Ursache der Heiligung ist, sondern vielmehr die göttliche Kraft, die die Sakramente unterstützt. – Dagegen spricht: Entweder unterstützt die göttliche Kraft, welche Gott selbst ist, die Sakramente nach ihrer Einsetzung auf eine andere Weise als davor oder nicht: Wenn nicht 163 Übersetzung für infectio corporis. Zur Übertragung der Erbsünde (peccatum orginale): De malo, q. 4 (bes. a. 3) u. Sum. theol. I-II, q. 82, a. 1. 164 Übersetzung für relativum habet esse debilissimum. Vgl. De pot., q. 9 ad 2: »die Beziehung hat das geringste Sein«; vgl. auch De ver., q. 1, a. 5 ad 16; In Phys., III, 1 (ed. Maggiòlo, nr. 279); Sent. I, d. 26, q. 2, a. 2 ad 2; ferner Aristoteles, Cat., c. 4; 1 b 26 ff.; Metaph. XIV, 1; 1088 a 22–24. 165 Vgl. Hugo von St.Viktor, De sacramentis I, p. 9, c. 2 (PL 176, 317 D; ed. Berndt, Münster 2008, 210).

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auf eine andere Weise, dann werden die Sakramente nach ihrer Einsetzung auch keine andere Wirkung haben als zuvor. Wenn jedoch auf eine andere Weise, sofern man von Gott sagt, daß er nur auf eine neue Weise im Geschöpf sei, weil er eine neue Wirkung in ihm hervorbringt, dann wird es nötig sein, daß etwas von dem Neuen auch den Sakramenten selbst hinzugefügt werde. Und so ergibt sich derselbe Schluß wie zuvor. 7. Für manche Sakramente ist eine geheiligte Materie erforderlich, wie etwa bei der Letzten Ölung und der Firmung. Jene Heiligung geschieht aber nicht unnützerweise. Folglich wird durch sie den Sakramenten eine bestimmte geistliche Kraft verliehen, aufgrund deren sie in irgendeiner Weise die Ursache der Gnade sein können, weil darauf jene Kraft wegen der Gnade hingeordnet wird. Antwort: Es ist notwendig anzunehmen, daß die Sakramente des Neuen Bundes in irgendeiner Weise die Ursache der Gnade sind. Deswegen nämlich hat man gesagt, daß das alte Gesetz töte und die Übertretung vermehre, weil es die Erkenntnis der Sünde bewirkte, die Gnade jedoch als Helferin166 gegen die Sünde nicht verlieh.167 Wenn also das neue Gesetz168 die Gnade nicht verleihen würde, wäre gleichfalls damit gesagt, daß es töte und die Übertretung vermehre; deren Gegenteil wird aber durch die apostolische Lehre verkündet.169 Das neue Gesetz verleiht die Gnade aber nicht bloß durch Unterweisung, weil dies auch das alte Gesetz tat, sondern indem es durch seine Sakramente in irgendeiner Weise die Gnade verursacht. Daher begnügt sich die Kirche nicht mit dem Katechismus, durch den sie den Bekehrten unterweist,170 sondern sie fügt darüber hinaus ihm noch die Sakramente hinzu, damit der Bekehrte die Gnade zu besitze, welche nämlich die Sakramente des Alten Bundes nicht verliehen, son166 Übersetzung für adiutrix contra peccatum. 167 Vgl. 2 Kor. 3, 6–11 nach Petrus Lombardus, Sent. III, d. 40, c. 2 (ed.

Coll. S. Bon. II, 229, 3 f.). 168 Zum Verhältnis von Gnade (lex nova) und Gesetz (lex vetus): Sum. theol. I-II, q. 98 ff. u. 106 ff. 169 Vgl. etwa Röm. 5, 9–21. 170 Vgl. Hebr. 11, 6.

4. Artikel

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dern bloß sinnbildlich bezeichnen:171 Die Bezeichnung jedoch zielt auf Unterweisung ab. So waren folglich, weil das alte Gesetz nur unterwies, seine Sakramente bloß Zeichen der Gnade.172 Weil aber das Neue Gesetz sowohl unterweist als auch rechtfertigt, sind seine Sakramente Zeichen und Ursache der Gnade. Wie sie aber die Ursache der Gnade sein können, das lehren nicht alle in gleicher Weise. (1) Einige nämlich sagen,173 daß sie Ursache der Gnade seien, nicht weil sie etwas zum Besitz der Gnade durch eine ihnen innewohnende Kraft bewirken, sondern weil bei ihrem Empfang die Gnade von Gott gegeben wird, welcher die Sakramente unterstützt, so daß sie die Ursache der Gnade im Sinne einer unerläßlichen Ursache174 genannt werden. Dazu führen sie als Beispiel an, daß jemand, der einen Denar aus Blei entrichtet, hundert Pfund dafür empfängt, nicht etwa weil der Denar aus Blei die Ursache sei, die etwas zum Empfang der hundert Pfund bewirkt; sondern weil es von dem, der sie geben kann, so festgesetzt wurde, daß jeder, der einen solchen Denar entrichtet, einen solch großen Betrag empfangen solle. Ebenso ist von Gott festgesetzt worden, daß jeder, der die Sakramente nicht geheuchelt empfängt, die Gnade empfangen soll, freilich nicht von den Sakramenten, sondern von Gott selbst. Und sie behaupten, Petrus Lombardus habe im 4. Buch der Sentenzen, Abschnitt 1, dasselbe gemeint, wenn er gesagt hat, daß derjenige, der ein Sakrament empfängt, »das Heil in Dingen unterhalb seiner selbst suche, wenn auch nicht von ihnen.«175 Aber diese Auffassung scheint nicht hinreichend die Würde der Sakramente des Neuen Bundes zu bewahren. 171 Vgl. Petrus Lombardus., Sent. IV, d. 1, c. 6 (ed. Coll. S. Bon. II, 235, 27 ff.); vgl. auch IV, d 22, c. 2 (389, 9–16). 172 Übersetzung für signa gratiae. 173 Vgl. Bonaventura, Sent. III, d. 40, art. unicus, dub. 3, opinio 2 (ed. Quar. III, 895 f.) verweist auf Wilhelm von Auvergne; vgl. dazu Guillelmus. Alvernus, De sacramento baptismi, c. 2–3 (ed. Opera omnia I, Parisiis 1674, 418 u. 422); ferner: Ricardus Fishacre, Super Sent. IV, d. 1 (ed. Simonin, 15, 17, 18 u. 19). 174 Übersetzung für causa sine qua non. 175 Vgl. Petrus Lomb., Lib. Sent. IV, d. 1, c. 5 (ed. Coll. S. Bon. II, 235, 1–4).

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Wenn man nämlich das von ihnen vorgelegte Beispiel und die ähnlichen Vergleiche recht betrachtet, findet man, daß dasjenige, was sie eine unerläßliche Ursache nennen, sich zur Wirkung bloß wie ein Zeichen verhält: Der Denar aus Blei ist nämlich nur ein Zeichen des Empfangs der Geldsumme, wie etwa der Stab der Vollmacht, die dem Abt übertragen wird. Wenn sich daher die Sakramente des Neuen Bundes auf solche Weise zur Gnade verhielten, würde folgen, daß sie nur Zeichen der Gnade sind, und so würden sie nichts den Sakramenten des Alten Bundes voraushaben. Wenn nicht jemand sagen will, die Sakramente des Neuen Bundes seien Zeichen einer Gnade, welche zugleich mit ihnen gegeben werde, hingegen die Sakramente des Alten Bundes bloß Zeichen verheißener Gnade.176 Dies betrifft aber mehr die Bestimmung der Zeit als die Würde der Sakramente, weil zu jener Zeit die Gnade verheißen wurde, jetzt aber ist die Zeit der Gnadenfülle,177 aufgrund der Wiederherstellung der menschlichen Natur, welche bereits geschehen ist. Aufgrund dieser Meinung hätten daher die Sakramente des Neuen Bundes, wenn sie damals mit dem Ganzen bestanden hätten, was sie heute besitzen, nicht mehr als die des Alten Bundes bewirkt, noch würden heute die Sakramente des Alten Bundes weniger bewirken als die des Neuen Bundes, selbst wenn keine Hinzufügung an ihnen geschähe. Deshalb muß man vielmehr sagen, daß die Sakramente des Neuen Bundes etwas bewirken, um die Gnade zu haben. (2) In Bezug auf eine Wirkung aber ist etwas auf zweifache Weise tätig: (2.1) Einmal wie ein durch sich selbst Wirkendes.178 Und man nennt etwas durch sich selbst wirkend, was durch eine ihm innewohnende Form in der Weise einer vollständigen Natur wirkt, sei es daß sie diese Form von sich aus oder von einem anderen habe, und 176 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. IV, d. 1, c. 6 (ed. Coll. S. Bon. II, 236,1). 177 Übersetzung für tempus plenitudinis gratiae. 178 Übersetzung für per se agens (Gegenbegriff: instrumentaliter ope-

rari).

4. Artikel

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entweder von Natur aus oder durch äußere Gewalt: In diesem Sinne heißt es von Sonne und Mond, daß sie erleuchten, und von Feuer, glühendem Eisen und erhitztem Wasser, daß sie erwärmen. (2.2) Ferner ist etwas in Bezug auf eine Wirkung auf werkzeugliche Weise tätig, das hinsichtlich der Wirkung nicht durch eine ihm innewohnende Form wirkt, sondern nur insofern es von etwas durch sich selbst Wirkendes bewegt wird. Dies ist nämlich die Wesensbestimmung des Werkzeugs, sofern es Werkzeug ist, daß es bewege als ein Bewegtes.179 Wie sich daher die vollständige Form zu dem durch sich Wirkenden verhält, so verhält sich die Bewegung, wodurch das Werkzeug vom Hauptwirkenden bewegt wird, zu dem Werkzeug; etwa wie die Säge im Hinblick auf die Sitzbank tätig ist. Obwohl aber die Säge eine Tätigkeit besitzt, welche ihr gemäß der eigenen Form zukommt, wie etwa zu zerteilen, hat sie dennoch eine bestimmte Wirkung, die ihr nur zukommt, sofern sie vom Baumeister bewegt wird: etwa einen geraden und der Form des Werkstücks entsprechenden Einschnitt zu machen. Und so hat das Werkzeug zwei Tätigkeiten: Die eine Tätigkeit, welche ihr gemäß der eigenen Form zukommt, und die andere, welche ihr von daher eignet, daß sie von einem durch sich Wirkenden bewegt wird, welche die Kraft der eigenen Form überschreitet. (3) Man muß also sagen: Weder ein Sakrament noch irgendein Geschöpf kann die Gnade in der Weise eines durch sich selbst Wirkenden geben, denn dies kommt allein der göttlichen Kraft zu, wie aus dem vorhergehenden Artikel offenkundig ist. Die Sakramente sind aber hinsichtlich der Gnade auf werkzeugartige Weise tätig, was wie folgt deutlich wird: (3.1) Johannes Damascenus sagt im 3. Buch Über den Glauben,180 daß die menschliche Natur in Christus gleichsam ein Werkzeug der Gottheit181 gewesen sei. Daher hatte die menschliche Natur auch 179 Übersetzung für ut moveat motum. Zur Wesensbestimmung des »Werkzeugs«: ScG II, 21; De ver., q. 24, a. 1 ad 5; ferner: Aristoteles, Metaph. V, 2; 1013 b 3 ff., Phys. II, 3; 194 b 916 ff. u. Eth. Nic. III, 5; 1112 b 10 ff. 180 Vgl. Johannes Damascenus, De fide orth. III, c. 15 (PG 94, 1060 A; ed. Buytaert, 239); vgl. auch c. 19 (PG 94, 1080 B; ed. Buytaert, 258). 181 Übersetzung für organum divinitatis.

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einen gewissen Anteil am Wirken der göttlichen Kraft, beispielsweise machte Christus den Aussätzigen durch Berühren rein.182 Die Berührung Christi selbst nämlich verursachte so auf werkzeugliche Weise die Heilung des Aussätzigen. Wie aber die menschliche Natur in Christus am Wirken der göttlichen Kraft bei den körperlichen Wirkungen auf werkzeugliche Weise Anteil hatte, so auch bei den geistlichen Dingen. Von daher hatte auch das Blut Christi, das für uns vergossen wurde, die Wirkkraft, die Sünden abzuwaschen; wie es in Offb. 1, 5 heißt: »Er reinigte uns von unseren Sünden in seinem Blut«, und in Röm. 3, 24: »Gerechtfertigt in seinem Blut.« Und auf diese Weise ist die Menschheit Christi werkzeugliche Ursache der Rechtfertigung.183 Diese Ursache wird uns nämlich in geistlicher Weise durch den Glauben und in körperlicher Weise durch die Sakramente zugewendet. Denn die Menschheit Christi ist darum sowohl Geist als auch Körper, daß wir die Wirkung der Heiligung, welche von Christus stammt, in uns erfahren. Von daher ist jenes Sakrament das vollkommenste, in dem der Leib Christi der Wirklichkeit nach enthalten ist, nämlich die Eucharistie, welche auch der Inbegriff aller anderen Sakramente ist, wie Dionysius in der Kirchlichen Hierarchie sagt.184 Die anderen Sakramente haben aber einen gewissen Anteil an jener Kraft, durch die die Menschheit Christi hinsichtlich der Rechtfertigung auf werkzeugliche Weise tätig ist. Aufgrund dessen wird der durch die Taufe Geheiligte vom Apostel in Hebr. 10, 22 durch das Blut Christi geheiligt genannt. Von daher sagt man auch, das Leiden Christi wirke in den Sakramenten des Neuen Bundes. Folglich sind die Sakramente des Neuen Bundes die Ursache der Gnade, sofern sie gleichsam auf werkzeugliche Weise hinsichtlich der Gnade tätig sind.185 182 Vgl. etwa Mt. 8, 2–3 o. Mk. 1, 40–41. 183 Grundatz: »humanitas Christi est instrumentalis causa iustifica-

tionis«. 184 Vgl. Dionysius Areopagita, De eccl. hier., c. 3, praef. (PG 3, 424 D; Dion. II, 1164; CD II, ed. Heil / Ritter, 79,15 f.; ed. Heil, BGL 22, 109). 185 Vgl. Glossa Petri Lombardi super Rom. 5, 14 (PL 191, 1392 C) nach Thomas, Sent. IV, d. 1, q. 1, a. 4 qc. 3, s.c. 1; aus Augustinus, etwa: Enarr.

4. Artikel

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Zu 1. Bernhard geht nicht genügend auf die Wesensbestimmung der Sakramente des Neuen Bundes ein. Er spricht nämlich über sie im Hinblick darauf, daß sie Zeichen sind und nicht im Hinblick darauf, daß die Ursachen sind. Zu 2. Die Sakramente des Neuen Bundes sind nicht die Hauptursache der Gnade als durch sich selbst Wirkende, sondern die werkzeugliche Ursache. Entsprechend der Weise anderer Werkzeuge haben sie ein doppeltes Wirken: das eine, das über ihre eigene Form hinausgeht, aber aus der Kraft der hauptsächlich wirkenden Form, das heißt Gottes, kommt, welche im Rechtfertigen besteht; und das andere, das sie gemäß ihrer eigenen Form ausüben, wie etwa Abwaschen oder Salben. Dieses Wirken nämlich berührt körperlich den Menschen selbst, der gerechtfertigt wird; und zwar dem Körper nach an sich und der Seele nach akzidentiell, die solch ein körperliches Wirken erfährt; geistlich berührt es jedoch die Seele selbst, sofern es von ihr mit dem Verstand als ein Zeichen der geistlichen Reinigung erfahren wird. Zu 3. Weil das letzte Ziel dem ersten Wirkenden entspricht, wie eine Hauptsache der Hauptsache, deshalb wird den werkzeugartig Wirkenden das letzte Ziel nicht zugeschrieben, sondern nur die Disposition zum letzten Ziel. Daher wird von den Sakramenten gesagt, daß sie in der Weise vorbereitender Werkzeuge die Ursache der Gnade sind. Zu 4. Die Sakramente sind hinsichtlich der Gnade nicht durch die Kraft ihrer eigenen Form tätig, sonst würden sie nämlich wie durch sich selbst Wirkende tätig sein, vielmehr sind sie in der Kraft des Hauptwirkenden, das heißt Gottes, tätig, die in ihnen ist. Diese Kraft besitzt nämlich kein vollständiges Sein in der Natur, sondern sie ist etwas Unvollständiges in der Gattung des Seienden. Was daraus offenkundig ist, daß ein Werkzeug bewegt, sofern es bewegt wird. Eine Bewegung ist aber nach dem Philosophen ein unvollkommener Akt.186 in Ps. CIII, 26 sermo 4, n. 5 f. (CCSL 40, 1524 f.); CXXVI, 2, n. 6 f. (1861 f.), CXXVII, 3, n. 10 f. (1875 f.) u. CXXVIII, 1, n. 2 f. (1990 f.). 186 Vgl. oben De ver. q. 4, a. 1 ad 1; Aristoteles, Phys. III, 3; 201 b 31; vgl. auch Thomas von Aquin, In Phys., III, 1, n. 7 (motus est actus imperfectus).

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Wie von daher jene Dinge, die etwas bewegen, indem sie gleichsam schon im Ziel ihrer Bewegung dem Wirkenden angeglichen sind, durch eine vollkommene Form bewegen, so bewegen jene Dinge, die etwas bewegen, in dem sie selbst bewegt werden, durch eine unvollständige Form. Und solch eine Kraft ist in der Luft, um den Gesichtssinn zu bewegen, sofern sie von der Farbe der Wand wie zu einem Werden verändert wird, nicht aber bereits zu einem gewordenen Sein. Daher ist das Wesen der Farbe in der Luft in der Weise eines geistigen Abbildes,187 und nicht in der Weise eines vollständigen Seienden, wie sie es etwa in der Wand sind. Ebenso sind auch die Sakramente hinsichtlich der Gnade tätig, sofern sie gleichsam von Gott zu dieser Wirkung bewegt werden. Diese Bewegung richtet sich nämlich nach der Einsetzung, der Heiligung und der Anwendung auf denjenigen, der zu den Sakramenten hinzutritt. Von daher haben die Sakramente die Kraft nicht in der Weise eines vollständigen Seienden, sondern gleichsam unvollständig. Folglich ist es nicht widersprüchlich, daß eine geistliche Kraft in einer materiellen Sache sei, wie etwa die Wesenheiten der Farben auf geistige Weise in der Luft sind. Zu 5. Diese Kraft kann eigentlich gesagt weder körperlich noch unkörperlich genannt werden, denn »körperlich« und »unkörperlich« sind Unterschiede des vollständigen Seienden. Vielmehr wird die Kraft eigentlich »auf das Unkörperliche hin« genannt, wie nämlich eine Bewegung mehr »auf das Seiende hin« als »ein Seiendes« bezeichnet wird.188 Der Einwand aber verfährt wie wenn diese Kraft eine vollständige Form wäre.

187 Übersetzung für species coloris in aere per modum intentionis. Zum Begriff intentio vgl. ScG IV, 11: »Ich nenne aber das erkannte Erkenntnisbild (intentio intellecta) dasjenige, was der Verstand in sich selbst von der erkannten Sache konzipiert«; vgl. auch De ver. 21, a. 3 ad 5. Das heißt: der im Erkennen des Intellekts hervorgebrachte Begriff als Abschluß der Verstandestätigkeit. Insofern nicht ganz identisch mit der species intelligibilis, also dem geistigen Erkenntnisbild, das den Verstand in den Akt überführt (vgl. ScG I, 53). 188 Vgl. Aristoteles, Metaph. IV, c. 1; 1003 b 7 u. Averroes, Metaph. IV comm. 2 (ed. Arist. lat., VIII, 65 K).

4. Artikel

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Zu 6. Das Unvollständige kann nicht wie ein durch sich selbst Wirkendes die Ursache des Vollständigen sein. Das Unvollständige kann jedoch irgendwie auf das Vollständige in der Weise einer Ursache hin geordnet sein, wie wir etwa von der Bewegung des Werkzeugs sagen, daß es die Ursache der Form sei, die durch das Hauptwirkende eingeführt wurde. Zu 7. Bezüglich der Vollkommenheit des Werkzeugs gilt nicht, daß es durch eine vollständige Kraft wirke, sondern daß es wirke, sofern es bewegt wird, und so durch eine unvollständige Kraft. Daher folgt nicht, daß die Sakramente unvollkommene Werkzeuge sind, obgleich ihre Kraft nicht ein vollständiges Seiendes ist. Zu 8. Ein Werkzeug verhält sich zum Wirken mehr als das, »wodurch« gewirkt wird, als das, »was« wirkt.189 Dem Hauptwirkenden nämlich kommt es zu, daß es durch ein Werkzeug wirkt, und auf diese Weise – obwohl die letzten Dinge nicht die mittleren oder höchsten Dinge zu Gott zurückführen – können sich die letzten Dinge, dennoch wie diejenigen Dinge verhalten, durch die eine Zurückführung der höchsten und mittleren Dinge zu Gott geschieht. Daher sagt Dionysius auch, daß es für uns naturgemäß ist, mittels der Sinnesdinge zu Gott geführt zu werden.190 Diesen Grund für die Notwendigkeit der sichtbaren Sakramente zeigt er auch im 1. Kap. der Kirchlichen Hierarchie auf.191 Zu 9. Es kommt Gott zu, die Seele zu erleuchten, und zwar ohne ein vermittelndes Geschöpf, das auf die Erleuchtung der Seele hin im Sinnes eines hauptsächlich und durch sich selbst Wirkenden tätig ist. Es kann jedoch irgendein Mittel ein werkzeugliches und vorbereitendes Wirkendes sein. Zu 10. Es gibt manche Sakramente, bei denen eine geheiligte Materie erforderlich ist, wie etwa bei der Letzten Salbung und der Firmung. Jedoch gibt es einige Sakramente, bei denen sie nicht als 189 Begriffspaar quo agitur – quod agit. 190 Übersetzung für connaturale est nobis ut per sensibilia in Deum

manuducamur. Vgl. Dionysius Areopagita, De cael. hier., c. 1, 3 (PG 3, 121 D; Dion. II, 735; CD II, ed. Heil / Ritter, 8, 20 ff.; ed. Heil, BGL 22, 29). 191 Vgl. Dionysius Areopagita, De eccl. hier., c. 1, 5 (PG 3, 377 A; Dion. II, 1100; CD II, ed. Heil / Ritter, 68, 2 ff.; ed. Heil, BGL 22, 100).

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notwendige Bedingung des Sakraments erforderlich ist. Für alle Sakramente ist also wahr, daß die Kraft des Sakraments192 nicht bloß in der Materie besteht, sondern zugleich in der Materie und der Form,193 die beide zusammen das eine Sakrament bilden. Wie auch immer von daher die Materie eines Sakraments beim Menschen angewendet wird, ohne die gebührende Form der Worte und die anderen Dinge, welche dazu erforderlich sind, erfolgt die Wirkung des Sakraments194 nicht. Bei den Sakramenten aber, die einer geheiligten Materie bedürfen, bleibt die Kraft des Sakraments nach dem Vollzug des Sakraments in der Materie teilweise erhalten, wenn auch nicht vollständig. Bei den Sakramenten jedoch, die keiner geheiligten Materie bedürfen, bleibt nach dem Vollzug des Sakraments nichts zurück. Von daher besitzt das Wasser, mit dem eine Taufe gefeiert wurde, nichts mehr als anderes Wasser, außer etwa aufgrund des Zusatzes von Chrisam, was aber nicht zur notwendigen Bedingung des Sakraments gehört. Noch ist dies widersprüchlich, daß jene Kraft sogleich aufhört, weil sich diese Kraft ja wie etwas verhält, das nur im Werden und im Bewegtwerden vorhanden ist, wie gesagt wurde.195 Und solche Kräfte hören auf, indem das Bewegen des Bewegenden aufhört. Sogleich nämlich, wenn das Bewegende aufhört zu bewegen, hört auch das Bewegte auf, bewegt zu werden. Zu 11. Der körperliche Grundstoff vermag dennoch – auch wenn er weniger edel als die Seele ist, und deshalb nichts in der Seele durch die Kraft der ihm eigenen Natur bewirken kann – etwas in der Seele zu bewirken, sofern er nämlich ein Werkzeug ist, das in der göttlichen Kraft wirkt. Zu 12. Die Seele wirkt, indem sie sich in der Kraft der ihr eigenen Natur auf die Gnade vorbereitet. Hingegen wirkt ein Sakrament in

192 Übersetzung für virtus sacramenti. 193 Übersetzung für materia et forma sacramenti. Forma meint hier

die Worte, die die sinnfälligen Zeichen (materia) begleiten; vgl. Sum. theol. III, q. 60, a. 7. 194 Übersetzung für effectus sacramenti. 195 Vgl. ad 4.

4. Artikel

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der göttlichen Kraft als deren Werkzeug. Folglich ist es nicht das Gleiche. Zu 13. Ein Sakrament sinnbildet gemäß seiner eigenen Form bzw. ist solcher Art, jene Wirkung darzustellen, auf die es durch göttliche Fügung hin geordnet ist. Demgemäß ist es ein angemessenes Werkzeug, denn die Sakramente verursachen, indem sie sinnbilden.196 Zu 14. Die Sakramente des Neuen Bundes sind keine schwachen Heilmittel, sondern machtvolle, sofern in ihnen das Leiden Christi wirksam ist. Jedoch die Sakramente des Alten Bundes, welche dem Leiden Christi vorangegangen sind, werden schwach genannt, wie etwa aus Gal. 4, 9 offenkundig ist: »Ihr habt euch den schwachen und dürftigen Grundstoffen zugewandt.« Zu 15. Die Schöpfung setzt nichts voraus, worauf das Wirken eines werkzeuglich Wirkenden abzielen könnte, hingegen setzt die Neuschaffung etwas voraus. Folglich ist es nicht das Gleiche. Zu 16. Gott gebraucht bei seinem Wirken die Werkzeuge bzw. mittleren Ursachen nicht aufgrund seiner Unzulänglichkeit, sondern wegen der Angemessenheit der Wirkungen: Es ist nämlich angemessen, daß uns die göttlichen Heilmittel auf unsere Weise197 dargeboten werden, das heißt eben durch die Sinnendinge, wie es Dionysius im 1. Kap. der Kirchlichen Hierarchie sagt.198 Zu 17. Die natürliche Wirkung des stofflichen Werkzeugs trägt zur Wirkung eines Sakraments bei. Sofern durch sie dem Empfänger das Sakrament verabreicht wird und sofern die Darstellung des Sakraments durch die besagte Wirkung vollendet wird, wie etwa das Sinnbilden der Taufe durch das Abwaschen. Zu 18. Es gibt manche Sakramente, bei denen kein bestimmter Amtsträger erforderlich ist, wie etwa bei der Taufe; und bei solchen beruht die Kraft des Sakraments in keiner Weise auf dem Amtsträger. Es gibt aber einige Sakramente, bei denen ein dazu bestimmter 196 Übersetzung für sacramenta significando causant. 197 Übersetzung für secundum modum nostrum. Das heißt: »per sen-

sibilia«, nämlich in sinnfällige Zeichen. Zur Vermittlungsfunktion der Sinneserfahrung: Sum. theol. I, q. 85, a. 1 u. 3; ferner I, q. 12, a. 1–5. 198 Vgl. Dionysius Areopagita, De eccl. hier., c. 1, 5 (PG 3, 377 A; Dion. II, 1100; CD II, ed. Heil / Ritter, 68, 2 ff.; ed. Heil, BGL 22, 100).

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Amtsträger notwendig ist, und deren Kraft beruht teilweise auf dem Amtsträger wie auch auf der Materie und Form: Dennoch sagt man nicht, daß der Amtsträger rechtfertige, außer im Sinne der Amtshandlung, sofern er nämlich durch das Spenden des Sakraments bei der Rechtfertigung mitwirkt. Zu 19. Der Heilige Geist wird von niemandem gegeben, außer von dem, welcher die Gnade wie ein Hauptwirkendes verursacht, was allein Gott zukommt. Folglich gibt Gott allein den Heiligen Geist.

5. Artik el Die fünfte Frage lautet: Ist in einem Menschen nur eine heiligmachende Gnade?199 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Nichts wird nämlich gegenüber sich selbst unterschieden. Die Gnade aber wird in wirkende und mitwirkende unterteilt.200 Folglich sind die wirkende und die mitwirkende Gnade verschiedene Gnaden. So gibt es in einem Menschen nicht nur eine einzige heiligmachende Gnade. 2. Man hat aber gesagt, daß die wirkende und mitwirkende Gnade unter dem Gesichtspunkt des Habitus eine einzige Gnade ist, deren Unterscheidung hingegen von den verschiedenen Akten her genommen werde.201 – Dagegen spricht: die Habitus werden nach ihren Akten unterschieden.202 Wenn also die Akte verschieden sind, dann wird nicht der Habitus der beiden Gnaden ein einziger sein können. 3. Niemand hat es nötig, um das zu bitten, was er bereits hat. Derjenige aber, welcher die zuvorkommende Gnade203 besitzt, hat 199 Paralleltexte: Sent. II, d. 26 q. 1 a. 6. Sent. IV, d. 1 q. 1 a. 4 qc. 5. 200 Begriffspaar gratia operans – gratia cooperans. Vgl. Petrus Lom-

bardus, Sent. II, d. 26, c. 1 (ed. Coll. S. Bon. I, 470,1–16). 201 Vgl. etwa Sum. theol. I-II, q. 111, a. 2 ad 4. 202 Vgl. oben De ver. q. 2 a. 2 ad 2; Aristoteles, De an. II, 4; 415 a 18; ferner: Sent. I., d. 48, a. 2 arg 2; Sent. II, d. 38, a. 4 arg 1; d. 24 q. 1, a. 2 arg. 3; Sent. IV, d. 18 q. 1 a. 1 qc. 2. 203 Begriffspaar: gratia praeveniens – gratia subsequens: Die zuvor-

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es nach Augustinus nötig,204 um die nachfolgende Gnade zu bitten. Folglich ist die zuvorkommende und die nachfolgende Gnade nicht eine einzige Gnade. 4. Man hat aber gesagt, daß derjenige, welcher die zuvorkommende Gnade besitzt, die nachfolgende Gnade nicht wie eine andere Gnade erbittet, sondern vielmehr als die Bewahrung derselben Gnade. – Dagegen spricht: Die Gnade ist mächtiger als die Natur. Der Mensch im Stand der unversehrten Natur205 aber »war durch sich selbst fähig, in dem zu beharren, was er empfangen hatte«, wie im 24. Abschnitt des 2. Buches der Sentenzen heißt.206 Folglich ist derjenige, welcher die zuvorkommende Gnade empfangen hat, fähig in ihr zu beharren, und hat es daher nicht nötig dies zu erbitten. 5. Die Form wird entsprechend der Verschiedenheit derjenigen Dinge unterschieden, die vervollkommnet werden können. Die Gnade aber ist die Form der Tugenden.207 Wenn es also viele Tugenden gibt, dann wird die Gnade nicht eine einzige sein können. 6. Die zuvorkommende Gnade gehört zum Pilgerstand, die nachfolgende Gnade bezieht sich auf die Glorie. Von daher sagt Augustinus: »Sie geht voraus, damit wir gottesfürchtig leben, und sie folgt nach, damit wir immer mit Gott leben; sie geht voraus, um uns zu berufen, sie folgt nach, um uns verherrlichen.«208 Verschieden aber ist die Gnade des Pilgerstandes und die Gnade des Vaterlandes, weil die Vollkommenheit der geschaffenen Natur und der verherrlichten Natur nicht dieselbe ist, wie Petrus Lombardus im 3. Abschnitt des

kommende Gnade geht einer bestimmten Gnadenwirkung in uns voran, die nachfolgende Gnade folgt dieser Wirkung; vgl. Sum. theol. I-II, q. 111, a. 3. 204 Vgl. Augustinus, Ench., 32 (CCSL 46, 67, 108 ff.) nach Petrus Lombardus, Sent. II, d. 26, c. 2 u. 4 (ed. Coll. S. Bon. I/2, 471, 20 ff. u. 473, 29 ff.). 205 Zur Urstandslehre (status naturae integrae): Sum. theol. I, q. 95, a. 1. 206 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. II, d. 24, c. 1. (ed. Coll. S. Bon. I/2, 450, 20 f.). 207 Übersetzung für forma virtutum. 208 Vgl. Augustinus, De nat. et grat., c. 31 (CSEL 60, 259, 2–6) nach Thomas I-II, q. 111, a. 3.

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2. Buches der Sentenzen sagt.209 Folglich ist die zuvorkommende und die nachfolgende Gnade nicht dieselbe. 7. Die wirkende Gnade bezieht sich auf den inneren Akt, die mitwirkende Gnade jedoch auf den äußeren Akt. Von daher sagt Augustinus,210 daß die eine vorausgeht, damit wir wollen, und die andere nachfolgt, damit wir nicht vergeblich wollen. Das Prinzip des inneren und des äußeren Aktes ist aber nicht dasselbe; wie es etwa bei den Tugenden offensichtlich ist, daß die Liebe für den inneren Akt gegeben wird, hingegen die Tapferkeit, Gerechtigkeit und andere solcher Tugenden für die äußeren Akte. Folglich ist die wirkende und mitwirkende Gnade oder die vorausgehende und nachfolgende Gnade nicht dieselbe. 8. Wie die Schuld ein Mangel in der Seele seitens des Strebevermögens211 ist, so die Unwissenheit bezüglich des Intellekts. Ein einziger Habitus aber vertreibt nicht alle Unwissenheit aus dem Verstand. Folglich kann es auch nicht bloß einen einzelnen Habitus geben, der alle Schuld aus dem Gemüt vertreibe. Die Gnade aber vertreibt alle Schuld. Folglich ist die Gnade nicht ein einziger Habitus. 9. Gnade und Schuld sind Gegensätze; eine einzige Schuld befleckt aber nicht alle Vermögen der Seele. Folglich kann auch nicht eine einzige Gnade alle Seelenvermögen vollenden. 10. Zu den Worten aus Ex. 33, 13 »Wenn ich Gnade gefunden habe« usw. sagt die Glosse:212 »Den Heiligen genügt nicht eine einzige Gnade. Es gibt die Gnade, die vorausgeht, damit sie Gott erkennen und lieben; und die, die nachfolgt, damit sie sich selbst rein und unversehrt bewahren und voranschreiten.« Folglich gibt es in einem Menschen nicht bloß eine einzige Gnade. 11. Eine andersartige Wirkweise, welche eine besondere Schwierigkeit besitzt, erfordert auch einen andersartigen Habitus. Beispielsweise ist für das Verschenken von großen Gaben, die wegen 209 Lies: Petrus Lombardus, Sent. II, d. 4, c. unic. (ed. Coll. S. Bon. I/2, 350, 19 ff.). 210 Vgl. Augustinus, Ench., c. 32 (CCSL 46, 67, 108 ff.) nach Petrus Lombardus, Sent. II, d. 26, c. 2 u. 4 (ed. Coll. S. Bon. I/2, 471, 20 ff. u. 473, 29 ff.). 211 Übersetzung für affectus; vgl. oben a. 1 arg. 7. 212 Vgl. Glossa ordinaria (PL 113, 289 C).

5. Artikel

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ihrer Größe eine Schwierigkeit bedeuten, auch eine besondere Tugend erforderlich, wie etwa die Großzügigkeit über die Freigebigkeit hinaus, welche sich auf die allen gemeinsamen Gaben213 bezieht: Beharrlich214 gut zu wollen, bedeutet aber eine besondere Schwierigkeit über dasjenige hinaus, was gut schlechthin zu wollen ist. Gut schlechthin zu wollen ist Sache der vorausgehenden Gnade, beharrlich gut zu wollen hingegen der nachfolgenden Gnade. Daher sagt Augustinus,215 die Gnade gehe voraus, damit der Mensch das Gute will, und sie folge nach, damit er es vollbringt und beharrlich ist. Also ist die nachfolgende Gnade ein anderer Habitus als die vorausgehende Gnade. 12. Die Sakramente des Neuen Bundes sind Ursache der Gnade, wie gesagt wurde.216 Die verschiedenen Sakramente aber sind nicht auf dieselbe Wirkung hingeordnet. Folglich gibt es verschiedene Gnaden im Menschen, die durch die verschiedenen Sakramente verliehen werden. 13. Man hat aber gesagt, daß die auf die Taufe folgenden Sakramente nicht gespendet werden, um eine andere Gnade einzuführen, sondern um den Habitus der Gnade zu stärken. – Dagegen spricht: Eine Zunahme der Gnade macht aber nicht die Art der Gnade mannigfaltig.217 Wenn also das Verhältnis der Ursachen dem Verhältnis der Wirkungen entspricht, würde aus der besagten Antwort folgen, daß die Sakramente der Art nach nicht verschieden sind. 14. Man hat aber gesagt, daß die Sakramente sich der Art nach entsprechend den verschiedenen umsonst gegebenen Gnaden, welche in den verschiedenen Sakramenten geschenkt werden, unterscheiden und auch die eigentümlichen Wirkungen der Sakramente sind. – Dagegen spricht: Die umsonst gegebene Gnade aber wird nicht der Schuld gegenübergestellt. Wenn die Sakramente also 213 Übersetzung für communia dona. 214 Zur Tugend der Beharrlichkeit (perseverantia): Sum. theol. II-II,

q. 137, a. 1 ad 2. 215 Vgl. Augustinus, Ench., 32, 9 (CCSL 46, 67, 108 ff.) nach Petrus Lombardus, Sent. II, d. 26, c. 2 u. 4 (ed. Coll. S. Bon. I/2, 471, 20 ff. u. 473, 29 ff.). 216 Vgl. oben a. 4. 217 Übersetzung für augmentum gratiae speciem gratiae non variat.

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insbesondere gegen die Schuld gerichtet sind, scheint es, daß ihre eigentümlichen Wirkungen, entsprechend denen die Sakramente unterschieden werden, keine umsonst gegebenen Gnaden sind. 15. Durch verschiedene Sünden werden der Seele verschiedene Wunden zugefügt, die freilich alle durch die Gnade geheilt werden. Wenn verschiedenen Wunden also verschiedene Heilmittel entsprechen – weil nach dem Wort des Hieronymus218 »das Auge nicht das heilt, was die Ferse heilt« –, scheint es, daß es verschiedene Gnaden gibt. 16. Dieselbe Sache kann nicht in gleicher Hinsicht zugleich gehabt und nicht gehabt werden. Einige besitzen aber die wirkende Gnade, welche die mitwirkende Gnade nicht besitzen, wie etwa die getauften Kinder. Folglich ist die wirkende und mitwirkende Gnade nicht dieselbe Gnade. 17. Die Gnade verhält sich zur Natur wie die Vollkommenheit zu demjenigen, was vervollkommnet werden kann. Bei der menschlichen Natur hingegen ist es so, daß von demselben Prinzip nicht unmittelbar das Sein und das Wirken219 herrührt. Denn die Seele ist aufgrund ihres Wesens das Prinzip des Seins, aber gemäß ihrer Kräfte das Prinzip des Wirkens. Wenn also im Gnadenleben die wirkende bzw. vorausgehende Gnade das Prinzip ist, von dem das geistliche Sein herrührt, die mitwirkende Gnade jedoch das Prinzip des geistlichen Wirkens ist, scheint es, daß die wirkende und mitwirkende Gnade nicht dieselbe Gnade ist. 18. Ein einziger Habitus kann nicht zugleich und auf einmal zwei Akte hervorbringen. Der Akt der wirkenden Gnade aber, dem es zukommt, die Seele zu rechtfertigen oder zu heilen, und der Akt der mitwirkenden bzw. nachfolgenden Gnade, dem es zukommt recht zu wirken, sind beide gleichzeitig in der Seele. Folglich sind die wirkende und die mitwirkende Gnade nicht dieselbe Gnade, und in dieser Weise ist im Menschen nicht nur eine einzige Gnade.

218 Vgl. Glossa ordinaria super Mk 9, 28 (PL 114, 215 A) aus PseudoHieronymus, Comment. in ev. Marci, c. 9 (PL 30, 638 C). 219 Begriffspaar: esse et operatio (principium essendi / operationis).

5. Artikel

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Dagegen spricht: 1. Wo eines genügt, ist es überflüssig mehrere anzusetzen. Eine einzige Gnade aber genügt dem Menschen zum Heil, wie es in 2 Kor. 12, 9 heißt: »Meine Gnade genügt dir.« Folglich gibt es im Menschen nur eine einzige Gnade. 2. Die Beziehung vervielfältigt nicht das Wesen einer Sache. Die mitwirkende Gnade fügt aber über die wirkende Gnade hinaus lediglich eine Beziehung hinzu. Folglich ist dieselbe Gnade dem Wesen nach wirkend und mitwirkend. Antwort: Wie aus dem Gesagten220 offensichtlich ist, spricht man von Gnade, sowohl weil sie umsonst gegeben als auch weil sie wohlgefällig macht. Es ist aber deutlich, daß es verschiedene Gnaden gibt, die umsonst gegeben werden: Es gibt nämlich verschiedene Gaben, welche dem Menschen von Gott verliehen wurden, und zwar umsonst über das Verdienst221 und die Fähigkeit der menschlichen Natur hinaus, wie etwa die Prophetie, das Wunderwirken und anderes solcherart, von denen der Apostel in 1 Kor. 12, 4 sagt: »Es gibt verschiedene Gnadengaben.«222 Diese werden aber jetzt nicht untersucht. Die heiligmachende Gnade jedoch, wie aus dem Gesagten223 gezeigt werden kann, wird auf doppelte Weise aufgefaßt: (1) Einmal als die göttliche Annahme selbst, welche Gottes umsonst gebender Wille ist. (2) Ferner als eine geschaffene Gabe, welche den Menschen formal vollendet224 und ihn des ewigen Lebens würdig macht. (2) Wenn man also die Gnade auf diese zweite Weise auffaßt, ist es nicht möglich, daß es in einem Menschen mehr als eine einzige 220 Vgl. oben a. 1. 221 Übersetzung für meritum. Zur Lehre vom Verdienst vgl. unten

q.  29, a. 6–7 (meritum Christi); allgemein: Sum. theol. I-II, q. 114 (Abschluß des Gnadentraktats: q. 109–113). 222 Zu den Charismen (gratia gratis data): Sum. theol. II-II, q. 171– 177. Zur Prophetie als gratia gratis data: De ver. q. 12; bes. a. 5 ad 7 (»ad utilitatem aliorum«). 223 Vgl. oben a. 1. 224 Übersetzung für formaliter perficit (»der Form nach«).

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Gnade gibt. Der Grund dafür liegt darin, sofern man von Gnade im Hinblick darauf spricht, daß durch sie der Mensch auf das ewige Leben hingeordnet wird, und zwar in genügender Weise. Der Mensch wird nämlich wohlgefällig als von Gott angenommen genannt, damit er das ewige Leben besitze. Dasjenige aber, was eingesetzt wird, um etwas hinreichend auf eine einzige Sache hinzuordnen, kann nur Eines sein. Denn wenn es viele wären, so würde keines genügen oder anderes davon überflüssig sein. Aufgrund dessen ist es aber nicht notwendig, daß die Gnade etwas einfaches Eines ist.225 Es wäre nämlich möglich, daß nicht eine einzige Sache wieder des ewigen Lebens genügend würdig machen würde, sondern der Mensch dazu aufgrund vieler Dinge wieder würdig gemacht würde, nämlich aufgrund vieler Tugenden. Wenn es sich so verhielte, könnte keines von diesen vielen Dingen »Gnade« genannt werden, wohl aber könnten alle zusammen eine einzige Gnade genannt werden, weil ja aufgrund alljener im Menschen nur eine einzige Würdigkeit in Hinblick auf das ewige Leben zustande käme. Die Gnade ist auf diese Weise nicht eine Gnade, sondern wie ein einziger einfacher Habitus226, und zwar deshalb, weil sich der Habitus in der Seele nach der Ordnung ihrer verschiedenen Akte verschieden aufgliedert. Diese Akte selbst bilden aber nicht den Grund der göttlichen Annahme. Vielmehr wird zuerst der Mensch von Gott angenommen, dann sein Akt, wie es in Gen. 4, 4 heißt: »Gott schaute auf Abel und auf sein Opfer.« Daher wird diejenige Gabe, welche Gott denen zugeteilt hat, die er in Hinblick auf sein Reich und seine Glorie annimmt, für die Vollkommenheiten bzw. den Habitus vorausgesetzt, durch welche ja die menschlichen Akte vervollkommnet werden, damit sie würdig sind von Gott angenommen zu werden. Daher ist es notwendig, daß der Habitus der Gnade ungeteilt bleibt, weil er ja denen vorausgeht, durch die eine Unterscheidung der verschiedenen Habitus in der Seele geschieht.

225 Übersetzung für simplex unum. 226 Übersetzung für unus habitus simplex.

5. Artikel

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(1) Wenn man aber die heiligmachende Gnade in der ersten Weise auffaßt, nämlich für den unverdienten Willen Gottes,227 so steht fest, daß es (1.1) auf seiten des annehmenden Gottes selbst nur eine einzige Gnade Gottes gibt, und zwar nicht nur hinsichtlich eines Menschen, sondern auch hinsichtlich aller Menschen, weil was auch immer in Gott ist, nicht verschieden sein kann. (1.2) Seitens der Wirkungen aber kann die Gnade vielfältig sein, so daß wir sagen, jede Wirkung, die Gott aufgrund seines unverdienten Willens in uns wirkt, durch den er uns ja in Hinblick auf sein Reich annimmt, bezieht sich auf die heiligmachende Gnade; wie beispielsweise, daß er uns gute Gedanken oder heilige Empfindungen eingibt. Auf diese Weise ist also die Gnade, sofern sie in uns eine habituelle Gabe228 ist, nur eine einzige Gnade. Sofern sie aber irgendeine Wirkung Gottes in uns besagt, welche auf unser Heil hingeordnet ist, kann von vielen Gnaden in uns gesprochen werden. Zu 1. Man kann die wirkende und mitwirkende Gnade sowohl (1) unter dem Gesichtspunkt des unverdienten Willen Gottes selbst als auch (2) unter dem Gesichtspunkt der uns verliehenen Gabe unterscheiden. Denn wirkend wird die Gnade mit Rücksicht auf jene Wirkung bezeichnet, welche der Wille Gottes in uns bewirkt, mitwirkend aber in Hinblick auf jene Wirkung, welche sie nicht allein bewirkt, sondern zusammen mit unserer mitwirkenden Wahlfreiheit.229 (1.1) Seitens des unverdienten Willen Gottes wird also die wirkende Gnade selbst die Rechtfertigung des Gottlosen genannt werden, welche durch die Eingießung der unverdienten Gnadengabe selbst geschieht. Diese Gabe nämlich verursacht in uns allein der unverdiente Wille Gottes, und unsere Wahlfreiheit ist in keiner 227 Übersetzung für pro gratuita Dei voluntate. 228 Übersetzung für donum habituale. 229 Übersetzung für cum libero arbitrio cooperante: vgl. auch unten:

a. 5 ad 1 u. 16. Zur Willensfreiheit: De ver. q. 24; bes. a. 10 c.; a. 11 ad 5; a. 15; Quodl. I, q. 4, a. 7; ScG II, 149; Sum theol. I-II, q. 109, a. 5–6. Selbst die Vorbereitung auf den Gnadenempfang bedarf der göttlichen Hilfe. Zur Frage der Mitwirkung bei der Rechtfertigung: unten q. 28 a. 3–4.

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Weise ihre Ursache, es sei denn wie eine noch unzureichende Disposition.230 (1.2) Seitens desselben göttlichen Willens wird die Gnade jedoch auch mitwirkend genannt werden, sofern sie in der Wahlfreiheit wirksam ist, indem sie nämlich deren Bewegung verursacht, sowohl die Ausführung des äußeren Aktes fördert als auch die Beharrlichkeit gewährt, bei allem, worin sich die Wahlfreiheit etwas betätigt. Und so steht fest, daß die wirkende Gnade eine andere als die mitwirkende Gnade ist. (2) Seitens der unverdienten Gnadengabe hingegen wird dieselbe Gnade dem Wesen nach wirkend und mitwirkend genannt werden: (2.1) Wirkend nämlich, sofern sie die Seele formt, so daß »formhaft wirkend«231 in dem Sinne zu verstehen ist, wie wir etwa sagen, daß die Weiße die Wand weiß macht. Dies ist aber in keiner Weise ein Akt der Wahlfreiheit. (2.2) Mitwirkend wird sie jedoch genannt, sofern sie uns zum inneren und äußeren Akt geneigt macht, und sofern sie die Fähigkeit zur Beharrlichkeit bis zum Ziel gewährleistet. Zu 2. Die verschiedenen Wirkungen, welche der wirkenden und mitwirkenden Gnade zugeschrieben werden, können den Habitus nicht verschieden machen. Die Wirkungen nämlich, welche der wirkenden Gnade zugeschrieben werden, sind ja die Ursachen derjenigen Wirkungen, welche der mitwirkenden Gnade zugeschrieben werden: Daraus, daß der Wille durch einen bestimmten Habitus geformt wird, folgt, daß der Wille zu einem Akt des Willens übergehen kann, und vom Willensakt selbst wird der äußere Akt verursacht. Darüber hinaus wird von der Festigkeit dieses Habitus auch der Widerstand verursacht, durch den wir der Sünde widerstehen. So ist es ein und derselbe Habitus der Gnade, welcher die Seele formt, sowohl den inneren als auch äußeren Akt hervorruft, und in gewisser Weise die Beharrlichkeit bedingt, sofern er den Versuchungen widersteht. 230 Übersetzung für per modum dispositionis insufficientis. 231 Übersetzung für operans formaliter. Das heißt: auf formursächli-

che Weise; vgl. oben a. 1 ad 1, 3, 10 u. a. 3 ad 21 (Grundsatz: albedo facit album parientem).

5. Artikel

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Zu 3. In welchem Maß ein Mensch den Habitus der Gnade232 auch besitzen mag, er bedarf dennoch immer des göttlichen Wirkens, welches in uns auf die besagten Weisen tätig ist. Dies auch wegen der Schwäche unserer Natur und der Vielzahl der Hindernisse, welche es nämlich nicht im Urstand der geschaffenen Natur gab. Daher konnte der Mensch damals mehr durch sich selbst bestehen, als es nun diejenigen können, die sogar die Gnade besitzen. Freilich nicht wegen eines Mangels an der Gnade, sondern aufgrund der Schwäche der Natur, obgleich sie auch damals der göttlichen Vorsehung bedurften, welche sie leitete und unterstützte: Deshalb ist es auch für denjenigen, der die Gnade besitzt, notwendig, um die göttliche Hilfe zu bitten, was sich auf die mitwirkende Gnade bezieht. Zu 4. Daraus ist auch die Lösung zum vierten Einwand offensichtlich. Zu 5. Gnade wird nicht Form der Tugenden im Sinne eines wesentlichen Teils der Tugenden genannt. Wäre dies nämlich der Fall, dann müßte sie durch die mannigfachen Tugenden vervielfältigt werden. Sie wird vielmehr Form der Tugenden genannt, sofern sie formal den Akt der Tugend vollendet. Der Akt der Tugend aber wird auf dreifache Weise geformt: (1) Einmal, sofern für die Substanz des Aktes die erforderlichen Bedingungen herbeigeführt werden, durch deren ausgewogener Eingrenzung auf das Mittlere der Tugend233 er zustande gebracht wird. Dies hat der Tugendakt von der Klugheit. Denn das Mittlere der Tugend wird aus rechter Überlegung gewonnen, wie es im 2. Buch der Ethik heißt.234 So wird die Klugheit auch Form aller sittlicher Tugenden genannt. (2) Der so im Mittleren gegründete Tugendakt aber ist gewissermaßen material von seiner Hinordnung auf das letzte Ziel bestimmt. 232 Übersetzung für habitus gratiae. 233 Übersetzung für in medio virtutis. Zur Lehre von der Tugend als

»Mitte« (μεσότηϛ): Aristoteles, Eth. Nic. II, 6; 1107 a 6 f.; vgl. De virt. in com., q. un., a. 13 c.: »Die moralischen bzw. intellektualen Tugenden sind im Mittleren, die theologischen Tugenden [d. h.: Glaube, Hoffnung, Liebe] sind aber nicht im Mittleren, außer etwa auf akzidentielle Weise«; vgl. auch Sum. theol. I-II, q. 64 a. 1–4. 234 Vgl. Aristoteles, Eth. Nic. II, 7; 1107 a 1.

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Diese Hinordnung wird nämlich dem Tugendakt durch die Herrschaft der Liebe mitgegeben. Daher wird von der Liebe gesagt, daß sie die Form aller anderen Tugenden sei. (3) Darüber hinaus aber liefert die Gnade die Wirkkraft, um Verdienst zu erlangen.235 Denn kein Wert unserer Werke würde der ewigen Glorie angemessen erachtet, außer unter der Voraussetzung seiner göttlichen Annahme. So wird von der Gnade gesagt, daß sie sowohl die Form der Liebe als auch der anderen Tugenden sei. Zu 6. Die vorausgehende und nachfolgende Gnade unterscheidet sich durch die Ordnung desjenigen, was sich im umsonst gegebenen Sein findet: (1) Das erste davon ist nämlich die Formung des Trägers236 durch die Gnade bzw. die Rechtfertigung des Gottlosen, was dasselbe ist, (2) das zweite aber ist der Willensakt, (3) das dritte ist der äußere Akt, (4) das vierte der geistliche Fortschritt und die Beharrlichkeit im Guten, (5) das fünfte die Erlangung des Lohnes. (1) Einmal wird also die vorausgehende und nachfolgende Gnade unterschieden, daß diejenige Gnade vorausgehend genannt wird, durch die der Gottlose gerechtfertigt wird, nachfolgend hingegen jene Gnade, durch die der Gerechtfertigte bereits tätig ist. (2) Ferner, indem diejenige Gnade vorausgehend bezeichnet wird, durch die jemand recht will, nachfolgend aber jene Gnade, gemäß derer jemand den rechten Willen im äußeren Werk ausführt. (3) Drittens, daß sich die vorausgehende Gnade auf all dies bezieht, die nachfolgende Gnade hingegen auf die Beharrlichkeit in den zuvor genannten Dingen. (4) Viertens, daß sich die vorausgehende Gnade auf den ganzen Stand des Verdienstes bezieht, die nachfolgende Gnade aber auf den Lohn.237

235 Übersetzung für efficaciam merendi adhibet. Damit ist jede Form der Werkgerechtigkeit ausgeschlossen. Gnade ist Bedingung der Möglichkeit jeder Verdienstlichkeit überhaupt; vgl. unten auch ad 17. 236 Übersetzung für informatio subiecti. Vgl. auch Quodl. IV, q. 6, a. un. [9] (communicatio formae). 237 Übersetzung für status meriti – praemium.

5. Artikel

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(1–3) Bei den ersten drei Unterscheidungen aber ist offenkundig, in welcher Weise die vorausgehende und die nachfolgende Gnade dieselbe oder verschieden ist, und zwar aufgrund dessen, was von der wirkenden und der mitwirkenden Gnade gesagt wurde. Denn hinsichtlich dieser Weisen von Gnade scheint die vorausgehende und die nachfolgende Gnade dasselbe zu sein wie die wirkende und die mitwirkende Gnade. (4) Auch bei der vierten Unterscheidung, wenn die unverdiente Gabe in sich als das aufgefaßt wird, was Gnade genannt wird, findet sich, daß die vorausgehende und die nachfolgende Gnade dasselbe sind. Denn wie nämlich die Liebe des Pilgerstandes238 nicht aufgehoben wird, sondern im himmlischen Vaterland nur vermehrt wird und bestehen bleibt, weil es ihrem Wesensbegriff keinen Mangel zufügt, so wird auch die Gnade, weil sie in ihrem Wesensbegriff keinen Mangel einschließt, durch die Vermehrung ihrer selbst zur Glorie. Man sagt ja auch nicht, daß die Vollkommenheit der Natur im Pilgerstand und die des Vaterlandes bezüglich der Gnade aufgrund einer unterschiedlichen vollendenden Form verschieden ist, sondern vielmehr aufgrund einer unterschiedlichen Maßgabe der Vollkommenheit. Wenn wir die Gnade aber zusammen mit allen Tugenden, welche sie formt, nähmen, so sind Gnade und Glorie nicht dasselbe, weil nämlich einige Tugenden im Vaterland aufgehoben werden, wie etwa Glaube und Hoffnung.239 Zu 7. Der äußere und innere Tugendakt sind, obwohl sie verschieden vervollkommenbare Akte sind, dennoch einander zugeordnet, weil der eine Akt die Ursache des anderen ist, wie gesagt wurde.240 Zu 8. Bei der Sünde ist zweierlei zu bedenken, nämlich die Hinwendung und die Abkehr.241 Unter dem Gesichtpunkt der Hinwendung zur Kreatur werden die Sünden allerdings von einander unter238 Begriffspaar: caritas viae (»Liebe des Erdenweges«) – caritas in pa-

tria. 239 Vgl. 1 Kor. 13, 13. 240 vgl. oben. 241 Begriffspaar: conversio – aversio. Das heißt: Hinwendung zur

Kreatur impliziert notwendig Abwendung von Gott.

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schieden. In der Abkehr aber sind sie miteinander verbunden, sofern der Mensch sich durch jede Todsünde von dem unwandelbaren Gut abwendet.242 Den Sünden werden also unter dem Gesichtspunkt der Hinwendung die Tugenden gegenübergestellt, und in diesem Sinne werden die verschiedenen Sünden durch die verschiedenen Tugenden ausgetrieben, wie etwa verschiedene Arten des Unwissens durch verschiedene Arten des Wissens. Seitens der Abkehr hingegen werden alle Sünden durch Eines nachgelassen, und das ist die Gnade: mannigfaches Unwissen aber ist nicht miteinander in irgendwelchem Einen verbunden; und daher ist es nicht das gleiche.243 Zu 9. Es findet sich nicht eine einzige Schuld, welche formal alle Schuld vollendet, wie ein einziger Habitus der Tugend bzw. Gnade alle Tugenden vollendet. Aus diesem Grund befleckt auch eine Schuld nicht alle Vermögen der Seele, wie die eine Gnade sie alle vollendet. Dies jedoch nicht so als wäre die Gnade in allen Vermögen wie in einem Träger, sondern insofern sie die Akte aller Vermögen formt.244 Zu 10. Jene Gnade, die nachfolgt, wird sowohl als eine andere Wirkung des unverdienten göttlichen Willens wie auch als derselbe Habitus der Gnade aufgefaßt, welcher auf diese andere Wirkung bezogen ist, wie aus dem zuvor Gesagten offenkundig ist.245 Zu 11. Den Habitus in fester und unveränderlicher Weise zu besitzen und entsprechend zu handeln, ist eine Bedingung, welche zu jeder Tugend erforderlich ist, wie aufgrund des Philosophen im 2. Buch der Ethik offenkundig ist.246 Daher erfordert diese Weise keinen besonderen Habitus. Zu 12. Wie die verschiedenen Tugenden und die verschiedenen Gaben des Heiligen Geistes auf jeweils verschiedene Akte hingeordnet sind, so sind auch die verschiedenen Wirkungen der Sakra242 Vgl. etwa Augustinus, De lib. arb. III, 1, 1 (CCSL 29, 274, 2 ff.). 243 Es besteht keine Analogie zwischen dem vielfältigen »Unwissen«

und der einen »Schuld« (als Abkehr von Gott durch jede schwere Sünde). 244 Die Gnade ist im Wesen der Seele (in essentia animae); vgl. oben a. 6. 245 Vgl. oben: Antwort (in fine). 246 Vgl. Aristoteles, Eth. Nic. II, 4; 1105 a 32.

5. Artikel

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mente gewissermaßen verschiedene Heilmittel für die Sünde und Teilhabungen247 an der Tugendkraft des Herrenleidens, welche von der heiligmachenden Gnade ebenso abhängig sind wie die Tugenden und Gaben. Die Tugenden und Gaben besitzen aber von daher einen besonderen Namen, daß die Akte, auf die sie hingeordnet sind, offensichtlich sind. Darum werden sie auch dem Namen nach von der Gnade unterschieden. Die Mängel der Sünde, gegen welche die Sakramente eingesetzt wurden, bleiben hingegen verborgen. Deshalb tragen die Wirkungen der Sakramente keinen eigenen Namen, vielmehr werden sie durch den Namen der Gnade bezeichnet. Sie werden nämlich sakramentale Gnaden248 genannt, und demnach werden die Sakramente voneinander unterschieden, gleichsam nach ihren eigenen Wirkungen. Diese Wirkungen beziehen sich aber auf die eine heiligmachende Gnade, welche sich selbst auch mit diesen Wirkungen verbindet. Auf diese Weise haben die Sakramente zusammen mit den ihnen eigenen Wirkungen eine gemeinsame Wirkung, die in der heiligmachenden Gnade besteht, welche auch durch ein Sakrament demjenigen, der sie nicht besitzt, verliehen und einem, der sie besitzt, vermehrt wird. Zu 13.–14. Daraus ist auch die Lösung zum dreizehnten und vierzehnten Einwand offenkundig. Zu 15. Unter dem Gesichtspunkt der Abkehr von Gott fügen alle Sünden eine einzige Wunde zu, wie gesagt wurde, und so werden sie durch die eine Gabe der Gnade geheilt. Seitens der Hinwendung zum Geschöpf fügen sie aber verschiedene Wunden zu, welche durch die verschiedenen Tugenden und verschiedenen Wirkungen der Sakramente geheilt werden. Zu 16. Wenn auch die mitwirkende Gnade in den Kindern nicht aktuell gegeben ist, so ist sie dennoch virtuell mitwirkend.249 Die wirkende Gnade nämlich, welche sie empfangen haben, wird hinreichend sein, um mit der Wahlfreiheit zusammenzuwirken, wenn sie deren Gebrauch erlangt haben werden.

247 Übersetzung für participationes. 248 Übersetzung für gratiae sacramentales. 249 Übersetzung für in actu – cooperans in virtute.

