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German Pages 0 [417] Year 2013
THOMAS VON AQUIN
Quaestiones Disputatae
Thomas von Aquin
Quaestiones Disputatae
THOMAS VON AQUIN
Quaestiones Disputatae Vollständige Ausgabe der Quaestionen in deutscher Übersetzung Herausgegeben von Rolf Schönberger Band 5
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
THOMAS VON AQUIN
Über die Wahrheit De veritate Teilband 5 Übersetzt von Tilman Anselm Ramelow O. P.
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Erzbistums Köln.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-7873-1905-3
© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2013. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platte und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. – Satz: post scriptum, www.post-scriptum.biz. Druck: Strauss Buch, Mörlenbach. Bindung: Litges & Dopf, Heppenheim. Gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreiem Werkdruckpapier. Printed in Germany.
INHALT
xxi. vom guten 1. Artikel 2. Artikel 3. Artikel 4. Artikel 5. Artikel 6. Artikel
Fügt das Gute etwas über das Sein hinaus hinzu? Sind das Seiende und das Gute ihrer Extension nach vertauschbar? . . . . . . . . . . . . . . . . Geht das Gute gedanklich dem Wahren voraus? . Ist alles gut durch die Erste Gutheit? . . . . . . . Ist das geschaffene Gute durch sein eigenes Wesen gut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besteht das Gute des Geschöpfes in »Maß, Art und Ordnung«, wie Augustinus sagt? . . . . . .
. 3 . 12 . 17 . 21 . 31 . 37
x x ii. vom streben nach dem guten 1. Artikel 2. Artikel 3. Artikel 4. Artikel
5. Artikel 6. Artikel 7. Artikel 8. Artikel
Strebt alles nach dem Guten? . . . . . . . . . . Strebt alles nach Gott selbst? . . . . . . . . . . Ist das Streben ein besonderes Vermögen der Seele? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist der Wille in vernünftigen Wesen ein vom Streben des sinnlichen Teiles verschiedenes Vermögen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Will der Wille etwas mit Notwendigkeit? . . . Will der Wille alles, was er will, mit Notwendigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwirbt jemand Verdienste dadurch, daß er das will, was er notwendigerweise will? . . . . . . Kann Gott den Willen zwingen? . . . . . . . .
. . 45 . . 56 . . 59
. . 63 . . 67 . . 78 . . 84 . . 86
VI
9. Artikel 10. Artikel 11. Artikel 12. Artikel 13. Artikel 14. Artikel 15. Artikel
Inhalt
Kann ein Geschöpf den Willen verändern oder ihn beeinflussen? . . . . . . . . . . . . . . . . . Sind der Wille und die Vernunft ein einziges Vermögen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist der Wille ein höheres Vermögen als die Vernunft, oder umgekehrt? . . . . . . . . . . . . Bewegt der Wille die Vernunft und die anderen Kräfte der Seele? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist die Intention ein Akt des Willens? . . . . . . Ist es in derselben Bewegung, daß der Wille das Ziel will und die Mittel intendiert? . . . . . . . . Ist die Wahl ein Akt des Willens? . . . . . . . .
90 97 101 110 114 122 126
x xiii. vom willen gottes 1. Artikel 2. Artikel 3. Artikel
4. Artikel 5. Artikel 6. Artikel 7. Artikel
8. Artikel
Kommt es Gott zu, einen Willen zu haben? . . Ist der göttliche Wille in einen vorhergehenden und einen nachfolgenden zu unterscheiden? . . Wird der Wille Gottes angemessen unterteilt in einen Willen des Wohlgefallens und einen Willen des Anzeichens? . . . . . . . . . . . . . Will Gott notwendigerweise das will, was er will? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verursacht der göttliche Wille in den gewollten Dingen eine Notwendigkeit? . . . . . . . . . . Hängt die Gerechtigkeit in den geschaffenen Dingen vom einfachen Willen Gottes ab? . . . Sind wir dazu angehalten, unseren Willen mit dem göttlichen Willen in Übereinstimmung zu bringen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sind wir dazu angehalten, unseren Willen mit dem göttlichen Willen im Gewollten in Übereinstimmung zu bringen, dergestalt nämlich, daß wir gehalten sind, das zu wollen, von dem wir wissen, daß Gott es will? . . . . . . . . . .
. 131 . 140
. 146 . 152 . 162 . 167
. 170
. 181
Inhalt
VII
x xi v. von der freien entscheidung 1. Artikel 2. Artikel 3. Artikel 4. Artikel 5. Artikel 6. Artikel 7. Artikel
8. Artikel
9. Artikel
10. Artikel
11. Artikel 12. Artikel
13. Artikel 14. Artikel 15. Artikel
Hat der Mensch freie Entscheidung? . . . . . . . Haben Tiere freie Entscheidung? . . . . . . . . . Hat Gott Entscheidungsfreiheit? . . . . . . . . . Ist die freie Entscheidung ein Vermögen, oder nicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist die freie Entscheidung ein einziges Vermögen, oder mehrere? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist die freie Entscheidung der Wille, oder ein vom Willen verschiedenes Vermögen? . . . . . . Kann ein Geschöpf, das die freie Entscheidung hat, auf natürliche Weise im Guten befestigt sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kann die freie Entscheidung eines Geschöpfes durch eine Gnadengabe im Guten befestigt sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kann die freie Entscheidung des Menschen im Pilgerstand durch eine Gnadengabe im Guten befestigt sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kann die freie Entscheidung eines Geschöpfes im Bösen verhärtet oder unveränderlich festgelegt sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kann die freie Entscheidung des Menschen im Pilgerstand im Bösen verhärtet sein? . . . . . . . Kann die freie Entscheidung ohne die Gnade im Stand der Todsünde eine Todsünde vermeiden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kann jemand, der in der Gnade ist, die Todsünde vermeiden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist die freie Entscheidung ohne Gnade des Guten fähig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kann der Mensch sich ohne Gnade darauf vorbereiten, die Gnade zu haben? . . . . . . . . . .
190 207 215 218 228 232
237
244
250
254 270
277 297 300 305
VIII
Inhalt
Nachwort I. Zum Text: Aufbau und Übersetzung . . . . . . . . . . . . 311 II. Die Neuzeitliche Problemstellung . . . . . . . . . . . . . 313 I I I. Die Antwort des Thomas von Aquin . . . . . . . . . . . . 317 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
THOMAS VON AQUIN
Über die Wahrheit
XXI. VOM GUTEN
Die hier behandelten Fragen lauten: 1. Fügt das Gute etwas über das Sein hinaus hinzu? 2. Sind das Seiende und das Gute ihrer Extension nach vertauschbar? 3. Geht das Gute gedanklich dem Wahren voraus? 4. Ist alles gut durch die Erste Gutheit? 5. Ist das geschaffene Gute durch sein eigenes Wesen gut? 6. Besteht das Gute des Geschöpfes in »Maß, Art und Ordnung«, wie Augustinus sagt?
1. Artik el Die erste Frage lautet: Fügt das Gute etwas über das Sein hinaus hinzu?1 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Alles nämlich ist ein Seiendes durch sein Wesen; das Geschaffene aber ist nicht gut aufgrund seines Wesens, sondern durch Teilhabe; daher fügt das Gute der Sache nach etwas zum Sein hinzu. 2. Da das Gute in seinem Begriff das Sein einschließt, gedanklich aber vom Sein verschieden ist, muß der Begriff des Guten dem des Seins etwas hinzufügen. Jedoch kann man nicht sagen, daß es dem Sein eine Art Negation hinzufügt, so wie das Eine dem Sein die Ungeteiltheit hinzufügt; der ganze Begriff des Guten besteht ja in Positivität. Daher setzt das Gute dem Sein etwas Positives hinzu, und so scheint es etwas Reales hinzuzufügen. 3. Wenn aber gesagt wurde, daß es lediglich den Hinblick auf ein Ziel hinzufügt, so spricht dagegen, daß nach dieser Auffassung das Gute nichts anderes wäre als ein Seiendes in Beziehung. Aber Seiendes in Beziehung fiele unter eine ganz bestimmte Gattung des 1 Paralleltexte: Sent. I, d. 1 expos. text.; ibid. d. 8 q. 1 a. 3; De ver. q. 1 a. 1; De pot. q. 9 a. 7 ad 6; Sum. theol. I, q. 5, a. 1.
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Seienden, nämlich die der Relation (ad aliquid); es wäre demnach in einer ganz bestimmten Kategorie. Das aber widerspräche dem Aristoteles, der im ersten Buch der Nikomachischen Ethik2 das Gute in allen Gattungen ansetzt. 4. Wie man den Aussagen des Dionysius in Über die göttlichen Namen im 4. Kapitel3 entnehmen kann, ist das Gute das, was sich selbst und Sein verströmt. Dementsprechend ist etwas durch dasjenige gut, durch welches es sich-verströmend ist. Sich-Verströmen impliziert aber einen gewissen Akt. Nun gehen aber Akte aus dem Wesen nur vermittels eines Vermögens hervor. Daher wird gut etwas genannt vermöge eines dem Wesen hinzugefügten Vermögens. Und so fügt also das Gute dem Seienden etwas real hinzu. 5. Je mehr man sich von einem Ersten und Einfachen entfernt, desto mehr findet man Unterschiedlichkeit in den Dingen. Während nun in Gott das Seiende und das Gute nur gedanklich verschieden sind, müssen sie daher im Geschöpf mehr als nur gedanklich und darum real verschieden sein, denn über die gedankliche Verschiedenheit hinaus gibt es nur noch die wirkliche Verschiedenheit. 6. Akzidentien fügen dem Wesen etwas real hinzu. Gutheit aber ist ein Akzidenz für das Geschaffene, sonst könnte es das Gutsein nicht verlieren. Darum fügt also das Gute dem Seienden etwas real hinzu. 7. Alles was gemäß einer »In-formation« benannt wird, fügt diesem etwas real hinzu, denn nichts wird von sich selbst »in-formiert«. Nach dem Kommentar zum Buch Von den Ursachen wird das Gute aber gemäß einer In-formierung ausgesagt.4 Das Gute fügt dem Seienden also etwas real hinzu. 8. Nichts bestimmt sich selbst. Das Gute aber bestimmt das Seiende. Also fügt es etwas hinzu. 9. Wenn gesagt wird, daß es dem Seienden etwas nur gedanklich hinzufügt, dann spricht dagegen, daß diesem Gedanken ent2 Aristoteles, Eth. Nic. I, 6; 1096 a 19 u. 23. 3 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 4 (PG 3, col. 700 A; Dion. I,
168); vgl. Sum. theol. I, q. 5 a. 4 arg. 2: »bonum est ex quo omnia subsistunt et sunt.« 4 Liber de causis, prop. 17; n. 148 (ed. Schönfeld, 36 f.).
1. Artikel
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weder etwas Wirkliches entsprechen muß oder aber nichts; wenn aber nichts, dann ist auch dieser Gedanke leer und nichtig. Wenn ihm aber etwas entspricht, dann haben wir das, was behauptet wird: nämlich daß das Gute dem Seienden etwas real hinzufügt. 10. Relationen werden spezifiziert gemäß ihrem Woraufhin. Das Gute aber impliziert einen bestimmten Terminus, nämlich das Ziel. Also bezeichnet das Gute eine spezifizierte Relation. Jedes spezifizierte Seiende fügt aber dem allgemeinen Seienden (ens commune) etwas hinzu. Also fügt auch das Gute dem Seienden also etwas real hinzu. 11. So wie das Gute und das Seiende konvertibel sind, so auch der Mensch und das, was lachen kann. Das Lachensfähige, obschon es konvertibel mit dem Menschen ist, fügt dem Menschen aber eine Eigenschaft hinzu, die der Gattung der Akzidentien zugehört. Also fügt das Gute dem Seienden etwas real hinzu. Dagegen spricht: 1. Augustinus sagt: »sofern Gott gut ist, sind wir; sofern wir aber sind, sind wir gut.«5 So fügt das Gute also dem Seienden nichts hinzu. 2. Was immer sich so verhält, daß eines dem anderen etwas hinzufügt, sei es gedanklich oder real, da kann eines von beiden ohne das andere gedacht werden. Das Seiende aber kann nicht ohne das Gute gedacht werden. Daher fügt das Gute dem Seiende nichts hinzu, weder gedanklich noch real. Der Beweis des Untersatzes ist, daß Gott mehr schaffen kann, als der Mensch verstehen kann. Aber selbst Gott kann nicht ein Seiendes schaffen, das nicht gut wäre, denn es ist gut gerade darum, weil es von dem Guten ist, wie es Boethius im Buch Über die Wochen6 erklärt hat. Also kann das auch der Intellekt nicht verstehen.
5 Augustinus, De doctrina christiana I, 32, 35 (PL 34, col. 32; CCSL 32, 26); vgl. Sum. theol. I q. 5 a. 1sc. 6 Boethius, De hebd., ed. Peiper, 172, 114; ed. Elsässer 40.
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Antwort: Etwas kann etwas anderem auf dreifache Weise hinzugefügt werden. Erstens, indem man etwas hinzufügt, das außerhalb des Wesens dessen liegt, von dem man sagt, daß ihm etwas hinzugefügt wird. So wie z. B. das Weiße dem Körpersein etwas hinzufügt, weil das Wesen des Weißseins dem Wesen des Körperseins etwas hinzufügt. Zweitens wird gesagt, daß etwas dem anderen hinzugefügt wird auf die Art und Weise der Kontraktion oder Bestimmung. So z. B. fügt das Menschsein dem Tiersein etwas hinzu, nicht aber so, als wäre im Menschsein etwas, das völlig außerhalb des Wesens des Tierseins fiele. Anderfalls müßte man sagen, daß nicht alles, was der Mensch ist, Tier ist, sondern daß das Tier lediglich ein Teil des Menschen ist. Tatsächlich aber wird das Tier so vom Menschen umfangmäßig näher bestimmt, daß das, was in der Definition des Menschseins auf bestimmte und aktualisierte Weise vorhanden ist, schon implizit und potentiell in der Definition des Tieres enthalten ist. So wie es nämlich zur Definition des Menschen gehört, eine vernünftige Seele zu haben, so gehört es zur Definition des Tieres irgendeine Seele zu haben – unbestimmt, ob es eine vernünftige oder nicht-vernünftige ist. Diese Bestimmung aber, aufgrund derer gesagt wird, daß das Menschsein dem Tiersein etwas hinzufügt, basiert auf etwas Realem. Drittens wird gesagt, daß etwas dem anderen lediglich gedanklich hinzugefügt wird, dann nämlich, wenn etwas in der Definition des einen liegt, was nicht in der Definition des anderen enthalten ist. Dies aber ist nichts in der Wirklichkeit, sondern nur im Gedanken, gleichgültig, ob es nun das andere, dem es hinzugefügt wird, umfangmäßig näher bestimmt oder nicht. Das Blindsein fügt nämlich dem Menschsein etwas hinzu, nämlich die Blindheit; diese ist aber nichts Wirkliches, sondern sie gehört zu den Gedankendingen, unter die auch die Privationen fallen. Während aber der Mensch dadurch umfangmäßig näher bestimmt wird – denn nicht jeder Mensch ist blind – so gilt dies nicht für den Maulwurf. Nun kann es aber nicht sein, daß dem allgemeinen Seienden etwas in der ersten Weise hinzugefügt wird, obschon eine solche Hinzu-
1. Artikel
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fügung bei einem einzelnen Seienden möglich ist. Es gibt nämlich nichts in der Wirklichkeit, das außerhalb des Wesens des Seins überhaupt fiele; aber es gibt Dinge, die nicht im Wesen dieses bestimmten Seienden enthalten sind. In der zweiten Weise jedoch kann dem Seienden etwas hinzugefügt werden, denn dieses wird umfangmäßig näher bestimmt durch die zehn Kategorien, deren jede dem Seienden etwas hinzufügt. Dies ist zwar nicht ein Akzidenz oder eine Differenz, die außerhalb des Wesens des Seienden fiele, wohl aber ist es eine Art zu sein, die in eben der Existenz dieses Dinges begründet ist. Auf diese Weise aber fügt das Gute dem Seienden nichts hinzu, da das Gute auf dieselbe Weise wie das Seiende in die zehn Kategorien eingeteilt wird, wie es im ersten Buch der Nikomachischen Ethik 7 erklärt ist. Daher muß man schließen, daß es entweder dem Seienden nichts hinzufügt, oder aber etwas nur Gedankliches. Fügte es nämlich etwas Wirkliches hinzu, dann würde das Seiende durch das Gute umfangmäßig näher bestimmt als eine spezielle Gattung. Da aber, wie Avicenna sagt, das Seiende das ist, was zuerst begriffen wird,8 muß jede andere Bezeichnung entweder ein Synonym des Seienden sein – was für das Gute nicht stimmen kann, da das Gute nicht überflüssigerweise vom Seienden ausgesagt wird – oder aber sie fügt dem Seienden wenigstens etwas Gedankliches hinzu. Daraus folgt also, daß das Gute, weil es das Seiende nicht umfangmäßig näher bestimmt, dem Seienden etwas hinzufügt, das lediglich etwas Gedankliches ist. Das aber, was lediglich ein Gedankliches ist, muß von zweifacher Art sein, nämlich entweder eine Negation oder eine Art Relation; alles absolute Setzen nämlich bezeichnet etwas tatsächlich Existierendes. So fügt z. B. das Eine dem Seienden, das der ursprünglichste Begriff des Verstandes ist, etwas hinzu, das nur gedanklich ist, nämlich eine Negation: das Eine wird nämlich das gleichsam ungeteilte Seiende genannt. Das Gute und Wahre jedoch werden positiv ausgesagt, weshalb sie nichts anderes als eine gedankliche Relation hinzufügen können. Diese Beziehung nun, wie Aristoteles im fünf-
7 Aristoteles, Eth. Nic. I, 6; 1096 a 19 u. 23. 8 Avicenna, Liber de philosophia prima I, 5 (ed. Van Riet, I, 31).
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ten Buch der Metaphysik sagt9, erweist sich als bloß gedanklich, insofern man sagt, daß sie etwas auf etwas bezieht, von dem es nicht abhängig ist. Vielmehr ist es umgekehrt, daß nämlich die Beziehung selbst eine gewisse Abhängigkeit herstellt, so wie wir es vom Wissen und Gewußten her kennen: das Wissen nämlich hängt vom Gewußten ab, aber nicht umgekehrt. Daher ist die Relation, die das Wissen auf das Gewußte bezieht eine reale Relation, während die Relation, die das Gewußte auf das Wissen bezieht, eine bloß gedanklich Relation ist. Nach Aristoteles10 wird nämlich das Gewußte nicht deshalb relativ genannt, weil es selbst bezogen ist, sondern weil etwas anderes auf es bezogen ist. Und so ist es mit allem anderen, das sich verhält wie das Gemessene zum Maß oder das Vervollkommnende zu dem was vervollkommnet werden kann. In Konsequenz also fügt das Wahre und Gute dem Begriff des Seienden eine Vervollkommnungs-Beziehung hinzu. In jedem Seienden nun sind zwei Dinge zu bedenken: die Definition der Art, und das Sein selbst, durch welches etwas in dieser Art subsistiert. Dementsprechend kann ein Seiendes in zweierlei Weise vervollkommnend sein: Erstens bloß im Hinblick auf die Art. Auf diese Weise wird der Verstand, der den Begriff des Seienden erfaßt, vom Seienden vervollkommnet. Das Seiende ist aber nicht in ihm in seiner tatsächlichen Realität. Darum fügt das Wahre diese Art der Vervollkommnung dem Seienden hinzu. Das Wahre nämlich ist im Verstand, wie Aristoteles im sechsten Buch der Metaphysik sagt11, und jedes Seiende wird wahr genannt, insofern es mit dem Verstand übereinstimmt oder übereinstimmen kann. Darum schließen alle, die richtig definieren, in der Definition des Wahren den Verstand ein. Zweitens ist das Seiende vervollkommnend nicht nur der Art oder Form (species) nach, sondern auch nach seinem wirklichen Sein. Und in dieser Weise vervollkommnet das Gute. Das Gute nämlich ist in den Dingen, wie Aristoteles im sechsten Buch der Metaphysik
9 Aristoteles, Met. V, 17; 1020 b 26 ff. 10 Aristoteles, Met. V, 17; 1021 a 29. 11 Aristoteles, Met. VI, 4; 1027 b 25.
1. Artikel
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sagt12. Insofern aber ein Seiendes seinem Sein nach ein anderes vervollkommnet und zur Vollständigkeit bringt, hat es den Charakter eines Zieles für das, was es vervollkommnet. Darum schließen alle, die das Gute richtig definieren, in dessen Definition etwas ein, das zum Verhältnis des Zieles gehört. Deshalb sagt Aristoteles im ersten Buch der Nikomachischen Ethik13, daß diejenigen das Gute am besten definieren, die sagen, daß das Gute dasjenige ist, was alle anstreben. So also wird gut zunächst und vor allem ein Seiendes genannt, das ein anderes im Sinne des Zieles vervollkommnet. Zweitens aber wird dasjenige gut genannt, was ins Ziel führt, insofern das Nützliche gut genannt wird, aber auch das, was seiner Natur nach aus dem Ziel folgt. Z. B. wird gesund nicht nur das genannt, was Gesundheit hat, sondern auch das was die Gesundheit bewirkt, bewahrt und bezeichnet.14 Zu 1. Da das Seiende absolut ausgesagt wird, das Gute aber den Bezug zur Zweckursache hinzufügt, ist das Wesen der Sache hinreichend, um durch es etwas als seiend zu bezeichnen, nicht aber um es gut zu nennen. So wie nämlich in den anderen Gattungen der Ursachen das Verhalten der Zweitursache von dem der Erstursache abhängt, das der Erstursache aber von keinem anderem, so verhält es sich auch mit den Zweckursachen: die sekundären Zwecke haben teil am Verhältnis der Zweckursache durch ihre Hinordnung auf den Letztzweck, der letzte Zweck selbst aber hat diese Verhältnis aus sich selbst. Daher genügt das Wesen Gottes, der der Letztzweck der Dinge ist, um durch es Gott als gut zu bezeichnen. Wird aber das Wesen des Geschöpfes gesetzt, so ist damit die Sache noch nicht als gut genannt, es sei denn aus ihrem Verhältnis zu Gott, durch welches es die Bestimmung der Zweckursache empfängt. Von da her sagt man, daß das Geschöpf nicht durch sein Wesen gut ist, sondern durch Teilhabe. In einer Hinsicht nämlich wird das Wesen verstanden als etwas anderes als das Verhältnis zu Gott, durch welches es die Bestimmung der Zweckursache hat. In einer anderen Hinsicht 12 Aristoteles, Met. VI, 4; 1027 b 25. 13 Aristoteles, Eth. Nic. I, 1; 1094 a 3. 14 Top. VII, 3; 153 b 36 ff.
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aber kann das Geschöpf vermöge seines Wesens gut genannt werden, nämlich insofern es kein Geschöpf gibt ohne ein Verhältnis zur Güte Gottes; und das meint Boethius im Buch Über die Wochen15. Zu 2. Nicht nur die Negation, sondern auch eine gewisse Relation bezeichnet das, was bloß gedanklich ist. Zu 3. Jede reale Relation ist in einer bestimmten Kategorie, aber die nicht-realen Relationen können alles Seiende durchziehen. Zu 4. »Sich-verströmend« scheint zwar dem Begriff nach die Aktivität einer Wirkursache zu implizieren, in einem weiteren Sinne kann es aber jedwedes Verhältnis einer Ursache meinen, wie z. B. »beeinflussen« oder »machen« und dergleichen. Wenn aber gesagt wird, daß das Gute sich wesensmäßig verströmt, dann ist das Verströmen nicht so zu verstehen, als wäre die Aktivität einer Wirkursache gemeint, sondern das Verhältnis einer Zweckursache; und solches Verströmen geschieht nicht vermittels eines zusätzlichen Vermögens. Das Gute besagt aber das Verströmen einer Zweckursache statt einer handelnden Ursache zum einen darum, weil das Wirkende als solches nicht das Maß des Dinges und seine Vollkommenheit ist, sondern vielmehr sein Anfang; zum anderen auch darum, weil die Wirkung an der Wirkursache nur gemäß einer Verähnlichung der Form teilhat, während eine Sache dem Ziel seinem ganzen Sein gemäß folgt; und darin besteht das Wesen des Guten. Zu 5. Etwas kann auf zweifache Weise real identisch sein in Gott: erstens, allein von seiten dessen worin sie sind, und nicht aus ihrem eigenen Wesen, wie z. B. Wissen und Mächtigkeit. Das Wissen ist nämlich nicht darum, weil es Wissen ist, real identisch mit der Mächtigkeit, sondern darum weil es göttlich ist. Was auf diese Weise real identisch ist in Gott, erscheint im Geschöpf als real verschieden. Zweitens aufgrund der eigenen Wesensbestimmung dessen, was real identisch ist in Gott; und auf diese Weise sind das Gute und das Seiende real identisch in Gott. Es folgt ja aus dem Wesen des Guten, daß es nicht real verschieden ist vom Seienden; und so sind, wo immer Gutes und Seiendes angetroffen werden, beide real identisch. Zu 6. So wie einiges Seiende wesentlich ist, und einiges akzidentell, so ist auch einiges Gute wesentlich, und einiges akzidentell; und 15 Boethius, De hebd., ed. Peiper, 172, 114; ed. Elsässer 40.
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etwas verliert seine Gutheit in derselben Weise wie sein substantiales und akzidentelles Sein. Zu 7. Aus dem obengenannten Verhältnis ergibt sich, daß das Gute das Seiende nur gedanklich »in-formiert« und bestimmt. Zu 8. Daraus ergibt sich auch die Antwort auf den achten Einwand. Zu 9. Dieser gedanklichen Bestimmung entspricht auch etwas in der Sache, nämlich die reale Abhängigkeit dessen, was auf ein Ziel bezogen ist, von eben diesem Ziel, so wie es auch in anderen gedanklichen Relationen ist. Zu 10. Obwohl das Gute ein spezielles Verhältnis ausdrückt, nämlich das des Zieles, kommt dieses Verhältnis doch jedem Seienden zu und setzt nichts Reales im Seiendes. Daher ist das Argument nicht schlüssig. Zu 11. Obwohl das Lachensfähige mit dem Menschen konvertibel ist, erweitert sie doch das Menschsein durch eine Natur, die über das Wesen des Menschen hinausgeht. Dem Sein aber kann, wie gesagt, in gleicher Weise nichts hinzugefügt werden. Zum ersten Gegenargument aber stimmen wir bei, daß das Gute dem Seienden nichts hinzufügt. Das zweite Gegenargument aber beweist, daß es auch nichts Gedankliches hinzufügt. Deshalb ist zu sagen, daß etwas auf zweifache Weise ohne ein anderes gedacht werden kann: Erstens in der Weise des Aussagens, wenn nämlich verstanden wird, daß das eine ohne das andere ist. Auf diese Weise kann Gott das getrennt erschaffen, was immer der Intellekt ohne das andere denken kann. Das Seiende kann jedoch nicht so ohne das Gute verstanden werden, daß der Verstand etwas als seiend aber nicht als gut denkt. Zweitens kann etwas ohne das andere verstanden werden in der Weise des Definierens, wenn nämlich der Verstand etwas denkt ohne das andere mitzudenken. So z. B. wenn das Tier ohne den Menschen und alle seine anderen Arten gedacht wird. Auf diese Weise kann das Seiende ohne das Gute gedacht werden. Daraus folgt aber nicht, daß Gott ein Seiendes ohne das Gutsein erschaffen könnte, da ja Erschaffen eben das Hervorbringen von Etwas ins Sein meint.
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2. Artik el Die zweite Frage lautet: Sind das Seiende und das Gute ihrer Extension nach vertauschbar?16 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Gegensätze sind dazu bestimmt, hinsichtlich desselben aufzutreten. Das Gute und das Böse jedoch sind Gegensätze. Das Böse ist nun nicht dazu bestimmt, in allem zu sein, denn nach Avicenna gibt es jenseits der Sphäre des Mondes nichts Böses.17 Daraus folgt aber, daß auch das Gute nicht überall zu finden ist. Und so ist das Gute mit dem Seienden nicht vertauschbar. 2. Wenn sich Dinge so verhalten, daß das eine sich auf mehr erstreckt als das andere, können sie nicht miteinander vertauschbar sein. Vielmehr ist es so, wie der Kommentator Maximus im vierten Kapitel von Über die göttlichen Namen sagt,18 daß nämlich das Gute sich auf mehr erstreckt als das Seiende. Es erstreckt sich ja auch auf das Nichtseiende, das zwecks eines Gutes ins Sein gerufen wird. Daher ist das Gute mit dem Seienden nicht vertauschbar. 3. Wie Al-Gazzali sagt,19 das Gute ist eine Vollkommenheit deren Ergreifen erfreut. Aber nicht jedes Seiende hat Vollkommenheit; die materia prima besitzt nämlich keine Vollkommenheit.20 Darum ist nicht jedes Seiende gut. 4. Es gibt im Bereich des Mathematischen Seiendes, aber kein Gutes, wie Aristoteles im dritten Buch der Metaphysik sagt.21 Also sind das Gute und das Seiende nicht vertauschbar. 5. Im Buch Von den Ursachen heißt es,22 daß »das Erste unter den geschaffenen Dingen das Sein ist.« Aber nach Aristoteles in der
16 Paralleltexte: Sent. I, d. 8 q. 1 a. 3; Super Boet. De hebd. lect. 3; ScG II, 41; ibid. III, 20; Sum. theol. I, q. 5, a. 3. 17 Avicenna, Liber de philosophia prima IX, 6 (ed. Van Riet, II, 498). 18 Maximus Confessor, Scholia in De div. nom., IV (PG 4, col. 254) und V, 1 (PG 4, col. 309 B). 19 Al-Gazzali, Metaphysica, p. I, tr. 5 (ed. J. T. Muckle, Toronto: St. Michael’s College, 1933, 129). 20 Aristoteles, Met. VII, 2; 1029 a 20. 21 Aristoteles, Met. III, 4; 996 a 35. 22 Liber de causis, prop. 4; n. 37 (ed. Schönfeld, 8 f.).
2. Artikel
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Kategorienschrift 23 ist das Erste dasjenige, dessen Verhältnis zu seiner Folge nicht umgekehrt werden kann. Demnach kann die Folgebeziehung vom Seienden zum Guten nicht umgekehrt werden; beide sind also nicht vertauschbar. 6. Das Geteilte kann nicht vertauscht werden mit einem seiner Teile, z. B. das Tier mit dem Vernünftigen. Das Seiende wird aber unterteilt in Gutes und Böses, da ja viele Seiende böse genannt werden. Also sind das Gute und das Seiende nicht vertauschbar. 7. Nach Aristoteles im vierten Buch der Metaphysik24 wird auch die Privation in gewisser Weise ein Seiendes genannt. Es kann jedoch in keiner Weise gut genannt werden, denn andernfalls wäre das Böse, das ja als Privation definiert ist, gut. Also sind das Gute und das Seiende nicht vertauschbar. 8. Boethius sagt im Buch Über die Wochen,25 daß alles darum gut genannt wird, weil es vom Guten, d. h. von Gott stammt. Die Güte Gottes ist aber seine Weisheit und seine Gerechtigkeit selbst. Mit derselben Begründung wäre also alles was von Gott kommt Weisheit und gerecht, was aber falsch ist. Also ist auch das erste falsch, daß nämlich alle Dinge gut sind. Dagegen spricht: 1. Alles strebt nach etwas ihm Ähnlichem. Alles Seiende aber strebt nach dem Guten, wie Boethius in Über die Wochen sagt.26 Also ist alles Seiende gut; und nichts kann gut sein, außer dasjenige, das irgendwie ist. Also sind das Gute und das Seiende vertauschbar. 2. Von Gutem kann nur Gutes kommen; alles Seiende aber geht aus der göttlichen Güte hervor. Daher ist alles Seiende gut, und so folgt dasselbe wie oben. Antwort: Da das Wesen des Guten darin besteht, daß etwas ein anderes nach der Art des Zieles vervollkommnet, hat alles das, was das We23 24 25 26
Aristoteles, Cat. 12; 14 a 29 und 34. Aristoteles, Met. IV, 1; 1003 b 5 ff. Boethius, De hebd., ed. Peiper, 172, 114; ed. Elsässer, 40. Boethius, De hebd., ed. Peiper, 170, 53; ed. Elsässer, 36.
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sen eines Zieles erfüllt, auch das Wesen des Guten. Zweierlei aber gehört zum Wesen des Zieles: erstens, daß es von denen begehrt und erstrebt wird, die es noch nicht erreicht haben, und zweitens, daß es geliebt wird und begehrenswert ist für diejenigen, die schon am Ziel teilhaben; denn aus demselben Grunde gibt es das Streben zum Ziel und das Ruhen im Ziel. Aufgrund derselben Natur z. B. strebt der Stein zur Mitte und ruht auch in der Mitte. Es zeigt sich nun, daß diese beiden Bestimmungen auch dem Sein zukommen. Was nämlich noch nicht am Sein teilhat, strebt aus einem natürlichem Begehren zum Sein – weshalb auch die Materie nach der Form strebt, wie Aristoteles im ersten Buch der Physik sagt.27 Alles jedoch, was das Sein bereits hat, liebt dieses Sein natürlicherweise und bewahrt es mit aller seiner Kraft. Darum sagt Boethius im dritten Buch Vom Trost der Philosophie: »Die göttliche Vorsehung gibt den von ihr geschaffenen Dingen diese größte Ursache des Bleibens, daß sie, soweit sie es vermögen, natürlicherweise das Bleiben begehren. Darum kannst Du auf keine Weise bezweifeln, daß alles, was ist, natürlicherweise die Beständigkeit des Bleibens erstrebt und den Untergang vermeidet.«28 Das Sein selbst hat daher das Wesen des Guten. So wie es unmöglich ist, daß etwas ein Seiendes ist, aber kein Sein hat, so ist es aus demselben Grunde auch notwendig, daß alles Seiende gut ist, einfach darum, weil es das Sein hat – auch wenn in einigen Seienden viele andere Gründe des Gutseins hinzukommen, über sein bloßes Sein der Subsistenz hinaus. Da nun das Gute das Wesen des Seins einschließt, wie gerade gezeigt worden ist, ist es unmöglich, daß etwas ein Gutes ist, aber kein Seiendes. Und so bleibt nichts anderes übrig, als daß das Gute und das Seiende vertauschbar sind. Zu 1. Das Gute und das Böse sind einander entgegengesetzt nach der Weise von Privation und Habitus. Es ist aber nicht nötig, daß, was immer einen Habitus besitzt, darum auch die Privation haben kann. So folgt es nicht, daß worin immer sich eine Eignung zum Gutsein findet, deshalb auch eine Eignung zum Bösesein besteht.
27 Aristoteles, Phys. I, 15; 192 a 18 ff. 28 Boethius, Philos. consol. III, pr. 11 (PL 63, col. 774 B; CCSL 94, 58).
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Für Gegensätzliches gilt auch, nach Aristoteles’ Kategorienschrift,29 daß, wenn etwas seiner Natur nach in einer Sache ist, das andere gar nicht in demselben sein kann. Das Gute aber ist in jedem Seienden seiner Natur nach, da dies gut genannt wird einfach aufgrund seines natürlichen Seins. Zu 2. Das Gute erstreckt sich auf Nichtseiendes durch Kausalität, nicht durch Prädikation, nämlich sofern Nichtseiende das Gute erstreben. Wir nennen Nichtseiendes ja das, was in Potenz ist, und nicht im Akt. Das Sein aber hat Kausalität allenfalls im Sinne einer Exemplarursache; diese Kausalität erstreckt sich jedoch nur auf dasjenige was tatsächlich und aktuell am Sein partizipiert. Zu 3. So wie die Materia Prima ein bloß potentielles, nicht aktuelles Seiendes ist, so ist es auch nur potentiell, nicht aktuell vollkommen, potentiell, aber nicht aktuell gut. Zu 4. Dasjenige, was der Mathematiker betrachtet, ist gut, sofern es ein Sein in den Dingen hat. Das Sein der Linien und Zahlen nämlich ist gut. Sie werden aber vom Mathematiker nicht hinsichtlich ihres Seins betrachtet, sondern nur im Sinne des Artbegriffes; er betrachtet sie nämlich abstrakt. Abstrakt aber sind sie nicht ihrem Sein nach, sondern nur dem Begriff nach. Es war aber oben gesagt worden, daß das Gute dem Begriff der Art nur gemäß dem Sein folgt, das etwas in einer Sache hat. Darum kommt den Linien und Zahlen das Gute nicht zu, sofern der Mathematiker sie betrachtet, obwohl Linie und Zahl gut sind. Zu 5. Das Seiende wird nicht in demjenigen Sinne dem Guten gegenüber als früher bezeichnet, in welchem der Einwand das »früher« nimmt, sondern in dem Sinne, in welchem das Absolute früher ist als das Relative. Zu 6. Etwas kann als gut bezeichnet werden entweder aufgrund seines Seins, oder aufgrund einer Eigenschaft, oder aufgrund eines hinzugefügten Verhältnisses. So wird ein Mensch als gut bezeichnet sowohl insofern er ist, als auch insofern er gerecht und keusch ist, oder als auf die Seligkeit hingeordnet. Im Sinne der ersten Gutheit also ist das Gute mit dem Seienden vertauschbar, aber im zweiten Sinne unterteilt das Gute das Seiende. 29 Aristoteles, Cat. 10; 13 a 18.
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Zu 7. Die Privation wird kein reales Seiendes genannt, sondern nur ein Gedankending. So ist es also auch ein gedankliches Gutes. Denn Privationen und dergleichen erkennen ist gut, und nach Boethius30 kann die Kenntnis des Bösen nicht ohne das Gute sein. Zu 8. Nach Boethius31 wird etwas »gut« genannt aufgrund seines eigenen Seins, »gerecht« aber wird es genannt aufgrund einer seiner Handlungen. Das Sein nun wird in alles verströmt, was von Gott hervorgeht, nicht alles jedoch hat teil an demjenigen Handeln, das auf die Gerechtigkeit hingeordnet ist. Obwohl nämlich in Gott Handeln und Sein dasselbe sind, und aufgrund dessen auch seine Gerechtigkeit und seine Güte, ist das Handeln und Sein in den Geschöpfen verschieden. Darum kann etwas das Sein mitgeteilt werden, ohne daß ihm auch das Handeln mitgeteilt würde; und auch da, wo ihm beides mitgeteilt wird, sind Handeln und Sein doch verschieden. Dementsprechend sind auch Menschen, die gut und gerecht sind, gut insofern sie sind, gerecht aber nicht sofern sie sind, sondern insofern sie einen gewissen Habitus haben, der sie auf das Handeln hinordnet. Ähnliches könnte von der Weisheit und dergleichen gesagt werden. Oder anders gesagt – wiederum nach Boethius32 –, Gerechtsein und Weisesein sind spezielle Weisen des Gutsein, da sie spezielle Vollkommenheiten sind. Das Gute aber bezeichnet etwas schlechthin Vollkommenes. Vom vollkommenen Gott selbst also gehen vollkommene Dinge hervor, aber nicht in demselben Sinne vollkommen, in dem Gott vollkommen ist, denn das was gemacht wird existiert nicht in der Weise des Machenden, sondern in der des Gemachten. Ebensowenig empfängt alles was von Gott Vollkommenheit empfängt, dieses in derselben Weise. So wie es Gott und allen Geschöpfen gemeinsam ist, überhaupt vollkommen zu sein, nicht jedoch vollkommen in diesem oder jenem Sinne, so kommt darum auch das Gutsein Gott und den Geschöpfen zu. Aber diese oder jene Gutheit zu haben, wie z. B. Weisheit und Gerechtigkeit, braucht nicht allen gemeinsam 30 Boethius, De differentiis topicis II (PL 64, col. 1184 B). 31 Boethius, De hebd., ed. Peiper, S. 174, 157; ed. Elsässer 42. 32 Boethius, De hebd., ed. Peiper, S. 174, 164; ed. Elsässer 44.
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zu sein, sondern einige kommen Gott allein zu, wie die Ewigkeit und Allmacht, andere Gott und den Geschöpfen, wie Weisheit, Gerechtigkeit und dergleichen.
3. Artik el Die dritte Frage lautet: Geht das Gute gedanklich dem Wahren voraus?33 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Das was wirklich ist, ist früher als das, was bloß im Auffassungsvermögen ist, weil unsere Auffassung von den Dingen her verursacht ist und gemessen wird. Nach dem jedoch, was Aristoteles im sechsten Buch der Metaphysik sagt,34 ist das Gute in den Dingen, das Wahre aber im Verstand. Darum ist das Gute gedanklich früher als das Wahre. 2. Das, was in sich vollkommen ist, ist gedanklich früher als das, was etwas anderes vervollkommnet. Gut nun wird etwas genannt, insofern es in sich vollkommen ist, wahr aber, sofern es ein anderes vervollkommnet. Daher ist das Gute früher als das Wahre. 3. Das Gute wird gemäß einer Hinordnung auf die Zweckursache prädiziert, das Wahre jedoch gemäß einer Hinordnung auf die Formalursache. Nun ist aber die Zweckursache früher als die Formalursache, da der Zweck die Ursache der Ursachen ist.35 Also ist das Gute gedanklich früher als das Wahre. 4. Ein partikulares Gut ist später also ein allgemeines. Das Wahre ist aber ein partikulares Gut: es ist das Gut des Intellektes, wie Aristoteles im sechsten Buch der Nikomachischen Ethik sagt.36 Also ist das Gute naturgemäß gedanklich früher als das Wahre. 5. Das Gute hat das Wesen des Zieles. Das Ziel aber ist das erste der Intention nach. Daher ist die Intention des Guten früher als die Intention des Wahren. 33 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 16, a. 4; Super Hebr. XI, lect. 1. 34 Aristoteles, Met. VI, 4; 1027 b 25. 35 Aristoteles, Phys. II, 5; 195 a 24 und Avicenna, Liber de philosophia
prima VI, 5 (Venedig 1513, fol. 94va–vb; ed. Van Riet, II, 337). 36 Aristoteles, Eth. Nic. VI, 2; 1139 a 27.
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Dagegen spricht: 1. Das Gute vervollkommnet den Affekt, das Wahre den Intellekt. Der Intellekt geht aber der Natur nach dem Affekt voraus, also auch das Wahre dem Guten. 2. Je immaterieller etwas ist, desto früher ist es. Das Wahre aber ist immaterieller als das Gute, weil das Gute auch in materiellen Dingen zu finden ist, während das Wahre sich nur im immateriellen Geist findet. Darum ist das Wahre der Natur nach früher als das Gute. Antwort: Sowohl das Gute also auch das Wahre haben, wie gesagt wurde, das Wesen von Vollkommenheiten oder des Vervollkommnenden. Die Ordnung unter Vollkommenheiten kann man jedoch auf zweifache Weise betrachten: einerseits von seiten der Vollkommenheiten selbst, andererseits von seiten dessen, was der Vervollkommnung fähig ist. Wenn man also das Wahre und Gute in sich selbst betrachtet, dann ist das Wahre gedanklich früher als das Gute, denn das Wahre vervollkommnet etwas gemäß der Form (species), das Gute aber nicht nur der Form (species), sondern auch demjenigen Sein nach, das es in der Wirklichkeit hat; und so schließt das Wesen des Guten mehr ein, als das Wesen des Wahren; es verhält sich zu diesem gewissermaßen als etwas durch Hinzufügung Konstituiertes. Und so setzt also das Gute das Wahre voraus. Das Wahre seinerseits aber setzt das Eine voraus, denn das Wesen des Wahren wird durch die Auffassung des Intellektes vervollkommnet; alles aber ist intelligibel insofern es Eines ist. Wer nämlich nicht Eines versteht, versteht gar nichts, wie Aristoteles im vierten Buch der Metaphysik sagt.37 Daher ist die Ordnung unter diesen Transzendentalien, wenn sie als solche betrachtet werden, von der Art, daß auf das Seiende das Eine folgt, auf das Eine das Wahre, und auf das Wahre das Gute. Wenn man nun aber die Ordnung zwischen dem Wahren und Guten von seiten dessen auffaßt, was vervollkommnet werden kann, 37 Aristoteles, Met. IV, 4; 1003 b 23–32; u. 1006 b 10; u. I, 2; 1054 a 13–19; Top. II, 10; 114 b 34–35.
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dann ist im Gegenteil das Gute der Natur nach früher als das Wahre, und war in zweierlei Weise: Erstens, weil die Vollkommenheit des Guten sich auf mehr erstreckt als die Vollkommenheit des Wahren. Geeignet vom Wahren vervollkommnet zu werden sind nämlich nur diejenigen Dinge, die ein Seiendes bloß seiner Form (ratio) nach in sich selbst aufnehmen oder haben können, nicht aber dem Sein nach, das sie in sich selbst haben. Von dieser Art sind nur die Dinge, die etwas immateriell empfangen, und die erkenntnisfähig sind. Die Form (species) des Steines nämlich ist zwar in der Seele, nicht aber dem Sein nach, das sie im Stein hat. Vom Guten aber kann auch das vervollkommnet werden, was etwas dem materiellen Sein nach aufnimmt; das Wesen des Guten besteht ja darin, das es etwas vervollkommnet nicht nur der Form (species), sondern auch dem Sein nach, wie schon gesagt wurde. Darum strebt zwar alles nach dem Guten, nicht alle aber erkennen das Wahre. In beiden Fällen nämlich zeigt sich ein Verhältnis von dem was vervollkommnet werden kann, zu dem was vervollkommnet, welches entweder das Gute oder das Wahre ist; es ist nämlich entweder das Streben nach dem Guten oder die Erkenntnis des Wahren. Zweitens, weil selbst diejenigen Dinge, die sowohl vom Guten als auch vom Wahren vervollkommnet werden können, früher vom Guten vervollkommnet werden als vom Wahren. Sofern sie nämlich am Sein partizipieren, werden sie vom Guten vervollkommnet, sofern sie aber erkannt werden, vom Wahren. Erkennen aber ist später als Sein, sodaß auch in dieser Hinsicht von seiten dessen, was vervollkommnet werden kann, das Gute dem Wahren vorausgeht. Zu 1. Dieses Argument basiert auf der Ordnung des Wahren und Guten von seiten dessen was vervollkommnet werden kann, nicht jedoch von seiten des Wahren und Guten selbst. Der Geist ist nämlich nur durch das Wahre zu vervollkommnen, während alle Dinge vom Guten vervollkommnet werden können. Zu 2. Das Gute hat nicht nur das Wesen der Vollkommenheit, sondern auch dessen, was vervollkommnet, also ganz so wie auch das Wahre, wie zuvor gesagt wurde. Darum ist das Argument nicht schlüssig.
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Zu 3. Der Zweck ist früher im Verursachen als jede andere der Ursachen. Das Verursachte wird aber durch seine Ursache vervollkommnet, weshalb dieses Argument vorgeht nach der Ordnung dessen, was vervollkommnet werden kann, zu der Vollkommenheit selbst; in dieser Ordnung ist das Gute früher. Wenn man aber Form und Zweck absolut und in sich selbst betrachtet, dann ist die Form selbst ein Zweck; bevor sie aber für ein anderes zum Zweck wird, existiert sie in sich selbst. Das Wesen des Wahren aber geht aus der Form (species) hervor, einfach darum weil sie als solche erkannt wird, so wie sie ist. Zu 4. Das Wahre ist ein Gutes insofern es in etwas Besonderem existiert, das vervollkommnet werden kann. Und so beruht auch dieses Argument auf der Hinordnung dessen, was vervollkommnet werden kann, auf die Vollkommenheit selbst. Zu 5. Der Zweck wird früher genannt als das, was auf den Zweck hingeordnet ist, nicht aber früher als die anderen Ursachen, außer sie sind auf den Zweck hingeordnet. Und so ist dieses Argument so zu beantworten wie das Dritte. Man muß jedoch wissen, daß, wenn gesagt wird, der Zweck sei der Intention nach früher, der Zweck als derjenige Akt des Bewußtseins genommen wird, welcher »intendieren« genannt wird. Wenn wir aber die »Intention« des Guten und Wahren vergleichen, wird »Intention« im Sinne einer Definition verstanden, weshalb beides im Argument aequivok gebraucht wurde. Zum 1. Gegenargument. Etwas ist geeignet vom Guten vervollkommnet zu werden nicht nur vermittels eines Affektes, sondern auch insofern es Sein hat. Und obschon der Intellekt früher ist als der Affekt, folgt daraus nicht, daß etwas früher vom Wahren vervollkommnet wird als vom Guten. Zum 3. Gegenargument. Dieses Argument geht vor gemäß der Betrachtung des Wahren und Guten so wie sie in sich selbst sind. Insofern ist es zuzugeben.
4. Artik el Die vierte Frage lautet: Ist alles gut durch die Erste Gutheit?38 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Boethius sagt im Buch Von den Wochen:39 wenn wir, was unmöglich ist, verstandesmäßig die Gutheit von Gott abstrahieren, folgte, daß alles andere zwar ein Seiendes wäre, nicht aber ein Gutes. Wenn wir aber Gott so verstehen, daß er gut ist, dann folgt, daß auch alles andere gut ist, so wie es auch ein Seiendes ist. Also wird alles gut genannt aufgrund der Ersten Gutheit. 2. Wenn von der Gutheit Gottes abstrahiert wird, ist auch keine Gutheit in den Geschöpfen; es wird nun behauptet, daß dies nur darum der Fall ist, weil die Gutheit der Geschöpfe von der Gutheit Gottes verursacht wird, nicht aber weil sie formal von der Gutheit Gottes her so bezeichnet würden. Dagegen spricht aber, daß, wann immer etwas nur in Hinblick auf ein Anderes als auf eine gewisse Weise Beschaffenes bezeichnet wird, es nicht als ein solches bezeichnet wird aufgrund eines ihm formell Innewohnenden, sondern aufgrund von etwas außerhalb seiner selbst, auf das es bezogen ist. So verhält es sich mit dem Urin, der gesund genannt wird, weil er die Gesundheit des Tieres anzeigt; er wird nicht gesund genannt aufgrund einer ihm innewohnenden Gesundheit, sondern aufgrund der Gesundheit des Tieres, die er anzeigt. Das Geschöpf aber wird gut genannt in Hinblick auf die Erste Gutheit, weil alles deshalb gut genannt wird, weil es vom Ersten Guten ausströmt, wie Boethius im Buch Von den Wochen sagt.40 Darum wird das Geschöpf nicht aufgrund einer Gutheit gut genannt, die ihm formell innewohnen würde, sondern aufgrund der göttlichen Gutheit. 3. Augustinus sagt im achten Buch Von der Dreifaltigkeit, »dies ist gut und das ist gut, nimm das ›dies‹ und ›das‹ weg, und schau das Gute selbst, wenn du kannst; so wirst du Gott sehen, nicht als
38 Paralleltexte: Sent. I, d. 19 q. 5 a. 2 ad 3; ScG II, 40; Sum. theol. I, q. 6, a. 4. 39 Boethius, De hebd., ed. Peiper, 171, 85; ed. Elsässer, 38 f. 40 Boethius, De hebd., ed. Peiper, 172, 114; ed. Elsässer, 40.
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gut durch ein anderes Gutes, sondern als das Gute alles Guten.«41 Durch das Gute aber, das das Gute alles anderen Guten ist, wird alles gut genannt. Also wird durch das erwähnte göttliche Gute alles gut genannt. 4. Jedes Geschöpf ist gut entweder durch eine ihm innewohnende Gutheit, oder durch die Erste Gutheit allein. Wenn es durch eine ihm innewohnende Gutheit gut ist, dann ist diese Gutheit wieder selbst ein Geschaffenes, die ihrerseits entweder durch ein anderes oder durch seine eigene Gutheit gut ist. Wenn es durch seine eigene Gutheit gut ist, dann ist es die Erste Gutheit. Wie es sich in der angeführten Belegstelle bei Augustinus42 zeigte, ist es nämlich das Wesen des Ersten Guten, durch sich selbst gut zu sein. So gelangen wir also zu der These, daß das Geschöpf durch die Erste Gutheit gut ist. Wenn aber dieses Gute durch ein anderes gut ist, dann ergibt sich dieselbe Frage erneut. Und so geht es entweder fort ins Unendliche, was unmöglich ist, oder wir gelangen zu einem Guten, von dem her das Geschöpf als gut bezeichnet wird, und das durch sich selbst gut ist; und das wäre dann wieder die Erste Gutheit. So ergibt sich also auf jede Weise, daß das Geschöpf durch die Erste Gutheit gut ist. 5. Nach Anselm ist alles Wahre wahr durch die Erste Wahrheit.43 So wie sich aber die Erste Wahrheit zum Wahren verhält, so auch die Erste Gutheit zum Guten. Also ist alles gut durch die Erste Gutheit. 6. Was unvermögend hinsichtlich weniger ist, ist unvermögend auch hinsichtlich mehr. Zu sein aber ist weniger, als gut zu sein. Das Geschöpf jedoch vermag nicht von sich aus zu sein, denn alles Sein ist von Gott. Also vermag es auch nicht, von sich aus gut zu sein. So ist also die Gutheit, aufgrund derer etwas gut genannt wird, nicht die geschaffene Gutheit. 7. Nach Hilarius ist Sein eine Eigentümlichkeit (proprium) Gottes.44 Eine Eigentümlichkeit ist aber das, was nur einem zukommt. 41 Augustinus, De trin. VIII, 3, 4 (PL 42, col. 949; CCSL 50, 272). 42 Ibid. 43 Anselm von Canterbury, De veritate 7 (PL 158, col. 475; Opera om-
nia I, ed. Schmitt, 185) und 13 (PL 158, col. 484 ff.; ed. Schmitt I, 196 ff.). 44 Hilarius von Poitiers, De trin. I, 5 (PL 10, col. 28 C), VII, 11 (PL 10, col. 208 B) und XII, 24 (PL 10, col. 447 B).
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Also kommt es allein Gott zu, zu sein. Nun ist aber alles gut, sofern es Sein hat. Also ist alles gut durch das göttliche Sein, das seine Gutheit ist. 8. Der Ersten Gutheit wird nichts über die Gutheit als solcher hinaus zugefügt, sonst wäre die Erste Gutheit zusammengesetzt. Da es nun stimmt, daß alles gut ist durch Gutheit, ist es also auch wahr, daß alles gut ist durch die Erste Gutheit. 9. Nun wendet jemand ein, daß die Erste Gutheit etwas über die Gutheit als solche (absoluta) nicht wirklich, sondern nur gedanklich hinzugefügt. – Dagegen ist zu sagen, daß ein Gedanke, dem nichts in der Wirklichkeit entspricht, nichtig und leer ist. Der Gedanke, durch den wir die Erste Gutheit verstehen, ist aber nicht leer. Wer etwas gedanklich hinzufügt, fügt also auch etwas der Sache nach hinzu. Das ist hier aber unmöglich. Demnach fügt er also auch gedanklich nichts hinzu, und so wird alles gut genannt durch die Erste Gutheit, sowie auch durch die absolute Gutheit als solche. Dagegen spricht: 1. Alles ist gut insofern es ein Seiendes ist, oder, nach Augustinus: »insofern wir sind, sind wir gut.«45 Es werden aber nicht alle Seienden formell so genannt aufgrund der Ersten Seiendheit (essentia), sondern aufgrund der geschaffenen Seiendheit. Also ist auch nicht alles formell gut aufgrund der Ersten Gutheit, sondern aufgrund der geschaffenen Gutheit. 2. Das Veränderliche wird nicht vom Unveränderlichen her bestimmt (informatur), denn sie sind Gegensätze.46 Alles Geschaffene aber ist veränderlich, während die Erste Gutheit unveränderlich ist. Also wird das Geschöpf nicht aufgrund der Ersten Gutheit formell gut genannt. 3. Alle Form ist demjenigen proportioniert, welches es vervollkommnet. Da die Erste Gutheit nun unendlich ist, kann sie dem
45 Augustinus, De doctrina christiana I, 32, 35 (PL 34, col. 32; CSEL 80, 27; CCSL 29, 26). 46 Vgl. Johannes Damascenus, De fide orth. II, 27 (PG 94, col. 960 C; ed. Buytaert, 152 f.).
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Geschöpf, das endlich ist, nicht proportioniert sein. Also wird das Geschöpf nicht aufgrund der Ersten Gutheit formell gut genannt. 4. Nach Augustinus im achten Buch Von der Dreifaltigkeit ist alles Geschaffene »gut durch Teilhabe am Guten.«47 Die Teilhabe am Guten ist aber nicht die Erste Gutheit selbst. Diese ist nämlich die völlige und vollkommene Gutheit. Also ist nicht alles formell aufgrund der Ersten Gutheit gut. 5. Vom Geschöpf wird gesagt, daß es eine Spur der Dreifaltigkeit hat, sofern es eines, wahr und gut ist.48 Und so gehört das Gute zur Spur. Die Spur aber und ihre Teile sind etwas Geschaffenes. Also ist das Geschöpf gut durch eine geschaffene Gutheit. 6. Die Erste Gutheit ist völlig einfach. Also ist es nicht in sich zusammengesetzt, noch ist es mit anderem zusammensetzbar. So kann es nicht die Form von etwas sein, denn die Form tritt in eine Zusammensetzung mit dem ein, dessen Form es ist. Die Gutheit durch die etwas gut genannt ist, ist aber eine Form, da alles Sein von der Form stammt. Also sind die Geschöpfe nicht aufgrund der Ersten Gutheit formell gut. Antwort: Hinsichtlich dieser Frage gibt es verschiedene Standpunkte. Einige nämlich wurden durch nichtsnutzige Argumente dazu verleitet, von Gott als der Substanz aller Dinge zu schwärmen. Von diesen wieder behaupteten einige, wie zum Beispiel David von Dinant, Gott sei dasselbe wie die Materia Prima.49 Andere behaupteten er sei die Form aller Dinge. Die Absurdität (falsitas) ihres Irrtums ist sofort offenkundig. Alle nämlich, die von Gott reden, verstehen unter Gott 47 Augustinus, De trin. VIII, 3, 5 (PL 42, col. 950; CCSL 50, 273). 48 Ibid. VI, 10 (PL 42, col. 932). 49 Vgl. Sum. theol. I, q. 3, a. 8; Albertus Magnus, De homine q. 5 a. 2
(ed. Col. XXVII/2, 61 ff.); R. de Vaux, Note conjointe sur un texte retrouvé de David de Dinant, in: Revue des Sciences Philosophiques et théologiques 22 (1933) 244. Henryk Anzulewicz, David von Dinant und die Anfänge der aristotelischen Naturphilosophie im Lateinischen Westen, in: L. Honnefelder u. a. (Hg.), Albertus Magnus und die Anfänge der Aristoteles-Rezeption im lateinischen Mittelalter, Münster 2005 (Subsidia Albertina, 1), 71–112. Auch Amalrich von Chartres zugeschriebene Auffassung.
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das erste wirkende Prinzip aller Dinge, da alles Seiende aus einem Ersten Seienden hervorgehen muß. Nach Aristoteles im zweiten Buch der Physik kann aber die Wirkursache nicht mit der Materialursache in eins zusammenfallen, da sie ein entgegengesetztes Wesen haben.50 Alles nämlich ist ein Tätiges insofern es im Akt ist. Es ist aber das Wesen der Materie, in Potenz zu sein. Das Wirkende ferner und das Erwirkte sind zwar der Art nach dasselbe, insofern jedes Tätige auf sich selbst ähnliche Weise tätig ist, aber sie sind nicht dasselbe der Zahl nach, denn das Machende und das Gemachte können nicht dasselbe sein. Daraus ergibt sich, daß das göttliche Wesen weder die Materie noch die Form eines Dinges ist – so als ob durch sie das Geschöpf formell gut sein könnte durch eine ihm verbundene Form. Jede Form nun ist aber eine Ähnlichkeit Gottes. Darum sagten die Platoniker, daß alles formell gut ist vermöge der Ersten Gutheit, aber nicht wie durch eine ihm verbundene Form, sondern durch eine getrennte Form.51 Um dies zu verstehen, muß man wissen, daß Platon dasjenige, das verstandesmäßig abgetrennt werden kann, auch der Sache nach als getrennt ansah.52 So wie man »Mensch« verstehen kann unter Absehung von Sokrates und Platon, behauptete er, daß es »den Menschen« neben Sokrates und Plato gebe; er nannte diesen den »Menschen als solchen« und die »Idee des Menschen«, und durch Teilhabe an dieser Idee werden Sokrates und Platon Menschen genannt. So nun, wie er den gemeinsamen Menschen des Sokrates und Platon und aller gleichartigen fand, so fand er auch, daß das Gute allem Guten gemeinsam ist, und daß das Gute verstanden werden könne unter Absehung von diesem oder jenem Guten. Daher behauptete er auch, das Gute sei abgetrennt von allem besonderen Guten. Dies erklärte er zum »Guten an sich« oder der »Idee des Guten«, durch Teilnahme an welchem alles gut genannt werde, wie Aristoteles im ersten Buch der Nikomachischen Ethik erklärt.53 Er unterschied aber zwischen der Idee des Guten und der Idee des Menschen, insofern 50 51 52 53
Aristoteles, Phys. II, 11; 198 a 24. Nach Aristoteles, Eth. Nic. I, 4; 1095 a 26. Nach Aristoteles, Met. III, 7; 997 b 8 u. Phys., II, 3; 193 b 35. Nach Aristoteles, Eth. Nic. I, 4; 1095 a 26.
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die Idee des Menschen sich nicht auf alles erstreckt, während die Idee des Guten sich auf alles erstreckt, auch auf die Ideen selbst. Denn die Idee des Guten selbst ist ein partikulares Gut, und so muß man sagen, daß das durch sich Gute selbst das universale Prinzip von allem ist, und das ist Gott. Darum folgt für diese Position, daß alles gut genannt wird vermöge des Ersten Gutheit, welche Gott ist – ganz so wie nach Platon Sokrates und Platon Menschen genannt werden vermöge der Teilhabe am abgetrennten Menschen und nicht vermöge der ihnen einwohnenden Menschheit. Dieser Position folgen in gewisser Weise die Porretaner.54 Sie sagen nämlich, daß wir das Gute einfachhin (simpliciter) aussagen, so z. B. wenn wir sagen »der Mensch ist gut«, oder auch als etwas Hinzugefügtes (aliquo addito), wie wenn wir sagen »Socrates ist ein guter Mensch«. Sie sagen dementsprechend, daß das Geschöpf einfachhin gut genannt wird, nicht durch eine innewohnende Gutheit, sondern durch die Erste Gutheit, so als ob die allgemeine und absolute Gutheit die göttliche Gutheit wäre. Wenn aber das Geschöpf ein gutes dies oder das genannt wird, dann wird es von der geschaffenen Gutheit her so genannt, weil nach Platon die partikulären geschaffenen Gutheiten so wie die partikulären Ideen sind. Diese Auffassung wird aber nach Aristoteles auf vielfache Weise widerlegt. Zum einen, weil die Wesenheiten und Formen der Dinge in den partikulären Dingen selbst sind, und nicht von ihnen getrennt, wie er auf vielfältige Weise im siebten Buch der Metaphysik beweist.55 Zum anderen, weil, selbst wenn wir annehmen, daß es Ideen gibt, dies nicht für das Gute gilt, denn das Gute wird von den guten Dingen nicht univok ausgesagt, und in solchen Fällen wird nach Platon auch nicht eine Idee zugesprochen; auf diesem Weg argumentiert Aristoteles gegen Platon im ersten Buch der Nikomachischen Ethik.56 Für den Streitpunkt erweist sich jedoch die Falschheit der genannten Position insbesondere daraus, daß alles Tätige sich als ein sich 54 Gilbert von Poitiers, Comm. super librum Quomodo substantiae bonae sint (PL 64, col. 1328 f.); vgl. Summa fratris Alexandri I, n. 105 (Quaracchi 1924–48), 165. 55 Aristoteles, Met. VII, 14; 1039 a 24 ff. 56 Aristoteles, Eth. Nic. I, 7; 1096 b 20 ff.
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selbst ähnlich Handelndes erweist. Wenn also die Erste Gutheit alles Gute bewirkt, muß es allen erwirkten Dingen auch seine Ähnlichkeit einprägen. Und so wird alles gut genannt wie eine einwohnende Form vermöge einer Ähnlichkeit, die ihm von höchsten Guten eingegeben wurde, und darüber hinaus durch die Erste Gutheit als Exemplar und Wirkursache aller geschaffenen Gutheit. Insofern kann die Meinung Platons aufrecht erhalten werden. So sagen wir also im Einklang mit der herrschenden Meinung,57 daß alles gut ist formell vermöge einer geschaffenen Gutheit, d. h. wie durch eine einwohnende Form, vermöge der ungeschaffenen Gutheit aber wie durch eine exemplarische Form. Zu 1. Wie zuvor schon berührt wurde, das Geschöpf wäre darum nicht gut, wenn von der Gutheit in Gott abstrahiert würde, weil die Gutheit des Geschöpfes sein Exemplar in der göttlichen Gutheit hat. So folgt also nicht, daß das Geschöpf gut genannt wird aufgrund der ungeschaffenen Gutheit, außer gemäß seiner exemplarischen Form. Zu 2. Auf zweifache Weise erhält etwas mit Bezug auf ein anderes seine Bezeichnung: (1) Zum einen, wenn dieser Bezug selbst der Grund der Benennung ist. Auf diese Weise wird Urin gesund genannt mit Bezug auf die Gesundheit des Tieres. Der Grund des Gesunden, sofern es vom Urin ausgesagt wird, ist das Zeichensein für die tierische Gesundheit. Solches, das in dieser Weise mit Bezug auf ein anderes benannt wird, wird nicht benannt von einer ihm innewohnenden Form her, sondern von etwas Äußerlichem her, auf das es bezogen ist. (2) Auf andere Weise wird etwas mit Bezug auf ein anderes benannt, wenn der Bezug nicht der Grund, sondern die Ursache der Benennung ist. So wird die Luft von der Sonne her leuchtend genannt, aber nicht so, als ob dieses Bezogenwerden der Luft auf die Sonne das Erleuchten der Luft ist, sondern weil die direkte Konfrontation der Luft mit der Sonne die Ursache ist, daß sie leuchtet. Es ist in dieser Weise, daß das Geschöpf gut genannt wird mit Bezug auf Gott. Darum ist das Argument nicht schlüssig.
57 Vgl. Summa fratris Alexandri I, n. 105 (Quaracchi 1924–48), 165 und Albertus Magnus, De bono q. 1 a. 2 (ed. Col. XXVIII, 8).
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Zu 3. Augustinus folgte in vielem der Auffassung Platons, soweit dies vereinbar war mit der Wahrheit des Glaubens. Darum sind seine Worte so zu verstehen, daß die göttliche Gutheit das Gute alles Guten genannt wird, insofern sie die erste Wirkursache und die Exemplarursache alles Guten ist, ohne daß dadurch die geschöpfliche Gutheit ausgeschlossen würde, durch die das Geschöpf gemäß einer innewohnenden Form gut genannt wird. Zu 4. Es verhält sich unterschiedlich in allgemeinen Formen und speziellen Formen. In speziellen Formen gibt es nämlich keine Prädikation des Konkreten vom Abstrakten, wie wenn gesagt würde, daß die Weißheit weiß ist oder die Hitze heiß, wie es auch bei Dionysius im zweiten Kapitel des Buches Von den göttlichen Namen heißt.58 In den allgemeinen Formen aber gibt es diese Prädikation: wir sagen nämlich, daß das Wesen ein Seiendes ist und die Gutheit gut und die Einheit eines usw. Der Grund dafür ist, daß das, was sich zuerst im Intellekt findet, das Seiende ist. Darum muß der Intellekt allem, was vom Intellekt verstanden wird, zuprechen, daß es ein Seiendes ist. Wenn er darum das Wesen von etwas erfaßt, sagt er, daß dieses Wesen ein Seiendes ist – und ähnlich jede allgemeine und spezielle Form, z. B.: die Gutheit ist ein Seiendes, die Weißheit ist ein Seiendes usw. Weil nun einiges dem Wesen des Seienden untrennbar folgt, wie das Eine, das Gute und dergleichen, ergibt sich, daß diese ebenfalls von allem Erfaßten ausgesagt werden, aus demselben Grunde wie auch das Seiende. So sagen wir, daß das Wesen eines und gut ist, und auf ähnliche Weise, daß die Einheit eines und gut ist, und so auch von der Gutheit und der Weißheit und jeder allgemeinen und speziellen Form. Das Weiße aber, da es eine spezielle Form ist, folgt dem Wesen nicht unabtrennbar. Daher kann die Form der Weißheit erfaßt werden, ohne daß man ihr das Weißsein zusprechen müßte; wir sind also nicht gezwungen zu sagen, daß die Weißheit weiß ist. Das Weiße wird nämlich auf eine Weise ausgesagt; das Seiende, das Eine, das Gute und dergleichen aber, welches von jedem Erfaßten notwendigerweise ausgesagt wird, auf vielfältige Weise. Eines nämlich wird ein Seiendes genannt, weil es in sich subsistiert, ein anderes aber, weil es das Prinzip des Subsistie58 Dionysius Areopagita, De div. nom. II, 8 (PG 3, col. 645 D; Dion. I, 100).
4. Artikel
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rens ist, wie die Form; wieder ein anderes wird so genannt, weil es eine Disposition zum Subsistieren ist, wie die Qualität, und anderes, weil es die Privation einer Disposition zum Subsistieren ist, wie die Blindheit. Wenn wir nun sagen, daß das Wesen ein Seiendes ist, und wenn wir fortfahren »also ist es ein Seiendes, entweder aus sich selbst oder durch anderes«, dann ist dieser Fortgang nicht schlüssig. Es wurde ja nicht gesagt, daß es ein Seiendes in dem Sinne sei, daß es ein in seinem eigenen Sein Subsistierendes ist, sondern so wie das, wodurch etwas ist. Daher sollten wir also nicht fragen, auf welche Weise das Wesen etwas ist, sondern, auf welche Weise etwas anderes durch die Wesenheit ist. Ähnlich wird, wenn die Gutheit gut genannt wird, das Gute nicht in der Weise ausgesagt, als ob es in der Gutheit subsistiert, sondern in der Weise, daß gut dasjenige genannt wird, durch welches ein anderes gut ist. Darum darf man also nicht fragen, ob die Gutheit gut ist durch seine eigene Gutheit, oder eine andere, sondern ob etwas durch dieselbe Gutheit gut ist, entweder etwas, das von dieser Gutheit verschieden ist, wie in den Geschöpfen, oder etwas das mit dieser Gutheit selbst identisch ist, wie in Gott. Zu 5. Ähnlich muß man hinsichtlich der Wahrheit unterscheiden. Alles ist nämlich wahr durch die Erste Wahrheit, so wie durch sein erstes Exemplar; zugleich jedoch ist es auch wahr aufgrund der geschaffenen Wahrheit, als einer einwohnenden Form. Gleichwohl haben die Wahrheit und die Gutheit ein unterschiedliches Wesen. Das Wesen der Wahrheit besteht nämlich in einer gewissen Entsprechung oder Angemessenheit. Etwas wird aber gemessen oder angemessen genannt aufgrund von etwas Äußerem, so wie das Tuch von der Elle. Und auf diese Weise versteht es Anselm, wenn er sagt, daß alles wahr ist durch die Erste Wahrheit, sofern nämlich alles dem göttlichen Verstand angemessen ist, d. h. sofern es das erfüllt, wozu es die göttliche Vorsehung bestimmt und vorhergewußt hat. Das Wesen der Gutheit aber besteht nicht in einer Angemessenheit, weshalb dies nicht vergleichbar ist. Zu 6. Das Geschöpf kann nicht auf die Weise existieren, daß es sich selbst das Sein gäbe; es kann aber etwas so existieren, daß es das formale Prinzip des Seins ist. Auf diese Weise kann nämlich jede Form existieren. Ebenso kann jede geschaffene Gutheit gut sein wie ein formales Prinzip.
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Zu 7. Wenn das Sein eine Eigentümlichkeit Gottes genannt wird, so ist das nicht so zu verstehen, daß es kein anderes Sein gäbe, als das ungeschaffene. Dessen Sein wird lediglich als eigentümliches ausgesagt, insofern es seinem Wesen nach unveränderlich ist und kein Vergangen- oder Zukünftigsein kennt. Das Sein des Geschöpfes jedoch wird ausgesagt vermöge einer Ähnlichkeit mit dem Ersten Sein, obschon es eine Beifügung von Vergangen- und Zukünftigsein hat, wegen der Veränderlichkeit des Geschöpfes. – Man kann auch sagen, daß das Sein Gott eigentümlich ist, weil nur Gott sein Sein ist, obwohl auch andere Dinge Sein haben, welches nicht das göttliche Sein ist. Zu 8. Die Erste Gutheit fügt der Gutheit als solcher der Sache nach nichts hinzu, wohl aber gedanklich. Zu 9. Wie der Kommentar zum Buch Von den Ursachen sagt,59 wird die reine Gutheit selbst genau dadurch individuiert und von allem anderen unterschieden, daß sie keine Hinzufügung erfährt. Es gehört nämlich nicht zum Wesen des Guten als solchen [absolute], daß es eine Hinzufügung empfängt oder nicht empfängt. Wäre es nämlich sein Wesen, Hinzufügungen zu empfangen, dann würde jede Gutheit Hinzufügungen empfangen, und keines wäre rein. Ähnlich auch, wenn es sein Wesen wäre, keine Hinzufügungen zu empfangen: dann empfinge die Gutheit nichts, alle Gutheit wäre reine Gutheit. Vergleichbar ist das Wesen des Tieres, das weder vernünftig noch unvernünftig ist. Genau darum also, weil es keine Hinzufügung empfangen kann, abstrahiert (contrahit) die Erste Gutheit, welche reine Gutheit ist, von allen anderen Gutheiten und unterscheidet sich von ihnen. Da das Keine-HinzufügungEmpfangen jedoch eine Negation ist, ist es ein bloßes Gedankending. Gleichwohl gründet es in der Einfachheit der Ersten Gutheit selbst; und darum folgt es nicht, daß das Argument nichtig und leer ist.
59 Liber de causis, prop. 9; n. 79 (ed. Bardenhewer, 172; ed. Schönfeld, 20).
5. Artik el Die fünfte Frage lautet: Ist das geschaffene Gute durch sein eigenes Wesen gut?60 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Dasjenige, ohne welches etwas nicht sein kann, ist ein ihm wesentliches Sein. Das Geschöpf kann aber nicht ohne Gutheit sein, da nichts von Gott geschaffen sein kann, das nicht gut zu wäre. Darum ist das Geschöpf gut durch sein Wesen. 2. Das Geschöpf hat aus demselben Grunde Sein, aus dem es Gutsein hat, denn es ist gut genau darum weil es ist, wie gezeigt wurde. Das Geschöpf aber hat sein Sein durch sein Wesen; daher ist es auch gut durch sein Wesen. 3. Was immer einem Ding zukommt einfach darum weil es ein solches ist, ist für es ein Wesentliches. Das Gute aber kommt dem Geschöpf zu, insofern es ist, gemäß Augustinus’ Wort: »insofern wir sind, sind wir gut.«61 Also ist das Geschöpf gut durch sein Wesen. 4. Wie gezeigt wurde, ist die Gutheit eine geschaffene Form, die dem Geschöpf innewohnt. Als solche ist sie entweder eine substantielle oder eine akzidentelle Form. Wäre sie akzidentell, dann könnte das Geschöpf zu einem Zeitpunkt auch ohne sie sein; das aber kann man vom Geschöpf nicht sagen. Also bleibt nur übrig, daß es eine substantielle Form ist. Jede derartige Form ist aber entweder das Wesen der Sache oder ein Teil des Wesens. Also ist das Geschöpf gut durch sein Wesen. 5. Wie Boethius im Buch Von den Wochen sagt,62 sind die Geschöpfe insofern gut, als sie aus dem Ersten Guten herströmen. Sie strömen aber durch ihr Wesen aus dem Ersten Guten hervor. Also sind sie durch ihr Wesen gut. 6. Das, von woher etwas benannt wird (denominans), ist immer einfacher als oder genauso einfach wie das von ihm her Benannte. 60 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 6, a. 3; ScG I, 38 u. 70, III, 20; In De hebd. lect. 3 und 4; In De div. nom. IV, lect. 1; ibid. XIII, lect. 1; Comp. theol., cap. 109. 61 Augustinus, De doctrina christiana I, 32, 35 (PL 34, col. 32; CSEL 80, 27; CCSL 29, 26). 62 Boethius, De hebd., ed. Peiper, 172, 114; ed. Elsässer, 40.
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Keine dem Wesen hinzugefügte Form aber ist einfacher oder gleich einfach wie das Wesen. Darum benennt keine andere dem Wesen hinzugefügte Form das Wesen. Wir können nämlich nicht sagen, daß das Wesen weiß ist; wohl aber wird das Wesen einer Sache gut genannt. Also ist die Gutheit keine dem Wesen hinzugefügte Form, und jedes Geschöpf ist gut durch sein Wesen. 7. So wie das Eine und das Seiende vertauschbar sind, so ist es auch das Gute. Die Einheit aber, von der her dasjenige eins genannt wird, was mit dem Seienden vertauschbar ist, besagt keine Hinzufügung zum Wesen der Sache, wie Averroes im vierten Buch der Metaphysik sagt.63 Vielmehr ist alles eins durch sein Wesen. Also ist auch gut durch sein Wesen. 8. Wäre das Geschöpf durch eine seinem Wesen hinzugefügte Gutheit gut, dann wäre – weil alles, was ist, gut ist – auch diese Gutheit selbst gut (denn auch sie ist ja eine Art Sache). Dies aber nicht durch eine andere Gutheit, da es dann ins Unendliche so fortginge, sondern nur durch sein eigenes Wesen. Also kann man aus demselben Grunde auch sagen, daß das Geschöpf selbst gut ist durch sein eigenes Wesen. Dagegen spricht: 1. Nichts, das etwas im Sinne der Teilhabe zugesprochen wird, kommt ihm gemäß seinem Wesen zu. Das Geschöpf wird aber durch Teilhabe gut genannt, wie Augustinus im achten Buch Von der Dreifaltigkeit sagt.64 Also ist das Geschöpf nicht durch sein Wesen gut. 2. Alles was durch sein Wesen gut ist, ist ein substantielles Gutes. Geschöpfe aber sind kein substantielles Gutes, wie Boethius im Buch Von den Wochen sagt.65 Also sind die Geschöpfe nicht durch ihr Wesen gut. 3. Wovon immer etwas wesensmäßig ausgesagt wird, von dem kann das Gegenteil nicht ausgesagt werden. Das Gegenteil das Guten wird aber von manchen Geschöpfen ausgesagt, nämlich das Böse. Also ist das Geschöpf nicht durch sein Wesen gut. 63 Averroes, In IV Met., com. 3 (Venedig 1562, t. VIII, 67 B). 64 Augustinus, De trin. VIII, 3, 5 (PL 42, col. 950; CCSL 50, 273). 65 Boethius, De hebd., ed. Peiper, 171, 75; ed. Elsässer, 58 f.
5. Artikel
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Antwort: Nach drei Autoren muß man sagen, daß das Geschöpf nicht durch sein Wesen gut genannt wird, sondern durch Teilhabe: nämlich nach Augustinus, nach Boethius und nach dem Verfasser des Buches von den Ursachen,66 welcher sagt, daß allein Gott reine Gutheit ist. Sie kommen aber aus unterschiedlichen Gründen zum einen Standpunkt. Dazu ist zu verstehen, daß, wie schon gesagt,67 ebenso wie das Sein nach substantiell und akzidentell unterschieden wird, so auch die Gutheit. Es gibt aber einen Unterschied: etwas wird ein Seiendes im absoluten Sinne aufgrund seines substantiellen Seins genannt, nicht jedoch nach seinem akzidentellen Sein. So wird das Entstehen, welches eine Bewegung zum Sein ist, dann ein Entstehen schlechthin genannt, wenn etwas das substantielle Sein empfängt. Empfängt es aber ein akzidentelles Sein, dann wird es nur ein Entstehen in gewisser Hinsicht genannt. Ähnlich verhält es sich mit dem Vergehen, durch das etwas sein Sein verliert. Mit dem Guten jedoch ist es umgekehrt: gemäß der substantiellen Gutheit wird es gut in gewisser Hinsicht genannt, nach dem akzidentellen Sein aber wird es gut schlechthin genannt. Deshalb nennen wir einen ungerechten Menschen nicht schlechthin gut, sondern nur in gewisser Hinsicht, nämlich insofern er ein Mensch ist. Einen gerechten Menschen nennen wir aber schlechthin gut. Der Grund für diesen Unterschied ist folgender: Alles wird ein Seiendes genannt, sofern es schlechthin betrachtet wird, ein Gutes aber, wie gesagt,68 im Hinblick auf anderes. In sich selbst erlangt etwas Vollkommenheit insofern es durch seine wesentlichen Prinzipien subsistiert. Daß es sich aber in der gebührenden Weise zu allem außerhalb seiner verhält, erfährt seine Vervollkommnung nur vermittels der dem Wesen hinzugefügten Akzidentien; die Tätigkeiten nämlich, durch die eines dem anderen in gewisser Weise verbunden ist, gehen aus dem Wesen mittels der dem Wesen hinzugefügten 66 Augustinus, De trin. VIII, 3, 4–5 (PL 42, col. 950; CCSL 50, 272–274); Boethius, De hebd., ed. Peiper, 171, 75; ed. Elsässer, 38); Liber de causis, prop. 8; n. 79 (ed. Bardenhewer, 172; ed. Schönfeld, 20). 67 De ver. q. 21 a. 1 ad 6. 68 De ver. q. 21 a. 1 ad 1.
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Vermögen hervor. Daher besitzt es keine absolute Gutheit, wenn es nicht vollständig sowohl hinsichtlich der substantiellen als auch der akzidentellen Prinzipien ist. Was aber das Geschöpf an Vollkommenheit hat, sofern es die wesentlichen und akzidentellen Prinzipien zugleich miteinander verbindet, dies Ganze hat Gott durch sein eines und einfaches Sein. Sein Wesen ist nämlich seine Weisheit und Gerechtigkeit und Stärke und anderes dieser Art, welches bei uns ein dem Wesen Hinzugefügtes ist. Darum ist die absolute Gutheit selbst in Gott dasselbe wie sein Wesen, während es in uns hinsichtlich dessen beurteilt wird, was dem Wesen hinzugefügt wird. Und darum wird bei uns, anders als bei Gott, die vollständige und absolute Gutheit vermehrt oder vermindert oder ganz eliminiert, obwohl die substantielle Gutheit immer in uns bleibt. Es scheint in diesem Sinne zu sein, daß Augustinus sagt,69 daß Gott durch sein Wesen gut ist, wir aber durch Teilhabe. Es gibt aber noch einen weiteren Unterschied zwischen Gottes und unserer Gutheit. Die wesentliche Gutheit wird nämlich nicht erfaßt in der Betrachtung der Natur als solcher, sondern in der Betrachtung hinsichtlich ihres Seins. Die Menschheit hat nämlich den Charakter des Guten oder der Gutheit nur sofern sie existiert. Die göttliche Natur oder das göttliche Wesen aber ist ihr Sein, während jede geschaffene Natur oder jedes geschaffene Wesen sein Sein durch Teilhabe an einem anderen hat. Und so ist in Gott reines Sein, da Gott selbst sein subsistierendes Sein ist, während im Geschöpf empfangenes oder teilgenommenes Sein ist. Selbst angenommen, daß Gutheit schlechthin vom geschaffenen Ding gemäß seinem substantiellen Sein ausgesagt würde, bliebe daher nichtsdestoweniger zusätzlich, daß es Gutheit durch Teilnahme hat, so wie es auch teilgenommenes Sein hat. Gott aber ist wesentlich Gutheit, insofern sein Wesen sein Sein ist. Und das scheint auch die Meinung des Philosophen im Buch von den Ursachen zu sein, wenn er sagt, daß allein die göttliche Gutheit reine Gutheit ist.70
69 Augustinus, De trin. VIII, 3, 5 (PL 42, col. 950; CCSL 50, 273). 70 Liber de causis, prop. 8; n. 79 (ed. Schönfeld, 20 f.).
5. Artikel
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Noch einen weiteren Unterschied gibt es aber zwischen der göttlichen Gutheit und unserer Gutheit. Die Gutheit hat nämlich das Wesen der Zweckursache; Gott aber hat das Wesen der Zweckursache, weil er das Letztziel von allem ist, so wie auch das erste Prinzip. Darum hat jeder andere Zweck das Wesen des Zweckes nur vermöge der Hinordnung auf die Erstursache; die Zweitursache bewirkt ja nichts im Verursachten, außer man setzt den Einfluß der Erstursache voraus, wie es im Buch von den Ursachen heißt.71 So kann auch das Gute, das das Wesen des Zweckes hat, nicht vom Geschöpf ausgesagt werden, außer man setzt die Ordnung zwischen Schöpfer und Geschöpf voraus. Angenommen also, das Geschöpf wäre sein Sein, ganz so wie auch Gott, dann hätte das Geschöpf gleichwohl nicht das Wesen des Guten, außer durch Hinordnung zum Schöpfer. Von daher wird es immer noch gut durch Teilhabe genannt, und nicht schlechthin, sofern es ist. Das göttliche Sein aber, welches das Wesen des Guten ohne Voraussetzung eines anderen hat, hat das Wesen des Guten durch sich selbst. Und dies scheint die Ansicht des Boethius im Buch Von den Wochen zu sein.72 Zu 1. Das Geschöpf kann nicht nicht-gut sein gemäß seiner wesenhaften Gutheit, welche Gutheit in einer gewissen Hinsicht ist. Es kann aber nicht-gut sein gemäß seiner akzidentellen Gutheit, welche absolute und schlechthinnige Gutheit ist. Darüberhinaus ist die Gutheit selbst, betrachtet nach ihrem substantiellen Sein, nicht das Wesen der Sache selbst, sondern teilgenommenes Sein, und zwar auch wegen der vorausgesetzten Hinordnung auf das erste durch sich selbst subsistierende Sein. Zu 2. Von woher etwas sein Sein hat, hat es auch sein relatives Gutsein, nämlich gemäß seinem substantiellen Sein. Es hat jedoch von demselben nicht formell Sein schlechthin und Gutsein schlechthin, wie aus dem Gesagten klar ist. Darum ist das Argument nicht schlüssig. Zu 3. und 4. Diese Einwände werden auf ähnliche Weise beantwortet. 71 Liber de causis, prop. 1; n. 4 (ed. Schönfeld, 2 f.). 72 Boethius, De hebd., ed. Peiper, 171, 75; ed. Elsässer, 58 f.
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Zu 5. Das Geschöpf stammt von Gott nicht nur seinem Wesen nach, sondern auch seinem Sein nach, in welchem insbesondere das Wesen der Gutheit besteht. Ebenso stammt es auch von Gott nach seinen hinzugefügten Vollkommenheiten, in welchen das schlechthinnige Gutsein besteht; und diese sind nicht das Wesen der Sache. Darüberhinaus ist auch die Beziehung, durch welche das Wesen der Sache auf Gott als auf seinen Ursprung hingeordnet ist, etwas anderes als das Wesen. Zu 6. Das Wesen wird auf dieselbe Weise gut genannt wie das Seiende; so wie es das Sein durch Teilhabe hat, so demnach auch das Gutsein. Das Sein und das Gute im allgemeinen genommen sind nämlich einfacher also das Wesen; sie sind ja allgemeiner als dieses, weil sie nicht nur vom Wesen ausgesagt werden, sondern auch von dem, was durch das Wesen subsistiert, und ebenso von seinen Akzidentien. Zu 7. Das Eine, das mit dem Seienden vertauscht wird, wird gemäß der Negation ausgesagt, die es dem Seienden hinzufügt. Das Gute jedoch fügt dem Seienden keine Negation hinzu, sondern sein Wesen besteht in einer Position. Darum ist dies nicht vergleichbar. Zu 8. In derselben Weise wird die Gutheit einer Sache gut genannt, in der das Sein einer Sache ein Seiendes genannt wird: nämlich nicht, weil es das Sein eines anderen hätte, sondern weil es durch dieses Sein seiend genannt wird, und ebenso weil durch diese Gutheit die Sache gut genannt wird. Es folgt also nicht, daß etwas die Substanz einer Sache nicht durch ein Sein genannt wird, welches es nicht selbst ist, weil sein Sein nicht Seiendes genannt wird durch ein von ihm verschiedenes Sein. Ebenso folgt auch nicht die erwähnte Begründung für die Gutheit. Es folgt aber für die Einheit, wie Averroes im vierten Buch der Metaphysik sagt,73 weil das Eine sich indifferent dazu verhält, daß es sich auf das Wesen und Sein bezieht. Daher ist das Wesen der Sache eines durch sich selbst, und nicht durch sein Sein. Ebenso ist es also auch nicht eines durch Teilhabe, wie es für das Seiende und das Gute zutrifft.
73 Averroes, In IV Met., com. 3 (Venedig 1562, t. VIII, 67 B).
6. Artik el Die sechste Frage lautet: Besteht das Gute des Geschöpfes in »Maß, Art und Ordnung«,74 wie Augustinus sagt?75 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Nach Aristoteles hat das Gute das Wesen des Zieles.76 Das ganze Wesen des Zieles besteht aber in der Ordnung. Demnach besteht auch das ganze Wesen des Guten in der Ordnung, und die anderen beiden Bestimmungen sind überflüssig. 2. Das Seiende, das Gute und das Eine sind der Bedeutung (intentio) nach verschieden. Das Wesen des Seienden aber besteht in der Art, und das Wesen des Einen besteht im Maß. Demnach kann das Wesen des Guten nicht in Art und Maß bestehen. 3. Die Art benennt die Formalursache. Das Gute und das Wahre werden aber nach einigen Autoren77 so unterschieden, daß das Wahre das Wesen der Formalursache hat, das Gute aber das Wesen der Finalursache. Also gehört die Art nicht zum Wesen des Guten. 4. Weil das Gute und das Schlechte Gegensätze sind, beziehen sie sich auf dasselbe. Augustinus sagt aber im Buch der 83 Fragen »das ganze Schlechte ist in der Privation der Art zu finden.«78 Also ist auch das ganze Gute in der Erfüllung (positio) der Art zu finden, und so scheinen Maß und Ordnung überflüssig zu sein. 5. Das Maß gehört lediglich zu den Bestimmungen, die aus der Sache folgen. Eine gewisse Gutheit gehört aber zum Wesen der Sache selbst. Also kann das Maß nicht das Wesen des Guten ausmachen. 6. Was Gott durch eines machen kann, das macht er nicht durch vieles. Gott kann aber ein gutes Geschöpf durch eine dieser Bestimmungen allein machen, denn jede dieser Bestimmungen hat ein ge74 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 5, a. 5 und I–II, 85, 4. 75 Augustinus, De natura boni 3 (PL 42, col. 553). 76 Aristoteles, Eth. Nic. I, 1; 1094 a 3; Met. 1, 3; 983 a 31; Phys. II, 3;
195 a 24–25. 77 Summa fratris Alexandri I, n. 88 (Quaracchi 1924–48) I, 140 und n. 104 (163); Albertus Magnus, De bono tr. 1 q. 1 a. 10 (ed. Col. XXVIII, 20). Bonaventura, Sent. I, d. 3, p. 1 a. unic. q. 2 (Opera omnia, I, 71–73). 78 Augustinus, De div. qu. 83, q. 6 (PL 40, col. 13; CCSL 44 A, 14).
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wisses Wesen des Guten. Darum ist nicht jede dieser drei Bestimmungen nötig für das Wesen des Guten. 7. Wenn diese drei Bestimmungen zum Wesen der Gutheit gehören, dann müssen diese drei in jedem Guten sein. Da aber jedes dieser drei gut ist, müssen auch in jedem einzelnen wieder diese drei sein; so darf man also nicht eines vom anderen unterscheiden. 8. Wenn diese drei gut sind, dann müssen sie Maß, Art und Ordnung haben. Also gäbe es ein Maß des Maßes und eine Art der Art, und so fort ins Unendliche. 9. Nach Augustinus werden Maß, Art und Ordnung durch die Sünde vermindert.79 Die substantielle Gutheit der Sache aber wird nicht vermindert durch die Sünde. Also besteht das allgemeine Wesen der Gutheit nicht in den drei genannten Bestimmungen. 10. Von dem, welches das Wesen des Guten hat, kann das Schlechte nicht ausgesagt werden. Nach Augustinus, im Buch Vom Wesen des Guten,80 wird das Schlechte aber von diesen dreien ausgesagt. Man spricht nämlich von einem »schlechten Maß« und von einer »schlechten Art« und dergleichen. Also besteht das Wesen des Guten nicht in diesen dreien. 11. Ambrosius sagt im Hexaemeron, daß die Natur des Lichtes nicht in Zahl, Gewicht und Maß besteht, wie bei den anderen Geschöpfen.81 Nach Augustinus konstituieren sich aber die drei besagten Bestimmungen aus diesen dreien.82 Wenn also das Licht gut ist, dann besteht das Wesen des Guten nicht in den zuvor genannten dreien. 12. Nach Bernhard ist es das Maß der Liebe, kein Maß zu haben.83 Gleichwohl ist die Liebe gut. Also braucht es nicht die drei vorgenannten Bestimmungen.
Augustinus, De natura boni 4 (PL 42, col. 553). Augustinus, De natura boni 23 (PL 42, col. 558). Ambrosius, Hexaemeron I, c. 9 (PL 14, col. 154 B). Augustinus, De Gen. ad litt. IV, 3 (PL 34, col. 299; CSEL 28/I, 99) und De natura boni 3 (PL 42, col. 553); vgl. auch De ver. q. 29 a. 3. 83 Bernhard von Clairvaux, De diligendo Deo I, 1 (PL 182, col. 974; ed. Winkler I, 74 ff.); vgl. auch Sum. theol. II–II, q. 27 a. 6 sc. 79 80 81 82
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Dagegen spricht: 1. Augustinus sagt im Buch Vom Wesen des Guten, daß »wo diese drei groß sind, das Gute groß ist, wo sie aber klein sind, klein, wo gar nicht, keines.«84 Also besteht das Wesen des Guten in diesen dreien. 2. Im selben Buch sagt Augustinus, daß etwas gut genannt wird, insofern es »gemäßigt, geartet und geordnet ist.«85 3. Boethius behauptet im Buch Von den Wochen, daß das Geschöpf gut genannt wird im Hinblick auf den Schöpfer.86 Gott aber hat ein Verhältnis zum Geschöpf aus dreifachem Grunde, nämlich als Wirkursache, als Zweckursache, und als Formal- oder Exemplarursache. Also wird auch das Geschöpf gut genannt gemäß der dreifachen Ursächlichkeit: sofern es auf Gott als auf seine Wirkursache bezogen wird, hat es ein von Gott festgesetztes Maß. Sofern es auf Gott als auf seine Exemplarursache bezogen wird, hat es Art. Wenn es auf Ihn als auf seine Zweckursache bezogen wird, hat es Ordnung. Also besteht das Gute des Geschöpfes in Maß, Art und Ordnung. 4. Alle Geschöpfe werden auf Gott hingeordnet vermittels des vernunftbegabten Geschöpfes, welches allein der Seligkeit fähig ist. Das geschieht aber, insofern es vom vernunftbegabten Geschöpf erkannt wird. Da nun das Geschöpf gut ist, sofern es auf Gott hingeordnet ist, braucht es dreierlei um gut zu sein, nämlich: daß es existiert, daß es erkennbar ist, und daß es geordnet ist. Es existiert aber durch ein Maß, es ist erkennbar durch die Art, und geordnet durch die Ordnung. Also besteht in diesen dreien das Gute des Geschöpfes. 5. Im Buch der Weisheit (11, 21) heißt es: »Alles hast Du nach Zahl, Gewicht und Maß erschaffen.« Nach Augustinus im 4. Buch von Über die buchstäbliche Bedeutung des Buches Genesis »setzt die Messung einer Sache das Maß fest, die Zahl verleiht die Art, das Gewicht gibt die Ordnung.«87 Also besteht in diesen dreien, Maß,
Augustinus, De natura boni 3 (PL 42, col. 553). Ibid. Boethius, De hebd., ed. Peiper, 172, 114 ed. Elsässer 40. Augustinus, De Gen. ad litt. IV, 3 (PL col. 34, 299; CSEL 28/I, 99) vgl. auch Augustinus, De div. qu. 83, q. 24 (PL 40, col. 17; CCSL 44 A, 29 f.). 84 85 86 87
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Art und Ordnung, die Gutheit des Geschöpfes, weil das Geschöpf gut ist, insofern es von Gott seine Anlagen hat. Antwort: Das Wesen des Guten besteht in den drei genannten Bestimmungen, gemäß Augustinus.88 Für den Beweis nun muß man wissen, daß ein Name (nomen) eine Beziehung in doppelter Weise einschließen kann: zum einen so, daß der Name gebraucht wird, um die Beziehung selbst zu bezeichnen, wie im Falle von »Vater« oder »Sohn«, oder auch der »Vaterschaft« selbst. Von einigen Namen aber heißt es, daß sie eine Beziehung so einschließen, daß sie eine Sache von einer bestimmten Gattung bezeichnen, die von einer Beziehung begleitet wird, obwohl der Name nicht verwendet wird, um diese Beziehung selbst zu bezeichnen. So wird der Name »Wissenschaft« verwendet, um ein Qualität zu bezeichnen, die eine gewisse Beziehung impliziert, nicht jedoch, um diese Beziehung selbst zu bezeichnen. In dieser Weise impliziert das Wesen des Guten eine Beziehung nicht allein, weil der Name des Guten selbst die Beziehung bezeichnet, sondern auch, weil er das bezeichnet, was die Beziehung impliziert, zusammen mit der Beziehung selbst. Die Beziehung nun die im Namen des Guten impliziert ist, ist das Verhältnis des Vervollkommnenden, insofern etwas geeignet ist zu vervollkommnen, und dies nicht nur hinsichtlich der Art, sondern auch gemäß dem wirklichen Sein. Auf diese Weise vervollkommnet nämlich das Ziel dasjenige, was auf dieses Ziel hingeordnet ist. Da nun die Geschöpfe nicht ihr eigenes Sein sind, müssen sie ein empfangenes Sein haben. Aus diesem Grund ist ihr Sein endlich und begrenzt durch das Maß dessen, in welchem es empfangen wird. So ist das letzte unter den dreien, die Augustinus ansetzt, die Ordnung, eine Beziehung die der Name des Guten impliziert, während die anderen beiden, nämlich Art und Maß, diese Beziehung verursachen. Die Art nämlich gehört zum Wesen der Art selbst, welche, insofern sie in etwas anderem ihr Sein hat, nach einem bestimmten Maß empfangen wird; alles nämlich, das in einem anderen ist, ist in diesem nach dem Maß des Empfangenden. In dieser 88 Augustinus, De natura boni 3 (PL 42, col. 553).
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Weise hat also jedes Gute, insofern es vervollkommnend nach Art und Sein ist, Maß, Art und Ordnung: die Art gemäß dem Wesen der Art selbst, das Maß gemäß dem Sein, und die Ordnung gemäß dem Verhältnis der Vervollkommnung selbst. Zu 1. Dieses Argument wäre schlüssig, wenn der Name des Guten zur Bezeichnung dieses Verhältnisses gebraucht würde. Das aber ist falsch, wie aus dem Gesagten feststeht. Also ist das Argument nicht schlüssig. Zu 2. Das Gute ist nicht so vom Seienden und Einen verschieden, daß es einen diesen entgegengesetzten Sinn hätte, sondern so, daß es den Sinn des Guten und Einen einschließt und noch etwas hinzufügt. Zu 3. So wie die Addition oder Subtraktion einer Einheit die Art der Zahl verändert, so konstitutiert die Hinzufügung oder Wegnahme eines Teiles der Definition eine andere Art, sagt Aristoteles im achten Buch der Metaphysik.89 Nur von Art selbst her wird also das Wesen des Wahren konstituiert, sofern nämlich das Wahre nur dem Wesen der Art nach vervollkommnet. Das Wesen des Guten aber wird zugleich von der Art und vom Maß her konstituiert; es vervollkommnet nämlich nicht nur der Art nach, sondern auch dem Sein nach. Zu 4. Wenn Augustinus sagt, daß das ganze Schlechte in der Privation der Art besteht, schließt er nicht die anderen beiden Komponenten aus. Wie er im selben Buch sagt: »wo es eine Art gibt, muß es auch ein Maß geben.«90 Die Ordnung folgt ebenfalls der Art und dem Maß, aber Augustinus nennt nur die Art, weil die anderen beiden aus der Art folgen. Zu 5. Wo immer etwas empfangen wird, muß es ein Maß geben, denn das Empfangene wird gemäß dem Empfangenden begrenzt. Da aber sowohl das akzidentelle als auch das wesentliche Sein der Kreatur empfangen ist, findet sich das Maß nicht nur bei den akzidentellen Dingen, sondern auch in den substantiellen. 89 Aristoteles, Met. VIII, 3; 1043 b 36. 90 Augustinus, De diversis quaestionibus 83, q. 6 (PL 40, col. 13; CCSL
44 A, 14).
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Zu 6. Da das Wesen des Guten in diesen dreien besteht, kann Gott nicht machen, daß etwas gut ist, ohne Art, Maß und Ordnung zu haben – ganz so wie er auch nicht machen kann, daß etwas ein Mensch ist, ohne ein vernünftiges Lebewesen zu sein. Zu 7. Maß, Art und Ordnung sind auch einzeln betrachtet gut, nicht jedoch so wie man sagt, daß das Gute, das in der Gutheit subsistiert, gut ist, sondern so wie das Gute durch das Prinzip der Gutheit gut ist. Darum ist es nicht nötig, daß jedes für sich wieder Maß, Art und Ordnung hat, so wie es auch nicht nötig ist, daß die Form eine Form hat, obwohl sie ein Seiendes ist, und alles Seiende durch eine Form ist. Und darum sagen einige,91 daß, wenn gesagt wird, daß alles Art, Maß und Ordnung hat, dies vom Geschaffenen zu verstehen ist, nicht aber vom Mitgeschaffenen. Zu 8. So ist auch die Antwort auf den achten Einwand offenkundig. Zu 9. Einige92 sagen, daß Maß, Art und Ordnung, insofern sie das Gute der Natur konstituieren, und insofern sie durch Sünde vermindert werden, d. h. hinsichtlich des sittlich Guten, der Sache nach dasselbe sind, gedanklich aber verschieden. So ist es z. B. klar im Falle des Willens, welcher als ein und derselbe einmal so betrachtet werden kann, daß er ein natürliches Ding ist – und so sind in ihm Maß, Art und Ordnung als Konstituentien des Guten der Natur –, oder aber insofern er der Wille ist und insofern er eine Hinordnung auf die Gnade hat; auf diese Weise werden ihm Maß, Art und Ordnung zugeschrieben, welche durch die Sünde vermindert werden können, und welche das moralische Gute konstituieren. Oder man könnte besser sagen, daß das Gute dem Sein folgt, und daß das Gute durch Art, Maß und Ordnung konstituiert wird; so wie aber substantielles und akzidentelles Sein verschieden sind, so auch substantielle und akzidentelle Form, und jedes hat sein ihm eigentümliches Maß und seine ihm eigentümliche Ordnung.
91 Summa fratris Alexandri, I, n. 111 (Quaracchi 1924–48) I, 174. 92 Summa fratris Alexandri, I, n. 114 (Quaracchi 1924–48) I, 180;
Bonaventura Sent. II, d. 35, a. 2, q. 1c und ad 4 (Opera omnia, II, 830); Albertus Magnus, De bono tr. 1 q. 2 a. 1 ad 9 (ed. Col. XXVIII, 25).
6. Artikel
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Zu 10. Wie Augustinus im Buch Von der Natur des Guten sagt,93 werden Art, Maß und Ordnung nicht darum schlecht genannt, weil sie in sich selbst schlecht wären, sondern »weil sie weniger sind, als sie sein sollten«, oder weil »sie dem nicht angemessen sind, dem sie angemessen sein sollten.« Daher werden sie schlechte genannt wegen einer Privation hinsichtlich des Maßes, der Art oder der Ordnung, nicht jedoch in sich selbst. Zu 11. Die Worte des Ambrosius sind nicht so verstehen, als ob das Licht völlig des Maßes entbehrte – es ist ja von begrenzter Art und Vermögen – sondern so, daß es nicht auf gewisse körperliche Dinge festgelegt ist, weil es sich auf alle körperlichen Dinge erstreckt; alle Dinge können ja erleuchtet werden oder andere Wirkungen vom Licht empfangen, wie aus Dionysius im vierten Buch Von den göttlichen Namen hervorgeht.94 Zu 12. Die Liebe hat ein Maß ihrem Sein gemäß, welches sie in ihrem Subjekt hat; und insofern ist sie eine Art Geschöpf. Sofern sie aber mit ihrem unendlichen Objekt, welches Gott ist, verglichen wird, hat sie kein Maß, über das hinaus unsere Liebe nicht gehen dürfte.
93 Augustinus, De natura boni 23 (PL 42, col. 558). 94 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 4 (PG 3, col. 697–699 A;
Dion. I, 164).
XXII. VOM STREBEN NACH DEM GUTEN
Die hier behandelten Fragen lauten: 1. Strebt alles nach dem Guten? 2. Strebt alles nach Gott selbst? 3. Ist das Streben ein besonderes Vermögen der Seele? 4. Ist der Wille in vernünftigen Wesen ein vom Streben des sinnlichen Teiles verschiedenes Vermögen? 5. Will der Wille etwas mit Notwendigkeit? 6. Will der Wille alles, was er will, mit Notwendigkeit? 7. Erwirbt jemand Verdienste dadurch, daß er das will, was er notwendigerweise will? 8. Kann Gott den Willen zwingen? 9. Kann ein Geschöpf den Willen verändern oder ihn beeinflussen? 10. Sind der Wille und die Vernunft ein einziges Vermögen? 11. Ist der Wille ein höheres Vermögen als die Vernunft, oder umgekehrt? 12. Bewegt der Wille die Vernunft und die anderen Kräfte der Seele? 13. Ist die Intention ein Akt des Willens? 14. Ist es in derselben Bewegung, daß der Wille das Ziel will und die Mittel intendiert? 15. Ist die Wahl ein Akt des Willens?
1. Artik el Die erste Frage lautet: Strebt alles nach dem Guten?1 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn:
1 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 5, a. 1c u. I, q. 80, a. 1; ScG III, 3 u. 16; In Ethic. I, lect. 1; In De div. nom. cap. 4, lect. 3 und 9.
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1. Das Seiende verhält sich auf dieselbe Weise zum Wahren und Guten, denn es ist mit beiden vertauschbar. Dementsprechend verhält sich auch das Erkennen zum Wahren wie das Streben zum Guten. Nun kennt aber nicht jedes Seiende das Wahre; also strebt auch nicht jedes Seiende nach dem Guten. 2. Nimmt man das Frühere weg, dann wird auch das Spätere weggenommen. Bei den Lebewesen geht aber das Erkennen dem Streben voraus. Das Erkennen aber erstreckt sich nicht auf das Nichtlebende, sodaß wir nicht sagen können, daß es naturgemäß erkennt. Daher erstreckt sich auch das Streben nicht auf dieselben, sodaß wir sagen könnten, es strebte naturgemäß nach dem Guten. 3. Nach Boethius im Buch von den Wochen2 sagt man, daß alles etwas erstrebt, insofern es ihm ähnlich ist. Wenn also etwas nach dem Guten strebt, muß es ihm ähnlich sein. Da nun aber dasjenige ähnlich ist, dessen Beschaffenheit oder Form eins ist3, muß die Form des Guten in einem strebenden Guten sein. Sie kann dort aber nicht gemäß einem natürlichem Sein sein, weil sie sonst darüber hinaus nichts begehrte: nichts begehrt ja, was es schon hat. Also muß in einem strebenden Guten die Form des Guten nach der Art der Absicht vorherexistieren. Alles aber, in welchem etwas nach dieser Art ist, ist erkennend. Das Streben nach dem Guten kann also nur in Erkennendem sein, und so folgt, was schon zuvor gesagt wurde. 4. Wenn alle Dinge nach dem Guten streben, muß man unter dem Guten etwas verstehen, das allen zu eigen sein kann. Nichts strebt ja naturgemäß oder vernünftigerweise nach dem, was es unmöglich haben kann. Das Gute aber, welche sich auf alles Seiende erstreckt, kann nur das Sein sein. Demgemäß ist es dasselbe zu sagen, daß alles nach dem Guten strebt, und daß alles nach dem Sein strebt. Nun strebt aber nicht alles nach dem Sein. Im Gegenteil strebt gar nichts nach Sein, da ja alles Sein hat, und nichts etwas erstrebt, außer es entbehrt es, wie Augustinus im Buch
2 Boethius, De hebd., ed. Peiper, 170, 54; ed. Elsässer, 36 f. 3 Vgl. Aristoteles, Met. V, 12; 1018 a 16.
1. Artikel
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Von der Dreifaltigkeit4 und Aristoteles im ersten Buch der Physik 5 sagt. 5. Das Eine, das Wahre und das Gute sind gleichermaßen mit dem Seienden vertauschbar.6 Nicht alles Seiende aber strebt nach dem Einen und nach dem Wahren; also auch nicht nach dem Guten. 6. Nach Aristoteles7 handeln einige, die die rechte Einsicht haben, gegen diese Einsicht. Sie handelten aber nicht, wenn sie nicht strebten und wollten. Was aber gegen die bessere Einsicht ist, ist böse. Also streben einige nach dem Bösen. Nicht alles strebt danach nach dem Guten. 7. Averroes sagt am Anfang seiner Ethik, daß das Gute, von dem gesagt wird, daß alles nach ihm strebt, das Sein ist.8 Einige aber streben nicht nach dem Sein, sondern vielmehr nach dem Nichtsein, so wie die Verdammten in der Hölle, die sich auch nach dem Tod der Seele sehnen, sodaß sie überhaupt nicht wären. Also strebt nicht alles nach dem Guten. 8. So wie die auffassenden Vermögen sich zu ihren Gegenständen verhalten, so auch die strebenden. Ein auffassendes Vermögen muß nun aber ganz von den Spezies seines Gegenstandes entblößt sein, um zu erkennen – zum Beispiel die Pupille von der Farbe. Darum muß auch das das Gute Erstrebende von aller Spezies des Guten befreit sein. Nun hat aber alles die Spezies des Guten; also erstrebt nichts das Gute. 4 Augustinus, De trin. IX, 12, 18 (PL 42, col. 971; CCSL 50, 309 f.) und Enarr. in Ps. 118, s. VIII, 4 (PL 37, col. 1522; CCSL 40, 1688): »concupiscuntur enim quae habentur et non habentur; desiderium autem absentia concupiscit.« 5 Aristoteles, Phys. I, 9; 192 a 17–24. 6 Vgl. De ver. q. 1 a. 8; q. 1, a. 5 und q. 1, a. 1. 7 Aristoteles, Eth. Nic. VII, 2; 1145 b 28; VII, 3; 1146 b 31 ff.; VII, 7; 1150 b 20–22; VII, 8; 1151 a 1–3, 20–24 und VII, 9; 1151 a 26–29. 8 Referenz unklar. Die Lyons-Ausgabe von 1542 hat in der Zusammenfassung: »Omnes naturaliter diligunt esse« (150 v). vgl. Schmidt III, S. 449. In Sent. IV, d. 49 q. 1, a. 2, sol. 1 wird dies Boethius zugeschrieben (Philos. consol. III, pr. 11 (PL 63, col. 774 B; CCSL 94, 57 f.). Vgl. auch Avicenna, Liber de philosophia prima VIII, 6 (ed. Van Riet, II, 412) und Albertus Magnus, Super Dion. De div. nom. IV n. 228 (ed. Col. XXXVII/1, 300).
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9. Etwas um eines Zieles willen zu tun, kommt dem Schöpfer, wie auch der Natur und dem nach einer Absicht Handelnden zu. Der Schöpfer und das nach einer Absicht handelnde Geschöpf, zum Beispiel der Mensch, haben aber, wenn sie etwas um eines Zieles willen tun oder ein Gutes begehren oder lieben, eine Erkenntnis des Zieles und des Guten. Also auch die Natur, die in der Mitte zwischen beiden ist, indem sie nämlich das Werk der Schöpfung voraussetzt und selbst im Artefakt vorausgesetzt ist. Wenn sie also selbst nach dem Ziel strebt, um dessentwillen sie handelt, muß sie dieses auch erkennen. Nun erkennt sie dieses aber nicht; also streben Naturdinge auch nicht nach dem Guten. 10. Alles wonach gestrebt wird, wird auch gesucht. Nach Platon9 kann aber nichts gesucht werden, von dem wir keine Kenntnis haben. Wenn zum Beispiel jemand einen entflohenen Sklaven sucht, kann er nicht wissen, ob er ihn gefunden hat, es sei denn, er kennt ihn. Dinge, die keine Erkenntnis des Guten haben, streben also auch nicht nach diesem. 11. Nach einem Ziel zu streben kommt demjenigen zu, das auf ein Ziel hingeordnet ist. Das Letztziel aber, welches Gott ist, ist nicht wieder auf ein Ziel hingeordnet. Also strebt es nicht nach einem Ziel oder nach dem Guten. Nicht alles strebt demnach nach dem Guten. 12. Die Natur ist auf eines festgelegt.10 Wenn also die Dinge naturgemäß nach dem Guten streben, können sie nach nichts anderem streben. Alles aber strebt naturgemäß nach Frieden, wie Augustinus im 19. Buch Von der Stadt Gottes11 sagt, und Dionysius in Über die göttlichen Namen im 12. Kapitel.12 Ebenso strebt alles nach dem Schönen, wie ebenfalls Dionysius in Über die göttlichen Namen im 4. Kapitel13 sagt. Also strebt nicht alles naturgemäß nach dem Guten. 9 Plato, Menon 80 D. Vgl. De ver. q. 2 a. 5. 10 Vgl. De ver. q. 5 a. 2. 11 Augustinus, De civ. Dei XIX, 12 (PL 41, col. 637, CSEL 40/II, 390;
CCSL 48, 675; CCSL 48, 675). 12 Richtiger: Dionysius Areopagita, De div. nom. XI, 1 (PG 3, col. 948 D; Dion. I, 496). Vgl. Sum. theol. II–II, q. 29, a. 2. 13 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 7 (PG 3, col. 704 B; Dion. I, 184), IV, 10 (PG 3, col. 708 A; Dion. I, 199) and IV, 19 (PG 3, col. 716 C; Dion. I, 235).
1. Artikel
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13. So wie jemand nach einem Ziel strebt, wenn er es nicht hat, so erfreut er sich in ihm, wenn er es schon hat. Wir sagen aber nicht, daß unbelebte Dinge sich am Guten erfreuen. Also dürfen wir auch nicht sagen, daß sie nach dem Guten streben. Dagegen spricht: 1. Dionysius sagt in Über die göttlichen Namen im 4. Kapitel:14 »Alles Existierende begehrt das Schöne und Gute, und alles, was etwas tut, tut es darum, weil es gut erscheint; und das Aussein alles Existierenden hat als sein Prinzip und Ziel das Gute.« 2. Aristoteles sagt im 1. Buch der Nikomachischen Ethik,15 daß einige »das Gute sehr gut definieren, indem sie sagen, das Gute sei wonach alles strebt.« 3. Alles was handelt, handelt um eines Zieles willen, wie Aristoteles in 2. Buch der Metaphysik16 sagt. Was aber um einer Sache willen handelt, erstrebt diese. Also streben alle nach dem Ziel und nach dem Guten, welches das Wesen des Zieles hat. 4. Alles strebt nach seiner Vervollkommnung. Was immer aber ist, ist darum auch vollkommen und gut. Also strebt alles nach dem Guten. Antwort: Alles strebt nach dem Guten, nicht nur dasjenige, was Erkenntniskraft hat, sondern auch das, was der Erkenntnis entbehrt. Hierzu muß man wissen, daß nach einigen antike Philosophen17 in der Natur die angemessenen Wirkungen aus der Notwendigkeit der vorhergehenden Ursachen hervorgehen, nicht aber so, daß die natürlichen Ursachen der Angemessenheit solcher Wirkungen wegen derart veranlagt wären. Das widerlegt Aristoteles im 2. Buch der Physik18 daraus, daß solche Angemessenheiten und Nützlichkeiten, 14 Ibid. § 19. 15 Aristoteles, Eth. Nic. I, 1; 1094 a 2–3, nach Robert Grossetestes
Übersetzung, ed. R. A. Gauthier, Leiden (Brill) 1997, S. 1. 16 Aristoteles, Met. II, 2; 994 b 13. 17 Vgl. Aristoteles, Phys. II, 8; 198 b 10–32; vgl. Met. I, 4; 985 a 10–23. 18 Aristoteles, Phys. II, 8; 198 b 17–199 b 32.
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wenn sie nicht irgendwie beabsichtigt sind, demnach aus Zufall hervorgingen; so aber würden sich diese nicht meistens ereignen, sondern nur zum geringeren Teil, so wie auch in anderen Fällen, von denen wir sagen, daß sie zufällig geschehen. Daher muß man sagen, daß alle Naturdinge auf ihre angemessenen Wirkungen hingeordnet und disponiert sind. Etwas kann aber auf zweifache Weise auf etwas wie auf ein Ziel hin gerichtet und geordnet sein: Erstens durch sich selbst, wie der Mensch, der sich selbst auf den Ort hinrichtet, auf den er hinstrebt; zweitens durch etwas anderes, wie der Pfeil, der vom Bogenschützen auf einen bestimmten Ort hin gerichtet wird.19 Sich selbst auf ein Ziel hin richten können aber nur die Dinge, die um das Ziel wissen; das Hinordnende muß nämlich Kenntnis haben von dem, auf was es sich hinordnet. Diejenigen hingegen, die um das Ziel nicht wissen, können gleichwohl von etwas anderem auf ein Ziel hin gerichtet werden. Das kann wiederum auf zweifache Weise geschehen: manchmal nämlich wird das, was auf ein Ziel hingeordnet wird, nur vom Hinordnenden angetrieben und bewegt, ohne daß vom Hinordnenden daraus eine Form folgte, durch die ihm diese Hinneigung und Richtung zukäme. Eine solche Bewegung ist gewaltsam – so wie der Pfeil vom Bogenschützen auf eine bestimmte Zielscheibe gelenkt wird. Manchmal aber hat das, was auf ein Ziel hingelenkt und bewegt wird in der Folge vom Hinordnenden eine Form, durch die ihm diese Hinordnung zukommt. Dann ist eine solche Hinordnung natürlich, gleichsam durch ein natürliches Prinzip – so wie derjenige, der dem Stein die Schwerkraft gibt, ihn dadurch darauf hinneigt, naturgemäß nach unten zu streben. Auf diese Weise ist bei schweren und leichten Dingen ihr Erzeuger ihr Beweger, wie Aristoteles im 8. Buch der Physik20 sagt. Und so sind alle natürlichen Dinge auf das hingeneigt, was ihnen angemessen ist, indem sie nämlich in sich selbst ein Prinzip ihrer Hinneigung haben, aufgrund dessen ihre Hinneigung natürlich ist. Dementsprechend gehen sie auf ge19 Vgl. Albertus Magnus, Super Ethica I, 1 (ed. Col. XIV, 7). 20 Aristoteles, Phys. VIII, 4; 255 b 35–256 a 2.
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wisse Weise selbst zu dem ihnen gebührenden Ziel, statt zu diesem geführt zu werden. Gewaltsam Bewegtes wird nämlich nur geführt, da es zum Bewegenden nichts beisteuert, während Natürliches auch selbst ins Ziel geht, insofern es mit dem Lenkenden und Hinordnenden zusammenwirkt durch ein ihm eingegebenes Prinzip. Was aber von etwas auf etwas hingeordnet und hingeneigt wird, geht auf dasjenige, auf welches es abzielt, durch dasjenige, welches hinordnet und abzielt, so wie der Pfeil auf dasselbe Ziel hingeordnet ist, auf welches der Bogenschütze zielt. Weil nun alles Natürliche vom ersten Beweger, d. h. Gott, durch eine natürliche Hinneigung auf sein Ziel hingeneigt ist, muß dasjenige, auf das alles naturgemäß hinstrebt, von Gott gewollt und beabsichtigt sein. Da nun aber Gott kein anderes Ziel seines Willens haben kann als sich selbst, er selbst aber das Wesen der Gutheit selbst ist, muß auch alles andere naturgemäß auf das Gute hinstreben. Streben aber heißt nichts anderes als etwas zu erreichen suchen (aliquid petere), sich gleichsam ausstrecken nach etwas, das auf einen selbst hingeordnet ist. Weil nun alles von Gott auf das Gute hingeordnet und gerichtet ist, und zwar so, daß jedem ein Prinzip einwohnt, durch welches es sich selbst auf das Gute hin ausstreckt, gleichsam selbiges Gutes zu erreichen suchend, muß man sagen, daß alles naturgemäß das Gute begehrt. Wenn nämlich alle Dinge das Gute erstrebten, ohne daß sie in sich ein Prinzip des Strebens hätten, könnten sie zwar »ins Gute Geführte« genannt werden, nicht aber »das Gute Erstrebende«. Aufgrund eines ihnen eingegebenen Prinzipes aber wird gesagt, daß alles das Gute erstrebt, gleichsam spontan aufs Gute hin tendierend. Darum wird auch im 7. Kapitel des Buches der Weisheit 21 gesagt, daß die göttliche Weisheit »alles lieblich disponiert« hat, weil alles aus eigener Bewegung nach dem strebt, worauf es auf göttlicherweise hingeordnet ist. Zu 1. Das Wahre und das Gute verhalten sich zum Seinden einerseits ähnlich, andererseits unähnlich. Gemäß der Vertauschbarkeit der Prädikate verhalten sie sich ähnlich: so wie nämlich jedes Seiende gut ist, so ist es auch wahr. Gemäß ihrer Hinordnung auf 21 Tatsächlich Weish. 8, 1.
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die Ursache ihrer Vollkommenheit aber verhalten sie sich unähnlich. Das Wahre ist nämlich nicht wie das Gute hinsichtlich alles Seienden in der Ordnung der vervollkommnenden Ursache, denn die Vollkommenheit des Wahren wird nur gemäß dem Artbegriff (species) betrachtet. Dementsprechend kann nur Immaterielles vom Wahren vervollkommnet werden, denn nur dieses kann einen Artbegriff ohne sein materielles Sein empfangen. Das Gute aber, da es nach Artbegriff und Sein zugleich vervollkommnend ist, kann sowohl Materielles als auch Immaterielles vervollkommnen. So kann also alles das Gute erstreben, aber nicht alles das Wahre erkennen. Zu 2. Einige22 sagen, daß, so wie in allem ein natürliches Streben ist, es auch in allem ein natürliches Erkennen gibt. Aber das kann nicht stimmen, denn Erkennen findet durch Verähnlichung statt. In Naturdingen bewirkt die Ähnlichkeit aber kein Erkennen, sondern verhindert sie vielmehr. Aufgrund dessen müssen die Sinnesorgane von allem sinnlichen Spezies entblößt sein, um diese in ihrem geistigen Sein empfangen zu können, welches die Erkenntnis bewirkt. Daher kann alles das, was etwas nur seinem materiellen Sein nach empfangen kann, in keiner Weise erkennen. Streben aber können diese Dinge, insofern sie auf etwas hingeordnet sind, das im natürlichen Sein existiert. Das Streben nämlich bezieht sich nicht notwendigerweise auf geistiges Sein, wie das Erkennen, weshalb es ein natürliches Streben geben kann, aber keine natürliche Erkenntnis. Das wird auch nicht dadurch verhindert, daß in Belebtem das Streben dem Erkennen folgt, denn auch in Naturdingen folgt es dem Auffassen und Erkennen – bloß nicht dem eigenen der Strebenden, sondern dessen, der sie auf das Ziel hinordnet. Zu 3. Alles was etwas erstrebt, erstrebt es insofern es etwas ihm Ähnliches hat. Dazu reicht aber nicht eine Ähnlichkeit dem geistigen Sein nach. Anderfalls müßte das Tier alles erstreben, was es erkennt. Es muß also eine Ähnlichkeit dem natürlichen Sein nach sein. Diese Ähnlichkeit ist in zweierlei Hinsicht zu nehmen: Erstens, 22 Referenz unklar. Albertus Magnus, Metaphysica I, 4, 7 (ed. Col. XVI/1, 56) schreibt die Auffassung, daß Geistiges in allem ist, Alexander von Aphrodisias und David von Dinant zu; Empedokles und die stoische Weltseele können ebenfalls gemeint sein; vgl. Schmidt III, S. 450.
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sofern die Form des einen sich im anderen schon dem vollkommenen Akt nach findet; und wenn sich etwas auf diese Weise dem Ziel verähnlicht und assimiliert, strebt es nicht nach dem Ziel, sondern ruht in ihm. Zweitens insofern die Form des einen sich im anderen auf unvollkommene Weise befindet, d. h. der Potenz nach. So nun, insofern etwas in sich das Gute und das Ziel der Potenz nach hat, strebt es nach dem Guten und dem Ziel und begehrt es. Auf diese Weise sagt man auch, daß die Materie die Form »begehrt«, insofern nämlich, als in ihr die Form der Potenz nach ist. Darum gilt: je größer und vollkommener und dem Akte näher die Potenz ist, ein desto größeres Streben bewirkt sie auch. Ferner ergibt sich daraus, daß alle natürliche Bewegung sich am Ende intensiviert, wenn nämlich das, was strebt, dem Ziel schon ähnlich ist. Zu 4. Wenn gesagt wird, daß alles das Gute erstrebt, darf man das Gute nicht als dieses oder jenes bestimmen, sondern man muß es allgemein auffassen, denn jedes erstrebt naturgemäß das ihm angemessene Gute. Wenn man es aber als ein Gutes bestimmt, dann wird dieses eine das Sein sein. Dem steht nicht entgegen, daß alles das Sein schon hat, denn alles was das Sein hat, erstrebt seine Fortsetzung. Auch hat alles, was das Sein in einer Weise aktual hat, es in anderer Weise potentiell, so wie die Luft aktual die Luft ist, aber potentiell Feuer. Und so kann das, was das Sein aktual hat, gleichwohl nach Aktualität streben. Zu 5. Das Eine und das Wahre haben nicht wie das Gute den Charakter des Zieles; darum sind sie auch nicht wesentlich begehrenswert. Zu 6. Auch diejenigen, die gegen die Einsicht handeln, streben an sich nach dem Guten, so wie zum Beispiel wer Unzucht treibt auf das achtet, was den Sinnen nach gut und anziehend ist; daß es aber der Vernunft nach böse ist, liegt außerhalb seiner Absicht. Daher ist das Gute das an sich begehrte, das Böse aber das akzidentell begehrte. Zu 7. So wie etwas sich zu seinem Gutsein verhält, so auch dazu, daß es begehrenswert ist. Wie nun aber oben23 gesagt wurde, nennt man etwas nicht seinem substantialen Sein nach schlechthin und unbedingt gut, außer es werden andere gebührende Vollkommen23 De ver. q. 21 a. 5.
