Prozessmodelle im Zivilverfahrensrecht: Erfolg des Hauptverhandlungsmodells auch in der Schweiz? 9783161546273, 9783161543005

Zur Gewährung umfassenden Rechtsschutzes bedarf es bei der Gestaltung von Verfahrensrecht eines Ausgleichs zwischen Form

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German Pages 332 [333] Year 2016

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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
I. Die Aktualität von Prozessmodellen
II. Die Idee der Rechtsvereinheitlichung in der Schweiz
III. Das Ziel der Arbeit sowie der Gang der Darstellung
Kapitel 1: Die Prozessmodelle
I. Das italienisch-kanonische Prozessmodell
1. Geschichtlicher Überblick über die Entstehung des Modells
a) Der Einfluss des römischen Zivilprozesses
aa) Der Legisaktionenprozess
bb) Das Formularverfahren
cc) Das Kognitionsverfahren
b) Der Einfluss des germanischen Rechts
c) Der italienisch-kanonische Zivilprozess
2. Das italienisch-kanonische Prozessmodell
a) Einleitende Phase
b) Zwischenphase
c) Endphase
3. Fortentwicklung und Verbreitung
II. Das trial-Modell
1. Geschichtlicher Überblick über die Entstehung des Modells
a) Die Situation in den Kolonien und die Entstehung des Common Law
b) Die Equity und ihr Verhältnis zum Common Law
c) Prozessuale Strukturen im Verfahren der Equity und im Common Law Verfahren
d) Code Pleading und die Federal Rules of Civil Procedure
2. Das trial-Modell
a) Einleitende Phase
b) Zwischenphase
c) Endphase
3. Fortentwicklung und Verbreitung
III. Das Hauptverhandlungsmodell
1. Geschichtlicher Überblick über die Entstehung des Modells
a) Die Civilprozessordnung für das Deutsche Reich 1877
b) Defizite des Prozessrechts in der Praxis 1877−1976
aa) Die Reform 1898
bb) Die Amtsgerichtsnovelle 1909
cc) Die Emminger-Novelle 1924
dd) Die Verfahrensnovelle 1933
ee) Der Rechtszustand nach dem Zweiten Weltkrieg
ff) Zwischenfazit
c) Die Vereinfachungsnovelle 1976: Konzeption und Umsetzung
aa) Die Konzeption Fritz Baurs
bb) Die praktische Umsetzung im Stuttgarter Modell durch Rolf Bender
d) Die Umsetzung der Ideen Baurs und Benders in der Vereinfachungsnovelle
2. Das Hauptverhandlungsmodell
a) Einleitende Phase
b) Zwischenphase
c) Endphase
Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells
I. Der Zivilprozess in Spanien
1. Die Ursprünge des spanischen Zivilprozesses und seine Ausgestaltung in der Ley de Enjuiciamiento Civil von 1881
a) Die Wurzeln des spanischen Zivilprozesses
b) Die Instrucción del Procedimiento Civil von 1853 als Abkehr vom italienisch-kanonischen Modell?
c) Die Ley de Enjuiciamiento Civil von 1855 und ihre Modifizierung 1881
2. Die prozessuale Entwicklung im 20. Jahrhundert
3. Die Reform 2000 als Richtungswechsel im spanischen Zivilprozess?
a) Der juicio ordinario, Art. 399 ff. LEC
aa) Der Verfahrensablauf
bb) Einordnung
b) Der juicio verbal, Art. 437 ff. LEC
aa) Der Verfahrensablauf
bb) Einordnung
c) Zwischenfazit
4. Weitere Entwicklung
II. Der Zivilprozess in England
1. Der englische Zivilprozess bis zu den Judicature Acts
2. Die Judicature Acts 1873−1875
a) Änderungen der Gerichtsverfassung
b) Die Zusammenführung von Common Law und Equity
c) Das einheitliche Verfahrensrecht unter besonderer Betrachtung des Pleading
d) Die Errungenschaften der Judicature Acts
3. Rules of the Supreme Court 1883−1999
a) Allgemeines
b) Die Verfahrensstruktur nach den Rules of the Supreme Court 1965
aa) Einleitende Phase
bb) Zwischenphase
cc) Endphase
c) Einordnung
4. County Court Rules
5. Die Civil Procedure Rules 1999 als Wendepunkt im englischen Zivilverfahrensrecht?
a) Reformbedürftigkeit des englischen Zivilprozessrechts
b) Konzeption von Lord Woolf 1995/1996
aa) Active Case Management
(1) Alternative Dispute Resolution und Vergleiche
(2) Small Claims, fast track und multi-track
(3) Pre-action Protocols
bb) Fazit
c) Umsetzung der Vorschläge in den Civil Procedure Rules 1999
aa) Allgemeines zur Reform
bb) Die Verfahrensstruktur
(1) Einleitende Phase
(2) Zwischenphase
(3) Hauptphase
cc) Einordnung
d) Fazit
6. Die weitere Entwicklung
III. Der Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica
1. Überblick
2. Struktur des Verfahrens nach dem Código Modelo
a) Einleitende Phase
b) Zwischenphase
c) Endphase
3. Einordnung
4. Praktische Bedeutung des Código Modelo
IV. Der Zivilprozess in Uruguay
1. Das uruguayische Zivilprozessrecht vor der Reform 1989
2. Der Código General del Proceso 1989
a) Überblick
b) Verfahrensablauf
aa) Einleitende Phase
bb) Zwischenphase
cc) Endphase
c) Einordnung
3. Die Auswirkungen des neuen Código General del Proceso auf die Praxis
V. Die ALI/UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure
1. Entstehung und Hintergrund
2. Das Verfahren nach den Principles of Transnational Civil Procedure
a) Einleitende Phase
b) Zwischenphase
c) Endphase
3. Einordnung
4. Praktische Bedeutung der Principles of Transnational Civil Procedure
VI. Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells
Kapitel 3: Das Zivilprozessrecht der Schweiz
I. Das schweizerische Zivilprozessrecht bis zum 31. Dezember 2010
1. Die Rechtsquellen und der Rechtszustand
2. Der Verfahrensablauf in ausgewählten Kantonen
a) Der Kanton Zürich
aa) Das ordentliche Verfahren gemäß §§ 93 ff. ZPO ZH
bb) Einordnung
(1) Die Verfahrenseinleitung
(2) Die Aufsplittung in Haupt- und Beweisverfahren
(3) Die Stellung des Instruktionsrichters
(4) Die Stellung des Richters im Verfahren
(5) Zwischenfazit
b) Der Kanton Luzern
aa) Das ordentliche Verfahren gemäß §§ 198 ff. ZPO LU
(1) Einleitende Phase
(2) Zwischenphase
(3) Endphase
bb) Die Einordnung
(1) Die Verfahrenseinleitung
(2) Die Instruktionsverhandlung und die Stellung des Instruktionsrichters
(3) Die Ausgestaltung der Hauptverhandlung
(4) Die Stellung des Richters im Verfahren
(5) Zwischenfazit
c) Der Kanton Bern
aa) Das ordentliche Verfahren gemäß Art. 144 ff. ZPO BE
(1) Einleitende Phase
(2) Zwischenphase
(3) Endphase
bb) Einordnung
(1) Die Verfahrenseinleitung
(2) Die Instruktionsverhandlung und die Stellung des Instruktionsrichters
(3) Die Stellung des Richters im Verfahren
(4) Zwischenfazit
d) Der Kanton Waadt
aa) Das ordentliche Verfahren gemäß Art. 257 ff. CPC VD
(1) Einleitende Phase
(2) Zwischenphase
(3) Endphase
bb) Einordnung
(1) Die Verfahrenseinleitung
(2) Die Instruktionsverhandlung und die Stellung des Instruktionsrichters
(3) Die Stellung des Richters im Verfahren
(4) Zwischenfazit
e) Der Kanton Wallis
aa) Das ordentliche Verfahren gemäß §§ 125 ff. CPC VS
(1) Einleitende Phase
(2) Zwischenphase
(3) Endphase
bb) Einordnung
(1) Die Verfahrenseinleitung
(2) Die Instruktionsverhandlung und die Beweisaufnahme
(3) Die Stellung des Instruktionsrichters
(4) Die Stellung des Richters im Verfahren
(5) Zwischenfazit
3. Zwischenergebnis
II. Das schweizerische Zivilprozessrecht ab dem 1. Januar 2011
1. Die Entstehungsgeschichte
a) Erste Vereinheitlichungsversuche
b) Wissenschaftliche Aufarbeitung der Vereinheitlichungsidee in der Folgezeit
c) Die gesetzgeberische Umsetzung der Vereinheitlichungsidee
d) Vom Vorentwurf bis zum Inkrafttreten der schweizerischen Zivilprozessordnung
2. Das ordentliche Verfahren nach Art. 219 ff. ZPO CH
a) Der Verfahrensablauf
aa) Einleitende Phase
bb) Zwischenphase
cc) Endphase
b) Die Einordnung
aa) Die Verfahrenseinleitung
bb) Die Ausgestaltung der Zwischenphase
(1) Die Beweisaufnahme im ordentlichen Verfahren
(2) Die Stellung des Instruktionsrichters
(3) Zwischenergebnis
cc) Die Ausgestaltung der Hauptverhandlung
c) Fazit
aa) Das Prozessmodell der schweizerischen Zivilprozessordnung
bb) Umsetzung des Vereinheitlichungsgedankens
cc) Abschließende Betrachtung
Schlussbemerkungen
I. Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells
II. Die Entscheidung der Schweiz
Literatur
Sachregister
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Prozessmodelle im Zivilverfahrensrecht: Erfolg des Hauptverhandlungsmodells auch in der Schweiz?
 9783161546273, 9783161543005

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Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht Band 123 herausgegeben von Rolf Stürner

Nicole Jasmin Bettinger

Prozessmodelle im Zivilverfahrensrecht Erfolg des Hauptverhandlungsmodells auch in der Schweiz?

Mohr Siebeck

Nicole Jasmin Bettinger, geboren 1988; Studium der Rechtswissenschaften an der Uni­ versität Freiburg i. Br.; wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für deutsches und aus­ ländisches Zivilprozessrecht in Freiburg i. Br.; 2013–14 wissenschaftliche Assistentin an der chaire de droit allemand der Université de Lausanne, Schweiz; seit 2014 Rechts­ referendarin am Landgericht Freiburg i. Br.

e­ISBN PDF 978­3­16­154627­3 ISBN 978-3-16-154300-5 ISSN 0722-7574 (Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2016  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­ papier gedruckt und gebunden.

Meinen Eltern und meinem Bruder

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2015 von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Entstanden ist sie im Wesentlichen während meiner Zeit als Assistante diplômée an der Chaire de droit allemand der Université de Lausanne. Das Manuskript wurde im Sommer 2014 abgeschlossen. Mein ganz besonderer und herzlicher Dank gilt meinem verehrten Doktorvater Professor Dr. Christoph A. Kern, LL.M. (Harvard), der mir die größtmögliche Freiheit bei der Bearbeitung der vorliegenden Arbeit gewährte und für wissenschaftliche Diskussionen jederzeit zur Verfügung stand. Neben der wertvollen fachlichen Unterstützung während des gesamten Promotionsverfahrens danke ich ihm ebenfalls für die großzügige Förderung bei der Realisierung meines Auslandsaufenthalts in London. Großer Dank gebührt des weiteren Herrn Professor Dr. Andreas Piekenbrock für die Übernahme des Zweitgutachtens. Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Burkhard Hess danke ich für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes im Rahmen der Disputation. Zu Dank verpflichtet bin ich weiterhin dem gesamten Personal des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung in Lausanne, besonders Frau Sarah Amsler sowie Herrn Sadri Saieb, für die unermüdliche Hilfe bei der Beschaffung ausländischer Literatur aus allen Teilen der Welt. Dem British Institute of International and Comparative Law in London danke ich für die Aufnahme in sein Visiting Fellowship Programme. Sir Arthur Vivian Ramsey, Judge at the High Court of London, verdanke ich authentische Eindrücke über den englischen Zivilprozess, die ich im persönlichen Gespräch gewinnen konnte. Für ihre Unterstützung jeglicher Art – und dies selbstverständlich nicht nur im Rahmen dieser Arbeit, sondern seit Beginn meiner Ausbildung – danke ich besonders meinen Eltern Erwin und Isolde Bettinger sowie meinem Bruder Dr. med. Dominik Bettinger von ganzem Herzen. Durch ihre Förderung, ihre unermüdliche Unterstützung und ihr Vertrauen haben sie den größten Beitrag zur Realisierung dieser Arbeit geleistet. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet. Nicole Jasmin Bettinger

Freiburg im Breisgau, November 2015

Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis .............................................................................. XVI

Einleitung ....................................................................................................1 I. Die Aktualität von Prozessmodellen .......................................................... 3 II. Die Idee der Rechtsvereinheitlichung in der Schweiz ................................. 6 III. Das Ziel der Arbeit sowie der Gang der Darstellung ............................... 10

Kapitel 1: Die Prozessmodelle ............................................................ 13 I. Das italienisch-kanonische Prozessmodell .............................................. 13 1. Geschichtlicher Überblick über die Entstehung des Modells .................. 13 a) Der Einfluss des römischen Zivilprozesses ......................................... 13 aa) Der Legisaktionenprozess ............................................................ 14 bb) Das Formularverfahren ................................................................ 16 cc) Das Kognitionsverfahren .............................................................. 18 b) Der Einfluss des germanischen Rechts ............................................... 20 c) Der italienisch-kanonische Zivilprozess ............................................. 23 2. Das italienisch-kanonische Prozessmodell ............................................. 26 a) Einleitende Phase .............................................................................. 26 b) Zwischenphase .................................................................................. 27 c) Endphase........................................................................................... 28 3. Fortentwicklung und Verbreitung........................................................... 29 II. Das trial-Modell ..................................................................................... 30 1. Geschichtlicher Überblick über die Entstehung des Modells .................. 30 a) Die Situation in den Kolonien und die Entstehung des Common Law . 31 b) Die Equity und ihr Verhältnis zum Common Law .............................. 34

X

Inhaltsverzeichnis

c) Prozessuale Strukturen im Verfahren der Equity und im Common Law Verfahren ................................................................... 37 d) Code Pleading und die Federal Rules of Civil Procedure .................... 39 2. Das trial-Modell ..................................................................................... 41 a) Einleitende Phase .............................................................................. 41 b) Zwischenphase .................................................................................. 44 c) Endphase........................................................................................... 47 3. Fortentwicklung und Verbreitung........................................................... 49 III. Das Hauptverhandlungsmodell ............................................................... 51 1. Geschichtlicher Überblick über die Entstehung des Modells .................. 51 a) Die Civilprozessordnung für das Deutsche Reich 1877....................... 51 b) Defizite des Prozessrechts in der Praxis 1877−1976 ........................... 54 aa) Die Reform 1898 ......................................................................... 55 bb) Die Amtsgerichtsnovelle 1909...................................................... 55 cc) Die Emminger-Novelle 1924........................................................ 57 dd) Die Verfahrensnovelle 1933 ......................................................... 58 ee) Der Rechtszustand nach dem Zweiten Weltkrieg .......................... 59 ff) Zwischenfazit .............................................................................. 60 c) Die Vereinfachungsnovelle 1976: Konzeption und Umsetzung ........... 61 aa) Die Konzeption Fritz Baurs .......................................................... 61 bb) Die praktische Umsetzung im Stuttgarter Modell durch Rolf Bender ........................................................................ 65 d) Die Umsetzung der Ideen Baurs und Benders in der Vereinfachungsnovelle ...................................................................... 66 2. Das Hauptverhandlungsmodell ............................................................... 69 a) Einleitende Phase .............................................................................. 69 b) Zwischenphase .................................................................................. 70 c) Endphase........................................................................................... 71

Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells .................. 73 I. Der Zivilprozess in Spanien .................................................................... 73 1. Die Ursprünge des spanischen Zivilprozesses und seine Ausgestaltung in der Ley de Enjuiciamiento Civil von 1881 ............................................. 73 a) Die Wurzeln des spanischen Zivilprozesses ....................................... 73 b) Die Instrucción del Procedimiento Civil von 1853 als Abkehr vom italienisch-kanonischen Modell? ........................................................ 77 c) Die Ley de Enjuiciamiento Civil von 1855 und ihre Modifizierung 1881 ........................................................................... 79 2. Die prozessuale Entwicklung im 20. Jahrhundert ................................... 81

Inhaltsverzeichnis

XI

3. Die Reform 2000 als Richtungswechsel im spanischen Zivilprozess? .... 84 a) Der juicio ordinario, Art. 399 ff. LEC ................................................ 85 aa) Der Verfahrensablauf ................................................................... 85 bb) Einordnung .................................................................................. 87 b) Der juicio verbal, Art. 437 ff. LEC..................................................... 90 aa) Der Verfahrensablauf ................................................................... 90 bb) Einordnung .................................................................................. 92 c) Zwischenfazit .................................................................................... 93 4. Weitere Entwicklung .............................................................................. 93 II. Der Zivilprozess in England .................................................................... 94 1. Der englische Zivilprozess bis zu den Judicature Acts ........................... 94 2. Die Judicature Acts 1873−1875 ............................................................. 97 a) Änderungen der Gerichtsverfassung................................................... 97 b) Die Zusammenführung von Common Law und Equity ....................... 98 c) Das einheitliche Verfahrensrecht unter besonderer Betrachtung des Pleading ............................................................................................ 99 d) Die Errungenschaften der Judicature Acts ......................................... 101 3. Rules of the Supreme Court 1883−1999 ............................................... 102 a) Allgemeines ..................................................................................... 102 b) Die Verfahrensstruktur nach den Rules of the Supreme Court 1965 ... 102 aa) Einleitende Phase ........................................................................ 102 bb) Zwischenphase............................................................................ 104 cc) Endphase .................................................................................... 106 c) Einordnung ...................................................................................... 110 4. County Court Rules .............................................................................. 115 5. Die Civil Procedure Rules 1999 als Wendepunkt im englischen Zivilverfahrensrecht? ........................................................................... 116 a) Reformbedürftigkeit des englischen Zivilprozessrechts ..................... 116 b) Konzeption von Lord Woolf 1995/1996 ............................................ 118 aa) Active Case Management ............................................................ 118 (1) Alternative Dispute Resolution und Vergleiche ...................... 119 (2) Small Claims, fast track und multi-track ................................. 120 (3) Pre-action Protocols ............................................................... 123 bb) Fazit ........................................................................................... 124 c) Umsetzung der Vorschläge in den Civil Procedure Rules 1999 .......... 125 aa) Allgemeines zur Reform ............................................................. 125 bb) Die Verfahrensstruktur ................................................................ 125 (1) Einleitende Phase................................................................... 125 (2) Zwischenphase ...................................................................... 127 (3) Hauptphase............................................................................ 129 cc) Einordnung ................................................................................. 131

XII

Inhaltsverzeichnis

d) Fazit ................................................................................................. 135 6. Die weitere Entwicklung ...................................................................... 137 III. Der Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica ........................... 139 1. Überblick ............................................................................................. 139 2. Struktur des Verfahrens nach dem Código Modelo .............................. 141 a) Einleitende Phase ............................................................................. 141 b) Zwischenphase ................................................................................. 142 c) Endphase.......................................................................................... 143 3. Einordnung .......................................................................................... 144 4. Praktische Bedeutung des Código Modelo ........................................... 150 IV. Der Zivilprozess in Uruguay .................................................................. 151 1. Das uruguayische Zivilprozessrecht vor der Reform 1989.................... 151 2. Der Código General del Proceso 1989.................................................. 152 a) Überblick ......................................................................................... 152 b) Verfahrensablauf .............................................................................. 153 aa) Einleitende Phase ........................................................................ 153 bb) Zwischenphase............................................................................ 153 cc) Endphase .................................................................................... 154 c) Einordnung ...................................................................................... 154 3. Die Auswirkungen des neuen Código General del Proceso auf die Praxis ....................................................................................... 154 V. Die ALI/UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure ........... 155 1. Entstehung und Hintergrund................................................................. 155 2. Das Verfahren nach den Principles of Transnational Civil Procedure ... 158 a) Einleitende Phase ............................................................................. 158 b) Zwischenphase ................................................................................. 159 c) Endphase.......................................................................................... 160 3. Einordnung .......................................................................................... 161 4. Praktische Bedeutung der Principles of Transnational Civil Procedure 165 VI. Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells ............................................ 167

Kapitel 3: Das Zivilprozessrecht der Schweiz ............................... 169 I. Das schweizerische Zivilprozessrecht bis zum 31. Dezember 2010 .......... 169 1. Die Rechtsquellen und der Rechtszustand ............................................ 169 2. Der Verfahrensablauf in ausgewählten Kantonen ................................. 172

Inhaltsverzeichnis

XIII

a) Der Kanton Zürich ........................................................................... 172 aa) Das ordentliche Verfahren gemäß §§ 93 ff. ZPO ZH .................... 172 bb) Einordnung ................................................................................. 175 (1) Die Verfahrenseinleitung ....................................................... 175 (2) Die Aufsplittung in Haupt- und Beweisverfahren ................... 176 (3) Die Stellung des Instruktionsrichters ...................................... 178 (4) Die Stellung des Richters im Verfahren .................................. 179 (5) Zwischenfazit ........................................................................ 181 b) Der Kanton Luzern ........................................................................... 182 aa) Das ordentliche Verfahren gemäß §§ 198 ff. ZPO LU .................. 182 (1) Einleitende Phase................................................................... 182 (2) Zwischenphase ...................................................................... 183 (3) Endphase ............................................................................... 184 bb) Die Einordnung........................................................................... 186 (1) Die Verfahrenseinleitung ....................................................... 186 (2) Die Instruktionsverhandlung und die Stellung des Instruktionsrichters ................................................................ 187 (3) Die Ausgestaltung der Hauptverhandlung............................... 190 (4) Die Stellung des Richters im Verfahren .................................. 191 (5) Zwischenfazit ........................................................................ 193 c) Der Kanton Bern .............................................................................. 193 aa) Das ordentliche Verfahren gemäß Art. 144 ff. ZPO BE ................ 193 (1) Einleitende Phase................................................................... 193 (2) Zwischenphase ...................................................................... 195 (3) Endphase ............................................................................... 197 bb) Einordnung ................................................................................. 199 (1) Die Verfahrenseinleitung ....................................................... 199 (2) Die Instruktionsverhandlung und die Stellung des Instruktionsrichters ................................................................ 200 (3) Die Stellung des Richters im Verfahren .................................. 203 (4) Zwischenfazit ........................................................................ 207 d) Der Kanton Waadt............................................................................ 207 aa) Das ordentliche Verfahren gemäß Art. 257 ff. CPC VD ............... 207 (1) Einleitende Phase................................................................... 207 (2) Zwischenphase ...................................................................... 209 (3) Endphase ............................................................................... 211 bb) Einordnung ................................................................................. 213 (1) Die Verfahrenseinleitung ....................................................... 213 (2) Die Instruktionsverhandlung und die Stellung des Instruktionsrichters ................................................................ 214 (3) Die Stellung des Richters im Verfahren .................................. 216 (4) Zwischenfazit ........................................................................ 219 e) Der Kanton Wallis............................................................................ 220

XIV

Inhaltsverzeichnis

aa) Das ordentliche Verfahren gemäß §§ 125 ff. CPC VS .................. 220 (1) Einleitende Phase................................................................... 220 (2) Zwischenphase ...................................................................... 221 (3) Endphase ............................................................................... 223 bb) Einordnung ................................................................................. 224 (1) Die Verfahrenseinleitung ....................................................... 224 (2) Die Instruktionsverhandlung und die Beweisaufnahme ........... 226 (3) Die Stellung des Instruktionsrichters ...................................... 227 (4) Die Stellung des Richters im Verfahren .................................. 229 (5) Zwischenfazit ........................................................................ 230 3. Zwischenergebnis ................................................................................ 231 II. Das schweizerische Zivilprozessrecht ab dem 1. Januar 2011 ................. 234 1. Die Entstehungsgeschichte ................................................................... 234 a) Erste Vereinheitlichungsversuche ..................................................... 234 b) Wissenschaftliche Aufarbeitung der Vereinheitlichungsidee in der Folgezeit .......................................................................................... 236 c) Die gesetzgeberische Umsetzung der Vereinheitlichungsidee ............ 239 d) Vom Vorentwurf bis zum Inkrafttreten der schweizerischen Zivilprozessordnung ......................................................................... 240 2. Das ordentliche Verfahren nach Art. 219 ff. ZPO CH .......................... 244 a) Der Verfahrensablauf ....................................................................... 244 aa) Einleitende Phase ........................................................................ 244 bb) Zwischenphase............................................................................ 246 cc) Endphase .................................................................................... 250 b) Die Einordnung ................................................................................ 254 aa) Die Verfahrenseinleitung............................................................. 254 bb) Die Ausgestaltung der Zwischenphase ......................................... 256 (1) Die Beweisaufnahme im ordentlichen Verfahren .................... 257 (2) Die Stellung des Instruktionsrichters ...................................... 262 (3) Zwischenergebnis .................................................................. 266 cc) Die Ausgestaltung der Hauptverhandlung .................................... 266 c) Fazit ................................................................................................. 273 aa) Das Prozessmodell der schweizerischen Zivilprozessordnung ...... 273 bb) Umsetzung des Vereinheitlichungsgedankens .............................. 275 cc) Abschließende Betrachtung ......................................................... 279

Inhaltsverzeichnis

XV

Schlussbemerkungen ............................................................................ 283 I. Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells ............................................ 283 II. Die Entscheidung der Schweiz ............................................................... 287 Literatur ...................................................................................................... 291 Sachregister ................................................................................................ 311

Abkürzungsverzeichnis aCPC VS

Ancien Code de Procédure Civile du Canton du Valais

a.F.

Alte Fassung

AG

Die Aktiengesellschaft

AJP

Aktuelle Juristische Praxis

ALI

American Law Institute

AS

Amtliche Sammlung

B.C. L. Rev.

Boston College Law Review

BBl.

Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft

BGE

Entscheidungen des Bundesgerichts

BGG

Schweizerisches Bundesgerichtsgesetz

BJM

Basler Juristische Mitteilungen

Buffalo L. Rev.

Buffalo Law Review

BV

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft

C.J.Q.

Civil Justice Quarterly

CCR

County Court Rules

Cornell Int’l L.J.

Cornell International Law Journal

CPC

Code de Procédure Civile français

CPC VD

Code de Procédure Civile du Canton de Vaud

CPC VS

Code de Procédure Civile du Canton du Valais

CPO

Civilprozessordnung für das Deutsche Reich 1877

CPR

Civil Procedure Rules

CPC VS

Code de Procédure Civile du Canton du Valais

CPO

Civilprozessordnung für das Deutsche Reich 1877

DJZ

Deutsche Juristen-Zeitung

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

Abkürzungsverzeichnis

XVII

Duke L.J.

Duke Law Journal

GestG

Gerichtsstandsgesetz

GVG ZH

Gerichtsverfassungsgesetz des Kantons Zürich

Harv. L. Rev.

Harvard Law Review

How. L.J.

Howard Law Journal

Ind. Int’l & Comp. L. Rev.

Indiana International and Comparative Law Review

Int’l Law.

International Lawyer

IPrax

Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts

J.L. & Soc’y

Journal of Law and Society

JdT

Journal des Tribunaux

JR

Juristische Rundschau

JuS

Juristische Schulung

JW

Juristische Wochenschrift

LEC

Ley de Enjuiciamiento Civil

LGVE

Luzerner Gerichts- und Verwaltungsentscheide

LugÜ

Lugano-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen

Max.

Entscheidungen des Obergerichts des Kantons Luzern und der Anwaltskammer

Mich. L. Rev.

Michigan Law Review

MüKo

Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung

NCPC

Nouveau Code de Procédure Civile français

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

OR

Schweizerisches Obligationenrecht

ÖZPO

Österreichische Zivilprozessordnung

RGBl.

Deutsches Reichsgesetzblatt

R.I.D.C.

Revue Internationale de Droit Comparé

RabelsZ

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

RIEDPA

Revista Internacional de Estudios sobre Derecho Procesal y Arbitraje

Riv. Dir. Proc.

Rivista Di Diritto Processuale

RIW

Recht der internationalen Wirtschaft

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

RSC

Rules of the Supreme Court

RVJ

Revue valaisanne de jurisprudence

SJZ

Schweizerische Juristen-Zeitung

Stan. L. Rev.

Stanford Law Review

SVG

Schweizerisches Straßenverkehrsgesetz

SZZP

Schweizerische Zeitschrift für Zivilprozessrecht

Tex. Int’l L.J.

Texas International Law Journal

UNIDROIT

Institut international pour l’unification du droit privé

Unif. L. Rev.

Uniform Law Review

Vand. J. Transnat’l L.

Vanderbilt Journal of Transnational Law

VE ZPO CH

Vorentwurf zur Schweizerischen Zivilprozessordnung

Yale L.J.

Yale Law Journal

A.B.A. J.

American Bar Association Journal

ZEuP

Zeitschrift für Europäisches Privatrecht

ZBJV

Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins

ZGB

Schweizerisches Zivilgesetzbuch

ZPO BE

Zivilprozessordnung des Kantons Bern

ZPO CH

Schweizerische Zivilprozessordnung

ZPO LU

Zivilprozessordnung des Kantons Luzern

ZPO ZH

Zivilprozessordnung des Kantons Zürich

ZPO

Zivilprozessordnung der Bundsrepublik Deutschland

ZSR

Zeitschrift für Schweizerisches Recht

ZZP

Zeitschrift für Zivilprozess

ZZPInt

Zeitschrift für Zivilprozess International

ZZZ

Schweizerische Zeitschrift für Zivilprozess- und Zwangsvollstreckungsrecht

Einleitung „Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält dem Versucher, der die Freiheit zur Zügellosigkeit zu verleiten sucht, das Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, daß sie sich nicht zerstreue, verlaufe, sie kräftigt sie nach innen, schützt sie nach außen. Feste Formen sind die Schule der Zucht und Ordnung und damit der Freiheit selber und eine Schutzwehr gegen äußere Angriffe, (…).“1 Rudolf von Jhering

Hinter dem von Rudolf von Jhering so anschaulich formulierten Gedanken steht das jedes Rechtssystem prägende Bedürfnis nach Rechtssicherheit. Diese spielt sowohl bei der Schaffung von materiellem Recht als auch der Gestaltung des Verfahrensrechts gleichermaßen eine bedeutende Rolle im modernen Rechtsstaat. Selbst mehr als 150 Jahre, nachdem Rudolf von Jhering diese Zeilen verfasst hat, muss sich ein jeder Gesetzgeber bei der Schaffung neuen Rechts und der Gewährung umfassenden Rechtsschutzes mittelbar oder sogar unmittelbar an diesem Aussagegehalt orientieren, um rechtsstaatlichen Grundsätzen gerecht zu werden.2 Während im Bereich des materiellen Rechts Rechtssicherheit unter anderem die klare und hinreichend bestimmte Formulierung der Normen verlangt, zeigt sich Rechtssicherheit im Verfahrensrecht insbesondere in der Gestaltung des gerichtlichen Verfahrens nach rechtsstaatlichen Grundsätzen. Gerichtliche Verfahren bedürfen einer Gestaltung, die einen sachangemessenen und effizienten Rechtsschutz gewährleistet sowie der Vielgestaltigkeit der Lebenswirklichkeit gerecht wird. 3 Aus diesem Grund muss sich jeder Gesetzgeber bei der Schaffung eines Prozessrechts der Frage

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Von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Zweiter Theil, zweite Abtheilung, 3. Auflage 1875, S. 471. 2 Zum Spannungsverhältnis von Form und Freiheit im Recht mit rechtsgeschichtlichen Bezügen Oestmann, in: Zwischen Formstrenge und Billigkeit. Forschungen zum vormodernen Zivilprozeß, S. 1 ff. Mit Fokus auf den Konflikt im Zivilverfahrensrecht Münch, in: Zwischen Formstrenge und Billigkeit. Forschungen zum vormodernen Zivilprozeß, S. 55 ff. 3 Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 296 f.

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Einleitung

stellen, welche äußere Form das Verfahren annehmen soll und damit nach welcher Struktur der Prozess ablaufen soll, um den Bedürfnissen des Rechtsalltags am besten gerecht zu werden. Die Schaffung eines sinnvollen und die Erreichung des Prozessziels fördernden Gleichgewichts zwischen Freiheit und Form kann damit durchaus als Ausgangspunkt gesetzgeberischer Maßnahmen und damit als Fundament einer jeden Verfahrensordnung bezeichnet werden. Der Gesetzgeber steht vor der Entscheidung, ob er einen strengen, formalistischen Verfahrensablauf vorsehen will, welcher dem Verfahren eine nahezu statische Form gibt und der richterlichen Gestaltungsfreiheit enge Grenzen setzt. Eine solche Gestaltung würde dem Bedürfnis der beteiligten Parteien nach Vorhersehbarkeit entsprechen und böte auf den ersten Blick umfassenden Rechtsschutz, da ein solch geordneter Ablauf den Eindruck einer präzisen Aufarbeitung des Sachverhalts sowie einer fundierten Streitentscheidung erweckt. Allerdings könnte ein stark formalisiertes Verfahren auch gleichermaßen anfällig für Lücken im Rechtsschutz sein, dürfte es ihm doch an der erforderlichen Flexibilität fehlen, welche für einen sachangemessenen Rechtsschutz mit Blick auf die vielgestaltigen Rechtsstreitigkeiten erforderlich ist. Im Übrigen neigen stark formalisierte Verfahren – wie die Rechtsgeschichte zeigt – häufig zur Schwerfälligkeit und infolgedessen zu überlanger Verfahrensdauer. Eine offenere Verfahrensgestaltung, welche den Aspekt der Freiheit vor den Aspekt der Form stellt, könnte hingegen zwar flexibel auf die unterschiedlichen Rechtsstreitigkeiten reagieren, verringert jedoch gleichzeitig die Vorhersehbarkeit und bedürfte eines Richters mit einer starken, das Verfahren gestaltenden Rolle. Zügellosigkeit und Willkür wären bei einem sehr geringen Grad an Formalisierung als Folge hiervon nicht auszuschließen. Um umfassenden und qualitativ hochwertigen Rechtsschutz gewähren zu können, bedarf es damit eines Ausgleichs zwischen Formstrenge und Freiheit: Notwendige Dynamik und Freiheit müssen durch die äußere Form in geeigneten Bahnen kanalisiert werden, so dass Willkür und Zügellosigkeit vermieden werden. Dieser gesetzgeberischen Aufgabe kommt grundlegende Bedeutung für das Verfahrensrecht als Ganzes zu, sie ist aber gleichermaßen auch für die nähere Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens im weiteren Gesetzgebungsprozess bedeutsam. Bei zahlreichen Reformen auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts, deren Auslöser in allen Rechtskulturen zumeist verfahrensrechtliche Missstände in Form von langer Verfahrensdauer, hohen Prozesskosten und fehlender Effizienz waren, verhallten zunächst vorgenommene, punktuell wirkende Reformen oftmals wirkungslos oder brachten nur kurzzeitige Verbesserungen. Erst umfassende Änderungen an der Struktur des Verfahrens konnten signifikante Erfolge verzeichnen. Solche Entwicklungen machen deutlich, welchen immensen Einfluss die Verfahrensstruktur auf die Qualität des Rechtsschutzes hat und folglich, welche große Bedeutung der gesetzgeberischen Entscheidung über den Verfahrensablauf zukommt. Diese wird umso deutlicher, wenn man die

I. Die Aktualität von Prozessmodellen

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Funktion des Verfahrensrechts im Gesamtgefüge aller Normen eines Rechtsstaates betrachtet, beschränkt sich die Bedeutung prozessualer Regeln doch nicht auf den einzelnen Rechtsstreit. Vielmehr hat die Wirkung des Prozessrechts eine weitaus größere Dimension: Eine unbefriedigende Situation im Prozessrecht zeitigt Wirkungen auch außerhalb des Verfahrensrechts. Prozessrecht und materielles Recht interagieren, so dass Defizite des ersteren letzteres nicht unberührt lassen, sondern vielmehr dessen Wert erheblich beeinträchtigen. Ein qualitativ hochwertiges und effizientes Prozessrecht ist ein Garant für effektiven individuellen Rechtsschutz. Denn dem Prozessrecht kommt eine dienende Funktion im Verhältnis zum materiellen Recht zu, so dass ein exzellentes materielles Recht erheblich an Wert verliert, wenn ihm kein effizientes Prozessrecht für seine Verwirklichung zur Seite steht. 4

I. Die Aktualität von Prozessmodellen I. Die Aktualität von Prozessmodellen

Die Erkenntnis, dass der Frage nach der strukturellen Gestaltung eines Zivilverfahrens grundlegende Bedeutung zukommt, brachte eine Schematisierung in Prozessmodellen hervor. Diese berücksichtigen neben der äußeren Form des Verfahrens auch verfahrensinterne Elemente wie die Stellung des Richters und das Verhältnis zwischen Richter und Parteien, die sich auf den Verfahrensablauf und damit die Struktur des Prozesses auswirken können. Im Fokus steht dabei der Verfahrensablauf im ordentlichen Verfahren, welcher als ein besonders charakteristisches Merkmal jeden Prozessrechts anzusehen ist. 5 Diese Prozessmodelle entwickelten sich aus unterschiedlichen Prozesskulturen. Sie bilden daher prägende Elemente der jeweiligen Prozesskultur ab und verkörpern damit ein bestimmtes, auch kulturell vorgeprägtes Prozessrechtsverständnis. Dadurch, dass der Zivilprozess primär der Rechtsverwirklichung im konkreten Einzelfall dient,6 ist die Frage berechtigt, inwieweit eine Schematisierung von Verfahrensregelungen in unterschiedlichen Modelle hierzu passt, wenn doch jedem Prozess entsprechend seiner Bedürfnisse ein angemessenes Verfahren zuteilwerden soll und kein Prozess einem anderen gleicht, eine Schematisierung damit auf den ersten Blick dem Ziel des Verfahrens, individuellen

4 Siehe hierzu Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 8, 25; ders., in: Summum Ius Summa Iniuria. Individualgerechtigkeit und der Schutz allgemeiner Werte im Rechtsleben, S. 97, 98. 5 Oberhammer, ZEuP 2013, 751, 768. 6 Zur Frage des Prozesszwecks im Zivilverfahren Stürner, in: Festschrift für Gottfried Baumgärtel zum 70. Geburtstag, S. 545 ff.; Münch, in: Zwischen Formstrenge und Billigkeit. Forschungen zum vormodernen Zivilprozeß, S. 55, 94 f.; Gaul, AcP 168 (1968), 27 ff.; Kern, in: Derecho Procesal Civil Comparado: Homenaje a Rolf Stürner, S. 319, 319 f.

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Einleitung

Rechtsschutz zu gewähren, zuwider läuft. Darüber hinaus stellt sich weiter die Frage, ob eine Einordnung des Verfahrensablaufs in verschiedene Modelle überhaupt noch notwendig ist oder ob typisierte Prozessmodelle heutzutage vielleicht sogar überholt sind, weil mit fortschreitender Harmonisierung ein internationaler Gleichlauf geschaffen wird. Gerade die Schematisierung in Prozessmodelle ermöglicht es, in Reformvorhaben konfliktbeladene Regelungsformen zu identifizieren und neue, effektivere Lösungsansätze in Anlehnung an ein anderes Modell zu übernehmen, welches sich in der Regelung eines bestimmten Verfahrenselements in der praktischen Durchführung als effizienter erwiesen hat. Gerade für einen Gesetzgeber, der einzelne Teile des Zivilverfahrensrechts reformieren oder – wie im Falle der Schweiz – ein von Grund auf neues Zivilprozessrecht schaffen will, sind Prozessmodelle sinnvoll, um den praktischen Nutzen einzelner struktureller Ideen schon vorab abzuschätzen mit dem Ziel, frühzeitigen Reformen nach Inkrafttreten der Regelwerke entgegenzutreten. Eine Orientierung an strukturell ähnlich gelagerten Prozessordnungen dürfte dann schon Anhaltspunkte geben können, ob die Umsetzung einer theoretischen Idee Erfolg verspricht oder nicht. Abgesehen von nationalen Reformen spielen Prozessmodelle auch in der internationalen, insbesondere der europäischen Rechtsentwicklung eine Rolle, zumeist zwar im Hintergrund, doch ist ihre Rolle nicht minder bedeutend. Damit eine Harmonisierung auf einem bestimmten Rechtsgebiet überhaupt erfolgen kann, muss zunächst ein Grundkonsens gefunden werden, welcher den einzelnen beteiligten Staaten den notwendigen Respekt gegenüber nationalen Besonderheiten des Rechts entgegenbringt. Eine Analyse der Prozessstrukturen der beteiligten Staaten lässt dabei gemeinsame Schnittpunkte erkennen, die eine Prognose ermöglichen können, ob ein Harmonisierungsversuch überhaupt hinreichend erfolgversprechend ist beziehungsweise welche rechtskulturellen Unterschiede eine Harmonisierung erschweren können und daher besonderen Augenmerks bedürfen. Trotz grundsätzlicher Geltung des Vertrauensgrundsatzes im Rahmen der Anerkennung ausländischer Entscheidungen enthält die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel I-VO) in Art. 45 Abs. 1 lit. a) auch eine Regelung über den prozessualen ordre public des Anerkennungsstaates, um die Einhaltung rechtsstaatlicher Mindeststandards im gerichtlichen Verfahren als Bedingung für die Anerkennung ausländischer Urteile sicherzustellen.7 Gerade im Rahmen dieser Prüfung kommt der strukturellen Gestaltung ausländischer Zivilverfahren eine bedeutende Rolle zu. Ein Verstoß gegen die Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts im Hinblick auf die 7

Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 4.

I. Die Aktualität von Prozessmodellen

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Struktur des Verfahrens lässt sich mit Blick auf das dem ausländischen Zivilverfahren zugrunde liegende Prozessmodell zügig prüfen. Im Bereich des Exequaturs spielen Prozessmodelle daher im alltäglichen internationalen Rechtsleben eine wichtige Rolle, mag auch ein Verstoß gegen den prozessualen ordre public aufgrund der Verfahrensstruktur des ausländischen Verfahrens wohl recht selten und nur in engen Grenzen anzunehmen sein. Ein weiterer Bereich des juristischen Lebens, in welchem Prozessmodelle hilfreich sein können, liegt in der internationalen Tätigkeit von Rechtsanwälten. Auch wenn diese mangels entsprechender Abkommen zumeist vor ausländischen Gerichten nicht postulationsfähig sind, so verlangt der heutige internationale Wirtschafts- und Rechtsverkehr von ihnen, Mandanten auch bezüglich Streitigkeiten vor ausländischen Gerichten kompetent beraten zu können. Sofern mehrere Gerichtsstände im Ausland zur Verfügung stehen, sind die Risiken und Gefahren sowie die Vor- und Nachteile, die einem Verfahrensablauf nach ausländischem Recht innewohnen, bei der Wahl des Forums zu berücksichtigen. Auch hier hilft damit ein Blick auf das dem ausländischen Verfahrensrecht zugrunde liegende Prozessmodell weiter. Die Entwicklung der Prozessmodelle und ihre heutige Anwendung sind aufgrund ihrer vielseitigen Rolle, die sie im gesetzgeberischen, gerichtlichen und anwaltlichen Alltag spielen, daher keineswegs obsolet. Trotz und vielleicht gerade wegen der fortschreitenden Internationalisierung des Rechts bedarf es schematisierter Modelle, welche als Ausgangspunkt für eine Harmonisierung dienen sowie Entscheidungen im Rechtsverkehr erleichtern können. Prozessmodelle sind auch immer Ausdruck der Rechtskultur, der sie entspringen. Dies trifft auch auf jedes nationale Verfahrensrecht zu, das neben einer politischen Entscheidung auch immer den eigenen rechtskulturellen Hintergrund in unterschiedlicher Intensität verkörpert.8 Aus diesem Grund sind Vereinheitlichungen durch verbindliche Gesetze, die dem eigenen nationalen Rechtsverständnis kaum mehr Raum lassen, nur in engen Grenzen zu befürworten. Gerade die Einbettung in die nationale Kultur dürfte einer rechtskreisübergreifenden Harmonisierung wohl auch entgegenstehen. 9 Das ist mitunter einer der gewichtigsten Gründe, weshalb auf internationaler Ebene oftmals Rahmengesetze oder Modellgesetze statt verbindlicher Regelwerke erlassen werden;10 dies nicht nur deshalb, weil die Erreichung eines Konsenses für alle einzelnen Detailregelungen beim Zusammentreffen unterschiedlicher Rechtskulturen oftmals unmöglich ist, sondern auch gerade um den Einzelstaaten die

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Asser, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 379, 379. Stürner, 34 Intʼl Law. 1071, 1075 (2000). 10 Siehe hierzu den Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica und die ALI/UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure. Nähere Ausführungen hierzu siehe Kapitel 2 III und V. 9

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Einleitung

Freiheit zur Umsetzung einzelner nationaler Besonderheiten mit rechtskultureller Bedeutung zu überlassen. Betrachtet man nun die schweizerische Eidgenossenschaft mit ihrer Geschichte und den politischen Gegebenheiten, so ergab sich während des Gesetzgebungsprozesses für eine eidgenössische Zivilprozessordnung ein Bild, welches mit der Situation einer potentiellen Rechtsvereinheitlichung auf internationaler Ebene vergleichbar war. Da den Kantonen bis zur Änderung der Bundesverfassung im Jahre 1999 die Rechtssetzungskompetenz auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts zugestanden hatte und die Kantone in ihrer historischen und damit auch rechtlichen Entwicklung unterschiedlichen Einflüssen unterlagen, war der schweizerische Gesetzgeber bei der Schaffung einer bundeseinheitlichen Zivilprozessordnung vor die Aufgabe gestellt, die unterschiedlichen rechtskulturellen Aspekte in einen fairen und effektiven Ausgleich zu bringen. Die Schweiz als Schnittpunkt des romanischen und germanischen Rechtskreises mit seiner Adhäsion zum angloamerikanischen Rechtskreis, die im Wesentlichen auf ein vergleichbares Demokratieverständnis gründete, 11 war damit ein Abbild der Situation, wie sie bei einer Harmonisierung auf internationaler Ebene durch ein verbindliches Gesetz bestehen würde. Der schweizerische Gesetzgeber musste einen konsensfähigen Ausgleich zwischen Elementen unterschiedlicher Rechtskreise schaffen und sich dabei auch mit verschiedenen, den kantonalen Prozessordnungen zugrunde liegenden Prozessmodellen auseinandersetzen.

II. Die Idee der Rechtsvereinheitlichung in der Schweiz II. Die Idee der Rechtsvereinheitlichung in der Schweiz

Der Gedanke hinter einer Vereinheitlichung eines Rechtsgebiets auf internationaler Ebene liegt überwiegend in der Hoffnung, auf diese Weise eine Effizienzsteigerung im internationalen Rechtsverkehr zu erreichen. Während dieser Gedanke ebenfalls für eine Rechtsvereinheitlichung auf nationaler Ebene fruchtbar gemacht werden kann, tritt hier auch das Bedürfnis eines jeden Staates hinzu, trotz Zugehörigkeit zu einem Zusammenschluss mehrerer Staaten und damit einhergehender partieller Rechtsvereinheitlichung als geschlossene Rechts- und Wirtschaftseinheit nach außen aufzutreten. Insbesondere mit Blick auf die Internationalisierung sowohl der Wirtschaftsbeziehungen als auch der Rechtsanwendung ist es damit das Anliegen eines jeden Staates, als nationale Einheit geschlossen und dadurch gestärkt aufzutreten, um die eigene Identität

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Stürner, in: Festschrift für Karl Heinz Schwab zum 70. Geburtstag, S. 465, 465.

II. Die Idee der Rechtsvereinheitlichung in der Schweiz

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nicht zu verlieren. Mit einem solchen Auftreten geht ferner eine stärkere Stellung im Wettbewerb der Rechtsordnungen einher.12 Nachdem die Nachbarländer der schweizerischen Eidgenossenschaft, namentlich Österreich, Frankreich und Deutschland, den Schritt zu einem nationalen Zivilprozessrecht bereits zum Ende des 18. und des 19. Jahrhunderts und damit zur Hochzeit der Industrialisierung mit sich ausdehnenden Binnenmärkten und wachsendem Verkehr gewagt hatten,13 drängt sich die Frage auf, weshalb die Schweiz dem Vorbild ihrer Nachbarstaaten erst deutlich später zu Beginn des 21. Jahrhunderts und damit auf dem Höhepunkt internationaler Vereinheitlichung auf dem Gebiet der Wirtschaftsbeziehungen und des Rechts gefolgt ist. Anders als in den Nachbarländern standen nicht überlange Verfahrensdauer und hohe Verfahrenskosten sowie dadurch eintretende Missstände in der Rechtsprechung am Anfang der Reformierung des Zivilprozessrechts. 14 Zwar waren auch dies diskussionswürdige Aspekte in einzelnen kantonalen Prozessordnungen, handelt es sich hierbei doch um beinahe mit dem Zivilprozessrecht verwachsene Schwierigkeiten; im Mittelpunkt der Reformbewegung standen sie jedoch nicht. Vielmehr bereitete die Rechtszersplitterung in 26 kantonale Prozessordnungen in einem flächenmäßig kleinen Land zusehends Probleme. Neben die horizontale Rechtszersplitterung in unterschiedliche kantonale Prozessordnungen trat zusätzlich eine vertikale Rechtszersplitterung durch die Gesetzgebungstätigkeit des Bundes auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts. Dies wurde auf den Grundsatz gestützt, eine Legiferierung des Bundesgesetzgebers auf diesem Gebiet sei insoweit zulässig, als sie für die Durchsetzung des materiellen Rechts erforderlich sei. 15 Hinzutraten außerdem ungeschriebene

12 Zum gegenwärtigen Wettbewerb der Rechtsordnungen statt aller Kersten, in: Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, Bd. 1, S. 845, 850 ff. 13 Österreich vereinheitlichte das Zivilprozessrecht durch die Allgemeine Gerichtsordnung von 1781 und Frankreich letztlich erst mit dem Code de Procédure Civile 1806. Die Abkehr von der Partikulargesetzgebung im Zivilprozess erfolgte in Deutschland mit dem Erlass der Reichsjustizgesetze 1877. Zur unterschiedlichen Entwicklung in Deutschland und der Schweiz Walder-Richli, in: Festschrift für Kostas E. Beys, Bd. 2, S. 1713, 1713 f. G. Walter, in: Helvetisches Zivilprozessrecht. Symposium zum 75. Geburtstag von Walther J. Habscheid, S. 70, 71 sprach sich vehement gegen eine Vereinheitlichung aus und sprach den in der Diskussion angeführten Gründen für die Vereinheitlichung ihre Überzeugungskraft ab. Es dürfte aber wohl etwas zu weitgehend sein, wenn er sich gegen eine Orientierung an Bundesstaaten mit einer einheitlichen Zivilprozessordnung, wie beispielsweise Deutschland und Österreich, wendet, da das vereinheitlichte Verfahrensrecht „den schlechten Zustand des Föderalismus in den genannten Staaten“ bestätige. 14 G. Walter, in: Helvetisches Zivilprozessrecht. Symposium zum 75. Geburtstag von Walther J. Habscheid, S. 70; Oberhammer, ZEuP 2013, 751, 771. 15 Eichenberger, ZSR 88 (1969) II, 476 ff.

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Einleitung

Rechtsgrundsätze, die von der Bundesrechtsprechung entwickelt wurden. 16 Der Bundesgesetzgeber nahm diese ihm zugewiesene Annexkompetenz in der Vergangenheit auch zur Angleichung gesellschaftlicher Strukturen 17 zwischen den Kantonen vermehrt wahr. Er konnte damit allerdings nur in begrenztem Umfang die horizontale Rechtszersplitterung einebnen, bediente er sich doch oftmals auch nur des Instruments der Festlegung von Mindeststandards, was aufgrund des den Kantonen zugewiesenen Spielraums wiederum zu unterschiedlichen kantonalen Ausgestaltungen führte.18 Diese Rechtszersplitterung erschwerte den Rechtsschutz erheblich und gefährdete mehr und mehr die effektive Rechtsdurchsetzung. 19 Der Anpassungsdruck, welchem die Kantone durch immer neue bundesrechtliche Regelungen, aber auch durch vermehrte internationale Anforderungen an das Prozessrecht ausgesetzt waren, 20 belastete aufgrund der damit verbundenen Kosten die kantonalen Haushalte. Eine weitere finanzielle Auswirkung hatte die Rechtszersplitterung ferner auf die Prozessführung in interkantonalen Rechtsstreitigkeiten. Dadurch, dass sich eine Prozessführung ohne Korrespondenzanwalt im Kanton des Gerichtsorts zumeist nicht vermeiden ließ, um kein zum ohnehin bestehenden Prozessrisiko hinzutretendes Risiko einzugehen, welches sich daraus ergab, dass das Prozessieren außerhalb des gewohnten Kantons für einen Rechtsanwalt zu einem risikoreichen Unterfangen werden konnte,21 waren die Prozessführungskosten in interkantonalen Rechtsstreitigkeiten recht hoch. Auch wenn die Kantone in zahlreichen dogmatischen Grundfragen dieselbe Umsetzung gewählt hatten, erschwerten unterschiedliche Regelungen in zwar kleinen, aber durchaus relevanten Detailfragen erheblich die anwaltliche Prozessführung nach einer nicht vertrauten Prozessordnung.22 Letztlich hatte dies auch gewichtige Auswirkungen auf die Freizügigkeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten 23 und begünstigte

16 Hierzu umfassend Berti, Zum Einfluss ungeschriebenen Bundesrechts auf den kantonalen Zivilprozess im Lichte der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundes gerichts, passim; Vogel, AJP 1992, 459, 463. 17 Kälin/Rieder, ZZPInt 5 (2000), 325, 330. 18 Sutter-Somm, in: Helvetisches Zivilprozessrecht. Symposium zum 75. Geburtstag von Walther J. Habscheid, S. 32, 33 spricht sogar davon, dass jede bundesrechtliche oder internationale Vorgabe ähnlich wie ein Rahmengesetz für die Kantone wirkte. 19 Sutter-Somm, in: Festschrift für Dieter Leipold zum 70. Geburtstag, S. 753, 753. 20 BBl. 2006, 7221, 7222, 7229 f.; Walther, ZSR 124 (2005) II, 301, 304. 21 Vgl. Walder-Richli, in: Festschrift für Kostas E. Beys, Bd. 2, S. 1713, 1714. 22 Die Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung zählt exemplarisch Fragen auf, die sich im Prozessalltag stellten, daher den Rechtsalltag verkomplizierten und somit faktisch die anwaltliche Freizügigkeit beschränkten, vgl. BBl. 2006, 7221, 7228. 23 BBl. 2006, 7221, 7229; Stolz/Gass, recht 1995, 1, 6.

II. Die Idee der Rechtsvereinheitlichung in der Schweiz

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den Aufbau einer innerkantonalen Monopolstellung der dort tätigen Rechtsanwälte. 24 Der Rechtsalltag war damit sowohl für die Rechtsanwälte als auch für die Rechtssuchenden stark verkompliziert und bedeutete für erstere eine zwar nicht rechtliche, aber doch faktische Einschränkung ihrer Berufsfreiheit sowie für letztere eine Verteuerung des Rechtsschutzes und nicht geringe faktische Schwierigkeiten bei der Durchsetzung ihrer materiellen Rechte zumindest in interkantonalen Streitigkeiten. Resultierend hieraus fand ein interkantonaler Erfahrungsaustausch praktisch nicht statt. Dies behinderte die Rechtsfortbildung erheblich, nicht zuletzt auch deswegen, weil das wissenschaftliche Durchdringen der Rechtsmaterie durch die Rechtszersplitterung sehr schwierig war, so dass weder in der Praxis noch in der Wissenschaft ein nennenswerter Austausch stattfand.25 Ein weiterer Grund, weshalb eine Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts zu Beginn des 21. Jahrhunderts in der schweizerischen Eidgenossenschaft sinnvoll geworden war, lag darin, dass sich über die Jahre der Fokus auf die Wirtschafts-, Gesellschafts- und Kulturräume der einzelnen Kantone verschoben hatte hin zu einer stärkeren Beachtung des gesamten Bundesstaates als Wirtschaftsraum.26 Letztlich diente dieser Prozess auch dazu, im Vergleich mit anderen Rechtsordnungen konkurrenzfähig und attraktiv zu bleiben, um im Wettbewerb der Rechtsordnungen nicht ins Hintertreffen zu gelangen. Ferner verlangte auch das seit 1912 vereinheitliche materielle Privatrecht schlussendlich eine Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts, mutete es doch recht willkürlich an, wenn ein Anspruch in einem Kanton geschützt war, während er aufgrund divergierender Beweisregeln in einem anderen abgewiesen wurde. 27 Die Schweiz reiht sich damit in die Riege der weltweiten Reformbewegungen auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts ein. Sie nimmt aber insoweit eine

24 Seit dem 1. Juni 2002 ermöglicht zwar das Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit von Anwältinnen und Anwälten die interkantonale Berufsausübung ohne das Einholen einer gebührenpflichtigen Berufsausübungsbewilligung, die vor der Einführung des Freizügigkeitsgesetzes erforderlich war. Dies vermochte allerdings an dem beschriebenen Problem der interkantonalen Prozessvertretung aufgrund eines auch finanziell nicht abschätzbaren Risikos nichts zu ändern. Vogel, AJP 1992, 459, 463. 25 Sutter-Somm, in: Festschrift für Dieter Leipold zum 70. Geburtstag, S. 753, 753; Meier, in: Helvetisches Zivilprozessrecht. Symposium zum 75. Geburtstag von Walther J. Habscheid, S. 47, 47. 26 Vgl. auch Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996, BBl. 1997 I, 1, 516; Stolz/Gass, recht 1995, 1, 6 ff. 27 Meier, in: Helvetisches Zivilprozessrecht. Symposium zum 75. Geburtstag von Walther J. Habscheid, S. 47, 48; G. Walter, in: Helvetisches Zivilprozessrecht. Symposium zum 75. Geburtstag von Walther J. Habscheid, S. 70 ff. sprach sich jedoch umfassend gegen eine Vereinheitlichung auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts aus und stellte die für eine Vereinheitlichung angeführten Gründe infrage (s. schon Fn. 13). Letztlich kam er sogar zum Ergebnis, dass die besseren Argumente gegen eine Vereinheitlichung sprächen.

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Einleitung

Sonderstellung ein, als die schweizerische Reform auf die Rechtsvereinheitlichung gerichtet, und nicht so sehr auf die Beseitigung von prozessualen Missständen fokussiert war.

III. Das Ziel der Arbeit sowie der Gang der Darstellung III. Das Ziel der Arbeit sowie der Gang der Darstellung

Das Ziel der Arbeit ist es, die weltweiten Reformbewegungen im Hinblick auf die Verfahrensstruktur zum Ausgang des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts an einigen Beispielen exemplarisch zu untersuchen. Dabei soll nachgewiesen werden, dass diese Reformen grundlegende Strukturfragen des ordentlichen Verfahrens neu regelten und die einzelnen Staaten sich unter Aufgabe ihrer traditionellen, für ihren Rechtskreis typischen Struktur für ein bestimmtes Prozessmodell, namentlich das Hauptverhandlungsmodell, als Modell für den Verfahrensablauf im ordentlichen Verfahren entschieden haben, womit sie diesem zu einem weltumspannenden Erfolg verhalfen. Im Weiteren soll sodann untersucht werden, ob sich die Schweiz mit ihrer umfassenden Reform auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts ebenfalls diesem Trend angeschlossen und sich für das Hauptverhandlungsmodell im ordentlichen Verfahren entschieden hat. Dabei soll insbesondere ein Augenmerk darauf liegen, inwieweit der Gesetzgeber einen Ausgleich zwischen den Elementen unterschiedlicher Rechtskreise, mit denen er aufgrund bisheriger kantonaler Regelungen konfrontiert wurde, geschaffen hat. Für den konkreten Gang der Darstellung ergibt sich hieraus folgendes: Zunächst werden im ersten Kapitel die drei Prozessmodelle, das italienisch-kanonische Prozessmodell (I.), das trial-Modell (II.) sowie das Hauptverhandlungsmodell (III.), in ihrer historischen Entwicklung beleuchtet und die einzelnen Modelle mit ihren charakteristischen Elementen dargestellt. Im Anschluss wird im zweiten Kapitel die These, dass dem Hauptverhandlungsmodell bei den jüngsten Reformen des Prozessrechts eine bedeutende Rolle zukam, anhand einer Darstellung einzelner Prozessrechte belegt. Dabei werden die die Verfahrensstruktur konstituierenden Vorschriften Spaniens (I.) und Englands (II.) näher betrachtet und herausgearbeitet, welches Prozessmodell dem Verfahrensrecht vor und nach der Reform zugrunde lag beziehungsweise nun zugrunde liegt. Daneben wird außerdem der Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica (III.) als Modellgesetz für den Zivilprozess südamerikanischer Staaten im Hinblick auf die Verfahrensgestaltung untersucht sowie das Verfahrensrecht Uruguays (IV.), welches im Nachgang zum Erlass des Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica nach seinem Vorbild umfassend reformiert wurde. Schließlich findet die Verfahrensstruktur der Principles of Transnational Civil Procedure (V.), die vom American Law Institute (ALI) und dem Institut international pour lʼunification du droit (UNIDROIT) für ihr gemeinsames

III. Das Ziel der Arbeit sowie der Gang der Darstellung

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Harmonisierungsprojekt auf dem Gebiet des Zivilprozesses gewählt wurde, nähere Betrachtung. Das dritte Kapitel widmet sich schließlich der Rechtsentwicklung der Schweiz auf dem Gebiet des Zivilprozesses. Im ersten Teil des Kapitels (I.) werden fünf ausgewählte kantonale Zivilprozessordnungen daraufhin untersucht, welches Prozessmodell ihren Verfahrensregelungen zugrunde lag. Neben den deutschsprachigen Kantonen Zürich, Luzern und Bern wird auch die Verfahrensstruktur des ordentlichen Verfahrens der frankophonen Kantone Waadt und Wallis betrachtet und eine Zuordnung einzelner Aspekte zu den charakteristischen Elementen der drei Prozessmodelle vorgenommen. Im Anschluss hieran wird sodann die Entstehungsgeschichte der seit dem 1. Januar 2011 in Kraft befindlichen eidgenössischen Zivilprozessordnung unter Berücksichtigung der frühen Vereinheitlichungsbemühungen nachgezeichnet. Schließlich werden der Verfahrensablauf des ordentlichen Verfahrens nach der eidgenössischen Zivilprozessordnung dargestellt und die einzelnen Gestaltungsmöglichkeiten den Prozessmodellen zugeordnet. Abschließend wird sodann eine Wertung der Verfahrensgestaltung durch die eidgenössische Zivilprozessordnung vorgenommen sowie ihre Vereinbarkeit mit dem der Reform zugrunde liegenden Vereinheitlichungsgedanken untersucht. Die Arbeit schließt mit Schlussbemerkungen, die einen Überblick über die wesentlichen Erkenntnisse der Arbeit geben.

Kapitel 1

Die Prozessmodelle Im Folgenden werden die drei Prozessmodelle nach einer Darstellung der historischen Entwicklung erörtert und ihre Fortentwicklung und heutige Bedeutung erläutert. Um eine prägnante Darstellung der wesentlichen Unterschiede der drei Prozessmodelle vornehmen zu können, wird in Anlehnung an den gesetzlichen Aufbau zahlreicher Prozessordnungen eine Dreiteilung des Verfahrens vorgenommen.1 Am Anfang steht dabei die einleitende Phase der Klageerhebung und der gegnerischen Klageerwiderung. Dieser folgt die Phase der Beweiserhebung, an welche sich dann die letzte Phase anschließt, die typischerweise mit der gerichtlichen Entscheidung endet. 2

I. Das italienisch-kanonische Prozessmodell I. Das italienisch-kanonische Prozessmodell

1. Geschichtlicher Überblick über die Entstehung des Modells a) Der Einfluss des römischen Zivilprozesses Die Existenz dessen, was in der Rechtslehre unter dem Begriff des italienischkanonischen Prozessmodells bekannt ist, hat ihren Ursprung in der altrömischen Prozessform des Legisaktionenprozesses sowie seiner Fortentwicklung zum Formularverfahren.3 Des Weiteren waren auch Elemente des sich später entwickelnden Kognitionsverfahrens für die Entstehung des italienisch-kanonischen Modells prägend.

1 Vgl. zum dreiteiligen Aufbau auch Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1002. 2 Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1002. 3 Der Legisaktionenprozess ist geschichtlich dem Beginn des römischen Reiches zuzuordnen, während das Formularverfahren in der späten Republik entstanden ist, vgl. Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, S. 38 ff., 110 ff.; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 34 f.; Piekenbrock, Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld, S. 26 f.; Stürner, in: Festschrift für Ekkehard Schumann zum 70. Geburtstag, S. 491, 491.

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

aa) Der Legisaktionenprozess Der Legisaktionenprozess war unter anderem dadurch geprägt, dass allein Klagen erhoben werden konnten, die in den XII-Tafel-Gesetzen oder späteren Volksgesetzen kodifiziert waren.4 Diese Beschränkung war auch namensgebend (legis actiones). 5 Ein Verfahren konnte daher nur eingesetzt werden, wenn eine legis actio für den entsprechenden Streitgegenstand zur Verfügung stand,6 was dem gerichtlichen Rechtsschutz in gewissem Maße seine Flexibilität und Anpassungsfähigkeit nahm. Äußerlich unterlag das gerichtliche Verfahren einer Zweiteilung dergestalt, dass zunächst ein Gerichtsmagistrat (praetor) vorbereitende Entscheidungen traf, welche zumeist die Zusammensetzung des später entscheidenden Gerichts und das materiellrechtliche Streitprogramm für das gerichtliche Verfahren festlegten sowie die Zulassung des Rechtsstreits und damit die Prüfung der allgemeinen Prozessvoraussetzungen betrafen.7 Durch Verweis des Gerichtsmagistraten erfolgte im zweiten Teil des Verfahrens vor dem von den Parteien ausgewählten oder ausgelosten privaten Richter die Beweisaufnahme über den Streitgegenstand. Abschließend erging das Urteil. 8 Anzumerken ist an dieser Stelle, dass es sich bei dem Richter um eine Privatperson handelte, welche die Richterfunktion wahrnahm (iudex privatus). 9 Das Verfahren in iure vor dem Gerichtsmagistraten, das nur römischen Bürgern offenstand, begann mit einem Vortrag des Klägers über sein Begehr, dem der klägerische Antrag auf Einsetzung eines Streitverfahrens folgte. Der Beklagte musste sich zu diesem äußern, diesen entweder anerkennen oder aber den klägerischen Vortrag formgerecht bestreiten. Dabei hatten beide Parteien die feierlichen Spruchformeln Wort für Wort aufzusagen, ohne diese an ihren individuellen Fall anzupassen.10 Durch Befragen beider Parteien prüfte der Gerichtsmagistrat, ob für den geltend gemachten materiellrechtlichen Anspruch eine actio zur Verfügung stand.11 Waren alle Prozessvoraussetzungen gegeben und eine passende actio gefunden, gestattete der Gerichtsmagistrat im Rahmen 4

Dulckeit/Schwarz, Römische Rechtgeschichte, S. 78. Von Keller/Wach, Der römische Civilprocess und die Actionen, S. 54; Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, S. 39; Piekenbrock, Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld, S. 26. 6 Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts vom Standpunkte des heutigen Rechts, S. 4. 7 Dulckeit/Schwarz, Römische Rechtsgeschichte, S. 78; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 45, 69. 8 Pugliese, Il Processo civile romano, S. 10, 188; Piekenbrock, Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld, S. 26 f.; Dulckeit/Schwarz, Römische Rechtsgeschichte, S. 79; Wolf, Die litis contestatio im römischen Zivilprozeß, S. 4. 9 Seidl, Römische Rechtsgeschichte und römisches Zivilprozessrecht, S. 161 Rn. 388. 10 Seidl, Römische Rechtsgeschichte und römisches Zivilprozessrecht, S. 165 Rn. 399. 11 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 70. 5

I. Das italienisch-kanonische Prozessmodell

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gesetzlicher oder gewohnheitsrechtlich anerkannter, feierlicher Spruchformeln die förmliche Streiteinsetzung und damit den Übergang des Prozesses in das Verfahren apud iudicem.12 An dieser Stelle des Verfahrens wurden ferner die im Verfahren apud iudicem zu prüfenden Rechtsbehauptungen der Parteien festgelegt. Dieser Akt, der das Streitprogramm bestimmte, wird als litis contestatio bezeichnet. 13 Der beziehungsweise die entscheidenden Richter wurden entweder von den Parteien gewählt oder aber durch den Gerichtsmagistraten durch Auslosung aus der Richterliste bestimmt. Erst durch diese Auswahl erlangte der Richter die Jurisdiktionsgewalt. 14 Einer kurzen Darstellung des streitigen Sachverhalts folgten die Vorträge von Kläger und Beklagtem. 15 Zentrales Element des Verfahrens apud iudicem war die Beweisaufnahme, deren Gegenstand Tatsachen waren.16 Der Richter war im frühen Stadium des Legisaktionenverfahrens hinsichtlich der Würdigung der Beweise an Beweisregeln gebunden 17 mit der Folge, dass er den bestehenden Beweisregeln folgen musste, auch wenn er persönlich von der materiellen Unrichtigkeit seiner hieraus resultierenden Entscheidung überzeugt war.18 Das Verfahren apud iudicem endete schließlich mit dem Erlass des Urteils. Das Legisaktionenverfahren war ein sehr förmliches, nahezu technisches Verfahren, welches der Einhaltung der formellen Vorgaben einen großen Stellenwert einräumte und deren Nichtbeachtung den Prozessverlust mit sich bringen konnte. 19 Die Zweiteilung des Verfahrens in eine Vorbereitungsphase vor dem Gerichtsmagistraten und eine Entscheidungsphase vor dem iudex lässt durchaus das Bestreben erkennen, das Verfahren effizient gestalten zu wollen.

12 Dulckeit/Schwarz, Römische Rechtsgeschichte, S. 78; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 76. 13 Zur litis contestatio in der Rechtsentwicklung Schlinker, Litis contestatio. Zur litis contestatio im Legisaktionenprozess insbesondere S. 21 ff. Auf die Kontroverse über die tatsächliche Bedeutung der litis contestatio im Legisaktionenprozess eingehend Jahr, Litis Contestatio, S. 59 ff. 14 Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, S. 109; von Keller/Wach, Der römische Civilprocess und die Actionen, S. 42 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 17. 15 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 116. 16 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 117, 119. 17 G. Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 11 f.; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 116. 18 Nörr, ZZP 85 (1972), 160, 160. Bei jedem, der fremdes Gut besaß, wurde beispielsweise unwiderleglich vermutet, dass er die Fremdheit kenne. Vgl. zum Beweisverfahren im römischen Zivilprozess Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 117 ff. Allerdings wird das Vorliegen zwingender Beweisregeln im römischen Recht auch angezweifelt, so u.a. von Seidl, Römische Rechtsgeschichte und römisches Zivilprozessrecht, S. 178 Rn. 449. 19 Dulckeit/Schwarz, Römische Rechtsgeschichte, S. 149.

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bb) Das Formularverfahren Während sich die Zweiteilung des Verfahrens in ein Verfahren in iure vor dem Gerichtsmagistraten und in ein Verfahren apud iudicem vor dem eigentlichen Richter auch in dem sich anschließend entwickelnden Formularverfahren fortsetzte, 20 wurde die Beschränkung des Legisaktionenverfahrens auf Ansprüche, die ihre Grundlage in einer lex hatten, sowie die Beschränkung der Beteiligtenfähigkeit auf das römische Volk aufgehoben. 21 Das Verfahren in iure vor dem Gerichtsmagistraten im Formularverfahren stimmte inhaltlich weitgehend mit jenem des Legisaktionenverfahrens überein. Allerdings wurde die Formstrenge des Legisaktionenverfahrens zugunsten einer flexibleren Verfahrensgestaltung zurückgedrängt: An die Stelle der wenigen starren legis actiones traten zahlreiche ausdifferenzierte actiones, welche das Rechtsmittel bezeichneten, um einen von der Rechtsordnung geschützten privatrechtlichen Anspruch vor Gericht geltend machen zu können. 22 Diese enthielten die typisierte Klageformel (formula), welche den Streitgegenstand benannte. Eine Änderung der actio im gerichtlichen Verfahren war anders als im starren Legisaktionenverfahren ohne weiteres möglich. Weder der klägerische Vortrag noch die Erwiderung des Beklagten waren an strenge Formen gebunden, sondern erfolgten in einem weitestgehend formlosen Verfahren, welches durch den Gerichtsmagistraten nach eigenem Ermessen strukturiert wurde. 23 Sofern sämtliche materiellen und prozessualen Voraussetzungen erfüllt waren, erteilte der Gerichtsmagistrat dem Kläger die formula, die dieser dem Beklagten überreichte und die von diesem angenommen werden musste. 24 Dieser Austausch wurde wie im Legisaktionenverfahren als litis contestatio bezeichnet und markierte das Ende des Verfahrens in iure.25 Außerdem stellte es die Urteilsgrundlage dar. Da die Annahme der Spruchformel beziehungsweise die Unterwerfung hierunter durch beide Parteien notwendig für den Übergang in das Verfahren apud iudicem war, konnte der Beklagte vom Magistraten durch Personalhaft oder Beschlagnahme seines Vermögens hierzu gezwungen

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Stürner, in: Festschrift für Ekkehard Schumann zum 70. Geburtstag, S. 491, 491; Pugliese, Il Processo civile romano, S. 10. 21 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 151; Piekenbrock, Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld, S. 27. 22 Dulckeit/Schwarz, Römische Rechtsgeschichte, S. 150. 23 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 232. 24 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 288. 25 Jahr, Litis Contestatio, S. 209 ff.; Wolf, Die litis contestatio im römischen Zivilprozess, S. 5; Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 111; Stürner, in: Festschrift für Ekkehard Schumann zum 70. Geburtstag, S. 491, 492.

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werden.26 Insbesondere in der Bindung an die in der mündlichen oder schriftlichen Formel festgesetzten Bedingungen des Sieges, 27 die der entscheidende Richter bei der Subsumtion der Tatsachen zu beachten hatte, zeigt sich die wegweisende Funktion des Verfahrens in iure sowie die Bedeutung der Aufgabe des Gerichtsmagistraten. 28 Im Formularverfahren wurden überdies die Befugnisse des Magistraten dahingehend erweitert, dass er bereits im Rahmen der Tatsachenfeststellung aktiv werden und dort Beweise erheben konnte. 29 Die litis contestatio hatte im Einklang mit ihrer abschließenden Funktion zudem im Grundsatz präkludierende Wirkung bezüglich dilatorischer Exzeptiones und beendete die Befugnis zur zustimmungsfreien Klageänderung. Auch die Erhebung einer Widerklage im engeren Sinn war ab der litis contestatio nicht mehr möglich.30 Motiv für die Zweiteilung des Verfahrens war nicht allein der Gedanke, auf diese Weise einer Klageflut, die den Justizapparat lahm legen konnte, entgegenzuwirken und die Effizienz des Prozesses zu gewährleisten; vielmehr sollte der Gerichtsmagistrat das Beweisthema, die anwendbaren Rechtsregeln sowie den für die Beweisaufnahme zuständigen Richter festlegen.31 Wie im Legisaktionenverfahren kam den Maßnahmen des Gerichtsmagistraten in weiten Teilen Vorbereitungscharakter zu. Hierdurch sollte dem Verlangen der Parteien nach einer sachgerechten Fallentscheidung durch einen unparteiischen Richter nachgekommen werden. 32 Das Verfahren apud iudicem war in weiten Teilen eine schriftlich ungeregelte Materie, die bis auf wenige Ausnahmen, die bereits in den XII-Tafeln vorgesehen waren, überwiegend einem gefestigten Herkommen und schriftlich nicht niedergelegten Rechtsprinzipien folgte.33 Die Beweisaufnahme und die Urteilsfällung waren der wesentliche Inhalt.34 Gegenüber dem Legisaktionenverfahren wurde auch das Beweisverfahren von Förmlichkeiten dergestalt befreit, dass die Bindung an zwingende Beweisregeln durch das Institut der freien

26 Dulckeit/Schwarz, Römische Rechtsgeschichte, S. 149; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 17. 27 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 17. 28 Zur inhaltlichen Ausgestaltung der Formel siehe Dulckeit/Schwarz, Römische Rechtsgeschichte, S. 151 ff. 29 Zu der Stellung und den Aufgaben des Gerichtsmagistraten siehe Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 69 ff. 30 Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 112. 31 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 113 f. 32 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 46. 33 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 360. 34 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, S. 453.

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richterlichen Beweiswürdigung ersetzt wurde, 35 was ein erster Schritt in Richtung der modernen Prozessführung war. 36 Nach Abschluss des Beweisverfahrens wurde das Verfahren mit dem Urteil beendet. Das Formularverfahren unterschied sich im Wesentlichen von dem Legisaktionenverfahren durch die geringere Formstrenge und ermöglichte damit eine größere Flexibilität bei der Gewährung von Rechtsschutz. Die Rolle des Gerichtsmagistraten wurde durch die Möglichkeit der vorgängigen Beweisaufnahme sowie seiner Kompetenz zur Überwachung des Urteilsverfahrens vor dem entscheidenden Gericht37 wesentlich gestärkt. Die Stellung des entscheidenden Richters erfuhr gleichermaßen eine Stärkung dadurch, dass ihm eine freie, von Beweisregeln unabhängige Beweiswürdigung zugestanden wurde. Im Übrigen zeichnete sich das Verfahren durch Flexibilität, das Bestreben nach Effizienz sowie Mündlichkeit und Unmittelbarkeit aus. Das Verfahren war ferner von einem weitreichenden Einfluss der Parteien geprägt, der den staatlichen Charakter des Verfahrens an manchen Stellen im Verfahrensablauf deutlich zurückdrängte. So erfolgte die Ladung zum Verfahren durch den Kläger, und der urteilende Privatrichter wurde im Dialog mit den Parteien ausgewählt. Im Übrigen legten die Parteien im Verfahren in iure das Prozessprogramm für das Verfahren apud iudicem in der litis contestatio selbstständig fest. 38 cc) Das Kognitionsverfahren Der Abbau von Formalisierung mag mit ein Grund gewesen sein, wieso sich auch die Zweiteilung des Verfahrens nicht zukunftsprägend auswirken konnte. 39 Die Zweiteilung des Verfahrens in ein Verfahren in iure und in ein Verfahren apud iudicem konnte sich daher nicht dauerhaft behaupten. Sie wurde in dem unter Kaiser Augustus entstandenen Kognitionsverfahren schließlich nahezu vollständig aufgegeben40 und das gerichtliche Verfahren tiefgreifend umgestaltet. 41 In der Folge führte der Magistrat bis zur Urteilsfällung das Verfahren einschließlich des Beweisverfahrens selbstständig. 42 Ein Privatrichter, dessen Einsetzung im Formularverfahren im Konsens mit den

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Seidl, Römische Rechtsgeschichte und römisches Zivilprozessrecht, S. 178 Rn. 449

a.E. 36

G. Walter, Freie Beweiswürdigung, S.12; Piekenbrock, Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld, S. 28; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 118 sprechen sogar von „einer der bedeutendsten rechtsethischen Leistungen der Römer“. 37 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 359. 38 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 442. 39 Stürner, in: Festschrift für Ekkehard Schumann zum 70. Geburtstag, S. 491, 492. 40 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, S. 460; Piekenbrock, Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld, S. 28. 41 Dulckeit/Schwarz, Römische Rechtsgeschichte, S. 229. 42 Seidl, Römische Rechtsgeschichte und römisches Zivilprozessrecht, S. 162 Rn. 390.