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Zu 17. Wie das Wesen der Seele unmittelbar das Prinzip des Seins ist, das Prinzip des Wirkens hingegen durch die Vermittlung der Seelenkräfte, so besteht die unmittelbare Wirkung der Gnade darin, das geistliche Sein zu verleihen,250 was sich auf die Formung des Trägers bzw. die Rechtfertigung des Gottlosen bezieht und eine Wirkung der wirkenden Gnade ist. Die Wirkung der Gnade aber durch die vermittelnden Tugenden und Gaben besteht darin, die verdienstlichen Akte hervorzubringen, was sich auf die mitwirkende Gnade bezieht. Zu 18. Zwei Akte, welche verschiedene Tätigkeiten und nicht aufeinander hingeordnet sind, kann nicht zugleich und auf einmal ein einziger Habitus verursachen. Aber zwei Akte, wovon der eine Akt eine Tätigkeit ist und der andere die Formung des Trägers, oder auch zwei Tätigkeiten, wovon die eine Tätigkeit die Ursache der anderen ist – wie etwa der innere Akt die Ursache des äußeren Aktes ist – kann ein einziger Habitus zusammen verursachen. In dieser Weise verhalten sich auch Akte der wirkenden und mitwirkenden Gnade zueinander, wie aus dem Gesagten offenkundig ist.

6. Artik el Die sechste Frage lautet: Ist die Gnade im Wesen der Seele?251 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Wie sich nämlich der Habitus, der im Seelenvermögen ist, zur Wirkung des Vermögens verhält, so muß sich der Habitus bzw. die Vollkommenheit, die im Wesen der Seele ist, zur Wirkung des Wesens verhalten.252 Der Habitus aber, der in einem Vermögen ist, vollendet das Vermögen in seiner Wirkung, wie zum Beispiel die Liebe den Willen hinsichtlich des von ihm Gewollten vollendet. Die dem Wesen der Seele eigentümliche Wirkung aber ist das Sein, welches die Seele dem Körper verleiht, weil die Seele ihrem Wesen nach die 250 Übersetzung für immediatius effectus gratiae est conferre esse spirituale. 251 Paralleltexte: Sent. II, d. 26 a. 3. Sum. theol. I-II, q. 110 a. 4. 252 Begriffspaar: effectus potentiae – effectus essentiae.

6. Artikel

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Form des Körpers ist.253 Wenn die Gnade also nicht hinsichtlich des natürlichen Seins vollendend wirkt, das die Seele dem Körper verleiht, dann wird sie nicht im Wesen der Seele wie in einem Träger sein. 2. Gegensätze sind so geartet, daß sie sich im Bezug auf dieselbe Sache bilden.254 Gnade und Schuld sind aber einander entgegengesetzt. Wenn die Schuld also nicht im Wesen der Seele ist, was aufgrund dessen offensichtlich ist, daß dem Wesen der Seele nichts geraubt wird, weil ja Sünde bzw. Schuld nach Augustinus255 nur eine Beraubung an Weise, Gestalt und Ordnung darstellt,256 scheint es, daß die Gnade nicht im Wesen der Seele wie in einem Träger ist. 3. Die Gnadengaben setzen die Gegebenheiten der Natur voraus.257 Die Seelenvermögen aber sind nach Avicenna258 natürliche Eigentümlichkeiten der Seele. Folglich ist die Gnade nur durch das vorausgesetzte natürliche Vermögen im Wesen der Seele, und so ist die Gnade unmittelbar auch im Seelenvermögen wie in einem Träger. 4. Dort ist ein Habitus oder irgendeine Form, wo sich deren Wirkung findet. Jede Wirkung der Gnade aber, sowohl der wirkenden als auch der mitwirkenden Gnade, findet sich in den Seelenvermögen, wie es aus den einzelnen Wirkungen dem induktiv Schlußfolgernden klar ist.259 Folglich ist die Gnade in den Vermögen der Seele wie in einem Träger. 253 Vgl. oben a. 1 ad 1. 254 Vgl. oben De ver., q. 15, a. 3 arg. 2; Aristoteles, Top. II, 4; 111 a 14. 255 Vgl. Augustinus, De natura boni 4 (CSEL 25/2, 857, 4 f.) nach Tho-

mas, Sum theol. II-II, q. 84, a. 3 ad 2. 256 Übersetzung für privatio modi, speciei et ordinis. 257 Übersetzung für gratuita praesupponunt naturalia. Grundatz: »Gnade setzt Natur voraus« (gratia supponit naturam). Vgl. Sum. theol. I, q. 2, a. 2 ad 1: »Der Glaube setzt nämlich die natürliche Erkenntnis auf die gleiche Weise voraus, wie die Gnade die Natur, und wie die Vollkommenheit das, was vervollkommnet werden kann«; vgl. auch Sum. theol. I, q. 1, a. 8 ad 2; In Boet. De Trin., q. 2, a. 3 c. Die eschatologische Gottesschau setzt den Glauben im Pilgerstand voraus, der Glaube wiederum die natürliche Erkenntnis (vgl. De ver., q. 14, a. 2 c.a.). 258 Vgl. Avicenna, De anima V, c. 7 (f. 27rb C; ed. Van Riet II, 167). 259 Übersetzung für ut patet per singulos inducenti. Das heißt: das Beweisverfahren der »Induktion« (Schluß vom Einzelen auf das Allgemeine).

204

Quaestio · 27

5. Das Ebenbild der Neuschöpfung entspricht dem Ebenbild der Schöpfung. Dieses zweifache Bild wird unterschieden in der Glosse260 zum Psalmvers »Erhebe, o Herr, über uns das Licht deines Angesichts«261. Das Ebenbild der Schöpfung aber wird gemäß der Seelenvermögen in Betracht gezogen, nämlich in Bezug auf Gedächtnis, Verstand und Willen, welche die drei Kräfte der Seele sind, wie Petrus Lombardus im 3. Abschnitt des 1. Buches der Sentenzen sagt.262 Folglich betrifft die Gnade auch die Vermögen der Seele. 6. Die erworbenen Habitus unterscheiden sich gegenüber den eingegossenen Habitus.263 Alle erworbenen Habitus aber sind in den Vermögen der Seele. Folglich auch die Gnade, welche ja eine eingegossene habituelle Gabe ist.264 7. Nach Augustinus265 wird durch die Gnade der gute Wille des Menschen vorbereitet. Aber nur insofern der Wille durch die Gnade vollendet wird. Folglich ist die Gnade die Vollendung des Willens, und so ist sie im Willen wie in einem Träger und nicht im Wesen der Seele. Dagegen spricht: 1. Die Gnade ist in der Seele in Hinblick auf dasjenige, was auf Gott hingeordnet wird. Die Seele aber wird als ganze auf Gott hingeordnet, so daß sie der Potenz nach bereit ist, etwas von ihm zu empfangen. Folglich ist die Seele auch in ihrer Ganzheit für die Gnade aufnahmefähig. Das Ganze aber in der Seele ist die Substanz der Seele selbst, Teile hingegen die Seelenvermögen. Folglich ist die Seele ihrer Substanz nach der Träger der Gnade.266 2. Die erste Gabe Gottes findet sich in demjenigen, was in uns zuerst und Gott am nächsten ist. Die Gnade ist aber die erste Gabe 260 Vgl. Glossa Petri Lombardi (PL 191, 88 B). 261 Ps. 4, 7. 262 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. I, d. 3, c. 2 (ed. Coll. S. Bon. I/2, 72,15–

22); nach Augustinus, De trin. X, 11, 18 (CCSL 330, 29 ff.). 263 Begriffspaar: habitus acquisitus – habitus infusus. 264 Übersetzung für donum habituale infusum. 265 Vgl. Augustinus, De grat. et lib. arb., c. 17 (PL 44, 901) nach Petrus Lombardus, Sent. II, d. 26, c. 1 (ed. Coll. S. Bon. I/2, 470, 5–11). 266 Übersetzung für subiectum gratiae.

6. Artikel

205

Gottes in uns: »denn sie selbst geht sowohl dem Glauben als auch der Liebe voraus« und anderen solcher Gaben, wie Augustinus im 2. Buch Über die Prädestination der Heiligen267 deutlich macht. Dasjenige aber, was in uns zuerst und Gott am nächsten ist, ist das Wesen der Seele, von dem die Vermögen ausfließen. Folglich ist die Gnade im Wesen der Seele wie in einem Träger. 3. Dasselbe Geschaffene kann nicht in gleicher Hinsicht in verschiedenen Dingen sein.268 Die Gnade ist aber etwas Geschaffenes. Folglich kann sie nicht in verschiedenen Seelenvermögen sein. Wenn sich die Gnade aber auf die Akte aller Vermögen erstreckt, sofern sie verdienstlich sein können, dann ist sie sowohl im Wesen der Seele, als auch in dieser Hinsicht in allen Vermögen: aber nicht in allen als solchen. Folglich ist sie im Wesen der Seele wie in einem Träger. 4. Eine Zweitursache nimmt eher den Einfluß der Erstursache auf als die Wirkung der Zweitursache.269 Das Wesen der Seele aber ist das Prinzip der Vermögen, und so ist sie die Zweitursache der Vermögen, deren Erstursache Gott ist. Folglich nimmt das Wesen der Seele eher den Einfluß der Gnade auf als ihre Vermögen. Antwort: Wie zuvor gesagt wurde,270 gibt es über die Gnade eine doppelte Meinung: (1) Die eine Meinung, welche besagt, daß Gnade und Tugend dem Wesen nach dasselbe seien. Demzufolge muß man sagen, daß die Gnade, der Wahrheit der Sache entsprechend, im Vermögen der Seele wie in einem Träger sei, weil die Tugend, die hinsichtlich des Wirkens vervollkommnet, nur im Vermögen sein kann, welches das Prinzip des Wirkens ist. In Rücksicht aber auf eine gewisse Zu267 Richtig: Augustinus, De dono perseverantiae, c. 16 (PL 45, 1018). 268 Vgl. oben a. 5 arg. 16. 269 Unterscheidung causa secundaria – causa prima. Vgl. Liber de

causis, prop. I, n. 2 (ed. Schönfeld, 3): »Wenn also eine umfassende Zweitursache ihre Kraft von einem Ding zurückzieht, so zieht gleichwohl die umfassende Erstursache ihre Kraft nicht von ihm ab.«; ferner: Thomas, In Librum de causis, prop. I, n. 14. 270 Vgl. oben a. 2.

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schreibung271 einer besonderen Eigentümlichkeit kann gemäß dieser Auffassung gesagt werden, daß die Gnade sich auf das Wesen bezieht,272 die Tugend hingegen auf das Vermögen, sofern Gnade und Tugend, wenn auch nicht dem Wesen nach, so doch dem Begriffe nach verschieden sind, weil sich das Wohlgefälligmachen273 eher auf die Seele selbst bezieht als auf ihren Akt. Denn nicht aufgrund ihrer Akte dürfte die Seele von Gott angenommen werden, sondern umgekehrt, wie gesagt wurde.274 (2) Die zweite Meinung aber, welche wir vertreten, ist die, daß Gnade und Tugend dem Wesen nach nicht dasselbe seien. Demzufolge muß man sagen, daß die Gnade im Wesen der Seele wie in einem Träger sei und nicht in den Seelenvermögen. Denn, wenn das Vermögen als solches auf das Wirken hingeordnet wird, muß auch die Vollkommenheit des Vermögens ihrem Begriffsgehalt nach auf das Wirken bezogen werden. Das aber ist es, was den Begriff der Tugend ausmacht: Daß sie unmittelbar das Vermögen zum rechten Handeln vervollkommnet. Daher müßte die Gnade, wenn sie im Vermögen der Seele wäre, dasselbe sein wie eine der Tugenden. Wenn dies aber nicht vertreten wird, muß man sagen: Die Gnade ist im Wesen der Seele,275 welche es vollendet, sofern sie ihm ein geistliches Sein verleiht und durch eine gewisse Angleichung276 zu einem »Teilhaber der göttlichen Natur« macht, wie es in 2. Petr. 1, 4 heißt, sowie die Tugenden die Seelenvermögen zum rechten Wirken vervollkommnen. Zu 1. Obwohl die Gnade nicht das Prinzip des natürlichen Seins ist, vervollkommnet sie dennoch das natürliche Sein, sofern sie nämlich das geistliche Sein hinzufügt.277 271 Übersetzung für appropriatio (Berücksichtigung der besonderen Eigentümlichkeit). 272 Vgl. Bonaventura, Sent. II, d. 26, a. unic., q. 5 (ed. Quar. II, 641–644). 273 Übersetzung für gratificatio. 274 Vgl. oben a. 1 u. 2. 275 Grundsatz: »gratia est in essentia animae« (vgl. oben a. 5 ad 9). 276 Übersetzung für per quandam assimilationem. 277 Die Gnade vervollkommnet die Natur (perficit esse naturale inquantum superaddit esse spirituale).

6. Artikel

207

Zu 2. Die aktuelle Schuld kann nur im Vermögen sein, welche das Prinzip des Aktes ist, die Erbschuld aber ist in der Seele in Bezug auf deren Wesen,278 durch das sie sich als Form mit dem Fleisch verbindet, aus welchem sie sich die erbsündliche Ansteckung zuzieht. Obwohl von der Seele dadurch nichts Wesentliches entfernt wird, wird doch die Hinordnung selbst des Wesens der Seele auf die Gnade durch die Art des Fernhaltens gehemmt, wie etwa gegensätzliche Zubereitungen die Potenz der Materie vom Akt der Form279 fernhalten. Zu 3. Die Gnadengaben setzen Gegebenheiten der Natur voraus, wenn beide ihrem Verhältnis nach betrachtet werden. Deshalb setzt auch die Tugend, welche das unverdient gegebene Prinzip der Tätigkeit ist, das Vermögen voraus, welches das natürliche Prinzip der Tätigkeit ist. Die Gnade aber, welche das Prinzip des geistlichen Seins ist,280 setzt das Wesen der Seele voraus, welche das Prinzip des natürlichen Seins ist. Zu 4. Die erste und unmittelbare Wirkung der Gnade findet sich im Wesen der Seele, nämlich die Formung in Hinblick auf das geistliche Sein. Zu 5. Das Ebenbild der Schöpfung besteht sowohl im Wesen als auch im Vermögen der Seele. Demgemäß wird durch das Wesen der Seele die Einheit des göttlichen Wesens dargestellt und durch die Unterschiedenheit der Vermögen die Unterschiedenheit der Personen. Ebenso besteht auch das Ebenbild der Neuschöpfung in der Gnade und den Tugenden. Zu 6. Die erworbenen Habitus werden aufgrund unserer Akte verursacht. Daher beziehen sie sich auf die Seele nur durch die Vermittlung der Vermögen, deren Akte sie sind. Die Gnade aber stammt aus dem göttlichen Einfluß, und daher ist es nicht dasselbe. Zu 7. Die Gnade bereitet den Willen mittels der Liebe vor, von welcher die Gnade die Form ist.

278 Begriffspaar: culpa actualis (persönliche Schuld) – culpa originalis (erbsündlich-kollektive Schuld); vgl. oben q. 25 a. 6. 279 Übersetzung für potentia materiae – actus formae. 280 Grundsatz: »gratia est principium esse spiritualis«.

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Quaestio · 27

7. Artik el Die siebte Frage lautet: Ist die Gnade in den Sakramenten?281 Es scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Schuld wird nämlich der Gnade gegenübergestellt. Schuld aber ist nicht in etwas Körperlichem. Folglich ist die Gnade auch nicht in den Sakramenten, die nach Hugo von St. Viktor282 materielle Grundstoffe sind. 2. Die Gnade ordnet auf die Glorie hin, aber die vernünftige Natur ist allein für die Glorie aufnahmefähig.283 Folglich kann allein in ihr die Gnade sein, und so ist sie nicht in den Sakramenten. 3. Die Gnade wird zu den größten Gütern gezählt.284 Die größten Güter sind aber in den mittleren Gütern wie in einem Träger. Wenn also die Seele und ihre Vermögen mittlere Güter sind, scheint es, daß die Gnade nicht in einem anderen Träger sein könnte, und so ist sie nicht in den Sakramenten. 4. Wie sich ein körperliches Träger zu einem körperlichen Akzidens verhält, so ein geistliches Träger zu einem geistlichen Akzidens; also auch umgekehrt: wie ein körperlicher Träger zu einem geistlichen Akzidens, so ein geistlicher Träger zu einem körperlichen Akzidens. Ein körperliches Akzidens aber kann in keinem geistlichen Träger sein. Folglich kann auch ein geistliches Akzidens, was ja die Gnade ist, nicht in den körperlichen Grundstoffen der Sakramente sein.

281 Paralleltexte: Sent. IV, d. 1 q. 1 a. 4 qc. 4. Sum. theol. III, q. 62 a. 3. De artic. fidei (ed. Leon. XL, B 57–73). 282 Vgl. Hugo von St. Viktor, De sacramentis I, p. 9, c. 2 (PL 176, 317; ed. Berndt, 209). 283 Grundsatz: »sola natura rationalis est capax gloriae.« 284 Vgl. etwa Petrus Lombardus, Sent. II, d. 27, c. 3 (ed. Coll. S. Bon. I/2, 482, 20 ff.) bzw. Augustinus, De lib. arb. II, 19, 50 (CCSL 29, 271, 5 ff.); vgl. oben a. 4 arg. 10.

7. Artikel

209

Dagegen spricht: 1. Hugo von St. Viktor285 sagt, daß die Sakramente aufgrund der Heiligung die unsichtbare Gnade enthalten. 2. Der Apostel sagt in Gal. 4, 9, daß die Sakramente des Gesetzes »schwache und bedürftige Grundstoffe« seien, und dies, weil sie die Gnade nicht enthalten, wie die Glosse286 sagt. Wenn also in den Sakramenten des Neuen Bundes keine Gnade wäre, dann wären auch sie schwache und bedürftige Grundstoffe, was aber widersinnig ist. 3. Zu dem Psalmvers »Er nahm die Finsternis zu seinem Versteck«287 sagt die Glosse,288 daß der Nachlaß der Sünden289 in der Taufe grundgelegt ist. Der Nachlaß der Sünden aber geschieht durch die Gnade. Folglich ist die Gnade im Sakrament der Taufe und aus dem gleichen Grund in den anderen Sakramenten. Antwort: Die Gnade ist in den Sakramenten, freilich nicht wie ein Akzidens in einem Träger, sondern wie die Wirkung in der Ursache, wodurch die Sakramente auf diese Weise die Ursache der Gnade sein können. Daß die Wirkung in der Ursache sei, wird aber zweifach ausgesagt: (1) Einmal, daß die Ursache die Herrschaft über die Wirkung hat, wie man sagt, daß unsere Akte in uns seien. Auf diese Weise ist aber keine Wirkung in der werkzeuglichen Ursache, welche ja nur als bewegte bewegt. Von daher ist die Gnade auch nicht in den Sakramenten. (2) Ferner durch die Ähnlichkeit mit sich selbst, sofern eine Ursache eine ihr ähnliche Wirkung hervorbringt. Dies trifft auf vier Weisen zu:290

285 Vgl. Hugo von St. Victor, De sacramentis I, p. 9, c. 2 (PL 176, 317 D; ed. Berndt, Münster 2008, 210). 286 Vgl. Glossa Petri Lombardi (PL 192, 141 B). 287 Vgl. Ps. 18 (17), 12. 288 Vgl. Glossa Petri Lombardi (PL 191, 192 B). 289 Übersetzung für remissio peccatorum. Zum Begriff: unten q. 28, a. 1. 290 Vgl. etwa Averroes, Metaph. XII, comm. 24 (ed. Arist. lat., VIII, 309).

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Quaestio · 27

(2.1) Erstens, wenn die Ähnlichkeit der Wirkung291 dem natürlichen Sein und demselben Begriffsgehalt nach in der Ursache ist, wie es bei den univoken Wirkungen292 der Fall ist. Insofern kann gesagt werden, daß die Wärme der Luft in dem erwärmenden Feuer ist. (2.2) Zweitens, wenn die Ähnlichkeit der Wirkung dem natürlichen Sein nach in der Ursache ist, nicht aber demselben Begriffsgehalt nach, wie es bei den äquivoken Wirkungen offensichtlich ist. In dieser Weise ist die Wärme der Luft in der Sonne. (2.3) Drittens, wenn die Ähnlichkeit der Wirkung nicht dem natürlichen, sondern dem geistlichen Sein nach in der Ursache ist, allerdings ruhend, wie die Vorbilder293 der Kunstwerke im Geist des Künstlers sind. Die Form des Hauses im Baumeister ist nämlich nicht eine Natur, wie die erwärmende Kraft in der Sonne bzw. Hitze im Feuer, sondern sie ist ein geistig erkennbares Bild,294 das in der Seele ruht. (2.4) Viertens, wenn die Ähnlichkeit der Wirkung nicht demselben Begriffsgehalt nach – weder als ein natürliches Sein noch als ein ruhendes Bild – in der Ursache ist, sondern in einer Art des Ausfließens,295 wie die Ähnlichkeiten der Ursachen in den Werkzeugen sind, durch deren Vermittlung die Formen der Hauptursache auf die Wirkungen überfließen. Auf diese Weise ist auch die Gnade in den Sakramenten. Dies aber umso viel weniger als die Sakramente nicht direkt und unmittelbar zur Gnade selbst gelangen, von der wir hier ja sprechen, wohl aber zu den der Gnade eigentümlichen Wirkungen, die sakramentale Gnaden genannt werden, auf welche die Eingießung bzw. Vermehrung der heiligmachenden Gnade folgt. Zu 1. Auch die Schuld ist in etwas rein Körperlichem wie in einer Ursache, wie nämlich die Erbsünde im Samen. 291 Grundsatz »similitudo effectus est in causa«. 292 Zur Ursache, die eine ihr (verhältnismäßig) gleichartige (causa

univoca) bzw. ungleichartige (aequivoca) Wirkung hervorbringt: Sum. theol. I, q. 6, a. 2 c. 293 Übersetzung für similitudines (Bilder, Ideen). 294 Übersetzung für intentio intelligibilis. Vgl. oben a. 4 ad 4. 295 Übersetzung für per modum cuiusdam defluxus.

7. Artikel

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Zu 2–3. Der zweite und dritte Einwand schlußfolgern, daß die Gnade in den Sakramenten nicht wie in einem Träger sei. Zu 4. Geistliches kann nicht das Werkzeug einer körperlichen Sache sein, wie auch umgekehrt. Daher ist das wechselseitige Verhältnis in der gemachten Behauptung nicht haltbar. Auf die Gegenargumente ist Folgendes zu antworten: Das andere, was dagegen angeführt wird, erkennen wir an. Die Gnade ist jedoch so zu verstehen, daß sie in den Sakramenten ist, wie in werkzeuglichen und zubereitenden Ursachen; und dies aufgrund der Tugend, durch welche die Sakramente in Hinblick auf die Gnade wirken.

XXVIII. DIE RECHTFERTIGUNG DES GOTTLOSEN

Die hier behandelten Fragen lauten: 1. Besteht die Rechtfertigung des Gottlosen im Nachlaß der Sünden? 2. Kann der Nachlaß der Sünden ohne Gnade geschehen? 3. Ist zur Rechtfertigung des Gottlosen die Wahlfreiheit erforderlich? 4. Welche Bewegung der Wahlfreiheit ist zur Rechtfertigung erforderlich? Ist dazu eine Bewegung der Wahlfreiheit auf Gott hin erforderlich? 5. Ist zur Rechtfertigung eine Bewegung der Wahlfreiheit gegen die Sünde erforderlich? 6. Sind die Eingießung der Gnade und die Vergebung der Schuld dasselbe? 7. Geht der Vergebung der Schuld der Natur nach die Eingießung der Gnade voraus? 8. Geht der Eingießung der Gnade in der Rechtfertigung des Gottlosen der Natur nach eine Bewegung der Wahlfreiheit voraus? 9. Findet die Rechtfertigung des Gottlosen in einem einzigen Moment statt?

1. Artik el Die erste Frage lautet: Besteht die Rechtfertigung des Gottlosen im Nachlaß der Sünden?1 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. »Rechtfertigung« leitet sich von der »Gerechtigkeit« her, die eine Tugend ist. Der Nachlaß der Sünden geschieht aber nicht nur durch eine einzige Tugend, denn die Sünden stehen nicht nur einer 1 Paralleltexte: Sent. IV, d. 17 q. 1 a.1 qc.; Sum. theol. I-II, q. 113 a. 1 etu. a. 6 ad 1.

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Quaestio · 28

Tugend entgegen, sondern allen Tugenden. Also besteht die Rechtfertigung des Gottlosen nicht im Nachlaß der Sünden. 2. Es wurde eingewandt: der Nachlaß der Sünden geschieht durch die allgemeine Gerechtigkeit.2 – Dagegen spricht: Die allgemeine Gerechtigkeit ist nach Aristoteles identisch mit allen Tugenden.3 Der Nachlaß der Sünden ist aber keine Wirkung der Tugend, sondern der Gnade. Folglich darf der Nachlaß der Sünden nicht Rechtfertigung genannt werden, sondern Wohlgefälligmachen. 3. Wenn der Nachlaß der Sünden durch irgendeine Tugend geschieht, dann muß sie vor allem durch diejenige geschehen, die nicht gleichzeitig mit der Sünde bestehen kann. Das aber ist die Liebe, die niemals ungeformt ist. Folglich darf der Nachlaß der Sünden nicht der Gerechtigkeit zugeschrieben werden, sondern der Liebe. 4. Dasselbe scheint aus dem hervorzugehen, was in Spr. 10, 12 steht: »Liebe deckt alle Vergehen zu.« 5. Die Sünde ist der geistliche Tod der Seele. Der Gegensatz von Tod aber ist das Leben. Da folglich das geistliche Leben in der Heiligen Schrift vor allem dem Glauben zugeschrieben wird, wie aus Hab. 2, 4 und Röm. 1, 17 hervorgeht: »Mein Gerechter aber wird durch den Glauben leben«4 – so scheint der Nachlaß der Sünden dem Glauben zugeschrieben werden zu müssen und nicht der Gerechtigkeit. 6. Dasselbe scheint aus dem hervorzugehen, was in Apg. 15, 9 steht: »Er hat ihre Herzen durch den Glauben gereinigt.« 7. Die Rechtfertigung geht der Gnade voraus wie die Bewegung ihrem Ziel. Die Vergebung aber folgt der Gnade wie die Wirkung der Ursache. Folglich ist die Rechtfertigung früher als der Nachlaß der Sünden, und so sind sie nicht dasselbe. 8. Der Akt der Gerechtigkeit ist es, das je Zustehende zu geben. Aber dem Sünder steht nicht Verzeihung zu, sondern eher Strafe. Folglich darf der Nachlaß der Sünden nicht der Gerechtigkeit zugeschrieben werden. 9. Die Gerechtigkeit geht auf das Verdienst, die Barmherzigkeit

2 Vgl. Philipp der Kanzler, Summa de bono (ed. Wicki, II, 551). 3 Aristoteles, Eth. Nic. V, 2; 1130 a 8. 4 Text nach Hebr. 10, 38.

1. Artikel

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aber auf das Elend, wie Bernhard sagt.5 Der Sünder hat jedoch kein Verdienst, sondern ist eher im Stand des Elends, denn: »Die Sünde macht die Völker elend« (Spr. 14, 34). Folglich darf der Nachlaß der Sünden nicht der Gerechtigkeit zugeschrieben werden, sondern der Barmherzigkeit. 10. Es wurde eingewandt: Wenn im Sünder auch kein Verdienst ist, das ihn der Gnade würdig macht (meritum condigni), so doch ein solches, das die Gnade angemessen (meritum congrui) sein lässt. – Dagegen spricht: Die Gerechtigkeit verlangt Gleichwertigkeit. Ein angemessenes Verdienst ist aber dem Lohn nicht gleichwertig. Folglich reicht ein angemessenes Verdienst nicht aus, um den Begriff der Gerechtigkeit zu erfüllen. 11. Der Nachlaß der Sünden ist einer der vier Bestandteile6, die zur Rechtfertigung des Gottlosen nötig sind. Folglich besteht die Rechtfertigung des Gottlosen nicht im Nachlaß der Sünden. 12. Jeder, der gerecht wird, wird gerechtfertigt. Es ist aber jemand gerecht gemacht worden, dem keine Sünden vergeben worden sind, so wie Christus und der erste Mensch im Stand der Unschuld, falls er die Gnade besaß. Folglich besteht die Rechtfertigung nicht im Nachlaß der Sünden. Dagegen spricht: Zur Stelle aus Röm. 8, 30: »Die er berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht« sagt die Glosse: »durch den Nachlaß der Sünden«.7 Folglich ist der Nachlaß der Sünden die Rechtfertigung. Antwort: Es gibt einen Unterschied zwischen Bewegung und Veränderung. Denn eine Art von Bewegung ist die, wodurch ein positiv bezeichneter Gehalt (aliquid affirmative significatum) verloren geht und ein 5 Vgl. Ep. 12 (Opera, ed J. Leclerq / H. Rochais, VII, 61). 6 Diese vier Bestandteile finden sich schon bei Petrus Pictaviensus,

Sententiae III c. 2 (PL 211, 1044 A); ferner bei: Wilhelm von Auxerre, Summa aurea, III tr. 10 c. 1 (Op. omn. III/1, 113); Alexander von Hales, Quaest. disp. »antequam esset frater« q. 53 m. 4 n. 27; Albertus Magnus, De sacramentis tr. VI p. 2 q. 1 a. 7 § 2 (ed. Col. XXVI, 87). 7 Glossa Petri Lombardi (PL 191, 1450 D) et Glossa interlin.

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positiv bezeichneter Gehalt erworben wird. »Bewegung ist« nämlich »von einem Subjekt auf ein Subjekt hin«, wie es im 5. Buch der Physik heißt.8 Mit Subjekt aber wird hier etwas positiv Bezeichnetes verstanden, wie weiß oder schwarz. Daher besteht eine Weise der Veränderung darin, wodurch das Weiße verloren geht und das Schwarze erworben wird. Aber bei den Veränderungen im Sinne von Entstehen und Vergehen verhält es sich anders, denn Entstehen ist eine Veränderung vom Nicht-Subjekt zum Subjekt, wie vom Nicht-Weißen zum Weißen. Vergehen aber ist eine Veränderung vom Subjekt zum Nicht-Subjekt9, wie vom Weißen zum Nicht-Weißen. Daher muß man beim Verlorengehen eines positiv Bezeichneten und beim Erwerb eines anderen zwei Veränderungen erkennen, sei es in einfacher, sei es in besonderer Hinsicht. Wenn also im Übergang vom Schwarzsein zum Weißsein die Bewegung betrachtet wird, dann wird dieselbe Bewegung durch das Schwinden des einen und das Dazukommen des anderen bezeichnet. Nicht aber wird dieselbe Veränderung bezeichnet, sondern verschiedene, wenn sie einander auch begleiten, denn das Entstehen des einen ist nicht ohne das Vergehen des anderen. Die Rechtfertigung aber bezeichnet die Bewegung zur Gerechtigkeit hin, so wie das Weißwerden die Bewegung zum Weißsein hin, obwohl Rechtfertigung auch die formale Wirkung der Gerechtigkeit bezeichnen kann, denn die Gerechtigkeit macht gerecht, wie das Weißsein weiß. Wenn also die Rechtfertigung als eine gewisse Bewegung aufgefasst wird, da man als dieselbe Bewegung diejenige erkennen muß, wodurch die Sünde weggenommen und die Gerechtigkeit eingeführt wird, so wird die Rechtfertigung dasselbe sein wie der Nachlaß der Sünden. Sie unterscheiden sich dann nur dem Begriff nach, so wie sie beide dieselbe Bewegung benennen, die eine aber gemäß dem Hinblick auf das Woher, die andere im Hinblick auf das Wohin. Wenn aber die Rechtfertigung aufgefasst wird im Sinne der Veränderung, so bezeichnet die Rechtfertigung eine andere Veränderung, nämlich das Entstehen der Gerechtigkeit, und 8 Aristoteles, Phys. V, 2; 225 a 6 und b 4 (gemäß der arab.-lat. Übersetzung). 9 Vgl. Aristoteles, Phys. V, 2; 225 a 17.

1. Artikel

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eine andere (Veränderung bezeichnet) den Nachlaß der Sünden, nämlich das Vergehen der Schuld. So aber werden Rechtfertigung und Nachlaß der Sünden nicht dasselbe sein, es sei denn durch das Einander-Begleiten. Auf welche der beiden Weisen Rechtfertigung aber auch aufgefaßt wird, sie muß immer von derjenigen Gerechtigkeit genommen werden, die jeglicher Sünde entgegensteht, denn die Bewegung ist vom Gegensätzlichen zum Gegensätzlichen und auch das einander begleitende Entstehen und Vergehen geschieht von Gegensätzlichem. Die Gerechtigkeit wird aber dreifach ausgesagt10: auf eine Weise, insofern sie eine spezielle Tugend ist, die von den anderen Kardinaltugenden unterschieden ist, so wie Gerechtigkeit das genannt wird, wodurch ein Mensch geleitet wird in den Dingen des mitmenschlichen Austausches, wie zum Beispiel in verschiedenen Vertragsangelegenheiten. Diese Tugend aber steht nicht im Gegensatz zu jeglicher Sünde, sondern nur zu denen, die innerhalb eines solchen mitmenschlichen Austausches geschehen, wie Diebstahl, Raub und anderes dergleichen. Daher kann Gerechtigkeit hier nicht so aufgefaßt werden. Auf eine andere Weise bezeichnet man die gesetzliche Gerechtigkeit (iustitia legalis), die gemäß Aristoteles jedwede Tugend ist11, denn nur dem Begriff nach unterscheidet sie sich von der Tugend. Die Tugend nämlich, die ihren Akt auf das Gemeinwohl hinordnet, was auch der Gesetzgeber beabsichtigt, wird gesetzliche Tugend genannt. Denn sie bewahrt das Gesetz, so wie der Tapfere, wenn er in der Schlachtreihe tapfer kämpft, dies um des Heiles des Staates willen tut. So also ist klar, daß, obwohl jede Tugend in gewisser Weise eine gesetzliche Tugend ist, dennoch nicht jeder Akt der Tugend ein Akt der gesetzlichen Gerechtigkeit ist, sondern nur derjenige, der auf das Gemeinwohl hingeordnet ist, was auf jeden Akt einer Tugend zutreffen kann. Daraus folgt, daß nicht jeder Akt der Sünde der gesetzlichen Gerechtigkeit entgegen steht. Daher kann die Rechtfertigung, welche Nachlaß der Sünden ist, nicht von der gesetzlichen Gerechtigkeit her benannt werden. Auf die dritte 10 Aristoteles, Eth. Nic. V, 1; 1129 a 31, gemäß Thomas, Sent., IV, d. 17 q. 1 a. 1 sol. 1. 11 Aristoteles, Eth. Nic. V, 2; 1130 a 8.

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Art benennt Gerechtigkeit einen gewissen eigentümlichen Zustand, demgemäß sich der Mensch in rechter Ordnung zu Gott, zum Nächsten und zu sich selbst verhält, daß sich nämlich in ihm die niederen Kräfte den höheren unterordnen. Dies nennt Aristoteles metaphorische Gerechtigkeit12, wenn (nämlich) die verschiedenen Kräfte derselben Person betrachtet werden, da Gerechtigkeit im eigentlichen Sinne immer zwischen verschiedenen Personen besteht. Und dieser Gerechtigkeit (der metaphorischen) steht jede Sünde entgegen, denn durch jegliche Sünde wird etwas von der genannten Ordnung zerstört. Und daher wird die Rechtfertigung von dieser Gerechtigkeit her benannt, sei es als Bewegung vom Ziel her, sei es als formale Wirkung von der Form her. Zu 1. Dieser Einwand geht von der speziellen Gerechtigkeit aus. Zu 2. Die Rechtfertigung ist nicht nach der gesetzlichen Gerechtigkeit benannt, die alle Tugenden umfasst, sondern nach der Gerechtigkeit, die eine allgemeine Rechtheit in der Seele bezeichnet. Nach dieser wird die Rechtfertigung aber eher benannt, als von der Gnade her. Denn dieser Gerechtigkeit ist jede Sünde direkt und unmittelbar entgegengesetzt, da sie alle Potenzen der Seele betrifft. Die Gnade aber ist im Wesen der Seele. Zu 3. Die Liebe wird Ursache für den Nachlaß der Sünden genannt, insofern der Mensch durch sie mit Gott verbunden wird, von dem abgewandt er sich in der Sünde befand. Dennoch ist nicht jede Sünde direkt und unmittelbar der Liebe entgegengesetzt, wohl aber der vorgenannten Gerechtigkeit. Zu 4. Und dadurch ergibt sich auch die Lösung des vierten Einwands. Zu 5. Das geistliche Leben wird deshalb dem Glauben zugeschrieben, weil es im Akt des Glaubens zuallererst sichtbar wird. So wie es im 1. Buch Über die Seele heißt13, daß das Leben den Lebendigen gemäß der vegetativen Seele innewohnt, deshalb weil in deren Akt zuallererst das Leben sichtbar wird – nicht aber weil jeder Akt des natürlichen Lebens aufgrund der vegetativen Seele ist. Ähnlich 12 Aristoteles, Eth. Nic. V, 17; 1138 b 5. 13 Richtig: Aristoteles, De an. II, 7; 415 a 23.

1. Artikel

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stammt nicht jeder Akt des geistlichen Lebens vom Glauben, sondern auch von den anderen Tugenden. Daher ist nicht jede Sünde direkt und unmittelbar dem Glauben entgegengesetzt. Zu 6. Die Reinigung des Herzens wird dem Glauben zugeschrieben, insofern in der genannten Reinigung zuerst die Bewegung des Glaubens erscheint. »Denn wer zu Gott kommen will, muß glauben, daß er ist« (Hebr. 11, 6). Zu 7. Wie die Rechtfertigung aufgefasst werden kann sowohl als Bewegung zur Gerechtigkeit hin, als auch als formale Wirkung der Gerechtigkeit, so verhält es sich auch mit der Vergebung der Schuld. Denn wie die Gerechtigkeit auf formale Weise rechtfertigt, so tilgt sie auch auf formale Weise die Schuld, wie das Weißsein auf formale Weise das Schwarzsein tilgt. So also folgt die Vergebung der Schuld, insofern sie formale Wirkung der Rechtfertigung oder der Gnade ist, auf die Gnade, und ebenso tut es die Rechtfertigung. Insofern sie (die Vergebung der Schuld) aber eine gewisse Bewegung bedeutet, wird sie im Verhältnis zur Gnade im Voraus erkannt, wie es auch für die Rechtfertigung gilt. Zu 8. Ein Wirken kann zweifach bezeichnet werden, nämlich vom Anfang und vom Ende her; so wie die Handlung eines Arztes an einem Kranken von ihrem Anfang her medizinische Behandlung genannt wird, weil sie eine Wirkung der Medizin ist, aber vom Ziel her Gesundmachen genannt wird, weil sie der Weg zur Gesundheit ist. Ebenso wird der Nachlaß der Sünden also Rechtfertigung genannt vom Anfang und vom Ziel her. Er wird nämlich Erbarmen genannt von seinem Anfang her, insofern er ein Werk der göttlichen Barmherzigkeit ist. Gleichwohl wird auch im Nachlaß der Sünden eine gewisse Gerechtigkeit eingehalten, nach dem Wort: »Alle Wege des Herrn sind Barmherzigkeit und Wahrheit« (Ps. 25 (24), 10), vor allem im Hinblick auf Gott, der im Vergeben der Sünden das tut, was ihm angemessen ist, wie Anselm im Proslogion sagt: »Wenn du die Sünder verschonst, ist es gerecht, denn es ist angemessen für dich.«14 Und so heißt es im Ps. 31 (30), 2: »Rette mich in deiner Gerechtigkeit.« Auf irgendeine, aber nicht in ausreichender Weise, 14 Anselm von Canterbury, Proslogion, c. 10 (Op. omn., ed. Schmitt, I, 108 f.).

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erscheint die Gerechtigkeit auch auf Seiten dessen, dem die Sünde vergeben wird, insofern in ihm irgendeine Disposition zur Gnade gefunden wird, wenn auch in nicht ausreichender Weise. Zu 9. und 10. Und dadurch ergeben sich auch die Lösungen des neunten und zehnten Einwands. Zu 11. Der Nachlaß der Sünden wird auf irgendeine Weise, sei es der Sache nach, oder dem Begriffe nach, von der Rechtfertigung unterschieden. Und so wird er von der Eingießung der Gnade abgegrenzt und als einer der vier Bestandteile definiert, die zur Rechtfertigung des Gottlosen nötig sind. Zu 12. Zur Rechtfertigung als solcher gehört das Beisteuern der Gerechtigkeit. Insofern sie aber die Rechtfertigung des Gottlosen ist, gehört auch der Nachlaß der Sünden zu ihr. Und auf diese Weise kommt sie weder Christus, noch dem Menschen im Stand der Unschuld zu.

2. Artik el Die zweite Frage lautet15: Kann der Nachlaß der Sünden ohne Gnade geschehen? Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. Es ist leichter zu zerstören als aufzubauen. Aber der Mensch kann von sich aus die Sünde aufbauen. Also hat er auch von sich aus die Kraft, sie zu zerstören. Und deshalb kann der Nachlaß der Sünden ohne Gnade stattfinden. 2. Gegensätzliche Sünden können nicht gleichzeitig in demselben Menschen sein. Es kann aber einer, der in einer Sünde war, von sich aus zum Gegenteil übergehen, so wie einer der geizig war, von sich aus verschwenderisch werden kann. Folglich kann einer von sich selbst aus die Sünde verlassen, in der er war. Und so ist zum Nachlaß der Sünden scheinbar keine Gnade erforderlich. 3. Es wurde eingewandt: Die Sünden sind in dem Sinne gegensätzlich wie es gegensätzliche Akte sind, nicht aber wie es gegensätzliche Formen sind. – Dagegen spricht: Die Sünde bleibt noch, auch wenn ihr Akt vorübergegangen ist, wie Augustinus im Buch 15 Paralleltexte: Sent. IV, d. 17 q. 1 a. 3 qc.; Sum. theol. I-II, q. 113 a. 2.

2. Artikel

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Von der Ehe und der Begierlichkeit sagt.16 Und zum Nachlaß der Sünden reicht es nicht, daß der Akt der Sünde vorübergegangen ist. Also bleibt etwas von der Sünde zurück, was die Vergebung erforderlich macht. Aber von Gegensätzlichem gibt es gegensätzliche Wirkungen. Jene (Wirkungen) also, welche aus gegensätzlichen Sünden zurückbleiben, sind Gegensätzliches und können nicht gleichzeitig sein, und so folgt dasselbe wie vorher. 4. Von Gegensätzlichen, die ein Mittleres haben, kann das Eine entfernt werden, ohne daß das Andere herbeigeführt wird, so wie das Schwarzsein ohne das Herbeiführen des Weißseins entfernt werden kann. Aber zwischen dem Zustand der Sünde und dem Zustand der Gnade gibt es ein Mittleres, nämlich den Zustand der geschaffenen Natur, in welchem einigen Leuten zufolge17 der Mensch weder Gnade besaß, noch Schuld. Also ist es zur Vergebung der Schuld nicht notwendig, daß einer Gnade empfange. 5. Gott vermag mehr im Wiederherstellen als der Mensch im Zerstören. Aber der Mensch konnte vom Zustand der Natur, in welchem er die Gnade nicht hatte, in den Zustand der Schuld herabsinken. Folglich kann Gott den Menschen vom Zustand der Schuld ohne Gnade in den Zustand der Natur zurückführen. 6. Man sagt von der Sünde, daß, nachdem ihr Akt vorübergegangen ist, die Schuld zurückbleibt, gemäß Augustinus im Buch Von der Ehe und der Begierlichkeit 18, insofern der vergangene Akt der Sünde angerechnet wird zur Strafe. Deshalb nennt man andererseits »Vergeben« die Tatsache, daß etwas nicht zur Strafe angerechnet wird, gemäß Ps. 32 (31), 2: »Selig der Mann, dem der Herr die Sünde nicht anrechnet.« Aber Anrechnen oder Nichtanrechnen stellt etwas dar, was nur im anrechnenden oder nichtanrechnenden Gott ist. Folglich wird zum Nachlaß der Sünden in demjenigen, dem die Sünde vergeben wird, keine Gnade benötigt. 16 Augustinus, De nuptiis et concupiscentia I c. 26 (PL 44, 430; CSEL 42, 241–242). 17 Z. B. Petrus Lombardus, Sent. II, d. 24 c. 1 und 2 (ed. Coll. S. Bon. I, 450–452); Summa fratris Alexandri I-II, n. 505 (S. 729); Bonaventura, Sent. II, d. 29 a. 2 q. 2. 18 Vgl. Anm. 16.

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7. Wer auch immer gänzlich die Ursache einer Sache ist, der hat gänzliche Vollmacht darüber, sie zu zerstören oder aufzubauen, denn wenn das Wirken der Ursache aufhört, dann hört auch die Wirkung auf. Also hat er gänzliche Vollmacht, die Sünde zu zerstören oder aufzubauen, und so braucht der Mensch scheinbar keine Gnade zum Nachlaß der Sünden. 8. Da die Sünde in der Seele ist, kann nur jenem der Nachlaß der Sünden zukommen, der in die Seele eindringen kann. Aber nach Augustinus19 kann Gott allein in die Seele eindringen. Also vergibt Gott allein durch sich selbst (und) ohne Gnade die Sünde. 9. Wenn die Gnade die Schuld beseitigt, dann entweder die Gnade, die ist, oder die Gnade, die nicht ist. Nicht aber die Gnade, die nicht ist, denn was nicht ist, kann nichts tun. Ebensowenig die Gnade, die ist, denn da sie ein Akzidens ist, ist ihr Sein ein In-Sein. Wenn aber die Gnade in einem ist, dann ist die Schuld bereits nicht mehr in einem und so kann sie nicht (mehr) vertrieben werden. Also wird die Gnade nicht zum Nachlaß der Sünden benötigt. 10. Gnade und Schuld können nicht gleichzeitig in der Seele sein. Wenn also die Gnade zur Vergebung der Schuld eingegossen wird, dann muß die Schuld zuerst in der Seele gewesen sein, als die Gnade es noch nicht war. Wenn also die Schuld aufhört zu sein, dann muß es einen letzten Moment geben, in dem die Schuld war. Und genauso, wenn die Gnade anfängt zu sein, dann muß es einen ersten Moment geben, in dem die Gnade in einem ist. Das müssen aber zwei Momente sein, denn Gnade und Schuld können nicht gleichzeitig in einem Menschen sein, wie gesagt worden ist. Zwischen zwei Momenten liegt aber immer eine Zwischenzeit, wie im 6. Buch der Physik bewiesen wird.20 Folglich wird es eine Zeit geben, in der der Mensch weder Schuld noch Gnade besitzt. Und so ist die Gnade, wie es scheint, zur Vergebung der Schuld nicht notwendig. 11. Augustinus sagt, daß Gott uns seine Gaben gibt, weil er uns liebt und nicht umgekehrt.21 Folglich setzt das Geschenk der Gnade 19 Pseudo-Augustinus (= Gennadius von Marseille), De ecclesiasticis dogmatibus, c. 83 (PL 58, 999 B). 20 Aristoteles, Phys. VI, 1; 231 b 6. 21 Vgl. z. B. Augustinus, Ench., IX, 32 (PL 40, 248; CCSL 44, 67).

2. Artikel

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die göttliche Liebe voraus. Aber diese göttliche Liebe, in der Gott-Vater seinen eingeborenen Sohn und dessen Glieder liebt, kommt nicht dem Menschen zu, der sich in der Schuld befindet. Folglich geht in der natürlichen Ordnung die Vergebung der Schuld der Gnade voraus und so wird die Gnade zum Nachlaß der Sünden nicht benötigt. 12. Im Alten Testament wurde die Erbsünde durch die Beschneidung vergeben, wie aus Beda hervorgeht.22 Die Beschneidung aber verlieh nicht die Gnade, denn da die kleinste Gnade ausreicht, um jeglicher Versuchung zu widerstehen, hätte der Mensch im Zustand des Gesetzes die Fähigkeit gehabt, die Begierde zu besiegen. Und so hätte das alte Gesetz nicht Anlaß zum Tod gegeben, wie es in Röm. 7, 11 heißt. Und so wäre auch der Tod Christi nicht notwendig gewesen, denn »wenn aus dem Gesetz die Gerechtigkeit hervorginge, dann wäre Christus vergeblich gestorben«, wie es in Gal. 2, 21 heißt. Das aber ist nicht angemessen. Also scheint es nicht angemessen, daß die Beschneidung Gnade verleiht. Folglich kann der Nachlaß der Sünden ohne Gnade stattfinden. Dagegen spricht: 1. Zu Ps. 77, 39: »Denn er dachte daran, daß sie nichts sind als Fleisch, nur ein Hauch, der vergeht und nicht wiederkehrt« sagt die Glosse: »Von sich aus gehend in die Sünde, und von sich aus nicht wiederkehrend von der Sünde. Deshalb ruft Gott die Menschen durch die Gnade zurück, weil sie von sich aus nicht zurückkehren können.«23 2. In Röm. 3, 24 heißt es: »Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade« usw. Antwort: Der Nachlaß der Sünden kann auf keinen Fall ohne die Gnade, die wohlgefällig macht, stattfinden. Um dies zu verstehen, muß man wissen, daß, da die Sünde zwei Bestandteile hat, nämlich die 22 Vgl. Beda Venerabilis, Homiliae genuinae I hom. 10 (PL 94, 54 B), gemäß III q. 62 a. 6 arg. 3. 23 Glossa Petri Lombardi (PL 191, 736 B) aus Augustinus, Enarr. in Ps. 77, 39 (PL 36, 998; CCSL 39, 1085).

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Abkehr (von Gott) und die Hinwendung (zum Falschen), die Vergebung und das Behalten der Sünde nicht der Hinwendung gelten, sondern mehr der Abkehr und dem was auf die Abkehr folgt. Wenn daher einer aufhört, den Willen zur Sünde zu haben, ist ihm deswegen die Sünde noch nicht vergeben, auch wenn der Wille zum Gegenteil übergeht. Deshalb sagt Augustinus im Buch Von der Ehe und der Begierlichkeit: »Wenn das von der Sünde Abstehen identisch wäre mit Keine-Sünde-Haben, dann würde es genügen, daß uns die Schrift folgendermaßen ermahnte: ›Mein Sohn, du hast gesündigt, tu es nicht wieder‹. Es genügt aber nicht, sondern sie fügt hinzu: ›und bitte für die vergangenen (Sünden), daß sie dir erlassen werden‹«.24 Demgemäß nennt man also das Vergeben der Sünde, daß die Abkehr und das was ihr folgt, aus dem vergangenen Akt der Sünde folgend, geheilt wird. Es gibt aber drei einander begleitende Bestandteile auf der Seite der Abkehr, aufgrund derer der Nachlaß der Sünden ohne Gnade nicht stattfinden kann, nämlich die Abkehr, die Beleidigung Gottes und das Schuldigsein. Die Abkehr nämlich wird verstanden als eine solche von einem unwandelbaren Gut, das jemand haben kann und im Hinblick auf das er sich unfähig gemacht hat, ansonsten wäre die Abkehr nicht als Schuld anrechenbar. Folglich kann die genannte Abkehr nicht beseitigt werden, außer wenn eine Verbindung mit dem unwandelbaren Gut geschieht, von welchem sich der Mensch durch die Sünde getrennt hat. Diese Verbindung aber geschieht nur durch die Gnade, durch welche Gott dem Geist einwohnt und durch welche der Geist durch die Freundschaftsliebe Gott selbst anhängt. Daher wird zur Heilung der genannten Abkehr die Eingießung der Gnade und der Liebe benötigt, so wie zur Heilung der Blindheit die Wiederherstellung der Sehkraft benötigt wird. Auch die Beleidigung, welche aus der Sünde folgt, kann nicht ohne die Gnade beseitigt werden, sei es daß sie vom Menschen her aufgefasst wird, insofern der sündigende Mensch Gott beleidigt hat, sei es von Gott her, insofern er dem Sünder grollt, gemäß Ps. 5, 7 »Du haßt alle, die Unrecht tun.« Denn wer auch immer eine unwürdigere Sache einer würdigeren vorzieht, der tut dieser Unrecht, und 24 Augustinus, De nuptiis et concupiscentia I, 26 (PL 44, 430; CSEL 42, 241–242).

2. Artikel

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das umso mehr, je würdiger die Sache ist. Wer sich aber eine zeitliche Sache zum Ziel setzt, was jeder Todsünder tut, der zieht dadurch, was seinen Gemütszustand anbelangt, eine Kreatur dem Schöpfer vor, indem er die Kreatur mehr als den Schöpfer liebt. Denn Ziel ist das, was am meisten25 geliebt wird. Da also Gott die Kreatur unendlich übertrifft, wird die Beleidigung des Todsünders gegenüber Gott in Anbetracht von Gottes Würde eine unendliche sein, indem Gott und sein Gebot verachtet werden. Daher reichen die Kräfte des Menschen zur Beseitigung dieser Beleidigung nicht aus, vielmehr wird dazu das Geschenk der göttlichen Gnade benötigt. Auch von Gott selbst sagt man, daß er dem Sünder grollt oder ihn haßt – nicht in einem Haß, der derjenigen Liebe entgegengesetzt wäre, in der er alles liebt. So nämlich heißt es in Weish. 11, 25: »Er haßt nichts von dem, was er geschaffen hat.« Vielmehr ist dieser Haß jener Liebe entgegengesetzt, in der er die Heiligen liebt, indem er ewige Güter für sie vorbereitet. Die Wirkung dieser Liebe aber ist das Geschenk der Gnade, die wohlgefällig macht, wie in der Untersuchung »Von der Gnade« gesagt worden ist. Daher wird die Beleidigung, mit der Gott dem Menschen grollt, nicht aufgehoben, außer dadurch, daß er die Gnade gibt. Ferner besteht das Schuldigsein, das von der Sünde herrührt, nicht nur in einem Gebundensein an sinnlich erfahrbare Strafen, sondern vor allem in der Strafe der ewigen Verdammnis, die im Entbehren der Herrlichkeit besteht. Daher wird das Schuldigsein nicht aufgehoben, solange dem Menschen kein Mittel gegeben wird, mit Hilfe dessen er zur Herrlichkeit gelangen kann. Dieses aber ist die Gnade, und daher kann der Nachlaß der Sünden ohne Gnade nicht stattfinden. Zu 1. Die Sünde ist eine gewisse Zerstörung der Gnade, ihre Vergebung aber ein Aufbauen. Also ist es leichter, in die Sünde hineinzugeraten, als aus ihr herauszukommen. Zu 2. Die Sünden verhalten sich zueinander gegensätzlich von ihrer Hinwendung her gesehen. Von dieser her wird der Nachlaß der Sünden (aber) nicht betrachtet. Von der Abkehr her gesehen und dem, was der Abkehr folgt, besitzen sie (die verschiedenen Sün25 Eine Textvariante liest hier: »mehr«.

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den) jedoch Übereinstimmung. Daher hindert nichts daran, daß das Schuldigsein von vorausgegangenen, einander entgegengesetzten Akten zugleich in der Seele bleibt. Denn derjenige, der sich vom Geiz zur Verschwendungssucht hin verändert, hört nicht auf, die Schuld des Geizes zu haben, sondern nur den Akt oder den Habitus dazu. Zu 3. Obwohl die Sünden einander entgegengesetzt sind, wenn man sie von ihrer Hinwendung her betrachtet, so müssen doch die Abkehr und das bleibende Schuldigsein nicht gegensätzlich sein, da sie akzidentelle Wirkungen der Hinwendungen sind, weil sie außerhalb der Intention des Handelnden liegen. Doch aus der Gegensätzlichkeit der Ursachen folgt die Gegensätzlichkeit in den Wirkungen an sich, nicht in den akzidentellen Wirkungen. Daher folgen auch aus gegensätzlichen Akten gegensätzliche Haltungen und Dispositionen. Solche aber sind Wirkungen der Akte der verschiedenen Sünden gemäß ihrer je eigenen Art. Zu 4. Einmal die Meinung vorausgesetzt, daß Adam zu einer bestimmten Zeit weder Gnade besaß, noch Schuld hatte, obwohl das von einigen nicht zugestanden wird26, so hindert nichts daran, daß es irgendwelche Gegensätze gibt, die, im Hinblick auf ein einfach aufgefaßtes Subjekt ein Mittleres haben, die aber im Bezug auf einen bestimmten Zeitpunkt unvermittelt zu einander stehen; so wie das Blindsein im Hund (im Welpen) ein Mittleres hat, aber nicht (mehr) nach dem neunten Tag (des Wurfes). Ähnlich können auch im Hinblick auf den Menschen im Zustand der geschaffenen Natur Gnade und Schuld als vermittelte Gegensätze verglichen werden. Aber nach dem Zeitpunkt, zu dem Adam die Gnade empfing oder empfangen konnte, so daß sie auch auf alle Künftigen überginge, entbehrt keiner mehr der Gnade, außer aufgrund einer aktualen Sünde oder aufgrund der Erbsünde. Zu 5. Auch wenn Adam einigen Leuten zufolge in seinem natürlichen Stand die Gnade nicht gehabt haben sollte, so behaupten diese dennoch, daß er sie vor dem Sündenfall erlangt hatte.27 Daher ist er aus dem Stand der Gnade gefallen und nicht bloß aus dem der Natur. 26 Albertus Magnus, Sent. II, d. 24 a. 1. (ed. Borgnet XXVII, 396 f.). 27 Petrus Lombardus, Sent. II d. 24 c. 1 u. 2 (ed. Coll. S. Bon. I, 450–

452): nach Albertus Magnus, Sent. II, d. 24 a. 1 (ed. Borgnet XXVII, 396 f.);

2. Artikel

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Wenn er aber dennoch nur aus dem Stand der Natur gefallen wäre, so wäre zur Sühne der unendlichen Beleidigung Gottes trotzdem das Geschenk der göttlichen Gnade nötig. Zu 6. So wie die Liebe Gottes, mit der er uns liebt, folgerichtig eine Wirkung in uns hinterläßt, nämlich die Gnade, durch die wir des ewigen Lebens würdig gemacht werden, auf welches hin Gott uns liebt, so hinterlässt folgerichtig auch die Tatsache, daß Gott uns unsere Vergehen nicht anrechnet, in uns etwas, durch das wir würdig sind, von dem genannten Schuldigsein gelöst zu werden, und das ist die Gnade. Zu 7. Ursache der Sünde an sich ist der Sünder im Hinblick auf die Hinwendung (zur Sünde). Aber im Hinblick auf die Abkehr (vom Guten) und darauf, was ihm folgt, ist er nur akzidentelle Ursache (der Sünde), da diese nicht beabsichtigt sind. Diese können nämlich keine Ursache an sich haben, da von ihnen der Gehalt des Bösen in der Sünde stammt. Das Böse hat gemäß Dionysius nämlich keine Ursache.28 – Oder besser: Der Sünder ist Ursache der Sünde bezüglich ihres Werdens, nicht aber bezüglich des Fortdauerns dessen, was von der Sünde zurückbleibt. Vielmehr ist deren Ursache teilweise die göttliche Gerechtigkeit, welche gerechterweise anordnet, daß derjenige, der nicht in der Gnade stehen wollte, als er es konnte, es (nun) auch nicht kann, selbst wenn er wollte; teilweise rührt dies auch vom Unvermögen der natürlichen Kräfte her, die aus den bereits besprochenen Gründen nicht zur Sühne ausreichen. So wie ein Mensch, wenn er sich in eine Grube stürzt, die Ursache des Sich-Stürzens ist, aber die Ruhe, die darauf folgt, von der Natur stammt, so daß er nicht so aus der Grube herauskommen kann, wie er sich in die Grube stürzen konnte – ähnlich ist es im vorliegenden Fall. Zu 8. Das Betreiben der Vergebung von Schuld wird auf zweifache Weise aufgefasst, wirkursächlich und formalursächlich, so wie das Weiß-Machen wirkursächlich dem Maler zukommt, formalursächlich aber dem Weißsein. Die Gnade ist also kein Mittel in der Vergebung der Schuld, wie ein wirkursächlich Wirkendes, sondern Summa fratris Alexandri I-II n. 505 (S. 729); Bonventura, II Sent., d. 29 a. 2 q. 2. 28 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 30 (PG 3, 732 A; Dion. I, 300).

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nur ein formalursächliches. Dadurch aber, daß gesagt wird, nur Gott könne in die Seele eindringen, werden weder die natürlichen, noch die gnadenhaften der Seele zukommenden Eigenschaften ausgeschlossen, denn von diesen erhält die Seele ihre Form. Ausgeschlossen werden aber die anderen in sich bestehenden Substanzen, die nicht so wie Gott in der Seele sein können. Dieser ist der Seele auch innerlicher als die genannten Formen, deshalb weil Gott als der Verursachende und Erhaltende im Sein der Seele selbst ist. Die genannten Formen und Eigenschaften reichen daran aber nicht heran, vielmehr umstehen sie gleichsam das Wesen der Seele. Zu 9. Die Gnade, die ist und innewohnt, vertreibt die Schuld; nicht die Schuld, die ist, sondern die, die nicht ist, vorher aber da war. Denn sie vertreibt die Sünde nicht auf die Weise einer Wirkursache. So müßte sie nämlich zur Vertreibung auf eine bestehende Schuld einwirken, so wie das Feuer auf die bestehende Luft einwirkt, um sie zu zerstören. Vielmehr vertreibt sie die Schuld in der Weise einer Form. Denn genau daraus, daß sie dem Subjekt die Form mitteilt, folgt, daß die Schuld nicht im Subjekt ist, wie es auch an Gesundheit und Krankheit deutlich wird. Zu 10. Darauf gibt es für gewöhnlich eine mehrfache Antwort. Die erste ist29, daß ein Moment, obgleich er einer der Sache nach ist, dem Begriffe nach dennoch vielfältig ist, insofern er der Anfang des Zukünftigen und das Ende des Vergangenen ist. Und so hindert nichts daran, daß Schuld und Gnade im selben Moment in der Seele sein können, aber so, daß die Schuld in jenem Moment da ist, insofern er das Ende des Vergangenen ist, die Gnade aber, insofern er der Anfang des Zukünftigen ist. Aber diese Antwort kann nicht Bestand haben, denn der Anfang des Zukünftigen und das Ende des Vergangenen bezeichnen (nur) verschiedene Hinsichten des Momentes, aus denen seine Substanz (aber) nicht vervielfältigt wird, sondern eine einzige bleibt. Und deshalb würde der Sache nach folgen, daß Schuld und Gnade zum gleichen ungeteilten Zeitpunkt in der Seele wären. Das aber bedeutet gleichzeitig sein, und so würde fol29 Albertus Magnus, Sent. IV, d. 11 a. 3 opinio 2a (ed. Borgnet XXIX,

272); Bonventura, Sent. IV, d. 11 p. 1 a. unic. q. 5 opinio 2a; Thomas, Sent. IV, d. 11 q. 1 a. 3 sol. 2 ad 2 opinio 1a.