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heiten hinzugefügt. Darum ist das substantiale Sein selbst nicht unbedingt begehrenswert, außer verbunden mit den gebührenden Vollkommenheiten. Deshalb sagt Aristoteles in 9. Buch der Nikomachischen Ethik,24 »Allem ist das Sein angenehm. Dennoch muß man nicht das böse und verdorbene Leben annehmen, oder eines in Traurigkeit.« Dies nämlich ist schlechthin böse und schlechthin zu fliehen, obwohl es in gewisser Hinsicht begehrenswert ist. Hinsichtlich des Begehrens und Fliehens ist jedoch das Gute und das das Böse Zerstörende gleichartig, ebenso wie das Böse und das das Gute Zerstörende. Deshalb nennen wir auch dasjenige, welches des Bösen ermangelt, das Gute, wie Aristoteles im 5. Buch der Nikomachischen Ethik sagt.25 Das Nichtsein nimmt daher den Charakter des Guten an, insofern es das Sein in Traurigkeit und Bosheit aufhebt. Letzteres ist schlechthin böse, auch wenn es in gewisser Hinsicht gut ist. Auf diese Weise kann das Nichtsein unter der Hinsicht des Guten begehrt werden. Zu 8. Es stimmt nicht immer, daß in den auffassenden Vermögen das Vermögen völlig von allen Spezies seiner Gegenstände entblößt ist. Es ist nämlich falsch hinsichtlich derjenigen Vermögen, die ein universales Objekt haben, so wie die Vernunft, die als ihr Objekt das Was hat, obwohl sie selbst Washeit hat; sie muß allerdings von denjenigen Formen entblößt sein, die sie empfängt. Es ist auch falsch für den Tastsinn, denn obwohl er spezifische Objekte hat, gehören sie doch notwendigerweise einem Lebewesen an; daher kann sein Organ nie völlig ohne Wärme und Kälte sein. Allerdings ist es auch in gewisser Weise jenseits von Wärme und Kälte, insofern es von mittlerer Zusammensetzung ist;26 das Mittlere aber ist keins von den Extremen. Das Strebevermögen nun hat ein allgemeines Objekt, nämlich das Gute; darum ist es nicht völlig entblößt vom Guten, sondern nur von dem Guten, nach welchem es strebt. Letzteres hat es aber potentiell, und es ist ihm dementsprechend ähnlich. Ebenso 24 Aristoteles, Eth. Nic. IX, 9; 1170 a 22, nach R. Grossetestes Übersetzung, ed. R. A. Gauthier (Leiden: Brill, 1997), S. 399. Aber auch Eth. Nic. IX, 7; 1168 a 5–7. 25 Aristoteles, Eth. Nic. V, 1; 1129 b 8. 26 Vgl. Thomas, Super De anima II, lect. 23.
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ist das auffassende Vermögen in Potenz hinsichtlich der Spezies seines Objektes. Zu 9. Wie schon gesagt, muß es in allem, das etwas auf ein Ziel hinlenkt, eine Kenntnis des Zieles geben. Die Natur aber lenkt nicht auf ein Ziel hin, sondern wird gelenkt. Gott aber, und der nach irgendeinem Vorsatz Handelnde, lenkt auch etwas aufs Ziel hin. Darum müssen sie auch eine Kenntnis des Zieles haben, nicht jedoch die Naturdinge. Zu 10. Dieser Einwand argumentiert richtig hinsichtlich dessen, was nach einem Ziel strebt als sich selbst gleichsam aufs Ziel hinlenkend. Denn zu diesem gehört es, daß es auch weiß, wenn es sein Ziel erreicht hat. Das muß aber nicht so sein bei etwas, das bloß ins Ziel gelenkt wird. Zu 11. Durch dieselbe Natur, durch die etwas nach einem Ziel strebt, das es noch nicht hat, erfreut es sich auch des Zieles das es bereits hat. Zum Beispiel bewegt die Erde sich durch dieselbe Natur nach unten, und ruht dort auch. Dem Letztziel also kommt es nicht zu, nach einem Ziel zu streben, sondern sich seiner selbst als Ziel zu erfreuen. Und wenn das auch nicht im eigentlichen Sinne als Streben bezeichnet werden kann, ist es doch etwas zur Gattung des Strebens gehörendes, von welchem alles Streben abgeleitet ist. Weil Gott nämlich sich seiner selbst erfreut, lenkt er alles andere auf sich. Zu 12. Daß das Streben auf das Gute, den Frieden und das Schöne ausgeht, bedeutet nicht, daß es nach Verschiedenem strebt. Genau darum nämlich, weil etwas nach dem Guten strebt, strebt es zugleich auch nach dem Schönen und dem Frieden. Es strebt nach dem Schönen, insofern es in sich artikuliert und charakteristisch ist; das aber ist im Wesen des Guten eingeschlossen. Das Gute fügt zu alldem nur die Ordnung des Vervollkommnenden hinzu. Darum strebt alles, was nach dem Guten strebt, ebendarum auch nach dem Schönen. Friede jedoch impliziert die Entfernung aller Unruhe und aller Hindernisse der Erreichung des Guten. Ebendarum aber, weil etwas begehrt wird, wird auch die Beseitigung der Hindernisse begehrt. Also wird zugleich und mit demselben Streben das Gute, das Schöne und der Friede erstrebt. Zu 13. Die Freude schließt ihrem Wesen nach ein, daß man das Gute kennt, an dem man sich freut. Deshalb können sich nur dieje-
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nigen an einem erreichten Ziel erfreuen, die das Ziel kennen. Das Streben schließt nun allerdings, wie gesagt, nicht eine Erkenntnis im Strebenden ein. Wenn man aber Freude im weiteren und uneigentlichen Sinne versteht, dann kann man mit Dionysius in Über die göttlichen Namen im 4. Kapitel27 sagen, daß das Schöne und das Gute allem erfreulich und liebenswert ist.
2. Artik el Die zweite Frage lautet: Strebt alles nach Gott selbst?28 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Die Dinge sind auf Gott hingeordnet, insofern er erkennbar und erstrebbar ist. Aber nicht alles, was auf ihn als erkennbar hingeordnet ist, erkennt ihn auch; nicht alle Erkennenden erkennen ja Gott. Also erstrebt ihn auch nicht alles was auf ihn als erstrebbar hingeordnet ist. 2. Das Gute, das nach Aristoteles im 1. Buch der Nikomachischen Ethik29 von allem erstrebt wird, ist nach Averroes’ Kommentar das Sein.30 Gott ist aber nicht das Sein von allem. Darum ist Gott nicht das Gute, das von allem begehrt wird. 3. Nichts strebt nach dem, was es flieht. Einige aber fliehen Gott, weil sie ihn hassen, wie es in den Psalmen31 heißt: »Ständig steigt auf der Hochmut derer die dich hassen.« Und Hiob sagt im 21. Kapitel:32 »Sie sagen zu Gott: geh’ weg von uns.« Nicht alle also streben nach Gott.
27 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 10 (PG 3, col. 708 A; Dion. I,
199). 28 Paralleltexte: Sent. II, d. 1, q. 2, a. 1; ScG III, 17 f.; Sum. theol. I, q. 6 a. 1c und ad 2; I, q. 44 a. 4; Comp. theol. I, 100 u. 101. 29 Aristoteles, Eth. Nic. I, 1; 1094 a 3. 30 S. o., De ver., q. 22, a. 1, obj. 7, Anm. Vgl. aber auch Eth. Nic. IX, 7; 1168 a 5–7. 31 Psalm 73, 23; Vulgata. 32 Hiob 21, 14.
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4. Niemand strebt nach dem, was er hat. Einige aber, wie die Seligen, die sich seiner erfreuen, haben Gott selbst. Also streben nicht alle nach Gott. 5. Ein naturgemäßes Streben kann es nur hinsichtlich dessen geben, was man haben kann. Nur die vernunftbegabte Kreatur kann aber Gott haben, weil nur sie nach dem Ebenbild Gottes gemacht ist, und »sie ist schon darum ein Ebenbild Gottes, weil sie seiner fähig ist«, wie Augustinus im Buch Von der Dreifaltigkeit33 sagt. Also strebt nicht alles naturgemäß nach Gott. Dagegen spricht: 1. Augustinus sagt im Buch der Soliloquien,34 daß »alles Gott liebt, was lieben kann«. Alles aber kann lieben, weil alles nach dem Guten strebt. Also strebt alles nach Gott. 2. Alles strebt naturgemäß nach seinem Ziel, für das es gemacht ist. Alles aber ist auf Gott hingeordnet als auf das Ziel, wie es im Buch der Sprichwörter im 16. Kapitel35 heißt: »Der Herr hat alles um seiner selbst willen gemacht.« Antwort: Naturgemäß strebt alles nach Gott implizit, aber nicht explizit. Zum Beweis muß man wissen, daß eine Zweitursache nur in ihre Wirkung überfließen kann, wenn sie ihre Wirkkraft von der Erstursache empfängt. Wie nun aber das Überfließen der Wirkursache ein Tätigsein ist, so ist das Überfließen einer Zweckursache ein Streben und Begehren. So wie darum ein untergeordnetes Tätigsein nur etwas tätigt aufgrund der in ihm befindlichen Kraft des ersten Tätigen, so wird ein untergeordneter Zweck nur aufgrund des Hauptzweckes erstrebt. Dieser ist nämlich in ihm, insofern er auf ihn hingeordnet und ihm ähnlich ist. So wie Gott in allem Tätigen tätig ist, weil er die erste Wirkursache ist, so wird er auch in allen Zwecken erstrebt, weil er die letzte Zweckursache ist. Das aber bedeutet, implizit nach Gott zu streben. Die Kraft der Erstursache ist 33 Augustinus, De trin. XIV, 8, 11 (PL 42, col. 1044; CCSL 50 A, 436). 34 Augustinus, Soliloquia, I, 1 (PL 32, col. 869). 35 Sprichwörter 16, 4.
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nämlich so in der Zweitursache, wie die Prinzipien in den Schlußfolgerungen sind. Die Schlußfolgerungen auf die Prinzipien zurückzuführen, und die Zweitursachen auf die Erstursachen, kommt aber nur dem Vernunftvermögen zu. Darum kann nur eine vernünftige Natur die untergeordneten Zwecke durch eine Art Rückführung von Gott ableiten, sodaß sie explizit nach Gott strebt. So wie in den beweisenden Wissenschaften eine Schlußfolgerung nicht richtig gewußt wird, wenn sie nicht auf die ersten Prinzipien zurückgeführt wird, so ist auch das Streben eines vernünftigen Geschöpfes nicht richtig, wenn es nicht ein explizites Streben nach Gott selbst ist, sei es aktuell oder habituell. Zu 1: Alles Erkennende kennt Gott implizit in allem Erkannten. So wie nämlich nichts das Wesen des Erstrebenswerten hat, außer durch die Ähnlichkeit mit der ersten Gutheit, so ist nichts erkennbar, außer durch die Ähnlichkeit mit der ersten Wahrheit. Zu 2: Das geschaffene Sein selbst ist eine Ähnlichkeit gegenüber der göttlichen Gutheit. Sofern daher etwas das Sein begehrt, begehrt es etwas Gott Ähnliches, und darum implizit Gott selbst. Zu 3. Gott kann zweifach betrachtet werden: in sich selbst, oder in seinen Wirkungen. In sich selbst kann er unmöglich nicht geliebt werden, weil er das Wesen der Gutheit selbst ist. Darum wird er von allen geliebt, die ihn in seinem Wesen sehen; und dort wird er in dem Maße geliebt, wie er erkannt wird.36 In einigen seiner Wirkungen aber wird Gott geflohen und in gewisser Weise gehaßt, da sie dem Willen entgegengesetzt sind, wie beantragte Strafen oder Vorschriften, die schwierig erscheinen. Gleichwohl müssen diejenigen, die ihn wegen einiger Wirkungen hassen, ihn in anderen Wirkungen lieben; so zum Beispiel die Dämonen, die nach Dionysius in Über die göttlichen Namen im 4. Kapitel37 naturgemäß nach Sein und Leben streben, und darin Gott erstreben und begehren. Zu 4: Die Seligen, die sich schon Gottes erfreuen, streben nach der Fortsetzung dieser Freude. Zudem ist dieses Sicherfreuen gewisser36 Vgl. De ver. q. 8 a. 4. 37 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 23 (PG 3, col. 725 C; Dion. I,
282).
3. Artikel
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maßen ein Streben, das durch sein Strebensziel vervollkommnet ist, auch wenn das Wort Streben eine Unvollkommenheit beinhaltet. Zu 5: Nur die vernünftige Kreatur ist Gottes fähig, weil nur sie ihn explizit erkennen und lieben kann. Aber auch andere Geschöpfe haben an der göttlichen Ähnlichkeit teil, und so erstreben auch sie Gott selbst. 3. Artik el Die dritte Frage lautet: Ist das Streben ein besonderes Vermögen der Seele?38 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Die Seelenvermögen sind nur auf die Lebenstätigkeiten hingeordnet. Die Lebenstätigkeiten aber nennen wir das, was Beseeltes von Unbeseeltem unterscheidet.39 Dem Streben nach aber wird Beseeltes von Unbeseeltem nicht unterschieden, da Unbelebtes ebenfalls nach dem Guten strebt. Also ist das Streben kein besonderes Vermögen der Seele. 2. Das Streben scheint nichts anderes zu sein, als ein gewisse Hinrichtung aufs Ziel. Das natürliche Streben aber reicht dazu, daß etwas durch es auf ein Ziel gerichtet ist. Also darf man kein tierisches Streben hinzufügen, das ein besonderes Vermögen der Seele wäre. 3. Die Tätigkeiten und Vermögen unterscheiden sich nach ihren Zielpunkt. Der Zielpunkt des natürlichen und des tierischen Strebens ist aber derselbe, nämlich das Gute. Da nun das natürliche Streben kein Seelenvermögen ist, ist es auch da tierische nicht. 4. Nach Augustinus40 geht das Streben auf etwas, das man nicht hat. Tiere aber haben das Gute bereits durch Erkenntnis. Also folgt in Tieren auf die Erkenntnis des Guten kein Streben, das noch ein besonderes Vermögen benötigte. 5. Ein besonderes Vermögen ist auf eine besondere Tätigkeit hingeordnet, nicht aber auf eine Tätigkeit, die allen Vermögen der Seele 38 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 80, a. 1; Sent. III, d. 27 q. 1 a. 2. 39 Vgl. Avicenna, De an. I, 1 (Venedig 1513, fol. 2ra; ed. Van Riet, 29). 40 Augustinus, De trin. IX, 12, 18 (PL 42, col. 971; CCSL 50, 309 f.) und
Enarr. in Ps. 118, s. VIII, 4 (PL 37, col. 1522; CCSL 40, 1688).
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gemeinsam ist. Offenkundig erstrebt ja jedes Vermögen sein Objekt und erfreut sich daran; also ist das Streben kein besonderes Vermögen der Seele. 6. Wenn das Strebevermögen nach dem Guten strebt, strebt es entweder nach dem gemeinsamen Guten, oder nach seinem eigenen. Wenn es aber nach dem gemeinsamen Guten strebt, während alle anderen Vermögen nach einem besonderen Gut streben, dann ist das Strebevermögen kein besonderes Vermögen, sondern ein allgemeines. Wenn es hingegen nach seinem eigenen Gut strebt, während auch alle anderen Vermögen nach ihrem besonderen Gut streben, dann können mit gleicher Begründung auch alle anderen Vermögen Strebevermögen genannt werden. Also gibt es kein Seelenvermögen, das auf besondere Weise ein Streben genannt werden müßte. Dagegen spricht: Aristoteles nimmt im 3. Buch Von der Seele41 ein besonderes Strebevermögen in der Seele an. Antwort: Das Streben ist ein besonderes Vermögen der Seele. Dazu muß man wissen, daß die Seelenvermögen auf Tätigkeiten hingeordnet sind, die dem Beseelten eigentümlich sind. Darum ist einer Tätigkeit ein besonderes Seelenvermögen aus dem Grunde zugeordnet, weil es eine eigentümliche Tätigkeit des Beseelten ist. Nun findet sich aber eine Tätigkeit, die auf eine Weise dem Beseelten und Unbeseelten gemeinsam ist, auf andere Weise jedoch dem Beseelten eigentümlich, wie das Bewegtwerden und Erzeugtwerden. Geistige Dinge haben, für sich genommen, eine Natur, dergemäß sie bewegen, aber nicht bewegt werden. Körper hingegen werden bewegt, und obwohl einer den anderen bewegen kann, kann doch keiner sich selbst bewegen. Nach Aristoteles im 8. Buch der Physik42 sind nämlich die Dinge, die sich selbst bewegen, in zwei Teile geteilt, deren einer bewegend ist und der andere bewegt. 41 Aristoteles, De an. III, 9 und 10; 432 b 3 f. und 433 a 31; in der Sum. theol. I, q. 80 a. 1 zitiert Thomas auch De an. II, 3; 414 a 29 ff. 42 Aristoteles, Phys. VIII, 5; 257 a 33 ff. u. 258 a 1–5.
3. Artikel
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Das aber kann in rein körperlichen Dingen nicht sein, weil sie vermöge ihrer Form nicht bewegend sein können, obschon sie ein Bewegungsprinzip sein können, durch das anderes bewegt wird. Zum Beispiel ist in einem Erdbeben die Schwerkraft ein Prinzip, durch welches etwas bewegt wird, aber es ist kein Beweger. Dies ist so zum einen wegen der Einfachheit der Körper der unbelebten Dinge, die keine so große Unterschiedlichkeit in ihren Teilen aufweisen, daß ein Teil bewegend und der andere bewegt sein könnte. Zum anderen ist es so wegen der Niedrigkeit und Materialität der Formen, die – weit entfernt von den separaten Formen, denen es zukommt, zu bewegen – nicht erhalten, daß sie bewegen können, sondern nur, daß sie ein Bewegungsprinzip sind. Beseelte Dinge nun sind zusammengesetzt aus einer körperlichen und einer geistigen Natur. Darum kann es in ihnen einen Teil geben, der bewegt und einen anderen, der bewegt wird, und das sowohl hinsichtlich der Ortsbewegung wie auch der anderen Bewegungen. Insofern also auf diese Weise das Bewegtwerden zur eigenen Tätigkeit der beseelten Dinge selbst gemacht wird, sodaß diese sich selbst zu bestimmten Weisen der Bewegung bewegen, so finden sich im Beseelten auch besondere und geordnete Vermögen. So zum Beispiel findet sich für die Ortsbewegung in den Tieren eine Bewegungskraft, in Pflanzen und Tieren gemeinsam aber die Wachstumskraft für die Wachstumsbewegung, die Ernährungskraft für die Veränderungsbewegung, und die Fortpflanzungkraft für die Zeugungsbewegung.43 Ähnlich ist es auch mit dem Streben; es ist auf gewisse Weise allen gemeinsam, kommt aber dem Beseelten, nämlich den Tieren, auch auf besondere Weise zu, insofern sich bei ihnen sowohl das Streben findet, als auch das, was das Streben bewegt. Das aufgefaßte Gute selbst nämlich bewegt das Streben, nach Aristoteles im 3. Buch Von der Seele.44 So wie Tiere mehr als die anderen Dinge sich selbst bewegen, so streben sie darum auch mehr aus sich selbst. Aus diesem Grund ist die Strebenskraft ebenso ein besonderes Vermögen in der Seele, wie die Bewegungskraft.45 43 Aristoteles, De an. II, 2; 413 a 22. 44 Aristoteles, De an. III, 10; 433 a 19, 27–29 und b 10–12, 15–16. 45 Anders als Albert unterscheidet Thomas eine vis motiva vom Wil-
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Zu 1. Die Lösung folgt aus dem Gesagten. Zu 2. Da Beseeltes dazu gemacht ist, an der göttlichen Gutheit in höherem Maße teilzuhaben als die übrigen niederen Dinge, darum braucht es viele Tätigkeiten und Hilfsmittel zu seiner Vollkommenheit. Zum Beispiel ist auch derjenige, der die vollkommene Gesundheit mit vielen Übungen verfolgt, der Gesundheit näher als der, welcher nur einen mäßigen Grad an Gesundheit empfangen kann, und der darum auch nur mäßige Übungen braucht, nach dem Beispiel des Aristoteles im 2. Buch Von Himmel und Erde.46 Weil nun das natürliche Streben auf eines hin determiniert ist und nicht vielgestaltig sein kann, sodaß es sich auf alles das Verschiedene erstrecken könnte, welches das Tier braucht, darum ist es notwendig, daß dem Tier auch ein beseeltes Streben hinzugefügt wird, welches dem Auffassungsvermögen folgt, sodaß das Tier aus der Vielheit des Aufgefaßten zu Verschiedenem gebracht wird. Zu 3. Obwohl das Gute sowohl durch das natürliche als auch das tierische Streben erstrebt wird, erstrebt gleichwohl das natürliche Streben etwas Gutes nicht aus sich, wie das tierische. Darum braucht man also für das Erstreben eines Guten durch ein tierisches Streben ein Vermögen, das man für Erstreben durch das natürliche Streben nicht braucht. Außerdem ist das Gute, nach dem das natürliche Streben strebt, bestimmt und einförmig. Das ist aber anders für das Gute, wonach durch das tierische Streben gestrebt wird. Ähnliches kann von der Bewegungskraft hergeleitet werden. Zu 4. Was nach dem Guten strebt, sucht es nicht nach seinem intentionalen Sein zu haben, d. h. nicht auf die Weise, in der es vom Erkennenden gehabt wird, sondern nach seinem natürlichen Sein. Darum schließt die Tatsache, daß das Tier das Gute dadurch hat, daß es dies erkennt, nicht aus, daß es nach diesem streben kann. Zu 5. Jedes Vermögen strebt nach seinem Objekt mit einem natürlichen Streben; das tierische Streben aber gehört zu einem besonderen Vermögen. Weil nun das natürliche Streben auf eines festgelegt ist, das tierische aber der Auffassung folgt, darum streben die len. Vgl. Malik, Joseph: »Der Begriff des Strebens bei Thomas von Aquin«, in Philosophisches Jahrbuch 70 (1962), 34–66, hier 56. 46 Aristoteles, De caelo II, 12; 292 a 22–b 18.
4. Artikel
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einzelnen Vermögen nach einem bestimmten Guten, die Strebekraft aber strebt nach jedwedem aufgefaßten Gut. Daraus folgt allerdings nicht, daß es ein allgemeines Vermögen ist, vielmehr verfolgt es das allgemeine Gute auf eine besondere Weise.47 Zu 6. Und so ergibt sich auch die Lösung zum letzten Einwand.
4. Artik el Die vierte Frage lautet: Ist der Wille in vernünftigen Wesen ein vom Streben des sinnlichen Teiles verschiedenes Vermögen? 48 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Ein bloß unwesentlicher Unterschied der Gegenstände impliziert nicht unterschiedliche Vermögen. Der Gegenstand des Willens und des sinnlichen Strebens aber unterscheiden sich nur durch unwesentliche Unterschiede im Guten, welches der wesentliche Gegenstand des Strebens ist. Sie scheinen sich nämlich nicht anders zu unterscheiden als dadurch, daß es dem Willen um das vom Intellekt aufgefaßte Gute geht, dem sinnlichen Streben aber um das von den Sinnen aufgefaßte Gute. Dies ist aber dem Guten als Guten unwesentlich. Also ist der Wille kein vom Streben verschiedenes Vermögen. 2. Das sinnliche und das vernünftige Auffassungsvermögen unterscheiden sich durch das Besondere und das Allgemeine, da der Sinn das Besondere auffaßt, die Vernunft aber das Allgemeine. Dadurch aber kann nicht ein Streben des sinnlichen Teiles von einem vernünftigen unterschieden werden. Jedem Streben geht es ja um das Gute, wie es in den wirklichen Dingen existiert; dies aber ist nicht allgemein, sondern einzeln. So darf man also nicht sagen, daß das vernünftige Streben, welches der Wille ist, auf dieselbe Weise 47 Sum. theol. I, q. 80, a. 1 ad 2 macht auch noch die Unterscheidung, daß die Vermögen durch die Formalobjekte unterschieden werden, nicht aber notwendigerweise durch verschiedene Materialobjekte. 48 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 80, a. 2; In De anima III, lect. 14, nn. 802–06 und lect 15, nn. 831; De ver. q. 25, a. 1; Sent. III, d. 26, q. 1 a. 2, sol. und ad 2; ScG II, 47.
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ein vom sinnlichen Streben verschiedenes Vermögen ist, wie die Vernunft ein von den Sinnen verschiedenes Vermögen ist. 3. Wie der Auffassung das Strebevermögen folgt, so dem Strebevermögen das Bewegungsvermögen. Das Bewegungsvermögung ist aber kein anderes in vernünftigen und nicht-vernünftigen Wesen. Also auch nicht das Strebevermögen; und so folgt das vorige. 4. Aristoteles unterscheidet im 1. Buch Von der Seele49 fünf Gattungen der Seelenvermögen und -tätigkeiten, deren erste die Zeugung, die Ernährung und das Wachstum einschließt, die zweite die Sinne, die dritte das Streben, die vierte die Ortsbewegung und die fünfte die Vernunft. Hier wird also die Vernunft von den Sinnen unterschieden, nicht aber das vernünftige Streben vom sinnlichen. Also scheint es, daß man nicht ein höheres von einem niederen Strebensvermögen so unterscheiden sollte, wie man ein höheres von einem niederen Auffasssungsvermögen unterscheidet. Dagegen spricht: 1. Aristoteles unterscheidet im 3. Buch Von der Seele50 den Willen vom sinnlichen Streben. 2. Was immer aufeinander hingeordnet ist, muß unterschieden sein. Nach Aristoteles, im 3. Buch Von der Seele,51 ist aber das vernünftige Streben höher als das sinnliche, und bewegt es auch wie eine Kugel die andere,52 wie dort gesagt wird. Der Wille ist also ein vom sinnlichen Streben verschiedenes Vermögen. Antwort: Der Wille ist ein anderes Vermögen als das sinnliche Streben. Dazu muß man wissen, daß, so wie das sinnliche Streben vom natürlichen Streben aufgrund des vollkommeneren Grades der Strebens unterschieden wird, so auch das vernünftige Streben vom sinn49 Aristoteles, De an. I, 5; 411 a 26 ff., vgl. auch II, 3; 414 a 30–32. 50 Aristoteles, De an. III, 9; 432 b 5–7, III, 10; 433 a 23–26; III, 11; 434
a 12–14. 51 Aristoteles, De an. III, 11; 434 a 12–15. 52 Aristoteles, De an. III, 11; 434 a 13 nach alter Übersetzung in: Petrus Hispanus (Johannes XXI?), Obras filosoficas II, Commentario al »De anima« de Aristoteles (ed. P. Manuel Alonso-Alonso, S. J.), 375, 27.
4. Artikel
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lichen. Je näher näher nämlich eine Natur Gott ist, desto ausdrücklicher findet sich in ihm die Ähnlichkeit mit der göttlichen Würde. Es gehört nun aber zur göttlichen Würde, daß sie alles bewegt und leitet, während sie selbst von nichts anderem bewegt und geneigt gemacht oder geleitet wird.53 Je mehr also eine Natur Gott nahe ist, um so weniger wird sie von anderem geneigt gemacht, und desto mehr ist sie geeignet, sich selbst zu neigen. Die sinnliche Natur also, die aufgrund ihrer Materialität am meisten von Gott entfernt ist, wird gewissermaßen auf ein Ziel hin geneigt; aber es ist in ihr nichts Neigendes oder nur ein Prinzip des Neigens, wie schon gesagt wurde.54 Die sinnliche Natur aber, da sie Gott näher ist, hat in sich selbst etwas Neigendes, nämlich das aufgefaßte Erstrebbare. Die Neigung selbst aber ist nicht in der Macht des Tieres, das geneigt wird, sondern ist ihm von anderswoher bestimmt. Das Tier kann nämlich nicht angesichts des Begehrenswerten es nicht begehren; es hat ja keine Macht über seine Neigung. »Es ist nicht tätig, sondern wird vielmehr getätigt«, wie Damascenus55 sagt. Der Grund dafür ist, daß das sinnliche Strebevermögen ein körperliches Organ hat, und darum den Dispositionen der Materie und der körperlichen Dinge benachbart ist, sodaß es mehr bewegt wird, als bewegt. Die vernünftige Natur aber, die Gott am nächsten ist, hat weder nur eine Neigung zu etwas, wie die unbeseelten Dinge, noch bewegt sie sich, indem ihr die Neigung gleichsam von etwas anderem bestimmt wird, wie bei der sinnlichen Natur, sondern sie hat darüber hinaus die Neigung selbst in ihrer Gewalt, sodaß es ihr nicht notwendig ist, sich zu dem aufgefaßten Erstreblichen zu neigen, sondern sich neigen und nicht-neigen kann. So wird ihr also die Neigung nicht von einem anderen bestimmt, sondern von sich selbst. Dies nun kommt ihr zu, insofern sie kein körperliches Organ gebraucht. Indem sie sich von der beweglichen Natur entfernt, nähert sie sich der bewegenden und handelnden Natur an. Daß sich aber etwas sein Neigung zum Ziel selbst bestimmt, kann nur geschehen, wenn es sowohl das Ziel 53 S. u., q. 23 a. 1. 54 Vgl. De ver. q. 22 a 3. 55 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 27 (PG 94, col. 960 C; ed.
Buytaert, 153); vgl. auch unten, De ver. q. 24 a. 2.
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kennt als auch das Verhältnis des Zieles zu den Mitteln. Das aber kommt nur der Vernunft zu. Darum folgt ein solches, von nichts anderem determiniertes Streben notwendigerweise aus der Auffassung der Vernunft. Darum ist das vernünftige Streben, das Wille genannt wird, ein vom sinnlichen Streben verschiedenes Vermögen. Zu 1. Der Wille wird vom sinnlichen Streben nicht direkt dadurch unterschieden, daß es dieser oder jener Auffassungsform folgt, sondern dadurch, daß es sich seine Neigung selbst bestimmt, bzw. seine Neigung von etwas anderem bestimmt bekommt; beides benötigt ein Vermögen, das nicht von derselben Art ist. Diese Verschiedenheit aber verlangt auch nach einer Verschiedenheit der Auffassungsweisen, wie aus dem Gesagten hervorgeht. Darum wird die Unterscheidung der Strebensvermögen nur gleichsam sekundär aus der Unterscheidung der Auffassungsvermögen abgeleitet, nicht aber in erster Linie. Zu 2. Obwohl das Streben immer auf etwas in der Wirklichkeit Existierendes ausgeht, welches auf besondere, und nicht allgemeine Art ist, so wird es doch manchmal durch die Auffassung einer allgemeinen Bedingung zum Streben bewegt. So streben wir z. B. nach diesem Guten aufgrund der Überlegung, daß Gutes im allgemeinen erstrebt werden muß; manchmal aber vermöge der Auffassung eines Besonderen gemäß seiner Besonderheit. So wie daher das Streben sekundär aus der Verschiedenheit der Auffassungsvermögen, der es nachfolgt, abgeleitet wird, so auch aus dem Allgemeinen und Besonderen. Zu 3. Da Bewegungen und Tätigkeiten im Einzelnen sind,56 und weil von einer universalen Prämisse kein Abstieg zu einem partikularen Schluß folgen kann außer vermittels einer partikularen Annahme, darum kann kein Allgemeinbegriff der Vernunft auf die Wahl einer Handlung angewandt werden, welche gleichsam die Schlußfolgerung in den Tätigkeiten ist, wie im 7. Buch der Nikomachischen Ethik 57 gesagt wird, außer vermittels einer partikula56 Vgl. Aristoteles, Eth. Nic. III, 1; 1110 b 6; u. 3; 1111 a 23. 57 Aristoteles, Eth. Nic. VII, 3; 1147 a 1–9, 24–35, b 9–15; vgl. VI, 7;
1141 b 15, 23; VI, 8; 1142 a 21–26 und VI, 11; 1143 a 32–b 6.
5. Artikel
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ren Auffassung. Darum braucht eine Bewegung, die der universalen Auffassung der Vernunft vermittels einer partikularen Auffassung der Sinne folgt, auch nicht einerseits eine Bewegungskraft, die der Vernunft entspricht, und andererseits eine die den Sinnen entspricht. Darüberhinaus ist die Bewegungsbestimmung, die der Einwand berührt, eine Kraft, die an die Muskeln und Nerven angeschlossen ist, weshalb sie nicht zum vernünftigen Teil gehören kann, der an kein Organ angeschlossen ist. Zu 4. Weil Sinne und Vernunft verschieden sind durch Wesensbestimmungen des Auffaßbaren insofern es auffaßbar ist, deshalb gehören sie zu verschiedenen Gattungen der Vermögen: der Sinn geht nämlich auf die Auffassung des Besonderen aus, die Vernunft aber auf die Auffassung des Allgemeinen. Das höhere und niedere Streben sind aber nicht verschieden durch Verschiedenheiten des Erstrebbaren insofern es erstrebbar ist, denn manchmal gehen beide Strebevermögen auf dasselbe Gute aus, obwohl sie nach den verschieden Weisen des Strebens verschieden sind, wie aus Gesagtem klar ist. Darum sind sie gewissermaßen verschiedene Vermögen, aber nicht verschiedene Gattungen der Vermögen.
5. Artik el Die fünfte Frage lautet: Will der Wille etwas mit Notwendigkeit?58 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Nach Augustinus, im 13. Buch Von der Dreifaltigkeit,59 sind alle eines Willens im Trachten nach der Seligkeit. Wonach aber alle trachten, danach wird mit Notwendigkeit getrachtet: wenn nämlich nicht mit Notwendigkeit, so könnte es geschehen, daß einer nicht danach trachtete. Also trachtet der Wille nach etwas mit Notwendigkeit. 2. Jeder Beweggrund einer vollkommenen Tugend bewegt sein Bewegliches mit Notwendigkeit. Nach Aristoteles im 3. Buch Von 58 Paralleltexte: Sent. II, d. 25, a. 2; Sum. theol. I, q. 82, a. 1 und I–II, q. 10, a. 1; De malo q. 6 unic. 59 Augustinus, De trin. XIII, 4, 7 (PL 42, col. 1018; CCSL 50 A, 389).
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der Seele60 ist das Gute aber der Beweggrund des Willens, insofern es aufgefaßt wird. Wenn also etwas vollkommen gut ist, wie Gott und die Seligkeit, wie auch im 1. Buch der Nikomachischen Ethik61 gesagt wird, dann gibt es auch etwas, das den Willen mit Notwendigkeit bewegt. So also wird also etwas mit Notwendigkeit vom Willen erstrebt. 3. Die Immaterialität ist die Ursache, warum ein Vermögen nicht gezwungen werden kann. Die Vermögen, die mit Organen zusammenhängen,62 werden gezwungen, wie besonders für die Bewegungskraft klar ist. Die Vernunft ist aber ein immaterielleres Vermögen als der Wille. Das ergibt sich daraus, daß sie einen immaterielleren Gegenstand hat, nämlich das Allgemeine, während der Gegenstand des Willens das Gute ist, das in den besonderen Dingen existiert. Da nun also selbst die Vernunft etwas hat, von dem sie gezwungen ist, es mit Notwendigkeit zu behaupten, wie im 5. Buch der Metaphysik63 gesagt ist, scheint es, daß auch der Wille etwas mit Notwendigkeit erstrebt. 4. Die Notwendigkeit wird nur durch die Freiheit vom Willen entfernt, denn sie scheint der Notwendigkeit entgegengesetzt zu sein. Aber nicht jede Notwendigkeit verhindert die Freiheit, wie Augustinus im 5. Buch Von der Stadt Gottes64 sagt: »Wenn dasjenige als Notwendigkeit definiert wird, demgemäß welchem wir sagen: ›es ist notwendig, daß etwas so ist oder so geschieht‹, dann weiß ich nicht, warum wir fürchten, daß sie uns der Willensfreiheit beraubt.« Also will der Wille etwas mit Notwendigkeit. 5. Das Notwendige ist das, was nicht nicht sein kann. Gott aber kann nicht nicht das Gute wollen, so wie er auch nicht nicht gut sein kann. Mit Notwendigkeit will er also das Gute, und darum will zumindest ein Wille etwas mit Notwendigkeit. 60 Aristoteles, De an. III, 10; 433 a 19, 27–29 u. b 10–12, 15–16. 61 Aristoteles, Eth. Nic. I, 4; 1095 a 17, 26 u. I, 12; 1101 b 30. 62 Vgl. Sent. III, d. 15, q. 2, a. 1, qc. 2 ad 2 u. Albertus Magnus, Sent. III,
d. 15 a 3 (ed. Borgnet, XXVIII, 271 a). 63 Aristoteles, Met. V, 6; 1015 b 6. 64 Augustinus, De civ. Dei V, 10 (PL 41, col. 152; CSEL 40/I, 229; CCSL 47, 140).
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6. Nach Gregor dem Großen65 »zieht die Sünde, die nicht bald durch die Buße ausgelöscht wird, uns bald durch ihr Gewicht zu einer anderen.« Sünden begehen wir aber nach Augustinus66 nicht ohne den Willen. Da nun das Ziehen eine gewisse gewaltsame Bewegung ist (wie im 7. Buch der Physik67 gezeigt wird) kann jemand gewaltsam dazu gezwungen werden, etwas mit Notwendigkeit zu wollen. 7. Nach dem, was Petrus Lombardus in der 25. Distinktion des 1. Buches68 sagt und aus den Worten des Augustinus69 entnimmt, kann der Mensch im »zweiten Stand«, das heißt im Stand der Sünde, nicht nicht sündigen – vor der Erlösung sogar tödlich, nach der Erlösung aber wenigstens läßlich. Todsünde und läßliche Sünde sind aber freiwillig. Also gibt es einen Stand des Menschen, in welchem er das, worin eine Sünde besteht, nicht nicht wollen kann. Der Wille will also etwas mit Notwendigkeit. 8. Je mehr etwas geeignet ist zu bewegen, desto mehr ist es auch geeignet Notwendigkeit aufzuerlegen. Das Gute aber kann mehr bewegen als das Wahre, weil das Gute in den Dingen ist, das Wahre aber nur im Geist, wie es im 6. Buch der Metaphysik 70 heißt. Das Wahre nun zwingt die Vernunft, also zwingt noch viel mehr das Gute den Willen. 9. Das Gute prägt sich stärker ein als das Wahre. Das ist klar daraus, daß die Liebe, die ein Eindruck des Guten ist, stärker vereini65 Gregor der Große, Moralia in Iob XXV, 9, 22 (PL 76, col. 334 B; CCSL 143 B, 1247); vgl. auch Homiliae in Hiezechihelem prophetam I, Hom. XI, 24 (PL 76, col. 915; CCSL 142, 179). Vgl. auch Petrus Lombardus, Sent. II, d. 36, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I, 539). 66 Augustinus, De ver. relig. cap. 14 (PL 34, col. 133), Retract. I, 13 (PL 32, col. 603; CCSL 57, 38), De civ. Dei V, 10 (PL 41, 153; CSEL 40/I, 229 f.; CCSL 47, 141), De lib. arb. III, 17 und 18 (PL 32, 1294–1296; CCSL 29, 303–316). 67 Aristoteles, Phys. VII, 2; 243 a 15–17, b 8–10. 68 Petrus Lombardus, Sent. I, d. 25, c. 5 (ed. coll. S. Bon. I, 431). 69 Augustinus, De civ. Dei XXII, 30 (PL 41, 802; CSEL 40/II, 666 f.; CCSL 48, 864), Ench. IX, 30; XXVIII, 105, 106 (PL 40, 246. 281. 282; CCSL 46, 65 f.; 106 f.), Retract. I, 9 (PL 32, col. 597; CCSL 57, 23–29). 70 Aristoteles, Met. VI, 4; 1027 b 25–27.
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gend wirkt, als die Erkenntnis, die ein Eindruck des Wahren ist. Die Liebe ist nämlich nach Augustinus71 ein gewisses Leben, das den Liebenden dem Geliebten vereint. Also kann das Gute dem Willen mehr Notwendigkeit auferlegen, als das Wahre der Vernunft. Und so folgt dasselbe wie oben. 10. Je mehr ein Vermögen etwas über seine Gegenstände vermag, desto weniger wird es von ihnen gezwungen. Der Verstand vermag aber mehr über seine Gegenstände als der Wille: nach Augustinus im 12. Buch Von der Dreifaltigkeit 72 formt der Verstand in sich die Spezies der Dinge; der Wille tut das nicht, sondern wird von den Strebensgegenständen bewegt. Also kann der Wille mehr von den Strebensgegenständen bewegt werden, als der Verstand von den Erkenntnisgegenständen. Und so folgt dasselbe wie oben. 11. Was ein schlechthin Zukommendes ist, kommt notwendig zu. Etwas zu wollen kommt dem Willen aber schlechthin zu; also will der Wille etwas notwendigerweise. Zum Beweis des Mittelsatzes: das höchste Gut ist schlechthin gewollt, also geht der Wille, wann immer er letzteres will, schlechthin auf dieses aus. Nun geht er aber immer auf selbiges aus, weil er naturgemäß darauf ausgeht. Also will der Wille immer schlechthin das höchste Gut. 12. In der Erkenntnis der Wissenschaft findet sich Notwendigkeit. So aber, wie »alle Menschen naturgemäß erkennen wollen«, wie Aristoteles im 1. Buch der Metaphysik 73 sagt, so wollen sie auch naturgemäß das Gute. Also findet sich im Wollen des Guten Notwendigkeit. 13. Die Glosse zum Römerbrief (7, 15)74 sagt, daß der Wille naturgemäß das Gute will. Dasjenige aber, das der Natur nach zukommt, ist notwendig. Also will der Wille etwas mit Notwendigkeit. 14. Alles was vermehrt oder vermindert wird, kann auch gänzlich entfernt werden. Die Willensfreiheit aber wird vermehrt und 71 Augustinus, De trin. VIII, 10, 14 (PL 42, col. 960; CCSL 50, 290 f.); vgl. auch Sum. theol. I–II, q. 28, a. 1. 72 Tatsächlich: Augustinus, De Gen. ad litt. XII, 23 (PL 34, col. 473; CSEL 28/I, 414 f.); oder möglicherweise De trin. IX, 3, 3 (PL 42, col. 989; CCSL 50, 296). 73 Aristoteles, Met. I, 1; 980 a 21 f. 74 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria (PL 191, col. 1423 A).
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vermindert: der Mensch hat nämlich nach Augustinus75 vor der Sünde einen freieren Willen als nach der Sünde. Also kann die Willensfreiheit gänzlich aufgehoben werden, und so kann der Wille mit Notwendigkeit gezwungen werden. Dagegen spricht: 1. Nach Augustinus, im 5. Buch Von der Stadt Gottes,76 ist etwas, wenn es freiwillig ist, nicht notwendig. Alles aber, was wir wollen, ist freiwillig. Also will der Wille nichts mit Notwendigkeit. 2. Bernhard77 sagt, daß »der freie Wille das Stärkste unter Gott ist.« Was aber ein solches ist, kann nicht von etwas gezwungen werden. Also kann der Wille nicht gezwungen werden, etwas mit Notwendigkeit zu wollen. 3. Die Freiheit ist der Notwendigkeit entgegengesetzt. Der Wille aber ist frei; also will er nichts mit Notwendigkeit. 4. Bernhard78 sagt, daß »die Willensfreiheit aufgrund ihrer eingeborenen Vornehmheit von keiner Notwendigkeit bewegt wird.« Aber die Vornehmheit des Willens kann nicht weggenommen werden. Also kann der Wille nichts mit Notwendigkeit wollen. 5. Die vernünftigen Vermögen verhalten sich nach Aristoteles79 zu Entgegengesetztem. Der Wille ist aber ein vernünftiges Vermögen; er ist nämlich im Verstand, wie im 3. Buch Von der Seele80 gesagt ist. Also verhält er sich zu Entgegengesetztem; und so ist er nicht mit Notwendigkeit auf etwas festgelegt. 6. Was mit Notwendigkeit auf etwas festgelegt ist, ist naturgemäß auf es festgelegt. Der Wille wird aber vom naturgemäßen Stre75 Augustinus, Ench. IX, 30 u. XXVIII, 105 (PL 40, col. 246 und 281; CCSL 46, 65 f.; 106 f.), vgl. Petrus Lombardus, Sent. II, d. 25, c. 4 (ed. coll. S. Bon. I, 463). 76 Augustinus, De civ. Dei V, 10 (PL 41, col. 152 f.; CSEL 40/I, 228–230; CCSL 47, 141). 77 Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb., IX, 28–29 u. X, 33–34 (PL 182, col. 1016 und 1019 A–B; ed. Winkler I, 212–216. 222–224). 78 Ibid. cap. 3, 6 (PL 182, col. 1004 D): »Voluntas … pro sui ingenita libertate … nulla vi, nulla necessitate cogitur.« 79 Aristoteles, Met. IX, 2; 1046 b 4 f. 80 Aristoteles, De an. III, 9; 432 b 5 f.
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ben unterschieden und abgeteilt. Also will der Wille nichts mit Notwendigkeit. 7. Wenn etwas freiwillig ist, sagen wir, daß es so in uns ist, daß wir seine Herren sind. Dasjenige aber, daß in uns ist und dessen Herren wir sind, können wir wollen und nicht wollen. Also kann der Wille alles, was er will, wollen und nicht wollen. Und so will er nichts mit Notwendigkeit. Antwort: Wie man den Worten des Augustinus im 5. Buch Von der Stadt Gottes, im 11. Kapitel,81 entnehmen kann, gibt es zweierlei Notwendigkeit: die Notwendigkeit des Zwanges, und diese kann es im Willen in keinerlei Weise geben, und die Notwendigkeit der natürlichen Neigung (so wie wir sagen, daß Gott notwendigerweise lebt), und auf diese Weise will der Wille etwas mit Notwendigkeit. Dazu muß man wissen, daß in geordneten Dingen das Erste das Zweite einschließt, und das man im Zweiten nicht nur findet, was ihm seinem eigenen Begriff nach zukommt, sondern auch was ihm nach dem Begriff des Ersten zukommt. Zum Beispiel gehört zum Menschen nicht nur der Vernunftgebrauch, der ihm nach seiner spezifischen Differenz, nämlich dem Vernünftigen, zukommt, sondern auch der Gebrauch der Sinne und der Nahrung, die ihm auch zukommt, und zwar seinem Gattungsbegriff nach, welcher der des Lebewesens und des Lebendigen ist. Ähnlich sehen wir im Sinnlichen, weil der Tastsinn gleichsam die Grundlage aller Sinne ist,82 daß in jedem Sinnesorgan nicht nur das Eigentümliche desjenigen Sinnes sich findet, dessen Organ es ist, sondern auch die Eigenschaft des Tastsinnes. Zum Beispiel fühlt das Auge nicht nur das Weiße und Schwarze, sofern es das Organ des Sehens ist, sondern auch das Warme und Kalte, und es wird von ihrem Übermaß zerstört, insofern es ein Tastorgan ist. Die Natur und der Wille sind nun aber so angeordnet, daß auch der Wille ein gewisse Natur ist, da ja alles, was man in der Wirk81 Tatsächlich: Augustinus, De civ. Dei V, 10 (PL 41, col. 152; CSEL 40/I, 228–30; CCSL 47, 140). 82 Vgl. Aristoteles, De an. II, 2; 413 b 4 und II, 3; 414 b 1 ff.
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lichkeit antrifft, eine Art Natur genannt wird. Darum muß man im Willen nicht nur das finden, was dem Willen zukommt, sondern auch das, was zur Natur gehört. Es gehört aber zu jeder geschaffenen Natur, daß sie von Gott auf das Gute hingeordnet ist und es naturgemäß erstrebt. Deshalb wohnt auch dem Willen selbst ein natürliches Streben nach dem ihm zukommenden Guten ein. Darüber hinaus hat er ein Streben nach etwas im Sinne der Selbstbestimmung, nicht aus der Notwendigkeit, die ihm zukommt, sofern er der Wille ist. So wie sich aber die Ordnung der Natur zum Willen verhält, so verhält sich auch die Ordnung derjenigen Dinge, die der Wille naturgemäß will, zu den Dingen, hinsichtlich derer er sich selbst bestimmt, und nicht von Natur. So wie die Natur die Grundlage des Willens ist, so ist das Erstrebliche, das naturgemäß erstrebt wird, das Prinzip und die Grundlage des anderen Erstreblichen. Im Erstreblichen aber ist das Ziel die Grundlage und das Prinzip der Mittel, da das, was um des Zieles willen da ist, nicht erstrebt wird, außer des Zieles wegen. Darum ist das, was der Wille notwendigerweise will (gleichsam durch natürliche Neigung zu ihm bestimmt), das Letztziel – zum Beispiel die Seligkeit und was in ihr eingeschlossen ist, oder die Existenz, die Erkenntnis der Wahrheit, und anderes dieser Art. Zu anderem aber ist er nicht durch natürliche Neigung notwendigerweise bestimmt, sondern durch eigene Anordnung und ohne Notwendigkeit. Obwohl aber der Wille das Letztziel mit einer gewissen notwendigen Neigung will, darf man dennoch in keiner Weise zugestehen, daß er dazu gezwungen ist, dies zu wollen. Zwang ist nämlich nichts anderes als die Zufügung einer gewissen Gewaltsamkeit. Gewaltsamkeit aber ist nach Aristoteles im 3. Buch der Nikomachischen Ethik83 das, »dessen Prinzip außerhalb ist, während das Gewalt Erleidende nichts beisteuert«; so zum Beispiel, wenn ein Stein hochgeworfen wird: er selbst ist ja auf keine Weise zu dieser Bewegung geneigt. Da aber der Wille selbst eine Neigung ist (insofern er eben ein gewisses Streben ist), darum kann es nicht geschehen, daß der 83 Aristoteles, Eth. Nic. III, 1; 1110 a 1–3 und b 1–4, 15–17; nach Robert Grossetestes Übersetzung, ed. R. A. Gauthier (Leiden: Brill, 1997), S. 179 und 181.
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Wille etwas will, ohne daß seine Neigung darin wäre. Und ebensowenig kann es also geschehen, daß der Wille etwas gezwungen und gewaltsam will, selbst wenn er etwas aus natürlicher Neigung will. Es ist also offenkundig, daß der Will nichts notwendig will im Sinne der Notwendigkeit des Zwanges; er will aber etwas notwendig im Sinne der Notwendigkeit der natürlichen Neigung. Zu 1. Dieses allgemeine Streben nach Seligkeit geht nicht aus einem Zwang hervor, sondern aus natürlicher Neigung. Zu 2. Wieviel auch immer ein Gutes auf wirksame Weise den Willen bewegen mag, es kann ihn doch nicht zwingen, weil, sofern angenommen wird, daß er etwas will, auch angenommen wird, daß er eine Neigung dazu hat. Das aber ist dem Zwang entgegengesetzt. Gleichwohl geschieht es aber aus der Vollkommenheit eines Gutes, daß der Wille durch eine natürliche Notwendigkeit zu ihm bestimmt wird. Zu 3. So wie die Vernunft etwas naturgemäß versteht, so will auch der Wille etwas naturgemäß. Der Zwang aber ist der Vernunft nicht wie dem Willen wesensmäßig entgegengesetzt: die Vernunft nämlich, obwohl sie eine Neigung zu etwas hat, bezeichnet dennoch nicht die Neigung des Menschen als solche; der Wille aber bezeichnet diese Neigung des Menschen. Daher geschieht alles, was durch den Willen geschieht, gemäß der Neigung des Menschen, und darum kann es nicht gewaltsam sein. Die Tätigkeit der Vernunft aber kann gegen die Neigung des Menschen sein, die der Wille ist. Zum Beispiel kann jemandem eine Meinung gefallen, aber wegen der Wirksamkeit der Gründe wird er durch die Vernunft dazu gebracht, dem Gegenteil zuzustimmen. Zu 4. Augustinus spricht von der natürlichen Notwendigkeit, die wir ja vom Willen im Hinblick auf einige Dinge nicht ausschließen. Diese Notwendigkeit findet sich sogar im göttlichen Willen, ebenso wie im göttlichen Sein. Gott ist nämlich durch sich selbst notwendig, wie es im 5. Buch der Metaphysik84 heißt.
84 Aristoteles, Met. V, 4; 1015 b 9–13; vgl. auch Avicenna, Liber de philosophia prima VIII, 4 (Venedig 1513, fol. 98vb; ed. Van Riet, II, 397 f.),
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Zu 5. Von daher ergibt sich auch die Lösung zum fünften Einwand. Zu 6. Eine begangene Sünde zieht den Willen nicht durch Zwang, sondern durch Neigung, insofern sie die Gnade raubt, durch die der Mensch gegen die Sünde gestärkt wird; aber auch insofern, als der Akt der Sünde eine Veranlagung und einen Habitus in der Seele hinterläßt, der zu einer nachfolgenden Sünde geneigt macht. Zu 7. Hierüber gibt es zweierlei Meinungen: einige85 sagen nämlich, daß der Mensch, wie sehr er auch immer im Stand der Todsünde sei, doch die Todsünde durch die Willensfreiheit vermeiden kann. Zur Erklärung verweisen sie darauf, daß es heißt »er kann nicht nicht sündigen«, das heißt: er kann nicht die Sünde nicht haben. So sagt man auch, Sehen bedeute das Sehvermögen zu haben und das Sehvermögen zu gebrauchen. Nach diesen kann man jedoch auch nicht-sündigen, das heißt, die Sünde nicht gebrauchen. Danach wäre es klar, daß dem Willen keine Notwendigkeit aufgedrungen ist, der Sünde zuzustimmen. Andere86 sagen jedoch, daß der Mensch im Stande dieses Lebens die läßliche Sünde nicht vermeiden kann; nicht deshalb, weil er nicht diese oder jene vermeiden kann, sondern weil er nicht alle vermeiden kann, so nämlich, daß er gar keine beginge. Und ebenso sei es mit der Todsünde für jemanden, der die Gnade nicht hat. Auch nach dieser Auffassung ist es klar, daß der Wille nicht nötig hat, dieses oder jenes zu wollen, obwohl er ohne die Gnade als der ungeschmälerten Neigung zum Guten ermangelnd befunden wird. wie unten gesagt, in De ver. q. 24 a 10. Siehe auch Aristoteles, Met. XII, 4; 1072 b 10–13. 85 Thomas selbst in Sent. II, d. 28, q. 1, a. 2 ad 1. Vgl. auch Albertus Magnus, Sent. II, 24, 6 ad 2 (ed. Borgnet XXVII, 403 b), Summa de creaturis II [= De homine], 70, 5 sol. (ed. Col. XXVII/2, 525); Bonaventura III Sent. 34, II, 1 2 ad 1 (Opera omnia, III, 758 a), Sent. IV 22, 1 dub. 7 (IV, 529b); Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb. VIII, 26 (PL 182, col. 1015; ed. Winkler I, 212): »… peccato, etsi non toto carere certe non consentire …« 86 Bonaventura, Sent. II, d. 28, a. 2, q. 2 (Opera omnia, II, 684–692); vgl. auch Simon von Tournai, Disputationes 60, 1 und 72, 1, ed. Joseph Warichez, Louvain 1932, 171. 204. Petrus Lombardus, Sent. I, d. 25, c. 8 (ed. coll. S. Bon. I, 435).
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Zu 8. Eine Form, die von etwas empfangen wird, bewegt nicht das, von dem es empfangen wird, sondern das Haben einer solchen Form selbst ist das Bewegtsein selbst. Bewegt wird es aber von einem äußeren Tätigen; so wie ein Körper, der von einem Feuer heiß wird, nicht von der empfangenen Hitze bewegt wird, sondern vom Feuer. Ebenso wird auch die Vernunft nicht von der schon empfangenen Spezies oder vom Wahren, das dieser Spezies folgt, bewegt, sondern von einem äußeren Ding, das sich dem Intellekt einprägt, wie es die tätige Vernunft und die Vorstellungsbilder und anderes dergleichen sind. Darüber hinaus, so wie das Wahre der Vernunft proportioniert ist, so auch das Gute dem Affekt. Deshalb ist das Wahre nicht schon darum, weil es im Auffassungsvermögen ist, weniger geeignet, die Vernunft zu bewegen, als das Gute den Affekt. Ferner, daß das Gute den Willen nicht zwingt, stammt nicht aus der Mangelhaftigkeit des Guten zum Bewegen, sondern aus dem Wesen des Willens selbst, wie aus dem schon Gesagten klar ist. Zu 9. Und so ergibt sich auch die Antwort zum neunten Einwand. Zu 10. Der Gegenstand außerhalb der Seele drückt seine Artform dem möglichen Verstand nur durch eine Tätigkeit des tätigen Verstandes ein; und insoweit wird gesagt, daß die Seele die Formen der Dinge in sich bildet. Ähnlich strebt auch der Wille nicht nach dem Strebensgegenstand ohne eine Tätigkeit des Willens; darum ist das Gegenargument nicht schlüssig. Darüberhinaus kann man so argumentieren wie in den zwei vorhergehenden Antworten. Zu 11. Das Erste Gut ist schlechthin gewollt, und der Wille will es schlechthin und naturgemäß. Er will es aber nicht immer aktual; dasjenige, was der Seele naturgemäß zukommt, muß nämlich nicht immer aktual in der Seele sein. Zum Beispiel müssen die Prinzipien, die naturgemäß bekannt sind, nicht immer aktual bewußt sein. Zu 12. Die Notwendigkeit durch die wir in der Wissenschaft etwas notwendig erkennen, gehört nicht zu derselben Notwendigkeit, wie die Notwendigkeit, mit der wir notwendigerweise die Wissenschaft selbst wollen. Die erste nämlich kann von der Notwendigkeit des Zwanges sein, die zweite jedoch nur von der Notwendigkeit der naturgemäßen Neigung. Auf diese Weise will auch auch der Wille das Gute, insofern er naturgemäß das Gute will. Zu 13. Und daraus ist auch die Lösung des dritten Einwandes klar.
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Zu 14. Die Freiheit, die vermehrt und vermindert werden kann, ist die Freiheit von der Sünde und vom Elend, nicht aber die Freiheit vom Zwang.87 Daher folgt nicht, daß der Wille dahin gebracht werden könnte, daß er gezwungen wäre. Zu den Gegenargumenten: Zu 1. Die zitierte Autorität ist von der Zwangsnotwendigkeit zu verstehen, die dem Willen widerspricht, nicht aber von der Notwendigkeit der naturgemäßen Neigung, die nach Augustinus, im 5. Buch Von der Stadt Gottes,88 dem Willen Gottes nicht widerspricht. Zu 2. Es gehört nicht zur Ohnmacht, sondern zur Stärke des Willens, wenn er aus der Notwendigkeit der naturgemäßen Neigung auf etwas hin ausgeht. Zum Beispiel ist das Schwere umso stärker, je mehr es durch Notwendigkeit nach unten bewegt wird. Es gehörte aber zu seiner Schwäche, wenn es von einem anderen gezwungen würde. Zu 3. Nach Augustinus89 ist die Freiheit der Notwendigkeit des Zwanges entgegengesetzt, nicht aber der Notwendigkeit der naturgemäßen Neigung. Zu 4. Die naturgemäßen Notwendigkeit widerspricht nicht der Würde des Willens, sondern nur die Zwangsnotwendigkeit. Zu 5. Insofern der Wille vernünftig ist, verhält er sich zu Entgegengesetztem. Das bedeutet es nämlich, wenn man ihn danach betrachtet, was ihm eigentümlich ist. Sofern er aber eine Natur ist, hindert nichts, daß er naturgemäß auf eines hin festgelegt ist. Zu 6. Der Wille wird vom natürlichen Streben in einem »präzisen« Sinne unterschieden, das heißt, insofern es nur natürliches Streben ist. Ebenso wird der Mensch von einem bloßen Tier unterschieden. Nicht aber wird der Wille vom natürlichen Streben schlechthin unterschieden, sondern schließt dieses ein, wie der Mensch das Tier. 87 Diese Dreiteilung stammt von Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb. VIII u. IX (PL 182, col. 1014 u. 1016; ed. Winkler I, 208–218). Vgl. auch Petrus Lombardus, Sent. II, d. 25 c. 8 (ed. coll. S. Bon. I, 435). 88 Augustinus, De civ. Dei V, 10 (PL 41, col. 152; CSEL 40/I, 228–30; CCSL 47, 140). 89 Ibid.
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Zu 7. Auch dieses Begründung geht vom Willen als Willen aus. Das nämlich ist das Eigentümliche des Willens als Wille, daß er der Herr seiner Akte ist.90
6. Artik el Die sechste Frage lautet: Will der Wille alles, was er will, mit Notwendigkeit?91 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Je vornehmer nämlich etwas ist, desto unveränderlicher ist es. Leben aber ist vornehmer als Sein, Denken vornehmer als Leben, und Wollen als Denken.92 Also ist Wollen unveränderlicher als das Sein. Das Sein der Seele eines Wollenden ist aber unveränderlich, denn es ist unzerstörbar. Also ist auch sein Wollen unveränderlich, und alles das, was will, will unveränderlicherweise und notwendigerweise. 2. Je mehr etwas Gott gleichgestaltig ist, desto unveränderlicher ist es. Die Seele ist aber Gott mehr gleichgestaltig nach der zweiten Gleichgestalt, welche die der Ähnlichkeit ist, als nach der ersten Gleichgestalt, welche die des Ebenbildes ist.93 Nach der ersten Gleichgestalt hat sie Unveränderlichkeit, weil die Seele die Ebenbildlichkeit nicht verlieren kann, gemäß dem Psalmvers »der Mensch geht seines Weges als ein Bild«.94 Also hat die Seele Unveränderlichkeit auch nach der zweiten Gleichgestalt, nämlich der Ähnlichkeit, welche in der geziemenden Ordnung des Willens besteht, sodaß der Wille unveränderlich das Gute will, und nicht das Böse wollen kann.
90 Aristoteles, Eth. Nic. III, 1; 1110 a 17, nach Thomas, De malo q. 6, a. unic., sc. 3. Vgl. auch Nemesius von Emesa, De nat. hom., c. 41 (PG 40, col. 776 A; ed. Verbeke / Moncho, 145). 91 Paralleltexte: Sent. II, d. 25, a. 2; ScG II, 47; Sum. theol. I, q. 82 a. 2 und I–II, 10, 2; De malo q. 3, a. 3; In Periherm. I, 14, nn. 23–24. 92 Vgl. Liber de causis, prop. 1; n. 6 ff. (ed. Schönfeld, 2), zitiert in Thomas I Sent. d. 35, a. 1 arg. 2; vgl. auch Dionysius Areopagita, De div. nom. V, 3 (PG 3, col. 817 A; Dion. I, 327); vgl. auch Sum. theol. I, q. 4 a. 2 ad 3. 93 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. II, d. 16, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I, 407 f.). 94 Psalm 28, 7, Vulgata.
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3. Der Akt verhält sich zum aktuell Seienden wie die Potenz zum potentiell Seienden. Da Gott nun aktuell gut ist, kann er nichts aktuell Böses machen. Also kann auch seine Potenz, welche gut ist, nicht etwas hervorbringen, was potentiell böse ist. Deshalb kann auch der Wille, den die göttliche Potenz hervorbringt, nicht auf Böses gehen. 4. Nach Aristoteles im 6. und 7. Buch der Nikomachischen Ethik,95 verhalten sich in demjenigen, was getan oder erstrebt werden kann, die Ziele zu den Mitteln ebenso, wie die Prinzipien zu den Schlußfolgerungen in den beweisenden Wissenschaften. Die Notwendigkeit der Prinzipien, die von Natur gewußt werden, impliziert aber eine Notwendigkeit in der Vernunft, nämlich die Schlußfolgerungen mit Notwendigkeit zu kennen. Daher will der Wille mit Notwendigkeit auch alles andere, was auf das Ziel hingeordnet ist, weil er nämlich mit Notwendigkeit in der erwähnten Weise96 das Letztziel will. 5. Alles was naturgemäß auf eines festgelegt ist, wird dieses notwendigerweise verfolgen, außer irgendetwas verhindert es. Der Wille aber »will naturgemäß das Gute«, wie die Glosse zum Römerbrief (7, 15)97 sagt. Er will also unveränderlich das Gute, denn weil er nach Bernhard »das mächtigste nach Gott« ist,98 gibt es nichts, das ihn hindern könnte. 6. So wie die Finsternis dem Licht entgegengesetzt ist, so auch das Böse dem Guten. Das Sehvermögen ist aber naturgemäß darauf festgelegt, das Licht und Leuchtendes zu sehen; es sieht diese naturgemäß dergestalt, daß es das Dunkle nicht sehen kann. Also will auch der Wille, dessen Gegenstand das Gute ist, das Gute unveränderlicherweise, dergestalt, daß es das Böse in keinster Weise wollen kann. Auf diese Weise unterliegt der Wille also einer Notwendigkeit nicht nur hinsichtlich des Letztzieles, sondern auch hinsichtlich der anderen Dinge. 95 Aristoteles, Eth. Nic. VI, 3; 1139 b 31–34; VI, 5; 1140 b 16–18; VI, 10; 1144 a 31; und VII, 8; 1151 a 16 f. 96 De ver. q. 22 a. 5. 97 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria (PL 191, col. 1423 A). 98 Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb. IX, 28–29 und X, 33–34 (PL 182, col. 1016 u. 1019 A–B; ed. Winkler I, 212–216. 222–224).
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Dagegen spricht: 1. Augustinus sagt:99 »Der Wille ist das, wodurch gesündigt und recht gelebt wird.« Also verhält sich der Wille nicht unveränderlich, weder hinsichtlich des Guten, noch des Bösen. 2. Nach Augustinus100 ist »die Sünde so freiwillig, daß sie, wenn sie nicht freiwillig wäre, gar keine Sünde wäre.« Wenn also die Sünde gar nicht vom Willen käme, gäbe es gar keine Sünde, was erfahrungsgemäß falsch ist. Antwort: Etwas wird darum notwendig genannt, weil es unbeweglich auf eines festgelegt ist. Da sich nun der Wille unbestimmt hinsichtlich vieler Dinge verhält, hat er also keine Notwendigkeit hinsichtlich aller Dinge, sondern nur hinsichtlich derer, auf die er mit naturgemäßer Neigung festgelegt ist, wie schon gesagt wurde.101 Da nun aber alles Bewegliche auf ein Unbewegliches zurückgeführt wird,102 und alles Unbestimmte auf ein Bestimmtes wie auf sein Prinzip, muß das, wodurch der Wille festgelegt wird, das Prinzip des Erstrebens derjenigen Dinge sein, auf die er nicht festgelegt ist; und das ist das Letztziel, wie schon gesagt wurde.103 Es findet sich aber eine Unbestimmtheit des Willens hinsichtlich dreier Dinge, nämlich hinsichtlich des Gegenstandes, hinsichtlich des Aktes und hinsichtlich der Hinordnung auf das Ziel. Hinsichtlich des Gegenstandes ist der Wille unbestimmt bezüglich der Mittel, nicht aber bezüglich des Letztzieles, wie gesagt wurde.104 Das verhält sich deshalb so, weil das Letztziel auf verschiedenen We99 Augustinus, Retract. I, 9 (PL 32, col. 596; CCSL 57, 23–29), nach Thomas, Sum. theol. I–II, q. 20, a. 1 sc. 1. 100 Augustinus, De vera rel. 14, 27 (PL 34, col. 133; CCSL 32, 204), Retract. I, 13 (PL 32, col. 603; CCSL 57, 38), De civ. Dei V, 10 (PL 41, col. 153; CSEL 40/I, 228–30; CCSL 47, 141), De lib. arb. III, 17–18 (PL 32, col. 1294– 96; CCSL 29, 303–306). 101 De ver. q. 22, a. 5. 102 Vgl. Aristoteles, Phys. VIII, 6; 258 b 10 ff.; vgl. Thomas in Sent. I, d. 8, q. 3, a. 1 sc. 2. 103 De ver. q. 22 a. 5. 104 De ver. q. 22 a. 5.
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gen erreichbar ist, und zu verschiedenen Leuten verschiedene Wege, zu ihm zu gelangen, passen. Darum kann das Streben des Willens nicht hinsichtlich der Mittel festgelegt sein, wie in den Naturdingen, die für ein genau bestimmtes Ziel nur genau bestimmte Mittel und Wege haben. So ist klar, daß die Naturdinge ebenso, wie sie mit Notwendigkeit das Ziel, so auch die Mittel erstreben, sodaß in ihnen nichts anzunehmen ist, daß sie erstreben und nicht-erstreben könnten. Der Wille nun strebt mit Notwendigkeit nach dem Letztziel, sodaß er dies nicht nicht-erstreben kann; er strebt aber nicht mit Notwendigkeit nach irgendeinem der Dinge, die nur Mittel zum Ziel sind. Hinsichtlich dieser steht es daher in seiner Macht, dieses oder jenes zu erstreben. Zweitens ist der Wille unbestimmt hinsichtlich der Akte, denn auch hinsichtlich der festgelegten Gegenstände kann er seinen Akt gebrauchen, wenn er will, oder auch nicht gebrauchen. Er kann nämlich – egal worauf er ausgeht – in den Willensakt übergehen oder nicht übergehen. Dergleichen gibt es nicht unter Naturdingen. Das Schwere ist nämlich immer im Akt, nach unten zu sinken, außer irgendetwas verhindert es, was sich daraus ergeben kann, daß Unbeseeltes sich nicht selbst bewegt, sondern von anderem bewegt wird; von daher gibt es in ihnen nicht ein Bewegtwerden oder nichtBewegtwerden. Beseelte Dinge aber bewegen sich selbst, und von daher kann der Wille wollen und nicht-wollen. Die dritte Unbestimmtheit des Willens besteht hinsichtlich der Hinordnung auf das Ziel, insofern der Wille nach dem streben kann, was wahrhaft sein ihm zukommenendes Ziel ist, oder nach einem bloß scheinbaren. Diese Unbestimmtheit folgt aus zweierlei, nämlich aus der Unbestimmtheit hinsichtlich des Objektes, wo es um die Mittel geht, und zweitens aus der Unbestimmtheit der Auffassung die wahr oder nicht wahr sein kann. So wie nämlich, wenn ein wahres Prinzip gegeben ist, daraus keine falsche Konklusion folgt, außer durch eine Falschheit des Verstandes oder dessen, der etwas Falsches annimmt, oder das Prinzip falsch auf die Konklusion hinordnet, so ist es auch mit jemandem, der das richtige Streben nach dem Letztziel hat: auch hier kann es nicht folgen, daß jemand etwas als Ungeordnetes erstrebt, außer die Vernunft faßt es auf als etwas, das auf das Ziel hingeordnet werden kann, obwohl es nicht auf das Ziel
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hingeordnet werden kann. Wenn zum Beispiel jemand naturgemäß und mit richtigem Streben nach der Seligkeit strebt, dann wird er nie dazu verführt, nach Unzucht zu streben, außer insofern er es als eine Art Gut des Menschen auffaßt, nämlich insofern es genußvoll ist und so auf die Seligkeit hingeordnet werden kann, gleichsam als ein Abbild von ihr. Daraus folgt also eine Unbestimmtheit des Willens, die das Gute und Schlechte erstreben kann. Da aber der Wille frei genannt wird, insofern er keiner Notwendigkeit unterliegt, wird die Willensfreiheit auf dreierlei Weise verstanden: erstens hinsichtlich des Aktes, insofern er wollen und nicht wollen kann, zweitens hinsichtlich des Objektes, insofern er dieses oder jenes wollen kann, einschließlich seines Gegenteiles, und drittens hinsichtlich der Hinordnung auf das Ziel, insofern er Gutes und Böses wollen kann. Mit Hinblick auf den ersten Fall hat der Wille Freiheit in jedem Stand der Natur und gegenüber jedem Objekt. Der Akt jeden Willens ist nämlich in seiner eigenen Gewalt hinsichtlich jeden Objektes. Im zweiten Fall hat er Freiheit hinsichtlich einiger Objekte, nämlich gegenüber den Mitteln, nicht aber gegenüber dem Ziel, aber auch in jedem Stand der Natur. Im dritten Fall hat er Freiheit nicht gegenüber allen Objekten, sondern nur einigen, nämlich hinsichtlich der Mittel, aber auch nicht in jedem Stand der Natur, sondern nur da, wo die Natur fehlerhaft sein kann. Wo es nämlich keine Fehlerhaftigkeit im Aufassen und Vergleichen gibt, kann es einen bösen Willen nicht einmal hinsichtlich der Mittel geben, so wie bei den Seligen im Himmel. Insofern wird gesagt,105 daß das Wollen des Bösen weder Freiheit, noch Teil der Freiheit ist, obwohl er ein gewisses Anzeichen der Freiheit ist. Zu 1. Das Sein der Seele ist nicht von ihm selbst bestimmt, sondern von einem anderen; es selbst aber bestimmt sich sein Wollen. Darum ist sein Wollen unbestimmt, auch wenn sein Sein unveränderlich ist; es ist dadurch auch veränderlich in Bezug auf Verschiedenes. Gleichwohl ist es nicht wahr, daß das Denken oder Wollen 105 Vgl. Anselm von Canterbury, De lib. arb. cap. 1 (PL 158, col. 490 B; Opera omnia I, ed. Schmitt, 207–209), vgl. De ver. q. 24 a. 10 arg. 10.
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vornehmer ist als das Sein, wenn es vom Sein abgetrennt wird; vielmehr ist so das Sein vornehmer als sie, nach Dionysius im 5. Kapitel Von den göttlichen Namen.106 Zu 2. Die Gleichgestaltigkeit des Ebenbildes wird betrachtet gemäß den natürlichen Vermögen, die ihm von Natur festgelegt sind; und darum bleibt diese Gleichgestaltigkeit immer. Die zweite Gleichgestaltigkeit aber, die der Ähnlichkeit, besteht aufgrund der Gnade und der Gewohnheiten und Akte der Tugenden, auf welche die Seele durch einen Willensakt hingeordnet wird, welcher in ihrer Macht ist; und darum bleibt diese Gleichgestaltigkeit nicht immer. Zu 3. In Gott gibt es keine passive oder materiale Potenz, die von demjenigen Akt zu unterscheiden ist, von welchem der Einwand ausgeht. Aber es gibt eine aktive Potenz, die der Akt selbst ist; es ist ja alles potentiell tätig nur sofern es aktuell ist. Daß der Wille aber auf das Böse hin biegsam ist, kommt ihm nicht von Gott zu, sondern davon, daß er aus dem Nichts erschaffen ist. Zu 4. In den beweisenden Wissenschaften verhalten sich die Prinzipien zu den Schlußfolgerungen in der Art, daß die Ablehnung der Schlußfolgerung auch die Ablehnung der Prinzipien nach sich zieht. Wegen dieser festgelegten Beziehung zwischen Schlußfolgerungen und Prinzipien wird die Vernunft von den Prinzipien selbst zur Annahme der Schlußfolgerungen gezwungen. Die Mittel haben aber nicht dieses festgelegte Verhältnis zu den Zielen, daß durch die Abschaffung eines von ihnen auch das Ziel abgeschafft würde, denn das Letztziel kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden, sei es wahrhaft oder scheinbar. Aus der Notwendigkeit, die dem willentlichen Streben hinsichtlich des Zieles einwohnt, kann also nicht eine Notwendigkeit der Mittel abgeleitet werden. Zu 5. Der Wille will naturgemäß das Gute, aber nicht bestimmt dieses oder jenes Gute. Zum Beispiel sieht auch das Sehvermögen naturgemäß die Farben, aber nicht bestimmt diese oder jene. Entsprechend will er alles unter der Hinsicht des Guten, aber er muß nicht immer dieses oder jenes Gute wollen.
106 Dionysius Areopagita, De div. nom. V, 3 u. 5 (PG 3, col. 817 A u. 819; Dion. I, 327 f.).
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Zu 6. Nichts ist derart böse, daß es nicht irgendeinen Anschein des Guten haben könnte; und wegen dieser Gutheit kann es das Streben bewegen. 7. Artik el Die siebte Frage lautet: Erwirbt jemand Verdienste dadurch, daß er das will, was er notwendigerweise will?107 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Das, was jemand mit Notwendigkeit will, will er naturgemäß. Aber durch Natürliches gewinnen wir kein Verdienst. Also erwerben wir kein Verdienst durch einen solchen Willen. 2. Verdienst und Verschuldung ergeben sich aus derselben Art von Dingen. Nach Augustinus108 aber »verschuldet sich niemand durch das, was er nicht vermeiden kann«. Also erwirbt niemand Verdienst durch das, was er notwendigerweise will. 3. Wir erwerben Verdienste nur durch einen Akt der Tugend. Jeder Tugendakt aber stammt aus der Wahl, nicht aus der natürlichen Neigung. Also erwirbt niemand Verdienst durch das, was er notwendigerweise will. Dagegen spricht: 1. Jedes Geschöpf strebt natürlicherweise und aus Notwendigkeit nach Gott. Verdienst aber gewinnen wir aus der Gottesliebe. Also kann man Verdienst erwerben in dem was man notwendigerweise will. 2. Die Seligkeit besteht im ewigen Leben. Die Heiligen aber erwerben Verdienst dadurch, daß sie nach dem ewigen Leben streben. Also erwirbt jemand Verdienst durch das Wollen dessen, was er naturgemäß will.
107 Paralleltexte: ScG III, c. 3; Sum. theol. I–II, q. 88, a. 6 u. q. 189, a. 2. 108 Augustinus, De lib. arb. III, 17–18 (PL 32, col. 1294–1296; CCSL
29, 303–306); De duabus animis cap. 10 und 11 (PL 42, 103 und 105); beide Stellen zitiert Thomas in Sum. theol. I–II, q. 109 a. 8 arg. 1. Vgl. aber auch Augustinus, Retract. I, 9 (PL 32, col. 596; CCSL 57, 23–29).
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Antwort: In einer Weise erwirbt man Verdienst durch das Wollen dessen, was man naturgemäß will, in anderer aber Weise nicht. Dazu muß man wissen, daß die Vorhersehung für Mensch und Tier verschieden eingerichtet ist, sowohl dem Leib als auch der Seele nach. Den anderen Lebewesen sind dem Leib nach spezielle Schutzhüllen gegeben, wie eine harte Haut oder Federn oder anderes dergleichen, oder auch spezielle Schutzwehr, wie Hörner und Krallen und dergleichen. Das ist deshalb so, weil sie nur wenige Weisen der Tätigkeit haben, auf die ganz bestimmte Werkzeuge hingeordnet werden können. Dem Menschen sind diese aber im allgemeinen gegeben, insofern ihm von der Natur Hände verliehen wurden, durch welche er sich sowohl verschiedene Waffen also auch Schutzbedeckungen herstellen kann.109 Dies wiederum kommt daher, daß der Verstand des Menschen so vielseitig ist und sich auf so verschiedenes erstreckt, daß bestimmt festgelegte Werkzeuge ihm nicht ein Auskommen bereiten können. Ähnlich ist es auch von seiten des Auffassungsvermögens. Den anderen Lebewesen sind die ihnen notwendigen speziellen Begriffe eingegeben, dem natürlichen Vermeinen entsprechend, zum Beispiel dem Schaf, daß der Wolf ihm feindlich ist,110 und anderes dergleichen. Dem Menschen sind anstelle dieser allgemeine Prinzipien gegeben, die naturgemäß gedacht werden, und von denen ausgehend er zu allem anderen, das ihm nötig ist, fortschreiten kann. Ähnlich wiederum ist es mit dem Streben. Anderen Dingen ist nämlich ein natürliches Streben nach einem bestimmten Ding eingegeben, wie zum Beispiel dem Schweren, daß es unten sein soll,111 und auch allen Tieren nach dem, was ihnen ihrer Natur gemäß zukommt. Dem Menschen aber ist ein Streben nach seinem Letztziel im allgemeinen gegeben, sodaß er naturgemäß begehrt, in der Gut109 Vgl. Aristoteles, De part. animal. IV, c. 10; 687 a 8 ff. und Albertus Magnus, De animal. lib. XIV, tr. 2, c. 2, n. 31 (ed. Stadler, II, 964). 110 Vgl. Avicenna, De an. I, 5 (Venedig 1513, fol. 5ra C; ed. Van Riet, 86) u. IV, 1 (fol. 17va B; ed. Van Riet, 7) u. cap. 3 (fol. 19rb A; ed. Van Riet, 38). 111 Vgl. Aristoteles, Phys. II, 9; 200 a 2.
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heit vollständig zu sein. Aber worin diese Vollständigkeit besteht, sei es in den Tugenden oder Wissenschaften oder Annehmlichkeiten oder anderem dieser Art, das ist ihm nicht von der Natur bestimmt. Wenn der Mensch also aus eigenem Verstand, mit der Hilfe der göttlichen Gnade, ein besonderes Gut als seine Seligkeit auffasst, in welchem auch tatsächlich seine Seligkeit besteht, dann erwirbt er sich Verdienst nicht darum, weil er nach der Seligkeit strebt, die er naturgemäß begehrt, sondern weil er dieses besondere erstrebt, das er nicht naturgemäß begehrt – zum Beispiel die Anschauung Gottes, in der allerdings auch tatsächlich seine Seligkeit besteht. Wenn aber jemand durch fehlerhafte Verstandestätigkeit dazu geführt wird etwas Besonderes als seine Seligkeit zu erstreben – zum Beispiel körperliche Freuden – in welchem tatsächlich seine Seligkeit nicht besteht, dann verschuldet er sich indem er so nach der Seligkeit strebt. Allerdings nicht deshalb, weil er nach der Seligkeit strebt, sondern weil er ungeziemlich das als Seligkeit erstrebt, worin die Seligkeit nicht besteht. Es ist also offenkundig, daß im Erstreben dessen, was man naturgemäß will, als solchem weder Verdienst noch Verschulden liegt; es kann aber Verdienst oder Verschulden sein, insofern es nach diesem oder jenem spezifiziert wird. Und auf diese Weise erwarben die Heiligen Verdienst, indem sie nach Gott und dem ewigen Leben strebten. Zu 1.–3. Daraus ergeben sich die Antworten zu den Einwänden.
8. Artik el Die achte Frage ist: Kann Gott den Willen zwingen?112 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Wer etwas wenden kann wohin immer er will, der kann es zwingen. Im Buch der Sprichwörter (21, 1) heißt es aber: »Das Herz
112 Paralleltexte: Sent. II, d. 25, a. 2; ScG III, c. 88, 89 und 91; Sum. theol. I, q. 105, a. 4; I–II, q. 9, a. 4 und 6; De malo 3, 3; Comp. theol. I, 129.
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der Könige ist in der Hand Gottes, wohin immer er will, wendet113 er es.« Also kann Gott den Willen zwingen. 2. Über den Römerbrief (1, 24), wo es heißt: »deshalb hat Gott sie übergeben etc.«, sagt die Glosse114 mit Augustinus:115 »Es ist offenkundig, daß Gott in den Herzen der Menschen tätig ist, um ihren Willen zu neigen woraufhin immer er will, sei es auf das Gute aufgrund seines Erbarmens, sei es zum Bösen, weil sie es verdienen.« Also kann Gott den Willen zwingen. 3. Wenn das endlich auf endliche Weise tätig ist, dann das unendliche auf unendliche Weise. Einige endliche Geschöpfe aber ziehen den Willen auf endliche Weise, da nämlich, wie Cicero sagt,116 das Ehrenhafte dasjenige ist, das uns aus eigener Kraft anzieht und vermöge seiner Würde anlockt. Daher kann Gott, der ein unendliches Vermögen zur Tätigkeit hat, den Willen vollständig zwingen. 4. Von jenem wird im eigentlichen Sinne gesagt, er werde zu etwas gezwungen, der etwas nicht nicht tun kann, ob er es nun will oder nicht. Der Wille aber kann nicht dasjenige nicht wollen, von dem Gott in seinem Geschichtswillen will, daß er es will. Andernfalls wäre der Wille Gottes unwirksam hinsichtlich unseres Willens. Also kann Gott den Willen zwingen. 5. In jedem Geschöpf gibt es einen vollkommenen Gehorsam dem Schöpfer gegenüber; der Wille aber ist ein gewisses Geschöpf. Also gibt es in ihm einen vollkommenen Gehorsam gegenüber dem Schöpfer. Also kann Gott ihn zwingen, wozu er will.
113 Während die Vulgata und die Vetus Latina »inclinabit« haben, heißt es bei Thomas immer »vertet«: vgl. Sum. theol. I, q. 83 a. 1 arg 3; I, q. 111, a. 2sc; I–II, q. 6, a. 4 ad 1; III, q. 86 a. 1c. 114 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Röm. 1, 24 (PL 191, col. 1332 A). 115 Augustinus, De grat. et lib. arb. 21 (PL 44, col. 909), nach Sum. theol. I–II, q. 79, a. 1 ad 1. 116 Tullius Cicero, De inventione rhetorica II, c. 52 n. 157 f., auch wörtlich in der anonymen Cicero-Kompilation Moralium dogma philosophorum q. 1, n. 4 (PL 171, col. 1009 C); J. Holmberg (ed.), Das Moralium dogma philosophorum des Guillaume de Conches, Uppsala: Almqvist and Wiksells, 1929, 7.
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Dagegen spricht: 1. Frei von Zwang zu sein ist die Natur des Willens. Die Natur der Sache aber kann von niemandem aufgehoben werden. Also kann der Wille nicht von Gott gezwungen werden. 2. Gott kann nicht machen, daß Gegensätze zugleich wahr sind.117 Das Freiwillige und das Gewaltsame aber sind Gegensätze, denn das Gewaltsame ist eine Unterart des Unfreiwilligen, wie aus dem 3. Buch der Nikomachischen Ethik118 hervorgeht. Also kann Gott nicht machen, daß der Wille etwas gezwungenermaßen will, und so kann er also den Willen nicht zwingen. Antwort: Gott kann den Willen in notwendiger Weise verändern; er kann ihn aber nicht zwingen. Wie sehr auch immer der Wille auf etwas hin verändert wird, man sagt dennoch nicht, daß er gezwungen würde. Der Grund ist, daß etwas Wollen als solches seinem Wesen nach eine Neigung dazu ist. Der Zwang aber oder die Gewalt sind der Neigung desjenigen entgegengesetzt, welches gezwungen wird. Wenn also Gott den Willen verändert, dann macht er, daß einer vorhergehenden Neigung eine andere Neigung folgt, dergestalt, daß die erste eliminiert wird, und die zweite bestehen bleibt. Daher ist also das, was er dem Willen eingibt, nicht der hinfort bestehenden Neigung entgegengesetzt, sondern derjenigen, die vorher da war; darum ist es keine Gewalt oder Zwang. Zum Beispiel wohnt dem Stein vermöge seiner Schwere eine Neigung zum tieferliegenden Ort ein,119 sodaß, wenn diese Neigung bleibt, und er nach oben geworfen würde, dies Gewaltsamkeit bedeutete. Wenn aber Gott die Neigung der Schwere aus dem Stein entfernen würde und ihm die Neigung der Leichtigkeit gäbe, dann wäre das Aufwärtsgenommenwerden ihm nicht gewaltsam. Und so kann eine Veränderung der Bewegung ohne Gewaltsamkeit sein. Auf dieses Weise ist es auch 117 Vgl. Augustinus, Contra Faustum XXVI, 15 (PL col. 42, 481), nach Sent. I, d. 42, q. 2, a. 2. 118 Aristoteles, Eth. Nic. III, 1 u. 3; 1109 b 35 und 1111 a 22. 119 Vgl. Aristoteles, Eth. Nic. II, 1; 1103 a 20, nach Sum. theol. I–II, q. 71 a. 2 arg. 2.
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zu verstehen, daß Gott den Willen verändert, ohne daß er den Willen zwingt. Gott kann den Willen aber auch dadurch verändern, daß er in ihm wirksam wird, wie auch in den Naturdingen. So wie jede natürliche Tätigkeit von Gott ist, so stammt auch jede Tätigkeit des Willens, insofern sie Tätigkeit ist, nicht nur vom Willen als dem unmittelbar Tätigen, sondern auch von Gott als dem ersten Tätigen, welches sich stärker einprägt.120 Wie der Wille, nach dem vorher Gesagten,121 seinen Akt auf etwas anderes hin verändern kann, so auch, und mehr noch, Gott. Er verändert den Willen aber auf zweierlei Weise: erstens durch ein Bewegen allein, wenn er nämlich den Willen dazu bewegt, etwas anderes zu wollen, ohne dem Willen aber eine andere Form einzuprägen. Zum Beispiel macht er manchmal ohne Hinzufügung eines Habitus, daß der Mensch das will, was er vorher nicht wollte. Zweitens aber durch das Einprägen einer Form in den Willen selbst: so wie nämlich aus der Natur selbst, die Gott dem Willen gibt, der Wille dazu geneigt ist, etwas zu wollen (wie wir gezeigt haben122), so wird die Seele auch aus etwas Hinzugefügtem wie der Gnade oder der Tugend dazu geneigt, darüber hinaus etwas zu wollen, wozu sie vorher vermöge ihrer natürlichen Neigung nicht bestimmt war. Nun ist diese hinzugefügte Neigung manchmal vollkommen, manchmal jedoch unvollkommen. Wenn sie vollkommen ist, dann stellt sie eine vollkommene Neigung zu dem her, auf welches sie festlegt. Zum Beispiel wird der Wille von Natur notwendigerweise dazu geneigt, nach dem Ziel zu streben; so trifft es sich bei den Seligen, in welchen die vollkommene Liebe hinreichend zum Guten geneigt gemacht – nicht nur hinsichtlich des Letztzieles, sondern auch hinsichtlich der Mittel. Manchmal jedoch ist die hinzugefügte Form nicht derart vollkommen, wie bei denen, die noch auf dem Wege sind; dann wird der Wille durch die hinzugefügte Form geneigt, aber nicht mit Notwendigkeit.
120 Vgl. De ver. q. 5 a. 9. 121 Vgl. De ver. q. 22 a. 6c. 122 Vgl. De ver. q. 22 a. 5c und 6c.
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Daraus ergibt sich auch die Antwort auf die Argumente, denn die ersten Einwände beweisen, daß Gott den Willen verändern kann, die Gegeneinwände hingegen, daß er ihn nicht zwingen kann – was beides wahr ist, wie wir gezeigt haben. Zu 2. Wo es in der angeführten Glosse heißt:123 »Gott wirkt in den Herzen der Menschen um ihre Willen zum Bösen zu neigen« ist – nach derselben Glosse 124 – »nicht so zu verstehen, daß Gott die Bosheit zuteilt; sondern so, wie Gott die Gnade hinzufügt, durch welche der Wille der Menschen zum Guten geneigt wird, so nimmt er sie auch von einigen fort, durch welche Wegnahme ihr Wille zum Bösen verkrümmt wird.
9. Artik el Die neunte Frage lautet: Kann ein Geschöpf den Willen verändern oder ihn beeinflussen?125 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Der Wille ist selbst ein Geschöpf. Der Wille aber kann seinen Akt verändern, wie er will. Also scheint ein Geschöpf den Willen verändern und zwingen zu können. 2. Es ist schwieriger, das Ganze zu bewegen, als einen Teil. Nach einigen Philosophen126 bewegen aber die Himmelskörper ganze 123 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria (PL 191, col. 1332 A). 124 Ibid. 125 Paralleltexte: Sent. II, d. 8, a. 5; ScG III, 88 u. 92; Sum. theol. I,
q. 106, a. 2 und q. 111, a. 2; I–II, q. 80, a. 1; De malo q. 3 a. 3 und 4, Super Ioh., c. 13; lect. 1, § 3. 126 Vgl. Ptolemaeus, Quadripartitum tr. 2, c. 8 (Venedig 1493, f. 44a); Pseudo-Aristoteles, De causis proprietatum elementorum cap. 1, nach Albertus Magnus, Sent. II, d. 15, a. 5 (ed. Borgnet XXVII, 277 b) u. Bonaventura, Sent. II, d. 14, p. II, a. 2 q. 3 arg. 2 (Opera omnia, II, 362 a). Vgl. auch William of Auvergne, De universo I, 1, 46 (620, 628–629, nach Lynn Thorndike, A History of Magic and Experimental Science, New York: Columbia University Press, 1923–41, II, 369); Roger Bacon, Opus majus IV, »astrologia« (ed. J. H. Bridges, Bd. I (Oxford 1897), 386); Maimonides, Führer der Unschlüssigen, I, 10; II, 48, III, 14 (übers. u. hrsg. v. a. Weiss, 3 Bde., Leipzig 1923 f.; ND: 2 Bde., Hamburg: Meiner, 1972).
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Massen dazu, etwas zu wollen. Also scheint es, daß sie noch viel mehr den Willen eines einzigen zwingen können. 3. Wer immer von etwas besiegt wird, wird von ihm bezwungen. Nach Aristoteles im 3. Buch der Nikomachischen Ethik127 werden aber die Unbeherrschten von den Leidenschaften besiegt. Also bewegen und zwingen die Leidenschaften den Willen des Unbeherrschten. 4. Nach Augustinus im 3. Buch Von der Dreifaltigkeit 128 bewegt – im Geistigen wie im Körperlichen – das Höhere das Niedrigere nach einer naturgemäßen Ordnung. So wie aber bei den seligen Engeln die Vernunft höher und vollkommener ist als unsere Vernunft, so auch ihr Wille gegenüber unserem Willen. So wie sie aber nach der Lehre des Dionysius129 mit ihrer Vernunft unsere Vernunft beeinflussen können, indem sie sie erleuchten, so scheint es auch, daß sie durch ihren Willen unseren Willen irgendwie beeinflussen können, indem sie in bewegen. 5. Nach Dionysius130 erleuchten, reinigen und vervollkommnen die höheren Engel die niedrigeren. So wie aber die Erleuchtung der Vernunft zukommt, so scheint die Reinigung dem Affekt zuzukommen. So wie die Engel also die Vernunft beeinflussen können, so auch den Willen. 6. Etwas ist eher dazu angelegt, von einer höheren Natur bewegt zu werden, als von einer niedrigeren. So wie aber gegenüber unserem Willen das sinnliche Streben niedriger ist, so ist der Wille der Engel höher. Weil nun aber bisweilen das sinnliche Streben den Willen bewegt, kann der Wille der Engel noch viel stärker unseren Willen bewegen. 7. Bei Lukas (14, 23) sagt der Hausvater zum Diener: »Treibe sie an, einzutreten«; man geht aber durch den Willen zu jenem Mahl 127 Aristoteles, Eth. Nic. VII, 6; 1149 b 3; VII, 8; 1150 a 9 und a 20–25. 128 Augustinus, De trin. III, 4, 9 (PL 42, col. 873; CCSL 50, 135 f.). 129 De ver. q. 11 a. 3 zitiert Dionysius Areopagita, De cael. hier. IV, 4
(PG 3, col. 181 B; Dion. II, 814); vgl. aber auch III, 2 u. IV, 3 (PG 3, col. 165 und 168, 180 f.; Dion. II, 789; 798; 809). 130 Dionysius Areopagita, De cael. hier. VIII, 2 (PG 3, col. 240 C; Dion. II, 880) u. VII, 3; VIII, 1 (PG 3, col. 209 u. 240; Dion. II, 857; 880 f.).
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ein. Also kann durch einen Engel, der ein Diener Gottes ist,131 unser Wille zu etwas gezwungen werden. Dagegen spricht: 1. Bernhard sagt: »Der Wille ist das Mächtigste unter Gott«;132 nichts aber wird bewegt, außer von einem Stärkeren. Also kann nichts den Willen bewegen. 2. Verdienst und Verschulden bestehen in gewisser Hinsicht im Willen. Wenn also ein Geschöpf den Willen bewegen könnte, dann könnte jemand durch irgendein Geschöpf gerechtfertigt oder zum Sünder gemacht werden. Das aber ist falsch, weil niemand zum Sünder wird, außer durch sich selbst. Und niemand wird gerecht, außer indem Gott handelt, und er mithandelt. Antwort: Daß der Wille von etwas verändert wird, kann zweifach verstanden werden: Erstens durch seinen Gegenstand; so wird der Wille vom Erstrebbaren verändert. Auf diese Weise aber untersuchen wir hier nicht das, was den Willen verändert; es wurde ja schon oben gezeigt,133 daß ein gewisses Gut den Willen in der Weise eines Gegenstandes mit Notwendigkeit bewegt, obwohl der Wille nicht gezwungen wird. Zweitens aber kann der Wille in der Weise einer Wirkursache verändert werden. So aber sagen wir, daß nicht nur kein Geschöpf den Willen zwingen kann, indem es auf ihn einwirkt (das kann ja nicht einmal Gott), sondern daß es nicht einmal direkt auf den Willen so einwirken kann, daß es ihn mit Notwendigkeit verändert oder auf eine Weise geneigt macht (was Gott kann). Ein Geschöpf kann aber indirekt den Willen in gewisser Weise geneigt machen, nur nicht mit Notwendigkeit. Der Grund hierfür ist, daß, weil der Willensakt gleichsam in der Mitte zwischen dem Vermögen und dem Gegenstand steht, die Veränderung des Willensaktes 131 Vgl. Augustinus, Enarr. in Ps. 103, s. I, 15 (PL 37, col. 1349; CCSL 40, 1488). 132 Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb. IX, 28–29 und X, 33– 34 (PL 182, col. 1016 u. 1019 A–B; ed. Winkler I, 212–216. 222–224). 133 De ver. q. 22 a. 5.
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entweder von seiten des Willens selbst, oder von seiten des Gegenstandes betrachtet werden kann. Von seiten des Willens kann nichts den Willensakt verändern, außer es wirkt etwas innerhalb des Willens; das aber ist der Wille selbst und das, was die Ursache des Willens ist – welches dem Glauben nach allein Gott ist.134 Daher kann allein Gott die Neigung des Willens, die er ihm gegeben hat, von einem zum anderen übertragen, wie er will. Nach denen aber, die behaupten, daß die Seele von Intelligenzen geschaffen wurde135 – was aber dem Glauben widerspricht136 – hat der Engel oder die Intelligenz eine dem Willen innerliche Wirkung, insofern es das Sein verursacht, daß dem Willen innerlich ist. Dementsprechend behauptet Avicenna,137 daß, so wie unsere Körper von den Himmelskörpern bewegt werden, so auch unser Wille vom Willen der himmlischen Seelen; das aber ist komplett häretisch. Wenn aber der Willensakt von seiten des Gegenstandes betrachtet wird, dann hat der Wille ein doppeltes Objekt: Erstens einen, auf welchen er mit der Notwendigkeit einer naturgemäßen Neigung festgelegt ist; und dieser Gegenstand ist ihm vom Schöpfer eingegeben und vorgeschrieben, welcher ihm damit seine naturgemäße Neigung gibt. Darum kann niemand außer Gott allein mit Notwendigkeit durch einen solchen Gegenstand den Willen bewegen. Zweitens aber gibt es einen Gegenstand des Willens, der geeignet 134 Pseudo-Augustinus (tatsächlich Gennadius von Marseille), De eccl. dogm. 83 (PL 58, col. 999 B), nach De ver. q. 28 a. 2 und Sum. theol. III, q. 8 a. 8 ad 1. 135 Thomas zitiert hierfür Avicenna, Liber de philosophia prima IX, 4 (Venedig 1513, fol. 104vb B; ed. Van Riet, II, 483), in Sent. IV, d. 5, q. 1, a. 3, qc. 3 arg 1, und ScG II, 42, und Sum. theol. I, q. 45, a. 4. Ebenso Algazel, Met. p. I, tr. 5 (Algazel’s Metaphysics. A Mediaeval Translation, ed. J. T. Muckle (St. Michael’s College: Toronto 1933), 120), in De pot. q. 3 a. 16. Vgl. auch den Liber de causis, prop. 3; n. 32 (ed. Schönfeld, 8 f.). Nach Augustinus, De haeresibus 59 (PL 42, col. 41) ist das auch die Auffassung der Schule des Seleucus und Hermias. 136 In ScG II, 42 zitiert Thomas hierfür Gen. 1, 1 und Hiob 37, 18. Vgl. hierzu auch De ver. q. 3 a. 2 c. 137 Avicenna, Liber de philosophia prima X, 1 (Venedig 1513, fol. 108rb; ed. Van Riet, II, 524 f.). Vgl. De ver. q. 5 a. 10 und q. 6 a. 6.
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ist den Willen geneigt zu machen, insofern in ihm eine Ähnlichkeit mit oder eine Hinordnung auf das naturgemäß begehrte Letztziel ist. Von diesem Gegenstand wird der Wille aber, wie gesagt,138 nicht mit Notwendigkeit bewegt, weil ja nicht in ihm allein eine Hinordnung auf das naturgemäß begehrte Letztziel liegt. Vermittelt durch diesen Gegenstand kann ein Geschöpf den Willen in gewisser Weise neigen, aber nicht mit Notwendigkeit bewegen. Das zeigt sich am Beispiel von jemandem, der jemanden davon überzeugt, daß er etwas tun soll, indem er ihm dessen Nützlichkeit und Ehrenhaftigkeit auseinandersetzt. Es ist gleichwohl in der Macht des Willens, dies anzunehmen oder nicht anzunehmen, weil er nicht naturgemäß auf dies festgelegt ist. Daraus ist klar, daß kein Geschöpf den Willen direkt verändern kann, so als ob er innerhalb des Willens selbst tätig wäre. Er kann aber den Willen auf gewisse Weise zu etwas hinführen, indem er es ihm äußerlich vorstellt; er kann ihn aber nicht auf notwendige Weise verändern. Zu 1. Der Wille kann sich hinsichtlich einiger Dinge auch selbst direkt verändern, da er Herr seiner Akte ist. Und wenn gesagt wird, daß er nicht direkt von einem Geschöpf verändert werden kann, dann ist das zu verstehen als von einem anderen Geschöpf. Er kann sich aber nicht selbst zwingen, denn das wäre ein Widerspruch. Es ist nämlich ein Widerspruch, daß etwas sich selbst zwingt. »Gewaltsam ist etwas, wo das Gewalt Erleidende nichts aus eigener Kraft beisteuert«;139 die einwirkende Kraft aber steuert etwas bei. Auf diese Weise kann der Wille sich nicht zwingen, weil er ja selbst in dieser Kraft etwas beisteuert, insofern er sich zwingt, und zugleich nichts beisteuert, insofern er gezwungen wird. Das ist also unmöglich. Auf dieselbe Weise zeigt Aristoteles im 5. Buch der Nikomachischen Ethik,140 daß niemand etwas ungerechterweise von sich selbst erleidet, denn wer etwas Ungerechtes erleidet, erleidet es 138 De ver. q. 22 a. 5 u. 6. 139 Vgl. De ver. q. 22 a. 5. 140 Aristoteles, Eth. Nic. V, 11; 1136 a 31 ff., V, 15; 1138 a 4 ff. und 1138
a 21–24.
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gegen seinen Willen. Wenn er aber etwas Ungerechtes tut, tut er es willentlich. Zu 2. Die Himmelskörper können weder den Willen eines Menschen, noch den einer Masse mit Notwendigkeit bewegen. Sie können aber deren Körper bewegen. Durch diesen Körper kann nun aber der Wille in einer gewissen Hinsicht geneigt werden, jedoch nicht mit Notwendigkeit, denn er kann dem widerstehen. Zum Beispiel ist der Choleriker aus seiner natürlichen Verfaßtheit heraus zum Zorn geneigt;141 ein Choleriker kann jedoch durch den Willen dieser Neigung widerstehen. Es widerstehen aber nur die Weisen den körperlichen Neigungen, und diese sind wenige, verglichen mit den Dummen, da nach Ecclesiastes »die Zahl der Dummen unendlich ist«.142 Und darum wird gesagt, daß die Himmelskörper die Massen bewegen, insofern die Massen den körperlichen Neigungen folgen. Sie bewegen aber nicht diesen oder jenen, der mit Umsicht den besagten Neigungen widersteht. Zu 3. Vom Unbeherrschten wird nicht so gesagt, er werde von den Leidenschaften besiegt, als ob dieselben körperlichen Leidenschaften den Willen zwingen oder notwendig bewegen würden. Andernfalls wäre der Unbeherrschte nicht zu bestrafen, denn dem Unfreiwilligen gebührt keine Bestrafung. Nach Aristoteles, im 3. Buch der Nikomachischen Ethik,143 wird aber vom Unbeherrschten nicht gesagt, er handle unfreiwillig. Vielmehr sagt man, der Unbeherrschte werde von Leidenschaften besiegt, weil er deren Einflüssen willentlich nachgibt. Zu 4. Die Engel beeinflussen die Vernunft nicht so, als ob sie innerlich etwas in ihm bewirkten, sondern nur von seiten seines Gegenstandes, insofern sie ihm etwas Verstehbares vorstellen, durch welches auch unsere Vernunft getröstet und zur Zustimmung gestärkt wird. Das Willensobjekt aber, das der Engel vorstellt, bewegt, wie gesagt, den Willen nicht mit Notwendigkeit; und so ist das nicht derselbe Fall. 141 Aristoteles, Eth. Nic. IV, 11; 1126 a 13. Für Alkohol und Krankheit vgl. III, 5; 1114 a 5 f., 12–14, 19–21. 142 Vulgata, Ecclesiastes (Prediger) 1, 15. 143 Aristoteles, Eth. Nic. III, 4; 1111 a 22 ff.
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Zu 5. Jene Reinigung, mit der die Engel gereinigt werden, kommt der Vernunft zu. Es ist nämlich eine Reinigung von der Unwissenheit, wie Dionysius im 4. Buch Von der kirchlichen Hierarchie144 sagt. Gehörte sie jedoch zu den Affekten, dann wäre das Reinigen gleichsam als ein Überzeugen zu erklären. Zu 6. Das was niedriger ist als der Wille, nämlich der Körper und das sinnliche Streben, verändert den Willen nicht so, als ob es direkt im Willen wirkte, sondern nur von seiten des Gegenstandes. Das Willensobjekt ist nämlich das aufgefaßte Gut. Das durch einen universalen Grund aufgefaßte Gute, bewegt nur vermittels einer partikularen Auffassung, wie im 3. Buch Von der Seele145 gesagt wird, weil die Akte im Partikularen sind.146 Aufgrund der Leidenschaft des sinnlichen Strebens, deren Ursache bisweilen die körperlichen Verfaßtheit oder auch irgendein körperlicher Eindruck sein kann, weil dieses Streben sich eines körperlichen Organs bedient, ist diese partikulare Auffassung behindert und bisweilen völlig gebunden, sodaß das, was die höhere Vernunft im Allgemeinen vorschreibt, nicht tatsächlich auf dieses Partikulare angewandt wird. Und so wird der Wille im Streben zu demjenigen Gut bewegt, daß ihm die partikulare Auffassung ankündigt, unter Auslassung dessen, was die höhere Vernunft vermeldet. Auf diese Weise neigen derartige Leidenschaften den Willen, bewegen ihn aber nicht mit Notwendigkeit, denn es ist in der Macht des Willens, derartige Leidenschaften zu unterdrücken, sodaß der Vernunftgebrauch nicht behindert wird, gemäß Genesis (4, 7) »unter Dir wird dieses Streben sein«,147 nämlich das der Sünde.148 Zu 7. Jenes Eintreiben, das dort erwähnt wird, ist kein Zwang, sondern wirksame Überzeugung, entweder durch Herbheit, oder Milde. 144 Dionysius Areopagita, De eccl. hier. VI, 6 (PG 3, col. 537 B; Dion., II, 1404). 145 Aristoteles, De an. III, 11; 434 a 16–21; vgl. auch III, 10; 433 a 9–23. 146 Vgl. Aristoteles, Eth. Nic. III, 1; 1110 b 6 u. III, 3; 1111 a 23. 147 Vgl. Sum. theol. I–II, q. 10, a. 3sc., und I–II q. 77, a. 3 arg. 3, und II–II, q. 58, a. 2 arg. 2; Bonaventura, Sent. II, d. 28, a. 1, q. 2 arg. 1 (Opera omnia, II, 677 a). 148 Glossa ordin. zu Gen. 4, 7.
10. Artik el Die zehnte Frage lautet: Sind der Wille und die Vernunft ein einziges Vermögen?149 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Die Vermögen werden nach ihren Gegenständen unterschieden.150 Der Gegenstand der Vernunft aber ist das Wahre, der der Vernunft das Gute. Da nun das Gute und das Wahre der Extension nach dasselbe sind, und nur der Intension nach verschieden, scheint es, daß die Vernunft und der Wille der Sache nach dasselbe sind, und nur gedanklich verschieden. 2. Nach Aristoteles im 3. Buch Von der Seele151 ist der Wille im Verstand. Also ist er dasselbe wie der Verstand oder ein Teil des Verstandes. Der Verstand aber ist dasselbe Vermögen wie die Vernunft, also auch der Wille. 3. Die Seelenkräfte im allgemeinen werden unterteilt in das Verstandesmäßige, das Begehrliche und das Zornmütige.152 Also fällt der Wille unter das Verstandesmäßige. 4. Wo immer sich findet, daß etwas sowohl der Sache als auch dem Sinn nach dasselbe ist, gibt es nur ein Vermögen. Der Wille und die praktische Vernunft haben aber sowohl der Sache als auch dem Sinn nach denselben Gegenstand: beider Gegenstand nämlich scheint das Gute zu sein. Also ist die praktische Vernunft kein anderes Vermögen als der Wille.153 Die spekulative Vernunft ist aber 149 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 80, a. 1 und q. 82, a. 3. Aufschlußreich die Parallele für die Engel: Sum. theol. I, 5, 2; Literatur: Dewan, Lawrence: »The Real Distinction between Intellect and Will«, in: Angelicum 57 (1980), 557–593. 150 Vgl. Aristoteles, De an. II, 4; 415 a 18, nach Thomas Sent. I, d. 48 a. 2 arg. 2 u. Sent. II, d. 38 a. 4 arg. 1. Etwas genauer wäre zu sagen, daß die Akte nach den Objekten unterschieden werden, und die Vermögen ihrerseits aufgrund der Akte; Thomas zitiert hierzu ebenfalls Aristoteles, De an. II, 4; 415 a 18, in Sent. II, d. 24, q. 1, a. 2 arg. 3 und Sent. IV, d. 18, q. 1 a. 1, qc. 2. 151 Aristoteles, De an. III, 9; 432 b 5 f. 152 Auf diese platonische Unterscheidung bezieht sich Averroes in De an. III. comm. 41 (Venedig 1562, t. VI1, 190 A) und Hieronymus in Comment. in Ez. I, c. 1 (PL 25, col. 22 A–B). 153 Dies scheint die Position Philipps des Kanzlers zu sein, wie auch später diejenige Kants.
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ihrerseits nicht verschieden von der praktischen, weil, wie Aristoteles im 3. Buch Von der Seele154 sagt, »das spekulative durch Ausdehnung praktisch wird.« Also sind der Wille und die Vernunft schlechthin ein Vermögen. 5. Zum Erkennen der Verschiedenheit zweier Dinge voneinander muß derjenige, der die Verschiedenheit beider erkennt, derselbe sein. So muß aber auch derjenige, der erkennt und will, derselbe sein. Um nun den Unterschied zwischen zweien – wie zum Beispiel dem Weißen und dem Süßen – zu erkennen, muß es dasselbe Vermögen sein, das beide kennt. Daraus schließt Aristoteles im 2. Buch Von der Seele,155 daß es einen Gemeinsinn geben muß. Aus demselben Grund muß es ein Vermögen geben, das sowohl erkennt als auch will. So sind also Vernunft und Wille ein Vermögen, wie es scheint. Dagegen spricht: 1. Die strebende Gattung der Seelenvermögen ist nach Aristoteles156 von der vernunftmäßigen verschieden. Der Wille fällt aber unter das Strebende; also ist der Wille ein von der Vernunft verschiedenes Vermögen. 2. Nach Aristoteles, im 5. Buch der Metaphysik,157 kann die Vernunft gezwungen werden. Der Wille kann aber, wie gesagt,158 nicht gezwungen werden. Also sind Vernunft und Wille nicht ein Vermögen.
154 Aristoteles, De an. III, 9; 433 a 1, nach alter Übersetzung, in: Petrus Hispanus (Johannes XXI?), Obras filosoficas II, Commentario al »De anima« de Aristoteles (ed. P. Manuel Alonso-Alonso, S. J.), 355, 14; oder III, 10; 433 a 14–17. 155 Tatsächlich im 3. Buch (Thomas folgt der Zählung in den arabischen Editionen, welche die ersten 3 Kapitel des 3. Buches im 2. Buch einschließen): Aristoteles, De an. III, 2; 426 b 12, 17–21. 156 Vgl. Aristoteles, De an. II, 2; 413 b 24–26, II, 3; 414 a 31 u. III, 10; 433 a 31. 157 Aristoteles, Met. V, 5; 1015 b 6–9. 158 De ver. q. 22 a. 8 u. 9.
10. Artikel
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Antwort: Der Wille und die Vernunft sind verschiedene Vermögen, ja sie gehören sogar zu verschiedenen Gattungen von Vermögen. Dazu muß man wissen, daß die Vermögen gemäß ihren Gegenständen und Akten unterschieden werden. Gleichwohl verweist nicht jeder Unterschied der Gegenstände auf eine Verschiedenheit der Vermögen, sondern nur eine Verschiedenheit der Gegenstände als solcher, d. h. nicht irgendeine zufällige Verschiedenheit die, sozusagen, dem Gegenstand als solchem nur zufällt. Dem sinnlichen Gegenstand als sinnlichem kommt es nur zufällig zu, beseelt oder unbeseelt zu sein, obwohl es für die sinnlich erfaßten Dingen selbst wesentliche Verschiedenheiten sind. Deshalb werden die sinnlichen Vermögen nicht nach diesen Differenzen unterschieden, sondern nach dem Hörbaren, dem Sichtbaren und dem Tastbaren, welche Differenzen des Sinnlichen sind, insofern es sinnlich ist, das heißt als ein durch ein Medium oder ohne ein Medium sinnlich erfaßbares Sein. Wenn nun die wesentlichen Verschiedenheiten der Gegenstände als solcher so genommen werden, daß sie als solche einen besonderen Gegenstand der Seele aufteilen, dann differenzieren sie die Vermögen, aber nicht die Gattungen der Vermögen. Zum Beispiel benennt das Sinnliche nicht einen Gegenstand der Seele schlechthin, sondern einen Gegenstand, der durch die besagten Unterschiede als solcher aufgeteilt wird. So sind das Sehvermögen, der Hörsinn und der Tastsinn verschiedene besondere Vermögen, die zur selben Gattung der Seelenvermögen gehören, nämlich zu den Sinnen. Wenn aber die angenommenen Verschiedenheiten den Gegenstand im allgemeinen genommen unterteilen, dann werden aus solchen Unterschieden die verschiedenen Gattungen von Vermögen erkannt. Es wird aber etwas ein Gegenstand der Seele genannt, insofern es ein Verhältnis zur Seele hat. Wo wir nun verschiedene Wesensgründe für ein Verhältnis zur Seele vorfinden, dort finden wir einen Unterschied der Seelengegenstände als solcher, aus welchem eine verschiedene Gattung der Seelenvermögen bewiesen wird. Es findet sich aber, daß die Dinge ein zweifaches Verhältnis zur Seele haben: eines, gemäß welchem die Sache nicht in seiner eigenen Weise in der Seele ist, sondern nach der Weise der Seele; das andere ist, wenn die Seele sich zur Sache verhält, wie sie in ihrem eigenen Sein
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existiert. Demnach ist etwas ein Seelengegenstand auf zweifache Weise: zum einen, insofern es bestimmt ist, in der Seele nicht nach seinem eigenen Sein, sondern in der Weise der Seele zu sein, das heißt geistig. Das aber ist das Wesen des Erkennbaren, insofern es erkennbar ist. Zum anderen ist etwas ein Seelengegenstand, insofern die Seele zu ihm geneigt und hingeordnet ist nach der Weise der Sache selbst, wie sie in sich selbst existiert. Das ist das Wesen des Erstrebbaren, insofern es es erstrebbar ist. Demnach konstituieren das Erkennende und das Strebende in der Seele verschiedene Gattungen von Vermögen. Weil nun die Vernunft unter das Erkennende fällt, der Wille aber unter das Strebende, müssen die Vernunft und der Wille Vermögen sein, die sogar der Gattung nach verschieden sind. Zu 1. Die Unterscheidung der Vermögen wird nicht der Sache, sondern dem gedanklichen Sinn nach aus den Gegenständen erwiesen,159 weil es der Gegenstandssinn ist, der die Vermögenstätigkeiten spezifiziert. Wo also ein unterschiedlicher Gegenstandssinn ist, da finden wir auch ein unterschiedliches Vermögen, auch wenn es dieselbe Sache ist, die beiden Gegenstandssinnen zugrundeliegt, so wie auch beim Guten und Wahren. Das ist offenbar selbst bei materiellen Dingen so, denn die Luft erleidet etwas vom Feuer gemäß seiner Hitze, insofern die Luft dem Vermögen nach heiß ist. Insofern das Feuer aber leuchtend ist, leidet die Luft von ihm insofern sie durchsichtig ist.160 Es ist aber nicht dasselbe Vermögen der Luft, gemäß welchem sie durchsichtig oder potentiell heiß genannt wird, obwohl es dasselbe Feuer ist, das auf beide Vermögen einwirkt. Zu 2. Ein Vermögen kann zweifach betrachtet werden: im Hinblick auf den Gegenstand oder im Hinblick auf das Wesen der Seele, in welcher es eingewurzelt ist. Wenn also der Wille im Hinblick auf den Gegenstand betrachtet wird, dann gehört er zu einer anderen Gattung der Vermögen als die Vernunft; und so wird, wie gesagt, 159 D. h. als Formalobjekt, nicht als Materialobjekt; mit Frege zu sprechen: es ist dieselbe Bedeutung, aber ein unterschiedlicher Sinn oder Gegebenheitsweise. 160 Aristoteles, De an. II, 7; 418 b 4 ff.
11. Artikel
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der Wille vom Verstand und von der Vernunft unterschieden. Wenn aber der Wille im Hinblick auf das betrachtet wird, in welchem sie wurzelt, dann werden – weil weder der Wille noch die Vernunft ein körperliches Organ haben – der Wille und die Vernunft auf denselben Teil der Seele zurückgeführt. So werden zuweilen die Vernunft oder der Verstand genommen, als ob sie beides in sich einschließen; und so spricht man vom Willen im Verstand. Auf diese Weise wird das Verstandesmäßige, welches Vernunft und Wille einschließt, vom Zornmütigen und Begehrenden unterschieden. Zu 3. Daraus ergibt sich die Lösung zum dritten Einwand. Zu 4. Der Gegenstand der praktischen Vernunft ist nicht das Gute, sondern das Wahre in seiner Beziehung zum Werk. Zu 5. Wollen und Erkennen sind nicht Akte im selben Gegebenheitssinn. Also können sie nicht zu einem Vermögen gehören, wie das Erkennen von süß und weiß; daher ist der Fall nicht von ähnlicher Art. 11. Artik el Die elfte Frage lautet: Ist der Wille ein höheres Vermögen als die Vernunft, oder umgekehrt?161 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Die Vornehmheit der Seele besteht darin, daß sie nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist. Die Seele aber ist nach dem Ebenbild Gottes vermöge des Verstandes oder der Vernunft. Augustinus sagt im 4. Buch Über die buchstäbliche Bedeutung des Buches Genesis162 »Darunter, daß der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen wurde, verstehen wir das, wodurch er den vernunftlosen Geschöpfen überlegen ist. Das aber ist der Verstand, oder der Geist, oder die Vernunft, oder durch welches andere Wort auch immer dies besser bezeichnet wird.« Also ist das ausgezeichnetste Seelenvermögen die Vernunft. 2. Es wurde gesagt, daß die Ebenbildlichkeit sich ebenso im Willen wie in der Vernunft findet, da nach Augustinus im Buch Von 161 Paralleltexte: Sent. II, d. 25 a. 2 ad 4; Sent. III, d. 27 q. 1 a. 4; Sum. theol. I, q. 82 a. 3 und a. 4 ad 1; I–II, q. 3 a. 4 ad 4; II–II, q. 23, a. 6 ad 1; ScG III, 26; De caritate a. 3 ad 12 u. ad 13. 162 Augustinus, De Gen. ad litt. III, c. 20 (PL 34, col. 292; CSEL 28/I, 86).
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der Dreifaltigkeit 163 die Ebenbildlichkeit nach Erinnerung, Vernunft und Wille zu betrachten ist. Aber dagegen spricht, daß, wofern die Vornehmheit der Seele gemäß der Ebenbildlichkeit betrachtet wird, dasjenige der ausgezeichnetste Teil der Seele sein muß, worin auf eigentümlichere Weise das Wesen des Bildes gefunden wird. Auch wenn nun die Ebenbildlichkeit in Wille und Vernunft besteht, ist sie doch eigentümlicher in der Vernunft als im Willen. Daher sagt Petrus Lombardus im 2. Buch der Sentenzen, in der 16. Distinktion,164 daß die Ebenbildlichkeit in der Erkenntnis der Wahrheit besteht, die Ähnlichkeit in der Liebe zum Guten. Also ist es, nochmals, zwingend, daß die Vernunft vornehmer ist als der Wille. 3. Da wir die Vermögen aufgrund ihrer Tätigkeiten beurteilen, muß dasjenige Vermögen vornehmer sein, dessen Tätigkeit vornehmer ist. Denken ist aber vornehmer als wollen; also ist die Vernunft höher als der Wille. Zum Beweis des Mittelsatzes: da Tätigkeiten nach ihren Gegenständen eingeteilt werden, muß diejenige Tätigkeit höher sein, deren Gegenstand höher ist. Die Tätigkeit der Vernunft aber besteht in einer Bewegung zur Seele hin, während die Tätigkeit des Willens in einer Bewegung der Seele zur Sache besteht. Da aber die Seele vornehmer ist als die äußeren Dinge, ist das Denken vornehmer als das Wollen. 4. Für alles in einer Ordnung stehende gilt: je mehr etwas vom Niedrigsten entfernt ist, desto näher ist es am Höchsten. Das niedrigste unter den Seelenvermögen sind aber die Sinne. Der Wille nun nähert sich den Sinnen mehr an, als die Vernunft, denn der Wille hat mit den sinnlichen Vermögen den Status des Gegenstandes gemeinsam: so wie nämlich der Sinn mit dem Einzelnen befaßt ist, so auch der Wille. Wir wollen ja diese bestimmte Gesundheit, und nicht Gesundheit im allgemeinen. Der Vernunft aber geht es um das Allgemeine. Also ist die Vernunft ein höheres Vermögen als der Wille. 5. Das Regierende ist vornehmer als das Regierte. Die Vernunft aber regiert den Willen; also ist sie vornehmer als der Wille. 163 Augustinus, De trin. X, 12, 10 (PL 42, col. 982–984; CCSL 50, 332), wie Thomas in Sum. theol. I, q. 93, a. 7 arg. 3 zitiert. 164 Petrus Lombardus, Sent. II, d. 16, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I, 381).
11. Artikel
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6. Das, wovon her etwas stammt, hat die Vorherrschaft über es, und es ist höher im Rang, wenn es von anderem Wesen ist. Die Verstandesfähigkeit stammt nun von der Erinnerung, wie der Sohn vom Vater, der Wille aber von Erinnerung und Verstandesfähigkeit, so wie der Heilige Geist von Vater und Sohn. Also hat die Verstandesfähigkeit die Vorherrschaft über den Willen, und ist ranghöher und mächtiger als dieser. 7. Je einfacher und immaterieller etwas ist, desto vornehmer ist es. Die Tätigkeit der Vernunft ist aber einfacher und immaterieller als die des Willens, weil die Vernunft, anders als der Wille, von der Materie abstrahiert. Also ist die Tätigkeit der Vernunft vornehmer als die des Willens. 8. Die Vernunft in der Seele ist dem Glanz in den Dingen vergleichbar, der Wille oder das Streben aber der Hitze, wie aus den Sprüchen der Heiligen hervorgeht.165 Der Glanz ist aber vornehmer als die Hitze, weil er die Eigenschaft eines vornehmeren Körpers ist. Also ist die Vernunft vornehmer als der Wille. 9. Das, was dem Menschen eigentümlich ist, insofern er Mensch ist, ist nach Aristoteles, in der Nikomachischen Ethik,166 vornehmer, als das, was dem Menschen und anderen Lebewesen gemeinsam ist. 165 Die Verbindung beider Teile des Vergleichs findet sich nicht; die Vernunft als Glanz bei Augustinus, Sermo 117, c. 8 (PL 38, col. 667) und In Joannis evangelium (c. 1), tr. 3, 5 (PL 35, 1398; CCSL 36, 22): die Augen sind Lichter, und die Vernunft das Auge der Seele. Vgl. auch Augustinus, De peccatorum meritis et remissione I, 25 (PL 44, col. 130), De duabus animabus 2 (PL 42, col. 95); Dionysius Areopagita, De cael. hier. X, 3 (PG 3, col. 273; Dion. II, 923) und De div. nom. IV, 5 u. 6 (PG 3, col. 700–701; Dion. II, 168 ff.); Gregor der Große, Moralia in Iob XXIX, 22, 42 (PL 76, col. 500; CCSL 143 B, 1463). Weniger der Wille, wohl aber die Liebe wird mit der Hitze verglichen: Augustinus, Enarr. in Ps. 79, 13 (PL 36, col. 1027; CCSL 39, 1118); Gregor der Große, Homiliae in Hiezechihelem II, Hom. I, 6 (PL 76, col. 940; CCSL 142, 212 f.), Hom. 9, 10 (PL 76, 1048–49), Homiliae in evangelia II, hom. 33, 4 (PL 76, col. 1241; CCSL 141, 291); hom. 34, 10 (PL 76, col. 1252; CCSL 141, 309); Peter Chrysologus, Sermo 135, »In D. Laurentium« (PL 52, col. 566–567). Vgl. Schmidt III, 452. Zeitgenössisch zu Thomas aber auch: Bonaventura, Sent. II, d. 24, p. 1, a. 2, q. 1 arg. 7 (Opera omnia, II, 559 b). 166 Aristoteles, Eth. Nic. X, 7; 1178 a 2–8 und X, 8; 1178 b 24 ff.