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Parteien erfolgte, wurde nicht bestimmt. 43 Vielmehr waren die Richter alle mittelbar oder unmittelbar Delegierte des Kaisers. 44 Die wesentlichste Veränderung erfuhr das römische Gerichtsverfahren in der Entwicklung vom Formularverfahren hin zum Kognitionsverfahren in dem Grad der Formalisierung des Verfahrens. Dabei entwickelte sich das Verfahren von dem noch sehr auf die Einhaltung der Förmlichkeiten bedachten Formularverfahren zu einem Verfahren, das weitestgehend auf feststehende Formen verzichtet, sei es bei der Verfahrensgliederung oder dem mündlichen Austausch der Rechtspositionen von Kläger und Beklagtem. Gleichzeitig wurde das Verfahren durch die Stärkung der Richtermacht deutlicher als staatliche Aufgabe wahrgenommen.45 Die Ladung erfolgte schließlich auch von Amts wegen. 46 Statt Förmlichkeit standen nun die Zweckmäßigkeit und damit die Orientierung des gerichtlichen Verfahrensablaufs an den Umständen des Einzelfalls im Vordergrund. 47 Nach wie vor waren Kläger und Beklagter gehalten, ihre Rechtspositionen im mündlichen Termin als Mittelpunkt des Verfahrens vorzutragen und hierfür Beweise beizubringen, allerdings waren sie in der Art und Weise der Präsentation aufgrund der verringerten Förmlichkeit freier. Eine Umschreibung des klägerischen Begehrens in einer starren formula war damit nicht mehr erforderlich.48 Als Zäsur des Verfahrens wird zum Teil im Zusammenhang mit dem Kognitionsverfahren weiter die litis contestatio genannt, doch kam ihr im Kognitionsverfahren keine vergleichbare Bedeutung zu wie im Legisaktionen- oder im Formularverfahren, in welchen sie im Wesentlichen der Festlegung des Streitprogramms diente sowie die Unterwerfung hierunter verkörperte.49 Eine solche verbindliche Unterwerfung unter das zuvor festgelegte Streitprogramm sowie das Spruchgericht gingen im Kognitionsverfahren nicht mit ihr einher.50 Auch die Beweisaufnahme war keinem festen Zeitpunkt im Verfahren zugewiesen, sondern unterlag der Ermessensentscheidung des Richters, wann er eine solche für geboten hielt.51 In der Würdigung der Beweismittel war der Richter im Einklang mit der im ganzen Verfahren durchscheinenden freien richterlichen Gestaltung zunächst frei. 43

Dulckeit/Schwarz, Römische Rechtsgeschichte, S. 229; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 442. 44 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, S. 460. 45 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 472. 46 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 474 f.; Stürner, in: Festschrift für Walter Gerhardt, S. 967, 968. 47 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 481, 483; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, S. 461. 48 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 485. 49 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, S. 461. 50 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 490. 51 Piekenbrock, Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld, S. 28; Kaser/ Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 491.

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

Neben Mündlichkeit und Öffentlichkeit prägten ferner eine deutliche Verstaatlichung des gerichtlichen Verfahrens sowie die Ausweitung der gerichtlichen Herrschaft über das Verfahren das Kognitionsverfahren. Die Steigerung der richterlichen Ermessensbefugnisse kompensierte in gewissem Maße den Abbau der Förmlichkeit und ermöglichte eine flexiblere Verfahrensgestaltung. In der Folgezeit verschwanden jedoch Mündlichkeit und Öffentlichkeit zusehends und Schriftlichkeit und Heimlichkeit traten an ihre Stelle. 52 Auch die richterliche Ermessensfreiheit wurde stark zurückgedrängt. 53 In diesem Zusammenhang war ferner die Rückkehr von der freien Beweiswürdigung zur Geltung von Rechtsregeln für die Beweiswürdigung als Rückschritt zu verzeichnen.54 b) Der Einfluss des germanischen Rechts Das italienisch-kanonische Modell wurde neben dem frührömischen Recht ferner durch das Rechtsverständnis der Germanen wesentlich geprägt, welches sich fundamental von dem des römischen Rechts unterschied. 55 Der germanische Zivilprozess war stark durch strafrechtliche Elemente geprägt, was insbesondere darin zutage trat, dass ein privatrechtlicher Anspruch erst Gegenstand eines Prozesses werden konnte, wenn etwa durch Rechtsverweigerung ein deliktsrechtlicher Tatbestand geschaffen worden war.56 Das Verfahren im germanischen Prozess verlief mündlich und fand in öffentlicher Versammlung statt, nachdem der Kläger den Beklagten geladen hatte oder nachdem die Parteien einen Vertrag darüber geschlossen hatten, den Rechtsstreit vor Gericht austragen zu wollen (Streitgedinge). 57 Die Klageerhebung beinhaltete die kurze Nennung des behaupteten Rechts unter Verwendung genau vorgeschriebener Worte, 58 die Klageantwort beschränkte sich auf ein Bejahen oder Verneinen des geltend gemachten Anspruchs, wobei dies auch unter einer Bedingung erfolgen konnte. 59 Der Beklagte musste dabei exakt auf

52 Girard, Manuel élémentaire de droit romain, S. 1141; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 18. 53 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, S. 463. 54 G. Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 15; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 18. 55 Schröder/Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, S. 90 ff. 56 Schröder/Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, S. 90; Planitz, Germanische Rechtsgeschichte, S. 35; ähnlich auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 18; Piekenbrock, Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld, S. 30. 57 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 29; Planitz, Germanische Rechtsgeschichte, S. 35; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 18; Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, Erster Band, S. 254. 58 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 18. 59 Planitz, Germanische Rechtsgeschichte, S. 35.

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das Klagevorbringen des Klägers eingehen, da Nichtbestrittenes als zugestanden angesehen wurde.60 Der verfahrenseinleitende Austausch zwischen Kläger und Beklagtem war damit recht reduziert, eine vorbereitende Funktion auf den weiteren Fortgang des Verfahrens kann der reduzierten Verfahrenseinleitung daher nur in engen Grenzen zugesprochen werden. Im Anschluss an die Klageantwort des Beklagten bat der Kläger die Richter sodann bereits um ihr Urteil. Eine Beweisaufnahme vor dem Richter fand vor der Urteilsverkündung nicht statt; vielmehr fanden die Ergebnisse einer nach dem Urteil vorzunehmenden privaten Beweisaufnahme dergestalt Berücksichtigung, dass das Urteil den Beweis anordnete und dann festlegte, was je nach Ausgang des Beweisverfahrens geschehen sollte (Beweisurteil). 61 Dem bedingten Endurteil bei bestrittenem Klagevorwurf folgte eine Beweisaufnahme, in der Rechtsbehauptungen bewiesen wurden,62 so dass eine materielle Würdigung durch das Gericht entbehrlich war.63 Dieses Urteil war anders als der Urteilsvorschlag nicht mit Hilfe eines Rechtsmittels anfechtbar. 64 Diesen Gang nahm das Verfahren allerdings nur, wenn der Beklagte den Klagevorwurf geleugnet hatte. Hatte der Beklagte den Klagevorwurf hingegen anerkannt, erging ein unbedingtes Endurteil.65 Das Verfahren war in weiten Teilen von strenger Förmlichkeit geprägt, die bei einem Verstoß gegen die hergebrachten Formen zum Prozessverlust führen konnte. 66 Die Aufgaben des Richters waren eng begrenzt und beschränkten sich auf die Eröffnung und Leitung des Verfahrens sowie auf die Verkündung des Urteils, das von der versammelten Gemeinde auf Vorschlag von rechtsverständigen Gemeindegenossen gefällt wurde. 67 Die Beweisaufnahme, die nach modernem Prozessverständnis eines der Kernstücke eines Zivilverfahrens darstellt und hiernach gerade in den Verantwortungsbereich des entscheidenden Richters fällt, war nicht Teil des gerichtlichen Verfahrens vor dem Richter, sondern fand in eigener Verantwortung der Parteien außerhalb des Gerichtsverfahrens 60

Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, Erster Band, S. 255. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 19 sowie Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 29 bezeichnen ein solches Urteil als „zweizüngig“ oder „bedingt“. 62 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 19. 63 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 45. 64 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 19. Gegen den Urteilsvorschlag konnte die Urteilsschelte eingelegt werden, wobei jedoch dann ein besseres Urteil vorgeschlagen werden musste. Im Zweikampf wurde dann zwischen Urteilsvorschlag und Urteilsschelte entschieden, vgl. hierzu Planitz/Eckhard, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 63. 65 Planitz, Germanische Rechtsgeschichte, S. 36. 66 Planitz/Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 63; Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, Erster Band, S. 252; Schröder/Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, S. 91. 67 Planitz/Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 63; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 18. 61

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

statt.68 Eine materielle Beweiswürdigung durch den Richter fand folglich nicht statt.69 Diese Verfahrensgestaltung schwächte die ohnehin schwache Stellung des Richters noch zusätzlich. Die Frage nach der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme stellte sich damit nicht, war diese doch zeitlich nach dem gerichtlichen Verfahren und darüber hinaus in Parteiverantwortung und folglich ohne Beteiligung einer Gerichtsperson vorgesehen. Die mystische Prägung des germanischen Zivilprozesses zeigt sich besonders in den für die außergerichtliche Beweisführung anerkannten Beweismitteln, namentlich Geschäftszeugen, Eid oder Gottesurteil. 70 Für eine freie Beweiswürdigung blieb damit kein Raum mehr.71 Letztlich kam dem Richter daher lediglich eine passive Funktion zu, die die Einhaltung der formellen Vorgaben durch die Prozessbeteiligten sicherstellen sollte. Inhaltliche Interventionen bezogen auf den materiellen Streitgegenstand unternahm der Richter nicht, sondern beschränkte sich im Einklang mit seiner passiven Rolle auf die formelle Prozessleitung72 und die Feststellung des Rechts auf Grundlage des Vorbringens der Parteien. 73 Der Zivilprozess nach germanischem Recht zeichnete sich damit durch starke Formalisierung, Parteibetrieb sowie die Geltung des Verhandlungsgrundsatzes aus. Hinzu tritt eine Richterfigur, deren Prozessleitungsbefugnisse auf die formelle Ebene beschränkt waren und die eine weitgehend passive Rolle im Verfahrensgefüge einnahm. Im Übrigen schlugen sich mystische und religiöse Aspekte auch bei der Gestaltung des Verfahrensablaufs nieder. Die weitere Entwicklung des germanischen Prozesses zeigt eine Abkehr von der Parteiendominanz hin zu stärkerer richterlicher Autorität und einer freieren Gestaltung des Beweisverfahrens;74 so wurde die Bindung an die volksrechtlichen Beweisregeln aufgehoben und der Gegenbeweis zugelassen. 75 Der Wechsel von Rede und Gegenrede der Parteien wurde zugunsten einer stärkeren Beteiligung des Gerichts zurückgedrängt, so dass sich die Parteien mit ihren Anträgen an das Gericht wandten. Zwar kann nicht davon gesprochen werden, dass das Gericht im späten germanischen Prozess zusammen mit den Parteien im Sinne einer Kooperation die Streitentscheidung suchte, da die Stellung des

68 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 19; Planitz/Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 63; Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, Erster Band, S. 256. 69 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 30. 70 Piekenbrock, Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld, S. 30; Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 29; Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, Erster Band, S. 256 ff. Ausführlich hierzu Planitz/Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 63 f. 71 Planitz, Germanische Rechtsgeschichte, S. 36. 72 Schröder/Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, S. 91; Planitz, Germanische Rechtsgeschichte, S. 35. 73 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 29. 74 Siehe hierzu von Schwerin, Germanische Rechtsgeschichte, S. 215. 75 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 19.

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Gerichts hierfür noch nicht hinreichend einflussreich war. Allerdings zeigten sich bereits Tendenzen zu einer stärkeren Stellung des Gerichts im Prozess. c) Der italienisch-kanonische Zivilprozess Mit dem Einzug der Langobarden nach Italien kam zwar dieses germanische Gedankengut nach Italien, blieb aber vorerst separat neben dem römischen Recht bestehen,76 bevor sich mit der Zeit ein germanisch-romanischer Mischprozess entwickelte77, was nicht zuletzt auch durch die Entstehung der ersten Universitäten im 12. Jahrhundert begünstigt wurde. 78 Hierbei sind als entwicklungsstärkste Zentren im Hinblick auf die Schaffung von Verfahrensrecht die oberitalienischen Städte besonders hervorzuheben, 79 welche insbesondere das langobardische Verfahrensverständnis fokussierten. 80 Die germanische Rechtsgemeinde wurde durch den königlichen Beamten ersetzt, welcher sich durch rechtsgelehrte Beisitzer bei der Urteilsfällung beraten ließ. Anders als im germanischen Prozess und vielmehr nach römischem Vorbild war der Urteilsausspruch nun auch vor dem Königsgericht beziehungsweise dem Herzogsgericht anfechtbar. 81 Die formellen Rechtsbehauptungen und Gegenbehauptungen der Parteien wurden aus dem germanischen Recht übernommen, ebenso wie die Anordnung des Beweises durch ein anfechtbares Zwischenurteil. 82 Der Formalismus des germanischen Rechts wurde daher zunächst fortgesetzt. Geprägt durch den Gedanken, ein öffentliches Interesse an der Rechtsverwirklichung anzuerkennen,83 wurde in Anlehnung an das römische Recht das Beweisverfahren in das gerichtliche Verfahren vor dem Richter integriert.84 An die Seite des auf diese Weise entstandenen römisch-germanischen Mischprozesses trat mit dem Aufstieg des Papsttums im 11. Jahrhundert das

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Bethmann-Hollweg, Der germanische-romanische Civilprozeß, Bd. 1, S. 334 f. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 20. 78 Bereits im 10. und 11. Jahrhundert blühte die langobardische Rechtskunst in der Rechtsschule von Pavia auf, in der karolingische Gesetze und langobardische Königsgesetzgebung wissenschaftlich bearbeitet wurden. Etwa zwei Jahrhunderte später trat dann das römische Gedankengut hinzu; vgl. hierzu Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 487 ff. 79 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 487. 80 Himstedt, Die neuen Rechtsgedanken im Zeugenbeweis des oberitalienischen Stadtrechtsprozesses, S. 38 ff. 81 Planitz/Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 111. 82 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 20. 83 Planitz/Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 111. 84 Planitz/Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 111. 77

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

Recht der Kirche, 85 das kanonische Recht, welches zu Beginn aus der päpstlichen Gesetzgebung bestand.86 Mit der Abfassung des Decretum Gratiani um 1140, welches die geltenden canones zusammenfasste und lehrbuchartig aufarbeitete, 87 wurde die kanonische Rechtswissenschaft begründet, welche zusehends aufblühte und in der Folgezeit zu einer Ausdehnung der Zuständigkeit kirchlicher Gerichte führte.88 Neben kirchlichen Angelegenheiten und Rechtsfragen von Klerikern dehnte sich die Gerichtsbarkeit auf weltliche Angelegenheiten von Privatpersonen aus, die zum damaligen Zeitpunkt in engem Zusammenhang mit der Kirche standen, namentlich Ehe-, Familienstands-, Testaments- und übrige Erbrechtssachen.89 Am Ende dieser geschichtlichen Entwicklung stand ein förmliches Verfahren, welches durch Schriftlichkeit 90 und weitgehende Passivität des Richters im Hinblick auf die Verfahrenslenkung gekennzeichnet war.91 Das Verfahren vor dem Richter wurde, nachdem der Beklagte auf Antrag des Klägers durch den Richter geladen wurde, 92 durch die Rechtsbehauptung des Klägers eingeleitet, 93 welcher der Beklagte nach langobardischem Vorbild entgegentreten musste. 94 Dies war Voraussetzung dafür, dass ein Sachurteil ergehen konnte, so dass diese unter der Prämisse, effektiven Rechtsschutz gewähren zu können, auch durch Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden konnte. 95 Die litis contestatio des frühen römischen Prozesses, welche im Rahmen der Entwicklung

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Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 490 f. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 20. Zum Begriff des römisch-kanonischen Prozesses sowie zum Zusammenspiel von römischem Recht und kanonischem Recht Nörr, in: Iudicium est actus trium personarum, S. 53, 57 f. 87 Helmholz, Kanonisches Recht und europäische Rechtskultur, S. 8 ff.; Nagel, Die Grundzüge des Beweisrechts im europäischen Zivilprozeß, S. 165. 88 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 20; Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 491. 89 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 492. 90 Der Satz „Quod non est in actis, non est in mundo.“ wird vielfach gerade mit der großen Bedeutung der Schriftlichkeit im italienisch-kanonischen Zivilprozess in Verbindung gebracht. In gewissem Umfang ist dies auch korrekt, greift allerdings zu kurz, da der Begriff „acta“ Prozesshandlungen sowohl mündlicher als auch schriftlicher Art umschreibt. Letztlich soll der Satz daher nur zum Ausdruck bringen, dass nur im Rahmen einer wirksamen Prozesshandlung präsentiertes Vorbringen bei der Urteilsfindung Berücksichtigung finden konnte. Vgl. hierzu Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 47 f. 91 Piekenbrock, Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld, S. 34. 92 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 20. 93 Stürner, in: Festschrift für Ekkehard Schumann zum 70. Geburtstag, S. 491, 492. 94 Planitz/Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 308. 95 Planitz/Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 308; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 20 nennen neben der Vermögensbeschlagnahme (missio in bona) auch Acht und Bann oder Exkommunikation als gängige Zwangsmittel. 86

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des römischen Prozesses zunehmend an Bedeutung verloren hatte und im Kognitionsverfahren kaum noch eine verfahrensprägende Bedeutung hatte, erstarkte im italienisch-kanonischen Verfahren wieder und gelangte zu neuer Bedeutung.96 Nach einem Wechsel von Rede und Gegenrede in einzelnen, knapp formulierten Sätzen prüfte das Gericht den der Klage zugrunde liegenden Sachverhalt und erhob über bestrittene Tatsachen Beweis. 97 Die Beweisaufnahme über strittige Tatsachen erfolgte durch eine beauftragte Gerichtsperson, die mit dem das Urteil sprechenden Gericht nicht identisch war,98 so dass der Grundsatz der Unmittelbarkeit keine Geltung beanspruchte. 99 Insbesondere der Zeugenbeweis wurde regelmäßig an eine andere Gerichtsperson delegiert, obwohl aus heutiger Sicht gerade bei diesem der persönliche Eindruck von der Person des Zeugen und seiner Aussage für die Würdigung von großer Bedeutung ist. 100 Die Würdigung der Ergebnisse der Beweisaufnahme erfolgte in der Tradition des römischen Rechts nach festen Regeln, so dass gegenüber der freien Beweiswürdigung des späten germanischen Rechts ein Rückschritt zu verzeichnen war. 101 Um das Verfahren zu strukturieren und insbesondere um bei einer Mehrzahl von Streitpunkten ein geordnetes Verfahren garantieren zu können, wurde das Reihenfolgeprinzip ausgebildet. 102 Danach erfolgten die einzelnen Verfahrensabschnitte und damit die Übergabe der Anklage, eine etwaige Verteidigung des Beklagten mit Einreden sowie die Entscheidung über die Einreden und die Beweisaufnahme jeweils in einem separaten Verfahrensabschnitt und zum Teil auch in separaten Terminen (Terminsequenz), so dass am Ende der zuvor nachgezeichneten Entwicklung neben einem komplizierten, umständlichen und verwirrenden Verfahren 103 ein jahre- oder jahrzehntelang andauernder Prozess stand.

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Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 20. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 20. 98 Stürner, in: Festschrift für Ekkehard Schumann zum 70. Geburtstag, S. 491, 492. 99 G. Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 26. 100 Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 123. Zu Fragen der Unmittelbarkeit im Zivilprozess der Gegenwart sowie zum Wandel in der Bewertung dieses Prozessgrundsatzes Kern, ZZP 125 (2012), 53 ff. 101 Nörr, ZZP 85 (1992), 160, 160. So konnten nur zwei klassische Zeugen den vollen Beweis erbringen, vgl. Planitz/Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 308; Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 122. 102 Zum Begriff und der inhaltlichen Ausgestaltung siehe Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, S. 941 ff. Ferner instruktiv Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 37 ff. 103 G. Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 25; Stürner, in: Festschrift für Ekkehard Schumann zum 70. Geburtstag, S. 491, 492. 97

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

Die lange Verfahrensdauer ging ferner darauf zurück, dass neben dem Endurteil auch die zahlreichen Zwischenurteile, in denen der Richter im kontradiktorischen Verfahren über die Einwände einer Partei gegen die Prozesshandlungen der Gegenpartei mittels Zwischenurteils entscheiden musste, 104 mit ordentlichen Rechtmitteln anfechtbar waren. Dies führte zu lang andauernden Zwischenstreitigkeiten und lief dem Gedanken eines einheitlichen, strukturiert ablaufenden und damit effizienten Verfahrens zuwider. 105 Der italienisch-kanonische Prozess zeichnete sich damit zum einen durch eine strenge Ordnung aus, die aufgrund seiner äußeren Gestaltung eine umfassende und gründliche Erörterung der Streitpunkte möglich machte. 106 Zum anderen begünstigten das Reihenfolgeprinzip und die hieraus resultierende Terminsequenz aber auch eine Verschleppung des Prozesses, 107 so dass die Zusammenlegung mehrerer Prozesshandlungen in einem Termin und eine Entwicklung hin zur Eventualmaxime logische Konsequenzen der langandauernden Prozesse waren.108 Der italienisch-kanonische Prozess hatte sich im Spannungsfeld zwischen gründlicher Aufklärung und Behandlung des zur Entscheidung gestellten Sachverhalts und zügiger Verfahrenserledigung mit großer Deutlichkeit für ersteres entschieden. Weiterhin war der Prozess von der Verhandlungsmaxime und dem Dispositionsgrundsatz geprägt.109 2. Das italienisch-kanonische Prozessmodell a) Einleitende Phase Der Prozess wird mit einer schriftlichen Einleitungsphase eröffnet, 110 in der die Parteien die Klage erheben und die Klageerwiderung einreichen. Der Kläger stellt den Klagantrag, trägt dabei die Fakten vor, die diesen Antrag stützen, und bietet hierfür Beweismittel an. Der Beklagte erwidert hierauf entsprechend. Erforderlich ist damit fact pleading auf beiden Seiten, so dass sowohl Kläger als auch Beklagter gezwungen sind, die ihr Begehr stützenden Tatsachen umfas-

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Piekenbrock, Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld, S. 34; Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 10. 105 Taruffo, La giustizia civile in Italia, S. 9. 106 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 21; Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 37, 222; ders., ZZP 85 (1972), 160, 161. 107 Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 38; ders., zeigt in ZZP 85 (1972), 160, 162 exemplarisch auf, wie viele Termine notwendig waren und welche zeitliche Dimension dies im Einzelfall annehmen konnte. Mit Blick auf die zur Verfügung stehende Infrastruktur zur Zeit des italienisch-kanonischen Prozesses relativiert er jedoch die Verfahrensdauer wieder, vgl. Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 227. 108 Nörr, ZZP 85 (1972), 160, 164. 109 Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 221 f. 110 Stürner, R.I.D.C. 2004, 797, 803.

I. Das italienisch-kanonische Prozessmodell

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send vorzutragen, hierfür Beweismittel anzubieten sowie alle potentiellen Anträge früh zu stellen.111 Sowohl die Klage als auch die Klageerwiderung werden vom Richter einer Schlüssigkeitsprüfung unterzogen.112 Hierdurch wird der Prozessstoff einerseits frühzeitig begrenzt, andererseits führt dies auch zu einer Kanalisierung des Prozesses mit der Folge, dass der Prozess an den von den Parteien geschilderten Sachverhalt gebunden wird. Hierdurch ist es erschwert, sich von der einmal geschaffenen Tatsachengrundlage wieder zu distanzieren. Dies macht weiterhin erforderlich, dass sich der Beklagte frühzeitig entscheidet, ob und welche Tatsachen er bestreitet, da andernfalls nicht bestrittene Tatsachen als zugestanden gelten. Eine so ausgestaltete Einleitungsphase ermöglicht eine umfassende Vorbereitung und Aufbereitung des Verfahrensstoffes in den folgenden Verfahrensphasen und schafft ein gutes Fundament für einen effizienten Prozessverlauf. b) Zwischenphase Die Zwischenphase wird durch eine Sequenz an mündlichen Verhandlungen vor dem Instruktionsrichter gekennzeichnet, der Beweis über die in der ersten Phase bestrittenen Tatsachen erhebt. 113 Insbesondere für diese Verfahrensphase ist die Sequenzierung in einzelne Termine zur Beweisaufnahme ein prägendes Element. Im klassischen Modell des italienisch-kanonischen Prozesses sind Instruktionsrichter und entscheidender Richter personenverschieden, 114 so

111 Priestley, 6 Unif. L. Rev. 841, 842 (2001). Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp S. 997, 1005 hingegen merken an, dass das Modell seinerseits keine klare Entscheidung für die eine oder andere pleading Form trifft, da die dem italienisch-kanonischen Modell folgenden Rechtsordnungen ebenfalls zwischen diesen beiden Möglichkeiten geschwankt sind. Eine Tendenz hin zum fact pleading sei jedoch anzuerkennen, so dass in der folgenden Bearbeitung fact pleading in der Einleitungsphase des italienisch-kanonischen Modells zugrunde gelegt wird. 112 Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 149. 113 Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1005 f. In Italien ist dies der giudice istruttore (Art. 175 Codice di Procedura Civile) und in Frankreich der juge de la mise en état (Art. 763 ff. NCPC). Obwohl die letzten verbliebenen Vorschriften des alten Code de procédure civile von 1806 durch Art. 26 II und III des Gesetzes vom 20. Dezember 2007 (Loi no 2007-1787, JO no 0296 du 21 décembre 2007, S. 20639, texte n°2) aufgehoben wurden und die bis dahin als „Nouveau Code de procédure civile “ bezeichnete neue französische Zivilprozessordnung von 1975 in „Code de procédure civile“ umbenannt worden ist, wird im Folgenden aus Gründen der Unterscheidbarkeit mit den später behandelten frankophonen Prozessordnungen der Schweiz weiterhin von Vorschriften des NCPC gesprochen. 114 Stürner, R.I.D.C. 2004, 797, 803.

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

dass das Prinzip der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme stark zurückgedrängt ist.115 Folge hiervon ist, dass der entscheidende Richter die Parteien und die Beweismittel und -ergebnisse nicht aus eigener Anschauung kennt und daher eine im vollen Umfang sachgerechte Würdigung insbesondere im Rahmen des Zeugenbeweises, der zu einem großen Teil auf persönlicher Wahrnehmung des Zeugen beruht, schwierig ist. Selbst wenn im späteren Verlauf des Verfahrens eine erneute Beweisaufnahme notwendig wird, erfolgt diese durch den Instruktionsrichter, wie es dem Grundgedanken des Modells entspricht. Dem entscheidenden Richter kommt keine Selbstvornahmebefugnis zu. Die stattfindende Beweisaufnahme dient dabei der Information des Gerichts, 116 um auf diese Weise das für eine Entscheidung notwendige Beweismaterial herbei zu schaffen. In der frühen Form des italienisch-kanonischen Prozessmodells erfolgt die Beweiswürdigung ferner anhand von Beweisregeln, die den Beweiswert genau festlegten, was als Relikt der römischen Tradition zu sehen ist. 117 c) Endphase Der Interimsphase folgt schließlich die Endphase, die anders als die Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gericht stattfindet. Vor den Schlussanträgen der Parteien erläutert der Instruktionsrichter dem erkennenden Gericht den Streitgegenstand sowie die Tatsachen- und Rechtsfragen, die für den Streitentscheid relevant sind.118 Nachdem die Parteien die Schlussanträge gestellt haben, entscheidet das erkennende Gericht, dem der Instruktionsrichter nach dem klassischen italienisch-kanonischen Prozessmodell nicht angehört, allein anhand der Berichterstattung durch den Instruktionsrichter und damit ohne seine Überzeugung aus einem persönlichen Eindruck vom Streitstoff oder von den am Streit beteiligten Parteien zu gewinnen.119 Mit dieser Trennung zwischen der Beweisaufnahme vor dem Instruktionsrichter und der Entscheidungsfindung durch das Gericht war intendiert, eine persönliche Beeinflussung der letztlich entscheidenden Richter zu verhindern. Hierfür wurden die Nachteile der immensen Einschränkung des Prinzips der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in Kauf genommen. Der Erlass des Urteils beendete schließlich das Verfahren erster Instanz.

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Stürner, in: Festschrift für Ekkehard Schumann zum 70. Geburtstag, S. 491, 497 spricht von einem „gebrochenen Verhältnis zur Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und zur persönlichen Kontinuität zwischen aufklärendem und entscheidendem Richter“. 116 Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1006. 117 Nörr, ZZP 85 (1992), 160, 160. 118 Vgl. in Frankreich Art. 785 NCPC. 119 Stürner, R.I.D.C. 2004, 797, 803.

I. Das italienisch-kanonische Prozessmodell

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3. Fortentwicklung und Verbreitung Das Grundmodell des italienisch-kanonischen Prozesses war aufgrund der im 14. und 15. Jahrhundert erfolgten Rezeption des römischen Rechts in den ersten zwei Dritteln des 20. Jahrhunderts das vorherrschende Prozessmodell auf dem europäischen Kontinent sowie in europäisch beeinflussten Ländern anderer Kontinente.120 Das Verfahren vor dem Reichskammergericht sowie der gemeine deutsche Prozess wiesen deutliche Spuren der Rezeption des italienischkanonischen Verfahrensrechts und seiner Verfahrensstruktur auf. 121 Während einige Länder sich infolge von Reformbewegungen anderen Prozessmodellen zugewandt haben, findet sich das italienisch-kanonische Prozessmodell in unterschiedlich intensiver Ausprägung heute noch in Frankreich, Italien 122 und einigen lateinamerikanischen Staaten. 123 Allerdings ist das Modell in seiner klassischen Ausprägung auch in diesen Ländern mittlerweile überholt. So wurde die strikte personelle Trennung zwischen Instruktionsrichter in der Beweisaufnahme einerseits und dem erkennenden Gericht andererseits in der Zwischenzeit weitestgehend dergestalt aufgehoben, dass der Instruktionsrichter nun auch im Endtermin als Teil des erkennenden Gerichts anwesend ist und mitentscheidet. Ferner ist eine leichte Tendenz hin zu einer durchgehenden Verhandlung durch einen Einzelrichter zu erkennen.124 Auch die Bindung an strikte Beweisregeln ist weitestgehend gelockert.125 So wurde in Frankreich im Nachgang zur französischen Revolution im 19. Jahrhundert die freie richterliche Überzeugungsbildung (intime conviction) zugelassen; die Beweisregel zugunsten des Urkundsbeweises 126 hat jedoch bis heute Bestand, so dass eine vollkommene Abkehr von Beweisregeln,

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Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1005. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 41. 122 Eine Darstellung des Verfahrensablaufs nach dem italienischen Zivilprozessrecht findet sich bei Grossi, 20 Ind. Int’l & Comp. L. Rev. 213, 219 ff. (2010). Darüber hinaus stellt sie auch die Nachteile dar, welche sich aus der Umsetzung des italienisch -kanonischen Verfahrensmodells in der Praxis ergeben können beziehungsweise ergeben, insb. 271. Die noch heute andauernde italienisch-kanonische Prägung des italienischen Zivilprozesses zeigt sich u.a. noch bei der Zustellung von Schriftsätzen, welche ausweislich Art. 137 des Codice di procedura civile in den Verantwortungsbereich der Parteien fällt. Zur letzten großen Reform des italienischen Verfahrensrechts instruktiv, Bucci/Soldi, Le Nuove Riforme del Processo Civile, insb. S. 10−42. 123 Stürner, in: Gerichtsverfahren zwischen Gerechtigkeit und Ökonomie, S. 29, 29; Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1005. 124 Habscheid, in: Festschrift für Günther Beitzke zum 70. Geburtstag, S. 1051, 1060. Zur Einführung des Einzelrichters (juge unique) in Frankreich Perrot, R.I.D.C. 1977, 659 ff. Siehe auch Parisi, R.I.D.C. 2007, 647, 649. 125 Stürner, in: Gerichtsverfahren zwischen Gerechtigkeit und Ökonomie, S. 29, 30. 126 Art. 1341 Code Civil. 121

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

wie sie bei vergleichbaren Reformen in anderen europäischen Staaten erfolgte, nicht stattfand.127 Darüber hinaus ist eine Stärkung der Richtermacht festzustellen. Konstatierte Glasson 1908 noch „Le juge assiste à la procédure, mais il ne la dirige pas.“,128 so weist Art. 3 des französischen Code de procédure civile dem Richter nun weitreichendere Befugnisse zu, die ihm eine aktive Rolle im Prozessgeschehen zuweisen. Ausweislich Art. 3 Code de procédure civile kann der Richter Fristen setzen sowie sämtliche Maßnahmen anordnen, die er für einen sachangemessenen Prozess für erforderlich erachtet. Durch entsprechende prozessleitende Maßnahmen kann er nun auch auf ein konzentriertes Verfahren hinwirken. 129 Nichtsdestotrotz kämpfen insbesondere italienische Zivilverfahren mit einer überlangen Verfahrensdauer. Die auch dort heute noch zu erkennende Sequenzierung des Verfahrens in zahlreiche Einzelabschnitte insbesondere im Stadium vor der Schlussverhandlung dürfte zu diesen Missständen beitragen.130 Durch die aufkommende personelle Kontinuität zwischen Instruktions- und Entscheidungsrichter verbleibt letztlich als wesentliches Merkmal der romanischen Grundstruktur die zeitliche Zäsur in Instruktion und Entscheidung 131 sowie die darüber hinausgehende Sequenzierung des Verfahrens in Anlehnung an das Reihenfolgeprinzip. Abschließend kann daher als positives Merkmal des heutigen italienisch-kanonischen Prozesses die Rationalität des Verfahrens durch die klare Strukturierung des Verfahrens festgehalten werden. Andererseits führt diese klare Strukturierung auch zu einer Verzögerung des Verfahrens, so dass sich aus dem positiv erwähnten Merkmal des klaren Ablaufs negativ eine Neigung zu langer Verfahrensdauer ergibt.

II. Das trial-Modell II. Das trial-Modell

1. Geschichtlicher Überblick über die Entstehung des Modells Um das US-amerikanische Verfahrensverständnis nachvollziehen zu können, ist ein Blick in die Geschichte der Entstehung des amerikanischen Zivilprozessrechts unverzichtbar. Seine Wurzeln liegen in England, so dass die Geschichte des amerikanischen Zivilprozessrechts jene des englischen Prozessrechts ist. Die Wege der beiden Prozessrechtsordnungen trennten sich erst in 127

Stürner, in: Gerichtsverfahren zwischen Gerechtigkeit und Ökonomie, S. 29, 30. Glasson/Colmet Daage, Précis théorique et pratique de procédure civile, Vol. 1, S. 6; Habscheid, in: Festschrift für Günther Beitzke zum 70. Geburstag, S. 1051, 1052. 129 Després/Dargent, Code de Procédure Civile, Art. 3 Rn. 2°. 130 Trocker, ZZP 91 (1978), 237, 252 ff.; Grossi, 20 Ind. Int’l & Comp. L. Rev. 213, 221 f., 271 (2010). 131 Stürner, in: Festschrift für Ekkehard Schumann zum 70. Geburtstag, S. 491, 497. 128

II. Das trial-Modell

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der jüngeren Vergangenheit. Maßgebliche Grundpfeiler des angloamerikanischen Prozessrechts sind das Prozessrecht nach der Tradition des Common Law sowie der Equity. a) Die Situation in den Kolonien und die Entstehung des Common Law Zu Beginn der Kolonialisierung Nordamerikas durch England bestand kein entwickeltes Rechtssystem im heutigen Sinn in den Kolonien. Vielmehr orientierte sich das Rechtssystem an den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten. Recht wurde damals von Exekutivorganen der Stadtverwaltungen nach dem Vorbild der Situation in englischen Kleinstädten gesprochen.132 Solange die gerichtlichen Streitigkeiten nur lokale oder gar private Belange betrafen, sah das britische Königreich keine Veranlassung, sich um den Aufbau eines funktionierenden, einheitlich geregelten Rechtssystems zu bemühen.133 Durch die schnelle Weiterentwicklung der Kolonien unter englischem Einfluss und die damit einhergehende Zentralisierung traten vermehrt Streitigkeiten auf, die auch Angelegenheiten des British Empire betrafen. 134 Dies veranlasste die neuen Herrscher in Nordamerika, diese Urteile durch das königliche Privy Council Großbritanniens dahingehend zu überprüfen, ob diese im Einklang mit den Rechtsprinzipien des British Empire standen. 135 Nach diesen ersten Interventionen in das koloniale Rechtssystem und durch die voranschreitende wirtschaftliche und politische Entwicklung wurde ab 1700 das Rechtssystem in den Kolonien schrittweise dem englischen System angepasst, das aufgrund seines Entwicklungsstandes wesentlich komplexer und technischer war als das der Kolonien. 136 Dies führte allerdings nicht zu einer einheitlichen Entwicklung in den Kolonien; vielmehr bildeten sich unterschiedliche Rechtssysteme aus, die jedoch eins gemein hatten: Sie alle ähnelten im Grundsatz dem in England entwickelten court system. 137 Auch die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten 1776 änderte daran nichts.138

132 Friedman, A History of American Law, S. 7 f.; Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 1. 133 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 2. 134 Milsom, Historical Foundations of the Common Law, S. 25. 135 Friedman, A History of American Law, S. 16 f.; Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 2 f. 136 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 3. 137 Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 21 f. 138 Anpassungen an das amerikanische gesellschaftliche und politische System in den Kolonien waren aber dennoch notwendig, da das englische Rechtssystem auf Grundlage des herrschenden Feudalismus entstand, der jedoch kein Äquivalent in den Kolonien besaß. Hierzu Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 6.

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

In England existierten neben zahlreichen kleinen, lokalen Gerichten zunächst drei königliche Gerichtshöfe nebeneinander, denen unterschiedliche Zuständigkeiten zugewiesen waren: Der Court of King’s Bench, der Court of Common Pleas und der Court of Exchequer. 139 Der Vorsitz des ältesten der Gerichte, der Court of King’s Bench, stand, wie der Name schon vermuten lässt, dem König zu. Dieser entschied über Streitigkeiten bezüglich Ländereien sowie über Vorfälle mit Bezug zu Gewalt. 140 Aufgrund der Regierungsverantwortung des Königs und der übrigen Aufgabenbereiche neben der Rechtsprechung stellte es sich zwangsläufig ein, dass sich Prozesse verzögerten und die Rechtsschutzgewährleistung darunter litt. Um diesem Zustand Herr zu werden, wurden Delegierte des königlichen Rechtsberatungsstabs abgeordnet, um Rechtsschutz innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens zu gewähren. Aus dieser anfänglich als Übergangslösung gedachten Notregelung entwickelte sich schließlich der Court of Common Pleas. 141 Zuständig für die Streitbeilegung zwischen dem König und dem Volk in steuerlichen Angelegenheiten und ähnlichen Geldeintreibungen war der exchequer, der Vorsitzende der königlichen Steuerbehörde. 142 Der Court of Exchequer umfasste neben der Rechtsprechung in steuerlichen Belangen daneben noch die Chancery, die mit den übrigen öffentlichen Angelegenheiten betraut war und eine Art königliches Sekretariat darstellte. 143 Diese drei Gerichte entwickelten in ihrer Rechtsprechung das Common Law. 144 Der Zugang zu den Gerichten war durch sogenannte writs geregelt, die von dem königlichen Sekretär, dem chancellor, gewöhnlich ein Bischof, ausgestellt wurden, die Zuständigkeit des Gerichts festlegten und das königliche Siegel trugen.145 Um eine Klage vor Gericht erheben zu können, musste der spätere Kläger bei der Chancery, dem Arbeitssitz des chancellors, den seiner Klage

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Maitland, Equity, S. 2. Milsom, Historical Foundations of the Common Law, S. 53; Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 7. 141 Milsom, Historical Foundations of the Common Law, S. 32. 142 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 7; Milsom, Historical Foundations of the Common Law, S. 31 f. 143 Maitland, Equity, S. 2, der insoweit von einem secretarial department spricht. 144 Maitland, Equity, S. 2. Die Bezeichnung “Common Law” geht auf das ius commune der Kanonisten zurück, die damit das allgemeine Recht der katholischen Kirche benannt en. In dieser Tradition sollte “Common Law” nun das für das ganze Land und seine Bewohner geltende Recht bezeichnen. 145 Milsom, Historical Foundations of the Common Law, S. 34. Die writs waren im sog. Register of Writs gesammelt und wurden als brevia de cursu bezeichnet, vgl. Maitland, Equity, S. 3. 140

II. Das trial-Modell

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zugrunde liegende Sachverhalt vortragen und den Beklagten bezeichnen, woraufhin ein writ erstellt wurde.146 Dadurch, dass der Erhalt eines writs notwendige Voraussetzung für eine spätere Klage war, aber nicht jeder Sachverhalt aufgrund der vielgestaltigen Lebenswirklichkeit in die Form eines writs gegossen werden konnte, war der chancellor in engen Grenzen zur Erstellung neuer writs befugt (writs in consimili casu), sofern er dies nach dem Vortrag des künftigen Klägers zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes für erforderlich befand.147 Hintergrund für diese strenge Formalisierung war das angestrebte Ziel, den Prozessstoff gering zu halten und den Gegenstand des Verfahrens – wenn möglich – auf nur eine Streitfrage zu reduzieren. Der Beklagte war gehalten, exakt auf die in dem writ formulierten Vorwürfe ebenfalls unter Einhaltung strikter Formalien zu erwidern.148 Hierbei konnte er entweder die Tatsachengrundlage des Klagenden infrage stellen mit der Folge, dass eine jury über diese fact issue entschied,149 oder aber er verteidigte sich mit rechtlichem Vorbringen. Hierüber hatte dann der Richter zu entscheiden (issue of law). 150 Die stetig ansteigende Verwendung der writs, um Zugang zu den königlichen Gerichten zu erhalten, konfligierte mit den Zuständigkeiten der örtlichen Gerichte, indem statt dieser bevorzugt die königlichen Gerichte angerufen wurden.151 Dieser Konflikt mündete schließlich in einer Beschränkung der königlichen Machtausübung und in einer restriktiveren Ausstellung von writs. Hinzu trat, dass die writs durch die formalisierte Erstellung vermehrt zu eigenen Klagearten mit prozessualen und materiellen Voraussetzungen heranreiften, 152 was eine flexible Reaktion auf die Rechtsschutzbegehren stark einschränkte. Auch erweiternde Auslegungen oder Analogien, die nach einem erneuten Erstarken der königlichen Macht entwickelt wurden und zur Expansion des Common Law beitrugen,153 waren nicht mehr in der Lage, mit der gesellschaftlichen Entwicklung Schritt zu halten und vollumfänglichen Rechtsschutz zu gewähren.154 Die Regelung des Zugangs zu den Gerichten im englischen Recht erinnert stark an jene des römischen Rechts und das Verfahren in iure vor einem Ge-

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Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 13; Maitland, Equity, S. 3. Maitland, Equity, S. 3 f. 148 Milsom, Historical Foundations of the Common Law, S. 39. 149 Hierin liegt der Ursprung der jury des heutigen U.S.-amerikanischen trial, welche ebenfalls nur für die Bewertung der Tatsachen zuständig ist. Die rechtliche Bewertung erfolgt alleine durch den entscheidenden Richter. 150 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 11. 151 Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 13. 152 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 10. 153 Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 13. 154 Grohé, Durchbrechung der Rechtskraft und Relief from Judgment, S. 43; Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 16. 147

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

richtsmagistraten, welcher im Formularverfahren die materiellen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs in eine formula brachte, 155 der sich die Parteien unterwerfen mussten. Zwar ist zuzugestehen, dass beide Institute in ihrer Wirkung und Funktion unterschiedlich waren,156 doch steht hinter beiden derselbe Gedanke, nämlich jener einer technischen Vorbereitung des eigentlichen gerichtlichen Verfahrens unter Zuhilfenahme formalisierter Institute. Der römische Einfluss auf die Entwickung des Common Law kann daher nicht geleugnet werden. b) Die Equity und ihr Verhältnis zum Common Law Nach und nach hinterließ die als praktisch und arbeitserleichternd angesehene Formalisierung des Zugangs zu den königlichen Gerichten Rechtsschutzlücken. Neben der fehlenden Flexibilität des Common Law begünstigte auch die mit der Zeit aufkommende konservativere Einstellung der Gerichte, von dem chancellor neu entwickelte writs anzuerkennen, die Entwicklung der Equity. 157 Der Rechtssuchende blieb auch dann schutzlos, wenn der chancellor keine Notwendigkeit sah, für einen bisher ungeregelten Sachverhalt einen neuen writ zu schaffen. Darüber hinaus stand für Angelegenheiten, in denen Rechtsschutz gegen den König selbst begehrt wurde, kein writ zur Verfügung, so dass auch hier das Common Law eine bedeutende Rechtsschutzlücke hinterließ. 158 Aus diesen Lücken, die in weiten Teilen der starken Formalisierung nach dem Vorbild des römischen Formularverfahrens zugeschrieben wurden, entwickelte sich sodann die Equity, welche als Korrektiv neben das Common Law trat und im Wesentlichen auf Billigkeitsgedanken beruhte. 159 Die Equity sollte somit einen Ausgleich zu den Härten des Common Law schaffen. Dies wird auch darin deutlich, dass im Rahmen der Equity auch eine von den königlichen Gerichten gefällte Entscheidung revidiert werden konnte, sofern sie für den Beschwerten eine unbillige Härte darstellte. 160 Es zeigt sich damit, dass in den genannten Fällen zum einen Rechtsschutzlücken geschlossen, zum anderen aber auch billige Entscheidungen getroffen werden sollten, die für den Be-

155 Hierzu Peter, Actio und Writ, S. 50 ff.; Pringsheim, 5 Cambridge L. J. 347, 358 (1935). 156 Peter, Actio und Writ, S. 53 f. 157 Maitland, Equity, S. 5. 158 Maitland, Equity, S. 4. 159 Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 16; Grohé, Durchbrechung der Rechtskraft und Relief from Judgment, S. 43. 160 Baker/Langan, Snell’s Equity, S. 8; Grohé, Durchbrechung der Rechtskraft und Relief from Judgment, S. 44.

II. Das trial-Modell

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schwerten erträglich waren und seine persönliche Situation angemessen berücksichtigten.161 Der Rechtsschutzsuchende erhielt auf diese Weise die Möglichkeit, sich mit seinem Anliegen direkt an den König und dessen Rat, der durch den chancellor vertreten wurde, zu wenden, um auf diese Weise Abhilfe zu verlangen.162 Nach Form und Inhalt ähnelte das Equity-Verfahren – anders als das Verfahren nach Common Law – dem kirchlichen Verfahrensrecht nach kanonischem Vorbild 163. Das im Wege der Equity begehrte Urteil war nicht allein das Ergebnis strikter Rechtsanwendung, sondern vielmehr ein Prozess der Urteilsfindung, der auf den Erlass eines als menschlich gerecht empfundenen Urteils gerichtet war.164 Wesentliches Merkmal des Equity-Verfahrens war daher die Ermessensausübung des chancellors, um ein mit seinem Gewissen übereinstimmendes Urteil fällen zu können.165 Auch im Hinblick auf die Entwicklung der Equity lässt sich eine Ähnlichkeit mit den Entwicklungen im römischen Recht erkennen. Dort hatte sich das Kognitionsverfahren langsam neben dem Formularverfahren entwickelt, welches durch seine Formalisierung Lücken im Rechtsschutz hinterlassen hatte. Der Abbau dieser sehr strengen Formalisierung im Kognitionsverfahren und der weitgehende Verzicht auf feststehende Formen, die Orientierung an der Zweckmäßigkeit sowie die Fokussierung des Verfahrensrechts auf die Umstände des Einzelfalls liegen in gewissem Umfang auch der Entwicklung der Equity zugrunde. Ein wesentlicher Unterschied der Entwicklungen dürfte jedoch darin liegen, dass im römischen Recht eine Fusion der beiden Verfahren erfolgte, während das englische Equity-Verfahren als zweite Säule neben dem Common Law zu einem wesentlichen Bestandteil des englischen Zivilrechtssystems wurde. 166 Nachdem der Rechtsschutzsuchende den Sachverhalt geschildert hatte (bill in equity) und der chancellor diesen trotz Fehlens eines writs für regelungsbedürftig befunden hatte, informierte der chancellor den Beklagten über die Vorwürfe und ordnete unter Androhung einer Geldstrafe das persönliche Erscheinen des Beklagten an, damit dieser zu den Vorwürfen Stellung nehmen

161 Maitland, Equity, S. 4 mit einer beispielhaften Aufzählung: “(…) He is poor, he is old, he is sick, his adversary is rich and powerful, will bribe or will intimidate jurors, or has by some trick or some accident acquired an advantage of which the ordinary courts with their formal procedure will not deprive him.” Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 13 f. 162 Kempin, Historical Introduction to Anglo-American Law, S. 18; Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 12; Maitland, Equity, S. 3. 163 Maitland, Equity, S. 5; Millar, Civil Procedure of The Trial Court in Historical Perspective, S. 27; Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 13. 164 Maitland, Equity, S. 5: “(…) will adjure him (Anm.: the chancellor) to do what is right for the love of God and in the way of charity.” 165 Grohé, Durchbrechung der Rechtskraft und Relief from Judgment, S. 44. 166 Millar, Civil Procedure of the Trial Court in Historical Perspective, S. 24 f.

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

konnte. 167 Im weiteren Verlauf musste der Beschuldigte unter Eid auf die Vorwürfe entsprechend ihrer Formulierung Satz für Satz eingehen. 168 In diesem Formalismus zeigt sich am auffälligsten die Nähe des Verfahrensablaufs nach der Equity zum italienisch-kanonischen Verfahren. Der chancellor konnte ferner von dem Beschuldigten die Beibringung von Dokumenten sowie Aussagen von Zeugen verlangen, so dass eine Beweisaufnahme im weitesten Sinne ebenfalls Teil des Verfahrens in equity war.169 Auch eine Sanktion für den Fall prozessualen Ungehorsams wurde eingeführt (contempt of court). 170 Am Ende fällte der chancellor sodann unter Würdigung der Situation ein Urteil (decree). Anders als im Common Law-Verfahren erfolgte keine Unterscheidung zwischen issue of fact und issue of law; folglich kannte das Equity-Verfahren auch keine jury mit Entscheidungsgewalt. 171 Nachdem sich das Verfahren der Equity immer größerer Beliebtheit erfreute und sich durch weitere Delegation der Court of Chancery entwickelt hatte 172, wurden die Befugnisse des chancellors auf Druck des Parlaments und der Richter der Common Law-Courts dahingehend beschränkt, dass er keine Fälle mehr zur Entscheidung annehmen durfte, die in den Bereich des Common Law fielen.173 Auch die Tatsache, dass der Court of Chancery für einzelne Streitigkeiten sogar alleinige Entscheidungsgewalt beansprucht 174 und sich die Equity damit als zweite Säule neben dem Common Law fest etabliert hatte, begünstigte diese Entwicklung. Aber auch eine derartige Restriktion konnte den Vormarsch der Equity nicht vollends stoppen, da die fehlende Flexibilität des Common Law weiterhin ausreichend Raum für die Equity-Rechtsprechung lies. Wegweisend und das Verhältnis der beiden Rechtssäulen festlegend war schließlich die Eskalation des Konflikts zwischen Lord Chancellor Ellesmere, der die Rechtsprechung der Equity in mehreren Bereichen stark ausgedehnt hatte175,

167 Diese Androhung wurde als subpoena bezeichnet, vgl. Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 12 f.; Maitland, Equity, S. 5. 168 Maitland, Equity, S. 5; Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 13. 169 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 12. 170 Millar, Civil Procedure of The Trial Court in Historical Perspective, S. 26; Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 16. 171 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 13. Allenfalls zur Bewertung der Glaubwürdigkeit eines Zeugens konnte eine Art jury bestellt werden. 172 Strauch, House of Lords, S. 51. 173 Maitland, Equity, S. 6. 174 Im Rahmen eines trust anerkannte das Common Law nur das Rechtsverhältnis zwischen grantor und trustee und damit hauptsächlich die Belange des trustee. Die Interessen des beneficiary hingegen blieben unberücksichtigt, so dass dieser auf die Gnade des trust ee angewiesen war. Dieser Lücke nahm sich die Equity an und schützte das Interesse des beneficiary. Hierzu siehe Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 17. 175 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 14. Unter anderem kam auf, dass der chancellor die Parteien davon abhielt, ihre Streitsachen vor den Gerichten des Common Law

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und Chief Justice Coke als Vertreter der Richterschaft. Die von James I. mit der Lösung dieses Konflikts betraute Kommission unter dem Vorsitz von Francis Bacon entschied schließlich, dass sich die Equity zwar an das Gesetz halten müsse, dass es aber gleichermaßen ihre Aufgabe sei, Lücken und daraus resultierende Schwächen des Common Law zu füllen und zu beseitigen. 176 Diese Grundsatzaussage etablierte damit ein duales Rechtssystem mit einer Existenz von Equity und Common Law nebeneinander, ließ jedoch auch einzelne Probleme ungelöst. Insbesondere blieb die Verschränkung der beiden Zweige konfliktträchtig: Einreden und Rechtsfolgen waren nicht übertragbar und ein Verfahren in equity war nicht möglich, sofern eine Rechtsschutzmöglichkeit nach Common Law bestand.177 Da damit der Konflikt zwischen den beiden Rechtssäulen nicht behoben werden konnte, blieben die seltenen Vereinheitlichungsbestrebungen auch in der Folge erfolglos. 178 Mitte des 18. Jahrhunderts war das writ-System des Common Law in allen Kolonien verbreitet. Daneben etablierten sich häufig, wenn auch nicht in allen Kolonien, Gerichte der Equity, 179 so dass sich diese Zweiteilung auch auf neuem Gebiet nicht beheben ließ. 180 c) Prozessuale Strukturen im Verfahren der Equity und im Common Law Verfahren Der große Unterschied zwischen dem stark formalisierten Common Law und der an Billigkeit ausgerichteten Equity spiegelte sich auch in der unterschiedlichen Prozessstruktur der jeweiligen Verfahren wider. Das Equity-Verfahren fand vor einem Einzelrichter statt, dessen Richtermacht und verfahrenslenkende Kompetenz breit ausgebaut war, so dass dieser unter anderem die Art der Beweismittel festlegen konnte. 181 Das Verfahren wurde durch den mündlichen Vortrag des Klägers eingeleitet, auf den der Be-

zu verfolgen, weil deren Entscheidung unbillig wäre, vgl. hierzu Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 18 f. 176 Curzon, English Legal History, S. 110 f.; Baker/Langan, Snell’s Equity, S. 6; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 186 f. 177 Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 20; Grohé, Durchbrechung der Rechtskraft und Relief from Judgment, S. 45. 178 Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 18 f. 179 Delaware, New Jersey und New York hatten getrennte Gerichte für Common Law und Equity. Connecticut und New Hampshire hatten einheitliche Gerichte, jedoch eine interne Trennung. In Pennsylvania agierte der Richter entweder als Vorsitzender eines Common Law Gerichts oder eines Gerichts der Equity. Hierzu siehe Kempin, Historical Introduction to Anglo-American Law, S. 19; Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 20 f. 180 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 15. 181 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 15.

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klagte mit einem Gegenvortrag reagierte. Dem folgte sodann eine Beweisaufnahme, in der die vom Gericht angeordneten Beweise präsentiert wurden.182 Dabei konnte auch eine Parteiaussage als Beweismittel herangezogen werden. Zeugenaussagen waren anfänglich in schriftlicher Form (written deposition) beizubringen; mit der Durchsetzung des Prinzips der Mündlichkeit im 19. Jahrhundert wurde jedoch auch im Verfahren der Equity die mündliche Aussage die Regel. 183 Der Verfahrensablauf weist die Grundstruktur des italienisch-kanonischen Prozesses auf und manifestiert damit deutlich, welcher Grundgedanke der Equity zugrunde lag; nämlich ein Verfahren, das an Billigkeit ausgerichtet war und Entscheidungen entsprechend Gottes Gesetzen zu erzielen suchte. 184 Es war nicht darauf ausgerichtet, durch das Zusprechen von Schadensersatz den Rechtsstreit beizulegen; vielmehr war sein Anliegen, die Vertragserfüllung zu ermöglichen und gegebenenfalls zwangsweise durchzusetzen. 185 Im 19. Jahrhundert entwickelte sich im amerikanischen Equity-Verfahren schließlich die Möglichkeit, ein Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Entscheidung einzulegen (appeal), 186 wobei eine vollumfängliche Überprüfung möglich war. Demgegenüber wurde das Verfahren nach Common Law durch vorformulierte writs eingeleitet, so dass der Tatsachenvortrag der Parteien deutlich weniger im Vordergrund stand. Darüber hinaus bestand anders als bei der Equity eine strikte Trennung von issues of law und factual issues. Erstere wurden durch die Richter entschieden, während sich mit letzteren die jury befasste. Diese Trennung spiegelt sich auch heute noch in der Prozesspraxis vor U.S.amerikanischen Gerichten wider. Im Beweisverfahren wurden mögliche Beweismittel der gegnerischen Partei nicht bereits im Vorfeld, sondern erst nach Einsetzen und Arbeitsaufnahme der jury zugänglich gemacht. 187 Außerdem konnte als Zeuge nur aussagen, wer am Prozessausgang kein eigenes Interesse hatte. Aus diesem Grund waren Parteiaussagen als Beweismittel nicht zugelassen.188 Wie im Rahmen der Equity wurde auch ab dem 19. Jahrhundert eine Überprüfung im Wege eines Rechtsmittelverfahrens zugelassen. Gegenstand war 182

Maitland, Equity, S. 5. Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 16; Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 16. 184 Grohé, Durchbrechung der Rechtskraft und Relief from Judgment, S. 44. 185 Nachtigäller, Erfüllungszwang im englischen Vertragsrecht, S. 29. 186 Diese Möglichkeit war im englischen Verfahren bis dato unbekannt. Da der chancellor als königlicher Rechtsberater das erstinstanzliche Verfahren führte, war ein unter Umständen das erste Urteil revidierende Verfahren vor einem höheren Gericht mit königlicher Legitimation nicht möglich, vgl. hierzu Strauch, House of Lords, S. 51 f. Später etablierte sich aber auch in England ein entsprechendes Rechtsmittelverfahren. 187 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 17. 188 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 17. 183

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jedoch nicht der Inhalt des erstinstanzlichen Verfahrens, sondern lediglich die Frage, ob bei der erstinstanzlichen Entscheidungsfindung Rechtsprinzipien außer Acht gelassen wurden. d) Code Pleading und die Federal Rules of Civil Procedure Nachdem die Bundesgerichte durch die amerikanische Verfassung 1787 gegründet wurden, setzte sich das Nebeneinander von Equity und Common Law in prozessualer Hinsicht auf Bundesebene fort. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm das Bewusstsein der Dysfunktionalität und der Kompliziertheit des zweispurigen Systems jedoch immer weiter zu 189 und mündete schließlich in der ersten vereinheitlichenden Reform, die in New York stattfand. 190 Diese stand unter der Prämisse der Vereinfachung, folgte utilitaristischen Gedanken und zielte darauf ab, die Qualität der Rechtsprechung zu erhöhen.191 Im Zuge dessen wurde der Court of Chancery abgeschafft und damit die Unterscheidung zwischen Common Law und Equity auf der Ebene des Prozessrechts weitestgehend aufgehoben.192 Die streng formalistischen Einleitungsverfahren durch writs oder equity bill wurden durch eine einheitliche Regelung zur Klageerhebung ersetzt: Im Rahmen der civil action sollten die relevanten Tatsachen in einfacher Sprache ohne vorgegebene feierliche Spruchformeln vorgetragen werden.193 Eine Subsumtion des Klägervortrags unter eine bestimmte Klageform wurde obsolet. 194 Ferner konnten Rechtsfolgen aus beiden Rechtssystemen in einem Verfahren geltend gemacht werden sowie Rechtsbehelfe beider Verfahrenssysteme eingelegt werden. 195 Schließlich wurden entgegen der früheren Common Law Tradition auch Parteiaussagen wie jede andere Zeugenaussage als Beweismittel anerkannt.196 Eine weitere, die heutige Prozesspraxis beherrschende Veränderung fand in der Ausweitung der discovery im Vorfeld von Schadensersatzprozessen nach dem Vorbild des Equity-Verfahrens statt.197 Die Kombination von Elementen aus dem Common Law und solchen der Equity, die auf das italienisch-kanonische Recht zurück

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Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 23 sprechen sogar von einem “accident of English history”. 190 Federführend war dabei David Dudley Field. Aus diesem Grund wurde das Gesetzeswerk später auch als Field Code bezeichnet. Vgl. hierzu Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 21. 191 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 22. 192 Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 21. 193 Green, Basic Civil Procedure, S. 112; Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 22. 194 Maxeiner, Failures of American Civil Justice in International Perspective, S. 94. 195 Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 22. 196 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 24. 197 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 24.

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zu führen sind,198 zu einem neuen selbstständigen Prozessrecht lässt damit den italienisch-kanonischen Prozess als eine der Wurzeln des heutigen amerikanischen Prozesses erkennen.199 Zahlreiche Bundesstaaten begannen nach und nach, das neue New Yorker Verfahrensmodell im Ganzen umzusetzen oder zumindest Teile davon in ihre eigenen Codes aufzunehmen,200 was ein Bedürfnis nach Vereinfachung und Vereinheitlichung in zahlreichen Bundesstaaten offenbarte. Dieser Erfolg vermochte jedoch nicht darüber hinweg zu täuschen, dass auch mit dieser Reform nicht alle Unklarheiten und Missstände beseitigt waren; vielmehr ging die Reform in ihrer Regelungsdichte nicht weit genug, so dass zum Teil unbefriedigende Ergebnisse blieben.201 So wurde zwar geregelt, dass die Klageschrift plain and direct sein sollte, doch Maßstäbe hierfür wurden nicht festgelegt, so dass es schlussendlich jedem selbst überlassen war, welchen Bedeutungsgehalt er diesen Begriffen zumaß. Weiter wurde die discovery auf die für den Fall notwendigen Informationen beschränkt. Doch dem Kläger war es oft gar nicht möglich, die Notwendigkeit der Informationen zu bewerten, bevor er die Information kannte. Mit der Gründung der federal courts wurde kein eigenes für sie geltendes Bundesprozessrecht geschaffen, vielmehr blieb die Zweispurigkeit auch auf Bundesebene zunächst bestehen. Aus Gründen der Zweckdienlichkeit sollten sie entsprechend dem Conformity Act von 1789 das in dem jeweiligen Bundesstaat geltende Verfahrensrecht anwenden mit der Folge, 202 dass sich Staatengerichte und Bundesgerichte zwar nicht mehr in ihrem Verfahren, wohl aber in der Zuständigkeit unterschieden. Das Common Law in seiner bundesstaatlichen Ausprägung und die Equity, die von Anfang an stark durch den Supreme Court geprägt und deshalb in den Bundesstaaten weitestgehend gleich war, standen daher weiter nebeneinander und wurden von ein und demselben Gericht angewandt, abhängig davon, wie sich der Fall darstellte. 203 Hieraus resultierte, dass ein einheitlicher bundesgerichtlicher Prozess mangels einheitlichen Verfahrensrechts nicht entstehen konnte und antiquierte Verfahrensformen in reformschwachen Bundesstaaten die Verfahren für die damalige Zeit schwerfällig und ineffizient machten.204 Der Enabling Act 1934 reagierte auf diese Defizite auf dem Gebiet des Bundesprozessrechts und ermöglichte die Schaffung eines einheitlichen Verfahrensrechts für Prozesse vor den federal courts

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Grohé, Durchbrechung der Rechtskraft und Relief from Judgment, S. 44. Stürner, in: Festschrift für Ernst C. Stiefel zum 80. Geburtstag, S. 763, 775 f. 200 Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 22. 201 Siehe hierzu Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 25 f. 202 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 27. 203 Green, Basic Civil Procedure, S. 112. 204 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 27; Maxeiner, Failures of American Civil Justice in International Perspective, S. 5. 199

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unter Führung von Dean Charles Clark und William D. Mitchell. 205 Aus deren Arbeit entstanden die 1938 angenommenen und bis heute geltenden Federal Rules of Civil Procedure. Im Wesentlichen verschmolzen Common Law und equity procedure unter Beibehaltung des jury trial, die Anforderungen an die Schriftsätze wurden herabgesetzt und geringere Voraussetzungen für Klagehäufungen und die Streitgenossenschaft eingeführt.206 Ferner wurde das Rechtsmittelverfahren vereinheitlicht und vereinfacht sowie die pretrial discovery und ihre Weite gesetzlich festgeschrieben.207 Die pretrial discovery wurde in der Folge durch zahlreiche amendments entsprechend der Tradition der Equity immer weiter ausgedehnt und liberalisiert. So wurde nachträglich unter anderem die hearsay rule eingefügt, und die Anforderungen für production of documents wurden dahingehend erweitert, dass die angeforderten Informationen nur “relevant to the subject of the action” sein mussten.208 Daher droht die discovery wegen der nur weichen Grenzen heutzutage oftmals auszuufern. Durch die Einführung der Federal Rules of Civil Procedure entstand nach und nach ein Gleichlauf zwischen dem Verfahrensrecht der state courts und der federal courts. Hatte sich das Prozessrecht der federal courts bisher in seiner Entwicklung an das Verfahrensrecht der state courts gehalten,209 so kehrte sich dies nach Erlass der Federal Rules of Civil Procedure um: Zahlreiche Bundesstaaten passten ihre Verfahrensordnungen an die Federal Rules of Civil Procedure an.210 2. Das trial-Modell a) Einleitende Phase Das Verfahren nach dem trial-Modell beginnt wie der Prozess nach dem italienisch-kanonischen Modell mit einer schriftlichen Einleitungsphase, in der die Klage erhoben wird und der Beklagte hierauf erwidert. Allerdings weichen die inhaltlichen Anforderungen an die Klage von denjenigen im zuvor dargestellten Modell deutlich ab: Wird im italienisch-kanonischen Prozess die Darstellung von Tatsachen und das Anbieten von Beweismitteln hierfür verlangt (fact 205 Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 24; Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 27. Zur Einführung der Federal Rules of Civil Procedure im Ganzen Clark/Moore, 44 Yale L.J. 387 ff. (1935). 206 Green, Basic Civil Procedure, S. 72 f. 207 Zu den wesentlichen Punkten vgl. Hazard/Leubsdorf/Bassett, Civil Procedure, S. 25. 208 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 28. 209 Dies ging auf den Conformity Act von 1789 zurück (s.o.). 210 Green, Basic Civil Procedure, S. 113; Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 28. Eine Ausnahme hierzu bildet das Prozessrecht des Bundesstaates Maine, welches in zahlreichen Rules von den Federal Rules of Civil Procedure abweicht, vgl. hierzu Murray, Maine Evidence, passim.

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pleading), so genügt im U.S.-amerikanischen Prozess das sogenannte notice pleading. 211 Hierbei genügt nach den Federal Rules of Civil Procedure ein “short and plain statement of the claim showing that the pleader is entitled to relief”. 212 Diese Formulierung weicht nur minimal, aber dafür in einem wesentlichen Punkt von jener in den state codes ab, welche oftmals “a concise statement of the facts constituting each cause of action without unnecessary repetition” verlangten.213 Erhebliche Schwierigkeiten, die Begriffe fact und cause of action zu definieren, hatten zu dieser Textänderung geführt, wobei insbesondere in Einzelfällen die Unterscheidung zwischen reinem Tatsachenvortrag und rechtlicher Schlussfolgerung nicht trennscharf möglich war. 214 Unterschiedlich beurteilt wurde auch, wie viele Klagegründe aus einem Sachverhalt, beispielsweise bei unterschiedlichen Schadensposten, resultierten.215 Diese Uneinigkeit bei der Auslegung der oben genannten Begriffe, führte zu einer unterschiedlichen Handhabung in den einzelnen Staaten, 216 so dass trotz identischer Formulierung in zahlreichen state codes nur eine vordergründige Einigkeit im Prozessrecht bestand. Um diesen Schwierigkeiten bei den auf eine einheitliche Gerichtspraxis an den federal courts ausgerichteten Federal Rules of Civil Procedure zuvor zu kommen, entschied man sich zu der weniger diskussionsbeladenen Formulierung von Federal Rule 8(a)(2), die sich endgültig von der schematischen Klageerhebung des Common Law und der Equity verabschiedete217 und den Klägern größere Freiheit und Flexibilität ermöglichte. Das notice pleading verlangt demnach, dass der Kläger, beispielsweise in einem Schadensersatzprozess, deutlich macht, dass er einen Schaden erlitten hat und dass er hierfür Kompensation verlangt. Darüber hinaus muss er aber auch die Umstände darlegen, auf der die Klage basiert. 218 Im Unterschied zu fact pleading genügt es hierfür jedoch, wenn er sich auf eine Darstellung beschränkt, durch welche die gegnerische Partei Kenntnis vom Grund der Klage erlangt.219 Letztlich wird daher in einer Klage der klagebegründende Sachverhalt bloß angedeutet; der Tatsachenvortrag ist auf das geringste beschränkt und

211 Maxeiner, Failures of American Civil Justice in International Perspective, S. 91 f.; Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1002 f. 212 Federal Rule 8(a)(2). 213 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 258. 214 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 258 f. 215 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 259; Kane, Civil Procedure, S. 91. 216 Green, Basic Civil Procedure, S. 114. Eine detaillierte Darstellung, wie sich die Anforderungen an das pleading entwickelt haben, findet sich bei Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 251 ff. 217 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 258 f. 218 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 259. 219 Stürner, 6 Unif. L. Rev. n.s. 871, 871 f. (2001).

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Beweisangebote für einzelne Tatsachen fehlen nahezu vollständig. 220 Zweck der Klage ist es damit nur, den Beklagten grob zu informieren, damit dieser in die Lage versetzt wird, auf die Klage erwidern zu können.221 Eine Schlüssigkeitsprüfung verlangen die Federal Rules of Civil Procedure damit nicht. Ob der Vortrag des Klägers ausreicht, um dem Beklagten “fair notice of the claim” zu geben, liegt im Ermessen des Richters, 222 so dass unter den Federal Rules of Civil Procedure auch keine vollumfängliche Uniformität bezüglich der inhaltlichen Anforderungen an die Klage garantiert ist. Allerdings geben sie unter Title XII appendix of forms Anhaltspunkte und Richtlinien für inhaltlich ausreichende Klagen und Repliken. Der Supreme Court scheint allerdings mittlerweile in bestimmten Verfahren höhere Anforderungen an die Klage zu stellen. So verlangte er in einigen Verfahren, dass die Klageschrift “enough facts to state a claim to relief that is plausible on its face” enthalten muss. 223 Er weicht damit wohl vom schlichten notice pleading ab. 224 Hierin sind nach vereinzelten, aber zunehmenden Stimmen Andeutungen zu erkennen, die auf eine Hinwendung zu kontinentalen Standards bei den verfahrenseinleitenden Schriftsätzen und auf eine Schlüssigkeitsprüfung kontinentaler Tradition in der Zukunft hindeuten.225 Ob diesen Entscheidungen jedoch tatsächlich zukunftsweisender Charakter zukommt, welcher zu einem komplett neuen, für alle Klagen geltenden pleading Standard führen wird, kann nicht abschließend beurteilt werden. Vielmehr sind hier die weiteren Entwicklungen insbesondere auf dem Gebiet der gewöhnlichen Klagen abzuwarten. Der Beklagte hat zahlreiche Möglichkeiten, auf die Klage zu erwidern: So kann er den vom Kläger vorgetragenen Sachverhalt ganz (general denial) oder teilweise (specific denial) leugnen oder im Rahmen einer affirmative defense

220 Maxeiner, Failures of American Civil Justice in International Perspective, S. 93; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, Rn. 99. 221 Kane, Civil Procedure, S. 93. Höhere Anforderungen an den Inhalt der Klage bestehen nur in den besonderen Fällen der Federal Rule 9, worunter auch Klagen wegen fraud fallen, die nach Federal Rule 9(b) einer detaillierteren Darstellung der Betrugsumstände bedür fen, siehe hierzu Green, Basic Civil Procedure, S. 118 f. 222 Green, Basic Civil Procedure, S. 121. 223 Bell Atlantic Corp v. Twombly, 127 S.Ct. 1955, 1964 ff., 1974 (2007); Ashcroft v. Iqbal, 129 S.Ct. 1937, 1949 (2009). Zur Auswirkung der genannten Entscheidungen auf die amerikanische pleading doctrine Spencer, 108 Mich. L. Rev. 1, 4 (2009); Steinman, 62 Stan. L. Rev. 1293 ff. (2010); Maxeiner, Failures of American Civil Justice in International Perspective, S. 93 f. 224 Spencer, 108 Mich. L. Rev. 1, 4 (2009). 225 Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, Rn. 99; Steinman, 62 Stan. L. Rev. 1293, 1319 (2010). Im Nachgang zu den abweichenden Entscheidungen wurde hierzu passend der Begriff “plausibility pleading” geprägt, siehe hierzu Carter, 52 How. L.J. 17, 27 ff. (2008); Spencer, 49 B.C. L. Rev. 431 ff. (2008).

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einen Teil des Klägervortrags zugestehen und gleichzeitig neue Tatsachen vorbringen, die zu einer Klageabweisung führen würden. 226 Hinsichtlich der affirmative defenses gilt die Eventualmaxime, so dass diese nur in den pleadings vorgebracht werden können. Generell gilt, dass all jenes, was nicht bestritten wird, ab diesem Zeitpunkt als zugestanden gilt. 227 Aus dieser Darstellung ergibt sich, dass eine detaillierte Darstellung des die Klage begründenden Tatsachenmaterials nicht Teil der Einleitungsphase ist; vielmehr wird dieses Tatsachenmaterial erst in der sich anschließenden discovery ermittelt.228 b) Zwischenphase Auf die pleadings folgt die pretrial discovery, in der über die in der Klage genannten wenigen Tatsachen hinaus weitere relevante Tatsachen sowie Beweise hierfür ermittelt werden.229 Entgegen der kontinentalen richterlichen Leitung der Beweisfindungsphase wird diese Phase im trial-Modell von den Parteien beziehungsweise deren Rechtsanwälten geprägt.230 Diese bringen die notwendigen Tatsachen in Erfahrung und grenzen den Streitstoff ein. Dabei bedienen sie sich depositions, interrogatories, production of documents and things, entry upon land und inspections. Diese zahlreichen Möglichkeiten der Beweisermittlung machen deutlich, dass die discovery auf eine breite Tatsachenerforschung ausgerichtet ist. Es kann daher nicht verwundern, dass private Beweisermittlungen insbesondere im Rahmen einer permission to entry upon land und fishing expeditions detektivähnliche Durchforstungen von Büros oder privaten Akten ermöglichen.231 Allerdings ist diese enorme Weite der discovery das Produkt einer neueren Entwicklung232 und muss im Kontext des heutigen liberalen und mit stark deregulierenden Tendenzen angereicherten Rechtsverständnisses des angloamerikanischen Rechtskreises gesehen werden. Das Ziel dieses sehr aufwendigen und kostspieligen Verfahrens ist es, das gesamte streitentscheidende Tatsachenmaterial vor der gerichtlichen Verhandlung zu beschaffen, so dass die Verhandlung selbst aufgrund der intensiven Vorbereitung kon-

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Vgl. Federal Rule 8(b) und (c). Green, Basic Civil Procedure, S. 121. 228 Hickman v. Taylor, 329 US 495, 501 (1947); Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, Rn. 99. 229 Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 779, 1003. 230 Maxeiner, Failures of American Civil Justice in International Perspective, S. 128; Stürner, in: Festschrift für Ernst C. Stiefel zum 80. Geburtstag, S. 763, 768. 231 Stürner, 6 Unif. L. Rev. n.s. 871, 876 (2001). 232 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 28. 227

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zentriert und dadurch verkürzt wird und die Wahrscheinlichkeit der einvernehmlichen Prozessbeendigung durch settlement – auch aufgrund des mit der discovery einhergehenden finanziellen Drucks – erhöht wird.233 Wesensmerkmal dieses pretrials ist es, dass das Gericht bis auf wenige Ausnahmen passiv bleibt und keine Initiative zur Aufklärung des Sachverhalts ergreift. 234 Lediglich auf Antrag der Parteien wird das Gericht tätig, entscheidet über Zulässigkeit und Durchführung der Parteiaufklärung (Federal Rule 37) und greift ein, wenn Schutzmaßnahmen notwendig sind oder Dritte oder eine Partei die Mitwirkung an der discovery verweigerten. Hierauf reagiert das Gericht bei Nachvollziehbarkeit des Vorbringens mit dem Erlass einer court order, die sich gegen die beteiligte Partei oder gegen Dritte richten kann.235 Weitere Maßnahmen, um den Erfolg der weit ausgestalteten discovery zu sichern und fehlende Kooperation von Dritten oder insbesondere der Parteien zu sanktionieren, sind prozessuale Nachteile, Verhaftungen oder Bußgelder. Darüber hinaus kann auch ein judgment for default ergehen oder ein striking out ganzer Angriffs- und Verteidigungsmittel erfolgen.236 Im Übrigen hält sich das Gericht jedoch im Hintergrund, so dass die discovery bis auf die gerichtlichen Sanktionsmaßnahmen im Grunde außergerichtlich abläuft. 237 Eine materielle Prozessleitungsbefugnis besteht im angloamerikanischen Prozess damit nur in Ansätzen; eine Wahrnehmung derselben durch amerikanische Richter ist daher noch die Ausnahme.238 Allerdings kann der Richter eine pretrial conference anberaumen, die in Federal Rule 16 vorgesehen ist. Hierin wird der Prozess in den wesentlichen Teilen vorstrukturiert, indem eine doppelte und unnötige Beweisführung vermieden wird oder die Zahl der von den Parteien gewählten expert witnesses auf ein der Sache angemessenes Maß reduziert wird.239 Dadurch soll aber nicht die 233

Green, Basic Civil Procedure, S. 139 f.; Kane, Civil Procedure, S. 128 f. Maxeiner, Failures of American Civil Justice in International Perspective, S. 130; Stürner, in: Festschrift für Ernst C. Stiefel zum 80. Geburtstag, S. 763, 768. 235 Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1004. 236 Stürner, 6 Unif. L. Rev. n.s. 871, 878 (2001); ders., in: Festschrift für Ernst C. Stiefel zum 80. Geburtstag, S. 763, 773. 237 Kane, Civil Procedure, S. 128. Die Tatsache, dass die Beweisfindungsphase außergerichtlich stattfindet, erinnert stark an den germanischen Prozess, der den italienisch -kanonischen Prozess wesentlich mitgestaltet hat, und bestätigt damit die These, dass das kontinentale und angloamerikanische Prozessrecht dieselben Wurzeln haben, siehe Stürner, in: Festschrift für Ernst C. Stiefel zum 80. Geburtstag, S. 763, 776; ders., in: Prozeßrecht und Rechtskulturen – Procedural Law and Legal Cultures, S. 31, 37 f. 238 Gensler, 60 Duke L.J. 669 ff. (2010) verweist zwar auf die wachsende Bedeutung des case management und des managerial judge im amerikanischen Zivilprozessrecht, macht aber gleichzeitig deutlich, dass diese Entwicklung nicht gänzlich unumstritten ist. Vgl. Resnik, Sup. Ct. L. Rev. 2D 205, 211 f. (2010). Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 494 verweisen auf die zögerliche Wahrnehmung der neuen Befugnisse durch die Richter. 239 Green, Basic Civil Procedure, S. 164; Federal Rule 16. 234

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Hauptverhandlung als solche ersetzt werden, sondern nur der äußere Rahmen und ihr Umfang ausgelotet und gegebenenfalls reduziert werden. Der Richter kann ferner den Parteien dadurch Hilfe leisten, dass er sie auf Schwächen im Tatsachenvortrag oder auf die Ungeeignetheit oder fehlende Überzeugungskraft eines Beweismittels hinweist. 240 Daher bietet sich dieser Termin auch an um zu prüfen, ob eine Basis für Vergleichsgespräche besteht, um so einen trial durch ein settlement zu vermeiden.241 Aufgrund dieser Kompetenz könnte man nun annehmen, dass dem Richter doch eine aktive Rolle im Rahmen der discovery zugewiesen ist. Diese besteht jedoch nur rein vordergründig, da dem Richter ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht, ob und wann er eine solche pretrial conference anberaumt.242 Zudem kann er selbst bestimmen, inwieweit er den Parteien Hilfestellung geben möchte. Letztlich hängt daher der Grad der Einflussnahme von der Persönlichkeit des Richters ab. Eine Pflicht, Hinweise zu erteilen, wie sie in kontinentalen Rechtsordnungen zu finden ist,243 besteht im angloamerikanischen Prozess daher nicht.244 Hintergrund für die Passivität des Richters mag ferner sein, dass der beste Weg zur Wahrheitsfindung nach angloamerikanischem Verständnis jener ist, die Parteien und ihre Rechtsanwälte selbst aktiv das vorhandene Tatsachenmaterial aufarbeiten zu lassen, da letztlich allein sie die materielle Wahrheit kennen und von dem Urteil betroffen werden.245 Die Befugnis des Richters, durch Einflussnahme mithilfe von Fragen, Anregungen und Empfehlungen nach kontinentaler Tradition die Wahrheitsfindung zu leiten, wird als paternalistisch aufgefasst 246 und steht damit nicht im Einklang mit dem liberalen Verfahrensverständnis der angloamerikanischen Rechtskultur. Anders als im kontinentalen Prozess dient die Zwischenphase der discovery damit wegen der praktisch fehlenden Beteiligung des Gerichts nicht der Information des Gerichts über den Tatsachenstoff, sondern vielmehr den Parteien,247 ermöglicht diesen eine beinahe schrankenlose Sachverhaltsaufklärung und die Vorbereitung der Präsentation der Beweise vor dem Richter oder der jury und 240

Stürner, in: Festschrift für Ernst C. Stiefel zum 80. Geburtstag, S. 763, 768. Maxeiner, Failures of American Civil Justice in International Perspective, S. 157; Green, Basic Civil Procedure, S. 165. 242 Maxeiner, Failures of American Civil Justice in International Perspective, S. 156. 243 Vgl. hierzu § 139 ZPO. 244 Hierzu Stürner, in: Festschrift für Ernst C. Stiefel zum 80. Geburtstag, S. 763, 768 f. 245 Kötz, in: Festschrift für Imre Zajtay, S. 277, 281. 246 Kaplan, 9 Buffalo L. Rev. 409, 432 (1960) äußert sich beispielsweise zum deutschen Verfahrenssystem wie folgt: “The German system puts its trust in a judge of paternalistic bent.” Kaplan/von Mehren/Schaefer, 71 Harv. L. Rev. 1443, 1472 (1958) sprechen sogar vom deutschen Richter als „paterfamilias“. 247 Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1004; Murray/Stürner, German Civil Justice, S. 594; Stürner, 6 Unif. L. Rev. n.s. 871, 872 (2001); Kern, in: Derecho Procesal Civil Comparado: Homenaje a Rolf Stürner, S. 319, 330. 241

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verringert dadurch die Wahrscheinlichkeit von unvorhergesehenen und unliebsamen Überraschungen im trial.248 Zeugnisverweigerungsrechte für nahe Angehörige kennen die Federal Rules of Civil Procedure nur sehr zurückhaltend, und auch Weigerungsrechte aufgrund beruflicher Stellung sind stark eingeschränkt.249 Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen ist ebenfalls nicht vollumfänglich ausgestaltet; zwar können diese im pretrial noch durch protective order durch den Richter geschützt werden, dies schützt im trial aber nicht vor Offenlegung.250 c) Endphase Wenn es in der Zwischenphase nicht zu einer einvernehmlichen Streitbeilegung im Wege des settlements oder der Klagerücknahme wegen Aussichtslosigkeit gekommen ist, tritt das Verfahren nach Abschluss der discovery in die Endphase, den trial, ein, in welcher das Gericht nun eine aktivere Rolle einnimmt.251 Jede Partei präsentiert den Fall aus ihrer Sicht und bietet für die von ihr aufgestellten Behauptungen Beweise an, die sie in der discovery erforscht hat. Hierbei sind die Parteien an bestimmte Beweisregeln gebunden, um insbesondere im jury trial die jury vor unsachlicher Beeinflussung und Manipulation zu schützen und um ein unabhängiges und nach Lage des Sachverhalts gerechtes Urteil gewährleisten zu können.252 Zahlreiche Bundesstaaten haben nach Erlass der Federal Rules of Evidence entsprechende Gesetze geschaffen, die sich in weiten Teilen an diesen orientieren. 253 Dadurch, dass die discovery eine sehr breite Tatsachen- und Beweiserforschung ermöglicht, besteht die Gefahr, dass unnötige und nicht zielführende Beweisführungen den trial künstlich aufblähen und dadurch verteuern. Hierfür bieten die Federal Rules of Evidence 401 und 402 ein Korrektiv, wonach die Beweisangebote der rule of relevancy genügen müssen.254 Auch Federal Rule 26(b)(1) beschränkt die discovery auf

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Stürner, in: Prozeßrecht und Rechtskulturen – Procedural Law and Legal Cultures, S. 31, 37. 249 Stürner, in: Festschrift für Ernst C. Stiefel zum 80. Geburtstag, S. 763, 774. Zum Weigerungsrecht des Rechtsanwalts siehe Magnus, Das Anwaltsprivileg und sein zivilprozessualer Schutz, S. 243 ff.; ders., RabelsZ 77 (2013), 111 ff. 250 Federal Rule 26(c)(1)(G); Stürner, Festschrift für Ernst C. Stiefel zum 80. Geburtstag, S. 763, 774; Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 444. Zum Ganzen Stürner, 6 Unif. L. Rev. n.s. 871, 878 ff. (2001). 251 Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1004. 252 Murray/Sheldon, ZZPInt 8 (2003), 567, 567; Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1004. Ob allerdings Beweiszulässigkeitsregeln tatsächlich vor manipulativer Einflussnahme schützen, wird in Zweifel gezogen, vgl. Stürner, in: Prozeßrecht und Rechtskulturen – Procedural Law and Legal Cultures, S. 31, 42, Fn. 55. 253 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 499. 254 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 499.