2. Artikel

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gen, daß Gegensätzliches zugleich in ihr wäre. – Außerdem ist es gemäß Aristoteles so: Wenn man in der Bewegung von etwas ein Zeichen zweifach verwendet, dann muß notwendigerweise Ruhe in der Zwischenzeit eintreten.30 Auf diese Weise beweist Aristoteles, daß Bewegungen, die sich auf sich selbst beziehen, nicht kontinuierlich sein können. Wenn daher jemand im Argument einen einzigen Moment als zwei benützt, dann muß man etwas Mittleres dazwischen annehmen, und so würde die Seele zu einem bestimmten Zeitpunkt sowohl ohne Schuld, als auch ohne Gnade sein, was unstimmig wäre. Daher sagen andere31: So wie zwischen zwei Punkte derselben Linie eine mittlere Linie fällt, nicht aber zwischen zwei Punkte zweier sich schneidender Linien, so ist es nicht notwendig, daß zwischen dem Moment, der der letzte Zeitpunkt ist, zu dem die Schuld in der Seele war, und dem Moment, der der erste Zeitpunkt ist, zu dem die Gnade in der Seele ist, ein dazwischenliegender Zeitabschnitt ist, da es sich um Momente verschiedener Zeitpunkte handelt. Aber auch diese Meinung kann nicht bestehen. Denn die Linie wird, da sie ein inneres Maß darstellt, gemäß der Unterscheidung der Dinge geteilt. Die Zeit aber stellt ein äußeres Maß dar und ist ein und dieselbe im Hinblick auf alles, was sich in der Zeit befindet. Das Sein der Schuld und der Gnade wird nämlich nicht mit einer jeweils anderen Zeit gemessen, außer wir bezeichnen damit einen anderen Zeitpunkt, das heißt einen anderen Teil der kontinuierlichen Zeit. Und darum muß es zwischen zwei beliebigen Zeitpunkten, im Hinblick auf welche man irgendwelche Dinge unterscheidet, immer einen mittleren Zeitpunkt geben. Außerdem: Zwei Punkte zweier sich berührender Linien, die in örtlich festgelegten Körpern genau bestimmt sind – zwei solche Linien vereinigen sich in einem Punkt, der genau festgelegt ist durch die äußere Linie des verortenden Körpers. Denn aneinander angrenzend sind solche Dinge, deren 30 Aristoteles, Phys. VIII, 16; 262 a 12–b 8. Aristoteles stellt sich hier eine Bewegung auf einem Kreis mit den Punkten A und B vor, wobei der Punkt B auch als C bezeichnet werden kann. Die Bewegung verläuft nun einmal in die Richtung von A nach B. Dann wieder von B (C) nach A. Diese Bewegung kann nicht kontinuierlich sein, denn es muß beim Umschlagen der Bewegungsrichtung jedes Mal zu einem kurzen Halt kommen. 31 Es ist unklar, wer diese Meinung vertreten hat.

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äußerste Teile zugleich sind. Daher, einmal angenommen, daß verschiedene Dinge verschiedene nicht-kontinuierliche, sondern nur aneinander angrenzende Zeiten haben könnten, dann müßte deren Grenzen nichtsdestoweniger ein einziger ungeteilter Moment in der äußerlich messenden Zeit entsprechen. Und so käme wieder das bereits genannte Unstimmige heraus, daß nämlich Schuld und Gnade zugleich wären. Und daher sagen andere32, daß solche geistigen Veränderungen nicht mit derjenigen Zeit gemessen werden, die Zahl der Bewegung des Himmels ist, deshalb weil die Seele und jede andere geistige Substanz jenseits der Zeit sind. Sie haben jedoch eine eigene Zeit, insofern als in ihnen ein Vorher und ein Nachher zu finden ist. Dennoch bildet diese Zeit kein Kontinuum, da die Kontinuität der Zeit gemäß Aristoteles33 aus der Kontinuität der Bewegung folgt. Die Zustände der Seele sind aber nicht kontinuierlich. Aber auch diese Meinung zur vorliegenden Frage hat keinen Bestand, denn mittels der Zeit wird nicht nur das gemessen, was an sich in der Zeit verfasst ist, wie die Bewegung des Himmels, sondern auch das, was in akzidenteller Weise auf die Bewegung des Himmels hingeordnet ist, insofern es (nämlich) aus solchem hervorgeht, was an sich auf die genannte Zeit hingeordnet ist. Und so verhält es sich auch mit der Rechtfertigung des Gottlosen, welche aus irgendwelchen Gedanken, Gesprächen und anderen Bewegungen dieser Art hervorgeht, die an sich mittels der Zeit der Himmelsbewegung gemessen werden. Daher muß man etwas anderes dazu sagen: Es gibt keinen letzten Moment, in dem der Sünder die Schuld hatte, sondern eine letzte Zeit. Es trifft jedoch zu, daß es einen ersten Moment gibt, in dem der Sünder die Gnade hatte und derselbe Moment ist das Ende der Zeit, in der er die Schuld hatte. Zwischen jener Zeit und dem Ende dieser Zeit fällt kein Mittleres. Daher gibt es keine Zeit oder einen Moment, in welchem jemand weder Schuld, noch Gnade hätte. Das aber wird aus dem Folgenden deutlich: die Eingießung der Gnade ist, da sie in einem einzigen Moment stattfindet, das Ende einer be32 Albertus Magnus, Sent. IV, d. 17 a. 11 ad 3 etu. 4 (ed. Borgnet XXIX,

678 f.). 33 Aristoteles, Phys. IV, 17; 219 a 12.

2. Artikel

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stimmten kontinuierlichen Bewegung, wie zum Beispiel irgendeines Nachdenkens, durch welches das Gemüt auf den Empfang der Gnade vorbereitet wird. Das Ende derselben Bewegung ist (nun) die Vergebung der Schuld, denn aus demselben heraus wird die Schuld vergeben, wie auch die Gnade eingegossen. In diesem Moment also liegt zuerst das Ende des Schuld-Vergebens, nämlich keine Schuld mehr zu haben, wie auch der Eingießung der Gnade, nämlich die Gnade zu besitzen. In der gesamten vorhergehenden Zeit also, die in diesem Moment zu Ende geht – derselben Zeit, mit der auch die Bewegung des vorgenannten Nachdenkens gemessen worden war – hatte der Sünder Schuld und keine Gnade, es sei denn im letzten Moment, wie bereits gesagt worden ist. Aber vor dem letzten Moment dieser Zeit darf man kein anderes unmittelbar Nächstliegendes annehmen. Denn wenn irgendein Moment als ein von dem letzten verschiedener angenommen wird, dann gäbe es zwischen diesen beiden unendlich viele mittlere Momente. Daraus wird deutlich, daß man keinen letzten Moment annehmen darf, in welchem der Gerechtfertigte die Schuld, aber nicht die Gnade gehabt hätte. Man muß aber einen ersten Moment annehmen, in welchem er die Gnade, nicht aber die Schuld hatte. Und diese Lösung kann man den Worten des Aristoteles im 8. Buch der Physik entnehmen.34 Zu 11. So wie Gott in seiner Liebe in uns das Geschenk der Gnade verursacht, so auch die Vergebung der Schuld. Daher ist es nicht notwendig, daß die Vergebung der Schuld der Gnade vorausgeht. Dies würde jedoch folgerichtig sein, wenn die Vergebung der Schuld der Liebe Gottes vorausgehen würde und nicht (vielmehr) aus dieser hervorgehen würde. Zu 12. Die Sakramente verursachen dadurch, daß sie etwas bezeichnen.35 Denn sie verursachen das, was sie abbilden. Und da die Beschneidung ein Entfernen bezeichnet, daher war ihre Wirksamkeit unmittelbar auf das Entfernen der Erbsünde hingeordnet. Dies geschah aber als Folge der Gnade, sei es, daß die Gnade kraft der Beschneidung gegeben wurde, (also) auf die Art, wie sie kraft der

34 Aristoteles, Phys. VIII, 16; 262 a 12–b 8. 35 Petrus Lombardus, Sent. IV d. 22 c. 2 (ed. Coll. S. Bon. II, 389).

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Taufe gegeben wird, wie einige Leute sagen36; sei es, daß Gott sie begleitend zur Beschneidung verlieh.37 Und so geschah die Vergebung der Schuld nicht ohne Gnade. Dennoch konnte jene Gnade die Begierde nicht so vollkommen unterdrücken wie die Taufgnade, weshalb es für einen Beschnittenen schwieriger war, der Begierde zu widerstehen, als einem Getauften. Daher wird vom alten Gesetz gesagt, daß es beiläufig tötete, obgleich die Beschneidung nicht zu den Sakramenten des mosaischen Gesetzes gehört, deshalb, weil »sie nicht von Moses stammt, sondern von den Vätern«, wie es Joh. 7, 22 heißt. Wenn also durch die Beschneidung irgendeine Gnade gegeben wurde, dann steht dies nicht gegen die Aussage, daß das alte Gesetz nicht gerecht machte.

3. Artik el Die dritte Frage lautet: Ist zur Rechtfertigung des Gottlosen die Wahlfreiheit erforderlich?38 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Das, was denjenigen zukommen kann, die nicht über den Gebrauch der Wahlfreiheit verfügen, benötigt nicht den Gebrauch der Wahlfreiheit. Die Rechtfertigung kommt jedoch den Kindern zu, die noch nicht über den Gebrauch der Wahlfreiheit verfügen, die (aber) durch die Taufe gerecht gemacht werden. Folglich erfordert die Rechtfertigung des Gottlosen nicht den Gebrauch der Wahlfreiheit. 2. Es wird eingewandt: Dies gilt speziell für Kinder, welche von der Sünde insofern gebunden sind, als sie diese von anderswoher auf sich gezogen haben. Es gilt aber nicht für Erwachsene, die durch eigene Sünden gebunden sind. – Dagegen spricht: Augustinus berichtet im 4. Buch der Bekenntnisse von einem seiner Freunde: »Als er an hohem Fieber erkrankte und lange besinnungslos in seinem Todesschweiß lag, da wurde er ohne sein Wissen getauft. Ich küm36 Z. B. Wilhelm von Auxerre, Summa aurea IV. tr. 2, c. 5 q. 2 (Op. omn. IV, 41). 37 Albertus Magnus, De sacramentis tr. II q. 2 (ed. Col. XXVI, 19). 38 Paralleltexte: Sent. II, d. 27 a. 2 ad 7; Sent. IV, d. 17 q. 1 a. 3 qc. 2; Sum. theol. I-II, q. 113 a. 3.

3. Artikel

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merte mich nicht darum und bildete mir ein, daß seine Seele mehr das behalten würde, was er von mir empfangen hatte, als das, was an seinem Körper geschah, ohne daß er es wusste. Es kam aber ganz anders, denn er wurde wiederhergestellt.«39 Die Wiederherstellung geschieht aber durch die rechtfertigende Gnade. Folglich wird die rechtfertigende Gnade bisweilen einem Erwachsenen zuteil ohne eine Bewegung der Wahlfreiheit. 3. Es wurde eingewandt: Das gilt aber nur für die Fälle, in denen der Mensch durch ein Sakrament gerechtfertigt wird. – Dagegen spricht: Gott hat seine Macht nicht an die Sakramente gebunden. Da also die Rechtfertigung ein Werk Gottes ist, die von seiner Macht abhängt, scheint es, daß ein Erwachsener auch außerhalb der Sakramente ohne eine Bewegung der Wahlfreiheit gerechtfertigt werden kann. 4. Der Mensch kann sich in einem Zustand befinden, in dem er erwachsen ist, aber von keiner aktualen Sünde, sondern nur von der Erbsünde behaftet ist: im ersten Moment nämlich, in dem jemand erwachsen wird, der, wenn er nicht getauft ist, noch unter der Erbsünde steht, jedoch noch von keiner aktualen Sünde behaftet ist, da er noch nichts begangen hat, was ihm Sündenschuld einbringen würde. Ebensowenig hat er sich einer Unterlassung schuldig gemacht, da die (zum Guten) auffordernden Gesetze nicht immer binden, weshalb der Mensch nicht sofort im ersten Moment seines Erwachsenseins die auffordernden Gesetze beachten muß. So also kann ein Erwachsener ohne jede aktuale Sünde von der Erbsünde behaftet sein, wie es scheint. Wenn also dies der Grund dafür ist, weshalb ein Kind ohne Bewegung der Wahlfreiheit gerecht gemacht werden kann, dann scheint dasselbe auch für einen Erwachsenen zu gelten. 5. Wann immer irgendetwas auf allgemeine Weise in mehreren vorhanden ist, dann muß es ihnen auf Grund einer allgemeinen Ursache zukommen. Gerechtfertigtwerden kommt aber sowohl Kindern wie auch Erwachsenen zu. Da also die Gnade allein Ursache der Rechtfertigung in den Kindern ist, so scheint es, das diese

39 Augustinus, Conf. IV, 4, 8 (PL 32, 696; CCSL 27, 43).

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ohne den Gebrauch der Wahlfreiheit auch zur Rechtfertigung der Erwachsenen hinreicht. 6. Wie die Gerechtigkeit ein Geschenk Gottes ist, so auch die Weisheit. Doch Salomon empfing die Weisheit im Schlaf, wie 1 Kön. 3, 5 berichtet. Folglich kann der Mensch aus demselben Grund auch die gerecht machende Gnade im Schlaf und ohne den Gebrauch der Wahlfreiheit empfangen. 7. Es wurde eingewandt: Salomon hat die Weisheit im Schlaf aufgrund eines vorausgehenden Verdienstes seines Willens empfangen. – Dagegen spricht: So wie zum Guten der Wille erforderlich ist, so auch zum Bösen. Denn es gibt keine Sünde, es sei denn eine freiwillige. Doch der Wille, der dem Schlaf vorausgeht, trägt nicht dazu bei, daß das, was im Schlaf geschieht, Sünde ist. Also trägt er auch nicht dazu bei, daß eine göttliche Gabe im Schlaf empfangen wird. 8. Wie im Schlafenden der Gebrauch der Wahlfreiheit gebunden ist, so auch im Kranken. Doch der Kranke wird ohne den Gebrauch der Wahlfreiheit gerecht gemacht, wie es aus Augustins Bericht hervorgeht; also auch der Schlafende. 9. Gott ist mächtiger als jedes geschöpfliche Wirkende. Doch die materielle Sonne flößt ihr Licht in die Luft ein, ohne irgendeine vorhergehende Vorbereitung der Luft. Umso mehr flößt Gott der Seele das Licht der Gnade ein, ohne eine Vorbereitung durch einen Akt der Wahlfreiheit. 10. Da nach Dionysius das Gute ein sich selbst Mitteilendes ist40, so teilt sich Gott, der das höchste Gut ist, in höchster Weise selbst mit. Dem wäre aber nicht so, wenn er sich nicht sowohl dem mitteilte, der sich (darauf) vorbereitet, als auch dem, der das nicht tut. Folglich ist zur Rechtfertigung des Gottlosen der Gebrauch der Wahlfreiheit, der gleichsam eine Vorbereitung von Seiten des Menschen ist, nicht notwendig. 11. Augustinus sagt im 11. Buch Über den Wortlaut der Genesis41, daß Gott die Gerechtigkeit im Menschen auf die Weise bewirkt, wie die Sonne das Licht in der Luft – denn dieses vergeht, wenn das 40 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 4 (PG 3, 700 A; Dion. I, 168). 41 Richtig: Augustinus, De Gen. ad litt. VIII, 12 (PL 34, 383; CSEL 28/1,

249–250).

3. Artikel

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Einströmen der Sonne vergeht –, nicht aber wie ein Künstler, der eine Truhe herstellt, an welcher er nach ihrer Fertigstellung nichts mehr wirkt. Doch die Sonne wirkt auf dieselbe Weise in der Luft, wenn sie sie zuerst erleuchtet und wenn sie ihr Licht in ihr fortbestehen lässt. Also wirkt auch Gott die Gerechtigkeit im Menschen auf dieselbe Weise, wenn er ihn zuerst gerecht macht, und wenn er die Gerechtigkeit in ihm bewahrt. Aber die Gerechtigkeit wird im Menschen bewahrt, auch wenn der Gebrauch der Wahlfreiheit aufhört, wie es an einem Schlafenden deutlich ist. Also kann der Mensch von Anfang an gerecht gemacht werden ohne eine Bewegung der Wahlfreiheit. 12. Eine Disposition, die notwendigerweise zur Einführung irgendeiner Form benötigt wird, verhält sich so, daß ohne sie die Form nicht fortbestehen kann, wie es deutlich ist an der Hitze und der Form des Feuers. Doch die Gerechtigkeit kann ohne den Gebrauch der Wahlfreiheit fortbestehen, wie (zum Beispiel) im Schlafenden. Also ist der Gebrauch der Wahlfreiheit keine Disposition, die notwendigerweise zur Eingießung der Gnade benötigt wird. 13. Das, was der Natur nach früher ist und ohne das Nachfolgende sowohl sein, als auch nicht sein kann, benötigt das Nachfolgende nicht dazu, um ins Sein zu gelangen, wie es deutlich ist an der Schwere und dem Herabfallen, ohne welches die Schwere sein kann: wenn nämlich der schwere Körper an seiner Bewegung gehindert wird. Aber die Gnade ist der Natur nach früher als der Gebrauch der Wahlfreiheit, ohne welchen sie sowohl sein, als auch nicht sein kann. Sie ist nämlich sein formales Prinzip, so wie die natürliche Schwere das der Bewegung. Also kann die Gnade ohne den Gebrauch der Wahlfreiheit eingegossen werden. 14. Der kranke Leib führt in die Seele die Erbschuld ein, ohne jeden Gebrauch der Wahlfreiheit. Umso weniger benötigt Gott, dem die höchste Macht zukommt, den Gebrauch der Wahlfreiheit dazu, um die Gnade einzugießen. 15. Gott ist geneigter, sich zu erbarmen als zu verdammen, wie die Glosse am Anfang des Buches Jeremia sagt.42 Doch Gott be42 Glossa ordin. Super Ier. Prol. ex Originis In Ier. Hom. 1 n. 1 (PG 13, 255 A).

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straft die verstorbenen Kinder, ohne den Gebrauch der Wahlfreiheit. Umso mehr erbarmt er sich, indem er (ohne den Gebrauch der Wahlfreiheit) die Gnade eingießt. 16. Die Disposition zu einer Form, die im Aufnehmenden eine Form erfordert, ist nicht von dem Aufnehmenden selbst, sondern vom anderen. So wie die Hitze, die im Holz als Disposition der Form des Feuers vorausgeht, nicht vom Holz selbst stammt. Aber der Gebrauch der Wahlfreiheit stammt vom Menschen, der gerecht gemacht werden soll. Also wird er nicht benötigt als Disposition, um die Gnade zu haben. 17. Die Rechtfertigung geschieht durch die Eingießung der Gnade und der Tugenden. Doch nach Augustinus43 bewirkt Gott allein ohne uns in uns die Tugend. Folglich wird unser Wirken, welches durch den Gebrauch der Wahlfreiheit geschieht, zur Rechtfertigung nicht erfordert. 18. Gemäß Röm. 4, 4 »wird demjenigen, der Werke tut, der Lohn nicht gemäß der Gnade angerechnet, sondern gemäß dem ihm Geschuldeten.« Der Gebrauch der Wahlfreiheit aber ist ein gewisses Werk. Wenn also der Gebrauch der Wahlfreiheit zur Rechtfertigung benötigt würde, dann wäre die Rechtfertigung nicht aus Gnade, sondern geschuldet, was häretisch ist. 19. Jener, der gegen die Gnade wirkt, ist von der Gnade weiter entfernt, als der, der überhaupt nicht wirkt. Aber Gott gibt bisweilen jemandem Gnade, der durch den freien Willen dagegen wirkt, so wie es an Paulus deutlich ist, dem gesagt wurde »Es wird dir schwer fallen, gegen den Stachel auszuschlagen« (Apg. 26, 14). Umso mehr wird bisweilen jemandem die Gnade ohne den Gebrauch der Wahlfreiheit eingegossen. 20. Ein Wirkendes, das über unbegrenzte Macht verfügt, benötigt keinerlei Disposition im Erleidenden. Je mächtiger nämlich ein Wirkendes ist, desto mehr kann es auch bei einer je geringeren vorher bestehenden Disposition seine Wirkung ganz entfalten. Aber Gott ist ein Wirkendes, das über unbegrenzte Macht verfügt, insofern er keine vorher bestehende Materie benötigt, sondern aus dem Nichts 43 Gemäß Petrus Lombardus, Sent. II d. 27 c. 5 (ed. Coll. S. Bon I, 483 f.), nach Thomas, Sent. II, d. 27 a. 2.

3. Artikel

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wirkt. Umso weniger benötigt er eine Disposition, und daher wird in der Rechtfertigung des Gottlosen, welche ein göttliches Werk ist, von Seiten des Menschen her der Gebrauch der Wahlfreiheit gleichsam als Disposition nicht benötigt. Dagegen spricht: 1. Zu Kön. 1, 5: »Fordere was du willst, damit ich es dir gebe« sagt die Glosse44: »Die Gnade Gottes benötigt den freien Willen.« Aber die Rechtfertigung geschieht durch die Gnade Gottes wie es in Röm. 3, 24 heißt. Also wird der Gebrauch der Wahlfreiheit zur Rechtfertigung der Wahlfreiheit benötigt. 2. Bernhard von Clairvaux sagt, daß die Rechtfertigung »weder ohne die Zustimmung des Empfangenden sein kann, noch ohne die Gnade des Gebenden.«45 Doch die Zustimmung des Aufnehmenden ist ein Akt der Wahlfreiheit. Also kann der Mensch ohne den Gebrauch der Wahlfreiheit nicht gerecht gemacht werden. 3. Zur Aufnahme einer Form ist eine gewisse Disposition im Aufnehmenden erforderlich. Denn es wird nicht jede beliebige Form in jedem Beliebigen aufgenommen. Aber der Akt der Wahlfreiheit verhält sich wie eine Disposition zur Gnade. Folglich wird der Gebrauch der Wahlfreiheit zur Aufnahme der gerecht machenden Gnade benötigt. 4. In der Rechtfertigung des Gottlosen kommt es gewissermaßen zu einer geistlichen Eheschließung des Menschen mit Gott. In Hos. 2, 19 heißt es: »Ich traue dich mir an in Gerechtigkeit.« Doch in der fleischlichen Eheschließung wird eine gegenseitige Zustimmung benötigt; um wie viel mehr in der Rechtfertigung des Gottlosen. Und so wird dort der Gebrauch der Wahlfreiheit benötigt. 5. Die Rechtfertigung geschieht nicht ohne Liebe, denn es heißt in Spr. 10, 12: »Die Liebe deckt alle Vergehen zu.« Doch die Liebe (caritas) verlangt, da sie gewissermaßen Freundschaft ist, gegenseitige Liebe (amor). Denn die Freundschaft ist ein Sich-gegensei-

44 Glossa interlin. 45 Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb., 2 (PL 182, 1002 B;

Opera, ed. Leclerq / Rochais, I, 166).

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tig-Lieben, wie Aristoteles im achten Buch der Ethik schreibt.46 Die gegenseitige Liebe aber erfordert in beiden den Gebrauch der Wahlfreiheit. Daher kann die Rechtfertigung nicht ohne den Gebrauch der Wahlfreiheit stattfinden. Antwort: Niemand, der den Gebrauch der Wahlfreiheit hat, kann ohne den Gebrauch der Wahlfreiheit gerechtfertigt werden, welcher im selben Moment seiner Rechtfertigung ausgeübt wird. In denen aber, die ihres Willens nicht mächtig sind, so wie die Kinder, ist dies nicht zur Rechtfertigung erforderlich. Dafür kann man einen dreifachen Grund anführen. Der erste Grund wird genommen aus dem gegenseitigen Verhältnis von Wirkendem und Erleidenden.47 In den Körperdingen ist es nämlich deutlich, daß das Wirken nicht ohne irgendeine Berührung vollendet werden kann, in welcher entweder nur das Wirkende das Erleidende berührt, wenn das Erleidende nicht dazu geeignet ist, das Wirkende zu berühren, so wie die Himmelskörper auf die Dinge der irdischen Region einwirken, indem sie sie berühren, nicht aber von ihnen berührt werden. Oder aber das Wirkende und das Erleidende berühren sich gegenseitig, wenn beide dazu geeignet sind zu berühren und berührt zu werden, beispielsweise wie das Feuer auf das Wasser einwirkt oder umgekehrt. Daher verhält es sich auch in den geistigen Dingen so, daß, wenn es eine gegenseitige Berührung geben kann, das Wirken dann nicht ohne gegenseitige Berührung vollendet werden kann. Im anderen Fall reicht es aus, daß (nur) das Wirkende das Erleidende berührt. Gott selbst aber, der den Gottlosen gerecht macht, berührt die Seele, indem er in ihr die Gnade bewirkt. Daher sagt die Glosse zu Ps. 144 (143), 5 »Berühre die Berge« »mit deiner Gnade.«48 Der menschliche Geist aber berührt auf gewisse Weise Gott, indem er ihn erkennt oder liebt. Daher ist in den Erwachsenen, die Gott erkennen und lieben können, irgend46 Aristoteles, Eth. Nic. VIII, 2; 1155 b 27. 47 Aristoteles, De gen. et corr. I, 6; 322 b 22. 48 Glossa Petri Lombardi (PL 191, 1256 D) et interlin. ex Augustinus,

Enarr. in Ps. 143, 5 (PL 37, 1865; CCSL 40, 2083).

3. Artikel

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ein Gebrauch der Wahlfreiheit erforderlich, wodurch sie Gott erkennen und lieben. Und dies ist die Hinwendung zu Gott, von der Sach. 1, 3 sagt: »Kehrt um zu mir, dann kehre ich um zu euch.« Die Kinder aber, die des Gebrauchs der Wahlfreiheit entbehren, können Gott nicht erkennen und lieben, daher genügt es für sie zur Rechtfertigung, daß sie von ihm durch die Eingießung der Gnade berührt werden. Der zweite Grund wird aus dem Begriff der Rechtfertigung selbst genommen. Denn die Gerechtigkeit ist nach Anselm in dem Buch Über die Wahrheit »eine Rechtheit des Willens, die um ihrer selbst bewahrt wird.«49 Daher ist die Rechtfertigung eine gewisse Veränderung des Willens. Der Akt des Willensvermögens kann aber nicht verändert werden, außer wenn es mitwirkt. Wenn er aber nicht von ihm wäre, dann wäre es nicht sein Akt. Das Vermögen des Willens selbst aber kann, so wie es ohne seine Mitwirkung geschaffen worden ist, auch ohne seine Mitwirkung verändert werden. In den Erwachsenen aber wird eine Veränderung des Willensaktes zur Rechtfertigung benötigt. Denn sie haben sich durch einen Akt des Willens in ungeordneter Weise einer Sache zugewandt. Diese Hinwendung freilich kann nicht verändert werden, außer durch einen gegenteiligen Akt des Willens, und daher wird zur Rechtfertigung der Erwachsenen ein Akt der Wahlfreiheit benötigt. Die Kinder jedoch, die den Willen nicht durch einen Akt des eigenen Willens einer Sache zugewandt haben, sondern nur ein Willensvermögen besitzen, das in schuldhafter Weise die ursprüngliche Gerechtigkeit verloren hat, können ohne eine Bewegung des eigenen Willens gerecht gemacht werden. Der dritte Grund kommt aus der Ähnlichkeit des göttlichen Wirkens in den Körperdingen. Denn wenn Gott irgendeine Wirkung hervorbringt, welche die Natur auf dieselbe Weise hervorbringen kann, dann bringt er sie gemäß derselben Disposition hervor wie auch die Natur. So wie Gott, wenn er jemanden auf wunderbare Weise heilt, die Gesundheit in ihm verursacht mittels eines gewissen Ausgleichs der Säfte, mithilfe dessen auch die Natur bisweilen 49 Anselm von Canterbury, De veritate, c. 12 (Op. omn., ed. Schmitt, I, 196).

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jemanden heilt; gemäß der Aussage des Aristoteles im zweiten Buch der Physik 50, wenn die Natur ein Werk der Kunst schaffte, dann würde sie es auf dieselbe Weise schaffen wie die Kunst und umgekehrt. Von den natürlichen Anlagen her kann der Mensch eine gewisse Gerechtigkeit aber auf zweifache Weise haben: Einerseits wie eine natürliche oder eine angeborene, gemäß welcher gewisse Leute von ihrer Natur her zu Werken der Gerechtigkeit geneigt sind; andererseits wie eine erworbene. Der aus den Werken erworbenen Gerechtigkeit also ist die eingegossene Gerechtigkeit ähnlich, durch welche die Erwachsenen gerecht gemacht werden. Daher gilt: So wie in der erworbenen politischen Gerechtigkeit ein Akt des Willens benötigt wird, mit welchem einer die Gerechtigkeit liebt, so wird auch in den Erwachsenen die Rechtfertigung nicht vollendet ohne den Gebrauch der Wahlfreiheit. Die eingegossenen Gerechtigkeit, durch welche die Kinder gerecht gemacht werden, gleicht der natürlichen Fähigkeit zur Gerechtigkeit, welche auch in den Kindern gefunden wird. Und zu keiner von beiden wird der Gebrauch der Wahlfreiheit benötigt. Zu 1. Da die Kinder über nichts verfügen, wodurch sie sich zu der gerecht machenden Ursache hinwenden können, deshalb wird ihnen die gerecht machende Ursache, nämlich das Leiden Christi durch das Sakrament der Taufe zugewendet und dadurch werden sie gerecht gemacht. Zu 2. Bezüglich des Erwachsenen, der nicht über seinen Verstand verfügt, muß man unterscheiden: denn wenn er niemals seine Vernunft gebrauchen konnte, dann gilt für ihn dasselbe, wie von den Kindern. Wenn er aber einmal über das Vernunfturteil verfügte, und wenn er zu dieser Zeit, als er über den Vernunftgebrauch verfügte, die Taufe ersehnt hat, und wenn er dann zur Zeit der Bewusstlosigkeit getauft wird, ohne es wahrzunehmen, ja selbst wenn er sich ihr widersetzen sollte, dann erwirbt er doch die Wirkung der Taufe aufgrund des vorausgehenden Willens. Das gilt besonders dann, wenn er nach der Taufe den Gebrauch der Wahlfreiheit wiedererlangt und wenn er dem, was geschehen ist, zustimmt. Und 50 Aristoteles, Phys. II, 14; 199 b 28.

3. Artikel

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von einem solchen Fall spricht Augustinus. Das nämlich, was er dagegen ins Feld führt, wird ihm (dem kranken Freund) nicht angerechnet, da es sich nicht im Willen des Freundes abspielt, sondern in der Phantasie von Augustinus. Wenn aber jemand, solange er noch über seine Vernunft verfügte, die Taufe nicht ersehnt hat, dann darf diesem, der nichts wahrnimmt, oder der sich sogar widersetzt, die Taufe nicht gespendet werden, wie groß die Todesgefahr auch sei. Denn es wird nach dem letzten Moment geurteilt, in dem er noch über den Vernunftgebrauch verfügte. Und wenn sie ihm dennoch gespendet wird, dann empfängt er weder das Sakrament, noch den Gehalt des Sakramentes, obwohl durch die Anrufung der Dreifaltigkeit und die Heiligung des Taufwassers auf wunderbare Weise eine Einstellung in ihm zurückbleiben könnte, die ihn – wenn er den Gebrauch der Wahlfreiheit wiedererlangen würde, leichter zum Guten ändern würde. Zu 3. Gott gießt einigen Kindern auch ohne Sakrament Gnade ein, wie dies bei denen, die im Mutterleib geheiligt worden sind, ersichtlich ist.51 Auf ähnliche Weise kann er dann auch einem Erwachsenen, der seine Vernunft nicht gebrauchen kann, ohne Sakrament Gnade zukommen lassen, auf dieselbe Weise, wie er sie durch das Sakrament zukommen lässt. Zu 4. Diese These wird von einigen52 für unmöglich gehalten, daß (nämlich) ein Erwachsener von der Erbsünde behaftet sein könnte, ohne es von eine aktualen Sünde zu sein. Denn wenn einer, sobald er anfängt, erwachsen zu sein, das (Gute) tut, was er vermag, dann wird ihm die Gnade verliehen, durch welche er von der Erbsünde befreit wird. Wenn er es aber nicht tut, dann wird er der Unterlassungssünde schuldig sein. Denn da ein jeder gehalten ist, die Sünde zu meiden, und das nicht sein kann, außer man hat sich das rechte Ziel gesetzt, ist ein jeder vom ersten Augenblick an, in dem er seiner Vernunft mächtig ist, gehalten, sich zu Gott hin zu kehren und sich ihn zum Ziel zu setzen. Und dadurch wird er auf die Gnade vorberei51 Nach Sum. theol. III q. 27 a. 1 die selige Jungfrau Maria, Johannes der Täufer und Jeremias. 52 Z. B. Albertus Magnus, Sent. II, d. 42 a. 4 ad 3 (ed. Borgnet XXVII, 659); Bonventura, Sent. II, d. 42 a. 2 q. 2.

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tet. Außerdem sagt Augustinus53, daß die Begierde der Erbsünde das Kind fähig macht zu begehren, den Erwachsenen aber tatsächlich begehren lässt. Denn es kann nicht leicht geschehen, daß jemand, der von der Erbsünde angesteckt ist, sich durch die Zustimmung zur Sünde der Begierde der Sünde nicht unterstellt. Zu 5. Die Rechtfertigung ist gemäß einer allgemeinen Ursache sowohl im Kind, wie auch im Erwachsenen, nämlich gemäß der Gnade. Diese wird im Kind und im Erwachsenen jedoch auf verschiedene Weise aufgenommen, gemäß ihrer verschiedenen Lebensbedingungen. Denn alles, was in einem anderen aufgenommen wird, ist in ihm in der Weise des Aufnehmenden. Daher kommt es, daß die Gnade im Erwachsenen mit dem Gebrauch der Wahlfreiheit aufgenommen wird, nicht aber im Kind. Zu 6. Darauf kann in dreifacher Weise geantwortet werden. Erstens so: Der Schlaf, in dem Salomon die Weisheit eingegossen wurde, war kein natürlicher Schlaf, sondern ein prophetischer. Von diesem heißt es in Num. 12, 6: »Wenn einer unter euch ein Prophet ist, dann werde ich im Traum oder in einer Vision zu ihm sprechen.« In einem solchen Schlaf ist der Gebrauch der Wahlfreiheit aber nicht gebunden. Zweitens kann gesagt werden: So wie es zur Eingießung der Gerechtigkeit erforderlich ist, daß sich der Wille, der das Subjekt der Gerechtigkeit ist, zu Gott hin kehrt, so ist es auch zur Eingießung der Weisheit erforderlich, daß sich der Intellekt zu Gott hin kehrt. Im Traum aber kann sich der Verstand zu Gott hin kehren, nicht aber die Wahlfreiheit oder der Wille. Der Grund dafür ist, daß zum Intellekt zweierlei gehört, nämlich das Aufnehmen und das Urteilen über das Aufgenommene. Der Intellekt wird aber im Schlaf nicht daran gehindert, etwas aufzunehmen, entweder aus dem, was er vorher bedacht hat – daher rührt es, daß der Mensch bisweilen im Schlaf Schlüsse zieht – oder dank der Erleuchtung durch ein höheres Wesen.54 Zur Aufnahme einer solchen Erleuchtung ist der 53 Nach Petrus Lombardus, Sent. II d. 30 c. 9 (ed. Coll. S. Bon. I, 501), vgl. Augustinus, De pecc. mer. et rem. II c. 4 (PL 44, 152; CSEL 60, 73); vgl. Sum. theol. I-II q. 82 a. 1 s. c. 54 Aristoteles, De divin. per somn. 1; 462 b 12 ff.; Avicenna, De an. IV c. 2 (ed. Van Riet, 22 f.).

3. Artikel

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Intellekt des Schlafenden sogar fähiger, aufgrund der Ruhe von den Akten der Sinne und besonders aufgrund der Bilder, die in der Ruhe aufsteigen. Daher heißt es Ijob 33, 15: »Im Traum, im Nachtgesicht, wenn tiefer Schlaf auf die Menschen fällt, im Schlummer auf dem Lager, da öffnet er der Männer Ohr und lehrt sie seine Weisung.«55 Und das ist der Hauptgrund dafür, daß in den Träumen die Zukunft vorausgesehen wird. Der Intellekt verfügt im Schlaf aber nicht über vollkommenes Urteilen, weil in diesem Zustand die Sinne gebunden sind, die das Prinzip unserer Erkenntnis sind. Denn das Urteilen geschieht durch das Auflösen in die Prinzipien, daher müssen wir über alles urteilen gemäß dem, was wir mit den Sinnen empfangen, wie es im 3. Buch Über den Himmel und die Erde heißt.56 Der Gebrauch der Wahlfreiheit aber folgt dem Urteil des Verstandes. Und daher kann der Gebrauch der Wahlfreiheit, durch den der Wille sich zu Gott hin kehrt, im Schlafenden nicht hinreichend sein – wenn es auch eine Bewegung des Willens gibt, die mehr einem Vorstellungsbild folgt, als dem vollständigen Urteil des Verstandes. Und daher kann der Mensch im Schlaf Weisheit empfangen, nicht jedoch Gerechtigkeit. Drittens kann dazu gesagt werden: Der Intellekt wird vom Erkennbaren bezwungen, nicht aber der Wille vom Erstrebenswerten. Daher kann die Weisheit, die eine Rechtheit des Intellekts ist, ohne den Gebrauch der Wahlfreiheit eingegossen werden, nicht aber die Gerechtigkeit, die eine Rechtheit des Willens ist. Zu 7. Die Bewegung der Wahlfreiheit, die im Wachenden vorausgeht, kann an sich betrachtet nichts dazu beitragen, daß der Akt des Schlafenden verdienstvoll oder unverdienstlich ist. Sie kann aber dazu beitragen, daß er den Charakter der Güte oder der Schlechtigkeit hat, insofern die Kraft des Aktes im Wachzustand zurückbleibt in den Werken des Schlafenden, so wie die Kraft der Ursache in der Wirkung zurückbleibt. Daher kommt es, daß geschickte Menschen im Schlaf bessere Theorien erfinden, als die Ungeschickten, wie es im 1. Buch der Ethik heißt.57 Und daher kommt es, daß der nächt55 Text frei zusammengestellt aus Ijob 4, 13 und 33, 15 f. 56 Aristoteles, De caelo III, 7; 306 a 14. 57 Aristoteles, Eth. Nic. I, 20; 1102 b 9; vgl. De divin. per somn. 2; 463

b 15.

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liche Samenerguß bisweilen als schuldhaft angerechnet wird. So konnte sich auch Salomon im Wachen darauf vorbereiten, die Weisheit im Schlaf zu empfangen. Zu 8. Das Sakrament der Taufe soll dem Kranken nicht gespendet werden, solange er seines Verstandes nicht mächtig ist, selbst wenn er vorher den Wunsch nach der Taufe hatte – außer er schwebe in Todesgefahr. Dies aber ist für den Schlafenden nicht zu befürchten. Daher sind sich beide Fälle teilweise unähnlich, teilweise ähnlich. Zu 9. Die Luft ist gemäß ihrer Artnatur aufgrund ihrer Durchsichtigkeit in der unmittelbaren Disposition, das Licht zu empfangen. Daher wird sie bei Anwesenheit des Erleuchtenden sofort erleuchtet. Dazu ist auch keinerlei andere Vorbereitung erforderlich, außer vielleicht das Wegnehmen eines Hindernisses. Die geistige Seele ist jedoch nicht in der unmittelbaren Lage, die Gerechtigkeit zu empfangen, außer wenn sie aktuell wollend ist. Denn ein Vermögen wird durch den Akt vervollkommnet, durch welchen es auch auf einen von zwei Gegensätzen festgelegt wird, da es in sich Möglichkeit zu beidem hat; so wie sich die Materie, die sich in Möglichkeit zu vielen Formen befindet, aufgrund ihrer Eigenschaften mehr der einen Form, als der anderen anpasst. Zu 10. Gott teilt sich selbst in seiner unendlichen Güte den Geschöpfen durch eine gewisse Ähnlichkeit seiner Güte mit, welche er ihnen dadurch schenkt, daß er seine Güte auf die beste Weise mitteilt. Zu dieser Weise gehört es, daß er seine Gaben in geordneter Weise gemäß seiner Weisheit schenkt, das heißt, einem jeden nach seiner Beschaffenheit. Und daher braucht es eine gewisse Disposition oder Vorbereitung von Seiten derer, denen Gott seine Gaben schenkt. – Oder: Dieser Einwand gilt für die Vorbereitung, die zeitlich der Eingießung der Gnade vorausgeht, ohne welche Gott bisweilen Gnade zuteilt, indem er plötzlich in jemandem eine Bewegung der Reue bewirkt und die Gnade eingießt. Denn in Jesus Sirach 11, 21 b heißt es: »Leicht ist es in den Augen des Herrn, einen Armen zu ehren.« Dadurch wird aber nicht der Gebrauch der Wahlfreiheit ausgeschlossen, der in dem Moment stattfindet, in dem die Gnade eingegossen wird. Darin nämlich zeigt sich auf vollkommenere Weise die Mitteilung der göttlichen Güte, daß sie im Menschen zugleich

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den Habitus und den Akt der Gerechtigkeit hervorbringt, als wenn sie nur den Habitus hervorbringen würde. Zu 11. So wie die Sonne Ursache des Lichtes ist, nicht nur hinsichtlich des Seins, sondern auch hinsichtlich des Werdens, so ist auch Gott Ursache der Gnade sowohl hinsichtlich des Seins, als auch hinsichtlich des Werdens. Zum Werden einer Sache – was eine gewisse Veränderung bedeutet – wird aber etwas benötigt, was zum Sein der Sache nicht benötigt wird. So ist es erforderlich, daß sich die Luft, wenn sie licht wird, anders zur Sonne verhält, als vorher. Dies geschieht durch die Bewegung der Sonne, ohne welche das Licht in der Luft nicht bewahrt werden kann, weil die Sonne dadurch immer anwesend bleibt. Und ähnlich ist es zum Geschehen der Gnade nötig, daß sich der Wille auf andere Weise zu Gott verhält, als vorher. Dazu ist eine Veränderung des Willens erforderlich, die es ohne den Gebrauch der Wahlfreiheit in Erwachsenen nicht gibt, wie gesagt worden ist. Zu 12. Es gibt Dispositionen, die zum Werden einer Sache benötigt werden, aber nicht zum Sein der Sache, wie es vor allem bei der Entstehung der Tiere und Pflanzen deutlich ist. Daher hindert nichts daran, daß eine Sache nach ihrer Entstehung trotzdem in ihrem Sein bewahrt bleibt, auch wenn diese Dispositionen aufgehört haben. So kann die Gerechtigkeit dem Habitus nach fortbestehen, auch wenn die Bewegung der Wahlfreiheit, die zur Rechtfertigung notwendig war, aufgehört hat. Zu 13. Nichts hindert daran, daß etwas der Natur nach Früheres ohne das Spätere nicht werden kann; daß es aber dennoch ohne das Spätere sein kann. So wie die Seele, welche, da sie Formal-, Wirkund Zweckursache des Leibes ist, wie es im 2. Buch Über die Seele heißt58, der Natur nach früher als der Leib ist, ohne den Leib sein kann, obwohl sie dennoch der Ordnung der Natur nach nicht werden kann, außer in einem Leib. Und ähnlich ist es mit der Gnade und dem Gebrauch der Wahlfreiheit. Zu 14. Der Leib steckt die Seele dadurch mit der Erbsünde an, daß er mit ihr vereinigt wird. Diese Sünde aber bezieht sich nicht auf den Willen dessen, der davon angesteckt wird, sondern auf die Natur. 58 Aristoteles, De an. II, 7; 415 b 7.

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Daher ist es kein Wunder, daß zu dieser Ansteckung der Gebrauch der Wahlfreiheit nicht benötig wird. Ähnlich aber erlangt die Seele eines Kindes Gnade dadurch, daß sie mit Christus im Sakrament der Taufe vereinigt wird, ohne den Gebrauch der Wahlfreiheit. In Erwachsenen aber wird der Gebrauch der Wahlfreiheit aus dem bereits genannten Grund benötigt. Zu 15. Deshalb, weil von Gott gesagt wird, er sei geneigter, sich zu erbarmen, als zu bestrafen, kann nicht ausgeschlossen werden, daß für das Gute, das Gott in uns wirkt, indem er sich erbarmt, mehr erforderlich ist, als für das Böse, das Gott in uns bestraft. Denn das Gute rührt nach Dionysius von einer einzigen und vollständigen Ursache her, das Böse von verschiedenen einzelnen Mängeln her.59 Daraus aber wird klar, daß Gott sich erbarmt gemäß dem, was von ihm stammt, daß er aber bestraft gemäß dem, was von uns stammt. Und dieses (letztere) ist von solcher Art, daß es nicht anders geordnet werden kann, außer durch Bestrafung. In seiner grundsätzlichen Absicht erbarmt er sich daher, aber er bestraft gleichsam außerhalb des vorausgehenden Willens, (nämlich) gemäß dem nachfolgenden. Dennoch kann zum vorliegenden (Problem) gesagt werden, daß der Ansteckung durch die Erbsünde, durch welche die Seele angesteckt wird, bevor sie den Gebrauch der Wahlfreiheit hat, mit einer gewissen Ähnlichkeit die Rechtfertigung der Kinder vor dem Gebrauch der Wahlfreiheit entspricht. Zu 16. Die Naturdinge können durch eine gewisse Gewalteinwirkung für eine Form disponiert werden, da nämlich das Prinzip der Disposition außerhalb von ihnen ist, »während das Gewalt Erleidende nichts beiträgt.«60 Daher stammt in ihnen die Disposition zu einer Form nicht von irgendeinem innerlichen Prinzip, sondern von außen. Der Wille aber kann keine Gewalteinwirkung erleiden, und daher gilt dieses Argument für ihn nicht. Zu 17. Gott wirkt in uns die Tugenden, indem er sie ohne uns verursacht, aber nicht ohne unsere Zustimmung. Zu 18. Der Akt der Wahlfreiheit, der in der Rechtfertigung des Gottlosen stattfindet, verhält sich auf andere Weise zum Habitus 59 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 30 (PG 3, 729 C; Dion. I, 298). 60 Aristoteles, Eth. Nic. III, 1; 1110 a 1 u. 2; 1110 b 15.

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der allgemeinen Gerechtigkeit, von der schon gesprochen worden ist, und auf eine andere Weise zu ihrer (der Gerechtigkeit) Ausübung und Vermehrung. Zum Habitus freilich kann er sich nicht wie ein Verdienst verhalten, und zwar deshalb, weil die Gerechtigkeit, welche das Prinzip des Verdienens ist, in diesem Moment selbst eingegossen wird. Vielmehr verhält er sich nur wie eine Disposition. Doch zur Ausübung der Gerechtigkeit und zu ihrer Vermehrung verhält er sich auf die Weise des Verdienstes, denn durch den ersten Akt, der von der Gnade geformt ist, verdient sich der Mensch die göttliche Hilfe in den vorgenannten Dingen. So also wird die Gerechtigkeit im Bezug auf die menschlichen Werke nicht wie ein Lohn erstattet. Aber die Vermehrung und die Fortdauer der Gerechtigkeit hat auf gewisse Weise den Charakter des Lohnes im Vergleich zu den vorhergegangenen verdienstvollen Akten. Zu 19. Auch wenn Paulus, bevor er gerecht gemacht worden ist, die Gnade des Glaubens unmittelbar bekämpft hat, so stimmte er dennoch im Augenblick seiner Rechtfertigung selbst der Gnade durch die Wahlfreiheit, welche durch göttliche Gnade bewegt war, zu. Denn Gott kann jemandem die Bewegung des begnadeten Willens in einem Augenblick gewähren, eine Bewegung, ohne welche es keine Rechtfertigung gibt. Rechtfertigung kann aber ohne eine vorausgehende Vorbereitung stattfinden. Zu 20. Diese Disposition wird nicht wegen der mangelnden Macht des Wirkenden benötigt, sondern wegen des Zustandes des Aufnehmenden, nämlich des Willens, der nicht durch Gewalteinwirkung verändert werden kann, sondern durch eigene Bewegung verändert wird. Diese Bewegung der Wahlfreiheit verhält sich zur Gnade auch nicht nur wie eine Disposition, sondern wie eine Ergänzung. Die Tätigkeiten sind nämlich gewissermaßen Ergänzungen der Habitus. Daher bezeugt es eine Vollkommenheit des Wirkenden, daß er den Habitus zugleich mit seiner Tätigkeit einführen kann, denn die Vollkommenheit der Wirkung beweist die Vollkommenheit der Ursache.

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4. Artik el Die vierte Frage lautet: Welche Bewegung der Wahlfreiheit ist zur Rechtfertigung erforderlich? Ist dazu eine Bewegung der Wahlfreiheit auf Gott hin erforderlich?61 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Das nämlich, was der Rechtfertigung folgt, wird zur Rechtfertigung nicht benötigt. Doch auf Gott hin bewegt zu werden folgt auf die Rechtfertigung, da es aus Gnade geschieht. Daher heißt es in Klg. 4: »Kehre uns, Herr, zu dir« usw.62 Also gehört die Bewegung der Wahlfreiheit auf Gott hin nicht zu den Dingen, die für die Rechtfertigung erforderlich sind. 2. Die Bewegung der Wahlfreiheit wird zur Rechtfertigung als eine gewisse Disposition von Seiten der Wahlfreiheit benötigt. Das aber, wozu der Mensch eines Gezogenwerdens bedarf, gehört nicht zum freien Willen. Da also der Mensch dazu, daß er sich zu Gott hin bekehrt, eines Gezogenwerdens bedarf, gemäß Joh. 6, 44: »Niemand kommt zu mir, wenn der Vater, der mich gesandt hat, ihn nicht zieht«, scheint es, daß die Bewegung der Wahlfreiheit auf Gott hin nicht zu dem gehört, was zur Rechtfertigung des Gottlosen erforderlich ist. 3. Der Mensch kommt zur Gerechtigkeit auf dem Weg der Furcht, denn: »Wer ohne Furcht ist, kann nicht gerecht gemacht werden« wie es in Jesus Sirach 1, 28 heißt.63 Durch die Furcht aber wird der Mensch nicht auf Gott hin bewegt, sondern eher auf die Strafen hin. Also ist die Bewegung der Wahlfreiheit, die zur Rechtfertigung des Gottlosen benötigt wird, keine Bewegung auf Gott hin. 4. Es wurde gesagt: Das ist wahr in Bezug auf die knechtische Furcht, nicht aber auf die kindliche.64 – Dagegen spricht: Jede Furcht schließt in ihrem Begriff eine Flucht ein. Durch die Flucht aber ent61 Paralleltexte: Sent. IV, d. 17 q. 1 a. 3 qc. 3; Sum. theol. I-II, q. 113 a. 4. 62 Richtig: Klg. 5, 21: »Kehre uns, Herr, zu dir, dann können wir uns

zu dir bekehren.« 63 Vulgatatext. 64 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. III, d. 34 c. 4 (ed. Coll. S. Bon. II, 192– 194).

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fernt sich einer von dem, wovor er flüchtet und er nähert sich diesem nicht. Also wird der Mensch dadurch, daß er Gott fürchtet, nicht auf Gott hin bewegt, sondern eher von Gott weg bewegt. 5. Wenn eine Bewegung der Wahlfreiheit auf Gott hin zur Rechtfertigung benötigt wird, dann müßte vor allem jene benötigt werden, durch welche der Mensch in vollständiger Weise auf Gott hin bewegt wird. Auf vollständigere Weise aber wird der Mensch auf Gott hin mehr durch die Liebe als durch den Glauben bewegt. Wenn also die Bewegung der Wahlfreiheit auf Gott hin zur Rechtfertigung benötigt wird, dann müßte die Rechtfertigung nicht dem Glauben, sondern mehr der Liebe zugeschrieben werden. Das Gegenteil aber wird in Röm. 5, 1 deutlich: »Gerecht gemacht aus Glauben« usw. 6. Die Bewegung der Wahlfreiheit, welche in der Rechtfertigung benötigt wird, ist wie die unmittelbare Disposition zur Gnade, mit welcher die Gnade eingegossen wird. Die Disposition zu einer Form aber, mit welcher eine Form eingeführt wird, ist von solcher Art, daß sie ohne die Form nicht sein kann, da sie eine notwendige Bedingung für die Form ist. Da also die Bewegung des Glaubens ohne Gnade sein kann, scheint es, daß die Rechtfertigung nicht der Bewegung des Glaubens zugeschrieben werden muß. 7. Der Mensch kann mit der natürlichen Vernunft Gott erkennen. Doch der Glaube wird zur Rechtfertigung nicht benötigt, außer insofern er Gott erkennen lässt. Also scheint es, daß der Mensch ohne Bewegung des Glaubens gerecht gemacht werden kann. 8. So wie der Mensch durch die Bewegung des Glaubens Gott erkennt, so auch durch den Akt der Weisheit. Daher muß die Rechtfertigung dem Glauben nicht mehr als der Weisheit zugeschrieben werden. 9. Im Glauben sind viele Glaubensartikel enthalten. Wenn also eine Bewegung des Glaubens zur Rechtfertigung benötigt würde, dann müßte man scheinbar alle Glaubensartikel bedenken, was nicht plötzlich geschehen kann. 10. Im Jakobusbrief 4, 6 heißt es, daß Gott »den Demütigen Gnade gibt« und daher wird zur Rechtfertigung des Gottlosen eine Bewegung der Demut benötigt, die keine Bewegung auf Gott hin ist. Ansonsten hätte die Demut Gott zum Objekt und Ziel und wäre eine theologische Tugend. Also ist die Bewegung, die zur Rechtfer-

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tigung des Gottlosen benötigt wird, keine Bewegung der Wahlfreiheit auf Gott hin. 11. In der Rechtfertigung des Gottlosen wird der Wille des Menschen zur Gerechtigkeit hin verändert. Also muß die Bewegung der Wahlfreiheit ein Akt der Gerechtigkeit sein, der nicht auf Gott hin gerichtet ist. Denn die Gerechtigkeit hat nicht Gott als Objekt. Also ist die Bewegung, die zur Rechtfertigung des Gottlosen benötigt wird, keine Bewegung auf Gott hin. 12. Der Mensch verhält sich zur Rechtfertigung des Gottlosen, wie einer, der ein Hindernis entfernt; so wie jener, der ein Fenster öffnet, der Grund für die Erleuchtung des Hauses genannt wird.65 Aber das Hindernis der Gnade ist die Sünde. Also wird von Seiten des Gerechtfertigten keine Bewegung der Wahlfreiheit auf Gott hin erfordert, sondern allein eine Bewegung gegen die Sünde. Dagegen spricht: 1. Im Jakobusbrief 4, 8 heißt es: »Nähert euch Gott und er wird sich euch nähern.« Gott nähert sich uns aber durch die Eingießung der Gnade. Also ist dazu, daß wir durch die Gnade gerechtfertigt werden, erforderlich, daß wir uns Gott nähern durch die Bewegung der Wahlfreiheit auf Gott hin. 2. Die Rechtfertigung des Gottlosen ist eine gewisse Erleuchtung des Menschen. Aber im Ps. 34 (33), 6 heißt es: »Tretet an ihn heran und ihr werdet erleuchtet.« Da der Mensch also zu Gott nicht mit körperlichen Schritten herantritt, sondern mit Bewegungen des Geistes, wie Augustinus sagt66, scheint es, daß die Bewegung der Wahlfreiheit auf Gott hin zur Rechtfertigung des Gottlosen benötigt wird. 3. In Röm. 4, 5 heißt es: »Denen, die an den glauben, der den Gottlosen gerecht macht, wird der Glaube als Gerechtigkeit angerechnet.« Also wird dazu, daß der Gottlose gerecht gemacht wird, eine Bewegung des Glaubens auf Gott hin benötigt.

65 Beispiel aus: Augustinus, Enarr. in Ps. 118, 73 (PL 37, 1553; CCSL 40, 1725). 66 Vgl. Augustinus, Enarr. in Ps. 144, 2 (PL 37, 1871; CCSL 40, 2090).

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Antwort: Wie oben67 gesagt worden ist, wird die Bewegung der Wahlfreiheit in der Rechtfertigung dazu benötigt, daß der Mensch die gerecht machende Ursache durch einen eigenen Akt berührt. Die Ursache der Rechtfertigung aber ist Gott, der unsere Rechtfertigung durch das Geheimnis seiner Inkarnation bewirkt hat, durch welche er der Mittler zwischen Gott und Menschen geworden ist (vgl. 1 Tim 2, 5). Und daher wird die Bewegung der Wahlfreiheit auf Gott hin zur Rechtfertigung des Gottlosen benötigt. Da aber die Wahlfreiheit auf vielfache Weise auf Gott hin bewegt werden kann, scheint jene Bewegung notwendigerweise zur Rechtfertigung benötigt zu werden, die die erste unter den anderen ist und in allen anderen eingeschlossen ist, dies aber ist die Bewegung des Glaubens: »Denn wer zu Gott kommen will, muß zuerst glauben, daß er ist«, wie es in Hebr. 11, 6 heißt. Es kann auch keiner durch irgendeine andere Bewegung auf Gott hin bewegt werden, außer wenn er zugleich durch diese Bewegung des Glaubens bewegt wird. Denn alle anderen Bewegungen des Geistes auf den gerecht machenden Gott hin gehören dem Strebevermögen zu, allein aber die Bewegung des Glaubens gehört dem Intellekt zu. Der Strebevermögen aber wird nicht auf sein Objekt hin bewegt, außer wenn es wahrgenommen ist. Denn das wahrgenommene Gut bewegt das Strebevermögen, wie es im dritten Buch Über die Seele heißt.68 Daher wird eine Bewegung des Wahrnehmungsvermögens zur Bewegung des Strebevermögens benötigt, so wie die Bewegung des Bewegenden zum Bewegt-Werden des Beweglichen. Und auf dieselbe Weise ist die Bewegung des Glaubens eingeschlossen in der Bewegung der Liebe und in jeder anderen Bewegung, wodurch der Geist auf Gott hin bewegt wird. Doch da die Gerechtigkeit in vollständiger Weise im Strebevermögen besteht, deshalb könnte der Mensch, wenn er sich nur mit dem Intellekt zu Gott hin kehren würde, Gott nicht derart erreichen, daß er die Gerechtigkeit erhält, das heißt, gemäß dem Strebevermögen, und so könnte der Mensch nicht gerecht gemacht werden. Es ist also erforderlich, daß sich nicht nur der Intellekt zu Gott hin kehrt, sondern 67 Vgl. De ver. q. 28 a. 3. 68 Aristoteles, De an. III, 15; 433 b 11.

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auch das Strebevermögen. Die erste Bewegung des Strebevermögens ist aber die Bewegung der Liebe, wie in der Quaestio »Über die Leidenschaften der Seele«69 gesagt worden ist. Diese Bewegung ist freilich in der Sehnsucht eingeschlossen, wie die Ursache in der Wirkung, denn man ersehnt etwas als ein Geliebtes. Die Hoffnung selbst aber bedeutet eine gewisse Sehnsucht, verbunden mit einem gewissen Sich-Emporstrecken der Seele, als ob sie sich nach etwas Hohem ausstrecken würde. Wie also die Bewegung der Erkenntnis mit einer Bewegung der Liebe verbunden ist, so auch die Bewegung der Liebe mit einer Bewegung der Hoffnung oder der Sehnsucht. Wie nämlich das Wahrgenommene die Liebe bewegt, so bewegt die Liebe die Sehnsucht oder die Hoffnung. So also wird die Wahlfreiheit in der Rechtfertigung des Gottlosen durch die Bewegung des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung auf Gott hin bewegt. Der Gerechtfertigte muß sich nämlich auf Gott hin bewegen, indem er ihn liebt, verbunden mit Hoffnung auf Vergebung. Und diese drei werden als eine einzige vollständige Bewegung gerechnet, insofern eines im anderen eingeschlossen ist. Dennoch wird diese Bewegung nach dem Glauben benannt, deshalb weil er die anderen Bewegungen virtuell in sich enthält und in ihnen eingeschlossen ist. Zu 1. Das durch den freien Willen Auf-Gott-hin-Bewegtwerden folgt gewissermaßen der Ordnung der Natur nach auf die Eingießung der Gnade, nicht aber der Zeit nach, wie unten deutlich werden wird. Die Eingießung der Gnade aber gehört zu dem, was zur Rechtfertigung erforderlich sind. Daher folgt deswegen nicht, daß die Bewegung der Wahlfreiheit auf Gott hin (zeitlich) auf die Rechtfertigung folgt. Zu 2. Jenes Ziehen bedeutet keine Gewaltanwendung, sondern ein göttliches Handeln, durch welches Gott auch im freien Willen wirkt, indem er ihn da hin lenkt, wohin er auch will. Und so gehört das, wozu der Mensch gezogen wird, in gewisser Weise zum freien Willen. Zu 3. Die knechtische Furcht, die nur auf die Strafe schaut, wird zur Rechtfertigung als eine vorhergehende Disposition benötigt, 69 De ver. q. 26 a. 4.