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Das Denken aber ist eine Eigentümlichkeit des Menschen, während das Wollen auch anderen Lebewesen zukommt; so sagt Aristoteles im 3. Buch der Nikomachischen Ethik,167 daß am Willentlichen auch die Kinder und Tiere teilhaben. Also ist die Vernunft höher als der Wille. 10. Je näher etwas dem Ziel ist, desto vornehmer ist es, denn das Ziel ist der Grund der Gutheit für die Mittel. Die Vernunft aber scheint näher am Ziel zu sein, als der Wille. Der Mensch rührt nämlich früher an das Ziel durch die Vernunft – indem es dies erkennt –, als durch den Willen – indem es nach ihm strebt. Also ist die Vernunft vornehmer als der Wille. 11. Nach Gregor dem Großen im 6. Buch der Moralien168 ist das beschauliche Leben von größerem Verdienst, als das aktive. Nun gehört aber das beschauliche Leben zur Vernunft, das aktive jedoch zum Willen. Also ist die Vernunft auch vornehmer als der Wille. 12. Aristoteles sagt im 10. Buch der Nikomachischen Ethik,169 daß die Vernunft das beste von allem ist, was in uns ist. Also ist sie vornehmer als der Wille. Dagegen spricht: 1. Ein vollkommeneres Vermögen hat einen vollkommeneren Habitus. Der Habitus aber, der den Willen vervollkommnet, nämlich die Liebe, ist vornehmer als der Glaube und das Wissen, durch welche die Vernunft vervollkommnet wird; das ist zu ersehen aus Paulus’ 1. Brief an die Korinther (13, 2). Also ist der Wille vornehmer als die Vernunft. 2. Das, was für sich selbst frei ist, ist vornehmer, als was unfrei ist. Die Vernunft aber ist nicht für sich frei, denn sie kann gezwungen werden. Der Wille andererseits ist frei, denn er kann nicht gezwungen werden. Also ist der Wille vornehmer als die Vernunft.
167 Aristoteles, Eth. Nic. III, 4; 1111 b 8–10. 168 Gregor der Große, Moralia in Iob VI, 37, 61 (PL 75, col. 764 D; CCSL
143, 331), vgl. auch Homiliae in Hiezechihelem I, Hom. 3, 9 (PL 76, col. 809 B; CCSL 142, 37), zitiert von Thomas in Sum. theol. II–II, q. 182 a. 2. 169 Aristoteles, Eth. Nic. X, 7 f.; 1177 a 21 f., b 27–31, 1178 a 2–10.
11. Artikel
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3. Die Ordnung der Vermögen entspricht der Ordnung ihrer Gegenstände. Das Gute aber, das der Gegenstand des Willens ist, ist vornehmer als das Wahre, das der Gegenstand der Vernunft ist. Also ist der Wille vornehmer als die Vernunft. 4. Nach Dionysius, im 5. Kapitel Von den göttlichen Namen,170 ist die Teilhabe am Göttlichen um so vornehmer, je allgemeiner sie ist. Der Wille aber ist allgemeiner als die Vernunft, weil, wie gesagt, einiges am Willen teilhat, das nicht an der Vernunft teilhat. Also ist der Wille vornehmer als die Vernunft. 5. Je näher etwas an Gott ist, desto vornehmer ist es. Der Wille nähert sich Gott aber mehr, als die Vernunft, weil »die Liebe dort Zutritt findet, wo die Erkenntnis draußen bleibt«, wie Hugo von St. Viktor über das siebte Kapitel der Himmlischen Hierarchie 171 sagt. Wir lieben Gott also mehr, als wir ihn kennen können; also ist der Wille vornehmer als die Vernunft. Antwort: Etwas kann als einem anderen gegenüber als ausgezeichneter bezeichnet werden entweder schlechthin oder in gewisser Hinsicht. Um aber zu zeigen, daß etwas gegenüber einem anderen schlechthin besser ist, muß man beide hinsichtlich ihrer wesentlichen Eigenschaften vergleichen, nicht hinsichtlich ihrer zufälligen. Mit letzteren würde man nur zeigen, daß etwas einem anderen bloß in gewisser Hinsicht überlegen ist. Zum Beispiel ist der Mensch, verglichen mit dem Löwen in seiner wesentlichen Verschiedenheit, schlechthin vornehmer, insofern nämlich der Mensch ein vernünftiges Lebewesen ist, der Löwe aber nicht. Der Löwe jedoch ist dem Menschen überlegen, wenn man sie in ihrer Körperkraft vergleicht; das aber ist ein Überlegensein bloß in gewisser Hinsicht. Um also zu bedenken, welches dieser beiden Vermögen, Wille oder Vernunft, das höhere ist, das muß gemäß den wesentlichen Unterschieden bedacht werden. 170 Dionysius Areopagita, De div. nom. V, 3 (PG 3, col. 817 f.; Dion. I,
327). 171 Hugo von St. Viktor, Expositio in De cael. hier. VII, 6 (PL 175, col. 1038 D).
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Die Vollkommenheit und die Würde der Vernunft aber besteht darin, daß das Erkenntnisbild der gedachten Sache in der Vernunft selbst vorhanden ist, insofern sie durch es aktuell denkt. Darin besteht ihre ganze Würde. Die Würde des Willens aber und seines Aktes besteht darin, daß die Seele auf eine vornehme Sache hingeordnet ist, gemäß dem Sein, das diese Sache in sich selbst hat. Es ist jedoch vollkommener, schlechthin und absolut gesprochen, die Vornehmheit einer andere Sache in sich zu haben, als sich zu einer Sache zu verhalten, die außerhalb seiner liegt. Darum haben der Wille und die Vernunft, wenn sie in sich selbst betrachtet werden, und nicht im Hinblick auf diese oder jene Sache, die Ordnung, daß der Intellekt schlechthin ausgezeichneter ist als der Wille. Es trifft sich aber, daß es ausgezeichneter ist, auf eine Weise im Verhältnis zu einer vornehmen Sache zu stehen, als diese Vornehmheit in sich selbst zu haben. Das ist dann der Fall, wenn die Vornehmheit jener Sache auf eine viel niedrigere Weise gehabt wird, als diese Sache in sich selbst hat. Wenn aber die Vornehmheit einer Sache auf eine gleich vornehme oder vornehmere Weise in einer anderen ist, als sie in der Sache hat, der sie angehört, dann ist zweifellos dasjenige vornehmer, was die Vornehmheit der anderen Sache in sich hat, als das, was irgendwie auf die vornehme Sache hingeordnet ist. Die Formen der Dinge aber, die höher sind als die Seele, nimmt die Vernunft in einer niedrigeren Weise wahr, als sie in der Sache selbst haben. Etwas wird nämlich in der Vernunft nach ihrer eigenen Weise aufgenommen, wie im Buch Von den Ursachen172 gesagt wird. Aus demselben Grund sind die Formen der Dinge, die niedriger sind als die Seele, wie die körperlichen Dinge, vornehmer in der Seele, als in den Dingen selbst. So kann man also die Vernunft dem Willen auf dreifache Weise vergleichen: zum einem schlechthin und im allgemeinen, nicht im Hinblick auf diese oder jene Sache; und auf diese Weise ist die Vernunft ausgezeichneter als der Wille, so wie es vollkommener ist, die Würdigkeit einer Sache in sich zu haben, als sich zu seiner Vornehmheit zu verhalten. Zweitens im Hinblick auf die materiellen 172 Liber de causis, prop. 9; n. 93; u. 7; n. 73 ff. (ed. Bardenhewer, 173 u. 170; ed. Schönfeld, 24 u. 18); vgl. auch De ver. q. 4 a. 6.
11. Artikel
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Sinnendinge; und hier ist die Vernunft wiederum schlechthin vornehmer als der Wille, so wie das Denken des Steines gegenüber dem Wollen des Steines. Denn die Form des Steines ist auf vornehmere Weise in der Vernunft, insofern sie von der Vernunft gedacht wird, als sie in sich selbst ist, in welcher Hinsicht sie vom Willen begehrt wird. Drittens im Verhältnis zu den göttlichen Dingen, die höher sind als die Seele; und so ist das Wollen ausgezeichneter als das Denken, so wie das Wollen oder Lieben Gottes gegenüber dem Erkennen Gottes. Die göttliche Gutheit ist ja vollkommener in Gott selbst – so wie sie vom Willen begehrt wird – als sie in unserer Teilhabe ist – so wie sie von der Vernunft erkannt wird.173 Zu 1. Augustinus nimmt hier den Verstand und die Vernunft als den ganzen vernünftigen Teil, der in sich sowohl die vernünftige Auffassung als auch das willentlich Streben einbegreift. Dementsprechend wird der Wille nicht von der Ebenbildlichkeit ausgeschlossen. Zu 2. Petrus Lombardus schreibt die Ebenbildlichkeit dem Verstand zu weil, er früher ist, die Ähnlichkeit aber, weil im Verhältnis zu Gott die Erkenntnis von der Liebe erfüllt wird – so wie auch das Bild durch Farben und dergleichen vervollkommnet und geschmückt wird, wodurch es seinem Original ähnlich wird. Zu 3. Dieser Einwand geht von den Dingen aus, denengegenüber die Seele vornehmer ist. Mit derselben Begründung kann man aber den Vorrang des Willes im Verhältnis zu Dingen, die höher sind als die Seele, beweisen. Zu 4. Der Wille hat nicht den Gegenstand mit den Sinnen gemeinsam, außer sofern er sich auf Sinnendinge richtet, welche niedriger sind als die Seele. Sofern er sich aber auf verstehbare und göttliche Dinge richtet, ist er sogar weiter von den Sinnen entfernt, als die Vernunft, weil nämlich die Vernunft weniger von den göttlichen Dingen erfassen kann, als der Affekt erstrebt und begehrt.
173 An diesem Punkt bricht das Originalmanuskript (beginnend mit q. 2) mit dem Diktat des Hl. Thomas ab. Vgl. die Editio Leonina, Bd. XXII, 83*.
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Zu 5. Die Vernunft regiert den Willen nicht so, daß sie ihn auf das neigte, wohin er strebt, sondern indem sie ihm zeigt, woraufhin er streben soll. Wenn also die Vernunft weniger fähig ist, etwas Vornehmes zu zeigen, als die Neigung des Willens, auf ihn auszugehen, dann ist der Wille mächtiger als die Vernunft. Zu 6. Der Wille geht nicht direkt aus der Verstandesfähigkeit hervor, sondern vom Wesen der Seele, die Verstandesfähigkeit jedoch vorausgesetzt. Daraus also läßt sich keine Rangordnung der Würde ableiten, sondern nur eine Ordnung des Hervorganges, wodurch die Vernunft der Natur der Sache nach dem Willen vorausgeht. Zu 7. Die Vernunft abstrahiert nicht von der Materie, außer wenn sie sinnliche und materielle Dinge denkt. Wenn sie aber Dinge denkt, die sie übersteigen, dann abstrahiert sie nicht, sondern sie nimmt sie vielmehr auf weniger einfache Weise auf, als sie in sich selbst sind. Damit bleibt der Akt des Willens, der auf die Dinge geht, wie sie in sich selbst sind, der einfachere und höhere. Zu 8. Diese Sprüche, durch welche die Vernunft dem Glanz, das Streben aber der Hitze verglichen wird, sind bloß metaphorisch zu verstehen. Und aus solchen Sprüchen darf man, wie Petrus Lombardus im 3. Buch der Sentenzen sagt,174 keine Argumente ableiten. Ebenso sagt Dionysius im Brief an Titus,175 daß die symbolische Theologie nicht argumentiert. Zu 9. So wie das Denken allein dem Menschen zukommt, so auch das Wollen, obwohl das Streben auch anderem zukommt, als dem Menschen. Zu 10. Obwohl die Seele sich früher durch die Vernunft zu Gott verhält, als durch das Streben, so errreicht ihn doch, wie gesagt, das Streben vollkommener als die Vernunft. Zu 11. Der Wille ist von der Beschauung nicht ausgeschlossen. So sagt Gregor in den Homilien über Ezechiel,176 daß das beschauliche Leben in der Liebe zu Gott und Nächstem besteht. Daher impliziert 174 Petrus Lombardus, Sent. III, d. 11 c. 2 (ed. coll. S. Bon. II, 600). 175 Dionysius Areopagita, Epistola ad Titum 1 (PG 3, col. 1105 f., Dion.,
I, 637). 176 Gregor der Große, Homiliae in Hiezechihelem II, Hom. 2, 8 (PL 76, col. 953 A; CCSL 142, 230).
11. Artikel
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der Vorrang des beschaulichen Lebens gegenüber dem aktiven kein Vorurteil gegen den Willen. Zu 12. Aristoteles spricht von der Vernunft im Sinne des ganzen vernünftigen Teiles, der auch den Willen in sich einschließt. – Man kann aber auch sagen, daß er die Vernunft und die anderen Seelenvermöge schlechthin betrachtet, nicht aber in ihrem Verhältnis zu diesem oder jenem Gegenstand. Erwiderungen auf die Einwände Zu 1. Die Liebe ist der Habitus, der den Willen im Hinblick auf Gott vervollkommnet. Und in dieser Ordnung ist der Wille vornehmer als die Vernunft. Zu 2. Die Freiheit des Willens beweist nicht, daß dieser schlechthin vornehmer ist, sondern nur vornehmer hinsichtlich des Bewegens, wie im folgenden besser klar werden wird.177 Zu 3. Da das Wahre auch ein gewisses Gut ist, nämlich das Gut der Vernunft, wie aus Aristoteles im 6. Buch der Nikomachischen Ethik178 hervorgeht, darf man nicht sagen, daß das Gute vornehmer ist als das Wahre. So darf man auch nicht sagen, daß das Tier vornehmer ist als der Mensch, denn der Mensch schließt in sich die Vornehmheit des Tieres ein und fügt noch etwas hinzu. Wir sprechen nämlich hier vom Wahren und Guten insofern sie Gegenstände des Willens und der Vernunft sind. Zu 4. Das Wollen wird nicht in mehr Dingen angetroffen als das Denken, sondern nur das Streben. Man muß auch wissen, daß in diesem Gegeneinwand die Autorität des Dionysius nicht gemäß seiner Absicht angeführt wird, und zwar aus zweierlei Gründen: erstens, weil Dionysius von Fällen spricht, wenn das eine im Wesen des anderen eingeschlossen ist, so wie das Sein im Leben und das Leben im Denken; deshalb sagt er, daß das eine einfacher ist als das andere. Zweitens, weil, obwohl die einfachere Teilhabe vornehmer ist, sie gleichwohl weniger vornehm ist, wenn sie in dem Modus aufgenommen wird, der den Dingen zukommt, denen die hinzugefügten Teilhaben fehlen. Zum Beispiel wenn das Sein, das vornehmer 177 De ver. q. 22 a. 12. 178 Aristoteles, Eth. Nic. VI, 2; 1139 a 26–30.
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ist als das Leben, nach der Weise des Unbelebten aufgenommen wird, dann wird diese Seinsweise weniger vornehm sein, als die der lebenden Dinge, welches das Leben ist. Darum muß es also nicht so sein, daß immer das, was in vielem ist, vornehmer ist, sonst müßte man auch sagen, daß die Sinne vornehmer sind als die Vernunft, und die Ernährung vornehmer als die Sinne. Zu 5. Dieser Gegeneinwand geht vom Willen in Bezug auf Gott aus, und so ist zugegeben, daß er vornehmer ist.
12. Artik el Die zwölfte Frage lautet: Bewegt der Wille die Vernunft und die anderen Kräfte der Seele?179 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Der Natur der Sache nach ist das Bewegende früher als das Bewegte. Der Wille aber ist später als die Vernunft. Es wird nämlich nichts geliebt oder begehrt, wenn es nicht erkannt wird, wie Augustinus im Buch Von der Dreifaltigkeit sagt.180 Also bewegt der Wille nicht die Vernunft. 2. Wenn der Wille die Vernunft zu ihrer Tätigkeit bewegt, dann folgt, daß die Vernunft versteht, weil der Wille will, daß sie versteht. Der Wille will aber nichts, außer es ist verstanden; also versteht die Vernunft ihr Verstehen, bevor der Wille es will. Aber bevor die Vernunft das versteht, muß man annehmen, daß der Wille dies will, weil ja gesetzt war, daß die Vernunft vom Willen bewegt wird. Damit also geht es so weiter fort bis ins Unendliche – was unmöglich ist. Also bewegt der Wille nicht die Vernunft. 3. Jedes passive Vermögen wird von seinem Gegenstand bewegt. Der Wille aber ist ein passives Vermögen; das Streben ist nämlich ein bewegtes Bewegendes, wie es im 3. Buch Von der Seele heißt.181 Also wird es von seinem Gegenstand bewegt. Sein Gegenstand aber 179 Paralleltexte: ScG III, c. 26; Sum. theol. I, q. 82, a. 4; I–II, q. 9, a. 1 und 3; De malo 6. 180 Gemäß De ver. q. 10 a. 6 arg 4 meint er: Augustinus, De trin. X, 1, 1–3 (PL 42, col. 971 f.; CCSL 50, 311–315). 181 Aristoteles, De an. III, 10; 433 b 16 f.
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ist das verstandene oder aufgefaßte Gut, wie es im 3. Buch Von der Seele heißt.182 Also bewegt die Vernunft oder ein anderes auffassendes Vermögen den Willen, und nicht umgekehrt. 4. Daß ein Vermögen ein anderes bewegt, sagt man nur wegen der Befehlsgewalt, die ein Vermögen über das andere hat. Befehlen gehört jedoch zum Verstand, wie es im 1. Buch der Nikomachischen Ethik heißt.183 Also gehört es ihm zu, die anderen Vermögen zu bewegen, und nicht zum Willen. 5. Nach Augustinus, im 12. Buch Über die buchstäbliche Bedeutung des Buches Genesis,184 ist das Bewegende und Handelnde vornehmer als das Bewegte und Gemachte. Wie gesagt,185 ist die Vernunft aber zumindest gegenüber den Sinnen vornehmer als der Wille. Also wird er wenigstens nicht im Hinblick auf diese vom Willen bewegt. Dagegen spricht: 1. Anselm sagt im Buch Von den Ähnlichkeiten,186 daß der Wille alle anderen Seelenvermögen bewegt. 2. Nach Augustinus, im 8. Buch Über die buchstäbliche Bedeutung des Buches Genesis,187 geht jede Bewegung aus einem Unbewegten hervor. Unter den Seelenvermögen ist aber allein der Wille unbewegt, insofern er von niemandem gezwungen werden kann. Also werden alle anderen Vermögen vom Willen bewegt. 3. Nach Aristoteles in 2. Buch der Metaphysik188 geschieht jede Bewegung um eines Zieles willen. Das Gute und das Ziel ist aber der Gegenstand des Willens; also bewegt der Wille alle anderen Vermögen. Aristoteles, De an. III, 10; 433 b 11 f. Aristoteles, Eth. Nic. I, 13; 1102 b 30–1103 a 3. Augustinus, De Gen. ad litt. XII, 16 (PL 34, col. 467; CSEL 28/I, 401 f.). De ver. q. 22, a. 11. Pseudo-Anselm von Canterbury / Pseudo-Eadmer, Liber de Anselmi similitudinibus, cap. 2 (PL 159, col. 605 C; ed. Southern / Schmitt, 39). 187 Augustinus, De Gen. ad litt. VIII, c. 21 (PL 34, col. 388 f.; CSEL, 28/I, 260 f.); vgl. auch Albertus Magnus, Sent. I, d. 8, a. 17 (ed. Borgnet XXV, 247 a). 188 Aristoteles, Met. II, 4; 994 b 9–16; vgl. auch Met. IX, 8; 1050 a 7–10. 182 183 184 185 186
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4. Nach Augustinus189 macht im Geistigen die Liebe das, was im Köperlichen das Gewicht tut. Das Gewicht aber bewegt die Körper; also bewegt die Liebe des Willens die geistigen Seelenvermögen. Antwort: Auf eine gewisse Weise bewegt die Vernunft den Willen, und auf andere Weise bewegt der Wille die Vernunft und die anderen Vermögen. Dazu muß man wissen, daß sowohl das Ziel, als auch die Wirkursache bewegen, aber auf unterschiedliche Weise. In jeder Handlung ist nämlich zweierlei zu betrachten, nämlich das Handelnde und der Grund der Handlung. Zum Beispiel ist in der Erwärmung das Feuer das Handelnde und die Hitze der Grund des Handlung. Ebenso sagt man beim Bewegen, daß das Ziel bewege, nämlich als der Grund der Bewegung. Die Wirkursache aber ist wie das, was die Bewegung aktiviert, d. h. was das Bewegliche von der Potenz in den Akt überführt. Der Grund der Handlung aber ist die Form des Handelnden, durch welche es handelt. Darum muß sie im Handelnden sein, um zu handeln. Sie ist aber im Handelnden nicht dem vollkommenen Sein der Wirklichkeit nach, denn wenn es dieses besitzt, hört die Bewegung auf. Vielmehr ist sie im Handelnden dem Sein der Intention nach. Das Ziel ist nämlich früher der Intention nach, aber später in der Wirklichkeit. Darum präexistiert das Ziel im Bewegenden eigentümlicherweise gemäß der Vernunft, der es zukommt, etwas nach der Weise des intentionalen Seins, nicht aber des wirklichen Seins aufzunehmen. Daher bewegt die Vernunft den Willen nach derjenigen Weise, in der man von einem Ziel sagt, daß es bewegt, nämlich insofern es den Vernunftgrund des Zieles vorherbegreift und ihn dem Willen vorschlägt. In der Weise der Wirkursache zu bewegen aber ist Sache des Willens, nicht der Vernunft. Der Wille verhält sich nämlich zu der Sache so wie sie in der Wirklichkeit ist, die Vernunft aber verhält sich zu den Dingen, wie sie auf geistige Weise in der Seele sind. Das Wirken und Bewegen jedoch kommt den Dingen zu, sofern sie in sich selbst 189 Vgl. Augustinus, De civ. Dei XI, 28 (PL 41, col. 342; CSEL 40/I, 556 f.; CCSL 48, 348); Conf. XIII, 9 (PL 32, col. 848 f.); Epist. 55, c. 10 [Ad Inquisitiones Januarii II, 10] (PL 33, col. 212); Epist. 157, c. 2 (PL 33, col. 677).
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nach ihrem eigenen Sein existieren, und nicht insofern sie in der Seele nach der Weise der Intention sind. Die Wärme wärmt nämlich nicht in der Seele, sondern im Feuer. Und so hat der Wille ein Verhältnis zu den Dingen insofern sie bewegen; für das Verhältnis der Vernunft ist das nicht so. Ferner ist der Willensakt ein gewisse Neigung zu etwas, nicht aber der Akt der Vernunft. Eine Neigung nun ist die Veranlagung des Bewegenden gemäß welcher eine Wirkursache bewegt. Von daher ist klar, daß der Wille nach der Weise der Wirkursache bewegt, nicht aber die Vernunft. Weil aber die höheren Seelenvermögen immateriell sind, kommt es ihnen zu, daß sie auf sich selbst reflektieren können. Daher reflektieren sowohl der Wille als auch die Vernunft jeweils auf sich selbst, und eines auf das andere, und auf das Wesen der Seele und auf alle anderen Vermögen. Die Vernunft nämlich versteht sich selbst und den Willen, das Wesen der Seele und alle anderen Vermögen. Auf ähnliche Weise will der Wille, daß er will, daß die Vernunft versteht, daß die Seele existiert und entsprechend hinsichtlich der anderen Dinge. Wenn sich aber ein Vermögen auf ein anderes bezieht, verhält es sich zu ihm gemäß dessen eigener Eigenschaft. Wenn zum Beispiel die Vernunft versteht, daß der Wille will, dann nimmt er in sich selbst das Wesen des Wollens auf. Von daher bezieht sich auch seinerseits der Wille, wenn er sich zu den anderen Seelenvermögen verhält, auf diese als auf Dinge, denen jeweils Bewegung und Handlungsweise zukommen, und er neigt jedes auf seine eigene Handlungsweise hin. So bewegt der Wille als Wirkursache nicht nur äußere Dinge, sondern auch die Seelenvermögen selbst. Zu 1: Da die Reflektion einer Kreisbewegung ähnlich ist, in welchem das Letzte der Bewegung das ist, was zuerst der Anfang war, muß man hinsichtlich der Reflektion sagen, daß das, was zuerst früher war, nachher später ist. Obwohl die Vernunft schlechthin früher ist, als der Wille, wird sie daher gleichwohl durch die Reflektion zu etwas späterem gegenüber dem Willen. Und so kann der Wille die Vernunft bewegen. Zu 2. Es geht nicht weiter ins Unendliche; dies kommt nämlich zum Stehen im natürlichen Streben, durch welches die Vernunft auf ihre Tätigkeit hin geneigt ist.
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Zu 3. Dieser Einwand zeigt, daß der Wille nach der Weise des Zieles bewegt. Auf diese Weise verhält sich nämlich das aufgefaßte Gut aum Willen. Zu 4. Befehlen gehört sowohl zum Willen wie zum Verstand, aber in verschiedener Hinsicht: es gehört zum Willen, insofern Befehlen eine gewisse Hinneigung impliziert; es gehört aber zum Verstand, insofern diese Hinneigung verteilt und hingeordnet wird als durch dieses oder jenes auszuführen. Zu 5. Jedes Vermögen übertrifft ein anderes in dem, was ihm eigentümlich ist. Zum Beispiel ist der Tastsinn vollkommener gegenüber der Wärme, die er als solche spürt, als der Gesichtssinn, der diese nur zufälligerweise erfaßt. Ähnlich ist die Vernunft vollständiger hinsichtlich des Wahren als der Wille, und umgekehrt ist der Wille vollkommener als die Vernunft hinsichtlich des Guten, das in den Dingen ist. Obwohl die Vernunft also schlechthin vollkommener ist als der Wille (zumindest im Hinblick auf einige Dinge), zeigt sich der Wille daher jedoch vornehmer gemäß dem Wesen des Bewegenden, das dem Willen nach dem Wesen seines eigentümlichen Gegenstandes zukommt.
13. Artik el Die dreizehnte Frage lautet: Ist die Intention ein Akt des Willens?190 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Zu Lukas 11, 34 – »Das Licht Deines Leibes ist Dein Auge« – sagt die Glosse: »das heißt: die Intention.«191 Das Auge in der Seele ist aber der Verstand oder die Vernunft. Also gehört die Intention zum Verstand oder der Vernunft, und nicht zum Willen. 2. Angenommen es wird gesagt, daß sie dem Willen zugehört, insofern er auf den Verstand hingeordnet ist, und nur insofern sei sie dem Auge zuzuordnen: dagegen ist zu sagen, daß der Akt des höheren und früheren Vermögens nicht vom Akt des späteren ab190 Paralleltexte: Sent. II, d. 38, q. 1, a. 3, Sum. theol. I–II, q. 12 a. 1. 191 Anselm von Laon, Glossa interlinearis zu Lk 11, 34 (Basel 1498; V,
fol 155v).
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hängt. Der Wille aber ist früher als der Verstand im Tätigsein, denn der Wille bewegt, wie gesagt,192 die Vernunft; also hängt der Willensakt nicht vom Verstand ab. Wenn also die Intention ein Willensakt wäre, könnte sie auf überhaupt keine Weise dem Verstand zugehören. 3. Angenommen es wird gesagt: Der Willensakt hängt vom Verstand insofern ab, als das Wollen die Kenntnis des Gewollten voraussetzt; und so ist die Intention, obwohl sie ein Willensakt ist, dennoch in gewisser Weise ein Akt des Verstandes. – Dagegen spricht, daß es keinen Willensakt gibt, der die Erkenntnis nicht voraussetzte; also dürfte man demnach überhaupt keinen Akt schlechthin dem Willen zuschreiben, weder das Wollen noch das Lieben, sondern immer nur dem Willen und dem Verstand zugleich. Das aber ist falsch, und demnach auch das zuvor angenommene, nämlich daß die Intention ein Akt des Willens ist. 4. Das Wort »Intention« selbst impliziert eine Beziehung zum Ziel. Etwas aufs Ziel zu beziehen gehört aber dem Verstand an. Also gehört die Intention zum Verstand, und nicht zum Willen. 5. Angenommen es wird gesagt: in der Intention gibt es nicht nur die Beziehung aufs Ziel, sondern auch den Willensakt, der auf das Ziel hinführt, und beides sei mit dem Wort »Intention« bezeichnet. – Dagegen spricht, daß jener Akt der Beziehung aufs Ziel zugrundeliegt, wie das Materiale dem Formalen. Etwas wird aber mehr vom Formalen als vom Materialen her bezeichnet. Die Intention wird als mehr von dem her bezeichnet, was zum Verstand als zum Willen gehört. Darum muß sie mehr als ein Akt des Verstandes als des Willens genommen werden. 6. So wie der erste Beweger seine ganze Natur lenkt, so lenkt auch der Verstand den Willen. Die Intention in Naturdingen aber wird mehr dem ersten Beweger zugeschrieben, als den Naturdingen selbst. Von den Naturdingen selbst wird nämlich nur gesagt, daß sie etwas intendieren, insofern sie vom ersten Beweger gelenkt werden. Also muß man unter den Seelenvermögen die Intention mehr dem Verstand als dem Willen zurechnen.
192 De ver. q. 22, a. 12c.
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7. Eine Intention im eigentlichen Sinne kann es nur in einem Erkennenden geben. Der Wille aber erkennt nicht. Also gehört die Intention nicht dem Willen an. 8. Das, was in keiner Weise eins ist, kann nicht einen Akt haben. Wille und Verstand sind aber auf keinerlei Weise eins, da sie sogar zu verschiedenen Gattungen von Vermögen gehören. Der Wille nämlich fällt unter die strebenden Vermögen, der Verstand aber unter die verstehenden. Also können der Verstand und der Wille nicht einen Akt haben. Wenn also die Intention auf irgendeine Weise ein Akt des Verstandes ist, dann wird er kein Akt des Willens sein. 9. Nach Aristoteles, im 3. Buch der Nikomachischen Ethik,193 hat der Willen nur mit dem Ziel zu tun. In einer Ordnung gibt es aber nur ein Ziel. Also verhält sich der Wille gemäß seinem Akt nur zu einem. Wo aber nur eines ist, dort gibt es keine Ordnung. Wenn also die Intention eine Ordnung impliziert, scheint es, daß sie auf keine Weise zum Willen gehört. 10. Die Intention scheint nichts anderes zu sein, als die Lenkung des Willens ins Letztziel. Das Lenken des Willens kommt aber dem Verstand zu. Also gehört die Intention zum Verstand. 11. So wie bei der Perversität der Sünde der Irrtum im Verstand, die Verachtung im Zornmut und die Unordnung im begehrlichen Willens liegt, so auch gegenteilig bei der Reform der Seele der Glaube im Verstand, die Hoffnung im Zornmut und die Liebe im begehrlichen Teil. Der Glaube ist aber nach Augustinus das, was »die Intention lenkt«.194 Also gehört die Intention zum Verstand. 12. Nach Aristoteles, im 3. Buch der Nikomachischen Ethik,195 hat es der Wille mit dem Möglichen und Unmöglichen zu tun, die Intention aber nur mit dem Möglichen. Also gehört die Intention nicht zum Willen. 13. Was nicht in der Seele ist, ist auch nicht im Willen. Die Intention ist aber nicht in der Seele, denn sie ist kein Vermögen – als solches wäre sie nämlich natürlich und ohne Verdienst. Sie ist auch kein Habitus, denn als solcher wäre sie auch im Schlafenden. Sie ist 193 Aristoteles, Eth. Nic. III, 4; 1111 b 27 u. III, 5; 1113 a 15. 194 Augustinus, Enarr. in Ps. 31, s. II, 4 (PL 36, col. 259; CCSL 38, 227). 195 Aristoteles, Eth. Nic. III, 4; 1111 b 20–23.
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auch keine Leidenschaft; als solche wäre sie nämlich im sensitiven Teil der Seele, gemäß Aristoteles im 7. Buch der Physik.196 Diese drei sind aber das einzige in der Seele, wie es im 2. Buch der Nikomachischen Ethik heißt.197 Also ist die Intention nicht im Willen. 14. Das Ordnen gehört zum Verstand, weil es Sache des Weisen ist, wie es im 1. Buch der Metaphysik198 heißt. Die Intention ist aber eine Art Ordnen auf das Ziel hin. Also gehört sie zum Verstand. 15. Die Intention gehört zu einem, das vom Ziel entfernt ist. Die Präposition »in« impliziert nämlich eine Distanz.199 Der Verstand ist aber weiter entfernt vom Ziel, als der Wille, weil der Verstand das Ziel zeigt, der Wille aber dem Ziel anhängt als seinem eigentümlichen Gegenstand. Also gehört das Intendieren mehr zum Verstand als zum Willen. 16. Jeder Akt des Willens gehört zu ihm entweder schlechthin, oder durch ein Verhältnis zu höheren oder niedrigeren Vermögen. Das Intendieren ist aber kein Akt des Willens schlechthin, denn so wäre er dasselbe wie Wollen und Lieben. Es ist aber auch kein Akt in Hinordnung auf ein höheres Vermögen, d. h. den Verstand; so wäre sein Akt nämlich eine Wahl. Es ist auch kein Akt in Hinordnung auf ein niedrigeres Vermögen, denn so wäre sein Akt ein Befehlen. Also ist das Intendieren in keiner Weise ein Akt des Willens. Dagegen spricht: 1. Die Intention hat es nur mit dem Ziel zu tun. Das Ziel und das Gute ist aber der Gegenstand des Willens. Also gehört die Intention zum Willen. 2. Intendieren ist in gewisser Weise: verfolgen. Verfolgung und Flucht gehören aber zum Willen, nicht zum Verstand (sondern nur die Deklaration, etwas zu verfolgen oder zu fliehen). 3. Alles Verdienst besteht im Willen. Die Intention ist aber verdienstlich, und von ihrer Seite insbesondere wird Verdienst und Schuld betrachtet. Also gehört die Intention zum Willen. 196 197 198 199
Aristoteles, Phys. VII, 3; 245 b 4 f., 247 a 3–7, 248 a 6–9. Aristoteles, Eth. Nic. II, 4; 1105 b 19–21. Aristoteles, Met. I, 2; 982 a 17–19. Vgl. Huguccio, Liber derivationum, unter »in«.
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4. Ambrosius sagt: »Der Affekt gibt deinem Werk den Namen.«200 Der Akt aber wird als gut oder böse beurteilt gemäß der Intention. Also scheint die Intention im Affekt enthalten zu sein, und dementsprechend dem Willen und nicht dem Verstand anzugehören. Antwort: Die Intention ist ein Willensakt. Das ist klar ersichtlich aus ihrem Gegenstand. Das Vermögen und der Akt müssen nämlich im Gegenstand übereinkommen, da das Vermögen nur durch den Akt auf seinen Gegenstand hingeordnet ist: das Sehvermögen und das Sehen müssen denselben Gegenstand haben, nämlich die Farbe. Da also der Gegenstand desjenigen Aktes, der die Intention ist, das Gute ist, welches das Ziel ist, welches auch der Gegenstand des Willens ist, muß die Intention ein Willensakt sein. Es ist aber kein Willensakt schlechthin, sondern in der Hinordnung auf den Verstand. Dazu muß man wissen, daß wann immer zwei Tätige in einer Ordnung stehen, das zweite Tätige sich auf zweifache Weise bewegen oder tätig sein kann: erstens in der Weise, die seiner eigenen Natur zukommt, zweitens in der Weise, die der Natur des höheren Tätigen zukommt. Der Einfluß des höheren Tätigen bleibt nämlich im niedrigeren, und von daher ist das niedrigere Tätige nicht nur durch seine eigene Tätigkeit tätig, sondern vermöge der Tätigkeit des höheren Tätigen. So bewegt sich der Sonnenball nach seiner eigenen Bewegung, die in der Zeitspanne eines Jahres vollendet ist, und gemäß der Bewegung des ersten Bewegenden, die eine tägliche Bewegung ist.201 Ähnlich bewegt sich Wasser durch seine eigene Bewegung zum Mittelpunkt, und hat zugleich eine Bewegung aufgrund des Einflusses des Mondes, der es bewegt, wie sich in Flut und Ebbe des Meeres zeigt. Die gemischten Körper haben einige Tätigkeiten, die ihnen eigentümlich sind, die aus der Natur der vier Elemente 200 Ambrosius, De officiis ministrorum I, c. 30 (PL 16, col. 71 B), bei Petrus Lombardus, Sent. II, d. 4 c. unic. (ed. coll. S. Bon. I, 348–351). 201 Vgl. Aristoteles, Met. XII, 6; 1072 a 9–17 u. XII, 4; 1071 a 15, wie zitiert bei Thomas in Sum. theol. I, q. 104, a. 2; vgl. auch Aristoteles, De gen. et corr. II, c. 10; 336 a 15 ff.
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folgen, wie das Streben nach unten, das Erwärmen oder Abkühlen; und sie haben andere Tätigkeiten, die aus dem Einfluß der Himmelskörper stammen, so wie der Magnet Eisen anzieht. Und obwohl jede Tätigkeit des niedrigeren Tätigen nur unter der Voraussetzung der Tätigkeit des höheren stattfindet, wird ihm doch jede Tätigkeit, die ihm seiner Natur nach zukommt, schlechthin zugeschrieben – so wie dem Wasser das Fließen nach unten. Diejenige Tätigkeit aber, die ihm aus dem Einfluß des höheren Tätigen zukommt, wird ihm nicht schlechthin zugeschrieben, sondern in Hinordnung auf ein anderes, wie Flut und Ebbe eine eigentümliche Bewegung des Meeres genannt wird, nicht insofern es Wasser ist, sondern insofern es vom Mond bewegt wird. Der Verstand und der Wille sind nun zwei tätige Vermögen, die aufeinander hingeordnet sind. Schlechthin betrachtet ist der Verstand an erster Stelle, obwohl durch die Reflexion der Wille an erste und höhere Stelle gebracht wird, insofern er nämlich den Verstand bewegt. Daher kann der Wille einen zweifachen Akt haben: einen, der ihm seiner Natur nach zukommt, insofern er schlechthin das ihm eigentümliche Objekt erstrebt; und dieser Akt wird dem Willen schlechthin zugeschrieben, wie das Wollen und das Lieben, obwohl auch dieser Akt einen Akt des Verstandes voraussetzt. Er hat aber auch noch einen anderen Akt, der ihm gemäß dem Einfluß zukommt, den der Verstand im Willen hinterläßt. Da es dem Verstand eigentümlich ist, zu ordnen und zu beziehen, wird, wann immer im Willensakt eine Ordnung oder Beziehung auftritt, ein solcher Akt nicht dem Willen schlechthin zugehören, sondern vermöge der Hinordnung auf den Verstand. Und in diesem Sinn ist die Intention ein Akt des Willens, da intendieren nichts anderes zu sein scheint, als daß jemand von daher, daß er will, auf etwas anderes als auf ein Ziel hin tendiert. Und so ist Intendieren dadurch vom Wollen verschieden, daß das Wollen absolut aufs Ziel hin tendiert, Intendieren aber eine Hinordnung auf das Ziel besagt, insofern es ein Ziel ist, auf welches die Mittel hingeordnet sind. Da nämlich der Wille sich auf seinen Gegenstand als einen vom Verstand vorgestellten hin bewegt, wird er sich verschieden bewegen, je nach der Weise, in der er ihm vorgestellt wird. Wenn also der Verstand etwas als schlechthin Gutes vorstellt, wird sich der Wille schlechthin auf es hinbewegen;
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und das ist das Wollen. Wenn er sich aber etwas vorstellt unter dem Aspekt eines Guten, auf welches anderes als auf ein Ziel hin geordnet wird, dann tendiert es dahin mit einer gewissen Ordnung, die im Willen nicht nach seiner eigenen Natur, sondern nach den Erfordernissen des Verstandes zu finden ist. Und so ist das Intendieren ein Akt des Willens in Hinordnung auf den Verstand. Zu 1. Die Intention wird mit dem Auge insoweit verglichen, als das Eigentümliche des Verstandes sich in der Intention findet. Zu 2. Sowohl der Verstand bewegt in gewisser Weise den Willen, als auch der Wille in gewisser Weise den Verstand, wie aus Gesagtem202 klar ist. Und so sind beide gegenüber dem anderen in verschiedener Hinsicht früher, und jedem kann ein Akt in Hinordnung auf den anderen zugeschrieben werden. Zu 3. Obwohl jeder Willensakt eine Verstandeserkenntnis voraussetzt, erscheint dennoch, wie gesagt, nicht immer das dem Verstand Eigentümliche im Willensakt. Daher ist der Einwand nicht schlüssig. Zu 4. Die aktive Beziehung auf ein Ziel ist Sache des Verstandes; ihm nämlich gehört das Beziehen aufs Ziel an. Die passive Beziehung aufs Ziel aber kann allem zukommen, das vom Verstand auf ein Ziel hin gelenkt und bezogen ist; und so kann es auch dem Willen angehören. Auf diese Weise gehört die Beziehung aufs Ziel zur Intention. Zu 5. Und damit erledigt sich auch der 5. Einwand. Zu 6. Im ersten Beweger findet sich nicht nur Erkennen, sondern auch Wille. Und darum kann man ihm im eigentlichen Sinne Intentionen zuschreiben. Aber zum Verstand gehört nur die Erkenntnis. Darum ist dieser Fall nicht ähnlich. Zu 7. Intendieren findet sich auch bei dem, was nicht erkennt, denn auch Naturdinge intendieren ein Ziel, obwohl Intention eine Erkenntnis voraussetzt. Wenn wir jedoch von der Intention eines Lebewesens reden, dann ist sie nicht ohne Erkenntnis und Wollen. Es ist aber nicht nötig, daß das Intendieren und Wollen Akte desselben Vemögens sind, wie das Erkennen, sondern nur desselben 202 De ver. q. 22 a. 12.
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Subjektes. Im eigentlichen Sinne wird nämlich nicht gesagt, daß ein Vermögen erkennt oder intendiert, sondern ein Subjekt durch das Vermögen. Zu 8. Verstand und Wille sind eines der Ordnung nach, so wie auch das Universum eines genannt wird. Und so hindert nichts, daß ein Akt beiden zukommt, dem einen unmittelbar, dem anderen mittelbar. Zu 9. Obwohl der Wille hauptsächlich mit dem Ziel zu tun hat, weil die Mittel nur um des Zieles willen begehrt werden, geht es dem Willen nichtsdestoweniger auch um die Mittel. Wenn Aristoteles nämlich im 3. Buch der Nikomachischen Ethik203 sagt, daß es »dem Willen ums Ziel geht, der Wahl aber um die Mittel«, dann sagt er es nicht deshalb, weil es dem Willen immer ums Ziel geht, sondern manchmal und hauptsächlich. Daraus, daß es der Wahl nie ums Ziel geht, zeigt sich, daß wählen und wollen verschieden sind. Zu 10. Die aktive Lenkung ins Ziel gehört zum Verstand, aber die passive kann zum Willen gehören; und so gehört sie zur Intention. Zu 11. Der Glaube lenkt die Intention wie die Vernunft den Willen. So wie daher der Glaube zur Vernunft gehört, so gehört die Intention zum Willen. Zu 12. Der Wille hat es nicht immer mit dem Unmöglichen zu tun, sondern nur manchmal. Und das reicht nach Aristoteles, um den Unterschied zwischen dem Willen und der Wahl (bei der es immer nur um Mögliches geht) zu zeigen, daß nämlich das Wählen nicht gänzlich dasselbe ist wie das Wollen. Auf ähnliche Weise ist das Intendieren nicht gänzlich dasselbe wie das Wollen; das schließt aber nicht aus, daß es ein Akt des Willens ist. Zu 13. Die Intention ist ein gewisser Akt der Seele. In jener dreigliedrigen Unterteilung des Aristoteles sind die Akte der Seele jedoch nicht enthalten, weil die Akte nicht zur Seele gehören als in der Seele befindlich, sondern eher als aus der Seele hervorgehend. Man könnte aber auch sagen, daß die Akte unter dem Habitus erfaßt sind, sowie das Hervorgehende in seinem Ursprung enthalten ist.
203 Aristoteles, Eth. Nic. III, 4; 1111 b 26 f., nach R. Grossetestes Übersetzung, ed. R. A. Gauthier (Leiden: Brill, 1997), 183.
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Zu 14. Das Ordnen gehört zum Verstand, aber das Geordnetwerden kann dem Willen zukommen. Und auf diese Weise impliziert die Intention ein Ordnen. Zu 15. Dieser Einwand wäre gültig, wenn nichts anderes zur Intention erforderlich wäre als allein eine Distanz. Es braucht aber zusammen mit einer Distanz auch eine Hinneigung. Diese Hinneigung aber gehört zum Willen, und nicht zum Verstand. Daher folgt der Einwand nicht. Zu 16. Die Intention ist ein Willensakt in Zusammenordnung mit dem Verstand, welcher die Mittel auf das Ziel hin ordnet. Die Wahl aber ist ein Willensakt in Zusammenordnung mit dem Verstand, der die Mittel untereinander vergleicht. Darum sind die Intention und die Wahl verschieden.
14. Artik el Die vierzehnte Frage lautet: Ist es in derselben Bewegung, daß der Wille das Ziel will und die Mittel intendiert?204 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Es ist nämlich unmöglich, daß derselbe Akt gut und böse zugleich ist. Es geschieht aber, daß ein schlechter Wille mit einer guten Intention zusammenbesteht, zum Beispiel wenn jemand stehlen will, um Almosen zu geben. Also ist nicht derselbe Akt eine Intention und ein Wollen.205 2. Nach Aristoteles, im 10. Buch der Nikomachischen Ethik,206 sind die Bewegungen, die im Mittleren und im Äußersten enden, der Art nach verschieden. Das Mittel und das Ziel verhalten sich aber in gewisser Weise wie das Mittlere und das Äußerste. Also ist das Intendieren des Zieles und das Wollen des Mittels zum Ziel der Art nach verschieden; und so sind sie nicht ein Akt. 204 Paralleltexte: Sent. II. d. 38 a. 4; Sum. theol. I–II, q. 8 a. 3 u. q. 12 a. 4. 205 Während bei Thomas im allgemeinen die Intention den Bezug der
Mittel zum Ziel bezeichnet, der Wille sich aber auf das Ziel bezieht, ist die Terminologie im folgenden schwankend. Vgl. auch das Ende des corpus articuli und den vorhergehenden Artikel. 206 Aristoteles, Eth. Nic. X, 3; 1174 a 19 ff., 26–29, b 4–6.
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3. Nach Aristoteles, im 6. und 7. Buch der Nikomachischen Ethik,207 sind die Ziele in den praktischen Disziplinen wie die Prinzipien in den beweisenden Wissenschaften. Der Akt der Vernunft aber, durch den die Prinzipien verstanden werden, und derjenige, durch den die Schlußfolgerungen betrachtet werden, ist nicht derselbe. Das ergibt sich offenkundig daraus, daß diese Akte aus verschiedenen Veranlagungen erweckt werden. Die Vernunft ist nämlich der Habitus der Prinzipien, die Wissenschaft aber derjenige der Schlußfolgerungen. Also ist auch im Praktischen der Willensakt, durch den wir das Ziel intendieren und der, durch welchen wir die Mittel wollen, nicht derselbe. 4. Die Akte werden durch ihre Gegenstände unterschieden.208 Das Ziel und die Mittel sind aber verschieden. Also ist es auch das Intendieren des Zieles und das Wollen des Mittels nicht derselbe Akt. Dagegen spricht: 1. Zwei Akte können nicht zugleich einem Vermögen angehören. Wenn aber der Wille das will, was zum Ziel führt, intendiert er zugleich das Ziel. Also sind die Intention des Zieles und der Wille zum Mittel nicht verschiedene Akte. 2. Wie das Licht der Grund der Sichtbarkeit der Farbe ist, so ist das Ziel der Grund der Erstrebbarkeit der Mittel. Das Sehvermögen aber sieht die Farbe und das Licht mit demselben Akt. Also will der Wille mit demselben Akt die Mittel und intendiert das Ziel. Antwort: Es gibt zu dieser Frage zwei Meinungen, wie Petrus Lombardus im 2. Buch der Sentenzen, in der 38. Distinktion,209 sagt. Einige210 207 Aristoteles, Eth. Nic. VI, 5; 1140 b 16–18; VI, 13; 1144 a 31 und VII, 9; 1151 a 16 f. 208 Vgl. Fußnote zu q. 22, a. 1 arg. 1. 209 Petrus Lombardus, Sent. II, d. 38, c. 4 (ed. coll. S. Bon. I, 513–514). 210 Bonaventura, Sent. II, d. 38, 2, 2c (Opera omnia, II, 893 ab); Johannes von La Rochelle, Tractatus de divisione multiplici potentiarum animae (in: Odon Lottin, Psychologie et morale au XIIe et XIIIe siècles, Louvain: Abbaye de Mont César, 7 Bde., 1942–60, Bd. I, 401 f.; auch: ed. P. MichaudQuantin, Textes philosophiques du moyen âge, Bd. 11, Paris 1964 (um
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nämlich haben gesagt, daß der Wille des Mittels zum Ziel ein anderer Akt ist als die Intention des Zieles. Andere211 aber sagen, daß es im Gegenteil nur ein Akt sei, und daß die Unterscheidung nur eine gemäß der Verschiedenheit der Dinge sei. Beide Auffassungen aber sind aber in gewisser Hinsicht wahr. Dazu muß man wissen, daß die Einheit des Aktes aus der Einheit des Gegenstandes zu denken ist. Wenn es nun zwei Dinge gibt, die auf irgendeine Weise eins sind, dann ist der Akt, der auf diese ausgeht, insofern sie eins sind, einer. Der Akt aber, der auf diese ausgeht, insofern sie zwei sind, ist zwei. Zum Beispiel sind die Teile der Linie in gewisser Weise zwei, and in anderer Weise eins, sofern sie nämlich im Ganzen geeint sind. Wenn der Akt des Sehens auf zwei Teile der Linie ausgeht, sofern sie zwei sind, d. h. auf jedes als solches, gemäß dem, was ihm eigentümlich ist, dann ist er darum zwei Sehakte, und beide können nicht zugleich gesehen werden. Wenn er jedoch auf die ganze Linie geht, die beide Teile enthält, dann wird es sich um eine einzige Sicht handeln und die ganze Linie wird zugleich gesehen werden. Alle Dinge aber, die aufeinander hingeordnet sind, sind viele, insofern sie für sich betrachtete Dinge sind; sie sind aber eines in der Ordnung durch welche sie aufeinander hingeordnet sind. Der Akt der Seele daher, der sich auf sie als aufeinander hingeordnet bezieht, ist einer; der Akt der Seele aber, der sich auf sie bezieht als für sich seiend, ist vielfach. Das ist offenkundig in der Betrachtung einer Statue des Merkur: wenn jemand sie als eine Art Sache betrachtet, wird deren Betrachtung von der des Merkur, dessen Bildnis die Statue ist, verschieden sein. Wenn die Statue aber als Bildnis des Merkur betrachtet wird, wird sich dieselbe Weise der Betrachtung auf die Statue und Merkur richten. Dies ist ähnlich, wenn sich die Bewegung des Willens auf das Ziel und das Mittel zum Ziel bezieht: wenn es sich auf beide als unabhängig existierende Dinge bezieht, dann wird es sich um eine verschiedene Bewegung des Willens handeln; und so ist diejenige Auffassung richtig, die sagt, daß 1237); vgl. aber auch Augustinus, De trin. XI, 6, 10 (PL 42, col. 992; CCSL 50, 345 f.). 211 Summa fratris Alexandri I, n. 51 (Quaracchi I, 71ab); Albertus Magnus, De bono tr. I, q. 4, a. 6 ad 10 und a. 8 (ed. Col. XXVIII, 61b, 65b).
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das Intendieren des Zieles und das Wollen des Mittels zum Ziel verschiedene Akte sind. Wenn sich aber der Wille auf eines bezieht insofern es eine Beziehung zum anderen hat, dann handelt es sich um einen Willensakt, der sich auf beides richtet; und so ist die andere Auffassung richtig, die annimmt, daß das Intendieren des Zieles und das Wollen des Mittels zum Ziel ein einziger Akt ist. Wenn man aber das Wesen der Intention richtig betrachtet, findet man, daß diese Auffassung wahrer ist, als die andere. Die Bewegung des Willens ausschließlich zum Ziel wird nämlich nicht Intention genannt, sondern Wille schlechthin. Intention aber wird diejenige Neigung des Willens zum Ziel genannt, gemäß welcher die Mittel zum Ziel im Ziel enden. Wer nämlich die Gesundheit will, von dem wird gesagt, daß er sie schlechthin will. Man sagt aber nur, daß er sie intendiert, wenn er etwas wegen der Gesundheit will. Und darum ist zuzugeben, daß die Intention nicht numerisch verschieden ist vom Willenakt. Zu 1. Obwohl ein Akt nicht gut und böse zugleich sein kann, kann doch ein böser Akt gute Umstände haben. Zum Beispiel ist es ein lasterhafter Akt, wenn jemand mehr ißt als er sollte, auch wenn er zum richtigen Zeitpunkt ißt. So ist auch der Willensakt, durch den jemand stehlen will, damit er einen Armen ernähren kann, ein schlechthin böser Akt, aber einer, der einen guten Umstand hat; das Worumwillen wird nämlich unter die Umstände gerechnet.212 Zu 2. Die Aussage des Aristoteles ist für den Fall zu verstehen, daß die Bewegung im Mittleren zum Stehen kommt. Wenn sie nämlich durch das Mittlere hindurch zum Ende geht, dann ist die Bewegung der Zahl nach eine. Und ebenso ist es auch eine Bewegung, wenn der Wille sich auf die Mittel zum Ziel mit Hinordnung auf das Ziel hin bewegt. Zu 3. Wenn die Schlußfolgerung und das Prinzip jedes für sich betrachtet werden, sind dies zwei verschiedene Betrachtungen. Wenn aber das Prinzip in Hinordnung auf die Schlußfolgerungen 212 Vgl. Cicero, De inventione I, c. 26, wie zitiert in Sum. theol. I–II, q. 7, a. 3. Vgl. auch Albertus Magnus, Super Ethica III, lect. 2 (ed. Col. XIV, 150).
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betrachtet wird, ist dies eine einzige Betrachtung beider, so wie es beim Schlußfolgern geschieht. Zu 4. Das Ziel und das Mittel sind ein Gegenstand, insofern eins als auf das andere hingeordnet betrachtet wird.
15. Artik el Die fünfzehnte Frage lautet: Ist die Wahl ein Akt des Willens?213 Dies scheint nicht der Fall zu sein; vielmehr ist sie ein Akt des Verstandes, denn: 1. Unwissenheit gehört zum Verstand und nicht zum Willen. Die Verdorbenheit der Wahl ist aber ein Form von Unwissenheit. Daher wird auch (im 3. Buch der Nikomachischen Ethik)214 gesagt, daß jeder Böse ein Unwissender aufgrund der Unwissenheit der Wahl ist. Also ist die Wahl im Verstand. 2. Wie die Untersuchung und das Argumentieren zum Verstand gehört, so auch die Schlußfolgerung. Die Wahl ist aber gleichsam eine Art Schlußfolgerung aus der Beratschlagung, wie aus dem 3. und 7. Buch der Nikomachischen Ethik215 hervorgeht. Da aber die Beratschlagung eine Sache des Verstandes ist, ist es auch die Wahl. 3. Nach Aristoteles, im 8. Buch der Nikomachischen Ethik,216 besteht das Prinzip bei den moralischen Tugenden in der Wahl. Wie er aber selbst im 6. Buch der Nikomachischen Ethik sagt,217 ist das, was unter den moralischen Tugenden der Umsicht zukommt, das Prinzipielle, welches formal das Wesen der Tugend abschließt. Also gehört 213 Paralleltexte: Sent. II, d. 24, q. 1, a. 2; Sum. theol. I, q. 83, a. 3; Sum. theol. I–II, q. 13, a. 1, In Ethic. III lect. 6 (nn. 452 und 456) und 9 (nn. 484 und 486); ibid. VI, lect. 2 (nn. 1129 und 1133–41). 214 Aristoteles, Eth. Nic. III, 2; 1110 b 28–30. 215 Aristoteles, Eth. Nic. III, 5; 1112 b 20; III, 5; 1113 a 3–5; VII, 5; 1147 a 1–4, 24–31. 216 Aristoteles, Eth. Nic. VIII, 15; 1163 a 22 f.; vgl. auch III, 4; 1111 b 5–7, 1112 a 2–7. 217 Aristoteles, Eth. Nic. VI, 13; 1144 a 7–9, 17–23, b 1 ff., 17, 21–28, 1145 a 3–6; 11 (1144 b 1 ff.
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die Wahl zur Umsicht. Die Umsicht aber gehört zum Verstand, und demnach auch die Wahl. 4. Die Wahl impliziert eine Art Unterscheidung. Das Unterscheiden aber kommt dem Verstand zu, und demnach auch die Wahl. Dagegen spricht: 1. Wählen ist, daß man unter zwei Vorschlägen das eine gegenüber dem anderen vorzieht, wie Damascenus sagt.218 Das Vorziehen aber ist ein ein Akt des Willens und nicht des Verstandes, also auch das Wählen. 2. Aristoteles sagt im 3. Buch der Nikomachischen Ethik,219 daß die Wahl ein Begehren des Vorherüberlegten ist. Das Begehren aber gehört zum Willen und nicht zum Verstand, also auch die Wahl. Antwort: Die Wahl hat in sich etwas vom Willen und etwas vom Verstand. Ob es aber ein Akt ist, der dem Willen oder der Vernunft eigentümlich ist, scheint Aristoteles im 6. Buch der Nikomachischen Ethik220 im Ungewissen zu lassen. Dort sagt er, die Wahl sei ein Streben des Vernünftigen, d. h. ein Streben in Hinordnung auf die Vernunft, oder ein Verstehen des Strebevermögens, d. h. eine Vernunft in Hinordnung auf das Streben. Ersteres aber ist wahrer, nämlich daß es ein Willensakt in Hinordnung auf die Vernunft ist. Daß es nämlich unmittelbar ein Willensakt ist, zeigt sich in zweierlei: erstens aufgrund des Gegenstandes, weil der eigentümliche Gegenstand das Mittel ist, welches zum Wesen des Guten gehört, das der Gegenstand des Willens ist. Gut wird nämlich sowohl das Ziel genannt (als ehrenhaft und erfreulich), als auch das Mittel (als nützlich).221 Zweitens aufgrund des Aktes selbst: die Wahl ist nämlich die letzte Annahme, in der etwas als zu verfolgen angenommen 218 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 22 (PG 94, col. 945 B; ed. Buytaert, 137). 219 Aristoteles, Eth. Nic. III, 4; 1112 a 15 und III, 5; 1113 a 9–11. 220 Aristoteles, Eth. Nic. VI, 2; 1139 b 4–6. 221 Ambrosius, De officiis I, c. 9 (PL 16, col. 35), wie zitiert in Sum. theol. I, q. 5, a. 6.
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wird. Das aber gehört nicht zum Verstand, sondern zum Willen. Wenn nämlich der Verstand eins dem anderen vorzieht, ist eins gegenüber dem anderen solange noch nicht vorweg zum Handeln angenommen, bis der Wille sich auf eines eher als auf das andere hinneigt. Der Wille folgt nämlich nicht mit Notwendigkeit dem Verstand. Die Wahl ist aber kein Akt des Willens schlechthin, sondern in Hinordnung auf den Verstand, da in der Wahl das auftritt, was eine Eigentümlichkeit des Verstandes ist, nämlich das Beziehen des einen auf das andere, oder das Vorziehen. Das aber findet sich im Willensakt durch den Einfluß des Verstandes, insofern nämlich der Verstand dem Willen etwas vorschlägt, und zwar nicht als nützlich schlechthin, sondern als nützlich zum Ziel. So ist es also offenkundig, daß der Willensakt ein Wollen, ein Wählen und ein Intendieren ist: ein Wollen, insofern der Verstand dem Willen etwas als ein Gut schlechthin vorstellt, sei es um seiner selbst willen (als Ziel) zu wählen, oder um eines anderen willen (als Mittel); beides nennen wir nämlich ein Wollen. Ein Wählen aber ist der Willensakt, insofern der Verstand ihm etwas als gut vorstellig macht, das nützlicher zum Ziel ist. Ein Intendieren schließlich ist es, insofern der Verstand ihm ein Gut vorschlägt, das als Ziel durch ein Mittel zu verfolgen ist. Zu 1. Die Unwissenheit der Wahl wird ihm zugeschrieben im Hinblick auf das, was ihm vom Verstand zukommt. Zu 2. Die praktische Untersuchung hat eine zweifache Schlußfolgerung: eine, die im Verstand ist, nämlich der Satz, der das Urteil über das Beratschlagte ist; und eine andere, die im Willen ist. Von letzterer Art ist die Wahl; sie wird eine Schlußfolgerung genannt aufgrund einer gewissen Ähnlichkeit, denn so wie man im Theoretischen letztlich in der Schlußfolgerung zu Stehen kommt, so kommt man auch im Praktischen letztlich in der Handlung zum Stehen. Zu 3. Die Wahl wird das Prinzipielle unter den moralischen Tugenden sowohl um dessentwillen genannt, was es von seiten des Verstandes hat, also auch um dessentwillen, was es von seiten des Willens hat. Beide nämlich sind nötig für das Wesen einer moralischen Tugend. Auch wird die Wahl prinzipiell genannt in Hinblick
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auf die äußeren Akte; deshalb muß die Wahl nicht vollständig ein Akt der Umsicht sein, sondern sie hat teil sowohl an etwas von der Umsicht, wie auch an etwas des Verstandes. Zu 4. Die Unterscheidung wird in der Wahl angetroffen, insofern sie zum Verstand gehört, dessen Eigenschaften, wie gesagt, der Wille in Wählen folgt.222
222 De ver. q. 22 a. 13c.
XXIII. VOM WILLEN GOTTES
Die hier behandelten Fragen lauten: 1. Kommt es Gott zu, einen Willen zu haben? 2. Ist der göttliche Wille in einen vorhergehenden und einen nachfolgenden zu unterscheiden? 3. Wird der Wille Gottes angemessen unterteilt in einen Willen des Wohlgefallens und einen Willen des Anzeichens? 4. Will Gott notwendigerweise das will, was er will? 5. Verursacht der göttliche Wille in den gewollten Dingen eine Notwendigkeit? 6. Hängt die Gerechtigkeit in den geschaffenen Dingen vom einfachen Willen Gottes ab? 7. Sind wir dazu angehalten, unseren Willen mit dem göttlichen Willen in Übereinstimmung zu bringen? 8. Sind wir dazu angehalten, unseren Willen mit dem göttlichen Willen im Gewollten in Übereinstimmung zu bringen, dergestalt nämlich, daß wir gehalten sind, das zu wollen, von dem wir wissen, daß Gott es will?
1. Artik el Die erste Frage lautet: Kommt es Gott zu, einen Willen zu haben?1 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Allem nämlich, das einen Willen hat, kommt es zu, gemäß einer Wahl des Willens zu handeln. Gott aber handelt nicht gemäß 1 Paralleltexte: Sent. I, d. 45, q. 1, a. 1; ScG I, 72 f. und IV, c. 19; Sum. theol. I, q. 19, a. 1; Comp. theol. I, 32–34. Lit.: Welp, Dorothée: Willensfreiheit bei Thomas von Aquin (Fribourg: Universitätsverlag, 1979), 100–121. Sowohl im Sentenzenkommentar als auch in der Sum. theol. wird der Wille eher aus dem Vorhandensein der Erkenntnis abgeleitet (entweder weil der Intellekt etwas als gut und angemessen versteht, oder weil die Tätigkeit des Intellektes selbst erfreulich ist (vgl ScG I, 72 n. 5).
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einer Wahl des Willens. So wie nämlich Pseudo-Dionysius in 4. Kapitel Von den göttlichen Namen sagt:2 »Wie unsere – d. h. sichtbare – Sonne, nicht schlußfolgernd oder wählend, sondern durch ihr eigenes Sein alles erleuchtet,« so auch die göttliche Gutheit. Also kommt es Gott nicht zu, einen Willen zu haben. 2. Aus einer zufälligen Ursache können keinen notwendigen Wirkungen hervorgehen. Der Wille ist aber eine zufällige Ursache, da er sich zu Alternativen verhält;3 also kann er nicht die Ursache von Notwendigem sein. Gott aber ist die Ursache aller Dinge, der zufälligen, wie der notwendigen. Also handelt er nicht durch den Willen; und so folgt was zuvor gesagt wurde. 3. Demjenigen, was keine Ursache hat, kommt nichts zu, was eine Beziehung zu einer Ursache impliziert. Gott aber, der die erste Ursache aller Dinge ist, hat keine Ursache. Da aber der Wille ein Verhältnis zur Zweckursache impliziert (dem Willen ist es ja um das Ziel zu tun, wie Aristoteles im 3. Buch der Nikomachischen Ethik sagt4), scheint Gott kein Wille zuzukommen. 4. Nach Aristoteles, im 3. Buch der Nikomachischen Ethik,5 verdient das Freiwillige Lob oder Tadel, das Unfreiwillige jedoch Vergebung und Barmherzigkeit. Also kommt demjenigen das Wesen des Willens nicht zu, dem das Wesen der Lobwürdigkeit nicht zukommt. Gott aber kommt das Wesen der Lobwürdigkeit nicht zu, weil – nach dem 1. Buch der Nikomachischen Ethik6 – »das Lob nicht den Besten zukommt«, sondern denen, die auf das Beste hingeordnet sind; den Besten hingegen kommt die Ehre zu. Also kommt es Gott nicht zu, einen Willen zu haben. 2 Dionysius Areopagita, De div. nom. VII, 1 und IV, 4 (PG 3, col. 693 B und 689 f.; nach der Übersetzung von Johannes Sarracenus: Dion. I, 146; 383). 3 Vgl. Aristoteles, Periherm. cap. 9; 18 b 8, nach der Übersetzung von Boethius, ed. Minio-Paluello, Ludovico, and Dod, B. G. (eds.), Aristoteles Latinus, 1–7 (Brügge und Paris: Desclée De Brouwer 1961–66), hier II 1–2 (1965), 14. 4 Aristoteles, Eth. Nic. III, 4; 1111 b 26 f.; und III, 6; 1113 a 15. 5 Aristoteles, Eth. Nic. III, 1 und 2; 1109 b 31, 1110 a 20–26, 31, b 30– 1111 a 2. 6 Aristoteles, Eth. Nic. I, 12; 1101 b 22.
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5. Gegensätze haben es mit demselben zu tun.7 Dem Freiwilligen aber wird ein doppeltes Unfreiwilliges gegenübergestellt, wie es im 3. Buch der Nikomachischen Ethik heißt,8 nämlich das Unfreiwillige durch Gewalt, und das Unfreiwillige durch Unwissenheit. Gott aber kommt weder die Unfreiwilligkeit durch Gewalt zu (weil es in Gott keinen Zwang gibt) noch das Unfreiwillige durch Unwissenheit (weil er alles weiß); also kommt Gott auch das Freiwillige nicht zu. 6. Im Buch Von den Regeln des Glaubens9 wird gesagt, daß der Wille ein doppelter ist, nämlich einer des Affektes, im Hinblick auf innere Akte, und einer des Effektes, hinsichtlich der äußeren. Dort heißt es: »Der Wille des Affektes macht etwas verdienstlich, der Wille des Effektes aber vervollkommnet den Verdienst.« Gott jedoch kommt es nicht zu, Verdienst zu erwerben, also auch nicht, in irgendeiner Weise einen Willen zu haben. 7. Gott ist ein unbewegter Beweger, weil er nach Boethius »unbewegt bleibend allem das Bewegtwerden mitteilt.«10 Der Wille aber ist ein bewegter Beweger, wie es im 3. Buch Von der Seele heißt.11 Daher zeigt Aristoteles auch im 11. Buch der Metaphysik,12 daß Gott »wie das Begehrte und Erkannte bewegt,« eben daraus, daß er ein unbewegter Beweger ist. Also kommt es Gott nicht zu, einen Willen zu haben. 8. Der Wille ist eine Art Streben. Er fällt nämlich unter den strebenden Teil der Seele. Das Streben aber ist eine Unvollkommenheit, weil es ihm nach Augustinus13 um das geht, was es nicht hat. Da es
7 Aristoteles, Top. II, 4; 111 a 14. 8 Aristoteles, Eth. Nic. III, 1; 1109 b 35–1110 a 1. 9 Alain de Lille, Regulae de sacra theologia 79 (PL 210, col. 661 f.). Vgl.
auch Simon von Tournai, Disputationes 51, 3, ed. Joseph Warichez (Louvain: »Spicilegium Sacrum Lovaniense«, 1932), 150. 10 Boethius, Philos. consol. III metr. 9 (PL 63, col. 758 A; CCSL 94, 51): »Ire jubes stabilisque manens das cuncta moveri.« 11 Aristoteles, De an. III, 10; 433 b 12, 16 f. 12 Aristoteles, Met. XI (XII), c. 7; 1072 a 23–b 4. 13 Nach De ver. q. 22 a. 1 ist gemeint: Augustinus, De trin. IX, 12, 18 (PL 42, col. 971; CCSL 50, 309 f.); vgl. aber auch Augustinus, Enarr. in Ps. 118, s. I, 20 (PL 37, 1522; CCSL 40, 1488).
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nun in Gott keine Unvollkommenheit gibt, scheint es, daß es ihm nicht zukommt, einen Willen zu haben. 9. Was sich auf Gegensätzliches richtet, scheint Gott nicht zuzukommen, denn von dieser Art ist das, was entsteht und vergeht, wovon Gott weit entfernt ist. Der Wille verhält sich aber zu Gegensätzlichem, weil er unter die vernünftigen Vermögen fällt, die sich nach Aristoteles14 zu Gegensätzlichem verhalten. Also kommt der Wille Gott nicht zu. 10. Augustinus sagt im 13. Buch Von der Stadt Gottes,15 daß Gott nicht unterschiedlich davon affiziert wird, daß die Dinge sind, als daß sie nicht sind. Sondern wenn die Dinge nicht existieren, dann will Gott nicht, daß sie sind – sie wären nämlich, wenn er wollte, daß sie sind. Selbst wenn sie sind, will Gott also nicht, daß sie sind.16 11. Gott kommt es nicht zu, vervollkommnet zu werden, sondern zu vervollkommnen. Dem Willen aber kommt es zu, vom Guten vervollkommnet zu werden, so wie die Vernunft vom Wahren. Also kommt Gott kein Wille zu. Dagegen spricht: 1. Im Psalm heißt es: »Alles was Gott will, hat er gemacht.«17 Von daher hat er anscheinend einen Willen, und durch seinen Willen sind alle Dinge geschaffen. 2. Die Seligkeit findet sich am meisten in Gott. Zur Seligkeit braucht es aber einen Willen, weil nach Augustinus18 derjenige selig ist, der hat, was er will, und der nichts Böses will. Also kommt der Wille Gott zu. 3. Wo immer die vollkommeneren Bedingungen des Willens anzutreffen sind, dort ist ein vollkommenerer Wille. In Gott aber fin14 Vgl. Aristoteles, Met. IX, 2; 1046 b 4–6 und De an. III, 9; 432 b 5. 15 Tatsächlich: Augustinus, De civ. Dei XI, 21 (PL 41, col. 334; CSEL
40/I, 541 f.; CCSL 48, 340) oder XII, 17 (PL 41, col. 366; CCSL 48, 373). 16 Er müßte sonst nämlich anscheinend seinen Willen ändern – was in Gott nicht möglich ist, und damit auch kein Wille. 17 Psalm 113, 11; vgl. Petrus Lombardus, Sent. I, d. 45, c. 5 (ed. coll. S. Bon. I, 309). 18 Nach Sum. theol. I–II, q. 5, a. 8 arg. 3: Augustinus, De trin. XIII, 5, 8 (PL 42, col. 1020; CCSL 50 A, 392).
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den sich die Bedingungen des Willens aufs Vollkommenste. Es ist nämlich in ihm kein Abstand des Willens von seinem Subjekt, da sein Wesen sein Wille ist.19 Es ist in ihm auch kein Abstand des Willens von seinem Akt, weil auch sein Akt mit seinem Wesen identisch ist. Ebenso ist in ihm kein Abstand des Willens von seinem Ziel oder seinem Gegenstand, weil sein Wille seine Güte ist. In Gott findet sich daher der Wille aufs Vollkommenste. 4. Der Wille ist die Wurzel der Freiheit. Die Freiheit kommt aber insbesondere Gott zu: frei ist nämlich der, welcher Ursache seiner selbst ist, nach Aristoteles am Anfang der Metaphysik;20 das aber ist am meisten für Gott wahr. Also gibt es in Gott einen Willen. Antwort: Der Wille findet sich im eigentlichsten Sinne in Gott. Dazu muß man wissen, daß die Erkenntnis und der Wille in der geistigen Substanz wurzeln, aufgrund ihrer verschiedenen Verhältnisse zum Gegenstand. Ein Verhältnis der geistigen Substanz ist nämlich dasjenige, gemäß welchem die Dinge auf gewisse Weise bei der geistigen Substanz sind. Dies aber nicht nach ihrem eigenen Sein, wie die Alten annahmen,21 wenn sie sagten, daß wir die Erde mit Erde erkennen, das Wasser aber mit Wasser usw., sondern vielmehr ihrem Wesensgehalt nach: »es ist nämlich nicht der Stein in der Seele sondern die Spezies des Steines«, oder sein Wesensgehalt, wie Aristoteles im 3. Buch Von der Seele sagt.22 Und weil der abgetrennte Wesensgehalt einer Sache, ohne Konkretion, nur in einer immateriellen Substanz gefunden werden kann, darum wird die Erkenntnis nicht allen Dingen zugeschrieben, sondern nur den immateriellen. Nach dem Grad der Immaterialität gibt es dann auch Grade der Erkenntnis, sodaß diejenigen, die am im19 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. I, d. 45, c. 1 (ed. coll. S. Bon. I, 306). 20 Aristoteles, Met. I, 2; 982 b 25, wo causa sui im Sinne der Zweckur-
sache zu verstehen ist. 21 Die »naturales«, insbesondere Empedokles; vgl. Sum. theol. I, q. 84, a. 2 und Aristoteles De an. I, 2; 405 b 15 und 404 b 17. 22 Aristoteles, De an. III, 8; 431 b 29, nach alter Übersetzung, in: Petrus Hispanus (Johannes XXI?), Obras filosoficas II, Commentario al »De anima« de Aristoteles (ed. P. Manuel Alonso-Alonso, S. J.), 351, 13.
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materiellsten sind, am erkenntnisfähigsten sind. Weil ihr eigenes Wesen immateriell ist, verhält es sich zu den Dingen als das Erkenntnismedium, so wie Gott durch sein Wesen sich selbst und alles andere erkennt. Der Wille aber und alles andere Streben basiert auf einem Verhältnis, gemäß welchem die geistige Substanz auf die Dinge dergestalt bezogen ist, daß sie eine Hinordnung auf diese in ihrem äußeren Sein hat. Da aber jedem Ding, sei es materiell oder immateriell, die Hinordnung auf eine Sache zukommt, darum gehört es zu jedem Ding, ein Streben zu haben, sei es natürlich oder tierisch oder verstandesmäßig oder vernünftig; in verschiedenen Dingen aber findet sich dies auf verschiedene Weise. Da nämlich eine Sache auf etwas anderes hingeordnet ist durch etwas, was es in sich selbst hat, darum verhält es sich – entsprechend den verschiedenen Weisen, etwas in sich zu haben – verschiedenerweise zu etwas anderem. In den materiellen Dingen ist darum das, was in ihnen ist, gleichsam an die Materie gebunden und konkretisiert; sie haben kein freies Verhältnis zu anderen Dingen, sondern eines, das aus der Notwendigkeit der natürlichen Veranlagung folgt. Es sind also die materiellen Dinge nicht selbst für sich selbst die Ursache dieses Verhältnisses – gleichsam als ordneten sie sich selbst auf das hin, auf was sie hingeordnet sind –, sondern sie werden von anderswoher geordnet, nämlich von woher sie ihre natürliche Veranlagung empfangen. Und so kommt ihnen nur ein natürliches Streben zu. In den immateriellen und erkenntnisfähigen Substanzen aber befindet sich etwas als abgetrennt, nicht als konkret und gebunden an die Materie, und zwar gemäß dem Grad ihrer Immaterialität. Und aus ebendiesem Grunde verhalten sie sich zu den Dingen durch ein freies Verhältnis, von welchem sie selbst die Ursache sind, gleichsam sich selbst hinordnend auf das, auf was sie hingeordnet sind. Darum kommt es ihnen zu, etwas freiwillig und spontan zu tun oder zu erstreben. Wenn nämlich die Truhe, die der Künstler im Sinn hat,23 eine materielle Form mit einem festgelegtem Sein wäre, dann würde sie nur nach der festgelegten Weise, die sie hat, geneigt machen. Von daher bliebe ein Architekt nicht frei, ein Haus 23 Vgl. In Ioh. evang. tract. I, n. 17 (PL 35, col. 1387).
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zu bauen oder nicht zu bauen, oder es so oder anders zu bauen. Weil aber die Form des Hauses im Geist des Architekten der abgetrennte Wesensgehalt des Hauses ist, der sich nicht von sich aus mehr zum Sein als zum Nichtsein verhält, und nicht mehr zum So- als zum Anders-sein der zufälligen Verhältnisse des Hauses, bleibt die Neigung des Architekten frei, das Haus zu bauen oder nicht zu bauen. Weil nun in der sinnenbegabten Substanz die Formen der Dinge zwar ohne Materie aufgenommen werden, nicht aber – da sie von körperlichen Organen aufgenommen werden –, vollkommen immateriell und ohne materielle Bedingungen, darum ist die Neigung in ihnen nicht vollkommen frei, auch wenn es in ihnen eine gewisse Nachahmung und Ähnlichkeit der Freiheit gibt. Sie haben nämlich ihre Neigung aus sich selbst, durch das Streben nach etwas, insofern sie etwas aufgrund der Auffassung erstreben. Daß sie sich aber auf das, was sie erstreben, hinneigen oder nicht hinneigen, untersteht nicht ihrer Anlage. In der geistigen Natur jedoch, wo etwas vollkommen immateriell empfangen wird, findet sich der vollkommene Wesensgehalt der freien Neigung. Diese freie Neigung aber macht das Wesen des Willens aus. Darum wird den materiellen Dingen kein Wille zugeschrieben, sondern nur ein natürliches Streben. Der sinnlichen Seele wiederum wird kein Wille zugeschrieben, sondern ein tierisches Streben. Nur der geistigen Substanz schreiben wir einen Willen zu, und je immaterieller er ist, desto mehr kommt ihm der Wesensgehalt des Willens zu. Da Gott nun von äußerster Immaterialität ist, kommt ihm auf höchste und eigentlichste Weise der Wesensgehalt des Willens zu. Zu 1. Dionysius will mit diesen Worte nicht den Willen und die Wahl von Gott ausschließen, sondern die Universalität seines Einflusses auf die Dinge zeigen. Er teilt nämlich seine Güte den Dingen nicht so mit, daß er einige auswählt, welche er seiner Güte teilhaft macht, während er andere von seiner Güte völlig ausschließt, sondern »allen gibt er im Überfluß«, wie es im Jakobusbrief (1, 5) heißt, obschon man ihm ein Wählen insofern zuspricht, als er einigen Dingen mehr als anderen gibt, gemäß der Ordnung seiner Weisheit. Zu 2. Der Wille Gottes ist keine zufällige Ursache, da er das, was er will, unveränderlich will. Und aufgrund dieser seiner Unbeweg-
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lichkeit kann er Notwendiges verursachen, insbesondere da nichts Geschaffenes in sich selbst betrachtet notwendig ist, sondern: möglich in sich, und notwendig durch anderes. Zu 3. Dem Wille geht es um etwas auf zweifache Weise: hauptsächlich und in zweiter Linie. In der Hauptsache geht es dem Willen um das Ziel, welches der Grund für das Wollen aller anderen Dinge ist. In zweiter Linie jedoch geht es ihm um die Mittel, welche wir um des Zieles willen wollen. Zu dem in zweiter Linie Gewollten nun hat der Wille kein Verhältnis wie zu einer Ursache, sondern nur zum hauptsächlich Gewollten, welches das Ziel ist. Hierzu muß man aber wissen, daß der Wille und das Gewollte manchmal der Sache nach verschieden sind, und dann verhält sich das Gewollte zum Willen wie ein wirkliche Zweckursache. Wenn aber der Wille und das Gewollte nur gedanklich verschieden sind, dann wird das Gewollte eine Zweckursache des Willens nur der Redeweise nach sein. Der göttliche Wille nun verhält sich als zu seinem Ziel zu seiner eigenen Gutheit, welches der Sache nach mit seinem Willen identisch ist. Er wird davon nur der Ausdrucksweise nach unterschieden. Es bleibt daher nichts anderes übrig, als daß nichts ein wirkliche Ursache des göttlichen Willens ist, sondern nur der äußeren Redeweise nach. Es ist auch nicht unangemessen, etwas in Gott als Ursache zu bezeichnen; so wird ja die Gottheit in Gott so bezeichnet, daß sie sich zu Gott als Formalursache verhält. Die geschaffenen Dinge aber, die Gott will, verhalten sich zum göttlichen Willen nicht wie ein Ziel, sondern wie aufs Ziel hingeordnet. Gott will nämlich daß die Geschöpfe sind, damit in ihnen seine Güte offenbar wird, und damit seine Güte, die wesensmäßig nicht zu vervielfältigen ist, wenigstens durch die Teilhabe der Ähnlichkeit auf viele ausströmt. Zu 4. Wenn das Lob – wie von Aristoteles – im strikten Sinne aufgefaßt wird, dann ist das Lob dem Willen nicht gemäß jedem seiner Akte geschuldet, sondern nur sofern der Wille mit den Mitteln ins Verhältnis gesetzt wird. Bekanntlich findet sich nämlich der Willensakt nicht nur in den Werken der Tugend, die lobenswert sind, sondern auch in Akten des Glückes, welchen es um Ehrenhaftes geht. Das Glück ist nämlich offenkundig erfreulich. Gleichwohl wird auch Gott Lob zugesprochen, da uns die Schrift an vielen Stellen zum Lobpreis Gottes einlädt. Lob aber wird allgemeiner aufgefaßt, als
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Aristoteles annimmt.24 – Oder man kann sagen, daß das Lob auch im eigentlichen Sinn Gott zukommt, insofern er die Geschöpfe auf sich selbst als auf ihr Ziel hinordnet. Zu 5. [Es fehlt die Antwort zum 5. Einwand.]25 Zu 6. In Gott gibt es sowohl einen affektiven wie einen effektiven Willen, er will nämlich, daß er will, und er will, daß er das tut, was er tut. Es ist aber nicht nötig, daß, wo immer einer dieser Willen auftritt, auch ein Verdienst zu finden ist, sondern nur in der unvollkommenen Natur, die nach Vollkommenheit strebt. Zu 7. Wenn das Gewollte vom Willen verschieden ist, dann bewegt das Gewollte den Willen realiter. Wenn das Gewollte aber mit dem Willen identisch ist, dann bewegt es nur der Redeweise nach. Und es ist nach dieser Weise, daß – gemäß Averroes im 8. Buch der Physik26 – die Aussage Platons27 zu verstehen ist, welche besagt, daß das erste Bewegende sich selbst bewegt, insofern es sich nämlich selbst versteht und will. Es folgt jedoch nicht, daß er, weil er die Geschöpfe will, von den Geschöpfen bewegt wird, da er ja, wie gesagt,28 die Geschöpfe seiner eigenen Gutheit wegen will. Zu 8. Es ist vermöge derselben Natur, daß etwas nach dem strebt, was es noch nicht hat, und daß es im Ziel ruht, das es schon hat. Also kommt es demselben Vermögen zu, nach dem Guten zu streben, das es noch nicht hat, und es zu lieben und sich seiner zu erfreuen, nachdem er es erlangt hat. Beides gehört zum Strebevermögen, auch wenn es seine Bezeichnung eher von jenem Akt her erhält, durch welchen es nach dem strebt, was es nicht hat, weshalb auch gesagt wird, daß das Streben zum Unvollkommenen gehört. Der Wille aber verhält sich gleichgültig gegenüber dieser Alternative; daher kommt
24 Dieser Text ist unklar. Nach Sent. I, d. 45 q. 1 a. 1 sc 3 impliziert das, was erfreulich ist, einen Willen. Und da das Glück erfreulich ist, muß also auch den Willensakten, die darauf gerichtet sind, Lob zukommen. 25 In den Parallelstellen findet sich ein entsprechender Einwand nicht, also auch keine Antwort. 26 Averroes, Phys. VIII, comm. 40 (Venedig 1562, t. IV, 380 E–F). 27 Plato, Phaidros 245 CD, Timaios 30 AB und 34 BC, Nomoi X, 894 E und 895 AB; vgl. auch Aristoteles, Met. XII, 6; 1071 b 37–1072 a 3. 28 Oben, ad 3.
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der Wille seinem eigentlichen Wesensgehalt nach Gott zu; nicht so aber das Streben. Zu 9. Es kommt Gott nicht zu, sich zu Gegensätzlichem zu verhalten, sofern es um das geht, was in seinem eigenen Wesen liegt; er verhält sich aber zu Gegensätzlichem, sofern es sich um die Wirkungen in den Geschöpfen handelt, die er schaffen und nicht schaffen kann. Zu 10. Auch dann, wenn Gott keine Dinge macht, will er doch, daß Dinge existieren; er will bloß nicht, daß sie zu ebendem Zeitpunkt existieren. Darum geht der Einwand von einer falschen Voraussetzung aus. Zu 11. Gott kann nicht der Sache nach von etwas vervollkommnet werden; der Redeweise nach kann aber manchmal gesagt werden, daß er von etwas vervollkommnet wird – so wie wenn ich sage, daß Gott etwas versteht. So wie nämlich das Gewollte eine Vollkommenheit des Willens ist, so ist das Verstehbare eine Vollkommenheit der Vernunft. In Gott aber sind das erste Verstehbare und die Vernunft dasselbe, wie auch das erste Gewollte und der Wille.
2. Artik el Die zweite Frage lautet: Ist der göttliche Wille in einen vorhergehenden und einen nachfolgenden zu unterscheiden?29 Dies scheint nicht der Fall zu sein: 1. Ordnung setzt Unterscheidung voraus. Im göttlichen Willen gibt es aber keine Unterscheidung, weil er alles, was er will, mit einem einfachen Akt des Willens will. Also gibt es im göttlichen Willen keinen vorhergehenden und nachfolgenden, welche eine Ordnung implizieren würden. 2. Zwar kann jemand sagen, daß, auch wenn es im göttlichen Willen keine Unterscheidung von seiten des Wollenden gibt, es gleichwohl eine Unterscheidung von seiten der gewollten Dinge gibt. – Dagegen spricht aber, daß man eine Ordnung im Wollen29 Paralleltexte: Sent. I, d. 46, q. 1, a. 1 und 3; Sent. I, d. 47, q. 1, a. 2 und 3; Sum. theol. I, q. 19, a. 6 ad 1; Super I Timoth. c. 2, lect. 1.
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den von seiten des Gewollten nur auf zweifache Weise annehmen kann: entweder im Hinblick auf verschiedenes Gewolltes, oder im Hinblick auf ein einziges Gewolltes. Wenn hinsichtlich verschiedener Gewollter, dann wird der vorhergehende Wille von den ersten Geschöpfen ausgesagt, der nachfolgende Wille aber von den späteren Geschöpfen. Das aber ist falsch. Wenn hinsichtlich eines einzigen Gewollten, dann kann dies nur gemäß verschiedener Umstände sein, die bei diesem Gewollten in Betracht gezogen werden. Das aber kann nicht eine Unterscheidung oder Ordnung in den Willen setzen, denn der Wille bezieht sich auf die Sache, sofern sie in ihrem eigenen Sein existiert. Eine Sache in ihrem eigenen Sein aber schließt alle ihre Umstände ein. In keiner Weise darf man also im göttlichen Willen einen vorhergehenden und nachfolgenden annehmen. 3. So wie sich der Wille zu den Geschöpfen verhält, so auch das Wissen und die Macht. Wir machen aber wegen der Ordnung der Geschöpfe keine Unterscheidung von vorhergehend und nachfolgend im Wissen oder in der Macht Gottes. Also darf man auch den Willen nicht so unterscheiden. 4. Das, was keine Veränderung und kein Hindernis von einem anderen erfährt, wird nicht von einem anderen her, sondern nur aus sich beurteilt. Der göttliche Wille aber kann von keinem anderen verändert oder behindert werden. Also darf er auch nicht von einem anderen her beurteilt werden, sondern nur aus sich selbst. Ein »vorhergehender Wille« in Gott wird aber nach Johannes Damascenus30 insofern ausgesagt, als er »aus sich existiert, der nachfolgende aber unseretwegen.« Also darf man in Gott nicht einen nachfolgenden von einem vorhergehenden Willen unterscheiden. 5. Im Affektiven scheint es keine Ordnung zu geben, außer durch das Erkennende, da ja Ordnung dem Verstand zugehört. Gott aber wird keine Erkenntnis zugeschrieben, die eine Ordnung im Sinne des Verstandes hätte, sondern die einfache Erkenntnis, die die Vernunft ist. Also darf man auch in seinem Willen keine Ordnung des vorhergehenden und nachfolgenden annehmen.
30 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 29 (PG 94, col. 969 A; ed. Buytaert, 160).
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6. Boethius sagt im Buch Vom Trost der Philosophie,31 daß Gott alles durch einen einzigen Blick des Geistes weiß. Aus gleichem Grund erstreckt er sich also auch auf alles das, was er will, durch einen einfachen Akt des Willens. So darf man in seinem Willen keine Ordnung des vorhergehenden und nachfolgenden annehmen. 7. Gott weiß die Dinge in sich selbst und in ihrem eigenen Sein. Und obwohl die Dinge in ihrem eigenen Sein später sind, als im göttlichen Wort, wird dennoch im göttlichen Erkennen kein vorhergehendes und nachfolgendes angenommen. Also darf man es auch im Willen nicht annehmen. 8. So wie das göttliche Sein durch die Ewigkeit gemessen wird, so auch der göttliche Wille. Die Dauer des göttlichen Seins aber, weil sie durch die Ewigkeit gemessen wird, ist alles zugleich32 und hat kein Vorher und Nachher. Also darf man auch im göttlichen Willen keinen vorhergehenden und nachfolgenden annehmen. Dagegen spricht: 1. Johannes Damascenus sagt in 2. Buch,33 daß man wissen muß, daß »Gott mit seinem vorhergehenden Willen alle retten will,« nicht aber nach seinem nachfolgenden Willen, wie er später hinzufügt. Also kommt die Unterscheidung eines vorhergehenden und nachfolgenden dem göttlichen Willen zu. 2. Sofern Gott Gott ist, kommt ihm ein habitueller ewiger Wille zu, und sofern er der Schöpfer ist, der will, daß die Dinge tatsächlich sind, ein aktueller Wille. Dieser Wille aber verhält sich zum ersten wie vorhergehend und nachfolgend. Also findet sich im göttlichen Willen die Unterscheidung eines vorhergehenden und nachfolgenden.
31 Boethius, Philos. consol. V, m. 2 (PL 63, col. 838 A; CCSL 94, 91): »uno mentis cernit in ictu.« 32 Boethius, Philos. consol. V, pr. 6 (PL 63, col. 858 A; CCSL 94, 101). 33 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 29 (PG 94, col. 969 A; ed. Buytaert, 160).
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Antwort: Der göttliche Wille wird angemessenerweise in einen vorhergehenden und einen nachfolgenden unterschieden. Das Verständnis dieser Unterscheidung ist aus den Worten des Johannes Damascenus zu entnehmen, der diese Unterscheidung einführte. Er sagt nämlich im 2. Buch,34 daß »der vorhergehende Wille die Annahme Gottes ist, wie er in sich selbst existiert, der nachfolgende Wille aber ist ein Zugeständnis unseretwegen.« Dazu muß man wissen, daß in jeder Handlung etwas von seiten des Handelnden zu betrachten ist, und etwas von seiten des Empfängers. Und so wie das Handelnde früher und vorrangiger ist als das Produkt, so ist auch das, was zum Machenden gehört, naturgemäß früher demgegenüber dem, was zum Produkt gehört. So ist es offenkundig bei den Tätigkeiten der Natur, daß es von seiten des formenden Vermögens, das im Samen ist, stammt, daß ein vollkommenes Tier hervorgebracht wird. Aber von seiten der empfangenden Materie, die manchmal indisponiert ist, trifft es sich zuweilen, daß kein vollkommenes Tier hervorgebracht wird, wie es bei den Mißgeburten der Fall ist. Und so sagen wir, daß es die erste Absicht der Natur ist, daß ein vollkommenes Tier hervorgebracht wird; daß aber ein unvollkommenes Tier hervorgebracht wird, stammt aus der Zweitabsicht der Natur, die, weil sie der Materie wegen ihrer Indisposition keine vollkommene Form mitteilen kann, ihr diejenige gibt, derer sie fähig ist. Und ähnlich muß man auch die Tätigkeiten Gottes betrachten, durch welche er auf die Geschöpfe einwirkt. Obwohl er nämlich in seiner Tätigkeit keine Materie benötigt und die Dinge vom Anfang an und ohne vorherexistierende Materie erschafft, wirkt er jetzt gleichwohl so auf die Dinge ein, die er zuvor geschaffen hat, daß er für sie unter Voraussetzung der Natur sorgt, die er ihnen vorher gegeben hat. Zwar kann er alle Hindernisse von den Geschöpfen wegnehmen, durch welche sie als der Vollkommenheit unfähige existieren; gleichwohl organisiert er in der Ordnung seiner Weisheit die Dinge gemäß ihrem Zustand, und gibt allem nach seiner Art. Dasjenige also, woraufhin Gott seinerseits das Geschöpf hinordnet, wird das gleichsam in erster Absicht von ihm Gewollte genannt, oder 34 Ibid.
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auch: vorhergehender Wille. Wenn aber das Geschöpf an diesem Ziel durch eine seiner eigenen Unvollkommenheiten gehindert wird, erfüllt Gott an ihm nichtsdestoweniger das Maß an Gutheit, dessen es fähig ist. Und das ist gleichsam in seiner sekundären Absicht und wird nachfolgender Wille genannt. Da Gott alle Menschen um der Seligkeit willen macht, sagt man, daß er nach seinem vorhergehenden Willen für alle das Heil will. Da aber einige gegen ihr Heil handeln, denen es wegen ihrer Fehler nach der Ordnung seiner Weisheit nicht offensteht, zum Heil zu gelangen, erfüllt er an ihnen in anderer Weise das, was seiner Gutheit zukommt; er verdammt sie nämlich aus Gerechtigkeit, damit sie, insofern sie die erste Absicht seines Willens verfehlt haben, in die zweite fallen;35 und selbst insoweit sie den Willen Gottes nicht tun, erfüllt sich so an ihnen der Wille Gottes. Der Mangel der Sünde selbst, durch den jemand in Gegenwart oder Zukunft strafwürdig wird, ist aber nicht von Gott gewollt, weder mit vorhergehendem noch nachfolgendem Willen, sondern wird von ihm lediglich zugelassen. Es ist jedoch aus dem Gesagten nicht zu verstehen, daß die Absicht Gottes verhindert werden kann, da er ja von Ewigkeit her gewußt hat, daß derjenige, der nicht gerettet wird, nicht zu retten ist. Er hat ihn auch nicht vermöge der Prädestinationsordnung, die eine Ordnung des absoluten Willens ist, auf das Heil ausgerichtet, aber er hat ihm von sich aus eine Natur gegeben, die auf die Seligkeit hingeordnet ist. Zu 1. Im göttlichen Willen gibt es keine Ordnung und keine Unterscheidung von seiten des Wollenden, sondern nur von seiten des Gewollten. Zu 2. Die Ordnung im göttlichen Willen wird nicht gemäß des verschiedenen Gewollten betrachtet, sondern hinsichtlich eines und desselben Gewollten, gemäß verschiedener Aspekte, die sich in ihm finden. Zum Beispiel will Gott wegen der menschlichen Natur, die er zum Heil geschaffen hat, einen Menschen durch seinen vorhergehenden Willen retten. Aber er will ihn durch seinen nachfolgenden 35 Vgl. De ver. q. 5 a. 7c; Sent. I, d. 5, q. 1, a. 3 zitiert Boethius, Philos. consol. IV, pr. 6 (PL 63, col. 820 A; CCSL 94, 83).
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Willen verdammen, wegen der Sünden, die sich in ihm finden. Obwohl aber die Sache, auf die der Willensakt ausgeht, mit allen ihren Umständen existiert, muß dennoch nicht jeder dieser Umstände, die im Gewollten anzutreffen sind, ein Beweggrund des Willens sein. Zum Beispiel bewegt der Wein das Streben des Trinkenden nicht aufgrund seiner berauschenden Kraft, sondern aufgrund der Süße – obwohl beides sich zugleich im Wein findet. Zu 3. Der göttliche Wille ist der unmittelbare Ursprung der Geschöpfe; er ordnet die göttlichen Attribute der Verstehensweise nach, insofern sie auf das Werk Anwendung finden. Die Macht nämlich geht nur auf das Werk aus, wenn sie durch das Wissen reguliert und durch den Willen dazu bestimmt wird, etwas zu tun. Darum bezieht sich die Ordnung der Dinge mehr auf den göttlichen Willen, als auf die Macht und das Wissen. – Oder man muß, wie schon gesagt,36 geltend machen, daß das Wesen des Willens im Verhältnis des Wollenden zu den Dingen besteht. Gewußt und möglich für ein Tätiges aber werden die Dinge nur genannt, sofern sie der Verstehensweise nach oder virtuell in diesem sind. Sofern sie in Gott sind, haben die Dinge aber keine Ordnung, sondern nur sofern sie in sich selbst sind. Darum wird die Ordnung der Dinge nicht dem Wissen oder der Macht zugesprochen, sondern allein dem Willen. Zu 4. Obwohl der göttliche Wille nicht von einem anderen verändert oder behindert wird, bezieht er sich dennoch gemäß der Ordnung der Weisheit auf etwas nach dessen eigenem Zustand. Und so wird dem göttlichen Willen etwas von unserer Seite aus zugeschrieben. Zu 5. Dieser Einwand geht vom Willen von seiten seines eigenen Aktes aus; so jedoch gibt es dort keine Ordnung zwischen vorhergehend und nachfolgend. Zu 6. Und ähnliches ist zum 6. Einwand zu sagen. Zu 7. Obwohl es die Dinge in ihrem eigenen Sein später gibt, als in Gott, werden sie doch von Gott in ihrem eigenen Sein nicht später erkannt, als in sich selbst. Gott erblickt ja eben dadurch, daß er sein eigenes Wesen kennt, die Dinge in sich selbst und in ihrem eigenen Sein. 36 De ver. q. 23 a. 1 und q. 22 a. 10c.
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Zu 8. Im Willen Gottes wird ein vorhergehender und nachfolgender nicht deshalb angenommen, um eine Ordnung der Abfolge einzuführen, die der Ewigkeit widerspricht, sondern um sein unterschiedliches Verhältnis zu den gewollten Dingen zu bezeichnen.
3. Artik el Die dritte Frage lautet: Wird der Wille Gottes angemessen unterteilt in einen Willen des Wohlgefallens und einen Willen des Anzeichens?37 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. So wie nämlich das, was in den geschaffenen Dingen geschieht, ein Anzeichen des göttlichen Willens ist, so auch ein Anzeichen des Wissens und der Macht. Das Wissen und die Macht werden aber nicht unterschieden nach einer Macht und einem Wissen, die das Wesen Gottes sind und nach ihren Anzeichen. Also darf auch der Wille nicht in dieser Weise unterschieden werden in einen Willen des Wohlgefallens, der das göttliche Wesen ist, und einen Willen des Anzeichens. 2. Dadurch, daß Gott etwas mit dem Willen des Wohlgefallens will, zeigt sich, daß der göttliche Willensakt sich auf dieses so bezieht, daß es Gott gefällt. Entweder ist also das, auf welches sich der Wille des Anzeichens richtet, Gott wohlgefällig, oder nicht. Wenn es Gott gefällt, will er es also mit dem Willen des Wohlgefallens; dann aber muß man den Willen des Anzeichens nicht von dem des Wohlgefallens unterscheiden. Wenn es aber Gott nicht gefällt, wird es gleichwohl durch den Willen des Anzeichens als ihm wohlgefallend bezeichnet; also wird das Anzeichen des göttlichen Willens falsch sein. So darf man also in der Lehre der Wahrheit solche Anzeichen des göttlichen Willens nicht annehmen.
37 Paralleltexte: Sent. I, d. 45, q. 1, a. 4; Sum. theol. I, q. 19, a. 11 und 12. Diese Unterscheidung ist seit Petrus Lombardus geläufig und akzeptiert. Vgl. Petrus Lombardus, Sent. I, d. 45, c. 5 und 6 (ed. coll. S. Bon. I, 309 f.). Petrus Lombardus übernimmt sie seinerseits von Hugo v. St. Viktor, De sacr. I, IV, c. 1–25 (PL 176, col. 233–245).
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3. Jeder Wille ist in einem Wollenden. Was immer aber in Gott ist, ist das göttliche Wesen. Wenn also der Wille des Anzeichens Gott zugesprochen wird, dann wird er dasselbe sein wie die göttliche Substanz, und so ist er nicht unterschieden vom Willen des Wohlgefallens; dieser Wille wird ja einer des Wohlgefallens genannt, weil er das göttliche Wesen selbst ist, wie Petrus Lombardus in der 45. Distinktion des ersten Buches der Sentenzen sagt.38 4. Was immer Gott will, ist gut. Der Wille des Anzeichens aber muß dem göttlichen Willen entsprechen. Also darf das Anzeichen des Willens nicht mit dem Bösen zu tun haben. Da die Erlaubnis mit dem Bösen zu tun hat, und ebenso das Verbot, scheint es also, daß man keine Anzeichen des göttlichen Willens annehmen darf. 5. So wie es Gutes und Besseres gibt, so auch Böses und Schlechteres. Nach gut und besser wird aber ein zweifacher Wille des Anzeichens unterschieden, nämlich die Vorschrift, welche mit dem Guten zu tun hat, und der Rat, welcher mit dem besseren Gut zu tun hat. Also muß man auch hinsichtlich des Bösen und Schlechteren einen zweifachen Willen des Anzeichens annehmen. 6. Der Wille Gottes ist mehr zum Guten als zum Bösen geneigt. Das Anzeichen des Willens aber, das sich auf Böses bezieht, nämlich die Erlaubnis, kann niemals verhindert werden. Also dürfen auch die Vorschrift und der Rat, die sich auf das Gute beziehen, keine Verhinderung erfahren; das aber ist falsch. 7. Diejenigen Dinge, die auseinander folgen, dürfen nicht durch ihren Gegensatz unterschieden werden. Der Wille des Wohlgefallens und die Tätigkeit Gottes folgen auseinander. Er will nämlich nichts tun, was er nicht mit seinem Willen des Wohlgefallens will, und er will nichts in der Schöpfung durch seinen Willen des Wohlgefallens, das er nicht auch täte – nach dem Psalmwort: »Alles was er will, hat Gott gemacht.«39 Also darf die Tätigkeit nicht unter den Willen des Anzeichens subsumiert werden, welcher durch den Gegensatz gegen den Willen des Wohlgefallens bestimmt wird. 38 Petrus Lombardus, Sent. I, d. 45, c. 5 (ed. coll. S. Bon. I, 309). 39 Psalm 113, 11; der Wortlaut nach Petrus Lombardus (Sent. I, d. 45,
c. 5 (ed. coll. S. Bon. I, 309); die Vulgata hat: »Deus autem noster in caelo universa quae voluit fecit.«
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Antwort:40 In den göttlichen Dingen gibt es zwei Redeweisen: eine eigentliche Rede, wenn wir nämlich Gott das zuschreiben, was ihm seiner Natur nach zukommt, auch wenn es ihm immer in höherer Weise zukommt, als es von uns durch den Verstand begriffen oder durch die Rede gesagt wird – weshalb keine unserer Reden von Gott eine eigentliche und vollständige sein kann. Eine andere Redeweise ist die figurative, tropische oder symbolische. Da nämlich Gott selbst, wie er in sich selbst ist, die Schärfe unseres Geistes übersteigt, müssen wir von ihm vermittels dessen sprechen, was bei uns anzutreffen ist. Und so geben wir ihm die Namen sinnlicher Dinge, zum Beispiel wenn wir ihn das Licht oder einen Löwen41 oder dergleichen nennen. Die Wahrheit dieser Redeweisen ist darin begründet, daß kein Geschöpf »vollständig der Teilhabe am Guten beraubt ist«, wie Dionysius in 2. Kapitel der Himmlischen Hierarchien sagt.42 Darum sind in den einzelnen Geschöpfen einige Eigenschaften zu finden, die die göttliche Gutheit in einer gewissen Hinsicht respräsentieren. Und so wird ein Name auf Gott übertragen, sofern die durch den Namen bezeichnete Sache ein Zeichen der göttlichen Gutheit ist. Jedes Zeichen also, das anstelle des Bezeichneten in den göttlichen Dingen verwandt wird, ist eine tropische Redeweise. Diese beiden Redeweisen jedoch kommen zusammen beim göttlichen Willen. In Gott nämlich wird, wie gesagt,43 der Wesensgehalt des Willens im eigentlichen Sinne angetroffen; und so wird der Wille von Gott im eigentlichen Sinne ausgesagt. Dies ist der Wille des Wohlgefallens, der nach dem vorangehenden und nachfolgenden unterschieden wird, wie gesagt wurde.44 Da aber der Wille eine gewisse Leidenschaft der Seele in uns zur Folge hat, darum wird, wie die anderen Namen der Leidenschaften, so auch der Name des Willens metaphorisch von Gott ausgesagt. Der Name des Zornes aber 40 Dieser Artikel hat kein sed contra. 41 Z. B. Hosea 13, 8 und Maleachi 4, 2. 42 Dionysius Areopagita, De cael. hier. II, 3 (PG 3, col. 141 C), nach der
Übersetzung von Eriugena (Dion. II, 764). 43 De ver. q. 23 a. 1. 44 Ibid. a. 2.
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wird von Gott ausgesagt, weil sich in ihm die Wirkung findet, die bei uns die des Zornes zu sein pflegt, nämlich die Bestrafung. Darum wird die Strafe selbst, durch welche er bestraft, der Zorn Gottes genannt.45 Und in ähnlicher Redeweise werden die Dinge, die bei uns Anzeichen des Willens genannt zu werden pflegen, die Willen Gottes genannt. Und ebendarum wird er der Wille des Anzeichens genannt, weil das Anzeichen selbst, das gewöhnlich das des Willens ist, ein Wille genannt wird. Da nun der Wille sowohl nach dem, was er über das zu Tuende vorschlägt, betrachtet werden kann, als auch nach dem Antrieb zum Werk, den er hervorbringt, werden dem Willen in beiden Weisen einige Anzeichen zugesprochen. Gemäß dem, was er über das zu Tuende vorschlägt, ist sein Anzeichen hinsichtlich der Flucht vor dem Bösen das Verbot. Hinsichtlich der Verfolgung des Guten aber gibt es ein doppeltes Anzeichen des Willens, denn hinsichtlich des notwendigen Guten, ohne welches der Wille sein Ziel nicht erreichen kann ist das Anzeichen des Willens die Vorschrift. Hinsichtlich des nützlichen Guten aber, durch welches auf leichtere und angemessenere Weise das Ziel erreicht wird, ist das Anzeichen des Willens der Rat. Im Hinblick auf den Abtrieb, den der Wille zum Werk beisteuert aber, wird ihm ein zweifaches Anzeichen zugeschrieben: ein ausdrückliches, welches die Tat ist; das nämlich, was einer tut, zeigt an, daß er ausdrücklich will. Das andere aber ist das »interpretative« Anzeichen, nämlich die Erlaubnis: wer nämlich etwas nicht verbietet, das er verhindern kann, der scheint »interpretativ« diesem zuzustimmen;46 das aber führt auf den Namen »Erlaubnis.«47 Zu 1. Obwohl Gott allmächtig und allwissend ist, ist er nicht allwollend.48 Darum werden über die Zeichen hinaus, die in den Geschöpfen gefunden werden, und die anzeigen, daß er wissend und 45 Vgl. Alain de Lille, Regulae de sacra theologia 21 (PL 210, col. 631 A). 46 Gemeint ist: »der scheint dahingehend interpretiert werden zu kön-
nen, daß er diesem zustimmt.« 47 Hugo v. St. Viktor, De sacramentis I, IV, c. 1–25 (PL 176, col. 233– 245); Petrus Lombardus, Sent. I, d. 45, c. 5 und 6 (ed. coll. S. Bon. I, 309 f.). 48 Vgl. Albertus Magnus, Sent. I, d. 45 a. 5 (ed. Borgnet XXV, 408 a–b); Bonaventura, Sent. I, d. 45 a. 1, q. 2 (Opera omnia, I, 801 f.); vgl. auch Ul-
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mächtig und wollend ist, dem Willen gewisse Anzeichen zugeschrieben, die zeigen was Gott will, und nicht nur daß er will. – Oder man kann sagen, daß das Wissen und die Macht nicht eine Art von Leidenschaft haben, die so mit ihnen verbunden ist, wie mit dem Willen, so wie er sich in uns findet. Darum nähert sich der Wille dem, was von Gott metaphorisch ausgesagt wird, mehr an, als die Macht oder das Wissen. Daher auch bezeichnen wir die Anzeichen des Willens als den Willen mehr in metaphorischer Redeweise, als die Anzeichen des Wissens und der Macht. Zu 2. Obwohl Gott nicht alles will, was er vorschreibt oder zuläßt, will er dennoch etwas, was dies betrifft. Er will nämlich, daß wir ihm schulden, was er uns vorschreibt, und daß in unserer Verfügung steht, was er erlaubt. Und diesen göttlichen Willen nennt man Gebot und Erlaubnis. – Oder man kann sagen, daß der Wille des Anzeichens nicht insoweit so genannt wird, weil er anzeigt, daß Gott dies will, sondern weil das, was ein Anzeichen des Willens genannt zu werden pflegt, bei uns Wille genannt wird. Es ist aber nicht nötig, daß das, was das Anzeichen einer Sache zu sein pflegt, dann falsch ist, wenn ihm nicht das entspricht, was es normalerweise bezeichnet – außer dann bloß, wenn es dazu verwendet wird, dieses zu bezeichnen. Obwohl also das Vorschreiben bei uns ein Anzeichen dafür ist, daß wir es wollen, ist es gleichwohl nicht notwendig, daß, wann immer Gott oder der Mensch etwas vorschreiben, dies anzeigt, daß sie wollen, daß dies existiert. Daher folgt nicht, daß dies Anzeichen falsch ist. Von daher kommt es auch, daß es beim Handeln nicht immer eine Lüge ist, wenn ein Handlung, durch die normalerweise etwas angezeigt wird, dann vollführt wird, wenn dieses nicht vorliegt. Aber bei Worten ist es notwendigerweise Falschheit, wenn das, was sie bezeichnen, nicht vorliegt. Worte sind nämlich dazu eingerichtet worden, daß sie Zeichen sind; wenn ihnen darum kein Bezeichnetes entspricht, sind sie falsch. Handlung sind aber nicht dazu eingerichtet, um etwas zu bezeichnen, sondern damit etwas durch sie vollbracht wird. Es geschieht aber in unwesentlicher Weise, daß etwas durch sie bezeichnet wird; darum ist es bei rich v. Straßburg, De summo bono, lib. II, tr. 1, c. 3 und tr. 3, c. 8. 10, hg. von a. de Libera (1987), 12. 81. 90–93.
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ihnen nicht immer Falschheit, wenn ihnen das Bezeichnete nicht entspricht, sondern nur dann, wenn sie vom Handelnden zum Bezeichnen verwendet werden. Zu 3. Der Wille des Anzeichens ist nicht in Gott, sondern von Gott. Er ist nämlich eine Wirkung Gottes von derjenigen Art, welche normalerweise bei uns den Willen des Menschen anzeigt. Zu 4. Obwohl es dem Willen Gottes nicht in der Hinsicht das Böse betrifft, daß es geschehen möge, geht es ihm gleichwohl um dies in der Hinsicht, daß er es verhindert, indem er es verbietet, oder daß er es in unsere Verfügungsgewalt gibt, indem er es erlaubt. Zu 5. Da alles, wonach der Wille strebt, eine Hinordnung zum Ziel hat, welches der Wesensgrund des Wollens ist, alles Böse aber der Hinordnung zum Ziel entbehrt, haben alle bösen Dinge nur eine einzige Stelle, so wie hinsichtlich des Zieles, so auch hinsichtlich des göttlichen Willens. Zu den guten Dingen aber, welche auf das Ziel hingeordnet sind, verhält sich der Wille auf unterschiedliche Weise, entsprechend der unterschiedlichen Hinordnungen, die sie zum Ziel haben. Und darum gibt es unterschiedliche Anzeichen für das Gute und Bessere, aber nicht für das Böse und Schlechtere. Zu 6. Der Wille des Anzeichens wird vom Willen des Wohlgefallens nicht durch Erfüllung und Nichterfüllung unterschieden. Obwohl der Wille des Wohlgefallens immer erfüllt wird, kann darum doch auch zum Willen des Anzeichens etwas gehören, das erfüllt wird. Von daher will Gott manchmal auch das, was er vorschreibt oder rät mit dem Willen des Wohlgefallens. Der Wille des Anzeichens und der Wille des Wohlgefallens wird aber unterschieden, weil der eine Wille Gott selbst ist, der andere seine Wirkung, wie schon gesagt wurde. Man muß aber wissen, daß der Wille des Anzeichens sich auf dreifache Weise zum Willen des Wohlgefallens verhält: eine Art nämlich ist der Wille des Anzeichens, der niemals mit dem Willen des Wohlgefallens in eins fällt, wie die Erlaubnis, durch welche er erlaubt, daß Böses geschieht, während er doch nie will das Böses geschieht. Eine andere Art aber fällt immer in eins, wie die Tätigkeit. Eine weitere Art aber fällt manchmal in eins, und manchmal nicht, wie die Vorschrift, das Verbot, und der Rat. 7. Und daraus ergibt sich auch die Antwort zum 7. Einwand.
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4. Artik el Die vierte Frage lautet: Will Gott notwendigerweise das will, was er will? 49 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Alles Ewige ist notwendig.50 Gott will aber alles, was er will, von Ewigkeit. Also will er das, was er will, mit Notwendigkeit. 2. Es mag zwar jemand sagen, daß das Wollen Gottes nur von seiten des Wollenden und von seiten des Willensaktes selbst, der das göttliche Wesen ist, und von seiten dessen, was der Grund des Wollens ist, nämlich der göttlichen Gutheit, notwendig und ewig ist, nicht aber sofern der Wille auf das Gewollte hinblickt. – Dagegen spricht aber, daß das Wollen Gottes selbst ein Verhältnis des Willens zum Gewollten impliziert. Das Wollen Gottes selbst aber ist etwas Ewiges; also ist das Verhältnis des Willens zum Gewollten selbst ewig und notwendig. 3. Es sagte aber jemand, daß das Verhältnis zum Gewollten ewig und notwendig ist, sofern das Gewollte im exemplarischen Verstand ist, nicht aber sofern es in sich selbst oder in seiner eigenen Natur ist. – Dagegen spricht, daß etwas gewollt ist, insofern es auf den Willen zurückgeführt wird. Wenn also von Ewigkeit her der Wille Gottes nicht zum Gewollten in Beziehung gesetzt würde, sofern es in sich selbst existiert, sondern nur gemäß seinem zu wollenden exemplarischen Wesen, dann wäre etwas Zeitliches, wie zum Beispiel, daß Petrus gerettet wird, nicht von Ewigkeit her von Gott so gewollt, daß es in seiner eigenen Natur existierte, sondern es wäre von Ewigkeit her nur so von Gott gewollt, daß es in seinen ewigen Wesengründen existierte; das ist offenkundig falsch. 4. Was immer Gott gewollt hat und will – nachdem er es will oder gewollt hat, kann er nicht es nicht wollen oder nicht gewollt haben. Was immer Gott aber will, hat er niemals nicht gewollt, weil er immer und von Ewigkeit her gewollt hat, was er will. Also kann Gott nicht nicht wollen, was immer er will; also will er mit Notwendigkeit was immer er will. 49 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 19, a. 3; ScG I, c. 80–83, II, c. 28, III, 97; De pot. q. 1, a. 5; q. 10 a. 2. ad 6; Comp. theol. I, 96. 50 Vgl. De ver. q. 15, a. 2.
4. Artikel
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5. Jemand entgegnete, daß dieser Einwand von demjenigen Wollen Gottes ausgeht, das betrachtet wird gemäß dem Wollenden selbst oder dem Akt oder der Idee des zu Wollenden, nicht aber dem Verhältnis gemäß, durch welches er sich aufs Gewollte bezieht. – Dagegen aber spricht, daß Erschaffen ein Akt ist, der immer einen Bezug auf seine Wirkung impliziert; er bezeichnet nämlich zugleich eine zeitliche Wirkung. Besagter Einwand wäre aber hinsichtlich der Schöpfung wahr, wenn vorausgesetzt würde, daß Gott immer erschafft, weil er, was er geschaffen hat, nicht nicht schaffen kann. Also folgt es auch mit Notwendigkeit, sofern es auf das Gewollte bezogen ist. 6. Für Gott sind Sein und Wollen dasselbe. Es ist aber notwendig, daß Gott alles das ist, was er ist, weil bei »den ewigen Dingen das Sein und das Können nicht verschieden sind«, gemäß Aristoteles im 3. Buch der Physik.51 Also ist es auch notwendig, daß Gott alles will, was er will. 7. Es sagte aber jemand, daß, obwohl das Wollen und das Sein der Sache nach dasselbe sind, sie dennoch der Redeweise nach verschieden sind, weil das Wollen nach der Weise eines Aktes, der von einem zum anderen übergeht, ausgesagt wird. – Dagegen spricht aber, daß auch Gott, obwohl er der Sache nach identisch ist mit dem Wesen, gleichwohl der Redeweise nach verschieden ist, weil das Sein nach der Weise des Aktes ausgesagt wird. Insofern also gibt es keinen Unterschiede zwischen Sein und Wollen. 8. Die Ewigkeit widerspricht der Abfolge. Das göttliche Wollen aber wird nach der Ewigkeit bemessen. Also kann es dort keine Abfolge geben. Es wäre aber eine Abfolge, wenn er das, was er von Ewigkeit her gewollt hat, nicht wollte, oder das, was er nicht gewollt hat, wollte. Was immer er also will, will er mit Notwendigkeit, und was er nicht will, das will er mit Notwendigkeit nicht. 9. Es ist unmöglich, daß, wer immer etwas gewollt hat, dies nicht gewollt hat, weil das, was geschehen ist, nicht nicht geschehen sein kann. In Gott aber ist das Wollen und das Gewollthaben dasselbe, weil sein Willensakt nicht neu, sondern ewig ist. Gott kann also
51 Aristoteles, Phys. III, 4; 203 b 30.
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nicht nicht wollen, was er will, und so will er mit Notwendigkeit, was er will. 10. Einer entgegnete zwar, daß er mit Notwendigkeit will in bezug auf den Grund seines Wollens, nicht aber in bezug auf das Gewollte selbst. – Dagegen spricht aber, daß der Grund des Wollens Gott höchstselbst ist, weil er durch sich selbst will, was immer er will. Wenn er sich also mit Notwendigkeit will, dann will er auch alles andere mit Notwendigkeit. 11. Der Grund des Wollens ist das Ziel.52 Nach Aristoteles aber, im 2. Buch der Physik,53 verhält sich das Ziel im Bereich des Strebens und des Handelns so, wie das Prinzip in dem des Beweisens. Wenn aber bei den Beweisen die Prinzipien notwendig sind, folgt auch eine notwendige Schlußfolgerung.54 Also will auch beim Streben jemand, wenn er das Ziel will, mit Notwendigkeit das was zum Ziel führt. Wenn also das göttliche Wollen im Hinsicht auf den Grund des Wollens notwendig ist, wird es auch notwendig sein im Bezug zum Gewollten. 12. Wer immer etwas wollen und nicht wollen kann, kann beginnen, es zu wollen. Gott kann aber nicht anfangen, etwas zu wollen. Also kann er nicht etwas wollen und nicht wollen; und so will er, was er will, mit Notwendigkeit. 13. So wie der Wille Gottes eine Beziehung zum Geschöpf impliziert, so auch die Macht und das Wissen. Es ist aber notwendig, daß Gott kann, was er kann, und es ist notwendig, daß er weiß, was er weiß. Also ist es notwendig, daß er will, was er will. 14. Was sich immer in der gleichen Weise verhält, ist notwendig.55 Aber die Beziehung des göttlichen Willens zum Gewollten verhält sich immer in derselben Weise; also ist sie notwendig. Und so ist das göttliche Wollen auch hinsichtlich des Verhältnisses zur Substanz des Gewollten notwendig. 52 Vgl. De ver. q. 23, a. 1. 53 Aristoteles, Phys. II, 9; 200 a 15, 19–22; vgl. Aristoteles, Eth. Nic. VII,
8; 1151 a 16 f. 54 In der Sum. theol. I, q. 14, a. 13 arg. 2 zitiert Thomas hierfür: Aristoteles, Anal. post. I, 13; 74 b 13 ff. 55 Vgl. Aristoteles, Met. V, 5; 1015 a 33.
4. Artikel
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15. Wenn Gott will, daß der Antichrist existiert, dann ist es notwendig, daß der Antichrist existiert, obwohl die Existenz des Antichristen nicht notwendig ist.56 Das wäre aber nicht so, wenn es nicht eine notwendige Beziehung oder ein notwendiges Verhältnis des göttlichen Willens zum Gewollten gäbe. Also ist das göttliche Wollen selbst, sofern es eine Beziehung des Willens zum Gewollten impliziert, notwendig. 16. Die Ordnung des göttlichen Willens zum Grund des Wollens ist die Ursache der Hinordnung des göttlichen Willens zum Gewollten. Der Wille bezieht sich nämlich auf ein Gewolltes wegen des Grundes des Wollens. Zwischen den beiden Ordnungen aber gibt es kein zufälliges Vermittelndes. Wenn aber eine notwendige Ursache gesetzt ist, folgt die notwendige Wirkung, außer eine zufällige mittlere Ursache durchschneidet es. Da also das göttliche Wollen notwendig ist in Hinordnung auf den Grund des Wollens, wird er auch notwendig in der Hinordnung zum Gewollten sein; und so will Gott mit Notwendigkeit, was er will. Dagegen spricht: 1. Der Wille Gottes ist freier als unser Wille. Unser Wille will aber nicht mit Notwendigkeit, was er will; also auch nicht der Wille Gottes. 2. Die Notwendigkeit ist der Ungeschuldetheit des Willens entgegengesetzt. Gott will aber das Heil aller Menschen aus der Ungeschuldetheit des Willens. Also will er nicht aus Notwendigkeit. 3. Da nichts Äußeres Gott eine Notwendigkeit auferlegen kann, würde er, wenn er etwas aus Notwendigkeit wollte, es nur aufgrund der Notwendigkeit seiner eigenen Natur wollen. Dasselbe folgte also daraus, daß gesetzt würde, Gott tue etwas willentlich, und daraus, daß gesetzt würde, er tue etwas aufgrund der Notwendigkeit der Natur: für die, die annehmen, Gott handele aufgrund der Notwendigkeit der Natur, folgt, daß alles von ihm von Ewigkeit her gemacht
56 Dies Beispiel von Wilhelm von Auxerre, Summa aurea I, tr. 9 c. 3 q. 5 (ed. Pigouchet, Paris 1500, f. 23v; ed. Ribaillier I, 194) und Summa fratris Alexandri, I pars, n. 93 (Quaracchi 1924–48, I, 150).
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wäre. Also folgte dasselbe für uns, die wir annehmen, daß er alles aus seinem Willen gemacht hat. Antwort: Daß das göttliche Wollen Notwendigkeit von seiten des Wollenden selbst und des Aktes hat, ist unbezweifelbar wahr. Denn das Tun Gottes ist sein Wesen, von dem feststeht, daß es ewig ist. Daher wird dies nicht in Frage gestellt, sondern nur, ob das Wollen diese selbe Notwendigkeit im Verhältnis zum Gewollten hat, an welchselbiges Verhältnis wir denken, wenn wir davon reden, daß Gott dieses oder jenes will. Dies nämlich wird gefragt, wenn wir fragen, ob Gott mit Notwendigkeit etwas will. Man muß nun wissen, daß jeder Wille ein zweifaches Gewolltes hat: ein gewissermaßen hauptsächliches, und ein anderes gleichsam zweitrangiges. Das hauptsächlich Gewollte nun ist das, auf welches der Wille sich nach seiner Natur bezieht, insofern auch der Wille selbst eine Art Natur ist und eine natürliche Hinordnung auf etwas hat. Dieses jedoch ist es, was der Wille natürlicherweise will, so wie der menschliche Wille natürlicherweise nach der Seligkeit strebt; und hinsichtlich dieses Gewollten hat der Wille eine Notwendigkeit, weil er auf dieses hinstrebt nach der Weise der Natur. Der Mensch kann nämlich nicht wollen, daß er nicht selig oder daß er unglücklich ist. Die nebensächlich gewollten Dinge aber sind diejenigen, die auf dieses hautsächlich Gewollte als auf das Ziel hingeordnet sind. Und zu diesen zwei Gewollten verhält sich der Wille auf unterschiedliche Weise, so wie die Vernunft zu den Prinzipien, die sie natürlicherweise weiß, und zu den Schlußfolgerungen, die sie aus ihnen hervorruft. Der göttliche Wille nun hat zum hautsächlich Gewollten dasjenige, was gleichsam das Ziel seines Willens ist, nämlich seine eigene Gutheit, aufgrund derer er will, was immer er anderes als sich selbst will. Er macht nämlich die Dinge wegen seiner Gutheit, wie Augustinus sagt,57 damit nämlich seine Gutheit, die dem Wesen 57 Pseudo-Augustinus, De diligendo Deo 2 (PL 40, col. 850); vgl. Petrus Lombardus, Sent. II, d. 1, c. 4 (ed. coll. S. Bon. I, 332 f.). Vgl. aber auch Augustinus, Conf. XIII, 2, 2 (PL 32, 845; CSEL 33/I, 345 f.; CCSL 27, 242);
4. Artikel
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nach nicht vervielfältigt werden kann, wenigstens durch eine gewisse Teilhabe der Ähnlichkeit auf vieles überfließt. Daher ist das, was er betreffs der Geschöpfe will, gleichsam sein nebensächlich Gewolltes, das er um seiner Gutheit willen will, sodaß die göttliche Gutheit dergestalt der Grund ist, daß sein Wille alles will, wie ihm auch sein Wesen der Grund dafür ist, daß er alles erkennt. Hinsichtlich seines hauptsächlich Gewollten, das seine Gutheit ist, hat der göttliche Wille folglich Notwendigkeit, nicht zwar des Zwanges, wohl aber nach der Naturordnung, die der Freiheit nicht widerstreitet – gemäß Augustinus im 5. Buch Von der Stadt Gottes.58 Gott kann nämlich nicht wollen, daß er nicht gut ist, und folglich, daß er nicht denkend oder mächtig ist, oder was immer im Wesen seiner Gutheit eingeschlossen ist. Hinsichtlich alles anderen Gewollten aber hat er keine Notwendigkeit. Da nämlich der Grund dafür, daß man das will, was zum Ziel führt, das Ziel selbst ist, darum verhält sich das, was zum Ziel führt, zum Willen in derselben Hinsicht wie zum Ziel. Wenn daher das, was zum Ziel führt, dem Ziel gleichsam proportioniert ist, in der Weise nämlich, daß es das Ziel vollkommen einschließt und das Ziel ohne es nicht zu haben ist, dann wird, so wie das Ziel notwendigerweise erstrebt wird, auch das, was zum Ziel führt, mit Notwendigkeit gewollt – und das insbesondere von einem Willen, der die Regel der Weisheit nicht verlassen kann. Von derselben Wesensart scheint nämlich das Begehren nach der Fortsetzung der Lebens sein, wie nach der Nahrungsaufnahme, durch welche das Leben bewahrt wird, und ohne welches es nicht bewahrt werden kann. So wie aber keine göttliche Wirkung der Macht der Ursache gleichkommt, so kommt nichts, das auf Gott als auf sein Ziel hingeordnet ist, dem Ziel gleich. Kein Geschöpf gleicht sich ja Gott vollkommen an; dies kommt nämlich allein dem inkarnierten Wort zu. Von daher trifft es sich, daß, wann immer ein bloßes Geschöpf auf vornehmere Weise auf Gott hingeordnet und ihm irgendwie verähnlicht ist, es möglich ist, irgend ein anderes, gleicherEnarr. in Ps. 134, 6, 10 f. (PL 37, col. 1745; CCSL 40, 1945); Contra adversarium legis et prophetarum I, 7 (PL 42, col. 609). 58 Augustinus, De civ. Dei V, 10 (PL 41, col. 152; CSEL 40/I, 228–30; CCSL 47, 140).