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

Angelegenheiten, die in Bezug auf die Klage beziehungsweise die Klageerwiderung relevant erscheinen.255 Mit Blick auf die durch das notice pleading sehr reduzierten pleadings ist hierdurch aber kaum eine Einschränkung erkennbar. Vielmehr steht es den Rechtsanwälten offen, in vollem Umfang und nahezu ohne Einschränkung nach einer “smoking gun”256 zu suchen, welche nähere Anhaltspunkte für konkretere Nachforschungen bietet. Das Verfahren beginnt mit dem Vortrag desjenigen, der die Beweislast für den geltend gemachten Anspruch trägt, und daher mit dem Vortrag des Klägers, auf den sodann der Vortrag des Beklagten folgt. Hieran schließen sich die Präsentationen der Ergebnisse der discovery von Kläger und Beklagtem an. Nachdem die Parteien versucht haben, den Beweis der Gegenpartei zu widerlegen, stellen Kläger und Beklagter ihre Schlussanträge. Abschließend instruiert der Richter die jury (instruction) im Hinblick auf die rechtliche Würdigung des Sachverhalts.257 Der Richter kann hierbei durch Verkürzung des relevanten Streitstoffs die Entscheidungsmöglichkeiten der jury stark einschränken. Ferner kann er festlegen, welche Art von Urteil die jury treffen soll, 258 so dass dem Richter letztlich doch ein recht weiter Einfluss auf das Urteil zukommt. Dieser Verfahrensablauf gilt bis auf den letzten Teil sowohl für das Verfahren vor der jury als auch vor dem Einzelrichter.259 Der angloamerikanische Prozess ist im trial damit durch das Prinzip von Rede und Gegenrede von Kläger und Beklagtem geprägt. Bis auf die Urteilsfindung im Verfahren vor dem Einzelrichter beziehungsweise der instruction der jury durch den Richter stellt sich die Rolle des Richters im Übrigen eher passiv dar. Zwar kann er den Parteien Hinweise geben, doch stehen derartige materielle Leitungsmaßnahmen im weiten Ermessen des Richters und werden in der Praxis nur selten relevant. 260 Vielmehr übernimmt der Richter die Rolle des Schiedsrichters im Zweikampf der sich gegenüberstehenden Parteien. Dieses Verständnis basiert maßgeblich auf dem geltenden Verhandlungsgrundsatz (adversary system) sowie dem Gedanken, dass der Situation angemessene Lösungen und größere Akzeptanz einer streitigen Entscheidung am ehesten gefunden werden, wenn die Parteien ihren Streit selbst ausfechten und dabei nur der juristische Rahmen vorgegeben wird. 261

255 Federal Rule 26(b)(1): “[…] Parties may obtain discovery regarding any nonprivileged matter that is relevant to any partyʼs claim or defense […].” 256 Coelho-Adam, 33 Vand. J. Transnat’l L. 1223, 1252, 1260 (2000). 257 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 515 f. 258 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 515 f. 259 Kane, Civil Procedure, S. 170. 260 Stürner, in: Festschrift für Ernst C. Stiefel zum 80. Geburtstag, S. 763, 769. 261 Kagan, Adversarial Legalism, S. 100 ff.; Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1008; Damaška, The Faces of Justice and State Authority, S. 3 ff.

II. Das trial-Modell

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Die jury ist wohl die bekannteste Institution des angloamerikanischen Prozesses und hat sich als prägendstes Merkmal des Common Law trotz zahlreicher Reformen als besonders beständig erwiesen, was auf die verfassungsrechtliche Verankerung des right to jury trial im 7th Amendment der amerikanischen Verfassung sowie auf seine einfachgesetzliche Ausgestaltung in Federal Rule 38 zurückgeht. Selbst heutzutage besteht die Aufgabenteilung zwischen jury und Richter nach legal und factual issues fort. 262 Trotz dieser Beständigkeit darf die Bedeutung der jury im prozessualen Alltag aber nicht überschätzt werden: Lediglich 2−3 % aller Verfahren, die tatsächlich bis zum trial gelangen und nicht vorher durch einvernehmliche Streitbeilegung oder Klagerücknahme beendet werden, werden vor der jury behandelt. 263 Aufgrund der langen Dauer von jury trials, der damit verbundenen Kostenbelastung und des Kostenrisikos bietet sich oftmals ein settlement als die vernünftigere Lösung an.264 Insbesondere in Produkthaftungsfällen, besonders bei dem Begehren nach punitive damages, und in Fällen, in denen politischer Druck ausgeübt werden soll, wird noch vor der jury verhandelt.265 In allen anderen Fällen, die von weniger wirtschaftlicher oder politischer Relevanz sind, wird ein Verfahren vor dem Einzelrichter bevorzugt. 3. Fortentwicklung und Verbreitung Das trial-Modell als Prozessstruktur findet sich neben den U.S.A. noch in Kanada und Australien.266 In England, aus dessen Prozessgeschichte sich das trialModell entwickelt hatte, hat die Prozessstruktur einen großen Wandel durchlaufen und sich von dem trial-Modell abgewandt. Auch die von ALI/UNIDROIT entwickelten Principles of Transnational Civil Procedure folgen überraschenderweise nicht dem trial-Modell. 267 Dies erweckt den Eindruck, dass der 262

Green, Basic Civil Procedure, S. 188, 190. Stürner, in: Prozeßrecht und Rechtskulturen – Procedural Law and Legal Cultures, S. 31, 38. Anders Grossi, 20 Ind. Int’l & Comp. L. Rev. 213, 235 (2010), welche die jury trials als Mehrheit und die Verfahren vor dem Einzelrichter als eine beträchtliche Minderheit einordnet. 264 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 490; Galanter/Cahill, 46 Stan. L. Rev. 1339 ff. (1993−1994). 265 Stürner, in: Prozeßrecht und Rechtskulturen – Procedural Law and Legal Cultures, S. 31, 38; ders., in: Festschrift für Ernst C. Stiefel zum 80. Geburtstag, S. 763, 764. Verfahren, die vor der jury verhandelt werden können, sind nicht enumerativ in den Federal Rules of Civil Procedure aufgezählt. Vielmehr steht dem Kläger ein Wahlrecht zwischen dem jury trial und einem Verfahren vor dem Einzelrichter zu. Federal Rule 38 und das 7 th Amendment der US Constitution kodifizieren den Anspruch auf einen jury-trial; Federal Rule 39 nennt weitere Voraussetzungen. 266 Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1002. 267 Sowohl die Entwicklung in England als auch das den Principles of Transnational Civil Procedure zugrunde liegende Prozessmodell werden in Kapitel 2 näher erörtert. 263

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

auf breite Tatsachenerforschung angelegte Prozess zahlreichen Prozessordnungen zu weitgehend ist268 und auch für Modellgesetze und Richtlinien nicht das favorisierte Modell ist. Allerdings fügt sich das weitgehend den Parteien überlassene Zwischenstadium der discovery nahtlos in das liberale Prozessverständnis des angloamerikanischen Rechtskreises ein, das Parteiverantwortung durch Deregulierung begründet. Die Kombination von notice pleading und einer weiten discovery in der Zwischenphase ist außerdem in sich stimmig und erscheint in dem Gesamtkonzept des amerikanischen Prozesses durchaus überzeugend. Allerdings ist das amerikanische Verfahrensmodell auch Kritik ausgesetzt, welche hauptsächlich die hohen Verfahrenskosten und lange Verfahrensdauer betrifft. 269 Mit einer restriktiven Entwicklung bezüglich der Weite der discovery ist im angloamerikanischen Rechtskreis vorerst nicht zu rechnen; insbesondere deshalb nicht, weil die heutige Weite der discovery ein Produkt der neueren Geschichte ist.270 Auch ein Verzicht auf den sehr kostspieligen und zahlenmäßig nicht bedeutsamen jury trial ist von geringer Wahrscheinlichkeit, da er in der amerikanischen Verfassung im 7th amendment garantiert ist und ein gewichtiges rechtspolitisches Druckmittel ist. 271 Die Rechtsprechung des Supreme Court, welche zum Teil höhere Anforderungen an die verfahrenseinleitenden Schriftsätze stellt, sowie die Diskussion um eine aktivere Rolle des Richters im Verfahren im Bereich des Common Law272 könnten zu einer langsamen Aufgabe festgefahrener Strukturen im Interesse effektiveren Rechtsschutzes führen. Insoweit sind die weiteren Entwicklungen in Rechtsprechung und Wissenschaft weiter zu beobachten.

268

Stürner, in: Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 3, 59. Eine Abteilung der American Bar Association kam sogar zu dem Ergebnis, dass sich ein Prozess in finanzieller Hinsicht erst ab einem Streitwert von $ 100.000 lohnt, siehe hierzu und zum Problem hoher Verfahrenskosten im Ganzen Maxeiner, Failures of American Civil Justice in International Perspective, S. 7 270 Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 28. 271 Die Bezeichnung der jury als “backbone of the American justice system” oder als “hallmark of participatory democracy” macht den besonderen Stellenwert der jury trotz geringer und auch rückläufiger praktischer Bedeutung deutlich. Siehe Drasco, 31 Litigation, No. 2, 1 (Winter 2005); Stürner, in: Prozeßrecht und Rechtskulturen – Procedural Law and Legal Cultures, S. 31, 38. 272 Siehe zum Beispiel Hazard/Dondi, 39 Cornell Int’l L.J. 59 ff. (2006). 269

III. Das Hauptverhandlungsmodell

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III. Das Hauptverhandlungsmodell III. Das Hauptverhandlungsmodell

1. Geschichtlicher Überblick über die Entstehung des Modells a) Die Civilprozessordnung für das Deutsche Reich 1877 Die territoriale Zersplitterung und die daraus resultierende Rechtszersplitterung führte nach zahlreichen gescheiterten Anläufen einer Vereinheitlichung und dem aus wirtschaftlichen Gründen immer dringender werdenden Bedürfnis nach Einheitlichkeit schließlich zum Erlass der CPO als Teil der Reichsjustizgesetze. 273 Zuvor zerfiel Deutschland in drei Gebiete, die unterschiedlichen Einflüssen auf das Zivilprozessrecht ausgesetzt waren: In Teilen galt neben den Gesetzen der Territorien subsidiär der gemeine Prozess, der wesentlich durch die Elemente der Schriftlichkeit und der Beweistrennung, die Verhandlungsmaxime und die Bindung an feste Beweisregeln gekennzeichnet war. 274 In Preußen wurde der gemeine Prozess zunächst unter Abkehr von der Verhandlungs- und Eventualmaxime reformiert. Diese Entscheidung wurde jedoch nach wenigen Jahren wieder revidiert. 275 Bis 1879 galt in den linksrheinischen Gebieten der Code de Procédure Civile von 1806, 276 der den gemeinen Prozess unter Befürwortung von Öffentlichkeit und Mündlichkeit, Parteibetrieb, freier richterlicher Beweiswürdigung sowie der Abkehr von der Eventualmaxime zurückdrängte.277 Die CPO von 1877 regelte ein von strikter Mündlichkeit geprägtes Verfahren,278 das die Zweiteilung in Behauptungs- und Beweisverfahren aufgab und daher einen völlig freien Verfahrensablauf vorsah mit der Folge, dass das Vorbringen von Angriffs-, Verteidigungs- und Beweismitteln keinen zeitlichen

273 Dahlmanns, in: Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte Bd. III/2, S. 2615, 2672. 274 Stürner, in: Festschrift 150 Jahre Deutscher Juristentag, S. 221, 223; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 23. 275 Planitz/Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 310. 276 Dölemeyer, Ius Commune VII, 179, 191. Im Fürstentum Birkenfeld wurde der Code de Procédure Civile jedoch bereits 1817 wieder aufgehoben (Verordnung vom 2.9.1817, § 6). 277 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 23; Planitz/Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 310; Stürner, in: Festschrift 150 Jahre Deutscher Juristenverein, S. 221, 223. 278 Bettermann, ZZP 91 (1978), 365, 369. Vgl. § 119 CPO 1877: „Die Verhandlung der Parteien über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht ist eine mündliche.“ Gem. § 128 CPO 1877 war eine Bezugnahme auf etwaige Schriftsätze grundsätzlich nicht erlaubt.

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

Restriktionen mehr unterlag279 und eine allgemeingültige Gliederung des Verfahrensablaufs nicht bestand. 280 Die formelle Prozessleitung lag weit überwiegend bei den Parteien, die über Fristen und Termine entschieden und damit auch den äußeren Ablauf des Verfahrens bestimmten. 281 Diese Aspekte machen deutlich, dass der Prozess nach der CPO insbesondere in seiner strikten Mündlichkeit in starker Anlehnung an den Code de Procédure Civile von 1806 konzipiert wurde,282 der von einem für kontinentale Verhältnisse liberalen Grundverständnis und Parteiverantwortung geprägt war.283 Ein Versuch der Einordnung des Prozesses nach der CPO von 1877 muss sich daher an dem dem Code de Procédure Civile zugrunde liegenden Modell orientieren. Frankreich rezipierte wie Deutschland den italienisch-kanonischen Prozess im 14. und 15. Jahrhundert, unterzog diesen jedoch schon bald Reformen und befürwortete das Prinzip der Mündlichkeit, schuf ein einheitliches Stadium von Behauptungs- und Beweisphase und beseitigte die Eventualmaxime. Ein neues Modell wurde damit aber nicht geschaffen; vielmehr lag dem französischen Prozess in seiner Grundstruktur weiterhin das italienisch-kanonische Prozessmodell zugrunde.284 Da von den Vätern der CPO erkannt wurde, dass sich die Sequenzierung des Prozesses in einzelne Abschnitte mit dem Grundsatz strikter Mündlichkeit nicht vertrug,285 waren die gedanklichen Grundsteine zur Änderung der Prozessstruktur im Grunde gelegt. Trotz des der CPO von 1877 immanenten Konzepts einer einheitlichen mündlichen Verhandlung ohne Zäsur zwischen Behauptungs- und Beweisphase286 und der folglich guten Voraussetzungen für die Erledigung der Streitsache in einem Termin war allerdings auch der Verfahrensablauf in Terminsequenzen in der CPO – wenn auch nicht ausdrücklich festgelegt – doch zumindest begünstigt. Eine Vorbereitung der Verhandlung durch den Austausch von Schriftsätzen war nur im Anwaltsprozess nach § 74 I CPO obligatorisch, so dass in Verfahren vor dem Amtsgericht ein Tatsachenaustausch häufig erst in der mündlichen Verhandlung erfolgte 287 und damit die 279 Dahlmanns, in: Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte Bd. III/2, S. 2615, 2676. 280 Schubert, Entstehung und Quellen der Civilprozessordnung von 1877, Erster Halbband, S. 6 f. 281 Vgl. insbesondere §§ 191, 202 und 205 CPO 1877; Dahlmanns, in: Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte Bd. III/2, S. 2615, 2677 282 Ebel, 200 Jahre preußischer Zivilprozeß, S. 18. 283 Planitz/Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 310; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 24. 284 So auch Schubert, Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, S. 571. 285 Henckel, in: Gedächtnisschrift für Rudolf Bruns, S. 111, 115. 286 Vgl. § 127 CPO 1877. 287 Vgl. § 120 I CPO 1877.

III. Das Hauptverhandlungsmodell

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Durchführung von Behauptungsphase und der Beweisaufnahme in einem Termin faktisch unmöglich machte. Im Übrigen standen dem Gericht zahlreiche Instrumente zur Verfügung, um Verfahren zu trennen.288 Daher ist, trotz Ansätzen zur Streiterledigung in einem Haupttermin, das Verfahren nach der CPO 1877 zumindest als dem italienisch-kanonischen Verfahrensmodell angenähert anzusehen. Auch die Anordnung der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in § 320 CPO 1877 vermag an dieser Zuordnung nichts zu ändern. Da zahlreiche Ausnahmen vom Grundsatz zugelassen wurden, änderte sich an der Praxis des Delegierens der Beweisaufnahme an einen ersuchten oder beauftragten Richter zunächst kaum etwas. 289 Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme erlangte damit zumindest in der Praxis zunächst kaum nennenswerte Bedeutung. 290 Zwar bestehen leichte Tendenzen zu einer Veränderung der Prozessstruktur, doch einer grundlegenden strukturellen Veränderung konnte die CPO von 1877 nicht zum Durchbruch verhelfen. 291 Bereits kurz nach Inkrafttreten der CPO entbrannten heftige Kontroversen über die neue CPO und ihre Sinnhaftigkeit. 292 Die Kritiker sahen den weiten Spielraum, den die CPO der Justiz gewährte, als Gefahr dafür, dass sich „alle schlechten Elemente der Justiz frei bethätigen“ konnten.293 Im Fokus der Kritik Bährs stand insbesondere die Einführung strikter Mündlichkeit und die daraus resultierende nebensächliche Stellung von Schriftsätzen sowie die fehlenden Vorkehrungen, das Gericht zur Vorbereitung der Verhandlung anzuhalten.294 Demgegenüber wurde die neugewährte Freiheit von den Verfechtern der neu konzipierten Prozessordnung als eine Chance gesehen und die von der Gegen-

288

Vgl. §§ 136−138 CPO 1877. Ahrens, in: Wieczorek/Schütze ZPO III/2/2, § 355 Rn. 20. § 340 Nr. 2 CPO 1877 ermöglichte beispielsweise eine kommissarische Zeugenvernehmung, „wenn die Beweisaufnahme vor dem Prozeßgericht erheblichen Schwierigkeiten unterliegen würde“. Diese sehr weite Formulierung bot viel Raum für eine Fortführung der bisherigen Praxis der Übertragung von Zeugenvernehmungen. Auch §§ 337, 370, 441 CPO 1877 enthielten Einschränkungen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes. 290 Koukouselis, Die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im Zivilprozeß, S. 16 f. 291 So auch Stürner, in: Gerichtsverfahren zwischen Gerechtigkeit und Ökonomie, S. 29, 30. 292 Beispielhaft sind hierfür die Auseinandersetzungen von Otto Bähr, Paul Jäckel sowie Adolf Wach über die neue CPO. Bähr, Jh. Jb., Band 24 (1886), 329 ff. und als Reaktion hierauf Jäckel, Auch ein Wort zum deutschen Civilproceß – Eine Replik. 293 Bähr, Jh. Jb. Bd. 23 (1885), 339, 426 f. Der Abgeordnete Lenzmann ging noch weiter und sagte in der Beratung der Novelle 1898: „(…) Es freut mich zunächst, dass die sämmtlichen Redner in dem einen Punkte übereinstimmen, daß unsere CPO nichts taugt. (…)“, vgl. Henckel, in: Gedächtnisschrift für Rudolf Bruns, S. 111, 112. 294 Vgl. hierzu zusammenfassend Jäckel, Auch ein Wort zum deutschen Civilprozeß, S. 9 f. 289

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

seite geforderte Wiedereinführung der zumindest teilweisen Schriftlichkeit infrage gestellt. 295 Deutlich wurde in diesen Kontroversen und der Praxis jedoch, dass Modifikationen notwendig waren, um vielfältige Konstruktionsmängel zu beseitigen. In der Folge wurden zahlreiche Reformen auf den Weg gebracht, deren Hauptaspekt jeweils auf Beschleunigung und Verfahrenseffizienz lag. 296 Dies lässt den Schluss zu, dass der Wunsch, politische Einheit auch in juristischer Einheitlichkeit widerzuspiegeln, manches unbeachtet gelassen hatte, was bereits kurz nach Inkrafttreten in Defiziten offen zu Tage trat und die neue CPO damit erheblicher Kritik aussetzte.297 b) Defizite des Prozessrechts in der Praxis 1877−1976298 Die CPO gewährte den Richtern aufgrund wenig strukturierender Elemente und des darin zu Tage tretenden liberalen Prozessverständnisses zahlreiche Freiheiten.299 Diese begünstigten es sowohl für die Richter als auch die Anwaltschaft, alte Gewohnheiten beizubehalten, so dass die Bereitschaft, in zivilprozessualer Hinsicht neue Wege zu beschreiten, nur wenig ausgeprägt war.300 Detailliertere Regelungen wären insbesondere deshalb erforderlich gewesen, weil die Landesjustizverwaltungen der Territorialstaaten für die Umsetzung der CPO zuständig waren. Das Fehlen derartiger Regelungen verhinderte die Ausbildung neuer Traditionen auf Grundlage der neuen CPO und führte eher zur weiteren Ausübung und sogar Festigung bisheriger territorialer Rechtstraditionen,301 so dass es nicht verwundert, dass sich auch ein Jahrzehnt nach der

295

Jäckel, Auch ein Wort zum deutschen Civilprozeß, S. 23 f. Dahlmanns, in: Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte Bd. III/2, S. 2615, 2685. 297 Hierzu Henckel, in: Gedächtnisschrift für Rudolf Bruns, S. 111, 111; Dahlmanns, in: Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte Bd. III/2, S. 2615, 2685 benennt die Defizite als Konstruktionsmängel und macht damit deutlich, dass die CPO an grundlegenden Mängeln krankte. Ein Überblick zu den Reformen findet sich bei Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 26 f. sowie ergänzend Bachmann, in: Gerichtsverfahren zwischen Gerechtigkeit und Ökonomie, S. 1, 2 ff. 298 Bei der Darstellung der einzelnen Reformen wird ausschließlich die jeweilige Wirkung auf den Verfahrensablauf dargestellt. Zum Ganzen Lüke, in: MüKo, Band 1 §§ 1−354, 2. Aufl., Einleitung Rn. 40 ff. 299 Im Nachgang wurde dieser Gedanke als „laisser faire, laisser aller“ bezeichnet, vgl. Volkmar, JW 1933, 2427, 2427. Hierin zeigt sich deutlich, dass die CPO maßgeblich den französischen Prozess vor Augen hatte, der auf dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit basierte. Vgl. hierzu Schubert, Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, S. 572. 300 Schubert, Entstehung und Quellen der Civilprozessordnung von 1877, Erster Halbband, S. 32. 301 Wach, ZZP 10 (1887), 181, 183. 296

III. Das Hauptverhandlungsmodell

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Veröffentlichung der CPO noch kein allgemein anerkanntes Modell des neuen Verfahrens ausgebildet hatte. 302 aa) Die Reform 1898 Bereits 1898 erforderte die Neugestaltung des bürgerlichen Rechts eine Angleichung der privatrechtsbezogenen Teile des Prozesses. 303 Obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits Mängel im Verfahrensablauf insbesondere im Hinblick auf Verfahrensdauer und Prozessverschleppung sichtbar waren, entschloss man sich, „ohne Eingriffe in die Grundlagen des Gesetzes“ 304 nur die „schlimmsten Übelstände durch Beschneidung der Formalien zu beseitigen“. 305 Bereits hier wird ein grundlegendes Phänomen dieser und vorgreifend auch der auf sie folgenden Novellierungen deutlich: In den Novellen und schließlich den einzelnen Reformen wurden stets Detailfragen angegangen und einer als passend angesehenen Lösung zugeführt. Das Bewusstsein, dass eine grundlegende Umgestaltung des Verfahrensablaufs erforderlich ist, um nachhaltig der überlangen Verfahrensdauer entgegen zu wirken, wurde – sofern dieses zumindest gedanklich vorhanden war – jedenfalls nicht in Gesetzesform gegossen. Dadurch, dass die formelle Prozessleitung bei den Parteien lag und diese daher den äußeren Ablauf des Prozesses – namentlich durch Terminierung, Setzen von Fristen und Zustellung in Parteiverantwortung – bestimmen konnten, hing die Intensität und Effizienz der Verfahrensgestaltung und vor allem des Verfahrensbeginns im Wesentlichen von den Charakteren der beteiligten Parteien ab. Dies führte in der Folge dazu, dass vielfach die Verfahren nicht in Gang kamen oder zahlreiche Vertagungen den Prozess unnötig verschleppten.306 Die ausufernde Befürwortung des Parteibetriebs war damit der Grund für eine überlange Verfahrensdauer sowie das weitere Auseinanderdriften der prozessualen Praxis trotz einer einheitlichen Kodifikation. bb) Die Amtsgerichtsnovelle 1909 Mit der Amtsgerichtsnovelle 1909 307 wurde die lange Prozessdauer amtsgerichtlicher Verfahren in den Fokus der Reformbemühungen gestellt, nachdem

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Schubert, Entstehung und Quellen der Civilprozessordnung von 1877, Erster Halbband, S. 32. 303 Dahlmanns, in: Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte Bd. III/2, S. 2615, 2689. 304 Hahn/Mugdan, Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Achter Band, S. 78. 305 Hahn/Mugdan, Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Achter Band, S. 191. 306 Henckel, in: Gedächtnisschrift für Rudolf Bruns, S. 117 f. 307 Gesetz, betreffend Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Zivilprozeßordnung, des Gerichtskostengesetzes und der Gebührenordnung für Rechtsanwälte vom 1. Juni 1909 (RGBl. 1909, S. 475 ff.).

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

sich bereits der 26. Deutsche Juristentag mit den Missständen des gegenwärtigen Prozessrechts befasst hatte. 308 Dies geschah aus wirtschaftlichen Gründen,309 aber auch, weil das Ansehen der Justiz bei der Bevölkerung rapide abnahm und die Institution einer effektiven Rechtsschutz gewährenden Justiz infrage gestellt wurde. Als Konsequenz hieraus wurde ein Entwurf für eine Reform des amtsgerichtlichen Verfahrens in Anlehnung an den österreichischen Zivilprozess erarbeitet, 310 der eine verstärkte richterliche Prozessleitung sowie einen umfassenderen Amtsbetrieb umsetzte. 311 Auch die Ladung der gegnerischen Partei, die früher durch den Kläger erfolgte, wurde nunmehr dem Gericht zugewiesen, so dass die Termine fortan von Amts wegen bestimmt wurden. 312 Darüber hinaus wurde auch die bisherige Zergliederung des Verfahrens in verschiedene Termine für einzelne Prozesshandlungen aufgegeben. War der Beweisaufnahme bisher ein separater Termin zugewiesen, sollte das Gericht nun direkt nach Erlass des Beschlusses zur Beweiserhebung die Beweise aufnehmen.313 Um dies überhaupt möglich zu machen, stärkte die Amtsgerichtsnovelle die materielle Prozessleitung des Richters wesentlich, indem sie zahlreiche Instrumente zur Vorbereitung des Verfahrens und der Beweisaufnahme durch den Richter vorsah. Dies war deshalb vonnöten, weil die Parteien das Verfahren oftmals nur unzureichend vorbereitet hatten und eine richterliche Aufklärung nicht vorgesehen war,314 so dass zahlreiche Vertagungen alltägliche Phänomene waren. Nach der Konzeption der neuen Zivilprozessordnung sollte dem Richter eine aktive Rolle zukommen,315 um dem Verfahren die so dringend benötigte äußere und innere Struktur zu geben. Im Zuge dessen wurde das Gericht verpflichtet, mit den Parteien den Sach- und Streitstand zu erörtern sowie auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken. Der Streitstoff sollte da-

308 Vgl. Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 2. Umfassend zur Amtsgerichtsnovelle 1909 R. Schmidt, Die Neuerungen im Zivilprozessrecht. 309 Dahlmanns, in: Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte Bd. III/2, S. 2615, 2692. 310 Zum österreichischen Zivilprozessrecht Klein, Pro futuro: Betrachtung über Probleme der Civilprocessreform in Oesterreich; Rechberger, Ritsumeikan Law Review 2008, 101 ff. 311 R. Schmidt, Die Neuerungen im Zivilprozessrecht, S. 6; Brehm, in: Stein/Jonas ZPO, Vor § 1 Rn. 150; Peters, Der Gütegedanke im deutschen Zivilprozeßrecht, S. 81. 312 R. Schmidt, Die Neuerungen im Zivilprozessrecht, S. 52 f. 313 R. Schmidt, Die Neuerungen im Zivilprozessrecht, S. 59 f. 314 Dahlmanns, in: Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte Bd. III/2, S. 2615, 2687. 315 Dahlmanns, in: Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte Bd. III/2, S. 2615, 2693.

III. Das Hauptverhandlungsmodell

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her zu Beginn der Verhandlung unter aktiver Mitwirkung des Richters festgestellt werden und sich nicht mehr erst im Laufe der mündlichen Verhandlung ergeben. 316 cc) Die Emminger-Novelle 1924317 Trotz dieser weitgehenden Veränderungen der Prozessstruktur konnten die Reformen der Prozessverschleppung keinen Einhalt gebieten, so dass sich die Situation vor dem Hintergrund der Kriegswirren und der wirtschaftlichen Umstände weiter verschärfte. 318 Darüber hinaus war zu beobachten, dass sich das Volk und das Recht immer weiter entfremdeten.319 Die Missstimmung gegenüber der Justiz wuchs mit der Folge, dass die Bevölkerung im Fall von Rechtsstreitigkeiten mittlerweile Schiedsgerichte den staatlichen Gerichten vorzog.320 Eine „Vertrauenskrise“321 zeichnete sich deutlich ab. Schließlich wurde mit der sogenannten Emminger-Novelle 1924322 versucht, den immerwährenden Problemen Herr zu werden, indem die Parteiherrschaft weiter eingeschränkt, dadurch die Richtermacht gestärkt323 und das richterliche Fragerecht ausgedehnt wurde.324 Ferner wurde eine Bezugnahme auf Schriftsätze unter Beibehaltung eines Widerspruchsrechts des Gegners und des Gerichts eingeführt und damit der Mündlichkeitsgrundsatz der gängigen Praxis entsprechend weiter zurückgedrängt.325 Die schriftliche Vorbereitung der mündlichen Verhandlung sollte die weiter ersehnte Beschleunigung des Verfahrens herbeiführen.326 Die Parteiherrschaft über Termine und Fristen wurde beseitigt 327 und die formelle 316 Dahlmanns, in: Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte Bd. III/2, S. 2615, 2693. 317 Benannt nach Erich Emminger, Reichsjustizminister in der Weimarer Republik (November 1923−April 1924). 318 Volkmar, JW 1924, 345, 345. 319 Brehm, in: Stein/Jonas ZPO, Vor § 1 Rn. 159 bezeichnet diesen Zustand auch als „Lebensferne der Zivilgerichtsbarkeit“. Radbruch charakterisierte die Situation 1921 noch drastischer als „Kriegszustand zwischen Volk und Justiz“, vgl. Schiffer, Die Deutsche Justiz, S. 15. 320 Peters, Der Gütegedanke im deutschen Zivilprozeßrecht, S. 96, 101. 321 Schiffer, Die Deutsche Justiz, S. 60 ff. 322 Verordnung über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 13. Februar 1924 (RGBl. I S.135 ff.). 323 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 26. 324 Peters, Der Gütegedanke im deutschen Zivilprozeßrecht, S. 102. 325 Lobe, DJZ 1924, 158, 162. 326 C. Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, S. 368; Kip, Das sogenannte Mündlichkeitsprinzip, S. 74 ff. Zum Zusammenspiel von Mündlichkeitsprinzip und Prozessbeschleunigung Arens, Mündlichkeitsprinzip und Prozeßbeschleunigung im Zivilprozeß. 327 Lobe, DJZ 1924, 158, 159; Volkmar, JW 1924, 345, 346; Brehm, in: Stein/Jonas ZPO, Vor § 1 Rn. 161.

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

Prozessleitung damit wieder dem Gericht übertragen, um so sachlich nicht gebotenen Vertagungen, wie sie gängige Praxis waren,328 Einhalt zu gebieten. Vorschriften, die die Konzentrationsmaxime umsetzten, wurden eingeführt.329 Neben der Zurückweisung von verspäteten und prozessverzögernden Behauptungen des Beklagten auf Antrag des Klägers, wurden nun auch die Voraussetzungen für die Zurückweisung verspäteten Vorbringens des Klägers ohne Antrag des Gegners nach freiem Ermessen des Gerichts geschaffen. 330 Ferner wurde ein obligatorisches Güteverfahren in dem Verfahren vor dem Amtsgericht eingeführt,331 um zu erreichen, dass der Streitstoff schon vor der streitigen mündlichen Verhandlung aufbereitet und das Verfahren dadurch insgesamt gestrafft wird. Schließlich wurde das Verfahren vor dem Einzelrichter beim Landgericht vorgesehen,332 um eine ordnungsgemäße Vorbereitung des Verfahrens zu gewährleisten sowie um Entscheidungen geringeren Gewichts, die nicht zwangsläufig der Expertise eines Kollegialgerichts bedurften, unter der Leitung eines Einzelrichters erlassen zu können.333 dd) Die Verfahrensnovelle 1933 Aber auch diese auf Verfahrenseffizienz und Beschleunigung abzielenden Änderungen waren nicht ausreichend, so dass mit der Novelle 1933, 334 die ebenso wie ihre Vorgängerinnen unter den Topoi Vereinfachung und Beschleunigung stand,335 erneut in Anlehnung an die österreichische und schweizerischen Prozessordnungen jener Zeit 336 ein Anlauf zur Verbesserung der Situation gemacht wurde. Dieser Versuch wurde als äußerst vielversprechend angesehen, da eine längere Vorbereitungszeit gegeben war und man daher davon ausging, dass 328

Volkmar, JW 1924, 345, 346. Vollkommer, in: Zöller ZPO, Einleitung Rn. 5. 330 Rosenberg, ZZP 58 (1934), 283, 293; Lobe, DJZ 1924, 158, 159. 331 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 26; Strempel, in: Gedächtnisschrift für Dieter Meurer, S. 347, 351 f. 332 Vollkommer, in: Zöller ZPO, Einleitung Rn. 5; Strempel, in: Gedächtnisschrift für Dieter Meurer, S. 347, 352. 333 Bachmann, in: Gerichtsverfahren zwischen Gerechtigkeit und Ökonomie, S. 1, 3; Köster, Die Beschleunigung der Zivilprozesse und die Entlastung der Zivilgerichte in der Gesetzgebung von 1879 bis 1993, Bd. I S. 244 f., Bd. II S. 648. 334 Gesetz zur Änderung des Verfahrens in Bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 27. Oktober 1933 (RGBl. I S. 780 ff.). 335 Eine Art Vorwort legt die Leitsätze des neuen Prozessrechts fest. So wurde die neue Position des Richters wie folgt umschrieben: „(…) Aufgabe des Richters ist es, durch straffe Leitung des Verfahrens und in enger Fühlung mit den Parteien dahin zu wirken, dass jede Streitsache nach gründlicher Vorbereitung möglichst in einer einzigen Verhandlung aufgeklärt und entschieden wird. Er hat Vertagungen, die nicht sachlich dringend geboten sind, zu vermeiden und zu verhindern, dass ein Verfahren durch verspätetes Vorbringen verschleppt wird. (…)“, vgl. Rosenberg, ZZP 58 (1934), 283, 284. 336 Fritzsche, SJZ 1933/34, 305, 306, 308. 329

III. Das Hauptverhandlungsmodell

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wegen fehlender Hektik Flüchtigkeitsfehler in der Konstruktion des Gesetzes ausgeblieben waren.337 Zurückweisungsmöglichkeiten für verspätetes Vorbringen wurden erweitert, so dass unter anderem auch der Praxis Einhalt geboten werden sollte, dass Rechtsanwälte kurz vor einem Termin einen Schriftsatz einreichten, auf den der gegnerische Rechtsanwalt nicht mehr antworten konnte. In einem solchen Fall war eine Zurückweisung zwingend, wenn damit eine Verzögerung des Prozesses einherging.338 Damit wurde die mangelnde schriftliche Vorbereitung mit einer Sanktion belegt. 339 Um die Prozessverzögerung weiter zu bekämpfen, wurde die kommissarische Beweisaufnahme zur Ausnahme und dafür eine unmittelbare Beweisaufnahme durch das erkennende Gericht eingeführt,340 um die zwangsläufig eintretende Verschleppung bei Einschaltung eines ersuchten oder beauftragten Richters einzudämmen und den Beweiswert von Zeugenaussagen zu erhöhen. 341 Im Zuge dessen wurde beim Landgericht als erste Instanz auch die Beweisaufnahme vor dem Einzelrichter wieder auf das Kollegialgericht übertragen, 342 welche in der Emminger-Novelle erst auf ihn übertragen worden war. Dies hatte sich aber nicht bewährt, vielmehr zu einer weiteren Prozessverzögerung und überdies zur Schmälerung des Beweiswertes von Zeugenaussagen geführt, so dass die Entscheidung mit der Novelle 1933 revidiert wurde. Die Konzentration des Verfahrens und die Stärkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes kennzeichneten damit als Leitmotiv diese Reform des Verfahrensrechts. ee) Der Rechtszustand nach dem Zweiten Weltkrieg Nachdem die Nationalsozialisten das geltende Zivilprozessrecht ihrer Ideologie entsprechend geändert und im Übrigen weitestgehend aufgehoben hatten,343 wurde diese Entwicklung mit der Novelle 1950, in welcher der vor dem Zweiten Weltkrieg bestehende Rechtszustand annähernd im Ganzen wiederhergestellt wurde, und der Neubekanntmachung der Zivilprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes überwunden. 344 In der Folgezeit kam es auch zu zahlreichen Gesetzesänderungen. Diese brachten jedoch keine nennenswerten Veränderungen des Verfahrensablaufs mit sich. Zu erwähnen ist, dass mit 337

Rosenberg, ZZP 58 (1934), 283, 284. Rosenberg, ZZP 58 (1934), 283, 293. 339 Vgl. zu diesem Aspekt Volkmar, JW 1933, 2427, 2429. 340 Brehm, in: Stein/Jonas ZPO, Vor § 1 Rn. 173. 341 Volkmar, JW 1933, 2427, 2431. 342 Bachmann, in: Gerichtsverfahren zwischen Gerechtigkeit und Ökonomie, S. 1, 4; Köster, Die Beschleunigung der Zivilprozesse und die Entlastung der Zivilgerichte in der Gesetzgebung von 1879 bis 1993, Bd. I S. 339 (Fn. 9), Bd. II S. 651. 343 Siehe hierzu ausführlich Popp, Die nationalsozialistische Sicht einiger Institute des Zivilprozess- und Gerichtsverfassungsrechts, insb. S. 20 ff.; Lent, JW 1933, 2674 f.; Brehm, in: Stein/Jonas ZPO, Vor § 1 Rn. 176−183. 344 Bachmann, in: Gerichtsverfahren zwischen Gerechtigkeit und Ökonomie, S. 1, 4. 338

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

der Novelle 1950 das in der Emminger-Novelle 1924 eingeführte obligatorische Güteverfahren im amtsgerichtlichen Prozess mit der Begründung, dass die scharfe Trennung zwischen Güteverfahren und Streitverfahren die Verfahrensverzögerung begünstige, 345 wieder aufgehoben wurde und 1974 aus Gründen der Entlastung der Landgerichte der allein entscheidende Richter am Landgericht eingeführt wurde.346 ff) Zwischenfazit Diese Entwicklung macht deutlich, dass die zahlreichen, in den Reformen ergriffenen Maßnahmen nicht den Kern des Problems trafen. Vielmehr wurden wiederholt Ansätze verfolgt, die Missstände zu beseitigen, doch keine der Reformen konnte einen nachhaltigen Erfolg verzeichnen. Dies mag nicht zuletzt daran liegen, dass stets der Weg von Detailregelungen gewählt wurde, nicht aber das Prozesssystem beziehungsweise der Verfahrensablauf als Ganzes infrage gestellt wurde. Diese Art der Problemlösung, an deren Ende ein „Flickwerk“347 einzelner, aus unterschiedlichen Reformen hervorgegangener Regelungen stand, konnte daher rückblickend keinen Erfolg im Kampf um Verfahrensbeschleunigung und gegen die Prozessverschleppung verzeichnen. Nicht die einzelnen Regelungen waren Ursprung der Probleme, sondern vielmehr die gesamte Anlage der Regelungen und ihr nicht funktionierendes Zusammenspiel dürften der Grund für verschleppte Prozesse und die überlange Verfahrensdauer gewesen sein. Das Bewusstsein hierfür war vereinzelt, wie aufgezeigt, zwar vorhanden, für eine praktische Durchsetzung im Wege einer umfassenden Gesetzesreform war es jedoch zu schwach. Allerdings ist auch anzuerkennen, dass die historischen Ereignisse und die wirtschaftliche Situation der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht die idealen Voraussetzungen für eine umfassende und erfolgsversprechende Reform auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts geboten hatten. Auch der Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war indes noch von gesetzgeberischem Zögern und fortbestehenden Missständen geprägt. Zwar wurden immer wieder Kommissionen beauftragt, Lösungen für das drängende Problem der Prozessverschleppung zu erarbeiten, die auch brauchbare Lösungen hervorbrachten. Eine Umsetzung in die Praxis in Form einer tiefgreifenden Reform erfolgte jedoch nicht.348 Etwaige Neuerungen, die auch im Einzelnen unter Umständen geeignet gewesen wären, die damalige Situation positiv zu beeinflussen, scheiterten oftmals an dem Widerstand von Anwaltschaft und Richterschaft, 349 die neuen Regelungen skeptisch 345

Gerner, NJW 1950, 722, 725; Brehm, in: Stein/Jonas ZPO, Vor § 1 Rn. 190. Brehm, in: Stein/Jonas ZPO, Vor § 1 Rn. 193. 347 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 24. 348 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 24. 349 Henckel, in: Gedächtnisschrift für Rudolf Bruns, S. 111, 112; Bettermann, ZZP 91 (1978), 365, 373, 377. 346

III. Das Hauptverhandlungsmodell

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gegenüberstanden, diese oftmals ignorierten und damit aufgrund von eigener Trägheit und Verschlossenheit gegenüber Neuem ihre alten Gewohnheiten beibehielten. Letztlich führte dies zu einer desolaten Prozesspraxis, die in ihrer größeren Dimension auch das Verhältnis der Bevölkerung zur Justiz beeinträchtigte und die Institution einer effektiven Rechtsschutz gewährenden Justiz infrage stellte. 350 Private Schiedsstellen konnten aus diesem Grund auch bereits bei überschaubaren Rechtsstreitigkeiten einen hohen Zulauf verzeichnen.351 Ferner nutzten auch säumige Schuldner die Aussicht auf eine lange Verfahrensdauer und ließen es selbst in eindeutigen Fällen auf einen Rechtsstreit ankommen, um auf diese Weise noch in den Genuss eines weiteren Aufschubs ihrer Zahlungspflicht zu gelangen. 352 c) Die Vereinfachungsnovelle 1976: Konzeption und Umsetzung aa) Die Konzeption Fritz Baurs Gedanklicher Vater der Vereinfachungsnovelle war der Tübinger Professor Fritz Baur, der in seiner Schrift „Wege zur Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß“ den Grundstein für eine der weitreichendsten Reformen im Prozessrecht353 der neueren Geschichte legte. Der desolate Zustand der Zivilrechtspflege veranlasste ihn, die Missstände deutlich anzusprechen sowie eine Lösung hierfür anzubieten, die einen anderen Ansatz als die bisherigen, wenig wirksamen Lösungsversuche verfolgte: Statt bloßer Randkorrekturen an einzelnen, vermeintlich problemträchtigen Regelungen, setzte sein Lösungsvorschlag an der Struktur des Zivilprozesses und damit an grundlegenden Entscheidungen eines jeden Prozessrechts an.354 Leitmotiv der gedanklichen Konzeption Baurs und auch der Umsetzung in der Vereinfachungsnovelle war es, die Konzentration der Verhandlung nicht mehr vom Können und Wollen der Richter und Rechtsanwälte, ihrer Selbstdisziplin und ihrem Fleiß abhängig zu machen, sondern die Konzentration gesetzlich durch einen eindeutigen Gesetzeswortlaut zu erzwingen. 355

350 Der Fall von Johann Landgräber, der in dem Artikel des SPIEGEL 34/1968 (19.08.1968) S. 27 geschildert wurde, war in der damaligen Zeit kein Einzelfall, sondern kann stellvertretend für den desolaten Zustand der Prozesspraxis dieser Zeit angeführt werden. 351 Vgl. in der Kurzcharakterisierung und Themeneinleitung zu einem SPlEGEL-Interview mit Senatspräsident Rolf Bender in DER SPIEGEL 8/1970 (16.02.1970), S. 36. 352 Franzki, DRiZ 1977, 161, 162. 353 Putzo, NJW 1977, 1, 1 bezeichnete die Reform wegen ihrer grundlegenden Änderungen als „Jahrhundertgesetz“. 354 Vgl. Köster, Die Beschleunigung der Zivilprozesse und die Entlastung der Zivilgerichte in der Gesetzgebung von 1879 bis 1993, Bd. I, S. 490. 355 Putzo, NJW 1977, 1, 1.

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

Die von Baur in den Fokus genommenen Hauptproblemfelder, die seiner Auffassung nach die Gründe für die überlange Verfahrensdauer und der dadurch verminderten Qualität des Rechtsschutzes darstellten, waren die fehlende Befristung für die Einreichung von Schriftsätzen im schriftlichen Vorverfahren356 sowie die in der Praxis völlig übliche Trennung von mündlicher Verhandlung und Beweisaufnahme. 357 Die fehlende Befristung führte dazu, dass die Parteien „tropfenweise“358 die zur Begründung der Anträge erforderlichen tatsächlichen Behauptungen vorbrachten, dies eine Sequenz von Beweisaufnahmen zur Folge hatte, die jeweils auf die neuen Vorträge folgten und dadurch den Prozess verschleppten.359 Ein Instrument, dieses nachgeschobene Vorbringen zurückzuweisen, stand dem Gericht nur bei nachgewiesener Verschleppungsabsicht oder grober Nachlässigkeit zur Verfügung.360 Da dieser Nachweis äußerst schwer zu erbringen war, konnte ein solches Vorgehen in der Praxis nicht effektiv unterbunden beziehungsweise sanktioniert werden. Die faktische Trennung von mündlicher Verhandlung und Beweisaufnahme basierte letztlich auf der zuvor genannten Praxis des verzögerten Vorbringens der tatsächlichen Behauptungen. Dadurch, dass die Tatsachengrundlage als notwendige Basis für eine Beweisaufnahme auf diese Weise erst in der mündlichen Verhandlung geschaffen wurde und die gegnerische Partei hierauf im Termin häufig nicht adäquat reagieren konnte, konnte eine erschöpfende Beweisaufnahme im selben Termin denklogisch nicht stattfinden. 361 Im Zentrum der Überlegungen Baurs bezüglich eines effizienteren Prozessverlaufs stand eine umfassend vorbereitete Hauptverhandlung, in der die mündliche Verhandlung und die Beweisaufnahme in einem Termin erledigt werden,362 wie dies bereits nach der CPO 1877 vorgesehen war, die ebenfalls ein einheitliches Stadium von Behauptungs- und Beweisphase enthielt. Voraussetzung für dieses Modell ist jedoch, dass das Gericht und die beteiligten Parteien umfassend über den Sach- und Streitstand informiert sind und auch die erforderlichen Beweismittel allen beteiligten Prozessparteien und dem Gericht bekannt sind.

356

Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 10. Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 11. 358 Lüke, JuS 1997, 681, 682; Franzki, DRiZ 1977, 161, 161. 359 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 10. 360 Vgl. § 279 der damals geltenden Zivilprozessordnung. Hierzu Schneider, Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens, JR 1965, 328 ff. 361 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 11, 12. 362 Stürner, in: Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, S. 384, 396; Köster, Die Beschleunigung der Zivilprozesse und die Entlastung der Zivilgerichte in der Gesetzgebung von 1879 bis 1993, Bd. 1, S. 492 f. 357

III. Das Hauptverhandlungsmodell

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Dieser Idee lag bei Fritz Baur die Hauptverhandlung im Strafprozess zugrunde, in der die Erledigung einer Strafsache nach der gesetzlichen Konzeption innerhalb einer Hauptverhandlung erfolgt, die umfassend durch das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft vorbereitet ist und nicht länger als zehn Tage unterbrochen werden darf.363 Hierdurch werde gewährleistet, dass der der Strafsache zugrunde liegende Sachverhalt und damit der für die Entscheidung relevante Streitstand umfassend zu Beginn der Hauptverhandlung dem Gericht präsentiert werden kann.364 Es trete hinzu, dass in dem vorgeschalteten Ermittlungsverfahren auch auf Antrag des Angeklagten sämtliche Beweismittel für den Tatsachenvortrag herbeigeschafft werden mit der Folge, dass alle Prozessbeteiligten sowohl hinsichtlich des Sach- als auch Streitstands bereits zu Beginn der Hauptverhandlung denselben Kenntnisstand besitzen und die Verhandlung prinzipiell in einem Termin durch Urteil zum Abschluss gebracht werden konnte. Sollten in der Verhandlung neue Erkenntnisse eine Unterbrechung des Verfahrens erforderlich machen, so ordne § 229 StPO a.F. eine maximale Unterbrechungsdauer von zehn Tagen beziehungsweise bei Nichteinhalten der Frist die Wiederholung der gesamten Hauptverhandlung an. Dies sorge für eine bemerkenswerte Konzentration der Verhandlung.365 Die Vorschrift stelle ferner eine Urteilsfällung unter dem Eindruck der Hauptverhandlung durch die entscheidenden Richter sicher. Diesen Gedanken der Konzentration des Verfahrens wollte Baur nun auch für den Zivilprozess fruchtbar machen. Als Pendant zum staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren schlug er ein Vorverfahren in Form eines zeitlich befristeten Schriftsatzwechsels zwischen den Parteien vor, in dessen Verlauf die Parteien alle tatsächlichen Behauptungen vortragen und ihre Beweisanträge stellen sowie relevante Urkunden und den vorprozessualen Schriftverkehr vorlegen müssen.366 In diesem höchstens dreimonatigen Stadium 367 solle der Richter neben der zeitlichen auch die inhaltliche Leitung übernehmen und auf erörterungsbedürftige Punkte bereits vor der Hauptverhandlung hinweisen, um so vermeidbaren Verzögerungen in der Hauptverhandlung vorzubeugen. Gesetzlich verankert werden sollte dies in einer Ausdehnung der in § 139 ZPO statuierten richterlichen Aufklärungspflicht. 368 363 Diese 10-Tagesfrist wurde durch Art. 3 des 1. Justizmodernisierungsgesetzes vom 24.08.2004 (BGBl. I, 2198) dahingehend geändert, dass nun eine Unterbrechung von bis zu drei Wochen möglich ist, vgl. § 229 I StPO. 364 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 14. 365 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 14. 366 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 16; Köster, Die Beschleunigung der Zivilprozesse und die Entlastung der Zivilgerichte in der Gesetzgebung von 1879 bis 1993, Bd. I, S. 493. 367 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 16. 368 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 16. Zu Umfang und Bedeutung der richterlichen Hinweispflicht im deutschen Zivilprozessrecht

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

Um sicherzustellen, dass beide Parteien die Vorbereitung der Hauptverhandlung betreiben, sollten als mittelbare Zwangsinstrumente die Regelungen des Versäumnisverfahrens sowie striktere Präklusionsvorschriften bezüglich verspäteten Vorbringens Anwendung finden. 369 Die Regeln des Versäumnisverfahrens sollten den Beklagten durch ein potentielles Versäumnisurteil bei Nichtbeantwortung einer schlüssigen Klage zur Vorbereitung des Verfahrens anhalten, während die Regeln über die Präklusion als Sanktion Abhilfe gegen das zur Gewohnheit gewordene, tröpfchenweise Vorbringen von relevantem Tatsachenmaterial schaffen sollten. Um dies jedoch effizient auszugestalten, solle die Zurückweisung verspäteten Vorbringens nicht wie bis dato nur bei erwiesener Verschleppungsabsicht oder grober Nachlässigkeit möglich sein; vielmehr solle verspätetes Vorbringen nur zugelassen werden, wenn die Partei nachweisen kann, dass sie ohne Verschulden im Vorverfahren zu diesem Vortrag nicht in der Lage war.370 Ein Vortermin solle schließlich den Abschluss des Vorverfahrens bilden und der Entlastung der anstehenden Hauptverhandlung dienen. Klärungsreife Fragen insbesondere im Hinblick auf das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen sollten in diesem Vortermin bereits behandelt werden 371 und damit den in der Hauptverhandlung zu behandelnden Stoff reduzieren. In materieller Hinsicht sollte das von den Parteien im Schriftsatzwechsel vorgetragene Tatsachenmaterial gesichtet und strukturiert werden, um so zu ermitteln, was bestritten bleibt und damit Gegenstand einer Beweisaufnahme sein wird. 372 Um die Effektivität eines solchen Vorgehens sicher zu stellen und um Zeitverzögerungen, die durch erforderliche Rückfragen der Prozessvertreter zum tatsächlichen Hergang entstehen können, zu vermeiden, sollten die Naturalparteien persönlich anwesend sein.373 Dieses Vorgehen stelle sicher, dass alle Prozessbeteiligten denselben Kenntnisstand haben, und ermögliche es, sinnvolle Vergleichsgespräche zu führen, da nun jede Partei unter Berücksichtigung der vorhandenen Beweismittel und der Beweislast ihre Prozesschancen schon vor der Hauptverhandlung abschätzen könne, ohne dass es bereits einer vollumfänglichen Beweisaufnahme bedürfe. 374

vor der Änderung von § 139 ZPO vor der ZPO-Reform 2002 Piekenbrock, NJW 1999, 1360 ff. 369 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 17; Köster, Die Beschleunigung der Zivilprozesse und die Entlastung der Zivilgerichte in der Gesetzgebung von 1879 bis 1993, Bd. I, S. 497 ff. 370 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 17. 371 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 19, 20. 372 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 20. 373 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 20. 374 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 21.

III. Das Hauptverhandlungsmodell

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Scheide eine gütliche Streitbeilegung durch Vergleich aus, so schließe das Gericht den Vortermin mit dem Erlass eines Beweisbeschlusses und lege den Termin zur mündlichen Verhandlung fest, 375 in deren Zentrum in Anlehnung an den Strafprozess die Beweisaufnahme stehen solle. Vertagungen sollten ausgeschlossen sein und bei Unterbrechungen von mehr als zehn Tagen müsse der Termin einschließlich der Beweisaufnahme wiederholt werden. 376 Auf diese Weise werde zudem sichergestellt, dass dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme auch im Kollegialgericht Genüge getan werde, das erkennende Gericht damit unmittelbare Kenntnis vom Ergebnis der Beweisaufnahme habe377 und unter diesem Eindruck ein sachangemessenes Urteil fällen könne. bb) Die praktische Umsetzung im Stuttgarter Modell durch Rolf Bender Auch wenn die Konzeption Baurs nicht vollumfänglich bei der auf sie zurückgehenden Reform des Zivilprozessrechts umgesetzt wurde, 378 so war die Konzeption Baurs doch Grundlage eines Modellversuchs, der unter der Leitung von Rolf Bender in der 20. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart ab dem 1. Januar 1967 vorgenommen wurde. Unter bemerkenswerter Unterstützung von Anwaltschaft und Sachverständigen, 379 die sich auf die neue Verfahrensart einließen, wurde der Zivilprozess unter den Prämissen voller Unmittelbarkeit sowie Anwesenheit der Parteien entsprechend Baurs Konzeption modifiziert. Um das Verfahren auf eine Verhandlung konzentrieren zu können, war es erforderlich, von einer zeitlich engen Terminierung mehrerer Fälle in kurzen Abständen abzusehen, um die früher gängigen „Durchruftermine“, in denen lediglich die Sache aufgerufen wurde, die Anträge gestellt wurden und Anerkenntnisoder Versäumnisurteile ergingen,380 zu vermeiden. Eine enge Terminierung stand einer umfassenden Aufarbeitung der Streitsache in einem Termin entgegen, so dass die Kammer um Rolf Bender zur Erreichung des Ziels eines konzentrierten Verfahrens eine gestreckte Terminierung favorisierte. Ferner wohnten alle drei Entscheidungsrichter allen Verhandlungen und Beratungen bei, um volle Unmittelbarkeit zu gewährleisten.381 Zwischenberatungen und das Unterbreiten von Vergleichsvorschlägen sowie die umfassende Vorbereitung der Hauptverhandlung ermöglichten eine erhebliche Reduktion der Verfah-

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Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 21. Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 22. 377 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 22. 378 Hierauf wird an späterer Stelle näher eingegangen, vgl. Kapitel 1 III 2 d). 379 Bender, DRiZ 1968, 163, 163. 380 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 11. 381 Bender, in: Access to Justice, Vol. II, S. 431, 434. 376

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

rensdauer, so dass über 90 % der vermögensrechtlichen Streitigkeiten innerhalb von sechs Monaten durch Urteil entschieden werden konnten. 382 Ferner war die Erledigung der Streitsache im ersten Termin in ca. 86 % aller Fälle möglich,383 so dass die Methoden zur Konzentration des Verfahrens durchaus Wirkung zeigten und auch weitere Landgerichte ihr Verfahren trotz fehlender gesetzlicher Grundlage nach dem Stuttgarter Modell ausrichteten. 384 Die Frage, ob das Stuttgarter Modell auf die damals geltende Zivilprozessordnung gestützt werden konnte, wurde von Rolf Bender selbst nicht eindeutig beantwortet. 385 § 261 ZPO a.F., der die Bestimmung eines Verhandlungstermins unmittelbar nach Eingang der Klage verlangte, und § 272 b ZPO a.F., der eine umfassende Vorbereitung der Hauptverhandlung verlangte, standen insoweit im Widerspruch zueinander. Die Anwendung der einen Vorschrift bedingte die Vernachlässigung der anderen, so dass hieraus zumindest nicht die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass die Durchführung eines Verfahrens in Anlehnung an das Stuttgarter Modell vollständig gesetzeswidrig war, da das Gesetz selbst die Nichtanwendung einer der genannten Vorschriften provozierte. d) Die Umsetzung der Ideen Baurs und Benders in der Vereinfachungsnovelle Wie bereits angedeutet, wurde die Konzeption Baurs nicht vollumfänglich in die Vereinfachungsnovelle 1976 übernommen. Neben der Möglichkeit eines schriftlichen Vorverfahrens zur umfassenden Vorbereitung des mündlichen Haupttermins, wie es Fritz Baur vorgesehen hatte, ermöglichte die Vereinfachungsnovelle als Kompromiss auch die Durchführung eines frühen ersten Termins, in dem das Gericht mit den Parteien den Streitstoff erörtert und entsprechende richterliche Hinweise zur Vervollständigung des Streitstoffes vor dem Haupttermin erteilt, um auf diese Weise eine Erledigung in einem Termin zu ermöglichen.386 Gemäß § 272 II ZPO steht dem Richter die Wahl zwischen 382

Senatspräsident Rolf Bender in einem SPIEGEL-Interview 1970, DER SPIEGEL 8/1970 (16.02.1970), S. 36; Bender, DRiZ 1968, 163, 165. Empirische Übersichten zu einzelnen Parametern im Vergleich zu Gerichten, die die herkömmliche Verfahrensweise verfolgten, finden sich bei Bender, in: Access to Justice, Vol. II, S. 431, 462. 383 Bender, DRiZ 1968, 163, 165. 384 Kallweit, Die Prozeßförderungspflicht der Parteien, S. 20. Vgl. zum Beispiel in Bayern, siehe Bender, in: Access to Justice, Vol. II, S. 431, 463; Artikel in DER SPIEGEL 34/1968 (19.08.1968), S. 27, 28. Von einer internationalen Verbreitung spricht Baur, NJW 1987, 2636, 2639. 385 In DRiZ 1968, 163, 165 äußerte sich Bender dahingehend, dass sich das „praktizierte Verfahren im Rahmen der geltenden Zivilprozessordnung hält“, während er im SPIEGELInterview 1970, DER SPIEGEL 8/1970 (16.02.1970), S. 36, 41 deutlich sagt, dass es „sogar eindeutig der Vorschrift des Paragraphen 261 [widerspricht]“. 386 Bericht der Kommission für das Zivilprozeßrecht, S. 39; Franzki, DRiZ 1977, 161, 162.

III. Das Hauptverhandlungsmodell

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beiden Verfahrensweisen zu, die er anhand des ihm zugänglichen Tatsachenmaterials sowie der Struktur des Falles entsprechend seines eigenen Zweckmäßigkeitsmaßstabs treffen muss, ohne dass ihm das Gesetz weitere Entscheidungskriterien an die Hand gibt.387 Bei der Wahl des frühen ersten Termins kann bei einfach gelagerten Fällen möglicherweise bereits im ersten Termin Entscheidungsreife herbeigeführt werden, so dass ein streitiges Urteil ergehen kann und eine anschließende Hauptverhandlung daher obsolet wird. 388 Gleichermaßen besteht aber die Gefahr, dass ein früher erster Termin wie in der Vergangenheit zu einem „Durchruftermin“ ohne Relevanz für das weitere Verfahren wird. Genau dieses Risiko wollte Fritz Baur mit dem Vorschlag eines schriftlichen Vorverfahrens umgehen. Im Rahmen der Präklusion verspäteten Vorbringens favorisierte Fritz Baur eine einheitliche Regelung auf Basis eines Verschuldensgedankens, so dass neues Vorbringen nach Abschluss des Vorverfahrens nur zulässig sein sollte, wenn die Partei nachweisen kann, dass sie ohne Verschulden zu rechtmäßigem Vorbringen nicht in der Lage war. 389 Die Novelle hingegen verfolgte eine differenzierte, schwer überschaubare Lösung, die in Zusammenschau mit den für die Berufungsinstanz geltenden Präklusionsvorschriften auch als in sich widersprüchliches System bewertet wurde. 390 Bei Versäumung einer Frist genügt einfaches Verschulden, § 296 I ZPO. Bei einer Verletzung der allgemeinen Prozessförderungspflicht soll die Präklusion wie vor der Reform nur bei grober Nachlässigkeit eintreten, § 296 II ZPO, wobei diese Entscheidung im Ermessen des Gerichts steht. Damit bestanden die Nachweisschwierigkeiten bezüglich der groben Nachlässigkeit weiter, die in der Vergangenheit bereits erheblicher Kritik ausgesetzt waren und die Baur mit seiner Konzeption eines einheitlichen Maßstabs ausräumen wollte. Während Fritz Baur eine gesetzlich festgelegte Frist für die Gesamtdauer des schriftlichen Vorverfahrens befürwortete, 391 um auf diese Weise eine Ausuferung des der Hauptverhandlung vorhergehenden Stadiums zu verhindern, sah die Vereinfachungsnovelle von solchen abgeschlossenen Stadien ab und legte lediglich Einlassungsfristen als Mindestfristen fest. 392 Dies barg zwar ei-

387 Dies barg selbstverständlich die Gefahr, dass sich die Richter entsprechend ihrer bisherigen Praxis und nicht anhand sachbezogener Kriterien für eines der möglichen Verfahren entschieden, vgl. Franzki, NJW 1979, 9, 9. 388 Franzki, DRiZ 1977, 161, 163. 389 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 17. 390 Franzki, DRiZ 1977, 161, 165. 391 Er favorisierte eine maximale Dauer dieser Frist von drei Monaten, vgl. Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 16. 392 Vgl. §§ 275 I 1, 277 III ZPO.

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

nerseits die Gefahr, dass der Schriftsatzwechsel „zeitlich über Gebühr ausgedehnt“393 wurde, ermöglichte aber andererseits gleichzeitig eine größere Flexibilität im Hinblick auf komplexe Fallgestaltungen. Trotz teilweise negativer Erfahrungen bei allzu großer richterlicher Freiheit schreckten die Reformgeber vor einem allzu strengen Fristenkorsett zurück. Während sich Baur nicht zur Besetzung der jeweiligen Gerichte äußerte, sondern vielmehr ausschließlich den Verfahrensablauf erster Instanz in den Fokus nahm,394 favorisierte Bender in seinem Stuttgarter Modell eine Besetzung des Gerichts mit einem Einzelrichter oder einem Kollegialgericht je nach Komplexität und Schwierigkeitsgrad des zu behandelnden Sachverhalts. 395 Im Hinblick auf die Reform äußerte er sich insoweit kritisch, als sie keine in Abänderung der mit der Entlastungsnovelle eingefügten Norm des § 348 ZPO396 bindende Zuständigkeit des Kollegialgerichts für Sachverhalte größerer Komplexität vorsah.397 Diesem Vorschlag wurde letztlich erst mit der Einfügung von § 348a ZPO im Zuge des ZPO-Reformgesetzes 2001 entsprochen, der die zwingende Zuständigkeit eines Kollegialgerichts bestimmt, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Die Vereinfachungsnovelle stellt sich im Hinblick auf die Neuregelung des Verfahrensablaufs als Ergebnis der theoretischen Konzeption Fritz Baurs sowie des Praxisversuchs unter der Leitung von Rolf Bender dar. Auf dem Gebiet der Berufung sowie des Mahnverfahrens führte sie indes ebenfalls zu Änderungen, die eine eigene Entwicklung des Gesetzgebers darstellten.398 Die mit der Vereinfachungsnovelle verfolgten Ziele der Verkürzung der Verfahrensdauer und der Effizienzsteigerung im Zivilprozess wurden im Vergleich zum früheren Zustand erreicht.399 So wurde insbesondere die vor der Novelle gängige negative Praxis der Durchruftermine, die maßgeblich zur Prozessverschleppung beitrugen, weitestgehend aufgegeben. 400

393

Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 16. Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 23. 395 Bender, in: Access to Justice, Vol. II, S. 431, 461. 396 Nach § 348 I Nr. 1 ZPO a.F. sollte der Rechtsstreit in der Regel einem Mitglied der Zivilkammer als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen werden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufwies. 397 Bender, in: Access to Justice, Vol. II, S. 431, 461. 398 Franzki, NJW 1979, 9, 13 f. 399 Vgl. hierzu die empirische Erhebung anhand verschiedener Parameter bei Greger, ZZP (100) 1987, 377 ff., der die Novelle in seinem Fazit als „durchweg positiv“ bewertet, 377, 384; zu den Auswirkungen der Vereinfachungsnovelle in der gerichtlichen Praxis Walchshöfer, ZZP 94 (1981), 179 ff. 400 Lüke, JuS 1997, 681, 686. 394

III. Das Hauptverhandlungsmodell

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2. Das Hauptverhandlungsmodell Die besondere Bedeutung der Idee Fritz Baurs zeigt sich insbesondere auch darin, dass sie zur Begründung eines neuen Prozessmodells führte, welches aufgrund seiner größeren Flexibilität den Gegenpol zum U.S.-amerikanischen trial-Modell bildet.401 Ähnlichkeiten weist das Hauptverhandlungsmodell mit dem italienisch-kanonischen Modell auf, steht ihm jedoch wegen seines klar strukturierten Verfahrensablaufs mit weitgehender Unmittelbarkeit auch gegenüber. a) Einleitende Phase Das Verfahren nach dem Hauptverhandlungsmodell wird durch die schriftliche Erhebung der Klage eingeleitet, worauf entsprechend die Klageerwiderung des Beklagten ergeht. Sowohl Klage als auch Klageerwiderung müssen Tatsachen, die den der Klage zugrunde liegende Sachverhalt hinreichend darstellen, enthalten und für diese entsprechende Beweisangebote vorsehen. Erforderlich ist damit wie im italienisch-kanonischen Prozess fact pleading,402 damit der Beklagte mehr als nur eine vage Ahnung davon hat, aus welchem Grund er mit dieser Klage konfrontiert wird. 403 Um den Beklagten davor zu schützen, dass er mit einer von Beginn an haltlosen Klage überzogen wird, tritt als weitere Voraussetzung hinzu, dass der vorgebrachte Tatsachenvortrag schlüssig sein muss. 404 Diese Plausibilitätskontrolle, der neben der Klage auch die Klageerwiderung unterzogen wird, führt zu einer recht frühen Kanalisierung des Streitstoffs405 und ermöglicht damit von Beginn an eine Konzentration auf das für die Streitentscheidung relevante Tatsachenmaterial. Zu diesem Zweck muss in diesem Stadium vom Beklagten auch genau geprüft werden, welche Elemente der Klage er bestreiten will. Tut er dies nicht, so gilt alles Nichtbestrittene als

401 Stürner, in: Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, S. 384, 396. 402 Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1007; Murray/Stürner, German Civil Justice, S. 194. 403 In der Kommission zur Vereinfachungsnovelle wurde wohl eine Vefahrenseinleitung und Vorbereitung in Anlehnung an das trial-Modell mit seinen sehr reduzierten verfahrenseinleitenden Schriftsätzen sowie einer anschließenden Stoffsammlung durch die Rechtsanwälte ähnlich dem pretrial U.S.-amerikanischen Vorbilds in den Blick genommen. Dies wurde jedoch recht schnell wieder verworfen, da das Potential zur tatsächlichen Verbesserung der Prozesssituation als gering eingestuft wurde. Vgl. hierzu Bericht der Kommission für das Zivilprozeßrecht, S. 31 f. 404 Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 151; Kern, in: Derecho Procesal Civil Comparado: Homenaje a Rolf Stürner, S. 319, 328. 405 Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 151.

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

zugestanden. Die einleitende Phase im Verfahren nach dem Hauptverhandlungsmodell ist damit im Wesentlichen identisch mit der des italienisch-kanonischen Modells. b) Zwischenphase Nachdem in der einleitenden Phase die maßgebliche Tatsachengrundlage des zu behandelnden Sachverhalts in groben Zügen festgelegt wurde, folgt eine der Vorbereitung der Hauptverhandlung dienende Zwischenphase. In diesem Stadium des Prozesses stehen die Klärung von unklaren Tatsachenschilderungen und die Beweismittelbeschaffung im Vordergrund,406 um auf diese Weise vor der Hauptverhandlung alle Vorbereitungen zu treffen, damit die Streitsache in einem umfassend vorbereiteten Termin, der Hauptverhandlung, erledigt werden kann. Hierbei kann das Gericht neben den beteiligten Parteien selbst auch Maßnahmen zur gerichtlichen Aufklärung ergreifen, 407 um Unklares ähnlich dem Instruktionsrichter des italienisch-kanonischen Prozesses einer Klärung zuzuführen. Dies zeigt sich als wesentlicher Kontrast zum U.S.-amerikanischen trial-Modell, in dessen Zwischenphase das Gericht bis auf wenige Ausnahmen völlig passiv ist. Von den Parteien und dem Gericht wird geprüft, welche Normen heranzuziehen sind und welche Tatsachen bereits feststehen und unstreitig sind.408 Das Gericht kann die Parteien weiter dazu auffordern, ihre Ausführungen in klärungsbedürftigen Punkten zu ergänzen, die Parteien oder Dritte zur Urkundenvorlage verpflichten und behördliche Auskünfte einholen.409 Im Übrigen wird ermittelt, welche Beweismittel zum Beweis etwaiger streitiger Tatsachen zur Verfügung stehen. 410 Dieses vorbereitende Stadium ist damit durch die Aktivität sowohl des Gerichts als auch der Parteien geprägt, so dass der Informationsaustausch anders als beim trial-Modell sowohl der Information der Parteien als auch des Gerichts dient. 411 Ziel dieser Zwischenphase ist es damit, die Hauptverhandlung umfassend vorzubereiten und sicher zu stellen, dass die beteiligten Parteien und das Gericht am Ende dieser Phase denselben Informationsstand erreicht haben. Damit einher geht die Absicht, die Hauptverhandlung zu entzerren, indem nur noch Streitiges und solche Themen Gegenstand der Hauptverhandlung sind, die in dieser Vorbereitungsphase

406

Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 151. Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1007; Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 151. 408 Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201, 225. 409 Vgl. zu diesen vorbereitenden Maßnahmen nach dem deutschen Zivilprozessrecht §§ 142 ff. ZPO und § 273 ZPO. 410 Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1007. 411 Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 151. 407

III. Das Hauptverhandlungsmodell

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durch die verfügbaren Aufklärungsmittel nicht hinreichend geklärt werden konnten.412 Im Unterschied zum italienisch-kanonischen Prozessmodell soll nach dem Hauptverhandlungsmodell die Einheitlichkeit der Zwischenphase nicht durch eine Sequenzierung in einzelne Verfahrensschritte unterbrochen werden. Weiterhin unterscheidet sich die Zwischenphase des Hauptverhandlungsmodells dadurch von jener des italienisch-kanonischen Modells, dass sie nicht unter der Leitung eines Instruktionsrichters klassischer Prägung stattfindet. Die Interimsphase zeigt sich damit als Kumulation verschiedener Aspekte des italienisch-kanonischen Prozessmodells und des U.S.-amerikanischen trial-Modells und versucht, durch die Kombination eine größtmögliche Effizienz der Vorbereitungsphase zu erreichen. Letztlich erreicht man damit bei einer optimalen Durchführung der Interimsphase auch eine Effizienzsteigerung im Hinblick auf die Hauptverhandlung. c) Endphase Kernstück und Namensgeber des Hauptverhandlungsmodells ist die in der Endphase des Verfahrens stattfindende Hauptverhandlung. Hierin werden die Ergebnisse präsentiert, die in der Vorbereitungsphase von den Parteien und dem Gericht ermittelt werden konnten.413 Die Parteien stellen zu Beginn der Hauptverhandlung ihre Anträge. Über solche Tatsachen, die zwischen den Parteien auch nach der Vorbereitungsphase noch streitig sind, wird in der Hauptverhandlung Beweis erhoben.414 Mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme sollen damit in der Hauptverhandlung in einem Termin zusammenfallen und auch in diesem Termin erledigt werden. Anders als nach dem italienisch-kanonischen Prozessmodell ist der die Vorbereitungsphase leitende Richter und der letztlich entscheidende Richter in Umsetzung weitgehendster Unmittelbarkeit bis auf wenige gesetzlich begrenzte Fälle personenidentisch.415 Insbesondere bei Zeugenaussagen, bei denen der persönliche Eindruck des Aussagenden für den Richter bei der Bewertung von erheblicher Bedeutung ist, wirkt sich dies positiv auf die Beweisergebnisse aus. Auf diese Weise wird eine optimale Auswertung und effektive Nutzung der gewonnenen Beweismittel erreicht. Eine Fernwirkung auf die effektive Durchsetzung des materiellen Rechts wohnt dem Grundsatz der Unmittelbarkeit damit ebenfalls inne. Beweisregeln wie im frühen italienisch-kanonischen Prozess oder im trial-Modell existieren hier bis auf wenige abschließend geregelte Fälle nicht; vielmehr steht dem Richter insoweit

412

Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 151. Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1007. 414 Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 151. 415 Stürner/Kern, in: Gedächtnisschrift für Halûk Konuralp, S. 997, 1007. 413

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Kapitel 1: Die Prozessmodelle

freies richterliches Ermessen zu. Nach Abschluss der Beweisaufnahme ergeht dann unter Würdigung der Ergebnisse der Beweisaufnahme ein Urteil.

Kapitel 2

Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells Zum Ende des 20. Jahrhunderts befand sich die Entwicklung des Zivilprozessrechts auf verschiedenen Kontinenten im Fluss. Neben der Reformierung einzelner nationaler Prozessrechte kam es auch zu einer bemerkenswerten Aktivität unterschiedlicher Institutionen, welche sich der Schaffung von Modellgesetzen auf dem Gebiet des Zivilprozesses widmeten. Hierbei lag der Schwerpunkt der Arbeiten zumeist auf der Entwicklung eines Verfahrensablaufs, welcher einen effizienten und sachangemessen Rechtsschutz gewähren kann und dabei die Rechtspositionen von Kläger und Beklagtem gleichermaßen berücksichtigt, ohne erhebliche Verfahrenskosten und eine lange Verfahrensdauer zur Folge zu haben. Im Folgenden sollen daher die Regelungen zum Verfahrensablauf in England, Spanien und Uruguay sowohl vor als auch nach der jeweiligen Reform mit Blick auf das dem Verfahren zugrunde liegende Prozessmodell untersucht werden. Nähere Betrachtung finden zudem der Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica sowie die Principles of Transnational Civil Procedure. Im Fokus der Untersuchung soll dabei stehen, ob den genannten Regelwerken im Hinblick auf den Verfahrensablauf eine ähnliche Konzeption und damit möglicherweise dasselbe Prozessmodell zugrunde liegen.