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nicht aber als innerlicher Bestandteil der Rechtfertigung, da sie nicht zugleich mit der Liebe sein kann. Denn die Furcht vergeht, wenn die Liebe eintritt, daher heißt es 1 Joh. 4, 18: »Es ist keine Furcht in der Liebe«. Die kindliche Furcht aber, die die Trennung fürchtet, ist virtuell in der Bewegung der Liebe eingeschlossen. Denn es gehört zum selben Begriff, die Verbindung mit dem Geliebten zu ersehnen und die Trennung zu fürchten. Zu 4. Die kindliche Furcht schließt eine gewisse Flucht ein, nicht aber eine Flucht vor Gott, sondern eine Flucht vor der Trennung von Gott oder vor der Angleichung an Gott, in dem Sinne, daß die Furcht eine gewisse Ehrfurcht bedeutet, aufgrund derer der Mensch es nicht wagt, sich mit der göttlichen Majestät zu vergleichen, sondern sich ihr unterwirft. Zu 5. Auch die Bewegung der Liebe auf Gott hin wird benötigt, aber in dieser Bewegung ist auch die Bewegung des Glaubens eingeschlossen, wie gesagt worden ist. Zu 6. Auch wenn das Gott-Glauben (credere Deo) und das Glauben, daß Gott ist (credere Deum), ohne Gerechtigkeit sein kann, so kann dennoch das An-Gott-Glauben (credere in Deum)70, welches der Akt des geformten Glaubens ist, nicht ohne Gnade oder Gerechtigkeit sein. Und ein solches Glauben wird benötigt zur Rechtfertigung, wie aus Röm. 4, 5 hervorgeht: »Dem, der an den glaubt, der den Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube als Gerechtigkeit angerechnet.« Zu 7. Da der Mensch nach dem Fall der menschlichen Natur nicht wieder hergestellt werden kann, außer durch den Mittler zwischen Gott und Menschen, Jesus Christus, welches Geheimnis, nämlich die Mittlerschaft Christi, freilich allein im Glauben gewiß ist, daher reicht zur Rechtfertigung des Gottlosen die natürliche Erkenntnis nicht aus, vielmehr wird der Glaube an Jesus Christus benötigt, sei es explizit oder implizit, gemäß den verschiedenen Epochen und verschiedenen Personen. Und das ist es, was Röm. 3, 22 sagt: »Die Gerechtigkeit Gottes aber durch den Glauben an Jesus Christus.« Zu 8. So wie sich die Einsicht in die Prinzipien des natürlicherweise Erkennbaren zur Weisheit oder Wissenschaft verhält, die 70 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. III, d. 23 c. 4 (ed. Coll. S. Bon. II, 143 f.).

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durch den Verstand erworben sind, (nämlich) in der Weise eines Prinzips, so verhält sich der Glaube zur eingegossenen Weisheit. Daher gehört die erste Bewegung der gnadenhaften Erkenntnis auf Gott hin nicht der Weisheit oder der eingegossenen Wissenschaft zu, sondern dem Glauben. Zu 9. Auch wenn es viele Glaubensartikel gibt, so müssen doch nicht alle aktuell in demselben Moment der Rechtfertigung bedacht werden. Vielmehr genügt es, daß Gott hinsichtlich desjenigen Glaubensartikels im Bewusstsein gehabt wird, daß er der ist, der rechtfertigt und die Sünde vergibt. In diesem Glaubensartikel ist auch implizit der Artikel der Inkarnation und des Leidens Christi und der anderen Dinge, welche zu unserer Rechtfertigung benötigt werden, eingeschlossen. Zu 10. Die Bewegung der Demut folgt der Bewegung des Glaubens, in der Weise, daß jemand, nachdem er die Höhe der göttlichen Majestät betrachtet hat, sich ihm unterwirft. Und so ist die Bewegung der Demut nicht die erste, die zur Rechtfertigung benötigt wird. Zu 11. In der allgemeinen Gerechtigkeit, von der wir nun sprechen, ist auch die geschuldete Hinordnung des Menschen auf Gott hin eingeschlossen, wie oben gesagt worden ist. Und so sind sowohl der Glaube, als auch die Hoffnung, als auch die Liebe in dieser Art von Gerechtigkeit enthalten. Zu 12. Die Sünde behindert die Gnade vor allem aufgrund der Abkehr (von Gott). Und daher wird zum Entfernen dieses Hindernisses die Hinwendung der Wahlfreiheit zu Gott benötigt.

5. Artik el Die fünfte Frage lautet: Ist zur Rechtfertigung eine Bewegung der Wahlfreiheit gegen die Sünde erforderlich?71 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn:

71 Paralleltexte: Sent. IV, d. 17 q. 1 a. 3 qc. 4; Sum. theol. I-II, q. 113 a. 5; III, q. 86 a. 2.

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1. Eine Bewegung der Liebe reicht zur Vergebung der Sünden aus. Bei Luk. 7, 47 heißt es: »Ihr sind viele Sünden vergeben worden, weil sie viel geliebt hat.« Aber die Bewegung der Liebe richtet sich direkt auf Gott hin. Also reicht zur Rechtfertigung des Gottlosen eine Bewegung auf Gott hin aus und eine Bewegung gegen die Sünde ist nicht erforderlich. 2. Ein unwandelbares Gut ist wirkmächtiger, als ein wandelbares Gut. Doch die Hinwendung zu einem wandelbaren Gut reicht dazu aus, daß der Mensch in die Sünde hineingerät.72 Also reicht die Hinwendung zum unwandelbaren Gut dazu aus, daß der Mensch gerecht gemacht wird. 3. Der Mensch kann nicht gegen die Sünde bewegt werden, außer er gedenkt der Sünde. Niemand kann aber einer Sache gedenken, die er nicht in der Erinnerung hat. Es kommt aber vor, daß jemand vergisst, eine Sünde begangen zu haben. Wenn also zur Rechtfertigung des Gottlosen eine Bewegung der Wahlfreiheit gegen die Sünde erforderlich ist, dann scheint einer, der seine Sünden vergessen hat, niemals gerechtfertigt werden zu können. 4. Es kommt vor, daß sich einer in viele Verfehlungen verstrickt hat. Wenn also eine Bewegung der Wahlfreiheit zur Rechtfertigung des Gottlosen erforderlich ist, dann scheint dieser mit gleichem Recht in jenem Augenblick seine einzelnen Sünden bedenken zu müssen, was unmöglich ist. Es gibt also keinen gewichtigeren Grund für das eine, als für das andere. 5. Wer auch immer sich einer Sache als letztem Ziel zuwendet, der wendet sich eben dadurch von einem anderen letzten Ziel ab, denn es ist unmöglich, daß ein einziger mehrere letzte Ziele hat. Wenn der Mensch aber durch den von der Liebe geformten Glauben auf Gott hin bewegt wird, dann wird er auf ihn hin bewegt als auf ein letztes Ziel. Folglich wendet er sich eben dadurch von der Sünde ab, und so scheint eine Bewegung der Wahlfreiheit gegen die Sünde nicht notwendig zu sein. 6. Die Bewegung von der Sünde weg und die Bewegung gegen die Sünde ist nicht dasselbe, so wie es auch nicht diejenige vom Weißen 72 Vgl. Augustinus, z. B. De lib. arb. III, 20, 54 (PL 32, 1269; CCSL 29,

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weg und diejenige gegen das Weiße ist. Doch die Rechtfertigung ist eine Bewegung von der Sünde weg. Folglich ist sie keine Bewegung in die Richtung der Sünde. Dagegen spricht: 1. In Ps. 31, 5 heißt es: »Ich sagte: ich will dem Herrn gegen mich meine Ungerechtigkeit bekennen, und du hast mir die Untreue meiner Sünde vergeben.«73 Doch der Mensch kann das nicht sagen, außer er gedenkt der Sünde. Also wird in der Rechtfertigung des Gottlosen eine Bewegung der Wahlfreiheit gegen die Sünde benötigt. 2. Zur Rechtfertigung des Gottlosen ist Reue erforderlich, welche der erste Teil der Beichte ist, durch die die Sünden weggenommen werden.74 Doch die Reue ist ein Schmerz über die Sünde.75 Also wird in der Rechtfertigung des Gottlosen eine Bewegung der Wahlfreiheit gegen die Sünde benötigt. Antwort: Die Rechtfertigung des Gottlosen fügt zur Rechtfertigung als solcher schlechthin etwas hinzu. Denn die Rechtfertigung schlechthin bedeutet lediglich eine Eingießung der Gerechtigkeit. Darüber hinaus fügt die Rechtfertigung des Gottlosen aber die Vergebung der Schuld hinzu. Diese Vergebung geschieht freilich nicht allein dadurch, daß der Mensch von der Sünde ablässt, sondern sie erfordert mehr. Daher sagt Augustinus im Buch Von der Ehe und der Begierlichkeit 76: »Wenn das Von-der-Sünde-Abstehen identisch wäre mit Keine-Sünde-Haben, dann würde es genügen, daß uns die Schrift folgendermaßen ermahnte: ›Mein Sohn, du hast gesündigt, tu es nicht wieder‹. Es genügt aber nicht, sondern sie fügt hinzu: ›und bitte für die vergangenen (Sünden), daß sie dir erlassen werden‹«. So also ist es zur Rechtfertigung schlechthin erforderlich, daß sich 73 Vulgatatext. 74 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. IV, d. 16 c. 1 (ed. Coll. S. Bon. II, 336). 75 Vgl. Wilhelm von Auxerre, Summa aurea IV tr. 9 c. 1 (Op. omn. IV,

224). 76 Augustinus, De nuptiis et concupiscentia I, c. 26 (PL 44, 430; CSEL 42, 241–242).

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der Mensch durch den freien Willen zu der gerecht machenden Ursache hin kehrt, was eine Bewegung der Wahlfreiheit auf Gott hin ist. Darüber hinaus ist es aber in der Rechtfertigung des Gottlosen erforderlich, daß er sich der Zerstörung der vergangenen Sünde zuwende. Wie aber die Bewegung auf Gott hin dadurch geschieht, daß der Mensch Gott durch den Glauben erkennt, ihn liebt und die Gnade ersehnt oder erhofft, so muß es auch eine Hinwendung der Wahlfreiheit gegen die Sünde geben, dadurch, daß der Mensch anerkennt, ein Sünder zu sein, worin die Demut besteht, und daß er die vergangene Sünde verabscheut, so daß es ihn verdrießt, sie begangen zu haben und er sie nicht wieder begehen will. Zu 1. Die Liebe zu Gott kann nicht ohne Abscheu davor sein, was von Gott trennt. Daher ist zur Rechtfertigung des Sünders außer der Liebe zu Gott auch die Abscheu vor der Sünde erforderlich. Daher vergoß auch Magdalena, der gesagt worden ist: »Ihr sind viele Sünden vergeben worden, weil sie viel geliebt hat« (Lk. 7, 47), Tränen über ihre Sünden. Zu 2. Die Hinwendung zum unwandelbaren Gut reicht aus für die Rechtfertigung schlechthin, aber zur Rechtfertigung des Gottlosen wird auch eine Bewegung gegen die Sünde benötigt, wie gesagt worden ist. Denn dazu, daß der Mensch bezüglich der vergangenen Sünde gerecht gemacht wird, reicht es nicht aus, daß er die Gerechtigkeit will oder nicht sündigt, sondern daß er gegen die vergangene Ungerechtigkeit handelt, indem er sie verabscheut. Für den, der sündigt, ist es jedoch nicht erforderlich, daß er (dabei) Gott oder die Gerechtigkeit verabscheut, es sei denn in nachfolgender Weise, da niemand Haß gegen das empfindet, was gut ist, außer insofern es unvereinbar mit einem anderen Gut ist, das er liebt. Daher haßt der Sünder die Gerechtigkeit und Gott lediglich in akzidenteller Weise, eben dadurch nämlich, daß er ein wandelbares Gut in maßloser Weise liebt. Zu 3. Es ist nicht notwendig, daß jemand im Moment der Rechtfertigung selbst diese oder jene bestimmte Sünde bedenkt, sondern nur, daß es ihn schmerzt, sich aus eigener Schuld von Gott abgewandt zu haben, sei es in absoluter, sei es in bedingter Weise – letzteres dann, wenn jemand nicht weiß, ob er sich jemals durch eine

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Todsünde abgewandt hat. Und durch eine derartige Bewegung kann auch jener, der die Sünde vergessen hat, über die Sünde Reue empfinden. Zu 4. Alle Sünden stimmen in der Abkehr von Gott überein und hindern aufgrund dessen die Gnade. Daher ist es zur Rechtfertigung nicht erforderlich, daß jemand im Moment der Rechtfertigung selbst die einzelnen Sünden bedenkt, sondern es reicht aus, daß er darüber nachdenkt, daß er sich durch seine Schuld von Gott abgewandt hat. Das Nachdenken über die einzelnen Sünden muß der Rechtfertigung aber vorausgehen, oder wenigstens nachfolgen. Zu 5. Daraus, daß sich jemand Gott zum Ziel setzt, folgt, daß er sich nicht eine Sünde zum Ziel setzt und ebenso, daß er sich vom Vorsatz zu sündigen abkehrt. Dies aber reicht nicht aus zur Vernichtung der vergangenen Sünden, wie gesagt worden ist, und daher gilt das Argument nicht. Zu 6. Die Bewegung der Wahlfreiheit, die nach der Sünde trachtet und sie umfängt, ist der Rechtfertigung entgegengesetzt, nicht aber die Bewegung der Wahlfreiheit, welche die Sünde flieht. Denn diese Bewegung stimmt mit der Rechtfertigung überein, welche eine Bewegung von der Sünde weg ist. Flucht ist nämlich jemandes Bewegung von einer Sache weg.

6. Artik el Die sechste Frage lautet: Sind die Eingießung der Gnade und die Vergebung der Schuld dasselbe?77 Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. Dasselbe ist die Setzung einer Affirmation und die Aufhebung einer Negation. Doch die Schuld scheint nichts anderes als ein Mangel an Gnade zu sein. Also scheinen die Aufhebung der Schuld und die Eingießung der Gnade dasselbe zu sein. 2. Schuld und Gnade sind einander entgegengesetzt wie Dunkelheit und Licht. Doch die Aufhebung der Dunkelheit und das Hereinbringen des Lichts sind dasselbe. Also sind Vergebung der Schuld und Eingießung der Gnade dasselbe. 77 Paralleltexte: Sent. IV, d. 17 q. 1 a. 3 qc. 5; Sum. theol. I-II, q. 113 a. 6.

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3. Die Aufhebung der Schuld richtet sich vor allem auf die Zerstörung des Makels. Der Makel scheint aber nichts Positives in der Seele zu sein, denn sonst stammte er auf irgendeine Weise von Gott, und so scheint es, daß er nur eine Privation ist. Von nichts anderem ist er jedoch Privation, als von dem, mit dem er zugleich nicht sein kann, und das ist die Gnade. Die Aufhebung der Privation ist aber nichts anderes, als die Setzung eines Habitus. Also ist die Vergebung der Schuld nichts anderes, als die Eingießung der Gnade. 4. Es wurde gesagt: Der Makel stellt nicht nur eine Abwesenheit der Gnade dar, sondern auch eine Einstellung und eine Schuldigkeit bezüglich des Habens der Gnade. – Dagegen spricht: Jede Privation stellt eine Eignung in ihrem Subjekt dar. Dennoch ist die Aufhebung der Privation und die Einführung des Habitus dasselbe. Also hindert nichts daran, daß die Aufhebung der Schuld und die Eingießung der Gnade dasselbe sind. 5. Gemäß Aristoteles ist das Werden des einen das Vergehen des anderen.78 Da also die Aufhebung der Schuld gewissermaßen ihr (der Schuld) Vergehen ist, die Eingießung der Gnade aber gewissermaßen ihr (der Gnade) Werden, so ist die Eingießung der Gnade dasselbe, wie die Aufhebung der Schuld. Dagegen spricht: 1. Zu den vier Bestandteilen, die zur Rechtfertigung des Gottlosen erforderlich sind, werden zwei (als voneinander verschiedene) gerechnet: die Eingießung der Gnade und die Vergebung der Schuld. 2. Wenn zwei (Dinge) sich so zueinander verhalten, daß das eine ohne das andere sein kann, dann sind sie nicht dasselbe. Doch die Eingießung der Gnade kann ohne die Vergebung der Schuld sein, wie in den seligen Engeln, im ersten Menschen vor dem Fall und in Christus. Also sind Vergebung der Schuld und Eingießung der Gnade nicht dasselbe. Antwort: Die Vergebung der Schuld und die Eingießung der Gnade sind nicht dasselbe. Das wird aus Folgendem klar: Veränderungen unter78 Aristoteles, De gen. et corr. I, 7; 318 a 23.

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scheiden sich nämlich anhand ihrer Ziele. Das Ziel der Eingießung der Gnade ist aber das In-Sein der Gnade, das Ziel der Vergebung der Schuld jedoch das Nicht-Sein der Schuld. In Anbetracht dessen muß man eine gewisse Unterscheidung bei Gegensätzen treffen. Denn es gibt Gegensätze, bei denen beide Pole ein reales Wesen darstellen, wie weiß und schwarz. Und in solchen Gegensätzen, gilt von beiden Polen, daß ihre jeweilige Negation eine reale Negation ist, das heißt eine Negation irgendeiner Sache. Und deshalb ist, weil die Affirmation keine Negation ist, Weiß-Sein nicht dasselbe wie Nicht-Schwarz-Sein, sondern es besteht ein realer Unterschied. Daher sind das Vergehen des Schwarzen, dessen Ziel das Nicht-Sein des Schwarzen und das Entstehen des Weißen, dessen Ziel das Sein des Weißen ist, realiter verschiedene Veränderungen, obwohl es sich um eine einzige Bewegung handelt, wie oben gesagt worden ist. Es gibt aber bestimmte Gegensätze, bei denen nur einer der beiden Pole ein bestimmtes reales Wesen ist, der zweite Pol aber nichts anderes ist, als die Aufhebung oder die Negation des anderen, so wie es an den Gegensätzen von Affirmation und Negation oder von Privation und Habitus deutlich ist. Und in diesem Fall ist die Negation desjenigen Pols, der irgendein reales Wesen darstellt, eine reale Negation, weil sie Negation einer wirklichen Sache ist. Die Negation aber des anderen Gegensatzgliedes ist nicht real, da sie nicht Negation einer wirklichen Sache ist, denn sie ist nur Negation einer Negation. Und deshalb unterscheidet sich diese Negation der Negation, die Negation des anderen Gegensatzgliedes ist, der Sache nach nicht von der Setzung dieses anderen. Daher sind das Werden des Weißen und das Vergehen des Nicht-Weißen der Sache nach dasselbe. Da aber die Negation, obwohl sie kein natürlich bestehendes Ding ist, dennoch ein begriffliches Ding ist, deshalb ist sie dem Begriffsgehalte oder der Weise des Erkennens nach von der Setzung der Affirmation unterschieden. Und so ist das Vergehen des Nicht-Weißen in Hinblick auf die Weise des Erkennens vom Werden des Weißen unterschieden. Wenn die Schuld nun ganz und gar nichts positiv Gegebenes ist, dann ist also deutlich, daß die Eingießung der Gnade und die Vergebung der Schuld der Sache nach identisch sind, dem Begriffsgehalt nach aber nicht identisch. Wenn aber die Schuld nicht nur dem Begriffsgehalt nach, sondern auch der Sache nach etwas darstellt, dann

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sind Vergebung der Schuld und Eingießung der Gnade voneinander verschieden, wenn diese beiden nämlich als Veränderungen betrachtet werden, obgleich sie unter dem Blickwinkel der Bewegung eins sind, wie gesagt worden ist. Die Schuld aber stellt etwas Eigenes dar, und nicht nur die Abwesenheit der Gnade. Denn die Abwesenheit der Gnade hat an sich betrachtet nur den begrifflichen Gehalt der Strafe, nicht aber den begrifflichen Gehalt der Schuld, es sei denn insofern, als sie das Ergebnis eines vorausgehenden freiwilligen Aktes ist. So wie die Dunkelheit nicht den begrifflichen Gehalt von Schatten hat, außer sie ist das Ergebnis des Dazwischentretens eines undurchsichtigen Körpers. Wie die Entfernung des Schattens also nicht nur Entfernung der Dunkelheit, sondern auch Zurückweisen eines hindernden Körpers bedeutet, so bedeutet die Vergebung der Schuld nicht nur die Entfernung der Abwesenheit der Gnade, sondern auch das Entfernen des Hindernisses der Gnade, welches vom vorausgehenden Akt der Sünde herrührte. Entfernung ist dabei nicht so gemeint, als ob jener Akt nie gewesen wäre, denn dies ist unmöglich, sondern vielmehr so, daß seinetwegen der Einfluß der Gnade nicht behindert wird. Es ist also deutlich, daß die Vergebung der Schuld und die Eingießung der Gnade der Sache nach nicht identisch sind. Zu 1–4. Dadurch ist die Lösung der ersten vier Einwände deutlich. Zu 5. Das Werden des einen nennt Aristoteles das Vergehen des anderen im Sinne eines Einander-Begleitens, denn sie finden notwendigerweise zugleich statt; oder aber wegen der Einheit der Bewegung, die in diesen beiden Veränderungen ihren Endpunkt hat.

7. Artik el Die siebte Frage lautet: Geht die Vergebung der Schuld der Natur nach der Eingießung der Gnade voraus?79 Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. Die Glosse sagt zu Ps. 63 (62), 3: »So erscheine ich vor dir im Heiligtum«: »Wer nicht vorher vom Bösen abfällt, der kommt nie79 Paralleltexte: Sent. IV, d. 17 q. 1 a. 4 qc. 1; Sum. theol. I-II, q. 113 a. 8.

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mals zum Guten.«80 Doch die Vergebung der Schuld lässt vom Bösen abfallen, die Eingießung der Gnade aber lässt zum Guten kommen. Also ist die Vergebung der Schuld der Natur nach früher als die Eingießung der Gnade. 2. Das Aufnehmende ist der Natur nach früher zu erkennen, als die Aufnahme selbst. Aber eine Form wird nicht aufgenommen, außer in der ihr eigenen Materie.81 Also ist die eigene Materie früher zu erkennen, als die Aufnahme der Form. Aber dazu, daß eine Materie für irgendeine Form geeignet ist, ist es erforderlich, daß sie von der entgegengesetzten Form entblößt ist. Also wird eine Materie der Natur nach zuerst von der einen Form entblößt, bevor sie eine andere empfängt. Und so ist auch die Vergebung der Schuld der Natur nach früher als die Eingießung der Gnade. 3. Es wurde gesagt: Insofern sie einen Hinblick auf Gott hat, der die Gnade eingießt, ist die Gnade der Natur nach früher als die Vergebung der Schuld. Insofern sie aber eine Hinordnung auf das Subjekt (den Menschen) hat, ist sie später als die Vergebung der Schuld. – Dagegen spricht: In der Eingießung der Gnade ist der Hinblick der Gnade auf das Subjekt, dem sie eingegossen wird, eingeschlossen. Wenn sie also gemäß diesem Hinblick auf das Subjekt später ist, dann scheint der Natur nach auch die Eingießung der Gnade an sich nach der Vergebung der Schuld zu sein. 4. Es wurde gesagt: Die Gnade besitzt einen doppelten Hinblick auf das Subjekt: einerseits indem sie dem Subjekt die Form mitteilt, und im Hinblick darauf ist sie später als die Vergebung der Schuld; die andere Hinsicht besteht darin, daß sie die Schuld aus dem Subjekt vertreibt, und so betrachtet geht die Eingießung der Gnade der Natur nach der Vergebung der Schuld voraus. – Dagegen spricht: Die Gnade vertreibt die Schuld kraft ihres Gegensatzes zu ihr. Gegensätze aber vertreiben sich wechselseitig, deshalb weil sie einander im gleichen Subjekt nicht ertragen. Also vertreibt die Gnade die Schuld eben dadurch, daß sie dem Subjekt die Form mitteilt. Und so kann es nicht sein, daß die Gnade, hinsichtlich ihrer Formung des 80 Glossa Petri Lombardi (PL 191, 572 B), vgl. Augustinus, Enarr. in Ps. 62, 3 (PL 36, 753; CCSL 39, 799). 81 Aristoteles, De an. II, 4; 414 a 25.

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Subjekts, später ist, und hinsichtlich ihres Vertreibens der Schuld aus dem Subjekt früher. 5. Das Sein einer Sache ist der Natur nach früher als ihre Tätigkeit. Da die Gnade aber ein Akzidens ist, ist ihr Sein ein In-Sein.82 Also ist der Hinblick der Gnade, den sie auf das Subjekt hat, indem sie es beformt, der Natur nach früher als der Hinblick, den sie auf ihr Gegenteil hat, welches sie vertreibt. Und so scheint die vorgenannte Antwort nicht bestehen zu können. 6. Der Sache nach ist die Abkehr vom Bösen früher, als das Tun des Guten.83 Aber die Vergebung der Schuld gehört zur Abkehr vom Bösen, die Eingießung der Gnade jedoch zum Tun des Guten. Also ist die Vergebung der Schuld der Natur nach früher, als die Eingießung der Gnade. 7. Die Ordnung der Ursachen bestimmt sich nach der Ordnung der Wirkungen. Doch die Wirkung der Vergebung der Schuld ist das Rein-Sein, die Wirkung der Eingießung der Gnade aber das (Gott) Wohlgefällig-Sein. Der Natur nach ist das Rein-Sein aber früher als das Wohlgefällig-Sein, denn alles Wohlgefällige ist rein, aber nicht umgekehrt. Nach Aristoteles84 ist das Frühere aber das, »von welchem sich das Grund-Folge-Verhältnis nicht umkehren lässt.« Also ist die Vergebung der Schuld der Natur nach früher, als die Eingießung der Gnade. 8. Schuld und Gnade verhalten sich zueinander wie gegensätzliche Formen in der Natur. Aber in den Naturdingen ist die Vertreibung der einen Form der Natur nach früher, als die Einführung der anderen, deshalb weil gegensätzliche Formen nicht zugleich in der Materie sein können. Daher ist es notwendig, daß die Form, die vorher da war, als vertriebene erkannt wird, bevor die neue Form eingeführt wird. Also ist die Vergebung der Schuld der Natur nach früher, als die Eingießung der Gnade.

82 Vgl. Aristoteles, Metaph. V, 22; 1025 a 14. 83 Die Editio Leonina verweist darauf, daß dieses Argument Bonaven-

tura entnommen zu sein scheint: Sent. IV, d. 17 p. 1 a. 2 q. 1 s. c. 2 (ed. Coll. S. Bon. IV, 425 a). 84 Aristoteles, Cat. 12; 14 a 34.

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9. Das Sich-Entfernen vom Ausgangspunkt »Woher« ist der Natur nach früher als das Ankommen zum Endpunkt »Worauf zu«.85 Doch in der Rechtfertigung des Gottlosen verhält sich die Schuld wie eine Grenze, von der man sich durch die Vergebung der Schuld entfernt. Die Grenze aber »Woraufhin« ist die Gnade selbst, zu der man durch die Eingießung ihrer selbst gelangt. Also ist die Vergebung der Schuld der Natur nach früher, als die Eingießung der Gnade. 10. Es wurde gesagt: Die Eingießung der Gnade ist später, insofern die Gnade das Ziel der Rechtfertigung ist. Doch insofern sie vorbereitendes Prinzip ist, indem sie das Entgegenstehende ausräumt, ist sie früher. – Dagegen spricht: Ein Wirkendes, das über unbegrenzte Macht verfügt, benötigt keine Vorbereitung in der Materie, auf die sie einwirkt. Doch die Eingießung der Gnade stammt von einem Wirkenden, das über unbegrenzte Macht verfügt, nämlich von Gott. Also benötigt sie keinerlei Vorbereitung. 11. Keine Form, die gänzlich von außen kommt, erfordert eine Disposition in der Materie. Doch die Gnade ist von solcher Art; also usw. 12. Die Vergebung der Schuld und die Eingießung der Gnade verhalten sich zueinander wie Reinigung und Erleuchtung. Doch gemäß Dionysius86 wird die Reinigung der Erleuchtung vorangestellt. Also geht die Vergebung der Schuld der Natur nach der Eingießung der Gnade voraus. 13. Wenn Gott die Rechtfertigung des Gottlosen nach und nach wirken würde, dann würde er der Zeit nach früher die Schuld entfernen, als die Gnade eingießen, so wie die Natur beim Weißmachen früher das Schwarzsein entfernt, als sie das Weißsein einführt.87 Aber die Tatsache, daß Gott die Rechtfertigung in einem Augenblick wirkt, hebt (zwar) die Ordnung der Zeit auf, nicht (aber) die der Natur. Also ist die Vergebung der Schuld der Natur nach früher als die Eingießung der Gnade. 85 Vgl. Anm. 82: Bonaventura, Sent. IV, d. 17 p. 1 a. 2 q. 1 s. c. 1 (ed. Coll. S. Bon. IV, 425a). 86 Dionysius Areopagita, De cael. hier. III, 2 (PG 3, 165 B; Dion. II, 792). 87 Vgl. Anm. 82: Bonaventura, Sent. IV, d. 17 p. 1 a. 2 q. 1 s. c. 5.

7. Artikel

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Dagegen spricht: 1. Die Ursache geht der Natur nach der Wirkung voraus. Doch die Gnade ist die Ursache der Vergebung der Schuld nur insofern, als sie eingegossen ist. Also geht der Natur nach die Eingießung der Gnade der Vergebung der Schuld voraus. 2. Ein auf natürliche Weise Wirkendes vertreibt die entgegengesetzte Form aus der Materie nur dadurch, daß sie die Ähnlichkeit ihrer (eigenen) Form in die Materie einführt. Aus dem gleichen Grund entfernt also auch Gott die Schuld aus der Seele nicht anders, als dadurch, daß er die Ähnlichkeit seiner Güte, nämlich die Gnade, in sie einführt. Und so geht der Natur nach die Eingießung der Gnade der Vergebung der Schuld voraus. 3. So wie bisweilen die Schuld durch die Gnade vergeben wird, so wird manchmal die Gnade durch die Schuld vertrieben. Aber die Gnade wird durch die Schuld vertrieben, die der Vertreibung der Gnade vorausgeht. Also wird in ähnlicher Weise die Schuld durch die Gnade vergeben, die der Vergebung der Schuld vorausgeht. 4. Die Gnade wird eingegossen, indem sie geschaffen wird und sie wird geschaffen, indem sie eingegossen wird.88 Aber die Schöpfung der Gnade ist der Natur nach früher, als die Vergebung der Schuld. Also ist die Eingießung der Gnade der Natur nach früher. 5. Das Wirkende ist der Natur nach früher als das Erleidende. Aber in der Rechtfertigung des Gottlosen gehört die Gnade der Seite des Wirkenden zu, die Schuld der Seite des Erleidenden oder Empfangenden. Also ist die Eingießung der Gnade der Natur nach früher als die Vergebung der Schuld. Antwort: In jeglicher Gattung von Ursache ist die Ursache früher als das Verursachte. Es kommt aber gemäß den verschiedenen Gattungen von Ursachen vor, daß dasselbe im Hinblick auf dasselbe Ursache und Wirkung ist, so wie die Reinigung Ursache der Gesundheit ist in der Gattung der Wirkursache, die Gesundheit aber Ursache der Reinigung in der Gattung der Zielursache. Auf ähnliche Weise ist die Materie in gewisser Weise Ursache der Form, insofern sie die Form 88 Vgl. Anm. 82: Bonaventura, Sent. IV, d. 17 p. 1 a. 2 q. 1 arg. 2.

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trägt und die Form ist in gewisser Weise Ursache der Materie, insofern sie der Materie das Wirklich-Sein verleiht. Und daher hindert nichts daran, daß etwas im Verhältnis zu einem anderen sowohl früher, als auch später ist, nämlich gemäß einer verschiedenen Gattung von Ursache. Dennoch ist dasjenige schlechthin früher gemäß der Ordnung der Natur zu nennen, welches früher ist gemäß jener Ursachengattung, die in der Bedeutung der Ursächlichkeit die frühere ist; so wie das Ziel, das Ursache der Ursachen genannt wird, weil von der Zielursache her alle anderen Ursachen ihr Ursache-Sein empfangen.89 Denn das Wirkursächliche wirkt nur um des Zieles willen und dank der Tätigkeit des Wirkursächlichen vervollkommnet die Form die Materie, und die Materie trägt (wiederum) die Form. So also ist zu sagen: wann immer eine Form aus der Materie vertrieben wird und eine andere eingeführt wird, so ist die Vertreibung der vorausgehenden Form der Natur nach früher hinsichtlich der Materialursache. Denn jede Disposition zu einer Form wird auf die Materialursache zurückgeführt. Die Entblößung der Materie von der entgegengesetzten Form ist aber eine gewisse Disposition zum Empfang einer anderen Form. Der Träger, das heißt die Materie, ist auch »zählbar«, wie es im 1. Buch der Physik heißt.90 Denn sie wird durch Vernunfttätigkeit gezählt, insofern sich in ihr, außer der Substanz des Subjekts auch eine Privation findet, die zum Subjekt und der Materie gehört. Aber hinsichtlich der Formalursache ist die Einführung der Form, die das Subjekt auf formale Weise vervollkommnet und das Entgegengesetzte vertreibt, der Natur nach früher. Und weil die Form und das Ziel der Zahl nach zusammenfallen, die Form aber und die Wirkursache der Art nach zusammenfallen91, insofern die Form die Ähnlichkeit der Wirkursache ist, darum ist auch die Einführung der Form der Natur nach früher gemäß der Ordnung der Wirk- und der Zielursache. Und daraus ist gemäß dem Gesagten deutlich, daß sie (die Einführung der Form) der Ordnung der Natur nach schlechthin früher ist. 89 Aristoteles, Phys. II, 5; 195 a 24; Avicenna, Metaph. VI, 5 (ed. Van Riet, 337). 90 Aristoteles, Phys. I, 7; 190 b 25 gemäß der translatio vetus. 91 Aristoteles, Phys. II, 11; 198 a 24.

7. Artikel

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So also ist deutlich, daß die Eingießung der Gnade der Natur nach schlechthin gesprochen früher ist als die Vergebung der Schuld. Doch gemäß der Materialursache verhält es sich in umgekehrter Weise. Zu 1. Diese Glosse spricht vom Vermeiden des bösen Tuns und vom Verwirklichen des guten Tuns. Denn es ist geringer, das Böse zu lassen, als das Gute zu tun, und daher ist es (das Böse zu lassen) der Natur nach früher. Die Glosse spricht aber nicht von den Habitus, die eingegossen oder ausgetrieben werden. Zu 2. Dieses Argument gilt gemäß der Ordnung der Materialursache, der gemäß die Eingießung der Gnade auch in Bezug auf das Subjekt später ist. Zu 3. Dadurch wird auch die Lösung des dritten Einwands deutlich. Zu 4. Dieser Einwand gilt gemäß der Ordnung der Formalursache. Denn die Gnade vertreibt die Schuld, indem sie auf formale Weise (der Seele / dem Subjekt) anhaftet. Zu 5. Die Gnade vertreibt die Schuld nicht in der Weise einer Wirkursache, sondern im Sinne einer Form. Daher vertreibt sie die Schuld nicht früher, sondern gleichzeitig. Zu 6. Dieser Einwand gilt bezüglich der Tätigkeiten, nicht bezüglich der Habitus – so wie der erste Einwand. Zu 7. Das Rein-Sein ist nicht die eigentliche Wirkung der Vergebung der Schuld, denn es kann (auch) ohne erkennbare Vergebung von Schuld sein, wie etwa beim Menschen im Stand der Unschuld. Die eigentliche Wirkung der Vergebung der Schuld ist aber das Rein-Werden, und dieses ist kein weiterer Begriff als Wohlgefällig-Sein, denn niemand kann rein werden außer durch Gnade. Man muß auch wissen, daß mit diesem Einwand kein Früher-Sein der Natur nach bewiesen wird, es sei denn gemäß der Materialursache. Denn die Gattungen verhalten sich im Vergleich zu den Arten auf die Weise der Materie. Zu 8. In den Naturdingen und im Vorliegenden (gemeint ist die Antwort des Artikels) ist dieselbe Unterscheidung vonnöten. Zu 9. Das Sich-Entfernen von einem Ausgangspunkt »Woher« ist früher auf dem Weg des Werdens und der Bewegung, welcher Weg

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auf die Ordnung der Materie zurückzuführen ist, denn »Bewegung ist das Wirklichwerden eines der Möglichkeit nach Vorhandenen.«92 Doch das Herantreten an einen Endpunkt »Woraufhin« ist früher gemäß der Ordnung der Finalursache. Zu 10. In den Werken Gottes wird eine Vorbereitung nicht aufgrund der mangelnden Macht des Wirkenden benötigt, sondern aufgrund der Beschaffenheit der Wirkung. Dies gilt besonders für eine Vorbereitung von solcher Art, denn Gegensätze können nicht zugleich sein.93 Zu 11. Auch eine Form, die gänzlich von außen kommt, benötigt eine entsprechende Disposition im Subjekt, sei es eine bereits bestehende, wie das Licht die Durchsichtigkeit in der Luft benötigt, sei es eine, die von demselben Wirkenden zugleich eingeprägt wird. Und auf ähnliche Weise vertreibt Gott zugleich mit der Eingießung der Gnade die Schuld. Zu 12. In der Ordnung der Reinigung und der Erleuchtung ist eine ähnliche Unterscheidung zu treffen wie in der vorliegenden Antwort. Zu 13. Wenn Gott die Rechtfertigung nach und nach wirken würde, dann wäre die Vertreibung der Schuld der Zeit nach früher, aber später der Natur nach. Denn die Ordnung der Zeit folgt der Ordnung der Bewegung und der Materie. Demgemäß sagt Aristoteles94, daß in der selben Sache der Akt der Zeit nach später als die Potenz ist, der Natur nach aber früher. Denn insofern wird dasjenige der Natur nach schlechthin früher genannt, was früher ist gemäß der Ordnung der Finalursache, wie gesagt worden ist.

92 Aristoteles, Phys. III, 2; 201 a 10. 93 Vgl. Aristoteles, Metaph. IV, 15; 1011 b 21. 94 Vgl. Aristoteles, Metaph. XI, 7; 1049 b 4 ff.

8. Artik el Die achte Frage lautet: Geht der Eingießung der Gnade in der Rechtfertigung des Gottlosen der Natur nach eine Bewegung der Wahlfreiheit voraus?95 Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. Die Ursache geht der Wirkung der Natur nach voraus. Doch die Reue ist die Ursache der Vergebung der Schuld. Also geht sie ihr der Natur nach voraus und infolgedessen (auch) der Eingießung der Gnade, da diese (die Vergebung der Schuld und die Eingießung der Gnade) einander begleitend stattfinden. 2. Es wurde gesagt: Die Reue ist nicht die Ursache der Vergebung der Schuld, außer in der Weise der materiellen Disposition. – Dagegen spricht: Die Reue ist die Ursache der sakramentalen Vergebung der Schuld und der Eingießung der Gnade. Denn da die Buße ein Sakrament des Neuen Bundes ist, verursacht sie Gnade und so auch die Vergebung der Schuld. Das tut die Buße aber nicht kraft ihrer anderen Teile, nämlich des Bekenntnisses und der Genugtuung, welche die Gnade und die Vergebung der Schuld voraussetzen. So bleibt übrig, daß die Reue selbst der sakramentale Grund der Vergebung der Schuld und der Eingießung der Gnade ist. Aber die sakramentale Ursache ist eine instrumentelle, wie aus der vorgehenden Untersuchung ersichtlich ist.96 Da also das Werkzeug auf die Gattung der Wirkursache zurückgeführt wird, wird die Reue nicht wie eine materielle Disposition Ursache des Nachlasses der Schuld sein, sondern eher in der Gattung der Wirkursache sein. 3. Die unvollständige Reue geht der Eingießung der Gnade und der Vergebung der Schuld voraus. Doch die vollständige Reue unterscheidet sich von der unvollständigen nur gemäß des Grades des Schmerzes, welcher Grad die Art nicht ändert. Also geht auch die vollständige Reue zumindest der Natur nach der Eingießung der Gnade und der Vergebung der Schuld voraus.

95 Paralleltexte: Sent. IV, d. 17 q. 1 a. 4 qc. 2 etu. 3; Sum. theol. I-II, q. 113 a. 8 ad 2. 96 De ver. q. 27 a. 4.

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4. Im Psalm heißt es97: »Recht und Gerechtigkeit sind die Stützen seines Throns.« Die Seele aber wird zum Thron Gottes durch die Eingießung der Gnade und die Vergebung der Schuld. Da also der Mensch Recht und Gerechtigkeit dadurch tut, daß er wegen der Sünde zerknirschst ist, so scheint die Reue die Vorbereitung für die Eingießung der Gnade zu sein. Und so ist sie der Natur nach früher. 5. Die Bewegung auf das Ziel hin geht der Natur nach dem Ziel voraus. Doch die Reue ist eine gewisse Bewegung, die sich auf die Zerstörung der Schuld richtet. Also geht sie der Natur nach dem Nachlaß der Sünde voraus. 6. Augustinus sagt: »Der dich ohne dich geschaffen hat, wird dich nicht ohne dich gerecht machen.«98 Und so ist eine Bewegung der Wahlfreiheit, die zu unserer Seite gehört, zur Rechtfertigung nötig und geht dieser der Natur nach voraus. Doch die Rechtfertigung endet in der Vergebung der Schuld. Also geht der Vergebung der Schuld der Natur nach eine Bewegung der Wahlfreiheit voraus. 7. In der fleischlichen Eheschließung geht der gegenseitige Konsens der Natur nach der Vereinigung voraus. Aber durch die Eingießung der Gnade wird gewissermaßen eine geistliche Ehe zwischen der Seele und Gott geschlossen, gemäß Hos. 2, 19: »Ich traue dich mir an in Gerechtigkeit.« Also geht die Bewegung der Wahlfreiheit, durch welche der Konsens der Seele mit Gott zustande kommt, der Eingießung der Gnade der Natur nach voraus. 8. So wie sich in den Dingen, die von einem anderen bewegt werden, das Bewegen des äußeren Bewegenden zum Bewegt-Werden des Beweglichen verhält, so ist es auch in den Dingen, die von sich selbst bewegt werden. Aber das Bewegen, durch das ein von außen Wirkendes bewegt, sei es als hauptsächlich Wirkendes, sei es als dabei (nur) mithelfendes, geht der Natur nach dem Bewegt-Werden des Beweglichen selbst voraus. Da die Seele in der Rechtfertigung des Gottlosen nicht ganz und gar (nur) bewegt wird, sondern sich in gewisser Weise auch selbst bewegt als ein (bei der Bewegung) mithelfendes, gemäß 1 Kor. 3, 9: »Wir sind Gottes Mitarbeiter«, so 97 Text zusammengestellt aus Vulg. Ps. 88, 15 u. 96, 2; Vulgatatext wörtlich: »Vorbereitung seines Throns«. 98 Augustinus, Sermo 169, 11, 13 (PL 38, 923).

8. Artikel

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scheint es, daß das Tätigsein der Seele, nämlich die Bewegung der Wahlfreiheit, der Natur nach der Vergebung der Schuld vorausgeht, insofern die Seele vom Laster zur Tugend bewegt wird. Dagegen spricht: 1. Die Reue ist ein verdienstlicher Akt. Aber kein Akt ist verdienstlich, es sei denn durch die Gnade. Also ist die Gnade Ursache der Reue. Aber die Ursache geht der Wirkung der Natur nach voraus. Also geht der Natur nach die Eingießung der Gnade der Reue voraus. 2. Zu Röm. 5, 1: »Gerecht gemacht aus Glauben«, sagt die Glosse: »Der Gnade Gottes geht keinerlei menschliches Verdienst voraus.«99 Doch die Reue ist ein gewisses menschliches Verdienst. Also geht sie der Eingießung der Gnade nicht voraus. 3. Es wurde gesagt: Sie geht wie eine gewisse Disposition voraus. – Dagegen spricht: Eine Disposition ist weniger vollkommen, als die Form, auf die sie vorbereitet. Doch die Reue besagt etwas Vollkommeneres als die Gnade. Also ist die Reue keine Disposition für die Gnade. Beweis des Mittelsatzes: der Zweite Akt (actus secundus) hat eine größere Vollkommenheit als der Erste Akt (actus primus). Doch die Gnade ist ein Erster Akt, da sie sich in der Weise eines Habitus verhält. Die Reue aber ist ein Zweiter Akt, da sie eine Tätigkeit der Gnade ist, so wie das Nachdenken eine Tätigkeit der Wissenschaft ist. So wie also das Nachdenken vollkommener als die Wissenschaft ist, so ist die Reue vollkommener als die Gnade. 4. Die Wirkung einer Wirkursache ist niemals Disposition für die Wirkursache. Denn auf dem Weg der Bewegung folgt sie (die Wirkung) der Wirkursache, währenddessen auf demselben Weg die Disposition dem vorausgeht, wozu sie disponiert. Doch die Reue verhält sich zur Gnade wie die Wirkung einer Wirkursache zu ihrer Wirkursache. Also ist die Reue nicht Disposition zur Gnade, und so folgt dasselbe wie vorhin. Beweis des Mittelsatzes: Habitus und Potenz werden auf dieselbe Gattung von Ursache zurückgeführt, da der Habitus das ergänzt, was der Potenz fehlt. Doch die Potenz ist Ursache des Aktes in der Gattung der Wirkursache; also auch der Habitus.

99 Glossa Petri Lombardi (PL 191, 1378 D).

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Aber die Gnade verhält sich zur Reue wie ein Habitus zum Akt. Also verhält sich die Reue zur Gnade wie eine Wirkung zur Wirkursache. 5. Was nichts zur Einführung der Form beiträgt, ist keine Disposition zur Form. Doch die Reue trägt nichts zur Eingießung der Gnade bei, da die Eingießung der Gnade auch ohne Reue sein kann, wie es an Christus deutlich ist. Also ist die Reue nicht Disposition zur Gnade und so folgt dasselbe wie vorhin. 6. Bernhard von Clairvaux sagt100, daß zwei Dinge zum Werk unseres Heils notwendig seien, nämlich der gebende Gott und der empfangende freie Wille. Doch das Geben ist früher, als das Empfangen. Also geht die Gnade, die in unserer Rechtfertigung von Seiten des gebenden Gottes kommt, der Reue, die unserer Seite zugehört, der Natur nach voraus. 7. Die Reue kann nicht zugleich mit der Sünde sein. Also geht der Natur nach die Vergebung der Sünde der Reue voraus. Antwort: Zu dieser Frage gibt es eine dreifache Meinung. Einige nämlich sagen101, daß die Bewegung der Wahlfreiheit der Natur nach der Eingießung der Gnade und der Vergebung der Schuld absolut vorausgehe. Denn sie sagen, jene Bewegung der Wahlfreiheit sei keine vollständige, sondern eine unvollständige Reue, kein Akt des geformten Glaubens, sondern des ungeformten. Doch dies scheint das vorliegende (Problem) nicht zu treffen. Den jeder Schmerz über die Sünde ist in dem, der die Gnade besitzt, Reue. Und ähnlich ist jeder Akt des Glaubens, der mit der Gnade verbunden ist, ein Akt des geformten Glaubens. Der Akt des ungeformten Glaubens und die unvollständige Reue, von welcher diese sprechen, gehen also der Zeit nach der Eingießung der Gnade voraus. Von solchen Bewegungen der Wahlfreiheit sprechen wir gegenwärtig (aber) nicht, sondern von solchen, die gleichzeitig sind mit der Eingießung der Gnade, ohne die keine Rechtfertigung in Erwachsenen sein kann. Denn ohne vor100 Vgl. Bernhard von Clairvaux, De gratia et libero. arbitrio, cap. 2 (PL 182, 1002 B; Opera, ed. Leclerq / Rochais, I, 166). 101 Z. B. Wilhelm von Auxerre, Summa aurea III tr. 10 c. 1 q. 3 (Op. omn. III/1, 121); ebd. IV tr. 8 c. 4 (Op. omn. IV, 207).

8. Artikel

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ausgehende (Bewegungen) kann sie sein, wie aus dem oben Gesagten deutlich ist. Und daher sagen andere102, daß diese Bewegungen verdienstlich und durch die Gnade geformt seien, daher würden sie der Natur nach auf die Gnade folgen. Der Vergebung der Schuld würden sie aber der Natur nach vorausgehen, da die Gnade durch diese Akte die Vergebung der Schuld wirke. Doch dies kann nicht sein. Denn was etwas durch (seine) Tätigkeit verursacht, das verursacht es auf die Weise der Wirkursache. Wenn die Gnade also durch den Akt der Reue und des geformten Glaubens die Vergebung der Schuld verursacht, dann tut sie das auf die Weise der Wirkursache, was nicht sein kann. Denn eine Ursache, die wirkursächlich etwas zerstört, wird früher ins Dasein gesetzt, als dasjenige, was sie zerstört, im Nicht-Sein ist. Daraus würde folgen, daß die Gnade früher in der Seele wäre, als die Schuld vergeben wäre, was unmöglich ist. Daher ist klar, daß die Gnade nicht durch irgendeine Tätigkeit die Ursache der Vergebung der Schuld ist, sondern durch die Formung des Subjektes, welche in der Eingießung der Gnade eingeführt wird. Und daher fällt zwischen die Eingießung der Gnade und die Vergebung der Schuld nichts Mittleres. Gemäß einer anderen Meinung103 müssen sich die genannten Bewegungen im selben Ordnungsverhältnis zueinander befinden, so daß sie in gewisser Weise der Natur nach vorausgehen und in gewisser Weise der Natur nach nachfolgen. Betrachtet man nämlich die Ordnung der Natur hinsichtlich der Materialursache, so geht die Bewegung der Wahlfreiheit der Eingießung der Gnade der Natur nach voraus, so wie die materielle Disposition der Form (vorausgeht). Betrachtet man sie aber hinsichtlich der Formalursache, dann verhält es sich umgekehrt. Und ähnlich ist es in den Naturdingen: die Disposition, welche eine notwendige Bedingung im Hinblick auf die Form ist, geht in gewisser Weise der substantiellen Form voraus, nämlich hinsichtlich der Materialursache. Auf andere Weise jedoch, nämlich von Seiten der Formalursache, ist die substantielle Form

102 Z. B. Bonaventura, Sent. IV, d. 17 p. 1 a. 2 q. 2. 103 Z. B. Albertus Magnus, Sent. IV, d. 17 a. 11 (ed. Borgnet XXIX, 678).

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früher, insofern sie die Materie und die materiellen Akzidenzien vollendet. Zu 1. Die Reue ist die Ursache der Vergebung der Schuld, insofern sie Disposition zur Gnade ist. Zu 2. Das Sakrament der Buße hat die Vollmacht, Gnade zukommen zu lassen, aus der Schlüsselgewalt, der sich der Büßende unterstellt. An sich betrachtet verhält sich die Reue zur Gnade nur auf die Weise der Disposition. Betrachtet man sie aber, insofern sie ein Verlangen nach der Schlüsselgewalt hat, dann wirkt sie auf sakramentale Weise in der Kraft des Bußsakramentes, so wie sie es auch im Sakrament der Taufe tut, wie es an einem Erwachsenen deutlich ist, der nur das Verlangen nach dem Sakrament der Taufe hat. Daraus (aus dem Einwand) kann also nicht abgeleitet werden, daß die Reue an sich gesprochen die Wirkursache der Vergebung der Schuld sei, denn dies ist die Schlüsselgewalt oder die Taufe. Oder man kann sagen: Die Reue verhält sich nur bezüglich der Schuldigkeit der zeitlichen Strafe zur Vergebung der Schuld auf die Weise der Wirkursache. Bezüglich des Sündenmakels und der Schuldigkeit der ewigen Strafe verhält sie sich (zur Vergebung der Schuld) nur auf die Weise der Disposition. Zu 3. Die vollständige Reue unterscheidet sich von der vorhergehenden unvollständigen nicht nur gemäß dem Grad des Schmerzes, sondern auch gemäß der Formprägung durch die Gnade. Und so ist die vollständige Reue der Gnade gewissermaßen nachgeordnet, was für die unvollständige Reue nicht gilt. Zu 4. Diese Vorbereitung geschieht auf die Weise einer materiellen Disposition. Zu 5. Die Reue ist Bewegung auf die Vergebung der Schuld hin nicht als wäre sie eine gleichsam von ihr entfernte, sondern wie eine mit ihr verbundene (Bewegung). Daher muß man sie mehr auf die Weise betrachten, wie sie im (bereits) Bewegten ist, als auf die Weise, wie sie im Bewegt-Werden ist. Und dennoch geht die Bewegung dem Ziel in der Ordnung der Materialursache voraus, denn Bewegung ist die Verwirklichung eines in Möglichkeit Seienden. Zu 6. Das »Er wird dich nicht ohne dich gerecht machen« ist im Sinne eines gewissen Vorbereitens auf die Gnade zu verstehen. Und

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so muß die Bewegung der Wahlfreiheit nicht vorausgehen, es sei denn auf die Weise der Disposition. Zu 7. Der Konsens ist die Wirkursache der fleischlichen Eheschließung104, doch die Bewegung der Wahlfreiheit ist nicht Wirkursache der Eingießung der Gnade, und daher besteht hier keine Ähnlichkeit. Zu 8. In der Rechtfertigung des Gottlosen ist der Mensch nicht der Helfer Gottes, als ob er zusammen mit ihm die Gnade wirken würde, sondern allein insofern, als er sich auf die Gnade vorbereitet. Auf die Gegeneinwände ist Folgendes zu antworten: Zu 1. Die Reue kommt von der Gnade wie von einem, das eine Form einprägt. Und daraus folgt, daß die Gnade hinsichtlich der Formalursache früher ist. Zu 2. Das menschliche Verdienst geht der Gnade nicht im Sinne des Verdienens voraus, so nämlich als würde die Gnade unter das Verdiente fallen. Dennoch kann ein menschlicher Akt der Gnade wie eine materielle Disposition vorausgehen. Zu 3. Die Reue stammt vom freien Willen und von der Gnade. Und sofern sie aus dem freien Willen hervorgeht, ist sie eine Disposition zur Gnade, die zugleich mit der Gnade besteht; so wie eine Disposition, die eine notwendige Bedingung ist, zugleich mit der Form ist. Aber sofern sie von der Gnade stammt, verhält sie sich wie ein Zweiter Akt zur Gnade. Zu 4. So wie der Habitus die Potenz auf formale Weise vollendet, so ist auch das, was vom Habitus im Akt zurückbleibt, formal im Hinblick auf den Akt der Substanz, welche die Potenz bereitstellt. Und so ist der Habitus das formale Prinzip des geformten Aktes, obwohl er hinsichtlich der Formung die Bedeutung einer Wirkursache hat. Zu 5. Die Disposition trägt zur Form nichts auf wirkursächliche Weise bei, sondern nur auf materialursächliche, insofern die Materie durch die Disposition passend für die Aufnahme der Form gemacht wird. Und so trägt die Reue, in dem, der von Schuld behaftet ist, etwas zur Eingießung der Gnade bei, obwohl sie im Unschuldigen 104 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. IV, d. 27 c. 3 (ed. Coll. S. Bon. II, 435).

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nicht erforderlich ist. Denn zur Entfernung einer entgegengesetzten Form und zur gleichzeitigen Einführung einer Form sind in vorbereitender Weise mehr Dinge erforderlich, als zur bloßen Einführung einer Form. Zu 6. Das, was zur Seite des Gebenden gehört, ist früher in formaler Hinsicht, doch das, was zur Seite des Empfangenden gehört, ist früher in materialer Hinsicht. Zu 7. Aus diesem Grund folgt nicht, daß die Entfernung der Schuld der Reue vorausgeht. Denn durch die Reue selbst wird die Schuld in gewisser Weise vergeben, so wie auf dem Höhepunkt der Hitze die Form des Wassers vertrieben wird, und sie deshalb nicht gleichzeitig sind; und ähnlich sind es auch Schuld und Reue nicht.

9. Artik el Die neunte Frage lautet: Findet die Rechtfertigung des Gottlosen in einem einzigen Moment statt?105 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Es ist unmöglich, daß demselben Vermögen gleichzeitig und auf einmal mehrere Bewegungen zugehören, so wie eine einzige Materie auch nicht gleichzeitig und auf einmal unter verschiedenen unähnlichen Formen existiert. Doch in der Rechtfertigung des Gottlosen wird eine zweifache Bewegung der Wahlfreiheit benötigt, wie aus dem Gesagten hervorgeht. Also kann die Rechtfertigung des Gottlosen nicht in einem einzigen Moment stattfinden. 2. Es wurde gesagt: Diese beiden Bewegungen gehören verschiedenen Vermögen an, denn die Bewegung der Wahlfreiheit auf Gott hin gehört zum begehrenden Vermögen, die Bewegung der Wahlfreiheit aber gegen die Sünde zum zürnenden. – Dagegen spricht: Verabscheuen ist dasselbe wie Hassen. Aber der Haß ist gemäß Aristoteles106 im begehrenden Vermögen, so wie die Liebe. Also ist das Verabscheuen nicht im zürnenden Vermögen. 105 Paralleltexte: De ver. q. 28 a. 2 ad 10 (ed. Leon. XXII, 823–825); Sent. IV, d. 17 q. 1 a. 5 qc. 2 et 3; Sum. theol. I-II, q. 113 a. 7. 106 Aristoteles, Topik II, 7; 113 a 33.

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3. Gemäß Johannes von Damaskus107 sind das zürnende und das begehrende Vermögen Teile des sinnlichen Strebevermögens. Doch das sinnliche Strebevermögen erstreckt sich nur auf das Gute, das ihm zukommt, oder auf dessen Gegenteil. Von solcher Art sind aber weder Gott selbst, noch die Sünde als Sünde, insofern sie verabscheuenswert ist. Also gehören diese Bewegungen nicht zum begehrenden und zürnenden Vermögen, sondern zum Willen und so gehören sie einem einzigen Vermögen an. 4. Es wurde gesagt: Die Bewegung der Wahlfreiheit auf Gott hin ist die Bewegung des Glaubens, die zum Verstand gehört. Die Reue aber gehört zum Willen, dem es zukommt, über die Sünde Schmerz zu empfinden, und so gehören sie nicht einem einzigen Vermögen an. – Dagegen spricht: Gemäß Augustinus »kann der Mensch nicht glauben, es sei denn, er will es.«108 Obschon also zum Glauben ein Akt des Intellekts erforderlich ist, so ist dort nichtsdestoweniger (auch) ein Akt des Willens erforderlich. Und so bleibt bestehen, daß zur Rechtfertigung des Gottlosen zwei Bewegungen desselben Vermögens erforderlich sind. 5. Von einem Endpunkt weg und auf einen (anderen) Endpunkt hin bewegt zu werden kommt demselben Ding zu. Doch die Sünde verabscheuen ist ein Bewegt-Werden von einem Endpunkt weg und auf Gott hin bewegt werden ist ein Bewegt-Werden auf einen (anderen) Endpunkt hin. Also gehört die Reue, die ein Verabscheuen der Sünde ist, demselben Vermögen zu, zu dem auch die Bewegung auf Gott hin gehört. Und so können sie nicht zugleich sein. 6. Nichts wird zugleich auf verschiedene und entgegengesetzte Ziele hin bewegt. Aber Gott und die Sünde sind verschiedene Ziele. Also kann die Seele nicht zugleich auf Gott hin und gegen die Sünde bewegt werden und so folgt dasselbe wie vorhin. 7. Die Gnade wird nur dem gegeben, der ihrer würdig ist. Doch solange jemand Träger der Sünde ist, ist er der Gnade nicht würdig. Also muß die Schuld ausgetrieben werden, bevor die Gnade einge-

107 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 12 (PG 94, 928 C; ed. Buytaert, 119). 108 Augustinus, Tract. in Ioh. 26, 2 (PL 35, 1607; CCSL 36, 260).

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gossen wird. Und so findet die Rechtfertigung, die die beiden (Bewegungen) umfasst, nicht in einem einzigen Moment statt. 8. Eine Form, die für ein Mehr oder ein Weniger empfänglich ist, muß – wie es scheint – nach und nach im Subjekt entstehen, ebenso wie eine Form, die nicht für ein Mehr oder ein Weniger empfänglich ist, mit einem Mal im Subjekt entsteht – wie dies bei der substantiellen Form deutlich ist. Doch die Gnade zielt auf das Subjekt. Also scheint sie nach und nach eingeführt zu werden, und so findet die Eingießung der Gnade nicht in einem Moment statt, und daraus folgend auch nicht die Rechtfertigung des Gottlosen. 9. So wie bei jeder Veränderung muß man auch bei der Rechtfertigung des Gottlosen zwei Endpunkte festlegen, nämlich einen Endpunkt »Woher« und einen Endpunkt »Woraufhin«. Aber bei keiner Veränderung können die beiden Endpunkte zusammenfallen, das heißt, sie können nicht zugleich sein.109 Also sind in der Rechtfertigung des Gottlosen zwei Dinge eingeschlossen, die sich zueinander wie Vorher und Nachher verhalten. Und so findet die Rechtfertigung des Gottlosen nach und nach statt, und nicht in einem Moment. 10. Nichts, bei dem das Werden früher ist als das Geworden-Sein, wird in einem Moment. Also findet die Eingießung der Gnade nicht in einem Moment statt, und so folgt dasselbe wie vorhin. Beweis des Mittelsatzes: Bei andauernden Dingen ist es so: was wird, ist nicht. Wenn es aber geworden ist, dann ist es bereits. Doch die Gnade gehört zu den andauernden Dingen. Wenn sie also zugleich wird und geworden ist, dann ist sie und ist zugleich nicht, was unmöglich ist. 11. Jede Bewegung geschieht in der Zeit. Doch die Rechtfertigung des Gottlosen erfordert eine gewisse Bewegung der Wahlfreiheit, und so findet sie nicht in einem Moment statt. 12. Zur Rechtfertigung des Gottlosen ist Reue über die Sünden erforderlich. Doch wenn jemand viele Sünden begangen hat, dann kann er nicht in demselben Moment über alle Sünden Reue empfinden, noch sie bedenken. Also kann die Rechtfertigung des Gottlosen nicht in einem Moment stattfinden.