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maßen vornehmes Geschöpf auf Gott selbst hinzuordnen, und die göttliche Gutheit darzustellen. Von daher ist klar, daß, aus der Liebe heraus, welche er zu seiner Gutheit hat, es im göttlichen Willen keine Notwendigkeit gibt, daß er dies oder jenes betreffs des Geschöpfes will. Ebensowenig gibt es in ihm eine Notwendigkeit hinsichtlich der ganzen Schöpfung, weil die göttliche Gutheit in sich selbst vollkommen ist, selbst wenn keine Schöpfung existierte, weil er »unserer Güter nicht bedarf,« wie es im Psalm heißt.59 Die göttliche Gutheit ist nämlich nicht ein solches Ziel, das von den Mitteln erst hervorgebracht wird, sondern vielmehr eines, durch welches die Dinge, die auf es hingeordnet sind, hervorgebracht und vervollkommnet werden. Daher sagt auch Avicenna,60 daß allein Gottes Tun rein freigebig ist, da ihm nichts zuwächst aus dem, was er will oder tut betreffs der Schöpfung. Es ist also aus dem Gesagten klar, daß Gott mit Notwendigkeit will, wovon immer er will, daß es in ihm sei; was immer er aber betreffs der Geschöpfe will, das will er nicht mit Notwendigkeit. Zu 1. Etwas wird auf zweifache Weise »notwendig« genannt: auf eine Weise schlechthin, auf andere Weise unter einer Voraussetzung.61 Schlechthin nun wird etwas notwendig genannt wegen des notwendigen Verhältnisses der Satzglieder zueinander, die in einer Aussage aufgestellt werden, z. B. »der Mensch ist ein Lebewesen« oder »jedes Ganze ist größer als sein Teil,« und anderes dergleichen. Notwendig aber aufgrund einer Voraussetzung ist das, was nicht aus sich notwendig ist, sondern nur wenn etwas anderes gesetzt ist, so z. B. daß Sokrates gelaufen ist: Sokrates verhält sich nämlich von sich aus nicht mehr zu diesem, als zu dessen Gegenteil. Wenn aber die Voraussetzung gemacht wird, daß er gelaufen ist, ist es unmöglich, daß er nicht gelaufen ist. So sage ich also, daß es nicht abso59 Psalm 15, 2. Die Vulgata hat allerdings: »dicens Deo Dominus meus es tu bene mihi non est sine te.« 60 Avicenna, Liber de philosophia prima VI, 5 (Venedig 1513, fol. 95ra; ed. Van Riet II, 342), oder VIII, 6 (100ra; ed. Van Riet, II, 413), VIII, 7 (100vb; 101ra; Van Riet, II, 424; 428), IX, 4 (104va; ed. Van Riet, II; 477 f.). 61 Thomas zitiert hierfür (Sent. I, d. 6, a. 1): Aristoteles, Met. V, 5; 1015 a 20 – b 15; vgl. aber auch Aristoteles, Phys. II, 9; 199 b 34 ff.
4. Artikel
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lut notwendig ist, daß Gott etwas unter den Geschöpfen will, wie zum Beispiel Petrus retten, weil der göttliche Wille dazu, wie gesagt, keine notwendige Hinordnung hat. Wenn aber die Voraussetzung gemacht wird, daß Gott jenes will oder gewollt hat, ist es unmöglich, daß er dies nicht gewollt hat oder will, aus dem Grund, daß sein Wille unveränderlich ist. Darum wird diese Notwendigkeit von den Theologen62 die Notwendigkeit der Unveränderlichkeit genannt. Daß es jedoch nicht absolut notwendig ist, daß Gott will, das stammt von seiten des Gewollten, welches, wie gesagt, der vollkommenen Proportioniertheit auf das Ziel ermangelt. Insofern bewahrheitet sich die zuerst gesetzt Antwort; und das Ewige ist auf dieselbe Weise zu unterscheiden, wie das Notwendige. Zu 2. Jenes Verhältnis verursacht etwas Notwendiges und Ewiges nach einer Voraussetzung, nicht aber schlechthin. Und dies nicht nur hinsichtlich des Gewollten sofern es exemplarisch im Verstand des Wollenden ist, sondern auch soweit es zeitlich in seiner eigenen Natur existiert. Zu 3. Deshalb geben wir den 3. Einwand zu. Zu 4. Daß Gott etwas will oder gewollt hat, nachdem er es will oder gewollt hat, ist notwendig gemäß einer Voraussetzung, nicht aber schlechthin, so wie auch, daß Sokrates gelaufen ist, nachdem er gelaufen ist. Und ähnlich ist es mit der Schöpfung und mit jedem Akt des göttlichen Willens, der in etwas Äußerem endet. Zu 5. Daher geben wir den 5. Einwand zu. Zu 6. Obwohl das Sein Gottes selbst in sich notwendig ist, gehen doch die Geschöpfe nicht mit Notwendigkeit aus Gott hervor, sondern durch den freien Willen. Und darum sind die Eigenschaften, die einen Bezug Gottes zum Ausgang der Geschöpfe ins Sein implizieren, wie z. B. das Wollen, Erschaffen und dergleichen, nicht schlechthin notwendig, sondern nur die, welche von Gott gemäß seiner selbst ausgesagt werden, wie daß er gut ist, weise usw. Zu 7. Das Sein benennt keinen Akt, der eine Handlung wäre, die dazu überginge, etwas Äußeres zeitlich hervorzubringen, sondern gleichsam einen ersten Akt. Das Wollen aber benennt einen zweiten 62 Vgl. Bonaventura, z. B. Sent. I, d. 6, a. unic. (Opera omnia, I, 124– 132), Sent. II, d. 25, p. II, a. unic. q. 2 (Opera omnia, II, 612 f.).
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Akt, der eine Handlung ist. Darum wird vermöge unterschiedlicher Redeweise dem göttlichen Sein etwas zugeschrieben, das dem göttlichen Wollen nicht zugeschrieben wird. Zu 8. Eine Abfolge ist nicht impliziert, wenn wir sagen, daß Gott etwas will oder nicht will – außer es wird so verstanden, daß, gesetzt, daß er etwas will, angenommen wird, daß er dieses später nicht mehr will. Das aber ist dadurch ausgeschlossen, daß wir annehmen, daß Gott etwas will, sei voraussetzungsweise notwendig. Zu 9. Daß Gott gewollt hat, was er gewollt hat, ist voraussetzungsweise notwendig, nicht aber schlechthin – und ähnlich, daß Gott will, was er will. Zu 10. Obwohl Gott mit Notwendigkeit will, daß er existiert, folgt dennoch nicht, daß er anderes mit Notwendigkeit will. Man sagt nämlich nicht, daß etwas notwendig ist unter Voraussetzung des Zieles, außer wenn es ein solches ist, ohne welches das Ziel nicht gehabt werden kann, wie aus der Metaphysik63 hervorgeht. Das aber ist bei dieser Annahme nicht der Fall. Zu 11. Wenn in den Schlüssen das Prinzip notwendig ist, ergibt sich eine notwendige Schlußfolgerung nur, wenn auch das Verhältnis des Prinzips zur Schlußfolgerung notwendig ist. Wie weit immer also das Ziel notwendig ist, wenn das was zum Ziel führt, nicht ein notwendiges Verhältnis zu diesem hat, sodaß ohne es das Ziel nicht sein kann, dann wird keine Notwendigkeit aus dem Ziel auf das, was zum Ziel führt, übertragen. Wenn z. B. auch die Prinzipien wahr sein können, während die existierende Schlußfolgerung falsch ist aufgrund eines Mangels an notwendigem Verhältnis, folgt aus der Notwendigkeit der Prinzipien nicht die Notwendigkeit der Schlußfolgerung. Zu 12. Wer immer wollen und nicht wollen kann, der kann, wenn er wollen könnte, nachdem er nicht gewollt hat, und nicht wollen, nachdem er gewollt hat, beginnen zu wollen. Wenn er nämlich will, kann er aufhören zu wollen und wiederum anfangen zu wollen. Wenn er aber nicht will, kann er plötzlich anfangen zu wollen. So jedoch kann Gott – wegen der Unveränderlichkeit des göttlichen Willens – nicht wollen und nicht wollen. Er kann aber wollen und 63 Aristoteles, Met. V, 5; 1015 a 20–26.
4. Artikel
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nicht wollen, insofern sein Wille, soweit es auf ihn ankommt, nicht dazu verpflichtet ist zu wollen oder nicht zu wollen. Darum bleibt übrig, daß, daß Gott etwas will, voraussetzungsweise notwendig ist, nicht aber schlechthin. Zu 13. Obwohl das Wissen und die Macht eine Beziehung zum Geschöpf implizieren, gehören sie gleichwohl zur Vollkommenheit des göttlichen Wesens selbst, in welchem nichts sein kann, außer was durch sich selbst notwendig ist. Es wird nämlich etwas von daher wissend genannt, daß die gewußte Sache im Wissenden ist. Man sagt aber, daß etwas das Vermögen hat, etwas zu tun, sofern es im vollständigen Akt hinsichtlich dessen ist, was zu tun ist. Was immer in Gott ist, ist notwendig in ihm. Und was immer Gott aktuell ist, das ist er notwendigerweise aktuell. Wenn aber gesagt wird, daß Gott etwas will, dann besagt das nicht, daß dieses etwas ist, das in Gott ist, sondern es impliziert nur eine Ordnung Gottes selbst zu dessen Herstellung in seiner eigenen Natur. Darum ermangelt es von dieser Seite der Bedingung für eine absolute Notwendigkeit, wie schon gesagt wurde.64 Zu 14. Diese Beziehung verhält sich immer auf dieselbe Weise wegen der Unveränderlichkeit des göttlichen Willens. Darum ist der Einwand nicht schlüssig, außer hinsichtlich der Notwendigkeit aufgrund einer Voraussetzung. Zu 15. Der Wille hat zum Gewollten eine doppelte Beziehung: die erste hat er zu ihm, insofern es gewollt ist; die zweite aber hat er zu demselben, insofern es aktuell durch den Willen zu produzieren ist; und diese letztere Beziehung setzt die erste voraus. Unter der ersten nämlich verstehen wir, daß der Wille etwas will. Aufgrund ebendieser Tatsache, daß er es will, verstehen wir sodann, daß er es unter den Dingen der Natur produziert, wenn sein Wille wirksam ist. Die erste Beziehung des göttlichen Willens zum Gewollten ist also nicht schlechthin notwendig, wegen der Unproportioniertheit des Gewollten zum Ziel, welches, wie gesagt, der Grund des Wollens ist. Daher ist es nicht schlechthin notwendig, daß Gott es will. Die zweite Beziehung aber ist notwendig wegen der Wirksamkeit des göttlichen
64 Oben, zu 1.
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Willens; und darum folgt es notwendigerweise, daß, wenn Gott etwas mit dem Willen des Wohlgefallens will, es geschieht. Zu 16. Obwohl zwischen jenen zwei Ordnungen, die der Einwand berührt, keine vermittelnde zufällige Ursache fällt, bewirkt die Notwendigkeit der ersten Ordnung wegen des Mangels an Proportioniertheit dennoch keine Notwendigkeit in der zweiten Ordnung. Was jedoch in den Gegeneinwänden hinsichtlich der Willensfreiheit eingewandt wurde (sc. 3), ist schon dadurch gelöst, daß die Notwendigkeit der natürlichen Ordnung dem Willen nicht widerspricht, sondern nur die Notwendigkeit des Zwanges. Die anderen Gegeneinwände geben wir zu.
5. Artik el Die fünfte Frage lautet: Verursacht der göttliche Wille in den gewollten Dingen eine Notwendigkeit?65 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Wenn eine hinreichende Ursache angenommen wird, ist es auch notwendig, die Wirkung zu anzunehmen. Das beweist Avicenna in seiner Metaphysik so:66 Wenn nämlich bei Annahme einer hinreichenden Ursache nicht notwendig die Wirkung angenommen wird, dann wird die Wirkung nach der Setzung der Ursache sich zu beidem, d. h. zum Sein und Nichtsein, indifferent verhalten. Das aber, was in Potenz auf zweierlei ist, wird nicht zu einem von beiden bestimmt, wenn es nicht etwas Bestimmendes gibt. Also muß nach der Setzung der Ursache etwas angenommen werden, welches macht, daß die Wirkung existiert; und so wäre jene Ursache nicht hinreichend. Wenn also die Ursache hinreichend ist, ist es notwen65 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 19 a. 8; ScG I, 85 und II, 29 f.; De malo q. 16 a. 7 ad 15; Super Periherm. I, lect. 14; In Met. VI, 3; Quodl. XI, (3), 3; XII, (3) 3 ad 1. 66 Avicenna, Liber de philosophia prima I, 6 (Venedig 1513, fol. 73rbA; ed. Van Riet, I, 45). Vgl. auch Avicenna, Sufficientia I, 13, (Venedig, Bonetus Locatellus für Octavianus Scotus, 1508; ND Frankfurt a. Main, Minerva, 1961), fol. 20va.
5. Artikel
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dig, daß mit ihrer Setzung auch die Wirkung gesetzt wird. Der göttliche Wille aber ist eine hinreichende Ursache, und keine kontingente, sondern eine notwendige Ursache. Also sind auch die von Gott gewollten Dinge notwendig. 2. Jemand sagte zwar, daß aus einer notwendigen Ursache wegen der Kontingenz der vermittelnden Ursache manchmal eine kontingente Wirkung folgt, so wie sich aus der Hauptprämisse wegen einer kontingenten Unterannahme notwendigerweise eine kontingente Schlußfolgerung ergibt. – Dagegen spricht aber, daß, wann immer aus einer notwendigen Ursache wegen der Kontingenz der vermittelnden Ursache eine kontingente Wirkung folgt, dies aus dem Mangel der Zweitursache hervorgeht. Zum Beispiel ist das Blühen des Baumes kontingent und nicht notwendig, wegen des Mangels an keimender Kraft (der vorkommen kann), welche eine vermittelnde Ursache ist, obwohl die Bewegung der Sonne, die die Erstursache ist, eine notwendige Ursache ist. Der göttliche Wille kann aber jeden Mangel in einer Zweitursache und jedes Hindernis beseitigen. Also verhindert die Kontingenz der Zweitursache nicht, daß die Wirkung notwendig ist, wegen der Notwendigkeit des göttlichen Willen. 3. Wenn die Wirkung wegen der Zweitursachen kontingent ist, obwohl eine notwendige Erstursache existiert, dann kann das Nichtsein der Wirkung mit dem Sein der Erstursache zusammenbestehen; zum Beispiel kann das Nichtblühen des Baumes im Frühling mit der Bewegung der Sonne zusammenbestehen. Sein Nichtsein aber kann nicht mit dem Gewolltsein durch Gott zusammenbestehen. Diese zwei sind nämlich inkompossibel: daß Gott will, daß etwas ist und daß es nicht ist. Die Kontingenz der Zweitursachen verhindert also nicht, daß das von Gott Gewollte notwendig ist wegen der Notwendigkeit des göttlichen Willens. 4. Es sagte zwar jemand, daß, obwohl das Nichtsein der göttlichen Wirkung nicht mit dem göttlichen Willen zusammenbestehen kann, gleichwohl ebendiese Wirkung kontingent sein kann, weil die Zweitursache versagen kann. – Dagegen spricht aber, daß die Wirkung nicht versagt, außer die Zweitursache versagt. Es kann aber nicht sein, daß die Zweitursache versagt, während der göttliche Wille besteht. So nämlich bestünde zugleich der göttliche Wille und das Nichtsein dessen, was von Gott gewollt wird, was offenkundig falsch
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ist. Also verhindert die Kontingenz der Zweitursachen nicht, daß die Wirkung des göttlichen Willens notwendig ist. Dagegen spricht: Alles Gute geschieht, weil Gott es will. Wenn also der göttliche Wille den Dingen Notwendigkeit auferlegt, dann wäre alles Gute in der Welt aus Notwendigkeit; und so würden der freie Wille und andere kontingente Ursachen aufgehoben. Antwort: Der göttliche Wille erlegt nicht allen gewollten Dingen eine Notwendigkeit auf. Als Grund hierfür wird von manchen67 angegeben, daß der Wille, während er die Erstursache von allem ist, einige Wirkungen durch Vermittlung von Zweitursachen hervorbringt, welche kontingent sind und mangelhaft sein können. Darum folgt die Wirkung der Kontingenz der Zweitursachen, nicht aber der Notwendigkeit der Erstursache. Das aber scheint mit denen68 übereinzustim67 Schmidt III, 455, verweist auf In Periherm. l. 14, n. 8 ff., wo Thomas Boethius zitiert, der diese Position den Stoikern zuschreibt. In der Tat wendet Thomas dort gegen das stoische Fatum mit Aristoteles ein, daß nicht alles eine Ursache hat, sondern nur was per se ist; der Zufall hat vielmehr mit einer Abwesenheit von Sein zu tun, wie Platon sagt. Nicht jede Ursache ist demnach eine wirksame, sondern nur eine hinreichende (causa sufficiens). In n. 14 wird dies auch auf die Astrologie bezogen und abgelehnt. Diese Diskussion scheint aber eher mit innerweltlichen Ursachen zu tun zu haben, während an dieser Stelle Thomas eher an neoplatonische Emanationen aus der Erstursache zu denkt, wie aus dem Folgenden klar wird. Vgl. auch Sum. theol. I, q. 19 a. 8. 68 Vgl. auch De ver. q. 3 a. 2c. In Sent. IV, d. 5 q. 1 a. 3, qc. 3 arg. 1, sowie ScG II, 42 und Sum. theol. I, q. 45 a. 5 zitiert Thomas Avicenna, Liber de philosophia prima IX, 4 (Venedig 1513, fol. 104vb; ed. Van Riet, II, 480 f.); vgl. aber auch Avicenna, Liber de philosophia prima I, 6 (fol. 73rb, va; ed. Van Riet I, 44 f.; 46 f.), VIII, 1 (f. 97va; ed. Van Riet II, 376 f.) und IX, 4 (104va; ed. Van Riet, II, 478 f.), De intelligentiis 1 (fol. 64va) u. 4 (fol. 65ra; ed. Vaux, 88 f.); Sufficientia I, 13, (Venedig 1508; ND Frankfurt a. M., Minerva, 1961), fol. 21ra). In De pot. q. 3 a. 16 zitiert Thomas auch Algazel, Met. p. I, tr. 5 (Algazel’s Metaphysics. A Mediaeval Translation, ed. J. T. Muckle (St. Michael’s College, Toronto 1933), 120). Dies steht offenbar der
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men, die annehmen, daß alles von Gott gemäß der Notwendigkeit der Natur hervorgeht, nämlich daß von einem Einfachen eines unmittelbar hervorgeht, das eine gewisse Vielheit hat; und vermittelt durch dieses geht die Vielheit hervor. Ähnlich sagen sie, daß von einem gänzlich Unbewegtem etwas hervorgeht, das der Substanz nach unbeweglich ist, der Lage nach aber beweglich und sich verschieden verhaltend; vermittelt durch dies ergibt sich das Entstehen und Zugrundegehen in den niederen Dingen. Diesem Denkweg gemäß kann man nicht annehmen, daß Gott unmittelbar die Vielheit und die verderblichen und kontingenten Dinge erschafft. Das aber ist eine Behauptung, die dem Glauben entgegengesetzt ist,69 welcher eine Vielheit von Dingen, auch der verderblichen, annimmt, die unmittelbar von Gott geschaffen ist, so etwa die ersten Individuen der Bäume und der Tiere. Und so muß man einen anderen Hauptgrund für die Kontingenz unter den Dingen angeben, welcher die zuvor genannte Ursache untergeordnet wäre. Das Erleidende muß nämlich dem Wirkenden angeglichen sein, und wenn das Wirkende das Stärkste ist, dann wird die Ähnlichkeit der Wirkung zur wirkenden Ursache vollkommen sein. Wenn das Wirkende aber schwach ist, dann wird die Ähnlichkeit unvollkommen sein. Zum Beispiel wird der Sohn wegen der bildenden Kraft im Samen dem Vater ähnlich, nicht nur der Art nach, sondern auch in vielen Akzidentien. Umgekehrt wird wegen der Schwäche der besagten Kraft die genannte Ähnlichkeit vernichtet, wie es im Buch Von den Tieren heißt.70 Der göttliche Wille jedoch ist das am stärksten Wirkende, daher muß seine Wirkung ihm auf alle Weise ähnlich werden, sodaß nicht nur das geschieht, wovon Gott will, daß es geschieht, was gleichsam das Ähnlichwerden der Art nach ist, sondern auch daß es in der Weise geschieht, in welcher neuplatonischen Tradition nahe: Plotin, Enneaden I, 8, 7; III, I, 7; IV, 3, 39; V, 1, 4 und III, 10; VI, 9, 9; Proklus, Elemente prop. 11–13. 69 Vgl. auch Sum. theol. I, q. 45, a. 1, wonach die Vielheit aus Gott selbst, nämlich der Absicht der göttlichen Weisheit stammt, und es der göttlichen Einfachheit nicht widerspricht, vieles zu kennen. 70 Aristoteles, De gen. animal. IV, c. 3; 767 a 36 ff. und 767 b 16–768 a 36; vgl. Albertus Magnus, De animalibus XVIII tr. I, c. 4 f. (ed. H. Stadler, II, 1205 ff.).
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Gott will, daß es geschieht (wie z. B. notwendig oder kontingent, schnell oder langsam, was gleichsam eine gewisse Verähnlichung den Akzidentien nach ist). Diese Weise nun bestimmt der göttliche Wille den Dingen vorher, nach der Ordnung seiner Weisheit. Sofern er aber anordnet, daß einige Dinge so oder so geschehen, adaptiert er ihnen die Ursachen in jener Weise, welche er anordnet. Er könnte aber den Dingen diese Weise auch ohne vermittelnde Ursachen eingeben. Und so sagen wir nicht, daß einige göttliche Wirkungen nur wegen der Kontingenz der Zweitursachen kontingent sind, sondern vielmehr wegen der Anordnung des göttlichen Willens, der jene Ordnung für die Dinge vorgesehen hat. Zu 1. Jener Einwand folgt für Ursachen, die mit der Notwendigkeit der Natur wirken, und hinsichtlich der unmittelbaren Wirkungen. Für die willentlichen Ursachen aber folgt es nicht, weil etwas aus dem Willen in der Weise folgt, in welcher der Wille es angeordnet hat, und nicht in der Weise, in welcher der Wille das Sein hat, wie es bei den natürlichen Ursachen vorkommt, bei welchen eine Verähnlichung hinsichtlich desselben Zustandes der Ursache und des Verursachten zu beobachten ist. Bei den willentlichen Ursachen aber ist eine Verähnlichung zu beobachten, insofern in der Wirkung der Wille des Wirkenden erfüllt wird, wie gesagt worden ist. Und selbst bei den natürlichen Ursachen folgt dies nicht hinsichtlich vermittelter Wirkungen. Zu 2. Obwohl Gott alle Hindernisse der Zweitursachen entfernen könnte, wenn er wollte, will er sie dennoch nicht immer entfernen. Und so bleibt die Kontingenz in den Zweitursachen und folglich auch in den Wirkungen. Zu 3. Obwohl des Nichtsein der Wirkung des göttlichen Willens nicht zugleich bestehen kann mit dem göttlichen Willen, besteht gleichwohl das Vermögen, daß die Wirkung versagt, zugleich mit dem göttlichen Willen. Es sind nämlich »Gott will diesen erretten« und »dieser kann verdammt werden« nicht inkompossibel; inkompossibel sind aber: »Gott will diesen erretten« und »dieser wird verdammt.« Zu 4. Ähnliches ist zum vierten Einwand zu sagen, über das Versagen der vermittelnden Ursachen.
6. Artik el Die sechste Frage lautet: Hängt die Gerechtigkeit in den geschaffenen Dingen vom einfachen Willen Gottes ab?71 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Anselm sagt nämlich im Monologion: »Das allein ist gerecht, was Du willst.«72 Also hängt die Gerechtigkeit allein von Gottes Willen ab. 2. Etwas ist gerecht, sofern es dem Gesetz entspricht. Das Gesetz aber scheint nichts anderes zu sein als der Ausdruck des Willens des Fürsten, weil »das, was dem Fürsten gefällt, die Kraft des Gesetzes hat«, wie der Gesetzgeber sagt.73 Da nun der Fürst aller Dinge der göttliche Wille ist, scheint es, daß von ihm allein alles Wesen der Gerechtigkeit abhängt. 3. Die politische Gerechtigkeit, die sich in den menschlichen Dingen findet, hat ein Urbild in der natürlichen Gerechtigkeit, die darin besteht, daß jedes Ding seine Natur erfüllt. Jedes Ding aber nimmt teil an der Ordnung seiner Natur aufgrund des göttlichen Willens: Hilarius sagt nämlich im Buch Vom Symbol,74 daß »der göttliche Wille allen Geschöpfen ihr Wesen zugeteilt hat.« Also hängt alle Gerechtigkeit allein vom Willen Gottes ab. 4. Da die Gerechtigkeit eine Art Rechtheit ist, hängt sie von der Nachahmung einer Regel ab. Die Regel einer Wirkung aber ist die gehörige Ursache. Da nun die Erstursache aller Dinge der göttliche Wille ist, scheint es, daß er die erste Regel ist, aus welcher alles andere als gerecht beurteilt wird.
71 Paralleltexte: keine direkten Parallelen, aber damit zusammenhängend: ScG II, c. 24; Sum. theol. I, q. 21, a. 2; I–II, q. 68, a. 4 ad 2. 72 Tatsächlich Anselm von Canterbury, Proslogion 11 (PL 158, col. 233 D; Opra omnia I, ed. Schmitt, 109). 73 Digesten I, tit. 4, lege 1 (ed. Th. Mommsen, Corpus Iuris Civilis, Berlin 1908, I, 7) und Justinian, Inst. I, tit. 2 lege 6 (ed. P. Krüger, Berlin 1869, 1). 74 Hilarius von Poitiers, De synodis XXIV, § 58 (PL 10, col. 520 C), Thomas nennt das Werk ›De symbolo‹ wegen der darin enthaltenen Glaubensbekenntnisse.
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5. Der Wille Gottes kann nur gerecht sein.75 Wenn also das Wesen der Gerechtigkeit von einem anderen abhinge, als vom göttlichen Willen, würde dieses den göttlichen Willen beschränken und auf gewisse Weise binden, was unmöglich ist. 6. Jeder Wille, der aus einem anderen Grunde gerecht ist als durch sich selbst, verhält sich so, daß man seinen Grund suchen muß. Einen Grund des Willens Gottes darf man aber nicht suchen, wie Augustinus im Buch der 83 Fragen sagt.76 Also hängt das Wesen der Gerechtigkeit von nichts anderem ab, als vom göttlichen Willen. Dagegen spricht: 1. Die Werke der Gerechtigkeit werden von den Werken der Barmherzigkeit unterschieden. Die Werke der göttlichen Barmherzigkeit aber hängen von seinem Willen ab; also ist etwas anderes zum Wesen der Gerechtigkeit erforderlich als bloß der Wille Gottes. 2. Nach Anselm, im Buch Von der Wahrheit,77 ist die Gerechtigkeit die Rechtheit des Willens. Die Rechtheit des Willens aber ist etwas anderes als der Wille. In uns ist das so der Sache nach, da unser Wille recht und nicht recht sein kann, in Gott aber wenigstens gedanklich oder der Verstehensweise nach. Also ist das Wesen der Gerechtigkeit nicht nur vom göttlichen Willen abhängig. Antwort: Gerechtigkeit ist eine Art Rechtheit, wie Anselm sagt,78 oder eine Gleichheit nach Aristoteles.79 Darum muß das Wesen der Gerechtigkeit primär von dem abhängen, wo primär das Wesen derjenigen Regel gefunden wird, gemäß welcher die Gleichheit und Rechtheit der Gerechtigkeit in den Dingen bestimmt wird. Der Wille aber hat nicht das Wesen der ersten Regel, sondern er ist eine regulierte Regel. Er wird nämlich von Verstand und Vernunft geleitet, und das 75 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. I, d. 45, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I, 307). 76 Augustinus, De diversis quaestionibus LXXXIII liber, q. 28 (PL 40,
col. 18). 77 Anselm von Canterbury, De veritate 12 (PL 158, col. 481. 483; Opera omnia I, ed. Schmitt, 191 ff.). 78 Ibid. 79 Aristoteles, Eth. Nic. V, 2; 1129 b 33 f.; V, 6; 1131 a 9 ff.; V, 7; 1131 b 33.
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nicht nur bei uns, sondern auch bei Gott, obwohl bei uns Vernunft und Wille der Sache nach verschieden sind, und darum auch der Wille und die Rechtheit des Willens nicht dasselbe sind. Bei Gott aber ist die Vernunft und der Wille der Sache nach dasselbe, und deshalb auch die Rechtheit des Willens und der Wille selbst. Darum ist das erste, von welchem das Wesen aller Gerechtigkeit abhängt, die Weisheit der göttlichen Vernunft, die die Dinge in angemessener Proportion zueinander und zu ihrer Ursache bestimmt; und in dieser Proportion besteht die geschaffene Gerechtigkeit. Zu sagen aber, daß die Gerechtigkeit vom einfachen Willen Gottes abhängt, heißt zu sagen, daß der göttliche Wille nicht nach der Ordnung der Weisheit vorgeht, und das ist Blasphemie. Zu 1. Nichts kann gerecht sein, außer es ist von Gott gewollt. Das aber, was Gott will, hat die erste Ursache der Gerechtigkeit aus der Ordnung der göttlichen Weisheit. Zu 2. Obwohl der Wille des Fürsten die Zwangsgewalt des Gesetzes daraus hat, daß er Wille ist, hat er das Wesen der Gerechtigkeit dennoch nur, wenn er vom Verstand geführt wird. Zu 3. Gott handelt in den natürlichen Dingen auf zweifache Weise: erstens, indem er ihre Naturen einrichtet, zweitens, indem er für jede Sache besorgt, was ihrer Natur zukommt. Und weil das Wesen der Gerechtigkeit ein Geschuldetes impliziert, darum hat, weil die Einsetzung der Dinge nichts Geschuldetes ist, sondern rein freiwillig, die erste Handlung nicht das Wesen der Gerechtigkeit, sondern hängt vom einfachen Willen Gottes ab, außer man sagt vielleicht, daß es das Wesen der Gerechtigkeit wegen der Hinordnung desselben Dinges zum Willen hat: es ist nämlich geschuldet, daß alles geschieht, was Gott will, aus ebendem Grund, daß Gott es will. Zur Erfüllung ebendieser Ordnung aber leitet die Weisheit, gleichsam als erste Regel. In der zweiten Handlung aber findet sich das Wesen des Geschuldeten nicht von seiten des Wirkenden, denn Gott ist niemandes Schuldner, sondern von seiten des Empfängers. Es ist nämlich jedem Ding geschuldet, daß es das hat, was es seiner Natur nach braucht, sowohl in wesentlichen, als auch in akzidentellen Dingen. Dies Geschuldete aber hängt von der göttlichen Weisheit ab, insofern nämlich das Naturding von der Art sein muß, daß es
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seine eigene Idee nachahmt, die im Geist Gottes ist. Auf diese Weise zeigt sich die göttliche Weisheit als die erste Regel der natürlichen Gerechtigkeit. In allen göttlichen Handlungen aber, in denen Gott dem Geschöpf etwas über das der Natur nach Geschuldete hinaus gewährt, wie etwa in den Gnadengaben, findet sich dieselbe Art der Gerechtigkeit, die der ersten Handlung zugewiesen wurde, durch welche er die Naturen einsetzt. Zu 4. Der göttliche Wille setzt gedanklich die Weisheit voraus, welche als erste das Wesen der Regel hat. Zu 5. Weil in Gott die Vernunft und der Wille nicht der Sache nach verschieden sind, wird der Wille dadurch, daß er von der Vernunft geleitet und zu etwas bestimmt wird, nicht von einem anderen beschränkt. Sondern er bewegt sich nach seiner Natur, weil es diesem Willen natürlich ist, daß er immer gemäß der Ordnung der Weisheit wirkt. Zu 6. Der göttliche Wille kann von seiten des Wollenden keine Ursache haben, die vom Willen selbst verschieden ist und die für es als Grund des Wollens existiert, denn der Wille, die Weisheit und die Güte sind der Sache nach identisch in Gott. Von seiten des Gewollten aber hat der göttliche Wille einen Grund, der nämlich ein Grund des Gewollten, nicht des Wollenden ist, gemäß welchem ebendies Gewollte der Schuldigkeit oder der Angemessenheit nach auf etwas hingeordnet wird. Diese Ordnung aber gehört zur göttlichen Weisheit, daher ist diese die erste Wurzel der Gerechtigkeit.
7. Artik el Die siebte Frage lautet: Sind wir dazu angehalten, unseren Willen mit dem göttlichen Willen in Übereinstimmung zu bringen? 80 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Niemand ist zum Unmöglichen verpflichtet.81 Es ist uns aber unmöglich, unseren Willen mit dem göttlichen in Übereinstim80 Paralleltexte: Sent. I, d. 48, q. 1, a. 1–3; Sum. theol. I–II, q. 19, a. 9. 81 Digesten L, tit. 17, lege 185 (ed. Th. Mommsen, Corpus Iuris Civilis,
Berlin 1908, I, 873).
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mung zu bringen, weil der göttliche Wille uns unbekannt ist. Also sind wir nicht zur besagten Übereinstimmung verpflichtet. 2. Jeder, der nicht tut, wozu er verpflichtet ist, sündigt. Wenn wir also zur Übereinstimmung unseres Willens mit dem göttlichen verpflichtet sind, sündigen wir durch Nichtübereinstimmung. Wer immer aber eine Todsünde begeht, stimmt darin, worin er sündigt, nicht mit dem göttlichen Willen überein. Also sündigt er schon aus diesem Grunde. Er sündigt jedoch auch durch eine andere besondere Sünde, z. B. wie daß er stiehlt oder Unzucht treibt. Wer immer sündigt, begeht also zwei Sünden, was absurd ist. 3. Es sagte zwar jemand, daß das Gebot der Übereinstimmung unseres Willens mit dem göttlichen, da es affirmativ ist, auch wenn es ständig verpflichtet, nicht zu jedem Zeitpunkt verpflichtet; und so wäre es nicht zwingend, daß jemand sündigte, wann immer er nicht übereinstimmt. – Dagegen spricht aber, daß, obwohl jemand, der ein affirmatives Gebot nicht befolgt, nicht in jedem Fall sündigt, indem er es nicht befolgt, er dennoch sündigt, wann immer etwas Gegenteiliges tut. Z. B. sündigt jemand, wann immer er seine Eltern verunehrt, auch wenn er nicht immer sündigt, wenn er sie nicht aktuell ehrt. Jemand aber, der eine Todsünde begeht, handelt entgegen der besagten Übereinstimmung; also sündigt er aus ebendiesem Grund. 4. Jeder, der nicht das befolgt, wozu er verpflichtet ist, ist ein Übertreter. Jener aber, der eine läßliche Sünde begeht, bringt seinen Willen nicht mit dem göttlichen zur Übereinstimmung. Wäre er also zur Übereinstimmung verpflichtet, so wäre er ein Übertreter, und er beginge so eine Todsünde. 5. Es sagte zwar jemand, daß man nicht gehalten ist, zu dem Zeitpunkt in Übereinstimmung zu sein, an dem man läßlich sündigt. – Dagegen spricht aber, daß jeder, der ein affirmatives Gebot nicht an dem Ort und Zeitpunkt befolgt, an dem es verpflichtet, als Übertreter beurteilt wird. Der Zeitpunkt der Übereinstimmung unseres Willens mit dem göttlichen Willen scheint aber nicht anders bestimmt werden zu können, denn als derjenige, an welchem der Wille in den Akt übergeht. Wann immer also der Wille in den Akt übergeht, scheint es eine Sünde zu sein, wenn er nicht mit dem göttlichen Willen übereinstimmt. Und so scheint es eine Todsünde zu sein, wenn jemand läßlich sündigt.
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6. Niemand ist zum Unmöglichen verpflichtet. Der Verhärtete aber kann seinen Willen nicht mit dem göttlichen zur Übereinstimmung bringen. Also ist er zu dieser Übereinstimmung nicht verpflichtet, und folglich auch andere nicht. Andernfalls erlangten die Verhärteten einen Vorteil von ihrer Verhärtung. 7. Da Gott alles, was er will, aus Liebe will (er selbst ist ja die Liebe), sind wir gehalten die Liebe zu haben, wenn wir gehalten sind, unseren Willen dem göttlichen gleichförmig zu machen. Jemand aber, der die Liebe nicht hat, kann diese auch nicht nachahmen, wenn er sich nicht mit Fleiß auf sie vorbereitet. Also ist der, der die Liebe nicht hat, ständig dazu verpflichtet, sich darauf vorzubereiten, die Liebe zu haben. So aber sündigt er in jedem Augenblick, in welchem er die Liebe nicht hat, weil dies aus einem Mangel an Vorbereitung herrührt. 8. Da die Form des Aktes insbesondere in der Weise des Handelns besteht, müssen wir, wenn wir zur Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen verpflichtet sind, etwas in derselben Weise wollen, wie Gott es will. Die Weise des göttlichen Willens kann jemand aber auf gewisse Weise entweder durch natürliche oder durch gnadenhafte Liebe nachahmen. Diejenige Übereinstimmung, von der wir sprechen, kann aber nicht gemäß der natürlichen Liebe genommen werden, weil in dieser Weise selbst die Ungläubigen und Sünder ihren Willen mit dem göttlichen in Übereinstimmung bringen, denn die natürliche Liebe ist auch in ihnen bei Kräften. Ähnlich kann sie nicht nach der gnadenhaften Liebe genommen werden, welche die karitative Liebe ist; so wären wir nämlich gehalten, was immer wir wollen, aus karitativer Liebe zu wollen – was gegen die Meinung vieler82 ist, die sagen, daß der Modus der Handlung nicht unter das Ge82 Vgl. Albertus Magnus, Sent. III, d. 36 a. 6 (ed. Borgnet XXVIII, 677 a); Bonaventura, Sent. III, d. 37, a. 1, q. 2 (Opera omnia, III, 815–817); und Thomas selbst in Sent. II, d. 28, q. 1, a 3; in Sent. III, d. 36, q. 1, a. 6 unterscheidet er vier Positionen und akzeptiert lediglich eine qualifizierte Antwort. Ähnlich Albert und Bonaventura (a.a. O.). Die Handlungsart (z. B. aus Liebe) fällt weder unter göttliches noch menschliches Gebot, außer sofern es die äußere Handlung betrifft; andernfalls wäre Pelagianismus impliziert; vgl. Sum theol. I–II, q. 100, a. 9 f. Zwar soll man das Gute mit Freude tun, aber das betrifft nicht den Habitus selbst, aus dem die Freude
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bot fällt. Also scheint es, daß wir nicht gehalten sind, unseren Willen mit dem göttlichen Willen zur Übereinstimmung zu bringen. 9. »Wie weit Gott vom Menschen entfernt ist, so weit auch der Wille Gottes vom Willen des Menschen,« wie die Glosse zum Psalm »Den Gerechten gebührt Lobpreis« sagt.83 Gott aber ist so weit vom Menschen entfernt, daß der Mensch nicht mit ihm übereinstimmen kann. Da nämlich der Mensch unendlich weit von Gott entfernt ist, kann es keine Proportion zwischen ihm und Gott geben. Also kann auch der Wille des Menschen nicht mit dem Willen Gottes übereinstimmen. 10. Diejenigen Dinge werden gleichförmig genannt, die in irgendeiner Form übereinkommen. Wenn also unser Wille dem göttlichen Willen gleichförmig sein kann, muß es eine Form geben, in welcher beide Willen übereinkommen. Und so wäre etwas einfacher als der göttliche Wille, was unmöglich ist. 11. Übereinstimmung ist eine symmetrische Relation.84 In solchen Relationen aber wird jede der Seiten auf die andere durch dieselbe Relation bezogen, so wie der Freund dem Freund ein Freund genannt wird, oder der Bruder dem Bruder ein Bruder. Wenn also unser Wille mit dem göttlichen übereinstimmen kann, sodaß wir zur besagten Übereinstimmung verpflichtet wären, dann wird auch der göttliche Wille mit dem unseren übereinstimmen können. Das scheint unangemessen zu sein. 12. Dasjenige fällt unter ein Gebot und zu demjenigen sind wir verpflichtet, das wir tun und nicht tun können. Wir können aber nicht machen, daß wir unseren Willen mit dem Gottes zur Übereinstimmung bringen; denn, wie Anselm sagt,85 so wie dasjenige, folgt (ibid. a. 9 ad. 3) – außer es ist dem vorgeschriebenen Akt intrinsisch (z. B. Gott aus ganzem Herzen lieben; II–II, q. 44 a. 4 ad 1). Vgl. auch De malo q. 2, a. 5 ad 7 und De ver. q. 24 a. 12 ad 16. 83 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Psalm 32, 1 (PL 191, col. 325 D), ausgehend von Augustinus, Enarr. in Ps. 32, s. 1, n. 2 (PL 36, col. 277; CCSL 38, 248). 84 Vgl. Petrus Hispanus, Summulae logicales, tr. III, n. 19 (ed. de Rijk 35). 85 Anselm, Cur Deus homo I, c. 15 (PL 158, col. 380 C; Opera omnia II, ed. Schmitt, 73); vgl. auch Anselm, De concordia praescientiae Dei cum libero arbitrio I, 4 (PL 158, col. 513; Opera omnia I, ed. Schmitt, 252 f.).
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was in86 einer Kugel eingeschlossen ist, sich, je mehr es sich von einer Seite des Umfanges entfernt, desto mehr der anderen annährt, so auch, wer sich in einer Hinsicht von Gottes Willen entfernt, in einer anderen den göttlichen Willen erfüllt. Darum sind wir nicht so zu der besagten Übereinstimmung verpflichtet, wie wir zu dem verpflichtet sind, was unter ein Gebot fällt. Dagegen spricht: 1. Die Glossa sagt87 über den Psalm »Den Gerechten gebührt Lobpreis«:88 »Die Gerechten sind die, welche ihr Herz nach dem Willen Gottes lenken.« Jeder aber ist dazu gehalten, gerecht zu sein. Also ist jeder zu besagter Übereinstimmung verpflichtet. 2. Jeder muß mit seiner Regel übereinstimmen. Der göttliche Wille aber ist die Regel unseres Willens,89 weil sich primär in Gott die Rechtheit des Willens findet. Also muß unser Wille mit dem göttlichen Willen übereinstimmen. Antwort: Jeder ist gehalten, seinen Willen mit dem göttlichen in Übereinstimmung zu bringen. Der Grund kann von daher genommen werden, daß es in jeder Gattung ein Erstes gibt, das das Maß aller anderen Dinge ist, die in dieser Gattung sind. In diesem findet sich das Vollkommenste der Natur der Gattung. Zum Beispiel findet sich die Natur der Farbe in der Weiße, welche insoweit das Maß aller Farben genannt wird, als man aus der Nähe zur Weiße oder der Ferne zu ihr von jeder Farbe weiß, wie weit sie an der Natur der Gattung teilhat, wie es im 10. Buch der Metaphysik heißt.90 Und in dieser Weise ist Gott das Maß alles Seienden, wie man aus den Worten des Aver86 Die Leonina hat »infra«; das mag sich auf Anselms Bild des Himmelsgewölbes beziehen. 87 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Psalm 32, 1 (PL 191, col. 325 D), ausgehend von Augustinus, Enarr. 2 in Ps. 32, 1, n. 2 (PL 36, col. 277; CCSL 38, 248). 88 Psalm 32, 1. 89 Vgl. De ver. q. 23 a. 8. 90 Aristoteles, Met. X, 1; 1052 b 18–26 (die Eins in der Gattung der Zahl) und X, 2; 1053 b 27–33 (Farben).
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roes91 hierzu entnehmen kann. Soviel hat nämlich jedes das Sein, soweit es sich Ihm durch Ähnlichkeit nähert. Insofern es ihm aber unähnlich ist, nähert es sich dem Nichtsein. Und so muß man von allem sagen, was in Gott und dem Geschöpf gleichermaßen zu finden ist. Daher ist auch seine Vernunft das Maß aller Erkenntnis, und seine Güte das aller Gutheit, und, um vom spezielleren Fall zu reden, sein guter Wille das Maß aller guten Willen. Jeder Wille ist also von daher gut, daß er mit dem göttlichen guten Willen übereinstimmt. Darum ist jeder, insofern er dazu gehalten ist, einen guten Willen zu haben, gleichermaßen dazu gehalten, einen Willen zu haben, der mit dem göttlichen Willen übereinstimmt. Man muß aber wissen, daß diese Übereinstimmung vielfach betrachtet werden kann. Wir reden nämlich hier von dem Willen, welcher der Akt ist. Dem Vermögen des Willens nach ist unsere Übereinstimmung mit Gott nämlich natürlich; sie gehört zur Ebenbildlichkeit92 und fällt daher nicht unter eine Vorschrift. Dem Akt des göttlichen Vermögens eignet aber nicht nur das, daß er ein Akt des Willens ist, sondern zugleich auch, daß er die Ursache von allem ist, was existiert. Der Akt unseres Willens kann also mit dem göttlichen Willen entweder so übereinstimmen, wie die Wirkung mit der Ursache, oder so, wie der Wille mit dem Gewollten. Die Übereinstimmung der Wirkung mit der Ursache findet sich aber bei natürlichen Ursachen auf andere Weise, als bei willentlichen. Bei natürlichen Ursachen betrachtet man nämlich die Übereinstimmung nach der Ähnlichkeit der Natur, z. B. daß der Mensch einen Menschen erzeugt und das Feuer ein Feuer; aber bei den willentlichen Ursachen sagt man, daß die Wirkung mit der Ursache übereinstimmt, weil in der Wirkung ihre Ursache zur Erfüllung gelangt. Z. B. ähnelt das Kunstwerk seiner Ursache nicht deshalb, weil es von derselben Natur wäre, wie die Kunst im Geist des Künstlers, sondern weil die Form der Kunst im Kunstwerk zur Erfüllung kommt. Und ähnlich stimmt auch der Wille mit seiner Wirkung überein, wenn das geschieht, was der Wille anordnet. Und so stimmt auch der Akt unse-
91 Averroes, Met. X, comm. 7 (Venedig 1562, t. VIII, 257 A). 92 Vgl. De ver. q. 10, a. 1.
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res Willens mit dem göttlichen Willen überein, weil wir das wollen, wovon Gott will, daß wir es wollen. Die Übereinstimmung des Willens mit einem anderen Willen hinsichtlich des Aktes kann man aber auf zweifache Weise betrachten: auf eine Weise gleichsam nach der Form der Spezies, wie der Mensch dem Menschen ähnlich ist; auf andere Weise nach einer zusätzlich eingeführten Form, so wie der Weise dem Weisen ähnlich ist. Ich rede aber dann von einer Verähnlichung der Spezies nach, wenn eine Übereinstimmung im Gegenstand besteht, von dem her der Akt seine Spezies bezieht. Im Gegenstand des Willens ist jedoch zweierlei zu bedenken: eines, das gleichsam material ist, nämlich die gewollte Sache selbst, und ein anderes, das gleichsam formal ist, nämlich der Grund des Wollens, welches das Ziel ist. Z. B. ist auch beim Gegenstand des Sehens die Farbe gleichsam das Materiale, das Licht aber das gleichsam Formale, weil durch dies die Farbe aktual sichtbar gemacht wird.93 Und so kann man von seiten des Gegenstandes eine doppelte Übereinstimmung finden: eine von seiten des Gewollten, wie wenn der Mensch etwas will, das Gott will; und diese Übereinstimmung ist gleichsam eine solche gemäß der Materialursache, weil der Gegenstand gleichsam die Materie des Aktes ist; sie ist daher die geringste unter den anderen. Die andere ist von seiten des Grundes des Wollens oder von seiten des Zieles, wie wenn einer deswegen etwas will, weswegen Gott es will; und dies ist eine Übereinstimmung nach der Finalursache.94 Die Form aber, die zum Akt hinzukommt, ist die Weise, welche aus dem Habitus folgt, welcher ihn hervorruft. Und so wird unser Wille mit dem göttlichen übereinstimmend genannt, wenn jemand etwas aus Liebe will, so wie auch Gott. Und dies ist Übereinstimmung gleichsam der Formalursache nach. 93 Vgl. Aristoteles, De an. II, 7; 418 b 9; De sensu 6; 439 a 18; vgl. auch De ver. q. 2, a. 4. 94 Hier scheint Thomas sich zu widersprechen, insofern er das Ziel soeben als Formalursache gekennzeichnet hatte. Im weiteren Sinne scheinen sowohl Ziel als auch Habitus den formalen Anteil auszumachen. Die (geringerwertige) Übereinstimmung im materialen Teil, d. h. im Gewollten, wird im nächsten Artikel behandelt.
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Zu 1. Der Wille Gottes kann uns nicht vollständig bekannt sein, und darum können wir auch unseren Willen nicht seinem Willen vollständig angleichen. Aber sofern wir ihn kennen, können und müssen wir ihn angleichen. Zu 2. Der Mensch begeht nicht mit einem einzigen Akt zwei Sünden, denn das Wesen der Sünde als solches ist der Akt. In einem einzigen Akt können aber zwei Entstellungen der Sünde sein. Das geschieht dann, wenn zu dem Akt einer besonderen Sünde ein Umstand hinzukommt, der diese in die Entstellung einer anderen Sünde transferiert. So wenn z. B. jemand fremdes Gut raubt, um es für Prostituierte zu verschwenden, empfängt der Akt des Raubes die Entstellung der Ausschweifung aus dem Umstand des Weswegen. Wenn sich aber etwas einer Entstellung eigenes im Akt einer Sünde findet, welches über die spezifische Entstellung dieses Aktes hinausgeht, welches aber aller Sünde gemeinsam ist, dann wird dadurch weder die Sünde verdoppelt, noch die Entstellung der Sünde. Dies deswegen, weil diejenigen Aspekte, welche sich allgemein in allen Sünden finden, gleichsam die Wesensprinzipien der Sünde als solcher darstellen, und sie sind in der Entstellung jeder spezifischen Sünde eingeschlossen, wie die Prinzipien der Gattung im Begriff der Art. Daher werden sie auch nicht von der spezifischen Entstellung der Sünde der Zahl nach unterschieden, ebenso wie auch das, was die Abwendung von Gott ausmacht, oder das Nichtgehorchen gegenüber dem göttlichen Gesetz, und anderes dergleichen, unter welches auch die Entstellung der Nichtübereinstimmung, von welcher wir reden, zu rechnen ist. Daher ist es nicht zwingend, daß eine solcher Mangel die Sünde oder die Entstellung der Sünde verdoppelt. Zu 3. Obwohl jemand, der entgegen der Übereinstimmung handelt, aus eben diesem Grunde sündigt, ist dies gleichwohl ein Allgemeines, das nicht der Zahl nach vom Speziellen unterschieden ist. Zu 4. Obwohl jener, der eine läßliche Sünde begeht, nicht aktual mit dem göttlichen Willen übereinstimmt, stimmt er gleichwohl habituell überein. Er ist auch nicht dazu verpflichtet, daß er immer zum Akt übergeht, sondern nur entsprechend dem Ort und der Zeit. Er ist aber dazu verpflichtet, niemals das Gegenteil zu tun. Derjenige aber, der läßlich sündigt, handelt nicht gegen die besagte Über-
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einstimmung, sondern jenseits dieser; daher folgt es nicht, daß er eine Todsünde begeht. Zu 5. Das Gebot der Übereinstimmung des Willen verpflichtet nicht zu jedem Zeitpunkt, zu welchem unser Wille zur Tat übergeht, sondern nur zu dem Zeitpunkt, an welchem jemand gehalten ist, an den Zustand seines Heiles zu denken; z. B. wenn er gehalten ist zu beichten und die Sakramente zu empfangen, oder anderes dieser Art zu tun. Zu 6. Jemand wird auf zweierlei Weise verhärtet genannt: einmal schlechthin, wenn er nämlich einen unwiderruflichen Willen hat, der dem Bösen anhängt; und so sind diejenigen verhärtet, die in der Hölle sind, nicht aber jemand, der in diesem Leben existiert. Jene aber, die in der Hölle sind, sind immer noch zu derjenigen Übereinstimmung gehalten, von welcher wir handeln; und obwohl sie dazu nicht mehr gelangen können, waren sie gleichwohl sich selbst die Ursache dieser Unfähigkeit. Daher sündigen sie, indem sie nicht übereinstimmen, auch wenn sie sich wohl nicht weiter verschulden, da sie nicht mehr auf dem Wege sind. Auf andere Weise wird jemand auf gewisse Weise verhärtet genannt, wenn er ein Willen hat, der dem Bösen anhängt, nicht aber durch völlige Unwiderruflichkeit, sondern aufgrund der Schwierigkeit; auf diese Weise werden einige in diesem Leben verhärtet genannt, und solche können ihren Willen dem Gottes gleichförmig machen. Daher sündigen sie nicht nur, wenn sie nicht übereinstimmen, sondern vermehren auch ihre Schuld. Zu 7. Jeder ist verpflichtet, die Liebe zu haben, soweit es an ihm liegt; und wenn er es nicht tut, sündigt er durch eine Unterlassungssünde. Es ist aber nicht nötig, daß er in jedem Augenblick, in welchem er es nicht tut, sündigt, sondern nur dann, wenn er dazu gehalten ist, es zu tun, wie etwa wenn die Notwendigkeit ansteht, etwas zu tun, was ohne Liebe nicht geschehen kann, wie z. B. die Sakramente zu empfangen. Zu 8. Wir sagen auf zweierlei Weise, daß wir zu etwas verpflichtet sind: einmal so, daß, wenn wir es nicht tun, wir uns eine Strafe zuziehen; dies bedeutet, im eigentlichen Sinne zu etwas verpflichtet sein. Und so sind wir nach der allgemeineren Auffassung nicht gehalten, etwas aus karitativer Liebe zu tun, sondern nur, es aus natür-
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licher Liebe zu tun, ohne welche das, was geschieht, zumindest auf schlechte Weise geschieht. Ich nenne aber die natürliche Liebe nicht nur diejenige, die uns natürlicherweise einwohnt und allen gemeinsam ist, wie z. B., daß alle nach der Seligkeit streben, sondern auch jene, zu welcher jemand durch die natürlichen Prinzipien gelangen kann, welches im Guten der Gattung nach, und in den politischen Tugenden95 zu finden ist. Auf andere Weise wird gesagt, daß wir zu etwas verpflichtet sind, weil ohne dieses das Ziel der Seligkeit nicht erreicht werden kann. Und so sind wir dazu gehalten, daß wir etwas aus karitativer Liebe tun, ohne welche nichts verdienstlich für das ewige Leben sein kann. Und so ist klar, wie die Weise der karitativen Liebe in einer gewissen Weise unter das Gebot fällt, und in gewisser Weise nicht. Zu 9. Der Mensch ist mit Gott gleichförmig, weil er nach dem Ebenbild und Gleichnis Gottes geschaffen ist. Weil er unendlich weit von Gott entfernt ist, kann es zwar keine Proportion zwischen ihm und Gott geben, insofern Proportion im eigentlichen Sinne bei Quantitäten zu finden ist, wo sie zwei einander nach einem genauen Maß verglichene Quantitäten begreift; sofern aber der Name der Proportion übertragen wird auf jedwedes Verhältnis einer Sache zu einer anderen – wie etwa, wenn wir sagen, daß hier eine Ähnlichkeit zu Proportionen besteht: so wie der Fürst sich zum Staat verhält, so der Steuermann zum Schiff – hindert nichts eine Proportion des Menschen zu Gott auszusagen, weil er sich in einer gewissen Beziehung zu ihm verhält, z. B. als von ihm bewirkt oder ihm unterworfen. – Oder man kann sagen, daß, obwohl das Endliche zum Unendlichen keine Proportion im eigentlichen Sinne haben kann, es gleichwohl eine Proportionalität geben kann, die die Ähnlichkeit zweier Proportionen ist.96 Wir sagen nämlich, daß vier zweien proportioniert sind, weil sie deren zweifaches sind; sechs aber sind 95 D. h. die erworbenen, nicht verdienstlichen Tugenden der Heiden; in Sent. III, d. 33, q. 1, a. 4 ad 2 zitiert Thomas hierzu Macrobius’ Comm. in somn. Scipionis I, c. 8, 5. Vgl. auch De ver. q. 14, a. 6 arg. 5 und ad 5. Lit.: B. Shanley: »Aquinas on Pagan Virtue«, in: The Thomist 63 (1999), 553–577. 96 Euklid, Elementa V, nach der Übersetzung des Adelard von Bath, versio II (ed. Venedig 1482, f. 29v).
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vieren proportionierbar, denn so wie sich sechs zu drei verhält, so auch vier zu zwei. Und ähnlich können Endliches und Unendliches, obwohl sie nicht proportioniert sein können, doch proportionierbar sein; so wie ja das Unendliche dem Unendlichem gleich ist, so das Endliche dem Endlichen. Und auf diese Weise besteht eine Ähnlichkeit zwischen dem Geschöpf und Gott, denn so wie er sich zu dem verhält, was ihm zukommt, so verhält sich das Geschöpf zu dem, was ihm selbst eigen ist.97 Zu 10. Das Geschöpf wird nicht Gott in dem Sinne gleichförmig genannt, als ob es gleichsam an derselben Form teilhätte, an welcher Gott selbst teilhat, sondern sofern Gott selbst diejenige Form ist, welcher das Geschöpf durch eine Art Nachahmung teilhaftig ist – so wie wenn das Feuer der abgetrennt existierenden Hitze verglichen wird. Zu 11. Obwohl die Ähnlichkeit und die Übereinstimmung symmetrische Relationen sind, bezeichnen sie nicht immer jede Seite im Hinblick auf die andere, sondern nur dann, wenn die Form, gemäß welcher die Ähnlichkeit oder Übereinstimmung betrachtet wird, nach demselben Wesensgehalt in beiden Seiten existiert – so z. B. die Weiße in zwei Menschen, sofern man von beiden angemessen sagen kann, daß sie die Form des anderen haben, was gemeint wird, wenn man von etwas sagt, es sei einem anderen ähnlich. Wenn aber die Form in dem einen hauptsächlich, im anderen jedoch gleichsam abgeleitet ist, hat sie nicht die Symmetrie der Ähnlichkeit; so sagen wir, daß die Statue des Herkules dem Herkules ähnlich ist, nicht aber umgekehrt. Man kann nämlich nicht sagen, daß Herkules die Form der Statue hat, sondern nur, daß die Statue die Form des Herkules hat. Und in dieser Weise werden die Geschöpfe Gott ähnlich und gleichförmig genannt, nicht aber umgekehrt. Das Gleichförmigmachen aber, weil es eine Bewegung zur Gleichförmigkeit hin ist, impliziert nicht eine symmetrische Relation, sondern setzt etwas voraus, zu dessen Gleichförmigkeit sie das andere hin bewegt. Daher werden die späteren den früheren gleichförmig gemacht, aber nicht umgekehrt.
97 Vgl. De ver. 2, 3 ad 4.
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Zu 12. Das Wort des Anselm ist nicht so zu verstehen, daß der Mensch immer den Willen Gottes soweit tut, wie er kann, sondern weil sich der göttliche Wille hinsichtlich seiner immer erfüllt, ob er es will oder nicht.
8. Artik el Die achte Frage lautet: Sind wir dazu angehalten, unseren Willen mit dem göttlichen Willen im Gewollten in Übereinstimmung zu bringen, dergestalt nämlich, daß wir gehalten sind, das zu wollen, von dem wir wissen, daß Gott es will?98 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Paulus begehrte nämlich »aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein«, wie er im Philipperbrief (1, 23) sagt. Das aber wollte Gott nicht. Daher fügt er dort hinzu: »Ich weiß, daß ich euretwegen bleibe.« Wenn wir also gehalten wären, das zu wollen, was Gott will, dann sündigte Paulus, wenn er aufgelöst und mit Christus zu sein begehrt, was absurd ist. 2. Was Gott weiß, kann er einem anderen offenbaren. Gott weiß aber, daß jemand verworfen ist. Er kann also jemandem seine Verworfenheit offenbaren. Angenommen also, daß er es jemandem offenbarte, so folgte, daß dieser dazu verpflichtet wäre, seine eigene Verdammung zu wollen, wenn wir denn verpflichtet sind, das zu wollen, von dem wir wissen, daß Gott es will. Seine Verdammung zu wollen ist aber gegen die Liebe, durch welche jeder sich zum ewigen Leben liebt. Also wäre jemand verpflichtet, etwas gegen die Liebe zu wollen, was unangemessen ist. 3. Wir sind gehalten, einem Oberen wie Gott zu gehorchen, weil wir ihm an Gottes statt gehorchen. Der Untergebene aber ist nicht gehalten, zu tun, wovon immer er weiß, daß der Obere es will, selbst wenn er wissen sollte, daß der Obere will, daß er es tut, außer er gebietet es ihm ausdrücklich. Also sind wir nicht gehalten, zu wollen, was immer Gott will, oder wovon er will, daß wir es wollen. 98 Paralleltexte: Sent. I, d. 48, q. 1, a. 2 und 4; Sum. theol. I–II, q. 19,
a. 10.
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4. Was immer lobenswert und ehrenhaft ist, ist in Christus aufs Vollkommenste und ohne Beimischung des Gegenteils zu finden. Christus aber wollte mit einem gewissen Willen das Gegenteil dessen, wovon er wußte, daß Gott es will. Er wollte nämlich mit einem gewissen Willen nicht sündigen, wie das Gebet zeigt, das er bei Matthäus (26, 39) betet: »Vater, wenn es geschehen kann, so gehe dieser Kelch an mir vorüber«,99 obwohl Gott wollte, daß er leidet. Also ist es nicht lobenswert, zu wollen, was immer Gott will, und wir sind dazu nicht verpflichtet. 5. Nach Augustinus, im Buch Von der Stadt Gottes,100 »haben wir Traurigkeit hinsichtlich dessen, was uns gegen unseren Willen geschieht.« Die selige Jungfrau aber fühlte den Schmerz des Todes ihres Sohnes, welchen das Wort des Simeon im Lukasevangelium (2, 35) meint, wenn er sagt: »Deine eigene Seele wird ein Schwert durchbohren.« Also wollte die selige Jungfrau nicht, daß Christus leidet, Gott aber wollte es. Wenn wir also gehalten sind, das zu wollen, was Gott will, hätte die selige Jungfrau hierin gesündigt, was unangemessen ist. Und so scheint es, daß wir nicht dazu gehalten sind, unseren Willen mit dem göttlichen im Gewollten in Übereinstimmung zu bringen. Dagegen spricht: 1. Die Glosse sagt101 zum Psalm »Ein verdorbenes Herz hängt mir nicht an«:102 »Ein verkrümmtes Herz hat der, welcher nicht will, was immer Gott will.« Jeder aber ist gehalten, ein verkrümmtes Herz zu vermeiden. Also ist auch jeder gehalten, das zu wollen, was Gott will.
99 Die Vulgata hat: »mi Pater si possibile est transeat a me calix iste«; vgl. aber Augustinus, Enarr. in Ps. 93, 15 (PL 37, col. 1207; CCSL 39, 1319) und Petrus Lombardus, Sent. I, d. 45, c. 2 (ed. coll. S. Bon. I, 307). 100 Augustinus, De civ. Dei XIV, 15 (PL 41, col. 424; CSEL 40/II, 35 f.; CCSL 48, 438). 101 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Psalm 100, 3 f. (PL 191, col. 902 D), ausgehend von Augustinus, Enarr. in Ps. 100, 3 f. (PL 36, col. 1287; CCSL 39, 1410 f.). 102 Psalm 100, 3 f.
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2. Nach Cicero103 »bedeutet Freundschaft, dasselbe zu wollen und dasselbe nicht zu wollen.« Jeder aber ist gehalten, Freundschaft mit Gott zu haben. Also ist jeder gehalten, zu wollen, was Gott will, und nicht zu wollen, was er nicht will. 3. Wir müssen unseren Willen darum mit dem göttlichen zur Übereinstimmung bringen, weil der Wille Gottes die Regel unseres Willens ist, wie die Glosse zum Psalm »den Gerechten gebührt Lobpreis« sagt.104 Aber das göttlich Gewollte ist auch die Regel alles anderen Gewollten, weil es das Erstgewollte ist, und das Erste in jeder Gattung ist das Maß derer, die danach kommen, wie es im 10. Buch der Metaphysik heißt.105 Also sind wir gehalten, unser Gewolltes mit dem göttlichen Gewollten in Übereinstimmung zu bringen. 4. Die Sünde besteht insbesondere in der Verdorbenheit der Wahl. Die Verdorbenheit der Wahl aber besteht darin, daß ein geringeres Gut dem höheren Gut vorgezogen wird.106 Das aber tut jeder, der nicht will, was Gott will, weil feststeht, daß Gott will, daß das Beste sei. Jeder also, der nicht will, was Gott will, sündigt. 5. Nach Aristoteles ist der Tugendhafte die Regel und das Maß in allen menschlichen Handlungen. Christus aber ist am tugendhaftesten. Also müssen wir uns am meisten Christus als unserem Maß und unserer Regel gleichförmig machen. Christus aber brachte seinen Willen mit dem göttlichen hinsichtlich des Gewollten in Übereinstimmung, was auch alle Seligen tun. Also sind auch wir dazu gehalten, unseren Willen mit dem göttlichen in Übereinstimmung zu bringen, auch hinsichtlich des Gewollten.
103 Tatsächlich Sallust, Bellum Catil. cap. 20; vgl. auch Pseudo-Guillaume de Conches, Moralium dogma philosophorum q. 1, n. 22 (PL 171, col. 1023 B; Das Moralium dogma philosophorum des Guillaume de Conches, J. Holmberg, Upsala: Almqvist and Wiksells, 1929, 26); dort wird diese Aussage Cicero nämlich zugeschrieben. 104 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Psalm 32, 1 (PL 191, col. 325 D). 105 Aristoteles, Met. X, 1; 1052 b 18–26. 106 Nach der Leonina zitiert Thomas in Sent. IV, d. 29, a. 3. sol. 1 hierfür Aristoteles, Eth. Nic. III, 6; 1113 a 32; dort geht es aber tatsächlich eher um den Edlen als Vorbild.
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Antwort: Auf eine gewisse Weise sind wir dazu gehalten, im Gewollten unseren Willen mit dem göttlichen in Übereinstimmung zu bringen, auf andere aber Weise nicht. Wir sind nämlich, wie gesagt,107 insofern gehalten, unseren Willen mit dem göttlichen in Übereinstimmung zu bringen, als die Gutheit des göttlichen Willens die Regel und das Maß jedes guten Willens ist. Weil aber das Gute vom Ziel abhängt, wird ein Wille gut genannt gemäß der Hinordnung zum Grund des Wollens, welcher das Ziel ist. Das Verhältnis des Willens zum Gewollten aber macht den Akt des Willens nicht schlechthin gut, weil sich das Gewollte selbst gleichsam material zum Grund des Wollens, welches das rechte Ziel ist, verhält. Es kann nämlich ein und dasselbe Gewollte auf gute und schlechte Weise erstrebt werden, sofern es auf verschiedene Ziele hingeordnet ist. Und umgekehrt kann jemand verschiedenes und entgegengesetztes Gewolltes auf gute Weise wollen, indem er beide auf ein rechtes Ziel hin bezieht. Obwohl also der Wille Gottes nichts kann als Gutes, und er alles, was er will, auf gute Weise will, wird gleichwohl die Güte im Akt des göttlichen Willens selbst vom Grund des Wollens her betrachtet, d. h. vom Ziel her, auf das er alles hinordnet, was er will; und das ist seine eigene Gutheit. Und darum sind wir dem Ziel nach schlechthin zur Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen verpflichtet; im Gewollten aber nur, sofern dieses Gewollte in seiner Hinordnung auf das Ziel hin betrachtet wird. Diese Hinordnung muß uns immer gefallen, auch wenn uns das Gewollte selbst in anderer Hinsicht mit Recht mißfallen kann, wie etwa insofern es auf ein entgegengesetztes Ziel hingeordnet werden kann. Und von daher kommt es, daß der menschliche Wille insofern als mit dem göttlichen Willen im Gewollten übereinstimmend befunden wird, sofern er sich zum Ziel des göttlichen Willens verhält. Der Wille der Seligen nämlich, die sich in der fortdauernden Betrachtung der göttlichen Güte befinden, und von ihr her alle ihre Gefühlsregungen regulieren (da sie nämlich vollständig die Hinordnung jedes zu Begehrenden zu ihm kennen) stimmt mit dem göttlichen Willen in allem seinem Gewollten überein. Alles nämlich, 107 De ver. q. 23 a. 7c.
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wovon sie wissen, daß Gott es will, wollen sie absolut und ohne jede Bewegung zum Gegenteil. Die Sünder aber, die vom Wollen des göttlichen Willens abgekehrt sind, sind mit vielem, was Gott will, im Konflikt, es ablehnend und in keiner Weise bejahend. Die Gerechten auf dem Wege aber, deren Wille der göttlichen Gutheit anhängt, und die sie gleichwohl nicht so vollkommen betrachten, daß sie die ganze Hinordnung des zu Wollenden darauf offenkundig wahrnehmen, sind in Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen hinsichtlich desjenigen Gewollten, dessen Grund sie wahrnehmen, obwohl es in ihnen Gefühlsregungen zum Gegenteil gibt (die aber an sich lobenswert sind, wegen einer anderen Ordnung, die in ihnen betrachtet wird). Dieser Gefühlsregung folgen sie aber nicht auf verstockte Weise, sondern ordnen sie dem göttlichen Willen unter, weil es ihnen gefällt, daß die Ordnung des göttlichen Willens in allem erfüllt wird. Z. B. will der, der aufgrund der Gefühlsregung kindlicher Frömmigkeit will, daß sein Vater lebt, von welchem Gott will, daß er stirbt, wenn er gerecht ist, diesen seinen eigenen Willen dem Gottes unterordnen, sodaß er es nicht ungeduldig erträgt, wenn der Wille Gottes sich im Gegenteil seines eigenen Willens erfüllt. Zu 1. Paulus wünschte, aufgelöst und mit Christus zu sein, als etwas in sich Gutes. Nichtsdestoweniger aber gefiel ihm das Gegenteil, wegen der Frucht, welche Gott aus seinem Leben hervorgehen lassen wollte. Daher sagte er: »Es ist jedoch euretwegen notwendig, im Fleisch zu bleiben.«108 Zu 2. Obwohl Gott nach seinem absoluten Vermögen jemandem seine Verdammung offenbaren kann, so kann es nach seinem geordneten Vermögen dennoch nicht geschehen, weil eine solche Offenbarung ihn zur Verzweiflung zwingen würde. Wenn jemandem eine solche Offenbarung widerführe, dürfte er diese nicht nach der Art einer Prophezeiung der Vorherbestimmung oder des Vorherwissens verstehen, sondern nach der Art einer Prophezeiung der Androhung,109 welche unter Voraussetzung der Bedingung der Verdienste verstanden wird. Gesetzt aber, daß sie als Prophezeiung des 108 Philipperbrief 1, 24. 109 Vgl. De ver. q. 12, a. 10.
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Vorherwissens zu verstehen wäre, so wäre derjenige, dem eine solche Offenbarung widerführe, nicht absolut dazu verpflichtet, seine Verdammung zu wollen, sondern nur die Ordnung der Gerechtigkeit, nach welcher Gott denjenigen verdammen will, der in der Sünde beharrt. Gott von seiner Seite will nämlich niemanden verdammen, sondern nur von seiten dessen, was in uns ist, wie aus oben110 Gesagtem klar ist. Daher wäre seine eigene Verdammung absolut zu wollen nicht ein Gleichförmigmachen seines Willens mit dem göttlichen Willen, sondern mit dem Willen der Sünde. Zu 3. Nicht der Wille des Oberen ist, wie der göttliche Wille, die Regel unseres Willens, sondern sein Gebot; und darum ist der Fall nicht ähnlich. Zu 4. Die Passion Christi kann zweifach betrachtet werden: zum einen in sich selbst, insofern es nämlich das Leiden eines Unschuldigen war; zum anderen gemäß der Hinordnung zu der Frucht, für welcher Gott sie bestimmt hatte, und auf diese Weise hat Gott sie gewollt, nicht aber in der ersten Weise. Der Wille Christi, nämlich der vernünftige Wille, der diese Hinordnung bedenken konnte, wollte dieses Leiden so wie Gott. Der sinnliche Wille aber, der sich nur absolut auf Dinge beziehen kann, nicht aber in Relation zu anderem, wollte dieses Leiden nicht. Und auch darin war er mit dem göttlichen Willen hinsichtlich des Gewollten in einer gewissen Weise in Übereinstimmung, weil Gott selbst das Leiden Christi, als nur in sich selbst betrachtet, nicht wollte. Zu 5. Der Wille der seligen Jungfrau stand im Widerspruch mit der Passion Christi als in sich selbst betrachtet. Sie wollte aber die Frucht des Heiles, die aus der Passion Christi folgte. Und so stand sie mit dem göttlichen Willen in Übereinstimmung, sowohl hinsichtlich dessen was er wollte, als auch hinsichtlich dessen, was er nicht wollte. Erwiderungen auf die Einwände Zu 1. Die Worte der Glosse sind von dem durch den göttlichen Willen Gewollten zu verstehen, sofern es in Hinordnung auf das Ziel steht, nicht aber absolut. 110 De ver. q. 23, a. 2.
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Zu 2. Die Freundschaft besteht mehr in der Eintracht der Willen hinsichtlich des Zieles als hinsichtlich des Gewollten selbst. Wegen des gemeinsamen Wunsches nach Gesundheit wäre nämlich ein Arzt, der einem Fieberkranken den Wein verweigert, welchen dieser begehrt, ein besserer Freund, als wenn er dessen Begehren nach Weingenuß unter Gefährdung der Gesundheit befriedigte. Zu 3. Wie oben111 gesagt wurde, ist das von Gott zuerst Gewollte, das das Maß und die Regel alles anderen Gewollten ist, das Ziel seines Wollens, welches seine Gutheit ist. Alles andere aber will er nur wegen dieses Zieles. Weil unser Wille mit dem göttlichen Willen hinsichtlich des Zieles in Übereinstimmung ist, darum wird alles von uns Gewollte gemäß dem Erstgewollten geregelt. Zu 4. Die Wahl beinhaltet sowohl das Urteil des Verstandes, als auch das Streben. Wenn also jemand durch sein Urteil etwas weniger Gutes einem Besserem vorzieht, ergibt sich eine Verdorbenheit der Wahl, nicht aber, wenn er es im Streben bevorzugt. Der Mensch ist nämlich nicht gehalten, im Handeln immer das Bessere zu verfolgen, außer es ist ein solches, zu welchem er durch ein Gebot verpflichtet ist. Sonst wäre er nämlich gehalten, den Rat der Vollkommenheit112 zu befolgen, welcher zweifellos der bessere ist. Zu 5. Es gibt einiges, in welchem wir Christus bewundern können, aber nicht nachahmen, z. B. dasjenige, was zu seiner Gottheit gehört und zu der Seligkeit, die er hatte, als er noch auf dem Wege war. Dazu gehört, daß Christus, auch hinsichtlich des Gewollten, den vernünftigen Willen mit dem göttlichen in Übereinstimmung brachte.
111 De ver. q. 23, a. 4c. 112 D. h. die evangelischen Räte von Armut, Keuschheit und Gehorsam.
XXIV. VON DER FREIEN ENTSCHEIDUNG
Die hier behandelten Fragen lauten: 1. Hat der Mensch freie Entscheidung? 2. Haben Tiere freie Entscheidung? 3. Hat Gott Entscheidungsfreiheit? 4. Ist die freie Entscheidung ein Vermögen, oder nicht? 5. Ist die freie Entscheidung ein einziges Vermögen, oder mehrere? 6. Ist die freie Entscheidung der Wille, oder ein vom Willen verschiedenes Vermögen? 7. Kann ein Geschöpf, das die freie Entscheidung hat, auf natürliche Weise im Guten befestigt sein? 8. Kann die freie Entscheidung eines Geschöpfes durch eine Gnadengabe im Guten befestigt sein? 9. Kann die freie Entscheidung des Menschen im Pilgerstand durch eine Gnadengabe im Guten befestigt sein? 10. Kann die freie Entscheidung eines Geschöpfes im Bösen verhärtet oder unveränderlich festgelegt sein? 11. Kann die freie Entscheidung des Menschen im Pilgerstand im Bösen verhärtet sein? 12. Kann die freie Entscheidung ohne die Gnade im Stand der Todsünde eine Todsünde vermeiden? 13. Kann jemand, der in der Gnade ist, die Todsünde vermeiden? 14. Ist die freie Entscheidung ohne Gnade des Guten fähig? 15. Kann der Mensch sich ohne Gnade darauf vorbereiten, die Gnade zu haben?
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1. Artik el Die erste Frage lautet: Hat der Mensch freie Entscheidung?1 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Jeremias (10, 23) sagt nämlich: »Dem Menschen gehört nicht sein Weg, und nicht dem Manne, daß er geht und seine Schritte lenkt.« Man sagt aber insofern, daß jemand2 freie Entscheidung hat, als er Herr seiner Werke ist.3 Also hat der Mensch keine freie Entscheidung. 2. Es sagte zwar jemand, daß das Wort des Propheten von den verdienstlichen Akten zu verstehen ist, die nicht in der natürlichen Macht des Menschen sind. – Dagegen spricht aber, daß wir zu dem, was nicht in unserer Macht steht, keine freie Entscheidung haben. Wenn also die Verdienste nicht in unserer Macht sind, dann haben wir keine freie Entscheidung zum Verdiensterwerb, und so gehen die verdienstlichen Akte nicht aus der freien Entscheidung hervor. 3. Nach Aristoteles, im 1. Buch der Metaphysik,4 »ist das frei, was Grund seiner selbst ist;« der menschliche Geist aber hat eine andere Ursache seiner Bewegung als sich selbst, weil die Glosse5 zum Römerbrief 1, 24 (über »deshalb hat Gott sie übergeben«)6 sagt: »Es ist offenkundig, daß Gott im Geist der Menschen tätig ist, um ihre Willen zu wenden woraufhin immer er will.« Also hat der menschliche Geist keine freie Entscheidung. 4. Es sagte zwar jemand, daß der menschliche Geist wie die Hauptursache seiner Akte ist, Gott aber wie die entfernte Ursache; und das 1 Paralleltexte: Sent. II, d. 25, q. 1, a. 2; Sum. theol. I, q. 59, a. 3; I, q. 83, a. 1; I–II, q. 13, a. 6; De malo q. 6 a. unic.; In Periherm. 14, nn. 23 f. 2 Ich lese aliquis statt aliquid. 3 In De malo q. 6, a. unic., sc. 3 zitiert Thomas Aristoteles, Eth. Nic. III, 1; 1110 a 17. Vgl. auch Nemesius von Emesa, De nat. hom. cap. 41 (PG 40, col. 776 A; ed. Verbeke / Moncho, 145). 4 Aristoteles, Met. I, 2; 982 b 26–28. 5 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Röm. 1, 24 (PL 191, col. 1332 A), ausgehend von Augustinus, De grat. et lib. arb. 21 (PL 44, 909); vgl. auch Sum. theol. I–II, q. 79, a. 1 ad 1. 6 Die Vulgata hat »Propter quod tradidit illos Deus«; dieser Wortlaut aber auch bei Augustinus, z. B. in De grat. et lib. arb. 21 (PL 44, col. 909).
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verhindere nicht die Freiheit des Geistes. – Dagegen spricht aber, daß je mehr eine Ursache ihre Wirkung beeinflußt, desto hauptsächlicher ist sie. Die Erstursache aber beeinflußt die Wirkung mehr als die Zweitursache, wie es im Buch Von den Ursachen heißt.7 Also ist die Erstursache hauptsächlicher, als die Zweitursache, und so ist unser Geist nicht die Hauptursache seiner Akte, sondern Gott. 5. Alles, was bewegt, bewegt die Bewegung wie ein Werkzeug, wie aus Averroes zum 8. Buch der Physik hervorgeht.8 Das Werkzeug ist aber nicht frei zum Handeln, weil es nichts tut, außer insofern es von jemandem gebraucht wird. Da also der menschliche Geist nicht tätig ist, außer er wird von Gott bewegt, scheint er keine freie Entscheidung zu haben. 6. »Man sagt, daß die freie Entscheidung ein Vermögen des Willens und des Verstandes ist, durch welches mit Hilfe der Gnade das Gute gewählt wird, oder das Böse, wenn diese fehlt.«9 Es gibt aber viele, die keine Gnade haben. Also können sie nicht frei das Gute wählen, und so haben sei keine Entscheidungsfreiheit für das Gute. 7. Die Knechtschaft wird der Freiheit gegenübergestellt.10 Im Menschen findet sich aber die Knechtschaft der Sünde, weil »der, welcher sündigt, ein Sklave der Sünde ist,« wie es im Johannesevangelium (8, 34) heißt. Also gibt es im Menschen keine freie Entscheidung. 8. Anselm sagt im Buch Von der Entscheidungsfreiheit:11 »Wenn wir das Vermögen zu sündigen und nicht zu sündigen hätten, dann bräuchten wir die Gnade nicht.« Das Vermögen zu sündigen und nicht zu sündigen aber ist die Entscheidungsfreiheit. Weil wir die Gnade brauchen, haben wir also die freie Entscheidung nicht. 9. Alles ist vom Besten her zu benennen, wie man aus Aristoteles im 2. Buch Von der Seele12 entnehmen kann. Das beste aber unter 7 Liber de causis, prop. 1; n. 1 (ed. Schönfeld, 2 f.). 8 Averroes, Phys. VIII, comm. 35 (Venedig 1562, t. IV, 374rab). 9 Petrus Lombardus, Sent. II, d. 24, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I, 421). 10 Z. B. Thomas selbst in Super Met. I, lect. 3. 11 Anselm von Canterbury, De lib. arb. 1 (PL 158, col. 489 B; Opera
omnia I, ed. Schmitt, 207). 12 Aristoteles, De an. II, 4; 416 b 23. Aristoteles spricht dort eher vom Zweck als vom Besten.
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den menschlichen Akten sind die verdienstlichen Taten. Da aber der Mensch zu diesen keine Entscheidungsfreiheit hat – so wie es im Johannesevangelium (15, 5) heißt: »Ohne mich könnt ihr nichts tun,« was von den verdienstlichen Akten zu verstehen ist – scheint es, daß der Mensch nicht entscheidungsfrei genannt werden darf. 10. Augustinus sagt: weil der Mensch sich nicht von der Sünde zurückhalten wollte, als er konnte, »wurde es ihm auferlegt, nicht zu können, wenn er will.«13 Also ist es nicht in der Macht des Menschen zu sündigen und nicht zu sündigen; und so scheint er nicht Herr seiner Akte zu sein und keine freie Entscheidung zu haben. 11. Bernhard14 unterscheidet ein dreifache Freiheit, nämlich die Freiheit der Entscheidung, die Freiheit des Rates und die Freiheit des Gefallens. Und er sagt, daß es die Freiheit der Entscheidung ist, durch welche wir unterscheiden, was erlaubt ist, die Freiheit des Rates jene, durch welche wir unterscheiden, was vorteilhaft ist, und die Freiheit des Gefallens diejene, durch welche wir unterscheiden, was wir mögen. Das menschliche Unterscheidungsvermögen ist aber verwundet durch die Unwissenheit.15 Also scheint es, daß die freie Entscheidung, die im Unterscheidungsvermögen besteht, nach der Sünde nicht im Menschen verblieben ist. 12. Der Mensch hat keine freie Entscheidung bezüglich der Dinge, hinsichtlich derer er der Notwendigkeit untersteht. Hinsichtlich der Sünde aber untersteht der Mensch der Notwendigkeit, weil es nach Augustinus16 nach dem Sündenfall notwendig ist, daß der Mensch sündigt, vor der Erlösung als Todsünde, nach der Erlösung aber we13 Augustinus, De lib. arb. III, 18, 51 (PL 32, col. 1296; CCSL 29, 305), gemäß Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Röm. 7, 14 (PL 191, 1422 B). Vgl. aber auch Pseudo-Augustinus, Hypognosticon III, 4 (PL 45, col. 1623), ein Text, den die Confessio Augustana art. 18 für das lutherische Verständnis von Willensfreiheit zitieren wird. 14 Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb. IV, 11 (PL 182, col. 1007 C; ed. Winkler I, 188 f.). 15 Vgl. das Tagesgebet für die Laudes am 5. Wochentag der Passionswoche, d. h. der Woche vor dem Palmsonntag. 16 Thomas zitiert in De ver. q. 22 a. 5 arg. 7: Petrus Lombardus, Sent. II, d. 25, c. 5 (ed. coll. S. Bon. I, 464); vgl. Augustinus, De civ. Dei XXII, 30 (PL 41, col. 802; CSEL 40/II, 666 f.; CCSL 48, 864); Ench. IX, 30; XXVIII,
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nigstens läßlich. Hinsichtlich der Sünden hat der Mensch also keine freie Entscheidung. 13. Alles, was Gott vorherweiß, muß notwendigerweise geschehen, weil Gottes Vorherwissen sich nicht täuschen kann.17 Gott weiß aber alle menschlichen Akte vorher; also geschehen sie mit Notwendigkeit, und so hat er Mensch keine freie Entscheidung zum Handeln. 14. Je näher ein Bewegtes am ersten Beweger ist, desto gleichförmiger ist es mit dessen Bewegung, wie es offenbar bei den Himmelskörpern ist, deren Bewegung sich immer auf die gleiche Weise verhält.18 Während aber jedes Geschöpf von Gott bewegt wird – er bewegt nämlich das körperliche Geschöpf durch Zeit und Ort, das geistliche aber durch die Zeit, wie Augustinus im 8. Buch von Über die buchstäbliche Bedeutung des Buches Genesis sagt19 – ist das vernünftige Geschöpf dasjenige Bewegliche, welches am nächsten an Gott, dem ersten Beweger aller ist. Also hat er die gleichförmigste Bewegung, und so erstreckt sich sein Vermögen nicht dergestalt auf vieles, daß ihm von daher eine Entscheidungsfreiheit zugesprochen werden könnte. 15. Nach Aristoteles, im 2. Buch Vom Himmel und der Erde,20 gehört es zur Vornehmheit des äußersten Himmels, daß er sein Ziel mit einer einzigen Bewegung erreicht. Die vernünftige Seele ist aber vornehmer als jener Himmel, da der Geist dem Körper vorzuziehen ist, gemäß Augustinus im 8. Buch Von der Stadt Gottes.21 Die menschliche Seele hat also eine einzige Bewegung, und so scheint sie keine freie Entscheidung zu haben. 16. Es geziemt der göttlichen Güte, daß sie das höchste Geschöpf am besten plaziert.22 Am besten plaziert ist aber das, was unbewegt 105, 106 (PL 40, 246. 281. 282; CCSL 46, 65 f.; 106 f.); Retract. I, 9 (PL 32, col. 597; CCSL 57, 23–29). 17 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. I, d. 38, c. 2 (ed. coll. S. Bon. I, 279). 18 Vgl. Aristoteles, De caelo II, 5; 288 a 10 ff. 19 Augustinus, De Gen. ad litt. VIII, 20 (PL 34, 388; CSEL 28/I, 259). 20 Vgl. Aristoteles, De caelo II, 12; 292 b 22. 21 Tatsächlich Augustinus, De Gen. ad litt. VIII, 20 (PL 34, col. 388; CSEL 28/I, 259) oder XII, c. 16 (PL 34, col. 466–467; CSEL 28/I, 401 f.). 22 Vgl. Dionysius Areopagita, De div. nom. V, 8 (PG 3, col. 821 C; Dion. I, 349).
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dem Besten anhängt. Also geziemt es Gott, die vernünftige Natur, welche die höchste unter den Geschöpfen ist, zu einer solchen zu machen, die ihm unbeweglich anhängt; und wenn sie eine solche wäre, hätte sie anscheinend keine freie Entscheidung. Also ist es geziemend, daß die vernünftige Natur ohne Entscheidungsfreiheit existiert. 17. Die Philosophen definieren die freie Entscheidung als freies Urteil des Verstandes.23 Das Verstandesurteil aber kann durch die Kraft des Beweises erzwungen werden.24 Was jedoch gezwungen wird, ist nicht frei. Also hat der Mensch keine freie Entscheidung. 18. Die Vernunft oder der Verstand kann deshalb gezwungen werden, weil es etwas Wahres gibt, dem nichts Falsches und auch kein Anschein der Falschheit beigemischt ist, weshalb die Vernunft nicht vermeiden kann, daß sie ihm zustimmt. Auf ähnliche Weise aber gibt es etwas Gutes, dem nichts Böses beigemischt ist, weder der wahren Sachlage nach, noch nach der Erscheinung. Da also das Gute der Gegenstand des Willens ist, so wie das Wahre der Gegenstand der Vernunft, scheint es, daß, so wie die Vernunft gezwungen wird, ebenso auch der Wille. Und so hat der Mensch keine Freiheit, weder hinsichtlich des Willens, noch hinsichtlich des Verstandes; und entsprechend wird er keine freie Entscheidung haben, welche »ein Vermögen des Willens und des Verstandes ist.«25 19. Nach Aristoteles, im 3. Buch der Nikomachischen Ethik,26 gilt: »Welcherart ein jedes ist, als solches erscheint ihm das Ziel;« es ist aber nicht in unserer Macht, daß wir solche oder solche sind, weil
23 Das sagt auch Petrus Lombardus, Sent. II, d. 25, c. 1 (ed. coll. S. Bon. I, 228 f.). Den »Philosophen« so zugeschrieben auch von Petrus Abaelard, Introductio ad theologiam III, 7 (PL 178, col. 1110). Bei Boethius heißt es »liberum de voluntate iudicium;« vgl. Boethius, In librum Arist. De interpr., ed. sec. III, prol. (PL 64, col. 492 D); vgl. zu dieser Änderung: Odon Lottin, Psychologie et morale au XIIe et XIIIe siècles, Louvain Abbaye de Mont César, 7 Bde., 1942–60, Bd. I, 214 f., n. 3. 24 Aristoteles, Met. V, 5; 1015 b 6–9. 25 Petrus Lombardus, Sent. II, d. 24, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I, 421). 26 Aristoteles, Eth. Nic. III, 7; 1114 a 32; nach Robert Grossetestes Übersetzung, ed. R. A. Gauthier (Leiden: Brill, 1997), 189.
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der Mensch dies von Geburt hat und weil er, wie es einigen scheint,27 von der Konstellation der Sterne abhängt. Also ist es nicht in unserer Macht, daß wir diese oder jenes Ziel gutheißen. Jedes Urteil über das, was zu tun ist, wird aber aus dem Ziel genommen. Also haben wir keine freie Entscheidung. 20. Die freie Entscheidung wird der Notwendigkeit gegenübergestellt. Hinsichtlich gewisser Dinge aber hat der Wille des Menschen Notwendigkeit; er will nämlich mit Notwendigkeit die Seligkeit. Also hat er nicht hinsichtlich aller Dinge Freiheit, und so hat er keine freie Entscheidung hinsichtlich aller Dinge. Dagegen spricht: 1. Im Buche Ecclesiasticus (15, 14) heißt es: »Gott hat von Anfang den Menschen erschaffen, und ihn in der Hand seines eigenen Rates gelassen,« und »d. h. in der Macht der freien Entscheidung,« wie die Glosse sagt.28 2. Es gibt unter Dingen ein Wirkendes, das aus dem Nichts wirkt, und nicht aus Notwendigkeit, nämlich Gott. Weiter gibt es etwas 27 Die Abhängigkeit der Sinneswahrnehmung von der Disposition bei Empedokles und Demokrit: vgl. Aristoteles, De an. III, 3; 427 a 21 und Met. IV, 12; 1009 b 12, zitiert bei Thomas in ScG III, 84. Nicht nur die alten Chaldäer, sondern auch die Stoiker vertraten astrologische Einflüsse: vgl. Philo, De migratione Abrahae 32, 178 f; Augustinus, Enarr. in Ps. 72, 16 (PL 36, 924; CCSL 39, 997 f.), De civ. Dei V, 2 u. 7 (PL 41, col. 142 u. 146 f.; CSEL 40/I, 211–213. 219–221; CCSL 47, 129 f.; 134 f.); Nemesius von Emesa, De nat. hom. 35 (PG 40, col. 741–743; ed. Verbeke / Moncho, 135–137). Es wurde auch vertreten von Avicenna, Liber de philosophia prima X, 1 (Venedig 1513, fol. 108ra; ed. Van Riet, II, 523); eine Diskussion findet sich bei Maimonides, Führer der Unschlüssigen, III, 14; Roger Bacon, Opus majus IV, d. 2a, c. 1 (ed. J. H. Bridges, Bd. I, Oxford 1897, 110), d. 5, c. 5 (138 f.); »astrologia« (380 f. und 386). Für den menschlichen Leib angenommen in der Summa fratris Alexandri I, n. 216 (Quaracchi 1924–48, I (1924), 311 b und 312 ab), Bonaventura, Sent. II, d. 14, II, 2, 3c und ad 4 (Opera omnia, II, 363 b–364 b); Albertus Magnus, Sent. II, d. 15 a. 5 sol. (ed. Borgnet XXVII, 277 b); Sum. theol. I, q. 17, a. 68, sol. ad q. 2 u. ad 5 (ed. Borgnet XXXI, 699 f; 701). Vgl. Schmidt (III, 457). 28 Anselm von Laon, Glossa interlinearis zu Ecclesiasticus 15, 14 (Basel 1498; III, 401v).
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Wirkendes, das wirkt, indem es von etwas ausgeht, und aus Notwendigkeit, wie das natürliche Wirkende. Wenn aber der äußerste Gegensatz in der Wirklichkeit angenommen wird, dann muß demzufolge auch ein Mittleres angenommen werden, wie Aristoteles im 2. Buch Von Himmel und Erde sagt.29 Zwischen diesen beiden kann es aber nur ein doppeltes Mittleres geben, deren eines unmöglich ist, nämlich eines, das aus dem Nichts wirkt, und mit Notwendigkeit. Aus dem Nichts zu wirken kommt nämlich nur Gott zu, welcher nicht aus Notwendigkeit wirkt, sondern durch den Willen. Also bleibt, daß etwas gibt, welches von etwas ausgehend wirkt, und nicht aus Notwendigkeit. Und das ist also das vernunftbegabte Geschöpf, das von einer vorausgesetzten Materie aus wirkt, und nicht aus Notwendigkeit, sondern aus der freien Entscheidung. 3. »Die freie Entscheidung ist ein Vermögen des Willens und des Verstandes.«30 Im Menschen findet sich aber Wille und Verstand, also auch freie Entscheidung. 4. Nach Aristoteles, im 3. Buch der Nikomachischen Ethik,31 handelt der Rat nur von den Dingen, die in unserer Macht stehen. Die Menschen aber beratschlagen über ihre Akte. Also sind die Menschen Herren ihrer Akte, und haben daher freie Entscheidung. 5. Vorschriften und Verbote dürfen nur für den gemacht werden, der sie befolgen und nicht befolgen kann; andernfalls würden sie vergeblich gemacht. Für den Menschen aber werden sogar göttliche Verbote und Vorschriften gemacht. Also steht es im Vermögen des Menschen, etwas zu tun und nicht zu tun, und so hat er Entscheidungsfreiheit. 6. Keiner darf für etwas bestraft und belohnt werden, dessen Tun oder Lassen nicht in seiner Macht steht. Der Mensch wird aber für seine Werke gerechterweise von Gott bestraft und belohnt. Also kann der Mensch handeln und nicht handeln, und so hat er die freie Entscheidung. 7. Für alles, was geschieht, muß man eine Ursache annehmen. Wir können aber nicht Gott selbst als unmittelbare Ursache der mensch29 Aristoteles, De caelo II, 3; 286 a 28. 30 Petrus Lombardus, Sent. II, d. 24, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I, 421). 31 Aristoteles, Eth. Nic. III, 5; 1112 a 30.
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lichen Akte annehmen, weil das, was unmittelbar von Gott kommt, nur gut sein kann. Die Akte des Menschen aber sind manchmal gut, und manchmal böse. Ähnlich kann man nicht sagen, daß die Ursache der menschlichen Akte die Notwendigkeit ist, weil diejenigen Dinge aus der Notwendigkeit hervorgehen, die sich immer in derselben Weise verhalten,32 was wir bei den menschlichen Akten nicht beobachten. Ähnlich kann man nicht sagen, daß das Schicksal oder die Anordnung der Sterne ihre Ursache ist, weil das implizierte, daß die Akte des Menschen mit Notwendigkeit geschehen, so wie auch die Ursache notwendig ist. Auch ihre Natur kann nicht die Ursache sein, was die Verschiedenheit der menschlichen Akte zeigt. Die Natur ist nämlich auf eines festgelegt,33 und kann nicht davon abweichen, außer im Ausnahmefall.34 Auch das Glück oder der Zufall kann nicht die Ursache der menschlichen Akte sein, weil das Glück oder der Zufall die Ursache dessen sind, welches selten und ohne Absicht geschieht, wie es im 2. Buch der Physik heißt.35 Das aber erscheint so nicht bei den menschlichen Akten. Es bleibt also, daß der handelnde Mensch selbst das Prinzip seiner eigenen Akte ist, und von daher hat er die freie Entscheidung. Antwort: Ohne jeden Zweifel muß man dem Menschen freie Entscheidung zuschreiben. Dazu verpflichtet nämlich auch der Glaube, weil es ohne die freie Entscheidung keinen Verdienst und keine Verschuldung gibt, keine gerechte Strafe oder Belohnung. Dazu führen auch offenkundige Anzeichen, durch welche der Mensch erscheint als einer, der frei das eine wählen und ein anderes zurückweisen kann. Dazu zwingt auch einleuchtende Vernunft: und zu dieser Untersuchung schreiten wir nun, indem wir den Ursprung der freie Entscheidung verfolgen. Unter den Dingen, die sich bewegen und die etwas tun, findet sich der Unterschied, daß einige den Ursprung ihrer Bewegung oder ih32 33 34 35
Vgl. Aristoteles, Met. V, 5; 1015 a 33. Vgl. Aristoteles, Met. IX, 2; 1046 b 5. Oder: im selteneren Fall; vgl. Aristoteles, Phys. II, 9; 198 a 35. Aristoteles, Phys. II, 5 f.; 196 b 11–24; 197 a 32.
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rer Tätigkeit in sich selbst haben, einige aber außerhalb ihrer, wie diejenigen, die durch Gewalt bewegt werden – »in denen« nach Aristoteles im 3. Buch der Nikomachischen Ethik 36 »das Prinzip außerhalb ist, während das Gewalt Erleidende nichts beisteuert;« in diesen können wir freie Entscheidung nicht annehmen, weil sie nicht die Ursache ihrer Bewegung sind. Das Freie aber – nach Aristoteles am Anfang der Metaphysik 37 – ist das, »was sein eigener Grund ist.« Von denen aber, die den Ursprung der Bewegung und Tätigkeit in sich haben, sind einige von solcher Art, daß sie sich selbst bewegen, wie die Tiere, einige aber solche, die sich nicht selbst bewegen, obwohl sie in sich selbst ein gewisses Bewegungsprinzip haben, wie das Schwere und das Leichte. Diese sind es nämlich nicht selbst, die sich selbst bewegen, weil sie nicht in zwei Teile unterschieden werden können, deren einer bewegend und der andere bewegt wäre, wie es bei den Lebewesen zu finden ist; dies ist so, obwohl ihre Bewegung einem Prinzip innerhalb ihrer folgt, nämlich der Form, vermöge welcher sie, da sie diese vom Erzeugenden haben, als per se vom Erzeugenden bewegt bezeichnet werden, per accidens aber von dem, was das Hindernis beseitigt, wie Aristoteles in 8. Buch der Physik sagt.38 Dieses bewegt sich selbst, aber nicht durch sich selbst. Daher ist auch in diesen keine freie Entscheidung zu finden, weil sie sich nicht selbst die Ursache des Tätigseins und des Bewegens sind; vielmehr sind sie zum Tätigsein und Bewegen durch das genötigt, was sie von anderem empfangen haben. Von denen aber, die sich selbst bewegen, geht bei einigen die Bewegung aus einem Vernunfturteil hervor, bei einigen aber aus einem natürlichen Urteil. Aus einem Vernunfturteil heraus sind die Menschen tätig und bewegen sich; sie beratschlagen sich nämlich über das zu Tuende. Aus einem natürlichen Urteil heraus aber sind alle Tiere tätig und bewegen sich. Das aber ist offenkundig, sowohl weil alle, die derselben Art angehören, auf ähnliche Weise tätig sind 36 Aristoteles, Eth. Nic. III, 1; 1110 a 1–3 und b 1–4, 15–17; nach Robert Grossetestes Übersetzung, ed. R. A. Gauthier (Leiden: Brill, 1997), 179 und 181. 37 Aristoteles, Met. I, 2; 982 b 25–28. 38 Aristoteles, Phys. VIII, 4 f.; 255 b 24–256 a 3.
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(zum Beispiel bauen alle Schwalben auf ähnliche Weise ein Nest39), als auch daraus, daß sie ein Urteil nur zu einem bestimmten Werk haben, und nicht zu allen; zum Beispiel haben die Bienen die Betriebsamkeit nicht um ein anderes Werk herzustellen, als Honigwaben, und ähnlich ist es mit anderen Tieren. Daher wird es dem, der es auf rechte Weise betrachtet, aufgehen, daß derselbe Modus, welcher der Bewegung und Tätigkeit der unbelebten Naturkörper zugeschrieben wird, auch derjenige ist, in dem den Tieren ein Urteil des Handelns zugeschrieben wird. So wie das Schwere und das Leichte sich nicht selbst bewegen, sodaß sie die Ursache ihrer Bewegung wären, so urteilen auch die Tiere nicht vermöge ihres eigenen Urteils, sondern folgen einem ihnen von einem anderen eingegebenen Urteil. Und so sind sie weder die Ursache ihrer Entscheidung, noch haben sie freie Entscheidung. Der Mensch aber, der durch die Kraft seines Verstandes über das zu Tuende urteilt, kann auch über seine Entscheidung urteilen, insofern er den Grund des Zieles und dessen, was zum Ziel führt, kennt, sowie das Verhältnis und die Ordnung des einen zum anderen. Und darum ist er die Ursache seiner selbst nicht nur im Bewegen, sondern auch im Urteilen. Darum auch hat er freie Entscheidung, so wie wenn man sagt, er habe ein freies Urteil über das zu Tuende und nicht zu Tuende. Zu 1. In der Tat des Menschen läßt sich zweierlei finden, nämlich die Wahl der Werke – und diese steht immer in der Macht des Menschen – und die Verrichtung oder Ausführung der Werke; und diese ist nicht immer in der Macht des Menschen, sondern wegen der Lenkung der göttlichen Vorsehung wird die Absicht des Menschen manchmal zum Ziel geführt, manchmal aber nicht. Darum wird dem Menschen nicht Handlungsfreiheit zugesprochen, sondern Wahlfreiheit, welche ein Urteil über das zu Tuende ist. Und das zeigt auch der Name der freien Entscheidung selbst. – Oder man kann es vom verdienstvollen Werk unterscheiden, wie es in den Einwänden berührt wurde. Die erste Antwort aber ist die des Gregor von Nyssa.40 39 Das Beispiel bei Aristoteles, Phys. II, 13; 199 a 26. 40 D. h. Nemesius von Emesa, De nat. hom., 37 (PG 40, col. 749 B; ed.
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Zu 2. Das verdienstliche Werk ist vom nicht-verdienstlichen nicht darin unterschieden, was getan wird, sondern wie es getan wird. Es gibt nämlich nichts, das ein Mensch verdienstlich und aus Liebe täte, was nicht ein anderer ohne Verdienst tun oder auch wollen könnte. Und darum wird durch die Tatsache, daß kein Mensch ohne Gnade verdienstliche Werke tun kann, nichts von der Entscheidungsfreiheit weggenommen, weil der Mensch entscheidungsfrei genannt wird, insofern er dies oder jenes tun kann, nicht aber sofern er derartig oder anders handeln kann. Auch nach den Philosophen41 hat ja jener, der noch keinen Habitus der Tugend hat, es nicht in seiner Macht, auf solche Weise zu handeln, in welcher der Tugendhafte handelt, außer insofern er den Habitus der Tugend erwerben kann. Obwohl aber der Mensch die Gnade, die die Taten verdienstlich macht, nicht durch die Entscheidungsfreiheit erwerben kann, kann er sich gleichwohl darauf vorbereiten, die Gnade zu haben, welche ihm von Gott nicht verweigert wird, wenn er tut, was in seiner Macht steht.42 Darum ist es nicht gänzlich außerhalb der Macht der freien Entscheidung, verdienstliche Werke zu tun, obwohl dazu die Macht der Entscheidungsfreiheit aus sich heraus nicht ausreicht, weil die Art und Weise, die zum Verdienst erforderlich ist, das natürliche Vermögen übersteigt, nicht aber die Art und Weise, die sich in den Werken aus den politischen Tugenden findet.43 Niemand aber würde sagen, daß der Mensch keine Entscheidungsfreiheit hat, weil er nicht in derselben Weise wollen oder wählen kann wie Gott oder ein Engel. Zu 3. Gott ist in jedem Handelnden tätig, und nach der Weise dieses Handelnden, so wie die Erstursache in der Handlung der Zweitursache tätig ist, weil die Zweitursache nicht in den Akt übergehen Verbeke / Moncho, 137). Im Mittelalter wurde dieses Werk Gregor von Nyssa zugeschrieben. 41 Aristoteles, Eth. Nic. II, 1; 1103 b 6 ff. und II, 3; 1105 b 6–12; vgl. Averroes, In II Eth., comm. 4 (Lyons, Giunta, 1542, 26r). 42 Wilhelm von Auxerre, Summa aurea III, tr. 10 c. 1 q. 5 (ed. Pigouchet, Paris 1500, fol. 123r; ed. Ribaillier III/1, 124). 43 D. h. die erworbenen, nicht verdienstlichen Tugenden der Heiden; in Sent. d. III 33, q. 1, a. 4 ad 2 zitiert Thomas hierzu Macrobius’ Comm. in somn. Scipionis I, 8, 5. Vgl. auch De ver. q. 14 a. 6 arg. 5 und ad 5.
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kann, außer in der Kraft der Erstursache. Daß Gott die tätige Ursache in den Herzen der Menschen ist, schließt darum nicht aus, daß die menschlichen Geister die Ursachen ihrer Bewegung sind; von daher wird also das Wesen der Freiheit nicht aufgehoben. Zu 4. Man sagt, daß die Erstursache einfachhin gesprochen die hauptsächliche ist, weil sie die Wirkung mehr beeinflußt. In gewisser Hinsicht aber ist die Zweitursache hauptsächlich, insofern die Wirkungen ihr gleichförmiger sind. Zu 5. Von einem Werkzeug sprechen wir in zweifacher Weise: einmal im eigentlichen Sinne, wenn nämlich etwas so von einem anderen bewegt wird, daß ihm vom Bewegenden kein Prinzip einer solchen Bewegung übertragen wird, so wie die Säge vom Tischler bewegt wird; und ein solches Werkzeug ermangelt gänzlich der Freiheit. Auf andere Weise nennt man alles das in einem allgemeineren Sinne ein Werkzeug, was, als von einem anderen bewegt in Bewegung ist, sei das Prinzip seiner Bewegung in ihm, oder nicht. Und so braucht man vom Werkzeug das Wesen der Freiheit nicht völlig auszuschließen, weil etwas, das sich selbst bewegt, gleichwohl von einem anderen bewegt sein kann; und so verhält es sich beim menschlichen Geist. Zu 6. Jener, der keine Gnade hat, kann das Gute wählen, aber nicht verdienstlich. Das aber vermindert, wie gesagt, nicht die Entscheidungsfreiheit. Zu 7. Die Knechtschaft der Sünde besagt keinen Zwang, sondern entweder eine Neigung, insofern die vorhergehende Sünde in gewisser Weise zu den nachfolgenden führt, oder einen Mangel des natürlichen Vermögens, welches sich nicht vom Makel der Sünde losreißen kann, dem sie sich einmal unterworfen hat. Und darum bleibt im Menschen immer die Freiheit vom Zwang, durch welche er naturgemäß die freie Entscheidung hat. Zu 8. Anselm spricht in jenem Zitat gleichsam als in einem Einwand. Er selbst nämlich zeigt bald darauf, daß die Bedürftigkeit nach Gnade der freie Entscheidung nicht widerspricht.44
44 Anselm von Canterbury, De lib. arb. 3 (PL 158, col. 494 B; Opera omnia I, ed. Schmitt, 210 ff.).
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Zu 9. Die freie Entscheidung erstreckt sich selbst bis auf das verdienstliche Werk, obwohl nicht ohne Gott, ohne dessen Kraft gar nichts in der Welt ist, das handeln könnte. Jene Art und Weise aber, durch welche das Werk verdienstlich wird, übersteigt, wie gesagt, das natürliche Vermögen. Zu 10. Hierzu gibt es zwei Auffassungen: einige45 sagen nämlich, daß der Mensch im Stand der Todsünde es nicht lange vermeiden kann, tödlich zu sündigen. Er kann aber diese oder jene Sünde vermeiden, wie allgemein alle über die läßlichen Sünden sagen. Und so scheint diese Notwendigkeit nicht die freie Entscheidung aufzuheben. Die andere Auffassung46 ist, daß der Mensch im Stand der Todsünde alle Todsünde vermeiden kann. Er kann aber nicht vermeiden, daß er der Sünde untersteht, weil er sich nicht selbst ebenso von der Sünde erheben kann, wie er durch sich selbst in die Sünde fallen konnte. Und dieser Auffassung gemäß wird die Entscheidungsfreiheit leichter aufrechterhalten. Das aber wird weiter unten47 zu untersuchen sein, wenn wir nach der Macht der freien Entscheidung fragen. Zu 11. Unser Wille bezieht sich auf das Ziel oder auf das, was zum Ziel führt. Das Ziel ist aber ehrenhaft, nützlich oder erfreulich,48 und insofern wird auch ein dreifaches Gutes unterschieden, als ehrenhaft, nützlich und erfreulich: hinsichtlich des ehrenhaften Zie45 Bonaventura in Sent. II, d. 28, a. 2, q. 2 (Opera omnia, II, 686 ab); vgl. auch Simon von Tournai, Disputationes 60, 1 und 72, 1, ed. Joseph Warichez (Louvain 1932) 171. 204. Petrus Lombardus, Sent. I, d. 25, c. 8 (ed. coll. S. Bon. I, 435); Gregor der Große, Moralia in Iob XXV, 9, 22 (PL 76, col. 334 B; CCSL 143 B, 1247); Homiliae in Hiezechihelem prophetam I, Hom. XI, 24 (PL 76, col. 915; CCSL 142, 179). 46 Thomas selbst in Sent. II, d. 28, q. 1, a. 2 ad 1. Vgl. auch Albertus Magnus, Sent. II, d. 24, 6 ad 2 (ed. Borgnet XXVII, 403 b); Summa de creaturis II [= De homine], 70, 5 sol. (ed. Col. XXVII/2, 525); Bonaventura, Sent. III, d. 34, II, 1 2 ad 1 (Opera omnia, III, 758 a), Sent. IV, d. 22, 1 dub. 7 (Opera omniua, IV, 529 b); Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb. VIII, 26 (PL 182, col. 1015; ed. Winkler I, 210 f.): »… peccato, etsi non toto carere, certe non consentire …« 47 De ver. q. 24 a. 12. 48 Ambrosius, De officiis I, 9 (PL 16, col. 35), wie zitiert in Sum. theol. I, q. 5, a. 6.
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les setzt Bernhard die Freiheit der Entscheidung an, hinsichtlich des zum Ziel nützlichen Guten die Freiheit des Rates, hinsichtlich des erfreulichen Guten aber die Freiheit des Gefallens. Obwohl jedoch das Unterscheidungsvermögen durch die Unwissenheit vermindert ist, ist es gleichwohl nicht völlig aufgehoben. Und darum ist die freie Entscheidung durch die Sünde gewissermaßen geschwächt, aber nicht völlig verloren. Zu 12. Der Mensch muß nach dem Sündenfall und vor der Erlösung notwendigerweise sündigen, d. h. Sünde haben; er muß aber nicht notwendigerweise die Sünde gebrauchen, gemäß einer Auffassung.49 »Sündigen« wird nämlich ebenso wie »Sehen« auf doppelte Weise ausgesagt, gemäß Aristoteles im 2. Buch Von der Seele.50 Oder, nach einer anderen Auffassung:51 Er muß mit irgendeiner Sünde sündigen, obwohl er hinsichtlich keiner einzelnen einer Notwendigkeit untersteht. Zu 13. Aus dem Vorherwissen Gottes kann man nicht schließen, daß unsere Akte mit der absoluten Notwendigkeit notwendig sind, die wir die Notwendigkeit des Folgenden nennen, sondern mit der bedingungsweisen Notwendigkeit, welche die Notwendigkeit der Folge genannt wird.52 So steht es bei Boethius am Ende des Buches Vom Trost der Philosophie.53 Zu 14. Man spricht auf zweifache Weise von Bewegtwerden: auf eine eigentliche Weise so wie Aristoteles im 3. Buch der Physik 54 Bewegung definiert, wo er sagt, daß »die Bewegung der Akt desjenigen ist, das in Potenz existiert, insofern es ein solches ist.« Und auf diese Weise ist es wahr, daß, je näher etwas Bewegliches dem ersten Beweger ist, es desto vollkommener und desto aktualer ist, und desto Die zweite Auffassung in ad 10. Nämlich nach Vermögen und Akt; Aristoteles, De an. II, 10; 417 a 10. Die erste Auffassung in ad 10. »Necessitas consequentiae / consequentis«: ScG I, 67; vgl. auch die Summa fratris Alexandri I pars, n. 184 (Quaracchi 1924–48, I (1924), 270); Albertus Magnus, Sent. I, d. 38 a. 4 (ed. Borgnet XXVI, 289 a–b); Bonaventura, Sent. I, d. 38, a. 2. q. 1 (Opera omnia, I, 674–676). 53 Boethius, Philos. consol. V, pr. 6 (PL 63, col. 861 B; CCSL 94, 103). 54 Aristoteles, Phys. III, 1; 201 a 10, nach einer älteren Übersetzung (Ms.: Vaticana Urbin. lat. 206, f. 27v). 49 50 51 52
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weniger in Potenz, und deshalb durch desto weniger Bewegungen beweglich. Auf andere Weise nennt man Bewegung im weiten Sinne jede Tätigkeit, wie z. B. Denken und Fühlen. Und von der Bewegung in diesem Sinne genommen sagt Aristoteles im 3. Buch Von der Seele,55 daß die Bewegung der Akt des Vollkommenen ist, weil alles tätig ist, sofern es im Akt ist.56 In dieser Weise hat der Einwand eine gewisse Wahrheit, auf andere Weise aber nicht. Wenn nämlich die Gleichförmigkeit der Bewegung von seiten der Wirkungen betrachtet wird, dann ist er falsch, weil sich seine Kraft auf desto mehr Wirkungen erstreckt, je kraftvoller und vollkommener etwas Tätiges ist.57 Wenn sie aber hinsichtlich der Tätigkeitsweise betrachtet wird, dann hat der Einwand Wahrheit, weil etwas Tätiges desto mehr dieselbe Tätigkeitsweise beobachtet, je vollkommener es ist, denn es verändert sich weniger in seiner Natur, und in der Disposition, welcher die Tätigkeitsweise folgt. Die vernünftigen Geister aber nennt man bewegt nicht in der ersten Weise der Bewegung, weil eine solche Bewegung nur Körpern zukommt, sondern in der zweiten. So nimmt auch Plato58 an, daß das Erstbewegende sich selbst bewegt, insofern er sich will und sich denkt, nach Averroes, zum 8. Buch der Physik.59 Darum ist es nicht zwingend, daß die vernünftigen Geister auf bestimmte Wirkungen festgelegt sind, sondern sie haben Wirksamkeit hinsichtlich vieler Dinge, aufgrund welcher ihnen Freiheit zukommt. 55 Aristoteles, De an. III, 7; 431 a 4–8. 56 Vgl. Aristoteles, Phys. III, 4; 202 a 11; Averroes, Phys. III, comm. 17
(Venedig 1562, t. IV, 92 D), De an. III, comm. 20 (Venedig 1562, VI1, 137 F). Vgl. Thomas, Sent. II, d. 1, q. 1, a. 2 sc. 2 und d. 17, q. 2. a. 1; ScG I, c. 73 und II, c. 21. 57 Vgl. Liber de causis, prop. 9 (ed. Bardenhewer, 173 f.; ed. Schönfeld, 24) und comm., zitiert in Thomas, Sum. theol. II–II q. 45, a. 3 ad 1; vgl. Adamo di Belladonna (Adam Pulchrae Mulieris), Liber de intelligentiis (Pseudo-Witelo), XI [1], ed. Clemens Baeumker, Witelo, ein Philosoph und Naturforscher des XIII. Jahrhunderts (BGPhMA, Münster, Aschendorff, 1908), 15. 58 Plato, Phaidros 245 CD, Timaios 30 AB und 34 BC, Nomoi X, 894 E und 895 AB; vgl. auch Aristoteles, Met. XII, 6; 1071 b 37 – 1072 a 3. 59 Averroes, Phys. VIII, comm. 40 (Venedig 1562, t. IV, 380 E–F).
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Zu 15. Es muß nicht immer dasjenige vornehmer sein, was mit weniger Bewegungen sein Ziel erreichen kann, weil manchmal etwas ein höheres Ziel mit mehr Tätigkeiten erreicht, als ein anders mit einer einzigen Tätigkeit erreichen könnte, wie Aristoteles ebendort sagt.60 Und in dieser Weise sind die vernünftigen Geister vollkommener als der höchste Himmel, welcher nur eine einzige Bewegung hat, weil sie ein höheres Ziel erreichen, wenn auch mit vielen Tätigkeiten. Zu 16. Obwohl ein Geschöpf besser ist, wenn es Gott unbeweglich anhängt, ist gleichwohl auch jenes gut, welches Gott anhängen und nicht anhängen kann. Und so ist diejenige Welt besser, wo beide Geschöpfe zu finden sind, als wenn nur die andere zu finden wäre. Dies ist die Antwort des Augustinus.61 – Oder man kann mit Gregor von Nyssa62 und Johannes Damascenus63 sagen, daß es unmöglich ist, daß es ein Geschöpf gibt, welches durch seine eigene Natur unbeweglich Gott anhängt, denn weil es aus Nichts stammt, ist es wandelbar. Wenn aber ein Geschöpf unbeweglich Gott anhinge, wäre es jedoch nicht darum schon der freien Entscheidung beraubt, weil es, während es Gott anhängt, vieles tun und lassen kann. Zu 17. Dasjenige Urteil, welchem Freiheit zugeschrieben wird, ist das Urteil der Wahl, nicht aber das Urteil, durch welches der Mensch von den Schlußfolgerungen der theoretischen Wissenschaften her Feststellungen trifft; denn dieselbige Wahl ist gleichsam eine Feststellung aus dem zuvor Beratschlagten.64 Zu 18. So wie es etwas Wahres gibt, das wegen seiner Unvermischtheit mit dem Falschen mit Notwendigkeit von der Vernunft angenommen wird (wie die ersten Prinzipien des Beweises), so gibt 60 Aristoteles, De caelo II, 11 f.; 292 b 1–27. 61 Augustinus, De lib. arb. II, 19 u. 20 (PL 32, col. 1269 f.; CCSL 29,
271–273), III, c. 5 (PL 32, col. 1276; CCSL 29, 282–85), III, c. 9 (1284; CCSL 29, 289–292), De civ. Dei XI, 17 (PL 41, col. 332; CSEL 40/II, 536 f.; CCSL 48, 337). 62 D. h. Nemesius von Emesa (Pseudo-Gregor von Nyssa), De nat. hom., cap. 41 (PG 40, col. 776 A–B; ed. Verbeke / Moncho, 137). 63 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 27 (PG 94, col. 960 A; ed. Buytaert, 152). 64 Aristoteles, Eth. Nic. III, 4; 1112 a 15 und III, 5; 1113 a 9–11.
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es etwas Gutes, das wegen seiner Unvermischtheit mit dem Bösen mit Notwendigkeit vom Willen erstrebt wird, nämlich das Glück selbst. Es folgt aber nicht, daß der Wille durch diesen Gegenstand gezwungen wird, weil der Zwang etwas dem Willen Entgegengesetztes besagt, welcher die eigentümliche Neigung des Wollenden ist. Er besagt aber nichts der Vernunft Entgegengesetztes, welche keine Neigung des Denkenden bezeichnet. Ebensowenig wird aus der Notwendigkeit dieses Gutes eine Notwendigkeit des Willens hinsichtlich anderer Wollensgegenstände abgeleitet, so wie aus der Notwendigkeit der ersten Prinzipien die Zustimmung zur Schlußfolgerung abgeleitet wird; dies aus dem Grund, weil die anderen Willensgegenstände keine Notwendigkeit des Verhältnisses zu jenem Erstgewollten haben, weder dem Sein noch dem Schein nach, dergestalt nämlich, daß ohne sie das Erstgewollte nicht zu haben wäre; d. h., nicht so, wie die Schlußfolgerungen des Beweises ein notwendiges Verhältnis zu den Prinzipien haben, aus denen sie bewiesen werden, sodaß, wenn die Schlußfolgerungen nicht wahr wären, notwendigerweise auch die Prinzipen nicht wahr wären. Zu 19. Die Menschen erhalten von ihrer Geburt her nicht unmittelbar irgendeine Anlage in ihrer vernunftbegabten Seele, durch welche sie notwendigerweise geneigt wären, ein gewisses Ziel zu wählen, weder von einem Himmelskörper, noch von irgendetwas anderen; außer, daß von ihrer Natur selbst her in ihnen ein notwendiges Streben nach dem Letztziel, nämlich der Seligkeit, ist. Dies behindert nicht die Entscheidungsfreiheit, weil verschiedene Wege zur Erreichung jenes Zieles wählbar bleiben – und dies deshalb, weil die Himmelskörper keinen unmittelbaren Einfluß auf die vernünftige Seele haben. Aus der Geburt folgt aber im Körper des Geborenen eine Anlage, einmal aus der Kraft der Himmelskörper, ein andermal aus niederen Ursachen, welche der Same und die Materie des Empfangenen sind. Durch diese wird die Seele in gewisser Weise dazu geneigt gemacht, etwas zu wählen, sofern die Wahl einer vernünftigen Seele von den Leidenschaften geneigt wird, die im sinnlichen Streben sind, welches ein körperliches Vermögen ist, das den körperlichen Anlagen nachfolgt. Daraus wird ihm aber keine Notwendigkeit zum Wählen eingegeben, weil es in der Macht einer vernünftigen Seele liegt, die allmählich entstandenen Passionen
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anzunehmen oder auch zurückzuweisen. Bald darauf aber wird der Mensch durch einen Habitus zu einem so beschaffenen gemacht, entweder durch einen erworbenen Habitus, dessen Ursache wir sind, oder durch einen eingegossenen, welcher ohne unsere Zustimmung nicht gegeben wird, obwohl wir nicht seine Ursache sind. Und von diesem Habitus her wird bewirkt, daß der Mensch auf wirksame Weise ein Ziel erstrebt, das mit diesem Habitus zusammenstimmt; und dennoch gibt dieser Habitus keine Notwendigkeit ein, und hebt die Freiheit der Wahl nicht auf. Zu 20. Weil die Wahl ein gewisses Urteil über das zu Tuende ist, oder einem Urteil nachfolgt, kann es deshalb eine Wahl unter demjenigen geben, was unter unser Urteil fällt. Das Urteil in dem, was zu tun ist, wird aber vom Ziel her genommen, so wie Schlußfolgerungen aus den Prinzipien. So wie wir über die ersten Prinzipien nicht urteilen, indem wir sie untersuchen, sondern ihnen naturgemäß zustimmen, und von ihnen her alles andere untersuchen, so urteilen wir im Erstrebbaren nicht mit einem Urteil der Erörterung oder Untersuchung über das Letztziel, sondern wir heißen es naturgemäß gut. Deswegen gibt es ihm gegenüber auch keine Wahl, sondern nur einen Willen. Wir haben also hinsichtlich seiner einen freien Willen, weil nach Augustinus (im 5. Buch Von der Stadt Gottes)65 die Notwendigkeit der natürlichen Neigung der Freiheit nicht widerspricht, nicht aber ein freies Urteil im eigentlichen Sinne, weil es nicht unter die Wahl fällt.
2. Artik el Die zweite Frage lautet: Haben Tiere freie Entscheidung?66 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Wir sagen nämlich, daß wir Entscheidungsfreiheit haben, insofern unsere Akte willentlich sind. Am Willentlich haben aber 65 Augustinus, De civ. Dei V, 10 (PL 41, col. 152; CSEL 40/I, 228–30; CCSL 47, 140). 66 Paralleltexte: De ver. q. 23 a. 1c; Sent. II, d. 25, q. 1, a. 1 ad 6 und 7; ScG II, 48; Sum. theol. I, q. 59, a. 3c; I, q. 83, a. 1c; I–II, q. 13, a. 2.