I. Der Zivilprozess in Spanien I. Der Zivilprozess in Spanien

1. Die Ursprünge des spanischen Zivilprozesses und seine Ausgestaltung in der Ley de Enjuiciamiento Civil von 1881 a) Die Wurzeln des spanischen Zivilprozesses Als verschiedene Städte im 11. Jahrhundert das Recht erhielten, Lokalrechte zu erlassen, die neben der Kompetenz zur Selbstverwaltung auch die Ermächtigung zur Regelung der Justiz umfassten, wurde die Rechtsentwicklung stark durch germanisches Rechtsdenken beeinflusst. 1 Damit teilt die Entstehung des spanischen Zivilprozesses die Entstehungsgeschichte des italienisch-kanonischen Modells, welches ebenfalls in seinen Grundlagen germanischem Einfluss

1

Hierzu Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 22−28.

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

ausgesetzt war. In der Folgezeit sicherte der Adel die Beibehaltung seiner Privilegien durch große Einflussnahme auf die Rechtssetzung seiner Zeit. Im Zuge dieser Entwicklung verschwanden germanische Elemente im Zivilprozess immer mehr und der 1255 erlassene Fuero Real sollte neben seiner Geltung für Rechtsstreitigkeiten vor dem königlichen Gericht für die zahlreichen divergierenden Lokalrechte ein einheitliches Fundament bilden. 2 Diese Vereinheitlichungsbestrebungen wurden mit dem Erlass der Siete Partidas 1265 weiter vorangetrieben und hoben die Rechtsentwicklung Spaniens auf dem Gebiet des Zivilprozesses auf eine neue Ebene, indem das mittlerweile ausgereifte italienisch-kanonische Recht rezipiert wurde. 3 Hintergrund dieser Rezeption war jedoch weniger das Interesse, die funktionalen Vorteile, die dem italienisch-kanonischen Recht damals zugeschrieben wurden, zu nutzen; vielmehr erfolgte diese Rezeption aus politischen Gründen, da der damals herrschende König Alfons X. sich auf diese Weise Vorteile bei seiner Bewerbung um die Kaiserkrone verschaffen wollte. 4 Auch wenn diese Rezeption nicht um des Rechts willen erfolgte, so führte sie doch zu einer nachhaltigen Prägung des spanischen Zivilprozesses, deren Auswirkungen bis in die Neuzeit reichen. Infolgedessen überrascht es nicht, dass die Siete Partidas als bedeutsamstes Gesetzeswerk des romanistischen Rechtsdenkens angesehen werden.5 Dies dürfte nicht zuletzt auch darauf zurück zu führen sein, dass der spanische Gesetzgeber das italienisch-kanonische Verfahrensrecht ohne größere Neuerungen übernahm.6 Dadurch, dass der spanische Zivilprozess auch in der Folgezeit im Hinblick auf den Verfahrensablauf keinen wesentlichen Änderungen unterlag, sondern die durch die Siete Partidas vorgegebene Struktur bis ins 19. Jahrhundert bestehen blieb, werden für die Analyse der Verfahrensstruktur die Regelungen der Siete Partidas zugrunde gelegt. Das Verfahren zeichnete sich dadurch aus, dass ihm eine strikte Reihenfolge von Verfahrensabschnitten zugrunde lag, über die die Parteien nicht disponieren konnten.7 Im Einklang mit diesem für den italienisch-kanonischen Prozess typischen Reihenfolgeprinzip standen die für die einzelnen Verfahrensabschnitte geltenden Präklusionsvorschriften, um durch diese ein verzögertes 2

Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 32. Van Kleffens, Hispanic Law until the end of the Middle Ages, S. 171, 174 f.; Tomás y Valiente, Manual de historia del derecho español, S. 240; Miras, ZEuP 1995, 242, 242. 4 Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 39; Rauchhaupt, Geschichte der spanischen Gesetzesquellen, S. 114. 5 Van Caenegem, in: International Encyclopedia of Comparative Law, Vol. XVI, Chapter 2, S. 41, der die Siete Partidas als “the most important medieval monument of romanistic legislation” bezeichnet; Tomás y Valiente, Manual de historia del derecho español, S. 241, der die Siete Partidas als „la obra más famosa de la historia de los Derechos hispánicos“ und damit als das berühmteste Werk der spanischgeprägten Rechte betitelt. 6 Miras, ZEuP 1995, 242, 242. 7 Pallares, Derecho Procesal Civil, S. 41. 3

I. Der Zivilprozess in Spanien

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Vorbringen aus taktischen Gründen zu unterbinden.8 In vollumfänglicher Umsetzung der Parteiherrschaft und der für den italienisch-kanonischen Prozess typischen Passivität des Richters war ein Übergang des einen Verfahrensstadiums in das folgende Stadium nur durch den gemeinsamen Antrag beider Parteien möglich.9 Lediglich im Streitfall oblag dem Richter die Entscheidung über den weiteren Fortgang des Verfahrens. 10 Das Verfahren wurde in der Regel durch eine schriftliche Klage eingeleitet. Eine Klage in mündlicher Form war unter Einhaltung der im Gesetz genannten Anforderungen in formeller und inhaltlicher Hinsicht jedoch ebenfalls möglich (3/2/40).11 Die für die Begründung der Rechtshängigkeit erforderliche Annahme der Klage durch den Beklagten, die ebenfalls ein wesentliches Merkmal des italienisch-kanonischen Prozesses und notwendiges Element für den Fortgang des Prozesses war, fand sich in abgewandelter, aber dennoch vergleichbarer schriftlicher und inhaltlicher Form auch im frühen spanischen Prozess wieder (3/3/7). 12 Für dilatorische Einreden galt die Eventualmaxime, so dass ihre Geltendmachung zwingend in der Klageerwiderung notwendig war und ein erstmaliges Vorbringen in darauffolgenden Verfahrensabschnitten präkludiert war (3/3/9). Die sich daran anschließende Verhandlung konnte sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen, 13 wobei sich insbesondere im Anwaltsprozess schnell ein durchweg schriftliches Verfahren durchsetzte. 14 Unabhängig davon, ob eine mündliche Verhandlung stattfand, ist jedoch ein Übergewicht der Schriftlichkeit zu konstatieren, die für den italienisch-kanonischen Prozess bezeichnend war,15 da alle Äußerungen und damit das gesamte Verfahren schriftlich protokolliert wurden. Allerdings wird angenommen, dass entgegen des klassischen italienisch-kanonischen Modells, welches ein Urteil nur auf Grundlage der in den Akten enthaltenen Tatsachen erlaubte, 16 ein Urteil, das auf andere Tatsachen gestützt wurde, nicht automatisch nichtig war.

8

Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 47. Lalinde Abadía, Derecho histórico español, S. 542; Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 47. 10 Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 47. 11 Die Zitierweise folgt dem Muster (Buch/Titel/Nummer). Parsons Scott/Burns, Las Siete Partidas, Vol. III, S. 553. 12 Parsons Scott/Burns, Las Siete Partidas, Vol. III, S. 562. 13 Vgl. hierzu (3/6/7) der Siete Partidas, der die Art und Weise einer Äußerung vor Gericht festlegte. 14 Hevia de Bolaños, Curia Philipica, Band 1, S. 62; Pallares, Derecho Procesal Civil, S. 41. 15 Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 46; Piekenbrock, Der italienische Zivilprozeß im europäischen Umfeld, S. 34. Speziell zum spanischen Prozess Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 51. 16 Quod non est in actis, non est in mundo, vgl. hierzu Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, S. 21. 9

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

Dies wird insbesondere damit begründet, dass dieser klassische italienisch-kanonische Rechtsgrundsatz keinen Niederschlag in den Siete Partidas gefunden hatte und daraus auf eine Abkehr von diesem Grundsatz geschlossen werden kann.17 Eine weitere Modifikation des italienisch-kanonischen Prozessmodells findet sich zumindest in der gesetzlichen Ausgestaltung auch im Umgang mit dem Prinzip der Unmittelbarkeit. Während im italienisch-kanonischen Recht die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme keine Umsetzung erfuhr, verlangte 3/4/7 der Siete Partidas, dass der erkennende und der entscheidende Richter personenidentisch sind. Für den Fall, dass für einen Verfahrensabschnitt eine Ersatzperson bestellt werden musste, ging zur Sicherung des Unmittelbarkeitsprinzips auch die Entscheidungsgewalt auf diese über. 18 Im Schrifttum wird jedoch der Eindruck erweckt, dass diese Befürwortung der Unmittelbarkeit eher theoretischer Natur war, da in der Praxis die Delegierung von Zeugenvernehmungen auf den Gerichtsschreiber durchaus für zulässig erachtet wurde. 19 Im Rahmen der Zeugenvernehmung wird die Umsetzung eines weiteren Elements des italienisch-kanonischen Prozesses offenbar: Der Beweiswert einer Zeugenaussage war an die Anzahl der Personen geknüpft, die eine Aussage zu einer in Streit stehenden Tatsache machten (3/16/32). Diese Bindung der Beweiswürdigung an Beweisregeln war in nahezu identischer Umsetzung auch Teil des römischen Verfahrens. Die freie richterliche Beweiswürdigung war damit bis auf wenige Fälle weitgehend eingeschränkt. Zwar wurde die richterliche Vermutung beziehungsweise Überzeugung als Beweismittel anerkannt, sie kam jedoch nur in wenigen Fällen subsidiär zum Tragen,20 wenn der Beweis nicht durch andere Beweismittel erbracht werden konnte. 21 Auch hier wird die dem italienisch-kanonischen Prozessmodell zugrunde liegende passive Ausgestaltung des Richteramts offenkundig, die in erster Linie die Sicherung der Qualität der Rechtsprechung sowie die Bewahrung vor richterlicher Willkür beabsichtigte. 22 Mit Erlass des Ordenamiento de Alcalá, der neben der Rangordnung der Gesetze auch Ergänzungen bezüglich anderer Gesetze enthielt, wurde die Regelung, dass Zwischenurteile beispielsweise über streitige Einreden nicht isoliert anfechtbar waren, aufgehoben und ihre Anfechtbarkeit eingeführt.23 Damit war die Annäherung an den klassischen italienisch-kanonischen Prozess nahezu in 17

Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 51. Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 52; Parsons Scott/Burns, Las Siete Partidas, Vol. III, S. 574. 19 Hevia de Bolaños, Curia Philipica, Band 1, S. 87. 20 Scholz, in: Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III/2, S. 2403, 2407. 21 Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 56. 22 Gallego Morell, Revista de derecho procesal iberoamericana 1980, 353, 358. 23 Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 66. 18

I. Der Zivilprozess in Spanien

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allen Bereichen vollzogen. Allerdings wurden damit nicht nur positive und zu jener Zeit moderne Aspekte des Prozesses übernommen; vielmehr gingen mit der Einführung der isolierten Anfechtbarkeit von Zwischenurteilen auch längere Prozessdauern einher. Dies erscheint insofern widersprüchlich, als dass der Ordenamiento de Alcalá auch Vorschriften zur Eindämmung ausufernder Prozesse enthalten 24 und damit zumindest im Grundsatz eine Verfahrensbeschleunigung beabsichtigt hatte. Das Verfahren nach den Siete Partidas sowie deren Modifikation durch den Ordenamiento de Alcalá zeigt damit in weiten Teilen eine Übereinstimmung mit dem klassischen italienisch-kanonischen Prozess. 25 In der Zusammenschau der gesetzlichen Regelungen und der zum Teil dem Gesetz widersprechenden Praxis bildete sich in der Gerichtspraxis ein Abbild des klassischen italienischkanonischen Verfahrens heraus. Im Schrifttum wird dieser Prozess auch als Kopie des italienisch-kanonischen Prozessmodells bezeichnet. 26 b) Die Instrucción del Procedimiento Civil von 1853 als Abkehr vom italienisch-kanonischen Modell? Zwar unterlag das Prozessrecht auch in der Folgezeit zahlreichen Änderungen und Reformen,27 doch bildeten die Siete Partidas immer den Ausgangspunkt für Veränderungen. Die Reformen führten lediglich zu kleineren Veränderungen abseits der Verfahrensstruktur, so dass die Struktur des italienisch-kanonischen Prozessmodells im Grundsatz beibehalten wurde. Den Befürwortern des italienisch-kanonischen Prozesses, die dessen Formalismus als Garant gegen richterliche Willkür sahen, traten vermehrt Kritiker gegenüber, die den formalistischen Ablauf des Verfahrens eher als Ursprung langwieriger, teurer und umständlicher Prozesse entlarvten.28 Dabei standen insbesondere die Passivität der Richterrolle, der in der Praxis zu erkennende

24

Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 66. So Stürner, in: Festschrift für Walter Gerhardt, S. 967, 969. 26 Van Caenegem, in: International Encyclopedia of Comparative Law, Band XVI, Chapter 2, S. 40 f.; Unger, Römisches und nationales Recht, S. 75; Fairén Guillén, Temas del ordenamiento procesal, Band 1, S. 29. Vgl. die Darstellung bei Becerra Bautista, El Proceso civil en México, S. 242. Anders und ohne nähere Ausführungen Miguel y Alonso, in: Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlung auf andere Rechtsordnungen, S. 338, 347, der den Einfluss des gemeinen römischen Prozesses auf die Gestaltung der Siete Partidas als nicht so groß ansieht und größeres Augenmerk auf nationale Charakteristika legt, die die Siete Partidas mitgestaltet haben sollen. 27 Zu den einzelnen Änderungen und Reformen siehe die Darstellung bei Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 67 ff. Zu erwähnen sind insbesondere die Ordenanzas Reales de Castilla 1484, die Nueva Recopilacíon 1567 und die Novísima Recopilacíon 1805. 28 Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 87. 25

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

Bruch mit dem Unmittelbarkeitsprinzip sowie die Zurückdrängung der Mündlichkeit im Fokus der Kritik.29 Die Instrucción del Procedimiento Civil von 1853 nahm sich eben dieser Kritik an und stärkte die Macht des Richters in Bezug auf die Verfahrenslenkung (Art. 57). Ferner versuchte sie, eine Verfahrensbeschleunigung durch die Einführung der Eventualmaxime hinsichtlich aller Einreden sowie durch den Ausschluss von Fristverlängerungen zu erreichen.30 Eine strikte Einhaltung des Unmittelbarkeitsprinzips sollte ebenfalls zur Verbesserung der prozessualen Verhältnisse beitragen. 31 Außerdem sollte mehr Transparenz geschaffen und das Öffentlichkeitsprinzip eingeführt werden.32 Diese Veränderungen stellten eine Abkehr von Grundprinzipien des italienisch-kanonischen Prozesses dar und hatten das Potential, die eingefahrenen Bahnen des spanischen Zivilprozessrechts im Einklang mit den Entwicklungen anderer europäischer Staaten zu verlassen. Allerdings erstarkten die Befürworter der italienisch-kanonischen Verfahrenselemente erneut. Die eingeführten Änderungen wurden recht schnell Gegenstand kontroverser Diskussionen; man sah in ihnen sogar eine Gefahr für die Qualität der Rechtsprechung, da beschleunigten Verfahren eine höhere Fehlerquote innewohne 33 und zudem die Stärkung richterlicher Macht staatlichem Paternalismus gleichkomme. 34 Insbesondere die einflussreichen Anwaltskammern sahen in dieser großen Veränderung eine Gefährdung ihrer Standesinteressen und kritisierten das neue Gesetz heftig. 35 Nach politischen Veränderungen, die zum Machtverlust der Regierung führten, die die Instrucción del Procedimiento Civil eingeführt hatte, wurden die Veränderungen, die hin zu einem effizienten und vor allem modernen Prozess hatten führen sollen, bereits 1854 wieder abgeschafft. Folglich erlangten der zuvor geltende Zustand und damit ein Prozessrecht in nahezu vollständiger Umsetzung des italienisch-kanonischen Modells wieder Geltung. Eine Abkehr von alten Prinzipien konnte die Instrucción del Procedimiento Civil damit nicht erreichen.

29

Hevia de Bolaños, Curia Philipica, Band, 1 S. 87; Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 88. 30 Lasso Gaite, Crónica de la Codificación española, Vol. 1 Procedimiento Civil, S. 49. 31 Miguel y Alonso, in: Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlung auf andere Rechtsordnungen, S. 338, 348. 32 Miras, ZEuP 1995, 242, 243. 33 Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 101. 34 Miguel y Romero/Miguel y Alonso, Derecho procesal práctico, Band 1, S. 24. 35 Miras, ZEuP 1995, 242, 244; Scholz, in: Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III/2, S. 2403, 2407.

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c) Die Ley de Enjuiciamiento Civil von 1855 und ihre Modifizierung 1881 Als Reaktion auf diese Zerrissenheit bezüglich grundlegender Fragen des Verfahrensrechts trat 1856 die Ley de Enjuiciamiento Civil als Prozessordnung in Kraft, die abschließend und einheitlich das spanische Zivilprozessrecht regelte. 36 Im Verhältnis zu den modernen Gedanken, die in der Instrucción del Procedimiento Civil wenige Jahre zuvor niedergeschrieben worden waren, erscheint die Ley de Enjuiciamiento Civil 1856 allerdings erneut als Rückschritt. Es wurde nämlich ausdrücklich an dem mittlerweile problemträchtigen italienisch-kanonischen Prozessmodell festgehalten. Deutlich wird dies in dem der Ley de Enjuiciamiento Civil 1856 vorhergehenden Grundlagengesetz (Ley de Bases), welches zuvörderst festlegte, dass „die Hauptregeln der Verfahren, wie sie in unserem überlieferten Recht gegolten haben, (…) in ihrer ganzen Reinheit wiederbelebt werden [sollen]. (…)“. 37 Folglich stellte sich die Ley de Enjuiciamiento Civil von 1856 nur als Modernisierung des bis dato geltenden Rechts dar, welches sich aus den Siete Partidas und deren Ergänzungen zusammensetzte. 38 Ein Wandel in der Behandlung grundlegender Fragen der Verfahrensgestaltung ging damit nicht einher. Vorsichtige Neuerungen gab es lediglich auf dem Gebiet der Beweiswürdigung, wo eine Stärkung der freien richterlichen Beweiswürdigung zu erkennen war und Beweisregeln, die den Beweiswert einer Aussage anhand der Anzahl der Personen bestimmten, die diese bestätigten, zurückgedrängt wurden. 39 Aber auch hier erfolgte keine vollständige Abkehr von den alten Strukturen; vielmehr bestand für die Parteien weiter die Möglichkeit, Zeugen zusätzlich zu gesetzlich geregelten Ausschlussgründen als befangen auszuschließen. Diese Befugnis konterkarierte im Grunde die vollständige Umsetzung des Grundsatzes freier richterlicher Beweiswürdigung.40 Eine leichte Stärkung der richterlichen Macht im Vergleich zu den bestehenden Regelungen jener Zeit kann darin gesehen werden, dass der Richter ohne Antrag der Parteien bei einer unbefriedigenden Beweisaufnahme in engen Grenzen eigene Ermittlungen vornehmen konnte. 41 Die Ley de Enjuiciamiento Civil 1856 ließ im Ergebnis die revolutionären Ideen der Instrucción del Procedimiento Civil völlig außer Betracht und setzte die italienisch-kanonische Tradition des spanischen Zivilprozessrechts trotz der damit einhergegangenen Missstände fort. Folglich schrieb sie erneut einen

36 Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 103; Scholz, in: Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III/2, S. 2403, 2415. 37 Vgl. Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 104. 38 Miguel y Alonso, in: Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlung auf andere Rechtsordnungen, S. 338, 349. 39 Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 109. 40 Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 109. 41 Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 110.

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streng formalistischen Prozess fest, der zahlreiche Verschleppungsmöglichkeiten enthielt und damit für die dringendsten Probleme des spanischen Zivilprozessrechts wie beispielsweise die hohen Verfahrenskosten und die lange Verfahrensdauer 42 keine Lösungen anbieten konnte. Diese Entwicklung, die einen Widerstreit zweier konträrer Auffassungen bezüglich einer effizienten Gestaltung des Verfahrensrechts offenbarte, macht deutlich, dass schon recht früh vereinzelt ein Rechtsdenken in Spanien vorhanden war, welches mit jenem vergleichbar war, das in Deutschland schließlich zur Begründung des Hauptverhandlungsmodells geführt hatte. Allerdings scheint es, dass Spanien für eine derartige Neuordnung im Wege der Durchbrechung alter Muster und Implementierung neuer, moderner Verfahrensgrundsätze zu dieser Zeit noch nicht bereit war, sondern aus Furcht vor der Wirkung neuer Ideen Altbewährtes trotz der negativen Begleiterscheinungen konservierte. Auch die im Jahre 1881 nachfolgende Reform der Ley de Enjuiciamiento Civil änderte an dem geltenden Verfahrensmodell nichts, 43 da erneut das geltende italienisch-kanonische Verfahrensrecht als Ausgangspunkt für neue Regelungen im zugehörigen Grundlagengesetz festgelegt wurde. 44 Auch für die damalige Zeit war das Gesetz bereits veraltet; neue, sich mittlerweile in Kontinentaleuropa durchsetzende Rechtsgedanken griff es nicht auf, sondern verharrte in seinen eingefahrenen Strukturen. 45 Folge hiervon war, dass die Parteiherrschaft im gesamten Verfahren weiterhin im Vordergrund stand und die damit einhergehende passive Stellung des Richters aufrechterhalten wurde. Eine noch weitergehende Hinwendung zum italienisch-kanonischen Verfahren fand sogar im Hinblick auf die Schriftlichkeit des Verfahrens statt, da nun für alle prozessualen Handlungen die Schriftform verpflichtend eingeführt wurde 46 und der italienisch-kanonische Grundsatz „Quod non est in actis, non est in mundo“ damit entgegen früherer Reformen volle Umsetzung erfuhr. Dies erscheint insbesondere vor dem Hintergrund, dass die überzogene Schriftlichkeit 47 des Verfahrens unter anderem Gegenstand von Kritik war, die schließlich die Einsetzung einer Kommission zur Ausarbeitung der Reform 1881 veranlasste, nicht nachvollziehbar und wenig überzeugend. Auch im Hinblick auf 42 Scholz, in: Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III/2, S. 2403, 2407. 43 Giménez, in: Civil Justice in Crisis, S. 385, 388. 44 Miguel y Alonso, in: Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlung auf andere Rechtsordnungen, S. 338, 349; Miguel y Romero/Miguel y Alonso, Derecho Procesal Practico, S. 25; Scholz, in: Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III/2, S. 2403, 2419. 45 Hierzu Giménez, in: Civil Justice in Crisis, S. 385, 388. 46 Art. 248 Ley de Enjuiciamiento Civil 1881. 47 Scholz, in: Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III/2, S. 2403, 2419.

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die Umsetzung des Prinzips der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme blieb es bei der damals gegenwärtigen Situation, dass die gesetzliche Intention und Regelung zwar die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verlangte, die praktische Umsetzung jedoch die Mittelbarkeit hervorbrachte, indem Hilfspersonen Prozesshandlungen und Zeugenaussagen entgegen der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung in Art. 254 2 entgegennahmen.48 In Kombination mit der 1855 eingeführten freien richterlichen Beweiswürdigung erscheint diese Praxis jedoch insofern problematisch, als eine freie Beweiswürdigung beispielsweise bezüglich einer Zeugenaussage nur dann wirklich sinnvoll erscheint, wenn der Richter selbst einen unmittelbaren Eindruck von der aussagenden Person gewinnen konnte. 49 Der Bruch mit der gesetzlichen Vorgabe führte damit zu einer deutlichen Schmälerung der Errungenschaften der freien richterlichen Beweiswürdigung im Hinblick auf die Wahrheitsfindung. Ferner blieben auch die strikte Einteilung des Verfahrens in Abschnitte und die damit verbundenen Präklusionsregeln als prägendste Merkmale des italienisch-kanonischen Verfahrensmodells bestehen.50 Mithin wird auch hier deutlich, dass das Verfahrensrecht und der Großteil der spanischen Prozessualisten jener Zeit dem geltenden System sehr verhaftet waren und grundlegenden Reformen überwiegend ablehnend gegenüber standen. Die Einstellung, die sich darin zeigte und die mehr konservierenden als reformierenden Charakter hatte, bremste folglich Bestrebungen aus, die die drängenden Probleme hoher Verfahrenskosten, langer Verfahrensdauer und fehlender Effizienz beheben wollten. Die Lösungen für diese Probleme konnten daher erneut nicht in Gesetzesform gegossen werden. 2. Die prozessuale Entwicklung im 20. Jahrhundert Eine erste bedeutendere Veränderung, die eine Abkehr von einem wesentlichen Prinzip des italienisch-kanonischen Prozesses darstellte, war die Stärkung der richterlichen Leitungsbefugnisse, indem dem Richter nach langer Diskussion mit der Reform 1924 das Recht übertragen wurde, das Verfahren von einem Stadium in das andere ohne Antrag der Parteien überzuleiten. 51 Die Aktivierung des Richters bricht daher mit der Stellung des Richters nach italienischkanonischem Vorbild sowie der sehr ausgeprägten Parteiherrschaft und ermöglicht ihm damit, durch Vorantreiben des Prozesses einer taktischen Prozessverschleppung durch die Parteien entgegenzuwirken. Diese Neuerung stellte einen starken Einschnitt in das sehr von Traditionen und ihrer Bewahrung geprägte

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Miguel y Alonso, Revista de la Facultad de Derecho de México 1984, 101, 115. So auch Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 129. 50 Miguel y Alonso, Revista de la Facultad de Derecho de México 1984, 101, 112. 51 Lasso Gaite, Crónica de la Codificación española, Vol. 1 Procedimiento Civil, S. 228; Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 134. 49

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Zivilprozessrecht Spaniens dar und verhalf trotz zahlreicher kritischer Stimmen moderneren Ansätzen erstmals zum Durchbruch. Diese Hinwendung zu moderneren Prozessformen, wie sie im europäischen Ausland bereits früher stattgefunden hatte, wurde allerdings in den darauffolgenden Reformen nicht weiter verfolgt. Vielmehr wurde innerhalb des bestehenden Prozessrechts durch Reformen, die alle unter den Topoi Vereinfachung und Beschleunigung standen,52 versucht, an einzelnen Stellen nachzubessern, um damit den drängenden Problemen der italienisch-kanonisch geprägten Verfahrenselemente zu begegnen. Der Mut, das Prozesssystem als Ganzes infrage zu stellen, war nicht vorhanden. Dies führte zu einer Art „Flickschusterei“53 ohne nennenswerte Verbesserung der Gesamtsituation. Hier drängt sich der Vergleich mit dem Zögern des deutschen Gesetzgebers auf, welcher ebenfalls durch singuläre Korrekturen versucht hatte, eine Verbesserung der prozessualen Situation herbeizuführen, ehe er sich zu einer Umgestaltung des gesamten Verfahrensablaufs in der Vereinfachungsnovelle entschieden hatte.54 1984 wagte sich der Gesetzgeber einmal mehr daran, die noch immer bestehenden Probleme durch erneute Änderung der Prozessordnung zu beheben. Die wesentlichen Ansatzpunkte für die Modifikationen waren die unterschiedlichen Verfahrensregelungen, die sich an dem Streitwert des Verfahrens orientierten und auf eine Regelung der Nueva Recopilación von 1567 zurückgingen. Diese sah für niedrigere Streitwerte zunächst lediglich ein Prozessieren ohne Bindung an Formalitäten vor. Eine positive Regelung des genauen Verfahrensablaufs wurde erst 1838 getroffen und sah neben der Mündlichkeit, weitreichendere richterliche Leitungsbefugnisse sowie den Abbau von Formalitäten vor. 55 Diese Teilung der Verfahren je nach Streitwerten wurde dahingehend modifiziert, dass das Verfahren bei niedrigeren Streitwerten (juicio de menor cuantía) nun als das übliche Erkenntnisverfahren etabliert werden und damit jenes für höhere Streitwerte ablösen sollte. 56 Grund hierfür war, dass das Verfahren für höhere Streitwerte aufgrund des ihm zugrundeliegenden italienischkanonischen Verfahrensmodells57 und dessen Formalismus träge und ineffizient war und man sich durch eine Verschiebung hin zu dem von Mündlichkeit und geringerer Formbindung geprägten Verfahren für geringe Streitwerte eine Verkürzung der Verfahrensdauer und Senkung der Verfahrenskosten erhoffte. Es muss jedoch berücksichtig werden, dass auch das Verfahren für geringe Streitwerte nur eine Abwandlung des Verfahrens für höhere Streitwerte war 52 Siehe Übersicht bei Lasso Gaite, Crónica de la codificación española, Vol. 1 Procedimiento Civil, S. 323 ff. 53 Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 137. 54 Vgl. Kapitel 1 III 1 b). 55 Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozeßrechts, S. 74, 93 f. 56 Lorca Navarrete, ZZP 99 (1986), 206, 208 ff. 57 Es war ein Nachfahre des solemnis ordo iudiciarius und damit ein direkter Nachfahre des italienisch-kanonischen Prozesses.

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und damit auch dort trotz der Modifikationen noch italienisch-kanonische Elemente vorherrschend waren.58 Das neue Erkenntnisverfahren wurde seinerseits dahingehend geändert, dass nach der schriftlichen Einleitungsphase, die aus Klage und Klageerwiderung bestand, ein mündlicher Termin stattzufinden hatte (comparecencia previa), der in erster Linie das bis zur Reform obligatorische außerprozessuale Schlichtungsverfahren in das Hauptverfahren eingliederte und damit auf gütliche Streitbelegung ausgerichtet war. Diese Eingliederung orientierte sich an der in der österreichischen Zivilprozessordnung vorgesehenen „Ersten Tagsatzung“,59 beruhte aber wohl nicht auf einer erfolgreichen Einführung in Österreich, da die Durchführung zu diesem Zeitpunkt mangels Zweckmäßigkeit bereits nicht mehr obligatorisch war, sondern im Ermessen des Richters stand. 60 Die genannte Änderung sah sich aufgrund dieser Umstände erheblicher Kritik ausgesetzt. Insbesondere wurde darin eine zu starke Entfernung von dem traditionellen Bild des Richters als bloß passiven Beisitzer befürchtet, da der Richter nach der gesetzlichen Intention nun aktiv auf eine einvernehmliche Streitbeilegung zwischen den Parteien hinwirken musste und eine nicht unerhebliche Gefahr des Verlusts von Neutralität durch vorweggenommene rechtliche und tatsächliche Würdigung kritisiert wurde.61 Diese Kritik macht erneut deutlich, wie verhaftet spanische Prozessualisten dem traditionellen italienisch-kanonischen Prozessmodell waren und wie wenig gewillt sie waren, Neues zuzulassen, obwohl die zahlreichen Reformen das Bedürfnis nach Verbesserungen aufgrund ihrer punktuellen Wirkungen nicht befriedigen konnten. Betrachtet man die Verschiebung des außerprozessualen Schlichtungsverfahrens zu einem innerprozessualen und damit richterlich geleiteten Güteverfahren näher, so kann hierin eine Entscheidung zugunsten einer Konzentration des Verfahrens in einer Hauptverhandlung gesehen werden. Dadurch, dass nun Güteverfahren und die mündliche Verhandlung zur Sache unmittelbar aufeinander folgten, wurde die Verfahrensbeschleunigung als Motiv dieser Reform erstmals mit einer für spanische Verhältnisse revolutionären Veränderung umgesetzt. Allerdings blieb der Beweisaufnahme über streitige Tatsachen weiterhin ein eigener Termin vorbehalten, so dass letztlich die Sequenzierung des Verfahrens nach italienisch-kanonischem Vorbild diese kleinen Errungenschaften des spanischen Prozessrechts in den Hintergrund rücken ließ. Da aufgrund der Bindung an die Schriftsätze in der Verhandlung keine neuen Tatsachen mehr eingeführt werden konnten, kann ferner infrage gestellt werden, ob das Verfahren tatsächlich dem Prinzip der Mündlichkeit folgte. Verlangt man für die Annahme, dass ein Verfahren dem Mündlichkeitsprinzip 58

Vgl. hierzu Art. 680 LEC a.F. § 239 ff. ÖZPO a.F. 60 Lorca Navarrete, ZZP 99 (1986), 206, 209. 61 Gonzalez Montes, in: Problemas actuales de la justicia, S. 373, 376. 59

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unterliegt, lediglich die Möglichkeit für jede Partei, sich zu der Streitsache im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu äußern, dann würde das neu eingeführte Verfahren tatsächlich diesem Grundsatz entsprechen. Verlangt man jedoch, dass in Rede und Gegenrede eine dynamische Erörterung des Streitstoffes erfolgt, 62 so erscheint eine volle Bejahung des Mündlichkeitsprinzips zweifelhaft. Da eine Bindung an die in der Klage und Klageerwiderung vorgetragenen Tatsachen bestand und die Möglichkeit zu Replik und Duplik faktisch nicht existierten, war einer fruchtbaren und auf Klärung des Streits gerichteten Diskussion die Dynamik entzogen. Letztlich erschöpfte sich die Verhandlung über die Streitsache in einem Vortrag von Klage und Klageerwiderung, so dass doch eher die Schriftlichkeit im Einklang mit dem italienisch-kanonischen Zivilprozess vorherrschend blieb. 63 Zwar mag man eine Hinwendung zu modernen Ansätzen, die zu jener Zeit bereits in Deutschland in vollem Umfang mit der Vereinfachungsnovelle umgesetzt worden waren, erkennen. Allerdings muss man auch eingestehen, dass diese Reform im Vergleich zu den vorhergehenden Reformen zwar mehr Mut zeigte, aber dieser letztlich für eine Kehrtwende im spanischen Verfahrensrecht nicht ausreichte. 64 Die Reform wurde auch unter spanischen Prozessualisten begrüßt, aber nicht als weitgehend genug angesehen. Das Problem überlanger Verfahrensdauer blieb weiter aktuell. 65 Erstmals erhoben sich Stimmen, die ausdrücklich eine Reform in Anlehnung an die in Deutschland wenige Jahre zuvor umgesetzte Vereinfachungsnovelle forderten. 66 Aufgrund der Erfolge, die das dadurch eingeführte Hauptverhandlungsmodell im Hinblick auf die Verkürzung der Verfahrensdauer und die damit verbundene gesteigerte Effizienz des Verfahrens vorweisen konnte, begann die bewahrende Haltung unter spanischen Rechtswissenschaftlern allmählich zu wanken und das dem spanischen Zivilprozess Jahrhunderte zugrunde liegende italienisch-kanonische Verfahrensmodell wurde erstmals ernsthaft infrage gestellt. 3. Die Reform 2000 als Richtungswechsel im spanischen Zivilprozess? Die durchdringende Kritik an dem bestehenden Prozessrecht, welche eine radikale Reform des Verfahrensablaufs verlangte, führte schließlich im Jahr 2000 zu der bis dato größten und auch mutigsten Reform des spanischen Prozessrechts, 67 die ebenso wie ihre wenig erfolgreichen Vorgängerinnen unter den 62

So Musielak, Grundkurs ZPO, Rn. 107; Leipold, in: Stein/Jonas ZPO, § 128 Rn. 1 ff. So auch Prieto-Castro y Ferrándiz, Derecho procesal civil, S. 255. 64 Giménez, in: Civil Justice in Crisis, S. 385, 388. 65 Vgl. die vom Gesetz intendierten und die tatsächlichen Prozessdauern im Vergleich bei Giménez, in: Civil Justice in Crisis, S. 385, 395. 66 Lorca Navarrete, in: Problemas acutales de la justicia, S. 435, 449; Gómez-Colomer, in: Civil Justice in Spain, S. 3, 17. 67 Alvarez Garcia, in: Exposición de la nueva ley de enjuiciamiento Civil, S. 75. 63

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Topoi der Verfahrensbeschleunigung und Konzentration stand. Wesentliches Ergebnis auf dem Gebiet des Erkenntnisverfahrens war die Reduzierung der zahlreichen Verfahrensarten auf zwei Regelverfahren, den juicio ordinario und den juicio verbal, sowie die strukturelle Modifizierung der jeweiligen Verfahren. Der Anwendungsbereich der Verfahren, der sich im Vergleich zu den bisherigen Regeln nicht mehr ausschließlich nach der Höhe des Streitwertes richtet, sondern auch nach der rechtlichen Qualifizierung des Streitgegenstands, 68 ergibt sich abschließend für den juicio ordinario aus Art. 249 LEC und für den juicio verbal aus Art. 250 LEC. a) Der juicio ordinario, Art. 399 ff. LEC aa) Der Verfahrensablauf Der juicio ordinario wird durch die schriftliche Klage (Art. 399 LEC) und eine darauf ergehende schriftliche Klageerwiderung des Beklagten (Art. 405 LEC) eingeleitet. Als wesentliche Neuerung im Vergleich zu dem vor der Reform geltenden Prozessrecht ist der Kläger nun gesetzlich verpflichtet, alle Tatsachen und rechtlichen Grundlagen vorzutragen, von denen er im Zeitpunkt der Klageerhebung selbst Kenntnis hat. Einem Zurückhalten von Tatsachen aus taktischen Gründen und der damit einhergehenden Prozessverschleppung durch das tröpfchenweise Vorbringen von Tatsachen wird damit Einhalt geboten. Dies stellt einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg hin zu einer verkürzten Verfahrensdauer und einem konzentrierten Verfahren dar. Eine effektive Umsetzung der hier zum Vorschein kommenden Eventualmaxime wird durch die Sanktion des taktierenden Zurückhaltens in einem späteren Prozess durch Ausdehnung der Rechtskraft auf die zurückgehaltenen Tatsachen gewährleistet (Art. 400.2 LEC). 69 Dadurch, dass diese zurückgehaltenen Tatsachen per se nicht von dem im spanischen Recht geltenden zweigliedrigen Streitgegenstand umfasst sind, würde sich die Rechtskraft auch nicht hierauf beziehen. 70 Die explizite Regelung in Art. 400.2 LEC ermöglichte jedoch eine Ausdehnung der Rechtskraft, in der die Intention des Gesetzgebers hinsichtlich der Verfahrensbeschleunigung deutlich zum Ausdruck kommt. Die Klageerwiderung des Beklagten, an die gemäß Art. 405.1 LEC i.V.m. Art. 399 LEC dieselben inhaltlichen Anforderungen zu stellen sind, muss sich umfassend zu den in der Klage vorgetragenen Tatsachen äußern, da nicht bestrittene Tatsachen als zugestanden gelten, Art. 405.2 LEC. Innerhalb von drei Tagen nach Eingang der Klageerwiderung muss ein Vortermin (audiencia previa, Art. 414 LEC) festgelegt werden, der spätestens 68

Ortells Ramos, ZZPInt 5 (2000), 95, 107. Iruzubieto, Comentario a la Ley de Enjuiciamiento Civil, S. 674. 70 Vgl. hierzu ausführlich Gohm, Maßnahmen zur Beschleunigung und Konzentration im neuen spanischen und deutschen Zivilprozess, S. 30 f. 69

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zwanzig Tage nach der Ladung stattfinden muss, Art. 414.1 LEC. Ziel dieses Vortermins ist die einvernehmliche Streitbeilegung durch die Parteien, Art. 415 LEC. 71 Dem Richter wird in diesem Verfahrensabschnitt eine aktive Rolle zugewiesen, indem er die Schlichtung leiten und lenken soll. Wie weitgehend der Richter jedoch auf eine Einigung der Parteien hinwirken darf, wird uneinheitlich beurteilt.72 Allerdings erschöpft sich die Funktion des Vorverfahrens nicht allein in dem Hinwirken auf eine einvernehmliche Streitbeendigung; vielmehr dient der Vortermin auch dazu, die nachfolgende Hauptverhandlung vorzubereiten und den Streitgegenstand herauszuarbeiten, sofern eine Einigung nicht erzielt werden kann. Zu diesem Zweck wird im Anschluss an die gescheiterte Einigung der Vortermin mit der Klärung von prozessualen Rechts- und Zulässigkeitsfragen sowie mit dem Herausarbeiten der zwischen den Parteien streitigen Tatsachen fortgesetzt. 73 Im Anschluss hieran soll laut Gesetzesbegründung erneut ein Einigungsversuch unternommen werden, auf den im Fall seines Scheiterns die Beweisanträge der Parteien sowie die Beweiszulassung durch den Richter folgen (Art. 429.1 LEC). Gemäß Art. 290 1 LEC werden alle Beweise grundsätzlich in einem Verfahrensabschnitt aufgenommen. Werden jedoch Beweise vorgebracht, die aus praktischen Gründen nicht in der Hauptverhandlung erhoben werden können, weil sich das Augenscheinsobjekt beispielsweise nicht am Gerichtsort befindet, so wird die Aufnahme dieses Beweises vor der Hauptverhandlung durchgeführt (Art. 429.4 LEC), damit in der Hauptverhandlung auf die Ergebnisse bei Würdigung der übrigen Beweise zurückgegriffen werden kann. Der Ablauf der Hauptverhandlung, in der das persönliche Erscheinen der Naturalpartei obligatorisch ist (Art. 292.1, 432 LEC) und die innerhalb eines Monats nach Durchführung der audiencia previa stattfinden muss (Art. 429.2 LEC), richtet sich nach Art. 433 LEC. Danach tragen die Parteien ihre Erkenntnisse über die streitigen Tatsachen vor, die sie mit den in der audiencia previa zugelassenen Beweismitteln gewinnen konnten (Art. 433.1 LEC). Hierauf folgt sodann die gerichtliche Beweisaufnahme.74 Nach deren Abschluss halten die Parteivertreter unter Berücksichtigung der in der Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnisse die Schlussvorträge (Art. 433.3 LEC). Die Beweisinitiative liegt bis auf wenige gesetzliche Ausnahmen bei den Parteien; eine vergleichbare Kompetenz zu § 273 ZPO existiert im spanischen Prozessrecht nicht. Die Aktivität des Richters bei der Beweiserhebung beschränkt sich auf

71

Zu der audiencia previa nach neuem Recht instruktiv Barona-Vilar, ZZPInt 5 (2000), 151 ff. 72 Siehe zum Streitstand ausführlich Gohm, Maßnahmen zur Beschleunigung und Konzentration im neuen spanischen und deutschen Zivilprozess, S. 45 f. 73 Barona-Vilar, ZZPInt 5 (2000), 151, 153. 74 Iruzubieta, Comentario a la Ley de Enjuiciamiento Civil, S. 719; Stürner, in: The Future of Transnational Civil Litigation, S. 9, 10.

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die Prüfung der Zulässigkeit des Beweises, den Hinweis an die Parteien, dass das angebotene Beweismittel für die streitige Tatsache nicht ausreicht, um zur Überzeugung des Gerichts zu führen (Art. 429.1 LEC), und darauf, dass das Gericht ergänzende Fragen an Parteien, Zeugen und Sachverständige richten darf (Art. 306.1 2 LEC, Art. 372.2 LEC). 75 Innerhalb von zwanzig Tagen nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergeht dann das Urteil, Art. 434.1 LEC, welches eine erschöpfende Würdigung der einzelnen Beweismittel und der hieraus resultierenden Schlussfolgerungen enthalten muss (Art. 218.2 LEC). 76 bb) Einordnung Der Verfahrensablauf des juicio ordinario kann demnach in drei Phasen eingeteilt werden: Die erste prozesseinleitende Phase zeichnet sich durch die schriftliche Einleitung des Verfahrens durch die Klage und die hierauf erfolgende schriftliche Klageerwiderung des Beklagten aus. Ebenso wie in der Einleitungsphase des Hauptverhandlungsmodells ist hierbei sowohl bei der Klage als auch der Klageerwiderung fact pleading erforderlich, so dass der Beklagte Kenntnis vom Grund der Klage erlangen kann und hierauf in der Klageerwiderung entsprechend reagieren kann. Sowohl der Zwang, alle bekannten Tatsachen in der Klage vorzubringen, als auch die Fiktion des Zugestehens von Tatsachen bei Nichtbestreiten, ist Ausdruck der durch die Reform angestrebten Konzentration und Verfahrensbeschleunigung. Der Vortermin, der auf eine einvernehmliche Streitbeilegung beziehungsweise die Vorbereitung der Hauptverhandlung gerichtet ist, ähnelt in weiten Teilen der Zwischenphase des Hauptverhandlungsmodells: Maßgeblich für beide Verfahrensabschnitte ist es, die Hauptverhandlung soweit vorzubereiten und zu entzerren, dass diese in einem Termin durchgeführt werden kann. Scheitert eine Einigung, so stellt die umfassende Vorbereitung der Hauptverhandlung den Schlüssel zu einem effektiven und konzentrierten Prozess dar.77 Insbesondere in der am Ende stattfindenden Beweiszulassung und der Sondierung, ob alle Beweismittel in der Hauptverhandlung erhoben werden können, wird deutlich, dass die Entscheidung des Falles in einem Haupttermin die Intention des Gesetzgebers war. Die vorgezogene Beweisaufnahme in Bezug auf Beweise, die nicht im Haupttermin erhoben werden können (Art. 429.4 LEC), kann damit als Ausdruck der Abkehr vom Reihenfolgeprinzip des italienischkanonischen Prozessmodells angesehen werden. Die Mündlichkeit der Vorbe-

75

Hierzu siehe Ortells Ramos, ZZPInt 5 (2000), 95, 100 f. Ortells Ramos, ZZPInt 5 (2000), 95, 106. 77 Vgl. Gohm, Maßnahmen zur Beschleunigung und Konzentration im neuen spanischen und deutschen Zivilprozess, S. 43. 76

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reitungsphase stellt zudem eine deutliche Abkehr von dem im spanischen Prozess bis dato vorherrschenden Schriftlichkeitsprinzip dar, welches als Wesensmerkmal des italienisch-kanonischen Prozesses diesen maßgeblich prägte. Die spanische Zivilprozessordnung sieht überdies strenge Fristen vor, innerhalb derer bestimmte Verfahrensabschnitte stattfinden müssen: So muss innerhalb eines Monats nach dem Vortermin die Hauptverhandlung stattfinden (Art. 429.2 LEC) und innerhalb einer Frist von zwanzig Tagen nach Abschluss der Hauptverhandlung ein Urteil ergehen (Art. 434.1 LEC). Dieses starre Fristenkorsett erscheint insbesondere in komplexen Sachverhalten äußerst unflexibel und impraktikabel; 78 mit Blick auf die Prozessgeschichte, die insbesondere durch Prozessverschleppung, lange Verfahrensdauer und hohe Verfahrenskosten geprägt war, sind strikte Fristvorgaben aber wohl erforderlich, um den spanischen Zivilprozess effizienter zu gestalten. In den genannten Normen schlägt sich damit erneut die Grundintention des Gesetzgebers zur Prozessbeschleunigung nieder. Der Wunsch des Gesetzgebers, dass die Hauptverhandlung entsprechend dem Hauptverhandlungsmodell in nur einem Termin abgehalten wird, zeigt sich darüber hinaus auch in den gesetzlich eng begrenzten Möglichkeiten, die Hauptverhandlung zu unterbrechen (Art. 193.1 LEC). Insbesondere Art. 193.1 Nr. 1 LEC, der eine Unterbrechung erlaubt, wenn ein Zwischenstreit aufgrund seiner Komplexität nicht in der Hauptverhandlung entschieden werden kann, macht deutlich, dass der Gesetzgeber grundsätzlich von einer Entscheidung von Zwischenstreitigkeiten in der Hauptverhandlung ausgeht. Dadurch, dass insbesondere abgesonderte Zwischenstreitigkeiten in der Vergangenheit zu einer langen Verfahrensdauer geführt hatten, wird hier der ernsthafte gesetzgeberische Wille deutlich, diesen Mängeln entgegenzutreten. 79 Auch der Regelungsgehalt von Art. 193.3 LEC, welcher bestimmt, dass das Verfahren am nächstmöglichen Termin wieder von vorne begonnen werden muss, wenn es nicht innerhalb von zwanzig Tagen fortgesetzt werden kann, passt sich nahtlos in die neue, von Konzentration und Beschleunigung geprägte Verfahrensordnung ein.80 Eine Regel dieses Inhalts hatte auch Fritz Baur für die Reform des deutschen Verfahrensrechts in Anlehnung an den Strafprozess vorgesehen. 81 Die Orientierung an dem Hauptverhandlungsmodell, seiner Entstehungsgeschichte sowie der Umsetzung in Deutschland treten damit deutlich zutage. Im Rahmen der Beweisaufnahme postulierte die Reform des Prozessrechts erneut das Prinzip der Unmittelbarkeit und verlangte, dass nur der beziehungs-

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Kritisch auch Fröhlingsdorf/Lincke, RIW 2001, 357, 358. Gohm, Maßnahmen zur Beschleunigung und Konzentration im neuen spanischen und deutschen Zivilprozess, S. 57. 80 Iruzubieta, Comentario a la Ley de Enjuiciamiento Civil, S. 385. 81 Vgl. zum gedanklichen Konzept Fritz Baurs Kapitel 1 III 1 c) aa). 79

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weise die Richter das Urteil sprechen dürfen, die dem gesamten Verfahren beigewohnt haben (Art. 137.2 LEC). Diese Forderung für den spanischen Zivilprozess ist nicht neu, sondern existierte in vergleichbarer Form schon in früheren Prozessgesetzen. Allerdings wurden vergleichbare Normen in der Praxis nicht beachtet, mit der Folge, dass die Delegation einzelner Verfahrenshandlungen an andere Gerichtspersonen üblich war. Gerade die Mittelbarkeit beherrschte daher die Praxis und führte zu einer weiteren Verfahrensverzögerung. War nach altem Recht nur die Anwesenheit des Einzelrichters beziehungsweise des Berichterstatters in einem Kollegialgericht zwingend (Art. 254.1 LEC a.F.), so verlangt Art. 137.1 LEC nun die Anwesenheit aller Mitglieder des Gerichts. Um die Regelung der Unmittelbarkeit effektiver zu gestalten und um eine effektive Durchsetzung dieses tragenden Verfahrensprinzips zu gewährleisten, ordnet Art. 137.4 LEC die volle rechtliche Nichtigkeit der Verfahrenshandlung an, die unter Verstoß gegen das Unmittelbarkeitsprinzip vorgenommen wurde. 82 Die Aktivierung des Richters, die sich insbesondere in der Befugnis zeigt, die Parteien auf die mangelnde Beweiskraft eines Beweismittels hinzuweisen und sie auf ein anderes, überzeugenderes Beweismittel zu verweisen, kann als ein weiterer Schritt weg von dem italienisch-kanonischen Modell und der passiven Rolle des dortigen Richters hin zu einer Verfahrensgestaltung in Anlehnung an das Hauptverhandlungsmodell angesehen werden. Im Rahmen des Beweisverfahrens zeigt sich die neue, aktive Rolle des Richters auch darin, dass er gemäß Art. 306.1 2 LEC die Parteien zum Zwecke der Klarstellung und Ergänzung ihres Vortrags befragen kann. Ergänzende und klarstellende Fragen darf er ferner Sachverständigen (Art. 347.2 LEC) sowie Zeugen (Art. 372.2 LEC) stellen. Gemäß Art. 353 ff. LEC kann das Gericht von sich aus Personen und Sachen in Augenschein nehmen. Im Zusammenhang mit der Aktivierung des Richters ist ferner festzuhalten, dass diesen nach der neuen Prozessordnung eine Prozessförderungspflicht durch das Einhalten der gesetzlichen Fristen trifft, so dass sowohl die Parteien als auch der Richter für den konzentrierten äußeren Ablauf verantwortlich sind. Im Grundsatz sieht die LEC damit eine aktive Rolle des Richters vor. Allerdings findet sich keine § 139 I ZPO vergleichbare Normierung einer materiellen Prozessleitungsbefugnis, welche dem Richter auch Hinweise in materieller Hinsicht erlauben würde. Vor einer derart weitgehenden Einflussmöglichkeit schreckte der spanische Gesetzgeber trotz seiner Orientierung an dem Stuttgarter Modell und der darauffolgenden Vereinfachungsnovelle zurück. Im Vergleich zur Rechtslage vor der Reform im Jahr 2000 ist jedoch eine deutliche Aktivierung des spanischen Richters nach der gesetzlichen Intention zu verzeichnen: Waren ihm vor der Reform gar keine aktiven Befugnisse zugewiesen und glich seine Rolle damals eher einem Schiedsrichter, so ist es ihm nach der LEC nun gestattet, den Parteien oder 82

Iruzubieta, Comentario a la Ley de Enjuiciamiento Civil, S. 314.

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Zeugen ergänzende Fragen zu unklarem Vorbringen zu stellen. Art. 429.1 2, 3 LEC, der die Möglichkeit eines richterlichen Hinweises auf die fehlende Überzeugungskraft eines Beweismittels und den Verweis auf ein anderes Beweismittel enthält, darf in seiner Bedeutung für die Richterrolle nicht unterschätzt werden, ist es doch nicht selten die Wahl einzelner Beweismittel, die einen Rechtsstreit in entscheidender Weise beeinflusst. 83 Überdies weist die spanische Zivilprozessordnung dem Richter eine Prozessförderungspflicht zu, welche schon der Sache nach die richterliche Aktivität voraussetzt. Auch in Bezug auf die Stellung des Richters hat sich das spanische Prozessrecht daher zu einer grundlegenden Veränderung entschieden: Der passive Richter italienisch-kanonischer Prägung musste einem aktiven Richter weichen, der für das Hauptverhandlungsmodell ein charakteristisches Element darstellt. Zusammenfassend hat sich das spanische Zivilprozessrecht im juicio ordinario für eine Strukturierung in Anlehnung an das Hauptverhandlungsmodell entschieden. Die Hauptverhandlung wird in das Zentrum des prozessualen Geschehens gerückt und durch eine umfassende Vorbereitung mithilfe des Vortermins eine Erledigung in einem Termin angestrebt. Die Entscheidung für ein einheitliches Behauptungs- und Beweisstadium sowie die erneute Festlegung der Unmittelbarkeit und Sanktionierung eines Verstoßes mit der rechtlichen Nichtigkeit der jeweiligen Verfahrenshandlung markiert ein Abwenden von italienisch-kanonischen Verfahrenselementen. Weiterhin fügt sich die Aktivierung des Richters sowohl im Vorbereitungsstadium als auch in der Hauptverhandlung nahtlos in die Übernahme des Hauptverhandlungsmodells. Dass diese nicht so weitgehend erfolgte wie im deutschen Recht, vermag an der Grundentscheidung des spanischen Gesetzgebers für das Hauptverhandlungsmodell nichts zu ändern. b) Der juicio verbal, Art. 437 ff. LEC aa) Der Verfahrensablauf Der juicio verbal, der in allen Streitsachen bis zu 3 000 € sowie in den in Art. 250 LEC genannten Streitigkeiten Anwendung findet, wird ebenfalls durch eine schriftliche Klage eingeleitet, die den Anforderungen des Art. 437 LEC genügen muss. Anders als im juicio ordinario ist es nicht erforderlich, den streitigen Sachverhalt in der Klage zu umschreiben (Art. 437.1 LEC); vielmehr sind nur der genaue Antrag sowie die Wohnsitze von Kläger und Beklagtem zu nennen, so dass kein fact pleading verlangt wird. Dadurch, dass überhaupt keine Angaben zu dem Sachverhalt zu machen sind, kann damit noch nicht einmal von notice pleading gesprochen werden. Allerdings wird es für möglich gehalten, dass eine Klage, die den Anforderungen des juicio ordinario genügt,

83

Siehe hierzu ausführlich Picò i Junoy, Rev. Dir. Proc. 2003 65, 74 ff.

I. Der Zivilprozess in Spanien

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ebenfalls eine mögliche Form der Klageerhebung im juicio verbal darstellt.84 Anders als im juicio ordinario erfolgt die Klageerwiderung nicht schriftlich. Vielmehr ist der Beklagte gehalten, in der vista, der mündlichen Verhandlung des juicio verbal, mündlich auf die Klage zu antworten. Lediglich die Widerklage muss vor der vista schriftlich erhoben werden (Art. 438.1 LEC). Im Unterschied zum juicio ordinario geht im juicio verbal das Verfahren direkt in den Haupttermin, die vista, über, ohne dass zuvor ein der Schlichtung beziehungsweise der Verfahrensvorbereitung dienender Vortermin stattfindet. Der Haupttermin findet frühestens zehn Tage und spätestens zwanzig Tage nach der Ladung der Parteien statt (Art. 440.1 LEC). In der Ladung werden die Parteien überdies aufgefordert, die Beweismittel, derer sie sich in der Verhandlung bedienen möchten, zum Haupttermin mitzubringen, Art. 440.1 3 LEC. Die vista beginnt mit dem Tatsachenvortrag des Klägers über die Streitsache (Art. 443.1 LEC, Art. 185.2 LEC) sowie der mündlichen Erwiderung des Beklagten (Art. 443.2 LEC, Art. 185.2 LEC). Dem folgt die Klärung verfahrensrechtlicher Fragen. Im Anschluss daran bieten die Parteien Beweise für die herausgearbeiteten streitigen Tatsachenbehauptungen an, deren Aufnahme sofort durchgeführt wird, sofern sie vom Gericht nicht als unzulässig abgewiesen werden. Mithin sind die Parteien im juicio verbal verpflichtet, alle Beweismittel zum Haupttermin mitzubringen. Uneinigkeit herrscht im Schrifttum hinsichtlich der Frage, wie bei nicht sofort aufnehmbaren Beweisen zu verfahren ist.85 Widerstreitend stehen sich in diesem Zusammenhang die Forderung nach Konzentration des Verfahrens sowie die Forderung nach umfassender Aufklärung streitiger Themenkomplexe gegenüber. Während Einigkeit besteht, dass das Beweismittel aufgenommen werden muss, wird diskutiert, ob zu diesem Zweck eine Unterbrechung nach Art. 193 LEC stattfinden soll, ein weiterer Termin nach Art. 184.1 LEC angesetzt werden soll oder ob die Aufnahme dieses Beweises in der zweiten Instanz erfolgen soll. Letzteres würde eine erhebliche Beeinträchtigung des verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf rechtliches Gehör darstellen, so dass die erstgenannte Auffassung aufgrund der im Vergleich zu Art. 184.1 LEC größeren Zeitspanne wegen ihrer Praktikabilität überwiegend für vorzugswürdig erachtet wird. Im Anschluss an die Beweisaufnahme, für die gem. Art. 443.4 LEC ebenfalls die Hinweispflicht des Gerichts aus Art. 429.1 LEC gilt, erhalten die Parteien das Wort für ihre Schlussanträge (Art. 185.4 LEC). Eine Unterbrechung der vista ist im Normalfall nicht vorgesehen, sondern nur in eng begrenzten

84

Vgl. hierzu m.w.N. Gohm, Maßnahmen zur Beschleunigung und Konzentration im neuen spanischen und deutschen Zivilprozess, S. 81; Manzanares, in: Civil Justice in Spain, S. 77, 84. 85 Zum Streitstand siehe Gohm, Maßnahmen zur Beschleunigung und Konzentration im neuen spanischen und deutschen Zivilprozess, S. 91 f.

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

Ausnahmefällen möglich (Art. 193 LEC). Gemäß Art. 447.1 LEC muss das Urteil sodann innerhalb von zehn Tagen verkündet werden. bb) Einordnung Das Verfahren des juicio verbal zeichnet sich im Wesentlichen in einem Abbau der Förmlichkeiten aus. Bereits die Einleitungsphase stützt diese These, indem die Klage lediglich sehr geringen Anforderungen genügen muss, eine Sachverhaltsschilderung in diesem Verfahrensstadium nicht erforderlich ist und die Klageerwiderung mündlich in der Verhandlung erfolgt. Auch das Fehlen der audiencia previa und die daraus resultierende Verkürzung des Verfahrensablaufs fügt sich hier nahtlos ein. Diese Verkürzung bringt zwangsläufig auch Modifikationen im Hinblick auf die Beweisaufnahme mit sich. Die Verfahrensregelungen machen jedoch trotz der Modifikationen deutlich, dass der Gesetzgeber die Struktur des Hauptverhandlungsmodells zugrunde gelegt hat: Dadurch, dass kein Vortermin stattfindet, konzentriert sich das gesamte prozessuale Geschehen in der vista, die nur in wenigen, gesetzlich abschließend geregelten Ausnahmefällen unterbrochen und in einem anderen Termin fortgesetzt werden kann. Die Tatsache, dass das Gesetz dem Beklagten untersagt, Angriffs- und Verteidigungsmittel schon vor dem Haupttermin vorzubringen, sowie das Fehlen der audiencia previa verdeutlicht die Konzentration auf den Haupttermin besonders.86 Das Entfallen des Vortermins bedeutet auch nicht gleichzeitig das Entfallen einer Zwischenphase des Verfahrens. Vielmehr findet die Zwischenphase ohne gerichtliche Beteiligung dergestalt statt, dass die Parteien die ihre Anträge stützenden Beweismittel zusammentragen. Auch wenn hier eine Ähnlichkeit zum U.S.-amerikanischen trial-Modell aufscheinen mag, so dürfte die Vergleichbarkeit der Zwischenphasen doch bereits mit der fehlenden Beteiligung des Gerichts als einzige Übereinstimmung enden. Eine umfassende Vorbereitung der Hauptverhandlung nach dem Konzept des Hauptverhandlungsmodells muss jedoch mit Blick darauf verneint werden, dass der Beklagte erst in der vista auf die Klage erwidert und zudem eine umfassende Vorbereitung des Gerichts in Bezug auf die Kenntnis der vorhandenen Beweismittel nicht gegeben ist. Allerdings darf dieser Gedanke bei der Frage nach dem zugrunde liegenden Verfahrensablauf nicht allzu schwer wiegen, ist die Verkürzung und Modifikation des Verfahrensablaufs der Regelung eines vereinfachten Verfahrens doch immanent. Nichtsdestotrotz lässt sich die gesetzgeberische Intention, das prozessuale Geschehen in einem Termin zu konzentrieren, den Vorschriften sowie beispielsweise der Diskussion um die Aufnahme zusätzlicher Beweise entnehmen. Die kurzen Fristen, die auch dem juicio ordinario eine äußere Struktur geben sollen, finden sich in angepasster 86

Gohm, Maßnahmen zur Beschleunigung und Konzentration im neuen spanischen und deutschen Zivilprozess, S. 86.

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Form auch beim juicio verbal (vgl. Art. 447.1 LEC). Sie setzen damit auch den Beschleunigungs- und Effizienzgedanken der Reform um. c) Zwischenfazit Durch die Reform des Zivilprozessrechts im Jahr 2000 hat sich tatsächlich ein Richtungswechsel im spanischen Zivilprozessrecht vollzogen, der die Bezeichnung eines „rechtlichen Meilensteins im Spanien des 20. Jahrhunderts“87 verdient hat. Das schwerfällige italienisch-kanonische Verfahrensmodell musste dem Hauptverhandlungsmodell mit seinen Verfahrensprinzipien von Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Konzentration weichen, so dass in den grundlegenden Fragen des Verfahrensrechts eine radikale Neuorientierung vorgenommen wurde.88 Die Umsetzung dieser Prinzipien, die in ihrem Zusammenspiel ein hohes Maß an effektivem Rechtsschutz garantieren, führte zur Einführung einer neuen Verfahrensstruktur, die sowohl im juicio ordinario als auch im juicio verbal erkennbar ist. Das gedankliche Fundament für die Neuerungen war bereits Mitte des 19. Jahrhunderts vorhanden, konnte sich jedoch nicht gegen die am italienisch-kanonischen Verfahren festhaltenden Kräfte durchsetzen. Letztlich wurde das Beharren auf den Grundprinzipien des italienisch-kanonischen Prozessmodells, welches zahlreiche Reformen überdauert und oftmals große Veränderungen verhindert hatte, durch eine mutige Umgestaltung und Umstrukturierung des spanischen Prozessrechts beendet. Die Auswirkungen der Reform aus dem Jahr 2000 auf die Problemschwerpunkte des spanischen Zivilprozesses wurden in den darauffolgenden Jahren insbesondere mit Blick auf die Umsetzung von Mündlichkeit und Unmittelbarkeit und die damit einhergehende Verfahrensbeschleunigung positiv bewertet. 89 4. Weitere Entwicklung In den Jahren nach 2000 folgten zahlreiche Reformen, die den Verfahrensablauf jedoch unberührt ließen. Im Oktober 2011 erfolgte eine Reform durch das Gesetz zur Verfahrensbeschleunigung.90 Ihre Ansatzpunkte betrafen aber nicht das Erkenntnisverfahren erster Instanz, sondern vielmehr das Mahnverfahren sowie die Einschränkung von Berufung und Revision.

87

Esplugues-Mota/Barona-Vilar, in: Civil Justice in Spain, S. 1, 1. Esplugues-Mota/Barona-Vilar, in: Civil Justice in Spain, S. 1, 1. 89 Ensesa Casuelleras/Fries, Informaciones 2002, 35, 37; Esplugues-Mota/Barona-Vilar, in: Civil Justice in Spain, S. 1, 2. 90 Ley 37/2011, de 10 de octubre, de medidas de agilización procesal. 88

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

II. Der Zivilprozess in England 91 II. Der Zivilprozess in England

1. Der englische Zivilprozess bis zu den Judicature Acts Das englische Zivilprozessrecht im 19. Jahrhundert war geprägt durch das Nebeneinander von Common Law und Equity und die dadurch hervorgerufene Vielfalt von Gerichten, namentlich dem Court of King’s Bench, dem Court of Common Pleas und dem Court of Exchequer sowie später dem Court of Chancery. 92 Damit einher ging auch das Nebeneinander der vielfältigen prozessualen Regelungen, die an den unterschiedlichen Courts Geltung beanspruchten und damit den Bürgern die Suche nach Rechtsschutz erheblich erschwerten. Während sowohl das 17. als auch das 18. Jahrhundert in England von einer Kontinuität im Hinblick auf die Entwicklung und die Anpassung des geltenden Rechts an die Bedürfnisse des Landes geprägt war 93 und weitgehende Zufriedenheit mit der vorhandenen Rechtslage herrschte, 94 war das darauffolgende Jahrhundert von grundlegenden Reformen und Aktionismus geprägt. Auslöser hierfür war die Kritik von Bentham95 sowie dessen Schüler Lord Brougham an dem von Formalitäten durchsetzten englischen Prozessrecht, das ihnen zufolge beispielsweise im Rahmen der pleadings zu Wiederholungen neigte und der Einhaltung von Formalitäten höheren Rang als dem Finden der materiellen Wahrheit einräumte.96 Ineffektivität sei die Folge. Infolgedessen wurden zahlreiche Committees zur Ausarbeitung von Neuerungen eingesetzt, um die Rechtslage noch stärker den Bedürfnissen der Zeit anzupassen 97 sowie die hohen Verfahrenskosten und Verfahrensverzögerungen als Probleme jener Zeit zu bekämpfen.98 Ein Grund für die hohen Kosten und die lange Dauer war insbesondere die Diversität der zahlreichen Gerichte, deren Zuständigkeiten in Grenzbereichen zum Teil konkurrierten oder nur sehr schwer und für den Laien nahezu gar nicht abgrenzbar waren, die die Beachtung unterschiedlicher Verfahrensregeln verlangten sowie deren Zuständigkeit sich jeweils nur auf bestimmte Materien des materiellen Rechts erstreckte. 99 Ein erster Schritt hin zu 91 Betrachtet wird im Folgenden das Prozessrecht von England und Wales, so dass „England“ und „englisch“ als Wales mitumfassend zu verstehen ist. Schottland, Nordirland und die Kanalinseln werden nicht betrachtet. 92 Zur Entwicklung des Common Law und der Equity siehe Kapitel 1 II 1 a)−c). 93 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 193. 94 Bowen, in: Selected Essays in Anglo-American Legal History, Vol. 1, S. 516, 541. 95 Bentham, in: The Works of J. Bentham; Jacob, in: The Reform of Civil Procedural Law and other Essays in Civil Procedure, S. 91, 92. 96 Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 32 f. 97 Eine unvollständige Übersicht der eingesetzten Committees dieser Zeit findet sich bei Jolowicz, On Civil Procedure, S. 357 Fn. 12. 98 Jolowicz, On Civil Procedure, S. 359. 99 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 195.

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einer Vereinheitlichung in prozessualer Hinsicht stellte der Uniformity of Process Act 1832 dar, der Formalitäten bei der Klageerhebung bei personal forms100 reduzierte, indem für alle Arten der personal forms ein einheitlicher writ geschaffen wurde. 101 Dieser nannte die Natur des Anspruchs und sollte den Beklagten zum Erscheinen auffordern.102 Allerdings musste in der Klage weiterhin die näher bestimmte Klageform angegeben werden, so dass letztlich nicht viel im Hinblick auf das Ziel des Abbaus von Formalitäten gewonnen war. Die formalen Hürden, die den Zugang zum Gericht und damit zu Rechtsschutz erheblich erschwert hatten, wurden damit nur minimal und vordergründig abgebaut. Dass diese minimale Veränderung keine große Wirkung zeitigen konnte, zeigt sich auch bereits darin, dass wenige Jahre später mit dem Common Law Procedure Act 1852 nun auch die Bezeichnung der begehrten Klagearten aufgegeben wurde. 103 Inhalt des writs war damit lediglich die Aufforderung an den Beklagten, sich zu äußern, sowie wie bisher ein knapper Hinweis auf die Natur des klägerischen Anspruchs. 104 Im Zuge dieser Veränderung ergaben sich auch Neuregelungen bezüglich der Säumnis des Beklagten, die bereits den heutigen Versäumnisregeln einiger kontinentaleuropäischer Staaten ähnlich waren.105 Der durch den Common Law Procedure Act 1852 geschaffene Rechtszustand, der erstmals die formale Ordnung des englischen Rechtssystems umfassend angriff, stellte damit ein wichtiges Zwischenstadium auf dem Weg hin zu einer weitgehenden Beseitigung des das englische Recht traditionell beherrschenden Formalismus durch die Judicature Acts dar. 106 Im Anschluss erfolgten weitere kleine Änderungen auf dem Gebiet der Verfahrenseinleitung sowie der Gerichtsverfassung: Mit dem Chancery Amendment Act 1858 wurde dem Court of Chancery die Möglichkeit eingeräumt, in bisher dem Common Law vorbehaltenen Fällen Schadensersatz zu gewähren.107 Aber auch in formeller Hinsicht führte der Act erneut bei der Klageer-

100

Zum Begriff nach Maitlands Verständnis siehe Maitland, The Forms of Action at Common Law, S. 6. 101 Maitland, The Forms of Action at Common Law S. 6; Holdsworth, A History of English Law, Vol. XV, S. 104. 102 Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 33. 103 Baker, An Introduction to English Legal History, S. 80; Maitland, The Forms of Action at Common Law, S. 7. 104 Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 33. 105 Vgl. hierzu Holdsworth, A History of English Law, Vol. XV, S. 106 sowie § 331 ZPO und Art. 471 ff. NCPC. 106 Holdsworth, A History of English Law, Vol. XV, S. 109. 107 Jolowicz, On Civil Procedure, S. 359; Holdsworth, A History of English Law, Vol. XV, S. 122.

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

hebung oder -erwiderung zur Vereinfachung und verlieh dem Gericht umfassendere Befugnisse, um das Verfahren schneller voranzutreiben und damit zur Einsparung von Kosten und Zeit beizutragen. 108 Ferner wurde 1875 die Form des writs erneut geändert und das die Klage begründende materielle Recht durfte in freier Sprache und ohne Spruchformeln vorgetragen werden. 109 Allerdings führte auch dies nicht zu einer spürbaren Verbesserung. Die Wirkungslosigkeit der vielfältigen Reformanstrengungen stieß auf Kritik in der Literatur, die das Gerichtsverfassungsrecht sowie die Regelungen der einzelnen Zivilverfahren in der Mitte des 19. Jahrhundert für die “most defective parts of English Law” hielt. 110 Sowohl Common Law als auch Equity unterlagen damit über die Jahre zahlreichen Modifikationen, die zum überwiegenden Teil den Abbau von zeitraubenden Formalitäten beinhalteten und damit auf Vereinfachung der Verfahren at law und in equity gerichtet waren. 111 Auffallend ist weiterhin, dass die einzelnen Veränderungen stets schrittweise zu einer Annäherung von Common Law und Equity Procedure führten, wozu insbesondere die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen hinsichtlich einzelner materieller Streitsachen auf die bisher in diesen Bereichen unzuständigen Common Law Courts beziehungsweise Equity Courts beitrug. 112 Die Anzahl der verschiedenen Reformgesetze sowie deren nur punktuelle Wirkungen offenbaren jedoch, dass jener Zeit der Mut fehlte, eine umfassende, die traditionsreiche Struktur des englischen Rechtssystems erfassende Reform anzustrengen.113 Vielmehr versuchte man auch hier durch eine Vielzahl punktueller Veränderungen Verbesserungen herbeizuführen und traf dabei den entscheidenden Punkt nicht, um eine Wende einleiten zu können.114 Damit reiht sich England neben Deutschland und Spanien in die Reihe der Länder ein, die nur zögerlich und flickenweise versuchten, der Missstände in ihrem Rechtssystem Herr zu werden, und dabei nur temporären und zudem geringen Erfolg hatten.

108

Holdsworth, A History of English Law, Vol. XV, S. 119. Baker, An Introduction to English Legal History, S. 80. 110 Holdsworth, A History of English Law, Vol. XV, S. 103. 111 Eine Übersicht der Reformen des Common Law und der Equity findet sich bei Holdsworth, A History of English Law, Vol. XV, S. 104−127. 112 Holdsworth, A History of English Law, Vol. XV, S. 120 ff. 113 Zu den einzelnen Reformen und den Auswirkungen auf die die Verfahrensstruktur prägenden Elemente siehe Holdsworth, A History of English Law, Vol. XV, S. 104 ff. 114 Jolowicz, On Civil Procedure, S. 359 bezeichnet die Einführung der Einzelmaßnahmen als “petty tinkering” (dt. in etwa geringfügiges Herumflicken) und kritisiert, dass die Ansatzpunkte der Reformen nicht ausreichend durchdacht waren. 109

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2. Die Judicature Acts 1873−1875 Nachdem die Missstände in Form langer Verfahrensdauer und hoher Verfahrenskosten sowie hinderlicher Formalitäten durch die zahlreichen Einzelgesetze der vergangenen Jahre nicht beseitigt werden konnten, fand mit den Judicature Acts115 eine große Prozess- und Gerichtsverfassungsreform statt, deren Modifikationen noch heute Wirkungen auf die gegenwärtige Prozesspraxis Englands zeitigen.116 Bei den Judicature Acts, für die 1867 eine königliche Kommission eingesetzt wurde, 117 handelt es sich um zwei einzelne Acts, die 1873 und 1875 erlassen wurden und die die Traditionen des englischen Rechts in eine neue Form gossen. Grundidee der Reform war es, Einheitlichkeit zu erreichen, überflüssige Formalitäten zu beseitigen und durch Vereinfachung eine Effizienzsteigerung herbeizuführen. 118 Als erforderlich wurde diese Reform von englischen Prozessualisten dieser Zeit insbesondere deswegen angesehen, weil die Zweigleisigkeit des traditionellen englischen Rechtssystems zu einer Einbuße an Rechtsschutz und Rechtsbeständigkeit aufgrund einer überbordenden Verwirrung und Verunsicherung der Rechtssuchenden geführt hatte, die ihren Grund in der unklaren Ausgestaltung der Rechtswege hatte. 119 Zu diesem Zweck wurde die Gerichtsverfassung umgestaltet, die Trennung in eine Zuständigkeit nach Streitsachen at law und in equity weitestgehend aufgehoben und das traditionsreiche writ-System aufgegeben. Die Judicature Acts sollten daher mit einer Veränderung der Grundfesten eines jeden Verfahrensrechts den Schlusspunkt für die zahlreichen Einzelreformen setzen und die ersehnte Verbesserung des Rechtsschutzes mit sich bringen. a) Änderungen der Gerichtsverfassung Die Aufspaltung des englischen Gerichtswesens in unterschiedliche Gerichte für unterschiedliche Sachmaterien erschwerte es rechtssuchenden Bürgern erheblich, ihre Rechte zu verfolgen, und minimierte damit den ihnen vom Gesetz gewährten Rechtsschutz stark. Ferner war der Bestand mehrerer voneinander unabhängiger Gerichte aufgrund des hohen administrativen Aufwands mangels fehlender Synergieeffekte kostenträchtig, was sich in hohen Verfahrenskosten niederschlug. Um diese Kosten zu minimieren und das Niveau an gewährtem Rechtsschutz dennoch hochzuhalten, wurden die Einzelgerichte zu einem Supreme Court of Judicature zusammengefügt, welcher sich aus dem High Court 115 Die Judicature Acts traten am 1. Januar 1876 in Kraft und stellen die bis dato größte Reform des von althergebrachten Traditionen geprägten englischen Rechtssystems dar. 116 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 195. Generell zu den Judicature Acts 1873−1875 siehe Jacob, in: The Reform of Civil Procedural Law and Other Essays in Civil Procedure, S. 301 ff. 117 A. Wilson, Supreme Court of Judicature Acts 1873 and 1875, S. 1. 118 Holdsworth, A History of English Law, Vol. XV, S. 130. 119 Hierzu siehe A. Wilson, Supreme Court of Judicature Acts 1873 and 1875, S. 3.

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of Justice und dem Court of Appeal120 zusammensetzte. 121 Die Zusammenfassung zu einem einheitlichen Gericht war ein wichtiger Schritt, die unübersichtliche Kompetenzverteilung und die sich daraus ergebenden Kompetenzkonflikte einzudämmen.122 Die Aufteilung in verschiedene Sachgebiete wurde jedoch in den innerhalb des High Court of Justice etablierten Abteilungen aufrechterhalten.123 Neben den Aspekt der Kostenersparnis trat zudem eine Verfahrensbeschleunigung. Bei der Wahl der falschen Abteilung durch den Rechtssuchenden erfolgte lediglich eine Verweisung an die zuständige Abteilung, nicht aber wie zuvor eine Klageabweisung, die das erneute Erheben der Klage erforderlich gemacht hätte.124 Damit einher ging auch die Vereinigung von Common Law Courts und Equity Courts. Diese Vereinigung bedeutete auch die Aufgabe der Selbstständigkeit der beiden Rechtsarten und stellte einen Meilenstein in der gespaltenen englischen Rechtsgeschichte dar. Diese Entwicklung war zugleich der Endpunkt einer Entwicklung, die bereits mit der Übertragung einzelner Befugnisse der Common Law Courts auf die Equity Courts und umgekehrt in den Reformen des dritten und vierten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts ihren Anfang genommen hatte. Nebeneffekt hiervon war auch, dass ein forum shopping des Klägers dergestalt, dass er den Rechtszug – Common Law Court oder Equity Court – wählte, der am meisten Erfolg versprach, unterbunden werden konnte. b) Die Zusammenführung von Common Law und Equity Die Beseitigung von forum shopping wurde auch dadurch unterstützt, dass Common Law und Equity Law nun nebeneinander anzuwenden waren und im Kollisionsfall die Regelungen der Equity Vorrang genossen.125 Damit standen Kläger und Beklagtem alle Verteidigungsmittel zu, unabhängig davon, welchem Recht sie entsprangen.126 Diese nach außen hin vollzogene Vereinigung

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Der Court of Appeal wurde durch den Act von 1875 gebildet, A. Wilson, Supreme Court of Judicature Acts 1873 and 1875, S. 2. 121 Baker, An Introduction to English Legal History, S. 60 Fn. 60; Holdsworth, A History of English Law, Vol. I, S. 638; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 195. 122 Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 36. 123 Die zu Beginn bestehenden fünf divisions wurden 1881 dann jedoch auf drei reduziert, namentlich die Chancery Division, die Queen’s Bench Division und die Family Divison, vgl. Jacob, The Fabric of English Civil Justice, S. 33 f. 124 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 195. 125 Holdsworth, A History of English Law, Vol. I, S. 640. 126 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 196; Jolowicz, On Civil Procedure, S. 359. Die Vereinheitlichung von Common Law und Equity sowohl in formeller Hinsicht durch Schaffung einer einheitlichen Gerichtsbarkeit als auch in der Anwendung des materiellen Rechts wurden in dem Schlagwort “complete justice” zusammengefasst.