109 Aristoteles, Phys. I, 10; 188 b 3 ff.

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13. Wann immer es zwischen zwei äußersten Endpunkten einer Veränderung irgendein Mittleres gibt, so findet die Veränderung nach und nach statt, und nicht in einem Moment. Doch zwischen der Gnade und der Schuld gibt es ein Mittleres, nämlich den Zustand der geschaffenen Natur. Also ist die Rechtfertigung des Gottlosen eine allmähliche Veränderung. 14. Schuld und Gnade sind nicht zugleich in der Seele. Also ist der Moment, in dem die Schuld zuletzt in der Seele ist, verschieden von dem Moment, in dem die Gnade zuerst in ihr ist. Zwischen zwei Momente fällt aber immer eine Zwischenzeit. Also fällt zwischen die Vertreibung der Schuld und die Eingießung der Gnade eine Zwischenzeit. Doch die Rechtfertigung schließt diese beiden ein. Also findet die Rechtfertigung in der Zeit und nicht in einem Moment statt. Dagegen spricht: 1. Die Rechtfertigung des Gottlosen ist eine gewisse geistige Erleuchtung. Doch die körperliche Erleuchtung findet in einem Moment statt, nicht in der Zeit.110 Da also die geistigen Dinge einfacher sind als die körperlichen und weniger der Zeit unterworfen, so scheint es, daß die Rechtfertigung des Gottlosen in einem Moment stattfindet. 2. Je mächtiger ein Wirkendes ist, in desto kürzerer Zeit bringt es seine Wirkung hervor. Doch der Urheber der Rechtfertigung ist Gott, der auch über unbegrenzte Kraft verfügt. Also findet die Rechtfertigung in einem Moment statt. 3. Im Buch der Ursachen heißt es111, daß die Substanz und das Wirken der geistigen Substanz – und dazu gehört auch die Seele – im Moment der Ewigkeit sind, und nicht in der Zeit. Doch die Rechtfertigung gehört zum Wirken der Seele. Also findet sie nicht in der Zeit statt. 4. In demselben Moment, in dem die Disposition der Materie vollständig ist, ist auch die Form da. Doch die Bewegung der Wahl110 Averroes, Phys. VI comm. 32; IV, 265 M. 111 Liber de causis, prop. et comm. XXXI (XXX); nr. 210 ff. (ed. Schön-

feld 58 ff.).

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freiheit, die in der Rechtfertigung erfordert wird, ist eine vollständige Disposition für die Gnade. Also ist die Gnade in demselben Moment, in dem jene Bewegungen sind. Antwort: Die Rechtfertigung des Gottlosen findet in einem Moment statt. Zur Ersichtlichkeit dessen muß man wissen, daß, wenn gesagt wird, irgendeine Veränderung finde in einem Moment statt, dies nicht so zu verstehen ist, als seien ihre beiden Endpunkte in einem Moment. Dies ist nämlich unmöglich, da an sich gesprochen jede Bewegung zwischen zwei einander entgegengesetzten Endpunkten stattfindet. Vielmehr ist es so zu verstehen, daß der Übergang von einem Endpunkt zum anderen in einem Moment stattfindet. Was freilich auf bestimmte Gegensätze zutrifft, trifft auf andere nicht zu. Wann immer nämlich zwischen den Endpunkten eine Zwischenbewegung anzunehmen ist, so muß der Übergang von einem Endpunkt zum anderen nach und nach stattfinden. Denn das Mittlere ist das, worin das kontinuierlich Bewegte zuerst verändert wird, bevor es das letzte (Ziel) erreicht, wie aus dem fünften Buch der Physik des Aristoteles hervorgeht.112 Unter Mittleres verstehe ich den wie auch immer gearteten Abstand zu den äußersten Endpunkten, sei es ein räumlicher Abstand wie in der Ortsbewegung, sei es ein Abstand hinsichtlich der Quantität, wie in der Bewegung des Wachsens und der Verringerung, sei es hinsichtlich der Form, wie in der Veränderung. Dies gilt gleichermaßen, ob das Mittlere nun einer anderen Art angehört, wie das Bleiche zwischen dem Weißen und dem Schwarzen steht, oder derselben Art, so wie das Laue zwischen dem Warmen und dem Kalten steht. Wann immer aber zwischen den beiden Endpunkten einer Bewegung oder einer Veränderung auf keine der genannten Weisen ein Mittleres sein kann, dann findet der Übergang von dem einen zum anderen Endpunkt nicht in der Zeit, sondern in einem Moment statt. Dies trifft aber zu, wann immer die beiden Endpunkte der Bewegung oder der Veränderung Affirmation und Negation, oder Privation und Form sind. Denn zwischen Affirmation und Negation kann es auf keine 112 Aristoteles, Phys. V, 5; 226 b 23.

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Weise ein Mittleres geben, noch zwischen Privation und Form in Bezug auf das Eigentliche, das aufgenommen werden soll. Und dies (ohne letztere Unmöglichkeit) meine ich auf die Weise, wie etwas von anderer Art(-natur) Mittleres zwischen äußersten Endpunkten ist.113 Doch auf diejenige Weise, in welcher etwas Mittleres ist gemäß einem stärkeren oder schwächeren Grad, kann es, auch wenn dies kein Mittleres an sich ist, dennoch ein akzidentelles Mittleres geben. Denn an der Negation oder Privation wird, an sich gesprochen, nichts verstärkt oder abgeschwächt. Aber man kann von ihnen hinsichtlich ihrer Ursache in akzidenteller Weise eine gewisse Verstärkung oder Abschwächung betrachten; so wie man jenen blinder nennt, der ein Auge verloren hat, als den, der eine Binde vor dem Auge trägt, und zwar deshalb, weil die Ursache der Blindheit dort wirksamer ist. Wenn man also Veränderungen von solcher Art hinsichtlich der ihnen eigenen Endpunkte an sich gesprochen auffasst, dann müssen sie in einem Moment geschehen und nicht in der Zeit. Fasst man sie aber auf hinsichtlich der Ursachen ihrer Endpunkte, dann kann man in ihnen eine Abfolge betrachten, wie es an der Erleuchtung deutlich ist. Denn obgleich die Luft plötzlich von der Dunkelheit zum Licht übergeht, so wird die Ursache der Dunkelheit doch nach und nach fortgenommen, nämlich die Abwesenheit der Sonne, die durch ihre Ortsbewegung nach und nach gegenwärtig wird. Und so ist die Erleuchtung der Endpunkt einer Ortsbewegung und zugleich unteilbar, wie jeder Endpunkt eines Kontinuums. Ich sage also, daß die äußersten Endpunkte der Rechtfertigung die Gnade und die Privation der Gnade sind, zwischen die kein Mittleres fällt in Bezug auf das Eigentliche, das aufgenommen werden soll. Daher muß der Übergang vom einen zum anderen in einem Moment stattfinden, – obgleich die Ursache dieser Privation nach und nach fortgenommen wird, entweder indem sich der Mensch nachdenkend auf die Gnade vorbereitet, oder wenigstens insofern, als eine Zeit nach der 113 Der Sinn dieser schwierigen Stelle ist wohl: Es ist nicht möglich, daß ein neu entstandenes Seiendes einer bestimmten Artnatur irgendwie noch zwischen Privation und Form steht. Vielmehr gilt: Wenn das neue Seiende ist, dann ist auch die Form ganz da.

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Vorherbestimmung Gottes, die Gnade zu verleihen, vergangen ist. Und so findet die Rechtfertigung in einem Moment statt. Und da die Vertreibung der Schuld eine formale Wirkung der eingegossenen Gnade ist, daher kommt es, daß die gesamte Rechtfertigung des Gottlosen in einem Moment stattfindet. Denn die Form, die Disposition zur Form und die Entfernung der anderen Form finden ganz und gar in einem Moment statt. Zu 1. Wenn zwei Bewegungen gänzlich ungleich sind, dann können sie nicht zugleich in demselben Vermögen sein. Doch wenn die eine der Grund der anderen ist, dann können sie zugleich sein, denn auf gewisse Weise sind sie eine Bewegung. So wie wenn jemand irgendetwas um des Zieles willen erstrebt, er zugleich das Ziel und das, was zum Ziel führt, erstrebt. Und ähnlich ist es, wenn jemand irgendetwas flieht, was dem Ziel zuwider ist – dann erstrebt er zugleich das Ziel und flieht das Entgegenstehende. Und ähnlich ist es mit dem Willen, der zugleich auf Gott hin bewegt wird und die Sünde haßt, weil sie wider Gott ist. Zu 2. Derartige Bewegungen gehören dem Willen zu und nicht dem zürnenden oder dem begehrenden Vermögen. Dies gilt deshalb, weil ihr Objekt etwas Intelligibles und nicht etwas sinnlich Wahrnehmbares ist. Es findet sich aber, daß sie manchmal der zürnenden und der begehrenden Kraft zugeschrieben werden, insofern der Wille selbst zürnend oder begehrend genannt wird, aufgrund der Ähnlichkeit der Akte. In diesem Fall kann die Reue auch dem begehrenden Vermögen zugeschrieben werden, insofern der Mensch die Sünde haßt und auch dem zürnenden, insofern er gegen die Sünde zürnt, indem er sich vornimmt, Rache an ihr zu nehmen. Zu 3. – 5. Und dadurch wird die Lösung zum dritten, vierten und fünften Einwand deutlich. Zu 6. Der Wille wird nicht dazu bewegt, Gegensätzliches zu verfolgen, sondern er kann dazu bewegt werden, das eine zu fliehen und das andere zu verfolgen, und dies vor allem, wenn die Verfolgung des einen der Grund für das Fliehen des anderen ist. Zu 7. Die Gnade wird dem gegeben, der ihrer würdig ist, aber nicht so, daß jemand der Gnade in ausreichender Weise würdig wäre, bevor er die Gnade hat. Vielmehr macht sie den Menschen würdig

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eben aufgrund dessen, daß sie gegeben wird. Daher ist der, welcher der Gnade würdig ist, zugleich mit dem, der die Gnade hat. Zu 8. Dazu, daß eine Form nach und nach im Subjekt aufgenommen wird, trägt ihr stärkerer oder schwächerer Grad im Subjekt nichts bei, sondern vielmehr der stärkere oder schwächere Grad der entgegengesetzten Form oder des entgegengesetzten Endpunkts. Die Privation der Gnade aber nimmt kein Mehr oder Weniger an, es sei denn in akzidenteller Weise hinsichtlich ihrer Ursache, wie schon gesagt worden ist. Daher muß die Gnade nicht nach und nach im Subjekt aufgenommen werden. Wenn sie aber im Subjekt nachlassen würde, dann könnte dies etwas dazu beitragen, daß die Gnade nach und nach verloren ginge. Doch die Gnade lässt in demselben Subjekt nicht nach. Und daher geht sie nicht nach und nach verloren, deshalb weil sie selbst nicht nachlässt; noch wird sie nach und nach eingeführt, deshalb weil ihre Privation nicht nachlässt. Zu 9. Die Lösung ist aus dem Gesagten klar. Denn Veränderung in einem Moment bedeutet nicht, daß ihre beiden Endpunkte im selben Moment sind, wie gesagt worden ist. Zu 10. Das Werden eines dauernden Dings kann zweifach aufgefasst werden. Einmal im eigentlichen Sinne, und demgemäß sagt man, ein Ding wird, solange die Bewegung andauert, deren Ziel die Entstehung des Dinges ist. Und in diesem Sinn gehört das, was wird, nicht zu dem dauernden Ding. Vielmehr kommt das Werden dem Ding durch ein Nacheinander zu, gemäß dem, was Aristoteles im sechsten Buch der Physik sagt: Was wurde, wird und wird werden.114 Auf andere Weise spricht man in einem uneigentlichen Sinne von Werden, daß nämlich etwas werde in dem Moment, in dem es zuerst geworden ist. Dies tut man deshalb, weil jener Moment, insofern er das Ende der vorausgehenden Zeit ist, in der das Ding wurde, sich das aneignet, was an sich der vorausgehenden Zeit zukommt. Und so ist es nicht wahr, daß das, was wird, nicht ist; sondern das (was wird, ist), was nun erstmals ist und vorher nicht war. Und so ist es zu verstehen, daß in den Dingen, die plötzlich werden, das Werden und das Geworden-Sein zugleich sind.

114 Aristoteles, Phys. VI, 8; 237 b 9 u. 19.

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Zu 11. Bewegung wird hier nicht aufgefasst, insofern sie Ausgang von der Potenz in den Akt ist, denn so würde sie nach der Zeit gemessen werden. Vielmehr wird die Bewegung der Wahlfreiheit aufgefasst als dessen eigene Tätigkeit, die ein »Akt eines Vollkommenen« ist, wie es im dritten Buch Über die Seele heißt.115 Und so kann sie in einem Moment sein, so wie das Sein des Vollkommenen in einem Moment ist. Zu 12. In dem Moment, in dem der Mensch gerecht gemacht wird, ist keine besondere Reue der einzelnen Sünden nötig, sondern eine allgemeine für alle, wobei die besondere Reue über die einzelnen Sünden entweder vorausgeht oder nachfolgt. Zu 13. Nachdem der Mensch in Schuld hineingeraten ist, kann es kein Mittleres zwischen Gnade und Schuld geben, denn die Schuld wird nicht weggenommen, außer durch Gnade, wie aus dem oben Gesagten hervorgeht. Und auch die Gnade wird nicht verloren, außer durch Schuld, obwohl es nach Meinung gewisser Leute116 vor der Schuld einen mittleren Zustand zwischen der Gnade und der Schuld gegeben hat. Zu 14. Man darf keinen letzten Moment annehmen, in dem die Schuld noch da war, sondern nur eine letzte Zeitspanne, wie oben gesagt worden ist.117

115 Aristoteles, De an. III, 12; 431 a 7. 116 Vgl. De ver. q. 28 a. 2 obiectio 4. 117 Vgl. ebd. a. 4.

XXIX. DIE GNADE CHRISTI

Die hier behandelten Fragen lauten: 1. Gibt es in Christus eine geschaffene Gnade? 2. Ist dazu, daß die menschliche Natur dem Wort in der Person geeint wird, eine habituelle Gnade erforderlich? 3. Ist die Gnade Christi unendlich? 4. Kommt Christus die Gnade des Hauptes seiner menschlichen Natur nach zu? 5. Ist in Christus irgendeine habituelle Gnade dazu erforderlich, daß er Haupt sei? 6. Konnte Christus Verdienste erwerben? 7. Konnte Christus für andere Verdienste erwerben? 8. Konnte Christus im ersten Moment seiner Empfängnis Verdienste erwerben?

1. Artik el Die erste Frage lautet: Gibt es in Christus eine geschaffene Gnade?1 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Der Mensch wird durch die geschaffene Gnade Adoptivsohn genannt. Doch Christus war den Kirchenvätern zufolge2 nicht Adoptivsohn. Also besaß er keine geschaffene Gnade. 2. Wo die Verbindung einer Sache (mit einer anderen) dem Wesen nach stattfindet, da braucht es keine Verbindung aufgrund von Ähnlichkeit. So wie zum Erkennen eine Einung des Erkennenden mit dem erkannten Ding erforderlich ist; und dennoch ist es nicht notwendig, daß irgendwelche Dinge, die ihrem Wesen nach in der 1 Paralleltexte: Sent. III, d. 13 q. 1 a. 1; Sum. theol. III, q. 7 a. 1; Lect. super Ioh. cap. 3 lect. 6; Comp. theol. I, 213–214 (ed. Leon. XLII, 166–168). 2 Vgl. z. B. die Autoritäten bei Petrus Lombardus, Sent. III, d. 10 c. 2 (ed. Coll. S. Bon. II, 74–76).

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Seele sind, aufgrund von Ähnlichkeit in der Seele sind, um sie zu erkennen. Aber Gott ist der Seele Christi dem Wesen nach wirklich geeint in der Einheit der Person. Also ist es nicht erforderlich, daß er ihr geeint werde durch eine Gnade, die eine Einung aufgrund von Ähnlichkeit ist. 3. Zu dem, was wir mit unseren natürlichen Kräften vermögen, brauchen wir die Gnade nicht. Doch Christus konnte zur Herrlichkeit gelangen durch das, was ihm naturgemäß war, denn er ist der natürliche Sohn, und wenn Sohn, dann auch Erbe (Gal. 4, 7). Da also die Gnade den Seelen eingegossen wird, damit sie die Herrlichkeit erlangen, so scheint es, daß Christus die geschaffene Gnade nicht brauchte. 4. Ein Subjekt kann ohne Akzidens erkannt werden. Doch die Gnade war, wenn sie in Christus war, ein Akzidens. Christus kann also ohne Gnade (besitzend) erkannt werden. Wird er also so erkannt, dann steht ihm das ewige Leben entweder zu oder nicht. Wenn ja, dann würde ihm die Gnade umsonst dazugegeben. Wenn aber nicht, dann scheint es, daß die Adoptivsohnschaft die natürliche Sohnschaft übertrifft, was unstimmig wäre. Denn den Adoptivsöhnen steht das ewige Leben zu, eben dadurch, daß sie Söhne sind. 5. Was dem Wesen nach gut ist, bedarf nicht der partizipierten Güte. Doch Christus ist dem Wesen nach gut, denn er ist wahrer Gott. Also bedarf er nicht der Gnade, die eine partizipierte Güte ist. 6. Die ungeschaffene Güte übertrifft die Güte der Gnade mehr, als das Licht der Sonne das Licht einer Lampe. Da Christus also die ungeschaffene Güte durch die hypostatische Union gegenwärtig war, bedurfte er, wie es scheint, der Gnade nicht. 7. Die Union der Gottheit mit Christus war entweder ausreichend oder nicht. Wenn nicht, dann war die Union unvollkommen, wenn ja, dann wäre die Zugabe der Gnade überflüssig. In den Werken Gottes wird aber nichts Überflüssiges gefunden. Also besaß Christus keine geschaffene Gnade. 8. Wer etwas durch eine edlere Kenntnis weiß, beispielsweise durch einen beweisenden Mittelbegriff, hat es nicht nötig, dasselbe durch eine weniger edle Kenntnis zu erkennen, beispielsweise durch einen wahrscheinlich machenden Mittelbegriff. Doch Christus war gut durch die edelste Güte, nämlich durch die ungeschaffene Güte.

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Folglich bedurfte er zu seinem Gut-Sein keiner weniger edlen Güte, nämlich der geschaffenen Güte. 9. Ein Werkzeug bedarf zu seiner Tätigkeit keines Habitus, vor allem wenn das Wirkende, dem das Werkzeug gehört, über vollkommene Kraft verfügt. Doch die Menschheit Christi ist gleichsam ein der Gottheit geeintes Werkzeug, wie Johannes von Damaskus im 3. Buch sagt.3 Da also die göttliche Kraft die vollkommenste ist, so scheint die Menschheit Christi der Gnade nicht zu bedürfen. 10. Dem, das die Fülle alles Guten besitzt, muß nichts hinzugefügt werden. Doch die Seele Christi besaß die Fülle alles Guten, eben dadurch, daß ihr das Wort4 geeint war, in dem der Schatz alles Guten ist. Folglich war es nicht notwendig, daß ihr die Güte der Gnade hinzugefügt worden wäre. 11. Dasjenige, wodurch etwas besser wird, ist edler als dieses. Doch kein Geschöpf ist edler als die mit dem Wort geeinte Seele. Folglich konnte die Seele Christi durch keine geschaffene Gnade besser werden. Die geschaffene Gnade wäre also umsonst in ihr. 12. Das Bild Gottes in uns ist ein zweifaches, wie aus der Glosse5 zu Ps. 4, 7 hervorgeht: »Eingeprägt ist«, usw.; eines von der Schöpfung her, das im Geist in dem einen Wesen und den drei Vermögen besteht; das andere von der Neuschöpfung her, welches hinsichtlich des Lichtes der Gnade besteht. Entweder ist nun also das Bild der Gnade Gott ähnlicher, als das Bild des Geistes Christi, oder nicht. Wenn es Gott ähnlicher ist, dann ist die Gnade ein edleres Geschöpf, als die Seele Christi. Wenn es aber nicht ähnlicher ist, dann würde der Geist Christi sich durch sie nicht weiter an die Wesensgleichheit mit Gott annähern, wozu doch die Gnade allein dem Geist eingegossen wird. Folglich würde die Gnade umsonst in der Seele Christi angenommen. 13. Wenn die Wirkungen sich widerstreiten, dann haben sie einander widerstreitende Ursachen. So wie das Gebündelt-Sein und das 3 Johannes Damascenus, De fide orth. III, 15 (PG 94, 1060 A; ed. Buytaert, 239); vgl. auch ebd. 19 (PG 94, 1080; ed. Buytaert, 258). 4 Hier wie im Folgenden ist das »Ewige Wort«, das »Wort Gottes«, also der Sohn oder die zweite Person der Dreifaltigkeit gemeint. 5 Glossa Petri Lombardi super Ps. 4, 7 (PL 191, 88 B).

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Zerstreut-Sein des Sehstrahles einander widerstreiten, so auch das Weißsein und das Schwarzsein.6 Doch die natürliche Sohnschaft, deren Prinzip die ewige Geburt ist, widerstreitet der Adoptivsohnschaft, deren Prinzip die Eingießung der Gnade ist. Also widerstreitet die eingegossene Gnade der ewigen Geburt. Da Christus also die ewige Geburt zukommt, so scheint es, daß in ihm keine eingegossene Gnade ist. Dagegen spricht: 1. In Joh. 1, 14 heißt es: »Wir haben ihn gesehen, voll Gnade und Wahrheit.« Doch in Christus gab es ein geschaffenes Wissen, zu welchem die Wahrheit gehört; also auch geschaffene Gnade. 2. Das Verdienst benötigt Gnade. Aber Christus erwarb für sich selbst und für uns Verdienste, wie die Heiligen sagen. Also besaß Christus geschaffene Gnade, denn dem Schöpfer kommt es nicht zu, Verdienste zu erwerben. 3. Christus war Pilger und Schauender (viator et comprehensor) zugleich. Aber die Vollkommenheit des Pilgers besteht in der geschaffenen Gnade. Folglich besaß Christus die geschaffene Gnade. 4. Der Seele Christi mangelte keine Vollkommenheit, die anderen innewohnt, da sie im höchsten Maße vollkommen ist. Doch die anderen Seelen der Heiligen besitzen nicht nur die Vollkommenheit der Natur, sondern auch der Gnade. Also waren beide Vollkommenheiten in Christus. 5. Wie sich die Herrlichkeit zum Schauenden verhält, so die Gnade zum Pilger. Aber in Christus, der zugleich Pilger und Schauender war, gab es eine geschaffene Herrlichkeit, denn er genoß die Gottheit durch einen geschaffenen Akt. Also gab es in ihm eine geschaffene Gnade. 6 Vgl. Aristoteles, z. B. Metaph. X, 9; 1057 b 8; Top. III, 5; 119 a 30–31; ebd. VII, 3; 153 a 38–b 1. Im Hintergrund steht hier die antike Lehre, daß zum Sehen nicht nur das äußere, auf die Pupille treffende Licht notwendig ist, sondern auch ein vom lichtartigen Glaskörper ausgehender Sehstrahl. Die Sehkraft verschiedener Arten oder Individuen derselben Art hängt dabei von der mehr oder weniger starken Bündelung dieses das Auge verlassenden Sehstrahles ab.

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Antwort: Es ist notwendig, in Christus eine geschaffene Gnade anzunehmen. Der Grund für diese Notwendigkeit kann dem Umstand entnommen werden, daß es eine zweifache Verbindung der Seele mit Gott geben kann: auf die eine Weise gemäß dem Sein in einer Person. Dies kommt in einzigartiger Weise Christus zu. Die andere Weise besteht gemäß der Tätigkeit, die allen gemeinsam ist, die Gott erkennen und lieben. Die erste Weise reicht freilich ohne die zweite zur Glückseligkeit nicht aus, denn selbst Gott wäre nicht selig, wenn er sich nicht erkennen und lieben würde. Denn er würde sich (dann) nicht an sich selbst erfreuen, was zur Glückseligkeit erforderlich ist. Dazu also, daß die Seele Christi selig sei, wird außer ihrer Union mit dem Wort in der Person, die Union durch die Tätigkeit benötigt, daß sie nämlich Gott dem Wesen nach schaut und schauend genießt. Das aber übersteigt die natürliche Potenz einer jeden geschaffenen Natur, Gott allein jedoch kommt es gemäß seiner Natur zu. Der Seele Christi muß also über ihre Natur hinaus etwas hinzugefügt werden, wodurch sie auf die genannte Glückseligkeit hingeordnet wird, und das nennen wir Gnade. Daher ist es notwendig, in der Seele Christi eine geschaffene Gnade anzunehmen. Daraus geht die Nichtigkeit einer gewisser Meinung hervor, die annahm, daß es im höheren Teil der Seele Christi keine habituelle Gnade gebe. Dieser Teil sei vielmehr unmittelbar mit dem Wort geeint und aus dieser Union ströme die Gnade in die niederen Kräfte. (Dies ist nichtig,) denn wenn man von der Union in der Person spricht, dann wird nicht nur der höhere Teil der Seele Christi mit dem Wort geeint, sondern auch die ganze Seele. Wenn man aber von der Union durch die Tätigkeit spricht, dann ist dazu die habituelle Gnade erforderlich, wie gesagt worden ist. Zu 1. Was der Person aufgrund ihrer selbst zukommen kann, das kann nicht von Christus ausgesagt werden, wenn es im Widerstreit zu den Eigenschaften der ewigen Person steht, welche die einzige in ihm ist. Dies ist zum Beispiel deutlich an der Bezeichnung »Geschöpf«. Das aber, was der Person lediglich aufgrund der Natur oder eines Teiles der Natur zukommen kann, kann von Christus ausgesagt werden, auch wenn es im Widerstreit zur ewigen Person steht,

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wie zum Beispiel Leiden und Sterben und anderes dergleichen. Dies beruht auf der Zweiheit der Naturen. Die Sohnschaft aber betrifft zuallererst die Person, die Gnade aber betrifft nicht die Person, es sei denn hinsichtlich des Geistes, der ein Teil der Natur ist. Deshalb kommt Christus die Adoptivsohnschaft in keiner Weise zu, es kommt ihm aber dennoch zu, Gnade zu besitzen. Zu 2. Dieses Argument gilt, wenn die Union durch das Wesen und die Union durch Ähnlichkeit auf dasselbe hingeordnet sind. Das aber trifft im vorliegenden Fall nicht zu, denn die wirkliche Einheit der Gottheit mit der Seele Christi ist hingeordnet auf die Einheit der Person, aber die Union durch Ähnlichkeit aufgrund der Gnade ist hingeordnet auf den Genuß der Glückseligkeit. Zu 3. Die Glückseligkeit ist für Christus eine natürliche gemäß seiner göttlichen Natur, nicht aber gemäß der menschlichen Natur, und deshalb bedarf er dazu der Gnade. Zu 4. Wenn von der Seele Christi angenommen wird, daß sie keine Gnade besitzt, dann kommt Christus die ungeschaffene Glückseligkeit zu, insofern er natürlicher Sohn ist, nicht aber die geschaffene Glückseligkeit, welche den Adoptivsöhnen geschuldet ist. Zu 5. Christus ist gemäß seiner göttlichen Natur dem Wesen nach gut, nicht aber gemäß der menschlichen Natur. Und im Blick auf diese bedarf er der Teilhabe an der Gnade. Zu 6. Das Licht der Sonne und der Lampe sind auf dasselbe hingeordnet. Dies gilt aber nicht für die Union der Gottheit mit der Seele Christi gemäß der Person und für die Union durch die Gnade, und deshalb besteht hier keine Ähnlichkeit. Zu 7. Die Union der Gottheit mit der Seele Christi reicht dazu aus, daß sie ist. Daraus folgt jedoch nicht, daß die Union der Gnade überflüssig wäre, da sie auf etwas anderes hingeordnet ist. Zu 8. Das edlere und das unedlere Wissen sind auf dasselbe hingeordnet, nämlich auf die Erkenntnis des Dinges. So verhält es sich im vorliegenden Fall aber nicht, daher geht das Argument nicht auf. Zu 9. Es gibt zwei Arten von Werkzeugen7: ein unbelebtes, das betätigt wird, aber selbst nicht tätig ist, wie zum Beispiel ein Beil, 7 Vgl. Aristoteles, Eth. Nic. VIII, 11; 1161 b 4, gemäß Thomas Sent. III, d. 13 q. 1 ad 4.

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und ein solches benötigt keinen Habitus. Die andere Art ist belebt, wie zum Beispiel ein Sklave, der tätig ist und betätigt wird, und ein solches Werkzeug benötigt einen Habitus. Und ein derartiges Werkzeug ist die Menschheit Christi. Zu 10. Der Seele Christi war die Fülle alles Guten geeint eben aufgrund der personalen Union mit dem Wort; doch nicht auf formale Weise, sondern auf personale. Und daher bedurfte sie der Formung durch die Gnade. Zu 11. Schlechthin gesprochen ist kein Geschöpf besser als die mit dem Wort auf personale Weise geeinte Seele. Doch in bestimmter Hinsicht steht einem Bessersein nichts im Wege. Wie zum Beispiel die Farbe in gewisser Hinsicht edler war, als sein Körper, insofern sie nämlich dessen Akt war, so ist auch die ihr eigene Gnade besser als die Seele Christi, insofern sie (die Gnade) ihre (der Seele) Vollkommenheit ist. Zu 12. Die Gnade ist in gewisser Hinsicht ähnlicher, insofern sie sich nämlich zur Seele Christi wie der Akt zur Potenz verhält. Doch im Blick auf anderes ist der Geist selbst ähnlicher, nämlich hinsichtlich der natürlichen Eigenschaften, mit denen er Gott nachahmt. Zu 13. Hierzu ist dasselbe zu sagen, wie zum ersten Einwand.

2. Artik el Die zweite Frage lautet: Ist dazu, daß die menschliche Natur dem Wort in der Person geeint wird, eine habituelle Gnade erforderlich?8 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Im Sein des Zugrundeliegenden muß man die Substanz als früher erkennen als irgendein diesem anhaftendes Akzidens. Aber durch die Union der menschlichen Natur mit dem Wort wird die menschliche Natur in das Sein des Zugrundeliegenden gesetzt. Da also die Gnade ein Akzidens ist, so scheint es, daß man die Union der

8 Paralleltexte: Sent. III, d. 2 q. 2 a. 2 qc. 1; ebd. d. 13 q. 3 a. 1; Sum. theol. III. q. 2 a. 10, ebd. q. 6 a. 6; Quodlib. IX q. 2 a. 1 ad. 3 (ed. Leon. XXV/1, 93); Comp. theol. I, 214 (ed. Leon. XLII, 166–168).

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menschlichen Natur als früher erkennen muß, als die Gnade. Und so ist die Gnade zur Union nicht erforderlich. 2. Insofern die menschliche Seele eine vernünftige ist, ist sie fähig, vom Wort angenommen zu werden. Dies wird ihr aber nicht durch die Gnade gegeben. Also disponiert die Gnade nicht zur Union. 3. Die Seele wird dem Leib deshalb eingegossen, damit Wissen und Tugenden in ihr vervollkommnet werden, wie es Petrus Lombardus in der zweiten Distinktion des zweiten Sentenzenbuches verdeutlicht.9 Doch die Seele Christi wird dem Wort früher geeint als dem Körper, sonst würde folgen, daß ein Zugrundeliegendes angenommen wird. Denn aus der Vereinigung der Seele mit dem Körper wird ein Zugrundeliegendes gebildet. Folglich muß man die Union der Seele Christi mit dem Wort früher denken als man die Gnade in ihr (der Seele) denken muß. Und so disponiert die Gnade nicht zur genannten Union. 4. Zwischen die Natur und das Zugrundeliegende tritt kein vermittelndes Akzidens. Doch die menschliche Natur wird dem Wort als dem Zugrundeliegenden geeint. Also tritt dort keine Gnade wie ein vorbereitendes Mittel dazwischen. 5. Die menschliche Natur wird dem Wort nicht nur gemäß der Seele geeint, sondern auch gemäß dem Leib. Der Leib ist aber nicht aufnahmefähig für die Gnade. Folglich wird zur Union der menschlichen Natur mit dem Wort keine Gnade als eine dazwischenliegende Disposition gefordert. 6. Wie Augustinus in seinem Brief an Volusianus sagt: Bei den Dingen, die auf wunderbare Weise geschehen »liegt der ganze Verlauf des Geschehenen in der Macht des Handelnden«.10 Aber die Union der menschlichen Natur mit der göttlichen übersteigt alle Wundertaten. Also muß man von Seiten des Geschehenen keinerlei Dispositionen ansetzen, sondern es reicht die Macht des Handelnden aus. Und so ist keinerlei dazwischenliegende Gnade erforderlich.

9 Richtige Stelle: vgl. d. 1 c. 6 (ed. Coll. S. Bon. I, 335). 10 Augustinus, Ep. 137, 8 (PL 33, 519; CSEL 44, 107).

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Dagegen spricht: 1. Augustinus sagt11, was auch immer dem Sohn Gottes von Natur aus zukommt, das kommt auch dem Menschensohn durch die Gnade zu. Doch das Gottsein kommt dem Sohn Gottes durch die Natur zu. Also kommt es auch dem Menschensohn durch die Gnade zu. Es kommt ihm aber durch die Union zu, also ist zur Union Gnade erforderlich. 2. Die Union in der Person ist erhabener als das Genießen (Gottes). Doch zu diesem zweiten ist die Gnade erforderlich, also auch zum ersten. Antwort Daß eine habituelle Gnade zur genannten Union erforderlich sei, kann auf zweifache Weise verstanden werden: erstens auf die Weise eines die Union verursachenden Prinzips. Und wenn man die in Christus durch die Gnade gewordene Union in dieser Weise ansetzt, dann klingt es nach der Häresie des Nestorius.12 Dieser nahm an, daß die Menschheit in Christus dem Wort nur gemäß einer vollkommenen Ähnlichkeit der Gnade geeint worden sei. Zweitens kann man es auf die Weise einer Disposition verstehen. Auch das kann zweifach geschehen: entweder auf die Weise einer notwendigen Disposition oder auf die Weise einer angemessenen; eine notwendige Disposition: wie die Wärme oder die Lockerheit Disposition des Feuers ist; eine angemessene aber: So wie die Schönheit eine gewisse Disposition zur Ehe ist. Einige sagen also13, daß die habituelle Gnade eine Disposition auf die Weise der Notwendigkeit ist, indem sie die menschliche Natur gleichsam fähig macht, angenommen zu werden. Aber dies scheint nicht der Fall zu sein, die Gnade ist nämlich mehr das Ziel der Annahme als eine Disposition zur Annahme. Denn Johannes von Damaskus sagt14, Christus habe die menschliche Natur dazu angenommen, um sie zu heilen. Diese Heilung geschieht Zitat nicht aufzufinden. Vgl. Boethius, Contra Eut. et Nest., cap. 4 (PL 64, 1345 C). Z. B. Summa fratris Alexandri III n. 60 (S. 88) etu. n. 96 (S. 139). Vgl. Johannes Damascenus De fide orth. III, c. 18 (PG 94, 1072 C; ed. Buytaert, 251). 11 12 13 14

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freilich durch die Gnade. Daher muß man die habituelle Gnade in Christus mehr als Wirkung der Union, denn als eine Disposition zur Gnade verstehen. Und das drückt auch Joh. 1, 14 aus: »Wir haben ihn gesehen, wie den Eingeborenen vom Vater, voll Gnade und Wahrheit«, als käme ihm eben dadurch die Fülle der Gnade zu, weil er durch die Union der Eingeborene des Vaters ist. Und so wird die habituelle Gnade nicht als eine Disposition zur Gnade verstanden, es sei denn auf die Weise der Angemessenheit.15 Und auf diese Weise kann die habituelle Gnade »Gnade der Union«16 genannt werden, obwohl unter der Gnade der Union gemäß der Absicht der Kirchenväter17 passender und eher das Sein selbst in der Person des Wortes zu verstehen ist18, welches der menschlichen Natur ohne vorausgehende Verdienste verbunden worden ist. Dazu ist die habituelle Gnade nicht erforderlich, wie zum Genießen Gottes, welches in einer Tätigkeit besteht. Denn ein Habitus ist nicht Prinzip des Seins, sondern des Tuns. Und dadurch werden auch die Lösungen zu den Einwänden deutlich.

3. Artik el Die dritte Frage lautet: Ist die Gnade Christi unendlich?19 Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. Alles Endliche ist abgemessen. Doch die Gnade Christi ist nicht abgemessen, denn der Geist ist Christus nicht in einem bestimmten Maß gegeben, wie es Joh. 3, 34 heißt. Also ist die Gnade Christi unendlich.

15 Vgl. Bonaventura, Sent. III d. 2 a. 3 q. 2. 16 »Gratia unionis«: ein von Petrus Lombardus eingeführter Begriff,

vgl. z. B. Sent. III, d. 10 c. 2 (ed. Coll. S. Bon. II, 76). 17 Augustinus, Ench., 40, 12 (PL 40, 252; CCSL 46, 72); ebd. c. 36 (PL 40, 250; CCSL 48, 69 f.); De trin. XIII, 17, 22 (PL 42, 1031; CCSL 50 A, 412). 18 Vgl. Albertus Magnus, Sent. III, d. 3 expos. text.; ebd. d. 4 a. 4 ad 3; ebd. d. 12 a. 8 (ed. Borgnet XXVIII, 71; 82; 232). 19 Parallelstellen: Sent. I d. 44 a. 3 ad 2; Sent. III, d. 13 q. 1 a. 2 qc. 2; Lect. super Ioh. 3, 6; Com. theol. I, 215 (ed. Leon. XLII, 168–169).

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2. Im Vergleich zu jedem Endlichen kann Gott noch etwas Größeres erschaffen. Doch Gott konnte Christus keine größere Gnade geben, wie Petrus Lombardus sagt.20 Also ist die Gnade Christi unendlich. 3. Es wurde gesagt: Dies wird nicht in dem Sinn gesagt, daß Gott keine größere Gnade schaffen könnte, sondern weil die Seele Christi eine größere Gnade nicht aufnehmen könnte. Es war nämlich ihr ganzes Fassungsvermögen von der Gnade erfüllt. – Dagegen spricht: Das Gut des Geschöpfes besteht gemäß Augustinus im Buch Über die Natur des Guten21 in Größe, Art und Ordnung. Und »wo diese drei groß sind, da ist ein großes Gut, wo sie klein sind, ein kleines.« Insofern also ein Geschöpf in irgendeinem Guten wächst, insofern wächst auch seine Größe und daraus folgend wird auch das Maß seines Fassungsvermögens erweitert. Denn die Größe folgt auf das Maß, wie Augustinus sagt.22 Deshalb gilt: je stärker die Gnade vermehrt wird, desto stärker wird das Fassungsvermögen in der Seele Christi vermehrt. 4. Anselm beweist in seinem Buch Warum Gott Mensch wurde23, daß Gott Mensch werden mußte, weil für die menschliche Natur keine Genugtuung geleistet werden konnte, außer durch ein unendliches Verdienst, welches das Sein des bloßen Menschen nicht erbringen konnte. Doch die Ursache des Verdienstes ist die Gnade. Also ist die Gnade Christi unendlich, denn von einer endlichen Ursache kann keine unendliche Wirkung hervorgehen. 5. Die Liebe des Pilgers kann ins Unendliche vermehrt werden. Denn wie weit der Mensch in diesem Leben auch voranschreitet, er kann immer noch weiter voranschreiten. Wenn also die Gnade Christi endlich wäre, dann könnte die Gnade eines anderen Menschen so sehr wachsen, daß sie größer wäre, als die Gnade Christi. Und so wäre jener besser als Christus, was unstimmig ist.

Petrus Lomardus, Sent. III, d. 13 c. unic. (ed. Coll. S. Bon. II, 85). Augustinus, De natura boni, c. 3 (PL 42, 553; CSEL 25/2, 856). Augustinus, Super Gen. ad lit. IV, c. 3 (PL 34, 299; CSEL 28/1, 99). Anselm von Canterbury, Cur Deus homo II, 6 (Op. omn. ed. Schmitt, II, 101) 20 21 22 23

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6. Das Fassungsvermögen der Seele Christi ist entweder endlich oder unendlich. Wenn unbegrenzt, dann ist das Fassungsvermögen auch ganz erfüllt, also besitzt sie unendliche Gnade. Wenn aber endlich und wenn Gott im Vergleich zu jedem Endlichen etwas Größeres schaffen kann, dann kann er auch ein größeres Fassungsvermögen erschaffen, als es die Seele Christi besitzt. Und so könnte er einen besseren Christus erschaffen, was absurd zu sein scheint. 7. Es wurde gesagt: Gott könnte, was ihn selbst anbelangt, ein größeres Fassungsvermögen erschaffen, doch das Geschöpf kann es nicht aufnehmen. Dagegen: Noch die beste der Kreaturen ist von Gott unendlich weit entfernt. Also gibt es unendlich viele Grade der Vermittlung zwischen Gott und dem besten Geschöpf. Und so könnte er im Vergleich zu jeder geschaffenen Güte oder jedem Fassungsvermögen noch ein besseres erschaffen. 8. Nichts Endliches kann über Unendliches verfügen. Doch die Gnade Christi konnte über Unendliches verfügen. Denn sie konnte über das Heil unendlich vieler Menschen verfügen, sowie über die Zerstörung unendlich vieler Sünden. Also war die Gnade Christi unendlich. Dagegen spricht: 1. Kein Geschöpf ist unendlich, sonst würde das Geschöpf dem Schöpfer gleich. Doch die Gnade Christi war geschaffen. Also war die Gnade Christi endlich. 2. In Weish. 11, 20 heißt es: »Du hast alles nach Gewicht, Zahl und Maß geordnet.« Doch nichts Unendliches hat Gewicht und ein bestimmtes Maß. Also ist alles, was Gott erschaffen hat, endlich, und deshalb ist die Gnade Christi nicht unendlich. Antwort: Diese Frage taucht anlässlich jener Worte aus Joh. 3, 34 auf: »Gott gibt den Geist nicht in einem Maß.« Und deshalb muß man das Verständnis dieser Worte erlangen, um die Wahrheit dieser Frage zu betrachten. Zuallererst kann einem aber ein solches Verständnis der genannten Worte begegnen, daß gesagt wird, der Geist würde Christus nicht in einem Maß gegeben, weil der Heilige Geist, der an sich

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unendlich ist, Christus durch die Gnade erfüllt hat. Doch dieses Verständnis entspricht nicht der Absicht des Textes, denn die vorausgehenden Worte werden eingeführt, um zwischen Christus und Johannes dem Täufer und allen anderen Heiligen zu unterscheiden, wie die Glosse sagt.24 Gemäß dem genannten Verständnis unterscheidet sich Christus aber in dieser Hinsicht nicht von den Geschöpfen, denn der Heilige Geist, der die dritte Person in der Dreifaltigkeit ist, ist an sich unendlich und wohnt in jedem Heiligen. Und daher stellt die Glosse ein anderes Verständnis vor, daß sich die genannten Worte nämlich auf die ewige Zeugung beziehen, gemäß welcher der Vater dem Sohn eine unendliche Natur gegeben hat, so daß mit dem Geist die geistige göttliche Natur gemeint ist. Daher sagt die Glosse ebenda: »Damit der Sohn so sei, wie der Vater, denn er zeugte den Sohn als sich gleich.«25 Aber auch dieser Sinn stimmt mit den nachfolgenden Worten nicht überein, denn es wird hinzugefügt: »Der Vater liebt den Sohn (Joh. 3, 35)«, so als würde die Liebe des Vaters zum Sohn als Grund für die vorgenannte Gabe verstanden. Man kann auch nicht sagen, daß die Liebe der Grund für die ewige Zeugung sei, da die personale Liebe eher aus dem schon Gezeugten ist, die dem Wesen zugeordnete Liebe aber zum Willen gehört. Es wird aber nicht zugegeben, daß der Vater den Sohn durch den Willen gezeugt hat. Und daher stellt die Glosse ein anderes Verständnis vor, derart, daß es sich auf die Union des Wortes mit der menschlichen Natur bezieht. Denn das Wort Gottes, welches die göttliche Weisheit ist, wird den einzelnen Geschöpfen nach einem bestimmten Maß zuteil, insofern Gott über alle seine Werke Anzeichen seiner Weisheit ausgestreut hat, gemäß Sir. 1, 10: »Er hat sie ausgegossen – nämlich die Weisheit – über all seine Werke und über alles Fleisch, indem er sie gemäß seiner Gabe denen gewährte, die ihn lieben.«26 Aber die menschliche Natur ist in Christus, dem Wort, selbst ohne Maß in vollständiger Weise geeint, so daß mit dem Geist, der ohne Maß gegeben ist, das Wort Gottes selbst gemeint ist. Daher sagt die Glosse 24 Glossa ordin. super Ioh. 3, 34. 25 Glossa interlin. super Ioh. 3, 34. 26 Nach dem Vulgatatext.

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ebenda: »So wie der Vater das vollständige und vollkommene Wort gezeugt hat, so ist es vollständig und vollkommen der menschlichen Natur geeint.«27 Aber auch dieses Verständnis stimmt mit den nachfolgenden Worten nicht in jeder Hinsicht überein. Denn das Geben, von dem die vorangestellten Worte sprechen, ist offenbar eines, das dem Sohn geschehen ist, da der Text fortfährt: »Der Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Hand gegeben.« Durch die hypostatische Union ist dem Sohn aber nichts gegeben worden, vielmehr ist es dem Menschen gegeben worden, daß er Sohn sei. Und daher scheinen die genannten Worte in eigentlicher Weise der habituellen Gnade zuzugehören, in welcher der Heilige Geist der Seele Christi offenbar gegeben worden ist – die Union vorausgesetzt, durch welche jener Mensch der Sohn Gottes war. Diese Gnade war schlechthin gesprochen aber endlich, doch in gewisser Weise auch unendlich. Um dies einzusehen muß man wissen, auf welche Weise das Endliche und das Unendliche mit Beziehung auf die Quantität zu verstehen ist, wie Aristoteles es im 1. Buch der Physik verdeutlicht.28 Es gibt aber eine zweifache Quantität, nämlich eine messbare, welche hinsichtlich der Ausdehnung betrachtet wird, sowie eine der Kraft nach, welche hinsichtlich des Stärkegrades in den Blick gerät. Denn die Kraft eines Dinges ist seine Vollkommenheit, gemäß dem Wort des Aristoteles im 7. Buch der Physik: »Ein jedes Ding ist vollkommen, wenn es die ihm eigene Kraft erreicht.«29 Und so gerät die der Kraft nach bestimmte Quantität einer jeglichen Form gemäß der Weise ihrer Vollkommenheit in den Blick. Beide Quantitäten werden aber durch vieles in sich unterschieden. Denn die messbare Quantität schließt Länge, Breite und Tiefe, sowie die potentielle Zahl ein. Die Quantität der Kraft nach wird insoweit (in sich) unterschieden, wie es Naturen und Formen gibt, deren Weise der Vollkommenheit das ganze Maß der Quantität bewirkt. Es kommt aber vor, daß etwas, das hinsichtlich der einen Quantität endlich ist, hinsichtlich einer anderen unendlich ist. Das ist deut27 Glossa ordin. super Ioh. 3, 34 additio 3. 28 Aristoteles, Phys. I, 3; 185 b 2. 29 Aristoteles, Phys. VII, 3; 246 b 28.

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lich, wenn beide Quantitäten messbar sind. Denn eine Fläche kann der Breite nach als endlich verstanden werden, der Länge nach aber als unendlich. Es ist auch deutlich, wenn als die eine Quantität eine messbare genommen wird und als die andere Quantität eine solche der Kraft nach. Wenn nämlich ein weißer Körper als unendlich verstanden wird, dann wird das Weißsein deshalb nicht unendlich sein dem Stärkegrad nach, sondern allein in akzidenteller Weise der Ausdehnung nach – denn es könnte ja etwas Weißeres gefunden werden. Nichtsdestoweniger ist dasselbe deutlich, wenn beide Quantitäten solche der Kraft nach sind. Denn in einem und demselben Ding kann eine der Kraft nach verschiedene Quantität in den Blick geraten, gemäß den verschiedenen Begriffen der Inhalte, die von ihm ausgesagt werden. So wie dadurch, daß es seiend genannt wird, in ihm Quantität der Kraft nach betrachtet wird hinsichtlich der Vollkommenheit zu sein; dadurch, daß es sinnlicher Wahrnehmung fähig genannt wird, hinsichtlich der Vollkommenheit des Wahrnehmens, und so weiter. Mit Blick auf die Idee des Seins kann das Unendliche nur dasjenige sein, in dem die Vollkommenheit des Seins eingeschlossen ist, welche sich in unendlich vielen verschiedenen Weisen entfalten kann. Und auf diese Weise ist einzig Gott dem Wesen nach unendlich, denn sein Sein wird nicht von irgendeiner bestimmten Vollkommenheit begrenzt, sondern schließt in sich alle Weisen der Vollkommenheit ein, auf die sich die Idee der Seiendheit erstrecken kann. Und deshalb ist er selbst unendlich dem Wesen nach. Diese Unendlichkeit kann aber keinem Geschöpf zukommen, denn das Sein eines jeden Geschöpfes ist begrenzt auf die Vollkommenheit der eigenen Art. Wenn man sich also irgendeine sinnbegabte Seele denkt, die alles in sich hat, was in jeglicher Weise zur Vollkommenheit der sinnlichen Wahrnehmung beitragen kann, dann wird jene Seele trotzdem dem Wesen nach endlich sein. Denn ihr Sein ist begrenzt auf eine bestimmte Vollkommenheit des Seins hin, nämlich des sinnbegabten, welches von der Vollkommenheit des geistigen Erkennens übertroffen wird. Sie (diese vorgestellte Seele) wäre aber dennoch unendlich dem Begriffsgehalt der Sinnenhaftigkeit nach, da ihre Sinnenhaftigkeit auf keine Weise des sinnlichen Wahrnehmens festgelegt wäre.

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Und in ähnlicher Weise sage ich von der habituellen Gnade Christi, daß sie endlich ist dem Wesen nach, da ihr Sein auf eine Art des Seienden begrenzt ist, nämlich auf den Begriff der Gnade. Dennoch ist sie unendlich dem Begriffsgehalt der Gnade nach. Denn da jemandes Vollkommenheit hinsichtlich der Gnade auf unendliche viele Weisen betrachtet werden kann, so fehlte keine dieser Weisen in Christus. Vielmehr hatte er die Gnade in sich gemäß der ganzen Fülle und Vollkommenheit, auf die der Begriff dieser Art, welche die Gnade ist, sich erstrecken konnte. Und dieses Verständnis macht die Glosse ebendort offenbar, wenn sie sagt: »Den Menschen gibt Gott den Geist nach einem Maß, dem Sohn aber nicht nach einem Maß. Sondern so wie er den Sohn ganz aus sich gezeugt hat, so hat er seinem fleischgewordenen Sohn ganz seinen Geist gegeben, nicht in partikulärer Weise, nicht durch Unterteilung, sondern in universaler und umfassender Weise.«30 Auch Augustinus sagt in einem Brief an Dardanus31, daß Christus das Haupt ist, in dem alle Sinne sind. Aber in den Heiligen (als Leib, als Glieder Christi) sei gleichsam nur der Tastsinn, ihnen ist der Geist nur nach einem Maß gegeben. So also ist zu sagen, daß die Gnade Christi dem Wesen nach endlich war, aber unendlich gemäß der Vollkommenheit des Begriffes der Gnade. Zu 1. Die Lösung des ersten Einwands ist durch das Gesagte deutlich. Zu 2. Da die Gnade endlich ist gemäß ihrer Wesenheit, aber unendlich dem Begriffsgehalt der Gnade nach, kann Gott (zwar) eine bessere Wesenheit erschaffen, als die Wesenheit der Gnade, jedoch nicht etwas Besseres in der Gattung der Gnade, weil die Gnade Christi alles in sich einschließt, worauf sich der Begriff der Gnade erstrecken kann. Zu 3. Das Fassungsvermögen des Geschöpfes wird nach der Aufnahmefähigkeit benannt, die in ihm ist. Es gibt aber eine zweifache Aufnahmefähigkeit des Geschöpfes: eine natürliche, die ganz erfüllt 30 Glossa ordin. super Ioh. 3, 34. 31 Augustinus, Ep. 187, 40 (PL 33, 847; CSEL 57, 117), gemäß Petrus

Lombardus, Sent. III, d. 13 c. unic. (ed. Coll. S. Bon. II, 84).

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werden kann, denn sie erstreckt sich nur auf natürliche Vollkommenheiten. Die andere (Aufnahmefähigkeit) ist ein Vermögen des Gehorsams, gemäß welcher etwas von Gott empfangen werden kann. Und dieses Fassungsvermögen kann nicht erfüllt werden, denn was auch immer Gott am Geschöpf wirkt, es bleibt immer in der Möglichkeit, von Gott zu empfangen. Die Größe aber, die mit der wachsenden Güte (mit-)wächst, folgt eher dem Maß der aufgenommenen Vollkommenheit, als dem Fassungsvermögen, etwas aufzunehmen. Zu 4. Die Form ist das Prinzip des Aktes. Insofern sie aber aktuelles Sein hat, ist es nicht möglich, daß von einer Form, deren Wesenheit endlich ist, eine dem Grade nach unendliche Tätigkeit ausgeht. Daher war auch das Verdienst Christi nicht unendlich dem Grad des Aktes nach, denn er liebte und erkannte in endlicher Weise. Doch hatte es eine gewisse Unendlichkeit aus dem Umstand der Person, die eine unendliche Würde besaß. Denn um soviel derjenige, der sich verdemütigt, größer ist, desto lobenswerter ist seine Demut. Zu 5. Obwohl die Liebe oder die Gnade des Pilgers ins Unendliche vermehrt werden kann, so kann sie doch niemals zur Ebenbürtigkeit mit der Gnade Christi gelangen. Daß nämlich irgendein Endliches durch stetiges Zunehmen jedes beliebige Endliche erreichen kann, ist (dann) wahr, wenn in beiden Endlichen derselbe Begriff von Quantität vorliegt, so wie wir Linie mit Linie vergleichen und Weißsein mit Weißsein. Es ist jedoch nicht wahr, wenn in beiden ein je verschiedener Begriff von Quantität vorliegt. Und das ist deutlich an der Quantität der Dimension. Denn wie sehr die Linie auch der Länge nach vermehrt wird, sie wird niemals zur Breite der Fläche gelangen. Und auf ähnliche Weise wird es deutlich an der Quantität der Kraft oder der Stärke. Denn wie sehr die Erkenntnis eines Gott-Erkennenden auch durch Ähnlichkeiten vermehrt wird, sie kann (doch) niemals der Erkenntnis des Schauenden gleichkommen, der Gott dem Wesen nach sieht. Und auf ähnliche Weise kann auch die Liebe des Pilgers der Liebe des Schauenden nicht gleichkommen, denn anders wird man vom Anwesenden oder vom Abwesenden bewegt. Auf ähnliche Weise kann auch die Gnade irgendeines Menschen, die er gemäß irgendeiner teilweisen Teilhabe besitzt, wie sehr sie auch wachsen mag, der Gnade Christi, welche in umfassender Weise erfüllt ist, niemals gleichkommen.

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Zu 6. Das Fassungsvermögen der Seele Christi ist endlich. Und Gott kann ein größeres Fassungsvermögen und ein besseres Geschöpf als die Seele Christi erschaffen, wenn man sie vom ewigen Wort getrennt denkt. Daraus folgt aber nicht, daß er einen besseren Christus erschaffen hätte können. Denn Christus hat von woanders her sein Gut-Sein, nämlich aus der Union mit Wort. Von dieser Sicht her kann nichts Besseres als sein Gut-Sein erkannt werden. Zu 7. Dadurch ist die Lösung des siebten Einwands deutlich. Zu 8. Die Seele Christi kann aus dem Umstand der Person über Unendliches verfügen, von welchem her sie auch ein unendliches Verdienst hat, wie vorhin gesagt worden ist.

4. Artik el Die vierte Frage lautet: Kommt Christus die Gnade des Hauptes seiner menschlichen Natur nach zu?32 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Dem Haupt kommt es zu, in die Glieder (etwas) einzuflößen. Doch Christus flößt gemäß seiner menschlichen Natur in die Menschen nichts durch einen geistigen Einfluß, der vor allem der Seele zugehört, ein. Denn wie eine Glosse Augustins zu Joh. 5, 2 sagt33: »Durch das Wort Gottes werden die Seelen belebt, doch durch das fleischgewordene Wort werden die Leiber belebt.« Also ist Christus seiner menschlichen Natur nach nicht das Haupt der Kirche. 2. Es wurde gesagt: Christus flößt auf wirkursächliche Weise (etwas) in die Seele ein gemäß der göttlichen Natur, aber in vorbereitender Weise gemäß der menschlichen Natur. – Dagegen spricht: Die Diener der Kirche ordnen, insofern sie die Sakramente spenden, auf das geistliche Leben hin, denn ein Sakrament ist eine vorbereitende Ursache für die Gnade. Aber die Diener der Kirche werden 32 Paralleltexte: Sent. III, d. 13 q. 2 a. 1; Sum. theol. III, q. 8 a. 1; Super Eph., cap. 1, lect. 8; Super Col., cap. 1, lect. 5; Comp. theol. I, 214 (ed. Leon. XLII, 166–168). 33 Glossa ordin. Super Ioh. 5, 26–27; vgl. Augustinus, Tract. in Ioh. XIX, 15 (PL 35, 1552; CCSL 36, 198)

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nicht Haupt der Kirche genannt, also wird auch Christus demgemäß nicht Haupt der Kirche genannt. 3. Es gäbe auch dann eine Kirche, wenn der Mensch nicht gesündigt hätte.34 Dann hätte das Wort Gottes aber nicht menschliche Natur angenommen, wie eine Glosse zu 1 Tim. 1, 15 sagt35: »Christus Jesus kam in die Welt« usw. Die Kirche kann aber nicht ohne Haupt sein. Also ist Christus der menschlichen Natur nach nicht Haupt der Kirche. 4. Es wurde gesagt: Wenn der Mensch nicht gesündigt hätte, dann wäre Christus das Haupt der Kirche, insofern er das Wort Gottes ist, nach der Sünde aber, insofern das Wort Fleisch geworden ist. – Dagegen spricht: Zur vollen Wiederherstellung des Menschengeschlechts ist es erforderlich, daß der Mensch nicht irgendjemandes Schuldner bezüglich seines Heils ist, dem er vorher nicht Schuldner war. Und deshalb konnte die Wiederherstellung nicht durch einen Engel geschehen, wie Anselm in seinem Buch Warum Gott Mensch wurde sagt.36 Wenn aber Christus vor der Sünde das Haupt der Kirche war, allein insofern er das Wort war, dann wäre der Mensch vor der Sünde keines Geschöpfes Schuldner bezüglich seines Heils gewesen. Er ist jedoch Schuldner Christi gemäß dessen menschlicher Natur, wenn Christus seiner menschlichen Natur nach Haupt ist. Also scheint es, daß die Wiederherstellung des Menschengeschlechts nicht vollständig geschehen ist, was unangemessen ist. 5. Die guten Engel und Menschen gehören zur einen Kirche. Diese hat aber nur ein Haupt. Da Christus also nicht das Haupt der guten Engel ist, die niemals gesündigt haben und ihm auch in der Natur nicht gleichförmig sind37, so scheint es, daß er seiner menschlichen Natur nach auch nicht das Haupt der Menschen ist.

34 Zu diesem Argument: vgl. Wilhelm von Auxerre, Summa aurea III tr. 4 c. 2 (Op. omn. III/1, 64); Bonaventura, III Sent., d. 1 a. 2 q. 2 sed c. 7. 35 Augustinus, Sermo 175, c. 1 (PL 38, 945), siehe auch Sermo 174 c. 2 (PL 38, 940). 36 Anselm von Canterbury, Cur Deus homo I, 5 (Op. omn. II, 52). 37 Vgl. Wilhelm von Auxerre, Summa aurea III tr. 4 c. 2 (Op. omn. III/1, 64).

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6. Das Haupt ist ein Glied des Leibes.38 Doch Christus ist, wie es scheint, kein Glied der Kirche, da Glied-Sein auch ein gewisses TeilSein bedeutet und daraus folgend auch Unvollkommen-Sein. Also ist Christus nicht das Haupt der Kirche. 7. Nach Aristoteles im 13. Buch Über die Tiere »ist das Herz das Prinzip der Sinne, der Bewegung und des Lebens.«39 Wenn also dem geistlichen Einfluß Christi ein Name zusteht, dann mehr der Name des Herzens, als des Hauptes, vor allem, weil das Haupt vom Herzen her empfängt, Christus dies aber von keinem Glied der Kirche tut.40 8. Die Kirche ist die Versammlung der Gläubigen.41 Aber Christus hatte keinen Glauben. Wenn also Christus das Haupt der Kirche wäre, dann wäre das Haupt den Gliedern nicht gleichartig, was gegen den Begriff des Hauptes ist. 9. Das Haupt ist nicht nach den Gliedern. Aber viele Glieder sind Christus vorausgegangen. Also ist Christus nicht das Haupt der Kirche. 10. Es wurde gesagt: Auch wenn Christus damals nicht in der Wirklichkeit der Dingwelt existierte, so doch im Glauben der Väter. – Dagegen spricht: Christus flößt den Gliedern der Kirche die Gnade ein, insofern er das Haupt der Kirche ist. Wenn es also für den Begriff des Hauptes ausreicht, daß Christus im Glauben der Gläubigen da ist, so scheint es, daß es im Alten Bund eine genauso große Menge an Gnade gab, wie im Neuen, was falsch ist. 11. Was nicht ist, kann nicht vermehrt werden. Doch Christus hatte, als er lediglich im Glauben der Väter existierte, kein Sein in sich selbst, gemäß seiner menschlichen Natur. Also konnte er nichts einflößen, und deshalb konnte er nicht Haupt sein. 12. Jede Aussage, deren Subjekt ein gedachtes Ding und deren Prädikat ein Naturding ist, ist falsch. So wie wenn man sagen würde, daß eine Gattung oder eine Art laufe. Aber Christus wird, insofern 38 Vgl. zu diesem Argument: Wilhelm von Auxerre, Summa aurea III tr. 4 c. 6 (Op. omn. III/1, 68 f.). 39 Aristoteles, De part. animal., 3; 665 a 11. 40 Vgl. zu diesem Argument: Wilhelm von Auxerre, Summa aurea III tr. 4 c. 4 (Op. omn. III/1, 67). 41 Vgl. z. B. Isidor von Sevilla, Etymol. VIII c. 1 (PL 82, 295 B); Wilhelm von Auxerre, Summa aurea III tr. 4 c. 1 (Op. omn. III/1, 63).