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sowohl Kinder als auch Tiere teil, wie Aristoteles im 3. Buch der Nikomachischen Ethik sagt.67 Also gibt es Entscheidungsfreiheit bei Tieren. 2. Nach Aristoteles, im 8. Buch der Physik, ist in allem, was sich selbst bewegt, ein Sichbewegen und Sich-nicht-bewegen.68 Die Tiere aber bewegen sich selbst; also gibt es in ihnen ein Sichbewegen und Sich-nicht-bewegen. Von uns aber sagt man, daß wir Entscheidungsfreiheit haben, sofern es in unserer Macht steht, etwas tun, wie aus Gregor von Nyssa69 und Johannes Damascenus70 hervorgeht. Also gibt es Entscheidungsfreiheit bei Tieren. 3. Die freie Entscheidung impliziert zweierlei, nämlich Urteil und Freiheit, deren beide sich in Tieren finden. Sie haben nämlich ein Urteil darüber, was zu tun ist, was daraus klar ist, daß sie das eine verfolgen und das andere fliehen. Sie haben auch Freiheit, da sie sich bewegen und nicht bewegen können. Also haben sie freie Entscheidung. 4. Wird die Ursache gesetzt, muß auch die Wirkung gesetzt werden.71 Johannes Damascenus72 aber setzt die Ursache der Freiheit der Entscheidung in die Tatsache, daß unsere Seele mit einer Veränderung anfängt, weil sie aus dem Nichts stammt, und darum veränderlich ist und sich dem Vermögen nach zu vielem verhält. Die Tierseele fängt aber auch mit einer Veränderung an, also gibt es in ihr auch eine Entscheidungsfreiheit. 5. Dasjenige wird frei genannt, was auf keines festgelegt ist. Die Tierseele aber ist nicht auf eine Seite Entgegengesetzter festgelegt, 67 Aristoteles, Eth. Nic. III, 3 u. 4; 1111 a 26 und b 8–10. 68 D. h.: sich selbst zum-Stillstand-bringen; Aristoteles, Phys. VIII, 4;
255 a 7 f. 69 D. h. Nemesius von Emesa (Pseudo-Gregor von Nyssa), De nat. hom. cap. 39 (PG 40, col. 768 A–B; ed. Verbeke / Moncho, 144 f.). 70 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 26 (PG 94, col. 960 A–B; ed. Buytaert, 151). 71 Nach De ver. 23 a. 5 arg. 1: Avicenna, Liber de philosophia prima I, 6 (Venedig 1513, fol. 73rb; ed. Van Riet, I, 44); vgl. auch Petrus Hispanus, Summulae logicales, tr. V, n. 19 (ed. de Rijk, 67). 72 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 27 (PG 94, col. 960 C; ed. Buytaert, 152).
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weil ihr Vermögen nicht so auf eines festgelegt ist, wie das Vermögen der Naturdinge,73 die immer dasselbe tun. Also hat die Tierseele freie Entscheidung. 6. Strafe gebührt nur dem, der Entscheidungsfreiheit hat. Im Alten Gesetz finden sich aber häufig Strafen, die Tieren auferlegt werden, so wie offenbar in Exodus 29, 13 für das Tier, das den Berg berührt, in Exodus 21, 29 für den mit den Hörnern stoßenden Ochsen, und in Leviticus 20, 16 für das Zugtier, mit dem eine Frau liegt. Also scheinen Tiere Entscheidungsfreiheit zu haben. 7. Wie die Heiligen sagen,74 ist das Zeichen, daß der Mensch die freie Entscheidung hat, dies, daß er durch die Gebote zum Guten aufgereizt und vom Bösen zurückgehalten wird. Wir sehen aber, daß Tiere von Wohltaten angezogen werden und von Geboten bewegt werden, oder durch Drohungen abgeschreckt werden, etwas zu tun oder zu lassen. Also haben Tiere Entscheidungsfreiheit. 8. Das göttliche Gebot wird nur dem gegeben, der die freie Entscheidung hat. Die göttliche Vorschrift aber wird dem Tier gegeben, weshalb es im 3. Kapitel des Buches Jona75 nach einer anderen Version heißt: »Gott gebot dem Wurm, und er stach den Efeu.« Also haben Tiere Entscheidungsfreiheit. Dagegen spricht: 1. Der Mensch scheint insofern nach dem Ebenbild Gottes erschaffen zu sein, als er freie Entscheidung hat, wie Damascenus76 73 Vgl. Aristoteles, Met. IX, 2; 1046 b 5. 74 Z. B. Augustinus, De grat. et lib. arb. 2 u. 3 (PL 44, col. 882–885),
Ep. 256 (»ad Lampadium«) (PL 33, 1061); Irenaeus, Adversus haereses IV, 37, 2–4 (PG 7, col. 1100–1002); Nemesius von Emesa (Pseudo-Gregor von Nyssa), De nat. hom., cap. 39 (PG 40, col. 765 B; ed. Verbeke / Moncho, 144 f.), aber auch Gregor von Nyssa selbst in der Oratio catechetica 31 (PG 45, col. 78); Johannes Chrysostomus, Homilia in illud Jeremiae: »Domine, non est in homine via eius«, § 2 (PG 56, col. 155 f.) 75 Tatsächlich Jona 4, 7, wohl nach der Vetus Latina. Die Vulgata hat: »et paravit Deus vermem ascensu diluculo in crastinum et percussit hederam et exaruit.« 76 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 12 (PG 94, col. 920 B; ed. Buytaert, 113).
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und auch Bernhard77 sagen. Die Tiere sind aber nicht nach dem Ebenbild Gottes geschaffen; also haben sie keine Entscheidungsfreiheit. 2. Alles, was die freie Entscheidung hat, wird nicht allein bewirkt sondern wirkt selbst. Die »Tiere aber tun nicht, sondern werden getan,« wie Damascenus im 2. Buch sagt.78 Also haben Tiere keine Entscheidungsfreiheit. Antwort: Tiere haben in keiner Weise freie Entscheidung. Dazu muß man wissen, daß, obgleich zu unserer Handlung dreierlei zusammenwirkt, nämlich Erkenntnis, Streben und die Handlung selbst, das ganze Wesen der Freiheit von der Art der Erkenntnis abhängt. Das Streben nämlich folgt der Erkenntnis, weil das Streben nur auf dasjenige Gute ausgeht, welches ihm von der Erkenntnis vorgestellt wird. Daß manchmal das Streben nicht der Erkenntnis zu folgen scheint, kommt daher, daß das Streben und das Urteil der Erkenntnis nicht hinsichtlich desselben genommen wird. Dem Streben nämlich geht es um den besonderen Handlungsgegenstand, das Urteil des Verstandes aber hat es manchmal mit etwas Allgemeinen zu tun, das manchmal dem Streben entgegengesetzt ist. Das Urteil aber über diesen besonderen Handlungsgegenstand, hier und jetzt, kann niemals dem Streben entgegengesetzt sein. Wer nämlich Unzucht treiben will, obwohl er weiß, daß Unzucht im allgemeinen böse ist, urteilt gleichwohl, daß zu diesem Zeitpunkt dieser Akt der Unzucht gut ist, und wählt ihn unter dem Gesichtspunkt des Guten. Keiner handelt nämlich, indem er etwas als das Böse beabsichtigt, wie Dionysius sagt.79 Dem Streben jedoch, wenn kein Hindernis eintritt, folgt die Bewegung oder Handlung. Wenn darum das Erkenntnisurteil nicht in jemandes Macht steht, sondern es ihm von woanders her bestimmt 77 Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb. IX, 28 (PL 182, col. 1016 B; ed. Winkler, I, 213 ff.) und Sermo in Annunciatione B. V. M. I, 7 (PL 183, 386; ed. Winkler, VIII, 109). 78 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 27 (PG 94, col. 960 D; ed. Buytaert, 153). 79 Thomas zitiert in De ver. q. 18 a. 6: Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 32 (PG 3, col. 821 C; Dion. I, 304).
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wird, dann wird auch das Streben nicht in seiner Macht stehen, und folglich auch nicht schlechthin die Bewegung oder die Handlung. Das Urteil jedoch ist in der Macht des Urteilenden, insofern er über sein Urteil urteilen kann. Über das, was in unserer Macht ist, können wir nämlich urteilen. Über sein Urteil zu urteilen aber kommt nur dem Verstand zu, welcher über seine Akte reflektiert; er kennt nämlich die Verhältnisse derjenigen Dinge, über die er urteilt und derjenigen, durch welche er urteilt. Daher besteht die ganze Wurzel der Freiheit im Verstand. Inwiefern sich daher etwas zum Verstand verhält, so verhält es sich zur freien Entscheidung. Verstand jedoch findet sich gänzlich und vollkommen nur im Menschen. Daher findet sich auch die Entscheidungsfreiheit vollständig allein in ihm. Die Tiere aber haben etwas dem Verstand Ähnliches, insofern sie an einer natürlichen Klugheit teilhaben, sofern die niedrigere Natur auf gewisse Weise an das anrührt, was zur höheren Natur gehört.80 Dieses Ähnliche besteht darin, daß sie ein geordnetes Urteil von etwas haben. Dieses Urteil aber haben sie aus einer natürlichen Wertschätzung und nicht aus einer Überlegung, da sie den Grund ihres Urteiles nicht kennen. Darum erstreckt sich ein solches Urteil nicht, wie das Urteil des Verstandes, auf alles, sondern auf etwas Bestimmtes. Und ähnlich ist in ihnen etwas der freien Entscheidung Ähnliches, insofern sie gemäß ihrem Urteil eines und dasselbe tun oder lassen können, sodaß in ihnen gleichsam eine bedingte Freiheit ist. Sie können nämlich handeln, wenn sie urteilen, daß sie handeln sollen, oder nicht handeln, wenn sie dagegen urteilen. Weil aber ihr Urteil auf eines festgelegt ist, sind folglich auch das Streben und die Handlung auf eines festgelegt. Sie werden daher, nach Augustinus, im 11. Buch Über die buchstäbliche Bedeutung des Buches Genesis,81 »vom Gesehenen bewegt«, und, nach Damascenus,82 von Leidenschaften getrieben, weil sie nämlich natürlicherweise von 80 Hierfür zitiert Thomas in De ver. q. 14 a. 1 ad 9: Dionysius Areopagita, De div. nom. VII, 3 (PG 3, col. 872; Dion. I, 407). 81 Tatsächlich Augustinus, De Gen. ad litt. IX, c. 14 (PL 34, col. 402; CSEL 28/I, 284–86). 82 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 27 (PG 94, col. 960 C; ed. Buytaert, 153) und III, c. 18 (PG 94, col. 1076 B–C; ed. Buytaert, 254).
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einem solchen Anblick und einer solchen Leidenschaft so urteilen. Darum werden sie notwendigerweise von eben dieser Ansicht einer Sache oder einer aufbrechenden Leidenschaft zur Flucht oder Verfolgung bewegt; so wie das Schaf, wenn es den Wolf sieht, sich notwendigerweise fürchtet und flieht,83 und der Hund mit dem Aufbrechen der Leidenschaft des Zornes bellen und verfolgen muß, um Schaden zuzufügen. Der Mensch aber wird nicht notwendig bewegt von dem, was ihm begegnet, oder von den aufbrechenden Leidenschaften, weil er diese annehmen oder zurückweisen kann. Und darum hat der Mensch Entscheidungsfreiheit, nicht aber das Tier. Zu 1. Das Willensmäßige wird von Aristoteles bei Tieren angenommen, nicht sofern es aus dem Willen stammt, sondern sofern es dem Gewaltsamen entgegengesetzt wird. So spricht man darum davon, daß in Tieren und Kindern etwas Willensmäßiges ist, weil sie aus eigenem Antrieb etwas machen, nicht aber wegen des Gebrauches einer Entscheidungsfreiheit. Zu 2. Das Bewegungsvermögen der Tiere hat, als solches betrachtet, bei Entgegengesetztem keine größere Neigung zum einen als zum anderen. Und so wird gesagt, daß sie sich bewegen und nichtbewegen können. Das Urteil aber, durch welches das Bewegungsvermögen auf eine Seite Entgegengesetzter Anwendung findet, ist festgelegt; und darum haben sie keine freie Entscheidung. Zu 3. Obwohl es bei Tieren ein gewisse Indifferenz hinsichtlich der Taten gibt, kann man gleichwohl nicht im eigentlichen Sinne sagen, daß es in ihnen ein Freiheit der Taten oder des Tuns und Nichttuns gibt. Dies zum einen deshalb, weil die Taten, da sie durch den Körper ausgeführt werden, gezwungen oder verhindert werden können, und das nicht nur bei Tieren, sondern auch bei Menschen; und darum wird selbst vom Menschen nicht gesagt, daß er in seinen Taten frei ist. Zum anderen auch, weil, obwohl es bei den Tieren eine Indifferenz zum Tun und Nichttun gibt (wenn die Tat selbst als solche betrachtet wird), ergibt sich gleichwohl eine gewisse Festlegung 83 Das Beispiel bei Avicenna, De an. I, 5 (Venedig 1513, fol. 5ra C; ed. Van Riet, 86), IV, 1 (fol. 17vaB; ed. Van Riet, 7) und IV, 3 (fol. 19rbA; ed. Van Riet, 38).
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zu diesen Taten, wenn man ihre Ordnung zu dem Urteil betrachtet, aus dem sie hervorgehen, und welches auf eines festgelegt ist; so kann man bei ihnen nicht den Grund der Freiheit schlechthin finden. Selbst zugestanden aber, daß es in ihnen eine gewisse Freiheit und ein gewisses Urteil gibt, folgte gleichwohl nicht, daß in ihnen Entscheidungsfreiheit wäre, weil ihr Urteil naturgemäß auf eines festgelegt ist. Zu 4. Mit einer Veränderung anfangen oder aus dem Nichts stammen, nennt Damascenus nicht die Ursache der Entscheidungsfreiheit, sondern die Ursache des Schwankens der freien Entscheidung gegenüber dem Bösen. Als Ursache der Entscheidungsfreiheit aber nennt sowohl Damascenus84 als auch Gregor von Nyssa,85 wie auch Augustinus86 den Verstand. Zu 5. Obwohl das Bewegungsvermögen bei Tieren nicht auf eines festgelegt ist, ist gleichwohl ihr Urteil über das zu Tuende auf eines festgelegt, wie gesagt wurde. Zu 6. Da die Tiere als dem Menschen untertan erschaffen sind,87 wird für die Tiere angeordnet, was den Menschen nützt, für die sie geschaffen sind. Die Tiere werden also nach göttlichem Gesetz nicht deshalb bestraft, weil sie selbst gesündigt hätten, sondern damit durch ihre Bestrafung die Menschen bestraft werden, die ihre Besitzer sind,88 oder damit diese durch die Härte ihrer Strafe abgeschreckt werden, oder auch damit sie durch die Symbolisierung von Mysterien belehrt werden.
84 J. Damascenus, De fide orth. II, 27 (PG 94, col. 960 C; ed. Buytaert,
153). 85 D. h. Nemesius von Emesa, De nat. hom., 41 (PG 40, col. 776 A; ed. Verbeke / Moncho, 150). 86 Richtiger: Petrus Lombardus, Sent. II, d. 24, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I, 421); Augustinus selbst allgemein so in De lib. arb., besonders II, 6 u. 18 (PL 32, col. 1248 und 1266 f.; CCSL 29, 246 f.; 269 f.) und I, c. 8 f. (PL 32, col. 1231 f., CCSL 29, 222 ff.). 87 Vgl. Gen. 1, 26–28. 88 Moses Maimonides, Dux neutr. III, 41, (Führer der Unschlüssigen, übers. u. hrsg. v. a. Weiss, 3 Bde, Leipzig 1923 f.; Nachdr., 2 Bde, Hamburg: Meiner 1972).
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Zu 7. Sowohl die Menschen als auch die Tiere werden durch Wohltaten angereizt und durch Schläge abgeschreckt, oder durch Gebote und Verbote. Dies aber auf verschiedene Weise, weil es in der Macht der Menschen steht, daß sie, wenn dieselben Dinge ihnen vorgestellt werden, seien es Gebote oder Verbote, seien es Wohltaten oder Schläge, sie diese durch ein Urteil der Vernunft wählen oder fliehen. Bei den Tieren ist das Urteil aber natürlicherweise so festgelegt, daß dasjenige was auf eine Weise vorgesetzt wird oder vorkommt, auf immer dieselbe Weise angenommen oder geflohen wird. Es trifft sich aber, daß das Tier aufgrund der Erinnerung vergangener Wohltaten und Schläge etwas gleichsam als freundlich auffaßt, und als zu verfolgen oder hoffen, und etwas anderes als feindlich und zu fliehen oder fürchten. Und darum werden sie, nach den Schlägen und aus der Leidenschaft der Furcht, die aufgrund dieser in ihnen aufsteigt, zum Gehorsam gegenüber dem Befehl des Unterrichtenden veranlaßt. Und es ist nicht notwendig, daß dergleichen bei den Tieren aufgrund einer Entscheidungsfreiheit geschieht, sondern nur aufgrund der Indifferenz gegenüber den Taten. Zu 8. Wie Augustinus im 9. Buch Über die buchstäbliche Bedeutung des Buches Genesis sagt:89 von dem göttlichen Gebot, das für die Tiere gemacht wird, »darf man nicht glauben, daß es so ergangen wäre, daß ihnen irgendeine Stimme aus einer Wolke einen Befehl erteilt hätte, mit irgendwelchen Worten, wie sie vernunftbegabte Seelen zu verstehen und befolgen pflegen, wenn sie sie hören. Dies zu können haben Tiere und Vögel nämlich nicht empfangen. Auf ihre eigene Weise aber gehorchen sie Gott, nicht durch die Entscheidung eines vernünftigen Willens, sondern so, wie er alle Dinge zur geeigneten Zeit bewegt, während er sich selbst nicht zeitlich bewegt; so werden die Tiere zeitlich bewegt, damit sie seine Befehle ausführen.«
89 Augustinus, De Gen. ad litt. IX, 14 (PL 34, col. 402; CSEL 28/I, 285).
3. Artik el Die dritte Frage lautet: Hat Gott Entscheidungsfreiheit?90 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Die freie Entscheidung ist nämlich ein Vermögen des Willens und des Verstandes.91 Der Verstand aber kommt Gott nicht zu, da er eine diskursive Erkenntnis bezeichnet, während Gott alles mit einem einfachen Anblick weiß. Also kommt Gott die freie Entscheidung nicht zu. 2. Die freie Entscheidung ist ein Vermögen durch welches Gutes und Böses gewählt wird, wie aus Augustinus hervorgeht.92 Aber in Gott gibt es kein Vermögen, das Böse zu wählen. Also gibt es in Gott die freie Entscheidung nicht. 3. Die freie Entscheidung ist ein Vermögen, das sich zu entgegengesetzten Akten verhält.93 Gott aber verhält sich nicht zu Entgegengesetztem, da er unveränderlich ist und sich nicht zum Bösen kehren kann. Also gibt es in Gott keine freie Entscheidung. 4. Der Akt der freien Entscheidung ist die Wahl, wie aus der angeführten94 Definition klar ist. Die Wahl aber paßt nicht zu Gott, weil sie der Beratschlagung folgt,95 welche dem Zweifelnden und Suchenden zukommt.
90 Paralleltexte: Sent. II, d. 25, q. 1, a. 1; Sum. theol. I, q. 19, a. 10; ScG I, 88; De malo q. 16 a. 5. 91 Petrus Lombardus, Sent. II, d. 24, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I, 421). 92 Nach Petrus Lombardus, Sent. II, d. 24, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I, 421), in abgekürzter Form. Bei Augustinus findet sich ähnliches in De correptione et gratia 1 (PL 44, col. 917) und Retract. I, 9 (PL 32, col. 596; CCSL 57, 23–29), De peccat. mer. et remis. II, 18 (PL 44, col. 169). Petrus Lombardus seinerseits nimmt es von Honorius von Autun, Elucidarium II, 3 (PL 172, 1135) und von der Summa Sententiarum III, 7 (PL 176, 101) (früher Hugo von St. Viktor zugeschrieben, aber wohl Otto von Lucca). Vgl. auch Hieronymus, Com. in Isaiam Proph. XVI (zu 57, 6) (PL 24, col. 571). Vgl. ed. Schmidt III, 458. 93 Vgl. Aristoteles, Met. IX, 2; 1046 b 5. 94 Arg. 2; vgl. auch art. 1 arg. 6. 95 Aristoteles, Eth. Nic. III, 5; 1113 a 3–5.
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Dagegen spricht: 1. Anselm sagt,96 wenn das Sündigenkönnen ein Teil der Entscheidungsfreiheit wäre, dann hätten Gott und die Engel keine Entscheidungsfreiheit, was höchst absurd ist. Also ist es angemessen zu sagen, daß Gott Entscheidungsfreiheit hat. 2. Zum 1. Korintherbrief (12, 11): »Dies alles macht ein und derselbe Geist, der an die Einzelnen verteilt, wie er will,« sagt die Glosse:97 »als die freie Entscheidung des Willens.« Also hat der Heilige Geist die freie Entscheidung, und aus demselben Grund auch der Vater und der Sohn. Antwort: In Gott findet sich die freie Entscheidung, aber auf je andere Weise bei ihm, bei den Engeln und bei den Menschen. Daß es in Gott die freie Entscheidung gibt, zeigt sich nämlich daran, daß er ein Ziel seines Willens hat, welches er naturgemäß will, nämlich seine Güte. Alles andere aber will er gleichsam als hingeordnet auf dieses Ziel, auch wenn er dies absolut gesprochen nicht notwendigerweise will, wie in der vorangegangenen Frage98 daraus gezeigt worden ist, daß seine Güte diese Dinge, die auf sie hingeordnet sind, nicht benötigt, und daß seine Offenbarung auf viele Weisen angemessen geschehen kann. Darum bleibt ihm die freie Entscheidung, dies oder jenes zu wollen, so wie auch bei uns. Und darum muß man sagen, daß in Gott Entscheidungsfreiheit zu finden ist, ähnlich wie auch bei den Engeln. Auch diese wollen nämlich nicht mit Notwendigkeit, was sie wollen; und das, was sie wollen, wollen sie aus freier Entscheidung, wie auch wir. Die Entscheidungsfreiheit findet sich aber auf verschiedene Weise bei uns und bei den Engeln und bei Gott. Wenn das Frühere verändert wird, muß nämlich auch das Spätere verändert werden; das Ver96 Anselm von Canterbury, De lib. arb. 1 (PL 158, col. 489 B; Opera omnia I, ed. Schmitt, 207). 97 Tatsächlich: Petrus Lombardus, Sent. II, d. 25, c. 1 (ed. coll. S. Bon. I, 462), der es von Ambrosius hat: Ambrosius, De fide II, 6 (PL 16, col. 592 B), wie Thomas weiß: Sum. theol. I, q. 19, a. 10, sc. 98 De ver. q. 23 a. 4.
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mögen der freien Entscheidung setzt aber zweierlei voraus, nämlich die Natur und die Erkenntniskraft. Die Natur nun ist auf eine andere Weise in Gott als im Menschen und den Engeln. Die göttliche Natur ist nämlich ungeschaffen und ist ihr Sein und ihre Gutheit. Daher gibt es in ihr keinen Mangel, weder hinsichtlich des Seins noch hinsichtlich der Gutheit. Die menschliche Natur jedoch und die engelische sind geschaffen und nehmen ihren Anfang aus dem Nichts; deshalb ist es möglich, daß sie, soweit es an ihnen liegt, mangelhaft sein können. Und aus diesem Grund ist es die Entscheidungsfreiheit Gottes in keiner Weise zum Bösen hinkehrbar, die Entscheidungsfreiheit des Menschen und des Engels aber, in ihrer natürlichen Konstitution betrachtet, sind zum Bösen hinkehrbar. Die Erkenntnis aber findet sich im Menschen auf andere Weise als in Gott und den Engeln. Der Mensch hat nämlich eine verschattete Erkenntnis99 und eine, die die Kenntnis der Wahrheit diskursiv aufnimmt; daher gibt es bei ihm Zweifel und Schwierigkeiten im Unterscheiden und Urteilen, weil »die Gedanken des Menschen zaghaft sind, und unsere Voraussicht ungewiß,« wie es im Buch der Weisheit (9, 14) heißt. Bei Gott aber, und in seiner eigenen Weise auch beim Engel, gibt es eine einfache Kenntnis der Wahrheit, ohne Diskurs und Untersuchung. Darum ergibt sich bei ihnen nicht Zweifel oder Schwierigkeit im Unterscheiden und Urteilen; und darum auch haben Gott und die Engel eine leicht entschlossene Wahl der Entscheidungsfreiheit, der Mensch aber erleidet Schwierigkeiten aufgrund von Ungewißheit und Zweifel. Und so ist klar, daß die Entscheidungsfreiheit des Engels einen mittleren Ort zwischen der Entscheidungsfreiheit Gottes und des Menschen einhält, insofern sie auf gewisse Weise an beiden Seiten des Gegensatzes teilhat. Zu 1. »Verstand« wird manchmal im weiten Sinne genommen für alle immaterielle Erkenntnis, und so findet sich der Verstand in Gott. So listet auch Dionysius im 7. Kapitel Von den göttlichen Na99 Vgl. Isaac Israeli (Ishaq al-Israili), Liber de Definicionibus; ed. J. P. Muckle, Isaac Israeli’s Liber de definicionibus, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age XI, 1938, 299–340, 313.
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men100 den Verstand unter den göttlichen Namen auf. Auf andere Weise wird er im eigentlichen Sinne genommen als das diskursive Erkenntnisvermögen; und so findet sich der Verstand weder bei Gott noch bei den Engeln, sondern nur beim Menschen. Man kann also sagen, daß »Verstand« in der Definition der Entscheidungsfreiheit in der ersten Bedeutung genommen wird. Wenn er aber in der zweiten Bedeutung genommen wird, dann wird die Entscheidungsfreiheit nach jener Art definiert, in welcher sie sich beim Menschen findet. Zu 2. Das Böse wählen zu können gehört nicht zum Wesen der freien Entscheidung, sondern folgt aus der Entscheidungsfreiheit, sofern sie im Geschöpf die Möglichkeit zum Mangel hat. Zu 3. Der göttliche Wille verhält sich zu Entgegengesetztem nicht, als ob er etwas wollte und nachher nicht mehr wollte, was seiner Unveränderlichkeit widerspräche; und auch nicht, als ob er Gutes und Böses wollen könnte, weil dies die Möglichkeit des Mangels in Gott annähme, sondern weil er dies wollen und nicht wollen kann. Zu 4. Daß die Wahl der Beratschlagung folgt, welche durch Untersuchung vorgeht, ergibt sich für die Wahl, insofern sie in einer verstandesmäßigen Natur ist, welche die Kenntnis der Wahrheit durch den vernünftigen Diskurs erfaßt. In der vernunftmäßigen Natur aber, welche eine einfache Auffassung der Wahrheit hat, findet sich die Wahl ohne vorhergehende Untersuchung. Und so findet sich die Wahl in Gott.
4. Artik el Die vierte Frage lautet: Ist die freie Entscheidung ein Vermögen, oder nicht?101 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Die freie Entscheidung ist nämlich nach Augustinus »eine Fähigkeit des Willens und des Verstandes;«102 »Fähigkeit« (facultas) 100 Dionysius Areopagita, De div. nom. VII, 4 (PG 3, col. 872 C; Dion. I,
408). 101 Paralleltexte: Sent. II, d. 24, q. 1, a. 1; Sum. theol. I, q. 83, a. 2. 102 Tatsächlich Petrus Lombardus, Sent. II, d. 24, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I,
421), wo das Zitat Augustinus nicht zugeschrieben wird, sondern vermutlich
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aber besagt gleichsam »leichtes Vermögen« (facilis potestas);103 weil nun die Leichtigkeit des Vermögens aus dem Habitus hervorgeht, und da nach Augustinus104 der Habitus das ist, wodurch jemand leicht handeln kann, scheint das Entscheidungsvermögen also ein Habitus zu sein. 2. Unter den Tätigkeiten sind einige moralische, andere aber natürliche. Die Fähigkeit aber, die auf die moralischen Tätigkeiten ausgeht, ist ein Habitus, und nicht ein Vermögen, wie es von den moralischen Tugenden her offenkundig ist. So ist auch die freie Entscheidung, die eine Fähigkeit zu natürlichen Tätigkeiten impliziert, ein Habitus und kein Vermögen. 3. Wenn nach Aristoteles, im 2. Buch der Physik,105 die Natur ein Schiff herstellte, so machte sie es ebenso wie die Kunst. Also ist die natürliche Leichtigkeit von derselben Zustandsart, wie die Leichtigkeit, die aus der Kunst stammt. Die Leichtigkeit aber, die aus der Kunst stammt, ist ein Habitus der durch die Tätigkeiten erworben wird, wie die moralischen Tugenden zeigen; wir sagen ja, daß alles durch Kunst geschieht, was durch Vernunft getan wird. Also wird auch die natürliche Fähigkeit oder Leichtigkeit, die die freie Entscheidung ist, ein gewisser Habitus sein. 4. Nach Aristoteles, im 2. Buch der Nikomachischen Ethik,106 sind es die Habitūs, gemäß welcher wir in einer bestimmten Weise tätig sind, die Vermögen aber, gemäß welcher wir schlechthin tätig sind. auf der Summa Sententiarum III, 8 (PL 176, col. 101) basiert. Auch Wilhelm von Auxerre schreibt aber Augustinus diese Definition zu; vgl. hierzu Odon Lottin, Psychologie et morale au XIIe et XIIIe siècles (Louvain: Abbaye de Mont César, 7 Bde., 1942–60), Bd. I, 64, Anm. 3. Vgl. auch Ramelow, Tilman Anselm: »Der Begriff des Willens in seiner Entwicklung von Boethius bis Kant«, in Archiv für Begriffsgeschichte 46 (2004), 29–67, hier: 36 f. Bei Augustinus findet sich vergleichbares in De lib. arb. I, 8 u. 11 (PL 32, col. 1231. 1233; CCSL 29, 222. 225 f.), II, 6 und 18 (1248, 1266 f.; CCSL 29, 246 f. 269 f.). 103 Huguccio von Pisa, Liber derivationum, »facio« (Ms. Paris, Bibl. Nat., lat. 7625 A, f. 53va). 104 In De ver. q. 14 a. 3 arg. 8 zitiert Thomas hierfür: Augustinus, De bono coniug. 21 (PL 40, col. 390). 105 Aristoteles, Phys. II, 8 (199 a 12 f. und b 28). Aristoteles hat aber ein Haus statt eines Schiffes. 106 Aristoteles, Eth. Nic. II, 4; 1105 b 23–27 und 1106 a 4–7.
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Die freie Entscheidung aber benennt nicht allein das, wodurch wir handeln, sondern auch das, wodurch wir auf eine bestimmte Weise handeln, nämlich frei. Also benennt die freie Entscheidung einen Habitus. 5. Es sagte zwar jemand, daß, wenn gesagt wird, der Habitus sei das, wodurch wir auf eine bestimmte Weise handeln, dies als »auf gute oder schlechte Weise« zu verstehen sei. – Dagegen spricht aber, daß das, was zum Wesen des Habitus gehört, allen Habitus gemeinsam ist. Gut oder schlecht zu handeln ist aber nicht allen Habitus gemeinsam, denn der theoretische Habitus verhält sich anscheinend nicht zum Guten und Schlechten. Also gehört es nicht zum Wesen des Habitus, gut oder schlecht zu handeln. 6. Das, was durch die Sünde aufgehoben wird, kann nicht ein Vermögen sein, sondern ist ein Habitus. Die freie Entscheidung aber wird durch die Sünde aufgehoben, weil, wie Augustinus sagt,107 »der Mensch, der seine freie Entscheidung schlecht gebraucht, sich selbst und diese verliert.« Also ist die freie Entscheidung ein Habitus und kein Vermögen. 7. Es sagte indessen jemand, daß das Wort des Augustinus von der Freiheit der Gnade zu verstehen sei, die durch einen Habitus besteht. – Dagegen spricht aber, daß den Habitus der Gnade, nach Augustinus,108 »niemand schlecht gebraucht.« Also kann die Freiheit der Entscheidung, von welcher jemand schlechten Gebrauch macht, nicht als die Freiheit der Gnade verstanden werden. 8. Bernhard sagt,109 daß die freie Entscheidung ein »Habitus der Seele ist, der durch sich selbst frei ist;« und so folgt das zuvor gesagte. 9. Es ist leichter, in einen Akt der Erkenntnis überzugehen, als in einen Akt der Tätigkeit. Dem Erkenntnisvermögen ist aber ein natürlicher Habitus gegeben, nämlich die Einsicht in die Prinzipien, 107 Augustinus, Ench. IX, 30 (PL 40, col. 246; CCSL 46, 65). 108 Augustinus, De lib. arb. II, 19 (PL 32, col. 1268; CCSL 29, 272), in
Bezug auf die Tugend; in Bezug auf die Gnade: Retract. I, 9 (PL 32, col. 597; CCSL 57, 23–29); vgl. Petrus Lombardus, Sent. II, d. 25, c. 7 (ed. coll. S. Bon. I, 465). 109 Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb. I (PL 182, col. 1002 C; ed. Winkler I, 172 ff.).
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welche an der Spitze der Erkenntnis steht. Also ist auch den tätigen oder bewegenden Vermögen ein natürlicher Habitus gegeben. Da aber den höchsten Ort unter dem Bewegenden die freie Entscheidung einzunehmen scheint, scheint es, daß sie ein Habitus ist, oder ein Vermögen, das durch einen Habitus vervollkommnet wird. 10. Das Vermögen wird nur durch den Habitus beschränkt. Der Wille aber und der Verstand werden durch die freie Entscheidung eingeschränkt. Der Wille ist nämlich das Vermögen des Möglichen und Unmöglichen,110 während es die freie Entscheidung nur vom Möglichen gibt. Auf ähnliche Weise ist der Verstand ein Vermögen derjenigen Dinge, die in unserer Macht sind, wie auch derer, die nicht in unserer Macht sind, die freie Entscheidung aber allein derer, die in unserer Macht sind.111 Also benennt die freie Entscheidung einen Habitus. 11. So wie das Vermögen etwas bezeichnet, das dem Wesen hinzugefügt wird, so besagt die Fähigkeit (facultas) etwas, das dem Vermögen hinzugefügt wird. Das, was dem Vermögen hinzugefügt wird, ist aber der Habitus. Da nun also die freie Entscheidung eine Fähigkeit ist, scheint es, daß sie ein Habitus ist. 12. Augustinus sagt,112 daß die freie Entscheidung eine »Bewegung der lebendigen und vernünftigen Seele« ist. »Bewegung« aber bezeichnet einen Akt. Also ist die freie Entscheidung ein Akt und nicht ein Vermögen. 13. Nach Boethius113 ist »das Urteil der Akt des Urteilenden.« Die Entscheidung jedoch ist dasselbe wie das Urteil; also ist auch die Entscheidung ein Akt. Daß aber »frei« hinzugefügt wird, zieht dies nicht aus der Gattung des Aktes heraus, weil freie Akte auch diejenigen genannt werden, die in der Macht des Handelnden sind. Also ist die freie Entscheidung ein Akt und nicht ein Vermögen. 110 Vgl. De ver. q. 22 a. 13 arg. 12, wo Thomas Aristoteles, Eth. Nic. III, 4; 1111 b 20–23 zitiert; in ad 12 unterscheidet er dadurch den Willen ähnlich von der Wahl, die nur auf Mögliches bezogen ist. 111 Vgl. Nemesius von Emesa (Pseudo-Gregor von Nyssa), De nat. hom., cap. 40 (PG 40, col. 768 A–B; ed. Verbeke / Moncho, 146) und Johannes Damascenus, De fide orth. II, 26 (PG 94, col. 957; ed. Buytaert, 150). 112 Vgl. Pseudo-Augustinus, Hypognosticon III, 4 (PL 45, col. 1623). 113 Boethius, Philos. consol. V, pr. 4 (PL 63, col. 850 B; CCSL 94, 98).
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14. Nach Augustinus im Buch Von der Dreifaltigkeit 114 ist etwas, wenn es seinen Träger übersteigt, wesentlich in ihm, nicht akzidentell. Von daher beweist er, daß die Liebe und die Erkenntnis wesentlich im Geist sind, weil der Geist nicht nur sich selbst, sondern auch anderes liebt und kennt. Die freie Entscheidung aber übersteigt ihren Träger, weil die Seele durch die freie Entscheidung auf diejenigen Dinge einwirkt, die außerhalb ihrer sind. Also ist die freie Entscheidung wesentlich in der Seele, und so ist sie kein Vermögen, weil die Vermögen zum Wesen hinzugefügt werden. 15. Kein Vermögen überführt sich selbst in den Akt. Die freie Entscheidung überführt sich selbst in den Akt, wenn sie will.115 Also ist die freie Entscheidung kein Vermögen. Dagegen spricht: 1. Nach Aristoteles, im 2. Buch der Nikomachischen Ethik,116 gibt es »drei Dinge in der Seele: das Vermögen, den Habitus und die Leidenschaft.« Die freie Entscheidung aber ist keine Leidenschaft, weil sie im höheren Seelenteil ist, die Leidenschaft aber und die leidensfähige Beschaffenheit hat es nur mit dem sinnlichen Teil zu tun.117 Auf ähnliche Weise ist sie auch kein Habitus, weil sie Träger der Gnade ist – sie verhält sich nämlich nach Augustinus118 zur Gnade, wie das Pferd zum Reiter. Ein Habitus aber kann nicht Träger eines anderen Habitus sein. Also bleibt übrig, daß die freie Entscheidung ein Vermögen ist. 2. Der Unterschied zwischen Vermögen und Habitus scheint darin zu liegen, daß das Vermögen, das sich zu Entgegengesetztem verhält, durch den Habitus zu einem bestimmt wird. Die freie Entscheidung aber bezeichnet etwas, das sich zu Entgegengesetztem verhält und auf keine Weise zu einem bestimmt ist. Also ist die freie Entscheidung ein Vermögen und kein Habitus. Augustinus, De trin. IX, 4, 5 (PL 42, col. 963; CCSL 50, 297 f.). Vgl. De ver. q. 12 a. 1. Aristoteles, Eth. Nic. II, 4; 1105 b 19 f., 23. Vgl. De ver. q. 22, a. 13 arg. 13 (wo Thomas auch Aristoteles, Phys. VII, 3; 245 b 4 f., 247 a 3–7, 248 a 6–9 zitiert), und ad 13. 118 Pseudo-Augustinus, Hypognosticon III, 11 (PL 45, col. 1632), nach Sum. theol. I–II, q. 110, a. 4 arg. 1. 114 115 116 117
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3. Bernhard sagt:119 »Nimm die freie Entscheidung weg, und es gibt nichts, was gerettet wird.« Das aber, was geretttet wird, ist die Seele oder das Vermögen der Seele. Weil also die freie Entscheidung keine Seele ist, da sie nur zum höheren Teil gehört, bleibt nur, daß die freie Entscheidung ein Vermögen ist. 4. Petrus Lombardus sagt im 2. Buch der Sentenzen, in der 24. Distinktion:120 »Jenes Vermögen der vernunftbegabten Seele, durch welches man gut und böse wollen und beides unterscheiden kann, wird freie Entscheidung genannt.« Und so ist die freie Entscheidung ein Vermögen. 5. Anselm sagt,121 daß »die freie Entscheidung die Macht ist, die Rechtheit des Willens um seiner selbst willen zu bewahren.« Und so folgt das zuvor Gesagte. Antwort: Wenn man es im buchstäblichen Sinn nimmt, bezeichnet »freie Entscheidung« einen Akt; geht man damit aber im normalen Sprachgebrauch um, so bezeichnet es den Ursprung des Aktes. Wenn wir nämlich sagen, daß der Mensch freie Entscheidung hat, verstehen wir darunter nicht, daß er tatsächlich frei urteilt, sondern daß er etwas in sich hat, von woher er frei urteilen kann. Wenn daher dieser Akt, der das freie Urteilen ist, etwas in sich hat, was die Kraft des Vermögens übersteigt, dann bezeichnet die freie Entscheidung einen Habitus oder ein Vermögen, das durch einen Habitus vervollkommnet ist, so wie das gemäßigte Zornigwerden etwas bezeichnet, was das Vermögen des Zornes übersteigt. Das Mäßigen der Leidenschaft des Zornes vermag das Zornmütige ja nicht aus sich selbst, außer es wurde durch einen Habitus vervollkommnet, gemäß welchem ihm die Mäßigung der Vernunft eingeprägt wurde. Wenn aber das freie Urteilen nicht etwas in sich impliziert, was die Kraft des Vermögens 119 Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb. I (PL 182, col. 1002 B; ed. Winkler I, 172 ff.). 120 Petrus Lombardus, Sent. II, d. 24, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I, 421). 121 Anselm von Canterbury, De lib. arb. 3 (PL 158, col. 494 B; Opera omnia I, ed. Schmitt, 210 ff.) und cap. 13 (PL 158, 505 A; ed. Schmitt I, 225); vgl. De concordia praescientiae Dei cum libero arbitrio I, 6 (PL 158, col. 516; Opera omnia II, ed. Schmitt, 256 f.).
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übersteigt, dann benennt die freie Entscheidung nur das Vermögen als solches, so wie auch das Zornigwerden nicht die Kraft des Vermögens des Zornes übersteigt. Daher ist sein eigentliches Prinzip das Vermögen, und nicht der Habitus. Es ist aber klar, daß das Urteilen, wenn nichts hinzugefügt wird, die Kraft des Vermögens nicht übersteigt, sofern es der Akt eines Vermögens, nämlich der Vernunft ist, und zwar Kraft seiner eigenen Natur, ohne daß irgendein zusätzlicher Habitus erforderlich wäre. Daß aber »frei« hinzugefügt wird, übersteigt auf ähnliche Weise die Kraft des Vermögens nicht, denn etwas wird von daher »frei geschehen« genannt, daß es in der Macht des Tätigen ist. Daß etwas in unserer Macht ist, kommt uns aber gemäß einem Vermögen, nicht jedoch durch einen Habitus zu – nämlich durch den Willen. Darum benennt »freie Entscheidung« nicht einen Habitus, sondern das Vermögen des Willens oder der Vernunft, eines nämlich in Hinordnung auf das andere. Der Akt der Wahl geht ja aus einem dieser beiden in Hinordnung auf das andere hervor, gemäß dem, was Aristoteles im 6. Buch der Nikomachischen Ethik sagt,122 daß nämlich die Wahl entweder ein Streben des Vernünftigen ist, oder ein Verstehen des Strebevermögens. Es ist aber aus dem Gesagten klar, was manche dazu bewegt, die freie Entscheidung als einen Habitus anzunehmen. Einige123 nämlich nehmen dies deswegen an, weil es die freie Entscheidung zum Willen und der Vernunft hinzufügt, nämlich die Hinordnung des einen zum anderen. Dies kann aber nicht das Wesen eines Habitus haben, wenn man das Wort »Habitus« im eigentlichen Sinne versteht, denn der Habitus ist eine Qualität durch welche ein Vermögen zum Akt geneigt wird. Einige124 aber haben gesagt, daß die freie Entscheidung ein habituales Vermögen ist, indem sie die Leichtigkeit 122 Aristoteles, Eth. Nic. VI, 2; 1139 b 4–6. 123 Vgl. Bonaventura, Sent. II, d. 25, p. 1, q. 4 (Opera Omnia, II), 601 b –
602 ab), aber auch Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb. I, 2 (PL 182, col. 1002; Opera omnia, III, 167, 13): »est habitus animi liber sui.« 124 Summa fratris Alexandri I–II, n. 390 (Quaracchi 1924–48, II (1928), 468) und Philipp der Kanzler, Summa de bono (Odon Lottin, Psychologie et morale au XIIe et XIIIe siècles, Louvain, Abbaye de Mont César, 7 Bde., 1942–60, Bd. I, 76, n. 1), Odo Rigaldus (Lottin, ibid. 151).
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bedachten, durch welche wir frei urteilen. Das aber übersteigt, wie schon gesagt wurde, das Wesen des Vermögens nicht. Zu 1. Etwas wird »leicht« auf zweifache Weise genannt: auf eine Weise wegen der Beseitung eines Hindernisses, auf andere Weise wegen der Hinzufügung einer Hilfe. Die Leichtigkeit aber, die zu einem Habitus gehört, ist die durch Hinzufügung einer Hilfe, denn der Habitus neigt das Vermögen zum Akt. Diese Leichtigkeit jedoch benennt die freie Entscheidung nicht, denn aus sich neigt sie sich zum einen nicht mehr als zum anderen; vielmehr benennt sie eine Leichtigkeit, welche durch die Beseitigung eines Hindernisses entsteht, weil die freie Entscheidung nicht durch irgendein Zwingendes an ihrer eigenen Tätigkeit gehindert wird. Und darum nennt Augustinus die freie Entscheidung im eigentlichen Sinne eine Fähigkeit (facultas), und nicht eine Leichtigkeit (facilitas), weil die Fähigkeit zu implizieren scheint, daß etwas in der Macht dessen ist, der diese Fähigkeit hat. Zu 2 und 3. Und ähnlich ist auf den zweiten und dritten Einwand zu antworten, die von der Leichtigkeit des Habitus ausgehen. Zu 4. Bei einem Akt kann man eine zweifache Weise unterscheiden: eine, die zum Wesen des Habitus gehört, so wie wenn etwas gut oder schlecht getan wird, und eine andere, die zum Wesen des Vermögens gehört, so wie das immaterielle Erkennen der Vernunft von ihrer eigenen Natur her zukommt. Die Weise aber, die darin impliziert ist, was ich »freies Urteilen« nenne, gehört nicht zu einem hinzugefügten Habitus, sondern zum Wesen des Vermögens selbst, wie gesagt wurde. Zu 5. [Es fehlt eine Antwort zum fünften Einwand.] Zu 6. Der Mensch, der seine freie Entscheidung schlecht gebraucht, verliert diese nicht vollständig, sondern nur in einer gewissen Hinsicht, weil er nämlich nach der Sünde nicht ohne Sünde sein kann, so wie er es vor der Sünde konnte. Zu 7. Obwohl niemand die Gnade auf schlechte Weise gebrauchen kann, kann jemand gleichwohl sogar diejenige freie Entscheidung mißbrauchen, die die Freiheit der Gnade hat; dies, sofern wir sagen, daß das, was auf schlechte Weise gebraucht wird, das Prinzip des schlechten Gebrauchs ist, wie das Vermögen oder der Habitus. Wenn
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aber von uns gesagt wird, daß wir etwas im Sinne des Gegenstandes mißbrauchen, so findet auch Mißbrauch der Tugenden und der Gnade statt, wie sich an denen zeigt, die mit ihren Tugenden prahlen. Zu 8. Bernhard nimmt »Habitus« im uneigentlichen Sinne für jedwede Gewandtheit. Zu 9. Ein Vermögen braucht einen Habitus aus einem zweifachen Grund: erstens, weil die Tätigkeit, welche durch das Vermögen hervorgebracht werden soll, die Kraft des Vermögens übersteigt, obwohl es nicht das Vermögen der ganzen menschlichen Natur übersteigt. Zweitens, weil es die Kraft der ganzen Natur übersteigt; und auf diese zweite Weise brauchen alle Seelenvermögen einen Habitus, durch welchen die Akte auf verdienstliche Weise hervorgerufen werden, seien sie affektiv oder erkennend, weil sie in solche Akte nicht übergehen können, außer der Habitus der Gnade wird hinzugefügt. Auf die erste Weise aber braucht die Vernunft einen Habitus, weil er etwas nicht erkennen kann, außer er verähnlicht sich ihm durch eine intelligible Spezies. Darum müssen dem Intellekt intelligible Spezies hinzugefügt werden, durch welche er in den Akt übergeht; aus den Spezies aber macht eine gewisse Anordnung einen Habitus. Aus demselben Grund brauchen die unteren Strebenvermögen, nämlich das zornmütige und das begehrliche, einen Habitus, weshalb sie durch die moralischen Tugenden vervollkommnet werden. Daß ihre Akte gemäßigt sind, übersteigt nämlich nicht die menschliche Natur, sondern übersteigt nur die Kraft der besagten Vermögen. Darum ist es nötig, daß das, was dem höheren Vermögen angehört, nämlich dem Verstand, ihnen eingeprägt wird, und diese Siegelung des Verstandes in den niederen Kräften vervollkommnet formell die moralischen Tugenden. Das höhere affektive Vermögen aber braucht in dieser Weise keinen Habitus, weil es naturgemäß auf das ihm konnaturale Gute wie auf seinen eigentümlichen Gegenstand ausgeht. Daher benötigt es dazu, daß es das Gute will, nur, daß es ihm von der Erkenntniskraft gezeigt wird. Und darum nehmen die Philosophen im Willen keinen Habitus an, weder einen natürlichen, noch einen erworbenen, sondern zur Leitung der tätigen Vermögen setzen sie die Umsicht in den Verstand, und die Mäßigung und die Tapferkeit und die an-
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deren moralischen Tugenden in das zornmütige und das begehrliche Vermögen. Nach den Theologen aber wird im Willen der Habitus der Liebe angenommen, wegen der verdienstvollen Akte. Zu 10. Diese Einschränkung des Verstandes und des Willens geschieht nicht durch einen hinzugefügten Habitus, sondern durch die Hinordnung des einen Vermögens zum anderen. Zu 11. Diejenige Fähigkeit, welche aufgrund der Neigung eines Habitus besteht, fügt zum Vermögen etwas hinzu, das von anderer Natur ist, nämlich einen Habitus. Diejenige Fähigkeit aber, welche aufgrund der Entfernung eines Zwanges besteht, fügt eine bestimmte Natur des Vermögens hinzu, welche jedoch zur Natur des Vermögens selbst gehört, so wie die Differenz, die zur Gattung hinzugefügt wird, zur Natur der Art gehört. Zu 12. Augustinus definiert die freie Entscheidung durch den eigentümlichen Akt, weil die Vermögen durch die Akte erkannt werden. Daher ist diese Prädikation keine wesentliche, sondern eine kausale. Zu 13. Obwohl im eigentlichen Sinne des Wortes die freie Entscheidung einen Akt bezeichnet, wurde es gleichwohl dem Sprachgebrauch nach auf die Bezeichnung des Ursprunges des Aktes übertragen. Zu 14. Die Erkenntnis und die Liebe können auf zweifache Weise mit dem Geist ins Verhältnis gesetzt werden. Auf eine Weise wie zum Liebenden und Erkennenden, und so übersteigen sie den Geist selbst nicht, und sind auch nicht ausgenommen von der Ähnlichkeit mit anderen Akzidentien. Auf andere Weise können sie mit dem Geist ins Verhältnis gesetzt werden, wie zum Geliebten und Erkannten. Und so übersteigen sie den Geist, weil der Geist nicht allein sich, sondern auch anderes erkennt und liebt. Und so sind sie ausgenommen von der Ähnlichkeit mit anderen Akzidentien. Die anderen Akzidentien nämlich verhalten sich nicht in jener Hinsicht, in der sie sich zum Träger verhalten, auch zu etwas außerhalb ihrer; sondern im Tätigsein verhalten sie sich nach außen, im Einwohnen zum Träger. Die Liebe und die Erkenntnis aber verhalten sich in einer und derselben Weise zum Träger und zu den Dingen, die außerhalb sind, obwohl es eine Art gibt, in welcher sie sich allein zum Träger verhalten. Auf diese Weise also ist es nicht nötig, daß die Liebe und die
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Erkenntnis Wesenselemente des Geistes sind, außer sofern der Geist selbst durch sein Wesen erkannt und geliebt wird. Zu 15. [Es fehlt eine Antwort zum 15. Einwand.]125
5. Artik el Die fünfte Frage lautet: Ist die freie Entscheidung ein einziges Vermögen, oder mehrere?126 Es scheint, daß es mehrere sind, denn: 1. Augustinus sagt nämlich, daß die freie Entscheidung »eine Fähigkeit des Willens und des Verstandes ist.«127 Der Verstand jedoch und der Wille sind verschiedene Vermögen. Also gehört die freie Entscheidung zu verschiedenen Vermögen. 2. Die Vermögen werden durch ihre Akte erkannt.128 Die freie Entscheidung wird aber Akten verschiedener Vermögen zugeschrieben. Wie nämlich Damascenus im 2. Buch129 von der freien Entscheidung sagt: »man trifft in uns das Bewegtwerden und das nicht Bewegtwerden, das Antrieb geben und nicht Antrieb geben, das Streben und das nicht Streben« und anderes dergleichen, wovon sicher ist, daß es zu mehreren Vermögen gehört. Also ist die freie Entscheidung mehrere Vermögen. 3. Boethius sagt im Buch Vom Trost der Philosophie,130 daß »die göttlichen Substanzen« – nämlich die Engel – die freie Entscheidung haben, insofern sie »ein klares Urteil und einen unverdorbenen Willen« haben. Die Klarheit des Urteils aber gehört zum Verstand. Also schließt die freie Entscheidung den Willen und den Verstand in sich; und so ist die freie Entscheidung mehrere Vermögen. 125 E. Stein zitiert eine Antwort: nur die passiven Vermögen (wie die materia prima) können sich nicht selbst in den Akt überführen; E. Stein, 298. 126 Paralleltexte: Sent. II, d. 24, q. 1, a. 2; Sum. theol. I, q. 83, a. 3 und 4. 127 Siehe Anm. zum 4. Artikel, arg. 1. 128 Thomas zitiert hierfür Aristoteles (De an. II) in II Sent. d. 24, q. 1, a. 2 arg. 3 und IV Sent. d. 18 q. 1 a. 1 qc. 2. 129 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 26 (PG 94, col. 960 A; ed. Buytaert, 151). 130 Boethius, Philos. consol. V, pr. 2 (PL 63, col. 836 A; CCSL 94, 90).
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4. Zwar sagte jemand, daß es ein Vermögen mit der Wirkkraft von zweien ist. – Dagegen spricht aber, daß, so wie sich im höheren Teil der Seele ein erkennendes und ein affektives Vermögen findet, so auch im niederen Teil. Im niederen Teil aber gibt es kein Vermögen, das in sich die erkennende und affektive Wirkkraft hätte; also auch nicht im höheren. 5. Boethius sagt im Buch Vom Trost der Philosophie,131 daß es »äußerste Knechtschaft ist, wenn die Gemüter der Menschen, weil sie dem Laster hingegeben sind, durch die Wolke der Unwissenheit dunkeln und von schädlichen Affekten aufgeregt werden.« Die Knechtschaft jedoch, von der hier die Rede ist, ist der freien Entscheidung entgegengesetzt. Also schließt die freie Entscheidung Verstand und Affekt in sich, und so folgt das zuvor Gesagte. Dagegen spricht: Der Mensch wird ein kleinerer Kosmos genannt,132 insofern sich in ihm eine Ähnlichkeit mit dem größeren Kosmos findet. Aber im größeren Kosmos finden sich nicht zwei äußerste Naturgegensätze ohne ein Mittleres. Also finden sich auch im Menschen nicht zwei äußerste Vermögen ohne ein Mittleres. Es gibt nun aber im Menschen ein Vermögen, das immer auf das Gute ausgeht, nämlich die Synderesis,133 und ein anderes gleichsam diesem Entgegengesetztes, das immer zum Bösen geneigt ist, nämlich die Sinnlichkeit.134 Also findet sich auch irgendein Vermögen, das sich zum Guten und Bösen verhält, und das ist die freie Entscheidung. Und so scheint es, daß die freie Entscheidung ein einziges Vermögen ist. Antwort: Aus einem doppelten Gedanken heraus wurden einige135 dazu bewegt anzunehmen, die freie Entscheidung sei mehrere Vermögen. 131 Ibid. 132 In der Sum. theol. I–II, q. 2, a. 8 arg. 2 zitiert Thomas hierfür Ari-
stoteles, Phys. VIII, 4; 252 b 26. 133 Vgl. De ver. q. 16 a. 2. 134 Vgl. De ver. q. 16 a. 1. 135 Auch Bonaventura zitiert dies als eine erste Meinung in Sent. II, d. 25, p. 1 q. 4 (Opera omnia, II, 598 b, 601 b – 602 ab). Aber selbst Lottin
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Einmal nämlich, weil sie sahen, daß wir durch die freie Entscheidung die Akte aller Vermögen beherrschen können. Daher nahmen sie an, daß die freie Entscheidung gleichsam das universale Ganze136 hinsichtlich aller Vermögen ist. Das aber kann nicht sein, denn so folgte, das es in uns mehrere Entscheidungsfreiheiten gäbe, wegen der Vielheit der Vermögen. Viele Menschen sind nämlich viele Lebewesen. Dazu werden wir auch nicht durch den zuvor genannten Grund gezwungen. Alle diese verschiedenen Akte werden nicht auf die freie Entscheidung bezogen, außer vermittels des einen Aktes, der die Wahl ist. Wir bewegen uns nämlich insofern durch die freie Entscheidung, daß wir durch die freie Entscheidung wählen, uns zu bewegen; und dasselbe gilt von den anderen Akten. Daher zeigt sich daraus nicht, daß die freie Entscheidung mehrere Vermögen ist, sondern daß sie ein Vermögen ist, das durch seine Kraft verschiedene Vermögen bewegt. Durch einen anderen Gedanken aber werden einige137 dazu bewegt, eine Vielheit von Vermögen in der freien Entscheidung anzukennt keine Vertreter dieser Position (Odon Lottin, Psychologie et morale au XIIe et XIIIe siècles (Louvain: Abbaye de Mont César, 7 Bde., 1942–60), Bd. I, 177, n. 1). Möglicherweise einige heute anonyme Pariser Magister unter dem Einfluß von Johannes Damascenus, De fide orth. II, 22 (PG 94, col. 945, ed. Buytaert, 137); vgl. Lottin, ibid. I, 85 und 92 f. 136 Vgl. Sum. theol. I, q. 77, a. 1 ad 1: »Vel, sicut quidam dicunt, haec locutio verificatur secundum modum quo totum potestativum praedicatur de suis partibus, quod medium est inter totum universale et totum integrale. Totum enim universale adest cuilibet parti secundum totam suam essentiam et virtutem, ut animal homini et equo, et ideo proprie de singulis partibus praedicatur. Totum vero integrale non est in qualibet parte, neque secundum totam essentiam, neque secundum totam virtutem. Et ideo nullo modo de singulis partibus praedicatur; sed aliquo modo, licet improprie, praedicatur de omnibus simul, ut si dicamus quod paries, tectum et fundamentum sunt domus. Totum vero potentiale adest singulis partibus secundum totam suam essentiam, sed non secundum totam virtutem. Et ideo quodammodo potest praedicari de qualibet parte; sed non ita proprie sicut totum universale. Et per hunc modum Augustinus dicit quod memoria, intelligentia et voluntas sunt una animae essentia.« 137 Summa fratris Alexandri I–II, n. 391 (Quaracchi 1924–48, II (1928), 469); dies ist auch die zweite Meinung bei Bonaventura, Sent. II, d. 25,
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nehmen, nämlich weil sie sehen, daß im Akt der freien Entscheidung einiges zusammenwirkt, das zu verschiedenen Vermögen gehört, d. h. das Urteil, das zum Verstand gehört, und das Streben, das zum Willen gehört. Daher sagen sie, daß die freie Entscheidung mehrere Vermögen in der Weise in sich versammelt, in welcher ein integrales Ganzes138 seine Teile enthält. Das aber kann nicht sein. Denn weil der Akt, der der freien Entscheidung zugeschrieben wird, ein einziger spezieller Akt ist, nämlich die Wahl, kann er nicht aus zwei Vermögen unmittelbar hervorgehen. Sondern er geht aus einem unmittelbar hervor, und aus dem anderen mittelbar, insofern nämlich das, was zum ersten Vermögen gehört, im anderen hinterlassen wird. Daher bleibt, das die freie Entscheidung ein einziges Vermögen ist. Zu 1. Augustinus sagt, daß die freie Entscheidung eine Fähigkeit des Willens und des Verstandes ist, weil der Mensch durch beide Vermögen auf den Akt der freien Entscheidung hingeordnet ist, obschon nicht unmittelbar. Zu 2. Die freie Entscheidung wird nicht auf Akte verschiedener Vermögen hingeordnet, außer vermittels eines einzigen Aktes, der ihm eigentümlich ist, wie gesagt wurde. Zu 3. Boethius schreibt der freien Entscheidung zu, daß sie verschiedenen Vermögen angehört, insofern der Mensch, wie gesagt, p. 1; art. unic. q. 4 (Opera omnia, II, 601 b – 602 ab). Der Sache nach Verwandtes findet sich bei Otto von Lucca (?), Summa Sententiarum III, 6 (unter den Werken des Hugo v. St. Viktor, PL 176, col. 101): »consistit in duobus«; Petrus Lombardus, Sent. II, d. 25, c. 1 (ed. coll. S. Bon. I, 228 f.); Robert von Melun (Odon Lottin, Psychologie et morale au XIIe et XIIIe siècles, Louvain, Abbaye de Mont César, 7 Bde., 1942–60), Bd. I, 36, n. 1), Ralph Ardent (ibid. 46) und Stefan Langton (ibid. 58, n. 1 und 60). Eine »potentia compacta ex duobus potentiis« wird von Philipp dem Kanzler als mögliche Erklärung erwähnt, ebenso von einem anonymen Pariser Magister, von Hugo von St. Cher (ibid. 71, 93, 96) und von Albertus Magnus, Sum. de creaturis II [= De homine], 70, a. 2, addit. 1 (ed. Col. XVII/2, 517) und Sent. II d. 24, 5 ad q. 1 (ed. Borgnet XXVII, 402 b). Vgl. Schmidt III, 459. 138 Vgl. Sum. theol. I, q. 77, a. 1 ad 1, wie oben zitiert.
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durch verschiedene Vermögen auf den Akt der freien Entscheidung hingeordnet ist. Zu 4. Im nicht vernunftbegabten Teil der Seele gibt es nur die einfache Auffassung von seiten des erkennenden Vermögens, nicht aber eine Zusammenfassung oder Anordnung, wie in der vernünftigen Auffassung. Darum bezieht sich auch das sinnliche Streben absolut auf seinen Gegenstand, ohne daß irgendeine Ordnung aus dem auffassenden Vermögen im strebenden Vermögen verbliebe. Daher gibt es im sinnlichen Teil auch kein Vermögen, das irgendwie das Auffassende und Strebende zugleich in sich enthielte, wie beim vernünftigen Teil. Zu 5. Zum fünften Einwand ist dasselbe zu sagen, wie zum vierten.
6. Artik el Die sechste Frage lautet: Ist die freie Entscheidung der Wille, oder ein vom Willen verschiedenes Vermögen?139 Es scheint ein verschiedenes Vermögen zu sein, denn: 1. Das nämlich, was von etwas wesensmäßig ausgesagt wird, darf nicht nur nebenher140 in die Definition gesetzt werden. Zum Beispiel wird »Lebewesen« in der Definition des Menschen nicht nur nebenher gesetzt. Verstand und Wille aber werden nebenher in der Definition der freien Entscheidung gesetzt. Sie besagt nämlich »eine Fähigkeit des Willens und des Verstandes.«141 Also ist die freie Entscheidung nicht der Verstand oder der Wille, sondern ein von beiden verschiedenes Vermögen. 2. Die Unterschiede der Vermögen werden durch die Verschiedenheit der Akte erkannt. Das Wählen aber, das ein Akt der freien Entscheidung ist, ist anders als das Wollen, das ein Akt des Willens 139 Paralleltexte: Sent. II, d. 24, q. 1, a. 3; Sum. theol. I, q. 83, a. 4; I–II, q. 13, a. 1; III, q. 18, a. 3 u. 4. 140 Vgl. Petrus Hispanus, Summulae logicales, tr. II, n. 12–13 (ed. de Rijk, 20 f.). 141 Petrus Lombardus, Sent. II, d. 24, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I, 421).
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ist, wie aus Aristoteles im 3. Buch der Nikomachischen Ethik142 hervorgeht. Also ist die freie Entscheidung auch ein anderes Vermögen als der Wille. 3. In der Benennung der freien Entscheidung wird die Entscheidung abstrakt genommen, die Freiheit aber konkret.143 Die Entscheidung aber gehört zum Verstand, die Freiheit zum Willen. Also kommt das, was zum Verstand gehört, der freien Entscheidung wesensmäßig zu, was zum Willen gehört aber gleichsam abgeleitet und akzidentell. Darum scheint die freie Entscheidung eher der Verstand zu sein als der Wille. 4. Nach Johannes Damascenus144 und Gregor von Nyssa145 haben wir insofern einen freien Willen, als wir vernunftbegabt sind. Vernunftbegabt sind wir aber, sofern wir Verstand haben. Also haben wir freie Entscheidung, sofern wir Verstand haben. Und so scheint es, daß die freie Entscheidung der Verstand ist.146 5. Der Ordnung der Habitūs entspricht auch die Ordnung der Vermögen. Der Akt des Glaubens aber, der ein Habitus des Verstandes ist, wird von einem Habitus der Liebe geformt, welches ein Habitus des Willens ist. Also wird auch der Akt des Verstandes von einem Akt des Willens geformt, und nicht umgekehrt. Wenn also der Akt der freien Entscheidung einem von beiden Vermögen – nämlich dem Willen oder dem Verstand – als einem Hervorrufenden und dem anderen als einem Formenden zukommt, dann scheint er zum Verstand als einem Hervorrufenden zu gehören. Also ist die freie Entscheidung wesensmäßig der Verstand, und so auch ein anderes Vermögen als der Wille. 142 Aristoteles, Eth. Nic. III, 4; 1111 b 7–9, 20–30; nach Aristoteles kann man z. B. auch das Unmögliche wollen, aber nicht wählen; ibid. 143 Vgl. Bonaventura, Sent. II, d. 25, p. 1, a. unic., q. 6 arg. 1 (Opera omnia, II, 604–606). 144 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 27 (PG 94, col. 960 C; ed. Buytaert, 153). 145 D. h. Nemesius von Emesa, De nat. hom., 41 (PG 40, col. 776 A; ed. Verbeke / Moncho, 150). 146 Dies scheint auch die Auffassung von Wilhelm von Auxerre zu sein: Summa aurea, II, tr. 10, c. 1 (ed J. Ribaillier, II/1, 275–278. Vgl. auch Ramelow (2004), 46.
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Dagegen spricht: 1. Damascenus sagt im 3. Buch, im 14. Kapitel,147 daß die freie Entscheidung nichts anderes sei, als der Wille. 2. Aristoteles sagt im 3. Buch der Nikomachischen Ethik,148 daß die Wahl ein Streben nach dem zuvor Beratenen ist. Die Wahl aber ist ein Akt der freien Entscheidung, also ist die freie Entscheidung ein strebendes Vermögen. Sie ist aber nicht das niedere Streben, welches in das zornmütige und begehrende unterteilt wird; so hätten nämlich auch Tiere die freie Entscheidung. Also ist sie das höhere Streben, und das ist, nach Aristoteles im 3. Buch Von der Seele,149 der Wille. Antwort: Einige150 sagen, daß die freie Entscheidung ein drittes Vermögen neben dem Willen und dem Verstand ist, weil sie sehen, daß der Akt der freien Entscheidung, welcher das Wählen ist, vom einfachen Akt des Willens und vom Akt des Verstandes verschieden ist. Der Akt des Verstandes nämlich besteht allein in der Erkenntnis; der Wille jedoch hat seinen Akt als einen, der das Gute, welches das Ziel ist, betrifft, die freie Entscheidung aber betrifft das Gute, welches zum Ziel führt. So wie also das Gute, das zum Ziel führt, aus dem Wesen des Zieles hervorgeht, das Streben nach dem Guten aber aus der Erkenntnis, so sagen sie, daß der Wille nach einer natürlichen Ordnung von der Erkenntnis ausgeht, und aus diesen beiden ein drittes Vermögen, welches die freie Entscheidung ist. 147 Johannes von Damaskus, De fide orth. III, 14 (PG 94, col. 1037 C; ed. Buytaert, 219). 148 Aristoteles, Eth. Nic. III, 4; 1112 a 15 u. III, 5; 1113 a 9–11. 149 Aristoteles, De an. III, 9; 432 b 5–7; III, 10; 433 a 23–26; III, 11; 434 a 12–14. 150 Diese Meinung zitiert Thomas auch in Sent. II, d. 24, q. 1, a. 3. Es ist die Meinung des Albertus Magnus in Super Ethica III, 4 (ed. Col. XIV, 154), und Sum. de creat. II, 70, 2c und ad 1 und 4 (ed. Borgnet, XXXVIII, 575 f.). Vgl. auch Peter von Capua (in: Odon Lottin, Psychologie et morale au XIIe et XIIIe siècles, Louvain, Abbaye de Mont César, 7 Bde., 1942–60, Bd. I, 56; Gottfried von Poitiers (ibid. S 62) und ein anonymer Pariser Magister (ibid. 83–90).
6. Artikel
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Dies aber kann angemessen keinen Bestand haben, denn der Gegenstand und das, was den Wesensgrund des Gegenstandes ausmacht, gehören zum selben Vermögen, so wie die Farbe und das Licht zum Sehvermögen. Der ganze Wesensgrund der Erstrebbarkeit dessen, was als solches zum Ziel führt, ist aber das Ziel; darum kann es nicht sein, daß es zu verschiedenen Vermögen gehört, das Ziel und die Mittel zum Ziel zu erstreben. Auch derjenige Unterschied, nach welchem das Ziel absolut erstrebt wird, die Mittel aber in Hinordnung auf ein anderes, kann nicht eine Unterscheidung zwischen den strebenden Vermögen begründen; denn die Hinordnung des einen auf das andere kommt dem Streben nicht durch sich, sondern durch ein anderes zu, nämlich durch den Verstand, dem das Ordnen und Beziehen eigen ist. Daher kann es keine spezifische Differenz sein, die eine Spezies des Streben begründet. Ob das Wählen aber ein Akt des Verstandes oder des Willens ist, scheint Aristoteles im 6. Buch der Nikomachischen Ethik151 im Zweifel zu lassen, wobei er aber annimmt, daß es auf eine gewisse Weise eine Wirksamkeit beider ist, indem er sagt, daß die Wahl entweder ein Verstehen des Strebevermögens, oder ein Streben des Vernünftigen ist. Daß es aber ein Streben ist, sagt er im 3. Buch der Nikomachischen Ethik,152 indem er die Wahl als ein Begehren des zuvor Beratschlagten definiert. Daß dies wahr ist, beweist auch der Gegenstand selbst, denn so wie das ehrenhafte und erfreuliche Gute, die den Wesensgrund des Zieles haben, der Gegenstand des strebenden Vermögens sind, so auch das nützliche Gute, das im eigentlichen Sinne gewählt wird.153 Auch der Name beweist dies, denn die freie Entscheidung ist, wie gesagt,154 das Vermögen, durch welches der Mensch frei urteilen kann. Wovon aber gesagt wird, es sei der Ursprung eines Aktes, der auf eine gewisse Weise vollzogen wird, von dem muß es nicht zutreffen, daß es schlechthin der Ursprung dieses Aktes ist, sondern nur, daß es hauptsächlich als der Ursprung 151 Aristoteles, Eth. Nic. VI, 2; 1139 b 4–6. 152 Aristoteles, Eth. Nic. III, 4; 1112 a 15 und III, 5; 1113 a 9–12. 153 Ambrosius, De officiis I, 9 (PL 16, col. 35), wie zitiert in Sum. theol. I,
q. 5, a. 6. 154 Artikel 4c.
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dieser Weise bezeichnet wird. So wie die Grammatik nicht deshalb, weil sie die Wissenschaft der richtigen Rede genannt wird,155 als der Ursprung der Rede schlechthin verstanden wird (weil der Mensch ja auch ohne Grammatik reden kann), sondern als der Ursprung der Rechtheit der Rede – ebenso wird auch das Vermögen, durch welches wir frei urteilen, nicht als das verstanden, durch welches wir schlechthin urteilen – was zum Verstand gehört –, sondern als das, was die Freiheit im Urteilen bewirkt – was zum Willen gehört. Daher ist die freie Entscheidung der Wille selbst; sie bezeichnet diesen jedoch nicht schlechthin, sondern in Hinordnung auf einen bestimmten Akt desselben, welcher das Wählen ist. Zu 1. Weil die freie Entscheidung den Willen nicht schlechthin bezeichnet, sondern in Hinordnung auf den Verstand, darum wird, um dies zu bezeichnen, der Wille und der Verstand nur nebenher in die Definition der freien Entscheidung gesetzt. Zu 2. Obwohl das Wählen ein anderer Akt ist als das Wollen, kann diese Verschiedenheit gleichwohl keine Unterscheidung der Vermögen begründen. Zu 3. Obwohl das Urteil zum Verstand gehört, gehört die Freiheit des Urteilens unmittelbar zum Willen. Zu 4. Vernunftbegabt werden wir nicht nur vom Verstandesvermögen her genannt, sondern von der vernunftbegabten Seele, deren Vermögen auch der Wille ist. Und auf diese Weise sagen wir, daß wir freie Entscheidung haben, sofern wir vernünftig sind. Wenn aber vernunftbegabt vom Verstandesvermögen her genommen wird, besagt die zitiert Autorität, daß der Verstand der erste Ursprung der freien Entscheidung ist, nicht aber der unmittelbare Urheber der freien Wahl. Zu 5. Der Wille bewegt auf gewisse Weise den Verstand, indem es ihm seinen Akt befiehlt, und der Verstand bewegt den Willen, indem er ihm seinen Gegenstand vorstellt, welches das Ziel ist. Und von daher kann jedes der beiden Vermögen das andere auf gewisse Weise formen.
155 Vgl. Papias, Vocabularium: »grammatica.«
7. Artik el Die siebte Frage lautet: Kann ein Geschöpf, das die freie Entscheidung hat, auf natürliche Weise im Guten befestigt sein?156 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Die geistige Natur ist nämlich vornehmer als die körperliche. Es gibt aber eine körperliche Natur, der es zukommt, daß in ihr keine Ungeordnetheit der Bewegung sein kann, nämlich die Natur des Himmelskörpers.157 Also kann es um so eher eine geschaffene geistige Natur geben, die der freien Entscheidung fähig ist, und in deren Bewegungen naturgemäß keine Ungeordnetheit sein kann, d. h., die unsündlich und im Guten befestigt ist. 2. Es sagte zwar jemand, daß es zur Vornehmheit der geistigen Natur gehört, daß sie Verdienst erwerben kann, und daß das nur sein kann, wenn sie sündigen und nicht sündigen kann. – Dagegen spricht aber, daß einer geistigen Natur das Verdienenkönnen darum zukommt, weil sie die Herrschaft über ihren Akt hat. Wenn sie aber nur Gutes tun könnte, bliebe ihr nichtsdestoweniger die Herrschaft über ihren Akt. Sie könnte nämlich, ohne daß sie ins Böse verfiele, etwas Gutes tun oder nicht tun, oder wenigstens zwischen Gutem und Besserem wählen. Also ist zum Verdiensterwerben das Sündigenkönnen nicht nötig. 3. Die freie Entscheidung, durch welche wir unter Beistand der Gnade Verdienst erwerben, ist ein aktives Vermögen. Es gehört aber zum Wesen aktiver Vermögen, nicht mangelhaft zu sein. Also kann das geistige Geschöpf ein Vermögen zum Verdiensterwerb haben, auch wenn es naturgemäß unsündlich ist. 4. Anselm sagt,158 daß »das Vermögen zu sündigen weder Freiheit noch Teil der Freiheit ist.« Die Freiheit aber ist der Grund, weshalb der Mensch des Verdienstes fähig ist. Auch wenn das Vermögen zu 156 Paralleltexte: Sent. II, d. 5, q. 1, a. 1 und Sent. II, d. 23, q. 1, a. 1; ScG III, 108–110; Super Iob c. 4, lect. 3; Sum. theol. I, q. 63, a. 1; I, q. 95, a. 1 ad 3; De malo q. 16 a. 2. 157 Vgl. De ver. q. 5 a. 4. 158 Anselm von Canterbury, De lib. arb. 1 (PL 158, col. 490; Opera omnia I, ed. Schmitt, 209), wie Thomas in Artikel 10 zitiert.
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sündigen weggenommen ist, bleibt dem Menschen also immer noch das Vermögen des Verdiensterwerbens. 5. Gregor von Nyssa und Johannes Damascenus159 nennen als Grund, warum das Geschöpf hinsichtlich der freien Entscheidung veränderlich ist, daß es aus dem Nichts stammt. Die näherliegende Schlußfolgerung ist aber, daß das Geschöpf darum, weil es aus dem Nichts stammt, ins Nichts zurückfallen kann, eher, als daß es Böses tun kann. Es gibt aber ein Geschöpf, das der Natur nach unverderblich ist, wie z. B. die Seele oder die Himmelskörper. Also kann es umso eher ein geistiges Geschöpf geben, das naturgemäß unsündlich ist. 6. Was Gott in einem schafft, kann er auch in anderen schaffen. Gott gibt aber dem geistigen Geschöpf, daß es so auf unveränderliche Weise aus seiner Natur heraus nach etwas Gutem strebt (nämlich nach dem Glück), daß es in keiner Weise nach dem Gegenteil streben kann. Also kann er aus demselben Grund irgendeinem Geschöpf zuteil werden lassen, daß es so auf naturgemäße Weise nach allem Guten strebt, daß es sich auf keine Weise dem Bösen zuneigen kann. 7. Weil Gott das höchste Gut ist, teilt er sich auch auf höchste Weise mit. Darum teilt er dem Geschöpf alles das mit, dessen es fähig ist. Das Geschöpf ist aber derjenigen Vollkommenheit fähig, welche die Befestigung im Guten und die Unsündlichkeit des Geschöpfes ist. Das ist offenkundig so, weil es einigen Geschöpfen durch die Gnade zugestanden wird.160 Also gibt es auch ein Geschöpf, daß naturgemäß unsündlich und im Guten befestigt ist. 8. Die Substanz ist der Ursprung der Kraft, die Kraft aber der Ursprung der Tätigkeit. Einige Geschöpfe aber sind der Substanz nach naturgemäß unveränderlich. Also kann es ein Geschöpf geben, das naturgemäß der Tätigkeit nach unveränderlich ist, sodaß es naturgemäß unsündlich wäre. 159 D. h. Nemesius von Emesa (Pseudo-Gregor von Nyssa), De nat. hom., 41 (PG 40, col. 776 A–B; ed. Verbeke / Moncho, 150), und Johannes Damascenus, De fide orth. II, 27 (PG 94, col. 960 A; ed. Buytaert, 152). 160 In Artikel 9 gibt Thomas als explizite Beispiele die selige Jungfrau Maria, die Menschheit Christi und die Apostel.
7. Artikel
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9. Dem Geschöpf kommt dasjenige wesentlicher zu, das ihm nach dem Wesen des Ursprunges von welchem her es ist, zukommt, als dasjenige, daß ihm zukommt nach dem Wesen des Ursprunges aus welchem es stammt,161 weil die Wirkung die Ähnlichkeit der Ursache, von welcher her sie ist, gewinnt, während es im Gegensatz zu dem steht, aus dem es stammt. Gegensätzliche gehen jedoch aus Entgegengesetzten hervor, wie das Weiße aus dem Schwarzen. Die Befestigung im Guten aber kommt einem Geschöpf von Gott zu, von welchem her es ist. Also muß man umso mehr sagen, daß die Befestigung im Guten ihm naturgemäßer ist, als das Sündigenkönnen, welches ihm zukommt, insofern es aus dem Nichts stammt. 10. Das bürgerliche Glück besitzt Unveränderlichkeit. Der Mensch kann aber aus seinen natürlichen Anlagen heraus das bürgerliche Glück erreichen. Also kann er auf natürliche Weise ein Beständigkeit im Guten haben. 11. Was zur Natur gehört, ist unveränderlich. Der Mensch aber strebt naturgemäß nach dem Guten. Also auch auf unveränderliche Weise. Dagegen spricht: 1. Damascenus sagt,162 daß das vernunftbegabte Geschöpf der Wahl nach zum Bösen kehrbar ist, weil es aus dem Nichts stammt. Es kann aber kein Geschöpf geben, das nicht aus dem Nichts stammt. Also kann es auch kein Geschöpf geben, dessen freie Entscheidung naturgemäß im Guten befestigt ist. 2. Die Eigentümlichkeit einer höheren Natur kann nicht naturgemäß einer niedrigeren Natur zukommen, außer sie wird in die höhere Natur verwandelt. Z. B. kann es nicht geschehen, daß Wasser naturgemäß heiß ist, außer es wird in die Natur des Feuers oder der Luft umgewandelt. Eine unverfehlbare Gutheit zu haben ist aber eine Eigentümlichkeit der göttlichen Natur. Also kann es nicht sein,
161 Die Unterscheidung a quo / ex quo findet sich bei Petrus Hispanus, Summulae logicales tr. 5, n. 24 f. 162 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 27 (PG 94, col. 960 A; ed. Buytaert, 152).
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daß dies irgend einer anderen Natur naturgemäß zukommt, außer sie wird in die göttliche Natur verwandelt, was unmöglich ist. 3. Die freie Entscheidung findet sich in keinem Geschöpf, außer dem Engel und dem Menschen. Sowohl der Mensch als auch der Engel haben aber gesündigt. Also ist keines Geschöpfes freie Entscheidung naturgemäß im Guten befestigt. 4. Kein vernunftbegabtes Geschöpf wird an der Verfolgung der Seligkeit gehindert, außer aufgrund der Sünde. Wenn also irgendein vernunftbegabtes Geschöpf naturgemäß unsündlich wäre, könnte es aus rein natürlicher Anlage ohne Gnade zur Seligkeit gelangen. Das aber scheint nach der pelagianischen Häresie163 zu schmecken. Antwort: Es gibt kein Geschöpf und kann keines geben, dessen freie Entscheidung auf natürliche Weise im Guten befestigt wäre, sodaß es ihm aus bloß natürlichen Anlagen zukäme, nicht sündigen zu können. Der Grund dafür ist: ein Mangel im Akt wird verursacht durch einen Mangel in den Prinzipien des Aktes. Wenn es daher etwas gibt, worin weder die Prinzipien des Aktes in sich selbst mangelhaft sein, noch von etwas Äußerem behindert werden können, dann kann sein Akt nicht mangelhaft sein, wie sich bei den Bewegungen der Himmelskörper zeigt. Bei demjenigen aber, in welchem die Prinzipien des Wirkens mangelhaft sein oder behindert werden können, ist es möglich, daß es in seinen Akten Mangel leidet; das zeigt sich in den Dingen, die entstehen und vergehen können, welche aufgrund ihrer Veränderlichkeit einen Mangel in ihren aktiven Prinzipien erleiden können, weshalb auch ihre Akte als mangelhafte aus ihnen hervorgehen. Deshalb treten bei Naturdingen auch häufig Verfehlungen auf, wie sich bei den Mißgeburten zeigt. Die Verfehlung, ob sie nun bei Dingen der Natur, oder künstlichen, oder willentlichen auftritt, ist nämlich nichts anderes, als ein Mangel oder eine Ungeordnetheit der eigentümlichen Tätigkeit, d. h. wenn etwas nicht ge-
163 Thomas zitiert in Sum. theol. I–II, q. 100, a. 10 arg. 3 und q. 109, a. 4sc: Augustinus, De haeres. 88 (PL 42, col. 47).
7. Artikel
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mäß der Weise tätig ist, die ihm geziemt; so ergibt es sich aus dem 2. Buch der Physik.164 Die vernunftbegabte Natur, die mit einem freien Willen ausgestattet ist, unterscheidet sich im Handeln von allen anderen tätigen Naturen, denn jede andere Natur ist auf ein besonderes einzelnes Gut hingeordnet, und seine Tätigkeiten sind festgelegt im Hinblick auf dieses Gut; die vernunftbegabte Natur aber ist auf das Gute schlechthin hingeordnet. So wie nämlich das Wahre schlechthin der Gegenstand der Vernunft ist, so auch das Gute schlechthin der des Willens. Von daher erstreckt sich der Wille auf das universale Prinzip alles Guten, an das kein anderes Streben reichen kann. Und deswegen hat das vernunftbegabte Geschöpf keine festgelegten Tätigkeiten, sondern verhält sich mit einer gewissen Indifferenz in Hinsicht auf unzählige Handlungen. Da aber jede Tätigkeit vom Tätigen unter dem Bestimmungsgrund einer gewissen Ähnlichkeit hervorgeht, so wie z. B. das Warme erwärmt, muß dann, wenn es ein Tätiges gibt, das nach seiner Tätigkeit auf ein bestimmtes einzelnes Gut hingeordnet ist, dergestalt, daß seine Tätigkeit naturgemäß und unfehlbar ist, der Bestimmungsgrund seines Guten ihm naturgemäß und unveränderlich einwohnen. Wenn z. B. irgendeinem Körper naturgemäß eine unveränderliche Wärme einwohnt, dann erwärmt es auf unveränderliche Weise. Daher kann auch die vernunftbegabte Natur, welche auf das Gute schlechthin durch vielfältige Tätigkeiten hingeordnet ist, nicht naturgemäß Tätigkeiten haben, die das Gute nie verfehlen, außer es wohnt ihnen naturgemäß und unveränderlich der universale Bestimmungsgrund ein, und der des vollkommenen Gutes. Das kann jedoch nur in der göttlichen Natur der Fall sein, denn Gott allein ist der reine Akt, welcher keine Beimischung einer Potentialität empfängt, und darum ist er reine und absolute Güte. Jedes Geschöpf aber, weil es in seiner Natur ein Beimischung von Potentialität hat, ist ein besonderes Gut; diese Beimischung von Potentialität aber kommt ihm zu, weil es aus dem Nichts stammt. Daraus ergibt sich auch, daß unter den vernunftbegabten Naturen allein Gott eine Entscheidungsfreiheit hat, die naturgemäß unfehlbar und im 164 Aristoteles, Phys. II, 14; 199 a 33.
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Guten befestigt ist. Daß aber dem Geschöpf dergleichen zukommt, ist unmöglich, weil es aus dem Nichts stammt, wie Johannes Damascenus und Gregor von Nyssa sagen.165 Und das ist das partikulare Gut, in welchem das Wesen des Bösen begründet ist, wie Dionysius im 4. Kapitel Von den göttlichen Namen sagt.166 Zu 1. Die körperlichen Geschöpfe sind, wie gesagt, auf ein besonderes Gut durch festgelegte Tätigkeiten hingeordnet. Und darum reicht es dafür, daß ihren Tätigkeiten Irrtum und Verfehlung fehlt, daß sie durch ihre Natur in einem bestimmten einzelnen Gut befestigt sind. Das aber reicht nicht für die geistigen Naturen, die auf das Gute schlechthin hingeordnet sind, wie gesagt worden ist. Zu 2. Der Natur nach unfehlbar zu sein, widerspricht nicht dem Haben der Herrschaft über den eigenen Akt, denn Gott kommt beides zu. Es widerspricht aber dem Haben der Herrschaft über den eigenen Akt bei der geschaffenen Natur, welches ein besonderes Gut ist. Kein Geschöpf nämlich, das festgelegte Akte hat, die auf ein besonderes Gut hingeordnet sind, kann die Herrschaft über den eigenen Akt haben. Zu 3. Obwohl es nicht zum Wesen aktiver Vermögen gehört, mangelhaft zu sein, gehört es gleichwohl zum Wesen eines aktiven Vermögens, welches nicht die hinreichenden Prinzipien der Tätigkeit in sich hat, daß es fehlerhaft sein kann. Zu 4. Obwohl das Sündigenkönnen kein Teil der Entscheidungsfreiheit ist, folgt es gleichwohl der Freiheit der Entscheidung in der geschaffenen Natur. Zu 5. Das Geschöpf erwirbt ein bestimmtes und besonderes und von einem anderen empfangenes Sein. Darum kann das Geschöpf ein stabiles und unveränderliches Sein haben, obwohl sich in ihm kein natürlicher Bestimmungsgrund des absoluten und vollkomme-
165 D. h. Nemesius von Emesa (Pseudo-Gregor von Nyssa), De nat. hom., 41 (PG 40, col. 776 A–B; ed. Verbeke / Moncho, 150), und Johannes Damascenus, De fide orth. II, 27 (PG 94, 960 A; ed. Buytaert, 152). 166 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 20 (PG 3, col. 721 A; Dion. I, 259. Vgl. auch IV, 31, 32, 34 (PG 3, col. 732 f.).
7. Artikel
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nen Guten findet. Durch seine Taten aber ist es absolut der Hinordnung auf das Gute fähig; und darum ist der Fall nicht ähnlich. Zu 6. Jeder vernunftbegabte Geist strebt naturgemäß nach dem Glück im unbestimmten und allgemeinen Sinne, und in Bezug hierauf kann er nicht fehlgehen; im Besonderen aber ist die Bewegung des geschöpflichen Willens nicht darauf festgelegt, das Glück in diesem oder jenen zu suchen. Und so kann jemand selbst im Streben nach dem Glück sündigen, wenn er es sucht, wo er es nicht suchen darf, so wie der, der in der Sinnenlust das Glück sucht. Und so ist es auch hinsichtlich alles Guten, denn nichts wird erstrebt, außer unter dem Gesichtspunkt des Guten, wie Dionysius sagt.167 Das ist deshalb so, weil der Geist naturgemäß das Streben nach dem Guten hat, nicht aber nach diesem oder jenem Gut; deshalb kann dabei eine Sünde vorkommen. Zu 7. Das Geschöpf ist der Unsündlichkeit fähig, aber nicht so, daß es diese auf natürliche Weise hätte. Darum ist das Argument nicht schlüssig. Zu 8. Der Ursprung der Tätigkeit dessen, der durch freie Entscheidung auf rechte Weise vorgeht, ist nicht allein die Substanz oder die Kraft, bzw. das Vermögen. Es ist vielmehr die geziemende Anwendung des Willens auf etwas Äußeres erforderlich, z. B. auf das Ziel und anderes dergleichen. Und darum kann, auch wenn kein Mangel in der Seelensubstanz oder in der Natur der freien Entscheidung vorliegt, gleichwohl ein Mangel in dessen Tätigkeit erfolgen. Von daher kann man aus der natürlichen Unveränderlichkeit der Substanz nicht auf eine natürliche Unsündlichkeit schließen. Zu 9. Gott ist die Ursache des Geschöpfes nicht allein hinsichtlich seiner natürlichen Beschaffenheiten, sondern auch hinsichtlich des Hinzugefügten. Daher ist es nicht nötig, daß alles das, was das Geschöpf von Gott hat, ihm natürlich ist, sondern nur das, was Gott ihm eingab, als er dessen Natur einrichtete. Und die Befestigung im Guten ist nicht von dieser Art. Zu 10. Weil das bürgerliche Glück nicht das Glück schlechthin ist, hat es auch keine schlechthinnige Unveränderlichkeit. Es wird 167 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 19 (PG 3, col. 716 C; Dion. I, 235), wie Thomas in De ver. q. 22 a. 1 zitiert.
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aber unveränderlich genannt, weil es sich nicht leicht wandelt. Wenn aber das bürgerliche Glück das Glück schlechthin wäre, folgte deshalb noch nicht, daß die freie Entscheidung auf natürliche Weise im Guten befestigt wäre. Wir nennen nämlich nicht dasjenige natürlich, was wir aus Prinzipien der Natur erreichen können – nach welcher Art die politischen Tugenden168 natürlich genannt werden können – sondern dasjenige, was mit Notwendigkeit aus den Prinzipien der Natur hervorgeht. Zu 11. Obwohl der Mensch naturgemäß nach dem Guten im allgemeinen strebt, tut er dies nicht im Besonderen, wie gesagt worden ist.169 Und von dieser Seite ergibt sich die Sünde und der Mangel.
8. Artik el Die achte Frage lautet: Kann die freie Entscheidung eines Geschöpfes durch eine Gnadengabe im Guten befestigt sein?170 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Die Gnade, die zur Natur dazukommt, zerstört diese nicht. Weil also zur freien Entscheidung des Geschöpfes naturgemäß gehört, daß sie sich zum Bösen kehren kann, scheint es, daß dies durch die Gnade nicht weggenommen werden kann. 2. Es steht in der Macht der freien Entscheidung, die Gnade zu gebrauchen oder nicht zu gebrauchen, denn die freie Entscheidung kann von der Gnade nicht gezwungen werden. Wenn aber die freie Entscheidung die eingegossene Gnade nicht gebraucht, dann fällt sie ins Böse. Also kann keine dazukommende Gnade die freie Entscheidung im Guten befestigen. 3. Die freie Entscheidung hat die Herrschaft über ihren Akt.171 168 D. h. die erworbenen, nicht-verdienstlichen Tugenden der Heiden; in Sent. III, d. 33, q. 1, a. 4 ad 2 zitiert Thomas hierzu Macrobius’ Comm. in somn. Scipionis I, c. 8, 5. Vgl. auch De ver. q. 14 a. 6 arg. 5 und ad 5. 169 Ad 6; vgl. auch De ver. q. 22 a. 5 f. 170 Paralleltexte: Sent. II, d. 7, q. 1, a. 1 und Sent. II, d. 23, q. 1, a. 1; Sent. III, d. 3, q. 1, a. 2, sol. 2 und 3; IV Sent. d. 6, q. 1, a. 1, sol. 2; Sum. theol. I, q. 62, a. 8 und q. 100, a. 2; Expositio super salutationem angelicam. 171 Aristoteles, Eth. Nic. III, 1; 1110 a 17, nach Thomas, De malo q. 6
8. Artikel
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Das Gebrauchen der Gnade aber ist ein Akt der freien Entscheidung. Also steht es in der Macht der freien Entscheidung, die Gnade zu gebrauchen oder nicht zu gebrauchen, und so kann sie von ihr nicht befestigt werden. 4. Die Kehrbarkeit zum Bösen ist in der freien Entscheidung, insofern sie aus dem Nichts stammt, wie Johannes Damascenus sagt.172 Keine Gnade kann aber fortnehmen, daß das Geschöpf aus dem Nichts stammt. Also kann keine Gnade die freie Entscheidung im Guten befestigen. 5. Bernhard sagt,173 daß »die freie Entscheidung das Mächtigste ist«, unter Gott, und daß sie von der Gnade und Rechtfertigung keine Vermehrung empfängt, und auch keine Verminderung durch die Schuld. Die Befestigung im Guten aber, die zur freien Entscheidung hinzukommt, vermehrt diese, weil nach Augustinus174 »in den Dingen, die nicht durch Masse groß sind,175 das Größersein dasselbe ist wie das Bessersein.« Also kann die freie Entscheidung nicht durch die Gnade im Guten befestigt werden. 6. Wie es im Buch von den Ursachen heißt:176 Was in etwas ist, ist in ihm nach der Art dessen, in welchem es ist. Die freie Entscheidung aber ist ihrer Natur nach veränderlich zum Guten und Bösen. Also wird auch die Gnade, die zu ihr hinzukommt, von ihr so empa. unic., sc. 3. Vgl. auch Nemesius von Emesa, De nat. hom., cap. 41 (PG 40, col. 776 A; ed. Verbeke / Moncho, 150). 172 Johannes Damascenus, De fide orth. II, 27 (PG 94, col. 960 C; ed. Buytaert, 152). 173 Eine Kombination von Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb. IX (PL 182, col. 1016 B) u. X (PL 182, col. 1019 A–B; ed. Winkler I, 212 ff.). 174 Augustinus, De trin. VI, 8, 9 (PL 42, col. 929; CCSL 50, 238): »In his enim quae non mole magna sunt hoc est maius esse quod est melius esse.« 175 D. h. solche Dinge, die nicht aufgrund von Materie räumlich ausgedehnt sind. 176 Liber de causis, prop. 9; n. 93 (ed. Bardenhewer, 173; ed. Schönfeld 22–24). In Sent. II, d. 17, q. 2, a. 1 arg. 3 schreibt Thomas dies dem Liber de causis wie auch Dionysius Areopagita zu; vgl. Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 1 (PG 3, col. 693 B; Dion. I, 146) und De cael. hier. cap. 12 § 2 (PG 3, col. 293A; Dion. II, 937). In De ver. q. 2 a. 5 wird hierfür auch Boethius zitiert: Philos. consol. V, pr. 4 (PL 63, col. 848 C; CCSL 94, 96 f.).
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fangen, daß sie zum Guten und Bösen verändert werden kann. Und so kann sie dieselbe nicht im Guten befestigen. 7. Was immer Gott zum Geschöpf hinzufügt, könnte er ihm auch, wie es scheint, von seinem Anfangszustand an übertragen. Wenn also die freie Entscheidung durch eine hinzugefügte Gnade befestigt werden könnte, könnte sie auch gemäß ihrem Naturzustand durch etwas demselben geistigen Geschöpf Eingegebenes befestigt werden. Und so wäre sie auf natürliche Weise im Guten befestigt, was unmöglich ist, wie gesagt worden ist.177 Also kann sie auch nicht durch die Gnade befestigt werden. Dagegen spricht: 1. Die Heiligen, die im Vaterland sind, sind so im Guten befestigt, daß sie nicht mehr weiter sündigen können. Andernfalls wären sie ihrer Seligkeit nicht sicher, und folglich nicht selig. Diese Befestigung ist in ihnen aber nicht von Natur, wie gesagt worden ist.178 Also ist sie es durch die Gnade; und so kann die freie Entscheidung durch das Geschenk der Gnade befestigt werden. 2. So wie die freie Entscheidung des Menschen von Natur aus zum Bösen kehrbar ist, so ist der menschliche Leib von Natur aus verweslich. Der menschliche Leib aber wird durch das Geschenk der Gnade unverweslich gemacht, gemäß dem 1. Korintherbrief (15, 53): »Dies Verwesliche muß Unverweslichkeit anziehen.« Also kann die freie Entscheidung durch die Gnade im Guten befestigt werden. Antwort: In dieser Frage irrte Origenes:179 er wollte nämlich, daß die freie Entscheidung des Geschöpfes auf keine Weise im Guten befestigt würde, nicht einmal bei den Seligen, außer bei Christus wegen der Einheit mit dem Wort. Wegen dieses Irrtums war er gezwungen zu behaupten,180 daß die Seligkeit der Heiligen und auch der Engel nicht 177 Artikel 7c. 178 Artikel 7 ad 7. 179 Origenes, Peri Archon I, 5 u. 8, in der Fassung des Übersetzers Ru-
finus (PG 11, col. 160 u. 178); vgl. auch II, 3 (PG 11, col. 192). 180 Ibid. I, 6 (PG 11, col. 169), siehe auch Augustinus, De civ. Dei XXI,
8. Artikel
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ewig sein kann, sondern einst beendet würde. Daraus folgt, daß dies keine wahre Seligkeit sein kann, weil die Unveränderlichkeit und Sicherheit zum Wesen der Seligkeit gehört. Wegen dieser Unangemessenheit, welche aus ihr folgt, muß seine Position ganz und gar zurückgewiesen werden, und man muß schlicht sagen, daß die freie Entscheidung durch die Gnade im Guten befestigt werden kann. Das wird aus dem Folgenden offenkundig: Die freie Entscheidung kann nämlich aus dem Grund nicht auf natürliche Weise im Guten befestigt werden, daß es in seiner Natur nicht den absoluten und vollkommenen Bestimmungsgrund des Guten hat, sondern den eines besonderen Guten. Diesem vollkommenen und absolute Guten, d. h. Gott selbst, wird die freie Entscheidung aber durch die Gnade vereinigt. Wenn daher eine vollkommene Einung geschähe, sodaß Gott die ganze Ursache der Tätigkeit der freie Entscheidung wäre, könnte sie sich nicht zum Bösen kehren. Das nun findet bei manchen statt, insbesondere bei den Seligen. Das kann man so klar machen: Der Wille strebt nämlich naturgemäß zum Guten als zu seinem Gegenstand. Daß er manchmal zum Bösen strebt, das geschieht nur, weil das Böse ihm unter dem Gesichtspunkt des Guten vorgestellt wird. Das Böse ist nämlich unfreiwillig, wie Dionysius im 4. Kapitel Von den göttlichen Namen sagt.181 Daher kann die Sünde nur dann in der Bewegung des Willens sein (sodaß er nach dem Bösen strebte) wenn ein Defekt im auffassenden Vermögen vorhergeht, durch welchen ihm das Böse als ein Gutes vorgestellt wird. Dieser Defekt im Verstand kann jedoch auf zweifache Weise eintreten: auf eine Weise aus dem Verstand selbst, auf andere Weise von etwas Äußerem her. Aus dem Verstand selbst, weil er naturgemäß und generell ohne Irrtum die Kenntnis des Guten im allgemeinen hat – und zwar sowohl des Guten, welches das Ziel ist, als auch des Guten, das zum Ziel führt – nicht aber im besonderen. Darüber kann er sich also irren, sodaß er etwas als ein Ziel einschätzt, was kein Ziel ist, oder 17 (PL 41, col. 731; CSEL 40/II, 548 f.; CCSL 48, 783), den Thomas weiter unten, in Artikel 10 lobt, und auch in De malo q. 16 a. 5. 181 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 32 (PG 3, col. 732 B; Dion. I, 304).
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etwas als nützlich zur Erreichung des Zieles, was nicht nützlich ist. Und darum strebt auch der Wille naturgemäß nach dem Guten, welches das Ziel ist, nämlich nach dem Glück im allgemeinen, und ähnlich nach dem Guten, das zum Ziel führt: jeder strebt nämlich naturgemäß nach dem, was ihm nützlich ist. Aber im Erstreben dieses oder jenes Zieles, oder im Wählen dieses oder jenes Nützlichen, kommt es zur Sünde des Willens. Aus einem äußeren Grund aber ergibt sich ein Mangel, wenn wegen der niederen Vermögen, die heftig auf etwas hingezogen werden, der Akt der Vernunft unterbrochen wird, sodaß er sein Urteil über das Gute dem Willen nicht klar und fest vorstellen kann. Wenn z. B. jemand eine richtige Einschätzung zur Bewahrung der Keuschheit hat, das begehrende Vermögen aber aufgrund der Konkupiszenz nach dem Gegenteil der Keuschheit strebt, dann ist deswegen das Urteil der Vernunft auf eine gewisse Weise gebunden, wie Aristoteles im 7. Buch der Nikomachischen Ethik sagt.182 Jede dieser beiden Arten des Mangels ist jedoch gänzlich von den Seligen weggenommen, wegen der Verbindung derselben mit Gott; denn indem sie das göttliche Wesen sehen, wissen sie, daß Gott das Ziel ist, das am meisten zu lieben ist. Sie kennen auch im Einzelnen alles, was mit ihm vereint, und was von ihm trennt, denn sie kennen Gott nicht allein in sich selbst, sondern insofern er der Grund der anderen Dinge ist. Und aus der Klarheit dieser Erkenntnis wird der Geist soweit gestärkt, daß in den niederen Kräften keine Bewegung aufsteigen kann, es sei denn gemäß der Regel des Verstandes. So, wie wir jetzt unveränderlich das Gute im allgemeinen erstreben, so erstreben darum die Geister der Seligen das geziemende Gut im Besonderen auf unveränderliche Weise. Über die natürliche Neigung des Willens hinaus jedoch wird in ihnen vollkommene übernatürliche Liebe sein, die sie gänzlich mit Gott verbindet. Daher kann auf keine Weise eine Sünde bei ihnen vorkommen, und so werden sie durch die Gnade befestigt sein. Zu 1. Es stammt aus einem Mangel der geschaffenen Natur, daß sie sich zum Bösen kehren kann. Und diesen Mangel beseitigt die 182 Aristoteles, Eth. Nic. VII, 5; 1146 b 31–1147 b 8.
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Gnade, die im Guten befestigt, indem sie die Natur vervollkommnet, so wie das Licht, das zur Luft hinzukommt, die Dunkelheit beseitigt, welche sie naturgemäß ohne das Licht hat. Zu 2. Es steht in der Macht der freien Entscheidung, den Habitus nicht zu gebrauchen. Sie kann sich jedoch ebendies, das Nichtgebrauchen des Habitus, unter dem Gesichtspunkt des Guten vorstellen. Das kann von der Gnade bei den Seligen nicht der Fall sein, wie gesagt worden ist. Zu 3. Und daraus ergibt sich auch die Antwort zum dritten Einwand. Zu 4. Daraus, daß die freie Entscheidung aus dem Nichts stammt, kommt ihr zu, daß sie nicht auf natürliche Weise im Guten befestigt ist. Es kann ihr auch nicht durch die Gnade zugestanden werden, daß sie im Guten durch die Gnade naturgemäß befestigt ist. Daraus, daß sie aus dem Nichts stammt, kommt es der freien Entscheidung jedoch nicht zu, daß sie auf keine Weise im Guten befestigt werden könnte; so kommt es auch der Luft nicht von ihrer Natur her zu, daß sie auf keine Weise erleuchtet werden könnte, sondern nur, daß sie nicht naturgemäß wirklich erleuchtet ist. Zu 5. Bernhard spricht von der freien Entscheidung im Sinne der Freiheit vom Zwang, welche keine Steigerung oder Minderung empfängt. Zu 6. Das, was in etwas empfangen wird, kann nach seinem Sein und nach seinem Wesen betrachtet werden: gemäß seinem Sein ist es in dem, in welchem es empfangen wird, in der Weise des Empfangenden; gleichwohl aber zieht es das Empfangende zu seinem Wesen. Z. B. hat die im Wasser empfangene Wärme ein Sein im Wasser nach der Art des Wassers, insofern es nämlich im Wasser ist, wie ein Akzidenz im Subjekt; gleichwohl aber zieht sie das Wasser von seiner natürlichen Anlage ab und dazu hin, daß es warm ist und wirklich warm wird. Und ähnlich macht es das Licht mit der Luft, obschon nicht gegen die Natur der Luft. So ist auch die Gnade ihrem Sein nach in der freien Entscheidung nach deren Weise, so wie das Akzidenz im Subjekt. Sie zieht aber gleichwohl die freie Entscheidung zum Wesen ihrer Unveränderlichkeit hin, indem sie dieselbe mit Gott verbindet.
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Zu 7. Das vollkommene Gut, welches Gott ist, kann mit dem menschlichen Geist durch die Gnade vereint sein, nicht aber durch die Natur. Und darum kann die freie Entscheidung durch die Gnade im Guten befestigt werden, nicht jedoch durch die Natur.
9. Artik el Die neunte Frage lautet: Kann die freie Entscheidung des Menschen im Pilgerstand durch eine Gnadengabe im Guten befestigt sein?183 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Das Prinzip im Erstrebbaren ist nämlich das Ziel, wie Aristoteles im 7. Buch der Nikomachischen Ethik sagt,184 so wie das Prinzip im Theoretischen die Axiome sind.185 Im Theoretischen aber wird die Vernunft nicht im Wahren befestigt, und empfängt nicht die Gewißheit der Wissenschaft, außer durch eine Rückführung auf die ersten Axiome. Also kann auch die freie Entscheidung nicht im Guten befestigt werden, außer nachdem sie zum Letztziel gelangt ist. Das aber geschieht nicht im Pilgerstand; also kann die freie Entscheidung im Pilgerstand nicht im Guten befestigt werden. 2. Die menschliche Natur ist nicht würdiger als die des Engels. Der engelischen Natur wurde aber die Befestigung der freien Entscheidung nicht vor dem Stand der Glorie verliehen. Also darf sie auch dem Menschen nicht früher verliehen werden. 3. Das Bewegende kommt nur im Ziel zur Ruhe. Die freie Entscheidung aber kommt nicht zu ihrem Ziel, solange sie im Pilger-
183 Paralleltexte: Super Iob c. 4, lect. 3; Sum. theol. III, q. 27, a. 4, 5 ad 2; Comp. theol. I, 224. 184 Aristoteles, Eth. Nic. VII, 9; 1151 a 16 f. 185 Zu den Axiomen oder Maximen (praemissa maxima) vgl. Aristoteles, Anal. post. I, 2; 72 a 18, nach der Übersetzung von Jacobus Venetus Graecus (ed. Lorenzo Minio-Paluello und Bernard Geoffrey Dod, Aristoteles Latinus (Brügge – Paris: Desclée, De Brouwer, 1961–1968), IV, 1–4 (1968), 9); vgl. auch Met. III, 2; 997 a 7 und 11, in der Translatio media, welche Albertus Magnus benutzte (abgedr. in: Albertus Magnus, Metaphysica, ed. Col. XVI/1, 114, 88 u. 115, 73).
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stand ist. Also kommt auch ihre Veränderlichkeit nicht zur Ruhe, durch welche sie zum Guten und Bösen gebracht werden kann. 4. Solange etwas unvollkommen ist, kann es fehlgehen. Die Unvollkommenheit wird aber von den Menschen nicht fortgenommen, solange sie im Pilgerstand sind. »Wir sehen nämlich jetzt durch einen Spiegel im Dunkel,« wie es im 1. Korintherbrief (13, 12) heißt. Solange also der Mensch im Pilgerstand ist, kann er durch die Sünde fehlgehen. 5. Solange jemand im Stand des Verdienens ist, darf ihm nicht dasjenige genommen werden, was den Verdienst vermehrt. Das Sündigenkönnen aber nützt dem Verdienst; daher wird zum Lob des gerechten Mannes im Buch Ecclesiasticus (31, 10) gesagt: »Der übertreten konnte und nicht übertrat, Böses tun konnte und nicht tat.« Solange also der Mensch im Pilgerstand ist, in welchem er Verdienst erwerben kann, darf seine freie Entscheidung nicht im Guten befestigt werden. 6. So wie ein Mangel an der freien Entscheidung die Sünde ist, so ist ein Mangel am Körper die Verderbnis. Der Körper des Menschen aber wird im Pilgerstand nicht unverderblich; also kann auch die freie Entscheidung im Pilgerstand nicht im Guten befestigt werden. Dagegen spricht: 1. Die selige Jungfrau war im Pilgerstand im Guten befestigt. Ihrer soll man nämlich, wie Augustinus sagt,186 nicht Erwähnung tun, wenn von der Sünde geredet wird. 2. Auch die Apostel sind durch die Ankunft des Heiligen Geistes im Guten befestigt worden, was dadurch ersichtlich ist, daß im Psalm187 gesagt wird »Ich habe seine Säulen befestigt,« welches die Glosse188 auf die Apostel hin auslegt.
186 Thomas zitiert hierzu in der Sum. theol. III, q. 27, a. 4sc.: Augustinus, De nat. et grat., 36 (PL 44, col. 267). 187 Psalm 74, 4; in der Vulgata: »ego adpendi columnas eius semper.« 188 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Psalm 74, 4 (PL 191, col. 700 B).
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Antwort: Jemand kann auf zweifache Weise im Guten befestigt werden: zum einen auf einfache Weise; so nämlich, daß er in sich selbst ein hinreichendes Prinzip seiner Festigkeit hat, sodaß er ganz und gar nicht sündigen kann. Und so sind die Seligen im Guten befestigt, im zuvor genannten189 Sinne. Zum anderen werden einige dadurch im Guten befestigt genannt, daß ihnen eine Gnadengabe verliehen ist, vermöge welcher sie so zum Guten geneigt sind, daß sie nicht leicht vom Gutem abweichen können. Sie werden dadurch jedoch nicht derart vom Bösen zurückgehalten, daß sie ganz und gar nicht sündigen könnten – es sei denn die göttliche Vorsehung verhütet es. So wird es auch von der Unsterblichkeit Adams gesagt,190 der nicht so als unsterblich angenommen wird, daß er sich durch etwas ihm Innewohnendes von allem äußeren Todbringenden hätte schützen können, wie z. B. von Schwerthieben und anderem dergleichen; er war davor aber gleichwohl durch die göttliche Vorsehung bewahrt. Und auf diese Weise können einige im Pilgerstand im Guten befestigt werden; nicht aber auf die erste Weise, wie folgendermaßen ersichtlich ist: Niemand kann nämlich vollständig unsündlich gemacht werden, außer daß der Ursprung der Sünde entfernt würde. Der Ursprung der Sünde stammt aber entweder aus einem Irrtum des Verstandes, welcher sich im Besonderen hinsichtlich des Zieles des Guten und hinsichtlich des Nützlichen täuscht, welches er im Allgemeinen naturgemäß erstrebt; oder es stammt daraus, daß das Urteil des Verstandes von irgendeiner Leidenschaft der niederen Kräfte unterbrochen wird. Obwohl nun einem Pilger zugestanden werden kann, daß der Verstand vermittels der Gaben der Weisheit und des Rates in keiner Weise hinsichtlich des Zieles des Guten und des Nützlichen im Besonderen irrt, übersteigt es gleichwohl den Pilgerstand, daß das Urteil des Verstandes nicht unterbrochen werden kann, und dies aus zwei Gründen: zum einen und hauptsächlich, weil es unmöglich ist, daß der Verstand im Pilgerstand immer im Akt der rechten Be189 Artikel 8c. 190 Vgl. Summa fratris Alexandri I–II, nn. 469–470 (Quaracchi 1924–
48, II (1928), 631–36).
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trachtung ist, dergestalt, daß der Grund aller Tätigkeiten Gott wäre. Zweitens, weil es im Pilgerstand nicht vorkommt, daß die niederen Vermögen dem Verstand so untergeordnet sind, daß der Akt des Verstandes in keiner Weise ihretwegen behindert würde – außer beim Herrn Jesus Christus, der zugleich Pilger und Schauender war.191 Durch die Gnade auf dem Weg kann der Mensch jedoch dem Guten so verbunden werden, daß er höchstens auf sehr schwierige Weise sündigen könnte. Dies dadurch, daß die Vermögen durch die eingegossenen Tugenden gebändigt werden und der Wille stärker auf Gott hin geneigt wird, und der Verstand in seiner Betrachtung der göttlichen Wahrheit vervollkommnet wird; deren beständige Fortsetzung, die aus der Glut der Liebe hervorgeht, hält von der Sünde zurück. Alles aber, was zur Befestigung fehlt, wird vervollständigt durch die Wacht der göttlichen Vorsehung über jene, die befestigt genannt werden. So nämlich, daß deren Geist, wann immer sich eine Gelegenheit zur Sünde ergibt, göttlich zum Widerstehen angereizt wird. Zu 1. Der Affekt gelangt nicht allein dann zum Ziel, wenn er das Ziel vollkommen besitzt, sondern in gewisser Weise auch dann, wenn er dasselbe heftig begehrt. Und auf diese Weise kann einer irgendwie im Pilgerstand im Guten befestigt werden. Zu 2. Die Gnadengaben folgen nicht notwendigerweise der Ordnung der Natur. Und darum ist, obwohl die menschliche Natur nicht würdiger ist als die engelische, einem Menschen eine größere Gnade zuteil geworden als irgendeinem Engel, wie z. B. der seligen Jungfrau und auch dem Menschen Christus. Die Befestigung im Guten 191 Die Formel »viator et comprehensor« ist seit Wilhelm von Auxerre in Gebrauch: Ders., Summa Aurea III, tr. 37 c. 2 (ed. Pigouchet, Paris 1500, f. 195vb; ed. Ribaillier III/2, 701). Sie drückt aus, daß Christus in seinem menschlichen Bewußtsein während seines irdischen Daseins zugleich auch die seligmachende Anschauung Gottes hatte. Vgl. hierzu auch: Scheffczyk, L.: »Der Wandel in der Auffassung vom menschlichen Wissen Christi bei Thomas v. Aquin und seine bleibende Bedeutung für die Frage nach den Prinzipien der Problemlösung«, in: Münchener Theologische Zeitschrift 8 (1957), 278–288 und Kaiser, P.: Das Wissen Jesu Christi in der lateinischen (westlichen) Theologie, Regensburg (Pustet) 1981.
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kommt aber der seligen Jungfrau zu, weil sie die Mutter der göttlichen Weisheit war, in welche »keine Befleckung gerät,« wie es im Buch der Weisheit (7, 25) heißt. Ähnlich geziemte es den Aposteln, weil sie gleichsam das Fundament und die Basis des ganzen kirchlichen Gebäudes waren, weshalb sie fest sein mußten. Zu 3. Die Antwort ist dieselbe wie zum ersten Einwand. Zu 4. Aus jenem Einwand kann man ableiten, daß es im Pilgerstand niemanden gibt, der gänzlich befestigt ist, so wie auch nicht gänzlich vollkommen. Jemand kann jedoch auf eine gewisse Weise befestigt genannt werden, so wie auch vollkommen. Zu 5. Das Sündigenkönnen trägt nicht zum Verdienst bei, sondern nur zur Offenbarung des Verdienstes, insofern es zeigt, daß das gute Werk freiwillig ist. Und deshalb wird es im Lob des gerechten Mannes angeführt, da das Lob die Offenbarung der Tugend ist. Zu 6. Die Verderbnis des Leibes trägt materiell zum Verdienst bei, insofern sie jemand in Geduld erträgt. Und deshalb wird sie vom Menschen, der im Stand des Verdienens existiert, nicht durch die Gnade weggenommen. Zu den anderen, gegenteiligen Einwänden ergibt sich die Lösung aus dem Gesagten.
10. Artik el Die zehnte Frage lautet: Kann die freie Entscheidung eines Geschöpfes im Bösen verhärtet oder unveränderlich festgelegt sein?192 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Die Sünde ist nämlich gegen die Natur, wie Augustinus im 11. Buch Von der Stadt Gottes sagt.193 Nichts aber, was gegen die Natur ist, ist ewig, wie Aristoteles am Anfang von Himmel und
192 Paralleltexte: Sent. II, d. 7, q. 1, a. 2; Sum. theol. I, q. 64, a. 2; De malo q. 16, a. 5; vgl. auch Parallelen zu Artikel 11. 193 Augustinus, De civ. Dei XI, 17 (PL 41, col. 331; CSEL 40/I, 536 f.; CCSL 48, 336).
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Erde sagt.194 Also kann die Sünde nicht ewig in der freien Entscheidung bleiben. 2. Die geistige Natur ist mächtiger als die körperliche. Wenn aber der körperlichen Natur ein übernatürliches Akzidens aufgepropft wird, kehrt es zu dem zurück, was seiner Natur angemessen ist, es sei denn dieses aufgepropfte Akzidens wird erhalten durch irgendeine Ursache, die fortlaufend tätig ist. So kehrt z. B. Wasser, wenn es erhitzt wird, zur natürlichen Kälte zurück, außer es gibt etwas, das beständig die Hitze erhält. Also bleibt auch eine geistige Natur mit freier Entscheidung, wenn es ihr zustößt in die Sünde zu verfallen, nicht ewig der Sünde unterworfen, sondern sie wird irgendwann einmal zum Stand der Gerechtigkeit zurückkehren, außer es wird eine Ursache zugeteilt, die auf immer die Bosheit in ihr erhält. Eine solche ist aber nicht zuzuteilen, wie es scheint. 3. Es sagte zwar jemand, daß die Ursache, die die Sünde einführt und erhält, sowohl innerlich als auch äußerlich ist: innerlich ist es der Wille selbst, äußerlich ist es der Gegenstand der Sünde, welcher nämlich zur Sünde verlockt. – Dagegen spricht aber, daß die Sache, die außerhalb der Seele ist, gut ist. Das Gute kann aber nicht die Ursache des Bösen sein, es sei denn per accidens. Also ist die Sache, die außerhalb der Seele existiert, nicht die Ursache der Sünde, es sei den per accidens. Jede Ursache per accidens wird aber auf eine Ursache per se zurückgeführt. Also muß man etwas annehmen, das eine Ursache der Sünde per se ist; das aber kann nur der Wille sein. Wenn der Wille jedoch auf etwas hin geneigt wird, bleibt ihm immer noch ein Vermögen, das auf das Gegenteil tendiert, weil das, woraufhin er tendiert, ihm nicht seine Natur nimmt, welche auf Gegenteiliges ausgehen kann. Also kann weder der Wille noch etwas anderes die Ursache sein, die bewirkt, daß die freie Entscheidung der Sünde unveränderlich und gleichsam notwendigerweise anhängt. 4. Nach Aristoteles, im 5. Buch der Metaphysik,195 gibt es zwei Arten von Notwendigem: eines, das die Notwendigkeit aus sich selbst, und eines, das sie von anderem hat. Daß die Sünde in der Entscheidungsfreiheit ist, kann aber nicht notwendig in der Art sein, 194 Vgl. Aristoteles, De caelo I, 2; 269 b 6–10. 195 Aristoteles, Met. V, 5; 1015 b 9–11.
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wie dasjenige, was die Notwendigkeit aus sich selbst hat, weil dies allein Gott zukommt, wie Avicenna sagt.196 Wiederum ist es nicht notwendig wie eines, das die Notwendigkeit gleichsam von einem anderen hat, weil alles derart Notwendige auf dasjenige zurückgeführt wird, welches durch sich selbst notwendig ist. Gott kann aber nicht die Ursache der Sünde sein.197 Also kann es in keiner Weise notwendig sein, daß die Entscheidungsfreiheit in der Sünde verharren kann. Und so hängt also keine Entscheidungsfreiheit des Geschöpfes der Sünde unveränderlich an. 5. Augustinus scheint im 5. Buch Von der Stadt Gottes198 eine doppelte Notwendigkeit zu unterscheiden, deren eine die Freiheit raubt und bewirkt, daß etwas nicht in unserer Gewalt ist; diese wird die Notwendigkeit des Zwanges genannt. Die andere ist die, welche die Freiheit nicht aufhebt; und dies ist die natürliche Neigung. Es ist aber nicht notwendig, daß die Sünde kraft letzterer Notwendigkeit in der Entscheidungsfreiheit ist, weil sie nicht natürlich, sondern vielmehr gegen die Natur ist. Ähnlich aber auch nicht kraft der ersteren, weil dann die freie Entscheidung aufgehoben würde. Also ist es in keiner Weise notwendig; und so folgt dasselbe wie zuvor. 6. Anselm sagt,199 daß »die freie Entscheidung ein Vermögen ist, die Rechtheit des Willens um ihrer selbst willen zu bewahren.« Wenn es also eine freie Entscheidung gäbe, die nicht die Rechtheit des Willens haben könnte, dann verlöre sie das Wesen der eigenen Natur, was unmöglich ist. 7. Die freie Entscheidung nimmt kein Mehr und Weniger an. Eine freie Entscheidung aber, welche sich nicht auf das Gute richten 196 Avicenna, Liber de philosophia prima VIII, 4 (Venedig 1513, fol. 98vb; ed. Van Riet, II, 397). Vgl. auch Avicenna, Liber de philosohia prima I, 7 und 8, übersetzt von Dominicus Gundissalinus (Domingo Gundisalvo) (Venedig 1508, fol. 73ra und 73vb; ed. Van Riet, I, 49; 55). 197 Vgl. Augustinus, De diversis quaestionibus octoginta tribus q. 21 (PL 40, col. 16; CCSL 44 A, 26). 198 Augustinus, De civ. Dei V, 10 (PL 41, col. 152; CSEL 40/I, 228–230; CCSL 47, 140). 199 Anselm von Canterbury, De lib. arb. 3 (PL 158, col. 494 B; Opera omnia I, ed. Schmitt, 210 ff.) und cap. 13 (PL 158, col. 505 A; ed. Schmitt I, 225).
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kann, ist weniger als die, welche es kann. Also gibt es keine Entscheidungsfreiheit, die sich nicht aufs Gute richten könnte. 8. So wie sich die natürliche Bewegung zur natürlichen Ruhe verhält, so verhält sich die freiwillige Bewegung zur freiwilligen Ruhe. Nach Aristoteles200 ist aber, wenn die Bewegung natürlich ist, auch die Ruhe natürlich, und wenn die Bewegung freiwillig ist, dann ist auch die Ruhe freiwillig. Die Bewegung durch welche die Sünde begangen wird, ist aber freiwillig; also ist auch die Ruhe, kraft welcher er in der begangenen Sünde verharrt, freiwillig – und also nicht notwendig. 9. So, wie die Vernunft sich zum Wahren und Falschen verhält, so auch der Affekt zum Guten und Bösen. Die Vernunft aber hängt dem Falschen niemals so an, daß sie nicht zur Erkenntnis des Wahren zurückführt werden könnte. Also hängt auch der Affekt niemals dem Bösen so an, daß er nicht zur Liebe des Guten zurückgeführt werden könnte. 10. Nach Anselm, im Buch Von der Entscheidungsfreiheit,201 »ist das Sündigenkönnen weder Freiheit, noch ein Teil der Freiheit.« Also ist der wesentliche Akt der freien Entscheidung das Vermögen zum Guten. Wenn also die freie Entscheidung eines Geschöpfes nicht auf das Gute ausgehen könnte, wäre sie nutzlos, weil jede Sache vergeblich ist, wenn sie ihres eigentümlichen Aktes beraubt wird, da jede Sache um ihrer Tätigkeit willen ist, wie Aristoteles im 2. Buch Vom Himmel und der Erde sagt.202 11. Die freie Entscheidung kann nur auf das Gute und das Böse ausgehen; wenn also das Sündigenkönnen weder Freiheit noch Teil der Freiheit ist, dann bleibt, daß die ganze Freiheit darin besteht, Gutes tun zu können. Und so wird das Geschöpf, das nicht Gutes tun kann, keine Freiheit haben. So kann also die freie Entscheidung nicht derart im Bösen befestigt sein, daß sie auf keine Weise das Gute könnte.
200 Aristoteles, Phys. V, 6; 229 b 24–27, 230 a 19–20, b 10–21. 201 Anselm von Canterbury, De lib. arb. 1 (PL 158, col. 490 f.; Opera
omnia I, ed. Schmitt, 209). 202 Vgl. Aristoteles, De caelo II, 3; 286 a 8.
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12. Nach Hugo von St. Viktor203 ändert eine Veränderung hinsichtlich unwesentlicher Eigenschaften nichts an den wesentlichen Eigenschaften einer Sache. Das Vermögen, Gutes zu tun, ist der freien Entscheidung aber wesentlich, wie bewiesen wurde.204 Wenn also die Sünde nur unwesentlich zur freien Entscheidung hinzukommt, dann kann diese durch die Sünde nicht derart verändert werden, daß sie nicht auf das Gute ausgehen könnte. 13. Natürliche Eigenschaften werden, wie allgemein gesagt wird,205 durch die Sünde verwundet, aber nicht völlig zerstört. Das Vermögen zum Guten ist der freien Entscheidung aber natürlich. Also wird es durch die Sünde niemalso so im Bösen erstarren, daß es nicht auf das Gute ausgehen könnte. 14. Wenn die Sünde in der freien Entscheidung eine Verhärtung im Bösen verursacht, dann tut sie dies, indem sie an den natürlichen Eigenschaften entweder etwas hinwegnimmt oder hinzufügt. Nicht jedoch durch Wegnahme, weil selbst bei den Dämonen die natürlichen Gaben unversehrt bleiben, wie Dionysius im 4. Kapitel Von den göttlichen Namen sagt.206 Ähnlich auch nicht durch Hinzufügung, denn weil das, was hinzugefügt wird, ein Akzidenz ist, wird es nach der Art des Empfangenden aufgenommen. Und so wird die freie Entscheidung, weil sie sich in beide Richtungen neigen kann, dadurch nicht dahin gebracht, daß sie unbeweglich dem Bösen anhängt. Also kann die freie Entscheidung auf keine Weise gänzlich im Bösen befestigt werden. 15. Bernhard sagt,207 daß es »unmöglich ist, daß der Wille sich nicht selbst gehorcht.« Die Sünde und der gute Akt werden aber wollend begangen. Also ist es unmöglich, daß die freien Entscheidung nicht das Gute wollen könnte, wenn sie wollte. Das aber, was jemand kann, wenn er wollte, das ist ihm nicht unmöglich. Also ist 203 Hugo von St. Viktor, Eruditio didascalica VII, c. 19 (PL 176, col. 827
D). 204 Nämlich im 11. Argument. 205 Seit Petrus Lombardus, Sent. II, d. 25, c. 7 (ed. coll. S. Bon. I, 465). 206 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 23 (PG 3, col. 725 C; Dion. I,
282). 207 Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb. II, 5 (PL 182, col. 1004 B; ed. Winkler I, 180 f.).