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wurde allerdings in der Geschäftsverteilung der einzelnen Gerichte nicht umgesetzt; vielmehr blieben einzelne divisions für Sachverhalte zuständig, die nach Equity Law zu entscheiden waren. 127 Daher kann hieraus nicht der Schluss einer vollständigen, das heißt materiellen Vereinigung von Common Law und Equity Law gezogen werden; vielmehr handelt es sich nur um eine Angleichung hinsichtlich formaler Aspekte und um eine Lösung für Konflikte beider Rechtsmaterien, nicht aber um eine Vermengung derselben. 128 c) Das einheitliche Verfahrensrecht unter besonderer Betrachtung des Pleading Eine weitere Errungenschaft der Judicature Acts ist die Entwicklung einer einheitlichen Kodifikation für alle Zivilverfahren, die neben der gerichtsverfassungsrechtlichen Vereinigung das Kernstück der Reform darstellte. Diese Kodifikation war als Anhang zu dem Judicature Act 1875 als First Schedule beigefügt. Mit ihr sollte das Nebeneinander prozessualer Regelungen des Common Law und der Equity, die in wesentlichen Punkten des Prozess- und Beweisverfahrens unterschiedlich waren, beseitigt werden. 129 Um zu verhindern, dass eine ständige Anpassung der Rules an die sich zu dieser Zeit sehr schnell wandelnden Bedürfnisse der Gesellschaft erforderlich wurde, erhielten die Richter mit einer beschränkten Rechtssetzungskompetenz hinsichtlich der Prozessregeln für ihren Bereich die Möglichkeit, auf das Prozessrecht gestaltend Einfluss zu nehmen.130 Diese Ermächtigung wurde in den seither erlassenen Rules of the Supreme Court umgesetzt. Besondere Beachtung verdient die Veränderung, die sich im Bereich des Pleading vollzogen hatte und ganz im Sinne des über der Reform stehenden Themas der Vereinheitlichung für alle Gerichte galt. Während bisher die Wahl des writ beziehungsweise des Klagetyps den weiteren Verfahrensablauf im Hinblick auf die Art und Weise der Ladung des Beklagten, die Beweiserhebung und die Vollstreckung des Urteils vorgab und eine Bewertung des Sachverhalts anhand von Präzedenzfällen erfolgte, wurden mit den Judicature Acts die einzelnen Klageformen abgeschafft 131 und eine einheitliche Art der Klageerhe-

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Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 196. Baker, An Introduction to English Legal History, S. 81; Holdsworth, A History of English Law, Vol. XII, S. 603. 129 Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 36. Zunächst erschienen die Regelungen im Anhang zum Act von 1873. Sie wurden durch Vorschriften in einem Zusatzartikel des Judicature Act 1975 erneuert. 130 A. Wilson, Supreme Court of Judicature Acts 1873 and 1875, S. 100. 131 Abgeschafft wurden die Klageformen lediglich als prozessuales Institut in der Prozesspraxis. Bis heute findet sich aber eine Systematisierung entsprechend der alten 128

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bung, der writ of summons, für alle zivilrechtlichen Streitigkeiten vorgesehen.132 Die bisherige Verflechtung von materiellem Recht und Prozessrecht, welche sich insbesondere daraus ergab, dass den einzelnen Klageformen typisierte Sachverhaltsgestaltungen zugrunde lagen und der Kläger dadurch die Einordnung seines Anspruchs in die entsprechende Klageform selbst vornehmen musste, 133 wurde durch die Judicature Acts im Zuge der Vereinheitlichung entzerrt.134 Auf diese Weise sollte verhindert werden, dass allein die Wahl des falschen Klagetyps zu einer Prozessniederlage führte,135 wie es zuvor aufgrund der Vielzahl der Klageformen und der damit einhergehenden Unübersichtlichkeit häufig geschehen war. Materiell-rechtlich ungerechtfertigten Entscheidungen aufgrund Verstoßes gegen Verfahrensregeln wurde daher Einhalt geboten.136 Dahinter stand ebenfalls wie bei den vorhergehenden Reformversuchen durch Einzelgesetze der Gedanke, auf diese Weise Zeit, Kosten und sonstige Ressourcen der Gerichte einzusparen, die ein zweiter Prozess in der richtigen Form erforderlich machen würde. Vereinheitlicht wurden weiterhin die Anforderungen, die an den writ of summons gestellt wurden. Da durch das frühere formalisierte Verfahren der Klageeinleitung im Wege eines bestimmten Klagetyps bereits ein typisiertes Sachverhaltsgeschehen festgelegt war, kam dem Tatsachenvortrag des Klägers im Common Law keine allzu große Bedeutung zu. 137 Die Klagebegründungen enthielten daher kaum Tatsachenschilderungen, 138 sondern vielmehr detaillierte Ausführungen, wie der vorliegende Fall in rechtlicher Hinsicht zu behandeln war.139 Mit der Aufgabe der verschiedenen Klagetypen stieg als logische Konsequenz die Bedeutung des Klägervortrags, so dass mit den Judicature Acts höhere Anforderungen an die zur Begründung der Klage vorzutragenden Tatsachen gestellt wurden. Die Judicature Acts forderten hierfür in Order XIX, Begrifflichkeiten in Lehrbüchern. Diese Systematisierung beherrscht auch noch gegenwärtig das englische Rechtsdenken. Die Aussage Maitlands “The forms of actions we have buried, but they still rule us from their graves” hat daher auch heute noch Gültigkeit, vgl. Maitland, The Forms of Action at Common Law 1909, Lecture I. Abrufbar unter http://www.fordham .edu/halsall/basis/maitland-formsofaction.asp (zuletzt abgerufen am 19.10.2015). 132 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 196; Holdsworth, A History of English Law, Vol. XV, S. 130. 133 Maitland, The Forms of Action at Common Law S. 1; Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 18 f. 134 Jolowicz, On Civil Procedure, S. 361. 135 Jolowicz, On Civil Procedure, S. 361; M. Stürner, ZVglRWiss 99 (2000), 310, 313. 136 Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 37. 137 Jolowicz, On Civil Procedure, S. 362. 138 Ein instruktives Beispiel hierfür gibt A. Wilson, Supreme Court of Judicature Acts 1873 and 1875, S. 22. 139 A. Wilson, Supreme Court of Judicature Acts 1873 and 1875, S. 23.

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r. 4 in der Fassung von 1875: “Every pleading shall contain as concisely as may be a statement of the material facts on which the party pleading relies.” Durch das Erfordernis einer präzisen Tatsachendarstellung, die den Streitgegenstand für außenstehende Dritte klar darstellen musste und die den Gegner in die Lage versetzen sollte, angemessen replizieren zu können, ist in dieser Formulierung die Einführung von fact pleading zu sehen.140 Neben der Klage musste auch die Widerklage einen substantiierten Tatsachenvortrag im Sinne des fact pleading enthalten (Order XIX, rule 8). Die Forderung einer präzisen Tatsachendarstellung in der Klage kann als Mittelweg zwischen der durch knappe Tatsachenschilderungen geprägten Klage des Common Law und der sehr umfassenden und dadurch unpräzisen und schwerfälligen Klage der Equity141 gesehen werden. Sie erleichterte damit als Kompromissregelung die prozessuale Zusammenführung der beiden Rechtszweige. Den Parteien stand es daher offen, die Tatsachengrundlage, die dem Gericht zur Entscheidungsfindung zur Verfügung stand, in ihrem Umfang selbst zu bestimmen und auf diese Weise auf das Urteil einzuwirken. Aufgrund der Weite, die ein solcher Tatsachenvortrag dann teilweise in der Folge annahm, wurde aus Gründen der Prozessökonomie in Erwägung gezogen, den Tatsachenvortrag dadurch zu reduzieren, dass für die vorgetragenen Tatsachen zugleich Beweise angeboten 142 und die daraus gezogenen Rechtsschlüsse dargelegt werden mussten.143 d) Die Errungenschaften der Judicature Acts Die Judicature Acts standen im Zeichen von Vereinheitlichung in gerichtsverfassungsrechtlicher Hinsicht und von Flexibilisierung der bestehenden Regelungen in verfahrensrechtlicher Hinsicht. Ergebnis der bis dato umfassendsten Reform des englischen Prozessrechts war ein einheitlicher, für alle Gerichte geschaffener Code of Civil Procedure, der das Verfahren vor dem Supreme Court of Judicature beinahe umfassend regelte 144 und den Richtern selbst die Befugnis zur weiteren Regelung übertrug. Der Abbau der problemträchtigen Formalisierung stellte einen großen Schritt hin zu materieller Gerechtigkeit dar

140 So auch Jolowicz, On Civil Procedure, S. 361, 363, der ausdrücklich von fact pleading spricht. Ebenso Jacob, The Fabric of English Civil Justice, S. 90. 141 Vgl. hierzu eine treffende Beschreibung bei Holdsworth, A History of English Law, Vol. I, S. 646. 142 Foster, Going to Law, § 165−170; Jolowicz, On Civil Procedure, S. 365. 143 Foster, Going to Law, § 171. 144 Ausgenommen waren criminal proceedings, proceedings on the Crown side of the Queen’s Bench Division, proceedings on the revenue side of the Exchequer Division und proceedings for divorce sowie andere familienrechtliche Angelegenheiten, A. Wilson, Supreme Court of Judicature Acts 1873 and 1875, S. 151 (First Schedule Order 1 Rule 1); Holdsworth, A History of English Law, Vol. XV, S. 128.

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und ermöglichte ein flexibleres Prozessieren, das eine Anpassung an die Bedürfnisse des einzelnen Falles erlaubte. Insbesondere der Abbau formeller Hürden bei den pleadings konnte zu Kosten- und Zeitersparnis beitragen. Dadurch, dass die Richter durch den Judicature Act 1875 ermächtigt wurden, selbst einzelne Verfahrensregeln zu erlassen, haben diese Rules of the Supreme Court das Verfahrensrecht und damit die Verfahrensstruktur wesentlich mitgestaltet. 3. Rules of the Supreme Court 1883−1999 a) Allgemeines Rechtsgrundlage für den Erlass der Rules of the Supreme Court (RSC) ist die in sec. 17 des Judicature Acts 1875 enthaltene Ermächtigung der Richter, “to alter and annul any Rules of the Court for the time being in force, and have and exercise the same power of making Rules of Court as is by this section vested in Her Majesty in Council on the recommendation of the said Judges before the commencement of this Act”. Tatsächlich wurden die rules allerdings nicht von einzelnen Richtern erlassen, sondern von Juristenausschüssen, die mit Richtern und Anwälten besetzt waren und vom Lord Chancellor eingesetzt wurden.145 Die auf diese Weise 1883 in Kraft getretene Prozessordnung, die ein komplett neues Prozessrecht festschrieb146 und von der Richter- und Anwaltschaft getragen wurde, hatte damit mangels Erlasses durch ein gesetzgebendes Organ keine Gesetzeskraft, sondern ist der Rechtsform der im deutschen Recht bekannten Rechtsverordnung gleichzustellen. 147 Der Regelungsbereich der RSC umfasst das gesamte Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren des High Court und des Court of Appeal. 148 b) Die Verfahrensstruktur nach den Rules of the Supreme Court 1965149 aa) Einleitende Phase Das Verfahren nach den RSC wurde durch einen writ des Klägers eingeleitet, in dem dieser den Beklagten aufforderte, innerhalb einer bestimmten Frist den 145

Bunge, Das englische Zivilprozeßrecht, S. 20. Jolowicz, in: Fundamental Guarantees of the Parties in Civil Litigation: England, S. 121, 127. 147 S.S. Hontestrom v. S.S. Sagaporack, (1927) A.C. 37, 47; Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 37; Bunge, Das englische Zivilprozeßrecht, S. 20. 148 Bunge, Das englische Zivilprozeßrecht, S. 20. 149 Der folgenden Darstellung des Verfahrensablaufs wurden die Rules of the Supreme Court von 1965 in der bis zur Reform des Verfahrensrechts geltenden Fassung von 1999 zugrunde gelegt. Zwar liegt der Ursprung der Rules in den Judicature Acts 1873−1875, sie wurden jedoch in einer Reform 1965 grundlegend überarbeitet sowie neu strukturiert und durchnummeriert. Vgl. hierzu Langan/Henderson, Civil Procedure, S. 15. 146

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durch den Kläger geltend gemachten Anspruch zu erfüllen oder diesen zu bestreiten und damit die Einlassungseintragung zu veranlassen.150 Auf der Rückseite des writ, dessen Wahl sich nach dem Streitgegenstand (O. 5, r. 1–r. 6; O. 6) richtete, 151 war der geltend gemachte Anspruch zu bezeichnen, ohne jedoch bereits die den Anspruch begründenden Tatsachen vorzutragen. 152 Mit der persönlichen Zustellung des writ an den Beklagten wurde die Rechtshängigkeit der Klage begründet. 153 Innerhalb einer kurzen Frist nach Zustellung des writ154 musste der Beklagte seine Verteidigungsbereitschaft in Form eines memorandum of appearance, einem Formblatt, anzeigen, welches ebenso wie die Klage keine Ausführungen zur Sache enthielt, um dem Erlass eines End- oder Zwischenurteils155 zu entgehen.156 Nachdem die Verteidigungsbereitschaft dem zuständigen Gericht und dem Kläger angezeigt worden war, trat das Vorverfahren in die Phase der pleadings ein. Hier waren die für die Streitsache wesentlichen Argumente anzuführen, ohne dabei bereits Beweisantritte oder Beweisgründe zu nennen (O. 18, r. 7(1) RSC). Rechtliche Schlussfolgerungen waren ebenfalls im Einklang mit der neu getroffenen Regelung in den Judicature Acts nicht in den pleadings enthalten.157 Um die Gefahr ausufernder und aus diesem Grund unter Umständen unpräziser Korrespondenzen zwischen den Parteien zu vermeiden, war die Anzahl der Schriftsätze zum einen auf drei Schriftsätze

150 Bunge, Das englische Zivilprozeßrecht, S. 80. Zum Inhalt eines writ siehe Curti, Englands Zivilprozeß, S. 37. 151 Mit den Judicature Acts wurden zwar alle bisher bestehenden writs durch den writ of summons ersetzt, so dass für alle Klagen ein einheitlicher writ zur Verfügung stand. Allerdings stellte dieser nur eine einheitliche Basis dar, die äußere Form konnte aber entsprechend der Bedürfnisse des Einzelfalls angepasst werden. Im Kern musste der writ of summons jedoch unverändert bleiben, Scott, The Supreme Court Practice 1999, Vol. 1, Rn. 6/1/2. 152 Je nach dem, was Streitgegenstand ist, sind bei Ansprüchen aus Vertrag das Datum des Vertragsschlusses, die Vertragsparteien und die Art des Anspruchs zu nennen; bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung sind Ort und Zeit derselben sowie die Art der unerlaubten Handlung zu bezeichnen, vgl. hierzu Scott, The Supreme Court Practice 1999, Vol. 1, Rn. 6/2/3. Dies gilt jedenfalls bei einem generally indorsed writ, siehe Curti, Englands Zivilprozeß, S. 37 ff. 153 Bunge, Das englische Zivilprozeßrecht, S. 80; Dresser U.K. Ltd. and others v. Falcongate Freight Management Ltd. and others (1992) 2 W.L.R. 319; Neste Chemicals SA and others v. DK Line SA and another (The Sargasso) (1994) 3 All ER 180; P. Huber, IPRax 1995, 332, 333. 154 Gemäß O. 12, r. 5 RSC musste sich der Beklagte innerhalb von 14 Tagen über seine Verteidigungsbereitschaft erklären. 155 Ob ein Endurteil oder ein Zwischenurteil ergeht, richtet sich nach dem Begehr, das der Klage zugrunde liegt, vgl. O. 13 r. 1−9 RSC. Vor Erlass eines solchen Urteils wurde der Kläger jedoch regelmäßig aufgefordert, die Klage näher zu begründen, Bunge, Das englische Zivilprozeßrecht, S. 81. 156 Langan/Henderson, Civil Procedure, S. 54 f. 157 Jacob/Goldrein, Pleadings: Principles and Practice, S. 51 f.

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beschränkt, namentlich die Klagebegründung des Klägers, die Verteidigungsschrift des Beklagten sowie die Replik des Klägers, 158 und zum anderen eine inhaltliche Beschränkung auf den Vortrag von material facts vorgesehen. Danach durften je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls nur Fakten vorgetragen werden, die die Klage schlüssig beziehungsweise die Verteidigung erheblich machten.159 Innerhalb dieses Schriftsatzwechsels, dessen Ablauf durch Fristenregelungen genau festgelegt war,160 wurden die wesentlichen Streitpunkte zwischen den Parteien herausgearbeitet, so dass im Anschluss festgestellt werden konnte, welche Tatsachen tatsächlich streitig und daher Gegenstand der anschließenden Beweisfindungsphase waren.161 Aufgrund der kostspieligen Beschaffung von Beweismitteln sollte durch diese intensive Auseinandersetzung mit der Tatsachengrundlage sichergestellt werden, dass auch nur erhebliche und damit tatsächlich streitige Punkte zum Gegenstand der Beweisfindungsphase werden. Im Einklang hiermit steht auch, dass alle nicht bestrittenen Tatsachen automatisch als zugestanden galten, O. 18, r. 13 RSC. Die Einleitungsphase endete schließlich mit dem close of pleadings vierzehn Tage nach Zustellung der Klageerwiderung beziehungsweise der Replik (O. 18, r. 20 RSC). Dieser verfahrenseinleitende Schriftwechsel fand häufig unter der Leitung eines master statt, der die Einhaltung der Fristen überwachte. 162 bb) Zwischenphase Auf die schriftliche Einleitungsphase mit dem Austausch der Schriftsätze folgte eine Zwischenphase, die wie die vorhergehende Phase auf die Vorbereitung des trial gerichtet war. Während die Einleitungsphase dazu diente, das für den Streit relevante Tatsachenmaterial zusammen zu tragen, sollte die Zwischenphase zur Entlastung der Hauptverhandlung führen, indem alle nicht notwendig vom Richter zu entscheidenden Fragen bereits in einer mündlichen 158

Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 38. Eine Replik des Klägers war allerdings nur selten erforderlich, da oftmals bereits durch die Klagebegründung und die Klageerwiderung ausreichend deutlich wurde, welche Punkte zwischen den Parteien streitig waren. Nur in Fällen, in denen in der Klageerwiderung neue tatsächliche Aspekte vorgetragen wurden, kam die Replik zum Zuge, vgl. Langan/Henderson, Civil Procedure, S. 86. 159 Bruce v. Odhams Press Ltd., (1936) 1 All E.R. 287 (289); Drummond-Jackson v. British Medical Association, (1970) 1 All E.R. 1094 (1099); Langan/Henderson, Civil Procedure S. 93. 160 Casson, Odgers on High Court Pleading and Practice, S. 120. 161 Casson, Odgers on High Court Pleading and Practice, S. 123; Jacob, in: Current Legal Problems 1960, S. 171, 174 f.; G. Wilson, Cases and Materials on the English Legal System, S. 341 ff.; Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 15 f. 162 Curti, Englands Zivilprozeß, S. 57.

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Vorverhandlung vor einem master geklärt wurden. 163 Hierzu gehörten prozesseinleitende Verfügungen ebenso wie beweisanordnende Maßnahmen.164 Diese ergehen in einem mündlichen, nichtöffentlichen Vortermin (in chambers) unter Leitung des master. Die Festsetzung des Vortermins musste vom Kläger innerhalb eines Monats nach Ende der Einleitungsphase beantragt werden, O. 25, r. 1 RSC. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Parteien bereits regelmäßig Kenntnis von dem vorhandenen Tatsachenmaterial und oftmals auch bereits von den zur Verfügung stehenden eigenen Beweismitteln und solchen der Gegenseite, so dass sie bereits abschätzen konnten, welche weiteren Anordnungen durch den master für die Vorbereitung der Hauptverhandlung sinnvoll erscheinen. 165 Sofern letzteres nicht der Fall war, 166 ordnete der master auf entsprechenden Antrag an, dass alle vorhandenen und für den Streit relevanten Dokumente und Urkunden der Gegenseite zugänglich zu machen sind (discovery, production of documents), unabhängig davon, ob sie die Rechtsauffassung der Partei stützen oder infrage stellen, O. 24, r. 3 RSC. Ferner erteilte er die Zustimmung, um den Gegner zur schriftlichen Beantwortung von Fragen zu veranlassen (interrogatories). 167 Der master wurde überwiegend auf Antrag der Parteien tätig,168 konnte aber auch selbstständig Maßnahmen ergreifen, die einen zügigen, wenig kostenintensiven und reibungslosen Ablauf der Hauptverhandlung gewährleisteten.169 Neben diesen Aufgaben,170 deren Zweck es auch war, die Chancengleichheit der Parteien im Prozess zu wahren, entschied der master auch darüber, ob der Rechtsstreit an den County Court zu verweisen war, ob 163 Bunge, Das englische Zivilprozeßrecht, S. 88; Cohn, Der englische Gerichtstag, S. 28 f. 164 Eine Übersicht über die häufigsten Verfügungen findet sich bei Curti, Englands Zivilprozeß, S. 52; Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 53. 165 Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 53. 166 Je nach Klageart findet eine discovery automatisch zwischen den Parteien nach den pleadings oder erst auf Antrag beim master statt, vgl. Langan/Henderson, Civil Procedure, S. 172. 167 Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 53. 168 Jolowicz, The Active Role of the Court, S. 11; Kötz, in: Festschrift für Imre Zajtay, S. 277, 289; Kerstrat, Le rôle du Master dans l’Instruction du procès civil en Angleterre, S. 38. 169 Kiralfy, The English Legal System, S. 212. 170 Die Aufgaben des master sind äußerst vielfältig und reichen von der Entscheidung über die Anzahl der zugelassenen Zeugen und Sachverständigen über die Anordnung von Beweissicherungsmaßnahmen bis zum Austausch des kostspieligen Zeugenbeweises durch den Urkundenbeweis, wenn beiden derselbe Beweiswert zukommt. Außerdem entscheidet er darüber, ob die Schriftsätze weiter zu ergänzen sind. Zu den häufigsten Aufgaben des master siehe Diamond, 47 A.B.A. J. 697, 700 (1961).

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eine Prozesssicherheit zu leisten war171 oder ob ein Einzelrichter oder eine jury über den Fall urteilen sollte. 172 Der master konnte ferner durch seine lange Erfahrung auch eine Prognose über die Erfolgsaussichten der Klage geben 173 und die Parteien aktiv zum Zugestehen von Tatsachen veranlassen,174 damit die Tatsachengrundlage sowie die der Beweisaufnahme unterliegenden streitigen Punkte zu Beginn der Hauptverhandlung feststanden. Die Aufgaben des master waren damit eher administrativ-vorbereitender und nur selten tatsächlich juristischer Natur.175 Mit Erlass des Vorverhandlungsbeschlusses wurden Ort, Besetzung und ungefährer Zeitpunkt der Hauptverhandlung festgesetzt, O. 33, rr. 3, 4 RSC. Im Anschluss hieran musste der Kläger den Antrag auf Eintragung des Rechtsstreits in die Verhandlungsliste des zuständigen Gerichts stellen (entry of trial), woran im Anschluss ein Termin für die Hauptverhandlung entsprechend dem Geschäftsverteilungsplan festgesetzt wurde. 176 Es lag damit in der Verantwortung der Parteien, dem Gericht auf diese Weise anzuzeigen, dass das Verfahren in die Endphase übergehen konnte. Obwohl diese Zwischenphase der umfassenden Vorbereitung der Hauptverhandlung diente, auf die viel Zeit und Geld verwandt wurde, führte das Zwischenstadium nicht selten dazu, dass das Klagebegehren aufgegeben wurde oder ein Vergleich zwischen den Parteien zustande kam, 177 nachdem die Parteien ein umfassendes Bild von den zu beweisenden Tatsachen und den ihnen hierfür zur Verfügung stehenden Beweismitteln erlangen konnten. Aus diesem Grund etablierte sich neben der Vorbereitung der Hauptverhandlung auch die einvernehmliche Streitbeilegung als Zweck der Zwischenphase. cc) Endphase Die Endphase des Verfahrens nach den Rules of the Supreme Court zeichnete sich durch eine umfassend vorbereitete Hauptverhandlung aus, in der die Streitsache regelmäßig in einem fortlaufenden Termin erledigt und die nur aufgrund besonderer Umstände unterbrochen wurde. 178 Dadurch, dass die Einleitungs- und Zwischenphase unter der Leitung des master stattfand, erhielt der 171

Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 205; Kiralfy, The English Legal System, S. 200. 172 Diamond 47 A.B.A. J. 697, 700 (1961); Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 62. 173 Kerstrat, Le rôle du Master dans l’Instruction du procès civil en Angleterre, S. 38. 174 Kiralfy, The English Legal System, S. 212; Kötz, in: Festschrift für Imre Zajtay, S. 277, 289. 175 Kerstrat, Le rôle du Master dans l’Instruction du procès civil en Angleterre, S. 41. 176 Bunge, Das englische Zivilprozeßrecht, S. 91. 177 Diamond, 47 A.B.A. J. 697, 701 (1961); Jacob, The Fabric of English Civil Justice, S. 71. 178 Jacob, The Fabric of English Civil Justice, S. 151. Aus dieser Struktur entwickelte sich auch die Bezeichnung “Day in Court” für die Hauptverhandlung.

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Richter zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal Einblick in den Fall. 179 Der Ablauf des Verfahrens folgte einer strengen Ordnung, die wenig Flexibilität erlaubte und im Wesentlichen durch Rede und Gegenrede der Parteivertreter geprägt war. 180 Der Rechtsanwalt des Klägers begann mit der Darstellung des Falles aus seiner Sicht im Hinblick auf die Tatsachen und die anzuwendenden Rechtsnormen, führte Urkunden und andere schriftliche Beweismittel in freier Rede in den Prozess ein und vernahm im Anschluss die Zeugen, die seine Darstellung des Sachverhalts stützen sollten. 181 Auf die Vernehmung eines jeden Zeugen erhielt der Rechtsanwalt der Gegenseite die Gelegenheit, die Glaubwürdigkeit des Zeugen und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage im Wege der crossexamination zu erschüttern.182 Daran anschließen konnte sich das Rückverhör des Klägeranwalts, um aufgetretene Widersprüche zu beseitigen und die Glaubwürdigkeit seines Zeugens zu stärken. 183 Nachdem der Klägervertreter seinen Vortrag beendet hatte, stand dem Beklagtenvertreter dasselbe Recht zu, so dass dieser den Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht präsentierte und hierfür Sach- und Personalbeweise anführte.184 Danach hielten die Rechtsanwälte ihre Schlussplädoyers unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Beweisaufnahme. Im Anschluss hieran fasste der Richter im jury-Prozess das Prozessgeschehen als Entscheidungsgrundlage für die jury zusammen und verwies auf die zwischen den Parteien bestehenden Kontroversen hinsichtlich einzelner Tatsachen (summing up).185 Ferner stellte er die zur Anwendung kommenden Rechtsgrundsätze dar, bevor die jury dann das Urteil sprach.186 Im Verfahren vor dem Einzelrichter verkündete dieser bei einfach gelagerten Fällen unmittelbar im Anschluss an die Schlussplädoyers unter Angabe der Entscheidungsgründe das Urteil. 187 Allerdings war bei komplexeren Sachverhalten ein schriftlicher Erlass des Urteils innerhalb weniger Tage üblich. 188 Entscheidungsgrundlage war allein das, was in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragen

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Cappelletti, Procédure orale et procédure écrite, S. 17; Curti, Englands Zivilprozeß, S. 97; Jolowicz, in: Public Interest Parties and the Active Role of the Judge in Civil Litigation, S. 157, 183; Cohn, Der englische Gerichtstag, S. 34. 180 Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 74. 181 O. 35, r. 7(1)(2) RSC; Casson, Odgers on High Court Pleading and Practice, S. 341. 182 Jolowicz, in: Fundamental Guarantees of the Parties in Civil Litigation, S. 121, 163. 183 Bunge, Das englische Zivilprozeßrecht, S. 92; Jacob, The Fabric of English Civil Justice, S. 164. 184 Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 76. 185 Langan/Henderson, Civil Procedure, S. 225. 186 Kiralfy, The English Legal System, S. 223. 187 Langan/Henderson, Civil Procedure, S. 226. 188 Langan/Henderson, Civil Procedure, S. 226.

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wurde, 189 wodurch sich der Detailreichtum und der dadurch große Umfang der Vorträge der Parteivertreter erklärt. Die Hauptverhandlung zeichnete sich neben dem schematischen Ablauf durch eine strikte Einhaltung des Mündlichkeitsprinzips aus. 190 Eine Bezugnahme auf die Schriftsätze war nicht möglich und Urkundenbeweise konnten nur durch vorheriges Verlesen der Urkunde erbracht werden.191 Der Ursprung des streng mündlichen Verfahrens lag in der Institution des jury trial: Um eine angemessene Entscheidung durch die jury erhalten zu können, war aufgrund der hohen Analphabetenrate erforderlich, dass die Schriftsätze, von denen die jury keine Kenntnis hatte, und alle Beweismittel, auf die sie ihre Entscheidung stützen sollte, mündlich vorgetragen wurden. 192 Trotz dessen, dass die Bedeutung des jury trial auch in England im Lauf der Geschichte immer weiter abnahm,193 wurde weiterhin am Mündlichkeitsprinzip festgehalten.194 Neben der strikten Mündlichkeit war auch die Rolle des Richters in der Hauptverhandlung ein weiteres prägendes Merkmal dieser Prozessphase sowie des englischen Zivilprozesses im Allgemeinen. Die Hauptverhandlung wurde von den Rechtsanwälten dominiert, 195 während der Richter die Rolle des passiven Schiedsrichters einnahm, der nur über die Einhaltung der Verfahrensregeln wachte und nur bei einem Bruch derselben einschritt.196 Dem Richter standen nach den RSC zwar nur geringfügige, aber doch immerhin Befugnisse zu, Zeugen ergänzende Fragen zu stellen oder Sachverständige von Amts wegen zu bestellen (O. 40, r. 1 RSC). Hiervon wurde jedoch sehr zurückhaltend bis gar kein Gebrauch gemacht.197 Von sich aus Zeugen zu laden, deren Aussagen er für die Klärung des Rechtsstreits für sinnvoll erachtet, oder von den Parteien nicht angegebene Urkunden heranzuziehen, stand dem Richter jedoch nicht

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Hamson, R.I.D.C. 1956, 529, 532. Cappelletti, Procédure orale et procédure écrite, S. 17; Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 64. 191 Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 64, 75. 192 Hamson, in: The English Trial and Comparative Law, S. 23; Jolowicz, On Civil Procedure, S. 374. 193 Siehe hierzu Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 66 ff., insb. S. 70. 194 Hamson, in: The English Trial and Comparative Law, S. 23. 195 Jolowicz, On Civil Procedure, S. 375. 196 Jacob, The Fabric of English Civil Justice, S. 9; Kötz, in: Festschrift für Imre Zajtay, S. 277, 279; Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 89; Lightman, 17 C.J.Q. 373, 388 (1998). 197 Kötz, in: Festschrift für Imre Zajtay, S. 277, 279. 190

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zu.198 Selbst das Vernehmen der Zeugen als solches oblag den Rechtsanwälten.199 Eine Aufklärungs- beziehungsweise Hinweispflicht kontinentaleuropäischer Prägung existierte im englischen Prozess nach den RSC nicht. Selbst die Ermittlung der anzuwendenden Rechtsregeln oblag den Rechtsanwälten, die in ihrer Präsentation des Falles sowohl die Sach- als auch die Rechtslage darlegten.200 Eigene Ermittlungen hinsichtlich des anzuwendenden Rechts stellte der Richter damit nicht an, sondern vertraute auf die ihm vorgetragene Anwendung des Rechts. 201 Die Rolle eines passiven Richters, der im ganzen Verfahren Zurückhaltung zeigte, zieht sich durch die gesamte Geschichte des englischen Verfahrensrechts und war trotz einzelner Befugnisse auch das von Gesetzgeber und Justiz gewollte Verhalten des Richters. 202 Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass allein die Parteien die Wahrheit kennen, sich die Rechtsanwälte mit dem Fall über Wochen intensiv beschäftigt haben und damit auch nur sie in der Lage sind, die Wahrheit in einer dynamischen Abfolge von Rede und Gegenrede herauszuarbeiten, so dass es einer richterlichen Intervention durch zu große eigene Aktivität zur Wahrheitsfindung nicht bedarf. 203 Vielmehr sei eine zu aktive Rolle im Hinblick auf die Unparteilichkeit des Richters zu vermeiden,204 so dass der Richter dem Verfahren lediglich eine äußere Struktur geben und zur Einhaltung der Verfahrensregeln anhalten sollte. Jedes aktivere Auftreten eines englischen Richters in einem Verfahren wurde in einem appeal 198

Nagel, Die Grundzüge des Beweisrechts im europäischen Zivilprozeß, S. 51. Cohn, in: Erinnerungsgabe für Max Grünhut, S. 31, 38. 200 Kötz, in: Festschrift für Imre Zajtay, S. 277, 284. 201 Jacob, The Fabric of English Civil Justice, S. 12; Cohn, in: Erinnerungsgabe für Max Grünhut, S. 31, 40. 202 Sehr anschaulich zeigt sich dieses Verständnis des Richters als bloßer Schiedsrichter in dem Fall Air Canada (Air Canada v. Secretary of State for Trade (1983) 2 A.C. 394). Nachdem der Kläger erfolglos von der Verteidigung Dokumente herausverlangt hatte, obwohl er die Bedeutung der Dokumente für das Verfahren nicht darlegen konnte, verlangte der Richter die Dokumente von der Verteidigung mit der Begründung, es sei seine Pflicht die Wahrheit herauszufinden, unabhängig davon welche Partei von diesem Vorgehen pr ofitiere. Diese Aktivität wurde von dem Court of Appeal und dem House of Lords als zu weitgehend angesehen und die Entscheidung in der Folge aufgehoben, da der Richter lediglich mithilfe der von den Parteien beigebrachten Beweise die Wahrheit ermitteln dür fe und darüber hinaus keine weitere Pflicht zu selbstständigen Ermittlungsansätzen existiere. Auch in Jones v. National Coal Board, (1957) 2 Q.B. 55 (C.A.) führte eine nach Auffassung des Court of Appeal zu weitgehende Einmischung des Richters und eine dadurch entstandene Behinderung der Parteien bei der eigenen Präsentation der Beweise zur Aufhebung des Richterspruchs. Siehe auch Jacob, in: The Reform of Civil Procedural Law and Other Essays in Civil Procedure, S. 91, 99. 203 Hamson, R.I.D.C. 1956, 529, 532. 204 Jones v. National Coal Board (1957) 2 Q.B. 55, 64 (C.A.), wo es heißt: “(…) If he goes beyond this, he drops the mantle of a judge and assumes the robe of an advocate; (…). ” So auch Cohn, Der englische Gerichtstag, S. 32 ff.; ders., in: Erinnerungsgabe für Max Grünhut, S. 31, 38. 199

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als zu weitgehend abgestraft und auf diese Weise unterbunden. 205 Seine Befugnisse waren damit auf die formelle Prozessleitung beschränkt. Anders als in kontinentalen Rechtsordnungen war der englische Richter aufgrund des passiven Leitbildes demnach auch nicht aufgerufen, auf eine einvernehmliche Streitbeilegung der Parteien hinzuwirken. 206 Diese reduzierte Rolle des Richters im englischen Verfahren hat ihren Grund nicht zuletzt auch in dem vorhergegangenen Geschehen, war der Richter doch außerstande, leitend einzugreifen, da er erst während des Prozesses mit dem der Klage zugrundeliegenden Sachverhalt durch den Vortrag der Parteien vertraut gemacht wurde und überdies eine vorhergehende Beschäftigung des Richters mit dem Streitstoff als Gefahr für die richterliche Unparteilichkeit angesehen wurde. 207 c) Einordnung Das Verfahren nach den RSC zeichnete sich insgesamt durch einen sehr schematischen und wenig flexiblen Ablauf aus, der teilweise den Eindruck erweckte, dass die Einhaltung der formellen Anforderungen Vorrang vor der Erforschung der materiellen Wahrheit genoss. Diese starke Betonung der Einhaltung formeller Aspekte zeigte sich insbesondere darin, dass der Richter ein besonderes Augenmerk darauf legte, ob die Parteien alle in den pleadings aufgestellten Behauptungen in der Hauptverhandlung beweisen konnten,208 worin ein Überrest des sehr auf Förmlichkeit bedachten frühen englischen Prozesses gesehen werden kann. Die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens erfolgte zwar zunächst anhand von Formblättern, welche jedoch die tatsächlichen Grundlagen des Rechtsstreits nicht darstellten, sondern sich auf die Nennung des geltend gemachten Anspruchs beschränkten. Es läge daher nahe, hierin die Umsetzung von notice pleading nach U.S.-amerikanischem Vorbild zu sehen. Allerdings fand noch vor Übergang des Verfahrens ins Zwischenstadium anhand der pleadings der Austausch der material facts statt, so dass beide Parteien ihre Bemühungen zur Beweisfindung in der folgenden Zwischenphase bereits auf die streitigen Tatsachen konzentrieren konnten, da der in Streit stehende Sachverhalt bereits hinreichend bekannt war. Nach den RSC war damit fact pleading entsprechend

205 Jolowicz, The Active Role of the Court, S. 12; Cohn, in: Erinnerungsgabe für Max Grünhut, S. 31, 38. 206 Jacob, The Fabric of English Civil Justice, S. 12; Kötz, in: Festschrift für Imre Zajtay, S. 277, 287. 207 K. Schmidt, Der Abschied von der Mündlichkeit, der Parteiherrschaft und dem Überraschungsprinzip, S. 37 f. 208 Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 89.

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dem italienisch-kanonischen Modell als auch dem Hauptverhandlungsmodell gefordert.209 Die Zwischenphase des Verfahrens zeichnete sich im Wesentlichen durch eine breite Tatsachenerforschung aus, die überwiegend auf eigene Verantwortung der Parteien stattfand und darauf ausgerichtet war, den der Klage zugrunde liegende Sachverhalt möglichst umfassend herauszuarbeiten sowie Beweismittel für die eigene Rechtsposition zu beschaffen. Gerade das Erstellen der Listen für die production of documents, konnte die Zwischenphase nicht nur, aber insbesondere in komplexen Fällen so aufblähen, dass der Aufwand außer Verhältnis zum eigentlichen Streitwert stand. 210 Der master gab der Zwischenphase durch prozessleitende Verfügungen zwar ihren Rahmen, dies änderte allerdings nichts an der weitaus größeren Aktivität und der hieraus resultierenden Dominanz der Parteien in diesem Verfahrensstadium. Dass der master lediglich auf Antrag der Parteien tätig wurde, fügt sich nahtlos hier ein. Selbst die Überleitung der Zwischenphase in die Hauptphase des Verfahrens erfolgte nur, nachdem die Parteien dem master signalisiert hatten, dass der Streitstoff für die Hauptverhandlung ausreichend aufbereitet war. Hier drängt sich eine Parallele zum Antragsprinzip im italienisch-kanonischen Verfahren auf, welches ebenfalls den Fortgang des weiteren Verfahrens an einen Antrag der Parteien knüpfte. Hierin liegt ein Überrest der Equity-Tradition, die in ihrer Entwicklung Anleihe am kanonischen Verfahrensrecht genommen hatte. 211 Durch die Konzentration des wesentlichen prozessualen Geschehens in einer Hauptverhandlung, in der der gesamte Streitstand von den Parteivertretern mangels Möglichkeit der Bezugnahme auf die Schriftsätze erörtert wurde und für die aufgestellten Behauptungen Beweise aufgenommen wurden, liegt der Schluss nahe, dass man den Prozess nach den RSC dem Hauptverhandlungsmodell zuordnet. Dies scheint auch deshalb zu überzeugen, weil auch die Zwischenphase des englischen Prozesses wie im Hauptverhandlungsmodell darauf ausgerichtet war, den Prozessstoff so weit aufzubereiten, dass das Verfahren in einem umfassend vorbereiteten Haupttermin an einem Tag, dem sogenannten 209

So auch Jacob/Goldrein, Pleadings: Principles and Practice, S. 45; Jacob, in: The Reform of Civil Procedural Law and Other Essays in Civil Procedure, S. 301, 316. 210 Michalik, in: Civil Justice in Crisis, S. 117, 125 f.; M. Stürner, ZVglRWiss 99 (2000), 310, 323. Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 166 f., der mit einem Zitat von Brett LJ aus dem Peruvian Guano Case (Compagnie Financière du Pacifique v. Peruvian Guano Company (1882) 11 QBD 55) den Umfang der production of documents in seiner ganzen Dimension darlegt. Anhand dieses Falles hatte sich der “Peruvian Guano Test” herausgebildet, um die offenzulegenden Dokumente festzulegen, der jedoch auch nur periphär betroffene Dokumente zur Vorlage bestimmte. Mit der Zunahme des Schriftverkehrs insbesondere im Handelsverkehr stieg die Anzahl der vorzulegenden Dokumente daher rapide an, so dass der Test häufig zu außer Verhältnis zur Streitsache stehenden Ergebnissen führte. Vgl. hierzu Andrews, The Modern Civil Process, S. 96. 211 Maitland, Equity, S. 5; Hazard/Taruffo, American Civil Procedure, S. 13.

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day in court, erledigt werden kann. Aber auch hier ist zu berücksichtigen, dass zwar das Tatsachen- und Beweismaterial umfassend für die Verhandlung vorbereitet wurde, so dass die Parteien vollständige Kenntnis vom gesamten Sachverhalt hatten, der Richter als Entscheidungsorgan hingegen bis zum Beginn der Hauptverhandlung keine Kenntnis von dem Fall hatte. Er erlangte vom Streitstoff vorab nur insoweit Kenntnis, als die Parteien den Erlass gerichtlicher Verfügungen in der Zwischenphase verlangten.212 Von einer umfassenden Vorbereitung seinerseits kann daher nicht gesprochen werden. Allerdings greift eine Einordnung allein anhand der äußeren Struktur des Verfahrens ohnehin zu kurz, da der Streit regelmäßig in einer Hauptverhandlung unter direkter Konfrontation der Parteien einer Klärung zugeführt wird, so dass beim Abstellen auf rein äußerliche Aspekte die meisten prozessualen Regelungen des Verfahrensablaufs dem Hauptverhandlungsmodell zuzuweisen wären. Der wohl entscheidende Aspekt für eine Zuordnung zum Hauptverhandlungsmodell ist die Stellung des Richters und der Umfang seiner Leitungsbefugnisse. Dadurch, dass der entscheidende Richter in der Zwischenphase nicht mit der Streitsache befasst ist und er in der Hauptverhandlung die Rolle des passiven Schiedsrichters einnimmt, sind die richterlichen Leitungsbefugnisse im englischen Prozess nach den RSC stark eingeschränkt. Der englische Richter entschied allein über den von den Parteien vorgetragenen Streitstoff, unabhängig davon, ob dieser auch die tatsächliche Wahrheit widerspiegelte. 213 Eigene Ermittlungsbefugnisse oder Fragerechte waren ihm nicht zugewiesen. Der englische Richter lässt sich daher sehr gut mit “inactive, passive, remote, neutral and independent”214 charakterisieren. Demgegenüber hat der Richter des Hauptverhandlungsmodells insbesondere durch die Aufklärungs- und Hinweispflicht sowie durch die Verpflichtung, auf eine gütliche Streitbeilegung während des gesamten Verfahrens hinzuwirken, 215 eine starke Stellung inne, die ihm eine große Einflussmöglichkeit nicht nur auf den formalen Ablauf der Verhandlung, sondern auch auf die Lösung des materiellen Streits gewährt. Diese These des passiven Richters könnte jedoch dadurch infrage gestellt werden, dass der master, der in der Zwischenphase richterliche Funktionen ausübte, 216 aktiv darauf hinwirkte, dass die Vorbereitung des Verfahrens in einer Weise stattfand, die eine schnelle, nicht allzu kostspielige und effiziente Ent-

212 Bücker, Mündliche und schriftliche Elemente und ihre rechtsgeschichtlichen Hintergründe im englischen Erkenntnisverfahren, S. 15; K. Schmidt, Der Abschied von der Mündlichkeit, der Parteiherrschaft und dem Überraschungsprinzip, S. 38. 213 Cohn, in: Erinnerungsgabe für Max Grünhut, S. 31, 35. 214 Jacob, The Fundamental Features of English Civil Justice, S. 4. 215 Die Aufklärungs- und Hinweispflicht ergibt sich für das deutsche Recht aus § 139 I ZPO; die Verpflichtung, auf eine gütliche Streitbeilegung während des Verfahrens hinzuwirken, folgt aus § 278 I ZPO. 216 Kötz, in: Festschrift für Imre Zajtay, S. 277, 289.

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scheidungsfindung möglich machte. Ferner konnte er auf Verlangen der Parteien auch die Erfolgsaussichten der Klage unter Zuhilfenahme seiner Erfahrung einschätzen. In dieser Phase des Verfahrens lässt sich damit eine passive Haltung der leitenden Gerichtsperson nicht mehr bestätigen. Allerdings kann diese Aktivität von gerichtlicher Seite aus nur dann Einfluss auf die Struktur des Verfahrens und seine Einordnung haben, wenn diese nicht nur punktuell erfolgt, sondern Auswirkungen auf den weiteren Gang des Verfahrens zeitigt. Dies wäre dann der Fall, wenn der master des englischen Rechts eine vergleichbare Position wie der Instruktionsrichter des italienisch-kanonischen Prozessmodells innehatte. Diese Ähnlichkeit der beiden Institutionen, die auf dem Gedanken basieren, durch Zwischenschaltung einer Person in der Zwischenphase zu einer effektiveren Endphase mit der Hauptverhandlung beizutragen, besteht jedoch nur auf den ersten Blick: Die Aufgabe des Instruktionsrichters des italienisch-kanonischen Modells ist es, die Beweisaufnahme durchzuführen und dem in der Endphase des Prozesses entscheidenden Richter die Ergebnisse der Beweisaufnahme mitzuteilen. Der Instruktionsrichter nimmt damit eine materielle Aufgabe dergestalt wahr, dass er in alleiniger Verantwortung Verfahrensabschnitte durchführt, die auf den materiellen Inhalt der Entscheidung Einfluss nehmen können. Sein Tätigwerden dient damit bereits der Erforschung der materiellen Wahrheit. Der master nahm hingegen nur formelle Anordnungen vor, die sich nicht auf inhaltliche Aspekte der Entscheidung auswirkten. Im Ergebnis kommt der Arbeit durch den master daher lediglich eine den Richter entlastende Funktion zu, indem unwesentliche Aufgaben im prozessvorbereitenden Stadium an ihn delegiert werden. 217 Dass das Tätigwerden des master sich auch nicht auf die Entscheidung durch den Richter auswirkte, zeigte sich auch darin, dass er den letztlich entscheidenden Richter nicht über die Vorgänge und gegebenenfalls Erkenntnisse der Zwischenphase informierte. Dieser erhielt nur durch die Akte Kenntnis davon, welche Anordnungen getroffen wurden. Eine Kommunikation über die Wertigkeit oder Überzeugungskraft der einzelnen Beweismittel erfolgte jedoch nicht. Diese wurden jedoch auch in der Folge in der Hauptverhandlung von den Parteien präsentiert, so dass der master aufgrund seiner beschränkten Befugnisse auch keine Auskunft darüber erteilen konnte. Der master des englischen Rechts und der Instruktionsrichter des klassischen italienisch-kanonischen Modells sind damit nicht miteinander vergleichbar.218 Vielmehr war die strenge Umsetzung des Unmittelbarkeitsprinzips ein prägendes Element des englischen Verfahrens und fügte sich nahtlos in das Richterbild des englischen Prozessrechts ein, welcher als „Grandseigneur“ von jeglichen schriftlichen Unterlagen frei zu halten war und der allen

217 Cohn, in: Erinnerungsgabe für Max Grünhut, S. 31, 35; Jacob, Fundamental Features of English Civil Justice, S. 19. 218 So auch Jacob, The Fabric of English Civil Justice, S. 113.

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bedeutenden Verfahrensschritten beiwohnen musste, um seiner Stellung gerecht zu werden.219 Zwar wurde das Gericht in der Zwischenphase des englischen Prozesses durch den master repräsentiert, doch aufgrund seiner bloß formellen Leitungsbefugnisse und der fehlenden Kommunikation mit dem Entscheidungsrichter kann nicht davon gesprochen werden, dass diese Prozessphase neben den Parteien auch dem Gericht dienen sollte. Letztlich war es der Hauptzweck der Zwischenphase, die Parteien umfassend zu informieren. Während die Zwischenphase im italienisch-kanonischen Modell und im Hauptverhandlungsmodell der Information der Parteien und des Gerichts dient, kam die Zwischenphase im englischen Prozess nach den RSC allein den Parteien zugute. Zwar wurde die Zwischenphase durch eine Person mit richterähnlichen Funktionen begleitet, allerdings erfolgte keine Intervention durch das Gericht, die zu einer Vorbereitung des entscheidenden Richters führte. Dieser erlangte vielmehr erst kurz vor oder in der Hauptverhandlung Kenntnis vom Streitstand. Letztlich stellte die Begleitung durch einen master in der Zwischenphase des Prozesses nur eine Hilfsfunktion für die Parteien bei ihrer Vorbereitung der Hauptverhandlung dar. An der Informationsfunktion der Zwischenphase, die damit alleine den Parteien zugute kam, änderte sich dadurch aber nichts. Wesentliches Merkmal der Hauptverhandlung im amerikanischen trial-Modell ist die Dominanz der Parteien beziehungsweise deren Rechtsanwälte sowie die hieraus resultierende Passivität des Richters. Auch er agiert lediglich als Schiedsrichter und überwacht die Einhaltung der Verfahrensregeln, während die Parteien in dynamischem Vortrag die materielle Wahrheit zu erforschen versuchen, so dass das englische Verfahren nach den RSC und das trial-Modell insoweit deckungsgleich sind. Die Passivität des englischen Richters zeigte sich neben seiner fehlenden Befugnis zu einem aktiven Auftreten im trial, auch besonders deutlich darin, dass er nicht von Amts wegen tätig werden konnte, wenn eine Partei eine Erklärung abgeben musste, damit das Verfahren weiterlaufen konnte. In diesen Fällen stockte das Verfahren, bis eine der Parteien die für den Fortgang des Verfahrens notwendigen Maßnahmen traf. Eine vom Gericht ausgehende Beschleunigung des Prozesses hingegen erfolgte nicht. 220 Allerdings zeigen sich sowohl in der Einleitungs- als auch der Zwischenphase Unterschiede: Während nach den RSC fact pleading verlangt war, genügt nach dem trial-Modell notice pleading, so dass die pleadings nach englischem Recht umfassender sind und die Streitfragen schon eher eingrenzen. Die neueren Entwicklungen durch die Rechtsprechung des U.S.-amerikanischen Supreme Court geben jedoch Anlass zu der Vermutung, dass in der Zukunft auch vermehrt Tatsachen in Klage und Klageerwiderung vorgetragen werden müssen. 219

Cohn, in: Erinnerungsgabe für Max Grünhut, S. 31, 34 f. Hierzu siehe Jolowicz, The Active Role of the Court, S. 14 f.; K. Schmidt, Der Abschied von der Mündlichkeit, der Parteiherrschaft und dem Überraschungsprinzip, S. 44. 220

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Zudem ist zu berücksichtigen, dass die bloße Klageeinleitung durch writ im englischen Prozess ebenfalls nur Tatsachenbehauptungen in sehr engem Rahmen enthielt. Die Zwischenphase des trial-Modells, die pretrial discovery, zeichnet sich durch eine sehr breite Tatsachenerforschung aus. Im Grundsatz stimmt das Vorverfahren nach den RSC damit überein, doch die Grenzen der discovery sind enger gezogen. Eine discovery gegen Nichtparteien oder Kreuzverhöre außerhalb der Hauptverhandlung finden sich im englischen Verfahren nach den RSC nicht.221 Dennoch ist sie weitgehender als in kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen und bleibt damit mit der discovery des trial-Modells vergleichbar. Dies nicht zuletzt auch wegen der fehlenden Eigeninitiative des Gerichts in diesem Verfahrensstadium. Im Ergebnis konstituierten die RSC damit einen Prozess, der seiner Struktur nach dem U.S.-amerikanischen trial-Modell am nächsten steht. Kleinere Modifikationen wie das Verlangen von fact pleading oder die Einschränkungen im Rahmen der discovery können keinen nennenswerten Einfluss auf die strukturelle Einordnung nehmen. 4. County Court Rules Das Verfahren nach den County Court Rules entsprach in seiner Grundstruktur dem Verfahren nach den RSC. Lediglich kleinere Modifikationen, die dem Anwendungsbereich der County Court Rules Rechnung trugen, unterschieden das Verfahren von jenem nach den RSC. Allerdings vermögen sie die Zuordnung der Verfahrensstruktur zum trial-Modell nicht zu beeinflussen: Auch das Verfahren nach den County Court Rules ist geprägt durch fact pleading in der Einleitungsphase222 sowie einer Zwischenphase unter Leitung des master, welcher formelle Anordnungen im Hinblick auf die Hauptverhandlung traf. Die Beweisfindung durch die Parteien unterliegt in der discovery engeren Grenzen, um die Kosten bei geringeren Streitwerten verhältnismäßig zu halten. 223 Die Hauptverhandlung, die weniger durch Formalitäten geprägt war als jene nach den RSC, 224 wurde ebenfalls durch einen weitestgehend passiven Richter geprägt, der zu Beginn der Hauptverhandlung Kenntnis vom Sachverhalt erlangte und überwiegend die Einhaltung der Verfahrensregeln durch die Parteien überwachte, dessen Befugnisse damit auf die formelle Prozessleitung beschränkt waren. Allerdings existierten bereits Ansätze einer Verfahrensbeschleunigung in Form von Zeitplänen für die pretrial proceedings, O. 17, r. 11 CCR. Diese

221

Vgl. hierzu Diamond, 47 A.B.A. J. S. 697, 700 (1961). Scott, The Supreme Court Practice 1999, Vol. 1, Rn. C6/1/2, C6/1/3. 223 Scott, The Supreme Court Practice 1999, Vol. 1, Rn. C14/1/4. 224 Jacob, The Fabric of English Civil Justice, S. 38. 222

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konnten jedoch das drängendste Problem hoher Verfahrenskosten nicht beheben.225 5. Die Civil Procedure Rules 1999 als Wendepunkt im englischen Zivilverfahrensrecht? a) Reformbedürftigkeit des englischen Zivilprozessrechts Das englische Zivilprozessrecht blieb bis auf einzelne Regelungen, die den Verfahrensablauf und damit die Prozessstruktur nicht nennenswert beeinflussten, nahezu ein Jahrhundert lang unangetastet. Allerdings mehrte sich ab den 1980er Jahren vermehrt Kritik an der Organisation der Zivilgerichte und dem desolaten Zustand der zivilgerichtlichen Prozesspraxis. Kernpunkt der Diskussion waren die hohen Verfahrenskosten, die lange Verfahrensdauer sowie die Unübersichtlichkeit des Verfahrens für juristische Laien. 226 Über die Jahre hinweg wurden zahlreiche committees einberufen, um sich dieser Kritik anzunehmen und Verbesserungsvorschläge hinsichtlich dieser Punkte auszuarbeiten.227 So sprach sich der Civil Justice Review 1988 für eine Stärkung der richterlichen Leitungsbefugnisse aus, um dem zivilrechtlichen Gerichtsverfahren einen strikteren Rahmen zu geben, um auf diese Weise eine Effizienzsteigerung und damit eine Kostensenkung erreichen zu können.228 Obwohl diese Empfehlung nicht umgesetzt wurde,229 wurden die auf Grundlage des Civil Justice Review eingeführten Veränderungen als “landmark in the ongoing history of English civil procedure” gefeiert.230 Allerdings konnten sie die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen, so dass der General Council der Bar and Law Society die Erstellung des Heilbron/Hodge Report 1992/1993 veranlasste. Dieser formulierte als Ziele einer umfassenden Reform des Prozessrechts die frühe einvernehmliche Streitbeilegung, eine stärkere Orientierung der Parteien am Effizienzgedanken während aller Phasen des Verfahrens sowie die Einführung von an die Bedeutung des Streitgegenstands und den Streitwert angepassten Verfahren. Insbesondere die vollständige Umsetzung des Parteibetriebs und die hieraus resultierende weit zurückgedrängte Macht des Richters, auf den Verfahrensab-

225

Zuckerman, 22 J.L. & Soc’y 155, 156 (1995). Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 4; Zuckerman, ZZPInt 2 (1997), 31, 31. Für die überlange Verfahrensdauer siehe Michalik, in: Civil Justice in Crisis, S. 117, 142 Table 4.3. 227 Clarke, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 33, 39. 228 U.K., Department of Constitutional Affairs, An early evaluation of the Civil Justice Reforms, March 2001, Introduction 1.3 (http://webarchive.nationalarchives.gov.uk/+/ http://www.dca.gov.uk/civil/emerge/emerge.htm) (zuletzt abgerufen am 19.10.2015). 229 Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 4. 230 Jacob, The Supreme Court Practice 1993, Vol. 1, S. vii. 226

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lauf gestaltend und ordnend einzuwirken, wurde als Ursprung der hohen Verfahrenskosten und der Verfahrensverzögerungen identifiziert.231 Die traditionelle Passivität des Richters im gesamten englischen Zivilverfahren begünstigte eine übermächtige Stellung der dominierenden Parteianwälte, die durch taktierendes Prozessieren die Effizienz des Gerichtsverfahrens stark einschränkten oder durch ausufernde discovery-Ermittlungen zu Randproblemen die eigentlichen Kernprobleme der juristischen Auseinandersetzung aus den Augen verloren.232 Dies alles resultierte in den angesprochenen extrem hohen Verfahrenskosten und der langen Verfahrensdauer.233 Die nachteilige Auswirkung auf die Kostentragung bei der Nichtbeachtung der wenigen Normen, die durch einen festgelegten Zeitplan einen effizienten Verfahrensablauf sichern sollten, entfaltete ihren Sanktionscharakter nicht 234 und konnte damit Verschleppungen aus taktischen Gründen nicht unterbinden. Dies lag nicht zuletzt auch daran, dass eine Sanktion nur auf Antrag einer Partei ausgesprochen wurde. 235 Der Abbau der strikten Förmlichkeiten durch die Judicature Acts 1873−1875 und das sich hieraus entwickelnde sehr liberale Verfahrensverständnis wurde in der Praxis ad absurdum geführt, so dass die Missachtung von Verfahrensregeln in vielen Fällen keinen direkten Einfluss auf den Verfahrensablauf hatte und so kein Sanktionseffekt eintrat.236 Dies, die Unberechenbarkeit der Verfahrenskosten, mit denen sich ein Kläger im Fall eines Rechtsstreits konfrontiert sah, sowie die Disproportionalität von Verfahrenskosten und Streitwert bei weniger komplexen Sachverhalten und der sich daraus ergebende Abschreckungseffekt führten damit ebenso wie in Deutschland zu einer verfassungsrechtlichen Dimension der Probleme des Zivilverfahrensrechts. 237 In letzter Konsequenz war dies eine Verweigerung von Rechtsschutz und stellte den Anspruch auf Justizgewährung infrage. Die im Laufe der Jahre erstellten und zum Teil umgesetzten Verbesserungsvorschläge, die sich jeweils nur punktuell auf einzelne Regelungen bezogen, konnten nicht zu einer nennenswerten Veränderung der Situation führen, so dass schließlich Lord Woolf 1995 von dem seinerzeit amtierenden Lord Chancellor damit beauftragt wurde, das gesamte Prozessrecht umfassende Reformvorschläge auszuarbeiten, die zu einem radikalen Bruch mit der problemträchtigen Verfahrensstruktur führen sollten. 238 231

Eine Darstellung der Defizite des Prozessrechts sowie Lösungsansätze finden sich bei Zuckerman, 22 J.L. & Soc’y 155 ff. (1995). 232 Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 8. 233 Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 7 f. 234 Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 8. 235 K. Schmidt, Der Abschied von der Mündlichkeit, der Parteiherrschaft und dem Überraschungsprinzip, S. 44. 236 Michalik, in: Civil Justice in Crisis, S. 117, 127 f. 237 Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 8 f.; Zuckerman, ZZPInt 2 (1997), 31, 31. 238 Weber, ZZPInt 5 (2000), 59, 62.

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b) Konzeption von Lord Woolf 1995/1996 Ziel der Untersuchungen durch Woolf war es, durch grundlegende Neuerungen eine umfassende Neugestaltung des Verfahrensrechts zu erreichen und Lösungsansätze zu präsentieren, die sowohl Verfahrenskosten als auch die Verfahrensdauer bei gleichzeitiger Beibehaltung einer hohen Qualität der Rechtsprechung senken können. Hierbei stellte er ein active case management durch die Richter in das Zentrum seiner Untersuchungen und des anschließenden Reformvorschlags, nachdem er die Passivität des Richters und die Dominanz der Parteivertreter als Ursprung der größten Probleme des damals geltenden Prozessrechts, der hohen Verfahrenskosten und der langen Verfahrensdauer, identifiziert hatte. Folglich stellt das active case management durch den Richter den Ausgangspunkt für alle Verbesserungsvorschläge von Woolf dar. 239 aa) Active Case Management Durch das Konzept des active case management solle die Stärkung der Richtermacht dem Verfahren einen strikteren Ablauf geben, der Verzögerungstaktiken der Parteien gegenstandslos werden lässt und damit auch zu einer Waffengleichheit zwischen den Parteien trotz unterschiedlicher finanzieller Hintergründe führt.240 Die Stärkung der Richtermacht im Hinblick auf den Verfahrensablauf solle jedoch laut Woolf nicht zur Aufhebung des für die englische Rechtstradition prägenden Instituts des adversary system führen,241 sondern vielmehr zu einer effektiven Kumulierung der Vorteile desselben mit seiner dynamischen Wahrheitsermittlung durch die Parteien und einer richterlichen Leitungsbefugnis, die die streitigen Kernfragen im Fokus behält und zu einer kooperativen Verfahrensgestaltung anhält. Die größere Richtermacht solle sich insbesondere darin zeigen, dass die Richter den Verfahrensablauf wesentlich gestalten können. Sie sollen das Verfahren ohne Anträge durch die Parteien vorantreiben und in die folgenden Stadien überleiten können. 242 Ferner sollen dem Gericht zukünftig weitreichendere Instrumente zur Sanktionierung mangelnder Kooperation und Verspätung zustehen, wie nachteilige Kostenentscheidungen243, der Ausschluss bestimmter Aspekte des Falles im weiteren

239 Michalik, in: Civil Justice in Crisis, S. 117, 153 spricht von active case management als Dreh- und Angelpunkt (linchpin) der Woolf’schen Reformvorschläge. 240 Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 28. 241 Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 29. 242 Andrews, The Modern Civil Process, S. 25. 243 Umgesetzt in CPR 3.8(2).

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Verfahren (striking out) 244 sowie eine vorübergehende Stilllegung des Verfahrens (stay). 245 (1) Alternative Dispute Resolution und Vergleiche In Zusammenhang mit der Stärkung der Richtermacht in Bezug auf die Verfahrensgestaltung steht die Forderung Woolfs nach einem verstärkten Einsatz von alternativen Streitbeilegungsmethoden (alternative dispute resolution) sowie die Förderung von Vergleichsabschlüssen, um auf diese Weise die Ressourcen des Justizapparates durch unnötige Prozesse zu schonen. 246 Mit dem Leitmotiv “less adversarial, more co-operative” 247 schloss er sich einem weltweiten Trend an, der verstärkt Methoden der alternativen Streitbeilegung zur Schonung personeller und sachlicher juristischer Ressourcen fördert.248 In der Prozesspraxis nach den RSC spielten alternative Streitbeilegungsmethoden kaum eine Rolle, was nicht zuletzt daran lag, dass zum einen mangels richterlichen Hinweises diese Methoden der Streitbeilegung wenig bekannt waren 249 und zum anderen Rechtsanwälte wohl einerseits aufgrund finanzieller Interessen und andererseits, um ein möglicherweise durch die Gegenseite als Schwäche interpretiertes Verhalten zu vermeiden, ihren Mandanten eher zur Durchführung einer streitigen Verhandlung rieten. Aufgrund der Passivität des Richters wurde die Vergleichsbereitschaft der Parteien auch nicht gefördert. Erst die Androhung einer Partei, eine intensive und damit kostspielige discovery im Rahmen des pretrial durchzuführen, oder die aus einer discovery erlangten Erkenntnisse führten dazu, dass viele Rechtsstreitigkeiten verglichen wurden. Zu diesen Zeitpunkten war der Prozess aber schon so weit fortgeschritten, dass zahlreiche Ressourcen des Justizapparats bereits in Anspruch genommen wurden und beträchtliche Verfahrenskosten auf Seiten der Parteien entstanden waren.250 Ein weiterer Mangel zeigte sich zudem darin, dass der finanzielle Hintergrund der Parteien Einfluss auf den Ausgang des Rechtsstreits nehmen konnte. 251 Waffengleichheit im Prozess war damit nicht mehr gewährleistet. Aus diesen Gründen favorisierte Woolf mit Blick auf die Reduzierung von Verfahrenskosten und Verfahrensdauer eine Förderung von alternativen Streitbeilegungsmethoden, die regelmäßig schneller und kostengünstiger ein für beide 244

Umgesetzt in CPR 3.4(2)(c). Umgesetzt in CPR 3.1(2)(f). Siehe hierzu Andrews, The Modern Civil Process, S. 25; ders., ZZPInt 8 (2003), 69, 73 f. 246 Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 44. 247 Woolf, Access to Justice, Final Report, S. 5. 248 Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 138. 249 Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 137. 250 Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 14. 251 Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 14; Michalik, in: Civil Justice in Crisis, S. 117, 151. 245

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

Parteien tragbares Ergebnis hervorbringen und zu einem frühestmöglichen Abschluss von Vergleichen in geeigneten Fällen führen können. Beides setzt aber eine aktive Rolle des Richters voraus. An dieser Stelle wird auch der Gedanke relevant, dass eine einvernehmliche Streitbeilegung auf einer freien Entscheidung der Parteien beruhen soll und gerade nicht das Ergebnis des finanziellen Drucks aufgrund einer drohenden Kostenexplosion wegen ausufernder discovery-Ermittlungen sein sollte. (2) Small Claims, fast track und multi-track Um ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Umfang des Verfahrens und des in Streit stehenden Gegenstands zu wahren, schlug Woolf ferner ein nach Bedeutung und Umfang des Streitgegenstands differenzierendes System von Verfahrensarten vor. Dadurch, dass die RSC nur ein Verfahren unabhängig von der Komplexität des Rechtsstreits vorsahen, unterlagen selbst kleinere Streitigkeiten demselben Verfahrensablauf und derselben weitläufigen pretrial discovery wie Verfahren mit großen Streitwerten. Nicht selten standen damit die entstehenden Verfahrenskosten außer Verhältnis zum Streitwert, so dass die Gefahr bestand, dass ein Verfahren als nicht lohnenswert angesehen und ein gerichtliches Verfahren infolgedessen gescheut wurde. Diese faktische Einbuße an Rechtsschutz müsse nach Auffassung Woolfs dringend behoben werden, so dass er drei Verfahrensarten abhängig vom Streitwert vorschlug, denen allen gemeinsam sein solle, dass sie einem strikten Verfahrensablauf unterliegen, der zum Teil auch anhand eines vom Richter aufgestellten Zeitplans fixiert werden solle und dessen Einhaltung überwacht und die Nichteinhaltung gegebenenfalls sanktioniert werden solle. Im small claims track an den County Courts sollen Streitigkeiten bis £ 3 000 behandelt werden.252 Nach Woolfs Vorstellung solle das Verfahren weiterhin in einer formlosen Verhandlung erledigt werden, die keine anwaltliche Vertretung erfordere und keine Kostenerstattung der Anwaltsgebühren im Falle des Obsiegens kenne. 253

252 Nach den Jackson Reforms, die im April 2013 in Kraft getreten sind, erfasst der small track nun Klagen zwischen £ 5 000 und £ 10 000. Für personal injury Fälle gilt jedoch weiterhin eine Wertgrenze von £ 1 000. Vgl. CPR 27.1.(2), Andrews, Andrews on Civil Processes, Vol. I Court Proceedings, Rn. 5.44. 253 Zuckerman, ZZPInt 2 (1997), 31, 33. Nach Veröffentlichung des Interim Reports wurde zu Beginn des Jahres 1996 die Streitwertgrenze auf Anraten von Lord Woolf in seinem Interim Report von bisher £ 1 000 auf £ 3 000 angehoben. Das Verfahren der small claims war damit nicht mehr weiter Gegenstand von Woolfs Betrachtung, vgl. Woolf, Access to Justice, Final Report, S. 10; ders., in: The Pursuit of Justice, S. 311, 320. Zum Verfahren siehe Michalik, in: Civil Justice in Crisis, S. 117, 123; Greene, The New Civil Procedure Rules, S. 173 ff.

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Der fast track solle Klagen mit einem Streitwert von £ 3 000 bis £ 10 000 sowie zusätzlich einige nach Sachgebieten geordnete Klagen erfassen. 254 Um Prozessverschleppung zu verhindern, solle sich der Verfahrensablauf nach einem strikten, vom Richter aufgestellten Zeitplan richten, der die Gesamtdauer des Verfahrens auf 20 bis 30 Wochen sowie die einzelnen Verfahrensabschnitte ebenfalls zeitlich festlegen soll.255 Hierfür sollen standardisierte Anordnungen herangezogen werden. Ein Abweichen hiervon solle nur in besonderen Einzelfällen möglich sein, um die angestrebte Verfahrensbeschleunigung nicht zu gefährden.256 Als weiteres Element der Verfahrensbeschleunigung und der Reduzierung von Verfahrenskosten diene die Einschränkung der weiten Beweisfindungsphase. Die Anzahl der Sachverständigen solle vom Gericht überwacht werden. Dieses solle außerdem auf den Einsatz eines single joint expert hinwirken, dessen Einsatz aufgrund seiner Neutralität auch die Vergleichsbereitschaft der Parteien fördern könne.257 Hiermit solle ein vernünftiges Maß zwischen der Bedeutung der Streitsache und dem Umfang der Beweisaufnahme gewahrt werden. Diese Einschränkung mache ferner deutlich, dass die discovery nicht mehr finanzielles Druckmittel sein solle, welches Parteien trotz guter Erfolgsaussichten der Rechtspositionen mangels ausreichender Finanzkraft zu einem Vergleich als zwar günstigere, aber möglicherweise rechtlich nachteilhafte Verfahrensbeendigung zwinge. Dem Grundsatz prozessualer Waffengleichheit soll hiermit auch zu umfassender Geltung verholfen werden. Ferner solle in Abkehr der bisher vorherrschenden Mündlichkeit keine mündliche Anhörung des Sachverständigen erfolgen, sondern nur schriftliche Fragen der Parteien zugelassen werden. 258 Darüber hinaus solle die discovery im Hinblick auf die Vorlage von Dokumenten stark auf jene eingeschränkt werden, auf die sich die Partei zur Begründung des eigenen Vortrags stütze sowie auf solche, die die eigene Position möglicherweise beeinträchtigen.259 Weitergehende Urkundenvorlagen, die nicht ausschließlich der Klärung des Kernstreits dienen, sollen nur noch auf court order hin vorgelegt werden müssen. 260 Die Hauptverhandlung solle ferner

254 Umfassend zum fast track Greene, The New Civil Procedure Rules, S. 187 ff. Nach den Jackson Reforms im April 2013 werden nun Verfahren im fast track behandelt, deren Wert £ 25 000 nicht übersteigt, vgl. Andrews, Andrews on Civil Processes, Vol. I Court Proceedings, Rn. 5.45. 255 Woolf, Access to Justice, Final Report, S. 28. 256 Woolf, Access to Justice, Final Report, S. 36. 257 Woolf, Access to Justice, Final Report, S. 140 ff. 258 Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 189; Michalik, in: Civil Justice in Crisis, S. 117, 154; I.R.S. 15 C.J.Q. 273, 275 (1996). 259 Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 169; ders., Access to Justice, Final Report, S. 124. 260 Woolf, Access to Justice, Final Report, S. 125.

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zeitlich auf drei Stunden begrenzt werden 261 und damit als Anreiz für eine umfassende Vorbereitung sowie der zeitlich straffen Präsentation der Beweisergebnisse mit einem Fokus auf das für die Streitentscheidung Wesentliche dienen. Als letzte neue Verfahrensart sollen alle nicht den small claims oder dem fast track zugewiesenen Streitigkeiten im multi-track behandelt werden. Dieses Verfahren zeichne sich dadurch aus, dass kurze Zeit nach dem Eingang der Klageerwiderung eine erste Anhörung vor dem procedural judge (case management conference) stattfinde, in welcher die Komplexität des Falles und das angemessene Maß von case management festgelegt werden soll. 262 Ferner solle den Parteien in einem strikten Zeitplan aufgegeben werden, welche Maßnahmen sie bis zu dem wenige Wochen vor der Hauptverhandlung stattfindenden pretrial review ergreifen müssen.263 Weiterhin werden durch richterliche Anordnung der Umfang der discovery und einer potentiellen Sachverständigenuntersuchung sowie der zeitliche Rahmen festgesetzt. 264 Nach Ausführung der getroffenen Anordnungen solle der pretrial review vor dem die Hauptverhandlung leitenden Richter die streitigen Themen näher betrachten, um auf diese Weise zu einer effektiven Vorbereitung der Hauptverhandlung zu führen. Auch der Inhalt des trial, der zeitliche Ablauf, die heranzuziehenden Beweismittel sowie die gegebenenfalls entstehenden Kosten sollen näher betrachtet werden. Diese Vorbereitung stehe dann im Einklang mit den Schlüsselbegriffen der Reform, namentlich Verfahrensbeschleunigung und Kostensenkung. Das Ziel dieser beiden Vorverhandlungen sei es, alle Fragen vorab zu klären, die nicht notwendigerweise in der Hauptverhandlung zu behandeln sind und diese dadurch nur verzögern würden. Ferner solle der Richter in geeigneten Fällen auf die Streitbeilegung durch Vergleich oder alternative Methoden hinweisen.265 Weiterhin solle er die Verhältnismäßigkeit zwischen den Verfahrenskosten und dem Streitwert sichern, indem er die von den Parteien vorgeschlagenen Beweismittel auf ein vernünftiges Maß reduziert. Das Verfahren nach dem multi-track solle sich dadurch durch eine besonders aktive Rolle des Richters auszeichnen. Der Grund hierfür sei insbesondere darin zu sehen, dass gerade komplexe Sachverhaltsgestaltungen erhebliches Potential in sich bergen, durch ausufernde discovery-Ermittlungen zu hohen Kosten und Verzögerungen zu führen, wie das englische Verfahrensrecht in der Vergangenheit bereits mehrfach gezeigt habe. 261

Woolf, Access to Justice, Final Report, S. 40. Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 48; Greene, The New Civil Procedure Rules, S. 209 ff. 263 Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 49. 264 Michalik, in: Civil Justice in Crisis, S. 117, 154. 265 Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 49. 262

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Aber auch in allen anderen Verfahrensarten solle dem Richter eine aktive leitende und vermittelnde Position zugewiesen werden. Diese Abkehr von der Passivität der Richter englischer Tradition solle sich auch in der Entscheidungsbefugnis der Richter darüber zeigen, ob ausnahmsweise ein Rechtsstreit aufgrund besonderer Umstände einem anderen als dem gesetzlich vorgesehenen Verfahren zuzuweisen ist.266 (3) Pre-action Protocols Um zum frühestmöglichen Zeitpunkt eines aufkommenden Rechtsstreits die Weichen für einen den Bedürfnissen der Parteien angemessenen Vergleich sowie für ein kooperatives Verhältnis zwischen den Parteien zu stellen, solle sich die Einwirkungsbefugnis des Gerichts in bestimmten Bereichen bereits auf das Stadium vor Klageerhebung ausdehnen. 267 Mithilfe von standardisierten Formblättern und Erläuterungen sollen die Parteien früh alle relevanten Informationen von ihrem potentiellen Prozessgegner erhalten, um abschätzen zu können, ob die Erhebung einer Klage erforderlich oder der Eintritt in Vergleichsverhandlungen vorzugswürdig ist. 268 Die pre-action protocols sollen zu diesem Zweck einzelne inhaltliche Aspekte festlegen, die in den außerprozessualen Schriftsätzen der Parteien zu berücksichtigen und der gegnerischen Partei mitzuteilen sind. Zum Teil ist bereits zu diesem Zeitpunkt der Austausch von Dokumenten erforderlich.269 In der Regel solle diese Phase des Verfahrens aber noch ohne direkte Beteiligung des Gerichts stattfinden. Die Befugnisse des Gerichts sollen sich erst nachträglich auf diese vorprozessuale Phase auswirken, wenn ein gerichtliches Verfahren tatsächlich durchgeführt werde und sich herausstelle, dass sich eine Partei vorprozessual nicht ausreichend kooperativ verhalten habe.270 Die grundlose Verweigerung des Eintritts in Vergleichsverhandlungen durch eine Partei könne sich beispielsweise in einer Kostensanktion nach Beginn des Verfahrens bemerkbar machen. 271 Weiterhin diene dieses Stadium vor Klageerhebung dazu, bei Bedarf eine Einigung der Parteien im Hinblick auf einen gemeinsamen und damit wohl neutraleren Sachverständigen herbeizuführen (single joint expert), um auf diese Weise Kosten und Zeit einzusparen. 272

266

Woolf, Access to Justice, Final Report, S. 33, 34. Woolf, Access to Justice, Final Report, S. 107 f. 268 Woolf, Access to Justice, Final Report, S. 107 f.; Andrews, The Modern Civil Process, S. 30, 38; M. Stürner, ZVglRWiss 99 (2000), 310, 322. 269 Haye/Prevett, in: International Civil Procedure, S. 179, 181. 270 Andrews, Andrews on Civil Processes, Vol. I. Court Proceedings, Rn. 4.08; ders., The Three Paths of Justice, S. 9. 271 Woolf, Access to Justice, Final Report, S. 110. 272 Woolf, Access to Justice, Final Report, S. 108. 267

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bb) Fazit Wie dargestellt, standen die Mehrzahl der Reformvorschläge unter der Prämisse, dem lack of procedural discipline 273 durch die Aktivierung des Richters entgegenzutreten. Die Erstellung eines strikten Zeitplans, die Einschränkung der discovery sowie das Bereitstellen verschiedener Verfahrensarten entsprechend der Komplexität des Falles sollen nach der Vorstellung Woolfs das schwerfällige englische Verfahren effizienter machen, indem unter Beibehaltung des adversary system die Dominanz der Parteien, die Woolf als Ursprung von langer Verfahrensdauer und hohen Kosten identifiziert hatte, zurückgedrängt werden soll. Ferner solle das Gericht durch leitendes Eingreifen eine konstruktiv-kooperative Atmosphäre zwischen den in Streit stehenden Parteien schaffen und in jedem Stadium des Verfahrens auf eine Beendigung durch Vergleich hinwirken. Schließlich sollen Verstöße der Parteien gegen die ihnen durch die strikten Zeitpläne auferlegte Prozessförderungspflicht automatisch und damit konsequenter als in der Vergangenheit sanktioniert werden, um sie zu beschleunigtem Verhalten anzuhalten. Ferner solle es nun auch einer Sanktion unterliegen, wenn die Parteien in ihren pleadings den streitigen Kern des Rechtsstreits mangels umfassenden fact pleading nicht herausgearbeitet haben und damit weitere, das Verfahren verzögernde Schriftsätze erforderlich werden.274 Das Mündlichkeitsprinzip als über allem stehender und den historischen Zivilprozess prägender Grundsatz des englischen Zivilprozessrechts, 275 das unvermeidlich zu einer längeren Verfahrensdauer führt, solle nach dem Vorschlag Woolfs eingeschränkt werden und mit dem Erfordernis bloßer Kenntnisnahme von Urkunden oder Gutachten ersetzt werden. Schriftliche Fragen an die Gutachter statt persönlicher Befragung in der mündlichen Verhandlung sollen die Regel werden, um auf diese Weise Kosten einzusparen und die in den Zeitplänen festgelegte Dauer der Verhandlungen einhalten zu können. Ein weiteres Grundelement der Konzeption Woolfs war es, durch Vereinheitlichung zur Verfahrensvereinfachung beizutragen. So sollen die auf seiner Konzeption basierenden Regeln des neuen Prozessrechts sowohl an High Courts als auch an County Courts Anwendung finden. 276 Ferner solle die Vereinheitlichung der Klageeinleitung durch claim unproblematisch den Zugang

273

Michalik, in: Civil Justice in Crisis, S. 117, 126. Woolf, Access to Justice, Interim Report, S. 153; ders., Access to Justice, Final Report, S. 304, 310. 275 Cohn, in: Erinnerungsgabe für Max Grünhut, S. 31, 34, der die strenge Verfolgung des Mündlichkeitsprinzips im englischen Zivilverfahren als „Prinzip der entschiedenen Mündlichkeit“ bezeichnet und auf das unterschiedliche Verständnis von „Mündlichkeit“ in kontinentalen Rechtsordnungen und dem englischen Verfahrensrecht hinweist. 276 I.R.S. 15 C.J.Q. 273, 274 (1996). 274

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zum Recht für jedermann eröffnen.277 Nachdem seine Vorschläge auf breite Zustimmung getroffen waren, warnte er jedoch vor einer nur punktuellen Übernahme einzelner Vorschläge. Vielmehr solle sein Konzept als Ganzes übernommen werden, um Einbußen an Effektivität zu vermeiden,278 die häufig mit der bloßen Veränderung einzelner Aspekte einhergehen, wie bereits die deutsche, spanische aber auch englische Rechtsgeschichte gezeigt haben. c) Umsetzung der Vorschläge in den Civil Procedure Rules 1999 aa) Allgemeines zur Reform Nachdem Lord Woolf 1996 den Final Report der Inquiry on Access to Justice vorlegt hatte, wurde dem bestehenden Verlangen nach einer formellen Kodifikation 279 mit dem Erlass des Civil Procedure Act 1997 vom englischen Parlament nachgekommen, der sich in weiten Teilen an den Empfehlungen Lord Woolfs orientierte. Auf Grundlage dieses Gesetzes traten am 26.4.1999 sodann die bis heute geltenden Civil Procedure Rules (CPR) in Kraft, die sowohl die Rules of the Supreme Court als auch die County Court Rules ersetzten und damit das erste einheitliche englische Regelwerk für alle Zivilgerichte schufen.280 bb) Die Verfahrensstruktur (1) Einleitende Phase Das Verfahren nach den CPR beginnt mit einer schriftlichen Einleitungsphase, in welcher Klage und Klageerwiderung sowie eventuell die Replik des Klägers zwischen den Parteien ausgetauscht werden. Die eigentliche Klage besteht dabei aus einem Formblatt, in welches je nach Fallgestaltung nur Rahmeninformationen wie Kontaktdaten von Kläger und Beklagtem, der Klagegrund in Stichworten sowie der Wert der Klage einzutragen sind.281 Die Klagebegründung (particulars of claim) kann zeitgleich oder innerhalb einer vierzehntägigen Frist nachgereicht werden (CPR 7.4(1)). Diese muss ein concise statement of the facts enthalten (CPR 16.4(1)(a)), das den Gegner in die Lage versetzt, 277

Woolf, Access to Justice, Final Report, S. 116. Woolf, in: The Pursuit of Justice, S. 311, 322; K. Schmidt, Der Abschied von der Mündlichkeit, der Parteiherrschaft und dem Überraschungsprinzip, S. 24. 279 Jacob, The Fabric of English Civil Justice, S. 51. 280 Weber, ZZPInt 5 (2000), 59, 62; Andrews, ZZPInt 4 (1999), 3, 3; M. Stürner, ZVglRWiss 99 (2000), 310, 311 f. 281 CPR 16.2. Das Formblatt für die Klage kann unter http://hmctscourtfinder.justice.gov .uk/courtfinder/forms/n001-eng.pdf abgerufen werden (zuletzt abgerufen am 19.10.2015); Sime, A Practical Approach to Civil Procedure, Rn. 6.02, 6.08 f.; Andrews, Andrews on Civil Processes, Vol. I Court Proceedings, Rn. 4.12; Bunge, Zivilprozess und Zwangsvollstreckung in England und Schottland, S. 121. 278

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adäquat hierauf zu reagieren, und verlangt damit fact pleading.282 In derselben Weise muss der Beklagte präzise, alle Punkte der Klage aufgreifend hierauf antworten (CPR 16.5). Dabei werden alle nicht bestrittenen Tatsachen als zugestanden angesehen (CPR 16.5.(5)). An die Stelle der pleadings nach den RSC traten damit in den CPR die statements of case. Abgesehen von einer begrifflichen Veränderung ergaben sich in inhaltlicher Hinsicht jedoch keine Unterschiede. Der ausführliche Informationsaustausch in diesem Verfahrensstadium soll Überraschungen im Laufe des Verfahrens und insbesondere in der Hauptverhandlung vorbeugen. Darüber hinaus wird so der Streitstoff bereits früh beschränkt, da eine Bindungswirkung für die Hauptverhandlung dergestalt eintritt, dass die Beweiserhebung auf die vorgetragenen particulars beschränkt ist.283 Um eine Zuordnung des Verfahrens entsprechend seiner Komplexität zu den unterschiedlichen tracks vornehmen zu können, müssen die Parteien nach Zustellung der Klageerwiderung einen directions questionnaire mit Rahmenangaben zu der Streitsache ausfüllen (CPR 26.3). 284 Anhand dessen wird der Rechtsstreit durch einen Richter, häufig dem procedural judge, einem der tracks zugewiesen, um eine optimale Nutzung der gerichtlichen Ressourcen zu erreichen. 285 Vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens steht regelmäßig eine Korrespondenz der am Streit beteiligten Personen. Auf diesen vorprozessualen Schriftwechsel nehmen die CPR inhaltlich durch die auf Vorschlag von Lord Woolf entwickelten pre-action protocols Einfluss, die für inzwischen elf verschiedene Arten von Rechtsstreitigkeiten festlegen, welchen Inhalt die vorprozessualen Schriftwechsel haben müssen und welche Fragen vorab zu klären sind.286 Für alle übrigen Streitigkeiten soll sich der Inhalt des vorprozessualen Schriftverkehrs nach der Practice Direction – Pre-Action Conduct richten, die die Ziele der Richtlinie sowie den Inhalt und das Verhalten der Parteien im vorprozessualen Stadium festschreibt. 287 Hierbei handelt es sich nach ihrer Anlage nicht um exakt einzuhaltende Vorschriften; vielmehr werden sie als codes of best practice angesehen, deren Vorgaben üblicherweise zu folgen sind. 288 In

282 Zuckerman, Zuckerman on Civil Procedure, Rn. 7.18. Zu weiteren inhaltlichen Vorgaben siehe Andrews, ZZPInt 8 (2003), 69,78. 283 Bunge, Zivilprozess und Zwangsvollstreckung in England und Schottland, S. 122. 284 Sime, A Practical Approach to Civil Procedure, Rn. 15.10 ff.; Greene, The New Civil Procedure Rules, S. 153 ff. 285 Andrews, Andrews on Civil Processes, Vol. I Court Proceedings, Rn. 5.42. 286 Die einzelnen pre-action protocols finden sich unter http://www.justice.gov.uk/ courts/procedure-rules/civil/protocol (zuletzt abgerufen am 19.10.2015). 287 Die Practice Direction – Pre-Action Conduct ist abgedruckt in Jackson, Civil Procedure 2014, Vol. I, S. 2663 Rn. C1-001. 288 Jackson, Civil Procedure 2014, Vol. I, S. 2654 Rn. C1A-009.