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er im Glauben ist, als ein Gedankending bezeichnet. Da also das Haupt-Sein oder das Eingießen ein Naturding besagt, so scheint es, daß diese Aussage falsch ist: Christus ist, insofern er im Glauben ist, das Haupt der Kirche. 13. Je ein Leib hat je ein Haupt. Aber Christus ist das Haupt der Kirche gemäß der Gottheit42, nicht also gemäß der Menschheit. 14. Ein Haupt hat selbst kein Haupt. Doch das Haupt Christi ist Gott (1 Kor. 11, 3). Also ist Christus nicht das Haupt der Kirche. 15. Zum Begriff des Hauptes gehört es, daß es alle Sinne besitzt, die es im Leib gibt, wie Augustinus im Brief an Dardanus sagt.43 Es gibt aber einen geistlichen Sinn in der Kirche, der nicht in Christus ist, nämlich Glaube und Hoffnung. Also ist Christus nicht das Haupt der Kirche. 16. Zu Eph. 1, 22: »Ihn hat er als Haupt gegeben« usw., sagt die Glosse: »Ihm sind alle wie einem Haupt untergeordnet, von welchem sie den Ursprung haben.«44 Die Menschen und die Engel haben aber ihren Ursprung von Christus nicht gemäß seiner menschlichen Natur, sondern gemäß seiner göttlichen. 17. Augustinus sagt in seinem Buch Über 83 verschiedene Fragen, daß die Erleuchtung der Seelen ein allein Gott zukommender Akt sei.45 Also kommt er Christus gemäß seiner menschlichen Natur nicht zu. Also ist Christus gemäß seiner menschlichen Natur nicht Gott. Dagegen spricht: 1. Zu Eph. 1, 22: »Ihn setzte er als Haupt über die ganze Kirche«, sagt die Glosse: »gemäß der Menschheit.«46 2. Die Einung des Hauptes mit dem Leib geschieht gemäß der Gleichförmigkeit der Natur. Die Gleichförmigkeit Christi mit der Kirche beruht aber nicht auf der göttlichen Natur, sondern auf der 42 Glossa Petri Lombardi, Super Eph. 1, 22 (PL 192, 178 D.) 43 Augustinus, Ep. 187, 40 (PL 33, 847; CSEL 57, 117). 44 Glossa Petri Lombardi (PL 192, 178 D) aus: Pseudo.-Ambrosius.,

Super Eph. 1, 22 (PL 17, 398 A). 45 Augustinus, De div. quaest. 83, q. 53 (PL 40, 36; CCSL 44A, 89). 46 Glossa Petri Lombardi (PL 192, 178 D).

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menschlichen. Also ist Christus seiner menschlichen Natur nach das Haupt der Kirche. Antwort: In geistlichen Dingen wird von Haupt gesprochen durch Übertragung vom Haupt des natürlichen Leibes her. Und deshalb muß man das Verhältnis des Hauptes zu den Gliedern betrachten, damit offenbar wird, auf welche Weise Christus das Haupt der Kirche ist. Es findet sich aber, daß das Haupt ein zweifaches Verhältnis zu den anderen Gliedern hat, nämlich eines der Verschiedenheit und eines der Gleichartigkeit. Ein Verhältnis der Unterscheidung aber auf dreifache Weise: erstens hinsichtlich der Würde, denn das Haupt besitzt vollständig alle Sinne, die anderen Glieder tun dies aber nicht. Zweitens aufgrund der Leitung, denn das Haupt leitet alle anderen Glieder in ihren Tätigkeiten und regelt sie sowohl durch die äußeren Sinne, wie durch die inneren, die im Haupt ihren Sitz haben.47 Drittens aufgrund der Ursächlichkeit, denn das Haupt flößt allen Gliedern Sinnenbegabung und Bewegung ein, weshalb die Ärzte auch sagen48, daß die Nerven vom Haupt her ihren Ursprung nehmen, und ebenso alles, was zu den wahrnehmenden und bewegenden Seelenkräften gehört. Es findet sich auch eine dreifache Gleichartigkeit des Hauptes mit den Gliedern. Die erste gemäß der Natur, denn das Haupt und die übrigen Glieder sind Teile einer einzigen Natur. Die zweite Gleichartigkeit besteht aufgrund der Ordnung, denn es gibt eine gewisse Einung der Ordnung zwischen Haupt und Gliedern, insofern die Glieder sich gegenseitig dienen, gemäß 1 Kor. 12, 25. Die dritte Gleichartigkeit besteht aufgrund der Kontinuität, denn das Haupt schließt sich im natürlichen Leib den Gliedern an. Gemäß diesen Verschiedenheiten und Gleichartigkeiten wird die Benennung »Haupt« auf verschiedene Weisen verschiedenen Dingen in Form einer Metapher zugeschrieben. Es gibt nämlich Dinge, zwi47 Vgl. Albertus Magnus, Summa de homine q. 20 ff. (ed. Borgnet XXXV, 168ff.; ed. Col. XXVII/2, 148ff.). 48 Vgl. Avicenna z. B. Canon medic. I fen I doctr. 3 c. 2; De nat. animal. XII, c. 8.

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schen denen Gleichförmigkeit der Natur nach besteht, und dort wird einem Ding die Benennung »Haupt« allein aufgrund des Hervorragens der Würde beigelegt. So wie der Löwe das Haupt der Tiere genannt wird49, oder eine Stadt das Haupt des Königreiches aufgrund ihrer Würde, wie in Jes. 7, 8: »Das Haupt Syriens ist Damaskus.« Gewisse Dinge aber haben zueinander Gleichförmigkeit gemäß der Einung der Ordnung, da sie nämlich auf ein Ziel hingeordnet sind. In diesen Dingen wird der Name Haupt aufgrund der Leitung beigelegt, welche durch die Hinordnung auf das Ziel geschieht. Und so werden die Fürsten Häupter der Völker genannt, gemäß Amos 6, 1: »Die Vornehmen sind die Häupter der Völker«.50 Wo aber Kontinuität vorliegt, da wird Haupt aufgrund des Einfließens ausgesagt, so wie eine Quelle Haupt eines Flusses genannt wird.51 Und auf diese drei Weisen wird Christus seiner menschlichen Natur nach Haupt der Kirche genannt. Er gehört nämlich mit den Menschen zur selben Natur gemäß der Art. Und so kommt ihm das Haupt-Sein aufgrund der Würde zu, insofern sich die Gnade in ihm in größerer Überfülle findet. In der Kirche findet sich auch eine Einheit der Ordnung, insofern sich die Glieder der Kirche gegenseitig dienen und auf Gott hingeordnet sind. Und so wird Christus Haupt der Kirche genannt wie ein Lenker. In der Kirche gibt es auch eine gewisse Kontinuität aufgrund des Heiligen Geistes, der als einer und derselbe der Zahl nach die ganze Kirche erfüllt und eint. Daher wird Christus seiner menschlichen Natur nach auch Haupt genannt aufgrund des Eingießens. Doch in geistlichem Sinn und auf geistliche Weise52 kann man das Einflößen zweifach verstehen: Auf die eine Weise wie ein hauptsächliches Wirkendes, und so kommt es nur Gott zu, den Gliedern der Kirche Gnade einzuflößen. Auf die andere Weise nach Art eines Werkzeugs, und so ist auch die Menschheit Christi Ursache des ge49 Vgl. Summa fratris Alexandri III n. 102 (S. 148); Isidor von Sevilla, Etymol. XII c. 2 (PL 82, 434 A). 50 Gemäß dem Vulgatatext. 51 Vgl. Isidor von Sevilla, Etymol. XIII c. 21 (PL 82, 490 B). 52 An dieser Stelle scheint sich im Text der Leonina ein Druckfehler zu finden. Statt »motum« muß es sinnvollerweise heißen »modum« (so auch in anderen Ausgaben, z. B. Marietti).

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nannten Einflößens. Denn wie Johannes von Damaskus sagt53: So wie das Eisen aufgrund des mit ihm verbundenen Feuers brennt, so geschahen auch die Handlungen Christi aufgrund der ihm geeinten Gottheit, deren Werkzeug die Menschheit Christi gleichsam war. Und dies scheint für den Begriff des Hauptes hinzureichen, denn auch das Haupt des natürlichen Leibes hat nur Einfluß auf die Glieder aufgrund einer verborgenen Kraft. Christus kann jedoch seiner menschlichen Natur nach gemäß den beiden letzten Bedingungen des Hauptes Haupt der Engel genannt werden, und Haupt beider (d. h. der Engel und der Menschen) gemäß der göttlichen Natur. Nicht aber kann er Haupt beider genannt werden gemäß der ersten Bedingung, außer man fasst die Gemeinsamkeit der Gattungsnatur in der Weise auf, daß Mensch und Engel in der vernunftbegabten Natur übereinstimmen. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht in der Gemeinsamkeit der Analogie, insofern es dem Sohn und allen Geschöpfen gemeinsam ist, vom Vater zu empfangen, wie Basilius sagt54, weswegen er auch der Erstgeborene aller Geschöpfe genannt wird (Kol. 1, 15). Um also im eigentlichen Sinn zu sprechen, ist der ganze Christus nach seinen beiden Naturen zugleich Haupt der ganzen Kirche gemäß den drei vorhin genannten Bedingungen. Durch diese drei Bedingungen beweist Paulus in Kol. 1, 18, daß Christus das Haupt der Kirche ist: »Er ist das Haupt des Leibes der Kirche, der Erstgeborene der Toten, damit er in allem den Vorrang hat« – bezüglich der Leitung; »denn es gefiel (Gott) in ihm, die ganze Fülle wohnen zu lassen« – bezüglich der Würde; »und durch ihn alles zu versöhnen« – bezüglich des Einflößens der Gnade. Zu 1. Sowohl das Lebendigmachen der Seelen, als auch das der Leiber wird der Gottheit des Wortes als dem hauptsächlich Wirkenden zugeschrieben, der Menschheit aber als einem Werkzeug. Dennoch wird das Leben der Seelen der Gottheit des Wortes und das Leben der Leiber der Menschheit gemäß einer gewissen Zueignung 53 Vgl. Johannes Damascenus, De fide orth. III, 19 (PG 94, 1080 B–1081 A; ed. Buytaert, 258–259); vgl. auch (PG 94, 1060 A; ed. Buytaert, 239). 54 Vgl. Johannes Damascenus, Hom. de fide n. 2 (PG 31, 468 A).

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zugeschrieben, damit die Aufmerksamkeit auf die Gleichförmigkeit zwischen Haupt und Gliedern gerichtet werde; so wie man auch sagt, daß die Passion Ursache für die Vergebung der Schuld, und die Auferstehung Ursache der Rechtfertigung ist. Zu 2. Die anderen Diener der Kirche bereiten nicht auf das geistliche Leben vor, noch wirken sie darauf hin wie aus eigener Vollmacht, sondern aus einer fremden; Christus aber aus eigener Vollmacht. Und daher kommt es, daß Christus aus sich selbst heraus die Wirkung der Sakramente gewähren konnte, denn die ganze Wirksamkeit der Sakramente war ursprunghaft in ihm. Dies können die anderen, die Diener der Kirche sind, jedoch nicht. Daher können sie auch nicht Haupt der Kirche genannt werden, außer vielleicht im Hinblick auf die Leitung, so wie jeder Fürst Haupt genannt wird. Zu 3. Jene Meinung vorausgesetzt, daß Christus nicht Fleisch geworden wäre, wenn der Mensch nicht gesündigt hätte, wäre Christus vor der Sünde das Haupt der Kirche allein gemäß der göttlichen Natur gewesen, doch nach der Sünde wäre es nötig gewesen, daß er Haupt der Kirche auch gemäß der menschlichen Natur sei. Denn durch die Sünde wurde die menschliche Natur verletzt und in die Sinnesdinge verstrickt, so daß sie für die unsichtbare Leitung des Wortes nicht (mehr) geeignet war. Daher war es nötig, für die Wunde eine Medizin anzuwenden durch die Menschheit Christi, mit Hilfe welcher Christus Genugtuung geleistet hat. Es war auch nötig, daß er eine sichtbare Natur annahm, damit der Mensch durch die sichtbare Leitung zum Unsichtbaren zurückkehre. Zu 4. Die menschliche Natur erlangte in Christus eine gewisse Unendlichkeit der Würde eben dadurch, daß sie der göttlichen Natur in der Person geeint wurde. Daher besteht für den Menschen nichts Ungerechtes darin, daß er gemäß der menschlichen Natur Christi dessen Schuldner bezüglich seines Heils geworden ist. Denn die menschliche Natur wirkt in Christus durch die Kraft der göttlichen Natur, wie gesagt worden ist. Daher verehren wir Christus in beiden Naturen durch eine Verehrung, nämlich durch die Gottesverehrung. Zu 5. Christus ist nicht nur gemäß der göttlichen Natur, sondern auch gemäß der menschlichen das Haupt der Engel, denn er erleuchtet sie auch gemäß seiner menschlichen Natur, wie Dionysius im

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siebten Kapitel Von den göttlichen Namen sagt.55 Daher heißt es auch in Kol. 1, 16, daß er selbst das Haupt aller Mächte und Gewalten ist. Dennoch verhält sich die Menschheit Christi anders zu den Engeln, als zu den Menschen (und zwar) in zweifacher Hinsicht: erstens hinsichtlich der Gleichförmigkeit der Natur, aufgrund derer er mit den Menschen in derselben Art ist, nicht aber mit den Engeln. Zweitens hinsichtlich des Zieles der Fleischwerdung, die natürlich hauptsächlich wegen der Befreiung des Menschen von der Sünde geschehen ist. Und so ist die Menschheit Christi auf den Einfluß, den sie auf die Menschen hat, hingeordnet wie auf das erstrebte Ziel. Der Einfluß aber auf die Engel ist nicht Ziel der Fleischwerdung, sondern ist eine Folge der Fleischwerdung. Zu 6. Christus wird von Paulus in 1 Kor. 12, 27 ausdrücklich Glied der Kirche genannt: »Ihr seid der Leib Christi und Glied von Glied.« Er wird aber im Sinne einer Unterscheidung von den anderen Gliedern der Kirche Glied genannt. Er unterscheidet sich aber von den anderen Gliedern aufgrund seiner Vollkommenheit, denn in Christus ist die Gnade in umfassender Weise, nicht aber in irgendeinem der anderen Glieder. So wie auch das Haupt des natürlichen Leibes sich von den anderen Gliedern unterscheidet. Daher darf man Christus keinerlei Unvollkommenheit zuschreiben. Zu 7. Das Herz ist ein verborgenes Glied, das Haupt aber ein offenbares. Daher kann das Herz die Gottheit Christi bezeichnen oder den Heiligen Geist, das Haupt aber Christus selbst gemäß seiner sichtbaren Natur, in welche die Natur der unsichtbaren Gottheit einströmt. Zu 8. Christus besaß vollkommenes Wissen von dem, wovon die anderen Glauben haben. Und deshalb ist er den anderen angeglichen wie das Vollkommene dem Unvollkommenen. Eine derartige Gleichartigkeit findet aber auch bei Haupt und Glied. Zu 9. Christus ist seiner Menschheit nach der Mittler zwischen Gott und den Menschen, wie es in 1 Tim. 156 heißt. Wie daher von Gott gesagt wird, daß er uns auf zweifache Weise gerecht macht, 55 Richtig: Dionysius Areopagita, De cael. hier. VII, 3 (PG 3, 209 B; Dion. II, 854). 56 Richtig: 1 Tim. 2, 5.

4. Artikel

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hauptsächlich nämlich durch seine Tätigkeit, insofern er die Wirkursache unseres Heils ist, sowie (zweitens) durch unser Handeln, insofern er das von uns erkannte und geliebte Ziel ist; so wird auch von Christus, insofern er Mensch ist, gesagt, daß er uns auf zweifache Weise gerecht macht: Auf die eine Weise, gemäß seiner Tätigkeit, insofern er für uns Verdienste erwarb und Genugtuung leistete, und insofern konnte er nicht Haupt der Kirche genannt werden vor der Fleischwerdung. Auf die andere Weise durch unser Handeln auf ihn hin, dem gemäß gesagt wird, daß wir durch den Glauben an ihn gerecht gemacht werden, und auf diese Weise konnte er Haupt der Kirche sein vor der Fleischwerdung. Auf beide Weisen aber ist er Haupt der Kirche gemäß seiner Gottheit, sowohl vorher, wie nachher. Zu 10. Da es in der Realität noch kein Verdienst und keine Genugtuung Christi gab, war die Fülle der Gnade nicht so groß wie nachher (nach der Fleischwerdung). Zu 11. Christus kommt der Begriff des Hauptes nicht nur aufgrund seiner Tätigkeit zu, sondern auch aufgrund unseres Handelns auf ihn hin, und daher geht das Argument nicht auf. Zu 12. Das Haupt-Sein oder das Einflößen aufgrund unseres Handelns auf ihn hin ist als Prädikat kein Naturding, sondern ein gedachtes Ding, und daher geht das Argument nicht auf. Zu 13. »Gott und Mensch sind ein Christus.«57 Daher folgt daraus, daß Christus sowohl gemäß der Menschheit, als auch gemäß der Gottheit Haupt ist, nicht, daß die Kirche zwei Häupter hat. Zu 14. In den Sätzen: »Gott ist das Haupt Christi« und »Christus ist das Haupt der Kirche« wird der Begriff »Haupt« nicht im selben Sinn ausgesagt. Daher beruht das Argument auf einer Äquivokation. Zu 15. Was auch immer Vollkommenes am Glauben und an der Hoffnung ist, es kommt Christus gänzlich zu. Allein dasjenige, was daran Unvollkommenes ist, wird von ihm verneint. Zu 16. Wenn Christus auch auf die eine Weise gemäß der Gottheit Haupt ist, so wird dadurch die Tatsache nicht aufgehoben, daß er auch auf die andere Weise gemäß der Menschheit Haupt ist. Denn von Christus gemäß der Menschheit nehmen wir unseren geistli-

57 Symbolum ›Quicumque‹ (Denzinger-Hünermann39 Nr. 76).

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chen Ursprung, gemäß Joh. 1, 16: »Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen.« Zu 17. Allein Gott kommt es hauptsächlich und wirkursächlich zu, die Seelen zu erleuchten. So aber flößt die Menschheit Christi nichts in uns ein, sondern auf andere Weise, wie gesagt worden ist.

5. Artik el Die fünfte Frage lautet: Ist in Christus irgendeine habituelle Gnade dazu erforderlich, daß er Haupt sei?58 Dies scheint nicht der Fall; denn: 1. Paulus setzt in Kol. 1, 19 für Christus den Begriff des Hauptes deshalb, »weil es (Gott) gefiel, in ihm die ganze Fülle wohnen zu lassen«, wie es die oben genannte Autorität59 verdeutlicht. Doch die ganze Fülle der Gottheit wohnte in Christus aufgrund der hypostatischen Union. Folglich ist außer der Union keinerlei Gnade dazu erforderlich, daß er Haupt sei. 2. Christus ist das Haupt der Kirche, sofern er zu unserem Heil wirkt. Das Heil hat uns aber das Wirken seiner Menschheit gebracht, wie Johannes von Damaskus sagt60, nämlich insofern, als seine Menschheit gleichsam das Werkzeug der Gottheit war. Da also in einem Werkzeug kein Habitus erforderlich ist, sondern es vielmehr allein durch die Bewegung des hauptsächlich Wirkenden bewegt wird, so scheint in Christus dazu, daß er Haupt sei, keinerlei habituelle Gnade erforderlich zu sein. 3. Das Tun eines Menschen kann auf zweifache Weise für einen anderen heilsam sein: Auf die eine Weise, insofern er als einzelne Person wirkt. Und bei dieser Weise ist dazu, daß sein Handeln für sich oder für andere verdienstvoll sein kann, Gnade erforderlich. Auf die andere Weise wie eine allgemeine Person (im Sinne einer 58 Paralleltexte: Sent. III, d. 13 q. 3 a. 2 qc. 1 etu. 2; Sum. theol. III, q. 8

a. 5. 59 Siehe De ver. q. 29 a. 4 sol. (in fine). 60 Vgl. Johannes Damascenus, De fide orth. III, 15 (PG 94, 1060 A;

ed. Buytaert, 239); ebd. 19 (PG 94, 1080 B; ed. Buytaert, 258).

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Rechtsperson) und von solcher Art sind die Diener der Kirche, die durch das Spenden der Sakramente und durch die Gebete, die sie in der Person der Kirche vor Gott hintragen, zum Heil der anderen wirken. Und dazu ist keine Gnade erforderlich, sondern nur eine Vollmacht oder ein Stand. Denn diese Handlungen werden nicht nur von Guten, sondern auch von Bösen ausgeführt. Christus aber wird, insofern er Haupt der Kirche ist, als allgemeine Person betrachtet, von welcher auch alle Diener der Kirche ihr Stellvertreteramt haben. Also braucht er dazu, daß er Haupt sei, keine habituelle Gnade. 4. Christus war insofern das Haupt der Kirche, als sein Verdienst unendlich war. Denn so konnte er in alle Glieder der Kirche (Gnade) einflößen zur Zerstörung aller Sünden. Doch sein Verdienst hatte die Unendlichkeit nicht von der habituellen Gnade, welche endlich war. Also war Christus nicht Haupt aufgrund irgendeiner habituellen Gnade. 5. Christus ist das Haupt, insofern er »der Mittler zwischen Gott und Menschen« (1 Tim 2, 5) ist. Doch der Mittler zwischen Gott und den Menschen ist er, insofern er ein Mittleres zwischen Gott und den Menschen ist, wobei er mit Gott die Gottheit und mit den Menschen die Menschheit gemeinsam hat. Und dieses Mittlere ist er durch die hypostatische Union. Also reicht die Union allein, ohne eine habituelle Gnade, für den Begriff des Hauptes aus. 6. Je ein Subjekt hat je ein Leben, die Gnade aber ist das Leben der Seele. Also ist in einer Seele eine Gnade. Und so wird in Christus außer der Gnade, die ihm als einer einzelnen Person zu eigen ist, keinerlei habituelle Gnade benötigt, durch welche er Haupt wäre. 7. Christus ist deshalb Haupt, weil er in die Glieder der Kirche Gnade einflößt. Doch soviel Gnade er auch hätte, Christus könnte sie nicht einflößen, wenn er nicht Gott und Mensch wäre. Also wird keine habituelle Gnade benötigt, durch welche er Haupt wäre. Dies hat er vielmehr allein aufgrund der Union. Dagegen spricht: 1. In Joh. 1, 16 heißt es: »Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade.« Und so besaß er irgendeine Gnade, durch welche er Gnade in uns ergoß.

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2. Das Haupt des mystischen Leibes hat eine Ähnlichkeit mit dem Haupt des natürlichen Leibes. Doch zur Vollkommenheit des natürlichen Leibes ist es erforderlich, daß in ihm (dem Haupt) das Sinnenvermögen in vollständigster Weise sei, damit es die Sinnbegabtheit in die Glieder ergießen könne. Also wird auch in Christus dazu, daß er Haupt sei, die Fülle der Gnade benötigt. 3. Dionysius sagt im 2. Kapitel der Himmlischen Hierarchie61, daß jene, die die anderen erleuchten, vervollkommnen und reinigen, das Licht, die Reinheit und die Vollkommenheit im Vorhinein besitzen. Doch Christus reinigt, erleuchtet und vervollkommnet, insofern er Haupt der Kirche ist. Also muß in ihm dazu, daß er Haupt der Kirche sei, die Fülle der Gnade sein, durch welche er rein, licht und vollkommen ist. Antwort: Wie Johannes von Damaskus sagt62, war die Menschheit Christi gleichsam ein Werkzeug der Gottheit, und deshalb konnten seine Handlungen für uns heilsam sein. Insofern sie also ein besonderes Werkzeug der Gottheit war, mußte sie auch eine besondere Verbindung zur Gottheit haben. Eine jede Substanz hat aber umso mehr Anteil an der Güte Gottes, je näher sie seiner Güte steht, wie es Dionysius im zwölften Kapitel der Himmlischen Hierarchie deutlich macht.63 Daher hatte auch die Menschheit Christi, eben dadurch, daß sie der Gottheit vor allen anderen in näherer und speziellerer Weise verbunden war, durch das Geschenk der Gnade in überragender Weise Anteil an der göttlichen Güte. Aufgrund dessen besaß sie eine Eignung dazu, nicht nur selbst Gnade zu besitzen, sondern die Gnade durch sich selbst auch auf andere zu ergießen, so wie durch die stärker leuchtenden Körper das Licht der Sonne auch auf die anderen Körper 61 Richtig: Dionysius Areopagita, De cael. hier. III, 3 (PG 3 165 D; Dion. II, 794). 62 Vgl. Johannes Damascenus, De fide orth. III, 15 (PG 94, 1060 A; Buytaert 239); ebd. 19 (PG 94, 1080 B; Buytaert 258). 63 Richtig: Dionysius Areopagita, De cael. hier. IV, 1 (PG 3, 177 D; Dion. II, 803).

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übergeht. Und da Christus allen vernunftbegabten Geschöpfen auf gewisse Weise die Wirkungen der Gnaden einflößt, kommt es, daß er gemäß seiner Menschheit auf gewisse Weise das Prinzip aller Gnade ist, so wie Gott das Prinzip allen Seins ist. Daher gilt: wie in Gott die Vollkommenheit alles Seienden vereint ist, so findet sich in Christus die Fülle aller Gnade und Tugend, durch welche er nicht nur selbst das Werk der Gnade zu leisten vermag, sondern auch die anderen in die Gnade einführen kann, und dadurch besitzt er die Bedeutung des Hauptes. Denn im natürlichen Haupt befindet sich das Sinnenvermögen nicht nur dazu, daß es mittels des Gesichts-, des Hör-, des Tastsinnes und der übrigen Sinne wahrnehme. Vielmehr ist das Sinnesvermögen in ihm auch wie in einer Wurzel, von der aus die Sinne in die anderen Glieder fließen. So also wird in Christus ein und dieselbe habituelle Gnade verschieden bezeichnet: Als Gnade der Union, insofern sie der geeinten göttlichen Natur angemessen ist; als Gnade des Hauptes, insofern durch sie ein Ergießen in die anderen geschieht zu deren Heil; als Gnade der einzelnen Person, insofern sie verdienstvolle Werke vollbrachte. Zu 1. In Christus wird eine zweifache Fülle erkannt: eine der Gottheit, der gemäß Christus ganzer Gott ist; die andere Fülle der Gnade, der gemäß er genannt wird: »Voll Gnade und Wahrheit« (Joh. 1, 25). Und von dieser Fülle spricht Paulus in Kol. 1, 18, von der ersten aber in Kol. 2, 9. Die zweite Fülle leitet sich aber von der ersten her und durch sie wird die Gnade des Hauptes vervollständigt. Zu 2. Ein unbelebtes Werkzeug, wie ein Beil es ist, benötigt keinen Habitus. Ein belebtes, wie es ein Sklave ist, benötigt ihn aber64, und ein solches Werkzeug der Gottheit ist die menschliche Natur in Christus. Zu 3. Ein Diener der Kirche handelt in den Sakramenten nicht aus eigener Kraft, sondern aus der Kraft eines anderen, nämlich Christi. Und deshalb wird in ihm keine persönliche Gnade benötigt, sondern allein die Vollmacht der Weihe, durch die er gleichsam zum Stellvertreter Christi eingesetzt ist. Christus aber hat unser Heil 64 Das Beispiel stammt aus: Aristoteles, Eth. Nic. VIII, 11; 1161 b 4.

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gleichsam aus eigener Kraft bewirkt. Daher mußte in ihm die Fülle der Gnade sein. Zu 4. Obwohl das Verdienst Christi einen gewissen Charakter der Unendlichkeit hat aufgrund der Würde seiner Person, so hat es den Charakter des Verdienstes dennoch aufgrund der habituellen Gnade, ohne welche kein Verdienst sein kann. Zu 5. Christus ist der Mittler zwischen Gott und den Menschen auch gemäß seiner menschlichen Natur, insofern er mit den Menschen die Leidensfähigkeit gemeinsam hat, mit Gott aber die Gerechtigkeit, die durch die Gnade in ihm ist. Und daher ist dazu, daß er Mittler und Haupt sei, außer der Union eine habituelle Gnade erforderlich. Zu 6. Ein und dieselbe Gnade ist auf die oben beschriebene Weise je nach verschiedener Bedeutung Gnade des Hauptes, der einzelnen Person und der Union. Zu 7. Wenn auch beide Naturen in Christus dazu benötigt werden, daß er Haupt sei, so folgt dennoch eben aus der Union der göttlichen Natur mit der menschlichen, daß in der menschlichen Natur eine gewisse Fülle der Gnade ist, aus der heraus ein Überfließen vom Haupt Christus auf die anderen geschieht.

6. Artik el Die sechste Frage lautet: Konnte Christus Verdienste erwerben? 65 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Alles Verdienst geht aus dem freien Willen hervor, der sich auf das Viele hin unbestimmt verhält. Doch der freie Wille verhielt sich in Christus in auf das Gute hin festgelegter Weise. Folglich konnte er keine Verdienste erwerben. 2. Wie sich Empfangender und Empfangenes zueinander verhalten, ebenso verhalten sich der Verdienste Erwerbende und die Belohnung zueinander. Denn dazu erwirbt einer Verdienste, damit er empfängt, was er verdient. Aber der Empfangende muß des Emp65 Paralleltexte: Sent. III, d. 18 a. 2; Sum. theol. III, q. 19 a. 3; Comp. theol. I, 231 (ed. Leon. XLII, 180).

6. Artikel

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fangenen entblößt sein, wie aus dem Buch Über die Seele hervorgeht.66 Folglich muß der, der Verdienste erwirbt, ohne Belohnung sein, was von Christus nicht gesagt werden kann, da er selbst wahrhaft Schauender war. Also scheint es, daß Christus keine Verdienste erwerben konnte. 3. Das, was jemandem geschuldet ist, muß er sich nicht verdienen. Doch eben dadurch, daß Christus Schauender war, war ihm die Leidensunfähigkeit des Geistes und des Leibes geschuldet. Also hat Christus dies nicht als Verdienst erworben. 4. Ein Verdienst besteht nicht im Hinblick auf das, was notwendigerweise erfolgt, gleichsam aus der Ordnung der Natur heraus. Denn ein Verdienst besteht im Hinblick auf das, was aus dem Willen eines anderen heraus erstattet wird wie ein Lohn. Aber die Herrlichkeit des Leibes folgt gemäß einer gewissen natürlichen Ordnung aus der Herrlichkeit der Seele, wie es nach Augustinus im Brief an Dioskur scheint.67 Da Christus also der Seele nach selig war, wie einer, der die Gottheit schauend genoß, so scheint es, daß er sich die Herrlichkeit des Leibes nicht verdienen konnte. 5. So wie Christus vor der Passion die Herrlichkeit der Seele besaß, aber nicht die des Leibes, so auch die Heiligen, die jetzt in der Herrlichkeit sind. Doch die Heiligen verdienen sich jetzt nicht die Herrlichkeit des Leibes. Also verdiente auch Christus sie sich nicht. 6. Der Ursprung und das Ziel des Verdienstes können nicht identisch sein und so können auch die Belohnung und der Ursprung des Verdienens nicht identisch sein. Aber die Liebe, die in Christus war, gehörte zu seiner Belohnung, denn sie war der Vollkommenheit der Seligkeit eigen, da er durch sie (die Gottheit schauend) genoß. Alles Verdienst aber rührt von der Liebe her. Folglich konnte in Christus kein Verdienst sein. 7. Wenn man das Erste wegnimmt, dann nimmt man auch das Spätere weg.68 Doch das Verdienst richtet sich zuerst auf die Selig66 Aristoteles, De an. III, 7; 429 a 20, nach der Interpretation des Averroes, In De anima III comm. 4 (ed. Crawford, 385). 67 Augustinus, Ep. 118, 14 (PL 33, 439; CSEL 34, 679). 68 Vgl. Petrus Hispanus, Summulae logicales tr. 5 nr. 21 (Tractatus, ed. de Rijk, 68).

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keit der Seele, welche Christus sich nicht verdiente, da er sie vom ersten Augenblick seiner Empfängnis besaß. Folglich konnte er auch nichts anderes als Verdienst erwerben. Dagegen spricht: 1. Zu Ps. 15, 1: »Behüte mich Gott« sagt die Glosse69: »Siehe, die Belohnung«; und zu: »denn ich habe auf dich gehofft«: »Siehe, der Verdienst.« Also hat Christus Verdienste erworben. 2. Wem auch immer ein Lohn erstattet wird für seine Werke, der erwirbt ein Verdienst. Aber Christus ist für die freiwillige Erniedrigung in der Passion der Lohn der Erhöhung erstattet worden, wie aus Phil. 2, 9 hervorgeht: »Darum hat Gott ihn erhöht«, usw. Also hat Christus ein Verdienst erworben. 3. So wie das (Gott) Genießen ein Akt des Schauenden ist, so das Verdienste erwerben ein Akt des Pilgers. Doch Christus genoß Gott, insofern er Schauender war. Also erwarb er auch Verdienste, insofern er Pilger war. Antwort: Christus erwarb sich vor der Passion Verdienste, als er Pilger und Schauender war. Dies wird in folgender Weise deutlich: Zum Verdienst sind nämlich zweierlei Umstände nötig, nämlich der Stand des Verdienenden, sowie die Fähigkeit zu verdienen. Zum Stand des Verdienenden ist es erforderlich, daß diesem das fehlt, von dem gesagt wird, daß er es verdient – obwohl einige sagen, daß jemand das verdienen könne, was er bereits hat. So sagen sie von den Engeln, daß diese die Seligkeit, die sie zugleich mit der Gnade empfingen, durch die nachfolgenden Werke verdient hätten, die sie unseretwillen taten.70 Doch dies scheint aus zwei Gründen nicht wahr zu sein. Erstens, weil es dem Beweis Augustins entgegensteht, mit dem dieser gegen die Pelagianer bewiesen hat, daß die Gnade nicht unter das Verdienst fallen kann, da vor der Gnade keine Verdienste sind, es sei denn 69 Glossa interlin. et Glossa Petri Lombardi (PL 191, 172 B); Psalmtext nach der Vulgata. 70 Diese Meinung wird von Petrus Lombardus aufgeführt: Sent. II, d. 5 c. 6 (ed. Coll. S. Bon. I, 353 f.).

6. Artikel

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schlechte, weil der Mensch vor der Gnade ein Gottloser ist und »den Verdiensten des Gottlosen nicht Gnade, sondern Strafe gebührt.«71 Es könnte nämlich gesagt werden, daß sich jemand die Gnade verdient durch die Werke, die er nach Empfang der Gnade verrichtet. Zweitens, weil es gegen den Begriff des Verdienstes ist, denn das Verdienst ist Ursache der Belohnung, nicht aber im Sinne einer Zielursache, denn so wäre eher die Belohnung Ursache des Verdienstes, sondern mehr im Sinne einer Zurückführung auf die Wirkursache, insofern das Verdienst jemanden der Belohnung würdig macht und ihn so zur Belohnung disponiert. Das aber, was auf wirkursächliche Weise Ursache ist, kann auf keinen Fall der Zeit nach später sein, als das, dessen Ursache sie ist. Daher kann jemand dasjenige, was er bereits hat, nicht verdienen. Wenn aber in menschlichen Beziehungen jemand seinem Herrn um einer empfangenen Wohltat willen dient, dann hat dies mehr den Charakter des Dankes als des Verdienstes. Die Fähigkeit Verdienste zu erwerben ist aber sowohl von Seiten der Natur, wie auch von Seiten der Gnade erforderlich. Von Seiten der Natur freilich, weil jemand nur dann durch einen eigenen Akt Verdienste erwerben kann, wenn er Herr seines Aktes ist, denn so kann er seinen Akt gleichsam als Preis für die Belohnung geben. Herr seines Aktes ist jemand durch den freien Willen. Daher wird die natürliche Fähigkeit des freien Willens zum Verdienen benötigt. Von Seiten der Gnade aber (ist die Fähigkeit zu verdienen erforderlich), weil die Belohnung der Seligkeit die Fähigkeit der menschlichen Natur übersteigt und der Mensch darum durch seine bloß natürlichen Anlagen nicht daran heranreicht, sie sich zu verdienen. Und deshalb ist dazu die Gnade erforderlich, durch die er sie sich verdienen kann. Dies alles aber war in Christus vorhanden. Es fehlte ihm lediglich etwas von dem, was zur vollkommenen Seligkeit erforderlich ist, nämlich die Leidensunfähigkeit der Seele und die Herrlichkeit des Leibes, und zwar deshalb, weil er Pilger war. Ebenso waren in ihm sowohl die Fähigkeit der Natur (zu verdienen) vorhanden aufgrund des geschaffenen Willens, als auch die Fähigkeit der Gnade (zu verdienen) wegen der Fülle der Gnaden, und deshalb konnte er Verdienste erwerben. 71 Augustinus, Ep. 194, 3, 7 (PL 33, 877).

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Zu 1. Wenn die Seele Christi auch entsprechend der Gattung der Sittlichkeit auf eines festgelegt war, nämlich auf das Gute, so war sie dennoch nicht schlechthin auf eines hin festgelegt. Denn sie konnte dies oder jenes tun oder nicht tun. Und deshalb blieb in ihr die Freiheit bestehen, die zum Verdienste Erwerben erforderlich ist. Zu 2. Die Seligkeit der Seele verdiente er sich aufgrund dessen, daß er Schauender war, nicht, sondern allein die Seligkeit des Leibes und die Leidensunfähigkeit der Seele, die ihm fehlten. Zu 3. Christus verdiente sich nicht irgendetwas wie etwas nicht Geschuldetes, damit es ihm geschuldet würde, wie sich die Menschen etwas im ersten verdienstvollen Akt verdienen; und wiederum auch nicht so, wie etwas, das geschuldet war, damit es noch mehr geschuldet würde, wie bei denen, deren Gnade vermehrt wird; sondern damit dasjenige, das auf eine Weise geschuldet war aufgrund der Gnade, ihm nun auch auf andere Weise aufgrund des Verdienstes geschuldet werde. Zu 4. Die Herrlichkeit des Leibes folgt aus der Herrlichkeit der Seele, wenn die Seele in jeder Hinsicht verherrlicht ist, sowohl in Hinordnung auf Gott hin, als auch in Hinordnung auf den Leib hin. Auf diese Weise war aber die Seele Christi nicht verherrlicht, sondern allein in Hinordnung auf Gott hin. Insofern sie aber die Form des Leibes war, war sie leidensfähig. Zu 5. Die Seelen der Heiligen in der himmlischen Heimat befinden sich gänzlich außerhalb des Standes der Pilger, denn sie sind bereits selig durch das Genießen (Gottes) und durch die Leidensunfähigkeit. Dies galt nicht für die Seele Christi und deshalb besteht hier keine Ähnlichkeit. Zu 6. Für sich genommen ist die Liebe immer geeignet, der Ursprung des Verdienens zu sein. Doch bisweilen ist sie nicht der Ursprung des Verdienstes (und zwar) um dessentwillen, der sie hat, wie es deutlich ist an den Heiligen in der himmlischen Heimat. Christus befand sich aber nicht außerhalb des Standes des Verdienens, da er ein Pilger war. Und deshalb genoß er (Gott) und erwarb er Verdienste durch dieselbe Liebe, wie auch durch denselben Willen. Dennoch war der Ursprung des Verdienstes und des Lohnes nicht identisch, denn er verdiente sich nicht die Herrlichkeit der Seele, zu der die Liebe gehört, sondern die Herrlichkeit des Leibes, wie gesagt worden ist.

7. Artikel

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Zu 7. Dieses Argument würde stimmig sein, wenn es Christus aus einem Mangel heraus zustoßen würde, daß er sich die Herrlichkeit der Seele nicht verdienen könnte, was sich aber aufgrund des Gesagten als falsch erweist.

7. Artik el Die siebte Frage lautet: Konnte Christus für andere Verdienste erwerben?72 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Christus konnte nur Verdienste erwerben, insofern er Mensch war. Aber die anderen Menschen können für die anderen keine gebührenden Verdienste erwerben, also auch Christus nicht. 2. Wie das Verdienst auf einem Akt der Tugend beruht, so auch das Lob. Aber niemand wird aufgrund des Werkes eines anderen gelobt, sondern nur aufgrund des eigenen. Also kann keinem ein fremdes Werk als Verdienst angerechnet werden, und so sind die Werke Christi nicht verdienstvoll für die anderen. 3. Christus ist das Haupt der Kirche, insofern er in der Kirche den Vorsitz hat, wie aus 1 Gal.73 hervorgeht. Doch die anderen Prälaten, die in der Kirche den Vorsitz haben, können für die Untergebenen keine Verdienste erwerben, folglich konnte es auch Christus nicht. 4. Für sich genommen verhält sich das Verdienst Christi in gleicher Weise zu allen Menschen. Wenn Christus also irgendjemandem das Heil verdiente, dann verdiente er es für alle. Aber das Verdienst Christi kann nicht umsonst sein. Also erhalten alle das Heil, was offensichtlich falsch ist. 5. Wie Christus das Haupt der Menschen ist, so auch der Engel. Den Engeln erwarb er aber keine Verdienste, also auch den Menschen nicht. 6. Wenn Christus für andere Verdienste erwerben konnte, dann war ein jeder seiner Akte verdienstvoll für uns; verdienend aber nur das Heil. Also war seine Passion nicht notwendig zu unserem Heil. 72 Paralleltexte: Sent. III, d. 18 a. 6 qc. 1; Sum theol. III, q. 19 a. 4; Comp. theol. I, 231 (ed. Leon XLII, 180). 73 Richtig: Kol. 1, 18.

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7. Wenn etwas durch eines geschehen kann, dann ist es überflüssig, wenn es durch zwei geschieht. Doch die Gnade, die dem Menschen gegeben ist, reicht dazu aus, daß sich der Mensch das Heil für sich selbst verdient. Also wäre es überflüssig, wenn es Christus für uns verdient hätte. 8. Entweder hat Christus in ausreichender Weise Verdienste für uns erworben oder in unzureichender. Wenn in ausreichender Weise, dann ist unser Verdienst nicht für das Heil erforderlich. Wenn in unzureichender Weise, dann hatte er (Christus) nur unzureichende Gnade. Beides ist unpassend. Folglich hat Christus keine Verdienste für uns erworben. 9. Wie den Gliedern Christi vor seiner Passion etwas zur Herrlichkeit fehlte, so ist es auch jetzt. Aber jetzt erwirbt er keine Verdienste für uns. Also hat er auch damals keine erworben. 10. Wenn Christus für uns Verdienste erworben hätte, dann wäre unsere Lebensbedingung verändert worden. Doch die Lebensbedingung des Menschen scheint nach Christus genauso zu sein, wie sie vor ihm war. Denn wie der Teufel vorher versuchen, aber nicht zwingen konnte, so ist es auch jetzt noch; wie die Sünden Strafe verdienten, so ist es auch jetzt noch; wie von den Gerechten verdienstvolle Werke gefordert werden, so ist es auch jetzt noch. Also hat uns Christus keine Verdienste erworben. 11. Im Ps. 62 (61), 13 heißt es: »Du erstattest einem jedem gemäß seinen Werken.« Dies aber wäre nicht so, wenn uns die Verdienste Christi angerechnet würden. Also hat uns Christus keine Verdienste erworben. 12. Die Belohnung wird zugemessen gemäß der Wurzel des Verdienstes. Wenn also Christus für uns Verdienste erworben hätte, dann würde einem jeden von uns die Belohnung der Herrlichkeit gemäß der Menge der Gnade Christi erstattet, was offensichtlich falsch ist. 13. Das, was für die Verdienste gegeben wird, wird eher erstattet, als daß es aus Gnade gegeben würde. Wenn uns Christus also die Rechtfertigung verdient hätte, dann sind wir scheinbar nicht aus Gnade von Gott gerechtfertigt und so wäre Gnade nicht Gnade. Folglich hat uns Christus nichts verdient.

7. Artikel

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Dagegen: 1. Christus hat für uns Genugtuung geleistet, denn 1 Joh. 174 heißt es: »Er ist die Sühne für unsere Sünden.« Doch die Genugtuung kann ohne Verdienst nicht sein. Also hat Christus für uns Verdienste erworben. 2. Im natürlichen Leib wirkt das Haupt nicht nur für sich, sondern auch für alle Glieder. Doch Christus ist das Haupt seines Leibes, nämlich der Kirche. Also hat Christus für uns Verdienste erworben. 3. Christus und die Kirche sind gleichsam eine Person. Doch aufgrund der genannten Einheit spricht er in Person der Kirche, wie aus der Glosse zum Ps. 21, 2 hervorgeht: »Gott, mein Gott, schau auf mich.«75 Also konnte Christus in ähnlicher Weise aufgrund der genannten Einheit gleichsam in Person der anderen Verdienste erwerben. Antwort: Das menschliche, von der Gnade geformte Werk, vermag auf zweifache Weise das ewige Leben zu erlangen, insofern es auch zwei Umstände sind, aufgrund derer der Mensch zum Erlangen der Herrlichkeit untauglich wird. Deren erster ist die Unwürdigkeit der Person, wie es deutlich ist an dem, der keine Liebe hat und der deshalb weder dazu geeignet, noch würdig ist, das ewige Leben zu haben. Und demgemäß vermag das menschliche Werk das ewige Leben zu erlangen, insofern aufgrund seiner eine gewisse Würde und Eignung im Menschen das Recht auf ein Erreichen der Herrlichkeit erlangt. Denn so wie der Akt der Sünde eine gewisse Entstellung der Seele bewirkt, so bewirkt der verdienstvolle Akt einen gewissen Glanz und eine gewisse Würde. Und daher wird er auch ein gebührendes Verdienst genannt. Das andere, wodurch der Mensch zur Erlangung der Herrlichkeit untauglich wird, ist ein hinzukommendes Hindernis, so daß der Mensch, der ansonsten würdig ist, die Herrlichkeit nicht erlangt. Dies ist das Stehen unter irgendeiner Strafe, wie es deutlich ist an einem Gerechtfertigten, der Schuldner irgendeiner zeitlichen Strafe ist. Und so ist das menschliche Werk auf die Herr74 Richtig: 1 Joh. 2, 2. 75 Vulgatatext.

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lichkeit hingeordnet gleichsam auf die Weise eines Preises, durch den vom Stehen unter einer Strafe losgesprochen wird. Und von da her hat das menschliche Werk den Charakter der Genugtuung. Hinsichtlich beider Umstände war das Werk Christi wirksamer als das Werk der anderen Menschen. Denn durch das Werk eines anderen Menschen wird nur jener zum Empfangen der Herrlichkeit geeignet, der es tut, deshalb weil ein Mensch in die anderen in geistiger Weise nichts einflößen kann. Daher konnte einer für den anderen aufgrund des gebührenden Verdienstes keine Gnade oder das ewige Leben verdienen. Doch Christus konnte seiner Menschheit nach auf geistige Weise Gnade in die anderen Menschen einflößen, weshalb sein Werk auch in den anderen die Eignung zum Erlangen der Herrlichkeit verursachen konnte. Daher konnte er für die anderen in gebührender Weise Verdienste erwerben, gemäß dem Umstand, daß er in die anderen auf geistige Weise Gnade einflößen konnte, insofern nach Johannes von Damaskus76 seine Menschheit Werkzeug der Gottheit war. Auf ähnliche Weise wird die Wirksamkeit auch in Bezug auf den zweiten Umstand in Christus als stärker angesehen, als in den anderen Menschen. Denn auch wenn ein Mensch für einen anderen Genugtuung leisten kann, solange sich jener in der Gnade befindet, so kann er dennoch nicht für die ganze menschliche Natur Genugtuung leisten, denn das Werk eines einzigen bloßen Menschen kommt nicht dem Gut der ganzen Natur gleich. Doch das Werk Christi besaß, insofern es das Werk Gottes und eines Menschen war, eine gewisse Würde, so daß es das Gut der ganzen Natur wert war. Und daher konnte er für die menschliche Natur Genugtuung leisten. Zu 1. Christus besaß als Mensch mehr Würde als die anderen Menschen. Daher muß den anderen das nicht zukommen, was dem Menschen Christus zukam. Zu 2. Ein Akt der Tugend erhält den Charakter des Lobes im Hinblick auf den Handelnden, und deshalb kann einer wegen des Aktes eines anderen nicht gelobt werden. Doch den Charakter des Ver76 Vgl. Johannes Damascenus, De fide orth. III, 15 (PG 94, 1060 A; ed. Buytaert, 239); ebd. 19 (PG 94, 1080 B; ed. Buytaert, 258).

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dienstes erhält er von der Hinordnung auf das Ziel hin, für welches jemand geeignet gemacht werden kann durch den Einfluß Christi. Und daher konnte Christus für uns Verdienste erwerben. Zu 3. Christus hat in der Kirche den Vorsitz aus eigener Kraft, die anderen Prälaten aber, insofern sie in der Person Christi und an seiner Stelle handeln. Daher konnte Christus für seine Gläubigen so wie für seine Glieder Verdienste erwerben, nicht aber die anderen Prälaten. Zu 4. Das Verdienst Christi verhält sich hinsichtlich seines Ausreichens in gleicher Weise zu allen, nicht aber hinsichtlich seiner Wirksamkeit. Dies rührt teilweise vom freien Willen her, teilweise von der göttlichen Erwählung, durch welche einigen die Wirkung der Verdienste Christi in barmherziger Weise zuteil wird, einigen aber aufgrund des gerechten Urteils entzogen wird. Zu 5. Wie das Verdienste-Erwerben dem Pilger zukommt, so kann man auch nur für einen Pilger Verdienste erwerben. Denn dem, für den man etwas verdient, muß etwas von dem fehlen, das unter das Verdienst fällt. Die Engel sind aber hinsichtlich der wesentlichen Belohnung keine Pilger, und darum erwarb er ihnen in dieser Hinsicht keine Verdienste. Sie sind jedoch in gewisser Weise Pilger, hinsichtlich der akzidentellen Belohnung, insofern sie uns dienen, wozu ihnen auch das Verdienst Christi hilft. Daher heißt es in Eph. 1, 10, daß durch ihn erneuert wird »was im Himmel und was auf der Erde ist.« Zu 6. Wenn auch jeder Akt Christi für uns verdienstvoll ist, so war es dennoch nötig, daß er anstelle aller den Tod erlitt, um für die Schuldigkeit der menschlichen Natur Genugtuung zu leisten, die aufgrund des göttlichen Urteilsspruches dem Tod verfallen war, wie aus Gen. 2, 17 hervorgeht. Zu 7. Die Gnade, die jemandem persönlich gegeben wird, reicht dazu aus, was zu dieser Person selbst gehört, nicht aber zur Lossprechung der Schuldigkeit der ganzen Natur. Dies ist deutlich an den Urvätern, die zwar Gnade besaßen, aber wegen der Schuldigkeit der Natur nicht zur Herrlichkeit gelangen konnten. Und deshalb waren das Verdienst und die Genugtuung Christi erforderlich, damit jene Schuldigkeit getilgt werde. Auch wurde die persönliche Gnade nach der Sünde des ersten Menschen niemals jemanden gegeben, es

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sei denn aufgrund des expliziten oder impliziten Glaubens an den Mittler. Zu 8. Das Verdienst Christi wirkt in hinreichender Weise wie eine allgemeine Ursache des menschlichen Heils. Doch muß diese Ursache jedem einzelnen durch die Sakramente und einen geformten Glauben zugeeignet werden, der kraft der Liebe wirksam ist. Und deshalb ist zu unserem Heil außer dem Verdienst Christi noch etwas anderes erforderlich, dessen Ursache aber dennoch das Verdienst Christi ist. [Zu 9. Die Lösung fehlt.] Zu 10. Nach der Passion Christi hat sich die menschliche Lebensbedingung sehr stark verändert, denn nach der Tilgung der Schuld der menschlichen Natur können die Menschen in freier Weise der himmlischen Heimat zueilen. Auch die ewigen Strafen für die persönlichen Sünden werden durch den Glauben an die Passion Christi erlassen, sowie die zeitlichen Strafen durch die Schlüsselgewalt, in der die Passion Christi wirkt, gemindert. Auch die Dämonen werden durch die Kraft der Passion niedergehalten, so daß sie nicht so heftig in Versuchung führen können. Den Gläubigen werden auch viele Hilfsmittel gegeben, um den Versuchungen zu widerstehen. Auch wird durch die Kraft der Passion Christi in den Sakramenten Gnade gegeben, um mit ihrer Hilfe Verdienste zu erwerben. Zu 11. Christus und seine Glieder bilden eine mystische Person, daher sind die Werke des Hauptes in gewisser Weise auch die der Glieder. Wenn uns deshalb aufgrund der Werke Christi etwas von Gott gegeben wird, dann geschieht das nicht gegen das, was im Psalm gesagt wird: »Du erstattest einem jedem gemäß seinen Werken.«77 Dennoch sind uns die Verdienste Christi in der Weise nützlich, daß sie durch die Sakramente in uns Gnade verursachen, durch die wir zu verdienstvollen Werken angestachelt werden. Zu 12. Das Verdienst Christi verhält sich zu unserer Belohnung wie eine Erstursache zu einer Zweitursache. Daher wird unsere Belohnung nicht nach dem Verdienst Christi bemessen, sondern nach jenem Verdienst, das die nächstliegende Ursache ist und das im eigenen Akt dessen besteht, dem die Belohnung erstattet wird. 77 Ps. 61, 13.

8. Artikel

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Zu 13. Eben dies wird uns umsonst von Gott geschenkt, daß wir die Wirksamkeit des Verdienstes Christi erlangen. Daher wird der Gnadencharakter dadurch nicht zerstört.

8. Artik el Die achte Frage lautet: Konnte Christus im ersten Moment seiner Empfängnis Verdienste erwerben?78 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Zum Verdienst scheint das Erwägen erforderlich zu sein. Doch das Erwägen erfordert Zeit. Also konnte die Seele Christi im ersten Moment seiner Empfängnis keine Verdienste erwerben. 2. Wie das Verdienst, so besteht auch sein Gegenteil im Akt des freien Willens. Aber ein Engel konnte im ersten Moment seiner Erschaffung nicht sündigen, denn so wäre er im ersten Moment seiner Erschaffung böse gewesen, was irrig ist.79 Also konnte auch die Seele Christi im ersten Moment ihrer Empfängnis keine Verdienste erwerben. 3. Wann immer zwei Bewegungen aufeinander hingeordnet sind, so ist es unmöglich, daß sie beide im selben Moment aufhören. Aber die Schöpfung der Seele Christi und die Bewegung seines freien Willens sind bestimmte geordnete Bewegungen, denn die Bewegung des freien Willens setzt die Schöpfung voraus. Also ist es unmöglich, daß die Bewegung des freien Willens im ersten Moment endet, in dem die Erschaffung endet, da nämlich die Seele zuerst geschaffen ist. 4. Es wurde gesagt: Der Seele Christi wurde zum Verdienste Erwerben im ersten Moment durch die Gnade geholfen. – Dagegen spricht: Keine Gnade, die einem Geschöpf verliehen wird, zieht dieses jenseits der Grenzen des Geschöpfes. Doch kommt es der Seele insofern sie geschaffen ist zu, daß sie im ersten Moment, in dem sie geschaffen ist, keinen freien Willen haben kann, wie aus dem an78 Paralleltexte: Sent. III, d. 18 a. 3; Sum. theol. III, q. 34 a. 3. 79 Im Jahre 1241 in Paris verurteilte These: Chart. Univ. Paris. I, 171;

vgl. Thomas, Sent. III, d. 3 q. 2 a. 1.

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geführten Argument hervorgeht.80 Also kann ihr durch die Gnade nicht dazu geholfen werden, daß sie im ersten Moment Verdienste erwerbe. 5. Die Gnade vollendet die Seele in der Weise eines Habitus. Da ein Habitus aber eine Potenz voraussetzt, so verleiht er der Seele nicht die Fähigkeit, schlechthin das tun zu können, was sie sonst nicht könnte, sondern die Fähigkeit, so handeln zu können, wie sie es ohne den Habitus nicht könnte. Wenn die Seele Christi also gemäß ihrer Natur im ersten Moment ihrer Erschaffung ihren freien Willen nicht gebrauchen konnte, so scheint es, daß ihr die Gnade nicht (die Fähigkeit) verlieh, im ersten Moment Verdienste zu erwerben. 6. Wie sich der Punkt zur Linie verhält, so der Moment zur Zeit. Gemäß Aristoteles im 8. Buch der Physik81 ist es aber so: wenn ein Bewegliches einen Punkt wie zwei benützt, nämlich zum Beispiel als den Anfang der einen Linie und das Ende der anderen, dann tritt notwendigerweise eine Ruhe dazwischen, wie es in der auf sich selbst bezogenen Bewegung82 deutlich ist. Da also der Moment, in dem die Seele Christi geschaffen worden ist, als Ende der Erschaffung genommen wird und als Anfang der Bewegung des freien Willens und wir so einen Moment wie zwei benützen, so scheint es, daß eine Zeit dazwischen tritt. Und so erwarb die Seele Christi nicht im ersten Moment ihrer Erschaffung Verdienste. 7. Wie sich die Natur zum Akt der Natur verhält, so die Gnade zum Akt der Gnade. Wenn man also die Glieder austauscht, so verhält sich die Gnade zum Akt der Natur, wie die Natur zum Akt der Gnade. Aber die Natur vermag nichts im Hinblick auf den Akt der Gnade. Also vermag auch die Gnade nichts im Hinblick auf den Akt der Natur. Folglich kann es nicht sein, daß die Seele Christi im ersten Moment ihrer Empfängnis aufgrund der Gnade einen Akt hatte, der ihr natürlicherweise zusteht, nämlich das Wählen. 8. Die Form hat drei Akte, denn sie verleiht das Sein, sie unterscheidet und sie ordnet auf das Ziel hin. Diese drei Akte aber sind aufeinander hingeordnet, so wie das Seiende, das Eine und das Gute. 80 Gemeint ist das vorausgegangene 3. Argument. 81 Aristoteles, Phys. VIII, 16; 262 a 12–b 8. 82 Gemeint: eine Hin- und Herbewegung.

8. Artikel

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Denn das Seiende bleibt vom ersten Akt zurück, das Eine vom zweiten und das Gute vom dritten. Also ist ein Ding früher ein Seiendes, bevor es auf ein Ziel hingeordnet ist. Die Seele Christi aber wurde durch den verdienstvollen Akt auf ein Ziel hingeordnet. Folglich kann es nicht sein, daß sie im ersten Moment ihrer Erschaffung, in welchem sie das Sein hatte, Verdienste erwarb. 9. Das Verdienst besteht im Akt der Tugend, welcher gemäß Aristoteles83 hauptsächlich durch die Wahl vollendet wird. Aber die Seele Christi konnte im ersten Moment ihrer Erschaffung keinen Akt der Wahl haben, denn die Wahl setzt ein mit sich zu Rate Gehen voraus, da sie ein Erstreben des zuvor Beratschlagten ist, wie es im dritten Buch der Ethik heißt.84 Das mit sich zu Rate Gehen erfordert jedoch Zeit, da es ein gewisses Nachforschen ist. Also konnte auch die Seele Christi im ersten Moment ihrer Empfängnis keine Verdienste erwerben. 10. Die Schwäche der Organe hindert den Gebrauch des freien Willens, wie es an neugeborenen Kindern deutlich ist. Doch Christus nahm diese Schwäche ebenso an wie unsere anderen Gebrechen. Also erwarb die Seele Christi nicht im ersten Moment ihrer Erschaffung Verdienste. Dagegen spricht: 1. Christus war seiner Seele nach im Moment seiner Erschaffung gänzlich vollkommen. Doch die größere Vollkommenheit ist diejenige, die gemäß dem Akt und gemäß dem Habitus besteht, als diejenige, die nur gemäß dem Habitus besteht. Also bestanden in Christus die Tugenden im ersten Moment seiner Erschaffung nicht nur gemäß dem Habitus, sondern auch gemäß dem Akt. Die Akte der Tugenden sind aber verdienstvoll. Also erwarb die Seele Christi im ersten Moment ihrer Erschaffung Verdienste. 2. Christus genoß (Gott) im ersten Moment seiner Erschaffung wie ein wahrhaft Schauender. Das Genießen aber geschieht durch den Akt der Liebe. Also besaß er im ersten Moment seiner Erschaf-

83 Aristoteles, Eth. Nic. VIII, 13; 1163 a 22. 84 Aristoteles, Eth. Nic. III, 6; 1112 a 15.

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fung den Akt der Liebe. Der Akt der Liebe aber war in Christus verdienstvoll, und so folgt dasselbe wie vorhin. 3. Es wurde gesagt: Der Akt der Liebe war nicht verdienstvoll, es sei denn, er geschah mit Erwägung. – Dagegen spricht: Erwägung oder »Beratschlagung handeln nicht vom Letzten, sondern von dem, was zum Ziel verhilft«, wie es im dritten Buch der Ethik heißt.85 Doch die Bewegung der Liebe ist hauptsächlich insofern verdienstlich, als sie auf das letzte Ziel hin gerichtet ist. Also ist es dazu, daß sie verdienstvoll sei, nicht nötig, daß dort eine Beratschlagung oder eine Erwägung stattfinden. 4. Es wurde gesagt: Jene Bewegung, die auf das letzte Ziel hin ist, ist nicht verdienstvoll, außer jemand bezieht sie auf das Ziel. Und so gibt es dort eine gewisse Beratschlagung, die nicht in einem Moment stattfinden kann. – Dagegen spricht: Der vernünftige Seelenteil ist in seinem Wirken mächtiger, als der sinnbegabte. Aber sobald jemand sinnlich wahrnimmt, nimmt er zugleich sinnlich wahr, daß er sinnlich wahrnimmt. Sobald also das Strebevermögen auf Gott gerichtet ist, kann ein Bezug dieser Bewegung zu Gott hergestellt werden und so ist es nicht notwendig, daß dies nacheinander geschieht. 5. Wer immer etwas erkennt, der erkennt zugleich, was zu diesem Erkannten dazugehört. So wie einer, der »Mensch« denkt, zugleich »Lebewesen« denkt. Aber das eine Glied einer Beziehung ist im Erkennen des anderen eingeschlossen. Wer immer also das eine Glied einer Beziehung erkennt, der erkennt zugleich das andere.86 Es ist also möglich, daß der Geist in dem einen und selben Augenblick die Bewegung der Liebe auf Gott bezieht, indem er einen Bezug zwischen dem einen und dem anderen herstellt, und so ist dort keine Zeit nötig. 6. Anselm von Canterbury sagt87, daß alles, was als vollkommen erkannt wird, gänzlich Christus zuzusprechen ist. Aber im ersten

85 Aristoteles, Eth. Nic. III, 5; 1112 b 11. 86 Vgl. Aristoteles, Cat. 7; 8 a 35. 87 Vgl. Anselm von Canterbury, Monologion, c. 15 (Op. omn., ed.