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niemandem, der die freie Willensentscheidung hat, das Tun des Guten unmöglich. 16. Die übernatürliche Liebe ist stärker als die Begehrlichkeit, die zur Sünde hinzieht, weil »die Liebe das Gesetz Gottes mehr liebt, als die Begehrlichkeit tausend Gold und Silber,« wie die Glosse208 zu dem Psalmvers »Das Gesetz Deines Mundes ist mir ein Gut etc.«209 sagt. Die Dämonen oder auch die Menschen sind aber von der Liebe in die Sünde gefallen. Also können sie um so eher von der Sünde zum Streben nach dem Guten zurückkehren. Und so folgt dasselbe wie zuvor. 17. Die Gutheit und Rechtheit des Strebens ist seiner Verhärtung entgegengesetzt. Die Dämonen und die Verdammten haben aber einen gutes und rechtes Streben, weil sie das Gute und Beste erstreben, nämlich »Sein, Leben und Verstehen,« wie Dionysius sagt.210 Also haben sie keine Entscheidungsfreiheit, die im Bösen verhärtet wäre. 18. Im Buch Von der Entscheidungsfreiheit macht Anselm211 dasselbe Wesen der Entscheidungsfreiheit bei Gott, beim Engel und beim Menschen ausfindig. Die Entscheidungsfreiheit Gottes kann aber nicht im Bösen verhärtet werden. Also auch nicht beim Engel oder beim Menschen. Dagegen spricht: 1. Das Glück der Seligen ist dem Elend der Verdammten entgegengesetzt. Zum Glück der Seligen gehört es aber, daß sie eine Ent208 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Psalm 118, 72 (PL 191, col. 1079 A), ausgehend von Augustinus, Enarr. in Ps. 118, 72, s. 17 (PL 37, 1550; CCSL 40, 1722). Vgl. Anselm von Laon, Glossa interlinearis zu Psalm 118, 72 (Basel 1498; III, 267r). 209 Psalm 118, 72; in der Vulgata: »Melior mihi est lex oris tui super milia auri et argenti«. Die Neo-Vulgata (Ps. 119, 72) ist eigentümlicherweise näher an Thomas’ Version: »Bonum mihi lex oris tui super milia auri et argenti.« 210 Thomas zitiert hierzu in De ver. q. 22 a. 2: Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 23 (PG 3, col. 725 C); nach der Übersetzung von Johannes Sarracenus (Dion. I, 282). 211 Anselm von Canterbury, De lib. arb. 1 (PL 158, 490; Opera omnia I, ed. Schmitt, 207 f.).
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scheidungsfreiheit haben, die so im Guten befestigt ist, daß sie in keiner Weise zum Böse hin abgelenkt werden können. Also gehört es auch zum Elend der Verdammten, daß sie so im Bösen befestigt sind, daß sie in keiner Weise des Guten fähig sind. 2. Das sagt auch Augustinus ausdrücklich im Buch An Peter über den Glauben.212 3. Es steht keine Rückkehr von der Sünde zum Guten offen, außer durch die Buße. In dem bösen Engel aber gibt es keine Buße. Also ist er unbeweglich im Bösen befestigt. Beweis des Untersatzes: es scheint in demjenigen keine Buße zu geben, der aus Bosheit sündigt.213 Der Engel aber hat aus Bosheit gesündigt, denn weil er eine gottförmige Vernunft hat,214 sieht er, wenn er eine Sache betrachtet, zugleich alles, was zu dieser Sache gehört; und so kann er nur mit sicherem Wissen sündigen. Also gibt es bei ihm keine Reue. 4. Nach Damascenus215 ist »was den Menschen der Tod ist, den Engeln der Fall.« Die Menschen sind aber nach dem Tod keiner Reue fähig; also auch nicht die Engel nach dem Fall. Beweis des Untersatzes: Augustinus sagt im 21. Buch Von der Stadt Gottes:216 weil es nach diesem Leben für diejenigen, die ohne Gnade verschieden sind, keinen Ort der Bekehrung geben wird, sollen für sie keine Gebete verrichtet werden. Und so zeigt es sich, daß die Menschen nach dem Tod keiner Reue fähig sind. Antwort: Es findet sich, daß Origenes217 in dieser Frage irrte: er nahm nämlich an, daß nach Ablauf einer langen Zeit sowohl den Dämonen als 212 D. h. Fulgentius von Ruspe, De fide ad Petrum seu de regula fidei cap. 3, n. 33 (PL 40, 763) und 3, § 31 (PL 65, 687). 213 Vgl. Isidor von Sevilla, Sententiarum libri tres II, c. 17 (PL 83, 620 A). 214 In De ver. q. 8 a. 8 arg. 7 zitiert Thomas hierzu Dionysius Areopagita, De div. nom. VII, 2 (PG 3, col. 869 C); nach der Übersetzung von Johannes Sarracenus (Dion. I, 401). 215 Johannes von Damaskus, De fide orth. II, 4 (PG 94, col. 877 C; ed. Buytaert, 77). 216 Augustinus, De civ. Dei XXI, 24 (PL 41, 737 f.; CSEL 40/II, 557 f.; CCSL 48, 790). 217 Origenes, De principiis / Peri archon I, 6 (PG 11, col. 169; ed. Görge-
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auch den verdammten Menschen eine Rückkehr zur Gerechtigkeit offenstünde. Er wurde zu dieser Annahme der freien Entscheidung wegen bewegt. Diese Behauptung aber mißfällt allen katholischen Lehrern, wie Augustinus im 21. Buch Von der Stadt Gottes sagt;218 nicht deshalb, weil sie den Dämonen und den verdammten Menschen das Heil neideten, sondern weil man aus gleichem Grund sagen müßte, daß die Gerechtigkeit und die Glorie der seligen Engel und Menschen einst zu beenden sei. Matthäus 25, 46 beweist nämlich zugleich, daß die Glorie der Seligen und das Elend der Verdammten ewig sein wird: »Diese nämlich werden in die ewige Qual eingehen, die Gerechten aber in das ewige Leben« – was Origenes zu wissen scheint. Daher ist schlechthin zuzugestehen, daß die freie Entscheidung selbiger Dämonen so im Bösen erstarrt ist, daß sie nicht zum Wollen des Guten zurückkehren kann. Der Grund hierfür muß von daher genommen werden, von wo her die Befreiung von der Sünde verursacht wird. Dazu kommen zwei Dinge zusammen: die göttliche Gnade, die hauptsächlich tätig ist, und der menschliche Wille, der mit der Gnade mit-tätig ist,219 weil nach Augustinus220 »der, welcher dich ohne dich geschaffen hat, dich nicht ohne dich rechtfertigen will.« Der Grund für die Erstarrung im Bösen ist also zum Teil von Gott her aufzufassen, zum anderen Teil von der Entscheidungsfreiheit. Von Gott her nun nicht so, als machte oder erhielte er die Bosheit, sondern so, daß er die Gnade nicht verleiht; dies eben fordert seine Gerechtigkeit. Es ist nämlich gerecht, daß diejenigen, die Gutes nicht wollten, solange sie konnten, zu demjenigen Elend geführt werden, daß sie das Gute überhaupt nicht können.
manns / Knapp, 214 ff.) und nach Augustinus, De civ. Dei XXI, 17 (PL 41, 731; CSEL 40/II, 548 f.; CCSL 48, 783). 218 Augustinus, De civ. Dei XXI, 17 (PL 41, 731; CSEL 40/II, 548 f.; CCSL 48, 783). 219 Die Unterscheidung in operans und cooperans geht auf Augustinus zurück. 220 Augustinus, Sermo 169 (»De verbis Apostoli« 15), c. 11 (PL 38, 923), gemäß der Formulierung bei Wilhelm von Auxerre, Summa aurea III, tr. 11, c. 1 (ed. Pigouchet, Paris 1500, f. 129ra; ed. Ribaillier III/1, 174).
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Von seiten der freien Entscheidung aber ist die Ursache der Abkehr oder Nicht-Abkehr von der Sünde gemäß derjenigen Dinge aufzufassen, durch welche der Mensch in die Sünde fiel. Da jedoch das Streben nach dem Guten naturgemäß jedem Geschöpf innewohnt, wird niemand zur Sünde verführt, außer unter dem Gesichtspunkt eines scheinbaren Gutes. Obwohl nämlich der Unzucht Treibende im allgemeinen weiß, daß Unzucht böse ist, schätzt er, wenn er der Unzucht zustimmt, die Unzucht als ein ihm Gutes ein, das jetzt zu betreiben ist. In dieser Einschätzung nun ist dreierlei zu bedenken. Deren erstes ist der Andrang der Leidenschaft selbst, z. B. der Begierde oder des Zornes, durch welches das Urteil des Verstandes unterbrochen wird, sodaß er nicht aktual im Einzelfall denkt, was er habitual im Allgemeinen für wahr hält, sondern der Neigung der Leidenschaft folgt, sodaß er demjenigen zustimmt, worauf die Leidenschaft tendiert, gleichsam als zu einem in sich Guten. Das zweite ist die Neigung des Habitus, weil dieser eine quasi-Natur dessen ist, der sie hat – so wie Aristoteles im Buch Vom Gedächtnis und der Erinnerung sagt,221 daß die Gewohnheit eine zweite Natur ist, und Cicero in der Rhetorik,222 daß die Tugend der Vernunft im Modus der Natur zustimmt; und aus gleichem Grund neigt der Habitus des Lasters gleichsam wie eine Natur zu dem hin, was zu ihm paßt, weshalb es geschieht, daß dem, der das Laster der Ausschweifung hat, dasjenige als gut erscheint, was der Ausschweifung angemessen ist, als ihm gleichsam konnatural; und das ist es, was Aristoteles im 3. Buch der Nikomachischen Ethik sagt,223 daß »von welcher Art jeder ist, von der Art erscheint ihm auch das Ziel.« Das dritte ist die falsche Einschätzung des Verstandes hinsichtlich des Besonderen, das wählbar ist. Das nun kommt entweder aus einem der beiden vorhergenannten Gründe, nämlich durch die Wucht der Leidenschaft oder durch die Neigung des Habitus; oder wiederum aus der Unwissenheit im Allgemeinen, wie etwa wenn einer in dem Irrtum befangen ist, daß Unzucht keine Sünde ist. 221 Aristoteles, De memoria et reminiscentia 6; 452 a 27 f. 222 M. Tullius Cicero, De inventione II, c. 53, n. 159. 223 Aristoteles, Eth. Nic. III, 7; 1114 a 32 – b 2; nach Robert Grossetestes
Übersetzung, ed. R. A. Gauthier (Leiden: Brill, 1997), 189.
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Gegen das erste von diesen nun hat die Entscheidungsfreiheit ein Heilmittel, durch welches es die Sünde verlassen kann. Jener nämlich, in welchem der Ansturm der Leidenschaften ist, hat eine rechte Einschätzung des Zieles, welches gleichsam das Prinzip in den Tätigkeiten ist, wie Aristoteles im 6. Buch der Nikomachischen Ethik sagt.224 So wie daher der Mensch durch die wahre Einschätzung, welche er vom Prinzip hat, es von sich zurückweisen kann, wenn er an irgendwelchen Irrtümer hinsichtlich der Schlußfolgerungen leidet, so kann er dadurch, daß er hinsichtlich des Zieles richtig veranlagt ist, jeden Andrang der Leidenschaften zurückweisen. Daher sagt Aristoteles im 7. Buch der Nikomachischen Ethik,225 daß der Unbeherrschte, der wegen der Leidenschaft sündigt, reumütig und heilbar ist. Ähnlich hat er auch ein Heilmittel gegen die Neigung des Habitus. Kein Habitus verdirbt nämlich alle Vermögen der Seele; und wenn so ein Vermögen durch einen Habitus verdorben ist, dann wird dadurch, daß einiges an Rechtheit in den anderen Vermögen verbleibt, der Mensch darauf hingeführt, dasjenige zu bedenken und zu tun, was diesem Habitus entgegengesetzt ist. So wenn jemand einen begehrlichen Antrieb hat, der durch den Habitus der Ausschweifung verdorben ist, dann wird er vom zornmütigen Antrieb aufgestachelt, etwas Schwieriges zu tun, dessen Ausübung die Weichlichkeit der Ausschweifung beseitigt. So sagt z. B. Aristoteles in der Kategorienschrift,226 daß »der Verdorbene, der zu besseren Übungen geführt wird, Fortschritte machen wird, sodaß er besser wird.« Gegen das Dritte hat er auch ein Hilfsmittel, weil der Mensch das, was er aufnimmt, gleichsam verständig aufnimmt, das heißt auf dem Wege der Untersuchung und Vergleichung. Wenn daher bei jemandem der Verstand irrt, dann kann, wodurch immer jener Irrtum eintritt, durch gegenteilige Überlegungen aufgehoben werden. Und von daher kann der Mensch der Sünde widerstehen. 224 Aristoteles, Eth. Nic. VI, 5; 1140 b 16. 225 Aristoteles, Eth. Nic. VII, 9; 1150 b 30 f. 226 Aristoteles, Praedicamenta 10; 13 a 23 f., nach der editio composita
im Aristoteles Latinus, ed. Lorenzo Minio-Paluello und Bernard Geoffrey Dod (Brügge – Paris: Desclée, De Brouwer, 1961–1968) I, 1–5, 73.
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Beim Engel aber kann die Sünde nicht aus der Leidenschaft stammen, weil nach Aristoteles im 7. Buch der Nikomachischen Ethik227 die Leidenschaft nur im sinnlichen Teil der Seele ist, welchen die Engel nicht haben. Daher kommen bei der Sünde des Engels nur zwei Dinge zusammen, nämlich die habituelle Neigung zur Sünde und die falsche Einschätzung des Erkenntnisvermögens hinsichtlich des besonderen Gegenstandes der Wahl. Da es jedoch bei den Engeln nicht, wie bei den Menschen, eine Vielheit der Strebevermögen gibt, darum neigt sich ihr Streben, wenn es sich auf etwas hinneigt, gänzlich darauf, sodaß es für es keine Neigung gibt, die auf das Gegenteil führte. Da sie aber keinen Verstand, sondern Vernunft haben, nehmen sie das, was sie einschätzen, in einer vernünftigen Weise auf. Was aber auf vernünftige Weise aufgenommen wird, wird unwiderruflich aufgenommen,228 wie wenn einer aufnimmt, daß jedes Ganze größer also sein Teil ist.229 Darum können die Engel die Einschätzung, die sie einmal angenommen haben, nicht mehr ablegen, sei sie nun wahr oder falsch. Es ist also aus dem zuvor Gesagten klar, daß die Ursache der Befestigung der Dämonen im Bösen von dreierlei abhängt, auf welches auch alle Begründungen, die von den Lehrern angeführt werden,230 zurückgeführt werden. Die erste und hauptsächliche ist die göttliche Gerechtigkeit; von daher wird als Ursache ihrer Verhärtung angeführt, daß sie, weil sie nicht durch einen anderen fielen, auch nicht durch einen anderen wiederaufgerichtet werden dürfen – oder wenn es etwas anderes von dieser Art ist, was zur Übereinstimmung mit der göttlichen Gerechtigkeit gehört. Das zweite ist die Unteilbar-
227 Tatsächlich in der Physik: Aristoteles, Phys. VII, 3; 248 b 27; vgl. De ver. q. 22 a. 13 arg. 13 und q. 26, a. 3. Es sei denn, Thomas meint Eth. Nic. VII, 5; 1147 b 16–18. 228 »Irreversibiliter« auch bei Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 8 (PG 3, col. 704 D), in der Übersetzung von Eriugena (Dion. I, 190). 229 Vgl. Petrus Hispanus, Summulae logicales tr. 5, n. 7 und Wilhelm von Auxerre, Summa aurea III, tr. 3, c. 1 (ed. Pigouchet, Paris 1500, f. 131vb; ed. Ribaillier III/1, 199). 230 Z. B. in der Summa fratris Alexandri II–II, nn. 75 (Quaracchi 1924– 48, III (1930), 92).
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keit des Strebevermögens; von daher sagen einige,231 daß, weil der Engel einfach ist, er sich gänzlich auf das hin kehre, woraufhin er sich kehrt; das darf man aber nicht von der Einfachheit des Wesens verstehen, sondern von der Einfachheit, welche die Unterteilung der Vermögen einer Gattung ausschließt. Das dritte ist die vernünftige Erkenntnis; und aufgrund dessen sagen einige,232 daß die Engel unheilbar sündigen, weil sie gegen die gottförmige Vernunft sündigen. Zu 1. Etwas wird auf zweifache Weise natürlich genannt: auf eine Weise, wenn es dessen hinreichendes Prinzip gibt, aus welchem es mit Notwendigkeit folgt, außer etwas verhinderte es; z. B. wie es der Erde natürlich ist, sich nach unten zu bewegen.233 Und in diesem Sinne versteht es Aristoteles, daß nichts, was gegen die Natur ist, ewig ist. Auf andere Weise wird etwas natürlich genannt, weil es ein natürliche Neigung dazu hat, obwohl es in sich nicht sein hinreichendes Prinzip hat, aus welchem es mit Notwendigkeit folgt. So sagt man z. B., daß es der Frau natürlich ist, einen Sohn zu empfangen, was sie aber nicht kann, wenn sie nicht den Samen des Mannes empfängt. Das jedoch, was gegen diese Art von Natürlichkeit ist, hindert nichts daran, ewig zu sein, wie z. B. daß eine Frau für immer ohne Kind bleibt. In diesem Sinne aber ist es der Entscheidungsfreiheit natürlich, auf das Gute auszugehen, und gegen die Natur, zu sündigen. Daher folgt der Einwand nicht. – Oder man muß sagen, daß, obwohl die Sünde dem vernünftigen Geist nach seiner Veranlagung betrachtet widernatürlich ist, ihm gleichwohl, sofern er schon der Sünde angehangen hat, die Wirkung gleichsam natürlich geworden ist, wie Augustinus im Buch Von der Vollkommenheit der Gerechtigkeit sagt.234 Auch Aristoteles sagt im 9. Buch der Nikomachischen Ethik,235 daß, wenn der Mensch von der Tugend zum Laster S.o. S.o. Vgl. Aristoteles, De caelo I, 2; 269 b 4. Augustinus, De perfectione justitiae hominis, 2, rationcin. 3 (PL 44, 294). 235 Aristoteles, Eth. Nic. IX, 4; 1166 a 20; vgl. auch IX, 3; 1165 b 13 f. und 23. 231 232 233 234
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übergeht, er gleichsam ein anderer wird, dadurch, daß er gleichsam zu einer anderen Natur übergeht. Zu 2. Es verhält sich unterschiedlich mit der körperlichen und der geistigen Natur. Die körperliche Natur ist nämlich in einer Gattung festgelegt. Und darum kann ihr nicht etwas natürlich gemacht werden, es sei denn ihre Natur wird total verdorben. Z. B. kann dem Wasser die Hitze nicht natürlich gemacht werden, außer es wird in ihm die Art des Wassers verdorben. Und daher kommt es, daß es zu seiner Natur zurückkehrt, sobald das Verhindernde beseitigt wird. Die geistige Natur aber ist ihrem sekundären Sein nach unbestimmt erschaffen und aller Dinge fähig – so wie im 3. Buch Von der Seele gesagt wird,236 daß »die Seele gewissermaßen alles ist.« Und dadurch, daß sie einem anhängt, wird sie gewissermaßen eins damit gemacht, so wie die Vernunft, indem sie versteht, in gewisser Weise das Verstandene selbst wird, und der Wille das Erstrebte selbst, indem er liebt. Und so kann, obwohl die Neigung des Willens naturgemäß auf Eines ausgeht, gleichwohl das Gegenteil ihr durch die Liebe natürlich gemacht werden, so sehr, daß sie nicht zu ihrer ursprünglichen Veranlagung zurückkehrt, es sei denn irgendeine Ursache bewirke dies. Und auf diese Weise wird demjenigen, der der Sünde anhängt, die Sünde gleichsam natürlich gemacht. Von daher hindert nichts, daß die freie Entscheidung für immer in der Sünde bleibt. Zu 3. Der Wille ist die Ursache per se der Sünde, und durch denselben wird auch die Sünde aufrechterhalten. Obwohl dieser am Anfang sich zu beiden Seiten der Alternative indifferent verhielt, wurde ihm gleichwohl, nachdem er sich der Sünde unterworfen hatte, die Sünde gleichsam natürlich gemacht, und darum bleibt sie unveränderlich in ihm, soweit es an ihm liegt. Zu 4. Diese Notwendigkeit, in der Sünde zu bleiben, wird auf Gott wie auf seine Ursache zurückgeführt, und zwar zweifach: auf eine Weise von seiten seiner Gerechtigkeit, wie gesagt worden ist, insofern er nämlich die heilende Gnade nicht hinzufügt; auf andere Weise, insofern er eine solche Natur begründet, welche sowohl sün236 Aristoteles, De an. III, 8; 431 b 21 nach alter Übersetzung in: Petrus Hispanus (Johannes XXI?), Obras filosoficas II, Commentario al »De anima« de Aristoteles (ed. P. Manuel Alonso-Alonso, S. J.), 351, 5.
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digen kann, als auch die Notwendigkeit besitzt, aufgrund der Bedingungen ihrer Natur in der Sünde zu bleiben, nachdem sie sich der Sünde unterworfen hat. Zu 5. Weil die Sünde dem vernünftigen Geist gleichsam natürlich gemacht worden ist, ist diese Notwendigkeit keine des Zwanges, sondern eine der quasi-natürlichen Neigung. Zu 6. Wenn die Rechtheit des Willens besessen wird, dann ist das Vermögen sie zu bewahren, in jedem, welcher die freie Entscheidung hat, wie Anselm sagt.237 Die Dämonen aber und die anderen Verdammten können sie nicht bewahren, weil sie sie nicht haben. Zu 7. Die freie Entscheidung, insofern sie frei von Zwang genannt wird, nimmt kein Mehr und Weniger an. Sofern aber die Freiheit von Sünde und Elend betrachtet wird,238 sagt man, daß sie in einem Zustand freier ist als in einem anderen. Zu 8. Die Wirkung der Natur ist immer natürlich. Und von daher kommt es, daß ihre Bewegung und Handlung immer in einer natürlichen Ruhe endigt. Die Tätigkeit und Bewegung des Willens aber kann in einer natürlichen Wirkung und Ruhe enden, insofern der Wille und die Kunst der Natur helfen. Darum kann eine Bewegung willentlich sein, auch wenn die nachfolgende Wirkung oder Ruhe natürlich ist und Notwendigkeit besitzt, so wie aus einem willentlichen Schlag ein natürlicher und notwendiger Tod folgt. Zu 9. Wenn die Vernunft des Engels irgendeine falsche Einschätzung annimmt, dann kann sie diese aus dem obengenannten Grund nicht ablegen. Darum geht der Einwand von einer falschen Voraussetzung aus. Zu 10. Auch wenn etwas seines nächsten Zieles beraubt wird, folgt gleichwohl nicht, daß es gänzlich vergebens wäre, weil die Ordnung zum Letztziel immer noch bleibt. Obwohl daher die freie Entscheidung ihrer guten Tätigkeit beraubt wird, auf welche sie naturgemäß hingeordnet ist, ist sie gleichwohl nicht vergeblich, weil 237 Anselm von Canterbury, De lib. arb. 3 (PL 158, 494 B; Opera omnia I, Schmitt, 210 ff.) und cap. 13 (PL 158, 505 A; Schmitt I, 225). 238 Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb. VIII–IX (PL 182, 1014; 1016; ed. Winkler I, 208 ff.) und Petrus Lombardus, Sent. II, d. 25, c. 8 (ed. coll. S. Bon. I, 466–469).
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genau dies zur Ehre Gottes gereicht, welcher das Letztziel ist, insofern dadurch seine Gerechtigkeit verkündet wird. Zu 11. Die Sünde wird von der Entscheidungsfreiheit nur durch die Wahl eines scheinbar Guten begangen. Von daher bleibt in jedem Akt der Sünde ein Element des Guten, und im Hinblick darauf wird die Freiheit bewahrt. Würde der Aspekt des Guten nämlich entfernt, dann hörte die Wahl auf, welche der Akt der freien Entscheidung ist. Zu 12. Das Können des Guten ist der freien Entscheidung nicht wesentlich gleichsam als gehörte es zum ersten Sein, sondern es gehört zum zweiten Sein. Hugo aber spricht von dem, was wesentlich ist hinsichtlich des ersten Seins der Sache. Zu 13. Dieser Einwand geht von dem Natürlichen aus, das zur Konstitution einer Natur gehört, nicht jedoch von dem Natürlichen, auf welches die Natur hingeordnet ist. Und in diesem Sinne ist es natürlich, Gutes tun zu können. Zu 14. Die Sünde, die zur freien Entscheidung hinzukommt, raubt dieser nichts von den wesentlichen Eigenschaften, weil sonst das Wesen der Entscheidungsfreiheit nicht bestehen bliebe. Durch die Sünde wird aber etwas hinzugefügt, nämlich eine gewisse Einung der Entscheidungsfreiheit mit einem lasterhaften Ziel, die ihr in gewisser Weise natürlich gemacht wird. Und von daher besitzt es Notwendigkeit, so wie auch die anderen Eigenschaften, die der Entscheidungsfreiheit natürlich sind. Zu 15. In gewisser Weise gehorcht der Wille immer sich selber, sodaß nämlich der Mensch, auf welche Weise auch immer er das will, was er will, er will, daß er will. Auf andere Weise aber gehorcht er nicht immer sich selbst, insofern nämlich jemand nicht vollkommen und wirksam will, wovon er will, daß er es vollkommen und wirksam will, wie Augustinus sagt.239 Es folgt auch nicht, daß, wenn der Wille der Dämonen sich selbst gehorcht, er darum nicht im Bösen befestigt würde; es ist ihm ja unmöglich zu wollen, daß er wirksam das Gute will. Wenn es daher auch bedingungsweise wahr wäre, 239 Augustinus, De grat. et lib. arb. XV, 31 (PL 44, 899), oder De civ. Dei XIV, 23 (PL 41, 431; CSEL 40/II, 48 f.; CCSL 48, 445) u. c. 15 (PL 41, 423; CCSL 48, 437). Vgl. aber auch Hugo von St. Viktor, Summa Sent. tr. 3, c. 9 (PL 176, 103).
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folgte gleichwohl nicht, daß der Folgesatz möglich ist, weil ja der Vordersatz unmöglich ist. Zu 16. Die Liebe, soweit es sie selbst betrifft, ist stärker als die Sünde, wenn das eine mit dem anderen verglichen wird, sofern sie in derselben Weise gehabt werden, so nämlich, daß beiderseits die freie Entscheidung genommen wird als entweder ans Ziel gelangt oder noch auf dem Wege. Der aber, der am Ziel der Bosheit ist, hält stärker an der Bosheit fest, als derjenige, der auf dem Wege der Liebe ist, an der Liebe. Die Dämonen aber haben entweder, wie einige meinen,240 niemals die Liebe gehabt, oder wenn sie sie gehabt haben, dann hatten sie sie nur so, wie auf dem Wege. Auf ähnliche Weise aber konnten die verdammten Menschen nur von der Gnade des Weges abfallen. Zu 17. Dieser Einwand geht von der Gutheit und Rechtheit der Natur selbst aus, nicht von der der Entscheidungsfreiheit. Das Streben nämlich, durch welches die Dämonen das Gute und Beste erstreben, ist eine gewisse Neigung der Natur selbst, nicht aber eine aus der Wahl der freien Entscheidung. Darum ist diese Rechtheit der Verhärtung der freien Entscheidung nicht entgegengesetzt. Zu 18. Anselm verfolgt das gemeinsame Wesen der freien Entscheidung bei Gott, Engeln und Menschen gemäß einer allgemeinsten Analogie. Daher ist es nicht notwendig, daß sich eine Ähnlichkeit hinsichtlich aller besonderen Bedingungen findet.
240 Z. B. Gregor der Große, Moralia in Iob XXXII, 23, 48(PL 76, 666; CCSL 143B, 1666 f.); Hugo von St. Viktor, De sacramentis I, 5, cc. 19, 23, 24 (PL 176, 254/256/257); Petrus Lombardus, Sent. II, d. 5, c. 5 und 1 (ed. coll. S. Bon. I, 328 u. 326); Summa fratris Alexandri I–II, n. 100 (Quaracchi 1924–48, II (1928), col. 126b); Bonaventura; Sent. II, d. 4, a. 1, q. 2 (Opera omnia, Quaracchi 1882–1902, II (1885), 134a). Das würde bedeuten, daß auch die anfängliche Erkenntnis der Engel vom Hervorgang der Dinge aus dem Wort eine rein natürliche war; Thomas bezeichnet dies als die opinio communior in Sent. II, d. 4, a. 3; ähnlich Wilhelm von Auxerre, Summa aurea II, tr. 1 c. 1 (Paris 1500, f. 35rb; ed. Ribaillier II/1, 33).
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11. Artik el Die elfte Frage lautet: Kann die freie Entscheidung des Menschen im Pilgerstand im Bösen verhärtet sein?241 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Dasjenige nämlich, was verhängt wird, weil es die gefallene Natur verdient, findet sich in allen vor der Wiederherstellung der gefallenen Natur. Die Sünde der gefallenen Natur aber verdient die Verhärtung, wie die Glosse zum Römerbrief (9, 18) sagt.242 Also ist jeder Mensch im Pilgerstand vor der Wiederherstellung verhärtet. 2. Die Sünde wider den Heiligen Geist kann in allen ihren Arten im Pilgerstand gefunden werden. Die Verhärtung aber ist eine Art der Sünde wider den Heiligen Geist, wie es im 2. Buch der Sentenzen heißt.243 Also kann jemand im Pilgerstand verhärtet sein. 3. Niemand, der in der Sünde ist, kann zum Guten zurückkehren, es sei denn, es bleibt in ihm eine Neigung zum Guten. Wer immer aber in die Todsünde verfällt, ermangelt jeder Neigung zum Guten. Jemand sündigt nämlich tödlich durch eine ungeordnete Liebe. Die Liebe jedoch ist nach Augustinus244 bei den geistigen Wesen dasselbe wie das Gewicht bei den Körpern. Ein gewichtiger Körper aber neigt so in eine Richtung (wie der Stein nach unten245), daß in ihm keine Neigung nach oben verbleibt. Und so bleibt auch dem Sünder, wie es scheint, keine Neigung zum Guten. Wer immer also eine Todsünde begeht, ist im Bösen verhärtet. 4. Keiner kann das Böse der Sünde hinter sich lassen, außer durch die Buße. Jemand aber, der aus Bosheit sündigt, ist nach Aristote241 Paralleltexte: Sent. I, d. 40, q. 4, a. 2; Super Matt. c. 13, lect. 2, § 1; ScG III, 162; Super II Cor. c. 4, lect. 2; Sum. theol. I–II, q. 79, a. 3; Super Ioh. c. 12, lect. 7, § 3; Super Rom. c. 9, lect. 3. 242 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Röm. 9, 18 (PL 191, 1462 B), ausgehend von Augustinus, Epist. 194, c. 3, n. 14 (PL 33, 879). 243 Petrus Lombardus, Sent. II, d. 43, c. unic. (ed. coll. S. Bon. I, 533 f.). 244 Augustinus, De civ. Dei XI, 28 (PL 41, 342; CSEL 40/I, 554 f.; CCSL 48, 348); Conf. XIII, 9, 10 (PL 32, 848 f.; CSEL 33/I, 351 f.; CCSL 27, 246 f.); Epist. 55, 10, 18 (PL 33, 212; CCSL 31, 248); Epist. 157, c. 2 (PL 33, 677). 245 Thomas zitiert in Sum. theol. I–II, q. 71, a. 2 arg. 2 hier für Aristoteles, Eth. Nic. II, 1; 1103 a 20.
11. Artikel
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les im 7. Buch der Nikomachischen Ethik 246 der Buße unfähig, weil er hinsichtlich der Prinzipien der Wahl, d. h. hinsichtlich des Zieles, verdorben ist. Da es nun vorkommt, daß jemand im Pilgerstand aus Bosheit sündigt, scheint es, daß es möglich ist daß jemand im Pilgerstand im Bösen verhärtet ist. 5. Es sagte zwar jemand, daß, obwohl ein solcher aus eigenen Kräften nicht der Buße fähig ist, er gleichwohl durch das Geschenk der göttlichen Gnade zur Buße geführt werden kann. – Dagegen spricht aber, daß, wenn etwas gemäß den niederen Ursachen unmöglich ist, obschon es durch göttliche Tätigkeit geschehen kann, wir sagen, daß dieses einfach gesprochen unmöglich ist, wie z. B. daß der Blinde sieht, oder der Tote aufersteht. Wenn also jemand aus eigenen Kräften der Buße nicht fähig ist, dann muß man einfachhin sagen, daß er im Bösen verhärtet ist, obwohl er durch göttliche Kraft zur Buße geführt werden kann. 6. Jede Krankheit, die sich ihrer Heilung erwehrt, erscheint nach den Ärzten unheilbar. Die Sünde gegen den Heiligen Geist erwehrt sich aber ihrer Heilung, d. h. der göttlichen Gnade, durch welche jemand von der Sünde befreit wird. Also kann jemand im Pilgerstand eine unheilbare geistliche Krankheit haben, und entsprechend kann er im Bösen verhärtet sein. 7. Das scheint dadurch bestätigt zu werden, daß die Sünde wider den Heiligen Geist im Matthäusevangelium (12, 32) als unvergebbar bezeichnet wird. Diese Sünde wird aber von einigen im Pilgerstand begangen. 8. Augustinus im 21. Buch Von der Stadt Gottes247 und Gregor der Große in den Moralia248 benennen dies als Ursache, warum die Heiligen am Tag des Gerichtes nicht für die Verdammten beten werden, daß sie nämlich nicht zum Stand der Gerechtigkeit zurückkehren können. Es gibt aber einige im Pilgerstand, für die man nicht 246 Eth. Nic. VII, 8 und 9; 1150 a 18–22, b 29–32, 1151 a 13–17. 247 Augustinus, De civ. Dei XXI, 24 (PL 41, 737; CSEL 40/II, 642; CCSL
48, 790). 248 Thomas zitiert hierzu in Sent. IV, d. 45, q. 2, a. 2. qc. 1, sc. 2 Gregor den Großen, Moralia in Iob XXXIV, 19, 38 (PL 76, 739 A–B; CCSL 143 B, 1760).
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beten soll, gemäß dem letzten Kapitel des ersten Johannesbriefes:249 »Es gibt eine Sünde zum Tode, und ich sage nicht, daß jemand dafür beten soll.« Und bei Jeremias (7, 16):250 »Du aber wolle nicht für dieses Volk beten, usw.« Also gibt es einige, die im Pilgerstand so verhärtet sind, daß sie zum Stand der Gerechtigkeit nicht zurückkehren können. 9. So, wie das Befestigtsein im Guten zur Glorie der Heiligen gehört, so auch das Befestigtsein im Bösen zum Elend der Verdammten. Jemand kann aber im Pilgerstand im Guten befestigt sein, wie oben gesagt worden ist;251 also scheint es, daß aus gleichem Grund ein Pilger im Bösen verhärtet sein kann. 10. Augustinus sagt so im Buch An Peter über den Glauben,252 daß der Engel mit einem höheren Vermögen begabt ist, als der Mensch. Der Engel konnte aber nach der Sünde nicht zur Gerechtigkeit zurückkehren. Also kann es auch der Mensch nicht. Und so ist jemand im Pilgerstand verhärtet. Dagegen spricht: 1. Augustinus sagt im Buch Von den Worten des Herrn253 – und es ist zitiert in der Glosse zum Römerbrief (2, 4)254 – : »Diese Unbußfertigkeit oder ein unbußfertiges Herz kann, solange jemand in diesem Fleische lebt, nicht gerichtet werden. Über niemanden nämlich ist zu verzweifeln, solange die Geduld Gottes zur Buße führt.« Und so scheint es, daß keiner im Pilgerstand im Bösen verhärtet ist. 2. Im Psalm255 heißt es: »Ich werde mich in die Tiefe des Meeres 249 1. Joh. 5, 16. 250 Die Vulgata hat: tu ergo noli orare pro populo hoc. Vgl. auch Jer. 11,
14 und 14, 11. 251 Im 9. Artikel. 252 D. h. Fulgentius von Ruspe, De fide ad Petrum seu de regula fidei cap. 3, n. 34 (PL 40, 764). 253 Augustinus, Sermo 71 (»De verbis Domini« 11), c. 13 (PL 38, 456). 254 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Röm. 2, 4 f. (PL 191, 1340 A). 255 Psalm 67 (68), 23. Die Vulgata hat »convertam de profundis maris«: Dixit Dominus de Basan convertam, convertam de profundis maris. (Einheitsübersetzung: Der Herr hat gesprochen: »Ich bringe (sie) vom Baschan zurück, / ich bringe (sie) zurück aus den Tiefen des Meeres.«) Thomas’
11. Artikel
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wenden,« »d. h. zu denen, die am verzweifeltsten waren.«256 Und so bekehren sich manchmal diejenigen, die in diesem Leben am verzweifeltsten zu sein scheinen, zu Gott, und Gott zu ihnen. 3. Über den Psalmvers,257 wo es heißt »Er schickt seine Kristalle« sagt die Glosse:258 »Kristall besagt die Verhärteten, durch welche er jedoch andere weidet, d. h. welche er solche macht, daß sie andere mit dem Wort Gottes weiden.« Und so folgt dasselbe wie zuvor. 4. Eine Krankheit kann unheilbar sein entweder aufgrund der Natur der Krankheit, oder wegen der Unerfahrenheit des Arztes, oder wegen der mangelnden Veranlangung des Patienten. Die geistliche Krankheit des pilgernden Menschen, d. h. die Sünde, ist aber nicht aufgrund der Natur der Krankheit unheilbar; sie ist nämlich nicht zum Ziel der Bosheit gelangt. Wiederum ist sie es auch nicht aufgrund der Unerfahrenheit des Arztes, weil Gott sowohl das Wissen als auch das Können für die Heilung hat. Und wiederum ist sie es nicht aufgrund der mangelnden Veranlagung des Menschen, weil er, wie er durch ein anderes gefallen ist, so auch durch ein anderes aufgerichtet werden kann. Also kann der Mensch auf gar keine Weise im Pilgerstand im Bösen verhärtet sein. Antwort: Verhärtung impliziert ein gewisse Festigkeit in der Sünde, durch welche jemand sich nicht von der Sünde abkehren kann. Daß sich jemand nicht von der Sünde abkehren kann, kann aber auf zweierlei Version entspricht der Glossa des Petrus Lombardus (PL 191, col. 614 A) und der Vetus Latina. 256 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Psalm 67 (68), 23 (PL 191, col. 614 A), welche Augustinus folgt: Enarr. in Ps. 67 (68), 23 (PL 36, col. 832; CCSL 39, 891). 257 Psalm 147, 17. Vulgata: proicit glaciem suam quasi buccellas / ante faciem frigoris eius quis stabit. Einheitsübersetzung: Eis wirft er herab in Brocken, / vor seiner Kälte erstarren die Wasser. Die Glosse scheint eher mit dem 2. Halbvers der Vulgata vereinbar. Thomas’ Version entspricht der Glossa des Petrus Lombardus und der Vetus Latina. 258 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Psalm 147, 17 (PL 191, col. 1282 A), Augustinus folgend: Enarr. in Ps. 147, 17 (PL 37, col. 1933; CCSL 40, 2160 f.). Vgl. auch Anselm von Laon, Glossa interlinearis zu Psalm 147, 6 (Basel 1498; III, 304r).
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Weise verstanden werden: einmal so, daß seine Kräfte nicht dazu hinreichen, daß er sich vollständig von der Sünde befreit; und so wird gesagt, daß jeder, der in die Todsünde fällt, nicht zur Gerechtigkeit zurückkehren kann. Von dieser Festigkeit in der Sünde her wird aber niemand im eigentlichen Sinne verhärtet genannt. Auf andere Weise hat jemand die Festigkeit in der Sünde so, daß er nicht einmal daran mitwirken kann, daß er sich von der Sünde erhebt. Das aber ist zweifach: einmal so, daß er auf keine Weise mitwirken kann, und das ist die vollkommene Verhärtung, mit welcher die Dämonen verhärtet sind; deren Geist ist nämlich derart im Bösen verstockt, daß jede Bewegung ihrer Entscheidungsfreiheit ungeordnet und Sünde ist. Von daher können sie sich auf keine Weise darauf vorbereiten, die Gnade zu besitzen, durch welche die Sünde nachgelassen wird. Auf andere Weise so, daß er nicht auf leichte Weise daran mitwirken kann, daß er die Sünde verläßt; und das ist die unvollkommene Verhärtung, durch welche jemand im Pilgerstand verhärtet sein kann, solange nämlich jemand einen Willen hat, der so in der Sünde verhärtet ist, daß die Bewegungen zum Guten sich nur schwach erheben; weil sich jedoch einige erheben, ist in ihnen ein Weg gegeben, daß sie sich auf die Gnade vorbereiten. Daß kein Mensch im Pilgerstand so im Bösen verhärtet sein kann, daß er nicht an seiner Befreiung mitwirken kann, dafür ist der Grund aus dem Gesagten259 ersichtlich. Die Leidenschaft wird ja aufgelöst und unterdrückt, die Angewohnheit verdirbt die Seele nicht vollständig, und der Verstand hängt dem Falschen nicht derart hartnäckig an, daß er nicht durch entgegengesetzte Gründe davon abgebracht werden könnte. Nach dem Pilgerstand aber erkennt die abgetrennte Seele nicht, indem sie von den Sinnen empfängt, und sie wird nicht aktualisierte sinnliche Strebevermögen haben; und so ist die abgetrennte Seele dem Engel gleichförmig sowohl hinsichtlich der Weise des Verstehens, als auch hinsichtlich der Unteilbarkeit des Strebens, welche der Grund für die vollkommene Verhärtung des sündigenden Engels waren. Aus demselben Grund wird daher in der abgetrennten Seele eine Verhärtung sein. In der Auferstehung jedoch folgt der Leib dem 259 Vgl. Artikel 10.
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Zustand der Seele, und darum wird die Seele nicht zu dem Zustand zurückkehren, in welchem sie jetzt ist, und in welchem sie es nötig hat, vom Leib zu empfangen, obwohl sie sich körperlicher Werkzeuge bedient. Und so bleibt auch dann derselbe Grund für die Verhärtung. Zu 1. Von der Sünde der gefallenen Natur wird insofern gesagt, daß sie die Verhärtung verdient, als dieselbe Sünde die ewige Verdammnis verdient. Aufgrund der ersten Sünde ist ja die ganze menschliche Natur der Verdammung unterworfen, es sei denn, einige werden daraus durch die Gnade des Erlösers herausgerissen. Nicht aber so, daß der Mensch sofort, von Geburt an, so verhärtet wäre, wie der Verdammte durch die letzte Verdammnis. Zu 2. Jener Einwand redet über die unvollkommene Verhärtung, durch welche jemand nicht schlechthin im Bösen befestigt ist. Das nämlich ist eine Art der Sünde wider den Heiligen Geist. Zu 3. Augustinus vergleicht die Liebe dem Gewicht, weil beides geneigt macht. Es ist aber nicht notwendig, daß dieser Vergleich in jeder Hinsicht zutrifft. Und darum folgt es nicht, daß derjenige, welcher etwas liebt, keine Neigung zum Gegenteil hat – es sei denn es ginge etwa um die vollkommenste Liebe, welcherart die Liebe der Heiligen im Vaterland ist. Zu 4. Derjenige, der aus Bosheit sündigt, wie unbußfertig nicht deshalb genannt, weil er in keiner Weise Buße tun könnte, sondern weil er nicht leicht Buße tun kann. Allein aufgrund der Ermahnung tut er nämlich nicht vollkommene Buße, weil die Ermahnung von einem Prinzip ausgeht, nämlich dem Ziel, hinsichtlich dessen der Böse verdorben ist. Er kann jedoch dahin gebracht werden, daß er Buße tut, indem er sich allmählich an das Gegenteil gewöhnt. Zu dieser Gewohnheit kann er gebracht werden zum einen wegen der Weise der Einschätzung, weil er verständig und gleichsam vergleichend auffaßt, zum anderen weil nicht die ganze Strebenskraft auf eines ausgeht. Durch Gewöhnung aber erreicht er das rechte Verständnis des Prinzipes, d. h. des Strebenszieles. Daher sagt Aristoteles im 7. Buch der Nikomachischen Ethik,260 daß weder im theore260 Aristoteles, Eth. Nic. VII, 9; 1151 a 17–19, nach R. Grossetestes Übersetzung, ed. R. A. Gauthier (Leiden: Brill, 1997), 287.
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tischen »der Verstand die Prinzipien herausbringt, noch im praktischen; wohl aber ist eine natürliche oder gewohnheitsmäßige Kraft die Ursache dessen, was das rechte Meinen hinsichtlich der Prinzipien ist.« Zu 5. Wenn eine niedere Natur zu etwas veranlagt machen oder auf irgendeine Weise daran mitwirken kann, wird es nicht schlechthin unmöglich genannt, obwohl es nur durch göttliche Tätigkeit vollendet werden kann. So nennen wir es auch nicht schlechthin unmöglich, daß ein Kind im Mutterleib mit einer Vernunftseele beseelt wird. Und auf ähnliche Weise wird, obwohl die Befreiung von der Sünde durch göttliche Tätigkeit geschieht, nicht gesagt, daß es schlechthin unmöglich sei, weil ja daran auch die freie Entscheidung mitwirkt. Zu 6. Obwohl jener, der gegen den Heiligen Geist sündigt, sich aufgrund der Neigung der Sünde gegen die Gnade des Heiligen Geistes wehrt, bleibt ihm, weil er doch durch diese Sünde nicht gänzlich verdorben ist, gleichwohl eine gewisse, wiewohl schwache Neigung durch welcher er irgendwie mit der Gnade mitwirken kann. Er widersteht nämlich nicht immer aktual der Gnade. Zu 7. Die Sünde wider den Heiligen Geist wird nicht unvergebbar genannt, weil sie in diesem Leben nicht vergeben werden könnte, sondern weil sie nicht leicht in diesem Leben vergeben werden kann. Der Grund dieser Schwierigkeit ist, daß die besagte Sünde der Gnade direkt entgegengesetzt ist, durch welche die Sünde vergeben wird. – Oder sie wird unvergebbar genannt, weil sie, da sie aus Bosheit begangen wird, nicht in sich die Ursache der Vergebung besitzt, so wie es die Sünde hat, die aus Krankheit oder Unwissenheit begangen wird. Zu 8. Niemand ist daran gehindert, für jeden noch so großen Sünder in diesem Leben zu beten. In den zitierten Worten des Apostels aber wird kundgetan, daß es nicht jedem zukommt, für die in der Sünde Verstockten zu beten, sondern einem vollkommenen Mann. Oder der Apostel spricht von einer Sünde zum Tode, d. h. von einer, die bis zum Tode fortdauert. In den Worten des Propheten aber zeigt sich, daß jenes Volk nach dem gerechten Urteil Gottes unwürdig wahr, daß es es Barmherzigkeit erlangte, nicht aber daß gänzlich im Bösen verhärtet sei.
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Zu 9. Die Befestigung im Guten geschieht aus einer göttlichen Gabe, und darum hindert nichts, daß dies aus einem speziellen Privileg der göttlichen Gnade einem Pilger zugestanden wird, obwohl sie nicht auf die Weise im Guten befestigt wären, wie die Seligen im Vaterland, wie oben gesagt worden ist.261 Das aber kann man von einer Befestigung im Bösen nicht sagen. Zu 10. Aus ebendem, daß der Engel mit einem höheren Vermögen begabt ist, folgt, daß er sofort nach der ersten Wahl in der Sünde verhärtet war, wie aus dem Gesagten262 klar ist. Augustinus jedoch beabsichtigt nicht zu beweisen, daß der Mensch in der Sünde verhärtet ist, sondern daß er dem nicht gewachsen ist, daß er sich selbst aus der Sünde erhebt.
12. Artik el Die zwölfte Frage lautet: Kann die freie Entscheidung ohne die Gnade im Stand der Todsünde eine Todsünde vermeiden?263 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Im Römerbrief (7, 16) heißt es: »Das Gute nämlich, das ich will, tue ich nicht, sondern das Böse, das ich hasse, das tue ich.« Dies spricht er in der Rolle des verdammten Menschen, wie dort eine Glosse sagt.264 Also kann der Mensch ohne Gnade die Sünde nicht vermeiden. 2. Die aktuale Todsünde ist schwerwiegender als die Erbsünde. Jemand in der Erbsünde aber kann, wenn er ein Erwachsener ist, es 261 Artikel 9c. 262 Artikel 10c und 11c. 263 Paralleltexte: De ver. q. 22 a. 5 ad 7; q. 24, a. 1 ad 10 und 12; Sent. II,
d. 20, q. 2, a. 3 ad 5; d. 24, q. 1, a. 4 ad 2; d. 28, a. 2; ScG III, c. 160; Super I Cor. c. 12, lect. 1; Super Hebr. c. 10, lect. 3; Sum. theol. I–II, q. 63, a. 2 ad 2; I–II, q. 74, a. 3 ad 2; I–II, q. 74, a. 3 ad 2, I–II, q. 109, a. 8; De malo q. 3, a. 1 ad 9. 264 Pseudo-Ambrosius, Super Rom. 7, 15 (PL 17, col. 117 D), zitiert in Petrus Lombardus, Sent. II, d. 39, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I, 555), und in Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Röm. 7, 15 (PL 191, col. 1422 f.) (»loquitur in persona hominis sub lege«).
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ohne Gnade nicht vermeiden, daß er tödlich sündigt. So nämlich könnte er die Verdammung der Sinnenstrafe vermeiden, die der aktualen Todsünde gebührt. Und weil es für Erwachsene kein Mittleres gibt zwischen jener Verdammung und der Glorie des ewigen Lebens, folgte so, daß er das ewige Leben ohne die Gnade erreichen könnte, was die pelagianische Häresie265 ist. Also kann jemand umso weniger im Stand der Todsünde die Todsünde vermeiden, es sei denn durch den Empfang der Gnade. 3. Zum Römerbrief 7, 16 (»Wenn ich aber das was ich nicht will, tue usw.«) zitiert die Glosse die Worte des Augustinus:266 »Nun wird der Mensch beschrieben, der unter das Gesetz gestellt ist, und vor der Gnade. Dann nämlich wird der Mensch von der Sünde besiegt, während er aus seinen eigenen Kräften gerecht zu leben versucht, d. h. ohne die Hilfe der befreienden Gnade, die die Entscheidungsfreiheit befreit, sodaß sie dem Befreier glaubt und nicht gegen das Gesetz sündigt.« Gegen das Gesetz zu sündigen aber heißt tödlich sündigen. Also scheint es, daß der Mensch ohne die Gnade die Todsünde nicht vermeiden kann. 4. Augustinus sagt im Buch Von der Vollkommenheit der Gerechtigkeit,267 daß die Bosheit sich zur Seele verhält, wie die Gekrümmtheit zum Schienenbein, und daß der Akt der Sünde der Lahmheit zu vergleichen ist. Die Gelähmtheit aber läßt sich von jemandem, der ein krummes Schienenbein hat, nicht vermeiden, es sei denn, es würde zuvor das Schienenbein geheilt. Also kann auch die Todsünde von demjenigen nicht vermieden werden, der in der Sünde lebt, es sei denn, er würde zuvor durch die Gnade von der Sünde befreit. 5. Gregor der Große sagt: »die Sünde, die nicht durch die Buße aufgehoben wird, zieht durch ihr Gewicht bald zu einer weiteren 265 Thomas zitiert in Sum. theol. I–II, q. 100, a. 10 arg. 3 und q. 109, a. 4 sc: Augustinus, De haeres. 88 (PL 42, col. 47). 266 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Röm. 7, 16 (PL 191, col. 1423 C) zitiert Augustinus, Expos. epist. ad Rom. 44 (über Röm. 7, 19 f.) (PL 35, col. 2071), mit geringfügigen Variationen. 267 Augustinus, De perfectione justitiae hominis, 2, rationcin. 4 (PL 44, col. 294).
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hin.«268 Sie wird aber nur durch die Gnade aufgehoben. Also kann der sündige Mensch ohne die Gnade die Sünde nicht vermeiden. 6. Nach Augustinus269 sind die Furcht und der Zorn gewisse Leidenschaften und Sünden. Die Leidenschaften kann der Mensch aber nicht durch die Entscheidungsfreiheit vermeiden. Also kann er sich auch nicht der Sünden enthalten. 7. Das, was notwendig ist, kann nicht vermieden werden. Einige Sünden aber sind notwendig; das geht hervor aus dem Psalm »Aus meinen Notwendigkeiten reiße mich heraus.«270 Also kann der Mensch die Sünde nicht durch die freie Entscheidung vermeiden. 8. Augustinus sagt:271 »Es ist einige Sünde, wenn das Fleisch gegen den Geist begehrt.« Das aber ist nicht in der Macht der freien Entscheidung, daß das Fleisch nicht gegen den Geist begehrt. Also erstreckt sich die Macht der freien Entscheidung nicht darauf, daß sie die Sünde vermiede. 9. Die Möglichkeit zu sterben folgt der Möglichkeit zu sündigen: der Mensch konnte nämlich im Stand der Unschuld nur deshalb sterben, weil er sündigen konnte. Also folgt auch die Notwendigkeit zu sterben der Notwendigkeit zu sündigen. In diesem jetzigen Stande aber kann der Mensch es nicht vermeiden zu sterben; also kann er es auch nicht vermeiden zu sündigen. 10. Nach Augustinus272 konnte der Mensch deshalb im Stande der Unschuld beständig sein, weil er die Aufrichtigkeit der Natur hatte, 268 Gregor der Große, Moralia in Iob XXV, 9, 22 (PL 76, col. 334 B; CCSL 143 B, 1247); vgl. Petrus Lombardus, Sent. II, d. 36, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I, 539). Vgl. auch Gregor der Große, Homiliae in Hiezechihelem prophetam I, Hom. XI, 24 (PL 76, col. 915; CCSL 142, 179). 269 In Sum. theol. I–II, q. 24, a. 1 sc. zitiert Thomas: Augustinus, De civ. Dei XIV, 7 (PL 41, 410; CSEL 40/II, 13 f.; CCSL 48, 422). 270 Psalm 24, 17, gemäß der Vetus Latina. Die Vulgata hat: »de angustiis meis educ me.« 271 Augustinus, De civ. Dei XIX, 4 (PL 41, col. 629; CSEL 40/II, 375 f.; CCSL 48, 665); vgl. auch Petrus Lombardus, Sent. III, d. 17, c. 2 (ed. coll. S. Bon. II, 106). 272 Tatsächlich Petrus Lombardus, Sent. II, d. 24, c. 2 (ed. coll. S. Bon. I, 452), vgl. auch Bonaventura, Sent. II, d. 24, p. 1. a. 1, q. 2 (Quaracchi II, 536 f.). Bei Augustinus vielleicht Ench. XXVIII, 107 (PL 40, col. 282; CCSL
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die von jedem Flecken der Sünde unberührt war. Diese Aufrichtigkeit aber ist nicht im sündigen Menschen, der der Gnade beraubt ist. Also kann er auch nicht aufrecht stehen bleiben, sondern fällt nach der Sünde notwendigerweise. 11. Dem Sieger gebührt die Krone, wie es im 3. Kapitel der Apokalypse heißt.273 Wenn aber jemand die Sünde vermeidet, obwohl er von der Sünde versucht wird, besiegt er die Sünde und den Teufel – gemäß dem Jakobusbrief (4, 7): »Widersteht dem Teufel, und er wird von euch fliehen.« Wenn also jemand ohne die Gnade die Sünde vermeiden kann, dann wird er ohne Gnade die Krone verdienen können, was häretisch ist. 12. Augustinus sagt im Buch der Zurücknahmen:274 »Der Wille kann der zwingenden Begierde nicht widerstehen.« Die Begierde aber reizt zur Sünde. Also kann der menschliche Wille ohne Gnade die Sünde nicht vermeiden. 13. Wer eine Gewohnheit hat, handelt notwendigerweise der Gewohnheit gemäß. Wer in der Sünde ist, hat aber die Gewohnheit der Sünde. Also scheint es, daß er es nicht vermeiden kann, zu sündigen. 14. Nach Augustinus275 ist die freie Entscheidung dasjenige, »wodurch das Gute gewählt wird, indem die Gnade hilft, und das Böse, indem die Gnade ausbleibt.« Also scheint es, daß derjenige, der der Gnade ermangelt, mit der freien Entscheidung immer das Böse wählt. 15. Wer immer die Sünde unterlassen kann, kann die Welt besiegen. Niemand nämlich besiegt die Welt, außer er läßt von der Sünde ab. Niemand aber kann die Welt besiegen, außer durch die Gnade, 46, 107), XXVIII, 105 (PL 40, col. 281; CCSL 46, 106); De correptione et gratia 11 (PL 44, col. 935); De civ. Dei XXII, 30 (PL 41, col. 802; CSEL 40/ II, 666 f.; CCSL 48, 863), XIV, c. 10 f. (PL 41, col. 417–419); De peccatorum meritis et remissione II, 33 (PL 44, col. 173); Pseudo-Augustinus, Hypognosticon III, 1 (PL 45, col. 1621). 273 Tatsächlich wohl Apk. 2, 10: »esto fidelis usque ad mortem et dabo tibi coronam vitae«. Apk. 3, 11 lautet: »venio cito, tene quod habes ut nemo accipiat coronam tuam.« 274 Augustinus, Retract. I, c. 15 (PL 32, col. 609; CCSL 57, 46–50). 275 Tatsächlich Petrus Lombardus, Sent. II, d. 24, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I, 421).
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weil es im 1. Johannesbrief (1, 4)276 heißt: »Das ist der Sieg, welcher die Welt besiegt: unser Glaube.« Also kann niemand ohne Gnade die Sünde vermeiden. 16. Die Vorschrift, Gott zu lieben, ist affirmativ, und darum verpflichtet sie dazu, daß sie an bestimmten Orten und Zeiten befolgt wird, dergestalt, daß der Mensch, wenn er sie nicht befolgt, tödlich sündigt. Die Vorschrift der Liebe kann aber niemand ohne Gnade befolgen, weil es im Römerbrief (5, 5) heißt: »Die Liebe Gottes ist in unseren Herzen ausgebreitet durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist.« Also kann es der Mensch ohne Gnade nicht bewirken, daß er nicht tödlich sündigt. 17. Nach Augustinus277 ist die Vorschrift der Barmherzigkeit gegenüber sich selbst in der Vorschrift der Barmherzigkeit gegenüber dem Nächsten eingeschlossen. Jemand sündigt aber tödlich, wenn er sich des Nächsten nicht erbarmt, der in den Nöten des physischen Todes ist. Also sündigt er um so stärker, wenn er sich nicht seiner selbst erbarmt, indem er für die Sünde Buße tut, falls er in der Sünde ist. Und so kann der Mensch, wenn er nicht durch die Buße die Sünde beseitigt, nicht vermeiden, daß er sündigt. 18. So wie sich die Gottesliebe zur Tugend verhält, so die Verachtung Gottes zur Sünde. Es ist aber notwendig, daß jeder Tugendhafte Gott liebt. Also ist es auch notwendig, daß jeder Sünder Gott verachtet und so sündigt. 19. Nach Aristoteles, im 2. Buch der Nikomachischen Ethik,278 folgen ähnliche Akte aus ähnlichen Habitūs. Wenn also der Mensch in der Sünde ist, scheint er notwendigerweise ähnliche Akte hervorzubringen, d. h. Akte der Sünde. 20. Da die Form das Prinzip der Tätigkeiten ist, scheint dasjenige, was der Form entbehrt, auch der Tätigkeit zu entbehren, welche jener Form eigentümlich ist. Die Abwendung von der Sünde aber ist die Tätigkeit der Gerechtigkeit. Weil nun derjenige, der in der Sünde ist, der Gerechtigkeit entbehrt, scheint es, daß er dem Bösen nicht abgeneigt sein kann. 276 Tatsächlich wohl 1 Joh. 5, 4. 277 Augustinus, Ench. XX, 76 (PL 40, col. 268; CCSL 46, 90). 278 Aristoteles, Eth. Nic. II, 2; 1104 a 27 – b 3 und II, 3; 1105 a 26 ff.
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21. Petrus Lombardus sagt im 2. Buch der Sentenzen, in der 25. Unterscheidung,279 daß »nach der Sünde und vor der Wiederherstellung der Gnade, die freie Entscheidung von der Konkupiszenz bedrängt und besiegt wird; sie hat eine Schwäche für das Böse, aber sie hat keine Gnade zum Guten, und darum kann sie sogar verdammungswürdig sündigen.« Und so kann jemand ohne Gnade die Todsünde nicht vermeiden. 22. Wenn gesagt würde, daß er nicht nicht-sündigen kann, d. h. nicht die Sünde nicht haben kann, daß er aber gleichwohl nicht-sündigen kann, d. h. die Sünde nicht gebrauchen, dann spricht dagegen, daß dies selbst die Pelagianer zugaben. Und dennoch weist diesbezüglich Augustinus ihre Auffassung zurück, indem er im Buch Von der Gnade und der freien Entscheidung sagt:280 »Die Pelagianer sagen nämlich, daß die Gnade Gottes, die durch den Glauben an Jesus Christus gegeben ist, und die weder Gesetz noch Natur ist, nur dazu imstande ist, die Sünde zu vergeben, nicht aber, zukünftige Sünden zu vermeiden oder Widerstände zu überwinden. Aber wenn das wahr wäre, würden wir wohl nicht im Vaterunser, wenn wir gesagt haben ›Vergib uns unsere Schuld‹ hinzufügen: ›und führe uns nicht in Versuchung.‹ Jenes nämlich sagen wir, damit unsere Sünden nachgelassen werden, dieses aber, damit sie verhütet oder besiegt werden. Das würden wir vom Vater, der im Himmel ist, grundlos erbitten, wenn wir es in der Kraft des menschlichen Willens bewirken könnten.« Also scheint es, daß jene Antwort keine ist. 23. Augustinus sagt im Buch Von der Natur und der Gnade:281 »geziemend verläßt das Licht der Wahrheit den Übertreter des Gesetzes, welcher, nachdem er verlassen ist, fürwahr blind wird; und es ist notwendiger für ihn, daß er sündigt, und im Fallen Schaden nimmt, und beschädigt sich nicht erhebt.« Also muß der Sünder, der der Gnade beraubt ist, notwendig sündigen.
279 Petrus Lombardus, Sent. II, d. 25, c. 6 (ed. coll. S. Bon. I, 431). 280 Augustinus, De grat. et lib. arb. 13 (PL 44, col. 896 f.). 281 Augustinus, De nat. et grat. 22 (PL 44, col. 258).
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Dagegen spricht: 1. Hieronymus sagt282 zum Papst Damasus: »Wir sagen, daß der Mensch immer sündigen und nicht sündigen kann, sodaß wir immer bekennen, daß wir die freie Entscheidung haben.« Zu sagen, daß der Mensch im Stand der Sünde nicht die Sünde vermeiden kann, bedeutet also, die Entscheidungsfreiheit zu verneinen, was häretisch ist. 2. Wenn ein Mangel in einem Tätigen ist, in dessen Macht es steht, es zu gebrauchen oder nicht zu gebrauchen, dann hat er es nicht nötig, in seiner Tätigkeit mangelhaft zu sein. Wenn z. B. ein krummes Schienenbein im Gehen seine Krummheit nicht-gebrauchen könnte, könnte es nicht-hinken. Die freie Entscheidung aber, die der Sünde unterworfen ist, kann die Sünde gebrauchen oder nicht gebrauchen, sodaß das Gebrauchen der Sünde ein Akt der Entscheidungsfreiheit ist, welche die Herrschaft über ihre Akte hat. So sehr sie also in der Sünde ist, kann sie doch nicht-sündigen. 3. Zum Psalmvers283 »die Sünder lauern mir auf, um mich zu verderben« sagt die Glosse:284 »d. h.: meiner Zustimmung.« Also wird niemand zum Sündigen verführt, außer mit Zustimmung. Die Zustimmung aber ist in der freien Entscheidung. Also kann jemand durch die freie Entscheidung nicht-sündigen. 4. Weil der Dämon nicht nicht-sündigen kann, sagt man, daß er unheilbar gesündigt hat. Wie allgemein gesagt wird,285 sündigt der Mensch aber heilbar; also kann er nicht-sündigen. 5. Von einem Extrem geht man zu einem anderen nur durch ein 282 Thomas entnimmt dies aus Petrus Lombardus, Sent. II, d. 28, c. 4 (ed. coll. S. Bon. I, 456), welcher sie als aus der Explanatio fidei catholicae ad Damasum papam stammend zitiert. Der exakte Wortlaut findet sich allerdings in dem Glaubensbekenntnis, das Pelagius an Papst Innozenz I. schickte: Libellus fidei § 25 (PL 48, col. 491). Vgl. aber auch Hieronymus, Adversus Jovianium II, § 3 (PL 23, 299): »liberi arbitrii nos condidit Deus, nec ad virtutem nec ad vitia necessitate trahimur.« 283 Psalm 118, 95; Vulgata: me expectaverunt impii ut perderent me. 284 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Psalm 118, 95 (PL 191, col. 1091 A); Vgl. Anselm von Laon, Glossa interlinearis zu Psalm 118, 95 (Basel 1498; III, 268v). 285 Vgl. Hugo von St. Viktor, Summa Sent. tr. 3, c. 6 (PL 176, col. 96).
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Mittleres über.286 Der Mensch aber hat vor der Sünde das Vermögen, nicht zu sündigen. Also wird er nicht unmittelbar nach der Sünde zum anderen Extrem geführt, nämlich dazu, daß er nicht nichtsündigen kann. 6. Die freie Entscheidung des Sünders kann sündigen. Sie sündigt aber nur wählend, denn Wählen ist der Akt der freien Entscheidung – so wie der Gesichtssinn nichts sieht, es sei denn sehend. Da aber, nach Aristoteles, im 3. Buch der Nikomachischen Ethik,287 die Wahl ein Begehren des Vorherbedachten ist, folgt sie dem Rat, der nur von dem handelt, was in unserem Vermögen steht, wie ebendort gesagt ist. Also ist das Vermeiden und Tun der Sünde in der Macht des Menschen, der in der Sünde lebt. 7. Nach Augustinus288 »sündigt niemand in dem, was er nicht vermeiden kann«, weil dies sonst bereits notwendig wäre. Wenn also jemand, der in der Sünde lebt, die Sünde nicht vermeiden kann, dann sündigt er nicht, wenn er die Sünde begeht, was absurd ist. 8. Die freie Entscheidung ist vor und nach der Sünde gleichermaßen frei von Zwang. Die Notwendigkeit zu sündigen scheint aber zum Zwang zu gehören, weil jene Notwendigkeit auch dann in uns ist, wenn wir nicht wollen. Also hat der Mensch nach der Sünde keine Notwendigkeit zu sündigen. 9. Alle Notwendigkeit ist entweder eine des Zwanges oder der natürlichen Neigung.289 Die Notwendigkeit zu sündigen ist aber keine der natürlichen Neigung, da so die Natur selbst böse wäre, weil sie zum Bösen geneigt macht. Wenn also dem Sünder eine Notwendigkeit zum Sündigen innewohnte, wäre er zum Sündigen gezwungen. 286 Vgl. Aristoteles, De hist. animal. VIII, c. 1; 588 b 4–6, nach der Übersetzung des Michael Scotus, wie Stadler sie im Text von Albertus Magnus’ De animalibus markiert; Albertus Magnus, De animal. VII, tr. 1, c. 1, n. 4 (ed. Stadler, I, 497); vgl. Albertus Magnus, De caelo et mundo II, tr. 3, c. 11 (ed. Col. V, 167). 287 Aristoteles, Eth. Nic. III, 5; 1112 a 30 f. und 1113 a 9–12. 288 Augustinus, De duobus anim. cap. 10 und 11 (PL 42, 103–105); Thomas zitiert in Sum. theol. I–II, q. 109, a. 8 arg. 1 auch Augustinus, De lib. arb. III, 18 (PL 32, col. 1295; CCSL 29, 304 f.). 289 Augustinus, De civ. Dei V, 10 (PL 41, col. 152; CSEL 40/I, 228–30; CCSL 47, 140).
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10. Was notwendig ist, ist nicht freiwillig. Wenn es also notwendig wäre, daß der, der in der Sünde ist, sündigt, wäre die Sünde nicht freiwillig, was falsch ist. 11. Wenn es dem Sünder notwendig wäre zu sündigen, käme ihm diese Notwendigkeit nur aufgrund der Sünde zu. Er kann aber die Sünde verlassen; andernfalls würde dem Sünder in Jesaja 52, 11 nicht vorgeschrieben: »Weicht, weicht, geht weg von dort, berührt nicht das Unreine.« Also kann der Sünder nicht-sündigen. Antwort: In dieser Frage erheben sich gegensätzliche Häresien. Einige290 nämlich hielten die Natur des menschlichen Geistes für etwas von der Art der körperlichen Naturen; sie meinten, daß alles das, wovon sie sahen, daß der menschliche Geist dazu geneigt war, der Mensch mit Notwendigkeit tut. Und darum verfielen sie in entgegengesetzte Irrtümer. Der menschliche Geist hat nämlich zwei entgegengesetzte Neigungen: die eine zum Guten, durch den Instinkt der Verstandes; in Betrachtung dieser sagte Iovinianus,291 daß »der Mensch nicht sündigen kann.« Die andere Neigung ist im menschlichen Geist aufgrund der niederen Kräfte, und insbesondere insofern sie von der Erbsünde verdorben sind; durch diese nämlich wird der Geist dazu geneigt, diejenigen Dinge zu wählen, die dem fleischlichen Sinn ergötzlich sind. Und indem sie diese Neigung betrachten, sagten die Manichäer,292 daß der Mensch notwendigerweise sündigt, und in keiner Weise die Sünde vermeiden kann. Und so verfielen beide, ob290 Z. B. die Stoiker; vgl. Justin, Apologia II, 7 (PG 6, col. 456); Chalcidius, In Timaeum 161 (ed. Hans von Arnim, Stoicorum veterum fragmenta, Leipzig 1938; Bd. II, 272 § 976); Alexander von Aphrodisias, De fato 13 (ibid. Bd. II, 285 § 979); Nemesius von Emesa, De nat. hom. cap. 35 (PG 40, col. 744 f.; ed. Verbeke / Moncho, 133); cap. 41 (PG 40, col.; ed. Verbeke / Moncho, 150). 291 Iovinian wird zitiert in Petrus Lombardus, Sent. II, d. 28, c. 4 (ed. coll. S. Bon. I, 491). Vgl. auch Augustinus, De haeres. 82 (PL 42, col. 45); Hieronymus, Adv. Jovin. II, § 1 (PL 23, col. 295), Pelagius, Libellus fidei 25 (PL 48, col. 491). 292 Nach Pelagius, Libellus fidei 25 (PL 48, col. 491) und Julianus von Eclanum, Libellus fidei III, § 11 (PL 48, col. 520); vgl. auch die Position
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schon auf entgegengesetzten Wegen, in dieselbe Unangemessenheit, daß sie die freie Entscheidung leugneten. Der Mensch wird nämlich keine freie Entscheidung haben, wenn er durch die Notwendigkeit sei es zum Guten, sei es zum Bösen getrieben wird. Daß dies unangemessen ist, wird sowohl von der Erfahrung als auch von den Lehren der Philosophen und von göttlicher Autorität bestätigt, wie in gewissem Maße aus dem oben gesagten293 klar ist. Darum erhebt sich im Gegensatz Pelagius,294 der, indem er die freie Entscheidung verteidigen will, mit der Gnade Gottes in Widerstreit gerät und sagt, daß der Mensch ohne die Gnade Gottes die Sünde vermeiden kann. Welchselbiger Irrtum295 offenkundigst der Lehre des Evangeliums widerspricht, weshalb er von der Kirche verurteilt wurde.296 Der katholische Glaube beschreitet einen mittleren Weg, indem er die freie Entscheidung so bewahrt, daß sie die Notwendigkeit der Gnade nicht ausschließt. Dazu muß man wissen, daß, weil die Entscheidungsfreiheit ein Vermögen unterhalb des Verstandes und oberhalb des ausführenden Bewegungsvermögens ist, sich etwas in zweierlei Hinsicht außerhalb der Entscheidungsfreiheit befindet: zum einen dadurch, daß etwas die Wirkkraft des ausführenden Bewegungsvermögens, das auf Geheiß der Entscheidungsfreiheit tätig ist, übersteigt; so wie z. B. des Fortunatus nach Augustinus, Contra Fortunatum manichaeum II, § 21 (PL 42, 123). 293 Artikel 1 und 7–11. 294 Pelagius bei Petrus Lombardus, Sent. II, d. 28, c. 1–3 (ed. coll. S. Bon. I, 487–491). Vgl. Pelagius, Ad Demetriadem Epistola 3 (PL 30, col. 18); fünf afrikanische Bischöfe in einem Brief an Innozenz I. (Innozenz, Epist. 27; PL 20, col. 572); Augustinus, De gestis Pelagii 6 (PL 44, col. 329); De haeres. 87 (PL 42, col. 47); De gratia Christi I, 30 (PL 44, 376); Hieronymus, Epist. 132 (»Ad Ctesiphontem«) (PL 22, 1148–50, 1153); Dialogus adv. Pelagianos I, § 1 (PL 23, col. 520 f.). 295 Thomas zitiert Augustinus, De haeres. 88 (PL 42, col. 47) in Sum. theol. I–II, q. 100, a. 10 arg. 3. 296 Vgl. Synode von Karthago, can. 5 (Denzinger / Hünermann 227); 2. Synode von Orange (Arausicanum) (Denzinger / Hünermann 370–397).
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das Fliegen nicht der freien Entscheidung des Menschen unterliegt, weil es die Kraft des bewegenden Vermögens im Menschen übersteigt. Zum anderen ist etwas außerhalb des Vermögens der Entscheidungsfreiheit, weil sich der Akt des Verstandes nicht darauf erstreckt. Weil nämlich der Akt der Entscheidungsfreiheit die Wahl ist, welche dem Rat, d. h. dem Bedenken des Verstandes, folgt, kann sich die freie Entscheidung nicht auf das erstrecken, was dem Bedenken des Verstandes entgeht, wie z. B. diejenigen Dinge, die sich ohne Vorbedacht ereignen. Auf die erste Weise übersteigt die Sünde oder die Vermeidung der Sünde nicht das Vermögen der freien Entscheidung, weil zwar die Ausführung der Sünde in einem äußeren Akt vermöge der Bewegungskraft vervollständigt wird, gleichwohl aber die Sünde im Willen selbst, vor der Ausführung und durch die Zustimmung allein vollendet wird. Deshalb wird die freie Entscheidung zur Sünde oder ihre Vermeidung nicht durch einen Mangel des Bewegungsvermögens verhindert, auch wenn sie zugleich an der Ausführung gehindert wird – so z. B. wenn jemand morden oder Unzucht treiben oder stehlen will, es aber nicht kann. Auf die zweite Weise aber kann die Sünde oder die Vermeidung der Sünde das Vermögen der freien Entscheidung übersteigen; dadurch nämlich, daß die Sünde plötzlich und gleichsam überraschend auftritt und so der Wahl der Entscheidungsfreiheit entgeht, obwohl die freie Entscheidung dies tun oder vermeiden könnte, wenn sie ihre Aufmerksamkeit und ihre Anstrengung darauf richtete. Etwas kann aber auf zweifache Weise gleichsam überraschend in uns geschehen: Auf eine Weise aus dem Ansturm der Leidenschaften. Die Bewegung des Zornes und des Begehrens kommen nämlich zuweilen der Beratschlagung des Verstandes zuvor. Diese Bewegung freilich, welche aufgrund der Verdorbenheit der Natur aufs Unerlaubte ausgeht, ist eine läßliche Sünde. Und so ist es im Stand der verdorbenen Natur nicht in der Macht der freien Entscheidung, alle derartigen Sünden zu vermeiden, denn sie entgehen ihrem Akt, obwohl sie jede einzelne dieser Bewegungen verhindern könnte, wenn sie dagegen strebte. Es ist aber wegen der verschiedenen Beschäftigungen des menschlichen Geistes und wegen des Ruhebedürfnisses nicht
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möglich, daß der Mensch ständig entgegenstrebte, um derartige Bewegungen zu vermeiden. Das nun kommt daher, daß die niederen Kräfte nicht so vollständig dem Verstand unterworfen sind, wie sie es im Stand der Unschuld waren, als es dem Menschen sehr leicht war, jede einzelne und alle derartige Sünden durch die freie Entscheidung zu vermeiden, dergestalt, daß die Bewegung in den niederen Kräften nur auf Geheiß des Verstandes aufsteigen konnten. Durch die Gnade jedoch wird, allgemein gesprochen, der Mensch in der Gegenwart nicht zu dieser Rechtheit zurückgeführt; vielmehr erwarten wir diese Rechtheit für den Stand der Glorie. Und darum kann der Mensch in diesem Stand des Elendes sogar nach der Wiederherstellung durch die Gnade nicht alle läßlichen Sünden vermeiden, obschon dies in nichts ein Vorurteil gegen die freie Entscheidung impliziert. Auf andere Weise kommt etwas in uns gleichsam überraschend vor aufgrund der Neigung der Gewohnheit. So sagt nämlich Aristoteles im 3. Buch der Nikomachischen Ethik:297 »Es braucht nämlich größere Stärke, um in plötzlicher Furcht uneingeschüchtert und unerschüttert zu sein, als bei Vorherbedachtem.« Eine Handlung geht nämlich umso mehr aus der Gewohnheit hervor, je weniger sie vorbereitet ist. Vorher Erscheinendes, d. h. Vorhergewußtes, erwählt jemand auch ohne Gewohnheit aufgrund des Verstandes und des Nachdenkens, aber Plötzliches geschieht vermöge der Gewohnheit. Das ist nicht so zu verstehen, als ob die Tätigkeit gemäß der Gewohnheit einer Tugend gänzlich ohne Vorherüberlegung sein könnte, denn die Tugend ist eine gewählte Gewohnheit; vielmehr hat der, der den Habitus hat, schon eine bestimmtes Ziel seiner Wahl. Daher wird, wann immer etwas diesem Ziel Angemessenes vorkommt, es sofort gewählt, es sei denn es wird durch eine aufmerksamere und weiterreichende Überlegung verhindert. Dem Menschen in der Todsünde jedoch wohnt die Sünde gewohnheitsmäßig ein. Obwohl er nämlich nicht immer den Habitus des Lasters hat – aus einem Akt der Ausschweifung geht ja noch kein Habitus der Ausschweifung hervor – haftet der Wille des Sünders 297 Aristoteles, Eth. Nic. III, 11; 1117 a 17–19, nach R. Grossetestes Übersetzung, ed. R. A. Gauthier (Leiden: Brill, 1997), 195.
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nach dem Verlassen des unveränderlichen Guten dem veränderlichen Guten gleichsam wie einem Ziel an.298 Und die Kraft dieser Anhaftung und Neigung bleibt in ihm solange, bis er abermals dem unveränderlichen Guten wie einem Ziel anhängt. Wenn daher dem so veranlagten Menschen etwas zu tun vorkommt, was der vorhergehenden Wahl angemessen ist, wird er sofort durch die Wahl darauf hingerissen, außer er hindert sich daran durch viel Überlegung. Er wird allerdings nicht von der Todsünde entschuldigt, weil er dies plötzlich wählt, sodaß er einer Überlegung ermangelte; zur Todsünde reicht ja diejenige Überlegung, aufgrund welcher das, was gewählt wird, als Todsünde und als gegen Gott beurteilt wird. Diese Überlegung jedoch reicht nicht hin, jemanden zurückzuhalten, der in der Todsünde ist. Niemand wird nämlich davon zurückgehalten etwas zu tun, wozu er geneigt ist, es sei denn, es wird ihm als Böses vorgestellt. Jener aber, der das unveränderliche Gut zugunsten eines veränderlichen Gutes zurückgewiesen hat, hält es schon nicht mehr für ein Übel, vom unveränderlichen Gut abgekehrt zu sein, worin das Wesen der Todsünde sich vollendet. Daher wird er nicht dadurch vom Sündigen abgehalten, daß er gewahr wird, daß etwas eine Todsünde ist; sondern man muß darüber hinaus in der Betrachtung fortschreiten, bis man zu etwas gelangt, was er unmöglich nicht als Übel einschätzen kann, z. B. das Elend und dergleichen. Bevor deshalb soviel Überlegung stattfindet, wie einem so veranlagten Menschen nötig ist, damit er die Todsünde vermeiden kann, ist ihm schon die Zustimmung zur Todsünde zuvorgekommen. Unter der Voraussetzung der Anhaftung der Entscheidungsfreiheit an der Todsünde oder einem ungehörigen Ziel ist es daher nicht in seiner Macht, daß er alle Todsünde vermeidet, obwohl er jede einzelne vermeiden könnte, wenn er sich dagegen stemmte. Auch wenn er dies oder jenes vermiede, indem er soviel Überlegung anwendet, wie erforderlich ist, kann er gleichwohl nicht bewirken, daß ihm nicht irgendwann vor einer solchen Überlegung die Zustimmung zu einer Todsünde zuvorkommt, wenn er zur Überlegung unvorbereitet ist. Es ist ja wegen der vielen Dinge, 298 Vgl. Augustinus, z. B. De lib. arb. III, 1 (PL 32, col. 1269 f., CCSL 29, 274).
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mit denen der menschliche Geist beschäftigt ist, unmöglich, daß der Mensch immer oder lange in so großer Wachsamkeit ist, wie dazu erforderlich ist. Aus dieser Veranlagung wird er aber nur durch die Gnade befreit, durch welche allein es bewirkt wird, daß der menschliche Geist dem unveränderlichen Gut durch die übernatürliche Liebe wie einem Ziel anhängt. Es ist also aus dem Gesagten klar, daß wir nicht die Entscheidungsfreiheit aufheben, weil wir sagen, daß die freie Entscheidung jede einzelne Sünde vermeiden oder begehen kann. Wiederum heben wir nicht die Notwendigkeit der Gnade auf, weil wir sagen, daß der Mensch nicht alle läßlichen Sünden vermeiden kann, obwohl er einzelne vermeiden könnte, selbst wenn er die Gnade hat, ehe die Gnade im Stand der Glorie vollendet ist; und das kommt von der Verdorbenheit des »Zündstoffes.«299 Und wiederum, weil wir sagen, daß der Mensch in der Todsünde, von der Gnade entblößt, nicht alle Todsünden vermeiden kann (obwohl er einzelne vermeiden kann), außer die Gnade überkommt ihn; und dies wegen der habitualen Anhaftung des Willens an einem ungeordneten Gut. Augustinus300 vergleicht diese beiden der Verkrümmung des Schienenbeines, aufgrund welcher die Notwendigkeit des Hinkens folgt. So lassen sich auch die Feststellungen der Lehrer, welche in dieser Hinsicht zu variieren scheinen, bestätigen. Von diesen sagen einige,301 daß der Mensch ohne die habituale, heiligmachende Gnade die Todsünde vermeiden kann, obschon nicht ohne göttliche Hilfe, welche den Menschen in ihrer Vorsehung dazu lenkt, das Gute zu tun und das Böse zu vermeiden. Das ist nämlich der Fall, wenn einer gegen die Sünde hat anstreben wollen, weshalb es geschieht, daß er 299 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. II, d. 30, c. 8 (ed. coll. S. Bon. I, 499 f.). 300 Augustinus, De perfectione justitiae hominis, 2, rationcin. 3 (PL 44,
col. 294). 301 Thomas selbst in Sent. II, d. 28, q. 1, a. 2 ad 1. Vgl. auch Albertus Magnus, Sent. II, d. 24, 6 ad 2 (ed. Borgnet XXVII, 403 b), Summa de creaturis II, 70, 5 sol. (; Bonaventura, Sent. II d. 28, dub. 3 (Opera omnia, Quaracchi 1882–1902, II (1885), 692a), Sent. III, d. 34, p. II, a. 1, q. 2 ad 1 (III, 758a); Sent. IV p. 20, p. 1, dub. 7 (IV, 529b); Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb. VIII, 26 (PL 182, 1015; ed. Winkler I, 210 f.): »… peccato, etsi non toto carere certe non consentire …«
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einzelne vermeiden kann. Andere302 jedoch sagen, daß der Mensch ohne Gnade nicht lange beständig bleiben kann, ohne tödlich zu sündigen. Das ist freilich wahr, insofern es nicht lange zutrifft, daß der Mensch habitual zur Sünde veranlagt ist, ohne daß es geschieht, daß er etwas plötzlich tun muß, worin er aus der Neigung der bösen Gewohnheit in die Zustimmung zur Todsünde fällt, weil es nicht möglich ist, daß der Mensch lange darüber wachsam ist, daß er die hinreichende Sorgfalt auf die Vermeidung der Todsünde verwendet. Weil also beide Auffassungen auf eine Weise auf das Wahre schließen, auf andere Weise auf das Falsche, muß auf beides geantwortet werden: Zu 1. Dieses Wort des Apostels kann gemäß verschiedenen Auslegungen von der Todsünde oder vom Übel der Todsünde verstanden werden, demgemäß er in der Rolle des sündigen Menschen spräche, oder vom Übel der läßlichen Sünde hinsichtlich ihrer ersten Regungen,303 demgemäß er in der eigenen Person oder anderer Gerechter spräche. Und in beiderlei Hinsicht ist zu verstehen, daß, während der Wille natürlicherweise zur Vermeidung allen Übels da ist, der sündige Mensch nicht ohne Gnade bewirken kann, daß er alle Sünde vermeidet, obwohl er einzelne vermeiden könnte; und so kann er den natürlichen Willen nicht ohne Gnade erfüllen. Ähnlich verhält es sich für den Gerechten hinsichtlich der läßlichen Sünden. Zu 2. Es ist nicht möglich, daß ein Erwachsener im bloßen Stand der Erbsünde und ohne die Gnade ist, weil er sofort, wenn er den Gebrauch der freien Entscheidung erlangt hat, und wenn er sich auf die Gnade vorbereitet hat, die Gnade haben wird. Andernfalls würde ihm die Nachlässigkeit selbst als Todsünde angerechnet. Der 302 Gregor der Große, Moralia in Iob XXV, 9, 22 (PL 76, col. 334; CCSL 143 B, 1247); Homiliae in Hiezechihelem prophetam I, Hom. XI, 24 (PL 76, col. 915; CCSL 142, 179); Bonaventura, Sent II, d. 28, a. 2, q. 2 (Opera omnia, Quaracchi 1882–1902, II (1885), 686ab); vgl. auch Simon von Tournai, Disputationes 60, 1 und 72, 1, ed. Joseph Warichez, Louvain 1932, 171. 204. Petrus Lombardus, Sent. I, d. 25, c. 8 (ed. coll. S. Bon. I, 435). 303 Vgl. Wilhelm von Auxerre, Summa aurea II, tr. 15, c. 1 (ed. Pigouchet, Paris 1500, f. 89rb; ed. Ribaillier II/2, 527).
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genannte Einwand scheint auch dieselbe Unangemessenheit vorauszusetzen, die er selbst anführt: wenn es nämlich möglich ist, daß ein Erwachsener im bloßen Stand der Erbsünde ist, und wenn es sich ergibt, daß er im selben Moment stirbt, dann wird er zwischen den Seligen und denjenigen, die mit der Sinnenstrafe bestraft werden, ein Mittlerer sein; das ist die Unangemessenheit welche der besagte Einwand selbst anführt. Um dem nun aber keinen Vorschub zu leisten, muß man wissen, daß es im Stand der Erbsünde eine habituale Abwendung vom unveränderlichen Guten gibt, weil derjenige, der die Erbsünde hat, kein Herz besitzt, das mit Gott durch die Liebe verbunden wäre. Und so ist hinsichtlich der habitualen Abwendung derjenige, der in der Erbsünde und derjenige, der in Todsünde ist, von derselben Wesensart, obschon es in der Todsünde darüber hinaus die Zuwendung zu einem ungeziemlichen Ziel gibt. Ferner folgt es nicht, wenn jemand aus freiem Willen die Verdammung vermeidet, daß er darum mit den Kräften der freien Entscheidung die Glorie erlangen könnte. Das nämlich ist etwas Größeres, wie das Beispiel des Menschen im Stand der Unschuld zeigt.304 Zu 3. Der Mensch wird ohne die Gnade von der Sünde besiegt, sodaß er gegen das Gesetz handelt, weil, auch wenn er diese oder jene Sünde vermeiden könnte, indem er sich dagegen stemmt, er gleichwohl nicht alle vermeiden kann, wegen der schon genannte Gründe. Zu 4. Das Beispiel des Augustinus von der Verkrümmtheit ist in einer gewissen Hinsicht nicht vergleichbar, weil es nämlich nicht in der Macht des Schienenbeines steht, die Verkrümmung zu gebrauchen oder nicht zu gebrauchen, und deshalb muß jede Bewegung des gekrümmten Schienenbeines ein Hinken sein. Die freie Entscheidung aber kann ihre Verkrümmtheit gebrauchen oder nicht gebrauchen. Und darum muß sie nicht in jedem ihrer Akte sündigen, sondern kann manchmal die Sünde vermeiden. Es ist aber vergleichbar in der Hinsicht, daß es nicht möglich ist, alle zu vermeiden, wie gesagt worden ist.
304 E. Stein kommentiert in einer Fußnote, dies sei nicht sententia communis der Theologen, sondern nur der Thomisten.
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Zu 5. Obwohl die Sünde, die nicht durch die Buße aufgehoben worden ist, durch Neigung zu einer weiteren hinzieht, ist es gleichwohl nicht notwendig, daß die freie Entscheidung immer dieser Neigung gehorcht, sondern sie kann sich in einem einzelnen Akte gegen sie stemmen. Zu 6. Insofern die Furcht und der Zorn Leidenschaften sind, sind sie nicht Todsünden, sondern läßliche; sie sind nämlich anfängliche Bewegungen. Zu 7. Sünden werden notwendig genannt, insofern man nicht alle vermeiden kann, obwohl man einzelne vermeiden kann. Zu 8. Wenn das Fleisch gegen den Geist begehrt, ist es ein Laster, aber eine läßliche Sünde. Zu 9. Die Notwendigkeit zu sterben geht zusammen mit einer Notwendigkeit entweder tödlich oder läßlich zu sündigen (außer bei bevorzugten Personen, wie bei Christus und der seligen Jungfrau), nicht aber mit einer Notwendigkeit zur Todsünde, wie sich an denen zeigt, die die Gnade haben. Zu 10. [Es fehlt eine Lösung zum 10. Einwand.] Zu 11. Die Krone wird demjenigen gegeben, der den Teufel und die Sünde völlig besiegt. Wer aber eine einzige Sünde vermeidet, während er in einer anderen verharrt, ist, weil er ein Knecht ist, kein Sieger, außer vielleicht in gewisser Hinsicht; darum verdient er keine Krone. Zu 12. Die Begierde kann nicht so verstanden werden, als ob sie einen absoluten Zwang auf die freie Entscheidung ausübte, welche immer frei von Zwang ist. Sondern sie wird zwingend genannt wegen der Vehemenz der Neigung, welcher man allerdings widerstehen kann, obschon mit Mühe. Zu 13. Die freie Entscheidung kann einen Habitus gebrauchen oder nicht gebrauchen. Darum ist es nicht notwendig, daß jemand immer gemäß dem Habitus handelt, sondern er kann manchmal auch gegen den Habitus handeln, obschon mit Mühe. Wenn er aber im Habitus verharrt, kann es nicht geschehen, daß er lange darin verbleibt, ohne etwas gemäß dem Habitus zu tun. Zu 14. Wenn die Gnade ausbleibt, kann die freie Entscheidung aus sich selbst das Böse wählen. Es ist aber nicht notwendig, daß sie ohne die heiligmachende Gnade immer das Böse wählt.
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Zu 15. Es folgt nicht, daß jemand durch das Vermeiden der Sünde die Welt besiegt, es sei denn, er wäre völlig unberührt von der Sünde, wie zuvor305 gesagt worden ist. Zu 16. Ein Gebot wird auf zweierlei Weise befolgt: einmal so, daß die Befolgung ein Verdienen der Glorie ist; und so kann niemand ohne Gnade das genannte und andere Gebote erfüllen. Auf andere Weise so, daß die Befolgung die Vermeidung der Strafe bewirkt; und so kann es auch ohne heiligmachende Gnade befolgt werden. Auf die erste Weise wird es befolgt, wenn die Substanz des Aktes mit dem angemessenen Modus erfüllt wird, welchen die übernatürliche Liebe bewirkt; und so ist das genannte Liebesgebot nicht so sehr ein Gebot, als vielmehr das Ziel des Gebotes, und die Form aller anderen Gebote. Auf die zweite Weise wird allein die Substanz des Aktes erfüllt, was auch in demjenigen zutrifft, der nicht den Habitus der Liebe hat. Es kann nämlich auch der Ungerechte Gerechtes tun, wie Aristoteles im 2. Buch der Nikomachischen Ethik sagt.306 Zu 17. Dieser Einwand betrifft nicht den zur Debatte stehenden Satz. Angenommen nämlich, daß jemand, indem er sich seiner nicht darin erbarmt, daß er sich auf die Buße vorbereitet, eine neue Sünde begeht, kann er gleichwohl diese Sünde vermeiden, weil er sich vorbereiten kann. Es ist jedoch auch nicht notwendig, daß der Sünder, wann immer er sich nicht seiner durch die Buße erbarmt, eine neue Sünde begeht, sondern nur dann, wenn er aufgrund einer besonderen Ursache dazu gehalten ist. Zu 18. Der Tugendhafte kann aktual Gott nicht-lieben und stattdessen das Gegenteil tun, wie sich zeigt, wenn er sündigt. Zu 19. Obwohl ein Habitus immer ähnliche Akte hervorbringt, kann der, der einen Habitus hat, gleichwohl in einen dem Habitus entgegengesetzten Akt übergehen, weil es nicht notwendig ist, daß er den Habitus immer gebraucht. Zu 20. Der, dem die Gerechtigkeit fehlt, kann einen unvollkommenen Akt der Gerechtigkeit hervorbringen, welches Gerechtes-Tun 305 Ad 5 und ad 11. 306 Nämlich wenn er diese Tugend erst durch einzelne gerechte Akte
erwirbt. Aristoteles, Eth. Nic. II, 1; 1103 b 1 f. und II, 3; 1105 a 26 ff.; vgl. Albertus Magnus, Super Ethica II, 4 (ed. Col. XIV, 105).
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ist; und dies wegen der Prinzipien des Naturrechtes, welche dem Verstand eingegeben sind. Er kann aber keinen vollkommenen Akt der Gerechtigkeit hervorbringen, welches Gerechtes-auf-gerechteWeise-Tun ist. Und so kann sich ein Ungerechter gelegentlich vom Bösen abwenden. Zu 21. Das Wort des Petrus Lombardus ist nicht so zu verstehen, daß es notwendig wäre, daß der Mensch, der in der Todsünde lebt, jeder Versuchung erliegt, sondern so, daß er manchmal, wenn er nicht durch die Gnade von der Sünde befreit wird, in irgendeine Todsünde fällt. Zu 22. Daß wir es nötig haben, im Vaterunser nicht allein darum zu bitten, daß uns vergangene Sünden vergeben werden, sondern auch, daß wir von zukünftigen befreit werden, ist deshalb so, weil der Mensch, wenn er nicht von der Gnade befreit wird, notwendigerweise irgendwann in der besagten Weise in die Sünde fällt, obwohl er diese oder jene vermeiden kann, indem er sich dagegen stemmt. Zu 23. Demjenigen, der vom Licht der Gnade verlassen ist, ist es notwendig, daß er irgendwann fällt. Es ist jedoch nicht notwendig, daß er jedweder Versuchung erliegt. Erwiderungen auf die Einwände Zu 1. Es wäre eine Vorverurteilung der freien Entscheidung, wenn sie die Sünde nicht durch ein Gegenstreben vermeiden könnte. Es ist aber keine Vorverurteilung der freien Entscheidung, wenn der Mensch es nicht bewirken kann, daß er in beständiger Besorgung des Widerstandes gegen die Sünde ist. Wenn der Mensch jedoch diesbezüglich nicht besorgt ist, zieht ihn die habituale Neigung zu dem, was dem Habitus angemessen ist. Zu 2. Weil die freie Entscheidung die Herrschaft über ihre Akte hat, kann sie, wenn sie dem ihre Sorge zuwendet, den eigenen Defekt nicht gebrauchen. Weil es aber unmöglich ist, dem immer die Sorge zuzuwenden, folgt es manchmal, daß sie aktual defizient ist. Zu 3. Ohne Zustimmung der freien Entscheidung wird keine Todsünde begangen. Die Zustimmung folgt aber der habitualen Neigung, wenn dem nicht viel Überlegung vorangeht, wie gesagt worden ist. Zu 4. Man sagt, daß der Mensch heilbar gesündigt hat, weil er in
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der Hilfe der Gnade ein Heilmittel hat, obwohl die freie Entscheidung dazu nicht hinreichend ist. Zu 5. »Nicht sündigen können« und »nicht nicht-sündigen können« sind Entgegengesetzte. »Sündigen und Nicht-sündigen können« aber ist das Mittlere zwischen ihnen, weshalb der Gegeneinwand etwas Falsches annimmt. Zu 6. Wählen und Ratschlagen gibt es nur darüber, was in unserer Macht steht. Wie es aber im 3. Buch der Nikomachischen Ethik heißt,307 tun wir dasjenige, was durch Freunde tun, auf gewisse Weise durch uns selbst. Und darum kann die freie Entscheidung Wahl und Beratung nicht nur darüber haben, wozu ihre eigene Kraft hinreicht, sondern auch über das, wozu sie die göttliche Hilfe benötigt. Zu 7. Jemand, der in der Todsünde lebt, kann alle Todsünden mit der Hilfe der Gnade vermeiden. Er kann einzelne sogar durch seine natürliche Kraft vermeiden, obschon nicht alle. Und so folgt es nicht, daß er im Begehen der Sünde nicht sündigte. Zu 8. Die Notwendigkeit zu sündigen erlegt der freien Entscheidung keinen Zwang auf. Obwohl nämlich der Mensch sich selbst aus dieser Notwendigkeit nicht befreien könnte, kann er gleichwohl an irgendeinem Punkte dem widerstehen, dessen Notwendigkeit ausgesagt wird, insofern er einzelne Sünde vermeiden kann, nicht aber alle. Zu 9. Die Sünde ist dem Sünder gleichsam natürlich geworden. Ein Habitus nämlich ist in dem, der ihn hat, wie eine Art zweiter Natur tätig, weshalb sich die Notwendigkeit, die aus dem Habitus folgt, auf eine natürliche Neigung reduziert. Zu 10. Nach Augustinus308 kann etwas notwendig sein und dennoch freiwillig. Der Wille verabscheut nämlich notwendigerweise das Unglück, und dies wegen einer natürlichen Neigung, der die Neigung des Habitus vergleichbar ist. Zu 11. Der Mensch, der in der Sünde lebt, kann sich auf keine Weise von der Sünde befreien, welche er schon begangen hat, außer 307 Aristoteles, Eth. Nic. III, 5; 1112 b 27 f. 308 Thomas zitiert hierfür Augustinus, De civ. Dei V, 10 (PL 41, col.
152; CSEL 40/I, 228–230; CCSL 47, 140 f.) in a. 1 ad 20.
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mit Hilfe der Gnade. Von der Sünde, welche sich in der Abwendung vollendet, wird er ja nur befreit, wenn sein Geist Gott durch die Liebe anhängt; diese aber stammt nicht aus der freien Entscheidung, sondern wird in den Herzen der Heiligen durch den heiligen Geist ausgegossen, wie es im Römerbrief (5,5) heißt.
13. Artik el Die dreizehnte Frage lautet: Kann jemand, der in der Gnade ist, die Todsünde vermeiden?309 Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn: 1. Niemand hat es nämlich nötig, dasjenige von Gott zu erbitten, was er aus sich selbst vermag. Soviel Gnade auch immer jemand aber hat, er hat es doch nötig, von Gott zu bitten, daß er von zukünftigen Sünden befreit werde. Darum sagt Paulus im letzten Kapitel des 2. Korintherbriefes,310 indem er von den Gläubigen und Heiligen spricht: »Wir beten aber zu Gott, daß ihr nichts Böses tut.« Also können auch die, die die Gnade haben, nicht die Sünde vermeiden. 2. Auch die, die die Gnade haben, müssen das Vaterunser sprechen. Aber darin wird gemäß der Auslegung des Cyprian erbeten, daß der Mensch ohne Sünde durchhält, wie Augustinus im Buch Vom Durchhalten berichtet.311 Also kann der, der die Gnade hat, nicht aus sich selbst die Todsünde vermeiden. 3. Das Durchhalten ist eine Gabe des Heiligen Geistes.312 Die Gaben des Heiligen Geistes zu haben ist aber nicht einmal in der Macht dessen, der die Gnade hat. Da es nun zum Durchhalten gehört, sich bis zum Lebensende der Todsünde zu enthalten, scheint es, daß auch der, der die Gnade hat, nicht die Todsünde vermeiden kann. 309 Paralleltexte: De ver. q. 24 a. 14; 27, a. 5 ad 3; Sent. II, d. 29, expos. text.; Sum. theol. I–II, q. 109, a. 9 und 10; II–II, q. 137, a. 4; Super Psalm. 31, 7; ScG III, 155. 310 2 Kor. 13, 7. 311 Augustinus, De dono pers. 2 (PL 45, col. 996); vgl. Cyprian, De oratione dominica 23 (PL 4, col. 553). 312 Augustinus, De dono pers. 1 (PL 45, col. 993), wie Thomas in Sum. theol. II–II, q. 137, a. 4sc. zitiert. Vgl. aber auch De dono pers. 5 (PL 45, col. 998 f.) und 21 (PL 45, col. 1027).
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4. So, wie sich das Nichts zum Sein der Natur verhält, so verhält sich auch der Mangel der Sünde zum Sein der Gnade. Das Geschöpf aber, welches das Sein der Natur von Gott erlangt hat, kann sich nicht selbst im natürlichen Sein erhalten, da es ins Nichts fiele, wenn es nicht durch die Hand des Schöpfers erhalten würde.313 Also kann auch jemand, der die Gnade erlangt hat, es nicht aus sich selbst bewirken, daß er nicht in die Todsünde fällt. Dagegen spricht: 1. Im 2. Korintherbrief (12, 9) heißt es: »Meine Gnade reicht dir.« Sie reichte aber nicht, wenn er durch sie nicht die Todsünde vermeiden könnte. Also kann der Mensch durch die Gnade die Todsünde vermeiden. 2. Dies scheint so aus den Worten des Petrus Lombardus in 2. Buch des Sentenzenkommentars, in der 25. Unterscheidung,314 wo er so sagt: Nach der Wiederherstellung und vor der Befestigung wird der Mensch von der Konkupiszenz bedrängt und wird nicht besiegt; er hat eine Schwäche zum Bösen, aber die Gnade zum Guten, sodaß er wegen der Freiheit und Schwäche sündigen kann, wegen der Freiheit und der helfenden Gnade aber Todsünden unterlassen kann.« Antwort: Daß man sich einer Sünde enthalten kann, und daß man in der Enthaltung von der Sünde bis zum Lebensende durchhalten kann, sind verschiedene Aussagen. Wenn man nämlich sagt, daß jemand sich der Sünde enthalten kann, liegt der Nachdruck auf der Negation allein – daß nämlich jemand nicht-sündigen kann. Und das kann jeder, der in der Gnade lebt, wenn von der Todsünde die Rede ist. Demjenigen, der die Gnade hat, wohnt ja keine habituale Neigung zur Sünde ein, dergestalt, daß er vielmehr eine habituale Neigung zur Vermeidung der Sünde hat. Sobald ihm daher etwas unter dem Gesichtspunkt der Todsünde begegnet, lehnt er es aus habitualer Neigung ab, es sei denn er strebt dem entgegen, indem er den Begierden 313 Thomas zitiert hierzu in De ver. q. 27 a. 3 Gregor den Großen; vgl. Moralia in Iob XVI, 37, 45 (PL 75, col. 1143 C; CCSL 143 A, 825). 314 Petrus Lombardus, Sent. II, d. 25, c. 6 (ed. coll. S. Bon. I, 431).
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folgt. Er hat es jedoch nicht nötig, diesen zu folgen, auch wenn er es nicht vermeiden kann, daß manche Bewegung der Begierde aufsteigt, die dem Akt der freien Entscheidung völlig zuvorkommt. So nun, weil er es nicht bewirken kann, daß keine Bewegung der Begierde dem Akt der freien Entscheidung gänzlich zuvorkommt, kann er nicht alle läßlichen Sünden vermeiden. Weil aber in ihm keine Bewegung der freien Entscheidung der vollen Überlegung vorhergeht und gleichsam aus der Neigung eines Habitus zur Sünde hin zieht, darum kann er alle Todsünde vermeiden. Wenn aber gesagt wird: dieser kann die Enthaltung von der Sünde bis zum Lebensende durchhalten, liegt die Betonung auf etwas Positivem, daß nämlich jemand sich in einen solchen Stand setzt, daß in ihm keine Sünde sein kann. Anders nämlich kann sich ein Mensch durch einen Akt der freien Entscheidung nicht durchhalten machen, als daß er sich unsündlich macht. Das aber fällt nicht unter die Macht der freien Entscheidung, weil sich das ausführende Bewegungsvermögen nicht darauf erstreckt. Und darum kann der Mensch sich nicht selbst die Ursache des Durchhaltens sein, sondern er hat es nötig, das Durchhalten von Gott zu erbitten. Zu 1. Paulus betet in der Hinsicht, daß sie nichts Böses tun, insofern sie der Enthaltung vom Bösen nicht gewachsen sein können, außer mit dem Beistand der göttlichen Hilfe. Zu 2. Ähnlich ist auf den zweiten Einwand zu antworten. Zu 3. Das Durchhalten wird auf zweifache Weise ausgesagt: manchmal nämlich ist es eine besondere Tugend, und so ist es ein gewisser Habitus, dessen Akt es ist, den Vorsatz zu haben, fest durchzuhalten. Und so hat jeder, der die Gnade hat, das Durchhalten, auch wenn er nicht bis zum Ende durchhalten wird. Auf andere Weise wird das Durchhalten als ein gewisser Umstand der Tugend aufgefaßt, welcher die Dauerhaftigkeit der Tugend bis zum Ende bezeichnet; und so ist das Durchhalten nicht in der Macht dessen, der die Gnade hat. Zu 4. So wie wir, wenn wir von der Natur reden, nicht dasjenige ausschließen, wodurch die Natur im Sein erhalten wird, so schließen wir, wenn wir von der Gnade sprechen, nicht die göttliche Tätigkeit aus, die die Gnade im Sein erhält, und ohne welche niemand
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zu bestehen vermag, weder im Sein der Natur, noch im Sein der Gnade. 14. Artik el Die vierzehnte Frage lautet: Ist die freie Entscheidung ohne Gnade des Guten fähig?315 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 1. Eine Vorschrift wird nicht hinsichtlich des Unmöglichen gegeben. Deshalb nennt Hieronymus316 denjenigen verflucht, der sagt, Gott schreibe dem Menschen etwas Unmögliches vor. Es ist dem Menschen aber vorgeschrieben, das Gute zu tun; also kann er durch seine freie Entscheidung das Gute tun. 2. Niemand darf zurechtgewiesen werden, wenn er das nicht tut, was er nicht tun kann. Der Mensch aber wird rechtmäßig zurechtgewiesen, wenn er es unterläßt, das Gute zu tun. Also kann der Mensch mit der freien Entscheidung das Gute tun. 3. Der Mensch kann mit der freien Entscheidung auf eine gewisse Weise die Sünde vermeiden, zumindest hinsichtlich eines einzigen Aktes. Das Vermeiden der Sünde ist aber gut. Also kann der Mensch mit der freien Entscheidung etwas Gutes tun. 4. Jedes Ding ist mehr zu demjenigen fähig, was ihm natürlich ist, als zu dem, was ihm widernatürlich ist. Die freie Entscheidung ist aber naturgemäß auf das Gute hingeordnet, während die Sünde ihr widernatürlich ist. Also ist sie mehr zum Guten fähig, als zum Bösen. Des Bösen ist sie aber durch selbst fähig; also umso mehr des Guten. 5. Das Geschöpf behält in sich eine Ähnlichkeit mit dem Schöpfer, aufgrund des Spurseins, und viel mehr noch aufgrund der Ebenbildlichkeit.317 Der Schöpfer aber kann aus sich selbst Gutes schaffen. 315 Paralleltexte: Sum. theol. I–II, q. 109, a. 2, a. 5 und a. 9; I–II, q. 114, a. 2; ScG III, 147; Sent. II, d. 28, a. 1 und d. 39, expos. text.; Sent. IV, d. 17, q. 1, a. 2 qc. 2 ad 3; Super II Cor. cap. 4, lect. 1. 316 Bei Petrus Lombardus, Sent. II, d. 36, c. 6 (ed. coll. S. Bon. I, 541 f.). Vgl. auch Pelagius, Libellus fidei § 21 (PL 48, col. 491) und ähnlich Hieronymus, In evangelium Matthaei I, 5, 44 (PL 26, col. 42). 317 Zur Unterscheidung von »vestigium« und »imago« vgl. Thomas, Sent. I, d. 3, q. 3, a 1.
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Also auch das Geschöpf, und insbesondere die freie Entscheidung, welche zum Sinn der Ebenbildlichkeit gehört. 6. Nach Aristoteles, im 2. Buch der Nikomachischen Ethik,318 wird die Tugend durch dasselbe verdorben, durch das sie erzeugt wird. Die Tugend kann aber von der freien Entscheidung verdorben werden, weil die Todsünde, welche der Mensch mit der freien Entscheidung begehen kann, die Tugend verdirbt. Also ist der Mensch vermittels der freien Entscheidung auch der Erzeugung desjenigen Guten fähig, welches die Tugend ist. 7. Im 1. Johannesbrief (5, 3) heißt es: »Seine Gebote sind nicht schwer.« Das aber, was nicht schwer ist, kann der Mensch mit der freien Entscheidung tun. Also kann der Mensch mit der freien Entscheidung die Gebote befolgen, was das Beste ist. 8. Nach Anselm, im Buch Von der freien Entscheidung,319 ist die freie Entscheidung »das Vermögen, die Rechtheit des Willens um ihrer selbst willen zu bewahren.« Die Rechtheit des Willens wird aber nur dadurch bewahrt, daß man das Gute tut. Also kann jemand mit der freien Entscheidung das Gute tun. 9. Die Gnade ist stärker als die Sünde. Die Gnade bindet die freie Entscheidung aber nicht so, daß der Mensch nicht die Sünde begehen könnte. Also bindet auch die Sünde die freie Entscheidung nicht so, daß der Mensch, der in der Sünde lebt, nicht ohne Gnade das Gute tun könnte. Dagegen spricht: 1. Im Römerbrief (7, 18) heißt es: »Das Wollen liegt mir nahe, aber das Vollenden des Guten finde ich nicht.« Also kann der Mensch nicht mit der freien Entscheidung das Gute tun. 2. Der Mensch kann das Gute nur entweder durch einen äußeren oder durch einen inneren Akt tun. Zu beidem aber reicht die freie Entscheidung nicht hin, denn, wie es im Römerbrief (9, 16)320 heißt: 318 Aristoteles, Eth. Nic. II, 1; 1103 b 6–8. 319 Anselm von Canterbury, De lib. arb., cap. 3 (PL 158, col. 494 B; Opera
omnia I, ed. Schmitt, 210 ff.) und cap. 13 (PL 158, col. 505 A; ed. Schmitt I, 225). 320 Einheitsübersetzung: »Also kommt es nicht auf das Wollen und Streben des Menschen an, sondern auf das Erbarmen Gottes.«
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»es ist nicht Sache des Wollenden« – d. h. des Wollens, das zum inneren Akt gehört – »noch des Laufenden« – d. h. des Laufens, das zum äußeren Akt gehört – »sondern des erbarmenden Gottes;«321 also kann die freie Entscheidung ohne die Gnade in keiner Weise das Gute tun. 3. Zur der Stelle im Römerbrief (7, 15), wo es heißt: »das Gute, das ich hasse, tue ich,« sagt die Glosse:322 Naturgemäß zwar will der Mensch das Gute, diesem Willen fehlt aber immer die Wirkung, es sei denn die Gnade Gottes stärkt sein Wollen.« Also kann der Mensch ohne die Gnade nicht das Gute tun. 4. Das Ersinnen des Guten geht dem Tun des Guten voran, wie aus Aristoteles im 2. Buch der Nikomachischen Ethik hervorgeht.323 Der Mensch kann aber das Gute nicht aus sich selbst ersinnen, weil es im 2. Korintherbrief (3, 5) heißt:324 »Nicht, daß wir fähig wären, etwas aus uns selbst zu ersinnen, gleichsam als käme es von uns.« Also kann der Mensch nicht durch sich selbst etwas Gutes tun. Antwort: Keine Sache ist über ihre Art hinaus tätig. Nach den Erfordernissen ihrer Art aber kann jedes Ding tätig sein, weil kein Ding seiner eigentümlichen Tätigkeit entbehrt.325 Es gibt aber ein zweifaches Gut: eines, das der menschlichen Natur porportioniert ist, ein anderes aber, das die Fähigkeiten der menschlichen Natur übersteigt. Diese beiden Güter nun, wenn wir von Akten sprechen, unterscheiden sich nicht nach der Substanz der Akte, sondern nach dem Modus der Tätigkeit. So wie z. B. der Akt, welcher das Almosengeben ist, ein Gut ist, welches den Kräften des Menschen proportioniert ist, sofern der Mensch aus einer gewissen 321 Vgl. Petrus Lombardus, Sent. II, d. 25, c. 9 (ed. coll. S. Bon. I, 469). 322 Petrus Lombardus, Glossa ordinaria zu Röm. 7, 15 (PL 191, col. 1423 A). 323 Aristoteles, Eth. Nic. II, 3; 1105 a 31; vgl. auch Eth. Nic. III, 4; 1112
a 15–17, III, 5; 1113 a 9–12 und VI, 2; 1139 a 31–b 6. 324 Einheitsübersetzung: »Doch sind wir dazu nicht von uns aus fähig, als ob wir uns selbst etwas zuschreiben könnten; unsere Befähigung stammt vielmehr von Gott.« 325 Vgl. Johannes von Damaskus, De fide orth. II, 23 (PG 94, col. 949 B; ed. Buytaert, 142).
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natürlichen Liebe oder einem natürlichen Wohlwollen dazu bewegt wird. Sie übersteigt jedoch die Fähigkeiten der menschlichen Natur, sofern der Mensch von der Gnade dazu hingeführt wird, welche den Geist des Menschen mit Gott vereinigt. Es steht also fest, daß zu demjenigen Gut, welches die Natur des Menschen übersteigt, die freie Entscheidung nicht ohne Gnade fähig ist. Und weil durch ein derartiges Gut der Mensch das ewige Leben verdient, steht es fest, daß der Mensch ohne die Gnade kein Verdienst erwerben kann. Dasjenige Gut aber, welches der Natur des Menschen proportioniert ist, kann der Mensch durch die freie Entscheidung vollbringen. Daher sagt Augustinus,326 daß »der Mensch durch die freien Entscheidung Äcker bestellen, Häuser bauen und viele andere gute Dinge tun kann,« ohne die Mitwirkung der Gnade. Obwohl der Mensch aber derartige Güter ohne heiligmachende Gnade bewirken kann, kann er sie gleichwohl nicht ohne Gott tun, weil kein Ding in seine natürliche Tätigkeit übergehen kann, außer vermöge der göttlichen Kraft, denn die Zweitursache ist nur in der Kraft der Erstursache tätig, wie es im Buch Von den Ursachen heißt.327 Und das ist wahr für die natürlichen wie für die willentlich Handelnden. Gleichwohl ist es für beide auf unterschiedliche Weise wahr: Bei den Naturdingen ist Gott nämlich die Ursache für die natürlichen Tätigkeiten, insofern er das gibt und erhält, was das Prinzip der natürlichen Tätigkeit in einer Sache ist, aus welchem mit Notwendigkeit eine festgelegte Tätigkeit folgt; so wie wenn er die Schwerkraft in der Erde erhält, welche das Prinzip der Bewegung nach unten ist. Der Wille des Menschen aber ist nicht auf eine einzige Tätigkeit festgelegt, sondern verhält sich gleichgültig zu vielem. Und so ist er auf gewisse Weise in Potenz, wenn er nicht durch etwas Aktives bewegt wird, sei es, daß ihm etwas Äußeres vorgestellt wird, so wie es das aufgefaßte Gut ist, oder daß in ihm etwas Inneres tätig ist, wie es Gott selbst ist; das sagt auch Augustinus im Buch Von der 326 D. h. Pseudo-Augustinus, Hypognosticon III, 4 (PL 45, col. 1623), zitiert bei Petrus Lombardus, Sent. II, d. 26, c. 7 (ed. coll. S. Bon. I, 477). 327 Liber de causis, prop. 1; n. 18 (ed. Bardenhewer, 164; ed. Schönfeld, 4–6).
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Gnade und der freien Entscheidung,328 indem er zeigt, daß Gott auf vielfache Weise in den Herzen der Menschen tätig ist. Alle äußeren Bewegungen werden aber auch von der göttlichen Vorsehung moderiert, insofern Gott urteilt, daß jemand zum Guten durch diese oder jene Tätigkeiten aufzustacheln ist. Wenn wir daher die Gnade Gottes nicht bloß irgendeine habituale Gabe nennen wollen, sondern die Barmherzigkeit Gottes selbst, durch welche die innere Bewegung des Geistes tätig ist, und durch welche er das Äußere zum Heil des Menschen ordnet, so kann der Mensch sogar gar kein Gut ohne die Gnade Gottes vollbringen. Wenn wir aber im allgemeinen reden, gebrauchen wir das Wort »Gnade« für eine Art habituale rechtfertigende Gabe. Und so zeigt sich, daß beide Einwände auf etwas Falsches schließen, weshalb auf beide Seiten zu antworten ist: Zu 1. Es ist dem Menschen nicht unmöglich, das, was Gott vorschreibt, zu befolgen, weil er sowohl die Substanz des Aktes durch die freie Entscheidung befolgen kann, als auch weil er den Modus, durch welchen er über die Fähigkeit der Natur erhoben wird (so wie es nämlich durch die übernatürliche Liebe geschieht) durch die Gabe der Gnade befolgen kann, obschon nicht aus der freien Entscheidung allein. Zu 2. Der Mensch, welcher die Gebote nicht erfüllt, wird rechtmäßig gescholten, weil es aus seiner Nachlässigkeit stammt, daß er die Gnade nicht hat, durch welcher er die Gebote sogar hinsichtlich des Modus befolgen kann, während er sie nichtsdestoweniger durch die freie Entscheidung der Substanz nach befolgen kann. Zu 3. Indem der Mensch Handlungen aus der Gattung des Guten tut, vermeidet er die Sünde, obwohl er keine Belohnung verdient. Daher folgt es gleichwohl nicht, daß der Mensch, auch wenn er durch die freie Entscheidung eine Sünde vermeiden kann, allein durch die freie Entscheidung des verdienstlichen Guten fähig ist. Zu 4. Der Mensch ist mit der freien Entscheidung desjenigen Guten fähig, das dem Menschen konnatural ist. Das verdienstliche Gut aber ist jenseits der Natur, wie gesagt worden ist. 328 Augustinus, De grat. et lib. arb. 21 (PL 44, col. 908 f.).
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Zu 5. Obwohl das Geschöpf ein Abbild Gottes ist, ist es doch kein vollkommenes; das ist nämlich allein der Sohn. Und darum ist es auch nicht notwendig, daß, was immer in Gott zu finden ist, sich auch im Geschöpf findet. Zu 6. Aristoteles redet von der politischen Tugend, welche durch Tätigkeiten erworben wird, nicht jedoch von der eingegossenen Tugend, welche allein das Prinzip der verdienstlichen Akte ist. Zu 7. Wie Augustinus im Buch Von der Gnade und der Natur sagt:329 die Vorschriften Gottes werden so verstanden, daß sie schwer für die Furcht sind, aber leicht für die Liebe. Daher folgt es nicht, daß er diese vollkommen erfüllen kann, außer er hat die übernatürliche Liebe. Derjenige aber, der die Gnade nicht hat, kann, auch wenn er irgendeine einzelne der Substanz nach und mit Mühe erfülllen kann, gleichwohl nicht alle erfüllen, so wie er auch nicht alle Sünden vermeiden kann. Zu 8. Auch wenn die freie Entscheidung die gehabte Rechtheit bewahren kann, kann sie es gleichwohl nicht, wenn sie sie nicht hat. Zu 9. Die freie Entscheidung hat dazu, daß sie des verdienstlichen Guten nicht fähig ist, keine Bindung nötig, denn es übersteigt schon ihre Natur. Z. B. kann der Mensch ja auch nicht fliegen, selbst wenn er nicht gebunden ist. Zu den Gegeneinwänden aber ist die Lösung offenkundig, denn sie gehen entweder vom verdienstlichen Guten aus, oder sie zeigen, daß der Mensch ohne die Tätigkeit Gottes nichts Gutes tun kann.
15. Artik el Die fünfzehnte Frage lautet: Kann der Mensch sich ohne Gnade darauf vorbereiten, die Gnade zu haben?330 Dies scheint der Fall zu sein, denn: 329 Augustinus, De nat. et grat. 69 (PL 44, col. 289 f.). 330 Paralleltexte: Sent. II, d. 5, q. 2, a. 1; Sent. II, d. 28, a. 4; Sent. IV,
d. 17, q. 1, a. 2, sol. 2; ScG III, 149; Sum. theol. I, q. 62, a. 2; I–II, q. 109, a. 6; Quodl. I, q. 4, a. 2 und 7; Super Ioh. c. 1, lect. 6; Super Hebr. cap. 12,
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1. Der Mensch wird nämlich vergeblich zu etwas angeleitet, was er nicht tun kann. Der Mensch wird aber dazu angeleitet, sich auf die Gnade vorzubereiten, gemäß Sacharja 1, 3: »Bekehrt euch zu mir, und ich werde mich zu euch bekehren.« Also kann sich der Mensch ohne Gnade auf die Gnade vorbereiten. 2. Das scheint so zu sein nach dem, was im Buch der Apokalyse (3, 20) steht: »Wenn mir jemand auftut, werde ich bei ihm eintreten.« Also scheint es, daß es dem Menschen zukommt, sein Herz Gott zu öffnen, d. h. sich auf die Gnade vorzubereiten. 3. Nach Anselm331 ist der Grund, warum jemand die Gnade nicht hat, nicht, daß Gott sie ihm nicht gibt, sondern daß der Mensch sie nicht annimmt. Das wäre aber nicht so, wenn sich der Mensch ohne die Gnade nicht darauf vorbereiten könnte, die Gnade zu haben. Also kann sich der Mensch durch die freie Entscheidung auf die Gnade vorbereiten. 4. Jesaia (1, 19) sagt: »Wenn ihr wollt und mich hört, werdet ihr die Güter der Erde essen.« Und so steht es im Willen des Menschen, daß er zu Gott hinzutritt und mit Gnade erfüllt wird. Dagegen spricht: 1. Es heißt im Johannesevangelium (6, 44): »Niemand kann zu mir kommen, es sei denn der Vater, der mich geschickt hat, ziehe ihn.« 2. Im Psalm heißt es:332 »Sende aus Dein Licht und Deine Wahrheit, dieselben haben mich geführt« usw. 3. Indem wir beten, erbitten wir von Gott, daß er uns zu sich bekehrt; das geht hervor aus dem Psalm: »Bekehre uns, Gott, unser Heil«333 usw. Es wäre aber nicht nötig, daß der Mensch darum bittet, wenn er sich durch die freie Entscheidung auf die Gnade vorbereilect. 3. Lit.: Lawler, Michael: »Grace and Free Will in Justification: A Textual Study in Aquinas«, in: The Thomist 35 (1971), 601–630. 331 Anselm von Canterbury, De casu diaboli 3 u. 4 (PL 158, col. 331 u. 333; Opera omnia I, ed. Schmitt, 236–243). 332 Psalm 42, 3; Vulgata: »mitte lucem tuam et veritatem tuam ipsae ducent me et introducent ad montem sanctum tuum et ad tabernaculum tuum.« 333 Psalm 84, 5; die Vulgata hat: »Converte nos Deus Iesus noster.« Tho-
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ten könnte. Also scheint es, daß der Mensch dies ohne die Gnade nicht kann. Antwort: Einige334 sagen, daß der Mensch sich nicht darauf vorbereiten kann, die Gnade zu haben, es sei denn durch eine ungeschuldet gegebene Gnade.335 Das scheint allerdings nicht wahr zu sein, wenn sie unter einer ungeschuldet gegebenen Gnade eine Art habitualer Gnadengabe verstehen; und dies aus zwei Gründen: Erstens, weil die Vorbereitung auf die Gnade als notwendig angesetzt wird, um einen irgendwie gearteten Grund unsererseits aufzuzeigen, aus welchem einigen die heiligmachende Gnade gegeben wird, und einigen nicht. Wenn jedoch auch die Vorbereitung auf die Gnade selbst nicht ohne irgendeine habituale Gnade sein kann, dann wird diese Gnade entweder allen gegeben oder nicht. Wenn sie allen gegeben wird, dann scheint sie nichts anderes zu sein als eine natürliche Gabe, denn es findet sich, daß die Menschen nur in etwas Natürlichem übereinkommen. Selbst diese natürlichen Dinge aber können Gnaden genannt werden, insofern sie dem Menschen von Gott ohne Vorleistung gegeben werden. Wenn sie aber nicht allen gegeben werden, wird es nötig sein, wiederum zur Vorbereitung zurückzukehren und aus demselben Grund eine andere Gnade anzunehmen, und so ins Unendliche; also ist es besser, daß man beim Ersten stehenbleibt. mas’ Wortlaut stimmt mit der Neo-Vulgata (»Converte nos, Deus, salutaris noster«) überein. 334 Bonaventura, Sent. II, d. 28, a. 2, q. 1c und ad 5 (Opera omnia, Quaracchi 1882–1902, II (1885), 682a, 683b); Brevil. V, 2 (V (1893), 254a); [Pseudo-?]Albertus Magnus, Sum. theol. II, tr. 16, q. 100, m. 1 sol. und ad 1 (ed. Borgnet XXXIII, 246 a); Simon von Tournai, Disputationes 78, 3 (ed. Joseph Warichez, Louvain 1932, 227); Augustinus, Ench. XXVIII, 106 (PL 40, col. 282; CCSL 46, 106); Retract. I, 23 (PL 32, col. 622; CCSL 57, 67–70). 335 Gratia gratis data ist normalerweise ein terminus technicus für Charismen, d. h. solche Gnaden, die für die Hilfe und Heiligung anderer gegegeben werden, im Unterschied von der heiligmachenden Gnade (gratia gratum faciens). Thomas scheint den Begriff hier etwas unspezifischer und zugleich wörtlicher zu gebrauchen.