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gewissem Kontrast hierzu steht allerdings eine mögliche Kostensanktion,289 wenn beispielsweise – wie regelmäßig in den protocols beziehungsweise der Practice Direction gefordert – keine Gespräche über eine mögliche außerprozessuale Streitbeilegung durchgeführt wurden oder die mangelnde Mitwirkung einer Partei das Erreichen der Ziele dieser pre-action protocols gefährdet. Insbesondere die Schaffung eines gemeinsamen Informationsniveaus beider Parteien ist ein anerkanntes Ziel der pre-action protocols. (2) Zwischenphase Die auf den Austausch der verfahrenseinleitenden Schriftsätze folgende Zwischenphase dient der umfassenden Vorbereitung der Hauptverhandlung. In diesem Stadium werden die streitigen Tatsachen zwischen den Parteien präzise herausgearbeitet und die erforderlichen Beweismittel hierfür beschafft. Zu diesem Zweck werden von dem zuständigen procedural judge directions erlassen, anhand derer unter anderem Schriftstücke herauszugeben sind, CPR 31 (disclosure) oder Sachverständige bestellt werden, CPR 35. Jede Partei stellt zu diesem Zweck eine Liste mit Dokumenten zusammen, auf die sie sich berufen will; allerdings müssen auch solche Dokumente angegeben werden, die die Position des Gegners stützen und damit für die eigene Position nachteilig sind (standard disclosure), CPR 31.6. 290 Außerdem ergeht die Anordnung, dass witness statements unter den Parteien auszutauschen sind, CPR 32.4. Ziel dieser Anordnungen ist es, ein einheitliches Informationsniveau beider Parteien zu schaffen, um auf diese Weise aufgrund der nun abschätzbaren Beweislage die Vergleichsbereitschaft zu fördern.291 Diese Phase dient jedoch gleichermaßen auch dem Ziel, eine Unterbrechung der potentiellen Hauptverhandlung zu vermeiden, weil eine Partei mit Inhalten konfrontiert wird, auf die sie mangels Kenntnis nicht adäquat reagieren kann.292 Bereits in dieser Zwischenphase machen sich die Unterschiede bemerkbar, die sich aus der Einordnung des Rechtsstreits in die verschiedenen tracks ergeben. Besonders deutlich wird dies in den Zeitplänen, die diese Phase des Verfahrens je nach track gestalten. Wird das Verfahren dem small track zugewiesen, ist die Beweisfindung durch discovery und experts stark reduziert, CPR 27.4(1), 27.5. Im fast track Verfahren gibt ein Zeitplan der Vorbereitungsphase bis zur Verhandlung einen äußeren Rahmen

289 Jackson, Civil Procedure 2014, Vol. I, S. 2655 Rn. C1A-010; Andrews, The Modern Civil Process, S. 100. 290 Siehe hierzu Andrews, ZZPInt 8 (2003), 69, 85 ff.; ders., Andrews on Civil Processes, Vol. I Court Proceedings, Rn. 4.16; Tapper, Cross & Tapper on Evidence, S. 670 f. 291 Andrews, Andrews on Civil Processes, Vol. I Court Proceedings, Rn. 4.16. 292 Insbesondere der sogenannte trial by ambush sollte dadurch vermieden werden. Siehe hierzu Andrews, The Three Paths of Justice, S. 19, 63; ders., The Modern Civil Process, S. 96.

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und legt in standardisierter Form den Umfang der Beweisermittlung sowie den voraussichtlichen Verhandlungstermin fest. Die Zwischenphase in besonders komplexen Verfahren, die dem multi-track zugewiesen sind, zeichnet sich häufig 293 durch eine case management conference aus, die unmittelbar auf den Austausch der Schriftsätze folgt und in der die streitigen Tatsachen erneut gesichtet und Maßstäbe für die Beweisermittlung festgelegt werden sowie eine Streitlösung im Hinblick auf den gesamten Rechtsstreit oder auf Teile hiervon durch alternative Streitbeilegungsmethoden in Erwägung gezogen wird.294 An dieser Stelle des Verfahrens werden überdies die von den Parteien vorbereiteten Kostenaufstellungen durch das Gericht geprüft und ein Kostenlimit verbindlich festgelegt, um für die Parteien die zu tragenden Kosten im Fall des Unterliegens vorhersehbar zu machen. Häufig, aber nicht standardmäßig wird in einem pretrial review vor dem die Hauptverhandlung leitenden Richter wenige Wochen vor der mündlichen Verhandlung ein Zeitplan für den Ablauf der mündlichen Verhandlung festgelegt, um ein geordnetes Verfahren auch in sehr komplexen Fällen gewährleisten zu können.295 Gerade in der case management conference oder dem pretrial review kann das Gericht zudem Teile der Klage vom Verfahren ausschließen, sofern diese keinen vernünftigen Klagegrund enthalten (strike out). 296 Die Aktivität des Gerichts beschränkt sich in der Zwischenphase darauf, die Beweisfindung sowie den Austausch der Beweismittel zwischen den Parteien zu überwachen und mit Blick auf die Komplexität des Rechtsstreits die Anzahl der Beweismittel oder Sachverständigengutachten durch directions zu beschränken, um auf diese Weise ausufernde Beweisaufnahmen bei wenig komplexen Fällen zu verhindern.297 Am Ende der Beweisermittlung stellen die Parteien ein trial bundle zusammen, in welchem neben den Schriftsätzen der Parteien alle Beweismittel enthalten sind, die von den Parteien im trial präsentiert werden, CPR 39.5, Practice Direction 39A.3, und leiten es frühestens eine Woche und spätestens drei Tage vor dem trial an den zuständigen Richter. Dieser

293 Es ist auch möglich, dass keine case management conference stattfindet, wenn sich die Parteien über den Verlauf der Zwischenphase einig sind und das Gericht dieser Vereinbarung im Hinblick auf Umfang, Zeit und Kosten zustimmt, Practice Direction 29.4.5. 294 Haye/Prevett, in: International Civil Procedure, S. 179, 188; Bunge, Zivilprozess und Zwangsvollstreckung in England und Schottland, S. 125 f. 295 Sime, A Practical Approach to Civil Procedure, Rn. 29.32; Andrews, The Modern Civil Process, S. 51. 296 CPR 3.4(2). Bunge, Zivilprozess und Zwangsvollstreckung in England und Schottland, S. 125. 297 Jackson, Civil Procedure 2014, Vol. I, S. 940 Rn. 31.0.2; Woolf, The Pursuit of Justice, S. 315; Andrews, Andrews on Civil Processes, Vol. I Court Proceedings, Rn. 4.18.

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kann und soll sich in der verbliebenen Zeit anhand dieser Informationen ein Bild von dem Rechtsstreit und den einzelnen Beweismitteln machen.298 Die Zwischenphase zeichnet sich damit durch die Aktivität der Parteien und des Gerichts aus, wobei es in den Verantwortungsbereich der Parteien fällt, Zeugen oder Urkunden ausfindig zu machen, auf die sie ihre Behauptungen im Prozess stützen wollen. Die Tätigkeit des Gerichts beschränkt sich auf den Erlass von directions, um der Phase einen äußeren Rahmen zu geben, der eine effektive Beweisermittlung ermöglicht. 299 Primär dient dieses Verfahrensstadium den Parteien, um umfassende Kenntnis von dem Rechtsstreit und insbesondere der Position des Gegners zu erlangen. Durch das trial bundle wird dem in der Hauptverhandlung entscheidenden Richter aber ebenfalls ermöglicht, sich bereits vor der Hauptverhandlung umfassend vorzubereiten. 300 Hierdurch erhält er umfassende Kenntnis von dem Verfahren und den bereits getroffenen gerichtlichen Anordnungen, da die Zwischenphase unter der Leitung des procedural judge stattfindet. Die Zwischenphase dient damit der umfassenden Vorbereitung der Parteien sowie der Information des entscheidenden Richters. 301 (3) Hauptphase Die mündliche Hauptverhandlung mit der Beweisaufnahme stellt das Kernstück der Hauptphase des englischen Zivilverfahrens nach den CPR dar. Der Ablauf der Hauptverhandlung kann sich nach einem vom Richter und den Parteien aufgestellten Zeitplan richten302 oder dem Muster des traditionellen englischen Verfahrens folgen. 303 Regelmäßig beginnt der Kläger den streitigen Sachverhalt aus seiner Sicht zu präsentieren 304 und für die aufgestellten Behauptungen Beweismittel anzu-

298

Siehe auch Practice Direction 28.8.2 und Practice Direction 29.10.2; Sime, A Practical Approach to Civil Procedure, Rn. 28.21; Zuckerman, Zuckerman on Civil Procedure, Rn. 22.20 f. 299 Andrews, The Modern Civil Process, S. 32. 300 Andrews, ZZPInt 8 (2003), 69, 93. Der in der Zwischenphase tätige procedural judge und der trial judge sind grundsätzlich personenverschieden, so dass der letztlich entscheidende trial judge oftmals bis zum Erhalt des trial bundle keine Kenntnis vom Rechtsstreit hat. Ausgenommen hiervon sind natürlich Fälle des multi-tracks, in denen ein pretrial review unter Mitwirkung des entscheidenden trial judge stattgefunden hat. 301 Zuckerman, Zuckerman on Civil Procedure, Rn. 22.5; Jolowicz, On Civil Procedure, S. 390 f. 302 CPR 28.6, 29.8, 39.4 303 Sime, A Practical Approach to Civil Procedure, Rn. 39.38. 304 In der Regel beginnt derjenige, der die Beweislast trägt, so dass regelmäßig der Kläger mit seinem Vortrag beginnt. Lediglich wenn der Beklagte alle Punkte zugestanden hat, für

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bieten. Im Anschluss trägt der Beklagte den Fall aus seiner Sicht vor und präsentiert die Beweismittel, die seine These stützen. Den Parteivertretern steht jeweils nach Präsentation eines Zeugen durch die gegnerische Partei die crossexamination zu. 305 Zum Abschluss des Verfahrens würdigen die Parteien die Ergebnisse der Hauptverhandlung in den closing speeches in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht und versuchen dabei die Aufmerksamkeit des Richters auf einzelne, für ihren Mandanten positive Aspekte zu lenken. Im Anschluss daran spricht der Richter das Urteil. 306 Im seltenen jury-Verfahren entscheidet die jury über Tatsachenfragen nach dem summing up durch den Richter, dem weiterhin die Entscheidung über Rechtsfragen obliegt. 307 Wie diese Darstellung zeigt, hat sich der äußere Ablauf der mündlichen Verhandlung nicht wesentlich verändert; vielmehr bleibt sie in der äußeren Struktur eine von Rede und Gegenrede geprägte Präsentation der in der Zwischenphase gewonnenen Erkenntnisse. Allerdings zeigen sich wesentliche Veränderungen in dem Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit 308 sowie in der Aktivität des Richters. Dadurch, dass der Richter das trial bundle, das alle Beweismittel enthält, bereits vor der mündlichen Hauptverhandlung erhalten hat und bereits alle schriftlichen Beweismittel sichten konnte, kann er eine Sachverständigenanhörung durch einen schriftlichen Bericht über den Inhalt des Gutachtens ersetzen oder die mündliche Präsentation einzelner Schriftstücke erlassen.309 Das traditionell über allem stehende Prinzip der Mündlichkeit des englischen Prozessrechts wird damit durch die CPR aus Effizienzgründen wesentlich eingeschränkt. Ferner beschreiben die CPR einen aktiven Richter, der auch weitergehende Fragen an Zeugen stellt und durch das Aufstellen eines Zeitplans dem Verfahren eine umfassende Struktur gibt. Insbesondere durch die Festlegung von Zeitvorgaben für die Präsentation von Beweisen sowie Vorträgen kommt dem Richter ein weitreichender Einfluss auf das Kosten- und Zeitmanagement zu.310 Wenn der Richter bisher nur zur Wahrheitsfindung anhand der von den Parteien vorgetragenen cases angehalten war und das Feststellen einer davon unabhängigen, selbstständigen Wahrheit nicht zu seinen Aufgaben gehörte, wie dies im Air Canada Fall ausdrücklich klargestellt wurde,311 verlangen die CPR die der Kläger die Beweislast trägt, präsentiert zuerst der Beklagte den Fall aus seiner Sicht, Zuckerman, Zuckerman on Civil Procedure, Rn. 22.34. 305 Zuckerman, Zuckerman on Civil Procedure, Rn. 22.35. 306 Sime, A Practical Approach to Civil Procedure, Rn. 39.54. 307 Sime, A Practical Approach to Civil Procedure, Rn. 39.66; Andrews, ZZPInt 8 (2003), 69, 93. Zum Ablauf der Hauptverhandlung siehe auch Andrews, The Modern Civil Process, S. 35. 308 Zuckerman, Zuckerman on Civil Procedure, Rn. 22.4 ff. 309 Zuckerman, Zuckerman on Civil Procedure, Rn. 22.6. 310 Sime, A Practical Approach to Civil Procedure, Rn 4.15. 311 Air Canada v. Secretary of State for Trade (1983) 2 A.C. 394 ff.

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nun einen aktiven Richter, der die materielle und damit von den Parteivorträgen unabhängige Wahrheit durch eigene Initiative erforscht. 312 Die gesetzliche Anlage rückt damit von dem traditionellen Bild des englischen Richters als Schiedsrichter ab313 und verlangt die Umsetzung von active case management als overriding objective, CPR 1.4, auch in der mündlichen Verhandlung. Dazu dient das ihm eingeräumte Fragerecht bezüglich Zeugenaussagen wie auch der Erlass von directions, die festlegen, welches Beweismittel heranzuziehen ist, um eine streitige Tatsache zu beweisen. 314 cc) Einordnung Das Verfahren nach den CPR unterscheidet sich zwar in dem äußeren Ablauf nur in wenigen Teilen, dafür aber in seiner inneren Struktur fundamental von dem Verfahren nach den RSC. Man könnte annehmen, dass der englische Gesetzgeber diesen Gedanken selbst sogar in CPR 1.1(1) verankern wollte, indem er die Civil Procedure Rules explizit als “new procedural code” bezeichnet hat.315 Sowohl das Erfordernis von fact pleading als auch das Tätigwerden von procedural judges oder masters, die in der Zwischenphase verfahrensrechtliche Anordnungen treffen, ähneln weitgehend dem Verfahren nach den RSC, so dass für ihre verfahrensrechtliche Einordnung auf die bei den RSC gemachten Ausführungen verwiesen werden kann. Die in der Einleitungsphase hinzugetretenen pre-action protocols dienen nach dem Grund ihrer Einführung hauptsächlich der Vermeidung eines gerichtlichen Verfahrens, indem der Standardinhalt für den außerprozessualen Schriftverkehr festgelegt wird. Dadurch, dass sie aber schon vor der eigentlichen Klageeinleitung Wirkung erzeugen sollen, nehmen sie keinen Einfluss auf die Struktur des englischen Verfahrens. Daran vermag auch eine mögliche Kostensanktion wegen mangelhafter vorprozessualer Kooperation nichts zu ändern. Die Art und der Umfang der Beweisfindung in der Zwischenphase des Verfahrens nach den CPR richtet sich danach, welchem track das Verfahren zugewiesen wurde. Während unter der Geltung der RSC eine ausufernde Beweisaufnahme, die alle auf irgendeine Weise mit dem Fall zusammenhängenden

312 Jolowicz, On Civil Procedure, S. 391. Lightman hat sich hierfür bereits im Entstehungsprozess der CPR ausgesprochen und eine Umsetzung dahingehend vorgeschlagen, dass dem Richter die Befugnis erteilt werden sollte, selbstständig Zeugen ohne die Zustimmung beider Parteien, die unter Geltung der RSC notwendig war, in der Praxis aber aus nachvollziehbaren Gründen nicht erteilt wurde, zu bestellen, vgl. Lightman, 17 C.J.Q. 373, 390 (1998). 313 Woolf, in: The Pursuit of Justice, S. 395, 396. 314 Jackson, Civil Procedure 2014, Vol. I, S. 1027 f. Rn. 32.1.2. 315 M. Stürner, ZVglRWiss 99 (2000), 310, 31; Dwyer, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 65 ff. Siehe zu der Bezeichnung der CPR als “a new procedural code” Jackson, Civil Procedure 2014, Vol. II, S. 3290 f. Rn. 12−56.

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Aspekte unabhängig von ihrer tatsächlichen Relevanz für die Streitentscheidung umfasste, üblich und damit ein Abbild der U.S.-amerikanischen pretrial discovery war, wenn auch tatsächlich nicht mit derselben Radikalität der Erforschung, so zeigt sich die Zwischenphase des Verfahrens nach den CPR eingeschränkter und im Hinblick auf Sachverständigengutachten und Dokumente als Beweismittel deutlich restriktiver. Dies hat seinen Grund wohl einerseits in den für die einzelnen tracks erlassenen Regelungen, die sich an die Komplexität des Rechtsstreits anlehnen und damit ein vernünftiges Verhältnis von Aufwand, Kosten und Relevanz erreichen wollen, 316 aber auch in der aktiven Rolle der Gerichtspersonen, die durch den Erlass von directions erheblichen Einfluss auf diese Zwischenphase nehmen können. So sieht CPR 1.4(2)(c) beispielsweise vor, dass das Gericht entscheidet, welche Tatsachen einer vollen beweisrechtlichen Untersuchung unterzogen werden. Diese Kombination von restriktiven Regelungen bei der Beweisfindung und der Aktivierung des zuständigen Richters in der Zwischenphase des Verfahrens lässt beinahe keinen Raum mehr für die Annahme, dass die Zwischenphase nach den CPR jener des U.S.-amerikanischen trial-Modells entspricht, unabhängig davon welchem track das Verfahren entsprechend seiner Komplexität zugewiesen ist. Während jenes allein durch die Aktivität der Parteien geprägt ist, nehmen hier sowohl die Parteien als auch das Gericht Einfluss auf die Vorbereitung der Hauptverhandlung. Das Ziel dieser Zwischenphase ist es sicherzustellen, dass sowohl die Parteien als auch das Gericht am Ende der Zwischenphase umfassende Kenntnis von den in Streit stehenden Aspekten sowie den zur Verfügung stehenden Beweismitteln haben, so dass ein einheitliches Informationsniveau den Ablauf der Hauptverhandlung vorhersehbar macht. Mithin lässt sich die Zwischenphase des englischen Prozesses eher dem Hauptverhandlungsmodell zuordnen, das ebenfalls durch die Aktivität von Parteien und Gericht mit dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen Informationsstands geprägt ist. Die Endphase des englischen Verfahrens hat sich bis auf die größere Aktivität des Gerichts in seiner äußeren Struktur nicht wesentlich verändert. Das prozessuale Geschehen ist weiterhin in einer umfassend vorbereiteten Hauptverhandlung konzentriert. Allerdings unterlag die Rolle des Richters auch in diesem Verfahrensstadium einem Wandel von dem passiven Schiedsrichter hin zu einer den Prozess gestaltenden Leitungsperson. Die Bedeutung dieses active case management für den neuen englischen Prozess zeigt sich auch insbesondere darin, wie das active case management in den CPR verankert wurde. CPR 1.4 legt explizit die Pflicht des Gerichts fest, den Fall selbst aktiv zu leiten, und beschreibt in CPR 1.4(2)(a)−(l) sodann verschiedene Elemente, die das active case management konstituieren, ohne dabei abschließend sein zu wollen.317 In Abgrenzung zu CPR 3.1(2)(a)−(m) überträgt CPR 1.4(2) dem 316 317

Bunge, Zivilprozess und Zwangsvollstreckung in England und Schottland, S. 124. Jackson, Civil Procedure 2014, Vol. I, S. 11 Rn. 1.4.1.

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Richter keine Befugnisse, 318 sondern füllt den Begriff des active case management, welcher als overriding principle und damit als das prägendste Leitmotiv der Reform des englischen Rechts zu qualifizieren ist, mit möglichen Handlungsalternativen des Gerichts aus. Gerade die Tatsache, dass zunächst der Begriff des active case management in einer eigenen Vorschrift näher konkretisiert wird, um sodann dem Gericht hierauf basierende Befugnisse zuzusprechen, macht das Anliegen des englischen Gesetzgebers, sich von einem passiven Gericht hin zu einem den Rechtsstreit lenkenden und leitenden Gericht zu entwickeln, besonders deutlich. Die in CPR 1.4(2) und CPR 3.1(2) genannten Handlungsalternativen werden darüber hinaus auch in einzelnen Vorschriften noch weitgehender konkretisiert. So konkretisiert CPR 32.1 die Leitungsbefugnisse des Gerichts im Hinblick auf die zu beweisenden Tatsachen, die Art der Beweismittel sowie die Art der Präsentation derselben im Verfahren. Aufgrund dieser starken Fokussierung auf richterliche Befugnisse, die zum einen dem Verfahren einen äußeren Rahmen geben sollen, aber zum anderen auch durch weitergehende Fragen an Zeugen, gegebenenfalls Hinweise an die Parteien sowie der Einflussnahme auf die Beweisaufnahme nach CPR 32.1 Einfluss nehmen sollen, ist hier deutlich eine Abkehr von dem trial-Modell mit seiner passiven Richterrolle zu konstatieren.319 Allerdings könnte man einwenden, dass es sich bei den von den CPR vorgesehenen Befugnissen lediglich um formelle Leitungsbefugnisse handelt, nicht aber um materielle Hinweis- und Aufklärungspflichten, wie sie in kontinentaleuropäischen Zivilprozessordnungen bekannt sind. Eine § 139 I ZPO entsprechende Vorschrift sehen die CPR nicht vor. Eigenen Angaben britischer Richter zufolge sind jedoch trotz fehlender expliziter gesetzlicher Ausgestaltung auch materielle Hinweispflichten bekannt. So würden Hinweise auf Mitverschulden, die Stellung eines Zinsantrags oder die Stellung eines Hilfsantrags auf Schadensersatz erteilt werden. 320 Die Verpflichtung des Richters zu active case management in CPR 1.4, die generelle Befugnis, weitere Schritte zu unternehmen, die in Einklang mit den overriding objectives der CPR stehen und das Verfahren voran bringen (CPR 3.1(2)(m)), sowie das Streben nach einem sozialen Zivilprozessrecht könnten als Aufhänger für diese materiellen Leitungsbefugnisse herangezogen 318

Turner, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 77, 83. Laut Zuckerman bleibt es aber weiter dabei, dass der Richter alleine anhand der von den Parteien beigebrachten Tatsachen und Beweisen entscheidet und damit nicht eine hiervon selbstständige Wahrheit erforscht. Die Befugnisse bleiben damit in dieser Hinsicht weiter gering, siehe Zuckerman, Zuckerman on Civil Procedure, Rn. 11.23 ff. 320 Siehe hierzu Weber, ZZPInt 5 (2000), 59, 68. Die befragten Richter waren dagegen unterschiedlicher Auffassung, ob Hinweise auf die Erhebung der Verjährungseinrede zu erteilen wären. Aber alleine die Tatsache, dass manche Hinweise wohl sicher zu erteilen wären und bei anderen Uneinigkeit herrscht, lässt auf eine gewisse Auseinandersetzung mit dieser Thematik schließen und die Existenz einer solchen Pflicht oder zumindest Tugend annehmen. 319

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

werden. Dass Hinweise nur selten erteilt werden und damit wohl kein prägendes Merkmal der Prozesspraxis sind, kann an ihrer grundsätzlichen Existenz nichts ändern.321 Dem Richter kommt auch nach den CPR kein Recht zu, selbstständig streitige Tatsachen zu ermitteln oder selbstständige Untersuchungen durchzuführen, ohne dass hierfür ein Begehren der Parteien besteht: Er muss auch weiterhin seine Entscheidung allein auf diejenigen Aspekte stützen, die die Parteien vortragen.322 Allerdings unterliegt es der Erlaubnis des Gerichts, dass die Parteien ein Sachverständigengutachten einholen (CPR 35.4(1)), so dass das Gericht neben seiner Befugnis nach CPR 35.7, die Parteien auf einen single joint expert zu verweisen, ein recht großer Einfluss auf die Beweisphase des Verfahrens zukommt.323 Von großer Bedeutung im Hinblick auf die materiellen Leitungsbefugnisse des Richters ist ferner seine Befugnis, Klageteile oder die Klage insgesamt zu löschen, wenn kein vernünftiger Klagegrund enthalten ist, CPR 3.4(2)(a). Hierdurch kann der Richter sehr weitgehend auf den Streitstoff einwirken, wodurch der Dispositionsgrundsatz beachtlich eingeschränkt wird. Auch die in CPR 1.4(2)(e),(f) verankerte Befugnis des Gerichts, Vergleiche und außergerichtliche Einigungen zu fördern324 sowie festzulegen, welche Aspekte einer näheren Untersuchung zugeführt werden sollen (CPR 1.4(2)(b),(c)), komplettieren die materiellen Leitungsbefugnisse des Richters und zeichnen das Bild eines intervenierenden Richters, der durch formelle Leitung und materielle Einflussnahme dem Verfahren die notwendige Effizienz gibt. Mag man auch in dieser Gesamtkonstruktion der Richterrolle nur eine halbherzige Umsetzung der Aktivierung des Richters sowie der Aufklärungs- und Hinweispflichten sehen,325 so lässt sich dem Gesetz nichtsdestotrotz das Grundkonzept des aktiven Richters entnehmen, der Verantwortung für einen effizienten Verfahrensablauf sowie innerhalb desselben Leitungsbefugnisse übernehmen soll. Unabhängig von der fehlenden Kodifikation einer expliziten Hinweispflicht kommt dem englischen Richter recht weitgehender Einfluss auf 321 Weber sieht den Grund für das seltene Erteilen von Hinweisen durch englische Richter darin, dass eine derartige Hilfestellung aufgrund der gesamten Anlage des englischen Rechtspflegesystems nicht erforderlich sei. Zum einen verhindere das englische Anwaltswesen durch die Funktionsteilung zwischen solicitors und barristers, dass häufig Fehler unterlaufen, die nicht durch die Anwälte erkannt werden. Zum anderen gelangen die meisten Verfahren gar nicht bis zum trial, Weber, ZZPInt 5 (2000), 59, 69 ff. Der Verweis auf die Funktionsteilung zwischen solicitors und barristers erscheint mangels Anwaltszwangs vor englischen Gerichten aber nicht ganz überzeugend. 322 Zuckerman, Zuckerman on Civil Procedure, Rn. 11.23. 323 Allerdings scheinen die englischen Richter auch in dieser Hinsicht ihre aktive Rolle entsprechend den CPR noch nicht umfassend angenommen zu haben, vgl. Zuckerman, Zuckerman on Civil Procedure, Rn. 11.12. 324 Hierzu auch M. Stürner, ZVglRWiss 99 (2000), 310, 320 ff. 325 So Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 151.

II. Der Zivilprozess in England

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den Streitgegenstand zu. Diese neue Gestaltung der Richterrolle unterscheidet das englische Verfahren daher von der Struktur des trial-Modells erheblich, welchem das Bild eines Richters als passiver Schiedsrichter zugrunde liegt. Damit geht ferner eine grundlegende Veränderung der Beziehung zwischen dem Gericht und den Parteien einher sowie eine generelle Modifikation des Kräfteverhältnisses im Verfahren. Die CPR gehen von einer Zusammenarbeit von Gericht und Parteien aus und damit von einer Bündelung aller Ressourcen, gerichtet auf die Erforschung der materiellen Wahrheit. 326 Diese Aktivierung des Gerichts sowie die umfassende Vorbereitung durch das Gericht und die Parteien und die Konzentration des prozessualen Geschehens in einer Hauptverhandlung ermöglichen schließlich eine Zuordnung des englischen Verfahrens nach den CPR zum Hauptverhandlungsmodell. d) Fazit CPR 1 schreibt fest, dass es die Pflicht des Gerichts ist, den overriding principles Wirkung zu verleihen (CPR 1.2), und dass den Parteien hierbei nur eine Helferrolle zukommt (CPR 1.3). Diese einleitende Norm kann stellvertretend für das Grundkonzept des neuen englischen Prozessrechts herangezogen werden. Während nach den RSC den Parteien die Hauptrolle auf dem Weg zum Urteil zukam, schaffen die CPR annähernd ein Gleichgewicht zwischen den Parteien und dem Richter, weisen aber dem Richter zur Effizienzsteigerung zahlreiche Befugnisse für den Ablauf des Verfahrens zu. Erstmalig in der Geschichte des englischen Prozessrechts sieht das Verfahrensrecht in einer äußerst präzisen Form, die auch im Vergleich zu kontinentaleuropäischen Regelungen überraschend ist, Handlungsmöglichkeiten für den Richter vor. Es bricht damit mit einer langen Tradition des englischen Rechts. Durch diese umfassende Neustrukturierung des englischen Erkenntnisverfahrens, die die Schriftlichkeit, wo sie denn geboten ist, verlangt, die Parteiherrschaft einschränkt und gleichermaßen die Richtermacht stärkt sowie die Kooperation der Parteien in allen Verfahrensstadien fordert, näherte sich das englische Verfahren stark dem kontinental-europäischen Prozessrechtsverständnis an.327 Sinn und Nutzen der Reform werden bis heute kontrovers diskutiert: Für die einen sind die CPR die größte Reform des englischen Prozessrechts seit den Judicature Acts 1873−1875, 328 während andere das Ende alter englischer Prozesstraditionen mit seinem adversary principle beklagen329. Eine vollständige

326

Vgl. CPR 1.3. So auch K. Schmidt, Der Abschied von der Mündlichkeit, der Parteiherrschaft und dem Überraschungsprinzip, S. 25; Hazard/Dondi, 39 Cornell Int’l L.J. 59, 68 (2006). 328 Andrews, ZZPInt 4 (1999), 3, 5. 329 Greene, The New Civil Procedure Rules, S. 148; Andrews, in: Reform of Civil Procedure. Essays on Access to Justice, S. 169, 180. 327

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

Abkehr vom traditionellen adversary principle anzunehmen, scheint jedoch etwas weitgehend.330 Vielmehr wurde dieses modifiziert, um einen effizienteren Prozess und damit ein höheres Maß an Rechtsschutz gewährleisten zu können. Die Defizite des Prozessrechts, namentlich überlange Verfahrensdauer und hohe Verfahrenskosten, machten eine Anpassung an die Gegebenheiten der Zeit erforderlich. Insbesondere mit Blick auf den technischen Fortschritt, der ganz neue Formen der Beweisermittlung ermöglichte, war eine Beschränkung erforderlich, um zu exzessive und damit langandauernde und kostenintensive Ermittlungen zu verhindern. Die Verfahrenseinleitung ist gekennzeichnet von umfassenden statements of case von Kläger und Beklagtem, die die material facts enthalten und auf diese Weise bereits zu Beginn des Verfahrens ein einheitliches Informationsniveau der Parteien anstreben. Den CPR liegt damit die Idee des fact pleading zugrunde. Die Zwischenphase ist geprägt von der Aktivität der Parteien und des Gerichts, welches durch den Erlass prozessleitender Verfügungen dem Verfahren einen äußeren Rahmen gibt, gleichermaßen aber auch auf das Verfahren als solches insbesondere durch beweisrechtliche Verfügungen Kontrolle ausübt. Schließlich sind die getroffenen Maßnahmen von den Parteien und dem Gericht auf eine umfassende Vorbereitung der Hauptverhandlung gerichtet. In dieser sollen sich nach der Intention der CPR das prozessuale Geschehen bündeln und die Streitfragen einer Klärung zugeführt werden. Anders als unter Geltung der RSC soll die Hauptverhandlung dabei nicht mehr allein geprägt sein von der Dominanz der Parteien und ihrer Rechtsanwälte. Vielmehr soll eine Interaktion zwischen den Parteien und dem Gericht auch in diesem Verfahrensstadium prägend sein. Die genannten Elemente sind allesamt Merkmale, die dem Hauptverhandlungsmodell zugrunde liegen, so dass eine Zuordnung zu diesem nahe liegend erscheint. Die disclosure im Vorfeld der Hauptverhandlung weist jedoch einen Überrest des traditionellen Rechtsverständnisses mit seiner weiten discovery auf. Zwar sind auch unter dem Hauptverhandlungsmodell die Beweise in der Regel schon in der Zwischenphase des Verfahrens offenzulegen, doch die disclosure unter den CPR geht in ihrem Umfang darüber hinaus, auch wenn im Vergleich zur Geltung der RSC die CPR die vorzulegenden Dokumente auf die für den Prozess unmittelbar relevanten Dokumente beschränken.331 Auch die Stellung des Richters könnte Anlass zu Zweifeln geben, ob eine Zuordnung zum Hauptverhandlungsmodell gerechtfertigt erscheint, ist dieses doch gerade auch von den materiellen Aufklärungs-

330

So auch Zuckerman, Zuckerman on Civil Procedure, Rn. 11.7; M. Stürner, ZVglRWiss 99 (2000), 310, 328, 336; Hess, in: Richterbild und Rechtsreform in Mitteleuropa, S. 1, 9; Picò i Junoy, Riv. Dir. Proc. 2003, 65, 75, der ebenfalls nur von einer Modifikation des adversary system spricht. 331 CPR 31.6, CPR 31.7.

II. Der Zivilprozess in England

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und Hinweispflichten geprägt. Eine § 139 I ZPO vergleichbare Befugnis enthalten die CPR zwar nicht. Nichtsdestotrotz weisen die CPR eine bemerkenswerte Dichte an Vorschriften auf, welche dem Gericht in allgemeiner Form, aber auch in konkreterer Weise case management Befugnisse zuweisen. Dass diese in der Praxis noch nicht in vollem Umfang von den Richtern in Anspruch genommen werden, kann an der grundsätzlichen Intention der CPR nichts ändern.332 Auch hier dürfte möglicherweise erst ein Generationenwechsel in der Richterschaft eine stärkere Annahme der neuen, leitenden Befugnisse ergeben. Nachdem seit 1850 über 60 reports versucht hatten, die Schwachstellen des englischen Prozessrechts auszumachen und Lösungen in Form von Veränderungen einzelner Regelungen hierfür zu entwickeln, war erst etwa 150 Jahre später der Mut ausreichend, um radikale Veränderungen umzusetzen. 333 Mit diesem Mut, die Struktur des Verfahrensrechts schlussendlich aus Effizienzgründen zu verändern, reihte sich England in die Reihe von Deutschland und Spanien ein und gab wie diese alte Traditionen auf, um der verfassungsrechtlichen Garantie der Gewährung effektiven Rechtsschutzes durch ein funktionierendes Prozesssystem zur Durchsetzung zu verhelfen. Trotz der genannten potentiellen Kritikpunkte, die eine Umsetzung des Hauptverhandlungsmodells als nur halbherzig erscheinen lassen könnten,334 sind diese nicht geeignet, die Zuordnung zum Hauptverhandlungsmodell im Grundsatz infrage zu stellen. Die CPR können daher mit Blick auf die englische Prozessgeschichte zurecht als der bedeutendste Wendepunkt im englischen Verfahrensrecht in der jüngeren Vergangenheit bezeichnet werden.335 Auch die CPR haben damit neben der Ley de Enjuiciamiento 2000 des spanischen Zivilprozesses zum Erfolg des Hauptverhandlungsmodells beigetragen. 6. Die weitere Entwicklung Der Erfolg der CPR und die Auswirkungen auf die die Reform auslösenden Missstände in Form von “cost, delay and complexity” wird sehr unterschiedlich bewertet. Während nahezu Einigkeit darin besteht, dass die Verfahrenskosten durch die Reform nicht wesentlich gesenkt werden konnten,336 wird

332 Siehe zur Kritik an den Gerichten, die die ihnen zugesprochenen Befugnisse kaum wahrnehmen, Zuckerman, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 89, 103 ff.; Parkes, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 435, 440 f. 333 Andrews, ZZPInt 4 (1999), 3, 4. 334 Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 151. 335 So auch Turner, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 77, 88 trotz der schlechten finanziellen Ausstattung der Gerichte, um das geforderte active case management umfassend umzusetzen. 336 Zander, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 417, 424.

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

über den Erfolg oder auch Misserfolg der CPR im Übrigen kontrovers diskutiert.337 Zum Teil werden zwar gute Ideen der Reform gelobt, aber ihre fehlende Umsetzung im gerichtlichen Alltag als Versagen der Reform aufgefasst, wie beispielsweise das active case management. 338 Zwar wird zugestanden, dass Gerichte zum Teil aktiver an dem Verfahren teilnehmen, dass die Qualität dieser Intervention aber zu wünschen übrig lasse, da die Hinweise in ihrer vollen Konsequenz oftmals nicht zu Ende gedacht wurden und den Parteien daher eher lästig seien.339 Im Übrigen seien die Verfahrenskosten nicht gesunken, dafür aber im Nachgang der Reform angestiegen. 340 Das Scheitern der Woolf Reform auf dem Gebiet der Verfahrenskosten war schließlich Anlass für die jüngsten Reformen auf diesem Gebiet, die auf einen Report von Lord Justice Jackson341 im April 2013 in Kraft getreten sind.342 Im Zuge dessen wurde die Behandlung einer Streitsache “at proportionate cost” dem overriding principle in CPR 1.1(2) hinzugefügt und sein Stellenwert für das englische Zivilverfahren zuvörderst festgehalten. Auch das konsequentere Durchsetzen von gerichtlichen Anordnungen oder der Practice Directions sowie der Mitarbeit der Parteien war Gegenstand der Reform. 343 In diesem Zusammenhang trat neben das active case management nun ein verstärktes cost management, welches einen aktiven Richter zwingend erfordert. 344 Um die Verfahrenskosten in einem der Bedeutung der Streitsache angemessenen Rahmen zu halten, ist in Verfahren im multi-track die gerichtliche Zustimmung für die endgültige Kostenaufstellung der Parteien erforderlich. Eine Kostenerstattung über den festgelegten Betrag ist im Fall des Unterliegens auch bei höheren tatsächlichen Kosten nun ausgeschlossen. Andere hingegen sehen auch positive Auswirkungen der CPR und eine wesentliche Verbesserung im Vergleich zum Verfahrensrecht nach den RSC. 345 Auf internationaler Ebene fanden die CPR unter anderem bei den Vorbereitungen zur Revision der niederländischen Zivilprozessordnung großes 337 Turner, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 77 ff.; Zuckerman, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 89 ff.; Zander, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 417 ff., der auch auf Studien verweist, die zu widersprüchlichen Ergebnissen geführt hatten, vgl. S. 417, 427 ff.; Parkes, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 435, 443 f. verweist auf die unterschiedlichen Auffassungen bezüglich der Frage, ob die disclosure unter den CPR enger gehandhabt wird als unter Geltung der RSC. 338 Zuckerman, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 89, 103 ff., 106. Ähnlich äußerte sich auch ein Rechtsanwalt auf eine entsprechende Frage in einem von Parkes erstellten Fragebogen, Parkes, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 435, 440. 339 Parkes, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 435, 440 f. 340 Zander, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 417, 432; Parkes, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 435, 449. 341 Review of Civil Litigation Costs Final Report, December 2009. 342 O’Hare/Browne, Civil Litigation, Rn. 1-008. 343 O’Hare/Browne, Civil Litigation, Rn. 1-009. 344 Hierzu instruktiv Ramsey, 32 C.J.Q. 112 ff. (2013). 345 Turner, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 77, 88.

III. Der Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica

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Lob und Beachtung.346 Darüber hinaus werden ihnen ein großer Einfluss auf die Gesetzgeber und Richter weltweit attestiert und insbesondere als Leitgedanken bei der Reform früherer sozialistischer Staaten Zentral- und Osteuropas eine große Bedeutung zugesprochen.347 So zersplittert die Auffassungen über die Erfolge der Woolf Reforms und der nunmehr geltenden CPR unter Englands Prozessualisten sind, so positiv ist das Echo ausländischer Staaten, deren Zivilprozessrecht an vergleichbaren Missständen krankt, wie das englische Prozessrecht zum Ende des 20. Jahrhunderts.

III. Der Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica III. Der Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica

1. Überblick Bei dem Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica (Código Modelo) handelt es sich um ein Modellgesetz 348 für den Zivilprozess, welches 1988 von dem Instituto Ibero-Americano de Direito Processual für die lateinamerikanischen Staaten – insbesondere für die Mitgliedstaaten von Mercosur 349 − entworfen wurde. Es setzte damit den Schlusspunkt für die Umsetzung einer Idee, die bereits 1967 ihren Anfang genommen hatte350 und 1970 mit der Abfassung einheitlicher Verfahrensprinzipien für Zivil- und Handelssachen in Lateinamerika die ersten Ergebnisse präsentieren konnte. 351 Diese bildeten schließlich die Grundlage für das später erlassene Modellgesetz.352 Nach Abfassung mehrere Entwürfe unter der Leitung von Adolfo Gelsi Bidart, Enrique Vescovi und Luis

346 Asser, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 379, 393 f. bezeichnet die CPR sogar entgegen der Stimmen englischer Prozessualisten als “an excellent example of how a programme for change could be devised and implemented.” 347 Tulibacka, in: The Civil Procedure Rules Ten Years On, S. 395, 413. 348 Modellgesetze werden häufig von internationalen Organisationen (z.B. UNIDROIT, UNCITRAL), aber vermehrt auch von privaten Institutionen herausgegeben und zeichnen sich durch die fehlende normative Bindungswirkung aus. Sie stellen ein Regelwerk dar, welches von den Staaten des jeweiligen Rechtskreises übernommen oder in Teilen bei Reformen des entsprechenden Rechtsgebietes berücksichtig werden kann. Vgl. zum Begriff des Modellgesetzes S. Huber, Entwicklung transnationaler Modellregeln für Zivilverfahren, S. 53 ff. 349 Mercado Común del Sur (Gemeinsamer Markt des Südens). Hierbei handelt es sich um eine Wirtschaftsgemeinschaft südamerikanischer Staaten, die auf die Weiterentwicklung und Stabilisierung des südamerikanischen Wirtschaftsraumes gerichtet ist. 350 Vescovi, Revista de Processo 93 (1999), 179, 185. 351 S. Huber, Entwicklung transnationaler Modellregeln für Zivilverfahren, S. 358; Jolowicz, in: Law and Justice in a Multistate World − Essays in Honor of Arthur T. von Mehren, S. 721, 726. 352 Barbosa Moreira, ZZPInt 3 (1998), 437, 438. Detailliert zur zeitlichen Abfolge der Entwicklung siehe Pecchi Croce/Ortiz Sepulveda, Revista de Derecho N° 185 (1989), 75 ff.

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

Torello wurde 1988 auf der XI. Konferenz des Instituto Ibero-Americano de Direito Processual in Rio de Janeiro die Endfassung des Modellgesetzes verabschiedet. 353 Die Entwicklung des Modellgesetzes erfolgte zu einem Zeitpunkt, als das Zivilprozessrecht zahlreicher lateinamerikanischer Staaten reformiert wurde beziehungsweise werden sollte. 354 Dies macht deutlich, dass unbefriedigende Zustände im Prozessrecht ganz Südamerika erfasst hatten und damit ein Bedürfnis nach Strukturierung des Prozessrechts durch die Festlegung von Maßstäben für den Zivilprozess bestand. Aus der Zugehörigkeit der südamerikanischen Rechtsordnungen zu derselben Rechtsfamilie, den gemeinsamen historischen Wurzeln, vergleichbaren geografischen Faktoren sowie der weitgehend identischen Sprache resultierten bereits große Ähnlichkeiten im Recht355 und damit oft auch vergleichbare Defizite. 356 Die Schwerfälligkeit des Prozesses und die damit einhergehende Verminderung des Rechtsschutzes waren die Kernprobleme der meisten südamerikanischen Länder. 357 Da die Souveränität der einzelnen Staaten einer Entwicklung von einheitlichem, positivem Recht für alle südamerikanischen Staaten entgegen stand, bediente man sich des Instruments eines Modellgesetzes, welches durch die Festschreibung einzelner Grundprinzipien als Vorbild für die Reform des Prozessrechts der beteiligten Staaten dienen sollte, gleichzeitig aber die Beibehaltung eigener nationaler rechtlich-kultureller Besonderheiten trotz Umsetzung dieser Grundprinzipien erlauben sollte. 358 Die Intention hinter der Harmonisierung des Rechts durch den Código Modelo war es, ein Zusammenwachsen der lateinamerikanischen Staaten in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht nach europäischem Vorbild zu erreichen;359 die Schaffung eines gemeinsamen verfahrensrechtlichen Rahmens sollte ferner als Grundlage für eine effektive justizielle Zusammenarbeit dienen, 360 um auf diese Weise der fortschreitenden Globalisierung auch auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft Rechnung zu tragen.

353 Barbosa Moreira, ZZPInt 3 (1998), 437, 439. Der erste Entwurf wurde bereits 1982 auf den VIIas Jornadas de Guatemala präsentiert, vgl. Vescovi, Revista de Processo 79 (1995), 20, 31. 354 Siehe die Aufzählung der Reformtätigkeit lateinamerikanischer Staaten bei Vescovi, El Código procesal civil modelo para Ibéroamerica, S. 5. 355 Vescovi, Elementos para una teoría general del proceso civil latinoamericano, S. 7. 356 Vescovi, Revista del Instituto Colombiano de derecho procesal No. 4 (1986), 9, 11; de Assis Filgueira Mendes, Revista de Processo 92 (1998), 110, 111. 357 Bidart/Torello/Vescovi, Revista de Processo 51 (1988), 109, 116. 358 Vescovi, Revista de Processo 79 (1995), 20, 26. 359 Vescovi, Elementos para una teoría general del proceso civil latinoamericano, S. 5. 360 Vescovi, Revista del Instituto Colombiano de derecho procesal No. 4 (1986), 9, 12; Jolowicz, in: Law and Justice in a Multistate World − Essays in Honor of Arthur T. von Mehren, S. 721, 727.

III. Der Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica

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2. Struktur des Verfahrens nach dem Código Modelo a) Einleitende Phase Der von dem Código Modelo gezeichnete Prozess beginnt mit einer schriftlichen Einleitungsphase, in der die Klage erhoben (Art. 297 i.V.m. Art. 110) und auf diese erwidert wird (Art. 120). Hierbei muss der Kläger nach Art. 110 Nr. 4 und Art. 110 Nr. 5 den der Klage zugrunde liegende Sachverhalt genau darstellen sowie einen präzise formulierten Antrag stellen. Ferner ist der Kläger verpflichtet, Beweisangebote im Hinblick auf die vorgetragenen Tatsachen zu machen. Bietet der Kläger Dokumente als Beweismittel an, so muss er diese bereits mit Einlegen der Klage einreichen sowie im Fall von Zeugen deren Kontaktdaten dem Gericht mitteilen (Art. 111.2). Die Klageerwiderung muss eine Stellungnahme zu den in der Klage vorgetragenen Tatsachen sowie zu den beigefügten Dokumenten im Hinblick auf Inhalt und Echtheit enthalten (Art. 120.2). Im Übrigen sind die Vorschriften über die Klage anzuwenden (Art. 120.1 i.V.m Art. 110 ff.). Auch der Beklagte muss seine Beweismittel bereits in diesem Stadium je nach Art des Beweises beifügen oder nennen (Art. 121 i.V.m. Art. 111). Die klageeinleitenden Schriftsätze sind damit sehr umfassend und verlangen sowohl von dem Kläger als auch dem Beklagten eine präzise Äußerung zur Tatsachengrundlage des Falles, so dass frühzeitig eine Konzentration des Streitstoffes auf relevante Fakten erfolgen kann. Damit verlangt das Verfahren nach dem Código Modelo fact pleading bei der Verfahrenseinleitung. Dass bereits bei Klageerhebung mögliche Beweispersonen bezeichnet und potentielle Beweismittel beigelegt werden müssen, macht deutlich, dass die Parteien zum frühestmöglichen Zeitpunkt in die Lage versetzt werden sollen, durch einen umfassenden Überblick über den Sachverhalt ihre Erfolgschancen einschätzen zu können, um sodann unter Umständen zu Vergleichsverhandlungen motiviert zu werden. Um insbesondere eine umfassende Klageerwiderung erzwingen zu können, wird alles Nichtbestrittene als zugestanden angesehen (Art. 120.2 2). 361 Notwendige Bedingung, um ein Verfahren durch Klageerhebung einleiten zu können, ist die Durchführung einer gerichtlichen Schlichtungsverhandlung (Art. 263), um auf diese Weise bereits Sachverhalte, die von ihrer Grundproblematik und der Haltung der Parteien einer Schlichtung zugänglich sind, von einer streitigen Verhandlung auszuschließen, ohne zahlreiche Ressourcen des Gerichts in Anspruch zu nehmen. Erst nach dem Scheitern dieser vorprozessualen Schlichtung ist eine Klageerhebung möglich (Art. 297 i.V.m. Art. 263).

361

Vescovi, Revista de Processo 93 (1999), 179, 186.

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

b) Zwischenphase Die Identifikation einer Zwischenphase im Verfahren nach dem Código Modelo ist dadurch erschwert, dass diese einerseits in der audiencia preliminar (Art. 300 ff.) gesehen werden kann, sofern auf diese die audiencia complementaria (Art. 303) folgt; andererseits kann das Verfahren nach der obligatorischen audiencia preliminar bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen bereits mit einer Endentscheidung abgeschlossen werden (Art. 302.6). Die Zwischenphase muss dann vor der audiencia preliminar liegen und deutlich reduzierter ausgestaltet sein. Dass letzteres neben einer gütlichen Streitbeilegung in der audiencia preliminar wohl von dem Modellgesetzgeber favorisiert wird, 362 zeigt sich insbesondere in der Bezeichnung der auf die audiencia preliminar folgenden Verhandlung als „ergänzende Verhandlung“ (audiencia complementaria). Dies erweckt nach kontinentaleuropäischem Verständnis den Eindruck, dass ihr nach der Intention des Gesetzes nur eine subsidiäre Funktion zukommen soll. 363 Im Folgenden wird jedoch aus Gründen der vollständigen Darstellung nichtsdestotrotz ein Verfahren zugrunde gelegt, welches zur umfassenden Erfassung und Erledigung des Streitstoffes einer audiencia complementaria bedarf. Die auf die Einleitungsphase folgende Zwischenphase dient der Vorbereitung der Hauptverhandlung und soll neben dem exakten Festlegen der Tatsachengrundlage des Sachverhalts auch die von den Parteien angebotenen Beweismittel sammeln, um einen zügigen Verlauf der Hauptverhandlung in nur einem Termin gewährleisten zu können. In diesem Rahmen äußert sich der Kläger in der audiencia preliminar zu der von dem Beklagten in der Einleitungsphase eingereichten Klageerwiderung (Art. 301 Nr. 2). Das persönliche Erscheinen der Naturalpartei ist aus Gründen einer effektiven Verfahrensvorbereitung, aber auch aufgrund der Möglichkeit einer Endentscheidung in dieser Verfahrensphase zwingend (Art. 300.1). Ferner soll das Gericht in diesem Verfahrensstadium, das den Parteien sowohl die ihnen zur Verfügung stehenden Beweismittel als auch die Schlüssigkeit des eigenen und des gegnerischen Tat-

362

Barbosa Moreira, ZZPInt 3 (1998), 437, 441. Mangels verfügbarer Erkenntnisse zum uruguayischen Prozess, welcher den Código Modelo nahezu vollständig als eigenes Prozessrecht übernommen hat (Barbosa Moreira, ZZPInt 3 (1998), 437, 443; Jolowicz, in: Law and Justice in a Multistate World − Essays in Honor of Arthur T. von Mehren, S. 721, 727), kann aus seiner Ausgestaltung in Theorie und Praxis nicht mit Sicherheit darauf geschlossen werden, welches Vorgehen in der praktischen Anwendung des Modellgesetzes bevorzugt würde. Aber auch wenn man auf entsprechende Erkenntnisse zurückgreifen könnte, so wäre doch die Repräsentativität dieses Rückschlusses zweifelhaft, da länderabhängige Gepflogenheiten trotz vergleichbarer Wurzeln unterschiedlichen Einfluss auf die Gestaltung des Verfahrensablaufs haben können. Allerdings wird die Durchführung der audiencia complementaria zum Teil ausdrücklich als „unerwünscht“ bezeichnet, Barbosa Moreira, ZZPInt 3 (1998), 437, 441. 363

III. Der Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica

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sachenvortrags vor Augen führen soll, im Rahmen eines Dialogs aller Beteiligten auf eine einvernehmliche Streitbeilegung hinwirken (Art. 301 Nr. 3). Die Beendigung des Verfahrens durch einvernehmliche Streitbeilegung und dadurch das Vermeiden einer streitigen Verhandlung ist das vorrangige Ziel der audiencia preliminar.364 Schließlich werden der Prozessgegenstand und die in der Hauptverhandlung zu erhebenden Beweise abschließend und verbindlich für die folgende Hauptverhandlung festgelegt sowie unter Umständen weitere Beweisanordnungen, wie die Bestellung eines Sachverständigen, erlassen.365 Art. 33 Nr. 4 weist dem Richter ferner die Befugnis zu, alle notwendigen Maßnahmen anzuordnen, um die tatsächliche Wahrheit zu erforschen. Dieses Ziel verfolgt auch Art. 174, der dem Richter die recht weitgehende Befugnis gewährt, auch ohne Antrag der Parteien Tatsachenermittlungen vorzunehmen, sofern diese nach seinem Dafürhalten zur Wahrheitsfindung erforderlich sind. 366 Die Bestellung eines Sachverständigen erfolgt im Regelfall auch durch das Gericht (Art. 166), sofern sich die Parteien nicht über einen Sachverständigen einigen können. Um die Parteien selbst zu einer effektiven Zusammenarbeit bei der Ermittlung der Tatsachen und der Erforschung von Beweisen anhalten zu können, ist der Richter befugt, gemäß Art. 33 Nr. 11 den Prozess zu leiten und Sanktionen zu verhängen, sofern das Verhalten einer Partei das zügige Voranschreiten des Verfahrens verhindert. Bereits die Zwischenphase macht deutlich, dass dem Código Modelo ein aktiver Richter zugrunde gelegt wurde. 367 Auch wenn die Zwischenphase mit der audiencia preliminar darauf ausgerichtet ist, die Hauptverhandlung soweit vorzubereiten, dass diese in einem einzelnen Termin erledigt werden kann, so besteht dennoch die Möglichkeit, gemäß Art. 302.6 bereits am Ende der audiencia preliminar ein Endurteil zu erlassen, sofern alle Beweismittel bereits zu diesem Zeitpunkt vorhanden sind und die Streitsache entscheidungsreif ist. c) Endphase Für den Fall, dass die Tatsachenerforschung nicht in der audiencia preliminar abgeschlossen werden konnte und weitere Beweismittel zur Klärung der Streitsache herangezogen werden müssen, schließt sich die audiencia complementaria an die Zwischenphase an. Aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung soll diese audiencia complementaria innerhalb kurzer Zeit nach der audiencia preliminar stattfinden (Art. 303.1), wobei ausreichend Zeit für die Beweisbeschaf-

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Vescovi, Revista del Instituto Colombiano de derecho procesal No. 4 (1986), 9, 22. Vescovi, El Código procesal civil modelo para Ibéroamerica, S. 34. 366 Es erfolgt zwar eine Einschränkung in Art. 174 auf Personen, Orte und Dinge („personas, lugares o cosas“). Allerdings ist damit nichtsdestotrotz ein Großteil der Erkenntnismittel ausgeschöpft. 367 Barbosa Moreira, ZZPInt 3 (1998), 437, 440. 365

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fung bei der Festsetzung des Termins einzurechnen ist. In der Hauptverhandlung wird über die auch nach der audiencia preliminar noch streitigen Tatsachen Beweis aufgenommen. Hierfür werden Zeugen und Sachverständige angehört (Art. 303.4). Beweismittel in Form von Urkunden sollen aufgrund der Verpflichtung von Kläger und Beklagtem, diese bereits mit der Klage (Art. 111.1) beziehungsweise der Klageerwiderung (Art. 121 i.V.m Art. 111) bei Gericht einzureichen, regelmäßig bereits in der audiencia preliminar abschließend besprochen und ausgewertet worden sein. Unter Wahrung des in dem Modellgesetz verankerten Grundsatzes der Unmittelbarkeit sind dabei der in der Hauptverhandlung anwesende sowie der entscheidende Richter personenidentisch (Art. 8). Nachdem der Richter in der Zwischenphase bereits selbstständig und nicht zwingend auf Antrag der Parteien Tatsachenermittlungen, die zur Entscheidungsfindung beitragen, anstellen kann (Art. 174), zeigt sich auch in der aktiven Stellung des Richters in der Hauptverhandlung ein weiteres Leitmotiv des Código Modelo. Der Richter hat die Leitung des Verfahrensablaufs inne und kann die Parteien unter anderem durch Sanktionen zu zügigem Prozessverhalten anhalten (Art. 33 Nr. 11) sowie sein Fragerecht gegenüber den Zeugen ausüben (Art. 151 Nr. 3). Nach Abschluss der Beweisaufnahme stellen die Parteien unter Würdigung der gewonnenen Erkenntnisse ihre Schlussanträge. Im Folgenden zieht sich das Gericht zur Beratung zurück und spricht regelmäßig im unmittelbaren Anschluss daran ein Urteil (Art. 303.7). Die Entscheidungsgründe sollen innerhalb von 15 Tagen nachgereicht werden. 3. Einordnung Das von dem Código Modelo festgeschriebene Verfahren wird maßgeblich von dem Gedanken der Konzentration und damit von der Idee der Verfahrensbeschleunigung geprägt. Bereits der Verfahrenseinleitung durch Klageerhebung und der darauffolgenden Klageerwiderung unter Beifügung von Dokumenten als Beweismittel wohnt das Element der Verfahrensbeschleunigung inne. Anders als in der deutschen Rechtspraxis unter Verwirklichung des Hauptverhandlungsmodells, in der lediglich das Anbieten von Beweismitteln üblich ist und eine Verpflichtung zur Vorlage von Beweismitteln zeitgleich mit der Klageerhebung nicht vorgesehen ist, setzt das südamerikanische Modellgesetz bereits sehr früh an, um die Wahrscheinlichkeit einer frühestmöglichen Streiterledigung durch streitiges Urteil oder einvernehmliche Streitbeilegung zu erhalten. Hintergrund dieser Regelung dürfte wohl die Grundintention des Modellgesetzgebers gewesen sein, im Regelfall zu einer Verfahrensbeendigung durch Urteil bereits nach der audiencia preliminar zu gelangen. Um dieses Ziel jedoch erreichen zu können, sind eine erschöpfende Tatsachenfeststellung sowie ohne weiteres in der audiencia preliminar verfügbare Beweismittel erforderlich.

III. Der Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica

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Durch die Verpflichtung zur frühzeitigen Vorlage von Beweismitteln wird der Realisierung dieses doch sehr ehrgeizigen Ziels zumindest der Weg geebnet. Im Einklang mit dem Hauptverhandlungsmodell, aber auch dem italienischkanonischen Modell, verlangt die Einleitungsphase des Código Modelo fact pleading, so dass der Tatsachenstoff bereits zu einem frühen Zeitpunkt festgelegt ist und dadurch die Vergleichsbereitschaft der beteiligten Parteien gefördert wird, wenn diese um die Überzeugungskraft des eigenen sowie des gegnerischen Tatsachenvortrags wissen. Die Zwischenphase des Verfahrens nach dem Código Modelo dient zum einen der Entzerrung und Vereinfachung der Hauptverhandlung, zum anderen nach der Absicht der Modellgesetzgeber aber auch der Streitbeendigung und damit letztlich auch der Verhinderung der Hauptverhandlung.368 Aufgrund dieser eigentlich konträren Zwecke der audiencia preliminar bedarf es einer separaten Betrachtung beider Funktionen dieser Vorverhandlung, um eine Einordnung der Verfahrensgestaltung durch das Modellgesetz im Ganzen vornehmen zu können. Schließt sich an die audiencia preliminar eine weitere Verhandlung, die audiencia complementaria, an, so hat die Zwischenphase die Aufgabe der Beweismittelbeschaffung durch die Parteien und das Gericht und damit der umfassenden Vorbereitung der Hauptverhandlung. Zu diesem Zweck werden die streitigen Tatsachen herausgearbeitet und ergänzende Beweisanordnungen können dann ergehen. Das Gericht ist in dieser Phase des Verfahrens berechtigt, selbstständige Beweisermittlungen anzustellen, sofern es diese für die Tatsachenerforschung für erforderlich erachtet (Art. 174). Ferner sind dem Gericht für das ganze Verfahren geltende Leitungsbefugnisse zugewiesen, die es auch und vor allem in diesem Verfahrensstadium und insbesondere in der audiencia preliminar ermächtigen, alle Maßnahmen zu ergreifen, um den Prozess voranzutreiben (Art. 3, Art. 33). Dem Gericht ist damit eine aktive Rolle zugewiesen. Die genannten, zum Teil sehr weitgehenden Befugnisse grenzen die Rolle des Gerichts stark von jener im trial-Modell ab. 369 Dadurch, dass sowohl die Parteien als auch das Gericht an dieser Beweisermittlungsphase beteiligt sind, liegt der Schluss nahe, dass diese Zwischenphase der Information der Parteien und des Gerichts dient. Die Schaffung eines einheitlichen Informationsniveaus der Parteien dürfte durch diese Gestaltung erleichtert sein. Auf diese Weise wird auch ein reibungsloser Ablauf der Hauptverhandlung ohne allzu überraschende Ereignisse auf Seiten der Parteien gesichert. Ganz im Sinne eines der Leitmotive des Modellgesetzes wird ein erneuter Schlichtungsversuch durch das Gericht vorgenommen. Folglich spräche bei der dargestell-

368 De Assis Filgueira Mendes, Revista de Processo 92 (1998), 110, 117; Vescovi, Revista de Processo 93 (1999), 179, 187. 369 Picò i Junoy, Riv. Dir. Proc. 2003, 65, 75.

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

ten Funktion der Zwischenphase und einer noch folgenden audiencia complementaria vieles dafür, dass der Código Modelo nach dem Vorbild des in Kontinentaleuropa vorherrschenden Hauptverhandlungsmodells konstruiert wurde. Die Konstruktion der Zwischenphase mit der Vorbereitung der audiencia preliminar sowie der audiencia preliminar selbst sowie die an anderer Stelle bereits erwähnten Intention, die Streitbeendigung im Rahmen der audiencia preliminar als Regelfall zu etablieren, könnte die Zuordnung des Verfahrensablaufs zum Hauptverhandlungsmodell allerdings infrage stellen, da dann eine Hauptverhandlung nach klassischem Verständnis nicht stattfinden würde. Die Folge wäre, dass ein wesentlicher Teil des Hauptverhandlungsmodells – nämlich eine umfassend vorbereitete Verhandlung, die eine Streitentscheidung in einem Termin ermöglicht – fehlen würde. Allerdings erscheint es fragwürdig, eine Zuordnung zum Hauptverhandlungsmodell nur anhand des äußeren Ablaufs des Verfahrens beziehungsweise nach der Anzahl der Verfahrensschritte vorzunehmen. Eines der wesentlichen Elemente des Hauptverhandlungsmodells ist die Streitentscheidung in einer zuvor umfassend vorbereiteten Verhandlung, nachdem der Sachverhalt in einer mündlichen Verhandlung unter richterlicher Leitung aufbereitet und streitige Tatsachen im Rahmen einer Beweisaufnahme einer Klärung zugeführt wurden. Unter Berücksichtigung dessen scheint es nicht abwegig, auch im Falle einer Streitentscheidung durch Urteil in der audiencia preliminar die Verfahrensstruktur des Hauptverhandlungsmodells zu sehen. Eine Streitentscheidung in der audiencia preliminar ergeht gemäß Art. 302.6 nämlich nur dann, wenn tatsächlich Entscheidungsreife vorliegt. Dies wiederum verlangt, dass das Tatsachenmaterial erschöpfend erforscht ist und die mit der Klage und der Klageerwiderung eingereichten Dokumente sowie die bereits zu diesem Zeitpunkt als Zeugen genannten Personen ausreichen, um etwaige streitige Tatsachen in der audiencia preliminar beweisen zu können. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so liegt aber auch die für das Hauptverhandlungsmodell umfassende Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung vor. Der einzige Unterschied besteht folglich darin, dass die Einleitungs- und Zwischenphase in einem solchen Fall zusammenfallen, indem bereits die Klage und die Klageerwiderung sowie die zur Verfügung gestellten Beweismittel für eine umfassend vorbereitete Verhandlung genügen. Die audiencia preliminar enthält in diesen Fällen lediglich den Charakter einer vorgezogenen, aber trotzdem umfassend vorbereiteten Hauptverhandlung. Hier zeigt sich eine deutliche Parallele zu der Möglichkeit einer Streitentscheidung durch Urteil am Ende des frühen ersten Termins im deutschen Zivilprozessrecht, 370 welchem die audiencia preliminar sehr ähnelt. Zwar wird der Erlass eines Endurteils in diesem Verfahrensstadium nicht als der Regelfall, sondern vielmehr als Ausnahme bei „einfachen Sache[n]“ 371 angesehen. Ein Widerspruch zum 370 371

Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 275 Rn. 9. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 275 Rn. 9.

III. Der Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica

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Hauptverhandlungsmodell ist bei einer Streitentscheidung im frühen ersten Termin aber dennoch nicht gegeben, da bei einer Streitentscheidung im frühen ersten Termin dieser entweder aktiv vorbereitet wurde oder aber die Streitsache keiner weiteren Vorbereitung mehr bedurfte. Die umfassende Vorbereitung dieses Termins, die die conditio sine qua non für die Verfahrensbeendigung durch Urteil darstellte, war daher wie vom Hauptverhandlungsmodell verlangt auch in diesen Fällen gegeben. Die Einstufung einer Streitentscheidung im frühen ersten Termin oder der audiencia preliminar als Regel- oder Ausnahmefall zeitigt daher keine Wirkung auf die Struktur und damit auf die Einordnung des Verfahrens. Unabhängig davon, welche Funktion der audiencia preliminar damit im Verfahren zugewiesen wird – entweder die Vorbereitung der anschließenden audiencia complementaria oder selbst die streitentscheidende Hauptverhandlung – ist eine Zuordnung des Verfahrensablaufs zum Hauptverhandlungsmodell durchaus möglich. Wie die Bezeichnung der Hauptverhandlung als audiencia complementaria bereits zeigt, soll die Verfahrenserledigung durch streitiges Urteil in der audiencia preliminar der Regelfall sein. Allerdings wird eine so frühe Streiterledigung wohl nur in Fällen geringer Komplexität möglich sein. Ob damit der Hauptanteil streitiger Verfahren erfasst werden kann, ist mit Blick auf die zu diesem Zeitpunkt beschränkten Beweismittel aber durchaus fraglich. Art. 8 schreibt mit der Unmittelbarkeit einen weiteren Grundsatz fest, welchem aufgrund seiner deutlichen Formulierung und der Stellung zu Beginn des Gesetzes wohl besondere Bedeutung zukommt. Danach müssen die mündlichen Verhandlungen und die Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gericht stattfinden. Eine Delegation beispielsweise der Beweisaufnahme an einen Instruktionsrichter wie im italienisch-kanonischen Verfahrensmodell würde zur Nichtigkeit der Beweisaufnahme führen (Art. 8). Ausnahmen sind nur in engen Grenzen erlaubt, wenn eine Beweisaufnahme auf einem Gebiet außerhalb der Zuständigkeit des jeweiligen Richters erforderlich wird.372 Diese Grundaussage des Gesetzes, die eines der wesentlichen Abgrenzungsmerkmale zwischen Hauptverhandlungsmodell und italienisch-kanonischem Prozessmodell darstellt, schließt damit eine Zuordnung des Verfahrensablaufs des Código Modelo zum italienisch-kanonischen Modell aus. Dadurch, dass das Modellgesetz zudem die Streiterledigung in einer einzigen mündlichen Hauptverhandlung favorisiert und ersichtlich eine Sequenz von Verhandlungen – selbst von Vorverhandlung in der Zwischenphase und Hauptverhandlung in der Endphase – vermeiden will, scheitert eine Zuordnung der Verfahrensstruktur zum italienisch-kanonischen Modell endgültig. 372 Der Einschub „(…) que así lo permitan (…)“ schwächt allerdings die Geltung des Unmittelbarkeitsprinzips ab. Es bleibt jedoch unklar, in welchem Maße dieser Einschub auch wirklich zu einer Einschränkung des Verfahrensgrundsatzes führt.

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

Die besondere Stellung des Richters im gesamten Verfahren, aber insbesondere in der Schlussphase des Verfahrens wird in einer Generalnorm (Art. 3) verankert, welche im Modellgesetz durch weitere Normen detaillierter ausgestaltet wird. 373 Aus der Wahl dieser Regelungsform lässt sich schließen, dass die Aktivierung des Richters keine Nebenrolle in dem Modellgesetz einnehmen soll, sondern sich ähnlich einem roten Faden als Leitmotiv durch das Gesetz zieht. Neben einem eigenen Fragerecht (Art. 151 Nr. 3) und der Befugnis, selbstständig Maßnahmen zur Tatsachenerforschung vorzunehmen (Art. 174), sind dem Richter generelle Leitungsbefugnisse zugewiesen, die ihm ermöglichen, durch Einflussnahme auf die Überleitung des Verfahrens in ein folgendes Stadium das Verfahren möglichst effizient und konzentriert zum Abschluss zu bringen. Hierdurch grenzt sich das Richterbild des Código Modelo deutlich vom Richterbild des trial-Modells ab, welchem das Bild eines unbeteiligten Schiedsrichters zugrunde liegt, der nur im Konfliktfall aktiv wird und im Übrigen das Verfahren der Dynamik der Parteiaktivität überlässt. Die Aufgabe, das Verfahren so schnell wie möglich einer Klärung durch streitiges Urteil oder durch einvernehmliche Streitbeilegung zuzuführen, steht im Einklang mit der weiteren Grundentscheidung des Modellgesetzgebers, den Verfahrensgrundsatz der Konzentration (Art. 10) als Kernelement des Código Modelo festzuschreiben. Danach sollen, sofern das Gesetz dies erlaubt, Fristen in Übereinstimmung mit den Parteien verkürzt sowie möglichst viele Verfahrensschritte zeitgleich vorgenommen werden. Konzentration soll damit durch verstärkte richterliche Leitungsbefugnisse der in der Praxis oftmals bestehenden Gefahr überlanger Verfahrensdauer und damit einer Einbuße an Qualität des Rechtsschutzes entgegenwirken. Dass die Konzentration des Verfahrens ebenso wie die Unmittelbarkeit zu Beginn des Gesetzes einen jeweils sehr deutlichen Ausdruck gefunden hat, zeigt ihren hohen Stellenwert. Da bei der Entwicklung des Stuttgarter Modells ebenfalls der Gedanke der Konzentration sehr stark im Vordergrund stand, kann auch hier eine große Übereinstimmung mit dem Hauptverhandlungsmodell konstatiert werden. Alle zuvor aufgeführten Punkte können aber nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn ein direkter Austausch zwischen den Parteien und dem Richter besteht, welcher flexible Reaktionen und Entscheidungen ermöglicht. Daher kann

373 Zu nennen sind hierbei insbesondere Art. 33 Nr. 5 (Recht, jederzeit die Anwesenheit von Zeugen und Sachverständigen zu verlangen), Art. 139 und Art. 151 (Leitung der Zeugenvernehmung), Art. 165.2 (Beantragung eines neuen Gutachtens durch das Gericht), Art. 171.3 (Klarstellungs- und Fragerecht des Richters in Bezug auf Sachverständigengutachten), Art. 174 (Besichtigungs- und Überprüfungsrecht bezüglich Sachen, Personen und Orten). Ein Antrag der Parteien ist hierfür nicht erforderlich; vielmehr kann der Richter diese Befugnisse auch von Amts wegen wahrnehmen. Eine instruktive Übersicht über die Befugnisse des Richters findet sich bei Pecchi Croce/Ortiz Sepulveda, Revista de Derecho N° 185 (1989), 75 ff.

III. Der Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica

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die Mündlichkeit als weitere wichtige Säule des Modellgesetzes gesehen werden.374 Die Bedeutung dieses Aspekts wurde von dem Código Modelo dahingehend berücksichtigt, dass er ein durchweg mündliches Verfahren festschreibt und schriftliche Elemente weit zurückdrängt. 375 Hintergrund hierfür ist, dass in zahlreichen südamerikanischen Ländern die Schriftlichkeit zu erheblichen Verfahrensverzögerungen geführt hatte und sich damit negativ auf die Rechtsschutzgewährleistung ausgewirkt hatte.376 Die Verfasser des Entwurfs sahen daher in der Einführung des durchweg mündlichen Verfahrens die effektivste Lösung, der langen Verfahrensdauer und -verzögerungen Herr zu werden.377 Abschließend lässt sich damit festhalten, dass Mündlichkeit, Verfahrenskonzentration, Unmittelbarkeit sowie die aktive Rolle des Richters die Leitmotive des Modellgesetzes sind, die im gegenseitigen Zusammenspiel einen effizienten Prozess sichern sollen. Diese Schlagworte sowie die vorstehende Diskussion einzelner Hauptaspekte lassen den Schluss zu, dass dem Código Modelo das Hauptverhandlungsmodell zugrunde liegt. Die erste Tagsatzung der österreichischen Zivilprozessordnung von 1895, die auch dem Hauptverhandlungsmodell in Teilen als Vorbild diente, dürfte aufgrund der Nähe zur Ausgestaltung der audiencia preliminar als Orientierung gedient haben. 378 Aufgrund rechtsvergleichender Untersuchungen bei der Konstruktion des Modellgesetzes wird im Übrigen der Einfluss des Stuttgarter Modells offen anerkannt,379 so dass trotz unterschiedlichem kulturellen und wirtschaftlichen Hintergrund sich das auf Konzentration und Verfahrensvereinfachung basierende Hauptverhandlungsmodell auch bei dem südamerikanischen Modellgesetz durchsetzen konnte.