Schmitt, I, 28).

8. Artikel

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Moment seiner Erschaffung ein vollkommenes Wirken zu haben, gehört zur Vollkommenheit. Also ist es Christus zuzusprechen. 7. Christus konnte neben dem Verdienst seiner Seele keine Fortschritte machen. Er hätte es aber gekonnt, wenn er im ersten Moment seiner Erschaffung keine Verdienste erworben hätte. Also usw. 8. Das vernünftige Vermögen in Christus war nicht weniger vollkommen, als das natürliche Vermögen eines anderen Geschöpfes. Aber irgendein Vermögen eines anderen Geschöpfes kann im ersten Moment, in dem es zu sein beginnt, über sein Wirken verfügen, wie an der Lampe deutlich ist, die im ersten Moment, in dem sie entzündet wird, die Luft erleuchtet. Folglich besaß Christus im ersten Moment seiner Erschaffung den Akt des vernünftigen Vermögens und so konnte er Verdienste erwerben. 9. Gregor sagt in seiner Pfingstpredigt: »Die Liebe zu Gott ist nicht müßig, denn sie wirkt Großes, wenn sie da ist. Wenn sie aber aufhört zu wirken, dann ist sie keine Liebe.«88 Doch Christus besaß im ersten Moment seiner Erschaffung die vollkommene Liebe. Also war in ihm auch irgendein Akt der Liebe, und daher war in jenem Moment in ihm ein Verdienst. 10. Das, was der Natur nach später ist, kann der Zeit nach nicht früher sein, vielleicht aber zugleich. Das Verdienst aber ist der Natur nach früher als die Belohnung. Christus besaß aber im ersten Moment seiner Empfängnis die Belohnung, denn er war wahrhaft Schauender. Also hatte er wenigstens in diesem Moment ein Verdienst. Antwort: Hierzu gibt es eine zweifache Meinung: Einige sagen nämlich89, daß Christus im ersten Moment seiner Empfängnis keine Verdienste erwerben konnte, aber sofort nach dem ersten Moment damit

88 Gregor der Große, Homiliae in Evangelia II, 30, 2 (PL 76, 1221 B; CCSL 141, 257). 89 Z. B. Summa fratris Alexandri, III n. 130 (ed. Coll. S. Bon. IV, 183 a–b); Albertus Magnus, Sent. III, d. 18 a. 6 (ed. Borgnet XXXVIII, 320 a–b); Bonaventura, III Sent., d. 18 a. 1 q. 1 (III, 380 a–382 b).

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begann. Andere aber sagen90, daß er auch im ersten Moment selbst Verdienste erwarb. Diese Meinung scheint freilich vernünftiger91 zu sein, denn alles, was irgendeinem Geschöpf an geistiger Vollkommenheit möglich ist, davon glaubt man auch, daß es Christus im ersten Moment seiner Erschaffung zuteil geworden ist. Denn es kann aus zwei Gründen geschehen, daß in irgendeinem Moment kein Verdienst sein kann: auf die eine Weise von seiten des Handelnden, auf die andere Weise von seiten des Aktes. Von seiten des Handelnden kann es geschehen aufgrund eines Mangels einer zweifachen Fähigkeit: Nämlich der gnadenhaften Fähigkeit, so wie wenn wir sagen, daß jemand in dem Moment, in dem er eine Todsünde begeht, kein Verdienst erwerben kann, weil er keine Gnade besitzt; und wiederum aufgrund des Mangels an natürlicher Fähigkeit, so wie ein Kind, im ersten Moment seiner Empfängnis kein Verdienst erwerben kann, weil es nicht über den Gebrauch des freien Willens verfügt. Keiner der beiden Mängel kommt aber in der vorliegenden Frage in Betracht. Denn Christus besaß im ersten Moment die Fähigkeit von seiten der Gnade, da er ja voll der Gnade war, und ebenso die Fähigkeit von seiten der Natur, da er ja einen vollständigen Gebrauch des freien Willens hatte, andernfalls hätte er nicht Schauender sein können. Also gab es auf seiten Christi als des Handelnden nichts, wodurch er im ersten Moment seiner Empfängnis hätte weniger Verdienste erwerben können. Ähnlich verhält es sich von Seiten des verdienstvollen Aktes. Daß nämlich irgendein Akt in irgendeinem Moment nicht stattfinden kann, kann auf zweifache Weise geschehen: Auf die eine Weise dadurch, daß sich in jenem Akt eine Abfolge findet und er deshalb nicht in einem Moment vollendet werden kann – so wie eine Ortsbewegung nicht in einem Moment stattfinden kann. Zweitens dadurch, daß der Akt gewisse Umstände voraussetzt, die irgendeinem bestimmten Moment nicht vorausgehen können. So ist es beispielsweise nicht möglich, daß ein Feuer im ersten Moment seines Entstehens, wenn es außerhalb seines Ortes entstanden ist, an seinem eigentlichen Ort ist. Denn dazu ist vorher eine Bewegung erforder90 Z. B. Petrus Lombardus, Sent. III, d. 18 c. 2 (ed. Coll. S. Bon. II, 113). 91 Eine Textvariante liest hier: »wahrscheinlicher«.

8. Artikel

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lich, die aber nicht stattfinden kann vor dem ersten Moment seines Entstehens. Auf keine der beiden Weisen wird aber verhindert, daß Christus im ersten Moment Verdienste erwarb. Erstens, weil die Bewegung des freien Willens, in der das Verdienst besteht, keine Abfolge hat, sondern einfach und augenblicklich ist. Zweitens aber, weil zur Bewegung des freien Willens nichts im Voraus erforderlich ist, außer der Akt der wahrnehmenden Kraft. Diese Bewegung aber findet mit dem Willensakt im selben Moment statt, deshalb weil das wahrgenommene Gut den Willen bewegt. Die Wahrnehmung des Guten erfordert in Christus aber keinerlei Nachforschen im Voraus, um zu einem sicheren Urteil über das Gute zu gelangen. Denn hinsichtlich der Sicherheit besaß Christus sofort über alle Dinge ein wahres Urteil. Offenbar hindert also nichts daran, daß Christus im ersten Moment Verdienste erwarb. Deshalb muß man zugeben, daß er im ersten Moment seiner Empfängnis Verdienste erwarb. Zu 1. Das Erwägen bedeutet zweierlei, nämlich das Erfassen eines Grundes mit der Sicherheit des Urteils bezüglich dessen, dem das Erwägen gilt. Und auf diese Weise kann es in einem Moment stattfinden in demjenigen, der keinen Zweifel bezüglich dessen hat, was zu tun ist. Und auf diese Weise war es in Christus. Es kann aber auch eine Erörterung und ein Nachforschen besagen, und so bedeutet das Erwägen ein schrittweises Vorgehen, daher kann es nicht in einem Moment stattfinden. Eines solchen Erwägens bedurfte Christus nicht, denn er kannte keinen Zweifel bezüglich dessen, was zu tun war. Zu 2. Der vernünftige Wille der Natur ist auf natürliche Weise auf das Gute hingeordnet, nicht aber auf das Böse. Und deshalb kann er, wenn nicht etwas dazwischen tritt, im ersten Moment seiner Erschaffung auf das Gute gerichtet werden, nicht aber auf das Böse. Auf dieses kann er nämlich nicht gerichtet werden, außer aufgrund eines Irrtums, in den man durch Abwägen oder Nachforschen gerät. Daher ist für das Böse im Vorhinein eine Zeit des Abwägens erforderlich, nicht aber für das Gute. Zu 3. Dieses Argument gilt für nacheinander ablaufende Bewegungen, nicht aber für augenblickliche. Der Grund dafür ist der fol-

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gende: Wenn zwei Bewegungen aufeinander hingeordnet sind, dann kann derselbe Moment, der das Ende der ersten Bewegung ist, der Anfang der zweiten sein, so wie im selben Moment, in dem die Entstehung des Feuers außerhalb seines natürlichen Ortes vollendet wird, seine Ortsbewegung beginnt, wenn kein Hindernis dazwischentritt. Wenn also der Anfang der zweiten Bewegung und ihr Ende identisch sind, wie es bei augenblicklichen Bewegungen der Fall ist, dann findet das Ende der zweiten Bewegung im selben Moment wie das Ende der ersten Bewegung statt, so wie die Erleuchtung und das Sehen im selben Moment enden (ihr Ziel erreichen). Wenn aber das Ende der zweiten Bewegung nicht mit ihrem Anfang im selben Moment stattfinden kann, wie es in allen nacheinander ablaufenden Bewegungen der Fall ist, dann wird es unmöglich sein, daß das Ende der zweiten Bewegung zusammen mit dem Ende der ersten Bewegung im selben Moment stattfindet. Da also die Bewegung des freien Willens augenblicklich stattfindet, so hindert nichts daran, daß ihr Ende zusammen mit dem Ende der Erschaffung im selben Moment stattfindet. Zu 4. Dadurch ist die Lösung des vierten Einwands deutlich. Denn es liegt nicht außerhalb der Fähigkeit des Geschöpfes, daß seine augenblickliche Bewegung im ersten Moment vollendet wird. Zu 5. Auch wenn das vernünftige Vermögen, gemäß dem, was es selbst anbelangt, im ersten Moment seiner Erschaffung seine Tätigkeit ausüben kann, so kann es dennoch, wenn es von einem anderen Vermögen, das mit einem körperlichen Organ verbunden ist, etwas empfängt, und wenn dieses Organ noch nicht zur vollkommenen Tätigkeit geeignet ist, aufgrund des Mangels dieses Organs daran gehindert werden, seine Tätigkeit dann auszuüben. Dieses Hindernis wurde aus der Seele Christi aber durch die Gnade entfernt. Und demgemäß konnte er vom ersten Moment an handeln. Zu 6. Hinsichtlich des vorliegenden Falls besteht zwischen dem Moment in der Zeit und dem Punkt in der Größe keine Ähnlichkeit. Denn etwas Bewegliches kann denselben Punkt in der Größe nicht wie zwei benutzen, es sei denn in derselben Art der Bewegung. Aber etwas Bewegliches kann denselben Moment in der Zeit wie zwei benützen auch hinsichtlich verschiedener Arten von Bewegungen. Bei derselben Art der Bewegung aber ist es nicht möglich, daß eine

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Kontinuität der Bewegung besteht, wenn die eine Bewegung aktuell aufhört und die andere aktuell beginnt, denn so würde eine Ruhe dazwischentreten und damit eine Zeitspanne. Bei der Art nach verschiedenen Bewegungen ist es aber möglich, daß das Ende der einen Bewegung und das Ende der anderen zugleich sind, deshalb weil zwischen ihnen keine Kontinuität und keine Ordnung erfordert wird, da beide zugleich sein können. So kann etwas örtlich bewegt werden und zugleich weiß werden. Und in dem Moment, in dem das Weiß-Werden beginnt, endet die Ortsbewegung. Bisweilen herrscht aber unter den Teilen derselben Bewegung eine Ordnung, so daß zwei von ihnen nicht zugleich stattfinden können. Daher ist auch das Ende der einen Teilbewegung nicht zugleich mit dem Anfang der anderen, wenn sie beide als aktuelle aufgefasst werden. Und so ist deutlich, daß das Benützen eines Momentes als zwei nicht dazu zwingt, daß zwischen beiden eine Zeitspanne liegt, wie das Benützen eines Punktes als zwei Punkte in der Ortsbewegung dazu zwingt. Zu 7. Da die Gnade die Vollendung der Natur ist, so verhält sich die Gnade zur Natur nicht genauso wie umgekehrt die Natur zur Gnade. Die Vertauschung der Glieder des Verhältnisses (wörtlich: die vertauschte Proportion) gilt nicht für alle Verhältnisse, sondern nur in den kontinuierlichen oder diskreten Maßen. Zu 8. Dieses Argument gilt für die Ordnung der Natur nach, nicht für die Ordnung der Zeit nach, was daraus hervorgeht, daß die Form im selben Moment das Sein gibt, hinordnet und unterscheidet. Zu 9. Das mit sich zu Rate Gehen ist für die Wahl erforderlich, wenn sich jemand nicht sicher ist bezüglich dessen, was zu tun ist. Dies war in Christus nicht der Fall. Zu 10. Christus nahm keine Mängel an, die zu einer Unvollkommenheit der Gnade und des Wissens führen konnten. Ein derartiger Mangel ist aber die Unfähigkeit der körperlichen Organe für den Akt der Seele. Daher nahm Christus diesen Mangel nicht an. Vielmehr wurden die Organe durch die Gnade gestärkt, damit sie zur Tätigkeit der Seele geeignet seien, wie es vielleicht auch im Stand der Unschuld vorgekommen wäre. Die anderen Gegenargumente räumen wir ein, denn sie enthalten Wahres, wenn auch einige von ihnen nicht auf ausreichende Weise.

NACHWORTE

Von den 29 Quaestionen der Quaestiones Disputatae De Veritate handeln die ersten 20 von der Erkenntnis der Wahrheit, die 9 darauf folgenden von der Erkenntnis des Guten und der Gnade Gottes; vgl. zu dieser Aufteilung des ganzen Textkorpus das Nachwort zu Band 5 dieser Ausgabe, der als Teilband 5 von De Veritate die Quaestionen 21–24 zur Frage nach dem Guten enthält. Im vorliegenden Teilband 6 folgen nun die abschließenden Quaestionen 25–29 zum Thema der Gnade in den Übersetzungen und mit den zugeordneten Anmerkungen der drei für diesen Band verantwortlichen Autoren, denen entsprechend auch deren drei Nachworte zugeordnet sind: Zu den Quaestionen 25–26 von Jörg Alejandro Tellkamp, zur Quaestion 27 von Andreas Schönfeld und zu den Quaestionen 28–29 von Paul Hellmeier. Zu den Quaestionen 25–26 Jörg Alejandro Tellkamp Die Quaestionen 25 und 26 dieses abschließenden Bandes der Streitfragen über die Wahrheit befassen sich mit dem Thema menschlicher Affektivität. Die Begriffe, die Thomas von Aquin in ihnen zu erörtern sucht sind, in der Quaestio 25, die der Sinnesempfindung (sensualitas) und, in der 26. Quaestio, die der Leidenschaften der Seele (passiones animae). Da die Streitfragen über die Wahrheit in den Zeitraum der ersten Tätigkeit des Thomas in Paris als magister actu regens fällt, nämlich zwischen 1256 und 1259, ist davon auszugehen, daß die Quaestionen zur Affektivität gegen Ende dieser Periode verfaßt worden sind.1 Die sehr viel ausführlichere und systematischere Theorie der Affekte in der Prima Secundae der Summa 1 Vgl. J.-P. Torrell, Initiation à saint Thomas d’Aquin, Paris / Fribourg 1993, 488.

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Nachworte

theologiae wurde hingegen erst im Jahr 1271 redigiert.2 In philosophischer und theologischer Hinsicht steht die Analyse der Affekte aus De veritate den entsprechenden Passagen aus dem Sentenzenkommentar, der ja zwischen 1252 und 1256 entstand, näher, was nicht nur anhand der Vorgehensweise zu ersehen ist, sondern auch an der thematischen Nähe beider Schriften, in denen die Analyse von sensualitas und passio animae in moraltheologische Fragestellungen einmünden. Zu diesen gehört etwa die Auseinandersetzung mit der Frage, ob in der Sinnesempfindung Sünde sein kann oder ob die Affekte der Seele den auch eschatologisch zu verstehenden Verdienst schmälern.3 Obwohl die Analyse menschlicher Affekte in De veritate hinter den entsprechenden Passagen aus der Summa theologiae aus der systematischen Perspektive zurücksteht, handelt es sich um einen frühen Versuch, dieses Thema greifbar zu machen.4 Ganz allgemein kann man dort in Thomas’ Darstellung der Affekte einen theologischen Gesichtspunkt von einem philosophischen unterscheiden. Zudem kann man die von ihm vorgenommene begriffliche Analyse menschlicher Affektivität in philosophischer Hinsicht sowohl in einen metaphysischen als auch einen handlungstheoretischen Zusammenhang stellen. Im folgenden soll versucht werden diese beiden Aspekte zu verdeutlichen, wobei nicht immer eine scharfe Trennlinie zwischen sensualitas und passio animae gezogen wird. Im Gegensatz zu einer, grob gesagt, platonisierenden Haltung, nach der die verschiedenen Aspekte der Sinnlichkeit der wahren Vollendung des Menschen hinderlich sind und deswegen umgangen oder bekämpft werden müssen, sind für Thomas die Affekte untrennbarer Bestandteil der menschlichen Verfassung. Die Integration sensitiver Fähigkeiten und Funktionen in eine vollständige Beschreibung dessen, was der Mensch ist, ist in erster Linie auf 2 Ebd., 487. 3 Vgl. De ver. q. 25 a. 5 und q. 26 a. 7. 4 In der Tat befassen sich die meisten, in letzter Zeit veröffentlichten

Arbeiten ausschließlich mit Summa theologiae Prima Secundae qq. 22–48. Siehe etwa A. Brungs, »Die passiones animae (S.th. I-II qq. 22–48)«, in: Speer, Andreas (Hg.), Thomas von Aquin: Die Summa theologiae. Werkinterpretationen, Berlin 2005, 198–222

zu den quaestionen 25–26

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Thomas’ metaphysische Voraussetzungen zurückzuführen. Zum einen impliziert die hylomorphische Zusammensetzung materieller Substanzen ganz generell, daß es in re keine Unterscheidung zwischen den materiellen und formalen Bestandteilen geben kann.5 Zum anderen muß bedacht werden, daß die Form einer substantia composita immer auch diejenigen materiellen Bedingungen anzeigt, unter denen sie verwirklicht werden kann; aus diesem Grund liegt es auf der Hand, bei der Bestimmung der Spezies »Mensch« diejenigen materiellen Aspekte hinzuzuziehen, die durch das Zusammenwirken von Form und Materie zustandekommen. Der Körper an sich, das heißt allein in Hinblick auf seine materiellen Bestimmungen, ist lediglich natürlichen Bewegungen und Veränderungen unterworfen, die der Natur seiner Materie entspringen. So ist zum Beispiel die Fallbewegung eines Gegenstandes eine natürliche Ortsveränderung. Im Gegensatz dazu scheint es bei beseelten Lebewesen, vor allem aber bei Tieren und Menschen zu Veränderungen zu kommen, die sowohl eine körperliche Umwandlung erfahren als auch eine, wenn man so will, psychologische. Diese Veränderungen, die im Zusammenspiel von materiellem Körper und Seele qua Form entsteht, bezeichnet Thomas generell als passio animae. Zunächst scheint es aber, die Bezeichnung »Leidenschaft (beziehungsweise Affekt) der Seele« (passio animae) sei nichts anderes als ein begriffliches Ärgernis, denn die Seele, von der diese Leidenschaft ausgesagt wird, ist nach Thomas Akt des lebendigen Körpers. Was aber Form und Akt ist, scheint zugleich nicht auch Veränderungen unterworfen zu sein, denn dies würde bedeuten, die Form befände sich nicht nur in einem Zustand der Aktualität, sondern zugleich auch in einem solchen der Potentialität. Wenn also die Seele forma corporis ist, also der Akt eines lebendigen Körpers, dann ist dieser bereits als solcher aktualisiert und dies bedeutet, daß ein derart aktualisiertes Wesen einer Spezies zugeordnet werden kann. Wenn aber der Begriff der passio Potentialität und Veränderung anzeigt, so müßte er von der Bestimmung der Seele qua Form ausgeschlossen werden. 5 Siehe etwa De ente et essentia, cap. 2. (ed. Leon. XLIII, 370 ff.).

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Nachworte

Um dieser Schwierigkeit aus dem Weg zu gehen, legt Thomas nicht nur in De veritate einigen Wert auf die Klärung des Begriffs passio, wobei er unter anderem auf die Grundlagen der aristotelischen Physik zurückgreift und ihm drei unterschiedliche Bedeutungen zuordnet.6 Zum einen bezeichnet passio in einem weiten Sinn (communiter dicta) die Veränderungen und Vorgänge, die an einem materiellen Gegenstand auftreten; es handelt sich schlicht um den Übergang von Potenz zu Akt.7 Zum zweiten handelt es sich in einem enger gefaßten Sinn (proprie dicta) um den Verlust einer Eigenschaft, die einem Gegenstand zukommt; dieser Verlust kann entweder substantieller oder akzidenteller Art sein. Wenn die passio substantieller Art ist, dann kommt es zur Zerstörung des Gegenstandes, denn seine substantielle Form wird durch eine andere ersetzt, so daß ein Gegenstand entsteht, der einer anderen Spezies angehört. So wird etwa ein Stück Holz durch Hitze in Kohle verwandelt. Zuletzt ist von passio in einem uneigentlicheren Sinn (minus proprie) dann die Rede, wenn es an einem materiellen Gegenstand weder zu einer substantiellen noch zu einer akzidentellen Veränderung kommt. Vielmehr ist damit gemeint, daß ein Gegenstand eine wie auch immer geartete Form empfängt.8 Hierbei bewirkt ein aktives Vermögen an einem passiven eine Veränderung, wodurch das patiens in einem relevanten Sinn aktualisiert wird, wie es etwa der Fall ist, wenn der Kranke durch die Wirkung des heilenden Medikaments gesundet. In diesem Fall wird die Veränderung nicht durch eine entgegengesetzte Wirkursache bewerkstelligt, sondern durch eine dem zu verändernden Gegenstand ähnliche Ursache. Soweit wird deutlich, daß passio Veränderungen an materiellen Substanzen kenntlich macht.

6 Hierzu P. King, »Aquinas on Passions«, in: S. MacDonald und E. Stump (Hg.), Aquinas’s Moral Theory: Essays in Honor of Norman Kretzmann, Ithaca/London 1999, 101–132. 7 Siehe hierzu q. 26 a. 2 c. Auch Sum. theol. I q. 79 a. 2 c. 8 Thomas führt dies explizit in Kommentar zu De anima II, 11 (ed. Leonina XLV, 1), 112, 109 ff.

zu den quaestionen 25–26

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Dennoch ist damit noch nicht erklärt, weshalb es passiones animae geben kann. Die Seele als Form kann keinen Veränderungen unterworfen sein, denn schließlich ist sie Akt. Aus diesem Grund vertritt Thomas die Ansicht, sie erleide nicht an sich Veränderungen, sondern nur akzidentellerweise.9 Was dies bedeuten soll, verdeutlicht Thomas anhand des Beispiels des Zornes. Wann immer jemand zornig wird, werden gewisse körperliche Symptome augenfällig, nämlich, wie bereits Aristoteles feststellte, die Ansammlung des Blutes in Nähe des Herzens. Die dieser physiologischen Beschreibung entsprechende psychologische Erklärung, der Wunsch nach Rache, entspringt einem inneren Trieb, der rational geprägt ist, sich aber körperlich äußert. Auch wenn die Vernunftseele selbst keinen Veränderung ausgesetzt ist, so kann man in einem abgeleiteten Sinn davon sprechen, daß sie etwas erleidet, nämlich Zorn. Diese eigentümlich indirekte Bestimmung von Affekten der Seele als akzidentelle Veränderung der Seele wird von Thomas in handlungspsychologischer Hinsicht fruchtbar gemacht. Ganz im Einklang mit der philosophischen Tradition unterscheidet er einen kognitiven Bestandteil der Affekte von dem appetitiven, nämlich in dem Sinn, daß es zu Affekten nur dann kommen kann, wenn man eine Vorstellung oder einen Begriff von dem hat, was den Affekt verursacht.10 Die Erkenntnis eines Sachverhalts, sei diese sensitiv oder rational, ist notwendige Bedingung für das Haben eines gewissen Affekts. Wenn jemand etwa Furcht vor einer Epidemie hat, so ist es notwendig, zumindest im Ansatz zu wissen, was eine Epidemie ist. In diesem Sinn werden die menschlichen Affekte von der Vernunft geprägt. Doch auch auf der Ebene sinnlichen Strebens, wie sie bei Tieren auftritt, ist der kognitive Aspekt von Bedeutung. In Anlehnung an Avicenna verwendet Thomas in der Prima Pars der Summa theo9 Siehe wiederum q. 26 a. 2 c. 10 Der kognitive Aspekt der passiones animae bei Thomas wird ganz

zu Recht von S. Knuuttila, Emotions in Ancient and Medieval Philosophy, Oxford 2004, 253 hervorgehoben. Es geht dabei nicht darum, den Affekten selbst Urteilsleistungen zuzusprechen, sondern sie als Folge von solchen Urteilen, seien sie sinnlich oder rational, zu sehen.

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Nachworte

logiae das Beispiel des Schafes, das deswegen vor dem Wolf flieht, weil es in ihm eine Gefahr für sein Leben erkennt.11 Auch wenn es einen profunden Unterschied zwischen rational geprägtem und nicht rationalem Streben gibt, so geht Thomas dennoch davon aus, daß sowohl die sinnliche als auch die vernünftige Erkenntnis von Gegenständen eine affektive Reaktion bedingen. Alle Affekte korrelieren mit physiologisch-körperlichen Veränderungen; diese treten aber deshalb auf, weil das Tier oder der Mensch einen Gegenstand als zu erstrebend oder zu vermeidend erkennt. Im Fall tierischer Affekte, wie etwa beim Schaf, das den Wolf als ein Übel wahrnimmt, wird der Gegenstand ausschließlich als individueller erkannt und ausschließlich als Anfangs- oder Endpunkt eines affektiv gesteuerten Strebens. Das menschliche sinnliche Streben hingegen wird in ein enges Verhältnis mit den rationalen Fähigkeiten gestellt. Trotz der fundamentalen Differenz von tierischem und menschlichem Streben geht Thomas davon aus, daß es in beiden Fällen einer sowohl körperlichen als auch psychologischen Beschreibung unterworfen ist, wobei im Mittelpunkt steht, daß Affekte generell beobachtbares Verhalten bedingen. Die zentralen Begriffe, die ein solches Verhalten erklären helfen, sind die der überwindenden (irascibilis) und der begehrenden (concupiscibilis) Sinnesempfindungen (sensualitas). Thomas’ Darstellung der Sinnesempfindung und der Affekte der Seele befindet sich in einem dem mittelalterlichen Leser geläufigen Kontext von Autoritäten; die wichtigsten von ihm zitierten Quellen sind Nemesius von Emesas De natura hominis, das im Mittelalter für ein Werk des Gregor von Nyssa gehalten wurde, Johannes von Damaskus’ De fide orthodoxa und Avicennas De anima.12 Auch die Sentenzen des Petrus Lombardus sind ein beständiger Bezugspunkt für Thomas, vor allem was die moraltheologische Einordnung menschlicher Affektivität betrifft. 11 Siehe Summa theologiae I q. 78 a. 1 c. 12 Vgl. Nemesius von Emesa, De natura hominis, traduction de Bur-

gundio de Pise, Hg. Gérard Verbeke und J. R. Moncho, Leiden 1975; Ioannes Damascenus, De fide orthodoxa (Patrologia graeca 94), Paris 1864. Avicenna Latinus, Liber De Anima seu Sextus De naturalibus, 2 Bde., Hg. Simone van Riet, Leuven/Leiden 1972 und 1968.

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Da Thomas’ Vorläufer, v. a. aber Nemesius und Avicenna, die Begrifflichkeit größtenteils vorwegnehmen, soll knapp von ihnen die Rede sein. Nemesius geht von zwei Annahmen aus, nämlich zum einen, daß affektive Äußerungen immer auch solche des Körpers sind, die ihren Ursprung in körperlichen Organen, vor allem dem Hirn und dem Rückenmark haben.13 Zum anderen verweisen die Affekte immer auch auf einen Handlungszusammenhang; dies bedeutet, daß sie grundsätzlich von beobachtbarem Verhalten begleitet werden. Es müssen allerdings die körperlich-affektiven Äußerungen von solchen passiones unterschieden werden müssen, die eine rein körperliche Veränderung des Körpers bezeichnen, wie es etwa bei Krankheiten der Fall ist. Eine Krankheit, die den Körper in Mitleidenschaft zieht, verursacht zwar eine passio, sie bedingt aber keine Handlung, sondern verursacht nur Schmerz. Aus diesem Grund meint Nemesius, Affekte seien passiones in einem äquivoken Sinn, da sie nicht eigentlich eine rein körperliche Veränderung bedeuten, sondern nur die Empfindung (sensus) einer solchen Veränderung.14 Diese Empfindung ist eine Bewegung der Sinnesvermögen, die dadurch zustande kommt, daß etwas unter dem Gesichtspunkt des Guten oder Schlechten betrachtet wird.15 Die Vorstellung eines Sachverhalts als eines guten oder schlechten, die, so Nemesius, im irrationalen Teil der Seele stattfindet, bewirkt unterschiedliche Affekte, die sich auf einen gegenwärtigen oder zukünftigen Sachverhalt richten. Das daraus resultierende Strebevermögen (desiderativum) äußert sich in vier Typen von Affekten, von denen zwei auf ein Gut gerichtet sind und zwei auf ein Übel.16 Handelt es sich um ein zu erwartendes Gut, so spricht man von Begehren (desiderium); ist es hingegen ein gegenwärtiges, so spricht man von Lust (voluptas). Ein zu erwartendes Übel bringt Furcht 13 Nemesius (wie Anm. 12), 111, 7–9. 14 Nemesius (wie Anm. 12), 93, 3: »[…] Passio aequivoce dicitur […]«.

Zeile 10: »Non igitur passio est dolor, sed passionis sensus«. 15 Nemesius (wie Anm. 12), 93, 12 f: »[…] Passio est motus concupiscitivae virtutis sensibilis, in imaginatione boni et mali«. 16 Nemesius (wie Anm. 12), 95, 45 f.

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Nachworte

(timor) hervor, während ein gegenwärtiges Trauer (tristitia) erzeugt.17 Thomas folgt in De veritate diesem Schema, ergänzt es aber um weitere Affekte. Während die handlungstheoretisch relevante Unterscheidung der Affekte, die letzten Endes auf die stoische Philosophie zurückgeht, von Thomas rezipiert wird, entspringt die Differenz begehrender und überwindender Sinnesempfindungen, die er unter dem Leitbegriff der Sinnesempfindung diskutiert, dem De anima des persischen Philosophen Avicenna. Sein Modell weist eine gewisse Ähnlichkeit zu Nemesius’ Differenzierung gegenwärtiger und zukünftiger Güter oder Übel auf, spricht aber von überwindenden und begehrenden Affekte (passiones irascibiles et concupiscibiles). Dabei stellt er die Funktion des überwindenden Strebens in erster Linie in den Dienst des Begehrens, das beim Menschen unter dem Einfluß der Vernunft steht. In diesem Sinn ist es Avicennas Überzeugung, daß concupiscibilis und irascibilis Ausformungen des Willens sind.18 Sowohl Nemesius und Avicenna nehmen also wichtige Aspekte des thomasischen Affektenlehre, so wie sei in De veritate dargestellt wird, vorweg. Bei Thomas selbst steht die Idee im Vordergrund, daß Sinneswesen, vor allem die sogenannten animalia perfecta und auch Menschen einen unmittelbaren appetitiven Bezug zur wahrnehmbaren Welt herstellen können. Aufgrund der Wahrnehmung der materiellen Welt, die von den äußeren und inneren Sinnen geleistet wird, gelangt das Tier bzw. der Mensch dazu, einen Sachverhalt als guten oder schlechten aufzufassen.19 Wird etwas als gut und zuträglich erkannt, ergibt sich eine Bewegung des Zustrebens, wird es als ein Übel wahrgenommen, ist die entgegengesetzte Bewegung die Folge. Beide Bewegungen, die des Zustrebens und des Fliehens dienen dabei primär der Selbsterhaltung, also des Lebens und nicht so sehr des guten Lebens. Das Vermögen des Begehrens (concupiscibilis) stellt die Grundform sinnlichen Strebens dar, indem es danach trachtet, den als gut 17 Ebd. 18 Avicenna (wie Anm. 12), Bd. 2, 55–57, 96–9. 19 Vgl. q. 26 a. 2 c.

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oder übel repräsentierten Sachverhalt unmittelbar erlangen oder vermeiden zu wollen. In diesem Sinn strebt beispielsweise der Hund unmittelbar nach dem Knochen, nachdem er ihn wahrgenommen und als guten erkannt hat. Dieses ist das Modell, nach dem jedes sinnliche Streben funktioniert. Nun ist es aber durchaus die Regel, daß der Gegenstand des Begehrens nicht unmittelbar erreicht werden kann, wie es der Fall sein kann, wenn der besagte Hund den Knochen auf der anderen Seite eines Zauns sieht. Das überwindende Vermögen (irascibilis) dient hierbei der Funktion, sich über Hindernisse in der Art hinwegzusetzen, daß dem begehrenden Vermögen Genüge getan werden kann. Das Vermögen das sinnliche Streben über eine Zeitspanne und gegen räumliche Hindernisse aufrechtzuerhalten setzt hierbei kognitive Fähigkeiten voraus, durch die es möglich wird einen zukünftigen Sachverhalt zu repräsentieren. Aus diesem Grund meint Thomas, das überwindende Vermögen sei dem vernünftigen Willen ähnlich und zugleich dem begehrenden Streben überlegen. Der Unterschied zwischen begehrenden und überwindenden Vermögen bildet die Grundstruktur – Thomas kennzeichnet sie als Gattungen (genera) – der Affekte.20 Es bleibt dementsprechend die Frage nach den Arten (species) der Affekte. Es sind diese, die er als passiones animae im eigentlichen Sinn bezeichnet. Sowohl dem begehrenden als auch dem überwindenden Vermögen entsprechen die unterschiedlichen Affekte gleichsam als spezifische Differenz. Um die diversen Affekte voneinander zu trennen, ordnet sie Thomas entweder dem begehrenden oder dem überwindenden Vermögen zu.21 In Bezug auf das begehrende Vermögen stellt er fest, daß sich bezüglich eines Sachverhalts konträre Affekte ergeben können, wie es etwa bei Liebe und Haß der Fall ist, die deshalb zustandekommen, weil etwas als gut oder schlecht erfaßt wird. Dieses Modell konträrer Wertungen erstreckt Thomas auf alle Affekte des Begehrens. Es handelt sich hierbei um Liebe (amor) und Haß (odium), Flucht (fuga) und Begehren im engen Sinn (desiderium), Trauer (tristitia) und Freude (gaudium). Den Affekten werden ihnen entspre20 Vgl. q. 26 a. 4 c. 21 Ebd.

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Nachworte

chende Bewegungen zugeordnet, die auf einen Gegenstand zu- oder von ihm wegstreben. Sie tun dies allerdings nicht unabhängig voneinander, so daß die Affekte, die ein Gut erstreben, in einem geordneten Verhältnis untereinander stehen, ebenso wie es bei den auf ein Übel gerichteten Affekten der Fall ist. In dieser Hinsicht stellt Thomas fest, die erste Bewegung des begehrenden Vermögens sei die Liebe, gefolgt vom Begehren im engen Sinn und schließlich von der Freude. Mit dieser Staffelung scheint er die Entwicklung sinnlicher Bewegungen im allgemeinen nachzeichnen zu wollen. Zunächst bedarf es eines Wunsches zur Vereinigung mit einem Gegenstand, den man als guten auffaßt (Liebe), danach muß sich der tatsächliche Bewegungsimpuls in Richtung auf den Gegenstand hinzugesellen (Begehren im engen Sinn) und abschließend stellt sich der Zustand der Vollendung des Wunsches ein, der durch den Begriff der Freude beschrieben wird. Analog dazu verhalten sich die auf einen als schlecht erkannten Gegenstand gerichteten Affekte: Haß, Flucht und Trauer. Die Affekte des Überwindens, die passiones irascibiles, hingegen unterliegen einer anderen Grundlegung. Wie bereits erwähnt, beruhen sie auf den begehrenden Affekten, insofern immer zuerst die Vorstellung eines unmittelbar zu erlangenden Gegenstandes angenommen werden muß. Da die überwindenden Affekte darauf abzielen, in zeitlicher oder räumlicher Hinsicht dieses Begehren zu verlängern, kommt Thomas zum Schluß, daß der den überwindenden Affekten eigentümliche Gegenstand die Schwierigkeit (arduum) an sich ist. Analog zur Speziesbestimmung der begehrenden Affekte, ordnet Thomas dem überwindenden Vermögen unterschiedliche Affekte zu, die allesamt die Funktion haben, Hindernisse zu bewältigen. Diese Hindernisse zur Befriedigung der Affekte des Begehrens werden ebenfalls in den konträren Begriffen von »gut« und »übel« beschrieben. Dies bedeutet etwa, daß wenn die Schwierigkeit einen begehrten, als gut erkannten Gegenstand zu erlangen überwunden werden kann, sich der Affekt der Hoffnung (spes) einstellt; ist dies nicht der Fall, so kommt es zu Hoffnungslosigkeit (desperatio). Wird ein Gegenstand als schlechter dargestellt, so tritt entweder Furcht (timor) auf, wenn das Hindernis nicht überwunden werden kann, oder Kühnheit

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(audacia), wenn dies der Fall sein sollte. Zuletzt, und ohne konträren Affekt, kommt der Zorn (ira). Er ergibt sich dann, wenn sich das Begehren auf einen anwesenden Gegenstand richtet, der jedoch nicht erlangt werden kann, beispielsweise wenn der Hund den Knochen sieht, ihn fressen möchte, ihn aber doch nicht ergattern kann. Da die überwindenden Affekte letzten Endes wieder auf einen begehrenden Affekt zurückfallen, tritt als Folge des Zorns Trauer auf. Zur Quaestion 27 Andreas Schönfeld »Mit dieser Darstellung des Gnadenlebens und -wirkens Christi schließt die Gnadenlehre ab, die in den vorausgehenden Untersuchungen begonnen hat. Sie bildet zugleich den Abschluß des ganzen Werkes. Es begann mit der ersten, der ewigen Wahrheit, von der alles geschöpfliche Sein und Erkennen seinen Ausgang nimmt, und schließt mit dem Weg, der geschöpfliches Sein und Erkennen zur Vereinigung mit der Ewigen Wahrheit zurückführt.«22 Damit beschließt Edith Stein ihre Übersetzung der Quaestiones disputatae de veritate. Bis heute war ihre Übersetzung die einzige von De veritate ins Deutsche geblieben. Sofern man davon absieht, daß sie auf die Übersetzung der Einzelargumente und deren Beantwortung weitgehend verzichtet. Diese werden nur in ihren Hauptpunkten referiert. Dadurch wird die Feinstruktur der thomasischen Lehre, wie sie sich gerade in der Vielzahl der Einzelargumente zeigt, leider etwas verdeckt. Somit fällt etwa die Modifikation, die Thomas an der augustinischen Identitätsthese von Sein und Wahrheit vornimmt, weniger deutlich ins Auge. Was insbesondere durch sein Lehrstück von den transzendentalen Erstbegriffen geschieht (vgl. q. 1). Thomas konzipiert »Wahrheit« nicht primär als jedem Erkenntnisakt vorgängige Seinswahrheit, sondern in erster Linie als die der Vernunft gegebene Möglichkeit zum Erkennen (adaequatio rei et intellectus). 22 E. Stein, Thomas von Aquin, Über die Wahrheit 1–2. Freiburg u. a. 2008 (EGS; Bd. 23–24); hier Bd. 24, 873; Bd. I (qq. I–XIII) erschien 1931 u. Bd. II (XIV–XXIX) 1932.

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Nachworte

Durch den Wegfall zahlreicher Einzelargumente ist der Zusammenhang der Gnadenlehre zu diesen Änderungen weniger einsichtig. Es lässt sich nicht mehr im Detail zu verfolgen, wie Thomas den Voluntarismus der augustinischen Gnadenlehre durch seinen Habitusbegriff ausgleicht, um die Inhärenz der Gnade im Subjekt zu begründen; oder wie die Lehrstücke von der Instrumentalursächlichkeit und der göttlichen Hilfe (auxilium divinum) an sich richtige Intentionen des Pelagianismus zu integrieren suchen. Die Unausgewogenheit der Gnadenlehre Augustins lag darin, daß die menschliche Freiheit als reine Rezeptivität gedacht wurde. Pelagius’ Betonung der freien Selbstbestimmung angesichts der heilsgeschichtlichen Offenbarung durch das göttliche Gesetz, Christi Lehre und Beispiel (»äußere Gnade«) bildete dazu ein Gegengewicht.23 Analog zur Höherbewertung der abstraktiven Erkenntnisleistung der Vernunft zeigt sich im Begnadungsgeschehen eine differenziertere Bestimmung der Eigendynamik der menschlichen Natur. Insbesondere Thomas Konzeption der Gnade als »geschaffener Form« (forma creata) bildet einen Gegenpol zum Ansatz Augustins, dessen Denken sich in neuplatonisch-psychologischen Kategorien bewegt (»innere Gnade«). Thomas wahrt in seiner Gnadenlehre den anthropologischen Ansatz Augustins, modifiziert ihn aber mit Hilfe der aristotelischen Metaphysik und Psychologie. Der Begriff der »Gnade« (gratia) und seine Erfahrungsseite (Bekehrung) wird von ihm systematischer, mehr ontologisch konzipiert. Dies geschieht vornehmlich mit Hilfe aristotelischer Begriffe. Allerdings darf man nicht vergessen, daß Thomas die aristotelische Metaphysik in heilsgeschichtlicher Perspektive umformuliert. Auf dieser Grundlage gelingt es ihm, die existentiell-personale Seite (Willensfreiheit, Heilswille Gottes) mit dem ontologisch-sapientialen Wesen der Gnadenwirklichkeit (Innesein, Übernatürlichkeit) weitgehend zum Ausgleich zu bringen (thomasische Synthese). Thomas schreibt allerdings noch keinen geschlossenen Gnadentraktat De gratia. Die Abhandlung über die Gnade bildet in De veritate noch ein Lehrstück im Gesamtaufbau der Quaestionen. Die 23 Vgl. G. Greshake, Gnade als konkrete Freiheit. Eine Untersuchung zur Gnadenlehre des Pelagius. Mainz 1972, 150 ff. u. 265 ff.

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Fragen De gratia (q. 27), De iustificatione impii (28) und De gratia Christi (29) bilden den theologischen Abschluß von De veritate. Ihr Entstehungskontext ist Thomas’ erster Pariser Lehraufenthalt. Die Ausarbeitung von De veritate erstreckte sich auf die drei akademischen Jahre 1256–1259. Die genannten Quaestionen sind gegen Ende des Pariser Magisteriums gehalten worden. Die Auseinandersetzung mit der Gnadenlehre des Petrus Lombardus († 1160), welcher hauptsächlich die augustinische Lehrmeinung referiert, und seiner Kommentatoren – Albertus Magnus, Alexander von Hales, Bonaventura – bildet das Fundament für seine Gnaden- und Rechtfertigungslehre in De veritate. Es ist anzunehmen, daß Thomas im Gesamtplan von De veritate die Gnadenlehre von Beginn an als deren Abschluß konzipiert hat. Der Sentenzenkommentar (1254/56) gibt uns Zeugnis von der Gnadentheologie des jungen Thomas. Petrus Lombardus hatte die Gnadenlehre im Anschluß an die Schöpfungs- und Urstandslehre dargestellt (Sent. II, d. 25–29). Dieser erörtert die Gnade noch nicht systematisch im Zusammenhang. Thomas hält sich äußerlich an die Abfolge der Distinktionen, erarbeitet aber eine grundlegende Systematik, wobei er die einzelnen Fragen reduziert und übergreifend erörtert. Dies bildet das Grundgerüst für De veritate, q. 27–29. Im Sentenzenkommentar stellt Thomas die Frage »Ist die Gnade etwas positiv Geschaffenes in der Seele« an den Anfang seiner Kommentierung.24 Im Rahmen der Trinitätslehre, der Unterscheidung des Heiligen Geistes von der Tugend der »caritas«, lautet die Ausgangsfrage: »Ist die Liebe etwas Geschaffenes in der Seele.25 Hier wird von Thomas erörtert, inwieweit die Liebe des Gerechtfertigten zu Gott (gratia creata) von der Einwohnung des Heiligen Geistes (gratia increata) zu unterscheiden sei. Die gleiche Fragestellung findet sich im Kommentar seines Lehrers Albertus Magnus (In Sent. I, d. 17, a. 1), auch bei den Franziskanertheologen Alexander von Hales (Sum. theol. III, inq. I, tr. I, q. 2, a. 2) und Thomas Zeitgenossen Bonaventura (In

24 Vgl. In Sent. II, d. 26, q. 1 a. 1. 25 Vgl. In Sent. I, d. 17, q. 1 a. 1.

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Nachworte

Sent. I, d. 17, a. un., q. 1). Thomas übernimmt den Lösungsansatz seines Lehrers Albert und führt ihn weiter. Die Erörterung des Wesens der Gnade bildet den Ausgangspunkt von De veritate, q. 27. Damit war eine systematische Basis gegeben, von der aus die Lösung der anderen Fragen abgeleitet werden konnte. Wir finden hier den Grundansatz der thomasischen Gnadenlehre auf den Punkt gebracht. Dadurch daß Thomas die Darlegung über das Wesen der Gnade (a. 1–2), ihrem Innesein in der Seele und den Sakramenten der Kirche (5–7) mit der Frage nach der Kausalität der äußeren Gnadenvermittlung verklammert (3–4), ergibt ein organischer Übergang zur Rechtfertigungslehre (q. 28). Die Einheit des Begnadungsgeschehens wird auf diese Weise metaphysisch ohne Vernachlässigung ihrer psychologischen Seite von Bekehrung und Gnadenwachstum (Beharrlichkeit) und ihren kausalen Prinzipien her begründet (a. 8–9). Der erste Fragenkomplex von De veritate steht unter dem Leitthema des Wahren und der Erkenntnis (q. 1–20). Die zweite Quaestionenreihe orientiert sich an der Frage nach dem Guten und Streben nach dem Guten (21–29). Von daher ist es plausibel, daß Thomas die Frage nach dem »Wissen Christi« (20) als Abschluß der Erkenntnislehre (1–19) einordnet und mit der Frage De gratia Christi (29) den Themenbereich es »Über das Gute« abschließt. Wie später in der Summa theologiae wird hier »Gnade« zunächst strukturell als äußeres Prinzip eingeführt (gratia externa), welches die menschliche Handlungswirklichkeit unfehlbar auf Gott hin finalisiert. Das geschöpfliche Glücksstreben (desiderium naturale) wird übernatürlich in der seligen Anschauung Gottes durch das göttliche Heilshandeln vollendet (visio beatifica).26 Gnade als inneres Prinzip wird als Folge der auf den Sünder »von außen« zukommenden göttlichen Gnade gedacht. Bereits der Aufbau von De veritate spiegelt damit die thomasische Synthese wieder: Menschliches Handeln und Gnadenwirken Gottes werden so ins Verhältnis gesetzt, daß sie nicht konkurrieren, sondern auf verschiedenen Kausalebenen ineinandergreifen. Die Gnadenlehre ist als Fortführung und Überbietung der natürlichen Ethik zu verstehen; vgl. qq. 21–26. 26 Vgl. Sum. theol. I-II, q. 1–21 u. 109–112 u. De ver., q. 22/24 u. 27.

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Die Erörterung der Gnade in De veritate bildet das Bindeglied zur Gnadenlehre der Summa contra gentiles (1258/645) und Summa theologiae (1266/73): »Die Art, wie er in der Summa von der Gnade spricht, setzt einen Weg voraus, der von den Sentenzen über De veritate führt.«27 Thomas erörtert die Thematik »Gnade« als geschlossene Abhandlung erstmals in den Kapiteln 147–163 des 3. Buches der Summa contra gentiles (1262/1263). In der Summa theologiae handelt er davon am Schluß der Prima-Secundae (I-II, q. 109–114), welche er im zweiten Pariser Magisteriums 1271 verfasst. Gegenüber dem Sentenzenkommentar erscheint die Gnadenlehre in der Summa contra gentiles (III, c. 147–163) sehr zusammengedrängt, auf Nebenfragen wird weitgehend verzichtet. Die Darlegung wird auf die These fokussiert, daß der Mensch sich die göttliche Hilfe nicht verdienen kann.28 Ausgangspunkt der Darlegung ist – im Unterschied zu De gratia – die Notwendigkeit einer »göttlichen Hilfe« (auxilium divinum), um die Gnade bzw. Seligkeit zu erlangen (III, c. 147 ff.). Diese Fragestellung finden wir in De gratia nicht eigens behandelt, sondern wird zuvor in q. 24 thematisiert. Feststeht prinzipiell auch dort, daß der Mensch sich selbst aus seinen eigenen Kräften, nämlich »ohne göttliche Hilfe« (»sine divino auxilio«), Gott nicht wieder zuwenden kann (ad 1). Damit ist grundsätzlich mit Augustinus die Grenze zum Pelagianismus gezogen. In der Frage 24 wird dieser Beistand im Rahmen der allgemeinen Weltlenkung Gottes gedacht (De providentia). Die »Hilfe« wird von Thomas hier aber noch nicht strikt übernatürlich bestimmt. Diese göttliche Hilfe scheint irgendwie von der »heiligmachenden Gnade« unterschieden zu sein. In der Summa contra gentiles wird die göttliche Hilfe hingegen als eine »höhere Weise der Lenkung« aufgefasst (auxilium supernaturale) und praktisch mit der heiligmachenden Gnade identifiziert. Hier wird der Lehrfortschritt in der Gnadenlehre gegenüber De veritate greifbar. Thomas möchte damit den »Irrtum der Pelagianer«, also jede Vorbereitung des Menschen auf die Rechtfertigungsgnade mittels der eigenen Willensfreiheit, 27 Vgl. J.-P. Torrell, Magister Thomas. Leben und Werk des Thomas von Aquin. Freiburg u. a. 1995, 86. 28 Vgl. ScG III, c. 149 u. In Sent. II, d. 27 a. 4.

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Nachworte

ausgeschlossen wissen. Damit ist die Grenzziehung zum »Semipelagianismus« eindeutig vollzogen.29 Thomas hat wahrscheinlich Anfang der 60er Jahre in Italien Augustins Schriften De praedestinatione Sanctorum bzw. De dono preserverantiae gefunden und studiert. Diese Entdeckung des historischen Semipelagianismus führt ihn dazu, die notwendige »göttliche Hilfe« bei der Hinkehr des Sünders zu Gott (initium fidei) nicht mehr im Horizont der allgemeinen Mitwirkung Gottes in seinem Geschöpf zu denken (regressus in Deum), sondern explizit als »Gnade» zu bezeichnen. Der Hauptunterschied in der Lehre zwischen Frühwerk und späteren Werken besteht in diesem Punkt. Man könnte von einer latent semipelagianischen Tendenz in De veritate sprechen. Thomas Grundgedanke lautet: »ohne Gnade, aber nicht ohne Gott«. Die göttlichen Hilfen, auch »göttlicher Antrieb« genannt – vgl. q. 24, a. 15 c. (instinctus divinus) –, »aktuieren etwas, was ontologisch schon gegebenen ist: die Finalität der von Gott ausgehenden und den Menschen betreffenden Bewegung«.30 Natur und Gnade sind noch nicht so genau unterschieden wie es im Spätwerk geschieht. Thomas hatte damit die Annahme einer eigenen »Vorbreitungsgnade« (gratia media) ausgeschlossen, was die Empfänglichkeit des Menschen für die Gnade unterbewertet hätte. In den Fragen 27–29 wird nirgends untersucht, was der freie Wille (liberum arbitrium) ohne Gnade zu leisten vermag. Es stellte sich das Problem, inwieweit ein Mensch ohne göttliche Hilfe überhaupt etwas Gutes tun kann, ob ihm eine gewisse Disposition auf die Rechtfertigungsgnade aus eigenen Kräften möglich ist (ex puris naturalibus). Die Frage wird q. 24, a. 14 »Ist freie Entscheidung ohne Gnade zum Guten möglich?« und a. 15 »Kann sich der Mensch ohne Gnade auf die Gnade vorbereiten?« angesprochen, aber eben nicht eindeutig gelöst. Die Frage nach einer Vorbereitung auf Bekehrung (conver-

29 Vgl. ScG III, c. 147; 150 u. Sum. theol. I-II, q. 100 a. 10 arg. 3. (»error Pelagianorum«). 30 Vgl. M. Seckler, Instinkt und Glaubenswille nach Thomas von Aquin. Mainz 1962, 183.

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sio ad deum) bzw. Glaubensanfang (initium fidei) wird zudem in der Vorsehungslehre angesprochen.31 In der Summa contra gentiles wird jede Form der Verdienstlichkeit ausgeschlossen, um die Ungeschuldetheit der Gnade zu sichern. Als »auxilium divinum« ist sie notwendige, nun aber gänzlich ungeschuldete Bedingung, um das gottbestimmte übernatürliche Ziel (Seligkeit) erreichen zu können: »Gnade erscheint hier in erster Linie als zweckbestimmtes Hilfsmittel für den Menschen zur Erlangung seines letzten Zieles.«32 Ähnlich verhält es sich in der Summa theologiae. Die Fragen über die Gnade (I-II, q. 109 ff.) bilden die Fortführung der Seligkeitslehre, Handlungstheorie und Tugendethik (q. 1–89). Im Vergleich zur Contra gentiles wird die Gnade in De veritate und der Summa theologiae differenzierter zur Handlungswirklichkeit in Beziehung gesetzt. Thomas’ Lösung besteht darin, daß Gnade gerade nicht das Handeln wirkursächlich determiniert, sondern vielmehr Erkennen und Wollen heilswirksam zu ihrem bereits mit der Schöpfung zugedachten Endziel hin befreit (vita aeterna). Die Kernfrage des Semipelagianismus war damit beantwortet, aber keineswegs abschließend gelöst: »Was soll noch alle ethische und asketische Anstrengung, wenn Gott zwar nicht ohne uns handelt, aber letztlich nicht wir selbst etwas vermögen?«33 Dies nahezu unlösbare Kernproblem, welches die nachtridentinische Gnadentheologie im Übermaß beschäftigen wird – die Frage nach dem Wesen der »aktuellen Gnade« (gratia actualis) als notwendige zuvorkommende und auch beständige göttliche Hilfe –, ist für Thomas in De veritate und auch im Spätwerk kein eigenes Problem. Er unterscheidet Geschöpfsein (unbegnadete Natur) und Begnadung (übernatürliche Finalisierung) eindeutig voneinander. Jedoch sind für ihn »Natur« und »Gnade« noch nicht zwei getrennte Entitäten im Sinne eines neuscholastischen »Zweistockwerk-Denkens«. Thomas denkt 31 Vgl. De ver., q. 5, a. 5 u. 7 u. 6, a. 1–2. 32 Vgl. H. Lais, Die Gnadenlehre des Hl. Thomas in der Summa Con-

tra Gentiles. München 1951, 27. 33 Vgl. O. H. Pesch /A. Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung. Darmstadt 1981, 35.

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das unbegnadete Geschöpf nicht abstrakt (natura pura) – fiktive reine Natur ohne Bestimmung zur Gottesschau plus ungeschuldetete Gnade als übernatürliche Finalisierung –, sondern im Horizont der tatsächlichen Heilsgeschichte, wonach der Mensch von Anfang in seiner Wesensbeschaffenheit auf Gott ausgerichtet wurde (desiderium naturale). Die Themenfolge in De veritate spiegelt bereits den Aufbau der Summa theologiae wider. Das exitus-reditus-Schema der Summa, wonach der Mensch aus Gott hervorgeht und mittels übernatürlich erhöhten Erkennen und Wollen durch die Gnade wieder zu Gott als Ziel seines Lebens zurückkehrt, ist bereits grundsätzlich vorzeichnet. Im Hinblick auf die Gnadenlehre als theologischen Schlußstein von De veritate lässt von einem Dreischritt sprechen: I. q. 1–20: Die Dynamik des Geistes ergibt sich aus dem Verhältnis von Gott und Natur bzw. Schöpfung (Prinzipien), II. q. 21–26: Der Mensch steht mit seinen Vermögen und Realisierungen zwischen Freiheit und Sünde (Vermittlungen) und 3. qq. 27–29: um die übernatürliche Vollendung zu erlangen, bedarf der Mensch der Erlösung durch Christus und seiner Gnade (Ziel). Die Systematik von De veritate unterstreicht somit die Funktion der Gnade: Sie überformt natürliche Intentionalitätsstruktur der Seele. Von Natur aus ist das Streben auf Gott hin orientiert (Lehre vom finis ultimus). Die Frage 27 De gratia umfasst insgesamt 7 Artikel, welche sich in drei Themenkreise zusammenfassen lassen: I. Wesen der Gnade (a. 1–2), II. Vermittlung der Gnade (3–4) und III. Einheit der Gnade (5–7). Im Folgenden soll der Gedankengang in seinen Hauptlinien nachgezeichnet werden. (1) Der Erste Artikel »Ist Gnade etwas positiv Geschaffenes in der Seele?« bestimmt die »heiligmachenden Gnade«, die sogenannte gratia gratum faciens (»wohlgefällig machende Gnade«). Sie kann aufgrund ihrer Wirkung, nämlich der Gerechtmachung des Sünders, auch »Rechtfertigungsgnade« genannt werden (gratia iustificans). Diese habituelle Gnade (gratia habitualis) steht im Mittelpunkt der Erörterung. Daß die heiligmachende Gnade etwas in Gott bedeutet, ist für Thomas evident. Denn die Begnadung des Menschen wurzelt im göttlichen Heilswillen (Vorsehung). Gott will für den Menschen ein »übernatürliches Gut« (bonum supernaturale), welches im ewi-

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gen Leben besteht. Die unverdiente Annahme des Sünders (acceptio divina), worin Gnade wesentlich besteht, setzt einen göttlichen Willensakt voraus, in dem der Mensch von Gott angenommen wird. Fraglich ist hingegen, ob das »geistliche Sein« (esse spirituale) der Gnade schlechthin mit der Annahme Gottes identisch ist, also nur etwas in Gott selbst realisiert. Thomas schließt hier von vornherein die umstrittene Sonderlehre des Petrus Lombardus aus (»einige behaupten«), welcher die geistige Liebe (caritas), mit der der Mensch Gott liebt, mit dem Heiligen Geist identifiziert: »quod ipse idem Spiritus Sanctus est amor sive caritas, qua nos diligimus Deum et proximum«.34 Diese These wird ausführlich in Artikel 2 widerlegt. Das Hauptargument lautet: Daß Gott ein solches Gut (ewiges Leben) nicht für einen Unwürdigen wollen kann. Der Mensch ist von Natur aus, vor allem aufgrund seiner Sündhaftigkeit, dieses Gutes an sich nicht würdig. Von daher ist gefordert, daß Gott selbst den Menschen in Bezug auf dieses Gut »wohlgefällig« (gratus) macht. Nicht die Inhärenz der Gnade im Menschen bewegt den Willen Gottes zur Annahme. Vielmehr umgekehrt: Aufgrund dessen, daß Gott durch seinen Heilswillen den Menschen auf das ewige Leben hinordnet, verleiht er ihm über seine natürliche Wesensausstattung (naturalia) hinaus eine geistige Gabe (donum), durch welche er seinsmäßig des ewigen Lebens würdig ist, d. h. die heiligmachende Gnade. Durch die Gnade als etwas positiv zur Natur »Hinzugefügtes« (superadditum) wird der Mensch zu dem ihm von Gott zugedachten übernatürlichen Gut in heilswirksame Beziehung gesetzt (ad 11). Der Begriff »superadditum« ist allerdings leicht mißverständlich. Thomas meint keine substanzartige Hinzufügung zur Natur, sondern will damit die Ungeschuldetheit der Gnade sichern. Die gnadenhafte Erhebung ist eine unmittelbare Finalisierung des Strebens auf Gott hin. Die natürliche Dynamik wird in die Gnadenwirklichkeit integriert, darin überformt und vollendet. Gnade wäre ohne Natur keine Gnade: »Gnade setzt die Natur voraus« (gratia supponit naturam). Der scholastische Grundsatz wird von Thomas in Artikel a. 6 ad 3 angeführt.35 Natur und Gnade lassen sich 34 Vgl. In Sent. I, d. 17, q. 1 a. 1 u. Sum. theol. II-II, q. 23 a. 2. 35 Vgl. auch De ver., q. 24 a. 9 ad 8.