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Zweitens, weil das Sich-Vorbereiten auf die Gnade auf andere Weise das »Tun-was-in-einem-ist« genannt wird – so wie es gebräuchlich336 geworden ist, zu sagen, daß, wenn der Mensch tut, was in ihm ist, Gott ihm die Gnade gibt. Das aber wird »in jemandem sein« genannt, was in seiner Macht ist. Wenn daher der Mensch sich nicht durch die freie Entscheidung auf die Gnade vorbereiten kann, dann wird das »Tun was in einem ist« nicht das Sich-Vorbereiten auf die Gnade sein. Wenn sie aber unter der »ungeschuldet gegebenen Gnade« die göttliche Vorsehung verstehen, welche barmherzigerweise den Menschen zum Guten leitet, dann ist es wahr, daß der Mensch ohne Gnade sich nicht auf den Besitz der heiligmachenden Gnade vorbereiten kann. Das zeigt sich auf zweifache Weise: Erstens, weil es unmöglich ist, daß der Mensch anfängt, etwas von Neuem zu wollen, außer es gibt etwas, das ihn bewegt. Z. B. geht aus Aristoteles im 8. Buch der Physik 337 hervor, daß es den Bewegungen der Tiere nach der Ruhe notwendig ist, daß ihnen andere Bewegungen vorhergehen, durch welche die Seele aufgeregt wird. So ist es auch notwendig, daß, wenn der Mensch beginnt, sich auf die Gnade vorzubereiten, indem er von Neuem seinen Willen zu Gott bekehrt, er darauf durch einige äußere Gelegenheiten hingeführt wird, wie z. B. durch äußere Ermahnung oder körperliche Krankheit oder anderes von dieser Art. Oder durch einen inneren Antrieb, gemäß welchem Gott in den Gemütern der Menschen tätig ist. Oder auch auf beide Weise. Dies alles aber wird dem Menschen aus göttlicher Barmherzigkeit bereitet. Und so geschieht es aus göttlicher Barmherzigkeit, daß er Mensch sich auf die Gnade vorbereitet. Zweitens, weil nicht jede Bewegung des Willens hinreichende Vorbereitung auf die Gnade ist, so wie auch nicht jeder Schmerz hinreichend ist zur Nachlassung der Sünde; vielmehr braucht es einen bestimmten Modus. Dieser freilich ist dem Menschen nicht bekannt, weil auch die Gnadengabe selbst das Wissen des Menschen 336 Vgl. Wilhelm von Auxerre, Summa aurea III, tr. 10 c. 1 q. 5 (ed. Pigouchet, Paris 1500, f. 123r; ed Ribaillier III/1, 124). 337 Aristoteles, Phys. VIII, 2; 253 a 11–20 und 6; 259 b 3 ff.
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übersteigt. Der Modus der Vorbereitung auf eine Form kann nämlich nicht gewußt werden, wenn die Form selbst nicht erkannt wird. Wann immer aber zum Tun einer Sache ein gewisser Modus der Tätigkeit erforderlich ist, während der Tätige unwissend ist, dann braucht der Tätige einen Lenker und Leiter. Von daher zeigt sich, daß die freie Entscheidung sich nicht auf die Gnade vorbereiten kann, es sei denn sie wird dazu göttlich angeleitet. Und wegen dieser zwei Gründe wird Gott in der Schrift in doppelter Redeweise angefleht, daß er diese Vorbereitung auf die Gnade in uns bewirken möge: zum einen indem wir bitten, daß er uns bekehren möge, gleichsam uns von dem, worin wir waren, zu sich kehrend. Und dies geschieht aus dem ersten Grund, wie wenn gesagt wird: »Bekehre uns, Gott, unser Heil.«338 Zum anderen indem wir bitten, daß er uns leiten möge, so wie wenn gesagt wird »Leite mich in Deiner Wahrheit«339 – und dies aus dem zweiten Grund. Zu 1. Es wird uns angekündigt, daß wir uns zu Gott bekehren sollen, weil wir das tun können, aber nicht ohne göttliche Hilfe. Daher erbitten wir auch von ihm in den Klageliedern »Bekehre uns, Herr, zu Dir, und wir werden uns bekehren.«340 Zu 2. Wir können Gott unser Herz öffnen, aber nicht ohne göttliche Hilfe. Daher wird von ihm in 2. Makkabäerbuch (1, 4) erbeten: »Der Herr öffne euer Herz« usw. Und so ist auch auf die anderen Einwände zu antworten, denn der Mensch kann sich weder vorbereiten noch wollen, wenn Gott dies nicht in ihm bewirkt, wie gesagt worden ist.
338 Psalm 84, 5. 339 Psalm 24, 5. 340 Klagelieder 5, 21.
NACHWORT
I. Zum Text: Aufbau und Übersetzung Die Quaestiones Disputatae De Veritate stammen aus der Frühzeit des Hl. Thomas. Sie entstanden während seiner ersten drei Jahre als Magister an der Universität in Paris (1256–1259). Die 29 Quaestionen mit 253 Artikeln können grob in zwei Teile eingeteilt werden: der erste (q. 1–20) handelt von Erkenntnis und Wahrheit (daher der Titel des gesamten Werkes), der zweite vom Guten und dem Streben danach. Letzterer beginnt mit der Quaestio 21, d. h. mit dem vorliegenden Band. Das Verhältnis beider Teile, nämlich der Zusammenhang des Willens und des Guten mit der Erkenntnis, wird uns weiter unten im Nachwort beschäftigen, ebenso wie dessen Behandlung in diesem Frühwerk im Verhältnis zu späteren Texten. Die diesem Band folgenden Quaestionen behandeln das nicht-vernünftige Streben, d. h. das emotionale Streben, aber auch die übernatürliche Vervollkommnung des Strebens durch die Gnade – ähnlich wie schon im Fortgang des ersten Teil die Erkenntnis auch in übernatürlicher Hinsicht betrachtet wird. Der Frage der Gnade ist freilich auch schon Teil der Behandlung des freien Willens in diesem Band (nämlich Quaestio 24, Artikel 7–15). Die langen Listen von Einwänden und Antworten innerhalb jedes Artikels reflektieren sicher nicht die Praxis der Lehr-Disputationen, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit deren spätere Edition und Publikation, d. h. im Anschluß an den Lehrbetrieb.1 Wir haben hierzu ausnahmsweise die Handschrift des ursprünglichen Diktates des Aquinaten, nämlich die Quaestiones 1–22 (somit unter Einschluß der ersten beiden hier vorliegenden Fragen). Sie zeigen Tho-
1 Dies jedenfalls ist die Schlußfolgerung von J.-P. Torrell: Saint Thomas Aquinas I. The Person and His Work (Washington, D.C.: CUA Press, 2005), 62.
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mas’ konzentrierte editorische Arbeit im Detail, vermutlich unter Benutzung seiner Notizen aus dem Unterricht.2 Dieser Übersetzung liegt die maßgebliche, 1973 erschienene kritische Ausgabe der Commissio Leonina zugrunde.3 Sie hält sich eng an das Original, sodaß sie als Lesehilfe für den lateinischen Text dienen kann. Weitgehend, aber nicht in jedem Fall, ist eine Eindeutschung technischer Ausdrücke angestrebt worden, aber nicht im Sinne bemühter Etymologien (z. B. wurde substantia als »Substanz« übersetzt, nicht als »Selbstandwesen« wie in manchen älteren Übersetzungen). Während es komplette neuere Übersetzungen von De Veritate ins Englische4 und Italienische5 gibt, haben wir im Deutschen bislang nur die verdienstvolle ältere Übersetzung der heiligen Edith Stein, die freilich in Anpassung an den zeitgenössischen Leser die Einwände und ihre Antworten zusammengefaßt und an das Ende des Artikels gerückt hat. Dabei hat sie auch eine Reihe von Einwänden und Antworten einfach weggelassen, wenn sie ihr nicht wichtig erschienen. Ihre Übersetzung ist jedoch immer noch lesenswert, und ist seit 2008 wieder zugänglicher, nämlich in der neuen Gesamtausgabe.6 Hinsichtlich der hier vorliegenden Quaestionen gibt es Übersetzungen der einen oder anderen Einzelfrage ins Englische,7 Spani2 Vgl. hierzu Torrell (2005), 64 f. 3 Quaestiones disputatae de veritate. Quaestiones 21–29; Sancti Tho-
mae de Aquino Opera omnia iussu Leonis XIII P. M. edita, t. 22/3.1 (Roma: Editori di San Tommaso, 1973). 4 Mulligan, Robert W.; McGlynn, James V.; Schmidt, Robert W.: Truth; 3 vols. vol. 1: q. 1–9; vol. 2: q. 10–20; vol. 3: q. 21–29 (Chicago 1952–1954); reprint Indianapolis 1994 (= Library of Living Catholic Thought); hier finden sich hilfreiche Fußnoten. 5 Sulla verità, Introd., trad., note e apparati di Fernando Florentino (Il pensiero occidentale); (Mailand: Bompiani, 2005). 6 Stein, Edith: Des Hl. Thomas von Aquin Untersuchungen über die Wahrheit (Quaestiones Disputatae De Veritate). In Deutscher Übertragung von Edith Stein. Mit einem Geleitwort von Martin Grabmann. I. Bd. (Quaestio 1–13) – II. Bd. (Quaestio 14–29). Breslau 1931–1932; jetzt in: Edith Stein-Gesamtausgabe, Bd. 23–24, (Freiburg: Herder, 2008). 7 Goodwin, Robert P.: On Free Choice (q. 24); in: Goodwin, Robert P.: Selected Writings of St. Thomas Aquinas: The Principles of Nature, On
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sche8 und Deutsche.9 Auf Deutsch ist unser Text aber die erste vollständige Übersetzung dieses Abschnittes, da E. Steins Text Auslassungen enthält. II. Die neuzeitliche Problemstellung Während philosophiegeschichtliche Studien die Texte und Fragen untersuchen, auf die ein Autor in seiner eigenen Zeit geantwortet hat, versucht dieses Nachwort Thomas auch als eine Antwort auf dasjenige zu verstehen, was nach ihm kam. Die folgende Skizze einiger neuzeitlicher Perplexitäten soll den Hintergrund abgeben, auf welchem die unveränderte Aktualität der Konzeption des heiligen Thomas sichtbar wird. Being and Essence, On the Virtues in General, On Free Choice (Indianapolis 1965). 8 Sellés Dauder, Juan Fernando: De veritate, Cuestión 21. Sobre el bien. Introducción, traducción y notas de Juan Fernando Sellés (= Cuadernos de Anuario filosófico. Serie universitaria; 78) (Pamplona 1999). Sellés Dauder, Juan Fernando: Tomás de Aquino. De veritate, Cuestión 22. El apetito del bien. Introducción, traducción y notas de Juan Fernando Sellés (= Cuadernos de Anuario filosófico. Serie universitaria; 131); (Pamplona 2001). Soaje, G.; Corbi, G.: Quaestiones disputatae de veritate, q. 21: De bono. Lateinisch und Spanisch; in: Ethos (Buenos Aires) n. 6–7 (1978/1979), 245– 309. 9 Welte, Bernhard: De appetitu boni et voluntate (q. 22); De libero arbitrio (q. 24); in: Welte, Bernhard: Über das Böse. Eine thomistische Untersuchung. Freiburg 1986 (= Quaestiones Disputatae; 6), 33–53. Wehbrink, Placidus: De appetitu boni et voluntate (q. 22); De libero arbitrio (q. 24); in: Die menschliche Willensfreiheit. Texte zur thomistischen Freiheitslehre, ausgewählt und mit einer Einleitung versehen von Gustav Siewerth. Übersetzung von P. Placidus Wehbrink. Düsseldorf 1954, 163 ff.; 227 ff. Heinzmann, Richard: De appetitu boni et voluntate (q. 22); De libero arbitrio (q. 24); in: Heinzmann, Richard: Thomas von Aquin. Eine Einführung in sein Denken. Mit ausgewählten lateinisch-deutschen Texten. Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer 1994, 180 ff.; 186 ff. [= Übersetzung von P. Wehbrink].
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A Das Subjekt: der Wille Die Freiheit des Willens wird in der Neuzeit betont und ist dennoch zugleich im Verschwinden begriffen.10 Für Arthur Schopenhauer z. B. ist der noumenale Wille gleichsam das unvordenkliche Wesen der Wirklichkeit selbst. Als erscheinender Wille aber ist er keineswegs unvordenklich, sondern vom Denken in der Vorstellung determiniert; die Motive als bewegende Ursachen bestimmen ihn vollständig. Dies reflektiert eine Problemstellung des neuzeitlichen Denkens seit Descartes: die Wirklichkeit wird als ein widerständiges Gegenüber des Willens aufgefaßt, welcher selbst darin keinen Ort mehr hat. Es liegt nun freilich im Interesse des Willens und seiner Freiheit selbst, daß die gegenständliche Realität als determiniert, d. h. prognostizierbar und kontrollierbar gedacht werden kann. Das Resultat ist aber, daß willentliche Phänomene in einer so verstandenen Wirklichkeit nicht mehr vorkommen können. Zwar wird die Freiheit des Willens (im Sinne von willkürlichen Optionen und Kontrollen) dadurch erhöht: je größer die Determination, desto größer auch die Freiheit und ihre Macht der Manipulation; zugleich aber werden diese Freiheit und der Wille selbst ortlos. Konsequent mechanistische Theorien ziehen denn auch die Konsequenz, nicht nur den Willen im herkömmlichen Sinne abzuschaffen, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene seinen Träger, den Menschen, einer sozialtechnologischen Kontrolle zu unterziehen (z. B. Hobbes, La Mettrie).11 Das Streben nach Freiheit durch Kontrolle eliminiert in der Konsequenz die Freiheit selbst; Selbsterhaltung führt zur Selbstauslöschung. Der Wille zur Macht endet im amor fati. Dieselbe Dialektik von Determinismus und Freiheit gilt auch für den Willen Gottes, der der Wirklichkeit allererst seine wissen10 Das folgende mag – zur Eröffnung einer Problemlage – idealtypisch verstanden werden; andernorts wären sicher Differenzierungen anzubringen. 11 Auf der anderen Seite gibt es auch – dialektisch dazu – den wesenlosen Aufstand der Spontaneität dagegen, einschließlich seiner existentialistischen Varianten; vgl. Fabro, Cornelio: »Freedom and Existence in Contemporary Philosophy and in Saint Thomas«, in: The Thomist 38 (1974), »Centenary of St. Thomas Aquinas 1274–1974«, 524–556.
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schaftlich erkundbare Struktur gibt: Descartes erbt den nominalistischen verborgenen Willkürgott, der absolut frei ist, aber in der von ihm erschaffenen Wirklichkeit nicht mehr vorkommt. Zwar ist die Struktur der Wirklichkeit bei Descartes mathematisch intelligibel, aber das offenbart nichts von Gottes Güte, Wesen oder Weisheit. Diese Struktur ist selbst opak hinsichtlich ihres Grundes. Ein solcher Grund ist also, wie Schopenhauers Wille, dunkel und irrational, ein »Ding an sich«. Und ebenso wie der Wille des Menschen darf der Wille Gottes in den von ihm erschaffenen deterministischen Strukturen nicht mehr vorkommen. Wunder z. B. sind nicht möglich. Auch hier endet absolute Willkür in der Abwesenheit von Freiheit. Während Descartes für die Begründung der mathematisch-mechanistischen Strukturen immer noch an einen (wenn auch verborgenen) Schöpfergott appelliert, ist dies normalerweise für das zeitgenössische wissenschaftliche Weltbild tabu. Der Grund für die wissenschaftliche Rationalität wird damit vollständig irrational; die Intelligibilität der Welt wird unverständlich. Es kommt darin aber auch gar kein Wille mehr vor. Je mehr der Wille also zur bloßen Willkür verkommt, desto mehr verschwindet er aus der Wirklichkeit. B Sein Objekt: das Gute Dasselbe aber gilt auch für das Objekt des Willens: das Gute. Das Objekt bloßer Willkür ist ein factum brutum, eine verdinglichte Wirklichkeit, die als bloße Gegenständlichkeit und Widerständigkeit12 für die Willensmacht verstanden wird. Das Gute findet sich darin nicht. Als bloß faktisch determinierter Zusammenhang hat die Wirklichkeit keine normativen Züge mehr. Sie ist nicht mehr ein teleologischer Zusammenhang, der einem Willen Orientierung verspricht, sondern ein deterministischer Zusammenhang, ein kontrollierbares Objekt der Willkür. So wird also nicht nur der Wille 12 Z. B. M. Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos (Bern / München: Francke 1966), 55. Schon bei Fichte ist sie das Charakteristikum des Objektseins für die Freiheit.
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ortlos, sondern auch das Gute – anders als für Thomas von Aquin sind das Sein und das Gute nicht mehr konvertibel. Die neuzeitliche Trennung von Sein und Sollen, fact und value, ought und is, hat hier ihren Ursprung; Empirismus, Existentialismus, Wertphilosophie, Kantianismus und Analytische Philosophie sind sich darin weitgehend, aber problematischerweise einig. Will man nun diese Spaltung überwinden, setzt dies nichts weniger voraus, als eine metaphysische Theorie der Wirklichkeit als Ganzer. Hegel hat dies verstanden (und seine Nachfolger fanden es zu ambitioniert). Hegel fragt richtig: wenn das Sollen streng vom Sein getrennt ist, warum soll dann überhaupt irgendetwas sein?13 Wäre es dann nicht in der Tat konsequenter, das Gute vom Sein ganz zu trennen, und mit Schopenhauer die Verneinung des Willens zum Leben als das summum bonum zu erklären?14 Hegel selbst schlägt das Gegenteil vor und tendiert dann freilich in der Konsequenz zur Überbetonung15 der Normativität des Faktischen: das Wirkliche ist das Vernünftige (und Gute), und das Vernünftige ist das Wirkliche. Mit anderen Worten: der Zusammenfall von Sein und Sollen bleibt abstrakt und unqualifiziert, die Weltgeschichte wird zum Weltgericht, zu einer Geschichte der Sieger. Auf jeweils genau entgegengesetzte Weise findet sich dies auch bei Spinoza und Nietzsche: für Spinoza ist alles, wie es sein soll, weil ohnehin alles mit absoluter, geometrischer Notwendigkeit existiert und geschieht. Für Nietzsche ist umgekehrt alles wie es sein 13 Und a fortiori, warum soll es, im utilitaristischen oder konsequentialistischen Sinne, moralisch gut sein, »nicht-moralische Güter« zu befördern? Vgl. auch Veatch, Henry Babcock: »Are There Non-Moral Goods?«, in: The New Scholasticism 52 (1978), 471–499. Es sei denn, das moralische Gute wird schon als eine Unterklasse des ontologisch Guten aufgefaßt (Childress, Marianne: »Efficient Causality in Human Actions«, in: The Modern Schoolman 28 (1951), 191–222). Tatsächlich sind Glück und gutes Leben immer schon moralisch relevant, und Moral kann nicht umgekehrt als Zweckrationalität vom guten Leben abgelöst werden. 14 Oder auch sich der Annihilations-Politik des Terrors in der Französischen Revolution anzuschließen, der »Furie des Verschwindens«. 15 Diese Gefahr ist das Gegenstück zur Furie des Verschwindens: die zynische Affirmation des Bestehenden.
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soll, weil es keine Alternative zum bloß faktisch Geschehenen gibt. Diese Faktizität ist aber nur die Notwendigkeit des Vergangenseins (necessitas per accidens), die Notwendigkeit des »umfassenden Zufalles« (Karl Löwith), welcher durch seine ewige Wiederkehr seine sollensmäßige Affirmation erhält. Entsprechen Sein und Sollen in gewisser Weise den Vermögen der Vernunft und des Willens (die Vernunft sagt, wie es ist, der Wille strebt nach der Verwirklichung dessen was sein soll), so ist es ganz konsequent, daß Spinoza den Willen auf die Vernunft reduziert (Erlösung als Gnosis, als amor Dei intellectualis), Nietzsche aber die Vernunft auf den Willen (als Ausdruck des Willens zur Macht). Beide Extreme sind sich aber darin einig, daß Sein und Sollen eins sind. Liest man Thomas auf diesem Hintergrund, dann wird deutlich, wie sehr die Einheit von Sein und Sollen bei Thomas ein Balanceakt ist, welcher alle nötigen Differenzierungen und Innenspannungen hinsichtlich des Seins und des Sollens, des Willens und der Vernunft, bewahrt. III. Die Antwort des Thomas von Aquin In den vorliegenden Quaestionen aus De veritate zeichnet Thomas von Aquin ein Bild der Wirklichkeit, das sowohl dem Willen als auch seinem Objekt einen Ort in der Wirklichkeit anweist, der weder eine abstrakte und dialektische Trennung beinhaltet, noch platterdings einen Zusammenfall beider impliziert. Zwar ist das Gute mit dem Sein konvertibel, aber durchaus auf differenzierte Weise; zwar ist das Streben ein Charakteristikum alles Seienden, aber doch nicht in derselben Weise. Dies gilt es im folgenden zu explizieren.
A Sein und Sollen: Spannung und Konvertibilität Daß das Sein mit dem Guten konvertibel ist, fügt sich insbesondere in die neuplatonischen Formen des Denkens ein. Zwar ist hier das Gute selbst dem Sein noch vorgeordnet, aber gerade darum ist das
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Sein als Ausfluß des Guten selbst gut. Dieser Ausfluß ist ein hierarchisch gestufter, und insofern gibt es Grade des Seins und des Guten. Wir können hierin bereits eine erste Differenzierung von Sein und Sollen erkennen. Sie ist aber noch nicht hinreichend. Diese Tradition des Denkens, die sich stärker noch als bei Thomas bei seinem Lehrer Albert findet (und in seiner Schule z. B. bei Ulrich von Straßburg16), steht nämlich immer noch in einer gewissen Spannung mit der Freiheit Gottes: Der christliche Schöpfergott, der sich zur Welt als freier Schöpfer verhält und ihr in der Heilsgeschichte dialogisch gegenübersteht, eröffnet auch im philosophischen Denken eine Dimension der Transzendenz, dergemäß an der Wurzel der Wirklichkeit nicht nur ein notwendiger Ausfluß aus dem Guten steht, sondern die freie Wahl eines personalen Gottes. Es ist also das christliche Verständnis selbst, welches so eine größere Spannung zwischen Sein und Gutsein eröffnet. Daß Gott auch anderes und sogar besseres hätte erschaffen können (Abälard und Leibniz zum Trotz17), bedeutet, daß diese Welt »sehr gut« ist, aber nicht in einem unqualifizierten Sinne. (Freilich ist auch das noch einmal gut, wenn denn diese Freiheit Gottes selbst ein Gutes ist.) Die auf Thomas folgende nominalistische und voluntaristische Tradition verstärkt diese Spannung, und tendiert zu einer wachsen16 Wohl nicht zufällig schreiben beide (ebenso wie Philipp der Kanzler) eine »Summa de bono«. Für Albert ist das Seiende zwar das Erste, vor dem Guten; daß Dionysius das Gute als Erstes nimmt, kann aber nach der Ordnung der Finalursächlichkeit gerechtfertigt werden, weil das Ziel die causa causarum ist. Aertsen, Jan A.: »Transzendental II«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. X (Basel: Schwabe, 1998), Sp. 1360–1365, hier 1362. 17 Und auch der Thomas-Interpretation von A. O. Lovejoy zum Trotz. Zur Debatte zwischen diesem und H. B. Veatch vergleiche auch A. Pegis’ Korrekturen an Lovejoys Thomas-Lektüre. Pegis, Anton Charles: »›Principale Volitum‹: Some Notes on a Supposed Thomistic Contradiction«, in: Philosophy and Phenomenological Research 9 (1948), 51–70. Nach L. Dewan gebraucht Thomas moralische Begriffe um eine Neigung Gottes zur Schöpfung zu beschreiben (decentia, convenientia, liberalitas etc.); eine Verpflichtung im eigentlichen Sinne ist das aber nicht; Dewan, Lawrence: »St. Thomas, God’s Goodness, and God’s Morality«, in: The Modern Schoolman 70 (1992), 45–51.
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den Trennung von Sein und Sollen; hinsichtlich der Güte des Schöpfers wird die geschaffene Wirklichkeit somit für dieses Denken immer opaker, wie eingangs angedeutet. Im Rückblick wird deutlich, wie Thomas in gewisser Weise am Schnittpunkt zwischen Emanation und Voluntarismus, zwischen Notwendigkeit und Kontingenz steht. Konvertibilität in zweifacher Relation Zunächst einmal bestätigt Thomas rückhaltlos, daß das Sein mit dem Guten konvertibel ist. Darin steht er nicht nur in gewissen platonischen Traditionen des bonum diffusivum sui, wie sie wohl vornehmlich durch Alberts Dionysius-Kommentare zu ihm kamen, sondern auch der Erörterung der Transzendentalien, wie sie von Aristoteles’ Ausführungen über das Eine und das Seiende im 4. Buch der Metaphysik ihren Ausgang nahmen, und vermittelt durch Avicennas Diskussion der Erstbegriffe18 auf dem Wege über Philipp den Kanzler zu einem Lehrstück der Hochscholastik wurden. Thomas selbst beginnt De veritate mit einer Erörterung dieser Begriffe und ihrer Systematik. In den hier vorliegenden Quaestionen gelangt er nun zur Frage nach dem Guten. Thomas bejaht also, daß das Gutsein eine Eigenschaft des Seins selbst ist. Das Sein wird nicht vollständig verstanden, wenn es nicht als gut verstanden wird.19 Dies muß freilich differenziert werden. Im eigentlichen Sinne spricht man nämlich vom Gutsein des Seins 18 Vgl. u. a. Milcarek, Pawel: »Avicennian Origins of the Doctrine on the Transcendentals« (in Polnisch), in: Studia Philosophiae Christianae 39 (2003), 219–226; Aertsen, Jan A.: Medieval Philosophy and the Transcendentals: The Case of Thomas Aquinas (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters, 52; Leiden / New York: Brill, 1996); Aertsen, Jan A.: »The Philosophical Importance of the Doctrine of the Transcendentals in Thomas Aquinas«, in: Revue Internationale de Philosophie 52/204 (1998), 249–268; Jordan, Mark D.: »The Grammar of esse: Re-Reading Thomas on the Transcendentals«, in: The Thomist 44 (1980), 1–26. 19 Vgl. auch Riesenhuber, Klaus: Die Transzendenz der Freiheit zum Guten. Der Wille in der Anthropologie und Metaphysik des Thomas von Aquin (Diss.; Pullacher philosophische Forschungen, 8; München: Berchmanskolleg, 1971), 2 f.
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nur in Beziehung zum menschlichen Subjekt einerseits, und zu Gott andererseits: α) In Beziehung zum Subjekt Mit Albertus Magnus meint Thomas, daß die Konvertibilität des Seins mit dem Guten nur der Extension nach, nicht aber der begrifflichen Intension20 nach besteht.21 Das heißt: Gott kann zwar nichts erschaffen, das nicht kraft seines Seins gut wäre, aber das bedeutet nicht, daß man nicht vom Gutsein abstrahieren könnte, daß also das Sein nicht ohne das Gutsein gedacht werden könnte.22 Insofern ist das Gutsein also nicht logisch oder analytisch abzuleiten.23 Das Gutsein impliziert analytisch das Sein, nicht aber umgekehrt.24 Das Sein geht dem Guten in diesem Sinne voraus, und in sofern gilt: maxime primum est ens.25 In diesem wohlverstandenen Sinne kann man vielleicht von einer Differenz von Sein und Gutem oder von Sein und Sollen sprechen. Gleichwohl ist der Sinn von Sein dem Sein nicht äußerlich. Wie könnte dem Sein auch etwas äußerlich sein, ohne nicht zu sein?26 20 Die Parallele zu Sinn und Bedeutung (sense and reference) auch bei Stump, Kretzmann und MacDonald; vgl. MacDonald, Scott (Hg.): Being and Goodness: The Concept of the Good in Metaphysics and Philosophical Theology (Ithaca, New York: Cornell University Press, 1991), 17 und 33 ff. In der Sum. theol. I, q. 59, a. 2 ad 2 macht Thomas die Unterscheidung nach Formal- und Materialobjekt. Vgl. auch Riesenhuber (1971), 127. 21 Vgl. auch Riesenhuber, Klaus: »Gut III«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. III (Basel: Schwabe, 1974), Sp. 951–960, hier 955. D. h. sie sind secundum supposita konvertibel, denn sonst wäre das Gute so etwas wie eine spezifische Differenz, das Sein also eine Gattung; sie sind aber nicht synonym, d. h. bloß dem Namen nach verschieden, sondern secundum rationem verschieden; De ver. q. 21, a. 1 und 2. 22 De ver. q. 22, a. 1 ad sc. 2. 23 M. Jordan (1980) scheint dies mehr deduktiv zu sehen. Riesenhuber (1971), 13, betont die Dialektik. 24 Vgl. auch Riesenhuber (1971), 33. 25 De Pot. q. 9, a. 7 ad 6. 26 »Non autem potest esse quod super ens universale aliquid addat aliquid primo modo, …; nulla enim res naturae est quae sit extra essentiam entis universalis«; De ver. q. 21, a. 1c.
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Zwar besagen das Gute und das Wahre gegenüber dem Seienden eine zusätzliche Relation zu einem Subjekt,27 d. h. eine Beziehung zu dem Willen und der Vernunft einer Seele28 (und das ist neu bei Thomas29); aber dieses Subjekt und seine Vermögen sind ja selbst etwas Seiendes. Und umgekehrt: wie könnte das Gute wirklich gut sein, ohne wirklich zu sein? Das Sein ist ja selbst das Vollkommenste,30 und gerade der Wille geht auf das wirkliche, äußere Objekt als sein Gutes, nicht nur auf ein gedachtes Gutes. Als Wahres und Gutes reflektiert das Sein also sich selbst und setzt sich zu sich selbst in Beziehung. Es vertieft sich in sich und schließt sich mit sich selbst zusammen.31 Die Substanz ist insofern tatsächlich Subjekt, auch wenn sich das nur bei geistigen Wesen explizit in Wille und Vernunft entfaltet. Wille (bonum) und Vernunft (verum) sind also aus einer Selbstreflektion oder einem Zirkel des Seins selbst abzuleiten,32 und zwar gerade als Gutes.33 Differenzierend wird man allerdings sagen müssen, daß dies als Reflexion weder bei Gott noch im untermenschlichen Bereich zu finden ist.34 Tiere haben weder Wille und 27 De ver. q. 21, a. 2 ad 5. 28 De ver. q. 1, a. 1. 29 Albert deutet es nur an; Alexander von Hales und Philipp der Kanz-
ler andererseits argumentieren mit den aristotelischen Ursachen, was Thomas ganz fallenläßt. Elders, Leo: The Metaphysics of Being of St. Thomas Aquinas in a Historical Perspective (Leiden: E. J. Brill, 1993), 50–62. Vgl. aber De ver. q. 21, a. 6 sc. 3. 30 Malik, Joseph: »Der Begriff des Strebens bei Thomas von Aquin«, in: Philosophisches Jahrbuch 70 (1962), 34–66, hier 48. 31 Vgl. auch Malik (1962), 57 f. 32 So auch Siewerth, Gustav: »Die transzendentale Selbigkeit des ens und des bonum«, in: Philosophisches Jahrbuch 68 (1960), 370–381; das verum sei die Gelichtetheit des Seins als nicht-Nichtsein. Dieses Selbstverhältnis wäre die Wurzel des Urteils [als Urteilung] oder intellectus dividens et componens. Ibid. 379. 33 »… a bono egredientia, in bonum tendunt«; Sent. IV, d. 49 q. 1, a. 3 qc. 1c. Vgl. auch Aertsen, Jan A.: »The Convertibility of Being and Good in St. Thomas Aquinas«, in: New Scholasticism 59 (1985), 449–470, hier 467 ff. 34 Man kann freilich das Gute und Wahre auch dort finden, wenn man z. B. mit Philipp dem Kanzler (und Aivcenna) das Wahre als die Ungeteiltheit von Sein und Wesen, das Gute als die Ungeteiltheit von Akt und Potenz versteht (Summa de bono 1–3).
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Vernunft, Gott aber hat zwar Wille und Vernunft und ist sogar in seinem Sein auf exemplarische Weise gut, aber sein Sein, sein Wille und seine Vernunft stehen in einfacher (nicht-relationaler) Identität. Reflexion und Selbstauslegung des Seins sind insofern keine Eigenschaft des Seins als solchen ist, sondern nur des endlichen Seins.35 Andererseits ruft die exemplarische Einfachheit Gottes in Erinnerung, daß man die Auslegung des Seins nicht auf (menschliche) Bewußtseinsstrukturen reduzieren darf.36 Zum einen also kommt das Gute des Seins erst sekundär zur Erscheinung, nämlich als eigentümlicher Gegenstand des Strebens; mit Aristoteles:37 bonum est quod omnia appetunt. Zum anderen aber bedeutet dies weder einen Subjektivismus, noch macht es das Gute zu etwas, das dem Sein äußerlich ist. Das Wollen, in welchem das Gute als solches gegeben ist, ist nämlich nicht einfach anthropologisch begründet, sondern eine Struktur des Seins selbst. Das Wollen und das Gute sind damit in der Struktur des Seins selbst begründet. Diese Spannung zwischen Sein und Sollen ist eine Spannung innerhalb des Seins selbst. Darum läßt sich auch sagen, daß unsere Selbsterfahrung als frei eine paradigmatische Erfahrung des Seins selbst ist;38 das wäre dann in der Tat der äußerste Gegensatz zu einem Seinsverständnis, welches das Sein als widerständige Faktizität gegenüber dem Willen versteht. Für Thomas ist das Gute also vom Sein zwar gedanklich verschieden, gerade als solches beruht es aber nicht nur auf einer 35 Riesenhuber (1971), 133. 36 Darin steht Thomas nach Jordan (1980), 16 f., im Gegensatz zum
transzendentalen Thomismus. Ens, bonum und verum entsprächen vielmehr den platonischen Vollkommenheiten des existere, vivere und intelligere; ibid. 18. 37 Eth. Nic. I, 1 (1094 a 3). 38 Riesenhuber, Klaus: »The Bases and Meaning of Freedom in Thomas Aquinas«, in: Proceedings of the American Catholic Philosophical Association 48 (1974): »Thomas and Bonaventure: A Septicentenary Commemoration«, 99–111, hier 99 f., verweist darauf, daß Heidegger das Sein des Seienden in der abendländischen Metaphysik als Wille zur Macht bestimmt, wie in Nietzsche offenbar werde. Die Art und Weise, wie bei Thomas der Wille dem Sein innerlich ist, wird aber anders zu verstehen sein.
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gedanklichen Bestimmung, sondern ist eine absolute Bestimmung der Sache selbst.39 Das muß auch gegen eine phänomenologische Wertlehre betont werden, welche mindestens implizit das Sein »entwertet« und zur bloßen Faktizität verdinglicht.40 Transzendentale Bestimmungen drücken zwar aus, was der Name des Seins nicht ausdrückt,41 sie sind aber secundum suppositum konvertibel. Andernfalls wären ja die Transzendentalien als äußerlich Hinzutreten39 Man muß beim Sein nicht das Gute mitdenken, das eine kann aber nie ohne das andere sein; De ver. q. 21, a. 1 ad sc. 2. Zwar ist die Bestimmung selbst eine relative (De ver. q. 21, a. 2 ad 5), aber diese Relation ist der absoluten Bestimmung des Seins nicht äußerlich. 40 Vgl. die Debatte zwischen J. Crosby and J. Aersten: Crosby, John F.: »The Idea of Value and the Reform of the Traditional Metaphysics of bonum«, in: Aletheia 1 (1977), 231–336; Crosby, John F.: »Son Ser y Bien realmente convertibles? Una Investigacion Fenomenologica«, in: Dialogo Filosofico 6 (1990), 170–194; Aertsen (1985); vgl. auch Aertsen (1998, »The Philosophical Importance«), 241. Für Crosby ist das Sein zwar mit dem Guten konvertibel, Werte aber sind als absolut vom bloß relativen (i. e. relativ zum appetitus) Guten zu unterscheiden. Aertsen (1985), 450 ff., meint: wenn Crosby das Gute nur mit substantiellem Sein konvertiert, dann wird es zur Kategorie, statt einem Transzendentale; Thomas legt in der Tat vielerorts Wert darauf, akzidentelle und substantielle Gutheit sorgfältig zu unterscheiden; beide aber sind gut. Z. B. kann das Gute hinsichtlich von Eigenschaften (z. B. Laster und Tugenden) ausgesagt werden (nur insofern gibt es Gutes und Böses als Arten des Sein; De ver. q. 21, a. 2 ad 6 und ad 8). Diese setzen allerdings das absolute Sein und Gutsein der Sache voraus. Das Gutsein wird wie das Sein nach Substanz und Akzidens unterschieden: »sicut multiplicatur esse per substantiale et accidentale, sic etiam et bonitas multiplicatur« (De ver. q. 21, a. 5c). – Analoges wie für eine Wertphilosophie ist für das verum zu sagen hinsichtlich der »Gültigkeit« von Propositionen etc. Sie etablieren kein Reich idealer (und doch zugleich subjekt-relationaler, intentionaler) Meinongscher Gegenstände, sondern werden im Sein selbst verifiziert. Das ist auch der Einwand von Siewerth (1960), 380, der freilich schon bei Thomas eine subjekt-relationale Definition der Transzendentalien als Vorläufer der Logisierung und Objektivierung neuzeitlicher Metaphysik kritisiert. – A fortiori wäre eine existentialistische Bestimmung des Guten als Freiheit gegen das Sein zurückzuweisen. Vielmehr erweckt das Sein selbst das Streben, durch welches es als Gutes offenbar wird. 41 De ver. q. 1, a. 1.
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des so etwas wie eine spezifische Differenz, das Sein also eine Gattung. Tatsächlich aber teilen sie als konvertibel mit dem Sein dessen Charakteristikum, undefinierbar zu sein. Hier stimmen Avicenna, Thomas und G. E. Moore in gewisser Hinsicht überein. Während man mit Avicenna sagen kann, daß in diesem Sinne das Sein als erstes in den Verstand »fällt«, hat das Gute nun aber als zusätzliche Bestimmung, daß es das ist, »was alle erstreben«. Es kann durch dies also wie durch eine Folgeerscheinung erkannt werden.42 Es offenbart sich also im und durch das Streben. Das ist aber, wie gesagt, nicht als Subjektivismus mißzuverstehen: es ist nicht das Streben, welches das Gute bestimmt; vielmehr erweckt das Sein selbst das Streben, durch welches es als Gutes offenbar wird. Zwar offenbart sich das Gute im Streben, aber auch das Streben im Guten. Nicht jedoch bedeutet es, daß das Streben das Gute bestimmt; das wäre in der Tat Subjektivismus und widerspräche dem Axiom, daß Akte aus ihrem Objekt bestimmt werden (actus specificatur ab obiecto). Daß das Gute das Formalobjekt des Willens ist, heißt ja nicht, daß es die Materie oder das Materialobjekt erst bestimmt und determiniert, oder wie ein Akt die Potenz erst zu einem Guten aktualisiert; vielmehr ist der Wille eine passive Potenz,43 die vom Guten allererst erweckt wird. β) In Beziehung zu Gott Das Seiende kann aber auch unter völliger Absehung von jedem Verhältnis von Objekt und strebendem Subjekt als Eigenschaft der Sache selbst verstanden werden: In einer mehr platonischen Tradition, wie sie sich zum Beispiel bei Gilbert von Poitiers findet, ist das Gutsein des jeweiligen Seienden nur zu verstehen in Bezug auf das erste Gute, d. h. Gott,44 an des42 Riesenhuber (1971), 41. 43 Sum. theol. I, q. 80, a. 2c; Riesenhuber (1971), 11. 20–29; siehe auch
unten. 44 Also eine Art »denominatio extrinseca«. Gilbert von Poitiers, Comm. super librum Quomodo substantiae bonae sint (PL 64, 1328f.). Olivi berichtet die gegenteilige Auffassung eines Guten etsi Deus non daretur. Riesenhuber (1974, »Gut«), 956.
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sen Sein und Gutsein alles partizipiert.45 Diese Tradition findet sich auch in Boethius’ De hebdomadibus und in Alberts Kommentaren zu Dionysius’ De divinis nominibus. Unter dem Einfluß des Aristoteles interpretiert Thomas dagegen das Gutsein des Seienden auch in De hebdomadibus verstärkt als nicht-relational, d. h. intrinsisch gut, auch unter Absehung der Beziehung zu Gott.46 Gleichwohl kennt auch Thomas den Gesichtspunkt des Guten als Partizipation. Zwar betont er mit Aristoteles, daß das Gute nicht univoke Formalursache ist, sondern so vielfältig wie die guten Dinge; aber mit Platon, Augustinus und Gilbert kann er auch die Exemplar- und Wirkursächlichkeit des ersten Guten anerkennen.47 Selbst wenn das jeweilige Seiende durch sein Wesen gut ist, ist es doch erst seine Existenz, die es wirklich gut macht.48 Diese aber hat es nur durch Teilhabe, ganz so wie auch die Gutheit. Mit Berufung auf den Liber de causis verweist Thomas darauf, daß nur das erste Gute durch sein Wesen existiert und gut ist.49 Auch bleibt, mit Boethius, das erste Gute in jedem Falle der Letztzweck, von dem her sich anderes Gutes bestimmt.50
45 Malik (1962), 51 rechnet zu dieser Tradition auch Anselm, Philipp den Kanzler, Bonaventura, Richard von St. Viktor, Albert und Scotus. Das wird aber sicher zu differenzieren sein. Philipp z. B. betont gerade die intrinsische Gutheit des jeweiligen Seienden (s. u.). 46 So Aertsen und McInerney in MacDonald (1991); vgl. auch MacDonald selbst, ibid., Introd. 8–17. Thomas zitiert Boethius, aber interessanterweise zumeist in den Einwänden, die dann qualifiziert werden; vgl. z. B. De ver. q. 21, a. 2 arg 8 und ad 8; et passim. Vgl. Boethius, De hebdomadibus (ed. Peiper), 172, 114. 47 De ver. q. 21, a. 4c und ad 3. 48 »… creatura non solum est a Deo secundum essentiam suam, sed secundum esse suum, in quo praecipue consistit ratio bonitatis substantialis.« De ver. q. 21, a. 5 ad 5. Der Wille, dessen Objekt das Gute ist, geht ja auf die reale Existenz der Sache. 49 De ver. q. 21, a. 5c. 50 Ibid. Gott ist so nach Boethius das erste Gute auch als »Art, Maß und Ordnung«, d. h. als Exemplarursache für das Wesen einer Sache, als Wirkursache für die Existenz, und als Finalursache für die Hinordnung auf es selbst. Vgl. De ver. q. 21, a. 6 sc. 3.
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Das einzelne Seiende hängt dem ersten Guten aber nicht nur vermöge seiner substantiellen Existenz an, sondern auch vermöge seiner akzidentellen Zweitakte. Für Philipp den Kanzler begründet beides die intrinsische Gutheit des einzelnen Seienden: das Seiende ist nicht nur gut, weil es aus Gott als seinem Ursprung stammt, sondern weil das Sein selbst als Akt und Form eine Vollkommenheit ist.51 Albert betont dies für den Zweitakt: das Seiende als Wirkursache agiert um eines Guten willen; und dies ist eine relatio realis. D. h. es ist des Dinges eigenes Gutsein, nicht das Gutsein eines äußeren Objektes oder des letzten Zieles.52 Auch Thomas kann so verstanden werden, und dann hat das Sein als Akt Luminosität und Finalität, es ist in sich bonum und verum.53 Thomas freilich zeigt auch, daß für die schlechthinnige Gutheit sowohl Erst- wie Zweitakt gefordert sind (bonum ex integra causa). Auch der Böse ist ja noch gut in seinem substantiellen Sein, aber nicht in seinem akzidentellen.54 Nicht bloßes Sein macht daher schlechthin (simpliciter) gut, sondern erst der Bezug zum vervollkommnenden Ziel durch die Seelenvermögen. Nur bei Gott fällt dies in eins. Und so kann trotz der Konvertibilität von Sein und Gutem einiges Seiende »böse« (im Sinne einer Privation des Zweitaktes) genannt werden.55 Wenn darum unser Sein eine Privation erleidet, verliert es den Charakter eines schlechthin Guten; als solches kann es dann sogar in seinem substantiellen Sein abgelehnt werden, so z. B. im Selbstmord.56 Gott als das schlechthin Gute hingegen kann 51 Auch wenn Thomas eine gedankliche Differenz einführt, stimmt er dem wohl zu: Die Form, die das Sein gut macht, ist seine eigene; was zum Sein hinzugefügt ist, ist nur gedanklich: »bonum secundum rationem dicatur ens informare vel determinare«; De ver. q. 21, a. 1 ad 7. 52 MacDonald, Scott: »The Metaphysics of Goodness and the Doctrine of the Transcendentals«, in: ders. (Hg.): Being and Goodness: The Concept of the Good in Metaphysics and Philosophical Theology (Ithaca, New York: Cornell University Press, 1991), 31–55, hier 36 f. und 43 f. 53 Jordan (1980), 17 f., 25 f. 54 Siewerth (1960), 377 ff., scheint dieses akzidentelle Moment mißzuverstehen. 55 De ver. q. 21, a. 2 ad 6 und ad 7, und q. 21, a. 5 sc. 3. 56 De ver. q. 22, a. 1 ad 7.
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nicht abgelehnt werden. Wohl aber hassen einige seine Wirkungen. Die Teufel z. B. sind darum in innerem Konflikt: sie lieben Gott als Ursache ihres Seins und Lebens, aber sie hassen ihn in den Wirkungen seiner Vorschriften und Strafen. Dieser Konflikt ist selbst ein Mangel an Gutheit im Sein.57 Mit dem Zweitakt wird auch der Charakter des Strebens grundgelegt, in welchem sich ja das Gute offenbart. Im Begriff des Strebens verbinden sich die beiden Relationalitäten des Seienden: die zum wollenden Subjekt, und die zu Gott, denn letzterer ist ja das höchste Gut nach dem wir streben. Im Begriff des Strebens zeigt sich aber auch einmal mehr, daß die These von der Konvertibilität von Sein und Sollen, Sein und Gutem, kein platt naturalistischer Fehlschluß ist: Streben nämlich ist ein teleologisches und normatives Phänomen im Sein selbst. Es impliziert, daß hier etwas ist, welchem gleichwohl noch etwas fehlt.58 Es ist, und ist in gewisser Hinsicht doch nicht, denn sonst müßte es nicht mehr streben. Streben ist ein actus imperfecti, der zwar auf Aktualisierung59 zielt, aber darin immer schon selbst ein Akt ist. Streben ist das Sein eines Nichtseins, ein Kompositum aus Akt und Potenz,60 die Anwesenheit einer Abwesenheit, ein Mangel, der nach Vervollkommnung sucht, und damit auch das Fundament für den Begriff der Privation. Daß nun das Sein selbst dieses Streben enthält, zeigt, daß die Konvertibilität keine undifferenzierte ist. Etwas ist gut, insofern es ist, 57 De ver. q. 22, a. 2 ad 3. 58 In einem mehr uneigentlichen Sinne gibt es auch ein Streben im
Ziel selbst, nämlich das Festhalten am oder Ruhen im Ziel. De ver. q. 21, a. 2c: »Omnia autem quae iam esse habent, illud esse suum naturaliter amant, et ipsum tota virtute conservant. Und: Nec hoc prohibetur per hoc quod omnia esse habent quia quae esse habent appetunt eius continuationem; et quod habet esse in actu uno modo, habet esse in potentia alio modo; sicut aer est actu aer, et potentia ignis; et sic quod habet esse actu, appetit esse actu.« De ver. q. 22, a. 1 ad 4; vgl. auch ad 3. 59 Mit Philipp dem Kanzler und Avicenna: das Gute als indivisio actus a potentia. Riesenhuber (1974, »Gut«), 955. 60 Ponferrada, Gustavo Eloy: »Reflexiones sobre los fundamentos ontologicos de la etica tomista«, in: Sapientia 31 (1976), 223–228, hier 225.
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also nicht unqualifiziert. Das Sein selbst ist aber ein analoger Begriff, und läßt die Differenzierung in Akt und Potenz zu. Das Gute ist dementsprechend ebenfalls61 ein analoger Begriff.62 Es gibt, wie Aristoteles gegen Plato bemerkt, nicht nur eine Idee des Guten, sondern dieses wird wie das Sein auf vielfache Weise ausgesagt.63 Mag dies zwar den Status der Ethik als Wissenschaft in Frage stellen, so ist dieser Mangel an Univozität im Begriff des Guten gleichwohl nicht etwa ein Mangel an Gutheit, sondern selbst gut: »perfecta bonitas in rebus creatis non inveniretur nisi esset ordo bonitatis in eis«.64 Die unendliche Gutheit Gottes als primum analogatum ist nämlich im Endlichen nur in geordneter (und d. h. hierarchisch gestufter) Vielheit darstellbar. Was für etwas das Gute ist, hängt dementsprechend auch von der Wesensform ab, dergemäß es an Gottes Sein und Gutsein partizipiert und das seinem Streben eine normative Struktur gibt.65 Mit anderen Worten: das Gute ist dem Wirklichen kraft seiner substantiellen Form eingeschrieben. Der Maßstab des Sollens ist damit nicht nur – platonisch – deren extrinsische, exemplarische Ursache in Gott (was das Gute wiederum außerhalb des Seins ließe), sondern ihnen selbst als ihr Wesen innerlich.66 Das Wesen steht überdies nicht im
61 De ver. q. 21, a. 2 ad 3: »… sicut materia prima est ens in potentia et non in actu; ita est perfecta in potentia et non in actu, bona in potentia et non in actu.« 62 Die Alternative ist entweder ein megarisches Weltbild, in welcher Streben nicht existieren kann, oder ein dialektisches, in welcher diese Differenz von Akt und Potenz ein direkter Widerspruch von Sein und Nichtsein ist, welcher als Bewegung der Sache selbst aufgefaßt wird. 63 Vgl. auch De ver. q. 21, a. 4c und Aertsen (1998, »The Philosophical Importance«), 239 f. 64 ScG III, c. 71; vgl. auch Riesenhuber (1971), 31. 65 Insofern folgt aus der Konvertibilität auch weder Zynismus, noch kruder Hedonismus oder Emotivismus. 66 De ver. q. 21, a. 4. Das Geschaffene ist ferner gut nicht nur als Zeichen des Gutseins (wie der Urin für die Gesundheit), sondern weil es vom Ersten Guten verursacht wird, also in seinem individuellen Sein selbst; ibid. ad 2.
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Gegensatz zur Gutheit des Seinsaktes selbst, sondern ist dessen notwendige Konkretisierung und als solche selbst gut.67 Diese innere Zuordnung transzendentaler Bestimmungen wird in der Folgezeit aufgelöst. Die Verleugnung von Wesensformen oder substantiellen Formen im Nominalismus und den neuzeitlichen mathematischen Wissenschaften erlaubt diese innere Differenzierung des Seins nicht mehr. Das Sollen verliert seinen normativen Bezugspunkt im Sein. Eine solche Auffassung geht freilich auch besser mit einem Seinsbegriff zusammen, der nicht nach Akt und Potenz analog differenziert ist, d. h. mit einem univoken Seinsbegriff. Ein solcher univoker Seinsbegriff läßt kein Objekt mehr übrig, das den Willen differenziert bestimmen könnte, sondern nur ein factum brutum. Es gibt dann keinen operationellen Begriff des Guten mehr, aber auch nicht des Bösen als Privation.68 Ohne den Begriff der Privation aber ist das Böse entweder ein manichäische Macht eigener Art, oder eine Illusion.69 Ist für Scotus der Seinsbegriff univok, so fallen alle Unterschiede und Bestimmungen im ens außerhalb seiner, es ist z. B. nicht selbst als hierarchischer oder analoger Stufenbau zu verstehen. Wäre dieses Sein mit dem 67 Das muß auch gegen Siewerth (1960), 379 f., gesagt werden, welcher meint, daß das einzelne Seiende so auf Gott selbst ausgerichtet sei, daß es sich seines partikularen Wesens entleeren müsse; dies sei Eckharts Wurzel in Thomas. Für Thomas aber ist das partikulare Wesen gerade darum gut, weil es das Seiende auf das höchste Gut hinordnet: »… secundum alium modum creatura potest dici per essentiam bona, in quantum scilicet essentia creaturae non invenitur sine habitudine ad Dei bonitatem«; De ver. q. 21, a. 1 ad 1. 68 Dann ist freilich auch das Gute und das Sein nicht mehr konvertibel: das Böse hat dann eine eigene Seinsart, wie Rintelen zu meinen scheint; vgl. Aertsen (1985), 459. 69 Als Privation hingegen hat das Böse seine Stärke nur parasitisch. D. h. freilich auch: es ist um so schlimmer, je höher das Vermögen oder die Seelenfakultät, die es verdirbt. Umgekehrt ist das bloß physische Übel der Bestrafung besser als das moralische, geistige Übel der Schuld. Maritain, Jacques: St. Thomas and the Problem of Evil (Milwaukee: Marquette Univ. Pr., 1942), 1–5.
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Guten konvertibel, dann wären böse Handlungen von guten nicht zu unterscheiden: beide sind in derselben Weise. Folglich ist es konsequent, wenn Scotus eine Formaldistinktion zwischen bonum und ens einführt. Dies ist nicht mehr die gedankliche Unterscheidung, die ja auch Thomas machte, denn eine Formaldistinktion geht einer bloß mentalen Unterscheidung vorher. Hier ist etwas wesentlich, d. h. dem Wesen nach verschieden,70 während für Thomas das Seiende formal und wesentlich gut ist, selbst wenn es sich als solches erst über das Streben eröffnet.71 Während bei Scotus das Seiende erst nachträglich durch disjunktive Bestimmungen differenziert wird, so ist für das bonum nicht einmal dies der Fall: bei Scotus ist es univok wie das Seiende selbst. So kann es ebensowenig wie das Seiende als solches eine konkretere Orientierung eröffnen. Diese Rolle fällt stattdessen den Geboten zu. Diese definieren das ethisch Gute, welches jetzt vom transzendentalen Guten differenziert werden muß.72 Darum kann Ockham das des Ethischen entleerte transzendentale Gute auch wieder einfach mit dem Seienden identifizieren (d. h. die skotistische Formaldistinktion rückgängig machen). Das Ethische wird davon nicht berührt, denn dieses entspringt allein dem Willen Gottes. Von den Transzendentalien bleibt bei Ockham nur das unum als relevant übrig,73 d. h. eine Art Quantität – ein Sein, das man nicht verstehen, sondern nur noch zählen kann. Wir sind da70 Sofern die distinctio formalis a parte rei Begriffe impliziert, die weder im Seienden, noch im Verstand verankert sind, scheinen sie einen gewissen Platonismus beinhalten: im Falle des verum heißt das, daß die Intelligibilität der Dinge außerhalb ihrer fällt, im Falle des bonum ihre Werthaftigkeit. 71 Aertsen (1985), 454. 72 Riesenhuber (1974, »Gut«), 957 f. Die affectio justitiae, die Pflicht um ihrer selbst willen, ist der affectio commodi entgegengesetzt, welche auf Neigung beruht. Wenn andererseits bei Thomas das Streben und das Gute in einer Ähnlichkeitsrelation fundiert ist, welche als solche eine Neigung bewirkt, dann kann ein solcher Gegensatz letztenendes nicht bestehen, sondern allenfalls die Unterscheidung zwischen einem wirklichen Gut und einem Scheingut. Vgl. auch Malik (1962), 51. 73 Riesenhuber (1974, »Gut«), 958.
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mit auch auf dem Weg zu Descartes’ res extensa, einem Sein, das gegenüber dem Sollen vollkommen opak ist. Demgemäß wird das Gute zunehmend nicht mehr über seinen Gegenstand bestimmt, sondern über den (entsprechend aktiv verstandenen) Willen – eine Auffassung die in Kants Behauptung kulminiert, daß es »überall nichts Gutes gibt, außer den guten Willen«,74 aber auch schon Vorläufer bei Abälard und vielleicht bei Buridan hat.75 Der so entstehende Gegensatz muß dann mit vielfachen Konstruktionen wieder überbrückt werden.76 Ein solchermaßen gegenstandslos bestimmter Wille bahnt sich freilich schon früher an, und zwar im Gottesbegriff. Der göttliche Wille wird ja weder durch ein äußeres Objekt gut, noch durch einen äußeren Maßstab. Hinsichtlich des Maßstabes verbinden sich bei Thomas in der Analogie des Guten die intrinsische Gutheit alles Seienden mit der extrinsischen Exemplarität und Finalität der göttlichen Gutheit, als des primum analogatum des Guten wie des Seins.77 Die Gutheit des Seienden steht nicht neben dem göttlichen Gebotswillen, sondern hat ihre Wurzel in der göttlichen Gutheit selbst. Gott selbst kann dann freilich nur intrinsisch gut genannt 74 »Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.« Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, Ak. 393. 75 Riesenhuber (1974, »Gut«), 958. Zupko, Jack: »Freedom of Choice in Buridan’s Moral Psychology«, in: Mediaeval Studies 57 (1995), 75–99, freilich meint, daß Buridan wegen der Verurteilungen von 1277 ein klandestiner Intellektualist ist; selbst die Möglichkeit des Aufschubes bei Willensentscheidungen erfolge nur bei guten Gründen. Der Wille ist also – via Vernunft – doch schon vorgängig durch das Gute bestimmt. 76 Sei es ein moral sense (selbst ein Seiendes), der kategorische Imperativ, Intuitionismus oder Wertphilosophie (bei Scheler ist es entsprechend unklar, warum das Vorziehen materialer Werte gut (formaler Wert) sein soll, wenn die materialen Werte, qua Wert nicht selbst schon gut sind. 77 De ver. q. 21, a. 4c: »… quaelibet forma est Dei quaedam similitudo«. Gott ist die »actualitas omnium rerum, et etiam ipsarum formarum«; Sum. theol. I, q. 4, a. 1 ad 3. Die quarta und quinta via der Gottesbeweise beruht darauf. Für den Nominalismus kann es diese Gottesbeweise nicht mehr geben.
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werden, insofern er sich selbst wählt, sich seiner erfreut und darum alles andere auf sich hinlenkt.78 Einen äußeren oder höheren Maßstab oder Bezug kann es hier nicht mehr geben. Ist dies schon bei Thomas der Fall, so ist es nicht überraschend, daß es gerade im Gottesbegriff erste Ansätze zu kantianisch anmutenden Formulierungen des Guten als eines guten Willens gibt. Richard von St. Viktor sieht in seiner Trinitätstheologie, daß Gott seine eigenstes Gut ist (sibi suum bonum). Sein personaler Wille ist der Vollzug seiner eigenen Gutheit. Und diese Gutheit (bonitas) ist nichts anderes als eben dieses bene velle oder die bona voluntas, die ihr Objekt, nämlich die zweite göttliche Person trinitrarisch produziert.79 Vornehmlich in der franziskanischen Tradition wird dies dann dem Willen selbst zugeschrieben, und zwar auch beim Menschen.80 Der Wille selbst wird hier eine Art bonum diffusivum sui: er produziert seinen Gegenstand. Der Wille ist reflexiv (conversio super se)81 und selbst sein erstes Gutes. Er wählt sich zuallererst selbst, unabhängig von der Vernunft, die ihn erst anschließend mit dem Objekt verbindet.82 Die Vernunft ist nur wie ein Berater des Willens,
78 »Fini ergo ultimo non competit tendere in finem, sed seipso fine frui. … Ex hoc enim quod Deus seipso fruitur, alia in se dirigit«. De ver. q. 22, a. 1 ad 11. 79 Riesenhuber (1974, »Gut«), 952 f. 80 Vgl. z. B. Decorte, Jos: »Der Einfluß der Willenspsychologie des W. v. Brügge auf die Willenspsychologie und Freiheitslehre des Heinrich von Gent«, in: Franziskanische Studien 65 (1983), 215–240, hier 217 ff. 81 Kim, Yul: Selbstbewegung des Willens bei Thomas von Aquin (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der Mittelalterlichen Theologie und Philosophie, Bd. 51), (Berlin: Akademie Verlag, 2007), 122. 82 Dieser (platonisch-augustinisch inspirierte) Gedanke gewinnt Einfluß insbesondere mit Walter Brügge (einem Bonaventura-Schüler). Ramelow, Tilman Anselm: »Der Begriff des Willens in seiner Entwicklung von Boethius bis Kant«, in: Archiv für Begriffsgeschichte 46 (2004), 29–67, hier 44; Kim (2007), 100 ff. und Decorte (1983), 225. Ein entfernter Verwandter ist Kierkegaards Gedanke einer Selbstwahl des Subjektes als solchen und eines religiösen Sollen jenseits von Theorie.
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welcher der Monarch ist.83 Der Wille hingegen kann sich selbst bewegen und ist selbstaktualisierend, so wie die Sonne, die sich selbst erwärmt.84 Er ist vor allem anderen sein eigenes erstes und letztes Objekt. Für Bonaventura verbinden sich Final- und Wirkursache im Wollen selbst als einer Selbstreflexion des Guten.85 Die Reflexivität von exitus und reditus wird zu einer unabhängigen Selbstbewegung des Willens.86 Für Thomas hingegen ist zwar der Wille domina sui actus, nicht aber unabhängig vom Objekt. Er ist weder blinde Spontaneität, noch produziert er sein Objekt, das Gute. Er muß dies auch nicht, weil das Sein selbst Sinn und Wert hat, dergestalt, daß es Strukturen der Selbstverwirklichung als wachsende Partizipation am ersten Guten einschließt.
B Wille und Vernunft 1. Der Ort der Freiheit in der Natur Gleichwohl hat die neuere Betonung der Autonomie des Willens auch ältere Wurzeln, die im Christentum selbst liegen. Daß sie ihr Paradigma im Willen Gottes findet, ist kein Zufall. Das Christentum eröffnet ja mit der Betonung der freien Wahl Gottes einen neuen Horizont der Transzendenz Gottes gegenüber
83 Thomas ist diese hierarchische Bestimmung (Wille als Monarch etc.) fremd; Kim (2007), 140. 84 So Walter von Brügge; Kim (2007), 110 und 120. Der Wille ist hinsichtlich des Letztzieles im Akt und in Potenz hinsichtlich der Teilziele; ibid. 85 Zu Bonaventura vgl. Stadter, Ernst: Psychologie und Metaphysik der menschlichen Freiheit. Die ideengeschichtliche Entwicklung zwischen Bonaventura und Duns Scotus (München / Paderborn / Wien: F. Schöningh, 1971), 29–32. 86 Einer solchen Selbstbewegung droht freilich der infinite Regreß, wenn man nicht letztlich auf einen unbewegten Beweger rekurriert. Anders als für Platon kann dies aber nicht die Seele selbst sein, wie schon Aristoteles sah; Kim (2007), 39 ff.; Aristoteles, Phys. VIII, 4 f.; De an. I, 4; 408b1 f.
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der Welt. Das aber läßt den menschlichen Willen nicht unberührt.87 Auch der Mensch als Ebenbild Gottes ist frei, und die Freiheit des göttlichen Willens ist die Bedingung der Möglichkeit der menschlichen Willensfreiheit.88 Entsprechend findet sich eine Betonung des menschlichen Willens und des Gewissens schon bei Paulus und den Kirchenvätern (aber auch im jüdischen Kontext, z. B. bei Philo89). Mit der Freiheit des Willens wächst aber auch die Verantwortlichkeit: so ist die Reaktion Jesu auf menschliches Fehlverhalten nicht sokratische Ironie, sondern Zurechtweisung.90 Wie eingangs festgestellt, hat nun aber dieselbe Betonung der Autonomie des Willens einen Begriff der Wirklichkeit hervorgebracht, in welchem ebendieser Wille keinen Ort mehr hat. Es ist jedoch eine wesentliche Voraussetzung für die menschliche Willensfreiheit, daß sie nicht ortlos und inkommensurabel im Rest der Wirklichkeit steht. Das ist z. B. eine wesentliche Motivation für Kants Kritik der Urteilskraft. Die Freiheit des menschlichen Strebens ist verständlicher, wenn sie nicht, wie seit Descartes, einem bloßen Mechanismus gegenübersteht, welcher gegenüber ihren Handlungen undurchdringlich ist (unbeschadet der prognostischen Vorteile, die dies verspricht). Sie fügt sich besser in eine Realität, die von vorneherein in Analogie zur menschlichen Freiheit und Selbstbewegung verstanden wird. Genau das ist bei Thomas der Fall. Die Quaestio XXII diskutiert den menschlichen Willen in diesem Kontext, d. h. als eine beson-
87 Auch die übrige geschaffene Welt gewinnt einen neuen Status der Kontingenz und verweist den menschlichen Forscher damit auch stärker an die Empirie und nicht nur an apriorische Überlegungen. Ohne dies ist auch die Welt als »umfassender Zufall« wohl gar nicht denkbar. 88 Vgl. zur Parallele göttlicher und menschlicher Freiheit auch Zoller, Colleen P.: »Determined but Free: Aquinas’s Compatibilist Theory of Freedom«, in: Philosophy and Theology 16 (2004), 25–44. 89 Eine paradigmatische Szene schon des Alten Testamentes ist das Isaaksopfer. 90 R. Spaemann: Personen (Stuttgart: Klett-Cotta, 1998), 30.
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dere Form des allgemeinen Strebens alles Seienden nach dem Guten. Auch Naturdinge manifestieren nämlich ein »Streben«. Da dies unter neuzeitlichen Prämissen als illegitimer Anthropomorphismus gilt, meint A. Kenny denn auch prompt, daß dieser Aspekt des heiligen Thomas zu verabschieden sei.91 Selbst der Personalismus des 20. Jahrhunderts aber denkt noch unter diesen Prämissen: wenn er den Boethianischen Personbegriff als bloß substantiellen, d. h. naturhaft-verdinglichenden, oder kosmologischen kritisiert und ihm die personale Freiheit, Transzendenz und Relationalität gegenüberstellt, dann hat er bereits den cartesianischen Naturbegriff übernommen. Innerhalb der Philosophie des heiligen Thomas ist diese Unterscheidung nicht sinnvoll. Die Freiheit der Person steht nicht außerhalb ihrer Natur, sondern ist ihr vielmehr als vernünftiger einbeschrieben; die Freiheit ist selbst ein Ausdruck dieser Natur und ihres Strebens. Bei Thomas steht in der Quaestio XXIV die menschliche Natur dementsprechend nicht, wie in der Neuzeit, der Freiheit oder dem Geist gegenüber, sondern der Gnade.92 Ebensowenig kann man die »Relationalität« der Person der »Substantialität« der Natur gegenüberstellen. Gerade als subtantielle Form hat auch die Natur eine eigene Spontaneität. Schon beim bloß »Naturalen« darf man also »Natur« nicht als bloß passive Dinglichkeit verstehen. Es ist demgegenüber gerade die cartesianische res extensa, die sowohl passiv, als auch von entsprechend funktionaler 91 »… (it) must be discarded.« Kenny, Anthony John Patrick: Aquinas on Mind (Routledge: New York, 1993), 61. 92 In der Neuzeit wird dann kurioserweise das Reich des nicht-naturalen Geistes oft selbst als Gnade verstanden oder zumindest bezeichnet. Das findet sich z. B. schon bei Pascal und Leibniz. R. Marieb zeigt, daß dieses Mißverständnis bei De Lubac dazu führt, das Verhältnis zwischen Gnade und Natur mit dem zwischen Freiheit und Notwendigkeit gleichzusetzen. Marieb, Raymond E.: »The Impeccability of the Angels Regarding Their Natural End«, in: The Thomist 28 (1964), 409–474. Auf ähnlichen Prämissen beruhen wohl Kobuschs Zweifel an der Verwendung natürlicher metaphysisch-aristotelischer Kategorien für das personal-gnadenhafte Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Kobusch, Theo: »Grace (Iª IIae qq. 109–114)«, in: S. J. Pope (Hg.), The Ethics of Aquinas (Moral Traditions Series: Georgetown University Press, Washington, 2002), 207–219, hier 214.
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Relationalität geprägt ist. Deshalb muß Spontaneität dann später folgerichtig in der physikalischen Dynamik wieder eingeführt werden, z. B. in Leibniz’ Kraftbegriff. Spontaneität verbirgt sich im Phänomen der Schwerkraft, und selbst in der Trägheit.93 Thomas hatte damit keine Schwierigkeit. Mit Aristoteles ist der freie Fall des Steines eine Art von Streben und damit von Spontaneität.94 Er vollzieht sich um eines Zieles willen, nämlich der Ruhe am natürlichen Ort. Die menschliche Freiheit ist davon nicht grundsätzlich verschieden. Ihr »freier Fall« hat zwar eine unterschiedliche Struktur, aber auch sie hat einen natürlichen Ort, und das ist Gott, das universale Gut.95 Die Grundlage des Strebens in der Natur ist also die substantielle Form, sei es des Steines, oder des Menschen. War oben gezeigt worden, daß die substantielle Form eine entscheidende Bedeutung für das Objekt der Wahl hat, insofern sie nämlich eine Normativität im Faktischen darstellt (als Telos und Natur), so wird dies hier auch für das Subjekt der Wahl deutlich, nämlich als Ort der Spontaneität in der Wirklichkeit (als Leben oder Seele). Der Wille (Subjekt) und das Gute (Objekt) sind also im Begriff der Natur und der substantiellen Form korreliert. Der Mensch ist ja kraft seiner Körperlichkeit immer auch ein Teil Natur; wäre die körperliche Natur seinem Willen gänzlich inkommensurabel, so wären wir unversöhnlich gespaltene Wesen. Tatsächlich aber kommt gerade in der menschlichen Körperlichkeit 93 Das ist noch deutlicher in den älteren impetus-Theorien. Bei Hobbes und Spinoza wird die Trägheit als Form von Selbsterhaltungsstreben verstanden; das ist immer noch eine Art Schrumpf-Teleologie. D. h. trotz der Dichotomie von Freiheit und Determinismus interpretiert der nach Selbsterhaltung strebende Willkür-Wille die Natur immer noch genau nach seinem eigenen Paradigma. 94 Eine entsprechende Lebendigkeit und Beseeltheit wird vormodern auch für die Motivation der Bewegung der Himmelsphären angenommen. Analoges findet sich denn auch noch für die Schwerkraft bei Kopernikus (De revol. I, 9). 95 Augustinus spricht vom amor meus, pondus meus (Conf. b. XIII, ch. 9, n. 10). So ist das menschliche Herz kraft seiner eigenen »Schwerkraft« unruhig, bis es in Gott ruht. Eine Komplikation ist, daß der Mensch diesen natürlichen Ort nicht ohne übernatürliche Hilfe erreichen kann.
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nicht nur die Freiheit, sondern auch das Sollen im beobachtbaren Sein zum Vorschein: ist die menschliche Freiheit in gewisser Weise das, was uns zum Ebenbild Gottes macht, so erscheint dieses Ebenbild Gottes gleichsam als Imperativ im menschlichen Antlitz. Das menschliche Antlitz ist der Ort, an dem das mechanische Weltbild und seine bloße Faktizität am eindeutigsten im Sichtbaren durchbrochen wird. Es ist die ikonische Erscheinung von Spontaneität, d. h. von etwas, das von sich her auf etwas aus ist, Zentrum eigener Intentionalität, aber auch Erscheinung von einem, das im Blick des Anderen einen eigenen Sollens-Anspruch an uns stellt (Levinas). Das Antlitz ist die Erscheinung einer Einheit von Sein und Sollen. Was ist es, das diese Erscheinung ermöglicht? Was gibt Freiheit und Sollen ihren Ort im Gesamt der Wirklichkeit? Metaphysisch betrachtet hat das Streben seinen Grund in der (substantiellen) Form eines Dinges. Insofern der Akt immer der Form folgt, ist die Form das bewegende und damit strebende Prinzip.96 Die Form bewirkt die Tätigkeit des Strebens aber darum, weil sie dem Seienden eine Finalursache, d. h. ein Ziel gibt.97 Dies ist so, weil ein Ding vermöge seiner Form einem anderen ähnlich und proportioniert ist. Ähnlichkeit aber bewirkt durch sich selbst Anziehung (Liebe).98 Und so ist alles kraft seiner Form auch auf ein Ziel 96 Malik (1962); mit der Form korreliert ist Ordnung, d. h. Liebe und Streben ist um der Verwirklichung von Ordnung willen; das ist ein augustinisches Prinzip; ibid. 35. Vielleicht kann man, da es Liebe um Vereinigung geht, die erstrebte Ordnung als einen Ausdruck von Einheit in der Vielheit verstehen. Malik bemerkt hierzu auch, daß diese Einheit nicht Selbstverlust ist, weil es ja das je Eigene ist, welches die Ähnlichkeit fundiert. Ibid., 51. 97 Schon bei Plato entspricht dem ein Streben des Sinnlichen nach den Ideen, d. h. ihrem Telos. Man kann dies auch mit der »Kausalität der Begriffe« vergleichen, die nach Kant für die menschliche Freiheit charakteristisch ist, aber auch in der Naturteleologie von Organismen eine Analogie findet. Letztere ist freilich, anders als bei Thomas, nicht wirklich, sondern ein bloßes »als ob«. 98 De ver. q. 21, a. 2 sc. 1: »Nihil tendit nisi in suum simile. Sed omne ens tendit in bonum, ut Boetius dicit« in Lib. de Hebdom. Vgl. Boethius, De hebdomadibus, ed. Peiper, 170, 54; vgl. auch De ver. q. 21, a. 1 arg 3 und
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hin angelegt und strebt nach diesem. In diesem Streben99 ist das Ziel qua Form schon gegenwärtig, als Ziel aber noch ausstehend. Das Streben intensiviert sich, je ähnlicher etwas (gemäß seiner Form) wird, d. h. je näher es am Ziel ist.100 Alles dies gilt für die unbelebte Natur ebenso wie für die belebte Natur, einschließlich der freien Handlungen des Menschen. In der unbelebten Natur ist es z. B. die Form des Steines, die ihn nach unten fallen läßt.101 Der Stein freilich ist nur von einer Form »informiert«; er ist also determiniert, festgelegt hinsichtlich seiner Ähnlichkeitsbeziehung und damit seines Aktes – obwohl hier noch zweifelhaft ist, in wieweit dies sein eigener Akt ist; Thomas sagt im Anschluß an Johannes Damaszenus, daß diese Dinge magis aguntur quam agunt.102 Sum. theol. I, q. 80, a. 1c: »Quamlibet formam sequitur aliqua inclinatio.« Malik (1962), 41. 99 Als Streben ist die Form auch Grundlage der Wirkursächlichkeit. In gewisser Weise sind für Aristoteles (und Averroes) daher Form-, Ziel- und Wirkursache in der Form eine Ursache (also vielleicht eine Art »Selbstverwirklichung«); Malik (1962), 43. Eine Wirkursache verähnlicht sich ihren Effekt, und zwar in umso höherem Maße, je stärker sie ist. Die immateriellen Ursachen allerdings sind hinsichtlich des Effektes eher äquivoke Ursachen: es handelt sich hier eher um eine Verähnlichung hinsichtlich ihrer Intention oder der bloß erkannten Form nach, als hinsichtlich ihres eigenen Seins. Vgl. De ver. q. 23, a. 5c und 7c. 100 De ver. q. 22, a. 1 ad 3: »Auf diese Weise sagt man auch, daß die Materie die Form »begehrt«, insofern nämlich, als in ihr die Form der Potenz nach ist. Darum gilt: je größer und vollkommener und dem Akte näher die Potenz ist, ein desto größeres Streben bewirkt sie auch. Ferner ergibt sich daraus, daß alle natürliche Bewegung sich am Ende intensiviert, wenn nämlich das, was strebt, dem Ziel schon ähnlich ist.« Damit könnte Thomas also auch Beschleunigungsbewegungen (z. B. beim freien Fall) erklären, nämlich aufgrund der wachsenden Ähnlichkeit. 101 Das folgt aus seiner Form, und da ihm diese Form von Gott gegeben ist, ist Gott in gewissem Sinne sein Beweger (anders als gewaltsam Bewegtes kooperiert es aber). Alles strebt kraft seiner Form nach dem Guten welches Gott selbst ist. Gott nämlich hat ihm mit Absicht eine Natur gegeben; seine Absicht aber kann nichts anderes sein, als Er selbst, als das subsistierende Wesen des Guten. De ver. q. 22, a. 1c und ad 11: »Ex hoc enim quod Deus seipso fruitur, alia in se dirigit.« 102 J. Damaszenus, De fide orth. II, 27 (PG 94, 960C; Bt 153). Der Grund
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Auch die Pflanzen sind nur von einer Form informiert; ihr Wachstum ist in ihrer spezifischen Form angelegt; aber hier es nun wirklich ihr eigener Akt, Selbstbewegung und Spontaneität, und d. h.: Leben. Bei Tieren schließlich ist die Form, nach welcher sie agieren, nicht wie bei den Pflanzen von Natur eingegeben; sie ist vielmehr durch die Sinne gegeben, und darum vielfach. Z. B. hat das Sehvermögen, wiewohl auf Farbe festgelegt, eine gewisse Indifferenz hinsichtlich der verschiedenen Farben.103 Das Tier hat also einen weiteren und variableren Raum des Handelns, was sich denn auch in der Ortsbewegung ausdrückt.104 Dieser Raum nun wird beim Menschen universal, da die Formen, nach denen er handelt, nicht aus den Sinnen, sondern aus der Vernunft stammen.105 Beide aber, Mensch und Tier, handeln aufgrund von Erkenntnis. Erkennen impliziert für Thomas und Aristoteles nämlich immer Streben, genau darum, weil es eine Ähnlichkeitsbeziehung ist;106 dies ist also nur ein Sonderfall der allgemeineren Ähnlichkeitsbeziehung. Die Erkenntnis verähnlicht (assimilatio) uns das, woraufhin die Liebe des Willens uns transformiert
hierfür ist, daß die Materie zu homogen ist, um sich selbst bewegen zu können; Beseeltes hingegen hat ein materielles und immaterielles Prinzip. Letzteres kann ersteres bewegen, d. h. ein Teil kann den anderen bewegen; Akt und Potenz sind so nichtwidersprüchlich auf zweierlei verteilt; De ver. q. 22, a. 3c. 103 De ver. q. 22, a. 6 ad 5. 104 Dieser Raum begrenzt sich bei Lebewesen, die nur den Tastsinn haben, wie bei den Austern, die nach Thomas keine Ortsbewegung haben; Sum. theol. I, q. 18, a. 2 ad 1. 105 Ebendarum hat er Hände, mit denen er universal-verschiedene Schutz- und Angriffsinstrumente herstellen kann. Daß er keine spezifischen Instrumente hat, stammt also aus einer Vollkommenheit, und nicht etwas daraus, daß er ein Mängelwesen wäre. De ver. q. 22, a. 7c Andernfalls wäre er auf eine Tätigkeit festgelegt, was seine Vernünftigkeit und Freiheit widerspräche. Ebenso hat er universale Vernunftprinzipien statt eingebener partikularer Begriffe (wie in der vis aestimativa); es stehen ihm also verschiedene Wege und Mittel offen. De ver. q. 24, a. 2 c: »totius libertatis radix est in ratione constituta.« 106 Malik (1962), 35.
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(transformatio).107 So nimmt es an der Rückkehr zum Einen teil, dessen Zeichen und Antizipation die Ähnlichkeit (als Ordnung der Einheit in Vielheit) ist. Die Ähnlichkeitsbeziehung steht auch hinter dem Axiom: qualis unusquisque est, talis finis videtur ei. Für erkennende Wesen ist die Ähnlichkeit nämlich eine erscheinende.108 Ihre Form bestimmt den Akt des Strebens als intentionales Objekt (actus specificatur per obiectum). Das Formalobjekt des menschlichen Erkennens aber ist das Sein, d. h. universal.109 Das menschliche Erkennen kann sich also allem verähnlichen, und folglich kann der Mensch auch von allem angezogen werden und nach allem streben. So wie die Vernunft gewissermaßen alles ist, so verhält sich der Wille zu allem. Kein partikulares, sinnlich erfaßbares Gut aber kann dieses »Alles«, diesen universalen Raum ausfüllen.110 Der Wille bleibt demnach allem innerweltlich begegnenden gegenüber frei.111 Er ist nicht nur über das hier und jetzt erhaben, indem er in Hinblick auf die Zukunft und wohlverstandenes Selbstinteresse das Jetzige suspendieren kann;112 er ist vielmehr auch über jede innerweltliche Zukunft erhaben. 107 De malo q. 6 ad 13, Dionysius folgend (vgl. arg 13). 108 Materielle Dinge erstreben etwas nicht aufgrund von Verähnlichung
durch Erkenntnis, sondern aufgrund einer fundamentaleren Ähnlichkeit. Hier bewirkt Ähnlichkeit Streben, aber es verhindert Erkennen, denn die Verähnlichung des Erkennens ist – entgegen einigen Vorsokratikern, aber auch gegen moderne Theorien künstlicher Intelligenz – nur als geistige möglich: »similitudo in esse naturae, non facit cognitionem, sed magis impedit«. De ver. q. 22, a. 1 ad 2. Qualifiziert wird dies in De ver. q. 22, a. 1 ad 8. 109 Riesenhuber (1971), 125 f. 110 Diese Universalität gilt auch für das Übel: wir können alle Diebe hassen; vgl. Sum. theol. I, q. 80, a. 2 ad 2, Aristoteles folgend. Vgl. auch De malo q. 6c und Riesenhuber (1971), 131. Die Freiheit der Spezifikation ist insofern auch die Wurzel der Freiheit des Exerzitiums, die Vernunft befreit das Streben und macht es so zum Willen. 111 Der Wille ist frei hinsichtlich exercitium und specificatio, das sinnliche Streben nur in der specificatio, das natürliche Streben in keiner Hinsicht. Malik (1962), 55. 112 Obwohl auch das natürlich a fortiori der Fall ist: vgl. Aristoteles, Eth. Nic. III, 10; 433 b 5 ff.
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Genau das aber ist seine Natur. Die Natur, die substantielle Form des Menschen, ist ja die einer vernünftigen Seele, die nach Aristoteles »gewissermaßen alles« ist; sie ist darum nach Pseudo-Dionysius auch der Natur Gottes ähnlich, in welcher alles prä-existiert.113 Und gerade kraft dieser Ähnlichkeit strebt der Wille nach Gott. Als Natur hat die vernünftige Seele also einen natürlichen Ort: nämlich das universale Gut selbst. Dies ist, allgemein gesprochen, das Glück, stellt sich dann aber als das subsistierende höchste Gut, Gott selbst,114 113 De div. Nom. c. 2, s. 4, c. 4, s. 2; c. 5, s. 7; vgl. Liber de causis § 10 (Bh 174) und De ver. q. 2, a. 3 sc. 5. Der Universalität der Vernunft entspricht auch die Vereinigung aller Dinge im Wissen, und darum auch im Streben; mit Boethius: omnia unum desiderant (De consol. l. III, p. 2) Entsprechend ist die menschliche Willensfreiheit eine potentia activa: je vollkommener, desto einförmiger in der Tätigkeit, aber desto reicher auch an möglichen Wirkungen; De ver. q. 24, a. 1 ad 14. 114 Thomas differenziert freilich, daß die seligmachende Anschauung Gottes nicht das natürliche Ziel der voluntas ut natura ist. Nach De ver. ist der Mensch, anders als das Tier, universal offen auf das Glück und bedarf so noch der partikularen Spezifizierung; die Anschauung Gottes ist eine solche Spezifizierung; De ver. q. 22, a. 7c: »Quando ergo ex propria ratione, adiutus divina gratia, apprehendit aliquod speciale bonum, ut suam beatitudinem, in quo vere sua beatitudo consistit, tunc meretur, non ex hoc quod appetit beatitudinem quam naturaliter appetit, sed ex hoc quod appetit hoc speciale quod non naturaliter appetit, ut visionem Dei, in quo tamen secundum rei veritatem sua beatitudo consistit.« Vgl. hierzu auch O’Connor, William R.: »The Natural Desire for God in St. Thomas«, in: The New Scholasticism 14 (1940), 213–267, hier 264. Ob das Haben dieses Zieles nun das von De Lubac betonte desiderium naturale videndi Deum ausschließt oder nicht (vgl. hierzu Gallagher, D. A.: »St. Thomas and the Desire for the Vision of God«, in: The Modern Schoolman 27 (1949), 159– 173; O’Connor (1940) und O’Connor, William R.: The Eternal Quest: The Teaching of St. Thomas Aquinas on the Natural Desire for God (New York: Longmans / Green, 1947); Sullivan, Robert Patrick: »Natural Necessitation of the Human Will«, in: The Thomist 14 (1951), 351–399 und 490–528; Sullivan, Robert Patrick: Man’s Thirst for Good (Thomistic Studies, 4; Westminster [Maryland]: Newman Press, 1952), das Erreichen ist jedenfalls nicht ohne übernatürliche Hilfe möglich. Diese Offenheit hinsichtlich der Spezifizierung des Letztzieles ist gleichwohl nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln. Wir sind auf Seligkeit als wahres Letztziel angelegt, natürlich oder nicht. (ibid.).
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heraus.115 Dies erstrebt der freie Wille genauso wie der Stein von Natur, und d. h. notwendigerweise.116 Und das widerspricht nicht seiner Freiheit, sondern ist vielmehr ihr Grund: genau weil der freie Wille dieses universale Gut selbst als Letztziel erstrebt, kann ihn kein partikulares Gut binden. Diese partikularen Güter sind aber andererseits nicht einfach gleichgültig gegenüber dem Letztziel. Sie sind diesem einen Ziel als verschiedene Mittel und Wege zugeordnet. Wie die Sinne für die Vernunfterkenntnis bleiben sie das partikulare Medium, in welchem sich die Freiheit realisiert.117 Entsprechend sind auch die unteren sinnlichen Strebevermögen dem nicht nur unter- sondern auch eingeordnet. Der Wille herrscht über sie »politisch«, nicht despotisch,118 115 Letztlich streben alle Dinge nach Gott; der Unterschied liegt darin, daß die vernunftbegabten Wesen dies bewußt und explizit tun. De ver. q. 22, a. 2c. Daß es für eine allgemeineres Ziel ein besonderes Vermögen braucht, ist dabei kein Widerspruch; vielmehr verfolgt es das allgemeine Gute auf eine besondere Weise. De ver. q. 22, a. 3 ad 5. Kurioserweise steht diese Universalität auch in umgekehrtem Verhältnis zur individuellen Selbständigkeit: das Streben des Tieres ist noch kein individuelles; es vollzieht sich zwar individuell, hat aber durch den Instinkt Artcharakter. Die Freiheit des Menschen hingegen hat ihren Grund in der Universalität und, scheinbar paradoxerweise, größere Individualität in der Entscheidung. 116 Z. B. De ver. q. 22, a. 6 ad 5. 117 Auch wenn es auf nicht direkt sinnlich Erfaßtes gehen kann, wie das Wissen oder die Tugend: Sum. theol. I, q. 80, a. 2 ad 2. 118 Sum. theol. I, q. 81, a. 3 ad 2. Hier vielleicht im Gegensatz zu Albertus Magnus, für den der Wille selbstursächlich ist (tota et sola causa sui) und insofern dem ersten Beweger und der Tyrannenherrschaft ähnlich (im Unterschied zur monarchischen Herrschaft der praktischen Vernunft und ihren Nützlichkeitserwägungen). Albertus Magnus, De Anima III, tr. 4, c. 5, Op. Omn. (1951 ff.) 7/1, 234 f. Für Thomas hingegen gilt das eher für das Verhältnis von Seele und Leib, weil der Leib kein eigenes Strebensprinzip hat; das Begehren hingegen kann auch rebellieren (Sum. theol. I, q. 81, a. 3 ad 2). Gleichwohl sind die niederen Vermögen, vermöge der einen Wesensform, und anders als beim Tier, nie unabhängig tätig, sondern abhängig wie die niederen Himmelssphären von den höheren. Sum. theol. I, q. 81, a. 3c, vgl. Aristoteles De an. III, 11; 434 a 12. Zur Integration aller Vermögen (mit Betonung der holistischen Aspekte), vgl. auch
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und zwar durch syllogistische Überredung: sie sind diesem nämlich eingeordnet wie die minderen Prämissen unter die Prinzipien. Die Arbeit dieser Einordnung, und damit der angemessenen Beziehung der Mittel auf Zwecke ist Sache nicht so sehr der Vernunft (intellectus), als vielmehr des Verstandes (ratio)119 und des liberum arbitrium.120 Diese Einordnung ist nicht beliebig; nicht alles kann ja auf das Letztziel hingeordnet werden. Das bedeutet aber nicht, daß es nicht viele verschiedene Mittel geben kann; in diesem Sinne impliziert die Partikularität der Mittel Indifferenz, aber nicht Beliebigkeit.121 Der Mensch ist also frei hinsichtlich der Mittel, nicht aber hinsichtlich des Letztzieles.122 Diesem gegenüber zu versagen wäre vielmehr ein Versagen der Freiheit selbst, welche sich nur im Ziel erfüllt. Freiheit ist »Wesensfreiheit«: sie ist teleologisch, naturhaft in ihrem Ziel verankert und begründet; als solche nennt Thomas sie voluntas ut natura; ihrer Freiheit hinsichtlich der Mittel entspricht die voluntas ut ratio, die sich durch das liberum arbitrium, die freie Entscheidung artikuliert.123 Beides verhält sich auch wie das Allge-
Gilby, Thomas: »Thought, Volition and the Organism«, in: The Thomist 2 (1940), 1–13. Klubertanz, George P.: »The Unity of Human Activity«, in: The Modern Schoolman XXVII (1950), 75–103. 119 Sum. theol. I, q. 81, a. 3c. 120 Die Formulierung als Ziel-Mittel Relation und als liberum arbitrium findet sich beim frühen Thomas mehr als beim späten, welcher eher mit der universalen Form des Erkennens und Wollens argumentiert. Das ist aber kein Gegensatz. 121 Es gibt darum verschiedene Wege gut zu sein, das Böse aber ist einförmig, nämlich immer zielwidrig. De ver. q. 23, a. 3 ad 5. Eigentümlicherweise kann man allerdings auch Gott als Mittel zu partikularen Zielen mißbrauchen (z. B. wenn man zu Gott um Gesundheit betet, aber an Gott selbst nicht interessiert ist); Reyes Oribe, Beatriz E.: »¿Elegimos a Dios? Acerca de la no elección del fin último en concreto según Tomás de Aquino«, in: Sapientia 57 (2002), 113–143, hier 142. 122 De ver. q. 24, a. 1 ad 20. 123 Eine Unterscheidung mit langer Vorgeschichte Vgl. hierzu Ramelow (2004). Der Bezug der Mittel auf das Ziel als eine Bewegung betrachtet kann auch als »Intention« bezeichnet werden. De ver. q. 22, a. 13 und a. 14.
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meine und das Besondere (die eine Natur und ihre Spezifizierung).124 Und gerade weil die Notwendigkeit der natürlichen Neigung aus der Natur des Willens stammt, ist sie dem Zwang entgegengesetzt, sofern Natur der Gegenbegriff zum Gewaltsamen, Gezwungenen ist.125 Der Mensch ist also frei, das zu tun, was er im Grunde und eigentlichst und von Natur aus will; seine Freiheit ist eine Freiheit zu etwas, und nur darum eine Freiheit von etwas. Seine Freiheit würde darum gänzlich versagen,126 wollte er auch zu dem, was er eigentlichst will, nein sagen können. Wie L. Oeing-Hanhoff und D. Welp zu recht klarstellen, wird diese Einsicht von N. Hartmann, A.-D. Sertillanges und anderen verfehlt, die den Menschen in der seligmachenden Anschauung Gottes für unfrei, ja untermenschlich (Hartmann) halten.127 Daß der Mensch dann nicht mehr anders kann, ist 124 Thomas vergleicht dies Verhältnis auch mit dem Tastsinn, der allen anderen spezielleren Sinnen zugrundeliegt. De ver. q. 22, a. 5c. 125 De ver. q. 22, a. 5c. Und so kann diese Unterscheidung sogar für den Willen Gottes zutreffen. Ibid. ad 4 und 5. De ver. q. 24, a. 1 ad 20. 126 De ver. q. 22, a. 5 ad sc. 2 »… non pertinet ad impotentiam voluntatis, si naturali inclinatione de necessitate in aliquid feratur, sed ad eius virtutem; sicut grave tanto est virtuosius, quanto maiori necessitate deorsum fertur. Pertineret autem ad eius infirmitatem, si ab alio cogeretur.« Entsprechend ist das Wollen des Bösen keine eigentliche Verwirklichung von Freiheit: »velle malum nec est libertas, nec pars libertatis, quamvis sit quoddam libertatis signum.« De ver. q. 22, a. 6c. 127 Oeing-Hanhoff, Ludger: »Zur thomistischen Freiheitslehre«, in: Scholastik 31 (1956), 161–181, und in: ders.: Metaphysik und Freiheit (München: Erich Wewel, 1988), 262–283, hier 281 f. Spiegel-Sosa, Guillermo Eduardo: »Libertad y naturaleza: la voluntad como naturaleza y como razon segun Tomas de Aquino«, in: Sapientia 53 (1998), 357–368. Dies ist auch der Tenor von Welp, Dorothée: Willensfreiheit bei Thomas v. Aquin (Fribourg: Universitätsverlag, 1979), passim. Gott selbst müßte dann unfrei sein; ibid. 238; das war ja schon Anselms Einwand, wie Thomas sehr wohl weiß (De ver. q. 24, a. 3 sc. 1). Welp gibt darum eine lange Analyse zur paradigmatischen Freiheit Gottes anhand von De ver. q. 23, a. 1. Wille und Vernunft dürfen nicht substantialisiert werden (was Intellektualismus und Voluntarismus tun) sonst verlieren sie ihre Hinordnung auf die Substanz, für die sie Instrumente und quasi proprietates essentiales sind; diese Hinordnung begründet ihre Finalität (Wesensfreiheit); ibid. 165–197. 241 f. Der Nominalismus versteht dies nicht mehr, wenn er
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vielmehr eine Teilnahme an Gottes eigener Freiheit selbst, der auch nicht anders kann, als sich selbst zu lieben.128 Im Himmel schließt wahre Freiheit darum auch, anders als für Scotus und bestimmte129 moderne »Libertarians«, keine gleichzeitige Möglichkeit zum Gegenteil ein (»synchronic alternatives«).130 Auf dem Wege dahin allerdings gibt es diese »synchronic alternatives« durchaus auch für Thomas.131 Das zeigt sich insbesondere bei meint, Gott entziehe uns im Himmel seinen concursus naturalis, damit wir nichts anderes wählen können. 128 Gaine, Simon Francis: Will There Be Free Will in Heaven? Freedom, Impeccability, and Beatitude (London / New York: T. & T. Clark, 2003). 129 D. h. solche, die nicht Harry Frankfurt folgen (Frankfurt, Harry: »Alternate Possibilities and Moral Responsibility«, in: Journal of Philosophy 66 (1969), 829–839). 130 Hierzu z. B. Knuuttila, Simo: Modalities in Medieval Philosophy (London / New York: Routledge, 1993). Dumont, Stephen D.: »The Origin of Scotus’ Theory of Synchronic Contingency«, in: The Modern Schoolman 72 (1995), 149–67. MacDonald, Scott: »Synchronic Contingency, Instants of Nature, and Libertarian Freedom: Comments on ›The Background of Scotus’s Theory of Will‹«, in: The Modern Schoolman 72 (1995), 169–74. Williams, Thomas: »The Libertarian Foundations of Scotus’s Moral Philosophy«, in: The Thomist 62 (1998), 193–215. Liske, Michael Thomas: »Muß man, um einen Indeterminismus zu rechtfertigen, mit Duns Scotus eine gleichzeitige Möglichkeit zum Gegenteil fordern?« in: Theologie und Philosophie 78 (2003), 339–367. West, Jason Lewis Andrew: »Simplicity, Divine Causality, and Human Freedom: A Critique of Eleonore Stump’s Aquinas«, in: Nova et Vetera 4 (2006), 429–446, hier 438. McCluskey, Colleen: »Intellective Appetite and the Freedom of Human Action«, in: The Thomist 66 (2002), 421–456, hier 454, lokalisiert diese synchrone Kontingenz in der Vernunft statt im Willen. Stump, Eleonore S.: »Intellect, Will, and the Principle of Alternative Possibilities«, in: M. D. Beaty (Hg.), Christian Theism and the Problems of Philosophy (University of Notre Dame Press, Notre Dame [Indiana], 1990), 254–285 und Stump, Eleonore S.: »Aquinas’s Account of Freedom: Intellect and Will«, in: The Monist 80/4 (1997), 576–597. 131 Gegen Williams (1998) and McCluskey (2002). Das ist nämlich genau die libertas exercitii, wie noch zu zeigen sein wird. Andernfalls wäre es nur, was Thomas eine libertas conditionata nennt (De ver. q. 24, a. 2); vgl. auch Hoffmann, Tobias: »Aquinas and Intellectual Determinism:
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den Engeln, für die dieser Weg zum Letztziel nur einen Augenblick lang ist: Engel könnten ohne »synchronic contingency« nicht frei sein, denn sie haben nur einen einzigen Augenblick der Wahl; sie müssen eine doppelte Möglichkeit in einem Augenblick haben. Und genau das ist für Thomas der Fall, und zwar auch für den Menschen.132 Wie ist dies zu denken? 2. Die wechselseitige Kausalität von Wille und Vernunft: effizient, formal und final Daß es »synchronic alternatives« am Ziel nicht gibt, wohl aber auf dem Wege, hat seinen Grund beidemale in der Rolle des Vernunft. Die Freiheit des Willens ist nicht ohne die Vernunft zu verstehen. Die Vernunft ist der Ermöglichungsgrund der freien Entscheidung auch da, wo sich diese gegen die Vernunft entscheidet. Gleichwohl stehen sie in einem Wechselverhältnis, das Thomas mittels der verschiedenen aristotelischen Arten von Kausalität beschreibt. Dabei zeigt sich, daß Thomas, im Gegensatz zu den eingangs erwähnten neuzeitlichen Positionen, keineswegs den Willen auf die Vernunft reduziert, sondern beide in einem Spannungsverhältnis beläßt. Zunächst freilich scheint die Vernunft das Übergewicht zu haben: das Wesen des Willens kann ja ohne die Vernunft nicht verstanden werden; er ist voluntas in ratione, auch in seinem ontologischen Ursprung.133 Der Wille kann aber auch nicht tätig werden ohne die fortgesetzte Final- und Formalursächlichkeit der Vernunft: The Test Case of Angelic Sin«, in: Archiv für Begriffsgeschichte 89 (2007), 122–156, hier 144 f. 132 Entsprechend auch Hoffmann (2007), 144 f. und 150 f. 133 Vgl. Aristoteles, De an. III, 9; 432 b 5 f. Er »wurzelt« (radicatur) in der Vernunft, oder beide im »rationabile« oder immateriellen Teil (De ver. q. 22, a. 10 ad 2) oder der Seelensubstanz »non directe ab intelligentia procedit; sed ab essentia animae, praesupposita intelligentia« (De ver. q. 22, a. 11 ad 6); »… cognitio et voluntas radicantur in substantia spirituali super diversas habitudines eius ad res« (De ver. q. 23, a. 1c). De ver. q. 22, a. 11 arg 6 macht auch den Vergleich mit dem Hervorgang der Personen in der Trinität (was nach ad 6 aber ebenso wie bei den Personen keine Rangordnung impliziert). Diese ontologische Nähe von Wille und Vernunft wird nicht davon beeinträchtigt, daß sie verschiedenen Gattung von Vermögen
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wie schon gezeigt, ist der Wille im Partikularen frei, weil er durch die vernünftige Erkenntnis auf eine Universales als sein natürliches Letztziel hingeordnet ist. Das Ziel wird ihm also von der Vernunft gegeben, die ihn mit seinem intentionalen Objekt »informiert«. Dies ist es auch, was den Willen allererst aktiviert und in Gang setzt. Der Wille ist gegenüber der informierenden Aktualisierung durch die Vernunft ein bloß passives Vermögen, oder mit Aristoteles: ein movens motum. Er kann sich – im Gegensatz zu mehr voluntaristischen Autoren des 13. Jahrhunderts – nicht von selbst aus der Potenz in den Akt überführen, weil es, wie schon Aristoteles gegen Plato argumentiert, gegen den Satz vom Widerspruch verstößt, daß ein und dasselbe sich in Akt und Potenz zugleich befindet.134 Akt und Potenz müssen also auf zwei Vermögen verteilt sein. Dem Willen kommt dabei die Seite der Potentialität zu; er ist gegenüber dem Akt der Vernunft passiv.135 Diese Passivität des Willens bei Thomas ist Gegenstand einer langen Auseinandersetzung in der Sekundärliteratur des 20. Jahrhunderts. Sie beginnt vor allem mit Odon Lottins Versuch, zu zeigen, daß Thomas unter dem Einfluß der Lehrverurteilungen von 1270 seine Auffassung geändert habe.136 Die vorliegenden Quaestionen aus De veritate, zusammen mit anderen Frühwerken, wären demnach lediglich der »frühe Thomas«, im Gegensatz vor allem zu angehören – anders als das sinnliche Streben und der Wille, die in derselben Gattung (der des Strebens) sind; De ver. q. 22, a. 4 ad 4 und q. 22, a. 10c. 134 Riesenhuber (1974, »Meaning of Freedom«), 103. Seit Walter von Brügge versucht man das Problem dadurch zu umgehen, daß diese Potenz als aktive, nicht-materielle verstanden wird (also so ähnlich wie bei Gott). Ramelow (2004), 45. 135 Wie De malo q. 6, arg. 7 es markant formuliert: »velle est pati.« 136 Lottin, Odon: »La date de la question disputée De malo de saint Thomas d’Aquin«, in: Revue d’histoire ecclésiastique 24 (1928), 373–392. Auch in: Ders.: Psychologie et morale aux XIIe et XIIIe siècles, vol. 6: Problèmes d’histoire littéraire de 1160 à 1300 (J. Duculot, Gembloux [Belgique], 1960) 353–372. Der Ausgangspunkt war die Frage, wie De malo zu datieren sei; die inhaltliche Frage diente diesem Unterfangen. Vgl. auch Westberg, Daniel: »Did Aquinas Change His Mind about the Will?« in: The Thomist 58 (1994), 41–60, hier 42 f.
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De malo q. 6 und der Prima Secundae. Im Anschluß an Lottin bezeichnet Lonergan unsere Quaestionen in De veritate und andere Texte (einschließlich der Prima Pars) entsprechend als »a momentary abberation« des heiligen Thomas.137 Diese Auffassung kann wie folgt zusammengefaßt werden: Da die Verurteilungen sich gegen den Vernunftdeterminismus gewisser Aristoteliker richteten, mußte Thomas seinen eigenen Aristotelismus modifizieren und, wie z. B. die Franziskaner, die Freiheit und Unabhängigkeit des Willens stärker betonen.138 Zu diesem Zweck habe er die Finalursächlichkeit der Vernunft verabschiedet und allein die Formalursächlichkeit betont; die Vernunft bestimme nicht mehr das Ziel, sondern stelle nur noch den Gegenstand vor. Auch sei nun der Wille keine passive Potenz mehr. Die Unterscheidung von voluntas ut natura und voluntas ut ratio (oder liberum arbitrium) in De veritate sei zugunsten der Distinktion von libertas exercitii und libertas specificationis aufgegeben. Die Entdeckung der Eudemischen Ethik (Liber de bona fortuna)139 des Aristoteles habe ihn ferner dazu geführt, nicht die Vernunft, sondern Gott als erste Wirk- und Final-Ursache des Willens anzunehmen;140 letzterer 137 Der frühe Thomas habe Freiheit nur als die Abwesenheit von äußerem Zwang aufgefaßt. Lonergan, Bernard: »St. Thomas’ Thought on Gratia Operans«, in: Theological Studies 2 (1941), 289–324; 3 (1942), 69–88; 375–402; 533–78, hier 534 ff. Vgl. auch Petrik, James: »Freedom as Self-Determination in the Summa Theologiae«, in: The Southern Journal of Philosophy 27 (1989), 87–100. Dann wäre Freiheit jedoch bloße Handlungsfreiheit; das wird aber von Thomas ausdrücklich unterschieden, z. B. in De ver. q. 24, a. 1 ad 1. In der Handlung ist er gerade weniger frei: De ver. q. 24, a. 2 ad 3. 138 Zur Entwicklung vgl. Decorte (1983), Stadter (1971), Auer, Johann: Die Entwicklung der Gnadenlehre in der Hochscholastik (Freiburg 1951), Ramelow (2004), 42–49. 139 Hierzu auch Fabro, Cornelio: »Le ›Liber de bona fortuna‹ de l’›Ethique à Eudème‹ d’Aristote et la dialectique de la divine Providence chez saint Thomas«, in: Revue Thomiste 88 (1988), 556–72. 140 Lottin, Odon: »Le libre arbitre chez saint Thomas d’Aquin«, in: Revue thomiste 34 (1929), 400–430. (auch Nachdruck in Lottin, Psychologie et morale, Bd. 1).
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bewege sich ansonsten aber auch selbst als seine eigene Wirk- und Finalursache.141 Nach Lottin hat der frühe Thomas hingegen einen Vernunftdeterminismus vertreten.142 Dieser Auffassung folgen G. P. Klubertanz,143 O. Pesch, K. Riesenhuber, H.-M. Manteau-Bonnamy, J. F. Keenan und andere.144 Kritik daran gab es schon von M. Childress, R. Z. Lauer, J. Lebacqz; 145 J. B. Korolec kann auf der Grundlage derselben Texte die Geschichte sogar umgekehrt erzählen.146 Tatsächlich handelt es sich wohl be141 Lottin, Odon: »Liberte humaine et motion divine de S. Thomas d’Aquin a la condamnation de 1277«, in: Recherches de theologie ancienne et medievale 7 (1935), 52–69. 142 Lottin, Odon: »La preuve de la liberte chez S. Thomas d’Aquin«, in: Recherches de theologie ancienne et medievale 23 (1956), 323–330, hier 326. 143 Klubertanz (1950), 94; nach Westberg denkt er später anders (nämlich: Klubertanz, George P.: »The Root of Freedom in St. Thomas’ Later Works«, in: Gregorianum 42 (1961), 709–721, hier 707), nach Kim (2007), 187 f. jedoch nicht. 144 Ebenso vor kurzem noch Iozzio; vgl. Kim (2007), 189. Riesenhuber (1974, »The Bases and Meaning of Freedom in Thomas Aquinas«), Sweeney, Eileen C.: »From Determined Motion to Undetermined Will and Nature to Supernature in Aquinas«, in: Philosophical Topics 20 (1992), 189–214; Pesch, Otto H.: »Philosophie und Theologie der Freiheit bei Thomas von Aquin in Quaest. Disp. 6 De Malo«, in: Münchener Theologische Zeitschrift 13 (1962), 1–25, und Manteau-Bonnamy, Henri-Marie: »La liberté de l’homme selon Thomas d’Aquin: la datation de la question disputée De malo«, in: Archives d’Histoire Doctrinale et Littéraire du Moyen Âge 46 (1979), 7–34, sehen sogar einen Gegensatz zwischen De malo und Sum. theol. I–II. Pesch (1962), 15, sagt allerdings auch, daß es wohl letztlich nur eine andere Formulierung der gleichbleibenden Lehre ist. 145 Childress (1951), Lauer, Rosemary Zita: »St. Thomas’s Theory of Intellectual Causality in Election«, in: New Scholasticism 28 (1954), 299–319, und Lebacqz, Joseph: Libre arbitre et jugement (Brüssel: Desclée, 1960), der bloß verbale Änderungen sieht. Auch Verbeke, Gérard: »Le devéloppement de la vie volitive d’apres Saint Thomas«, in: Revue philosophique de Louvain 56 (1958), 5–34, betont die Konstanz. 146 Korolec, Jerzy B.: »Free Will and Free Choice«, in: N. Kretzmann u. a. (Hg.): Cambridge History of Late Medieval Philosophy (Cambridge: Cambridge Univ. Press, 1982), 629–41, hier 635. Vgl. hierzu Westberg (1994), 50.
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stenfalls um Akzentverschiebungen.147 Ein wachsender Konsensus scheint dahin zu gehen, daß es sich weder um eine Veränderung der Lehre handelt, noch um bloß verbale Verschiedenheiten, sondern um die wachsende Klärung einer gleichbleibenden Lehre. Diese Klärung betrifft nicht die Frage, ob der Wille gegenüber der Vernunft frei ist, sondern wie.148 Diese Freiheit steht zunächst gar nicht im Gegensatz zur Passivität des Willens. Bischof Tempiers Lehrverurteilungen von 1270 verurteilte es zwar, das liberum arbitrium als passives Vermögen zu bezeichnen. Das aber hat Thomas tatsächlich auch nie gesagt; nach Thomas ist es das Streben (appetitus), vernünftig oder nicht, welches eine potentia passiva ist,149 nicht aber die Entscheidungsfreiheit (liberum arbitrium).150 Daß der Wille ein passives Vermögen ist, unterscheidet ihn im übrigen gar nicht von der Vernunft, die ja ihrerseits hinsichtlich ihres Gegenstandes passiv ist.151 Sobald aber beide 147 Die gleichzeitige Bedeutung von Vernunft und Wille betonen Westberg (1994) und Verbeke (1958). Nyvlt, Mark: »St. Thomas on the Intellect and the Will in ST 1.82.4 and 1–2.9.1«, in: De Philosophia 14 (1998), 75–94, meint im Anschluß an Westberg (1994), daß Thomas von der Prima Pars zur Prima Secundae von der Zielursächlichkeit auf die Formalursächlichkeit umsteigt, aber durchwegs den Primat der Vernunft vertritt. 148 So beispielsweise Kim (2007), 94. 146 f. und Sherwin, Michael S.: By Knowledge and by Love: Charity and Knowledge in the Moral Theology of St. Thomas Aquinas (Washington: Catholic University of America, 2005), 24 f. 29. 37 f. 40. Kim (2007), 194, sieht, daß der frühe Thomas in seiner Explikation des liberum aribitrium und des reflexiven Urteiles in der Tat die Parallele mit Intellekt betont. Andererseits begründet auch De malo 6 die Freiheit aus der Vernunft. 149 De ver. q. 25, a. 1c: »appetitus autem potentia passiva est, quia movetur ab appetibili.« Er zitiert auch in De malo noch gern Aristoteles’ De anima III und Metaphysik XI: ein appetitus ist ein movens motum, das appetibile aber ein movens non motum; vgl. De malo q. 6, arg 7. Das wird in der Antwort nicht bestritten, sondern nur die Notwendigkeit dieser Bewegung. 150 Westberg (1994), 55. Vgl. Dewan, Lawrence: »The Real Distinction between Intellect and Will«, in: Angelicum 57 (1980), 557–593. 151 »… ex parte obiecti est utrobique similitudo«; De malo q. 6 ad 10. Das gilt sogar hinsichtlich der Nötigung ihres exercitiums: »etiam intellectus ex necessitate movetur a vero necessario quod non potest accipi ut
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vom Gegenstand »informiert« sind, sind sie aktiv.152 Daß Thomas zudem unter dem Einfluß der Eudemischen Ethik Gott als ersten Beweger des Willens einführt,153 macht den Willen auch nicht gerade aktiver; sollte er das im Sinne gehabt haben, dann wären Heinrich von Gent und die Franziskaner konsequenter, wenn sie für den Willen das Prinzip omne quod movetur ab alio movetur leugnen.154 Auch die Finalursächlichkeit der Vernunft ist wohl weniger ein Problem, das eine unterschiedliche Formulierung nötig machte. Es ist ja gar nicht klar, daß die Formalursächlichkeit weniger bedrohlich für die Freiheit des Willens ist, als die Finalursächlichkeit.155 Auch und gerade ein Voluntarist wie Walter von Brügge beschreibt deshalb die Rolle der Vernunft im Sinne der Finalursächlichkeit.156 Und selbst bei Heinrich von Gent ist sie sogar Finalursache im Gegensatz zur Formalursache.157 Warum also sollte Thomas, angeblich unter dem Druck des Voluntarismus, etwas anderes sagen? M. Sherwin meint, die Finalursache könne nicht im Intellekt sein, weil das Ziel das äußere, wirkliche Objekt ist, nicht das bloß vorgefalsum, non autem a vero contingenti, quod potest accipi ut falsum«; ibid. Andererseits sagt ein antizipierter Gegeneinwand: »sic intellectus habet magis rationem passivi, voluntas autem magis rationem activi«; De malo q. 6 arg 14. 152 Vgl. Westberg (1994), 54. 153 Vgl. z. B. Kim (2007), 80 und 200. 154 Westberg (1994), 57 und Lee, Patrick: »The Relationship Between Intellect and Will in Free Choice According to Aquinas and Scotus«, in: The Thomist 49 (1985), 321–42., hier 329. Nach Heinrich von Gent gilt das Axiom nur für materielle Substanzen (Eardley, Peter S.: »Thomas Aquinas and Giles of Rome on the Will«, in: The Review of Metaphysics 56/4 (2003), 835–862, hier 850), nicht für die Selbstbewegung des Willens; bei Peckham wird dies zu einer vitalistischen Lebensphilosophie (Stadter (1971), 86 ff. 121–144); ähnlich bei Olivi (ibid. 144–233). Dagegen aber Richard von Mediavilla (ibid. 264–270). 155 Vgl. Lauer (1954), 309; vgl. Kim (2007), 189. 156 Walter von Brügge nach Kim (2007), 109. 157 Ramelow (2004), 46. Der Unterschied scheint eher in der Wirkursächlichkeit der Vernunft zu liegen, welche Thomas ohnehin immer bestritt, aber ein Rationalist wie Gottfried von Fontaine (ebenso wie Hervaeus Natalis) zusammen mit der Formalursächlichkeit bejaht. Ibid. 47.
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stellte.158 Nach dem zuvor gesagten ist das Ziel einem Strebenden aber genau durch die Form gegenwärtig; d. h. die Formalursächlichkeit der Vernunft und die Finalursächlichkeit sind metaphysisch gar nicht zu trennen, ja nicht einmal unabhängig voneinander zu verstehen.159 Wenn also in De malo dem Willen in der Tat ein Primat hinsichtlich der Finalursächlichkeit zugeschrieben wird (da das Gute sein spezifischer Gegenstand ist)160, dann macht das den Willen nicht zur Finalursache unter Ausschluß der Vernunft; in jedem Fall wird dieses Ziel ja nur wirksam, wenn es von der Vernunft erkannt wird;161 und das gilt auch hinsichtlich des Letztzieles.162 So-
158 Sherwin (2005), 42 and 50 f.; Sherwin betont ansonsten auch eher die Kontinuität. 159 Zur Klärung vielleicht hilfreich Riesenhuber (1971), 82 f.: Da die Erkenntnis des Guten mit dem erkannten Guten, soweit es erkannt ist, identisch ist, nimmt der Intellekt an der Ursächlichkeit teil, die vom erkannten Guten auf den Willen ausstrahlt; der Intellekt bewegt daher den Willen zielursächlich. [aber:] … im eigentlichen Sinne wirkt daher nur das Gute als Objekt des Intellektes, nicht der Intellekt selbst als zielursächlich. Thomas sieht Form und Ziel ohnehin nicht als ausschließlich: … cum ipsa forma sit finis; De ver. q. 21, a. 3 ad 3. 160 »… obiectum voluntatis est primum principium in genere causae finalis, nam eius obiectum est bonum«; De malo q. 6c. Die Zuordnung von verum und Formalursache einerseits und bonum und Finalursache ist im übrigen nicht neu; sie findet sich schon vor Thomas bei Alexander von Hales, Summa fratris Alexandri I, n. 88 (Quaracchi 1924–48) I, 140 und n. 104 (I, 163); vgl. auch Albertus Magnus, De bono tr. 1, q. 1, a. 10; Opera omnia (Münster / Westfalen: Aschendorff, 1951 ff.) Bd. 28, 20, und Bonaventura, Sent. I, d. 3, p. 1, a. unic., q. 2 (Opera Omnia, Quaracchi 1882–1902, I (1882), 71–73). 161 De malo q. 6c. Ebenso Lauer (1954), 314–316. Nichts spricht dagegen (sondern alles dafür), hier mit der Sum. theol. I, q. 82, a. 4c hinzuzufügen: »intellectus movet voluntatem: quia bonum intellectum est obiectum voluntatis, et movet ipsam ut finis«. Vgl. auch: »… [voluntas] naturaliter tendit in bonum sibi connaturale sicut in proprium obiectum. Unde ad hoc quod velit bonum, non requiritur nisi quod ostendatur sibi per vim cognitivam«; De ver. q. 24, a. 3 ad 9. 162 »Qui ergo errat circa Deum, nec amare potest Deum, nec desiderare ipsum ut finem«; ScG III, c. 118.
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mit ist auch in De malo, und nicht nur in De veritate163 und in der Prima Pars,164 die Vernunft mit der Finalursache verbunden. Auch die Prima Secundae wird wohl so zu lesen sein.165 Dort findet sich die kritische Unterscheidung, daß die Vernunft als spekulative das Wahre, d. h. die Formalursache präsentiert, als intellectus practicus aber das Gute, d. h. die Finalursache.166 De veritate gibt dafür auch die nötige metaphysische Begründung: genau darum, weil der Wille die Wirkursache ist (wie sogleich zu zeigen sein wird), kann er nicht auch die Finalursache sein: das Ziel ist ja genau das, was antizipiert wird. Wäre es schon als Wirkursache wirksam, dann gäbe es keine Bewegung, man wäre bereits am Ziel. Das Ziel als in der Vernunft antizipiertes ist ein bloß potentielles (intentionales) Sein,167 und darum nicht mit dem Akt der Wirkursache identisch. Wirk- und Finalursache verteilen sich also wie Akt und Potenz auf Wille und Vernunft; wäre dem nicht so, dann müßte der Wille in ein- und derselben Hinsicht in Akt und Potenz sein.168 Der Wille also ist passiv, insofern er formal- und finalursächlich seinen Gegenstand durch die Vernunft bezieht.169 Das ist selbst bei Gott nicht anders, wenn auch nur secundum modum significandi.170 163 »… quod intellectus movet per modum finis«; De ver. q. 22, a. 12
ad 3. 164 Sum. theol. I, q. 82, a. 4c: »intellectus movet voluntatem: quia bonum intellectum est obiectum voluntatis, et movet ipsam ut finis.« 165 Sum. theol. I–II, q. 9, a. 1c. 166 »… sicut imaginatio formae sine aestimatione convenientis vel nocivi, non movet appetitum sensitivum; ita nec apprehensio veri sine ratione boni et appetibilis. Unde intellectus speculativus non movet, sed intellectus practicus, ut dicitur in III de anima.« Sum. theol. I–II, q. 9, a. 1 ad 2. 167 Die Wärme wärmt nicht als Erkannte, sondern nur als wirkliche; De ver. q. 22, a. 12c. 168 De ver. q. 22, a. 12c. Nur in Gott kann beides identisch sein, und genau darum, weil es in Gott keine Potentialität gibt. 169 Z. B. De ver. q. 22, a. 12 arg 3 und ad 3. In De ver. q. 22, a. 13 ad 10 wird die aktive Lenkung ins Ziel der Vernunft gegenüber dem darin passiven Willen zugesprochen, in ad 14 das Hinordnen. 170 De ver. q. 23, a. 1 ad 7.
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Daran ist gar nichts verwerflich; es ist vielmehr notwendig: man kann ja nicht wählen, was man nicht kennt. Es ist auch gar nicht einzusehen, warum das Umgekehrte wünschenswert wäre: dies wäre bloßes Wunschdenken und als solches eine Form von Selbsttäuschung und gerade keine Auszeichnung des Willens.171 Daran ändert sich bei Thomas nichts: auch in De malo bestimmt die Vernunft in dieser Hinsicht den Willen.172 Umgekehrt aber ist nicht nur in De malo, sondern schon in De veritate klar, daß diese Determination und »Regierung« nur im Vorstellen des Objektes besteht, nicht aber im Geneigtmachen des Willens;173 anders als Lottin meinte, folgt nämlich auch in De Veritate der Wille nicht mit Notwendigkeit dem Verstand. Er bleibt frei in der Annahme (acceptatio) des von der Vernunft Vorgestellten.174 Nach De malo ist aber genau das noch einmal das Verdienst der Vernunft, weil diese den Gegenstand als einen solchen vorstellt, der den Willen in der Annahme freiläßt. Man muß also unterscheiden zwischen einer Aktualisierung des Willens hinsichtlich des Gegenstandes (vermöge der Vernunft) und hinsichtlich der Aktualisierung der Annahme dieses Gegenstandes, das heißt hinsichtlich des exercitiums des Willens (libertas exercitii), welcher dann die anderen Vermögen, einschließlich des physischen Bewegungsvermögens, in Bewegung setzt. Dieses exercitium stammt nicht aus der Vernunft und ist von ihr unabhängig. Es ist die Wirkursächlichkeit des Willens. Die Wirkursache im Verhältnis von Wille und Vernunft ist bei Thomas immer der Wille und nie die Vernunft.
171 So auch McCluskey (2002), 448 f. 172 Nämlich als Spezifikation; De malo q. 6c. 173 De ver. q. 22, a. 11 ad 5 »… intellectus regit voluntatem, non quasi
inclinans eam in id in quod tendit, sed sicut ostendens ei quo tendere debeat.« 174 »… non enim voluntas de necessitate sequitur rationem«; De ver. q. 22, a. 15c. Vgl. auch Kim (2007), 92. 184. Vgl. auch Sum. theol. I, q. 83, a. 3 ad 2: »… iudicium est quasi conclusio et determinatio consilii. Determinatur autem consilium, primo quidem per sententiam rationis, et secundo per acceptationem appetitus.«
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Mehr noch, der Wille ist Wirkursache auch für den Akt der Vernunft selbst. Insofern also kehrt sich in dieser Beziehung das Verhältnis von Akt und Potenz um, und das nicht erst in De malo, sondern auch schon in De veritate.175 Diese Bewegung der Vernunft durch den Willen ist freilich eine Bewegung nur hinsichtlich des Aktes der Vernunft, nicht hinsichtlich ihres Gegenstandes (das wäre, wie gesagt, irrationales Wunschdenken); d. h. der Wille kann das Denken nur suspendieren, z. B. als Unachtsamkeit oder Nichtbedenken einer Regel. In De malo findet sich (Scotus und Ockham scheinbar vorwegnehmend) ein extremes Beispiel dieser Bewegung der Vernunft: der Wille kann den Akt der Vernunft sogar hinsichtlich des Letztzieles suspendieren,176 das letzte Glück also nicht-bedenken; und so muß der Wille nicht einmal das Glück wollen. 175 »Voluntas movet rationem imperando actum eius«; De ver. q. 22, a. 1 ad 3. Auch ist das Gute fundamentaler als das Wahre, insofern es selbst vom Nichterkennenden erstrebt wird, und vom Erkennenden als schlichte Existenz schon vor dem Erkennen erstrebt und gehabt wird. De ver. q. 21, a. 3c; vgl. auch De ver. q. 22, a. 1 ad 1. 176 Schon in De ver. q. 22, a. 6c heißt es: »Sed quantum ad primum horum (sc. die Freiheit des Aktes / exercitium) inest libertas voluntati in quolibet statu naturae respectu cuiuslibet obiecti. Cuiuslibet enim voluntatis actus est in potestate ipsius respectu cuiuslibet obiecti.« Zu Ockham vgl. Kaye, Sharon: »Saying ›No‹ to God: The Emergence of Metaphysical Freedom«, in: Dalhousie Review 82 (2002), 153–170. Zu Scotus z. B. Kent, Bonnie: »Happiness and the Willing Agent: The Ongoing Relevance of the Franciscan Tradition«, in: Proceedings of the American Catholic Philosophical Association 78 (2004), 59–70, hier 63 f. Die dreifache Form der Entscheidung bei Scotus (Ablehnung, Suspension des Aktes und Bejahung), ist auch bei Thomas vorhanden, anders als oft angenommen (z. B. Pestana, Mark Stephen: »Second Order Desires and Strength of Will«, in: Modern Schoolman 73 (1996), 173–182, und ders.: »The Three Species of Freedom and the Six Species of Will Acts«, in: The Modern Schoolman 74/1 (1996), 19–29): Sum. theol. I–II, q. 6, a. 3 behandelt das ausdrücklich (»Et sic voluntarium potest esse absque actu, quandoque quidem absque actu exteriori, cum actu interiori, sicut cum vult non agere; aliquando autem et absque actu interiori, sicut cum non vult«; ibid., a. 3c.). Entsprechend sind es im 17. Jahrhundert die Dominikaner, die eine solche »reine Unterlassung« verteidigen. Vgl. Ramelow, Tilman: Gott, Freiheit, Weltenwahl (Leiden: Brill, 1997), 168–198. E. Stump hat quiescence als Ausgangspunkt für ei-
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Zwar muß der Wille das universale Letztziel als Erfüllung seiner Natur notwendigerweise wollen; d. h. aber nicht, daß er den Akt der Vernunft wollen muß, der dieses Letztziel vorstellt. Dieser ist ja selbst wieder nur ein Partikulares. Selbst der Willensakt, mit dem er das Letztziel will, ist, sofern auch er noch einmal erkannt wird, selbst eine partikulares Gut, was nicht notwendig gewollt wird.177 Eine offene Frage wäre freilich, warum der Wille diesen Akt der Vernunft oder seines eigenen Willens suspendieren wollen sollte, und ob das selbst noch einmal einen vernünftigen Grund braucht.178 Schließlich wurzelt ja auch diese Freiheit des Exerzitiums noch einmal in der universalen Spezifikation durch das Letztziel. Die Frage wäre dann, ob im Falle der Spezifikation durch ein universales Gut nicht auch das exercitium absorbiert wird; die Akte, die dieses denken und wollen, sind ja nicht auch nur wieder ein anderes Partikulares, sondern selbst Teil des universalen Glückes. Auf welchem Horizont erschiene dies wiederum als etwas, das, wenn auch nicht ersetzt, nen zur Zeit öfters diskutierten nicht-pelagianischen Libertarianismus genutzt. Stump, Eleonore: »Augustine on Free Will«, in: The Cambridge Companion to Augustine, Eleonore Stump and Norman Kretzmann, eds. (Cambridge: Cambridge University Press, 2001), 124–147. Vgl. z. B. DeWeese-Boyd, Ian: »Grace and Freedom: Examining Stump’s View of the Quiescent Will«, in: Faith and Philosophy 23/1 (2006), 80–92, und Timpe, Kevin: »Grace and Controlling What We Do Not Cause«, in: Faith and Philosophy 24 (2007), 284–299. 177 Das Glück ist notwendig gewollt als specificatio, aber nicht im exercitium: »… non autem quantum ad exercitium actus, quia potest aliquis non velle tunc cogitare de beatitudine; quia etiam ipsi actus intellectus et voluntatis particulares sunt.« De malo q. 6c und De malo q. 6 ad 7. 178 Dies scheint auch die Lehre Buridans hinsichtlich des Aufschubs einer Entscheidung zu sein; Zupko (1995). Alternativ könnten an dieser Stelle spätere Lehren von einer praemotio physica ansetzen: der Grund hierfür wäre dann nicht mehr im menschlichen Subjekt und seinen Gründen zu finden: »necesse est ponere quod in primum motum voluntatis voluntas prodeat ex instinctu alicuius exterioris moventis, ut Aristoteles concludit in quodam capitulo Ethicae Eudemicae«. Sum. theol. I–II, q. 9, a. 4c. Ob dieser instinctus sich letztlich als ein Akt der Vernunft artikuliert (consilio mediante, ibid.), oder aber des Willens (»aliqua voluntate praesupposita«, ibid.) scheint Thomas hier offenzulassen.