374 De Assis Filgueira Mendes, Revista de Processo 92 (1998), 110, 114 bezeichnet die Mündlichkeit als das effektivste System unter den übrigen Schlagworten, die die Konstruktion des Modellgesetzes maßgeblich beeinflusst haben, namentlich Öffentlichkeit, Unmittelbarkeit, Konzentration. 375 Pecchi Croce/Ortiz Sepulveda, Revista de Derecho N° 185 (1989), 75, 80. 376 Oftmals wird die damals vorherrschende Schriftlichkeit als „desesperadamente escrito“ bezeichnet, was bereits auf einer Prozessrechtstagung 1970 in Bogotá zu dem einstimmigen Beschluss geführt hatte, dass in dem neu zu entwickelnden Modellgesetz die Mündlichkeit vorherrschen müsse, vgl. Pecchi Croce/Ortiz Sepulveda, Revista de Derecho N° 185 (1989), 75, 80 f.; de Assis Filgueira Mendes, Revista de Processo 92 (1998), 110, 116. 377 Vgl. Bidart/Torello/Vescovi, Revista de Processo 51 (1988), 109, 116, 122 f. 378 Siehe Barbosa Moreira, ZZPInt 3 (1998), 437, 441, der ebenfalls aufgrund der Ausgestaltung der audiencia preliminar auf die Nähe zur österreichischen ersten Tagsatzung verweist. 379 Vescovi, El Código procesal civil modelo para Ibéroamerica, S. 27; Lisboa, Revista de Processo 116 (2004), 231, 242.

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

4. Praktische Bedeutung des Código Modelo Die Intention von Modellgesetzen ist es, ein einheitliches Regelwerk ohne normative Bindungswirkung zu schaffen, das für ein festgelegtes Gebiet bestimmte Standards und Grundprinzipien festsetzt. Den beteiligten Ländern steht es frei, ob sie das gesamte Regelwerk übernehmen oder lediglich ihre eigenen nationalen Regelungen um die im Modellgesetz festgelegten Standards ergänzen und näher ausgestalten unter gleichzeitiger Beibehaltung eigener Rechtstraditionen. Hintergrund solcher Harmonisierungsvorhaben ist oftmals die Absicht, auf diese Weise prozessuale Vielfalt abzubauen und so die wirtschaftliche und justizielle Zusammenarbeit zu erleichtern.380 Der Zusammenschluss zahlreicher südamerikanischen Länder zu dem Wirtschaftsraum Mercosur war damit auch ein Anreiz zur Schaffung gemeinsamer prozessualer Standards in Form des Código Modelo. Uruguay hat als bisher einziges Land das Modellgesetz vollständig als eigene Prozessordnung übernommen, was als der größte Erfolg eines Modellgesetzes angesehen werden könnte. Allerdings ist dieses Vorgehen auch Kritik ausgesetzt, die betont, dass eine völlige Implementierung des Gesetzes unter Aufgabe der eigenen rechtlich-kulturellen Besonderheiten nicht Sinn und Zweck des Código Modelo war.381 Nichtsdestotrotz wird die Implementierung auch als Erfolg für das uruguayische Zivilprozessrecht angesehen.382 Neben Uruguay hat das Modellgesetz jedoch auf zahlreiche weitere Reformen des Zivilprozessrechts südamerikanischer Staaten Einfluss genommen, deren Umsetzungen in Costa Rica, Peru, Bolivien und Argentinien deutliche Bezugnahmen zum Código Modelo zu erkennen geben. 383 Überwiegend wird das Vorgehen, mithilfe eines Modellgesetzes den Zusammenhalt und die Zusammenarbeit der südamerikanischen Staaten in juristischen und wirtschaftlichen Bereichen zu fördern, als Erfolg angesehen, da die Statuierung einzelner uniformer Maßstäbe zu einer Verbesserung der Situation in den jeweiligen Ländern geführt habe. 384 Durch die Einführung eines vergleichbaren Instituts zur audiencia preliminar scheint auch Brasilien ein Element des Modellgesetzes übernommen zu haben.385 Der Erfolg des Modellgesetzes zeigt sich ferner darin, dass der 380 Jolowicz, in: Law and Justice in a Multistate World − Essays in Honor of Arthur T. von Mehren, S. 721, 727. 381 Jolowicz, in: Law and Justice in a Multistate World − Essays in Honor of Arthur T. von Mehren, S. 721, 727. 382 Pereira Campos, RIEDPA N° 2 2009, 1 ff. gibt einen umfassenden Überblick über die Probleme des uruguayischen Prozesses vor der Übernahme des Código Modelo. 383 Vescovi, Revista de Processo 79 (1995), 20, 30. 384 Anstelle vieler vgl. Vescovi, Revista de Processo 79 (1995), 20, 34. 385 Die Einführung einer „Vorverhandlung“ in den brasilianischen Zivilprozess scheint allerdings nicht unumstritten, vgl. Jolowicz, in: Law and Justice in a Multistate World − Essays in Honor of Arthur T. von Mehren, S. 721, 727 Fn. 33; Lisboa, Revista de Processo 116 (2004), 231, 242.

IV. Der Zivilprozess in Uruguay

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Código Modelo momentan überarbeitet wird, um neuen Entwicklungen gerecht zu werden. Im Mittelpunkt der Revision stehen insbesondere die Stärkung der richterlichen Befugnisse und eine damit einhergehende Ausweitung des richterlichen Einflusses auf die Verfahrensgestaltung.386 Auch die Zwischenphase des Verfahrens soll den veränderten Bedürfnissen angepasst werden. 387 Der Código Modelo erweist sich damit als durchaus erfolgreiches Projekt und illustriert besonders auffallend, dass die vorgeschlagenen Regelungen über die Verfahrenskonzentration und den starken Ausbau der richterlichen Leitungsbefugnisse, die für das Hauptverhandlungsmodell prägend sind, selbst in einem Umfeld erfolgreich adaptiert werden, das einen wesentlich verschiedenen kulturellen Hintergrund hat, als jenes, in welchem das Hauptverhandlungsmodell entstanden ist.

IV. Der Zivilprozess in Uruguay IV. Der Zivilprozess in Uruguay

1. Das uruguayische Zivilprozessrecht vor der Reform 1989 Rund 65 Jahre nach Ende der spanischen Kolonialherrschaft gab sich Uruguay 1877 ein eigenes Zivilprozessrecht, welches stark an die 1855 in Spanien in Kraft getretene Ley de Enjuiciamiento Civil angelehnt war.388 Da das uruguayische Verfahrensrecht daher ebenfalls dem italienisch-kanonischen Modell folgte, 389 krankte der Zivilprozess Uruguays auch an vergleichbaren Problemen wie der spanische Prozess, und verschleppte Prozesse, lange Verfahrensdauer und hohe Verfahrenskosten waren zu beklagen. Die starke Formalisierung und die weit überwiegende Schriftlichkeit des Verfahrens konnten als Ursprünge der Defizite herangezogen werden.390 Zwar wurden einige Reformversuche unternommen, doch diese blieben aufgrund ihres punktuellen Ansatzes wie in Spanien wirkungslos. Einer der zahlreichen Angriffspunkte war auch hier, dass nach Eindruck der Prozessualisten der Einhaltung von Formalien größere Bedeutung zukam, als dem Erforschen der materiellen Wahrheit, so dass die strenge Formalisierung bloßer Selbstzweck war, aber keinen darüber hinaus gehenden Gewinn schaffte. 391 Ferner war dem Richter eine passive Rolle zugewiesen: Er stand weder mit den Parteien noch den anderen am Prozess beteiligten Personen vor 386

Zu den geplanten Modifikationen Berizonce, Civil Procedure Review 2011, 104, 113

ff. 387

Berizonce, Civil Procedure Review 2011, 104, 117 f. Pereira Campos, RIEDPA N° 2 2009, 1, 3. 389 So auch Simón, El Codigo General Del Proceso Del Uruguay, abrufbar unter http://www.oas.org/juridico/spanish/adjust19.htm (zuletzt abgerufen am 19.10.2015). 390 Pereira Campos, RIEDPA N° 2 2009, 1, 3. 391 Pereira Campos, RIEDPA N° 2 2009, 1, 3. 388

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

der Hauptverhandlung in Kontakt mit der Folge, dass er erst im Zeitpunkt des Urteilsspruchs umfassende Kenntnis von dem zu entscheidenden Sachverhalt erlangte. Ein im Dialog mit den Parteien erfolgender richterlicher Schlichtungsversuch war daher nicht möglich. 392 Ein Grund für die Passivität des Richters war außerdem, dass Richter aufgrund der zahlreichen Verfahren und der damit einhergehenden Überforderung Aufgaben wie beispielsweise Zeugenbefragungen an Justizbedienstete delegierten und damit mangels unmittelbarer Erkenntnisse hieraus und mangels Kontakts zu den Parteien gar nicht zu sinnvollen Schlichtungsgesprächen in der Lage waren. Ferner litt unter der fehlenden Durchsetzung des Unmittelbarkeitsprinzips auch die ordnungsgemäße Bewertung der gewonnenen Erkenntnisse und damit letztlich auch die Qualität der Rechtsprechung. Auch die Unübersichtlichkeit der zahlreichen Rechtsbehelfe wurde neben den dargestellten Punkten als Ursprung der mangelhaften Durchsetzung des materiellen Rechts genannt. Schlussendlich dürfte dieser desolate Zustand des uruguayischen Zivilprozessrechts ausgereicht haben, um die Rechtsschutzgewährung infrage zu stellen. 2. Der Código General del Proceso 1989 a) Überblick Nachdem einzelne Reformen keine merklichen Verbesserungen mit sich bringen konnten, wurden ab 1945 Arbeiten aufgenommen, um das Prozessrecht umfassend zu reformieren und die Ursprünge der damals gegenwärtigen Probleme zu beseitigen. Nach zahlreichen Entwürfen und der Ernennung von Adolfo Gelsi Bidart, Enrique Vescovi und Luis A. Torello 1986 in die für die Schaffung eines neuen Prozessrechts konzipierte Kommission bündelten sich die Arbeiten mit der Folge, dass bereits 1988 der Código General del Proceso verabschiedet werden konnte. Dieser trat schließlich 1989 in Kraft.393 Bei einem Vergleich der beiden Gesetze wird der Einfluss des südamerikanischen Modellgesetzes besonders deutlich, da die wesentlichen Vorschriften wortgleich und teilweise nur unter Abänderung der Absatzeinteilung oder Reihenfolge übernommen wurden. Dies lässt sich insbesondere darauf zurückführen, dass die drei Prozessualisten Bidart, Vescovi und Torello ebenfalls bei der Erstellung des Código Modelo beteiligt waren, der nur ein Jahr zuvor als Modellgesetz verabschiedet worden war.394 Dabei wurde der Zweck des Modellgesetzes, welches grundlegende Verfahrensprinzipien festsetzt und nicht ein lückenloses Werk für die unmittelbare Praxisanwendung sein sollte, dennoch 392

Pereira Campos, RIEDPA N° 2 2009, 1, 4. Eine detaillierte Darstellung des Entstehungsprozesses des Código General del Proceso findet sich bei Tarigo, in: Judicial Reform in Latin America and the Caribbean, S. 48, 48. 394 Tarigo, in: Judicial Reform in Latin America and the Caribbean, S. 48, 48. 393

IV. Der Zivilprozess in Uruguay

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dahingehend berücksichtigt, dass der Código General del Proceso Regelungen des Modellgesetzes oftmals ergänzt und erweitert und auf diese Weise die praktische Anwendung des uruguayischen Zivilprozessrechts durch eine größere Detailtiefe erleichtert. Ergänzende Regelungen finden sich beispielsweise bei der Zustellung von Schriftstücken an die Parteien (Art. 76 ff. Código General del Proceso), bei der Ladung (Art. 123 ff. Código General del Proceso), bei den Vorschriften über Dokumente als Beweismittel (Art. 165 ff. Código General del Proceso) sowie bei den Regelungen über Fristen im Zusammenhang mit dem Erlass des Urteils (Art. 203 ff. Código General del Proceso). Größere Abweichungen sind sodann bei den besonderen Prozessformen (Art. 353 ff. Código General del Proceso) zu verzeichnen. b) Verfahrensablauf aa) Einleitende Phase Die einleitende Phase des Verfahrens nach dem Código General del Proceso entspricht der Verfahrenseinleitung, die im Código Modelo vorgeschlagen wird. In wortgleichen Vorschriften wird eine schriftliche Klageerhebung sowie -erwiderung unter Beifügung von Dokumenten als Beweismittel sowie Nennung von Zeugen festgelegt (Art. 337 i.V.m. Art. 117, 118 beziehungsweise Art. 130, 131 i.V.m. 118). 395 Insoweit wird auf die Ausführungen zum südamerikanischen Modellgesetz verwiesen. bb) Zwischenphase Auf die Einleitungsphase folgt sodann die Beweisermittlungsphase, die im Wesentlichen durch die audiencia preliminar geprägt ist (Art. 340, 341), 396 bei der ebenfalls entsprechend dem Vorbild des südamerikanischen Modellgesetzes ins Gewicht fällt, dass dem Richter über Art. 186 Befugnisse zur selbstständigen Beweisermittlung sowie über Art. 24 Nr. 11 Möglichkeiten zur Sanktion von Verfahrensverschleppungen zugewiesen sind. Der audiencia preliminar wird dieselbe überragende Bedeutung zugewiesen wie im südamerikanischen Modellgesetz.397 Auch im Übrigen kann auf die Darstellung zur Zwischenphase nach dem Código Modelo verwiesen werden.

395 Diesen Vorschriften entsprechen Art. 297 i.V.m. Art. 110, 111 sowie Art. 120 i.V.m. Art. 110 des Código Modelo. 396 Diesen Vorschriften entsprechen Art. 300, 301 des Código Modelo. 397 Pereira Campos, RIEDPA N° 2 2009, 1, 26.

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

cc) Endphase Die Endphase des Verfahrens wird durch die audiencia complementaria (Art. 343)398 gebildet, welche bei Bedarf auf die audiencia preliminar folgt. Da der Código General del Proceso dem Unmittelbarkeitsprinzip folgt (Art. 8), ist damit wie im südamerikanischen Modellgesetz der untersuchende und der entscheidende Richter personenidentisch. Er vermag sein Urteil auch auf persönliche Eindrücke aus der Beweisermittlung zu stützen. Die aktive Rolle des Richters in der audiencia complementaria wird im uruguayischen Prozess ebenfalls durch ein eigenes Fragerecht gegenüber den Zeugen (Art. 161 Nr. 3) sowie durch die Zuweisung allgemeiner Leitungsbefugnisse in Bezug auf das Verfahren (Art. 24 Nr. 11) umgesetzt. 399 c) Einordnung Die wenigen Unterschiede, die zwischen dem Código Modelo und dem uruguayischen Código General del Proceso bestehen, vermögen keinen Einfluss auf die Struktur des Verfahrens zu nehmen. Wie dargestellt wurde, ist das Erkenntnisverfahren nach beiden Gesetzen identisch ausgestaltet, so dass sich auch keine Unterschiede bei der Einordnung ergeben. Vielmehr hat sich das uruguayische Prozessrecht über die Jahre von der Umsetzung des italienischkanonischen Modells in der nachkolonialen Zeit hin zu einem Verfahren in Anlehnung an den Código Modelo entwickelt. Unter Umsetzung von Unmittelbarkeit (Art. 8), Verfahrenskonzentration (Art. 10) und einer starken und aktiven Stellung des Gerichts (Art. 2, 24 Nr. 11) unter gleichzeitiger Beibehaltung der Dispositionsmaxime400 hat Uruguay damit ebenfalls das Hauptverhandlungsmodell übernommen. 3. Die Auswirkungen des neuen Código General del Proceso auf die Praxis Die Einführung des Código General del Proceso führte zu einer radikalen Veränderung des prozessualen Systems Uruguays. Obwohl das Reformvorhaben großem Widerstand in Anwaltschaft und Justiz ausgesetzt war, die Bedenken im Hinblick auf die Gewährleistung eines fairen Verfahrens, einer Überlastung der Gerichte, noch längerer Verfahrensdauer und damit höherer Verfahrenskosten äußerten,401 wird der neue Código General del Proceso überwiegend als

398

Dieser Vorschrift entspricht Art. 303 des Código Modelo. Das identisch ausgestaltete Fragerecht findet sich im Código Modelo in Art. 151.3. Die allgemeinen Leitungsbefugnisse sind in Art. 33 Nr. 11 Código Modelo wortgleich festgelegt. 400 Vgl. Pereira Campos, RIEDPA N° 2 2009, 1, 15 ff., der die Schlagworte der Reform einzeln analysiert. 401 Pereira Campos, RIEDPA N° 2 2009, 1, 10. 399

V. Die ALI/UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure

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großer Erfolg angesehen,402 der die längst überfällige Veränderung der Grundfesten des uruguayischen Prozessrechts herbeigeführt habe. Die Delegation von Aufgaben an Justizbeamte im Zusammenhang mit einem laufenden Prozess hat wegen der Androhung der Nichtigkeit der jeweiligen Verfahrenshandlung deutlich abgenommen. Innerhalb der ersten fünf Jahre nach Erlass des Código General del Proceso konnten Effektivitätssteigerungen verzeichnet werden. Außerdem konnte die durchschnittliche Verfahrensdauer gesenkt werden.403

V. Die ALI/UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure V. Die ALI/UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure

1. Entstehung und Hintergrund Als die Principles of Transnational Civil Procedure im Jahr 2004 sowohl vom Institut international pour lʼunification du droit (UNIDROIT) als auch dem American Law Institute (ALI) jeweils einstimmig angenommen wurden, setzte dies den Schlusspunkt unter das möglicherweise größte und ehrgeizigste Harmonisierungsprojekt, das seit Beginn der rechtsvergleichenden Forschung auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts in Angriff genommen wurde. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass Organisationen zweier unterschiedlicher Rechtstraditionen, deren Divergenzen im Prozessrecht besonders deutlich zutage treten, ein Regelwerk konzipierten, das zwar eine Tendenz zu einer der Traditionen aufweist, aber trotzdem den rechtskulturellen Besonderheiten der anderen Rechtstradition Raum lässt. Die Entwicklung eines Common Law und Civil Law gleichermaßen berücksichtigenden Modellgesetzes dürfte in dieser Form einzigartig sein und das gegenseitige Verständnis für Besonderheiten der jeweils anderen Rechtstradition gefördert haben. 404 Dass eine solche rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit ein erhebliches Konfliktpotenzial in sich birgt, ist naheliegend; umso mehr ist anzuerkennen, dass das Projekt ohne grundlegende und den Erfolg gefährdende Konflikte ein glückliches Ende gefunden hat und die Konflikte, die auf dem unterschiedlichen Verfahrensverständnis der Rechtskreise des Civil Law und des Common Law gründeten,405 in fruchtbaren Diskussionen zu einem Konsens geführt haben. Die Idee, den transnationalen Prozess durch ein einheitliches Regelwerk zu vereinfachen, wurde von Geoffrey Hazard, Jr. und Michele Taruffo entwickelt. 402 Tarigo, in: Judicial Reform in Latin America and the Caribbean, S. 48, 50; Vescovi, Revista de Processo 93 (1999), 179, 189 f.; Pereira Campos, RIEDPA N° 2 2009, 1, 6. 403 Tarigo, in: Judicial Reform in Latin America and the Caribbean, S. 48, 50. 404 So auch Stadler, in: Festschrift für Konstantinos D. Kerameus, Band I, S. 1355, 1357; Hazard/Dondi, 39 Cornell Int’l L.J. 59, 59 (2006). 405 Nhlapo, 9 Unif. L. Rev.n.s. 811, 811 f. (2004).

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Hinter ihrer Idee stand das Ziel, die Unsicherheit und Besorgnis bei den Parteien eines Rechtsstreits zu verringern, die regelmäßig auftreten, wenn ein Rechtsstreit in einem fremden Land unter Geltung des jeweiligen nationalen Prozessrechts geführt werden muss. 406 Diese Unsicherheiten sollten durch rules beseitigt werden, die beispielsweise in Fällen unterschiedlicher Nationalitäten der beteiligten Parteien oder der Belegenheit des Streitgegenstandes in einem von dem Herkunftsland der Parteien verschiedenen Land verbindlich Anwendung finden und damit das nationale Recht in diesen Streitigkeiten verdrängen.407 Im Blick hatten sie dabei internationale Handelsstreitigkeiten, da insbesondere in derartigen Rechtsstreitigkeiten ein unterschiedliches Verfahrensverständnis aufeinandertreffen könne und zudem die jury des U.S.-amerikanischen trial, welche das größte Hindernis einer weltumspannenden Harmonisierung darstellt, keine Rolle in internationalen Handelsstreitigkeiten spiele.408 Ferner bedürfe es aufgrund der geltenden Handelsbräuche und der im Handelsverkehr allgemein anerkannten Standards keiner expliziten Beachtung einzelner nationaler Rechtstraditionen, da deren Bedeutung durch die angesprochenen handelsrechtlichen Bräuche ohnehin minimiert sei.409 Die Beschränkung auf handelsrechtliche Streitigkeiten mag zwar den Anwendungsbereich der Principles einschränken und daher möglicherweise auch Anlass zu Kritik geben.410 Letztlich war aber genau diese Einebnung der Unterschiede zwischen dem kontinentaleuropäischen und dem U.S.-amerikanischen Prozessverständnis der Schlüssel zur Realisierbarkeit dieses Projekts. 411 Ein prozessuales Gleichgewicht zwischen den Parteien zu schaffen, kann daher als das eigentli-

406

Hazard/Taruffo, 30 Cornell Int’l L.J. 493, 509 (1997). Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201, 204. 408 Hazard/Stürner/Taruffo/Gidi, 9 Unif. L. Rev. n.s. 756, 756 (2004); Stadler, in: Festschrift für Konstantinos D. Kerameus, Band I, S. 1355, 1360; Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201, 209 f.; Ferrand, in: Le Nouveau Code de Procédure Civile (1975−2005), S. 439, 444 Fn. 3. 409 Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201, 209 f. Goldstein, 6 Unif. L. Rev. n.s. 789, 795 f. (2001) sprach sich jedoch bereits 2001 für die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf alle transnationalen Zivilrechtsstreitigkeiten aus, da insbesondere die Ausgestaltung der Regelungen als principles keinen engbegrenzten Anwendungsbereich verlange, wie dies bei einem verbindlichen Regelwerk erforderlich gewesen wäre. Eine Auseinandersetzung mit einzelnen nationalen Besonderheiten wie z.B. dem jury-trial im US-amerikanischen Prozessrecht und den sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten bei einer Harmonisierung fand nicht statt, so dass sich seine Forderung auch nicht weiter durchsetzen konnte. 410 Kritisch Waterstraat, ALI/Unidroit Principles and Rules of Transnational Civil Procedure – ein Instrument zur Lösung des deutsch-amerikanischen Justizkonflikts bei grenzüberschreitenden Beweisaufnahmen?, S. 168 f.; Kerameus, 9 Unif. L. Rev. n.s. 847, 851 (2004). 411 Stadler, in: Festschrift für Konstantinos D. Kerameus, Band I, S. 1355, 1361. 407

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che Ziel hinter der Rechtsvereinheitlichung angesehen werden, die darauf angelegt ist, Nachteile aber auch Vorteile einer Partei aufgrund des anzuwendenden Prozessrechts weitestgehend zu vermeiden. Nachdem die Ideengeber Hazard und Taruffo bereits 1996 ihren ersten Entwurf präsentiert hatten, konnte ein Jahr später das American Law Institute als Sponsor für das Projekt gewonnen werden. 412 Die Realisierbarkeit dieses Projekts wurde allerdings insbesondere mit Blick auf das unterschiedliche Rechtsverständnis der zahlreichen Nationen infrage gestellt, da ein verbindliches Regelwerk zwangsläufig einzelne rechtskulturelle Besonderheiten in den Hintergrund drängen würde. 413 Dadurch, dass der erste Entwurf der rules einen doch sehr merklich zutage tretenden Einfluss des angloamerikanischen Rechtsdenkens enthielt, obwohl ein Ausgleich zwischen verfahrensrechtlichen Elementen des Common Law und des Civil Law durchaus in Ansätzen gelungen war, schienen sich diese Befürchtungen auch realisiert zu haben. 414 Mit dem Eintritt von UNIDROIT in das Projekt trat die Schaffung eines verbindlichen Codes in den Hintergrund und die Ausarbeitung allgemein gehaltener und damit unverbindlicher Richtlinien für transnationale Streitigkeiten in Form von principles wurde vorangetrieben.415 Der allgemeinere Charakter der principles schien es einfacher zu machen, verschiedenen Prozesssystemen unterschiedlicher Rechtsfamilien einen einheitlichen Rahmen zu geben. 416 Im Zuge der Mitbeteiligung von UNIDROIT konnte die angloamerikanische Ausrichtung der im ersten Entwurf veröffentlichten rules etwas abgemildert werden und ein Gleichgewicht zwischen Elementen des Common Law und des Civil Law hergestellt werden. Nach mehreren Entwürfen waren die Principles of Transnati-

412

Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201, 204. Goldstein, 6 Unif. L. Rev. n.s. 789, 795 f. (2001). 414 Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201, 214; Fouchard, 6 Unif. L. Rev. n.s. 779, 780 (2001). Der erste Entwurf mitsamt Erläuterungen findet sich bei Hazard/Taruffo in 30 Cornell Int’l L.J. 493 ff. (1997). Insbesondere die rules zum pretrial weisen deutliche Parallelen zu den Federal Rules of Civil Procedure auf. 415 Stürner, ZZPInt 11 (2006), 381, 386. UNIDROIT stand dem Projekt zunächst skeptisch gegenüber und beauftragte Rolf Stürner, den späteren Co-Reporter von UNIDROIT, mit der Erstellung eines Gutachtens über die Realisierbarkeit eines solchen Harmonisierungsprojekts, da UNIDROIT zuvor noch nicht an der Harmonisierung von Prozessrecht beteiligt war. Nach einem vorsichtig positiven Gutachten, welches Bedenken gegenüber einem zu detailreichen Werk äußerte, entschied der Governing Council nach einer Mehrheitsentscheidung zugunsten einer Beteiligung, allerdings unter der Prämisse, dass vorerst nur unverbindliche Richtlinien für transnationale Zivilprozesse erarbeitet werden und zu einem späteren Zeitpunkt über die Realisierbarkeit eines verbindlichen Kodex in Form von rules entschieden würde. Zum Ganzen siehe Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201, 205; Ferrand, in: Le Nouveau Code de Procédure Civile (1975−2005), S. 439, 444 f. 416 Goldstein, 6 Unif. L. Rev. n.s. 789, 795 f. (2001); Walker, 6 Unif. L. Rev. n.s. 803, 817 f. (2001). 413

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onal Civil Procedure 2003 fertiggestellt, so dass 2004 schließlich die endgültige Fassung verabschiedet werden konnte. An ihrer Seite stehen rules, welche allerdings nicht als verbindliches Regelwerk Wirkung entfalten, sondern vielmehr einen Implementationsvorschlag darstellen sollen, der illustriert, auf welche Art und Weise die principles in nationale Gesetze integriert werden könnten. Zwingende Vorgaben werden hierfür aber nicht festgeschrieben. 417 2. Das Verfahren nach den Principles of Transnational Civil Procedure Die Principles of Transnational Civil Procedure beschreiben nicht vollumfänglich den Ablauf eines Verfahrens von der Klageerhebung bis zur Vollstreckung eines ergangenen Urteils, sondern geben nur abstrakt ausgestaltete Grundprinzipien eines Verfahrens wieder. Um dennoch das Verfahren in Grundzügen zu skizzieren, wurde in Principle 9 der äußere Rahmen des Verfahrens verankert. Dabei gibt Principle 9.1 deutlich einen dreiteiligen Verfahrensablauf vor. a) Einleitende Phase Das Verfahren beginnt mit einer schriftlichen Einleitungsphase, in der die Parteien die Klage und die hierauf ergehende Klageerwiderung bei Gericht einreichen. Die Regelung der inhaltlichen Anforderungen an die verfahrenseinleitenden Schriftsätze von Kläger und Beklagtem fanden große Berücksichtigung bei der Verfassung der Principles, da zahlreiche Regelungen in sachlicher Nähe zur Verfahrenseinleitung stehen und die an die Schriftsätze zu stellenden Anforderungen klar formulieren. Gemäß Principle 11.3 sind die rechtserheblichen Tatsachen, die Anträge und die Rechtsausführungen hinreichend substantiiert darzubringen sowie die entsprechenden Beweismittel hinreichend konkret anzubieten. Damit wird deutlich, dass bereits in der einleitenden Phase eines transnationalen Verfahrens alle für den Streit relevanten, tatsächlichen Aspekte zu nennen sind und auf diese Weise bereits in dieser Phase sowohl das Gericht als auch die Parteien konkrete und umfassende Kenntnis von dem in Streit stehenden Sachverhalt bekommen sollen. Die Principles of Transnational Civil Procedure verlangen damit im Einklang mit kontinentalen Rechtsordnungen sehr deutlich fact pleading in der Einleitungsphase. Die Sachverhaltserforschung wird damit bereits zu einem frühen Zeitpunkt kanalisiert, um auf diese Weise zu einer Konzentration des Verfahrens beizutragen. Principle 11.3 dient damit der näheren Ausgestaltung von Principle 9.2, welches lediglich den äußeren Rahmen der einleitenden Phase unter Nennung der auszutauschenden Schriftsätze festlegt, ohne auf die inhaltliche Ausgestaltung derselben näher

417 Dies wurde von Goldstein, 6 Unif. L. Rev. n.s. 789, 801 (2001) gefordert. Ob Principles ausreichen oder doch eine Notwendigkeit für verbindliche rules besteht, behandeln Ferrand, 6 Unif. L. Rev. n.s. 995 ff. (2001) sowie Pfeiffer, 6 Unif. L. Rev. n.s. 1015 ff. (2001).

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einzugehen. Aus der umfassenden Regelung der Einleitungsphase in den Principles kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Verfasser der verfahrenseinleitenden Phase große Bedeutung beimaßen – dies nicht zuletzt auch deswegen, weil sie die direkte Basis für die Zwischenphase darstellt und sich auf die Endphase zumindest noch mittelbar auswirkt. 418 Letztlich wird durch die Gestaltung der einleitenden Phase der Verlauf des weiteren Verfahrens vorgezeichnet, so dass insoweit insbesondere der detaillierten Regelung des Principle 11.3 eine das Verfahren prägende Funktion zukommt. b) Zwischenphase So deutlich sich die Principles of Transnational Civil Procedure zu den Anforderungen an die Einleitungsphase äußern, so vage bleiben die Regelungen über die darauffolgende Zwischenphase. Principle 9.3 nennt verschiedene Maßnahmen, die primär der Vorbereitung der Hauptverhandlung dienen sollen und dabei stark vom Gedanken der Beschleunigung und Verfahrenskonzentration getragen sind. Die Hauptverhandlung soll von sämtlichen Fragen befreit werden, die bereits im Vorfeld einer Klärung zugeführt werden und auf diese Weise die Hauptverhandlung entzerren und entlasten können. In diesem Zusammenhang ist bereits eine Beweisaufnahme möglich, 419 wie sich zwar nicht wörtlich aus Principle 9.3.6, wohl aber aus dem letzten Halbsatz von Principle 9.4 ergibt. Dieser weist dem letzten Verfahrensteil die Beweisaufnahme insoweit zu, als diese nicht bereits in der Zwischenphase nach Maßgabe von Principle 9.3.6 stattgefunden hat. Diese Phase dient damit im Wesentlichen der Klärung von unklaren Tatsachenschilderungen und der Beweismittelbeschaffung, aber gleichermaßen auch der teilweisen oder gar vollständigen Beweisaufnahme. Aufgrund der bereits vorliegenden, umfassenden Tatsachengrundlage des Falles ist darüber hinaus auch der Versuch einer gütlichen Einigung in dieser Verfahrensphase denkbar.420 In dieser Phase des Verfahrens weist Principle 9.3 dem Gericht wesentliche formelle Leitungsbefugnisse zu. Principle 9.3.2 i.V.m. Principle 14.3 überträgt die Verantwortung für einen zügigen und effektiven Verfahrensablauf dem Gericht, in dem es dieses anhält, einen Zeitplan für den Verfahrensablauf festzulegen. Darin spiegelt sich zum einen der Gedanke der Verfahrensbeschleunigung als Leitmotiv der Principles wider, indem durch einen vor Beginn der Hauptverhandlung vorliegenden Zeitplan eine verbindliche Strukturierung des Verfahrensablaufs vorgenommen wird; zum anderen wird deutlich, dass die Principles of Transnational Civil Procedure einen aktiven Richter favorisieren, der Einfluss auf die Verfahrensgestaltung nimmt. 418

Vgl. Cooper, 6 Unif. L. Rev. n.s. 857, 868 (2001), der auf den wirtschaftlichen Vorteil näher eingeht, der auf einem durch detaillierte, verfahrenseinleitende Schriftsätze vorbereiteten Erkenntnisverfahren basiert. 419 Stürner, ZZPInt 11 (2006), 381, 391. 420 Stadler, in: Festschrift für Konstantinos D. Kerameus, Band I, S. 1355, 1363.

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Die Zwischenphase ist damit durch die Aktivität der Parteien aber auch des Gerichts geprägt. Die Aktivität des Richters liegt auch den Regeln über den Zugang zu Informationen und Beweismitteln in Principle 16 zugrunde, wonach das Gericht auf Parteiantrag die Offenlegung von Beweismitteln anordnen kann. Nach Principle 16.1 sollen das Gericht und die Parteien Zugang zu allen Beweismitteln haben, die erheblich sind und nicht dem Schutz von Weigerungsrechten unterliegen, so dass die Zwischenphase sowohl den Parteien als auch dem Gericht dient. Das Gericht und die Parteien sollen umfassend vorbereitet sein und mit einem einheitlichen Informationsniveau an der Hauptverhandlung teilnehmen können. c) Endphase An die Zwischenphase schließt sich sodann die Endphase an, welche im Wesentlichen aus einer abschließenden Verhandlung bestehen soll, in welcher Beweise über die in der Zwischenphase streitig gebliebenen Tatsachen aufgenommen werden, Principle 9.4. Dabei ist in Umsetzung des Unmittelbarkeitsprinzips in den Principles die Identität des beweisaufnehmenden Richters und des letztlich entscheidenden Richters durch ausdrückliche Anordnung gesichert (Principles 19.2, 22.3). Ausnahmen sind dabei nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zugelassen.421 Das Kerngeschehen der Hauptverhandlung ist dabei neben der Antragstellung durch die Parteien die Beweisaufnahme über streitige Tatsachen. Die Beibringung von Beweismitteln ist sowohl den Parteien als auch dem Gericht zugewiesen, das gemäß Principle 22.2.2 eine Beweisaufnahme anordnen kann, die vorher keine Partei beantragt hat. Dies macht erneut deutlich, dass dem Richter neben der formellen Leitungsaufgabe, die ihm die Erstellung eines Zeitplans für das Verfahren vorgibt (Principle 9.3.2), auch im Hinblick auf die materielle Prozessleitung die volle Verantwortung für die umfassende Tatsachenermittlung sowie die Beweiserhebung zukommt.422 Hierbei kann der Richter einerseits die Parteien auf Lücken und Schwächen ihres Tatsachenvortrags oder ihrer Beweisangebote hinweisen und eine Ergänzung anregen, andererseits aber auch selbstständig weitergehende Nachforschungen vornehmen. Nach Anlage der Principles ist es damit die Aufgabe des Richters, die tatsächliche und damit objektive materielle Wahrheit zu ermitteln und nicht diejenige Wahrheit, die sich aus der bloßen Würdigung der Vorträge der Parteien ergeben könnte. Der Richter ist damit nicht Schiedsrichter, der den Zweikampf der Parteien in geordnete Bahnen lenkt; vielmehr kommt ihm aufgrund der weitreichenden Befugnisse eine eigenständige Rolle neben den Parteien zu. Diese Position wird weiterhin dadurch ergänzt, dass der Richter sein Urteil auf rechtliche Begründungen und Tatsachen- und Beweiswürdigungen stützen 421 422

Siehe hierzu Bruns, in: Die Zukunft des Zivilprozesses, S. 53, 65. Stürner, ZZPInt 11 (2006), 381, 393.

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kann, welche keine der Parteien vorgebracht hat, Principle 22.2.3. Festzuhalten ist dabei aber, dass dies nicht der Umsetzung der Inquisitionsmaxime gleichkommt, da eine Bindung des Richters an das von den Parteien eingebrachte Tatsachenmaterial weiter besteht; allein in der Würdigung der Tatsachen und der Beweismittel ist er frei. 423 Die Hauptverhandlung nach den Principles of Transnational Civil Procedure zeichnet sich damit durch ein Gleichgewicht der Aktivität von Parteien und Gericht aus. Nach den Schlussplädoyers der Parteien soll unverzüglich ein Urteil ergehen, welchem die Entscheidungsgründe in tatsächlicher, rechtlicher und beweismäßiger Hinsicht beizufügen sind, Principle 23. 3. Einordnung Die Erarbeitung der Principles of Transnational Civil Procedure stand vor der Herausforderung, gemeinsame Standards für unterschiedliche Rechtsfamilien zu finden und dabei ein Gleichgewicht zwischen den Elementen des Common Law und des Civil Law zu schaffen. Nachdem der erste Entwurf starke Einflüsse des angloamerikanischen Rechtsdenkens aufwies, konnte mit dem Eintritt von UNIDROIT 1997 eine größere Balance zwischen kontinentaleuropäischen und angloamerikanischen Standards erreicht werden. Die Principles sprechen sich deutlich für fact pleading in der einleitenden Phase aus und würdigen ihre besondere Bedeutung mit umfassenden Regelungen. Die Schlüssigkeits- und Erheblichkeitskontrolle als erster Schritt für eine kostenreduzierte und beschleunigte Behandlung eines Rechtsstreits durch das Gericht und die Parteien passt sich nahtlos in die in Principle 7 festgelegte Gewährung effektiven und damit zeitnahen Rechtsschutzes ein.424 Die Wahl zugunsten von fact pleading hat darüber hinaus Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Zwischenphase. Die Wahl von notice pleading und eine darauf folgende sehr weite Tatsachen- und Beweisermittlungsphase bedingen sich gegenseitig, ebenso wie eine anhand von fact pleading ausgestaltete Einleitungsphase und eine sich auf die tatsächlich streitrelevanten Punkte beschränkende Zwischenphase. 425 Letztlich weist die Einleitungsphase nach den Principles offenkundig eine kontinentaleuropäische Prägung auf.

423

Stürner, ZZPInt 11 (2006), 381, 394. Dass entgegen der amerikanischen Tradition in diesem Verfahrensstadium schon nach kontinentalem Vorbild Beweismittel anzubieten sind, ist überdies ein weiterer Indikator dafür, dass sich die typische angloamerikanische Gestaltung der verfahrenseinleitenden Phase mit einem von Beschleunigung und Effizienz geprägten Grundkonzept nicht hinreichend vereinbaren lässt. 425 Die Frage, ob fact pleading oder doch notice pleading in den Principles of Transnational Civil Procedure vorgesehen werden sollte, war jedoch Gegenstand längerer Diskussionen, Nhlapo, 9 Unif. L. Rev n.s. 811, 811 (2004). 424

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Die Zwischenphase nach den Principles zeigt eine Kumulierung von Elementen des angloamerikanischen trial-Modells und des Hauptverhandlungsmodells. Die Offenlegung von und die Zugangsgewährung zu Beweismitteln ähnelt sehr der angloamerikanischen disclosure und dem darin enthaltenen Prinzip, alle Beweismittel unabhängig davon, ob sie für die vorlegende Seite vorteil- oder nachteilhaft sind, aufzudecken und vorzulegen. Folglich wird eine generelle Vorlagepflicht statuiert.426 Eine Einschränkung entsprechend der kontinentaleuropäischen Leitungsbefugnisse des Gerichts erfolgt jedoch durch Principle 16.2, welches diese Phase mit den doch sehr weitreichenden Parteipflichten der Aufsicht des Gerichts unterstellt. 427 In inhaltlicher Hinsicht wird die Zwischenphase durch Principle 9.3 i.V.m. Principle 16 ausgestaltet; eine Regelung oder eine Andeutung, welchen strukturellen Rahmen die Zwischenphase haben soll, existiert allerdings nicht. Dies lässt den Schluss zu, dass auch eine Sequenz von Terminen entsprechend dem italienisch-kanonischen Modell denkbar wäre. 428 Allerdings stünden der Umsetzung des traditionellen italienisch-kanonischen Modells die Principles 19.2 und 22.3 entgegen, in denen das Unmittelbarkeitsprinzip verankert ist. Die Durchführung der Zwischenphase in einer terminlichen Sequenz erscheint zudem insofern fragwürdig, als Principle 7 und Principle 14.1 den Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung festschreiben und ein schwerfälliges und langwieriges Zwischenstadium mit mehreren aufeinanderfolgenden Terminen in Widerspruch hierzu stehen würde. Man wird daher annehmen dürfen, dass den Verfassern der Principles keine Zwischenphase italienisch-kanonischer Prägung vorgeschwebt hat. Die Aufsicht des Gerichts über die Zwischenphase und der dem Richter zugewiesene Aufgabenkanon, den Principle 9.3 vorsieht, deuten bereits auf die Grundentscheidung der Verfasser für einen aktiven Richter hin. Der Richter soll das Verfahren lenken und leiten und durch geeignete Maßnahmen den äußeren Rahmen des Verfahrens konstituieren. Das das gesamte Verfahren umfassende Pflichtenprogramm findet seinen Niederschlag in Principle 14.1, welches das Ergreifen von verfahrensleitenden Maßnahmen zum frühestmöglichen Zeitpunkt verlangt, um das Verfahren in struktureller und in inhaltlicher Hinsicht auf den rechten Weg zu bringen. Dieses Richterbild entspricht im Grundsatz jenem des Hauptverhandlungsmodells. Neben die Pflicht zur formellen Strukturierung des Verfahrens entsprechend Principle 9.3.2 treten materielle Leitungsbefugnisse des Richters, die ihm erlauben, auf eine umfassende Tatsachenermittlung und Beweiserhebung hinzuwirken und diese auch auf Eigeninitiative voranzutreiben. Ausdrücklich ist eine Pflicht zur Hinweiserteilung 426 S. Huber, Entwicklung transnationaler Modellregeln für Zivilverfahren S. 392; Ferrand, in: Le Nouveau Code de Procédure Civile (1975−2005), S. 439, 463 f. 427 Althammer, ZZP 126 (2013), 3, 34. 428 Stürner, ZZPInt 11 (2006), 381, 391 f.; ders., RabelsZ 69 (2005), 201, 211.

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durch das Gericht aber nicht festgelegt. 429 Es ist jedoch zuzugestehen, dass die Regelungen der Principles zu den materiellen Leitungsbefugnissen nichtsdestotrotz auch im Vergleich zu den kontinentaleuropäischen Regelungen recht weitgehend sind, diese sogar zum Teil in ihrem Umfang übertreffen. 430 Während die Befugnis aus Principle 22.2.1, Ergänzungen der tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen anzuregen, ein immanentes Element des starken Richters nach dem Hauptverhandlungsmodell darstellt, ist die Regelung der selbstständigen Beweisanordnung durch den Richter in Principle 22.2.2 selbst für das kontinentaleuropäische Prozessverständnis sehr weitgehend und drängt den Verhandlungsgrundsatz sehr weit zurück. 431 Dass sich das American Law Institute mit einer derart weiten richterlichen Befugnis einverstanden erklärte, welche den exakten Gegenentwurf zum passiven Richter des trial-Prozesses darstellt und sogar über den typischen kontinentaleuropäischen richterlichen Befugniskanon hinausgeht, ist überraschend.432 In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch die Bestimmung und Bestellung des Sachverständigen als Richtergehilfen durch das Gericht und die bloße Berücksichtigung eines gemeinsamen Vorschlags der Parteien für einen Sachverständigen bemerkenswert. Hier hat sich das traditionelle kontinentale System durchgesetzt. In der Berücksichtigung eines gemeinsamen Vorschlags der Parteien liegt nur ein kleines Zugeständnis an das adversary system des angloamerikanischen Rechtskreises – wenn man hierin überhaupt ein Zugeständnis sehen möchte, da ja zum Beispiel § 404 IV ZPO ebenfalls die Bindung des Gerichts an eine übereinstimmende Auswahl der Parteien vorsieht. Die Principles of Transnational Civil Procedure zeigen sich daher mit großer Deutlichkeit als Gegenentwurf zu der passiven Position des Richters im trial-Modell. Neben der Betonung des Konzepts eines aktiven Richters fanden auch zahlreiche Beschleunigungselemente bei der Abfassung der Principles of Transnational Civil Procedure Berücksichtigung. Principle 7.1 legt den Grundsatz schleunigen Rechtsschutzes fest und verlangt eine Streiterledigung durch das Gericht in angemessener Zeit. Es verpflichtet das Gericht damit zu einer effektiven Streiterledigung und zur Durchführung der hierfür notwendigen Maßnahmen. Dieser recht allgemein gehaltene Grundsatz wird weiter ergänzt und konkretisiert, beispielsweise in Principle 19.3 oder Principle 19.4, die jeweils die

429

Siehe hierzu Bruns, in: Die Zukunft des Zivilprozesses, S. 53, 59. Stadler, in: Festschrift für Konstantinos D. Kerameus, Band I, S. 1355, 1364. 431 Derartige Regelungen sind kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen zwar nicht unbekannt, aber doch Ausnahmeerscheinungen, vgl. § 183 I Nr. 4 der österreichischen Zivilprozessordnung, Art. 142 II ZPO ZH a.F., Art. 214 ZPO BE a.F., Art. 162 I, 166 I, 194 I, 201 I des niederländischen wetboek van burgerlijke rechtsvordering. 432 Ähnlich überrascht Stadler, in: Festschrift für Konstantinos D. Kerameus, Band I, S. 1355, 1365. 430

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mündliche Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen nach einem schriftlichen Gutachten oder einer schriftlichen Zeugenaussage auf ergänzende Fragen beschränken und auf diese Weise zur Zeitersparnis im Rahmen der Hauptverhandlung beitragen. Im Einklang mit dem Beschleunigungsgedanken steht auch die Erstellung von Zeitplänen für die einzelnen Verfahrensabschnitte nach Principle 14.3, die zu einer umfassenden Strukturierung des gesamten Verfahrens und damit gleichzeitig auch zu einer effizienten Betreibung des Verfahrens anhalten. Der Verfahrensablauf nach den Principles of Transnational Civil Procedure wird damit in Principle 9 so deutlich wie an keiner anderen Stelle dem Hauptverhandlungsmodell zugewiesen.433 Diese Einzigartigkeit ist zu einem großen Anteil natürlich dem hohen Abstraktionsgrad geschuldet, welchen nationale Prozessordnungen, die das Hauptverhandlungsmodell umgesetzt haben und auf praktische Anwendung angelegt sind, aufgrund der größeren Detailtiefe nicht leisten können. Nichtsdestotrotz bleibt es bemerkenswert, dass sich bei einem Projekt über weltumspannende Standards für Zivilverfahren ein kontinentaleuropäisches Modell als Verfahrensstruktur durchgesetzt hat,434 obwohl es zu einem Großteil von Juristen des angloamerikanischen Rechtskreises betreut wurde. Auf Seiten des American Law Institute wurden hierbei deutliche Zugeständnisse gemacht, die die „europäische Handschrift“435 der fertiggestellten Principles erst ermöglichten und denen für die Realisierbarkeit des Projekts wohl auch eine tragende Rolle zugesprochen werden kann. Dies darf durchaus auch als positives Signal im schwelenden deutsch-amerikanischen Justizkonflikt gewertet werden,436 da sich das American Law Institute hier im Interesse des gemeinsamen Projekts überdurchschnittlich kompromissbereit gezeigt hat. Die vorsichtige Aufweichung einzelner traditioneller Elemente des U.S.-amerikanischen Prozesses wie das notice pleading bei vereinzelten Klagen sowie die vermehrte Anerkennung des richterlichen case management mag hier aber die Hinwendung zum Hauptverhandlungsmodell mit seiner Effizienz auch erleichtert haben.

433 Ebenso Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201, 211 der eine klare Präferenz der Principles zu dem Hauptverhandlungsmodell ausmacht. So auch Stadler, in: Festschrift für Konstantinos D. Kerameus, Band I, S. 1355, 1363 f. 434 Stadler, in: Festschrift für Konstantinos D. Kerameus, Band I, S. 1355, 1364 spricht bezüglich der Wahl des Hauptverhandlungsmodells insoweit sogar von „einem der größten Zugeständnisse der amerikanischen Seite“. 435 Stadler, in: Festschrift für Konstantinos D. Kerameus, Band I, S. 1355, 1364. 436 Zum Justizkonflikt mit den USA Schlosser, Der Justizkonflikt zwischen den USA und Europa; Krätzschmar, in: Balancing of Interests. Liber Amicorum Peter Hay zum 70. Geburtstag, S. 241 ff.; Hess, AG 2005, 897 ff.; ders., AG 2006, 809 ff.; die Berichte von Stürner, Lange und Golsong, in: Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika.

V. Die ALI/UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure

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4. Praktische Bedeutung der Principles of Transnational Civil Procedure Dem Anspruch, durch allgemein gehaltene Verfahrensgrundsätze ein Gerüst für Reformen des Prozessrechts zu schaffen, sind die Principles of Transnational Civil Procedure durch die klare Formulierung der bedeutsamsten Aspekte durchaus gerecht geworden. Die von den Verfassern vorgeschlagenen Rules of Transnational Civil Procedure, die einen Vorschlag für nationale Gesetzgeber zur Umsetzung der Principles darstellen, dienen für eine entsprechende Reform auf nationaler Ebene als Orientierungsmöglichkeit sowie als Leitfaden.437 Nichtsdestotrotz kann kein vergleichbarer Reformschwung konstatiert werden, wie er nach der Verabschiedung des südamerikanischen Código Modelo festzustellen war. Dies mag zum einen daran liegen, dass die den Principles zugrunde liegenden Gedanken von Verfahrensbeschleunigung und Kostenreduzierung und dadurch Effizienzsteigerungen im Prozess in den von den Principles angesprochenen Ländern vollständig oder zumindest in Teilen bereits im Wege von Reformen umgesetzt wurden.438 Zum anderen wurde der erste Entwurf von Hazard und Taruffo bereits 1996 veröffentlicht, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass aufgrund der wissenschaftlichen Diskussion während der Entstehungszeit der Principles schon einzelne Aspekte in laufenden Reformverfahren implementiert wurden. Zum anderen ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Principles of Transnational Civil Procedure und der Código Modelo nur begrenzt vergleichbar sind: Während es sich bei den Principles lediglich um Eckpfeiler einer Prozessordnung handelt, ist der Código Modelo ein echtes Modellgesetz, welches aufgrund seiner Detailtiefe und der dadurch umfassend angelegten Darstellung des Verfahrensablaufs auf praktische Anwendung ausgelegt ist und ohne weiteres als Prozessordnung übernommen werden kann. Die Intentionen, die hinter der Konzeption dieser beiden Werke stand, differieren daher erheblich und können als Erklärung für die unterschiedliche praktische Bedeutung herangezogen werden. Eine Harmonisierung dergestalt, dass vollständige Uniformität herrscht, war und konnte nicht das Ziel der Arbeit des American Law Institute und UNIDROIT gewesen sein. Praktische Grenzen und das Bestreben der nationalen Staaten, ihre eigene Rechtskultur aufrechtzuerhalten, stehen einer umfassenden Vereinheitlichung sowohl in der Gegenwart als auch in der Zukunft

437 Zu beachten ist, dass die Rules of Transnational Civil Procedure anders als die Principles nicht offiziell verabschiedet wurden, vgl. Stürner, ZZPInt 11 (2006), 381, 382. 438 Ein Beispiel hierfür sind die Civil Procedure Rules von England, welche ab 1999 das englische Zivilverfahren regelten und die eine sehr große Ähnlichkeit zu den später entwickelten und verabschiedeten Principles of Transnational Civil Procedure aufweisen, vgl. hierzu Turner, in: The Future of Transnational Civil Litigation, S. 73, 88.

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Kapitel 2: Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

entgegen. 439 Mithin sind die Principles als Beitrag zur Harmonisierung anzusehen, jedoch nicht als ein Werk, das ohne weitere Schritte der angesprochenen Staaten die erwünschte Harmonisierung herbeiführen kann.440 Auch wenn die praktischen Auswirkungen der Principles nicht direkt hervortreten, so ist ihre wissenschaftliche Bedeutung durchaus beträchtlich, wie die zahlreichen wissenschaftlichen Diskussionen über Harmonisierungsbestrebungen im Allgemeinen 441, aber auch über die nähere Untersuchung einzelner Aspekte zeigen. Diese kritische Auseinandersetzung mit einzelnen Aspekten fand zumeist vor dem Hintergrund statt, in den Principles einen angemessenen Ausgleich zwischen Elementen der Common Law und der Civil Law Verfahrensordnungen zu schaffen. 442 Das Projekt diente damit letztlich auch der Annäherung zwischen Common Law und Civil Law und führte daher auch zu einem gesteigerten gegenseitigen Verständnis für die jeweiligen Unterschiede.

439 So auch Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201, 214, 220, der als Co-Reporter für UNIDROIT die Erfolgsaussichten für statische Rules schon sehr früh als gering bewertete und sich im Folgenden für die Schaffung flexibler Principles ausgesprochen hat. Im Ergebnis wurden damit auch nur die Principles als eine weltweit akzeptable Lösung zur formellen Verabschiedung vorgelegt, S. Huber, Entwicklung transnationaler Modellregeln für Zivilverfahren, S. 388 Fn. 117. Siehe hierzu schon Fn. 437. 440 Ähnlich auch Glasser, in: The Future of Transnational Civil Litigation, S. 13, 15. 441 Siehe hierzu Kronke, 6 Unif. L. Rev. n.s. 740 ff. (2001); ders., in: Beweiserhebung in internationalen Schiedsverfahren, S. 77 ff.; ders., in: Yearbook of Private International Law, Vol. 4 (2002), S. 227, 234.; ders., in: La procédure civile mondiale modélisée, S. 17 ff.; ders., Stockholm Arbitration Report 2000, 63 ff.; Hazard, 6 Unif. L. Rev. n.s. 753 ff. (2001); Storme, 6 Unif. L. Rev. n.s. 763 ff. (2001); Fouchard, 6 Unif. L. Rev. n.s. 779 ff. (2001); Goldstein, 6 Unif. L. Rev. n.s. 789 ff. (2001); Walker, 6 Unif. L. Rev. n.s. 803 ff. (2001); Gidi, 6 Unif. L. Rev. n.s. 819 ff. (2001). Nhlapo, 9 Unif. L. Rev. n.s. 811 ff. (2004) bekräftigt sogar den Wert der Principles für den afrikanischen Rechtskreis, da die afrikanischen Staaten aufgrund des Einflusses unterschiedlicher Kolonialmächte ebenfalls an einer staatenübergreifenden Harmonisierung des Verfahrensrechts interessiert seien und die Principles of Transnational Civil Procedure insoweit einen greifbaren und ausbaufähigen Ausgangspunkt darstellten. 442 Priestley, 6 Unif. L. Rev. n.s. 841 ff. (2001); Cooper, 6 Unif. L. Rev. n.s. 857 ff. (2001); Stürner, 6 Unif. L. Rev. n.s. 871 ff. (2001); Lalive, 6 Unif. L. Rev. n.s. 887 ff. (2001); Mecarelli, 6 Unif. L. Rev. n.s. 901 ff. (2001); Kemelmajer de Carlucci, 6 Unif. L. Rev. n.s. 915 ff. (2001); Béraudo, 6 Unif. L. Rev. n.s. 925 ff. (2001); Andrews, 6 Unif. L. Rev. n.s. 931 ff. (2001); Walter/Baumgartner, ZZPInt 5 (2000), 477 ff.; dies., 33 Tex. Int’l L.J. 463 ff. (1998). Insbesondere im Bereich der privileges wurde deutlich, welche Unterschiede zwischen dem kontinentaleuropäischen und dem angloamerikanischem Recht bestanden: Während kontinentaleuropäische Rechtsordnungen zahlreiche privileges kennen, sind sie im angloamerikanischen Rechtskreis eher selten anzutreffen, vgl. Stürner, 6 Unif. L. Rev. n.s. 871, 878 f. (2001). Auch hier macht sich der Gedanke der umfassenden Beweisermittlung in der discovery nach U.S.-amerikanischem Recht bemerkbar. Die Principles verzichten darauf, einzelne Privilegien aufzuzählen oder sich dem einen oder anderen Recht anzuschließen und umgehen den Konflikt, indem sie in Principle 18.1 lediglich eine generelle Berücksichtigung

VI. Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

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VI. Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells VI. Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

Die Analyse der zivilprozessualen Regelwerke offenbarte eine dominante Stellung des Hauptverhandlungsmodells. Die untersuchten Verfahrensordnungen sowie Modellentwürfe setzen im Grundsatz das Hauptverhandlungsmodell um. Einzelne Elemente des früheren Rechts beziehungsweise alter Traditionen mögen die Reform überdauert haben und grundsätzlich Ausdruck eines anderen Modells sein. Nichtsdestotrotz konnten diese in keinem der untersuchten Regelwerke eine prägende und die Einordnung beeinflussende Position behalten oder einnehmen. Das spanische Prozessrecht, das aufgrund seiner Geschichte dem italienisch-kanonischen Einfluss ausgesetzt war, entschied sich beim Erlass der LEC für das Hauptverhandlungsmodell als Gerüst für den neuen spanischen Zivilprozess. Auch das trial-Modell, dessen Wurzeln in der englischen Rechtsentwicklung liegen, musste mit dem Inkrafttreten der Civil Procedure Rules dem Hauptverhandlungsmodell weichen, auch wenn in wenigen Punkten Überreste der alten englischen Verfahrenstradition bestehen blieben. Die Ausgangspunkte der Reformen in beiden Ländern waren überdies mit Missständen in Form überlanger Verfahrensdauer und hoher Kosten sowie zahlreichen nur punktuell ansetzenden und zumeist wirkungslosen Reformen vergleichbar. Dass beide Länder trotz unterschiedlicher rechtskultureller Wurzeln sodann denselben Weg zur Verbesserung des zivilprozessualen Rechtsschutzes gewählt haben, manifestiert die positiven Effekte, die dem Hauptverhandlungsmodell mit seiner auf Konzentration des Verfahrens und Stärkung der richterlichen Prozessleitung gerichteten Struktur zugesprochen werden. Dass sich ferner sowohl der Código Modelo als auch die Principles of Transnational Civil Procedure entgegen der Erwartungen, die sich im Wesentlichen auf den Anwendungsbereich der Modellgesetze oder die beteiligten Institutionen stützten, für das Hauptverhandlungsmodell als wesentliche Verfahrensstruktur entschieden haben, macht deutlich, dass das Hauptverhandlungsmodell eine überzeugende Lösung für die größten Gefahren eines effizienten Prozessrechts bereit hält und nunmehr als Garant für ein effizientes Verfahrensrecht angesehen wird. Ein großer Erfolg und sogar ein „Siegeszug“ 443 des Hauptverhandlungsmodells kann damit festgestellt werden.

von beweisrechtlichen Weigerungsrechten durch das Gericht festlegen und jenem die Abwägungsbefugnis über die Anwendung im Einzelfall in Principle 18.2 zuweisen. Hier zeigt sich einmal mehr die aktive und entscheidungsrelevante Rolle des Gerichts, welche sich in den einzelnen Principles niedergeschlagen hat. Weiterhin wird hier deutlich, welche Anstrengungen es in einzelnen Punkten bedurfte, um sowohl Common Law als auch Civil Law ausgewogen zu berücksichtigen. 443 Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 151.

Kapitel 3

Das Zivilprozessrecht der Schweiz I. Das schweizerische Zivilprozessrecht bis zum 31. Dezember 2010 I. Das schweizerische Zivilprozessrecht bis zum 31. Dezember 2010

1. Die Rechtsquellen und der Rechtszustand Gemäß Art. 64 III BV a.F. 1 verblieb die Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet der Organisation der Gerichte, des gerichtlichen Verfahrens und der Rechtsprechung in Abweichung zu Art. 64 I, II BV a.F. bei den Kantonen. Diese Regelung erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, dass den Kantonen eine umfassende und den Bundesgesetzgeber ausschließende Gesetzgebungshoheit auf dem Gebiet des Zivilprozesses zugestanden hat. Der erste Eindruck täuscht jedoch: Aufgrund der engen Verzahnung des Zivilprozessrechts mit dem Privatrecht, welches gemäß Art. 64 II BV a.F. in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fiel, entstand im Laufe der Zeit ein nicht unbeträchtlicher Grundstock an bundesrechtlichen Regelungen auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts. Neben richterrechtliche Grundsätze, die sich im Wege langjähriger bundesgerichtlicher Rechtsprechung entwickelt hatten, 2 traten viele geschriebene Normen, die sich in zahlreichen Gesetzen des Bundesprivatrechts fanden und auch heute noch finden.3 Bundesgesetzgeberische Tätigkeit entfaltete sich dabei insbesondere im Hinblick auf Bestimmungen über die örtliche und sachliche Zuständigkeit 4 sowie auf dem Gebiet des Beweisrechts, wobei namentlich

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Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874. Voyame, ZSR 80 (1961) II, 67, 90 ff.; Meier, in: Civil Justice in Crisis, S. 464. 3 BBl. 2006, 7221, 7229; Guldener, Schweizerisches Zivilprozeßrecht, S. 74 f.; Walder, SJZ 1982, 105, 111; Habscheid, ZZP 94 (1981), 236, 237, 242 f., 244 ff. 4 Statt vieler Art. 111 ZGB a.F. (Klage auf Untersagung des Eheabschlusses; in Kraft gewesen bis 31.12.1999); Art. 136, 144 ZGB a.F. (Klage auf Ungültigerklärung, Scheidung und Trennung der Ehe; in Kraft gewesen bis 31.12.1999); Art. 253 ZGB a.F. (Feststellung oder Anfechtung des Kindesverhältnisses; aufgehoben durch Ziffer 2 des Anhangs zum Gerichtsstandsgesetz, welches seinerseits mit dem Inkrafttreten der neuen gesamtschweizerischen Zivilprozessordnung am 01.01.2011 aufgehoben wurde); Art. 279 II ZGB a.F. (Klage auf Leistung des Unterhalts an das Kind durch Vater oder Mutter; aufgehoben durch Ziffer 2 des Anhangs zum Gerichtsstandsgesetz, welches seinerseits mit dem Inkrafttreten der neuen gesamtschweizerischen Zivilprozessordnung am 01.01.2011 aufgehoben wurde). Eine 2

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Kapitel 3: Das Zivilprozessrecht der Schweiz

Regelungen über die Beweislast 5, die Beweiskraft öffentlicher Urkunden 6, die Beschränkung der Beweismittel in bestimmten Sachmaterien 7 sowie die freie Beweiswürdigung8 bundesgesetzlichen Ursprungs sind. Ferner waren die Umsetzung von Prozessmaximen 9 und Kostenregelungen im Verfahren Gegenstand der Bundesgesetzgebung. Eine scharfe Trennung von Zivilprozessrecht und materiellem Recht war aufgrund dieser Vermischung daher nicht möglich.10 Die Gesetzgebungstätigkeit des Bundes erfolgte damit zwar grundsätzlich entgegen Art. 64 III BV a.F., jedoch trotzdem nicht ohne Rechtsgrundlage. Vielmehr ergab sich die Bundeskompetenz aus dem allgemein anerkannten Grundsatz, dass der Bundesgesetzgeber alle prozessualen Fragen regeln darf, die zur effektiven Durchsetzung des von ihm erlassenen Bundesprivatrechts notwendig sind.11 Eine trennscharfe Festlegung des Umfangs, in welchem der Bundesgesetzgeber auf dem Gebiet des Zivilprozesses gesetzgeberisch tätig werden darf, war aber damit nicht gegeben; eine explizite Begrenzung der Befugnisse war gesetzlich nicht festgeschrieben. Unter Wahrung der grundsätzlichen Kompetenz der Kantone für die Regelung des gerichtlichen Verfahrens fand die gesetzgeberische Kompetenz des Bundes ihre Grenzen, wenn die Gefahr drohte, die kantonale Kompetenz auszuhöhlen. 12 Trotz oder gerade aufgrund dieser recht weiten Schranke ergab sich eine Gemengelage ungeschrie-

Aufzählung weiterer bundesrechtlicher Bestimmungen über die Zuständigkeit findet sich bei Walder-Richli, Zivilprozessrecht, S. 27. 5 Art. 8 ZGB. 6 Art. 9 ZGB. 7 Art. 158 Nr. 2 ZGB a.F. (aufgehoben gemäß Ziffer I 3 des Bundesgesetzes vom 26. Juni 1998 über die Änderung des ZGB, AS 1999, 1118). 8 Art. 158 Nr. 4 ZGB a.F. (aufgehoben gemäß Ziffer I 3 des Bundesgesetzes vom 26. Juni 1998 über die Änderung des ZGB, AS 1999, 1118); Art. 254 Nr. 2 ZGB a.F. (aufgehoben durch Anhang 1 Ziffer II 3 der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008, mit Wirkung seit 1. Januar 2011 (AS 2010, 1739; BBl 2006, 7221)); Art. 42 II OR. Es wird unterschiedlich beurteilt, ob es sich bei Art. 42 II OR um einen Ermessensentscheid handelt oder um eine Bestimmung zur Beweiswürdigung. Richtigerweise ist wohl letzteres anzunehmen, vgl. Brehm, in: Berner Kommentar zum Obligationenrecht Art. 41−61 OR, Art. 42 Rn. 53; Art. 86 SVG a.F. (aufgehoben durch Anhang 1 Ziff. II 21 der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008, mit Wirkung seit 1. Januar 2011 (AS 2010, 1739; BBl. 2006, 7221)). 9 In Art. 343 IV OR a.F. wurde die Untersuchungsmaxime festgelegt für Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis mit einem Streitwert von mehr als CHF 20 000 (aufgehoben durch Anhang 1 Ziff. II 5 der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008, mit Wirkung seit 1. Januar 2011 (AS 2010, 1739; BBl. 2006, 7221)). 10 Meier, in: Civil Justice in Crisis, S. 464. 11 Siehe hierzu umfassend Eichenberger, ZSR 88 (1969) II, 647, 471 ff.; BBl. 2006, 7221, 7229. 12 Walder-Richli, Zivilprozessrecht, S. 25. Eichenberger, ZSR 88 (1969) II, 467, 486 spricht von einer substantiellen Hoheit der Kantone auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts, welche den Kantonen durch Art. 64 III BV a.F. zugewiesen wird.

I. Das schweizerische Zivilprozessrecht bis zum 31. Dezember 2010

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bener richterrechtlicher Rechtsgrundsätze, zahlreicher bundesrechtlicher zivilprozessualer Regelungen, die in verschiedenen materiellen Gesetzen verstreut waren, sowie der kantonalen Prozessordnungen. Neben dem großen Einfluss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sowie der vom Bundesgesetzgeber erlassenen zivilprozessualen Regelungen, der sich auch in einem erhöhten Anpassungsdruck für die kantonalen Gesetzgeber äußerte, 13 hatten auch Regelungen auf dem Gebiet des Zivilprozesses anderer Kantone einen wesentlichen Einfluss auf die Gestaltung der kantonalen Prozessordnungen. So verwundert es nicht, dass kantonale Zivilprozessordnungen, welche in unmittelbarer zeitlicher Abfolge Reformen unterzogen wurden, im Hinblick auf Aufbau und Inhalt oftmals starke Ähnlichkeiten aufwiesen.14 Aufgrund dieser interkantonalen Rechtsrezeption verringerten sich mit der Zeit die Unterschiede zwischen den zivilprozessualen Regelungen der einzelnen Kantone. Von einer Einheitlichkeit in Form von Uniformität konnte jedoch nicht gesprochen werden. Vielmehr waren in unzähligen Details bedeutende Unterschiede zu konstatieren, die das Auftreten eines Rechtsanwalts in einem ihm nicht gewohnten Kanton zu einem riskanten Unterfangen machen konnten.15 Das Bundesprivatrecht, die bundesgerichtliche sowie die kantonale Rechtsprechung und die verschiedenen kantonalen Verfahrensordnungen bildeten damit die Rechtsquellen des schweizerischen Zivilprozessrechts. Die hierdurch entstehende unübersichtliche Situation bei der Gesetzesanwendung war offenkundig. Da die zahlreichen Kantone der schweizerischen Eidgenossenschaft in ihrer Geschichte zudem unterschiedlichsten kulturellen Einflüssen ausgesetzt waren und damit auch ihre Rechtsentwicklung unterschiedliche Wege eingeschlagen hatte, erhielten die einzelnen Prozessordnungen ein ganz eigenes Gepräge in Anlehnung an die sie beeinflussende Rechtskultur. Um diese Vielfalt prozessualer Einflüsse sowie die Mannigfaltigkeit zivilprozessualer Regelungen zwischen den Kantonen bis zum Inkrafttreten der bundeseinheitlichen Zivilprozessordnung am 1. Januar 2011 zu verdeutlichen und um die These von der Schweiz als Schnittstelle unterschiedlicher Rechtskulturen zu bestätigen, wird im Folgenden der Ablauf des ordentlichen Verfahrens nach verschiedenen kantonalen Zivilprozessordnungen näher beleuchtet und eine Einordnung in die im ersten Kapitel dargestellten Modelle versucht.

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BBl. 2006, 7221, 7229 f. Siehe hierzu Walder, SJZ 1982, 105, 110 f.; Guldener, in: Fragen des Verfahrens- und Kollisionsrechtes, S. 25, 25 f.; ders., ZSR 80 (1961) II, 1 ff.; Spühler/Dolge/Gehri, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 9. 15 Meier, in: Civil Justice in Crisis, S. 464 f., 468; Vogel, AJP 1992, 459, 463. 14

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Kapitel 3: Das Zivilprozessrecht der Schweiz

2. Der Verfahrensablauf in ausgewählten Kantonen a) Der Kanton Zürich aa) Das ordentliche Verfahren gemäß §§ 93 ff. ZPO ZH16 Vor Anrufung des Gerichts war die Durchführung eines mündlichen Sühneverfahrens vor dem Friedensrichter 17 grundsätzlich obligatorisch, § 93 ZPO ZH, wodurch die einvernehmliche Streitbeilegung durch die Parteien befördert werden sollte, § 97 I ZPO ZH. Nach einem erfolglosen Sühneverfahren wurde der Prozess durch Einreichung der vom Friedensrichter von Amts wegen erstellten und zugestellten Weisung rechtshängig, §§ 98 II, 102 I ZPO ZH. Eine Darstellung des Rechtsbegehrens des Klägers und der Stellungnahme des Beklagten (§ 100 Nr. 4 ZPO ZH), die über die in der Weisung enthaltene Darstellung hinausging, erfolgte im mündlichen Verfahren grundsätzlich nicht. Allerdings stand es dem Kläger frei, gleichzeitig mit der Weisung im Rahmen einer Klageschrift den dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Sachverhalt vorzutragen; auf diese konnte der Beklagte sodann ebenfalls in schriftlicher Form erwidern, § 123 ZPO ZH. Ein schriftliches Vorverfahren bestehend aus schriftlicher Klagebegründung und Klageantwort war hingegen unter anderem in Prozessen vor dem Bezirksgericht zwingend vorgesehen, § 125 Nr. 1 ZPO ZH. 18 Die einleitende Verfahrensphase im Zürcher Zivilprozess war damit je nach sachlicher Zuständigkeit und innerhalb derer entsprechend dem Willen der Parteien von Mündlichkeit oder Schriftlichkeit geprägt.19 Bevor das Verfahren in die Hauptphase überging, konnte das Gericht eine Referentenaudienz anberaumen, in der die Parteien gehalten waren, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzubringen, um auf diese Weise die anschließende Hauptverhandlung zu entzerren und dadurch zu vereinfachen, § 118 I ZPO ZH. Zu diesem Zweck konnten Fragen der Prozessvoraussetzungen oder der Prozessleitung mit den Parteien geklärt werden oder andere beschleunigende Verfügungen getroffen werden.20 Ferner konnten die Parteien angewie-

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Den nachfolgenden Ausführungen wurde die Zivilprozessordnung vom 13. Juni 1976, Stand 1. Januar 2007 zugrunde gelegt. 17 Der Friedensrichter war zudem für die Streitentscheidung in Fällen mit einem Streitwert bis zu CHF 500 zuständig, § 6 GVG ZH. Das Verfahren vor dem Friedensrichter wurde durch die §§ 192−195 ZPO ZH geregelt. Umfassend zur Aufgabe und Stellung des Friedensrichteramts im Kanton Zürich K. Fischer, Vom Friedensrichteramt zur Schlichtungsbehörde, S. 27 ff. 18 Ebenso war ein schriftliches Vorverfahren selbstverständlich auch dann erforderlich, wenn der Anrufung des Gerichts kein Sühneverfahren vor dem Friedensrichter vorausging, vgl. Schuhmacher, Zivilprozessrecht des Kantons Zürich, S. 72 f. 19 Grundsatz der faktischen Schriftlichkeit. 20 § 134 I (Beweiserhebung während des Hauptverfahrens), § 116 (Beschränkung des Prozessthemas) oder § 110 ZPO ZH (Vorsorgliche Maßnahmen).

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sen werden, ihr schriftliches Vorbringen im Fall eines schriftlichen Vorverfahrens zu ergänzen oder zu vereinfachen, § 118 II ZPO, um auf diese Weise die Hauptverhandlung vorzubereiten, aber gleichzeitig auch zu entlasten. Vergleichsverhandlungen konnten ebenfalls im Rahmen einer Referentenaudienz durch den Richter angeregt werden, sofern der Sachverhalt vergleichsfähig war und die Parteien Vergleichsbereitschaft signalisierten. Die nähere Ausgestaltung der Referentenaudienz macht jedoch bereits deutlich, dass diese eher für den Fall eines schriftlichen Vorverfahrens konzipiert und insbesondere wegen § 118 II und III ZPO ZH nicht auf ein mündliches Vorverfahren zugeschnitten war. Für Vergleichsverhandlungen gemäß § 118 III ZPO ZH blieb wohl auch nur dann ein Anwendungsbereich, wenn kein Sühneverfahren vor dem Friedensrichter obligatorisch war, da bereits zu diesem Zeitpunkt, der zumeist zeitlich nicht weit vor der Referentenaudienz lag, die Basis für eine einvernehmliche Streitbeilegung ausgelotet wurde.21 Im Anschluss folgte das Hauptverfahren, welches nach dem Willen des Gesetzgebers dem Prinzip der Mündlichkeit folgen sollte, § 121 ZPO ZH i.V.m. § 113 ZPO ZH. Allerdings war auch hier ein schriftliches Verfahren bei besonders komplizierten Sachverhalten möglich, sofern ein mündliches Verfahren zur sachgerechten Behandlung des Streitfalles ungeeignet war, § 124 I ZPO ZH. 22 Gegenstand der Hauptverhandlung war es, die Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht möglichst umfassend zu behandeln, wofür jeder Partei jeweils zwei Vorträge zustanden, in welchen die Parteien den Anforderungen von § 113 ZPO ZH entsprechend ihre tatsächlichen Behauptungen und die diese stützenden Beweismittel in der Klagebegründung, der Klageerwiderung sowie der Replik und Duplik vorbringen mussten. 23 Unter Umsetzung der Eventualmaxime waren spätere Vorträge sowie ein späteres Bestreiten des gegnerischen Vorbringens grundsätzlich ausgeschlossen, § 114 ZPO ZH. Um das Ziel zu erreichen, das Gerichtsverfahren mit einer mit der wahren Rechtslage in Einklang stehenden Entscheidung beenden zu können, hatte auch im Zürcher Zivilprozess das Gericht auf eine umfassende, klare und eindeutige Darstellung des Tatsachenmaterials hinzuwirken. Zu diesem Zweck statuierte § 55 ZPO ZH eine richterliche Fragepflicht, welche insbesondere im Rahmen des Hauptverfahrens zum Tragen kam24 und sich sowohl auf den Sachverhalt als auch auf 21

Guldener, Schweizerisches Zivilprozeßrecht, S. 423 Fn. 6 bestätigt, ohne Gründe zu nennen, dass Referentenaudienzen im Falle eines mündlichen Vorverfahrens in der Praxis eher selten anberaumt wurden. 22 Schuhmacher, Zivilprozessrecht des Kantons Zürich, S. 87. 23 Sofern gemäß § 123 ZPO ZH nach dem Willen der Parteien ein schriftliches Einleitungsverfahren stattgefunden hatte, entfielen eine mündliche Klagebegründung und Klageerwiderung, so dass die Hauptverhandlung auf insgesamt zwei Vorträge beschränkt war. 24 Walder-Richli, Zivilprozessrecht, S. 394. Zur Fragepflicht im Zürcher Zivilprozess Loosli, Information und Kommunikation im Zivilprozessverfahren des Kantons Zürich als Garant der Rechtsverwirklichung, S. 64 ff., der deutlich macht, dass nicht bei der wörtlichen

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Kapitel 3: Das Zivilprozessrecht der Schweiz

„gewisse rechtliche Fragen“25 bezog. Ihr Umfang bestimmte sich nach dem konkreten Einzelfall, beispielsweise danach, ob die Partei anwaltlich vertreten war. 26 Sie ging allerdings nicht so weit, dass ein Hinweis auf den für die Urteilsfällung wesentlichen Sachverhalt durch das Gericht erfolgen musste. 27 Mithin war am Ende der Hauptverhandlung der Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, so dass der Prozess in das Beweisverfahren übergeleitet werden konnte. Das Beweisverfahren wurde durch den Beweisauflagebeschluss des Richters strukturiert. Neben den zu beweisenden streitigen und für den Fall erheblichen Tatsachen (§ 133 ZPO ZH) legte der Richter ferner fest, welche Partei die Beweislast trug sowie die Frist, innerhalb derer die Beweismittel in einer Beweisantretungsschrift (§ 137 ZPO ZH) gegenüber dem Gericht zu benennen waren, §§ 134, 136 ZPO ZH. Der Gegenpartei wurde überdies ausdrücklich zugestanden, den Gegenbeweis zu erbringen und Gegenbeweismittel vorzulegen.28 Nach Eingang der Beweisantretungsschriften von Kläger und Beklagtem erließ das Gericht den Beweisabnahmebeschluss 29, der zusätzlich zu den im Beweisauflagebeschluss enthaltenen Elementen das zugelassene Beweismittel nannte, welches den Inhalt der streitigen Tatsache beweisen sollte, § 140 ZPO ZH. Dieser eher von organisatorischen Aspekten geprägten Zwischenphase folgte sodann die Beweisabnahme, welche in einer gesonderten Verhandlung – in Schweizer Terminologie: Tagfahrt30 – stattfand, § 146 ZPO ZH, in der Zeugen, Gutachter oder die Parteien mündlich befragt wurden oder der Inhalt von Urkunden oder schriftlichen Gutachten diskutiert wurde. Gemäß § 148 ZPO ZH würdigte das Gericht die Beweise nach freier Überzeugung; daneben konnte das Gericht jedoch zur Beurteilung des Beweisergebnisses auch das Verhalten der Parteien im Prozess heranziehen. Das Beweisverfahren sollte in der Regel mit den Stellungnahmen der Parteien zum Beweisergebnis schließen,

Bedeutung von „Fragepflicht“ verharrt werden darf, sondern dass vielmehr auch und unter Umständen überwiegend Aufforderungen und Anweisungen von § 55 ZPO ZH erfasst waren, S. 73 f. 25 Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, Rn. 556 (S. 325). 26 ZR 60/1961 Nr. 64 (Obergericht II. Zivilkammer); Frank/Sträuli/Messmer, ZPO, § 55 Rn. 4; Brönnimann, Die Behauptungs- und Substanzierungslast im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 70. 27 BGE 108 IA 293, 295. 28 Hensch, Rechtsvergleichende Betrachtungen der beiden Zivilprozessordnungen der Kantone Zürich und Luzern, S. 81. 29 Gemäß § 141 ZPO ZH kann dieser auch unmittelbar nach der Hauptverhandlung ergehen, sofern die Parteien erklären, alle Beweismittel bereits in der Hauptverhandlung vorgebracht zu haben. 30 Vgl. Guldener, Schweizerisches Zivilprozeßrecht, S. 423 Fn. 8, 425 f.