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Nachworte

nur relational in ihrem Wesen bestimmen und voneinander abheben. Die Unmittelbarkeit der Schöpfungsrelation zwischen Gott und Kreatur, daß also Gott die einzige Wirkursache der Seinsverleihung an das Geschöpf ist (creatio ex nihilo), kann nicht als Erklärungsmodell für die Begnadung dienen. Denn die Seinsverleihung an das einzelne Geschöpf erfolgt mittels einer Formursache (causa formalis). Die Annahme des Menschen wird zwar allein durch den göttlichen Willen bewirkt – keine zweite causa efficiens –, wohl aber geschieht die Begnadung nicht unvermittelt im Menschen. Wie die Wesensform eines Seienden (forma substantialis) das formalursächliche Vermittlungsprinzip des kreatürlichen Seins ist, so vermittelt die Gnade als »geschaffene Form« (forma creata) das umsonst verliehene übernatürliche Sein (ad 3). Entscheidend ist der Gedanke, daß Gnade eine Formursache ist, »formgebende Form« (forma informans), welche – analog zur »Weiße« (albedo), die ohne eine andere mediale Form etwas unmittelbar »weiß« macht (nulla forma mediante) – die Seele und ihre Kräfte auf Gott ausrichtet (ad 1 u. 7). Die geschaffene Gnade ist »formursächliches Mittel« (medium formale), um die Seele Gott ähnlich zu machen (ad 10). Würde der Erlösungswille in Gott nichts Positives im Menschen schaffen, so wäre die Begnadung nichts anderes als die Gegenwart Gottes im Heiligen Geist (gratia increata). Die »Natur« wäre letztlich entweder divinisiert oder von der Gnade getrennt. Der 5. Artikel fasst das prägnant zusammen: Gnade als »göttliche Annahme« (acceptatio divina) ist Gottes umsonst gebender Wille. Gnade als »geschaffene Gabe« (donum creatum) ist dasjenige, was dem Menschen gottgemäß (formaliter) vollendet und ihn des ewigen Lebens würdig macht. Die sogenannte »umsonst gegebene Gnade«, d. h. gratia gratis data (»frei gewährte Gnade«), unter die Thomas die Gnadengaben der »Charismen«, wie etwa die Gaben der Prophetie oder Unterscheidung der Geister usf. versteht, werden an dieser Stelle nicht weiter erörtert.36 Für Thomas steht fest, daß sie von Gott »etwas Geschaffenes« in der Seele sind. Man versteht darunter über die allein 36 Vgl. Sum. theol. II-II, q. 171–177 u. De ver., q. 12 »Über die Prophetie« (a. 5 ad 7: gratia prophetiae).

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zum Heil notwendige habituelle Gnade hinausgehende Gnadengaben. Wer ein Charisma besitzt, muß sich nicht unbedingt im Besitz der heiligmachenden Gnade befinden. Gleichwohl könnte auch die gratia gratum faciens als »umsonst gegebene Gnade« bezeichnet werden, sofern sie nämlich ungeschuldet von Gott allein verliehen wird (a. 1 c.). Die Bestimmung der Gnadenarten ist so gesehen auch eine Sache der Perspektive. Thomas klärt jeweils die Bezugspunkte seiner Begriffe. (2.) Der Zweite Artikel »Ist die heiligmachende Gnade dasselbe wie die Liebe?« spezifiziert die Grundbestimmung. Thomas unterscheidet die gratia gratum faciens von der Tugenden. Insbesondere geht es hier um die sogenannten »theologischen Tugenden« (virtutes theologicae) – Glaube (fides), Hoffnung (spes) und Liebe (caritas) –, welche der Seele im Begnadungsgeschehen eingegossen werden. Sie werden als übernatürliche Wirkungen der Gnade betrachtet. Die Eigenart der geschaffenen Gnade wird analog zum Tugendhabitus aufgefaßt. Womit gleichwohl nicht ihr Sein an sich, sondern die Weise ihrer Inhärenz ausgesagt werden soll. Gegenüber dem Sentenzenkommentar zeigt sich: »daß der geschöpfliche Charakter der Liebe oder der Gnade (gegen den Lombarden) stärker betont und besser entfaltet wird«.37 Thomas setzt sich hier von dessen Lehrmeinung ab, daß die geistliche Liebe zu Gott – die Tugend, durch welche die Seele Gott wohlgefällig wird –, mit der Einwohnung (inhabitatio) des Heiligen Geistes identisch ist: »caritas est Spiritus Sanctus, quae animae qualitates informat et sanctificat« (Sent. II, d. 27, c. 5). Thomas folgt darin seinem Lehrer Albertus Magnus.38 Die geschaffene Gnade ist weder mit der Liebe Gottes noch der caritas als übernatürlicher Tugend identisch (virtus infusa). Auch Bonaventura distanziert sich auf seine Weise von der These des Lombarden. Die Annahme einer »gratia creata« betone mehr den Primat Gottes, vermeide den pelagianischen Irrtum.39

37 Vgl. J.-P. Torrell, Magister Thomas (Anm. 27), 86. 38 Vgl. Albert, In Sent. II, d. 26 a. 11 sol. 39 Vgl. Bonaventura, In Sent. II, d. 26 q. 2 concl. (»magis recedit ab

errore Pelagii«).

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Nachworte

Die übernatürlichen Tugenden bilden mittelbar die Ursache der verdienstvolle Akte (s.c. 5–6). Die Verdienstlichkeit der tugendhaften Akte beruht aber ausschließlich auf der geschaffenen inneren Gnade (gratia interna), welche das Wesen der Seele (essentia animae) auf Gott aufrichtet. Denn sie ist ein übernatürliches Seinsprinzip, das die Akte entsprechend überbildet und finalisiert. Gnade ist also nicht schlechthin Liebe, vielmehr Befähigung zur Gottesliebe: »unsere Akte sind nicht Ursache der Gnade, sondern umgekehrt.« (s.c. 4). Die Seelenkräfte (potentiae animae), d. h. Intellekt und Wille, ihr Wirken (actus), gründen im Wesen der Seele, woraus sie ihre spirituelle Qualität empfangen. Die Einwohnung des Heiligen Geistes als göttliches Gegenwärtigsein ist die Formalursache für die übernatürliche Finalisierung des Menschen in Erkennen und Wollen auf die Anschauung Gottes hin: »die göttliche Liebe, mit der Gott uns liebt, ist früher als die Liebe, mit der wir ihn lieben« (ad 5). Die Selbstmitteilung Gottes hat die Priorität. Dies darf aber nicht zeitlich im Sinne eines Früher oder Später verstanden werden. Man kann nicht Gott wahrhaft lieben, ohne den Heiligen Geist zu empfangen; und man kann den Geist der Liebe nicht in sich haben, ohne daß die Seele eine geschaffene Gottähnlichkeit besitzt, welche sie für Gott aufnahmefähig macht. Durch die habituelle Gnade wird der Mensch zu dem »übernatürlichen Gut« in Beziehung gesetzt (vgl. a. 1 ad 11). Die Einwohnung ersetzt nicht eine wesenhafte Hinordnung des Menschen auf Gott hin. Sonst würde die acceptatio divina nur etwas Positives in Gott setzen, nichts aber in der Seele, was sie Gott in ihrem Sein verähnlicht. Vielmehr gilt der Grundsatz: »daß jemand nicht ein geistliches Wirken haben kann, außer er habe zuerst ein geistliches Sein empfangen.« (a. 2 c.). Gnade bezieht sich nicht auf einzelne Tugendakte, sondern informiert alle Akte in ihrer Qualität. Thomas geht es um ein reales Ankommen der äußeren Gnade in Menschen. Die auf den Menschen zukommende Gnade Gottes wird innerlich, indem die Tugend der Liebe die Sehnsucht auf Gott ausrichtet (desiderium) und die tugendhaften Werke und ihre Verdienstlichkeit ermöglich (meritum). Der Mensch wird von Gott wesenhaft in Stand gesetzt, sein übernatürliches Ziel tatsächlich zu erreichen.

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Im 1. Artikel wurde Gnade als geschaffene Form bestimmt. Sie ist »geistliches Sein« (esse spirituale), welche das Wesen der Seele überformt. Die Seelenvermögen und ihre Akte verhalten sich zur Gnade, wie die ungeformte Materie zu der ihr Sein und Qualität verleihenden Formursache (causa formalis). Die Seinsprinzipien »MaterieForm« (Hylemorphismus) und »Akt-Potenz« (Dynamismus) dienen als Erklärungsmodell, um die innere Kausalität der Gnadenwirkung zu beschreiben. Die Einheit der Gnade in ihren Wirkungen wird analog zur Einzigkeit der Wesensform (forma substantialis) in der aus Materie und Form zusammengesetzten Einzelsubstanz gedacht.40 Thomas schließt eine Vielheit von informierenden Wesensformen im Seienden aus. Nur eine einzige Substantialform verleiht der zugrundeliegenden Materie das Sein und Qualitäten (forma dat esse). Der weitere Lehrkontext ist die Unterscheidung von Sein (esse) und Wesen (essentia), die sogenannte thomasische »Realdistinktion«. Folglich kann es auch keinen mittleren Seelenzustand (forma media) bei der Bekehrung zwischen Schuld (peccator) und Gerechtfertigsein (iustus) geben. Der Mensch ist besitzt entweder die heiligmachende Gnade oder noch nicht.41 Logischerweise können zwei konträre Wesensformen zu gleichen Zeit nicht in derselben Hinsicht in demselben Träger koexistieren. Geschaffene Gnade wird hier von Thomas analog zum »ersten Akt« der Wesensform (actus primus) aufgefasst, welcher der designierten Materie (Träger der Form) die Existenz und Wesenseigenschaften verleiht (»Die Seele belebt den Leib«). Der wesensgemäße Akt des Subjekts wird als »actus secundus« bezeichnet (»Erwärmen«). Dies Konzept wird auf die Begnadung angewandt: »Auf diese Weise aber ist das Rechtfertigen ein Akt der Gerechtigkeit oder Gnade.« (a. 3 ad 25). Die heiligmachende Gnade wird mit den aristotelischen Begriffen »Habitus« (»Tätigkeitsvorprägung«) und »Akzidens« (»Hinzukommendes«) näher bestimmt.42 Thomas sagt hier explizit, daß er 40 Vgl. De ver., q. 27 a. 1 ad 1 u. q. 16, a. 1 ad 13 (anima forma corporisLehre). 41 Vgl. De ver., q. 28 a. 2 ad 10 (»infusio gratia sit instanti«). 42 Vgl. Sum. theol. I-II, q. 51 a. 4 c.

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Nachworte

die aristotelische Begrifflichkeit nicht im ursprünglichen Sinne verwendet: »Die Gnade gehört zur ersten Art der Qualität, obwohl sie nicht im eigentlichen Sinne (proprie) ein Habitus genannt werden kann, da sie nicht unmittelbar auf den Akt hingeordnet ist, sondern auf ein geistliches Sein, das er in der Seele setzt.« (a. 2 ad 7). Der Gnadenstand ist für Thomas eine beständige »Beschaffenheit« (qualitas), wie etwa Wissen oder Trefflichkeit, nicht etwa eine momentane »Verfassung« der Seele (zweite Art der Qualität), welche leicht veränderbar ist, wie »Gesundheit« oder »Wärme«; vgl. Aristoteles, Kategorien, c. 8 (8 b 25–37). Der Mensch kann die Gnade nur durch eine Todsünde verlieren. Dies geschieht allerdings nicht leicht. Denn für den Gerechten ist es schwer, Unrecht zu tun. Er müßte sich denn gegen die übernatürliche Neigung zum Guten wenden (vgl. a. 1 ad 9). Die Gnade wird ferner mit dem Begriff »Akzidens« bestimmt, denn sie ist »etwas über die natürliche Wesensbeschaffenheit hinaus Hinzugefügtes (superadditum)«.43 Der Begriff »accidens« bestimmt die Gnade als etwas von außen zur geschöpflichen Natur der Menschen Hinzutretendes (supranaturale), das nicht mit natürlicher Notwendigkeit immer schon gegeben ist (a. 3, ad 23–24). Thomas will deutlich machen, daß Gnade kein Wesensbesitz des Menschen ist, sondern freie Gabe Gottes. Abstrahiert vom im Christus geoffenbarten Heilswillen Gottes, könnte sie auch fehlen. Mit der Akzidentalität der Gnade war zugleich ein Gegenpol zur gewissen Statik des Habitusbegriffs gegeben (Verdinglichung der Gnade).44 (3) Der 3. Artikel »Kann irgendein Geschöpf die Ursache der Gnade sein?« bietet die ausführlichste Auseinandersetzung der Quaestio 27. Dies entspricht der Komplexität der Fragestellung (25 arg.). Es geht um die Begnadung als göttlich-menschliches Mitteilungsgeschehen (collatio gratiae), d. h. Verhältnisbestimmung der heiligmachenden Gnade (gratia interna), welche kein Geschöpf hervorzubrin43 Vgl. De ver., q. 27 a. 1 ad 11. 44 Vgl. O. H. Pesch, Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther

und Thomas von Aquin. Versuch eines systematisch-theologischen Dialogs. Mainz 1967 (Walberger Studien, 4), 645: »Die These von akzidentiellen Charakter der Gnade … sichert also … gerade dies, daß Gottes Gnade immer Gottes Gnade bleibt und nie meine Gnade wird.«; s. auch Ders. / A. Peters, Einführung (Anm. 33), 88.

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gen vermag, zu ihren äußeren Vermittlungsweisen wie Belehrung, Predigt usf. (gratia externa). Die ersten beiden Artikel zeigten, daß Gnade sowohl etwas Positives in Gott als auch im Menschen setzt. Die im Gerechtfertigten neu geschaffene Gnadenwirklichkeit wird von Thomas analog zum göttlichen Schöpfungsakt aufgefaßt: »Die Neuschöpfung der Seele muß der Schöpfung in der Weise einer Ähnlichkeit entsprechen. Gott aber schuf die Seele ohne ein vermittelndes Geschöpf (nulla creatura mediante).« (a. 4 arg. 15). Nach Augustinus ist es größer, einen Gottlosen zu rechtfertigen als Himmel und Erde zu schaffen (s.c. 4). Für Thomas ist ein Synergismus seitens des Menschen mit Gott undenkbar. Kein Geschöpf kann die Seele übernatürlich erheben. Die Begründung beruht auf dem aristotelischen Akt-Potenz-Theorem: »Das natürliche Vermögen des Geschöpfs aber reicht nicht über die natürlichen Vollkommenheit hinaus. Von daher kann ein Geschöpf keine übernatürliche Tätigkeit hervorbringen.« (a. 3 c.). Nur Gott selbst kann den Menschen, der in Sünde gefallen ist, wieder mit sich selbst verbinden. Die Hauptwirkung der Gnade (operatio gratiae) in der Seele besteht darin, daß sie – wie Augustinus lehrt – den Willen dazu informiert, das Gute zu wollen (finis ultimus). Diese Transformation des von der Sünde belasteten Willens (concupiscentia) ist nur Gott möglich: »kein Geschöpf vermag Gnade zu verleihen, durch die der Wille umgewandelt wird« (a. 3 c.). Allein Gott vermag Intellekt und Wille ontisch unmittelbar auf sich selbst hin zu finalisieren. Denn dazu ist wie beim Schöpfungsakt eine unendliche Wirkmacht notwendig. Die Potenz zu erschaffen und zurechtfertigen kann niemanden anderem übertragen werden (ad 17). Gnade ist kein akzidentielles Sein, vielmehr wesenhafte Neuschöpfung (recreatio). Thomas’ Antwort sichert die Priorität des göttlichen Gnadenwirkens. Dies geschieht in ausgewogener Weise, so daß es zu keiner Überbetonung der inneren Gnade kommt. Darin liegt gerade die Problematik der augustinischen Gnadenlehre. Thomas integriert dasjenige, was am Pelagianismus richtig ist. Die Vorbereitung auf den Glauben, die Rechtfertigung und das Wachstum in der Gnade vollzieht sich nicht unabhängig von der äußeren Vermittlungsfunktion der Kirche, d. h. Verkündigung (Predigt) und liturgischer Feier

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Nachworte

(Sakramente). Der (neu)scholastische Begriff der »gratia externa« bezieht sich zuerst auf die Vermittlungswirklichkeit, durch welche Gott den Menschen durch disponierende Umstände auf die Gnade hinordnet: »Deshalb verursacht der Mensch, der von außen (exterius) verkündigt, nicht den Glauben, sondern Gott, der allein den Willen wandeln kann. Er verursacht aber den Glauben im Gläubigen durch das Hinneigen des Willens und Erleuchten des Verstandes mit dem Glaubenslicht (lumen fidei), so daß er demjenigen, was vom Prediger vorgetragen wird, nicht widerstrebt. Mit dem Prediger aber verhält es sich so, daß er von außen (exterius) zum Glauben bereit macht.« (ad 12). Die Mitwirkung (cooperatio) bezieht sich nicht auf die Eingießung der Gnade, sondern auf Faktoren, welche für die Gnade empfänglich machen. Die Frage einer »Vorbereitung auf die Gnade« (dispositio ad gratiam) ohne Gnade wird von Thomas hier nicht problematisiert. Festgestellt wird nur, daß es eine »Zubereitung zum letzten Ziel« (dispositio ad finem ultimum) im Sinne einer werkzeuglichen Vermittlung gibt.45 Die christologische Vermitteltheit der Gnade, daß alle Gnade »gratia Christi« ist, zeigt sich besonders im Antwortteil. Der Sünder wird allein durch den Glauben an Christus gerechtfertigt: »per fidem iustificatur« (ad 7). Christus ist das »Haupt der Kirche«, Prinzip ihrer sakramentalen Gnadenvermittlung (gratia capitis), was im Sinne werkzeuglicher Kausalität zu verstehen ist (ad 6): Thomas gelingt es, ohne äußere Vermittlungsweisen unterzubewerten, die übernatürliche Ursächlichkeit zu wahren. (4) Der 4. Artikel »Sind die Sakramente des Neuen Bundes die Ursache der Gnade?« führt die Frage nach der Kausalität in Hinblick auf die christusvermittelte Gnadenmitteilung in der Kirche als Leib Christi weiter. Thomas bestimmt das Wesen der sakramentalen Gnade im Sinne der »werkzeuglichen Ursächlichkeit« (causa instrumentalis). Das Konzept der Instrumentalursächlichkeit wird in heilsgeschichtlicher Perspektive ausgearbeitet. Er unterscheidet die Sakramente des »Neuen Bundes« (lex nova) von denen des »Alten Testamentes« (lex vetera). Die Sakramente des Alten Bundes ist sind nur uneigentlich Sakramente. Sie präfiguieren bloß die Gnade 45 Vgl. De ver., q. 27 a. 4 arg. 3 u. ad 3.

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(significare), verleihen sie nicht wirklich. Vielmehr sind nur Sinnbilder der Gnade Christi. Die Sakramente der Kirche sind hingegen Ursache der Gnade, sind weder bloß Zeichen noch Hauptursache: »sacramenta sunt gratiae et signum et causa«. Grundgedanke ist eine gestufte Ursächlichkeit. Was allerdings keine Abstufung innerhalb derselben Kausalordnung impliziert, sondern unendliche Distanz von kreatürlicher Wirkkraft und Gottes Schöpfermacht. Thomas argumentiert mit dem Begriffspaar »causa principalis« (Hauptursache) und »causa instrumentalis« (werkzeugliche Ursache). Hauptursache ist die göttliche Erstursache (causa prima). Die Gnadenwirkung in ihrer Übernatürlichkeit beruht allein auf Gott: »Gnade verursachen zu können, gehört zur unendlichen Potenz schlechthin« (a. 3 ad 10). Thomas stellt wiederum eine ausgewogene Synthese her. Die Wirkbereich Gottes und der des Menschen werden so aufeinander bezogen, daß sie weder gemischt noch getrennt werden. Sakramente vermitteln die Gnade nicht bloß rein fakultativ. Gott hat nicht nur äußerlich seine Gnadenmitteilung an den ihren Empfang der Sakramente gebunden, daß sie etwa als solche nichts Eigenes zur Begnadung beitragen. Auf diese Weise würde die Gnadenwirklichkeit letztlich auf voluntativen Akt in Gott reduziert (accepatio divina). Gäbe es keine innere geschaffene Gnade, dann wäre die sakramentale Gnadenvermittlung letztlich eine Scheinwirklichkeit. Zu behaupten, daß den Sakramenten keine gnadenvermittelnde Kraft innewohne, widerspricht ihrer Würde, wäre der Unterschied zu den Zeichen des Alten Bundes hinfällig. Weder können sie nicht bloß als äußere Bedingung Ursache sein (causa sine qua non), noch besitzen sie die eigene Potenz, wirkursächlich die Gnade im Menschen hervorzubringen. Gott wirkt in höchster Weise durch sich selbst (per se agens). Instrumenalursachen wirken hingegen nicht durch eine ihnen eigene Form, vielmehr mittelbar dadurch, daß sie von einer übergeordneten Ursache bewegt werden: »Dies ist nämlich die Wesensbestimmung des Werkzeugs, sofern es Werkzeug ist, daß es bewege als ein Bewegtes (ut moveat motum).« (a. 4 c.) Da Gnade als solche übernatürlich ist, kann sie keiner geschöpflichen Entität als eigene Wesensform innesein (forma propria). Die gnadenvermittelnde Kraft der Sakramente liegt darin, daß die Kraft des Hauptwirkenden (virtus principalis agentis) in ihnen bzw. durch sie tätig

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Nachworte

ist. Sie werden von Gott dazu bewegt (ad 4). Ihr natürliches Wirkpotential hat analog die Funktion wie die Menschennatur in Christus, welche für die Gottheit das »Medium« (organum divinitatis) der Gnadenmitteilung ist. (5.) Der 5. Artikel »Ist einem Menschen nur eine heiligmachende Gnade?« vertieft die Untersuchung von Artikel 1–2, indem Thomas die Wesensmomente der »heiligmachenden Gnade« näherhin analysiert. Aufgrund der terminologischen Unterscheidungen ist dies der komplizierteste Teil der Quaestio 27. Zunächst wird in der Antwort die Einheit der Gnade darlegt (unum esse simplex). Thomas unterscheidet zwischen ungeteilbarem »Habitus« der heiligmachenden Gnade und vielfältigen Wirkungen der Gnade. Der Grundsatz lautet: »die Gnade, sofern sie in uns eine habituelle Gabe ist (donum habituale), ist nur eine einzige Gnade« (c.) Thomas unterteilt nicht das Gnadenhandeln Gottes, sondern unterscheidet nach Wirkungen der Gnade. Durch die Gnade wird der Mensch heilswirksam auf die selige Anschauung Gottes hingeordnet. Diese Hinordnung kann nicht mittels differenter Einzelbedingungen in ihrer Gesamtheit erfolgen. Wäre das Ganze die »hinreichende Gnade« (gratia sufficiens), so wären es ihre Einzelmomente nicht. Die heiligmachende Gnade ist hingegen »ein einziger einfacher Habitus« (unus habitus simplex), welcher sich in der Seele gemäß der Ordnung ihrer verschiedenen Akte aufgliedert: »Diese Akte selbst bilden aber nicht den Grund der göttlichen Annahme. Vielmehr wird zuerst der Mensch von Gott angenommen, dann sein Akt.« (a. 5 c.) Der einzige Grund der Begnadung (ratio acceptationis) liegt in der Barmherzigkeit und Liebe Gottes. In Bezug den göttlichen Heilswillen gibt es jedem Menschen nur eine einzige heiligmachende Gnade. Thomas unterscheidet zwischen dem Wesen der Gnade und deren Wirkungen, welche verschieden sein können. Die habituelle Gnade ist eine Wirkung Gottes im Seelengrund, welche uns im Medium der Seelenpotenzen und ihrer Akte auf bestimmte Weisen auf unser Heil hinordnet. Schließlich unterstreicht die Einheit der Gnade ihre Übernatürlichkeit und Verdienstlosigkeit. Davon ausgehend werden die korrespondierenden Gnadenarten der »wirkenden Gnade« (operans) und »mitwirkenden Gnade« (co-

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operans) sowie »vorausgehenden Gnade« (praeveniens) und »nachfolgenden Gnade« (subsequens) untersucht (ad 1 u. 6). Diese Differenzierung ergibt sich aus den Vorgaben aus der augustinischen Gnadenlehre (arg. 1, 3 u. 7). Allerdings auch aus der Sache selbst. Denn Gnade, sofern sie innerlich wird, muß in ihrem Wirken zur existentiellen Erfahrung von Bekehrung und Beharrlichkeit, dem »Gnadenwachstum« (augmentum gratiae), in Beziehung gesetzt werden (arg. 11 u. 13). Dieser Artikel zeigt besonders, wie Thomas die Intentionen Augustins, die psychologische Gnadenlehre, in sein Denken integriert.46 Die Gnade wird »wirkend« (operans) genannt, sofern der göttliche Wille etwas in uns bewirkt. Als »mitwirkend« (cooperans) wird sie bezeichnet, wenn Gott eine Wirkung zusammen mit der mitwirkenden Wahlfreiheit des Menschen bewirkt (cum libero arbitirio). Folglich kann die heiligmachende Gnade als »gratia operans« bezeichnet werden (ad 1). Denn der Heilswille Gottes ist die alleinige Ursache der unverdienten Gnadengabe, die die Seele geistlich überbildet: »immediatius effectus gratiae est conferre esse spirituale.« (ad 17). Zugleich kann sie »gratia cooperans« genannt werden, sofern sie in der Wahlfreiheit des Menschen wirksam ist. Die habituelle Gnade ermöglicht und unterstützt in dieser Hinsicht die tugendhafte Akte des Gerechtfertigten: »Die Wirkung der Gnade aber durch die vermittelnden Tugenden und Gaben besteht darin, die verdienstlichen Akte hervorzubringen, was sich auf die mitwirkende Gnade bezieht.« (ad 17). Daß die Akte des Gerechtfertigten verdienstlich sind, beruht nicht auf der eigenen Leistung, sondern ist Frucht der heiligmachenden Gnade im Modus der gratia cooperans. So heißt es: »Darüber hinaus aber liefert die Gnade die Wirkkraft, um Verdienst (meritum) zu erlangen.« (ad 5). Die Gnade ist nicht eine bestimmte Tugend, sondern vielmehr »Form der Tugenden« (forma virtutum). Sofern sie die tugendhaften Akte formal vollendet, d. h. übernatürlich und heilswirksam macht. Die Annahme der »gratia cooperans« will jede Art 46 Vgl. B. J. F. Lonergan, Gnade und Freiheit. Die operative Gnade im Denken des hl. Thomas von Aquin. Übers. und hrsg. von Ph. H. Fluri / J. B. Sala. Innsbruck, Wien 1998, 38 ff. u. 70 ff.

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von Werkgerechtigkeit ausschließen. Dafür spricht die Erfahrung, daß der Gerechtfertigte nicht beharrlich im Guten ohne göttlichen Hilfe sein kann (ad 1). Von daher wird auch deutlich, daß der Gnadenhabitus für Thomas an sich nichts Statisches besagt, sondern im Gegenteil eine unablässige Bewegung auf Gott hin begründet (ad 6). Feststeht, daß der jeder Gerechtfertigte aufgrund der Schwäche der menschlichen Natur des göttlichen Mitwirkens bedarf (ad 3). Diese notwendige »göttliche Hilfe« (auxilium divinum) beim Wachstum in der Gnade wird in De veritate nicht näher bestimmt. Man wird sie später als »aktuelle Gnade« bezeichnen. Thomas kennt den Begriff noch nicht. In der Summa theologiae hat sich seine Position in dieser Frage geklärt. Der Sünder kann sich mittels des »liberum arbitrium« nur auf den Empfang der heiligmachenden Gnade vorbereiten, sofern der freie Wille vom ungeschuldeten göttlichen Wirken aus Barmherzigkeit darauf hingelenkt wird (gratia actualis). So heißt es: »Was auch immer für eine Vorbereitung auf die Gnade im Menschen sein kann, so stammt sie aus der Hilfe des die Seele zum Guten bewegenden Gottes.«47 Das Begriffspaar »gratia operans« und »cooperans« beruht auf dem Unterschied von Wesen und Wirkung. Die beiden Begriffe »zuvorkommende Gnade« (praeviens) und »nachfolgende Gnade« (subsequens) beziehen sich auf den zeitlichen Prozeß bzw. die kausale Ordnung (ad 6). Zuvorkommende Gnade geht einer bestimmten Gnadenwirkung in uns voran, nachfolgende Gnade begleitet eine übernatürliche Wirkung. Thomas unterscheidet nicht distinkte Gnadenformen, sondern Aspekte der einen gratia gratum faciens, welche sich aus ihrem Einwirken auf die Handlungswirklichkeit ergeben. Bezugspunkt ist der Moment der Bekehrung und Rechtfertigung. Die Überformung der Seele (informatio subiecti) durch die Gnade ist »vorausgehend«, da der Mensch vor seiner Bekehrung ohne Gnade war (insofern auch: operans). Sie muß ihm zuvorkommen. Die Gnade ist immer vorgängig zu jeden übernatürlichen Akt (Prio47 Vgl. Sum theol. I-II, q. 112 a. 2 c.; Mitwirkung bei der Rechtfertigung: De ver., q. 28, a. 3–4.

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rität der Gnade). Hingegen kann alle Gnade, durch die der Gerechtfertigte bereits tätig ist, »nachfolgend« genannt werden, können also alle nachfolgenden Aspekte darunter subsummiert werden (insofern auch: cooperans). Mit dem Begriffspaar wird erfasst, daß die heiligmachende Gnade bewirkt, das Gute gottbezogen zu wollen (praeviens) und daß sie jeweils aktuell darin unterstützt, den rechten Willen im äußeren Werk entsprechend auszuführen (subsequens). Der innere Akt ist Ursache des äußeren (ad 7). Weiter kann sich »praeviens« auf die gesamte Aktwirklichkeit beziehen (Subjektformung, innere/äußerer Akt), hingegen »subsequens« auf die Beharrlichkeit im Guten (perseverantia in bono) in diesen drei Bereichen. Denn die Gnade kann durch eine Todsünde verloren oder ein tugendhafter Akt fehl gehen. Ferner kann »vorausgehend« den ganzen Stand des Verdienstes (bis zum Tod) meinen, die »nachfolgend« bezeichnet dann himmlischen Lohn. Die Gnade des Pilgerstandes wird durch ihre Vermehrung zur Glorie. Es ist dem Wesen ein und dieselbe Gnade, die uns gerecht macht und sich in der Anschauung Gottes erfüllt (gratia consummata). Die eschatologische Gottesschau ist die Vollendung der »Glaubensgnade«.48 Diese Aspekte sind zugleich Wirkung des göttlichen Heilswillens (gratia externa) als auch Ausfluß der Inhärenz der geschaffenen Gnade (gratia habitualis). Die Einheit des Gnadenhabitus beruht darauf, daß er sowohl das Wesen der Seele als auch die Handlungswirklichkeit informiert (ad 18). (6.) Der 6. Artikel »Ist die Gnade im Wesen der Seele wie in einem Träger?« ergänzt die Ausführungen zum Habitusbegriff, spezifiziert den Unterschied von Gnade und Tugend in Hinblick auf die Interiorität der Gnade. Thomas begründet die Einheit der Gnade, indem zwischen »übernatürlichem Sein« des Gnadenhabitus im Wesen der Seele (essentia) und den Seelenvermögen (potentiae) bzw. ihrem tugendhaften Wirken (operationes) unter Einfluß der habituellen Gnade unterschieden wird. Das Innesein der Gnade unterscheidet sich vom natürlichen Tugendhabitus, der durch Übung erworben wird (habitus acquisitus), dadurch, daß er von Gott unmittelbar eingegossen wird (habitus infusus). Man sieht hier, wie Thomas 48 Vgl. De ver., q. 27 a. 2 ad 7 u. q. 10 a. 11 ad 9 (gratia fidei).

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den aristotelischen Habitusbegriff theologischen Einsichten anpasst. Habituelle Gnade und Tugend sind nicht identisch. Die erworbene Tugend hat ihren Sitz in den Seelenvermögen als das Prinzip ihrer tugendhaften Akte: »Daß sie unmittelbar das Vermögen zum rechten Handeln vervollkommnet.« (a. 6 c.) Die Gnade liegt im Wesen der Seele, richtet sie dadurch als ganze auf Gott aus. Damit ist dargelegt, wie die Gnade die ganze Person zu durchformen vermag. Die Gnade ist Prinzip des übernatürlichen Seins: »Die erste und unmittelbare Wirkung der Gnade findet sich im Wesen der Seele, nämlich die Formung in Hinblick auf das geistliche Sein.« (ad 4). Die Interiorität der Gnade ist Bedingung dafür, daß der Gerechtfertigte zu einem »Teilhaber der göttlichen Natur« (2 Petr. 1, 4), also Gott verähnlicht wird. (7.) Der 7. Artikel »Ist die Gnade in den Sakramenten?« enthält die kürzeste Darlegung der Quaestio 27. Abschließend bestimmt Thomas das Wesen der »sakramentalen Gnade« (gratia sacramentalis). Dies erfolgt auf der Grundlage der dargelegten Instrumentalursächlichkeit (a. 4). Das Innesein der Gnade in der werkzeuglichen Ursache ist ein anderes als dasjenige der habituellen im Wesen der Seele. Heiligmachende Gnade ist nicht wie ein Akzidens in einem Subjekt. Sie ist wie die Wirkung in der Ursache. Die Instrumentalursache ist aber nicht das Prinzip der ihr innewohnenden übernatürlichen Wirkung. Sie wird als vermitteltes Überfließen der Formen der göttlichen causa principalis auf die Wirkungen gedacht. Wirkursache ist Gott, wobei die Gnade instrumental vermittelt ist. Sakramentale Gnade ist nicht schlechthin mit der gratia gratum faciens gleichzusetzen. Sondern sie besteht in der der Gnade eigentümlichen Wirkung, welche sich aus der spezifischen Vermittlungsweise des jeweiligen Sakraments ergibt. Die Sakramente der Kirche vermitteln die Gnade nicht bloß im allgemeinen Sinne. Jedem Sakrament kommt eine besondere von anderen abhebbare gratia sacramentalis zu, welche auf das Eingießen (Taufe) oder die Vermehrung (Eucharistie) der heiligmachenden Gnade abzielt. Die Quaestio 28 enthält bereits alle grundlegenden Begriffe der Gnadenlehre. Diese wird in Folge der Auseinandersetzungen um die »accepatio divina« (Nominalismus), reformatorischen Rechtfertigungslehre (Imputationsgerechtigkeit) und des nachtridenti-

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nische Gnadenstreits immer weiter ausdifferenziert (Molinismus, Banezianismus). Thomas hatte die zerstreuten Gnadenfragen zusammengefasst und sie in seine Handlungslehre (Tugendethik) eingeordnet. Die Gnade bildet neben dem göttlichen Gesetz (lex divina) das zweite äußere Prinzip, durch das der Mensch auf sein übernatürliches Ziel ausgerichtet wird. Erst bei Francisco Suárez († 1619) findet sich ein geschlossener Traktat De gratia, welchem er die Haupteinteilung nach aktueller und habitueller Gnade zugrundgelegt. Dieses Schema greifen die neuthomistischen Dogmatikhandbüchern auf. Häufig bleibt dadurch die genuin thomasische Bedeutung nicht gewahrt. Die Grundunterscheidung ist die von »ungeschaffener« und »geschaffener Gnade«. So bezeichnet die gratia increata Gott selbst in seinem ungeschuldeten Heilshandeln (acceptatio divina) und seiner Selbstmitteilung durch die Einwohnung in der gerechten Seele. Die »geschaffene Gnade« besteht in den Wirkungen und Gaben der Selbstmitteilung. Sie beschreibt das reale Ankommen der ungeschaffenen Gnade im gerechtfertigten Menschen (gratia interna). Aufgrund der Transzendenz Gottes kann die ungeschaffene Gnade auch als »äußere« betrachtet werden (extra nos). Der Begriff bezieht sich in erster Linie auf die instrumentelle Gnadenvermittlung durch Sakramente (gratia sacramentalis), kirchliches Handeln im Namen Christi (gratia capitis) und disponierende gottgefügte Umstände (divinum auxilium). Die zweite Hauptunterscheidung betrifft die vielfältige »innere Gnade«, das seinsmäßige Einwirken auf die Seele. Diese teilt sich auf in »heiligmachende Gnade« – sofern sie gerecht macht, wird sie auch »gratia iustificans« genannt – und »umsonst gegebene Gnade« (Charismen). Die gratia gratis data bezeichnet Gnadengaben, welche einzelnen Menschen zum Heilsdienst an anderen verliehen wird. Sofern die gratia gratum faciens als eine die Seele überformende Bestimmtheit (qualitas) aufgefasst wird, d. h. als sogenannte innere »Zustandsgnade« – Gnadenstand (homo iustus) im Unterschied zum Sündersein (status culpae) –, wird sie als »habituelle Gnade« bezeichnet. Als solche heilt sie die Folgen der Erbsünde und persönlichen Schuld (sanans) und verleiht darüber hinaus der Seele ein übernatürliches Sein (elevans). Neuscholastisch wird sie in Hinblick

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Nachworte

auf ihre unterschiedliche Wirksamkeit (gratia operans, praeviens usf.) auch als »Tatgnade« oder »helfende Gnade« genannt (gratia actualis). In dieser Hinsicht wird als eine einzelne, vorübergehende, aktuelle Einwirkung Gottes gedacht. Sie bewirkt das Heilsverlangen, die Bekehrung zu Gott und Beharrlichkeit im Guten (Heilsakte). Thomas ist dieser Begriff noch fremd. Gnadenlehre muß unterscheiden und verbinden: Transzendenz und Immanenz, Geschöpflichkeit und Vergöttlichung, Gottes Heilswirken und menschliche Freiheit. Gnade meint keine Substanz zwischen Gott und Mensch, sondern ein schöpferisches Beziehungsgeschehen. Gnade verwirklicht Gottunmittelbarkeit: in Christus vermittelte Selbstgegenwart Gottes im Herzen seiner Gläubigen. Zu den Quaestionen 28–29 Paul Hellmeier Der »Gnadentraktat« in De veritate Den Abschluß von De veritate bilden drei quaestiones, in denen sich Thomas unter je verschiedenem Aspekt mit dem Thema der Gnade beschäftigt. Die erste behandelt die Gnade an sich (q. 27: Über die Gnade), die zweite betrachtet die Gnade in ihrer Beziehung zum Sünder (q. 28: Über die Rechtfertigung des Gottlosen), die dritte schließlich fasst Christus als Quell und Vermittler der Gnade für die Menschen ins Auge (q. 29: Über die Gnade Christi). Während die Lehre von der Gnade in der aktuellen Theologie, ebenso wie in rezenten lehramtlichen Äußerungen der katholischen Kirche immer mehr verflacht oder gar gänzlich verloren geht49, besaß sie für Thomas zweifellos noch eine zentrale Bedeutung im theologischen Gesamtsystem. Thomas erweist sich damit als typischer Vertreter der abendländischen Tradition, die er natürlich auch entscheidend mitprägte. Spätestens seit Augustinus und seiner Auseinandersetzung mit Pelagius und dessen Anhängern war die Frage nach der Gnade zu einem Hauptthema der westlichen Theologie geworden. Immer wieder kam es dabei zu mitunter erbitter49 Vgl. B. J. F. Lonergan, Gnade und Freiheit (Anm. 46), 7.

zu den quaestionen 28–29

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ten Auseinandersetzungen, vor allem in der Zeit der Reformation und in der Barockscholastik (»Gnadenstreit«). Den einzelnen Phasen dieser Diskussionen und ihren historischen Verästelungen bis in die Zeit der Neuscholastik hinein nachzugehen, kann nicht die Aufgabe dieser kurzen Einleitung zu Thomas’ Äußerungen über die Gnade in De veritate sein. Ebenso wenig ist in diesem Rahmen eine genaue Analyse der Lehrentwicklung bei Thomas leistbar, der dieses Thema im Laufe seines Schaffens mehrmals behandelt hat. Hier muß der knappe Hinweis genügen, daß seine Gnadentheologie, die den Strang augustinischen Denkens zur Vollendung führte, erst in der Summa theologiae50 ihre ausführlichste und tiefste Formulierung fand. In manchem können die Äußerungen des Aquinaten in De veritate deshalb als eine Zwischenposition auf dem Weg vom Sentenzenkommentar51 zur Summa theologiae angesehen werden.52 Ohne diese schwierigen Fragen nach einer Entwicklung der Gnadenlehre in Thomas’ Gesamtwerk im Detail untersuchen zu wollen, sollen die folgenden Seiten lediglich in den neuübersetzten Text von De veritate einführen und dem Leser einen ersten Zugang eröffnen. Aus Sicht des Übersetzers verdienen dabei zwei Themen besondere Aufmerksamkeit. Das erste ist inhaltlicher Natur und geht dem Verdacht einer »Physikalisierung« der Gnade nach. Die zweite Betrachtung ist eher formal gehalten und gilt der thomasischen Sprache. Physikalisierung der Gnade? Kritik und Chancen Kaum ein Leser, der über Grundkenntnisse der scholastischen Theologie und ihrer Quellen und Methoden verfügt, wird sich darüber wundern, daß Thomas auch in der Gnadenlehre sehr häufig auf den »heidnischen« Philosophen Aristoteles rekurriert. Zwar wurde Mitte des 13. Jahrhunderts noch hie und da gegen die Verwendung des Stargiriten in der Theologie polemisiert. Dennoch hatte sich dessen Denken im Laufe der sogenannten Aristotelesrezeption bereits so weit an den Universitäten durchgesetzt, daß es für die meisten 50 Vgl. Sum. theol. I-II, q. 109 – q. 114. 51 Vgl. II Sent. d. 26 – d. 29. 52 Vgl. Lonergan, 22 und 25.

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Nachworte

Theologen ganz selbstverständlich geworden war, ihre Argumentationen mit Hinweisen auf »den Philosophen« zu untermauern oder von ihm her ihre Positionen zu entwickeln. Es ist daher nicht ungewöhnlich, daß sich Thomas auch in den letzten drei gänzlich theologischen Quaestionen von De veritate relativ oft auf Aristoteles beruft. Erstaunlich ist jedoch, wie häufig dabei die Physik des Aristoteles zu Wort kommt. So finden sich beispielsweise in der zentralen q. 28 insgesamt vierzehn Zitate oder Anspielungen auf dieses Werk. Dem stehen nur sieben Zitate aus der Nikomachischen Ethik und fünf aus De anima gegenüber. Gerade von diesen beiden anthropologisch ausgerichteten Werken hätte man aber erwartet, daß ihnen in der Gnadenlehre sehr viel mehr Bedeutung zukäme. Stattdessen überwiegt die Physik. Immer wieder wird sie herangezogen, um Probleme der Bewegung, des Werdens und Vergehens oder des Zeitkontinuums zu klären.53 Auch bei der Bestimmung des Unendlichkeitsbegriffes greift Thomas auf die Physik zurück.54 Eine wichtige Rolle kommt ferner der diesem Werk entnommenen Lehre von den vier Ursachen zu.55 Gerade der Begriff der Formalursache dient Thomas zur Lösung schwieriger Fragen.56 Bedeuten die häufige Verwendung der aristotelischen Naturphilosophie und das Denken in ihren Kategorien aber nicht eine bedenkliche »Physikalisierung« der Gnade? Ist das Aufgreifen der Problemstellungen und Lösungen der Physik für ein genuin theologisches Thema nicht unangemessen? Führt diese Physikalisierung nicht von den eigentlichen Wurzeln des Themas, nämlich der biblischen Überlieferung und der spirituellen Erfahrung des Glaubenden weg? Verliert der in physikalischen Kategorien beschriebene Vorgang der Begnadung damit nicht seinen wesentlich transzendenten Charakter? Die aristotelische Physik wirkt gegenüber der biblischen Lehre der Gnade aber nicht nur wesensfremd, sie scheint die Sache überdies an vielen Stellen zusätzlich und unnötig zu verkomplizieren. Man denke hier nur an die bereits erwähnten Themen der Bewegung, 53 54 55 56

Vgl. z. B. De ver. q. 28 a. 1 c.; a. 2 ad 10; a. 6 c.; q. 29 a.3 Vgl. ebd. q. 29 a. 3 c. Vgl. z. B. ebd. q. 28 a. 7. Vgl. ebd. q. 28 a. 2 ad 8; a. 7 c.; a. 8 c.

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der Zeit oder des Werdens und Vergehens. Für den mit der aristotelischen Physik nicht vertrauten Leser können diese Darstellungen und ihre verwickelten Beispiele oftmals undurchsichtig erscheinen. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß uns heute das aristotelische Verständnis der Zeit und des Kontinuums, aber auch der Substanzbegriff fremd geworden sind. Solchen kritischen Anfragen an Sinn und Berechtigung des »Einbaus« aristotelischer Naturphilosophie in die Gnadenlehre ist zunächst zu erwidern, daß Thomas eine »Physikalisierung« der Gnade sicher fern lag. Keinesfalls wäre es ihm in den Sinn gekommen, die Gnade durch den Gebrauch naturphilosophischer Terminologie ihres übernatürlichen Charakters zu entkleiden und als natürlich beschreibbaren Gegenstand vorzustellen. Die damals hochmoderne (!) aristotelische Begrifflichkeit sollte ihm lediglich als Instrument dienen, um schwierige Fragen zu vertiefen und zu klären. Wie die vielen Zitate aus der Heiligen Schrift und den Kirchenvätern (besonders Augustinus) zeigen, blieb seine Gnadenlehre dabei in ihrem Wesen biblisch und theologisch. Neben dem Bemühen um begriffliche Präzision birgt die Berücksichtigung der aristotelischen Physik jedoch noch andere Vorteile und Chancen. So erscheint die Gnade durch die vielen aus dem Bereich der Natur (Physis) stammenden Beispiele letztlich nicht als das ganz andere, das der begrenzten menschlichen Vernunft und Erfahrung völlig entzogen wäre. Auch das Phänomen der Gnade bleibt zu einem gewissen Grad erklärbar und einsichtig. In dieser Darstellungsweise erscheinen Natur und Übernatur, Schöpfungs- und Erlösungshandeln Gottes miteinander vermittelt, sie bilden eine differenzierte Einheit. Beide entspringen dem Willen und der Weisheit Gottes. Auch für die Darstellungsweise gilt also der thomasische Grundsatz »gratia supponit naturam.« Das Heranziehen der aristotelischen Physik führt ferner zu einer Konkretisierung der Gnade. Als Handeln des ganz und gar transzendenten Gottes erscheint sie so als ein verwandelndes Geschehen am Menschen, das hic et nunc stattfindet und nicht in einer erträumten Überwelt oder in einer rein subjektiven Innerlichkeit. Die Gnade wird dadurch ernst genommen als etwas, das sich in unserer konkreten Welt ereignet.

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Nachworte

Andererseits gewährt die aristotelische Begrifflichkeit auch die Möglichkeit, innere seelische Vorgänge präzise ins Wort zu bringen. So erlaubt etwa die Anwendung des Bewegungsbegriffes feine psychologische Beobachtungen.57 Ferner ist hervorzuheben, daß Thomas durch die Orientierung an der wissenschaftlichen Fachsprache seiner Zeit ein gänzlich unpolemischer und stets um Objektivität bemühter Zugang zum Thema Gnade gelingt. Hier kam Thomas natürlich auch die Tatsache zugute, daß die gesamte Hochscholastik frei von jeder Polemik um das Thema Gnade war. Anders als Augustinus und seine Gegner und Anhänger, anders als Reformatoren und Gegenreformatoren, anders auch als die um ein rechtes Thomasverständnis ringenden Barockscholastiker fand Thomas selbst hinsichtlich der Gnade eine völlig entspannte Gesprächssituation vor. Betrachtungen zur Sprache Wie bereits gesagt, bedient sich Thomas in De veritate einer gänzlich unpolemischen, ja oft sogar trockenen Fachsprache. Daß er einerseits zur Polemik, andererseits zu einem kunstvollen und mitreißenden Stil durchaus fähig ist, beweisen jedoch Werke wie Contra impugnantes, De perfectione und Contra retrahentes oder das Fronleichnamsoffizium. Trotzdem zieht er in De veritate, wie auch in so vielen anderen seiner Werke, eine sehr nüchterne und rein wissenschaftliche Ausdrucksweise vor. Thomas erscheint so nicht gerade als ein Denker, den man als besonders sprachmächtig bezeichnen würde. In De veritate legt er ganz offensichtlich nicht den geringsten Wert auf den Klang der Sprache, auf Wortspiele oder Stilfiguren. Es wird keinerlei Freude an der Sprache sichtbar wie etwa bei dem großen Rhetor Augustinus oder dem Sprachschöpfer Luther. Thomas hat bei der Behandlung des schwierigen Themas der Gnade auch kein Interesse an paradoxen Formulierungen oder am zugespitzten Ausdruck wie Tertullian oder Meister Eckhart. Er scheint nicht einmal um Abwechslung im Wortgebrauch bemüht und hat kein Problem mit zahllosen Wortwiederholungen auf engstem Raum. Man kann nicht umhin, die Sprache 57 Vgl. ebd. q. 28 a. 5 ad 2; a. 9 ad 2.

zu den quaestionen 28–29

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des Aquinaten in De veritate über weite Strecken als monoton und reduziert zu bezeichnen. Es finden sich auch keine in das Werk eingestreuten Gebete wie bei Augustinus oder den scholastischen Vorgängern und Zeitgenossen des Thomas. An keiner Stelle wird eine wie auch immer geartete innere Beteiligung sichtbar, es sei denn in dem das ganze Werk durchziehenden Streben nach Wahrheit und der präzisen und richtigen Darstellung derselben. Um es mit Hegel zu sagen: Thomas nimmt »die Anstrengung des Begriffs« auf sich. Dieses geistige Ringen zeugt dann letztlich doch von einer persönlichen Ergriffenheit des Aquinaten, die nicht übersehen werden darf. Auch so manches durch und durch nüchterne Beispiel58 sollte nicht zu der Meinung verleiten, Thomas würde das Thema Gnade ohne jede eigene existentielle Beteiligung völlig distanziert und kühl abhandeln. Trotz der knappen und nüchternen, von der wissenschaftlichen Prosa des Aristoteles geprägten Sprache bieten die Quaestionen zur Gnade aber doch auch eine Vielzahl nicht nur schöner und bewegender, sondern auch theologisch höchst reichhaltiger Aussagen. So etwa, wenn Thomas die Rolle und das Zusammenspiel der drei theologischen Tugenden beim Vorgang der Begnadung erläutert,59 oder wenn er von der gegenseitigen Freundschaftsliebe, ja sogar von einer »geistlichen Eheschließung« zwischen Gott und Mensch spricht.60 Von theologischer Brisanz ist ferner der Versuch, sowohl an der Wahlfreiheit des Menschen, als auch an der Vorgängigkeit der göttlichen Gnade festzuhalten und ihr Ineinandergreifen zu erklären.61 Bibel und theologische Quellen Abschließend sei noch etwas zur Verwendung der Bibel und zu den von Thomas benützten theologischen Quellen gesagt. Hier sticht zunächst die große Zurückhaltung des Thomas ins Auge. Wenn er die Heilige Schrift (natürlich in der Version der Vulgata) zitiert, dann 58 So etwa die Beispiele von der Grube, in die ein Mann gefallen ist (vgl. ebd. q. 28 a. 2 ad 7) oder dasjenige vom Farbwechsel (q. 28 a. 6). 59 Vgl. ebd. q. 28 a. 4 c. 60 Vgl. ebd. q. 28 a. 3 s.c. 4 und 5. 61 Vgl. ebd. q. 28 a. 3 c.; ad 17; ad 19.

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Nachworte

tut er dies eher knapp und präzise, ständiges Anspielen, lange Zitate oder die assoziative Verkettung mehrerer Stellen sind ihm fremd. Schwierigen Äußerungen der Bibel versucht er in bisweilen langwierigen Untersuchungen auf den Grund zu gehen, um so zu einem richtigen Verständnis zu gelangen.62 Zu Thomas’ wichtigsten theologischen Quellen der drei Quaestionen zur Gnadenlehre zählen vor allem Augustinus, daneben auch Anselm und Bernhard von Clairvaux. Von den östlichen Theologen kommen fast nur Pseudo-Dionysius und Johannes von Damaskus zu Wort. Letzterer hat für Thomas gerade in der Christologie große Bedeutung. Andere Kirchenväter des Ostens und des Westens werden nur sporadisch zitiert. Als weitere Quellen dienen Autoren der früheren Scholastik, aber auch seine Zeitgenossen, wie Albert und Bonaventura. Deren Meinungen lehnt Thomas des öfteren ab oder modifiziert sie zumindest, wodurch er sich bereits in seiner frühen Zeit als origineller und eigenständiger Denker erweist.

62 Vgl. ebd. q. 29 a. 3 c.

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Atzert

Marcus Tullius Cicero, De officis, ed. C. Atzert, Leipzig (Teubner) 1963.

Berndt

Hugo de S. Victore, De sacramentis Christinae fidei, ed. R. Berndt, Münster (Aschendorff) 2008 [Corpus Victorinum. Textus historici, 1].

BGL

Bibliothek der Griechischen Literatur, Stuttgart, Hiersemann

Borgnet

Alberti Magni Opera omnia, ed. A. et F. Borgnet, Paris 1890–1899.

Buytaert

Johannes Damascenus, De fide orthodoxa. Versions de Burgundio et Cerbanus, ed. E. M. Buytaert, Louvain 1955 (= Franciscan Institute Publications. Text Series, 8)

CD

Corpus Dionysiacum

CCSL

Corpus Christianorum. Series latina, Turnhoult (Brepols) 1953 ff.

Coll. S. Bon.

Magistri Petri Lombardi, Sententiae in IV libros distinctae, ed. Collegii S. Bonaventurae ad Claras Aquas, Grottaferrta (Romae) 1971 [Spicilegium Bonabenturianum, 4–5]

Conf.

Augustinus, Confessiones, ed. L. Verheijen, Turnhoult (Brepols) 1981.

Crawford

Averroes, Corpus commentariuorum Averrrois

378

Abkürzungsverzeichnis

in Aristotelem. Versiones latinae. Cambridge Mss. Commentarium magnum in Aristotelis De anima libros, ed. F. S. Crawford VI, 1, 1953. CSEL

Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Wien 1866 ff.

De cael. hier.

Pseudo-Dionysius Areopagita, De coelesti hierarchia, in: Corpus Dionysiacum II, ed. G. Heil † / A. M. Ritter, Berlin /New York (de Gruyter) 1991, 7–59 [Patristische Texte und Studien, 36].

De civ. Dei

Augustinus, De civitate Dei, ed. B. Dombart / A. Kalb, Turnhoult (Brepols) 1955 [CCSL 47–48].

De div. nom.

Pseudo-Dionysius Areopagita, De divinis nominibus, ed. B. R. Suchla, Berlin /New York (de Gruyter) 1990 [Patristische Texte und Studien, 33].

De eccl. hier.

Pseudo-Dionysius Areopagita, De coelesti hierarchia, in: Corpus Dionysiacum II, ed. G. Heil † / A. M. Ritter, Berlin /New York (de Gruyter) 1991, 63–132 [Patristische Texte und Studien, 36].

De fide orth.

Vgl. Buytaert

De Gen. ad litt.

Augustinus, De Genesi ad litteram, ed. Zycha, Wien 1894 [CSEL 28/1].

De lib. arb.

Augustinus, W. M. Green, K. D. Daur, Turnhoult (Brepols) 1970 [CCSL 29].

De nat. hom.

Nemesius von Emesa, De natura hominis, ed. Verbeke, Leiden 1975 [Corpus Latinum Commentariorum in Aristotelem Graecorum. Suppl. 1].

Abkürzungsverzeichnis

379

De trin.

Augustinus, De trinitate, ed. W. J. Mountain / F. Glorie, Tunrhoult (Brepols) 1968 [CCSL 50–50A].

De trin.

Hilarius, De trinitate, ed. P. Smulders, Turnhoult (Brepols) 1979 u. 1980 [CCSL 62 u. 62A].

De vera rel.

Augustinus, De vera religione, ed. K. D. Daur / J. Martin, Turnhoult (Brepols) 1962 [CCSL 32].

Dion.

Dionysiaca. Recueil donnant l’ensemble des traductions latines des ouvrages attribués aux Denys de l’Aréopagite et synopse marquant la valeur de citations presque innombrables allant seules depuis trop longtemps, remises dams leur contexte au moyen d’une nomenclature rendue d’un usage très facile, Brügge 1937; ND: Stuttgart-Bad Canstatt (Frommann Holzboog) 1989.

ed. Col.

Alberti Magni Opera omnia. Edenda curavit Institutum Alberti Magni Coloniense, Münster (Aschendorff) 1951 ff.

Enarr. in Ps.

Augustinus, Enarrationes in Psalmos, ed. J. Dekkers / J. Fraipont, Turnhoult (Brepols) 1956 [CCSL 38–40].

Ench.

Augustinus, Enchiridion ad Laurentium de fide et spe et caritate, ed. M. Evans, Turnhoult (Brepols) 1969, 21–114 [CCSL 46].

Ep.

Augustinus, Epistulae, PL 33; ed. K. D. Daur, Turnhoult (Brepols) 2004 ff. [CCSL 3: Ep. I–LV; CCSL 31A: Ep. LVI–C].

Gauthier

Aristoteles Latinus (Corpus Philosophorum Medii Aevi Academiarum consociatorum auspiciis

380

Abkürzungsverzeichnis

et consilio editum), XXVI, 1–3 fasc. 2–3, Leiden (Brill) / Brüssel (Desclée de Brouwer) 1973. Gigon

Boethius, Trost der Philosophe. Lateinisch und deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Ernst Gegenschatz und Olof Gigon. Eingeleitet und erläutert von Olof Gigon, Zürich / Stuttgart (Artemis) 1969.

Görgemanns / Karpp

Origenes, Vier Bücher von den Prinzipien. Herausgegeben, übersetzt, mit kritischen und erläuternden Anmerkungen versehen von Herwig Görgemanns und Heinrich Karpp, Darmstadt (WBG) 31992 [Texte zur Forschung, 24].

Heil

vgl. De cael. hier. / De eccl. hier.

Heil/Ritter

vgl. De cael. hier. / De eccl. hier.

Klotz

Marcus Tullius Cicero, Orationes pro M. Marcello, pro Q. Ligario, pro rege Deiotaro, ed. A. Klotz, Leipzig 1933.

Kurfess

Sallustius, De coniuratione Catilinae, ed. A. Kurfess, Leipzig 31957.

Leclerq / Rochais

Bernardus Claevallensis, Opera, ed. J. Leclerq et al., Rom 1957 ff.

Maggiòlo

Thomas von Aquin, In octo libros Physicorum Aristoteli expositio, cura et studo P. M. Maggiòlo O. P., Turin / Rom (Marietti) 1954.

Minio-Paluello

Categoriarum supplementa. Porphyrii isagoge et anonymi fragmentum vulgo vocatum »Liber sex principiorum«, ed. L. Minio Paluello,

Abkürzungsverzeichnis

381

Brüssel / Paris (Desclée De Brouwer) 1966, 33–57 [Aristoteles Latinus I/6-7]. Moreschini

Anicius Manlius Severinus Boethius, De consolatione philosophiae. Opera theologica, ed. C. Moreschini, München u.a. (Saur) 2000 [Bibliotheca Teubneriana].

Muckle

Algahel’s Metaphysics. A Mediaeval Translation, ed. J. T. Muckle, Toronto 1933.

PG

Patrologia cursus completus. Series Graeca, ed. J.-P. Migne, Paris 1857 ff.

PL

Patrologia cursus completus. Series Latina, ed. J.-P. Migne, Paris 1844 ff.

Pohlenz

Marcus Tullius Cicero, Tusculanae disputationes, ed. M. Pohlenz, Leipzig (Teubner) 1918.

Retr.

Augustinus, Retractaiones, ed. A. Mutzenbecher, Turnhoult (Brepols) 1984 [CCSL 57].

Ribbeck

Publius Vergilius Maro, Opera, ed. O. Ribbeck, Leipzig 1894/95.

Rijk

Peter of Spain, Tractatus called afterwards Summulae logicales. First critical edition by L. M. de Rijk, Assen 1972.

SC

Sources Chrétiennes, ed. H. de Lubac, J. Daniélou et al., Paris (Cerf) 1943 ff.

Schmitt

Anselm von Canterbury, Opera omnia, ed. F. S. Schmitt, Edinburgh 1946–1961 (ND: Stuttgart– Bad Cannstatt, Frommann / Holzboog 1968).

382

Abkürzungsverzeichnis

Schönfeld

[Anonymus], Das Buch von den Ursachen / Liber de causis. Lateinisch – Deutsch, übersetzt und mit einer Einleitung versehen von A: Schönfeld und R. Schönberger, Hambur (Meiner = 2004 [PhB 553].

Sent.

Magistri Petri Lombardi, Sententiae in IV libros distinctae, ed. Collegii S. Bonaventurae ad Claras Aquas, Grottaferrta (Romae) 1971 [Spicilegium Bonabenturianum, 4–5]. Wie vielfach in der Literatur werden auch hier die Kommentare verschiedener Autoren zu diesen ›Sentenzen‹ mit dieser Sigle angegeben.

Suchla

Pseudo-Dionysius Areopagita, Die Namen Gottes. Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Beate Regina Suchla, Stuttgart (Hiersemann 1988.

Sum. Hal.

Pseudo-Alexander Halensis, Summa universae theologiae, ed. B. Klumpel u. V. Doucet, Quaracci 1924–1948 [ND : Grottaferrata / Rom 1979].

Van Riet

Avicenna Latinus, Liber de philosophia prima sive scientia divina [= Metaphysica], I–IV. Édition critique de la traduction latine médiévale par S. Van Riet. Introduction doctrinale par G. Verbeke, Louvain / Leiden (E. Peters / E. J. Brill) 1977; lib. V–X, 1980.

Van Riet

Avicenna Latinus, Liber de anima seu Sextus de naturalibus, I–III. Édition critique de la traduction latine médiévale par S. Van Riet. Introduction sur la doctrine psychologique d’Avicenna par G. Verbeke, Louvain / Leiden (E. Peters / E. J. Brill) 1972; lib. IV–V, 1968.

Abkürzungsverzeichnis

383

Verbeke–Moncho vgl. De nat. hom. Wicki

Philippus Cancellarius, Summa de bono, ed. Wicki, Bern 1985 [Corpus philosophorum medii aevi. Opera philosophica mediae aetatis selectae, 2].

Ribaillier

Wilhelm von Auvergne, Summa aurea in quattuor libros Sententiarum, ed. J. Ribaillier, Grottaferrata / Rom 1980 ff. [SpicBon. 16; 17; 18; 19; 20]; älterer Druck: Paris 1500/1501.

Willis

Ambrosius Theodosius Macrobius, Commentarius in somnium Scipionis, ed. Jakob Willis, Leipzig 21970.

THOMAS VON AQUIN

Quaestiones Disputatae Regensburger Ausgabe herausgegeben von Rolf Schönberger

band 1–6 Über die Wahrheit (De veritate) band 7–9 Über Gottes Vermögen (De potentia Dei) band 10 Über die Tugenden (De virtutibus) band 11–12 Vom Übel (De malo) band 13 Über die Seele (De anima)