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so doch unterlassen werden kann? In De veritate sagt Thomas ausdrücklich, daß dies nicht wiederum unter dem Gesichtspunkt des Guten erscheinen kann. Könnten wir dies tatsächlich unterlassen, gäbe es nämlich überhaupt keine Seligkeit; denn zu deren Wesen gehört es ja, unverlierbar zu sein.179 Thomas’ durchgängige Lehre ist also eine der wechselseitigen Kausalität von Wille und Vernunft.180 Auch in De malo ist diese Bewegung wechselseitig, je nachdem es um die inhaltliche Spezifizierung des Willens durch die Vernunft181 oder den Antrieb (exercitium) der Vernunft durch den Willen geht, insofern das Denken selbst ein Gut ist. Beide Vermögen schließen sich gegenseitig in ihren Formalobjekten ein; das Gute ist wahr, und das Wahre gut.182 Sie schließen aber auch sich selbst ein: wegen der Unendlichkeit ihrer jeweiligen Formalobjekte fallen auch ihre eigenen Akte darunter, i. e. beide Vermögen sind reflexiv: die Vernunft erkennt ihre Akte, der Wille will die seinen.183
179 De ver. q. 24, a. 8c und ad 2. 180 De ver. q. 24, a. 6 ad 5: »… voluntas quodammodo movet rationem
imperando actum eius, et ratio movet voluntatem proponendo ei obiectum suum, quod est finis, et inde est quod utraque potentia potest aliqualiter per aliam informari.« 181 »… ex parte obiecti specificantis actum, primum principium motionis est ex intellectu: hoc enim modo bonum intellectum movet etiam ipsam voluntatem.« De malo q. 6c. De ver. erscheint fast voluntaristischer, wenn die Freiheit des Willens als eine dreifache beschrieben wird: hinsichtlich des Objektes (in De malo: »specificatio«), hinsichtlich des Aktes (in De malo: »exercitium«) und sogar hinsichtlich des Zieles (sofern es ein Scheinziel sein kann). De ver. q. 22, a. 6c. 182 »… ipsum bonum, in quantum est quaedam forma apprehensibilis, continetur sub vero quasi quoddam verum; et ipsum verum, in quantum est finis intellectualis operationis, continetur sub bono ut quoddam particulare bonum«; ibid. 183 Vgl. auch Kim (2007), 77. Das Formalobjekt des Willens muß genauso unendlich sein, wie das der Vernunft, weil letzterer sonst den Willen nicht im Sinne der Spezifikation aktivieren könnte. ScG II, 47; Riesenhuber (1971), 152.
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3. Zusammenarbeit: liberum arbitrium Im Gegensatz zu späteren Texten, wird dieses Zusammenspiel von Wille und Vernunft in De veritate unter der Rubrik des liberum arbitrium thematisiert, einem augustinischen Begriff, der seit den Sentenzen des Petrus Lombardus die ältere Diskussion dominiert, aber im 13. Jahrhundert an Bedeutung verliert. Diese »freie Entscheidung« bezieht sich nicht auf das spontane, natürliche Wollen des Letztzieles, sondern auf die überlegte Entscheidung der Mittel zu diesem Ziel.184 Nach Augustinus (der um 392 diesen Begriff prägt185) ist das deliberierende liberum arbitrium überhaupt nur eine Schwundstufe des Willens186 und eine Folge des Sündenfalles. Gott selbst hat darum kein liberum arbitrium.187 Durch die Gnade macht der Heilige Geist uns wieder Gott ähnlicher, indem er die Einheit von Wille und Entscheidungsfreiheit wiederherstellt und uns spontan das Gute tun läßt. Nach Maximus Confessor und Johannes Damaszenus war das für die menschliche Natur Christi schon immer so, weil diese, anders als unsere deliberierende prohairesis, der Sünde nicht fähig ist.188 Der entsprechenden Unterscheidung des J. Damaszenus zwischen einem Vermögen des Zieles (Wille) und der Mittel (Entscheidungsfreiheit)189 folgt auch Thomas. Dieser theologische Begriff der Entscheidungsfreiheit verbindet 184 Entscheidungsfreiheit ist darum nicht zu verwechseln mit Willensfreiheit. Vgl. Westberg (1994), 55, und Dewan (1980). 185 Augustinus, De libero arbitrio I, 11, 21; II, 14, 37 etc. (Zuvor aber schon bei Tertullian De an. 20, 5; 21, 6.). Vgl. Den Bok, Nico W.: »Freedom of the will. A systematic and biographical sounding of Augustine’s thoughts on human will«, in: Augustiniana 44 (1994) 237–270. 186 Diese Distinktion generiert eine lange Tradition; sie findet sich noch bei Fichte, im Versuch einer Critik aller Offenbarung § 2, I; hier ist voluntas freilich als Selbstwahl verstanden, nicht als Gotteswahl. 187 Vgl. Clark, Mary T.: »Was Augustine a Voluntarist?« in: Studia Patristica 18 (1990), 8–13. 188 Vgl. Ramelow (2004), 29 f.; zur gegenwärtigen Diskussion z. B. White, Thomas Joseph: »The Voluntary Action of the Earthly Christ and the Necessity of the Beatific Vision«, in: The Thomist 69/4 (2005), 497–534. 189 J. Damaszenus, De fide orth. II, 25–27 (PG 40, 956–61; Bt 148–154). Die Übersetzung dieses Textes im 12. Jh. ist einflußreich. Bourke, Vernon: Will in Western Thought (New York: Sheed and Ward, 1964), 59.
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sich bei Thomas aber auch mit dem aristotelischen der prohairesis als appetitus intellectivi, vel intellectus appetitivi,190 sowie einer Analogisierung mit den Prinzipien, Prämissen und Konklusionen eines Syllogismus, bei welcher den intellektuellen Prinzipien das Letztziel des Willens entspricht (beatitudo), den untergeordneten Prämissen und Konklusionen aber die Mittel zu diesem Ziel.191 Letzteres wäre Sache des liberum arbitrium. Das Wollen der Mittel zum Ziel kommt dem Willen nur aufgrund seiner Zusammenordnung mit der Vernunft zu. Seiner Natur nach (ut natura), d. h. für sich selbst genommen, hat es der Wille nur mit dem Letztziel zu tun; er hat es entsprechend mit den absoluten Gütern des honestum und delectabile zu tun. So wie aber das Wasser eine natürliche Bewegung hat, die gleichwohl sekundär vom Mond beeinflußt wird, so auch der Wille, der von der Vernunft sekundär die Zweck-Mittel-Relation erhält, und damit auch das relative Gut des utile.192 Relationen und Zuordnungen sind immer das Geschäft der Vernunft. Das gilt nicht nur für die Beziehung der Mittel auf das Ziel (das »Intendieren«), sondern auch die Beziehung und den Vergleich der Mittel untereinander (die »Wahl«).193 Dabei bleibt das Wollen des Zieles aber das erste, weil man die Mittel immer nur um des Zieles willen erstrebt; das Wollen des Zieles ist für das Wollen der Mittel wie das Licht für die Sichtbarkeit der Farben. Während 190 Vgl. Aristoteles, Eth. Nic. VI, 2; 1139 b 4–6. 191 Thomas findet dies schon bei Aristoteles, Eth. Nic. VI, 3; 1139 b
31–34; VI, 5; 1140 b 16–18; VI, 10; 1144 a 31 und VII, 8; 1151 a 16 f. 192 De ver. q. 22, a. 13c. Die Dreiteilung von bonum utile, honestum und delectabile bei Ambrosius, De officiis I, c. 9 (PL 16, 35), wie zitiert in Sum. theol. I, q. 5, a. 6. Auch bei Anselm und in der Frühscholastik gibt es eine Unterteilung in utile und honestum, wohl von Augustinus’ uti und frui inspiriert. Riesenhuber (1974, »Gut«), 952. Es gibt übrigens auch delektable Aktivitäten des Verstandes. Umgekehrt sind sinnliche Güter weder (anders als für Kant) bloß ein utile, noch sind sie das letzte Ziel (wie für Empirismus oder einige Formen des Utilitarismus). Sie werden vielmehr um so mehr ein Ziel in sich selbst, je mehr ihre Erkenntnis immateriell ist (darum gibt es nur Künste des Hörens und Sehens); vgl. hierzu Oesterle, John A.: »How Good Is the Pleasurable Good?«, in: The Thomist 28 (1964), 391–408. 193 De ver. q. 22, a. 13–15.
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aber das Sehen des Lichtes und der Farben immer nur mit einem Akt geschieht,194 ist das beim Wollen nur bei den Engeln der Fall, weil die Ziel-Mittel-Relation bei diesen keine diskursive ist.195 Wille und Vernunft also sind verschiedene Vermögen, arbeiten jedoch zusammen in der freien Entscheidung (liberum arbitrium).196 Wenn nun aber die Entscheidungsfreiheit das Zusammenspiel zweier Vermögen, des Willens und des Verstandes, ist, wessen Akt ist dann diese Entscheidung, d. h. die Wahl? Nach Thomas ist es ein Akt des Willens, nämlich ein Akt des Willens in Hinordnung auf die Vernunft.197 Andere haben versucht, die zwei Vermögen durch dasjenige zu verbinden, welches normalerweise zwischen einem Vermögen (potentia) und seinem Akt vermittelt: nämlich durch einen Habitus. Dieser wird seinerseits wieder einem Vermögen, d. h. einer facultas angenähert, indem letztere etymologisch als facilis potestas gedeutet wird.198 Nach Thomas kann aber ein Habitus nicht sein Vermögen übersteigen, und darum muß er letztlich einem dieser Vermögen an194 De ver. q. 22, a. 14 sc. 2. 195 Darum genießen die Engel auch eine natürliche Unfehlbarkeit;
O’Connor, William R.: »Natural Appetite«, in: The Thomist 16 (1953), 361–409, hier 373. 196 Bonaventura hat dafür auch das Bild der Kooperation von Vater und Mutter in der Familienleitung; Ramelow (2004), 42. 197 De ver. q. 24, a. 6. 198 Vgl. De ver. q. 24, a. 4 arg. 1; auf Augustinus berufen sich dafür auch Petrus Lombardus und Wilhelm von Auxerre; die Rede ist von facilis potentia oder potentia cum habitu oder potentia habitualis (»potentia facile volendi id, quod est consensus ex deliberatione et discretione prehabita«). Vgl. Lottin, Odon: Psychologie et morale au XIIe et XIIIe siècles (Louvain: Abbaye de Mont César, 7 Bde., 1942–60), Bd. 1, 68, und Ramelow (2004), 37. Ähnlich die Summa fratris Alexandri; bei Albertus Magnus und Philipp dem Kanzler heißt es potentia habilitata; Stader (1971), 10 und Auer (1951), 117–20. Auch für Albert ist das liberum arbitrium ein drittes Vermögen; Kim (2007), 81. Bei Bonaventura ist es ein habitus und facultas utriusque und ein totum potentiale; Auer (1951), 117; Kim (2007), 81. Thomas hatte, wie auch Kilwarby, im Sentenzenkommentar noch von einem totum virtuale gesprochen. Klubertanz (1950) 96 f.
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gehören, und das ist der Wille.199 Der Wille braucht überdies auf natürlicher Ebene überhaupt keinen Habitus, sondern nur für die übernatürliche Verdienstlichkeit, nämlich als theologische Tugend der Liebe.200 Und ebensowenig braucht die Vernunft einen Habitus um »frei« genannt zu werden; Freiheit stammt nämlich nie aus einem Habitus, sondern immer nur aus einem Vermögen, und d. h. für die Vernunft: aus der Hinordnung auf den Willen. Diese Hinordnung bewirkt, daß die Vernunft sich auf das bezieht, was ihr frei steht (im Gegensatz zu den ersten Prinzipien, welche notwendig sind), und der Wille auf das, was ihm möglich ist (während der Wille allein sich auch auf das Unmögliche beziehen kann, wenn auch nur als velleitas).201 Der Wille geht darin vom Wollen zur Wahl über.202 Als dem Vermögen des Willens zugehörig ist der Akt der freien Entscheidung also die Wahl, durch den Bezug auf den Verstand aber ist er auch ein Urteil. Dies wird besonders in der Boethianischen Tradition betont (liberum nobis de voluntate iudicium).203 Petrus Lombardus sagt sogar: liberum de ratione iudicium.204 Daß Thomas davon in De veritate ebenfalls Gebrauch macht, nährt natürlich den 199 De ver. q. 24, a. 6. Über das Vermögen hinaus ist weiter nichts nötig, auch kein Habitus; De ver. q. 24, a. 4c. In ad 14 versucht ein Einwand das Vermögen nicht zu überbieten, sondern zu unterbieten: es sei das Wesen selbst, weil die Akte der Liebe und des Erkennens reflexiv sind, und nach Augustinus darum wesentlich. 200 De ver. q. 24, a. 4 ad 9. Richtig sei aber, daß diese facultas eine facilis potestas sei, zwar nicht im Sinne einer Geneigtheit, wohl aber im Sinne der Entfernung von Zwang; das aber gehöre zur Natur des Vermögens selbst; De ver. q. 24, a. 4 ad 1 und ad 11. 201 De ver. q. 24, a. 4c und arg 10 und ad 10. Im eigentlichen Sinne geht der Wille freilich weder auf Unmögliches noch auf Mögliches, sondern auf Wirkliches. Die Möglichkeit (als logische und reale) ist bloße Voraussetzung des Strebens. Auch Gott liebt die possibilia nur als den wirklichen Gedanken des bloß Möglichen; Riesenhuber (1971), 128 f. 202 Dies unbeschadet der Tatsache, daß der Wille als bloßes Wollen auch schon vernünftig ist: De ver. q. 24, a. 6 ad 4. 203 Während Johannes Damaszenus andererseits die freie Entscheidung mit dem Willen gleichsetzen kann (»nihil aliud est, nisi voluntas«; De fide orth. III, c. 14, Bt 218). 204 Petrus Lombardus, Sent. II, d. 25, c. 1 (Quaracchi 1916), 228 f.
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Verdacht,205 er sei ein Rationalist, oder aber habe seine Theorie noch nicht hinreichend geklärt.206 Thomas nennt dieses Urteil frei, und zwar gerade insofern es ein vernünftiges ist. Auch Tiere haben ein Urteil, aber eines, das ihnen von anderswoher eingegeben ist, i. e. einen Instinkt oder die vis aestimativa. Unser Urteil hingegen ist frei207 – zum einen, weil es nicht das einzige Urteil ist, das aus den Prämissen folgen kann,208 zum anderen, weil es ein Urteil ist, über das wir immer noch einmal urteilen, d. h. reflektieren können.209 Es scheint mir, daß auch diese Reflexivität letztlich in der Universalität des Formalobjektes begründet ist, welche De malo geltend macht. Sie macht dieses Urteil zu einem Partikularen, das immer wieder reflexiv überstiegen werden kann und darum dem Willen kein nötigendes Objekt vorstellt.210 Dieses Letzturteil wäre also nicht selbst der Entscheidungsakt,211 denn auch nach De veritate ist ja die freie Entscheidung ein Akt des Willens und nicht der Vernunft.212 Das Letzturteil ist vielmehr nur darum ein Letzturteil, weil der Wille es dazu macht, d. h. sich zur Tätigkeit entschließt und es annimmt. Es ist in diesem Sinne, daß Thomas sagt, der Wille befehle der Vernunft ihren Akt.213 Anson205 Z. B. De ver. q. 24, a. 1 arg 17 und ad 17. 206 Kim (2007), 81; Sherwin (2005), 38. 207 »… non est solum causa sui ipsius in movendo, sed in iudicando;
et ideo est liberi arbitrii, ac si diceretur liberi iudicii de agendo vel non agendo«; De ver. q. 24, a. 1c. 208 D. h. das Verhältnis von Ziel und Mittel ist unterdeterminiert: während die Falschheit der Konklusionen im Syllogismus die Unwahrheit der Prämissen impliziert, kann man die Mittel auswechseln, ohne das Ziel zu verleugnen. De ver. q. 24, a. 1 ad 18. 209 De ver. q. 24, a. 2c. 210 So auch Bergamino, Federica: La razionalita e la liberta della scelta in Tommaso d’Aquino (Rom: Ed. Univ. della Santa Croce, 2002), nach welcher das vernünftige Urteil selbst die Wahl frei macht, weil es nur dazu hinreichend ist, entgegengesetzte Entscheidungen zu eröffnen. 211 So aber Klubertanz (1961), 712. 212 Kim (2007), 91. Sherwin (2005), 38, betont mit Pinckaers es sei eine »simultaneous, indissoluble unity«. Mir ist nicht klar, wie dies das Problem löst. 213 De ver. q. 24, a. 6 ad 5.
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sten geht die Urteilsreflexion weiter, d. h. der Verstand wird andere Gesichtspunkte vorstellen.214 Mit anderen (von De malo entlehnten) Worten: die Vernunft sorgt für eine andere Spezifizierung, wenn der Wille das exercitium unterläßt.215 4. Primat des Willens? α) Thomas So gibt es also bei Thomas (anders als z. B. bei Nietzsche oder Spinoza) eine delikate Balance im Verhältnis von Vernunft und Wille. Gleichwohl gibt es auch bei Thomas, wie in der gesamten christlichen Tradition, gegenüber der Antike eine größere Betonung der unabhängigen Rolle des Willens. Bei Thomas zeigt sich dies im Vergleich mit Aristoteles:216 zwar betont auch Aristoteles gegen Platon, daß die Willensschwäche (akrasia), nicht bloß auf Unwissenheit zurückzuführen ist, aber anders als für Thomas ist es nicht der Wille, der dafür verantwortlich ist, sondern die Sinne (Unbeherrschtheit). Unter dem Einfluß von Paulus217 und Augustinus versteht Thomas dies hingegen als eine echte Wahl, und zwar eine Wahl wider besseres Wissen.218 Selbst die in der Unbeherrschtheit implizierte Unwissenheit ist eine selbstge214 So verstehe ich entsprechend auch De malo q. 6. 215 Maritain hingegen scheint dies als eine Macht über die Spezifika-
tion des Urteils selbst zu verstehen, (Maritain, Jacques: »Die thomistische Freiheitsidee«, in: Von Bergson zu Thomas von Aquin, dt. von Edward M. Morris (Cambridge, Mass.: Schoenhof, 1945), 167–195, hier 177–180); möglicherweise ist er beeinflußt von Bergson: unsere Motive sind Motive nur durch unser Handeln, und d. h.: erst wenn wir unser Handeln virtuell vollendet haben. Ibid. 181. 216 Gallagher, David M.: »Tomas de Aquino, la voluntad y la Etica a Nicomaco«, in: Topicos 4 (1994), 59–70, und Reilly, Richard: »Weakness of Will: The Thomistic Advance«, in: Proceedings of the American Catholic Philosophical Association 48 (1974), 198–207. 217 Römer 7,14–21 »… video aliam legem in membris meis, repugnantem legi mentis meae.« 218 Vgl. Kent, Bonnie: »Transitory Vice: Thomas Aquinas on Incontinence«, in: Journal of the History of Philosophy 27 (1989), 199–223; Reilly (1974).
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wählte: dem assensus zu einer moralischen Vorschrift kann immer noch ein consensus zu einem Gegenstand der Konkupiszenz folgen, welches eine willentliche Unaufmerksamkeit gegenüber dieser Vorschrift impliziert.219 Eine solche selbstgewählte Unaufmerksamkeit ist selbst bei den Engeln möglich, die weder an Konkupiszenz noch Unwissenheit leiden.220 Gibt es also vielleicht doch einen Primat des Willens bei Thomas? Dies ist umstritten.221 219 Stegman, Thomas D.: »St. Thomas and the Problem of Akrasia«, in: Modern Schoolman 66 (1989), 117–128, und (gegen Davidson, der Thomas zu intellektualistisch versteht) Barad, Judith: »Aquinas’s Assent / Consent Distinction and the Problem of Akrasia«, in: New Scholasticism 62 (1988), 98–111. Nach Reilly (1974) kann man mit dieser Unterscheidung Hare’s Ansatz korrigieren. 220 Marieb (1964) und Hoffmann (2007). Nach Maritain (1942), 23–43, ist eine solche Unaufmerksamkeit auch die Wurzel der menschlichen Sünde. Daß die Engel dies können, mache sie auch in der natürlichen Ordnung der Sünde fähig. Vgl. hiergegen aber Klubertanz (1961) 704 ff. und Torre, Michael: »The Sin of Man and the Love of God«, in: Knasas, John F. X. (Hg.): Jacques Maritain (Notre Dame, Ind.: University of Notre Dame Press, 1988), 203–213. 221 Paulo, Craig; Messina, Patrick Anthony: »Hermeneutica agustiniana de la voluntad, en santo Tomas de Aquino«, in: Augustinus 47 (2002), 427–455, z. B. betonen den Einfluß von Augustinus und Paulus (Röm 7,14–21); diese »Augustinian hermeneutics« habe zu einem Primat des Willens bei Thomas geführt. Mit Prentice, Robert: »The Voluntarism of Duns Scotus, as Seen in His Comparison of the Intellect and the Will«, in: Franciscan Studies 28 (1968), 63–103, könnte man dagegen halten, daß dies wohl eher die Auffassung des Scotus ist. Stump, Eleonore S.: »Freedom: Action, Intellect, and Will«, in: dies.: Aquinas (New York: Routledge, 22005), 277–305, hier 277, betont die Rückbindung an die Vernunft. Hause, Jeffrey: »Thomas Aquinas and the Voluntarists«, in: Medieval Philosophy and Theology 6 (1997), 167–182, sieht ihn als strikten Rationalisten. Wittmann, Michael: »Die Lehre von der Willensfreiheit bei Thomas von Aquin, historisch untersucht«, in: Philosophisches Jahrbuch 40 (1927), 170–188, 285–305, hier 304 f., hingegen sieht Thomas als Voluntaristen; ebenso Gallagher, David M.: »Thomas Aquinas on the Will as Rational Appetite«, in: Journal of the History of Philosophy 29 (1991), 559–84: der Wille bewege die Aufmerksamkeit des Intellektes, d. h. nicht nur das Exerzitium, sondern auch die Spezifikation. Auch Hoffmann (2007) scheint dieser Auffassung
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Betrifft diese Frage den Wertrang beider Vermögen, so hat Thomas wieder eine differenzierte Antwort: er betont in De veritate, daß, wenn man die Vermögen separat (»absolut«) betrachtet, die Vernunft höher steht; »relativ« aber, d. h. in ihrer Beziehung auf die Gegenstände, hängt das von der Art des Gegenstandes ab: da die Vernunft die Dinge in uns hineinholt, während der Wille uns auf sie hinbewegt,222 ist der Wille gerade bei höheren Dingen vorzuziehen. Der Grund hierfür ist, daß alles in der Erkenntnis Aufgenommene im Aufnehmenden nach dessen Art ist. Niedere Dinge sind darum in uns (vermöge der Vernunfterkenntnis) in einer höheren Weise, höhere Dinge aber werden zu uns hinuntergezogen. Der Wille hingegen bewegt uns zur Seinsweise der Gegenstände: bei niederen Dingen ist das schlecht, bei höheren von Vorteil.223 Dies Verhältnis ist von großer Bedeutung auch für Thomas’ Analyse der theologischen Tugenden, wo die Liebe die mehr intellektuellen Tugenden des Glaubens und der Hoffnung (welche überdies die Unterstützung des Willens brauchen) überbietet.224 zuzuneigen. Anders hingegen Williams (1998) und McCluskey (2002), 432, die freilich sogar die libertas exercitii zu leugnen scheint (433), und die libertas specificationis hinsichtlich der Mittel betont (438–42). Nach Eardly (2006) ist die Möglichkeit einer Lenkung selbst der Spezifikation eher die Auffassung des Aegidius Romanus (gegen Kent, Dumont und Korolec, die diesen für einen Rationalisten halten; ibid. 850); das ist aber zumindest problematisch, weil man auch nach Aegidius immer nur eines »simpliciter« vorstellen kann, d. h. nicht zwei konträre Objekte; Ramelow (2004), 47. Die Lenkung der Spezifikation findet sich dann bei Gerard von Abbeville, Walter von Brügge und Heinrich von Gent, und zwar, wie es scheint, im polemischen Gegensatz zu Thomas; z. B. Kim (2007), 130 f. und, 210. 222 De ver. q. 22, a. 10c. 223 De ver. q. 22, a. 11c. 224 Vgl. hierzu z. B. auch Hittinger, F. Russell: »When it is More Excellent to Love Than to Know: The Other Side of Thomistic ›Realism‹«, in: Proceedings of the American Catholic Philosophical Association 57 (1983), 171–179, und Diaz Torres, Juan Manuel: »Mutua influencia del entendimiento y la voluntad en el acto libre«, in: Sapientia 49 (1994), 143–152. Wenn der Sinn von Sein sich im Absoluten erfüllt, dann ist gerade der Wille darauf als ipsum esse subsistens bezogen, nicht nur, wie die Vernunft auf das ipsum esse oder ens commune. Riesenhuber (1971), 153.
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Thomas betrachtet dieses Verhältnis auch als Zirkel (circulatio), in welchem das Objekt vermittels des assimilierenden assensus der Vernunft in das Subjekt hineinbewegt wird, welchletzteres sich alsdann vermittels des consensus des Willens wieder auf das äußere Objekt hinbewegt.225 Sind assensus und consensus die Relationen, auf denen auch die Transzendentalien des verum und bonum beruhen, dann kann dieser Zirkel auch als die oben erörterte explikative Selbstreflektion des Seins selbst verstanden werden, eine Relationalität im Sein selbst,226 welche ihrerseits im Streben, d. h. im Verhältnis von Akt und Potenz fundiert ist. An diesem Punkt könnte die thomistische Analogie mit der hegelschen Dialektik in einen Dialog eintreten.227 Dabei bleibt aber die Frage, was in diesem Zirkel den ersten Anstoß gibt und damit den Primat hat: der Wille oder die Vernunft. Gerade weil dieser Zirkel zwei Elemente hat, droht hier ein infiniter Regreß.228 Gewiß sagt Thomas spätestens seit seiner Entdeckung der 225 Vgl. z. B. De ver. q. 22, a. 12 ad 1: »… cum in reflexione sit quaedam similitudo motus circularis, in quo est ultimum motus quod primo erat principium, oportet sic dicere in reflexione, ut illud quod primo erat prius, secundo fiat posterius. Et ideo, quamvis intellectus sit prior voluntate simpliciter, tamen per reflexionem efficitur voluntate posterior; et sic voluntas intellectum movere potest.« Vgl. auch Hittinger (1983), 174 f. und Sum. theol. I–II, q. 15, a. 1 ad 3. 226 Vielleicht kann man dies auch als eine reflexive Vertiefung des Seins zur partikularen Substantialität verstehen, d. h.: Reflexion als Selbstsein. Aber es ist dies auch eine Reflexion des Seins im Ganzen, nämlich als exitus und reditus. (Eine circulatio gilt auch für die Schöpfung im Allgemeinen: »… a bono egredientia, in bonum tendunt.« Sent. IV, d. 49 q. 1, a. 3 qc. 1c. Vgl. auch Aertsen, z. B. (1985), 467 ff.) In Gott selbst kann dies eine trinitarische Auslegung finden. 227 Nach De Finance, Joseph: »Le cercle de la connaissance et du vouloir: a propos d’un texte de Saint Thomas«, in: Revista di Filosofia NeoScolastica 66 (1974), 394–408, z. B. ist ebendieser Zirkel eigentlich eine Spirale, in der Neues und Höheres auftritt, ein qualitativer Sprung. 228 Nach Weidemann, Hermann: »Freiheit als Selbstursächlichkeit. Ein fruchtbares Mißverständnis bei Thomas von Aquin?«, in: Metaphysica: International Journal for Ontology and Metaphysics 2 (2001), 25–37, ist es kein infiniter Regreß, sondern eine komplexe Selbstbewegung im Sinne der oben diskutierten Urteilstheorie.
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Eudemischen Ethik, daß der erste Beweger auch der freien Akte Gott ist. Aber das läßt immer noch die Frage offen, welches der beiden Vermögen Gott zuerst bewegt und damit eine fundamentalere Rolle gibt. Thomas hat dies vielleicht später dem Willen zugeschrieben, aber auch dann scheint dies ebenso noch eine Bewegung der Vernunft einzuschließen.229 Selbst in De veritate wird aber ein infiniter Regreß nicht durch einen Hinweis auf die Vernunft abgewendet; das erste Bewegende ist hier weder Gott noch die Vernunft, sondern das natürliche Streben, das dem Willen eingepflanzt ist, eine Fundierung also in der natürlichen Neigung.230 Nichtsdestoweniger kommt zumindest beim frühen Thomas der Vernunft eine Priorität zu: sie bewegt den Willen per se et primo: zwar bewegt auch der Wille die Akte der Vernunft, der erste Anstoß durch die Vernunft jedoch (welchem der Wille aber nicht notwendig folgt) ist nicht selbst noch einmal gewollt, während der Wille die Akte der Vernunft nur insofern (per accidens) will und bewegt, als auch dies noch einmal durch die Vernunft als ein Gutes vorgestellt wird.231 Im Verhältnis der Formalobjekte setzt das Erkennen nämlich nicht notwendig das Wollen voraus, wohl aber umgekehrt. Selbst das fundamentale natürliche Streben zum Letztziel muß der Wille ja vermöge eines anderen haben: wäre nämlich der Wille hinsichtlich des Letztzieles nicht bereits durch die Vernunft aktualisiert, dann wäre er in derselben Hinsicht aktiv und passiv zugleich. Zwar ist das immer aktuale natürliche Streben nach dem Letztziel die Basis für das potentielle Streben nach den Mitteln;232 aber eben-
229 In ScG III, c. 89 und Sum. theol. I, q. 82, a. 4 ad 3 ist es eine Bewegung der Vernunft, im De malo q. 6 dann eine des Willen; Kim (2007), 80 und 200–202. 230 De ver. q. 22, a. 12 ad 2. 231 Das ist zumindest in ScG III, c. 26 so; vgl. Riesenhuber (1971), 205, und Kim (2007), 78 f. 232 »… voluntas non secundum idem movet et movetur. Unde nec secundum idem est in actu et in potentia. Sed inquantum actu vult finem, reducit se de potentia in actum respectu eorum quae sunt ad finem, ut scilicet actu ea velit«, Sum. theol. I–II q. 9, a. 3 ad 1. »… voluntas per
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diese Beziehung zu seinem Letztziel hat der Wille nicht ohne die aktualisierende Verwurzelung in der Vernunft.233 Wie diese primäre Aktualisierung zu verstehen ist, wäre Gegenstand weiterer Erörterungen: ob als fortwährender Habitus, oder als ein fortwährender concursus generalis Gottes,234 oder wie der intellectus agens, der als höheres Vermögen auch im Schlaf noch tätig bleibt, aber dann nicht auf die sinnlich-organgebundenen Formen übergreift;235 Klubertanz z. B. versteht sie als Struktur des Aktes selbst, nicht aber selbst als Akt, oder Habitus aus Akten, oder »virtual intention«.236 Es ist an diesem Punkt, daß auch die göttliche Erstbewegung einsetzt. Im Gegensatz zur klassischen praemotio physica bestreiten Pesch und Kim, daß es eine solche für jeden Einzelakt brauche (wovon Thomas nicht spreche237). Nach Pesch mißversteht die praemotio physica den Akt als eine Substanz, während er ein Akzidenz sei, das ohne nochmaligen Eingriff aus der primären Aktualisierung der Substanz fließen könne. Diese sei eine Kausalität, die von keiner der vier aristotelischen Arten ist.238 Das ist freilich nicht im Einklang mit Thomas, der den Willen eine Wirkursache nennt. Richtig ist aber, daß nach Thomas Gott den Willen so bewegen und verändern kann, wie wenn er uns eine völlig neue substantielle Form gäbe.239 hoc quod vult finem, movet seipsam ad volendum ea quae sunt ad finem«; Sum. theol. I–II q. 9, a. 3c. 233 So O’Connor (1953) gegen Sullivan (1951). 234 »Deus movet voluntatem hominis, sicut universalis motor, ad universale obiectum voluntatis, quod est bonum«; Sum. theol. I–II q. 9, a. 6 ad 3; ein Partikulares kann dafür ebensowenig Ursache sein, wie für die materia prima; ibid., c. 235 Vgl. Pesch (1962), 20–23. 236 Klubertanz (1961), 714 f. 237 Das stimmt nicht ganz; in De ver. q. 24, a. 15c meint er mit Aristoteles, daß selbst Tiere eine Art göttlichen jump start brauchen, um sich von neuem in Bewegung zu setzen. 238 Pesch (1962), 20–23. Nach Kim (2007), 179 f., darf man das freilich auch nicht nur als eine bloße Vorherbewegung zum Letztziel verstehen, die gegenüber den Teilgütern indifferent wäre. 239 Ein analoger Fall wäre es, einem Stein, anstatt ihn nach oben zu werfen, ein solche Form zu geben, daß er nach oben »fiele«; De ver. q. 22,
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Ein solcher Eingriff scheint aber im bloß Allgemeinen zu bleiben und wäre dann wohl nicht von der molinistischen motio indifferens zu unterscheiden.240 Umgekehrt könnte die praemotio physica in Konflikt mit der menschlichen Freiheit geraten. Tatsächlich ist die Kausalität Gottes von einer anderen, transzendenten Art, als die Serie der Zweitursachen; als Ursache des Seins muß sie auch die Ursache alles anderen sein. Sie zerstört unsere Freiheit nicht, sondern macht sie allererst möglich; Gottes Ursächlichkeit ist in jeder Zweitursache als dasjenige, was sie als kontingent und frei konstituiert, und zwar auch dann, wenn Gott nicht nur Ursache des Vermögen, sondern auch des einzelnen Willensaktes ist.241 Andere Ansätze finden die Erstbewegung in den Vermögen selbst, aufgrund ihrer unendlichen Formalobjekte. Oeing-Hanhoff z. B. versteht diese ursprüngliche Bewegung als Selbstbewegung (analog dem habituellen Selbstbesitz in der Selbsterkenntnis242) durch die a. 8c. Als erste Ursache kann Gott den Willensakt sogar besser verändern als wir selbst, denn nach Bernhard ist »der Wille ist das Mächtigste unter Gott«; Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb. cap. 9, 28/29 und 10, 33/34 (PL 182, 1016 und 1019A–B). 240 Shanley, Brian J.: »Divine Causation and Human Freedom in Aquinas«, in: American Catholic Philosophical Quarterly 72/1 (1998), 98–122, hier 108 f. Vgl. auch Wheeler, Maria Cecilia: »Actual Grace According to St. Thomas«, in: The Thomist 16 (1953), 334–360, hier 345 ff. 241 Vgl. Siewerth, Gustav: Die christliche Erbsündelehre. Entwickelt auf Grund der Theologie des heiligen Thomas von Aquin (Christ heute. Reihe 5, 4; Einsiedeln: Johannes Verlag, 1964), McGinn, Bernard: »Development of the Thought of Aquinas on the Reconciliation of Divine Providence and Contingent Action«, in: The Thomist 39 (1975), 741–752, Shanley (1998) und West (2006). Das macht Gott nicht zur Ursache des Übels, weil dieses gerade durch die Abwesenheit von Ursächlichkeit gekennzeichnet ist. Man muß darum auch nicht mit E. Stump die Ursächlichkeit des göttlichen Wissens als bloße Formalursächlichkeit verstehen, um Gott zu exkulpieren; vgl. West (2006). 242 Gemäß De ver. q. 10, a. 8. Oeing-Hanhoff (1988), 265 f. Nach Farrelly ist das Sein, das der intellectus agens als erstes erfaßt, der Seinsakt des wollenden Subjektes als solchen; Farrelly, M. John: »Existence, the Intellect, and the Will«, in: The New Scholasticism 29 (1955), 145–174, hier 165–173.
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auch die anderen Tätigkeiten der Seele in den Selbstbesitz gelangen.243 Tatsächlich aber scheint gerade der angeblich voluntaristischere späte Thomas eine solche Selbstgegenwart der geistigen Seele eher zu reduzieren. Sie ist eine sekundäre Reflektion auf Akte, die sich auf andere, partikulare Gegenstände richten.244 β) Der Primat des Willens in der Folgezeit Man kann also bei Thomas noch nicht von einem Primat des Willens sprechen. Dieser entwickelt sich aber in der Tat schon kurz nach Thomas. Die erwähnten Verurteilungen von 1270 und 1277 haben dazu beigetragen,245 und Bernhards Polemik gegen Abelard war ein Wegbereiter.246 Ist z. B. bei Scotus die Vernunft ein »natura243 Er zitiert De ver. q. 24, a. 1: Ursache der Freiheit sei causa sui ipsius in judicando zu sein. Wir haben das oben anders interpretiert. 244 Z. B. ist es nicht ganz richtig, daß De malo q. 6, a. unic. ad 8, eine intuitive, nicht durch Sinne vermittelte Offenbarkeit der Willensakte kenne; Thomas sagt dort ganz im Gegenteil: »potentia voluntatis ad opposita se habens non possit cognosci nisi per effectum sensibilem.« Auch richtet sich der Wille zuerst auf seinen Gegenstand, nicht auf sich selbst: »actus voluntatis non potest esse primo volitum« (Quodl. 8, q. 9, a. 1c); und: »quaelibet potentia prius fertur in obiectum quam in actum suum«; vgl. auch Riesenhuber (1971), 7 ff. Das scheint auch eine vom kontingenten Objekt unabhängige »Fundamentaloption« auszuschließen; Reyes Oribe (2002), 133. Eine aktive Fähigkeit zielt auf das Werk als auf das Ziel, und nur von ihm her auch auf das eigene Wirken. Vgl. auch Pesch (1962), 24. 245 Wippel, John F.: »Thomas Aquinas and the Condemnation of 1277«, in: Modern Schoolman 72 (1995), 233–272. 246 Z. B. Saarinen, Risto: Weakness of the Will in Medieval Thought: From Augustine to Buridan (Leiden: E. J. Brill, 1994), 51–56. Mensching, Günther: »Absoluter Wille versus reflexive Vernunft: Zur theologischen Anthropologie der mittleren Franziskanerschule«, in: Aertsen, Jan A. (Hg.): Miscellanea Mediaevalia Band 27: Geistesleben im 13. Jahrhundert (Berlin: Walter de Gruyter: 2000), 93–103, und ders.: »Der Primat des Willens über den Intellekt. Zur Genese des modernen Subjekts im Mittelalter«, in: R. Hagenbüchle u. R. L. Fetz (Hgg.): Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität (European Cultures; Studies in Literature and the Arts) (Berlin / New York: de Gruyter, 1998), 487–507, charakterisiert dies als epochale mentale Veränderung und als Genese des modernen Subjektes. Eigentümlicherweise sind die Vertreter eines starken Willens
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les«, d. h. ein notwendiges Vermögen,247 und als solches vom freien Willen fernzuhalten,248 dann ist eine voluntas ut natura geradezu ein Oxymoron. Natur und Spontaneität treten hier begrifflich auseinander. Entsprechend ist der Wille im Gegensatz zur Natur rein aktiv. Auch das Gute ist nicht mehr im von der Vernunft vermittelten Gegenstand verankert, sondern allein im Willen selbst, welcher reine und blinde Wirkursache wird.249 Bei Ockham z. B. scheigegenüber der Vernunft dieselben, die ihn betont von der Gnade abhängig machen. – In der Barockscholastik und im Rationalismus gibt es eine Gegenbewegung, die den Willen wieder dem durch die Vernunft erkannten Besten unterordnet (necessitas moralis ad optimum); vgl. Knebel, Sven K.: »Necessitas Moralis ad Optimum (I), Zum historischen Hintergrund der Wahl der besten aller möglichen Welten,« in: Studia Leibnitiana 23 (1991), 3–24; ders.: »Necessitas Moralis ad Optimum (II), Die früheste scholastische Absage an den Optimismus nach einer unveröffentlichten Handschrift von 1617, Jorge Hemelman SJ 1574–1632,« in: Theologie und Philosophie 67 (1992), 514–535; ders.: »Necessitas Moralis ad Optimum (III), Naturgesetz und Induktionsproblem in der Jesuitenscholastik während des 2. Drittels des 17. Jahrhunderts,« in: Studia Leibnitiana 24/2 (1992), 182–215, und Ramelow (1997). Bei Spinoza werden Freiheit und Vernunft sogar identifiziert, bei Kant ist der Wille praktische Vernunft. Bei Kant bedeutet (anders als im Mittelalter) die Rolle der Vernunft nicht, daß das Objekt wiederentdeckt wird; im Gegenteil; die Vernunft als allgemeine wird praktisch nur als niedergerungene Empirie; die Kluft zwischen Sein und Sollen bleibt bestehen. 247 Vgl. aber auch Thomas’ Differenzierungen und Analogien in De ver. q. 22, a. 5 und a. 6 ad 4. 248 Freilich ist die Vernunft immer noch eine conditio sine qua non – das hat er von Heinrich von Gent, vielleicht ursprünglich von Walter von Brügge; vgl. Decorte (1983), 221; Macken, Raymond: »Heinrich von Gent im Gespräch mit seinen Zeitgenossen über die menschliche Freiheit«, in: Franziskanische Studien 59 (1977), 125–182; Stadter (1971), 38–84. Später hat er, wie es scheint, sogar wieder mehr kausal gedacht, nämlich in den Additiones Magnae; Lee (1985). 249 Wird diese Wirkursache materialistisch verstanden, dann ist man bei Hobbes’ Willensbegriff, letztlich bei einem Willen »als Resultante« (Nietzsche: Der Antichrist § 14); das Gute ist dann einfach das, was faktisch gewollt wird. Etwas ist gut, weil wir es wollen oder begehren (so Spinoza, Hobbes und Schopenhauer), nicht umgekehrt; andernfalls müßte ja auch eine Erkenntnis des Guten dem tatsächlichen Akt des Willens
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det die Finalursache aus der Definition des Willens aus.250 Sein und Sollen,251 verum und bonum, Vernunft und Wille, specificatio und exercitium252 treten so auseinander, und damit in gewisser Weise auch Objekt und Subjekt. Die Gegenstände von Vernunft und Wille können überdies als Essenz und Existenz betrachtet werden:253 die Vernunft erkennt und assimiliert das universale Wesen einer Sache, der Wille bewegt den Geist auf dessen reale individuelle254 Existenz hin.255 Trennt man nun, anders als Thomas, Wille und Vernunft, Freiheit und Gutes, so trennt man auch Essenz und Existenz.256 Das wird sich, viel später, auch in den verschiedenen Formen des Existentialismus zeigen, wenn er Essenz und Existenz zum unüberbrückbaren Gegensatz
vorhergehen. Die Erkenntnis wird so bestenfalls zum begleitenden Vorstellungsbild und Epiphänomen, das Streben vom Akt zum bloßen Inhalt des Bewußtseins. Freiheit einer bloßen Wirkursache kann dann, wenn sie nicht überhaupt geleugnet wird, bestenfalls die Freiheit sein, eine Reihe von selbst anfangen zu können. Da dies aber blind geschieht, wird Freiheit gleichbedeutend mit Zufall. 250 Ramelow (2004), 51 und Bourke (1964), 87. 251 Zwar hält Scotus das Verhältnis von Glück und Pflicht nicht, wie Kant, für einen Gegensatz, es wird aber bereits zu einer bloß logischen Juxtaposition des Nichtwiderspruches. Vgl. auch Kent (2004), 64 f. 252 Bei Thomas hingegen ist die Freiheit des exercitium in der Universalität der specificatio begründet. 253 So z. B. Cajetan; vgl. Dewan (1980), 559 und Malik (1962), 48 f. 254 Dewan (1980). Vgl. auch Farrelly (1955). Je mehr der Wille betont wird, desto mehr wird das Individuum betont, sowohl auf der Seite des wählenden Subjektes, das durch seine historisch-kontingenten Entscheidungen individuiert wird (das Allgemeine wählt nicht und ist notwendig), als auch auf der Objekt-Seite, weil der Wille, anders als die Vernunft, auf Einzelnes geht. 255 Ist man ein Idealist im Sinne des esse est percipi, dann fällt dieser Unterschied weg. Entsprechend sind bei Leibniz die appetitiones nicht ein Streben nach der äußeren Wirklichkeit, sondern ein Streben nach anderen, neuen Vorstellungen. 256 Tatsächlich sind sowohl Essenz als auch Existenz gut. Sie unterscheiden sich nach Farrelly nur darin, daß Existenz Grade zuläßt, die Essenzen aber wie die Zahlen nicht steigerbar sind; Farrelly (1955), 154–56.
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macht, indem er Freiheit mit Existenz nicht nur korreliert, sondern identifiziert. Demgegenüber scheint vor dem 13. Jahrhundert die teleologische Wesensfreiheit zu überwiegen, die, wie gesagt, dem privativ verstandenen liberum arbitrium gegenübersteht.257 Dies bedeutet zwar keine Vernunftdetermination,258 aber Freiheit ist doch Freiheit zum Guten und nicht nur Freiheit zu willkürlichen Handlungsoptionen innerhalb einer verdinglichten, »bloß naturalen« Wirklichkeit. Thomas steht also an einem Wendepunkt. Freiheit und Gutheit, Sein und Sollen, Metaphysik und Ethik sind noch nicht getrennt, wenn auch differenziert.259 Damit vermeidet er einige Probleme die ein Primat des Willens im späteren Sinne aufweißt: Wenn es nur intern der Wille wäre, welcher das Gute bestimmte, unahbängig vom Objekt, und vorgängig zu diesem (als bloße »gute Absicht«), dann könnte dazu jeder Gegenstand herhalten. Tatsächlich sind aber nicht alle Gegenstände dazu geeignet, weil nicht alle ein perfectivum des Strebens sind. 260 Sie mögen faktisch angestrebt werden (z. B. Drogen), ohne ein perfectivum zu sein. Daß etwas ein perfectivum des Willens ist, unterliegt ja (anders als z. B. für Spi257 Vgl. z. B. Anselms teleogische Definition der Willensfreiheit: »potestas servandi rectitudinem voluntatis propter ipsam rectitudinem«. Für Boethius ist der Wille um so freier, je mehr er sich mit dem Geistigen, und speziell Gott, beschäftigt; In De Interpret. (PL 64, 492 f.); vgl. auch De Cons. V, pr. 2 (PL 63, 834–7). 258 Boethius z. B. kann andererseits den Wille auch als Herrn des ganzen Lebens der Vernunft auffassen (domina … totius vitae rationis); In De Interpretatione (PL 64, 505 f.). Abelards Vernunftdeterminismus ist also eher eine Ausnahme, die auch prompt Widerspruch hervorruft. Auch für Wilhelm von Auxerre macht der Wille das praktische Vernunfturteil nur definitiv, ist aber als solcher »in« der Vernunft; er ist das Vermögen, dem Gewissen zu folgen: Summa Aurea II, 10, c. 3 f. (hg. v. J. Ribaillier, Paris / Grottaferrata 1980–87) Bd. 2, 279–84. Das muß aber nicht als Determinismus verstanden werden. 259 Sie sind z. B. differenziert, sofern die ersten Prinzipien der beiden Disziplinen nicht die gleichen sind. Aertsen (1998, »The Philosophical Importance«), 248–50. 260 Das Gute ist nicht nur ein perfectum, sondern ein perfectivum; De ver. q. 21, a. 1c.
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noza) gerade nicht selbst einer Wahl des Willens. Wäre dem nicht so, dann könnte man nicht mehr sagen, was denn ein »Scheingut« ist.261 Für Thomas hingegen ist das Scheingut ein solches, das mit der Form des Tätigen nur in einer oberflächlichen oder bloß vorgestellten Ähnlichkeitsproportion steht, nicht aber als die wirkliche Sache selbst (und darauf geht ja der Wille).262 Das Gute und das Sollen haben also eine Basis im Sein. Wird voluntaristisch die Wirkursächlichkeit des Willens von der Finalursächlichkeit, d. h. vom durch die Vernunft vermittelten guten Objekt abgekoppelt,263 dann ist das für Thomas schon rein metaphysisch unmöglich: metaphysisch betrachtet gibt es für Thomas auch Wirkursachen und Formursachen nur um eines Zieles willen; die Finalursache ist die erste aller Ursachen und erweckt alle anderen.264 Selbst in der Natur sind Wirkursachen nicht ohne Zweckursachen denkbar, weil sie sich andernfalls in der Situation von Buridans Esel befänden: es gäbe keinen Grund für sie, eher das eine als das andere zu tun; das ist also nicht nur ein psychologisches, sondern ein metaphysisches Problem. Ist es normalerweise der Vernunftdeterminismus, der mit Buridans Esel in Schwierigkeiten gerät, so hat für Thomas ein Voluntarismus blinder Wirkursachen genau dasselbe Pro261 Duska, Ronald: »Aquinas’ Definition of Good: Ethical-Theoretical Notes on De veritate, q. 21,« in: Monist 58 (1974), 151–162. 262 Malik (1962), 49. 263 Im Gegensatz zu Thomas; z. B.: »… obiectum autem, licet sit extrinsecum, est tamen principium vel finis actionis«; Sum. theol. I, q. 77, a. 3 ad 1. Das Gute als der Gegenstand spezifiziert den Akt des (ansonsten passiven) Willen (actus specificatur ab obiecto); vgl. auch Riesenhuber (1971), 14 f. Aertsen (1998, »The Philosophical Importance«), 238–245. 264 Z. B. De ver. q. 21, a. 3 arg. 4; Aristoteles, Phys. II, 5; 195 a 24, und Avicenna Met. VI c. 5 (Venedig 1513: f. 94va–vb E). Das gilt für die Formalursachen und Wirkursachen der Agentien, welche dem Zweck proportioniert sind: »Principio autem et fini proportionantur ea quae sunt intrinseca rei«; Sum. theol. I, q. 77, a. 3 ad 1; »debita proportio ad finem vel relatio in ipsum, inhaeret actioni.« Sum. theol. I–II, q. 18, a. 4 ad 2. Es gilt aber letztlich auch für die inneren Konstitutionsprinzipien alles Seienden. Warum? Weil nicht die Aktualität, sondern die Potentialität erklärunsgbedürftig ist. Die Potentialität ist um des Aktes willen da, und der Akt ist, was die Potentialität aktualisiert.
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blem. Nicht nur der Wille also, sondern die Wirklichkeit im Ganzen ist ohne Zweckbegriffe undenkbar; das bonum ist dem ens einbeschrieben, der Sinn dem Sein nicht äußerlich. Entgegen modernem Pessismus trifft sich Thomas mit Aristoteles und Leibniz in dieser Auffassung.265 Für Aristoteles ist der letzte Grund aller Bewegung nur die Finalursache, sofern der erste Beweger alles hos eroumenon bewegt. Eben weil dies so ist, geht bei Thomas in De veritate die Erörterung des Guten dem des Strebens und des Willens voran. Der Wille wie jede andere aktive Wirkursache braucht eine Aktualisierung. Das ist aber nicht seinerseits wieder nur eine andere blinde Wirkursache, wie beim Mechanismus, sondern ein Objekt, eine Formalursache, die das Ziel präsent macht. Und nur darin haben wir überhaupt Zugang zum Phänomen des freien Willens: zum einen wird er nur indirekt, d. h. in seinen sinnlichen Wirkungen und Gegenständen erkannt. Das aber weist ihn noch nicht als freie und willentliche Ursache aus. Vielmehr ist er, weil er über seine Finalität definiert ist, überhaupt erst in der Eröffnung des Guten erfahrbar und intelligibel. Es gibt und braucht keine augustinische oder cartesianische intuitive Selbsterfahrung des Willens als solche, und Thomas appelliert auch nie daran.266 Akte werden erst in Reflektion auf ihre Objekte erkannt (actus specificatur ab obiecto);267 das Selbstverhältnis kann vom Weltverhältnis nicht abgetrennt werden.268 Theorien andererseits, die sich wie Descartes auf eine direkte innere Selbsterfahrung269 unserer Freiheit als evident berufen, bleiben 265 Rintelen, Fritz-Joachim: »Die Frage nach Sinn und Wert bei Thomas von Aquin«, in: Rivista di Filosofia Neo-Scolastica 66 (1974), 682–739. 266 Vgl. Herr, Vincent and Stafford, John W.: »The Freedom of the Will,« in: Proceedings of the American Catholic Philosophical Association 16 (1940), 143–153. 267 Thomas betont das gerade in diesem Zusammenhang: »potentia voluntatis ad opposita se habens non possit cognosci nisi per effectum sensibilem«; De malo q. 6 ad 18; wenn er zuvor das umgekehrte zu sagen scheint, dann meint er die Vernunft, welche den Willen erkennt, sofern sie ihn durch ihre Objekte bewegt. 268 Riesenhuber (1974, »Meaning of Freedom«), 104. 269 Dies ist eine augustinische Tradition; z. B. Kim (2007), 14. Bei Olivi
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darum tatsächlich eher leer und bloße Behauptung.270 Nicht zufällig kann sich deshalb dagegen eine neuzeitliche Polemik wenden, welche die Annahme des Willens als einer zusätzlichen Wirkursache als überflüssigen homunculus oder »little man in the brain«271 abtut: ohne die Erfahrung ihres Gegenstandes und Zieles wird diese Wirkursache eben gleichfalls unzugänglich und chimärisch, bestenfalls ein an sich überflüssiges, bloß begleitendes Bewußtsein, nicht aber ein Zentrum von Akten.272
z. B. ist diese introspektive Selbsterfahrung fundamental für alles andere; bei Ockham ist es der einzige Aufweis der Existenz des Willens; Ramelow (2004), 45 und 51. Bei beiden ist der Wille reines Wirkprinzip ohne Finalität. 270 Schon Leibniz hat daran Anstoß genommen. 271 Oder als »… some sort of radiation generated by gritting the teeth and saying ›move, move, move …‹.« Vgl. Daniel C. Dennett: Content and Consciousness (London: Routledge, 1969), 171. Man darf hier vielleicht auch an W. James’ Definition des Willens als »effort of attention« denken. Malik (1962), 65, zitiert A. Pfänders Phänomenologie des Wollens, in welcher das Wollen keinen gegenständlichen Gehalt hinzufügt, sondern nur eine Modifikation des Ichgefühls. Hier wäre zu fragen, ob es nicht doch der spezifische der gegenständliche Gehalt selbst ist (die forma oder species), der aufgrund der Ähnlichkeitsrelation das Streben erweckt. 272 Wenn es ein subjektives, hinzugefügtes Gefühl alles ist, dann kann man gewiß mit Wittgenstein fragen: »was ist das, was übrigbleibt, wenn ich von der Tatsache, daß ich meinen Arm hebe, die abziehe, daß mein Arm sich hebt?« (Philosophische Untersuchungen n. 621). Daß die Willensakte als willentliche den befohlenen Akten vorhergehen, erscheint auch A. Kenny mit G. Ryle als ein »Geist in der Maschine«, und so bedroht von einem infiniten Regreß. Darum interpretiert er auch bei Thomas diese Akte eher als »Aktualisierungen« der befohlenen Akte. Willensakte seien nur »dispositional terms«, die nicht einmal Bewußtsein einschließen (Beratschlagung ist vielmehr selbst schon ein befohlener Akt). Der intentionale Inhalt ist eine Beschreibung der äußeren Handlung selbst, ihre Beziehung letztlich eine logische, keine ontologische; Kenny (1993, »Mind«), 84 f. Vgl. dagegen aber Radcliffe, Elizabeth: »Kenny’s Aquinas on Dispositions for Human Acts«, in: New Scholasticism 58 (1984), 424–446, die zeigt, daß beide wie Akt und Potenz unterschieden sind, und daß die Willensakte nicht nur begrifflich, sondern realiter notwendig sind.
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Wird der Wille also erst über seinen Gegenstand erfahrbar, so ist freilich auch richtig, daß dieser Gegenstand als das Gute sich seinerseits nur in einem Streben eröffnet. Darum mußte ja Thomas das ansonsten undefinierbare Gute definieren als »das, wonach alle streben«. Ebendies versteht er als das Fundament für das Gute als einem der Transzendentalien. Insofern sind das Streben und das Gute wechselseitig durcheinander definiert. Was hier verlorengegangen ist, ist letztlich Selbsttranszendenz auf eine subjektunabhängige Wirklichkeit hin. Damit aber wird Subjektivität selbst unverständlich, da diese als Wille und Intellekt nur in ihrer Zirkelstruktur zu verstehen sind, d. h. nur als exitus und reditus des Seins selbst. Die Intentionalität des menschlichen Geistes erfüllt sich nicht nur im Erkennen (verum), sondern auch in der willentlichen Vereinigung mit dem Objekt (bonum). Das unterstreicht, daß es das natürliche Telos auch des Denkens ist, auf die Sache selbst zu gehen, insofern Denken eine bewußte Partizipation am transzendenten Sein als solchem ist. Das Subjekt als Vernünftiges transzendiert sich immer schon selbst und kann gerade als Vernünftiges ein Streben haben, das Wille oder Liebe273 ist, d. h. eines, das eine Kommunion mit der Sache selbst eingeht. Die vernünftige Seele als »gewissermaßen alles« kann mit allem eine Kommunion eingehen (natum sit convenire cum omni ente)274 und ist gerade so eines, das der Selbsttranszendenz fähig ist und auf alles als ein Gutes ausgehen kann (bonum est quod omnia appetunt). Ebendarum gibt es eine analoge oder parallele Struktur von Wille und Vernunft, von theoretischer und praktischer Intentionalität. Der Voluntarismus kann diese metaphysische Zusammengehörigkeit nicht mehr erkennen.
273 Der »primus motus … cuiuslibet appetitivae virtutis« ist wesentlich Liebe; Sum. theol. I, q. 20, a. 1. 274 De ver q. 1, a. 1.
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C Defizienzen des Seins gegenüber dem Sollen Das Verhältnis von Wille und Vernunft ist also im Ganzen der metaphysischen Struktur zu verstehen. Sie sind weder voneinander zu trennen noch zu identifizieren. Wie wir gesehen haben, ist auch das Verhältnis von Sein und Sollen, von ens und bonum ein differenziertes. Und das hat mit der so entfalteten Struktur des vernünftigen Strebens als Akt und Potenz zu tun: das Gute ist nicht einfachhin mit dem Sein identisch, sondern nur auf differenzierte Weise, gemäß dieser Struktur. Das gilt zum einen da, wo der Akt des Willens selbst versagt und sündigt. Als Akt ist er ja, aber als sündigem fehlt ihm etwas in seiner Aktualität; dies wird noch zu zeigen sein. Eine Differenz gibt es aber selbst da, wo der Wille nicht sündigen kann, nämlich bei Gott: 5. Identität und Differenz von Sein und Sollen im Willen Gottes Während Gott selbst das einzige Sein ist, in welchem Sein und Sollen unqualifiziert zusammenfallen, bedeutet dies weder, daß er keinen freien Willen hat, noch bedeutet es, daß bei den äußeren Gegenständen seines Willens undifferenzierte Eindeutigkeit herrscht. Die ganze Quaestio XXIII ist der Differenzierung von Sein und Sollen hinsichtlich des göttlichen Willens gewidmet. Insofern in Gott Sollen und Sein zusammenfallen, kann er das Böse nicht tun. Das aber beschränkt die Freiheit seines Willens nicht.275 Vielmehr hat er, aufgrund seiner Immaterialität, den Willen sogar im allereigentlichsten Sinne.276 Andernfalls könnte er sich nicht seiner selbst erfreuen und selig sein.277 Die Vollkommenheit seines Willens besteht insbesondere darin, daß er nicht nur mit sei-
275 De ver. q. 24, a. 3 sc. 1, mit Anselm. 276 De ver. q. 23, a. 1c. 277 Ibid. sc. 2; das Streben impliziert hier auch keine Unvollkommen-
heit: es ist am Ziel und erfreut sich dessen (ad 8); als solches kommt ihm Ehre zu, aber auch Lob, sofern er nämlich im Geschaffenen die Mittel zum Ziel (i. e. sich selbst) hin ordnet (ad 4).
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nem Subjekt, sondern auch mit seinem Akt und ebenso mit seinem Gegenstand oder Ziel278 identisch ist.279 Auch bedeutet der Zusammenfall von Sein und Sollen nicht, daß der göttliche Wille hinsichtlich der äußeren Dinge keine Wahl hätte; deren Erschaffung ist keine neuplatonische Emanation des Guten.280 Nur sich selbst will er mit Notwendigkeit, und dies als Verwirklichung seiner Freiheit. Das Verströmen des Guten, das auch Thomas bejaht, geschieht nur unter dem Vorbehalt, daß es das Mittel zum Zweck der Offenbarung von Gottes eigener Gutheit ist.281 Die Mittel aber sind verschiedene, deren keines eine notwendige, jede aber eine hinreichende Bedingung zur Erreichung dieses Zieles ist. Darum hat Gott die Wahl unter ihnen;282 er kann sie aber auch komplett unterlassen.283 Gott ist somit zwar allwissend, aber nicht allwollend.284 Insofern stammt die Kontingenz des Geschaffenen also unmittelbar von Gott, und wird nicht etwa durch Vermittlung von Zweitursachen oder durch sekundäre Emanationen eingeführt.285 Geschaffene Dinge sind damit niemals intrinsisch notwendig, sondern lediglich aufgrund der Unveränderlichkeit, mit der Gott sie will.286 Da dies aber der Wahl Gottes unterliegt, kann man hier (vielleicht erstmals) von etwas sprechen, das »kontingenterweise not278 Daß er frei im Sinne einer causa sui ist (De ver. q. 23, a. 1 sc. 3), ist hinsichtlich der Finalursächlichkeit zu verstehen, entsprechend Aristoteles, Met. I, 2; 982 b 25. 279 De ver. q. 23, a. 1 sc. 3. 280 Plotin führt zwar den Willensbegriff für Gott ein, aber dieser Wille hat nicht die Freiheit des christlichen Schöpfergottes; Enn. VI, 8 (39), 6. 281 De ver. q. 23, a. 1 ad 3. 282 Hinsichtlich dieser Möglichkeiten ist Gottes Wille ein bewegter Beweger; allerdings ist er mit diesen Möglichkeiten als seinen eigenen Gedanken auch identisch, bewegt sich also doch auch wieder selbst. De ver. q. 23, a. 1 ad 7. 283 Ibid. ad 9. Systematisch entwickelt ist alles dies in De ver. q. 23, a. 4. 284 De ver. q. 23, a. 3 ad 1. 285 De ver. q. 23, a. 5c. 286 De ver. q. 23, a. 1 ad 2. Diese Unveränderlichkeit (necessitas immutabilitatis) besteht in gewisser Weise auch für Kontingentes, weil Gott seinen Willen nicht ändert: auch wenn Dinge entstehen und vergehen, will er genau das von Ewigkeit. Ibid. ad 10.
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wendig« ist. (Das einzige prä-christliche Äquivalent hierzu dürfte die necessitas per accidens sein: die Notwendigkeit des Vergangenen.287) Zugleich aber sind die kontingenten Dinge notwendigerweise kontingent – unter der Voraussetzung, daß Gott sie als solche, d. h. als kontingente will.288 Überdies ist selbst für den göttlichen Willen nicht alles schon deshalb simpliciter gut, weil er es will. Eine weitere Differenzierung von Sein und Sollen289 entspringt nämlich aus einer Unterscheidung des Johannes Damaszenus: derjenigen von vorgängigem und nachfolgendem Willen (voluntas antecedens und consequens).290 Sie stammt aus dem Kontext der Prädestinationslehre und der Theodizee, findet aber auch eine weitere, metaphysische Anwendung: Gottes allgemeiner Heilswille will das Beste für jedes geschaffene Ding im Einzelnen genommen (voluntas antecedens). Als Konsequenz seiner Zusammensetzung mit anderen Dingen aber läßt Gott Defekte im Einzelding zu, weil dies besser für das Gut des Ganzen ist (voluntas consequens).291 Ein solches Ganzes bilden die Dinge jedoch nur für den tatsächlichen, schöpferischen Willen Gottes, nicht aber als Possibilien im Verstand Gottes; mit anderen Worten: Thomas kennt keine möglichen Welten. Nur von der wirklichen Welt hat Gott eine Idee.292 Da der Wille aber auf die Wirklichkeit des Ge287 »Omne quod est, quando est, necesse est esse« (Periherm. 19a 23– 24). Verwandt hiermit sind die necessitas consequentiae oder necessitas ex hypothesi / ex suppositione. Vgl. De ver. q. 23, a. 4 ad 1 und De ver. q. 24, a. 1 ad 13. 288 De ver. q. 23, a. 5. Vgl. auch Ramelow (1997), 12–31. 289 Vgl. z. B. auch De ver. q. 21, a. 2 ad 8. 290 J. Damaszenus, De fide orth. II, 29 (PG 94, 968; Bt 160). Hierzu Stegmüller, Friedrich: Die Lehre vom allgemeinen Heilswillen in der Scholastik bis Thomas von Aquin (Rom 1929). Zur bleibenden theologischen Aktualität der Unterscheidung im 20. Jahrhundert vgl. z. B. White (2006). White, Thomas Joseph: »Von Balthasar and Journet on the Universal Possibility of Salvation and the Twofold Will of God,« in: Nova et Vetera 4/3 (2006), 633–666. 291 Mit anderen Worten: Gott ist der einzige legitime Konsequentialist, weil er und nur er, Verantwortung für das Ganze hat. 292 De ver. q. 23, a. 2 ad 3: »Res autem secundum quod sunt in Deo, non habent ordinem; sed secundum quod sunt in seipsis; et ideo ordo rerum
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genstandes geht und darum enger mit dessen Differenzen verbunden ist, kann er selbst (anders als das göttliche Wissen293) in der beschriebenen Weise und Ordnung differenziert werden. Eine solche Unterscheidung im Willen Gottes bleibt freilich eine Aussage von seiten der Schöpfung her; in sich selbst ist Gott ganz und gar einfach.294 Was also im Hinblick auf die Schöpfung als nachfolgender non attribuitur scientiae vel potentiae, sed solum voluntati.« Leibniz’ mögliche Welten sind bereits der Ausfluß und die Vereinfachung einer Diskussion unter den Jesuiten bezüglich der Differenzierungen im Willen Gottes und seiner Dekrete; auch die molinistische scientia media impliziert ein solches göttliches Wissen von möglichen Gesamtordnungen. Vgl. hierzu Ramelow (1997). Die leibnizsche notio completa beschreibt dies Wissen der einzelnen Monade als deren Umstände ein. Eine interessante Antizipation dieses Gedankens findet sich in De ver. q. 23, a. 2 arg 1 und ad 1, aber eben wieder nur für die tatsächlich existierenden Dinge. 293 De ver. q. 23, a. 2 ad 1. 294 Da sich das göttliche Wollen, anders als das Wissen, zum Sein der Dinge selbst verhält, dieses aber kontingent ist, wird sein Wollen der Dinge (anders als sein Wissen) nicht notwendig genannt (vgl. auch Sum. theol. I, q. 19, a. 3 ad 6). Gott hat aber keine relatio realis zur Schöpfung, wird also vom Schöpferwillen nicht intrinsisch affiziert (ähnlich De ver. q. 23, a. 4 ad 6). Seine Ewigkeit und Notwendigkeit sind also nicht bedroht. In De ver. q. 23, a. 4 (arg 2 und 3 ad 2 und 3) wird so argumentiert, daß der Gegenstand des göttlichen Wollens zwar kontingent ist, aber doch ex suppositione des göttlichen Wollens notwendig (d. h. die Existenz, nicht aber die Möglichkeit des Gegenteils, ist mit dem göttlichen Willen inkompossibel; De ver. q. 23, a. 5 ad 3). Das göttliche Wollen selbst ist, auch wo es Kontingentes will, ex suppositione seines eigenen Wollens notwendig (ad 4). Diese Probleme haben eine vertiefte und schwierige Diskussion in der Barockscholastik erfahren (vgl. Ramelow (1997), 305–335), und werden auch heute wieder im angelsächsischen Raum unter dem Titel »divine simplicity and divine freedom« verhandelt. Vgl. z. B. Stump, Eleonore S.: »Aquinas on Being, Goodness, and Divine Simplicity«, in: Pickavé, Martin (Hg.): Miscellanea Mediaevalia Band 30: Die Logik des Transzendentalen (Festschrift für Jan A. Aertsen zum 65. Geburtstag), (Berlin: De Gruyter, 2003), 212–225; Grant, W. Matthews: »Aquinas, Divine Simplicity, and Divine Freedom«, in: Proceedings of the American Catholic Philosophical Association 77 (2003), 129–144; Wippel, John F.: »Norman Kretzmann on Aquinas’s Attribution of Will and of Freedom to Create to God«, in: Religious Studies 39 (2003), 287–298; aber auch Knasas, John F. X.: »Contra
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und zeitlicher Wille aktualisiert ist, ist in Gott selbst ein habitueller ewiger Wille.295 Im nachfolgenden Willen kann Gott also Defekte zulassen. Diese Defekte, insbesondere die Sünden, sind dabei immer nur zugelassene, niemals gewollte. Sie fallen unter den vom »Willen des Wohlgefallens« zu unterscheidenden »Willen des Anzeichens«;296 und das gilt nicht nur für das zugelassene Böse, sondern selbst für das Übel der Strafen, die daraus folgen und als Zeichen Gottes Zorn indizieren.297 Eine solche Zulassung ist keine Verhinderung der Absichten Gottes, da er alles dies von vorneherein weiß und einbezieht.298 Wegen dieser Differenzierung im Willen Gottes ist das Faktische nicht unmittelbar normativ. Nicht alles kann unqualifiziert als »Wille Gottes« bezeichnet werden. Muß man nun aber zwischen dem nachfolgenden und vorhergehenden Willen, sowie zwischen verschiedenen Anzeichen des Willens unterscheiden, alle diese einander aber widersprechen können, dann ist zu fragen, welchem Willen wir denn nun folgen sollen. Welcher Wille Gottes macht etwas Faktisches zu einem Gesollten und in welchem Sinne sollen wir mit ihm konform sein? Hugo von St. Viktor, Petrus Lombardus und Thomas sehen den wahren Willen Gottes im unveränderlichen »Willen des Wohlgefallens« (voluntas beneplaciti), im Gegensatz zu bloß äußeren und veränderlichen Anzeichen des göttlichen Willens (signa voluntatis, voluntas signi). Innerhalb des »Willens des Wohlgefallens« ist es der vorhergehende Wille des Wohlgefallens, welcher der Gebotswille Gottes ist. Nur ihm ist zu folgen, nicht dem Spinoza: Aquinas on God’s Free Will«, in: American Catholic Philosophical Quarterly 76 (2002), 417–429. Kretzmann z. B. behauptet, nach Thomas müßte Gott eigentlich die Schöpfung genauso notwendig wollen, wie sich selbst, da er alles in der notwendigen Liebe seiner selbst will. Dagegen aber Wippel (2003). 295 De ver. q. 23, a. 2 sc. 2. 296 De ver. q. 23, a. 3. Die Unterscheidung von voluntas signi und beneplaciti erstmals bei Hugo v. St. Viktor, De Sacramentis I, IV, c. 1–25 (PL 176, 233–245), und von Petrus Lombardus übernommen. 297 De ver. q. 23, a. 3c. Vgl. Alain de Lille, Regulae de sacra theologia 21 (PL 210, 631A). 298 De ver. q. 23, a. 2c.
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Willen, welcher auch das Böse zum Zwecke des Gesamtwohles zulassen kann. Gleichwohl ist aber auch letzterer ein Wille Gottes im eigentlichen Sinne, und insofern sollen wir also nicht immer das wollen, was Gott will.299 Die Übereinstimmung unseres Willens und des Willens Gottes kann nach Thomas, wie auch schon nach Alexander von Hales,300 den aristotelischen Ursachen entsprechend betrachtet werden: material (Konformität hinsichtlich des Objektes, sie ist von geringstem Wert), formal (hinsichtlich der Art und Weise des Wollens, d. h. insbesondere gemäß der Tugend der Liebe301), und final (es um desselben Zieles willen wollen).302 Dabei kann etwas material Schlechtes (etwas zu unserem Nachteil) um eines guten Zieles akzeptiert werden,303 nie aber darf die eigene Verdammung gewollt werden, selbst dann nicht, wenn Gott sie uns offenbarte.304 Diese Übereinstimmung unseres Willens mit dem Gottes ist Freundschaft.305 Sie ist letztlich eine Übereinstimmung hinsichtlich
299 Vgl. z. B. auch De malo q. 6 ad 5: »voluntas hominis quodammodo discordat a Dei voluntate, in quantum scilicet vult aliquid quod Deus non vult eam velle, ut cum vult peccare, licet etiam non velit Deus voluntatem hoc non velle.« 300 Summa fratris Alexandri I, 1, 6, q. 5 und q. 6, c. 2 (Quarrachi 1924), 403–6. 301 Ob diese geboten ist, ist strittig; vgl. De ver. q. 23, a. 7 arg 8 und ad 8. 302 Alexander fügt als Wirkursache hinzu: das wollen, wovon wir wissen, daß Gott es will. Vgl. hierzu auch Ramelow (2004), 37 f. 303 Gemeint ist nicht, daß der Zweck unsere Mittel heiligt, sondern daß Gottes Mittel uns heiligen, auch wenn sie uns zuwider sind; De ver. q. 23, a. 8. Dabei scheint die Sinnlichkeit kurioserweise mehr dem vorhergehenden und absoluten Willen Gottes zu entsprechen, der vernünftige und relative Wille aber dem nachfolgenden; vgl. De ver. q. 23, a. 8 ad 4, hinsichtlich der Agonie Jesu. Dies ist so, weil das sinnlich auf das Einzelne (in sich selbst) geht; vgl. auch De ver. q. 24, a. 5 ad 4. 304 De ver. q. 23, a. 8 ad 2. 305 Vgl. auch Schwartz-Porzecanski, Daniel: »Aquinas on Concord: Concord Is a Union of Wills, Not of Opinions«, in: The Review of Metaphysics 57 (2003), 25–42, und ders.: »Should We Will What God Wills?
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des Letztzieles, auch wenn uns die Mittel nicht immer gefallen.306 So setzt Übereinstimmung aber Vernunft voraus. Die Sinne gehen nämlich immer nur auf eines aus, und können nicht sehen, daß das Unangenehme auf etwas Höheres hingeordnet sein kann.307 Die Beziehung zwischen Zweck und Mittel ist, wie jede Ordnung und jeder Vergleich, Sache der Vernunft. Es ist darum letztlich in der Vernunft begründet, daß wir Freundschaft mit Gott haben können. Daß wir eine solche Freundschaft mit Gott haben können, beruht nun auf Voraussetzungen, die in der Zeit nach Thomas zunehmend in Frage gestellt werden. Daß wir mit dem Willen Gottes in dieser Weise übereinstimmen sollen, bedeutet nämlich, daß wir in der Lage sein müssen, dasjenige, was im Sein normativ ist, von dem zu unterscheiden, was ein nur zugelassenes Übel ist. Ersteres ist das Gute einer bestimmten Natur, die Gott erschaffen hat. Er hat von ihr eine vorgängige Idee und will diese mit seinem vorhergehenden Willen. Wenn nun in der Zeit nach Thomas mit wachsendem Nominalismus diese Natur unerkennbar wird, oder ihre Existenz als ein Universale schlicht geleugnet wird, dann kann man diese Unterscheidung nicht mehr treffen. Bestenfalls können wir diesen Willen Gottes der Offenbarung entnehmen; aber als ein solcher bleibt er dem Sein äußerlich. Eine »symbolische Theologie«, die die Benennungen Gottes und insbesondere308 die Benennungen seines Willens aus der Natur und Benennung der Dinge gewinnt, wird unmöglich.309 Die Partizipation alles Seienden am Guten310 und am vorhergehenden Willen Gottes Friendship with God and Conformity of Wills According to Aquinas«, in: Philosophy and Theology 15 (2003), 403–419. 306 Thomas’ Beispiel ist der Arzt, der dem kranken Freund nicht den Wein gibt, den er begehrt, der aber schlecht für ihn wäre; De ver. q. 23, a. 8 ad sc. 3. 307 Darum kann selbst Christus in Gethsemane in Agonie sein; De ver. q. 23, a. 8 ad 4. 308 Ebendarum, weil der Wille im eigentlichsten Sinne von Gott ausgesagt wird. De ver. q. 23, a. 1. 309 Im Gegensatz zu De ver. q. 23, a. 3c. 310 Pseudo-Dionusius, De cael. hier. cap. 2 § 3 (PG 3, 141C), nach der Übersetzung von Eriugena (Dionysiaca, 764). Vgl. De ver. q. 23, a. 3c.
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wird damit opak. Auch die Unterscheidung zwischen dem eigentlichen Willen und einem metaphorischen Willen des Anzeichens ist ja selbst, wie Thomas sagt, eine Benennung, die aus der Beobachtung der Natur (nämlich unserer eigenen) gewonnen ist, und bleibt davon abhängig. Ohne diesen Hintergrund wird die Logik des Anzeichens selbst rätselhaft. Und ein bloßes, opakes Anzeichen ist gar kein Anzeichen mehr.311 Der so erscheinende Wille eines Willkürgottes zeigt uns also nichts über Gott selbst an.312 Gott wird ein verborgener Gott, einer, mit dem man keine Freundschaft mehr haben kann. Was er als gerecht offenbart, offenbart nichts über ihn selbst, außer seinen Willen. Für Thomas hingegen hängt das, was Gott als gerecht offenbart, nicht nur – nominalistisch – einfach von seinem Willen ab. Diese Auffassung ist für Thomas nicht nur Blasphemie, es ist dies auch sachlich unmöglich, weil Gottes Wille und Gottes Vernunft (Weisheit und Gerechtigkeit) der Sache nach identisch sind.313 Es gehört zur Natur seines Willens, gerecht zu sein, und seine Gerechtigkeit offenbart sich darum auch in der Natur der geschaffenen Dinge als der inneren Normativität des Faktischen.314 Es ist aber wiederum zu bedenken, daß Thomas’ Unterscheidung von Zeichen wiederum zweierlei in der Schwebe hält. Er will ja nicht umgekehrt behaupten, daß Gottes Wesen und Wille vollständig in 311 De ver. q. 23, a. 3c. 312 Paradoxerweise, oder dialektischerweise, ist für Ockham genau
das auch noch einmal verborgen: Ockham bezweifelt zwar nicht, daß die Schöpfung aus dem Willen Gottes stammt, aber d. h. für ihn nicht, daß sie kontingent ist; sie könnte auch notwendig (wie z. B. auch der heilige Geist) aus ihm hervorgehen. Daß die Schöpfung kontingent ist, steht für ihn nur tanquam creditum fest. Es gibt kein rationales Argument gegen den Neuplatonismus; vgl. Pegis, Anton Charles: »Necessity and Liberty: An Historical Note on St. Thomas Aquinas«, in: The New Scholasticism 15 (1941), 18–45, hier 22–29. Selbst daß Gott verborgen ist, ist also noch einmal verborgen. 313 De ver. q. 23, a. 6c. Gedanklich gehen Weisheit und Gerechtigkeit dem Willen sogar voraus; ibid. 314 De ver. q. 23, a. 6 ad 3 und ad 5.
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der Schöpfung zur Darstellung kommen. Er spricht ja ebendarum von Zeichen, weil das, was Gott will, kontingent ist, und nicht das Resultat notwendiger Emanation. Gott ist nicht »allwollend«, und darum brauchen wir eine Unterscheidungsgabe hinsichtlich der empirischen und metaphorischen Anzeichen seines Willens.315 So sind beide Arten des Willens (voluntas signi und beneplaciti) immer kongruent, wenn Gott etwas ausdrücklich selbst tut, nie aber kongruent, wenn er das Böse erlaubt, i. e. zuläßt, und manchmal kongruent, wenn er etwas verbietet, gebietet oder rät.316 Ebenso sind auch die Wesen der Einzeldinge und das ihnen entsprechende Gute und Glück kein letztes. Es ist nicht nur der Nominalismus, der das Geschaffene relativiert. Auch die frühere christliche Denken lößte das Verständnis des Guten vom rein innerweltlichen Glück317 ab, dessen intrinsische Gutheit und natürliche Teleologie dementsprechend zurücktritt:318 bei Thomas strebt alles nach dem höchsten Gut (summum bonum), d. h. nach Gott.319 Der Nominalismus verschärft dies freilich noch einmal, indem nun auch das höchste Gut verschwindet und unerkennbar wird, oder wir auch diesem gegenüber noch einmal frei sind.320 Hier sind wir nun buchstäblich unseres Glückes Schmied, und nicht nur im Sinne der Ausführung, sondern auch inhaltlich – es sei denn diese Freiheit wird von der Offenbarung begrenzt.321 Thomas hingegen relativiert zwar eben315 De ver. q. 23, a. 3 ad 1. 316 De ver. q. 23, a. 3 ad 6. Ähnlich schon Hugo von St. Viktor, De Sac-
ramentis, I, IV, c. 2–25 (PL 176, 235–245). 317 Das Glück hier als eine Leben in Übereinstimmung mit der vernünftigen Natur, d. h. als Tugend, die (mit Platons Nomoi und Aristoteles) von der Zweiheit (zu viel / zu wenig) als mesotes verschieden ist. 318 Freilich nicht soweit, daß die innerweltliche Teleologie verschwände und den Menschen ort- und orientierungslos machte. Wird das Streben nach dem summum bonum ohne diese Orientierung verstanden, dann ist das Resultat eines, das ins schlecht Unendliche gehen muß (z. B. Kant, Fichte und die Romantik), oder entweder Orientierung in ästhetischen Phänomenen sucht, oder im Pessimismus enden muß. 319 Pseudo Dionysius folgend: De divinis nominibus IV, 2–10. 320 Zu Ockham vgl. Kaye (2002). 321 Auch dies hat freilich allgemeinchristliche Antezedentien da, wo z. B. Tertullian das Gute als reinen Gehorsam versteht. Auch das Neue Te-
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falls den antiken Kosmos und seine normativen Strukturen, aber für ihn wird der christliche Kosmos dadurch nicht opak hinsichtlich der Güte und des Wesens Gottes. Diese Schwebe oder Spannung, die wiederum auch eine von Sein und Sollen ist, zeigt sich bei Thomas ebendarin, daß er zum einen die Unterscheidung zwischen diesem Zeichenwillen und dem Wesenswillen Gottes macht, während andererseits diese Unterscheidung zugleich nicht so stark ist, daß das Wesen und die wahren Absichten Gottes hinter dem Zeichen verschwänden, Gott also zum Lügner oder genius malignus würde.322 Thomas’ Gedanke steht also in der Mitte zwischen einem nominalistischen verborgenen Willkürgott einerseits (welcher dann mit dem Verschwinden auch der geoffenbarten Gesetzlichkeiten nur autonome Ethiken etsi Deus non daretur übrigläßt), und der neoplatonischen Emanation eines quasi-göttlichen Kosmos andererseits. Der Wille Gottes ist zwar in der Tat an der Wurzel der Realität, aber weder als bloß irrationaler Schopenhauerischer Willens-Weltgrund, noch als von seiner eigenen Gutheit determiniert, sei es zu einer notwendigen Emanation oder der besten aller möglichen Welten. Es ist vielmehr gerade in seiner Freiheit, daß seine Gutheit aufscheint: gerade weil er vom Guten nicht genötigt ist, gerade weil er der Schöpfung nicht bedarf, erscheint seine Güte um so strahlender als reine Gabe.
stament kann dazu einladen: vgl. Mt. 12, 5 (»wer immer den Willen meines Vaters tut …«) oder das Vaterunser (»fiat voluntas tua«). Zum frühen lateinischen Gebrauch von voluntas vgl. Gilbert, Neal W.: »The Concept of the Will in Early Latin Philosophy«, in: Journal of the History of Philosophy 1 (1963), 17–35. 322 Zum Lügner kann er übrigens auch deshalb nicht werden, weil »Zeichen« hier nicht im Sinne eines sprachlichen Zeichens zu verstehen ist, sondern als normaler Ausdruck einer Handlungsintention. Anders als Sprechhandlungen aber implizieren gewöhnliche Handlungen keine Behauptung und damit auch keinen Wahrheitsanspruch; vgl. De ver. q. 23, a. 3 ad 2.
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6. Identität und Differenz von Sein und Sollen im menschlichen Willen Gegenüber dem göttlichen Willen kommt beim menschlichen Willen noch eine andere Differenz von Sein und Sollen hinzu: die der Sünde. Wenn bei Spinoza und Hegel der Wille gleichsam gnostisch in die Vernunft aufgehoben wird,323 und die Freiheit doch nur eine Einsicht in die Notwendigkeit ist, dann ist das Wirkliche immer schon das Vernünftige, das Sollen immer schon das, was ist. Hinsichtlich der Sünde und des von ihm verursachten Leidens kann dies als zynisch erscheinen. Thomas sieht das, wie soeben gezeigt, differenzierter. Eine weitere in der Sünde implizierte Spannung zwischen Sein und Sollen besteht nun darin, daß dem Sollen kein adäquates Sein entspricht: wir können das, was wir sollen, nicht aus unserem eigenen Sein heraus erreichen, sondern brauchen dazu die Gnade. Zwar haben wir zum einen Freiheit und sind damit des Guten mächtig (wir sind z. B. – gegen Avicenna324 – nicht von den Himmelskörpern oder unserem Charakter oder unseren genetischen Veranlagungen determiniert325), aber das reicht nicht hin um das Gute effektiv zu erreichen. Der Grund dafür liegt nicht nur historisch und theologisch in der Erbsünde;326 auch bei dieser könnte man 323 Riesenhuber (1974, »Meaning of Freedom«), 99 f. 324 Die Engel z. B. sind weder die Schöpfer unserer Seelen, noch die
Beweger unseres Willens; sie erleuchten lediglich die Vernunft (De ver. q. 22, a. 9 ad 4 und 5). Sie bewegen auch nicht unsere Körper, wie sie die Himmelskörper bewegen. Letztere ihrerseits können zwar unseren Willen beeinflussen, nötigen ihn aber nicht (De ver. q. 22, a. 9 ad 2); andernfalls käme absurderweise unser Verdienst und unsere Schuld von etwas außerhalb unserer, wie die Manichäer behaupten (ibid. sc. 2); vgl. auch De ver. q. 24, a. 1 ad 19. 325 Von seiten des Aktes kann (und muß) nur Gott uns bewegen; andere Geschöpfe können nur indirekt von seiten der Objekte auf uns einwirken. De ver. q. 22, a. 8c. 326 Vgl. auch Labourdette, Michel: »Aux origines du peche de l’homme, d’apres S. Thomas d’Aquin«, in: Revue Thomiste 85 (1985), 357–398; anders als Bonaventura scheint Thomas den heilsgeschichtlichen Aspekt nicht als Letzthorizont der Frage des Übels zu betrachten; in diesem Sinne reduziert er Augustinus auf Dionysius. Das bedeutet auch, daß Fall und
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ja noch einmal nach einem Grund dafür fragen, warum Gott den Fall Adams zuließ. Er liegt vielmehr auch metaphysisch in der Natur der Dinge selbst, nämlich darin, daß sie aus dem Nichts geschaffen sind und darum zum Nichts geneigt bleiben.327 Was immer auf diese Weise schiefgehen kann, wird dies manchmal auch tun, wenn Gott es nicht eigens verhindert.328 Das gilt insbesondere für den geschafInkarnation weniger notwendig für die Herstellung des je größeren Gutes sind; vgl. Paluch, Michal: »›God Permits the Evil for the Good‹: Two Different Approaches to the History of Salvation in Aquinas and Bonaventura«, in: Angelicum 80 (2003), 327–338. 327 Nemesius von Emesa (Ps. Gregor von Nyssa), De nat. hom. cap. 41 (PG 40, 776A–B); unsere Existenz hat einen Beginn, und das ist selbst eine Veränderung, schon unser Anfang ist eine Veränderung. Vgl. J. Damaszenus, De fide orth. II, 27 (PG 94, 960A; Bt 152). Zu Thomas und Nemesius vgl. Verbeke, Gérard: »Fatalism and Freedom According to Nemesius and Thomas Aquinas«, in: Pontificia Accademia Romana di San Tommaso d’Aquino (Hg.), Tommaso d’Aquino nel suo settimo centenario. Atti del Congresso Internazionale (Roma-Napoli, 17–24 aprile 1974), t. 1: Tommaso d’Aquino nella storia del pensiero, 1: Le fonti del pensiero di S. Tommaso (Neapel: Edizioni Domenicane Italiane, 1975), 283–314. Für Eriugena ist diese Nichtigkeit schon als bloße Möglichkeit des Bösen selbst schon böse (eine Art malum metaphysicum); der Mensch war folglich nie ohne Sünde; Eriugena, De divina praedestinatione liber VI (PL 122, 384) und Periphyseon IV und V (PL 22, 808 und 944). Augustinus hingegen schreibt dies dem göttlichen Willen zu, welcher eine fehlbare Kreatur wählt, weil es besser ist, daß es Fehlbares und Unfehlbares gibt (Augustinus, De lib. arb. II, c. 19 und 20 (PL 32, 1269 f.), III, c. 5 (PL 32, 1276), III, c. 9 (1284), De div. Dei XI, 17 (PL 41, 332). Thomas akzeptiert beides, ohne in Eriugenas Übertreibung zu verfallen; De ver. q. 24, a. 1 ad 16. Er siedelt den Menschen an zwischen Gott, der aus dem Nichts heraus und frei handelt, und dem, was von etwas Vorgegebenem ausgehend und unfrei handelt (Naturdinge); wir aber gehen von etwas aus und sind doch frei; die Möglichkeit, von nichts auszugehen und unfrei zu sein, gilt als widersprüchlich; De ver. q. 24, a. 1 sc. 2. Wieder anders ist die freie Entscheidung als ambivalente zwischen der Sinnlichkeit (immer zum Bösen geneigt) und der Synderesis (immer zum Guten geneigt) angesiedelt: De ver. q. 24, a. 5 sc. Descartes’ Erklärung unserer erkenntnismäßigen Fehlbarkeit, Pascal’s Schilfrohr und Leibniz’ malum metaphysicum stehen noch in der Tradition dieser Erörterungen. 328 Maritain (1942), 5 f. Für die Engel ist das freilich nur in der übernatürlichen Ordnung der Fall; Marieb (1964), 464 f. Anders als bei Adam
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fenen Willen, bei dem sich dies zudem wegen seiner Unbestimmtheit und Freiheit prekär auswirkt.329 Er braucht darum – entgegen dem Pelagianismus – übernatürliche Unterstützung, um im Guten zu verharren, und zwar auch ohne Erbsünde und im bloßen Stand der Natur.330 Mit der Unterstützung der Gnade, die uns mit dem unveränderlichen Gott (unserem Ziel selbst) verbindet,331 ist dies aber möglich.332 Wäre dem nicht so (der dem Pelagianismus entgegengesetzte Irrtum des Origenes) dann könnte es keine bleibende (und damit überhaupt keine) Seligkeit geben.333 Wir wären vergeblich auf das Glück angelegt. Willensschwäche und Statistik Im Pilgerstand aber bleibt die Ungewißheit und Willensschwäche. Diese Willensschwäche und ihre Geschichte von Aristoteles’ akrasia zu Thomas von Aquin hat im 20. Jahrhundert wieder ein neues Interesse gefunden, stimuliert auch durch D. Davidson’s Essay.334 Das war deren Fall auch nicht mit einer Versuchung verbunden. Sie sind auf natürlicher Ebene nicht unwissend, und brauchen auch keine Gnade für die Perseveranz; Hoffmann (2007). 329 Diese Instabilität gilt nicht für Tiere, aber auch nicht für die natürliche Unvergänglichkeit der Existenz der Seele; vgl. z. B. De ver. q. 24, a. 7 ad 5. Materiellere Naturen sind zwar stabiler, weisen aber ebenso Mängel in ihren Akten auf; De ver. q. 24, a. 7c und ad 1. 330 De ver. q. 24, a. 7; vgl. auch De ver. q. 22, a. 6 ad 3. Vgl. Maritain (1942), 15: a free creature, naturally impeccable, would be square circle. Für Gott ist das anders: De ver. q. 24, a. 3. 331 Dies bewirkt Irrtumslosigkeit hinsichtlich des Guten auch im Besonderen, sowie Verklärung der Sinnlichkeit; De ver. q. 24, a. 8c. 332 In Einzelfällen, wie bei der Jungfrau Maria (und vielleicht auch den Aposteln), ist das schon in diesem Leben möglich, und zwar durch eine Kombination von inneren Gnaden und äußerer Vorsehung; De ver. q. 24, a. 9. 333 De ver. q. 24, a. 8c. 334 Vgl. zur Akrasia: Davidson, Donald: »How is Weakness of the Will Possible?« 1969; Nachdruck in: Davidson, D., Essays on Actions and Events (Oxford: Oxford University Press, 1980, 21–42); Mortimore, Geoffrey W. (Hg.): Weakness of Will (London / New York, MacMillan, 1971); Saarinen (1994) und ders.: »Aristotle’s akrasia in Medieval Ethics«, in: B. Carlos Ba-
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Modell scheint dabei im allgemeinen der aristotelische praktische Syllogismus in Verbindung mit christlich-augustinischen Einflüssen zu sein. Es gibt aber schon bei Thomas ein ganz anderes Modell der Willensschwäche, das später in der Barockscholastik prominenter wird, und das ist ein statistisches Paradigma: Selbst wenn man ein starkes Verständnis von Willensfreiheit hat, und wenn man die Erbsünde außer acht läßt, gibt es ja so etwas wie Sozialstatistik, die eben dieses freie Handeln vorhersagbar macht. Die Volkswirtschaft rechnet damit ebenso wie die Kriminalstatistik. In der Barockscholastik, wird bereits erörtert, wie das den Willen dennoch freilasse: nämlich so wie der einzelne Wurf des Würfels (distributiv) undeterminiert bleibt, auch wenn das Gesamt der Würfe (kollektiv) eine statistische Gesetzmäßigkeit aufweist.335 Das findet sich so bei Thomas noch nicht. Metaphysisch gesehen steht für ihn aber fest, daß das, was natürlich ist, meistens geschieht (das Normale geschieht nicht selten), aber eben auch, wie gesagt, manchmal fehlgeht. Nach dem Fall geht es damit auch statistisch bei der menschlichen Willensfreizán / Eduardo Andujar / Léonard G. Sbrocchi (Hg.): Les philosophies morales et politiques au Moyen Âge, Moral and Political Philosophies in the Middle Ages. Actes du IXe Congrès international de philosophie médiévale, Bd. 2 (New York / Ottawa / Toronto: Legas, 1995), 922–931; ders.: »Walter Burley on Akrasia: Second Thoughts«, in: Vivarium 37 (1999), 60–71, und ders.: »Weakness of Will: The Plurality of Medieval Explanations«, in: H. Lagerlund / M. Yrjönsuuri (Hg.): Emotions and Choice from Boethius to Descartes (Dordrecht: Kluwer, 2002), 85–97; Müller, Jörn: »Willensschwäche als Problem der mittelalterlichen Philosophie. Überlegungen zu Thomas von Aquin«, in: Recherches de Théologie et Philosophie Médiévales 72/1 (2005), 1–28; Hoffmann, Tobias; Müller, Jörn; Perkams, Matthias (Hgg.): Das Problem der Willensschwäche im mittelalterlichen Denken – The Problem of Weakness of Will in Medieval Thought (Recherches de Théologie et Philosophie Médiévales. Bibliotheca, 8; Löwen / Paris: Peeters / Dudley, 2006); Kent, Bonnie: »Aquinas and Weakness of Will«, in: Philosophy and Phenomenological Research 75 (2007), 70–91. 335 Vgl. hierzu Knebel, Sven K.: Wille, Würfel und Wahrscheinlichkeit (Hamburg: Meiner, 2000), und ders.: »Willensfreiheit und Willensschwäche bei dem Molinisten Juan Perlin (1569–1638)«, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 52 (2005), 680–693; Ramelow (1997), z. B. 129 f., 137 f. und 355 f.
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heit nicht mehr so gut. So sagt Thomas, daß die meisten den Leidenschaften und den Einflüssen der Himmelskörpern unterliegen; nur die Weisen widerstehen dem, und das sind wenige.336 Ist dies eine bei Thomas eher seltene Bemerkung über das statistische Verhalten ganzer Populationen, so finden sich solche Aussagen häufiger hinsichtlich des individuellen Verhaltens von Menschen. Und hier gibt es nun unterschiedliche Gesetzmäßigkeiten in Abhängigkeit vom Status des Handelnden: Im Himmel sind alle im Guten befestigt, ihr Wille versagt nie. Dies ist zugleich die größte Mächtigkeit und Freiheit des Willens, denn er tut genau das, was er will, wenn auch ohne Alternativen. Bei denen, die noch im Pilgerstand, aber mit der Gnade unterwegs sind, gibt es Ausnahmefälle, in denen das auch schon auf Erden der Fall ist: Christus, Maria, in gewisser Weise auch Adam und Eva337 vor dem Fall, und möglicherweise die Apostel in ihrem späteren Leben.338 Dies ist aber nicht aufgrund der Willensstärke allein möglich (ein solche Befestigung würde die Freiheit des Verdienstes aufheben), sondern, auch abgesehen von der inneren Gnade, nur mit Unterstützung der Providenz, d. h. der äußeren Umstände. Bei allen anderen, die die Gnade haben und tugendhaft leben, ist der Wille nicht absolut unfehlbar, sondern nur ut in pluribus.339 D. h. auch im Gnadenstand kann man nicht alle läßlichen Sünden vermeiden. Im Stand der Sünde aber, d. h. ohne Gnade, kann man nicht einmal alle Todsünden vermeiden.340 Letzteres ist die Standardlehre seit Petrus Lombardus, der es wiederum von Augustinus hat.341 336 De ver. q. 22, a. 9 ad 2. 337 Petrus Lombardus, Sent. II, d. 24, c. 2, meist Augustinus zuge-
schrieben; vgl. De ver. q. 24, a. 12 arg. 10. 338 De ver. q. 24, a. 9 ad 2. 339 Vgl. auch Shanley, Brian J.: »Aquinas on Pagan Virtue«, in: The Thomist 63 (1999), 553–577, hier 556. 340 So wird auch Röm. 7, 15 ff. (nach der Glosse) so ausgelegt, daß Paulus entweder von der Todsünde spricht (dann aber in persona peccatoris), oder von der läßlichen Sünde (in persona propria); De ver. q. 24, a. 12 ad 1. 341 Petrus Lombardus, Sent. I, d. 25, c. 5. Augustinus, De civ. Dei XXII, c. 30 (PL 41, 802), Enchiridion 30, 105, 106 (PL 40, 246. 281. 282), Retract. I, 9 (PL 32, 597). Für die läßlichen Sünden vgl. De ver. q. 24, a. 12 und
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Der Grund für letzteren Fall ist zum einen metaphysisch-statistisch, zum anderen aber theologisch bedingt: der Einfluß der Erbsünde, die Abwehr des Pelagianismus und die Bedeutung unserer Erlösungsbedürftigkeit, die darin zum Ausdruck kommen. Auf uns selbst gestellt sind wir notwendig Sünder, und d. h. wir »haben« die Sünde notwendigerweise, auch wenn wir sie (statistisch gesehen) nicht notwendigerweise immer »gebrauchen«. Mit anderen Worten: wir können in diesem Zustand (mit Mühe) jede einzelne Sünde vermeiden (distributiv), aber nicht alle zusammen (kollektiv). Dieses »Haben« der Sünde ist in Anlehnung an einen »Habitus« formuliert, aber auch in Analogie zu einem Vermögen: Vermögen haben wir ja auch dann, wenn wir sie nicht immer gebrauchen.342 Dieses Haben der Sünde ist auch kein äußerer, physischer Zwang, der der Freiheit entgegengesetzt ist und uns unzurechnungsfähig machen würde. Die Verfehlungen liegen immer noch an uns selbst.343 Und
13. Dies ist die Lehre von der Notwendigkeit der Gnade für die Perseveranz, wie sie dann das Konzil von Trient definiert (DS 833); vgl. McNicholl, Ambrose J.: »The Ultimate End of Venial Sin«, in: The Thomist 2 (1940), 373–409. Darum bleibt es nötig zu beten: »et ne nos inducas in tentationem.« De ver. q. 24, a. 12 ad 22. Grund dafür ist der Zündstoff (fomes) der Sünde; De ver. q. 24, a. 12c; vgl. Lombardus, Sent. II, d. 30, c. 8. Ein Spezialproblem ist, ob die läßliche Sünde, da sie mit der Gottesliebe / Caritas zusammenbesteht, auch von dieser motiviert ist; dann aber wäre die läßliche Sünde verdienstlich (was Thomas verneint: De malo q. 2, a. 5 ad 7). Für Gonet und die Salmantizenses ist sie wirklich der Grund, für Cajetan und Billuart handelt es sich um bloße Konkomitanz; vgl. McNicholl (1940), and O’Connor (1953), 384–409. Alternativ kann man annehmen, daß man dann zwei oder mehrere Letztziele hat; vgl. auch, gegen MacDonald und Thomas, Ryan, Peter F.: »A Single Ultimate End Only for »Fully Rational« Agents? A Critique of Scott MacDonald’s Interpretation of Aquinas«, in: American Catholic Philosophical Quarterly 75 (2001), 433–438, und ders.: »Must the Acting Person Have a Single Ultimate End?« in: Gregorianum 82 (2001), 325–356. 342 Z. B. De ver. q. 22, a. 5 ad 7; q. 24, a. 1 ad 10; q. 24, a. 12 ad 13. Differenzen gibt es hinsichtlich der Frage, wieweit das auch im Gnadenstand gilt. 343 De ver. q. 24, a. 12c
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die Freiheit vom Zwang bleibt (mit Anselm,344 Bernhard345 und Augustinus346) auch nach dem Fall, nur nicht die Freiheit von Sünde und Elend. Letztere aber kennt Grade,347 welche durch die genannten statistischen Gesetze illustriert werden können. Das macht Thomas auch psychologisch plausibel: das, was wir nur mit Mühe vermeiden können, geschieht irgendwann einmal, wenn wir nicht auf der Hut sind. Wir können aber nicht immer auf der Hut sein, weil wir manchmal müde sind, und unsere Aufmerksamkeit nachläßt. Ebenso liegt es in der Natur des menschlichen Lebens, mit vielem beschäftigt zu sein. Im multi-tasking werden wir dann manchmal von den postlapsarisch ungeordneten Leidenschaften überrascht. Vor dem Fall waren die Leidenschaften dem Verstand und vollkommener Aufmerksamkeit unterworfen;348 jetzt »hinken« 344 Wie das Sehvermögen auch ohne Licht immer noch intakt bleibt, so auch der Wille; Anselm, De libertate arbitrii I–III, in: Op. omn., hg. F. S. Schmitt (Seckau / Rom / Edinburgh 1938–61, ND 1968) Bd. 1, 207–213. Wenn das Sehvermögen arbeitet, dann mit Hilfe des Lichtes; so auch der Wille immer nur unter dem Licht des Formalobjektes des Guten, auch da wo es um ein Scheingutes geht; vgl. De ver. q. 22, a. 6 arg. und ad 6. 345 De ver. q. 22, a. 5c und ad 14. Die Dreiteilung selbst stammt von Bernhard von Clairvaux, De grat. et lib. arb. cap. 8 und 9 (PL 182, 1014 und 1016). Vgl. auch Petrus Lombardus, Sent. II, d. 25, c. 8. Weitere Unterscheidungen Bernhards (libertas arbitrii, consilii und complaciti) und Ambrosius’ (bonum honestum, utile und delectabile) und ihre Kombinationen in De ver. q. 24, a. 1 arg 11 und ad 11. 346 De ver. q. 22, a. 5c zitiert Augustinus, De civ. Dei V, 10 (PL 41, 152). 347 Während die Freiheit vom Zwang kein mehr und weniger kennt, können die anderen beiden sich bis zum Punkt der Verhärtung steigern, e. g. De ver. q. 24, a. 10 ad 7. De ver. q. 22, a. 6 arg 3 und ad 3 erwähnt die Auffassung des Petrus Lombardus (Sent. II, d. 16, c. 3), daß die imago Dei in uns unverlierbar sei, nicht aber die similitudo; erstere bestünde in der Vernunft, letztere im Willen und dessen Akten und Tugenden, welche graduell die Intentionalität der Erkenntnis zur Erfüllung bringen. Vgl. auch De ver. q. 22, a. 11 arg. 2 und ad 2. 348 De ver. q. 24, a. 12c. Für Maritain aber ist schon vor dem Fall das metaphysische Übel der Grund, warum wir einer Regel unsere Aufmerksamkeit versagen können; diese Unaufmerksamkeit wäre noch vor-moralisch, weil sie nicht zu jedem Zeitpunkt geschuldet ist. Sie ist aber der
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wir durchs Leben (Augustinus349). Die ungeordneten Leidenschaften werden noch verstärkt, wenn wir den Habitus des Lasters erwerben (was unsere eigene Schuld ist); dann werden wir selbst mit Aufmerksamkeit irgendwann fallen, insbesondere unter Streß und in plötzlich auftretenden Situationen, da wir in solchen Umständen immer in eingeschliffene Verhaltensmuster zurückfallen.350 Wenn es ganz schlimm kommt hängen wir in der Todsünde so dem Gegenstand an, daß wir dies schon gar nicht mehr für ein Übel halten.351 Es bräuchte dann langes Argumentieren von einem unzweifelhaften Gut her, um das zu korrigieren, und in der Zwischenzeit wäre man schon wieder in die Sünde verfallen. Dennoch kann man selbst dann im Prinzip jede einzelne Sünde vermeiden. Erst nach dem Tod fällt mit dem Leib die Potentialität und damit die Möglichkeit der Umkehr weg; das Erkennen wird wie beim Engel einfach und unveränderlich, im Guten wie im Bösen.352 Anders jedoch als beim Engel, bei dem alles einfach ist, kann vor dem Tode noch eine Umkehr stattfinden, wenn man das habituale Wissen um das Letztziel aktiviert, das Laster durch die Antriebe der anderen Vermögen modifiziert (z. B. den Zorn gegen die Begierde einsetzt) und Irrtum durch Überlegung korrigiert.353 Auch das Leiden kann die Rolle der Belehrung übernehmen und so zur Bekehrung führen.354 Grund für das daraus folgende Versagen des moralischen Aktes. Maritain (1942), 23–43; vgl. dazu auch Torre (1988) und Hoffmann (2007), 138–142. 349 Augustinus, De perfectione justitiae hominis, 2, rationcin. 3 (PL 44, 294). 350 De ver. q. 24, a. 12c. 351 Das Laster wird gleichsam zu einer neuen Natur: aber der Natur des Bösen (De ver. q. 24, a. 10 ad 1 und ad 2 und 3), die in der Sünde eine entsprechende Einung mit einem quasi-natürlichen Lasterziel findet (ibid., ad 14), vergleichbar einer Sucht oder der Sünde gegen den Hl. Geist (Sent. II, d. 43, q. 1, a. 5c). Wenn unsere Freiheit in der universalen Spezifikation wurzelt, d. h. im »big picture«, das wir von der Wirklichkeit haben, dann verkleinert sich umgekehrt, wenn wir sündigen, unsere Welt. 352 De ver. q. 24, a. 11c. Er erreicht aber selbst dann in gewisser Hinsicht sein natürliches Letztziel, Gott, insofern Gottes Gerechtigkeit in der Bestrafung verherrlicht wird; De ver. q. 24, a. 10 ad 10. 353 De ver. q. 22, a. 10c. 354 De ver. q. 24, a. 15c.
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Letztlich ist die Bekehrung aber eine Gnade, die auf keiner Voraussetzung von seiten des Menschen beruht, und also völlig ungeschuldet ist. Das Axiom facienti quod in se est, Deus non denegat gratiam, welches Thomas zitiert,355 suchte noch nach einem Grund, warum einige die Gnade erhalten, andere aber nicht.356 Das braucht aber entweder selbst einen Grund und führt dann in einen unendlichen Gnadenregreß oder es kommt allen zu, und dann ist es keine Gnade und nichts ist erklärt. Man kann sich aber auf die Gnade nicht vorbereiten, weil man natürlicherweise gar nicht wissen kann, wie man sich auf etwas Übernatürliches vorbereiten soll. Das also ist selbst schon Vorsehung oder innere Gnade.357 In De veritate meint Thomas allerdings, daß wir ohne die Gnade gleichwohl die Werke der Tugend vollbringen können, und zwar vermittels natürlicher oder »politischer« Tugenden358 – jedoch nicht 355 Dies Axiom verschwindet später, nachdem Thomas die Semipelagianismus-Kontroverse kennengelernt hat; eine rein naturale Vorbereitung auf die Gnade kann es demnach nicht geben. Der Nominalismus wird dieses Axiom wieder aufgreifen, und Luther darauf reagieren. Theologisch kann selbst die negative Entfernung von Hindernissen höchstens de congruo auf die Gnade vorbereiten. 356 Alain de Lille z. B. unterscheidet einen verdienstlichen Effektivwillen (voluntas effectionis) und Affektivwillen (voluntas affectionis), der aus akzidentellen Gründen nicht effektiv wird, aber auf ein Verdienst vorbereiten kann. Alain de Lille, Regulae de sacra theologia reg. 79 (PL 210, 661 f.); vgl. De ver. q. 23, a. 1 ad 6. 357 Vergleichbar einem göttlichen jump-start; auch Tiere brauchen nach Aristoteles etwas Analoges zum Aufwachen. De ver. q. 24, a. 15c. Zur Frage der Gnadenabhängigkeit der Annahme der Gnade betont Stump (2001) und Stump, Eleonore S.: Aquinas (New York: Routledge, 2003), 277 ff., daß der Wille drei Möglichkeiten hat: assent, rejection und quiescence. Zwar kann man mit der Gnade keinen Widerstand mehr leisten, man kann aber die Annahme suspendieren. Nach I. De Weese-Boyd (2006) ist es sogar möglich, ohne Pelagianismus das Wollen des Wollens ineffektiv zu wollen – ein assent als higher order desire, der Gnade nicht entgegenzustehen. 358 Diese sind möglich durch die Prinzipien des Naturrechtes, welche dem Verstand eingegeben sind. Die daraus hervorgehenden Akte scheinen hinreichend zur Vermeidung von Strafe zu sein; De ver. q. 24, a. 12 ad 16 und 20.
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in derjenigen Weise (d. h. aus übernatürlicher Liebe359), die verdienstlich ist und zum ewigen Leben führt.360 Es reicht für politische Verhältnisse, aber nicht für das Gottesverhältnis. Das würde dann auch implizit bedeuten, daß es weder eine natürliche Religion (d. h. ein Gottesverhältnis ohne Gnade) geben könnte, noch eine natürliche theozentrische Ethik, außer im Sinne einer impliziten Vorbereitung.361 Das scheint aber rein hypothetisch zu sein. Denn de facto gibt es keinen mittleren, rein natürlichen Zustand. Andernfalls würde man ohne Gnade das ewige Leben verdienen (Pelagius) oder unverdient in die Hölle kommen. Deshalb trifft jeder, der den Vernunftgebrauch erreicht, sofort eine Entscheidung, welche entweder eine Todsünde ist, oder eine Art Begierdetaufe.362 359 Das Formalobjekt ist ein anderes; die Tugenden sind informiert durch die justitia oder prudentia statt durch die caritas. Shanley (1999), 559–561. 360 De ver. q. 24, a. 1 ad 2. Dies unbeschadet der Notwendigkeit der Erstursache; De ver. q. 24, a. 1 ad 3 und De ver. q. 24, a. 14c. 361 Das ist nicht nur die Position von De ver. sondern auch in der Sum. theol. Vgl. Shanley (1999), der mit Kent gegen MacIntyre betont, daß Thomas demnach nicht völlig von Aristoteles zugunsten von Augustinus absieht, für den die heidnischen politischen Tugenden gar keine sind (sondern glänzende Laster). Selbst Augustinus spielt aber auf natürliche Fähigkeiten zum täglichen Leben an, wie Thomas zitiert; De ver. q. 24, a. 14c. (Tatsächlich Augustinus, Hypognos. III, c. 4 (PL 45, 1623), zitiert bei Petrus Lombardus, Sent. II, d. 26, c. 7). Die aristotelischen Tugenden wären insofern eine Vorbereitung auf die augustinische Gnade. 362 De ver. q. 22, a. 12 ad 2. Alternativ könnte man annehmen, daß dies die Entscheidung zum bloß politischen Guten ist und ein bloßes facienti quod in se est; Shanley (1999), 573 f.; tatsächlich spricht Thomas aber hier von Gnade, auf die man sich nach dieser Textstelle freilich vorbereiten muß. Vielleicht ist somit die Gnade aber auch schon »anonym« in den heidnischen Tugenden tätig. Für Thomas muß der Gnade (analog zur materia disposita ad formam) immer eine Vorbereitung vorausgehen (als Erklärung, warum sie manchen zukommt, anderen aber nicht; vgl. De ver. q. 24, a. 15). Dies braucht jedoch nicht zeitlich verstanden zu werden; es ist Kooperation in dem Sinne, daß der Wille selbst darin aktiv sein muß; andernfalls wäre er gezwungen – was seiner Natur widerspricht; Lawler, Michael: »Grace and Free Will in Justification: A Textual Study in Aquinas«, in: The Thomist 35 (1971), 601–630, hier 602 ff. und 618 f. Gnade und
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Abgesehen von den gnadentheologischen Erwägungen (und mehr im Sinne der klassischen Akrasia) liegt eine Schwäche schon in der Natur des Willens selbst: weil er auf den äußeren, real existierenden Gegenstand geht, geht er immer auf Einzelnes. Das Einzelne ist aber ein sinnliches, und darum haben die Leidenschaften hier einen Ansatzpunkt und können die universale Einsicht in das moralische Gesetz verdunkeln.363 Das Urteil über den einzelnen Handlungsgegenstand (z. B. Ehebruch) kann darum zwar der allgemeinen Regel widersprechen, als Einzelnes aber selbst als ein Gut beurteilt werden. Oder aber wir können noch einmal darüber urteilen und unser Handeln suspendieren; es bleibt, als vernünftiges, ein »freies Urteil«.364 So kann der Grund der Verfehlung in zweierlich bestehen: innerlich im Irrtum hinsichtlich des Guten im Besonderen, und äußerlich, indem die Sinnlichkeit den Akt der Vernunft unterbricht.365 Beides aber bleibt zurechenbar. Das Sein bleibt also von einem Nichtsein und damit einem Nichtgesollten affiziert. Damit ist Raum für das »Inkonveniente«, das dem mitarbeitender Wille sind dabei in gewisser Hinsicht eins, wie Form und Materie. Ibid., 612. Der Vorgang ist instantan, wie jeder Übergang von Sein zum Nichtsein (618 f.). Eine solche Vorbereitung ist keine Ursache der Gnade, sondern, mit Albert, und anders als die Franziskaner annehmen, als passive materiale Disposition noch nicht einmal ein meritum de congruo; ibid, 606 f. Für die Franziskaner andererseits ist die Vorbereitung bereits von aktualer (nicht rechtfertigender Gnade) unterstützt; dies scheint bei Albert und Thomas anders zu sein, weil sonst ein unendlicher Gnadenregreß droht (De ver. q. 24, a. 15); darum bleibt die Vorbereitung als unbegnadete (wenn auch vorsehungshafte, De ver. q. 24, a. 15c) immer unproportional zur Rechtfertigung; ibid., 614. In der Sum. theol., nach der Entdeckung der Semipelagianismus-Kontroverse (welche sich nicht in den Sentenzen findet), verlagert sich dies vom Modell von Form und Materie zu dem von Beweger (Gott) und Bewegtem (Wille). Der Gnadenhabitus wird weniger stark betont, und ist zugleich Formal- und Wirkursache; ibid. 622–25. 363 De ver. q. 22, a. 9 ad 3 und ad 6. 364 De ver. q. 24, a. 2c. 365 De ver. q. 24, a. 8c. Es gibt freilich auch eine »clear-eyed akrasia«, die sich dem freiwillig und ohne Irrtum und Verdunkelung der Sünde überläßt.
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Guten und Angemessenen (conveniens) Entgegengesetzte. Dies aber bleibt als Zufälliges selten.366 Das so gewonnene statistische Paradigma der Willensschwäche erlaubt Thomas eine weitere »via media«, jenseits einer manichäischen absoluten Notwendigkeit zum Guten oder Bösen einerseits, und einer pelagianischen absoluten Freiheit und Selbstmächtigkeit andererseits.367 Diese via media ist damit einmal mehr eine Weise, wie Thomas nicht nur Natur und Gnade, sondern wiederum die komplexe Struktur von Sein und Sollen, von Metaphysik und Ethik, von Vernunft und Wille, von Faktizität und Normativität, von Notwendigkeit und Freiheit auf eine Weise in der Waage hält, die in den nachfolgenden Epochen verlorengegangen ist. Diese via media steht immer noch zur Debatte.
366 De ver. q. 22, a. 2c. 367 De ver. q. 24, a. 12c. Die absolute Notwendigkeit, sei es zum Geist
(Jovinianus) oder zum Fleisch (Manichäer) mißversteht den Menschen als bloß naturales Wesen. Ibid.
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Primärtexte und Ausgaben Anal. post.
Analytica posteriora
Anal. pr.
Analytica priora
Cat.
Categoriae
Comp. theol.
Compendium theologiae
Confess.
Confessiones
De an.
De anima
De an.
Quaestiones disputatae de anima
De cael. hier.
De caelestia hierarchia (Ps.-Dionysius)
De civ. Dei
De civitate Dei (Augustinus)
De consol.
Boethius, De consolatione philosophiae
De div. Nom.
Ps.-Dionysius, De divinis nominibus
De eccl. hierarch. De caelestia hierarchia (Ps.-Dionysius) De fide orth.
De fide orthodoxa
De gen. an.
De generatione animalium
De gen. ad litt.
De genesi ad litteram (Augustinus)
402
De gen. et corr.
Abkürzungsverzeichnis
De generatione et corruptione
De grat. et lib. arb. De gratia et libero arbitrio (Augustinus, Bernhard von Clairvaux) De hebd.
Boethius, De hebdomadibus, hg. von Rudolf Peiper, in: Peiper, Philosophiae Consolationis Libri Quinque (Leipzig: Teubner, 1871)
De lib. arb.
De libero arbitrio
De lib. arbitrii
De libertate arbitrii
De malo
Quaestiones disputatae de malo
De motu an.
De motu animalium
De mundo
De mundo
De nat. hom.
De natura hominis (Nemesius von Emesa)
De part. an.
De partibus animalium
De pot.
Quaestiones disputatae de potentia
De sensu
De sensu
De somno
De somno et vigilia
De spir. creat.
Quaestiones disputatae de spiritualibus creaturis
De subst. sep.
De substantiis separatis
De trin.
De Trinitate (Augustinus, Hilarius)
De un. Verbi inc.
Quaestio disputata de unione verbi incarnati
Abkürzungsverzeichnis
De ver.
Quaestiones disputatae de veritate
De ver. relig.
De vera religione (Augustinus)
De vir.
Quaestiones disputatae de virtutibus
Enchir.
Enchiridion (Augustinus)
Enarr. in Ps.
Enarratio in psalmis (Augustinus)
Epis.
Epistola
Eth. Eud.
Ethica Eudemia
Eth. Nic.
Ethica Nicomachea
403
Expositio in De coel. hier. Hist. an.
Historia animalium
Homil. in Ezech.
Homiliae in Ezechielem prophetam (Gregor der Große)
Hypognos.
Hypognosticon (Ps. Augustinus)
In Anal. post.
Expositio libri Posteriorum
In De caelo
In Aristotelis libros De caelo
In De div. Nom.
Super librum Dionysii De divinis nominibus
In Periherm.
Expositio libri Peryhermenias
In Phys.
In Aristotelis libri Physicorum
Lib. de causis
Liber de causis
404
Abkürzungsverzeichnis
Met.
Metaphysica
Meteor.
Meteorologica
Moral.
Moralia in Job (Gregor der Große)
Peri herm.
Peri hermeneias
Phys.
Physica
Poet.
Poetica
Pol.
Politica
Quodl.
Quaestiones de quolibet
Retract.
Retractationes
Rhet.
Rhetorica
ScG
Summa contra Gentiles
Sent.
Super IV Sententiarum
Soph. elench.
Sophistici elenchi
Sum. theol.
Summa theologiae
Super Ioh.
Super Ioannem
Super Matth.
Super Matthaeum
Top.
Topica
Abkürzungsverzeichnis
405
CSEL
Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Wien 1866 ff.
CCL
Corpus Christianorum Series Latina, Turnhout 1953 ff.
CCCM
Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis, Turnhout 1966 ff.
Dionysiaca
Dionysius Areopagita, hg. von Ph. Chevalier et al., Dionysiaca. Recueil donnant l’ensemble des trad. latines des ouvrages attribués au Denys de l’Aréopage, 2 Bde., Paris (Desclée de Brouwer), 1937–1951 [ND: Stuttgart-Bad Cannstatt 1989].
PL
Migne, Patrologia Latina
Quaracchi
Quaracchi: Ed. Collegii S. Bonaventurae
Schmidt III
Thomas Aquinas, The Disputed Questions on Truth, translated from the definitive Leonine text, by Robert W. Schmidt, vol. III (Chicago: Henry Regnery Company, 1954).
Schmitt
S. Anselmi Opera Omnia, Franciscus Salesius Schmitt (Hg.): (Seckau / Rom / Edinburgh 1938– 61).
Winkler
Bernhard von Clairvaux: Sämtl. Werke; G. B. Winkler (Hg.) (Innsbruck 1990 ff.). Sekundärtexte
HWPh
Historisches Wörterbuch der Philosophie, 13 Bde. (Basel: Schwabe, 1971–2007).
406
Abkürzungsverzeichnis
Zitierte Ausgaben Albertus Magnus
Opera omnia, ed. Borgnet, Paris 1890– 1999. Opera omnia, ed. Col., Münster 1951 ff.
Albertus Magnus
De animalibus, ed. H. Stadler, 2 Bde., Münster 1916–1920 [BGPhMA 15–16].
Alexander von Hales
Summa universae theologiae [»Summa fratris Alexandri«], ed. B. Klumpel / V. Doucet, Quaracchi 1924–1948 (4 Bde) [ND: Grottaferrata, Rom 1979].
Anselm von Canterbury S. Anselmi Opera Omnia; hg. v. Franciscus Salesius Schmitt, Seckau / Rom / Edinburgh 1938–1961; ND: Stuttgart – Bad Cannstatt (Frommann-Holzboog) 1968; 2 1984. Avicenna
Liber de philosophia prima sive de scientia divina, ed. S. Van Riet, Simone, Louvain / Leiden 1977/1980/1983.
Bernhard von Clairvaux Sämtliche Werke, ed. G. B. Winkler, Innsbruck 1990 ff. Boethius
De hebdomadibus, hg. von Rudolf Peiper, in: Peiper, Philosophiae Consolationis libri quinque, Leipzig (Teubner), 1871)– Die Theologischen Traktate, übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Michael Elsässer, Hamburg (Meiner) 1988 [PhB 397].
Bonaventura
Opera omnia, ed. Collegii S. Bonaventurae, Quaracchi 1882–1902.
Abkürzungsverzeichnis
407
Dionysius Areopagita
Dionysiaca; Recueil donnant l’ensemble des trad. latines des ouvrages attribués au Denys de l’Aréopage, 2 Bde.; ed. Ph. Chevalier et al. Paris, Desclée de Brouwer, 1937–1951); ND: Stuttgart – Bad Cannstatt 1989.
Johannes Damascenus
De fide orthodoxa, Versionen des Burgundio und Cerbanus, hg. von Eligius M. Buytaert OFM St. Bonaventure, N. Y., Franciscan Institute, 1955.
Liber de causis
Liber de causis, hg. von Otto Bardenhewer; Freiburg i. Br., Herder, 1882; ND Frankfurt (Minerva) 1957; ed. A. Schönfeld, Meiner (Hamburg) 2003.
Petrus Lombardus
Liber Sententiarum Quaracchi: Ed. Collegii S. Bonaventurae, 1916).
Wilhelm von Auvergne
Summa aurea in quattuor libros Sententiarum … quam … Guillermus de Quercu emendavit, ed. Guillelmus , Paris: Philippe Pigouchet für Nicolas Vaultier u. Durand Gerlier, 1500/1501 (GKW 11861) [ND: Frankfurt a. M. (Minerva) 1964]; ed. J. Ribaillier, Jean, Grottaferrata / Rom 1980 / 1982 / 1986 / 1985 / 1987 (5 Bde.) [SpicBon 16; 17; 18; 19; 20].
THOMAS VON AQUIN
Quaestiones Disputatae Regensburger Ausgabe herausgegeben von Rolf Schönberger
band 1–6 Über die Wahrheit (De veritate) band 7–9 Über Gottes Vermögen (De potentia Dei) band 10 Über die Tugenden (De virtutibus) band 11–12 Vom Übel (De malo) band 13 Über die Seele (De anima)