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§ 147 ZPO ZH (Schlussverhandlung); allerdings kamen diesen Stellungnahmen der Parteien wohl in praxi kaum Bedeutung zu. 31 Nachdem im Rahmen des Hauptverfahrens die Tatsachengrundlage der Streitsache festgestellt und im Beweisverfahren dieselbe mit den gerichtlich zugelassenen Beweismitteln überprüft wurde, erließ das Gericht bei Spruchreife gemäß § 188 I, II 1 ZPO ZH das Endurteil mit einer kurzen Darstellung des Sachverhalts und unter Nennung der Entscheidungsgründe, § 157 b GVG ZH. bb) Einordnung (1) Die Verfahrenseinleitung Die Verfahrenseinleitung nach der Zürcher Zivilprozessordnung konnte in unterschiedlicher Weise erfolgen. Sofern dem Verfahren ein Sühneversuch vor dem Friedensrichter voran ging, erfolgte die Klageeinleitung durch die Einreichung der Weisung bei Gericht. Machte der Kläger nun nicht von der Möglichkeit des § 123 I ZPO ZH Gebrauch, so erfolgte die Antragstellung mit der detaillierten Angabe der Tatsachen sowie den zur Verfügung stehenden Beweismitteln erst im Rahmen des ersten mündlichen Vortrags des Klägers in der Hauptverhandlung. Aus diesem Grund erscheint fraglich, ob hier im Rahmen der Verfahrenseinleitung von fact pleading gesprochen werden kann. Die von dem Friedensrichter erstellte Weisung enthielt gem. § 100 Nr. 4 ZPO ZH lediglich das klägerische Rechtsbegehren, welches weder Motive noch den Klagegrund enthielt.32 Darüber hinaus fand sich die Stellungnahme des Beklagten wohl nur in einigen wenigen Fällen in der Weisung des Friedensrichters wieder.33 Würde man bei der Betrachtung der Einleitungsphase nun an diesem Punkt verharren, so wären wohl noch nicht einmal die geringen Anforderungen des notice pleading erfüllt. Darüber hinaus ist schon zweifelhaft, ob überhaupt von pleading gesprochen werden kann, beschreibt dieser Begriff bereits der Natur der Sache nach eine Handlung der beteiligten Parteien. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der durchgeführten Sühneverhandlung der Beklagte bereits darüber ins Bild gesetzt wurde, aus welchen tatsächlichen Gründen er mit dieser Klage überzogen wurde. Das vorangegangene Sühneverfahren übernahm damit neben der Funktion, eine einvernehmliche Streitbeilegung herbeizuführen, auch zu einem gewissen Grad eine Informationsfunktion. Auf diese Weise wusste der Beklagte bereits vor dem ersten Aufeinandertreffen vor Gericht je nach Intensität der durchgeführten Sühneverhandlung, welcher Sachverhalt der Klage zugrunde lag. Darüber hinaus ist es wohl auch sachge-

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Walder-Richli, Zivilprozessrecht, S. 406. Frank/Sträuli/Messmer, ZPO, § 100 Rn. 13. 33 Frank/Sträuli/Messmer, ZPO, § 100 Rn. 16. 32

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recht, die ersten beiden mündlichen Vorträge der Parteien in der Hauptverhandlung zumindest bei einem mündlichen Vorverfahren noch als Teil der Einleitungsphase anzusehen, da diese gerade die Funktion einer schriftlichen Klagebegründung und Klageerwiderung übernehmen sollten. 34 Mithin folgt hieraus, dass auch bei einem mündlichen Vorverfahren fact pleading erforderlich war. Das Erfordernis von fact pleading ergibt sich im schriftlichen Verfahren deutlich aus § 126 i.V.m. § 113 ZPO ZH, die eine bestimmte und vollständige Aufstellung der Behauptungen sowie die Angabe von Beweismitteln verlangen. Unter Berücksichtigung der klageeinleitenden Phase wäre damit weder eine Zuordnung zum italienisch-kanonischen Modell noch zum Hauptverhandlungsmodell ausgeschlossen. Eine Zuordnung zum angloamerikanischen trialModell kommt indes nicht infrage. (2) Die Aufsplittung in Haupt- und Beweisverfahren Die eindeutige Identifizierung einer Zwischen- und einer Hauptphase ist dadurch erheblich erschwert, dass im Verfahren nach der Zürcher Zivilprozessordnung die Beweisermittlung nach der Hauptverhandlung stattfand und die Beweisabnahme daher einem separaten Termin vorbehalten war. In der Hauptverhandlung wurde die Tatsachengrundlage im Dialog mit dem Gericht gemeinsam erarbeitet, wobei dem Richter über § 55 ZPO ZH materielle Leitungsbefugnisse in Form einer Fragepflicht sowie einer wohl ebenfalls von § 55 ZPO ZH umfassten Pflicht zu sachgerechten Aufforderungen und Anweisungen zukam. Bereits die Ausgestaltung dieser Befugnis als richterliche Pflicht macht deutlich, dass sie für den Verfahrensablauf von erheblicher Bedeutung war, um den Streitstoff vor dem Übergang ins Beweisverfahren umfassend festzustellen. Dadurch, dass die Beweisfindungsphase und damit auch die Beweisabnahme selbst der Hauptverhandlung nachfolgten, lag keine Konzentration des Verfahrens auf eine mündliche, umfassend vorbereitete Hauptverhandlung vor. Zwar konnte das Gericht gemäß § 118 I, II ZPO ZH eine Referentenaudienz einberufen, in welcher die Parteien ihr Vorbringen verdeutlichen, ergänzen, berichtigen oder vereinfachen konnten. Allerdings lag eine solche Vorverhandlung im Ermessen des Gerichts.35 Sie kann deswegen nicht als tragende Säule herangezogen werden, um von einer umfassend vorbereiteten Hauptverhandlung zu sprechen. Vielmehr diente die Hauptverhandlung selbst erneut der Diskussion des Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht, so dass bereits der Inhalt

34 Dies ergibt sich daraus, dass im Fall einer fakultativen schriftlichen Klagebegründung und einer ebenfalls schriftlichen Klageerwiderung, welche aber nicht zwingend war, die ersten beiden mündlichen Parteivorträge in der Hauptverhandlung entfielen, vgl. WalderRichli, Zivilprozessrecht, S. 396. 35 Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, Rn. 570 (S. 339).

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der Hauptverhandlung eine umfassende Vorbereitung derselben durch die Referentenaudienz ausschließt. Selbst wenn man jedoch das Beweisverfahren, in welchem ja zumindest die tatsächliche Seite des zugrunde liegenden Sachverhalts umfassend vorbereitet war, als eine Hauptverhandlung im Sinne des Hauptverhandlungsmodells ansehen würde, wäre dennoch das Vorliegen der das Hauptverhandlungsmodell charakterisierenden Konzentration des Verfahrens auf eine in tatsächlicher und beweisrechtlicher Hinsicht umfassende Verhandlung zumindest zweifelhaft. Vielmehr erweckt die Bezeichnung der Verhandlung, in der das Tatsachenmaterial im Dialog des Gerichts und der Parteien gemeinsam erarbeitet wurde und welche durch die Referentenaudienz gemäß § 118 ZPO ZH unter Umständen bereits vorbereitet war, als Hauptverhandlung den Eindruck, dass der kantonale Gesetzgeber diese Verhandlung als Zentrum des gesamten Gerichtsverfahrens ansah. Dennoch findet sich zumindest in der Hauptverhandlung das Konzentrationselement dergestalt wieder, dass diese nach Möglichkeit wohl in einer Tagfahrt stattfinden und die Anberaumung weiterer Termine eher die Ausnahme bleiben sollte. 36 Die Struktur des Verfahrens mit einer der Hauptverhandlung nachfolgenden Beweisabnahme sowie der nach § 136 I ZPO ZH ergehende Beweisauflagebeschluss erinnern stark an das Beweisinterlokut und den Aufbau des gemeinen Prozesses, in welchem das Urteil den Beweis anordnete und festlegte, was je nach Ausgang des Beweisverfahrens geschehen sollte. 37 Letzteres war zwar nach der Zürcher Verfahrensordnung nicht der Fall, eine Ähnlichkeit im strukturellen Aufbau kann aber nicht geleugnet werden. Dadurch, dass der gemeine Prozess maßgeblich an der Entstehung des italienisch-kanonischen Prozessmodells beteiligt war und darüber hinaus die Aufteilung in Hauptverfahren und Beweisverfahren stark an eine Terminsequenz erinnert, scheint eine Zuordnung des Zürcher Verfahrens zum italienisch-kanonischen Prozessmodell nicht fernliegend. Diese Zuordnung wird ferner dadurch gestützt, dass sich in der Tat eine „Reihe“ an Verhandlungen ergibt, wenn sich das Gericht vorgängig bereits für eine Referentenaudienz entscheidet, auf die dann jeweils der Termin zur Hauptverhandlung sowie abschließend der Termin zur Beweisverhandlung folgt. Jedem Termin wäre dann ein eigener Verfahrensinhalt zugewiesen gewesen, wie dies auch das Reihenfolgeprinzip italienisch-kanonischer Prägung vorsieht. Es gilt allerdings zu berücksichtigen, dass eine Zweiteilung des Verfahrens in Haupt- und Beweisverfahren nicht zwingend war. Vielmehr konnte das Gericht gemäß § 134 ZPO ZH bereits im Hauptverfahren Beweise erheben, wenn dies der Vereinfachung des Hauptverfahrens diente. Wurden in diesem Fall bereits Zeugen oder Experten zur Hauptverhandlung vorgeladen oder wurde im Vorfeld bereits die Edition von Urkunden angeordnet, so näherte sich die 36 37

Guldener, Schweizerisches Zivilprozeßrecht, S. 423 f. Fn. 8. Vgl. Kapitel 1 I 1 b).

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Verfahrensgestaltung eher dem Verfahren nach dem Hauptverhandlungsmodell an. Regelfall des Zürcher Verfahrens war jedoch eine der Hauptverhandlung nachfolgende Beweisabnahme, so dass lediglich in Ausnahme zur gesetzgeberischen Entscheidung eines sequenzierten Verfahrens der Prozess in seiner äußeren Gestalt eine Ähnlichkeit zum Hauptverhandlungsmodell aufwies. (3) Die Stellung des Instruktionsrichters Wesentliches Merkmal des italienisch-kanonischen Prozessmodells ist neben einer Terminsequenz ferner die Beteiligung eines Instruktionsrichters im Rahmen des Beweisverfahrens. Dieser leitet grundsätzlich die gesamte Beweisfindungsphase, erlässt unter Umständen Anordnungen und Weisungen zur Strukturierung dieser Prozessphase und nimmt in seltenen Fällen anstelle des erkennenden Gerichts auch Beweise ab. 38 Im Vergleich zu anderen kantonalen Zivilprozessordnungen fanden sich in der Zürcher Zivilprozessordnung keine expliziten Regelungen unter einem eigenen Titel über die Stellung und die Aufgaben eines Instruktionsrichters. Dies dürfte zumindest auf keine zentrale Bedeutung dieser Institution für das Zürcher Verfahren schließen lassen. Die Beweisabnahme erfolgte zwar regelmäßig vor dem erkennenden Gericht, 39 allerdings sah § 144 ZPO ZH in einigen Fällen die Möglichkeit einer Delegation an eine Abordnung des Gerichts vor. Dadurch, dass das beweisaufnehmende Organ in der Regel aus der Mitte des erkennenden Gerichts kam, war damit das Prinzip der Unmittelbarkeit gewahrt. 40 Durch die Fortentwicklung des italienisch-kanonischen Modells über die vergangenen Jahre war es jedoch nicht mehr zwingend erforderlich, dass der Instruktionsrichter personenverschieden vom erkennenden Gericht war, so dass im Fall einer Delegation an ein Mitglied des erkennenden Gerichts auch ein Instruktionsrichter im Sinne des italienischkanonischen Prozessmodells vorliegen kann. Allerdings verlangt dieses Modell mehr als nur die Delegation einzelner Verfahrensteile an einen Richter. Der Instruktionsrichter muss zudem einen gewissen Einfluss auf die materielle Entscheidung haben, indem er beispielsweise den Umfang der Beweisabnahme durch Anordnungen festlegen und auf diese Weise zumindest mittelbar auf die materielle Entscheidung einwirken kann. Im Zürcher Verfahren konnte entweder die Beweiserhebung als Ganzes, einschließlich der Anordnung, oder nur

38

Vgl. hierzu später ausführlich bei der Darstellung des Walliser Zivilprozesses. Rüegg, in: Richter und Verfahrensrecht. Festgabe 150 Jahre Obergericht Luzern, S. 283, 291. 40 Frank/Sträuli/Messmer, ZPO, § 144 Rn. 1 stellt klar, dass die Teilnahme des delegierten Richters an der Urteilsfällung aber nicht unerlässlich war. Der Regelfall sei jedoch gewesen, dass ein Mitglied des erkennenden Gerichts die Aufgaben des delegierten Richters übernahm. Aus diesem Grund wird dies auch für die folgende Argumentation zugrunde gelegt. 39

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die Beweisabnahme Gegenstand der Übertragung sein. 41 Im ersten Fall, in dem der Erlass des Beweisauflage- sowie des Beweisabnahmebeschlusses ebenfalls von der Delegation umfasst war und der Umfang der sich anschließenden Beweisabnahme folglich durch den delegierten Richter festgelegt wurde, konnte dieser durchaus Einfluss auf die materielle Entscheidung ausüben, so dass in diesem Fall dem delegierten Richter tatsächlich eine instruktionsrichterliche Stellung im Sinne des italienisch-kanonischen Prozessmodells zukam. War jedoch nur die Beweisabnahme Gegenstand der Übertragung, so war der abgeordnete Richter lediglich ausführendes Organ ohne weitere Einflussmöglichkeit auf die materielle Entscheidung, so dass in diesem Fall eine dem Instruktionsrichter des italienisch-kanonischen Modells vergleichbare Stellung des delegierten Richters nicht angenommen werden kann. Darüber hinaus ist anzumerken, dass § 144 ZPO ZH die Delegation nur in explizit im Gesetz benannten Fällen für zulässig erachtete und damit gerade keine generelle Delegation an einen Dritten vorsah. Eine Delegation der Hauptverhandlung an eine Abordnung des Gerichts ist unter Rücksicht auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit nicht möglich; eine Vereinbarung der Parteien dieses Inhalts wurde darüber hinaus als unwirksam angesehen.42 Die Umsetzung des Prinzips der Unmittelbarkeit kann daher trotz der Abschwächung im Rahmen des Beweisverfahrens als einer der leitenden Grundsätze der Zivilprozessordnung Zürichs angesehen werden. (4) Die Stellung des Richters im Verfahren Gemäß § 52 ZPO ZH leitete das Gericht das Verfahren. Danach kam dem Gericht sowohl die formelle als auch die materielle Prozessleitung zu. 43 Erstere zeigte sich in der äußeren Strukturierung des Verfahrens durch das Festlegen der Termine sowie das Festsetzen von Fristen. Hiermit wurde gleichzeitig das in § 53 ZPO ZH verankerte Beschleunigungselement umgesetzt, welches aufgrund zahlreicher „beschleunigender“ Vorschriften 44 durchaus als eines der zentralen Leitmotive der Zürcher Zivilprozessordnung genannt werden kann. Der Umfang der richterlichen Fragepflicht im Sinne des § 55 ZPO ZH, die sich

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Frank/Sträuli/Messmer, ZPO, § 144 Rn. 2. Frank/Sträuli/Messmer, ZPO, § 121 Rn. 2; Spirig, Prozessleitung, S. 46. 43 Frank/Sträuli/Messmer, ZPO, § 52 Rn. 1 f.; Spirig, Prozessleitung, S. 23 ff. 44 § 61 I ZPO ZH (Ablehnung der Klageänderung bei ungebührlicher Verzögerung), § 106 IV ZPO ZH (kurze Frist zur Verbesserung mangelhafter Klagen), § 129 II Nr. 2 ZPO ZH (frühzeitige Androhung der Säumnisfolgen bei unentschuldigtem Ausbleiben des Beklagten in der Sühneverhandlung), § 132 ZPO ZH (Annahme des Verzichts auf Replik/Duplik bei Säumnis), § 134 I ZPO ZH (Abnahme von Beweisen im Hauptverfahren), § 141 ZPO (direkter Beweisabnahmebeschluss), § 188 I ZPO ZH (Entscheidungspflicht bei Spruchreife. Dass es sich um eine Pflicht des Gerichts handelt, ist zwar aus dem Gesetz nicht ersichtlich, jedoch allgemein anerkannt, vgl. nur Frank/Sträuli/Messmer, ZPO, § 188 Rn. 2). 42

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sowohl auf den Sachverhalt als auch auf einzelne rechtliche Aspekte bezog, bestimmte sich nach dem konkreten Einzelfall, wie beispielsweise danach, ob die Parteien anwaltlich vertreten waren. 45 Während eine gerichtliche Hilfe zur Substantiierung des Vortrags sowie eine Hilfe zur Stellung sachgerechter Anträge umfasst war, 46 ging die Fragepflicht allerdings nicht so weit, dass ein Hinweis auf den für die Urteilsfällung relevanten Sachverhalt durch das Gericht erfolgen musste. 47 Uneinheitlich wurde die Frage beantwortet, wie weitgehend die Fragepflicht im Hinblick auf rechtliche Aspekte war, namentlich ob auch Hinweise auf Einwendungen und Einreden erfasst waren. Zum Teil wurde dies insgesamt mit Blick auf den potentiell erweckten Anschein von Parteilichkeit des Richters umfassend abgelehnt.48 Andere hingegen sahen es als zulässig an, dass sich der Richter bei entsprechenden Sachverhaltsdarstellungen durch Ausübung seines Fragerechts Klarheit darüber schaffen durfte, ob eine entsprechende Einrede erhoben wurde. 49 Unabhängig vom konkreten Umfang etablierte die Zürcher Zivilprozessordnung einen Richter mit durchaus starker Stellung, der durch gezielte Fragen die Sachverhaltsaufklärung entscheidend beeinflussen sowie durch begrenzte rechtliche Hinweise zu einem effizienten Verfahren beitragen konnte. Gleichwohl änderte dies nichts an der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzes für die Umsetzung der Verhandlungsmaxime. Neben der Frage- beziehungsweise Aufklärungspflicht des § 55 ZPO ZH standem dem Richter weitere erwähnenswerte Befugnisse zu, mit denen er auf den in Streit stehenden Sachverhalt einwirken konnte und die seine leitende Rolle über die formelle Prozessleitung hinaus manifestierten. Gem. § 142 II ZPO ZH war dem Richter ausnahmsweise die Beweisermittlung von Amts wegen zur Förderung der Feststellung des wahren Sachverhalts erlaubt. Im Ausgleich zwischen dem Beschleunigungsgrundsatz und der Verhandlungsmaxime musste letztere aus Effektivitätsgründen im Ausnahmefall zurücktreten. Zudem sah § 116 1 ZPO ZH vor, dass das Gericht das Hauptverfahren zunächst auf einzelne Fragen beschränken konnte, wenn anzunehmen war, dass sich der Prozess dadurch vereinfachen ließ. Dieses Vorgehen war auf Antrag der Par-

45 ZR 81/1982 Nr. 118 (Obergericht III. Zivilkammer); Frank/Sträuli/Messmer ZPO § 55 Rn. 4. 46 Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, Rn. 556 (S. 325). 47 BGE 108 IA 293, 295. 48 Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, Rn. 556 (S. 326). 49 Frank/Sträuli/Messmer, ZPO, § 55 Rn. 9. Entgegen der Vorauflage (Sträuli/Messmer, ZPO, 2. Auflage 1982, § 55 Rn. 8), welche die Schlussfolgerung unter Nennung von Aufrechnung und Verjährung sowie entgegenstehender Rechtskraft und anderweitiger Anhängigkeit trifft, nennt die zitierte 3. Auflage 1997 jedoch lediglich noch die Verjährung.

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teien möglich, konnte aber auch von Amts wegen auf Grundlage eigener Einschätzung des Gerichts erfolgen. Gerade die zuletzt genannten Befugnisse, namentlich die Beweisermittlung von Amts wegen sowie die Beschränkung des Prozessthemas, machten deutlich, dass das Zürcher Gesetz der Vereinfachung und Beschleunigung einen hohen Stellenwert zuwies und zu diesem Zweck die Stellung des Richters durch eine verstärkte materielle Prozessleitung ergänzte. Diese starke Stellung des Richters zeigte sich neben der Fragepflicht des § 55 ZPO ZH ferner auch darin, dass im Rahmen der Parteibefragung die Fragen durch das Gericht gestellt wurden (§ 155 I ZPO ZH), beziehungsweise darin, dass die Bewilligung des Gerichts für die Befragung durch eine Partei erforderlich war (§ 155 II ZPO ZH). Für die Zeugenbefragung galt dies aufgrund des Verweises von § 176 ZPO ZH auf § 155 ZPO ZH entsprechend. Der Zürcher Zivilprozessordnung lag damit das Bild eines aktiven Richters zugrunde, der die tatsächliche materielle Wahrheit erforschen sollte und nicht lediglich jene, die sich aus dem Vortrag der Parteien ergab. Für einen passiven Richter in Anlehnung an das trial-Modell blieb damit kein Raum mehr. Damit entsprach das von der Zürcher Zivilprozessordnung gezeichnete Richterbild voll demjenigen des Hauptverhandlungsmodells, das sich maßgeblich durch einen starken und intervenierenden Richter auszeichnet. (5) Zwischenfazit Die nähere Betrachtung einzelner Elemente macht deutlich, dass eine eindeutige Zuordnung des in der Zürcher Zivilprozessordnung festgelegten Verfahrensablaufs des ordentlichen Verfahrens zu dem italienisch-kanonischen Modell oder dem Hauptverhandlungsmodell nicht möglich ist. Vielmehr finden sich sowohl charakteristische Elemente des einen als auch bezeichnende Elemente des anderen Modells, abhängig davon, wie das Gericht das Verfahren ausgestaltete, wobei auch den Parteien ein gewisser Spielraum zukam. Fact pleading verlangen beide Modelle. Nach der gesetzlichen Anlage sollen die Hauptverhandlung und das Beweisverfahren getrennt sein, so dass hierin eine gesetzgeberische Entscheidung für ein sequenziertes Verfahren, möglicherweise in Anlehnung an das Reihenfolgeprinzip italienisch-kanonischer Prägung, und damit eine Entscheidung zugunsten des italienisch-kanonischen Modells gesehen werden kann. Die Möglichkeit einer Beweisabnahme in der Hauptverhandlung bleibt nur besonderen Umständen vorbehalten, so dass der kantonale Gesetzgeber nur seiner Pflicht, das Verfahren möglichst effizient auszugestalten, nachgekommen ist. Aus dem Gesetz lässt sich nicht klar entnehmen, ob dem delegierten Richter der Instruktionsrichter des italienisch-kanonischen Verfahrensmodells zugrunde liegen sollte. Maßgeblich für eine Einordnung ist hier der Umfang der Übertragung. Allerdings könnte man den Schluss ziehen, dass § 144 ZPO ZH, der die Delegation gesondert erwähnt, eine Abweichung zum Normalfall eines Beweisverfahrens durch das gesamte

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Kollegialgericht statuieren sollte. Folglich hätte sich der kantonale Gesetzgeber in diesem Punkt gegen ein Element des italienisch-kanonischen Modells entschieden. Aufgrund dieser Verfahrensgestaltung ist es daher am ehesten sachgerecht, festzuhalten, dass das Verfahren nach der Zürcher Zivilprozessordnung eine Zwitterstellung zwischen dem Hauptverhandlungsmodell und dem italienisch-kanonischen Modell eingenommen hat, indem es sich für eine Kumulation verschiedener Elemente der beiden Modelle entschieden hatte. b) Der Kanton Luzern aa) Das ordentliche Verfahren gemäß §§ 198 ff. ZPO LU50 (1) Einleitende Phase Vor fast allen 51 gerichtlichen Verfahren nach der Luzerner Zivilprozessordnung musste zwingend ein Vermittlungsverfahren stattfinden, § 185 ZPO LU, das den Zweck einer Aussöhnung zwischen den Parteien verfolgte, vgl. § 191 I ZPO LU. 52 Nach grundsätzlich schriftlicher Verlautbarung des Vermittlungsgesuchs unter Nennung des Rechtsbegehrs durch den Kläger erfolgte nach Ladung ein Vermittlungstermin. Dort sollten die Parteien in persönlicher Anwesenheit ihren Standpunkt darlegen und der Vermittler versuchte sodann, eine Aussöhnung zu erreichen. Bereits mit Stellung des Vermittlungsgesuchs wurde die Streitsache rechtshängig, § 197 ZPO LU. Bei fehlgeschlagener Aussöhnung erteilte der Vermittler auf Antrag des Klägers den Weisungsschein als Klagevoraussetzung, welcher als Abschrift des Protokolls auch eine kurze Darstellung der Rechtsbegehren des Klägers enthielt, §§ 195 I, 193 I lit. c ZPO LU. Anders als nach der Zürcher Zivilprozessordnung genügte es allerdings nicht, nur den Weisungsschein bei Gericht einzureichen, um das gerichtliche Verfahren in Gang zu setzen. Vielmehr war eine Klageschrift beizufügen, § 199 I ZPO LU, die den Anforderungen der §§ 69, 79 ZPO LU genügte. Neben dem Begehren und dem Streitwert musste die Klageschrift ferner eine umfassende Darstellung der rechtserheblichen Tatsachen sowie die Beweisanträge für die beweisbedürftigen Tatsachen enthalten, § 70 ZPO LU. Hierauf hatte der

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Den nachfolgenden Ausführungen ist das Gesetz über die Zivilprozessordnung des Kantons Luzern vom 27. Juni 1994, Stand 1. Januar 2007 zugrunde gelegt. 51 § 186 ZPO LU nannte Ausnahmen vom Grundsatz eines vorgeschalteten Vermittlungsverfahrens, während § 187 ZPO LU in bestimmten Fällen die Durchführung eines Vermittlungsverfahrens der Entscheidung der Parteien überließ. 52 Instruktiv zur Institution des Vermittlungsverfahrens im Luzerner Zivilverfahrensrecht Mahnig, Der Friedensrichter im luzernischen Recht.

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Beklagte ebenfalls in schriftlicher Form unter Erfüllung derselben Voraussetzungen zu erwidern, §§ 202 I 1, 69, 70 ZPO LU. 53 Darüber hinaus verlangte § 202 I 2 ZPO LU, dass der Beklagte umfassend zu allen vom Kläger genannten Tatsachenbehauptungen Stellung nahm. Die jeweils rechtserheblichen Tatsachen waren substantiiert und damit umfassend und klar darzulegen. 54 Genügte insbesondere der klägerische Schriftsatz den Anforderungen nicht, so wurde der Anspruch wegen ungenügender Substantiierung abgewiesen. 55 Das Erfordernis materieller Substantiierung ermöglichte eine frühzeitige Kanalisierung des Streitstoffes und legte den Grundstein für einen effizienten Fortgang des weiteren Verfahrens, da das Gericht bereits zu diesem Zeitpunkt umfassend über das vorhandene Tatsachenmaterial informiert war. Die Stellung der Beweisanträge bereits in den einleitenden Schriftsätzen, wie es von § 70 I lit. d ZPO LU gefordert wurde, und nicht wie beispielsweise im Zürcher Prozess erst nach Erlass des gerichtlichen Beweisauflagebeschlusses 56, übte ferner zumindest faktischen Zwang auf die Gegenpartei zu substantiiertem Vortrag aus. Daneben wohnte dieser Anordnung auch ein gewisses Beschleunigungselement inne, da Beweismittel, die sich im Gewahrsam einer Partei befanden, soweit möglich, bereits der ersten Rechtsschrift beizulegen waren, § 144 I 2 ZPO LU. Mithin war die Verfahrenseinleitung nach der Luzerner Zivilprozessordnung von zwingender Schriftlichkeit und sehr umfassenden, den künftigen Verfahrensablauf beeinflussenden Schriftsätzen geprägt. (2) Zwischenphase Im weiteren Fortgang des Verfahrens stand es im Ermessen des Instruktionsrichters, ob er die Parteien zu einer Instruktionsverhandlung lud (§ 209 I ZPO LU). Eine solche Instruktionsverhandlung konnte zwar in jeder Phase des Verfahrens abgehalten werden, bot sich aber, wie von § 208 lit. a ZPO LU vorgeschlagen, insbesondere zur Vorbereitung der Hauptverhandlung an. Dabei stand die formlose Erörterung der Streitigkeit und die Darstellung der Prozesschancen und -risiken durch den Instruktionsrichter im Vordergrund57, was durch die frühe Stellung der Beweisanträge bereits in der Klageschrift und der 53 Reichte der Beklagte keine Klageantwort ein, so lud der Richter die Parteien sofort zur Instruktions- oder Hauptverhandlung vor, in welcher dem Beklagten ein beschränktes Äußerungsrecht zustand. Zwar konnte er weiterhin auf sämtliche Verteidigungsmittel zugreifen, die Inanspruchnahme von Angriffsmitteln war aber eingeschränkt: Eine Widerklage oder das Vorbringen von mit Urkunden nicht sofort beweisbaren Gegenansprüchen im Rahmen der Aufrechnung waren ausgeschlossen, § 204 I−III ZPO LU. Vgl. Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 204 Rn. 2 f. 54 Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 199 Rn. 1, § 70 Rn. 4. 55 Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 70 Rn. 4. 56 § 136 ZPO ZH. Vgl. hierzu die Darstellung zum Zürcher Verfahrensablauf Kapitel 3 I 2 aa). 57 Vgl. hierzu § 208 ZPO LU.

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Klageerwiderung befördert und wesentlich erleichtert wurde. Im Anschluss bot sich je nach Sachverhalt und je nach Bereitschaft der Parteien die Durchführung von Vergleichsverhandlungen an (§ 208 lit. d ZPO LU). (3) Endphase Sofern die Parteien nicht auf die Durchführung einer Hauptverhandlung verzichtet hatten und das Gericht eine solche nicht für unnötig erachtet hatte (§ 212 II ZPO LU), lud der Richter die Parteien nach Abschluss des Schriftenwechsels und gegebenenfalls nach Durchführung einer Instruktionsverhandlung zur Hauptverhandlung vor, § 212 I ZPO LU. Gemäß § 211 ZPO LU diente die Hauptverhandlung in erster Linie der Darlegung der Rechtsauffassungen der Parteien sowie der Beweisabnahme durch das Gericht. Grundsätzlich waren die Parteien nach § 206 I, II ZPO LU verpflichtet, ihr Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht bis zu den Parteivorträgen in der Hauptverhandlung zu vervollständigen, wobei ein verspätetes Vorbringen i.S.d. § 206 II ZPO zu einer Sanktionierung unter Auferlegung der aus dem verspäteten Vorbringen entstandenen Kosten führte, die sich insbesondere aus dem Mehraufwand für eine zusätzliche Beweisabnahme ergeben konnten.58 Nichtsdestotrotz ermöglichte § 207 ZPO LU in abschließend geregelten Fällen auch noch ein Vorbringen nach den Parteivorträgen in der Hauptverhandlung. Nach der Beurteilung prozessualer Vorfragen folgte unter Umsetzung des Unmittelbarkeitsprinzips die Beweisabnahme, die in der Regel vor dem vollständig besetzten Gericht stattfand, § 211 ZPO LU, der Klärung des dem Fall zugrunde liegenden tatsächlichen Geschehens diente und entscheidungserhebliche, streitige Tatsachen betraf, §§ 139 I, 140 I ZPO LU. Um einen reibungslosen Ablauf der Beweisabnahme zu sichern, traf der Richter, zumeist der Instruktionsrichter, 59 entsprechende Maßnahmen und erließ auf Basis der Beweisanträge der Parteien in den prozesseinleitenden Schriftsätzen einen Beweisentscheid, § 145 I ZPO LU. Entgegen der Bestimmung der Beweislast im Beweisauflagebeschluss des Zürcher Zivilprozesses, welchen die Luzerner Zivilprozessordnung so nicht kannte, machte der Richter eine Partei nur dann auf die Beweisführungslast aufmerksam, wenn besondere Umstände dies rechtfertigten, § 141 I 2 ZPO LU. Dies war zumeist bei rechtsunkundigen Parteien erforderlich, um eine strukturelle Ungleichheit zwischen den Parteien zu beheben. 60 Im Rahmen der Beweisabnahme fanden sodann Parteibefragungen, Zeugeneinvernahmen und Augenscheine unter Anwesenheit der Parteien statt, bei denen ihnen das Recht zustand, weitergehende Ergänzungsfragen zu stellen, ohne dass es insoweit einer vorherigen Bewilligung der Befragung durch das Gericht bedurfte. 61 58

Vgl. Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 206 Rn. 6. Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 145 Rn. 1. 60 Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 141 Rn. 1. 61 Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 146 Rn. 2.

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Zu berücksichtigen ist, dass die Luzerner Zivilprozessordnung den Parteien keinen Anspruch auf eine Beweisabnahme vor dem Kollegialgericht gewährte mit der Folge, dass eine solche nicht zwingend im Rahmen der Hauptverhandlung stattfinden musste, sondern vielmehr auch bereits in der Instruktionsverhandlung vorgenommen werden konnte, § 208 lit. e ZPO LU. Allerdings konnte auf Antrag der Parteien die Beweisabnahme einzelner Beweismittel vor dem Kollegialgericht wiederholt werden, sofern zu deren sachgerechter Würdigung der persönliche Eindruck der Richter von besonderer Bedeutung war, wie beispielsweise bei Zeugenaussagen. 62 Gemäß § 143 ZPO LU würdigte der Richter die Beweise nach freiem Ermessen, konnte jedoch wie im Zürcher Zivilprozess das gesamte prozessuale Verhalten der Parteien in die Beweiswürdigung miteinbeziehen. Bei Spruchreife der Sache schloss der Richter das Beweisverfahren, § 147 I ZPO LU, und gab den Parteien Gelegenheit, mündlich oder schriftlich zum Beweisergebnis Stellung zu nehmen, § 148 I ZPO LU, was zumeist Gegenstand der Parteivorträge i.S.d. § 214 III ZPO LU war. Die Luzerner Zivilprozessordnung wies dem Richter die formelle als auch die materielle Prozessleitung zu, so dass der Richter für die rechtmäßige und „beförderlich[e]“ Erledigung des Verfahrens verantwortlich war, § 58 I ZPO LU, welche er insbesondere durch das Setzen angemessener Fristen, durch den Erlass von Vorladungen und anderer Maßnahmen ausübte, die für die Strukturierung des äußeren Verfahrensablaufs und für eine zügige Erledigung des Verfahrens erforderlich waren. Die materielle Prozessleitung berechtigte und verpflichtete den Richter trotz Geltung des in § 60 I ZPO LU verankerten Verhandlungsgrundsatzes, insbesondere im Rahmen der Hauptverhandlung zur Klärung des Prozessstoffes beizutragen, indem er die Parteien auf unklares Vorbringen aufmerksam machte und ihnen Gelegenheit zur Klärung solcher Vorbringen gab, § 59 ZPO LU. Diese Hinweispflicht bezog sich wie auch im Zürcher Zivilprozess sowohl auf Unklarheiten bei der Darstellung des Sachverhalts als auch bei der Bezeichnung von Beweismitteln. 63 Ihre Grenzen fand die materielle Prozessleitung dort, wo durch die Erteilung von Hinweisen an eine Partei der Eindruck der Parteilichkeit des Richters entstand.64 Eine weitergehende Befugnis zur materiellen Prozessleitung wurde dem Instruktionsrichter im Rahmen der Instruktionsverhandlung zugewiesen, in der er den Parteien in einer formlosen Erörterung die Prozesschancen und -risiken auch unter Würdigung der genannten Beweismittel und unter Hinweis auf die 62

Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 208 Rn. 4. Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 59 Rn. 1. 64 Fellmann, in: Richter und Verfahrensrecht. Festgabe 150 Jahre Obergericht Luzern, S. 95, 109. Dieser Artikel bezieht sich zwar auf § 121bis ZPO LU a.F., der § 59 ZPO LU vorherging, kann aber gleichermaßen für die Grenzen der in § 59 ZPO LU statuierten materiellen Prozessleitung herangezogen werden. 63

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Beweisführungslast erläuterte. 65 Ob die Bezeichnung der hinweisenden Tätigkeit des Instruktionsrichters als materielle Prozessleitung so gelungen ist, erscheint zweifelhaft, wählte der Instruktionsrichter die zu erörternden Punkte doch selbst nach eigenem Belieben aus und erteilte hierzu Hinweise, insbesondere mit Blick auf die Beweisführungslast, in weitaus größerem Umfang als das Gericht in der Hauptverhandlung.66 Der Begriff der materiellen Prozessleitung des Gerichts erscheint insofern engeren Grenzen zu unterliegen. Ferner durften sämtliche Erörterungen des Instruktionsrichters im Rahmen der Instruktionsverhandlungen nicht protokolliert werden, § 67 III ZPO LU, was auch für eine Andersartigkeit der hinweisenden Tätigkeit des Instruktionsrichters spricht und ihr in gewisser Weise einen informellen Charakter zuwies. Sofern die Streitsache nach Abschluss der Hauptverhandlung spruchreif war, erging eine Endentscheidung in Form eines Urteils, § 104 II ZPO LU, entweder mündlich oder schriftlich unter Darstellung der Entscheidungsgründe, § 109 I lit. e ZPO LU, sofern die Parteien hierauf nicht verzichtet hatten, § 110 I ZPO LU. bb) Die Einordnung (1) Die Verfahrenseinleitung Da die Luzerner Zivilprozessordnung von beiden Parteien verlangte, in den verfahrenseinleitenden Schriftsätzen umfassend die erheblichen Tatsachen vorzutragen sowie hierfür, sofern dies möglich war, bereits Beweismittel zu benennen, liegen offensichtlich die Voraussetzungen von fact pleading vor. Dass § 202 I 1 ZPO LU den Beklagten anwies, zu jedem Begehren und zu jeder Tatsachenbehauptung des Klägers einzeln Stellung zu nehmen, intendierte, dass das Verfahren nach Abschluss der Einleitungsphase grundsätzlich ohne weitere Verzögerungen sofort in eine Phase eintreten konnte, in welcher bereits die Streitschlichtung beziehungsweise die Streitentscheidung im Vordergrund stand. Auch wenn die Vorschriften des § 206 II, III ZPO LU sowie § 207 ZPO LU die Möglichkeit vorsahen, dass auch noch in einem späteren Verfahrensstadium entscheidungserhebliche Tatsachen vorgetragen werden können, und die Eventualmaxime daher nicht streng umgesetzt wurde, so machte das Gesetz den Ausnahmecharakter dieser Vorschriften durch die Kostensanktion in § 206 III ZPO LU doch deutlich.67 Der sich grundsätzlich aus der Einleitungsphase abzuleitende Effizienz- und Beschleunigungsgedanke wurde hier, ebenso wie

65

Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 59 Rn. 3, § 208 Rn. 3. Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess § 208 Rn. 3. 67 § 206 III ZPO LU wurde auf die außerordentliche Noveneingabe gemäß § 207 ZPO LU analog angewandt. Siehe hierzu Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 207 Rn. 6. 66

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in zahlreichen anderen Prozessgesetzen, zugunsten der Schaffung einer umfassenden Entscheidungsgrundlage in tatsächlicher Hinsicht etwas zurückgedrängt. Die Einleitungsphase des Verfahrens mit seinem fact pleading entsprach damit sowohl jener des italienisch-kanonischen Modells als auch der Verfahrenseinleitung nach dem Hauptverhandlungsmodell. (2) Die Instruktionsverhandlung und die Stellung des Instruktionsrichters Das Abhalten einer der Einleitungsphase folgenden Instruktionsverhandlung stand zwar im Ermessen des Instruktionsrichters, bot sich aber insbesondere bei Streitsachen an, die entweder aufgrund ihres überschaubaren Sachverhalts eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine einvernehmliche Streitbeilegung durch Vergleich boten oder aufgrund eines komplexen Sachverhalts einer vorherigen Erörterung der Tatsachengrundlage bedurften. Diese Zwischenphase diente auch der Beschaffung von Beweismitteln, da Beweisanträge zwar grundsätzlich bereits in den verfahrenseinleitenden Schriften zu stellen waren, ergänzende Beweisanträge jedoch bis zu den Parteivorträgen in der Hauptverhandlung sowie unter den Voraussetzungen des § 207 ZPO LU auch später noch gestellt werden konnten, §§ 144 I, III ZPO LU. Sofern bereits alle Beweismittel benannt waren, konnte eine Beweisabnahme bereits vor dem Instruktionsrichter stattfinden, zumal die Parteien keinen Anspruch auf eine Beweisabnahme vor dem Kollegialgericht hatten. Allen Maßnahmen, die grundsätzlich in dem Zeitraum zwischen der Verfahrenseinleitung und der Hauptverhandlung stattfanden, war gemein, dass sie mit dem Ziel vorgenommen wurden, die nachfolgende Hauptverhandlung zu entzerren und in einer Weise vorzubereiten, die eine Streiterledigung in einem Termin ermöglichen sollte. Das Gericht durfte zwar selbst keine Maßnahmen ergreifen, die direkt zur Klärung der Tatsachengrundlage des Falls beitrugen, das Gericht konnte allerdings die Parteien oder Dritte zur Urkundenvorlage verpflichten (§§ 152, 153 ZPO LU) sowie einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragen (§ 179 I ZPO LU) und damit seine formellen Leitungsbefugnisse wahrnehmen. Durch die Möglichkeit der Durchführung einer Instruktionsverhandlung, den Erlass von beweisrechtlichen Anordnungen und der eigenen Vorbereitung der Hauptverhandlung durch die Parteien zeichnete sich die Zwischenphase durch die Aktivität des Gerichts und der Parteien aus, wie es für das Hauptverhandlungsmodell charakteristisch ist. Selbst wenn es der Sachverhalt zuließ, keine Instruktionsverhandlung durchzuführen, so erfolgte doch auf Seiten des Gerichts und der Parteien insoweit eine Vorbereitung, als sie auf die Durchführung der Hauptverhandlung in einem Termin ausgerichtet war, so dass auch in diesem Fall die Zwischenphase dem Hauptverhandlungsmodell zuzuordnen wäre. Dieser Zuordnung könnte aber entgegengehalten werden, dass im Falle der Entscheidung durch ein Kollegialgericht und der vom Gesetz angeordneten Durchführung der Instruktionsverhandlung durch einen Instruktionsrichter

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diese Zwischenphase eher dem italienisch-kanonischen Verfahrensmodell mit seiner ausgeprägten instruktionsrichterlichen Kultur entsprochen habe. Für diese Zuordnung spräche auch, dass dem Instruktionsrichter recht weitgehende formelle und materielle Leitungsbefugnisse zugewiesen waren.68 In formeller Hinsicht setzte der Instruktionsrichter Fristen für die einzelnen Verfahrenshandlungen, da beispielsweise für den Rechtsschriftenwechsel keine zeitlichen Vorgaben normiert waren. Hierbei musste er sich, wie auch bei der Terminierung von Verhandlungen, von dem gesetzlich normierten Ziel der „beförderlichen Prozesserledigung“ leiten lassen. 69 Die Eintreibung des Gerichtskostenvorschusses sowie der Erlass von Vorladungen fielen ebenso in seinen Verantwortungsbereich. Im Rahmen der materiellen Leitungsbefugnisse des Instruktionsrichters ist zu konstatieren, dass insbesondere die materielle Hinweispflicht weitaus umfassender ausgestaltet war als jene des Gerichts. Sie ermöglichte dem Instruktionsrichter, den Parteien die Prozesschancen und -risiken, die sich aus der Beweislage für sie jeweils ergaben, aufzuzeigen.70 Während das Gericht gemäß § 141 I 2 ZPO LU die Parteien nur bei Vorliegen besonderer Umstände auf die Beweisführungslast aufmerksam machen durfte, war das Recht des Instruktionsrichters, derartige Hinweise zu erteilen, nicht durch dieses Erfordernis eingeschränkt.71 Ferner sollte der Instruktionsrichter auf Lücken in den Behauptungen oder der Beweisführung sowie auf das Fehlen von Prozessvoraussetzungen hinweisen. Der Umfang der Hinweise richtete sich danach, ob die Partei anwaltlich vertreten war oder nicht.72 Auch die Tatsache, dass es sich bei dem Instruktionsrichter gemäß § 16 I ZPO LU um ein Mitglied des Kollegialgerichts handelte, der Instruktionsrichter also nicht gänzlich personenverschieden vom Kollegialgericht war, würde aufgrund der Weiterentwicklung des italienisch-kanonischen Modells einer Zuordnung zu diesem nicht entgegenstehen. Ferner ordnete § 208 lit. e ZPO LU ausdrücklich an, dass die Instruktionsverhandlung auch der Abnahme von Beweisen diente. Dadurch, dass die Parteien auch keinen Anspruch auf eine Beweisabnahme vor dem Kollegialgericht

68 Zwar zur Rechtslage vor der Totalrevision der Luzerner Zivilprozessordnung, aber aufgrund der Berücksichtigung des Vorentwurfs zur Zivilprozessordnung vom 01.01.1995 dennoch recht instruktiv zur Rolle des Instruktionsrichters, Rüegg, in: Richter und Verfahrensrecht. Festgabe 150 Jahre Obergericht Luzern, S. 283, 293 ff. 69 Vgl. insoweit § 58 I ZPO LU. 70 Rüegg, in: Richter und Verfahrensrecht. Festgabe 150 Jahre Obergericht Luzern, S. 283, 296 ff. 71 Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 208 Rn. 3. Siehe hierzu bereits Fn. 62 sowie den zugehörigen Text. 72 Rüegg, in: Richter und Verfahrensrecht. Festgabe 150 Jahre Obergericht Luzern, S. 283, 297.

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hatten,73 ging das Gesetz daher wohl davon aus, dass eine der Hauptverhandlung vorhergehende Beweisabnahme der Normalfall sein sollte. Auf den ersten Blick bleibt das Verhältnis zu § 211 ZPO LU, welcher den Zweck der Hauptverhandlung mit „rechtlicher Erörterung der Streitigkeit durch die Parteien und allfälligen Beweisabnahmen vor vollständig besetztem Gericht“ beschrieb, unklar. Da die Beweisabnahme in der Hauptverhandlung im Ermessen des Gerichts stand, deutet die Verwendung von „allfällig[en]“ wohl auf eine positive Ermessensentscheidung des Gerichts für eine Beweisabnahme in der Hauptverhandlung hin; ebenfalls hierunter waren wohl auch die Fälle zufassen, in denen Beweismittel erst in der Hauptverhandlung verfügbar waren oder jene, in denen der Parteiantrag auf Wiederholung der Beweisabnahme in der Hauptverhandlung durch das Gericht positiv beschieden wurde. Die durch die vorstehenden Ausführungen recht dominierend erscheinende Stellung des Instruktionsrichters im Luzerner Zivilprozess wird jedoch erheblich dadurch geschmälert, dass die Beweisabnahme keine „Endgültigkeit“ besaß, wie dies im Modell des italienisch-kanonischen Verfahrens der Fall war. Vielmehr unterlag die Beweisabnahme durch den Instruktionsrichter der vollständigen Überprüfung durch das Kollegialgericht.74 Außerdem war dieses nicht an die Beweisverfügungen des Instruktionsrichters gebunden und konnte daher auch die ergänzende Erhebung von anderen Beweisen anordnen, sofern es dies für die Streitentscheidung für nötig befand.75 Auch eine Wiederholung einzelner Teile der vorhergehenden Beweisabnahme war möglich, was sich insbesondere dann anbot, wenn der persönliche Eindruck von dem Beweismittel, namentlich bei Zeugenaussagen oder Augenschein, von erheblicher Bedeutung für die Bewertung des Beweismittels war. Außerdem konnte das Kollegialgericht abgelehnten Beweisanträgen oder Beweiseinreden i.S.d. § 145 II ZPO LU stattgeben. 76 Dem Instruktionsrichter standen daher zwar erhebliche Befugnisse in dieser Zwischenphase zu, das „letzte Wort“ blieb in weiten Teilen indes beim Kollegialgericht. Der mit Sicherheit überspitzte Fall, dass das Kollegialgericht auf Grundlage eines lückenhaften und für die Streitentscheidung nur mäßig brauchbaren Beweisverfahrens eine Entscheidung treffen musste, ohne dass es insoweit selbst nachbessern konnte, sondern vielmehr die Beweisabnahme an den Instruktionsrichter mit den damit einhergehenden Zeitverzögerungen zurückverweisen musste, konnte damit nicht eintreten. Das Kollegialgericht war nicht verpflichtet, den Fall zu einer erneuten Beweisab-

73 Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 208 Rn. 3. Siehe hierzu bereits Fn. 62 sowie den zugehörigen Text. 74 Rüegg, in: Richter und Verfahrensrecht. Festgabe 150 Jahre Obergericht Luzern, S. 283, 301. 75 Siehe Max. XII Nr. 151, 173, 175.; vgl. auch § 148 II ZPO LU. 76 Siehe zum Ganzen Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 208 Rn. 4.

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nahme an den Instruktionsrichter zurückzuverweisen, wie es dem Grundgedanken des Modells entsprechen würde. 77 Vielmehr stand ihm eine Art Selbstvornahmerecht zu. Die vordergründig weitreichenden Befugnisse des Instruktionsrichters waren daher aufgrund der Kontroll- und Selbstvornahmebefugnisse des Kollegialgerichts nicht ganz so weitreichend, wie dies auf den ersten Blick schien. Das Bild des Instruktionsrichters, welches die Luzerner Zivilprozessordnung von ihm zeichnete, entsprach damit nicht dem des italienisch-kanonischen Prozessmodells, so dass auch die Ausgestaltung der Zwischenphase jener des Hauptverhandlungsmodells zuzuordnen ist. (3) Die Ausgestaltung der Hauptverhandlung Der Zwischenphase folgte sodann im Regelfall die Hauptverhandlung vor dem vollständig besetzten Gericht, § 211 ZPO LU. Durch die recht umfangreiche Zwischenphase und die weitreichenden Befugnisse des Instruktionsrichters ist diese umfassend vorbereitet, so dass das Verfahren nach dem Gesetz grundsätzlich in einem Termin abgeschlossen werden sollte. Dies ergibt sich zum einen mittelbar aus § 208 lit. a ZPO LU, welcher den Zweck der Instruktionsverhandlung an vorderster Stelle mit der Vorbereitung der Hauptverhandlung beschreibt. Aus der Nennung an erster Stelle lässt sich der Stellenwert dieses Zwecks recht hoch einschätzen und als Programmsatz verstehen, dessen Verwirklichung die nachfolgend in § 208 lit. b−f ZPO LU genannten übrigen Zwecke dienen. Zum anderen deutet die wörtliche Auslegung des § 214 IV ZPO LU, der eine weitere Hauptverhandlung nur „nötigenfalls“ vorsieht, ebenfalls daraufhin, dass das Gesetz eine Erledigung des Verfahrens in einem Haupttermin vorsah, da der Formulierung ein gewisser Ausnahmecharakter eines weiteren Termins und damit zumindest eine Abweichung vom Normalfall entnommen werden kann.78 In der Hauptverhandlung wurden sodann die rechtlichen Grundlagen des Falles mit den Parteien und dem voll besetzten Gericht erörtert, wodurch die restlichen nicht an der Vorbereitungsphase beteiligten Richter zusätzlich zu der

77

Siehe hierzu Kapitel 1 I 2. Damit wurde das Ziel der Erledigung in einem Termin wieder nicht ausdrücklich im Gesetz normiert, obwohl dies bereits in den Entwürfen für die Zivilprozessordnung vom 28.01.1913, welche dies nicht aufgenommen hatte, vorgesehen war. Unternährer, Die formelle Prozessleitung des Amtsgerichtspräsidenten im ordentlichen luzernischen Zivilprozessverfahren, S. 70, weist darauf hin, dass zwar die Zivilprozessordnung von 1913 die Erledigung in einem Termin nicht umgesetzt habe, dass ihr aber gleichwohl der „Gedanke der möglichsten Kürze“ zugrunde lag und damit eine Erledigung in einem Haupttermin zumindest gewünscht war. Derselbe Gedanke kann insbesondere mit Blick auf den Entstehungszeitpunkt der Luzerner Zivilprozessordnung von 1995 und der bereits zu diesem Zeitpunkt bestehenden Fokussierung auf Verfahrensbeschleunigung im Prozessrecht bei Prozessreformen in anderen Rechtsordnungen auch für diese fruchtbar gemacht werden. 78

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ihnen vorliegenden Akte aus den mündlichen Vorträgen der Parteien ihre Überzeugung bilden konnten. Ferner konnten sie, wie oben dargestellt, Entscheidungen des Instruktionsrichters überprüfen oder abändern.79 Aus der Tatsache, dass der die Urteilsgrundlage bildende Prozessstoff vom Instruktionsrichter umfassend zusammengestellt wurde, ergab sich für die Parteien die Möglichkeit, auf die Durchführung einer Hauptverhandlung zu verzichten, sofern das Gericht diese für unnötig erachtete, § 212 II ZPO LU. Ein solcher Verzicht war allerdings insofern problematisch, als dadurch zwar formal ein Kollegialgericht entschied, jedoch tatsächlich aufgrund der begrenzten Erkenntnisse, die sich aus der Akte entnehmen ließen, eine Entscheidung des Instruktionsrichters vorgelegen hat.80 Das Prinzip der Unmittelbarkeit war dann in erheblichem Maße zurück gedrängt und die Institution des Kollegialgerichts wurde bei einem solchen Vorgehen durchaus infrage gestellt. (4) Die Stellung des Richters im Verfahren Gemäß § 59 ZPO LU machte der Richter die Parteien auf unklares Vorbringen aufmerksam und gab ihnen Gelegenheit zur Klärung solchen Vorbringens. Ihm stand damit trotz und unter weiterer Fortgeltung des Verhandlungsgrundsatzes81 die materielle Prozessleitung zu, welche in Form von Hinweisen in sachlicher und rechtlicher Hinsicht ausgeübt wurde. Anders als in der Zürcher Prozessordnung, welche in § 55 ZPO ZH die richterliche Befragung bei unklaren, unvollständigen oder unbestimmten Vorbringen mit der Marginalie „Richterliche Fragepflicht“ versah, lässt sich dem Wortlaut des § 59 ZPO LU eine Verpflichtung zur Hinweisgebung nicht ohne weiteres entnehmen, auch wenn eine solche „Pflicht“ nichtsdestotrotz angenommen wurde. 82 Obwohl bereits in der

79

Rüegg, in Richter und Verfahrensrecht. Festgabe 150 Jahre Obergericht Luzern, S. 283,

299. 80

Rüegg, in Richter und Verfahrensrecht. Festgabe 150 Jahre Obergericht Luzern, S. 283,

287. 81 Laut Schurter/Fritzsche, Das Zivilprozessrecht der Schweiz, Band II, 2. Hälfte, S. 563 war der Verhandlungsgrundsatz in der Luzerner Prozessordnung vor der Revision 1913 „streng“ und „bis zu den letzten Konsequenzen“ durchgeführt mit der Folge, dass das Verfahren nur auf Antrag der Parteien in ein neues Stadium übergehen konnte. Hier erfolgte keine trennscharfe Abgrenzung zwischen dem Verhandlungsgrundsatz, der d ie Herrschaft über den materiellen Gegenstand des Verfahrens bezeichnet, und dem Parteibetrieb, welcher die Herrschaft der Parteien über den Fortgang des Verfahrens umschreibt. An dieser Stelle war wohl der exzessive Parteibetrieb und die damit einhergehende fehlende Befugnis des Richters zur Verfahrensbeschleunigung durch das Setzen kurzer Fristen gemeint, die kennzeichnende Elemente des italienisch-kanonischen Prozessmodells sind. 82 Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 59 Rn. 1 f.; Heer, in: Richter und Verfahrensrecht. Festgabe 150 Jahre Obergericht Luzern, S. 153, 178.

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Literatur und Rechtsprechung zu § 121bis ZPO LU a.F. 83 unklar war, ob dieser nur ein Fragerecht oder eine Frage- und Hinweispflicht statuierte, 84 konnte sich der Luzerner Reformgesetzgeber nicht durchringen, an dieser Stelle Klarheit zu schaffen. Unklarheiten über die Frage der Existenz und Anwendung der Fragepflicht im Luzerner Zivilprozess bildeten in der Vergangenheit oft Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen und gerichtlicher Entscheidungen. Nach der Vorschrift des § 121bis ZPO LU a.F. konnte „das Gericht […] die Parteien in jedem Stadium des Prozesses verhalten, die zur Abklärung unpräziser Sachdarstellung und zur genauen Festlegung der umstrittenen Punkte notwendigen Erklärungen abzugeben“. Die Vorschrift konnte die richterliche Aktivität jedoch nicht steigern und blieb aufgrund einer recht harschen Entscheidung des Obergerichts kurz nach Einführung des § 121bis ZPO LU a.F. in einem Rechtsmittelverfahren gegen ein amtsgerichtliches Urteil weitgehend ungenutzt.85 Dieses Urteil basierte im Wesentlichen darauf, dass das Gericht einer unbeholfenen Partei unter Anwendung von § 121bis ZPO LU Hilfestellung gegeben hatte. Erst über 30 Jahre später konnte das Obergericht in einem neuen Entscheid die Fragepflicht aus ihrer Lethargie reißen, indem es sich ausdrücklich für ein Zurücktreten der Verhandlungsmaxime zugunsten der Feststellung der materiellen Wahrheit aussprach. 86 Im Zuge dessen hielt es fest, dass die Möglichkeit einer aktiven Einwirkung großzügig zu bemessen sei, sofern der bereits vorgetragene Prozessstoff hierfür Anlass biete. 87 Danach umfasste § 59 ZPO LU sowohl tatsächliche als auch rechtliche Hinweise, sofern das Vorbringen unklar, widersprüchlich oder unvollständig war. 88 Wie unter der Zürcher Zivilprozessordnung war auch bei der Luzerner Hinweispflicht unklar, ob der Richter auf das Eintreten der Verjährung hinweisen durfte. Ein vager Hinweis, den die betroffene Partei noch selbst zu deuten hatte, wurde für zulässig erachtet; andere hingegen sahen einen deutlicheren Hinweis dann angebracht, wenn aus dem Vorbringen der Parteien deutlich wurde, dass diese sich umfassend gegen den geltend gemachten Anspruch verteidigen wollte. 89

83 § 121bis ZPO LU a.F. meint § 121bis ZPO LU der Zivilprozessordnung des Kantons Luzern vom 28.01.1913, der im Rahmen einer Gesetzesänderung 1948 in das Gesetz eingefügt wurde. 84 Heer, in: Richter und Verfahrensrecht. Festgabe 150 Jahre Obergericht Luzern, S. 153, 178. 85 Max. X Nr. 31, 23 ff. Kritisch zu diesem Urteil Fellmann, in: Richter und Verfahrensrecht. Festgabe 150 Jahre Obergericht Luzern, S. 95, 106 ff. 86 LGVE 1986 I Nr. 26, 41, 42 f. 87 LGVE 1986 I Nr. 26, 41, 45. 88 Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 59 Rn. 1. 89 Heer, in: Richter und Verfahrensrecht. Festgabe 150 Jahre Obergericht Luzern, S. 153, 182.

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Besonders zu berücksichtigen ist dabei, dass die Befugnisse des Instruktionsrichters im Rahmen der Instruktionsverhandlung deutlich weitergehender waren und damit die Hinweise auch entsprechend deutlich ausfallen durften. Unabhängig davon ist jedoch zu konstatieren, dass dem Luzerner Zivilprozessrecht das Bild eines starken Richters mit weitreichenden Befugnissen zugrunde lag, dem durch das Verfahrensrecht Instrumente an die Hand gegeben waren, um umfassend auf das Verfahrensgeschehen Einfluss zu nehmen. Dieses Richterbild entsprach damit dem des Hauptverhandlungsmodells, welches durch einen aktiven Richter geprägt ist, der sich von der bloßen Rolle des Schiedsrichters freigemacht hat und im Wege des Dialogs mit den Parteien die Streitentscheidung sucht. (5) Zwischenfazit Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Verfahren nach der Luzerner Zivilprozessordnung wesentlich durch fact pleading sowie eine Vorbereitungsphase gekennzeichnet war, welche das Verfahren in einem Dialog zwischen den Parteien und dem Gericht zu einer umfassend vorbereiteten Hauptverhandlung führte. Dass der Instruktionsverhandlung wesentliche Bedeutung für die Hauptverhandlung zukam, obwohl diese im Ermessen des Instruktionsrichters stand, machte bereits die Nennung von „Vorbereitung der Hauptverhandlung“ als Zweck der Instruktionsverhandlung an erster Stelle des § 208 ZPO LU deutlich. Hierin zeigte sich auch die für das Hauptverhandlungsmodell typische Aktivität des Gerichts und der Parteien bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung.90 Die Konzentration des Verfahrens in einer Hauptverhandlung, auf die sämtliche Maßnahmen im Vorfeld abzielten, sowie die starke Stellung des Richters bei der Streitentscheidung runden die Zuordnung des Luzerner Verfahrens zum Hauptverhandlungsmodell ab. c) Der Kanton Bern aa) Das ordentliche Verfahren gemäß Art. 144 ff. ZPO BE91 (1) Einleitende Phase Wie bei den Verfahren von Zürich und Luzern ging auch im Verfahrensrecht des Kantons Bern der Verfahrenseinleitung bei Gericht zwingend ein Aussöhnungsversuch vor dem örtlich zuständigen Gerichtspräsidenten voraus, 90 Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 208 Rn. 1 sprechen davon, dass die Instruktionsverhandlung der „wichtigste[r] Schritt in der Begleitung der Parteien auf die Hauptverhandlung hin“ war, woraus deutlich wird, dass das Gesetz sowohl die Aktivität auf Seiten der Parteien als auch auf Seiten des Gerichts verlangte. 91 Den nachfolgenden Ausführungen wurde das Gesetz über die Zivilprozessordnung des Kantons Bern vom 7. Juli 1918, Fassung vom 18.3.2002, zugrunde gelegt.

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Art. 144 I ZPO BE. Anders als in den zuvor dargestellten Prozessordnungen fand jedoch ein Aussöhnungsversuch zwischen den Parteien nach Art. 145 I lit. c ZPO BE dann nicht statt, wenn die Parteien auf diesen verzichtet hatten. Das Gesetz wies den Parteien damit recht überraschend eine weitgehende Dispositionsbefugnis im Hinblick auf eine traditionelle Institution der schweizerischen Rechtskultur zu, war und ist doch die Schweiz für ihre weitreichende Schlichtungskultur bekannt. Lag kein Verzicht durch die Parteien vor und scheiterte der Versuch des Schlichters, die Parteien zu vergleichen, so wurde dem Kläger die Klagebewilligung erteilt, Art. 153 I ZPO BE, die ihn während der ordentlichen Klagefrist von sechs Monaten zur Klageerhebung berechtigte, Art. 153 II, III ZPO BE. Im Unterschied zum Zürcher und Luzerner Prozessrecht wurde das Verfahren nach der Berner Zivilprozessordnung erst mit Einreichen der Klageschrift bei Gericht rechtshängig, Art. 160 ZPO BE. Um diese Wirkung herbeiführen zu können, musste die Klageschrift den Anforderungen der Art. 156 I, 157, 158 ZPO BE genügen, wonach der Kläger seine Anträge stellen, im Wege knapper und übersichtlicher Darstellung die entscheidungserheblichen Tatsachen nennen sowie Beweismittel hierfür anbieten musste. Eine Klage war grundsätzlich auch im Falle einer unvollkommenen, ja sogar einer völlig unbrauchbaren Begründung anzunehmen, da dem Kläger gemäß Art. 92, 93 ZPO BE ohnehin ein Ergänzungsrecht zustand sowie gemäß Art. 176 ZPO BE eine Vorbereitungsverhandlung direkt auf die Klage folgend abgehalten werden konnte.92 Eine Schlüssigkeitsprüfung und die sich aus ihr ergebenden Folgen, wie man sie beispielsweise aus dem deutschen Recht kennt, waren im bernischen Zivilprozessrecht nicht gleichermaßen vorgesehen. Fehlte eine Klagebegründung jedoch vollständig, so wurde die Klage in der Regel zurückgewiesen. 93 Sofern der Instruktionsrichter, welcher die Leitung des verfahrenseinleitenden Stadiums innehatte, nicht mangels Notwendigkeit einer schriftlichen Antwort des Beklagten direkt das Vorbereitungsverfahren einleitete oder einen Termin zur Hauptverhandlung ansetzte, Art. 164, 176 ZPO BE, 94 so musste der 92

Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 157 Rn. 6c. 93 Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 157 Rn. 6c. 94 Diese Vorschrift mit ihrer beschleunigenden Wirkung konnte sich in der Praxis nicht durchsetzen, betraf sie doch Streitsachen, die durch die Klage und die vom Kläger eingereichten Urkunden bereits ausreichend klar erschienen und keine wesentlichen Gegenvorbringen des Beklagten erwarten ließen, Kummer, Grundriss des Zivilprozessrechts, S. 115, 177. Eine solche ausreichende Klarheit allein anhand der Klage und der eingereichten Urkunden war aufgrund der Komplexität der Lebenswirklichkeit nur in den wenigsten Fällen tatsächlich gegeben. Bei einem solchen Vorgehen erhielt der Beklagte gemäß Art. 164 2 ZPO BE in der Verhandlung die Gelegenheit, mündlich auf die Klageschrift zu antworten. Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 164

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Beklagte auf die Klageschrift antworten und dabei entsprechend dem Kläger seine Anträge unter Nennung der entscheidungserheblichen Tatsachen und seiner Beweisangebote sowie aller formellen und materiellen Einwendungen stellen, Art. 166 ZPO BE. Sowohl Kläger als auch Beklagter waren angehalten, relevante Urkunden und Augenscheinsobjekte 95 gleichzeitig mit ihren Schriftsätzen bei Gericht einzureichen, Art. 158, 167 ZPO BE. Wie nach dem Luzerner Zivilverfahrensrecht ermöglichte auch die Einleitungsphase nach bernischem Zivilprozessrecht eine umfassende Information des Gerichts über den Sachverhalt sowie über die aus Sicht der Parteien infrage kommenden Beweismittel, wodurch ein effizienter Fortgang des Verfahrens ermöglicht wurde. Darüber hinaus konnten die Parteien bereits zu diesem frühen Zeitpunkt absehen, ob aufgrund der Beweislage Vergleichsverhandlungen erwägenswert erschienen. Auch hier war damit ein weitreichender Einfluss der verfahrenseinleitenden Phase auf das weitere Verfahren zu konstatieren. (2) Zwischenphase An den Austausch von Schriftsätzen konnte sich sodann ein Vorbereitungsverfahren anschließen, was allerdings nicht den Regelfall darstellen sollte. 96 Vielmehr sollte der Richter mit einer möglichst geringen Anzahl an Terminen auskommen und das prozessuale Geschehen und damit die sachliche und rechtliche Erörterung samt Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung bündeln. Gemäß Art. 176 I 1 ZPO BE konnte die Vorbereitungsverhandlung entfallen, sofern der Instruktionsrichter davon ausging, dass die sich aus den Schriftsätzen ergebende Grundlage für eine Streitentscheidung in einer Hauptverhandlung bereits ausreichend erarbeitet war. Davon konnte regelmäßig ausgegangen werden, wenn der Prozessstoff auch noch in der Hauptverhandlung geklärt werden konnte, ohne dass eine Vorbereitungsverhandlung zu einer wesentlichen Entlastung der Hauptverhandlung geführt hätte. 97 Bei Streitigkeiten mit

Rn. 1, 2 nennen als weiteren Anwendungsbereich von Art. 164 ZPO BE den Fall, dass nur Rechtsfragen zu entscheiden sind oder der Beklagte aller Voraussicht nach, keinen Anwalt beiziehen wird und eine den Anforderungen des Art. 166 ZPO BE genügende Klageantwort nicht erwartet werden kann. Letzteres erscheint jedoch als ein in der Praxis schwer handhabbares Vorgehen. 95 Zu der Erstreckung von Art. 158 ZPO BE auch auf Augenscheinsobjekte siehe Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 158 Rn. 1. 96 Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 176 Rn. 1b. 97 Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 176 Rn. 1b.

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sehr komplexen Sachverhalten sowie bei zahlreichen Ansprüchen und Gegenansprüchen bot sich indes eine Vorbereitungsverhandlung an,98 um auf diese Weise die Hauptverhandlung zu strukturieren und durch eine vorgängige Beweisaufnahme zu entlasten. Anders als im Verfahren nach der Luzerner Zivilprozessordnung erfolgte eine etwaige Vorbereitungsverhandlung nach dem verfahrenseinleitenden Schriftenwechsel, während die Instruktionsverhandlung des Luzerner Zivilprozessrechts zwar sinnvollerweise nach dem einleitenden Schriftenwechsel stattfand, aber auch zu jedem anderen Zeitpunkt des Verfahrens vom Instruktionsrichter anberaumt werden konnte. 99 Eine derartige „Zwischenverhandlung“ in anderen Verfahrensstadien sah die Berner Zivilprozessordnung nicht vor, sondern beschränkte sich auf eine die Hauptverhandlung vorbereitende Verhandlung unter der Leitung des Instruktionsrichters. Dieser erörterte in freier mündlicher Verhandlung den Streitfall mit den Parteien, Art. 176 I 2 ZPO BE, klärte den zugrunde liegenden Sachverhalt unter Ausübung der Richterpflicht aus Art. 89 ZPO BE und veranlasste ferner durch geeignete Maßnahmen die Parteien zu entsprechenden Ergänzungen, Art. 176 I 2 ZPO BE. Neben der gemeinsamen Erörterung des Sachverhalts und der Klärung einzelner Unklarheiten mit den Parteien konnten in der Instruktionsverhandlung auch Beweise abgenommen werden, wobei Parteiverhöre und Zeugeneinvernahmen der Hauptverhandlung vorbehalten waren.100 Dies folgte aus einem Umkehrschluss aus der Aufzählung sämtlicher anderer Beweismittel in Art. 179 ZPO BE. Durch die Ausübung dieser recht umfangreichen formellen und materiellen Leitungsbefugnisse des Instruktionsrichters sollte am Ende des Vorbereitungsverfahrens der Prozessstoff soweit aufbereitet sein, dass er trotz seiner Komplexität in einer Hauptverhandlung erledigt werden konnte.101 Neben einem möglichen Vorbereitungsverfahren diente der Zeitraum zwischen der Verfahrenseinleitung durch Klageschrift und Klageantwort und der Hauptverhandlung vor dem vollständig besetzten Gericht auch der sonstigen Vorbereitung der Hauptverhandlung, indem das Gericht alle Maßnahmen treffen musste, um einen Urteilsspruch am Tage der Verhandlung zu ermöglichen, Art. 181 2 ZPO BE. Im Zuge dessen waren Zeugen zu laden, gegebenenfalls Dritte aufzufordern, Urkunden vorzulegen (Art 236, 238 ZPO BE) und, sofern

98 Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 176 Rn. 1b. 99 Siehe hierzu § 209 I ZPO LU „jederzeit“. 100 Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 179 Rn. 1. 101 Vgl. Art. 176 I 1, II, Art. 181 2 sowie Art. 92 II ZPO BE, aus denen sich der Beschleunigungsgrundsatz ableiten lässt, der für das gesamte Verfahren unabhängig von seinem Stadium Geltung beanspruchte. Siehe hierzu Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 180 Rn. 1.

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der Sachverhalt in dieser Hinsicht bereits weitgehend geklärt war, Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben (Art. 265 ZPO BE). Ferner konnte das Gericht Berichte von Dritten, namentlich Ärzten, Behörden oder Amtsstellen, einholen, Art. 214 ZPO BE. Sämtliche derartige, mit Blick auf die Hauptverhandlung vorgenommenen gerichtlichen Anordnungen sowie der grobe Ablauf derselben waren den Parteien vorgängig mitzuteilen 102 und auf die umfassende Vorbereitung und effiziente Erledigung der Hauptverhandlung gerichtet. (3) Endphase Die Hauptverhandlung, die vor dem vollständig besetzten Gericht stattfand, stellte den Kern des Verfahrens dar und diente sowohl der Erörterung des Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht als auch der Beweisaufnahme. Zu Beginn stellten und begründeten die Parteien ihre Anträge, wobei sie ihre Ausführungen aus den verfahrenseinleitenden Schriftsätzen bezüglich der dem Sachverhalt zugrunde liegenden Tatsachen und bezüglich der darin angebotenen Beweismittel gemäß Art. 92, 93 ZPO BE noch ergänzen oder berichtigen konnten. Das schrankenlose Vorbringen neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel war allerdings nicht gestattet, verlangte doch bereits der Wortlaut von Art. 92 I ZPO BE unter Verwendung von „ergänzen“ und „berichtigen“, dass bereits ein Vortrag erfolgt sein muss, der überhaupt einer Ergänzung beziehungsweise Berichtigung zugänglich war. Im Anschluss prüfte das Gericht die Prozessvoraussetzungen von Amts wegen (Art. 191 ZPO BE) und erließ die Beweisanordnung über die streitigen Tatsachen. Die Beweisanordnung legte die zu beweisenden Tatsachen fest sowie welche Partei diese mit welchen Beweismitteln zu beweisen hatte, Art. 197 I 1 ZPO BE. Dabei war das Gericht gemäß Art. 197 I 2, Art. 214 1 ZPO BE nicht an die von den Parteien in den verfahrenseinleitenden Schriftsätzen angebotenen Beweismittel gebunden. Die Beweise hatte der Richter unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen nach freier Überzeugung zu würdigen, Art. 219 ZPO BE. Nach Abschluss des Beweisverfahrens erhielten die Parteien Gelegenheit, sich in zweimaligem Vortrag zum Beweisergebnis zu äußern und ihre Rechtsstandpunkte dem Gericht darzulegen, Art. 200 ZPO BE. Die Hauptverhandlung nach bernischem Recht war wie auch im Luzerner Zivilverfahren das Verfahrensstadium, in welchem der Verhandlungsgrundsatz zugunsten der Feststellung der materiellen Wahrheit zurückgedrängt wurde. 103 102

Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 181 Rn. 1. 103 In den Fällen, in denen ein Vorbereitungsverfahren der Hauptverhandlung vorausging, erfolgte diese Modifikation der Verhandlungsmaxime bereits dort durch die Ausübung der Richterpflicht i.S.d. Art. 89 ZPO BE durch den Instruktionsrichter, Kellerhals/Güngerich/Berger, Zivilprozessrecht, Rn. 03.08; Hasler, Die Feststellung des Tatbestandes im Zivilprozess, S. 27.

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Gemäß Art. 89 I ZPO BE handelte der Richter von Amts wegen, sofern es keines Antrags der Parteien bedurfte. Er konnte in jedem Stadium des Prozesses von Amts wegen zur Ergänzung oder wahrheitsgemäßen Feststellung des Tatbestandes der von den Parteien behaupteten Rechte und Ansprüche die Einvernahme der Parteien anordnen und die ihm notwendig erscheinenden Beweisverfügungen treffen.104 Damit war sowohl die formelle als auch die materielle Prozessleitung angesprochen, wobei letztere auch und in einem sehr bedeutendem Umfang in Art. 214 1 ZPO BE Niederschlag gefunden hatte. Der Richter war angehalten, unter Ausübung seiner formellen Leitungsbefugnisse den äußeren Gang des Verfahrens unter anderem durch das Setzen angemessener Fristen und durch den Erlass der erforderlichen Anordnungen zu strukturieren.105 Die materielle Prozessleitung nach dem Berner Zivilprozessrecht war im Vergleich zu anderen kantonalen Regelungen recht umfassend, erfasste sie doch sowohl Hinweise zur Ergänzung unklaren Parteivorbringens als auch die Befugnis, von den Parteien nicht angebotene Beweismittel heranzuziehen.106 Ersteres erfasste sowohl unvollständige Sachverhaltsdarstellungen als auch fehlerhafte oder unvollständige Rechtsbegehren, wobei sich die Intensität der Hilfestellung in beiden Fällen entsprechend der Zürcher und Luzerner Zivilprozessordnung nach der Rechtskundigkeit beziehungsweise der anwaltlichen Vertretung der Partei richtete und im Schein der Parteilichkeit seine Grenze fand. 107 Anders als im Luzerner Zivilprozessrecht standen dem Instruktionsrichter in dem Vorbereitungsverfahren nach Art. 176 ZPO BE, keine weitergehenden materiellen Leitungsbefugnisse zu als dem Kollegialgericht in der Hauptverhandlung. Vielmehr sollte er sich, wenn überhaupt, nur sehr zurückhaltend zu

104 Zum Zusammenspiel von richterlicher Fragepflicht, Verhandlungsgrundsatz und Untersuchungsgrundsatz vgl. Brönnimann, ZBJV 1990, 329, 362 ff. 105 Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 89 Rn. 1a. 106 Bei der Regelung der materiellen Prozessleitung in der Berner Zivilprozessordnung tritt der Einfluss des von Franz Klein geschaffenen, österreichischen Zivilprozessrechts von 1895 (Gesetz über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten) deutlich zutage. Dieses verabschiedete sich von der bis dato herrschenden Passivität des Richters als Erbe des gemeinrechtlichen Prozesses und wies dem österreichischen Richter eine für die damalige Zeit recht aktive und leitende Rolle zu. Siehe hierzu Troller, Von den Grundlagen des zivilprozessualen Formalismus, S. 51, 55, 57; Reichel, ZBJV 1897, 101, 109 f.; Trüssel, ZBJV 1912, 589, 597. 107 Leuch/Marbach/Kellerhals/ Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 89 Rn. 2b.

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den Prozesschancen äußern,108 während die Instruktionsverhandlung nach Luzerner Zivilprozessrecht unter anderem gerade der formlosen Aufklärung über Prozesschancen und -risiken diente. 109 Sofern die Hauptverhandlung in einem Termin erledigt werden konnte, was wohl vom Gesetz intendiert war, so erging eine Endentscheidung in Form eines Urteils, Art. 201 f. ZPO BE, nach öffentlicher Beratung durch das Kollegialgericht, welche den Parteien mündlich verkündet und begründet wurde, Art. 204 I, II 4 ZPO BE. Die Urteilsformel wurde ihnen schriftlich ausgehändigt, Art. 204 III ZPO BE. Die Urteilsbegründung wurde den Parteien indessen nur auf besonderes Begehren und auf eigene Kosten zur Verfügung gestellt. 110 bb) Einordnung (1) Die Verfahrenseinleitung Art. 157 ZPO BE sowie Art. 166 ZPO BE stellten ähnlich wie §§ 199 II, 69, 70 ZPO LU umfassende Anforderungen an die verfahrenseinleitenden Schriftsätze und verlangten die Darstellung der anspruchsbegründenden Tatsachen auf Seiten des Klägers und der erheblichen Tatsachen auf Seiten des Beklagten sowie die Angabe der hierfür geeigneten Beweismittel. Die Anforderungen von fact pleading sind daher erfüllt. Sofern beide Parteien diese Anforderungen erfüllten, konnte bereits mit den verfahrenseinleitenden Schriftsätzen ein recht deutliches Bild des zu entscheidenden Sachverhalts gezeichnet werden. Durch die Nennung möglicher Beweismittel wurde damit der Weg für einen nahezu reibungslosen und den Beschleunigungsgrundsatz respektierenden Verfahrensablauf geebnet. Der Annahme von fact pleading könnte jedoch entgegenstehen, dass selbst eine völlig unbrauchbare Klage, aus der sich für den Fortgang des Verfahrens kaum nützliche Tatsachen entnehmen ließen, ausreichte, um das Verfahren in Gang zu setzen. Eine solche Klage konnte die Funktion, dem Beklagten mitzuteilen, weswegen er mit dieser Klage überzogen wurde, nicht erfüllen, so dass in diesem Fall durchaus Zweifel bestehen, ob aufgrund der recht geringen gesetzlichen Anforderungen noch von fact pleading gesprochen werden konnte oder hier nicht eher bereits notice pleading vorlag. Dass eine solche mangelhafte Klageschrift dennoch angenommen wurde, wurde damit begründet, dass den Parteien ohnehin ein Ergänzungsrecht gemäß Art. 92, 93 ZPO BE zustand. Dies konnte allerdings nur begrenzt im Gesamtgefüge der Normen zum ordentlichen Verfahren überzeugen, ergab sich

108

Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 176 Rn. 3c. 109 Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, § 59 Rn. 3, § 208 Rn. 3. 110 Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 204 Rn. 5b.

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aus diesem doch ein recht deutliches Bekenntnis zu einem effizienten und beschleunigten Verfahren. Die Geltung der Eventualmaxime, die den Vorschriften der Art. 92, 93 ZPO BE zugrunde lag, wurde hier im Falle einer unvollkommenen Klagebegründung bis an den äußersten Rand gedehnt und stand durchaus in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den übrigen Grundentscheidungen des Gesetzes. Nichtsdestotrotz ging die Berner Zivilprozessordnung in Art. 157, 166 ZPO BE wohl von dem gerichtsalltäglichen Normalfall umfassender verfahrenseinleitender Schriftsätze aus, so dass die Fälle mangelhaft begründeter Schriftsätze sowie die vom Gesetz nicht ganz überzeugende Lösung bei der Zuordnung zum fact pleading vernachlässigt werden können. Eine Zuordnung zum U.S.-amerikanischen trial-Modell scheidet damit aus. (2) Die Instruktionsverhandlung und die Stellung des Instruktionsrichters Die Phase zwischen Verfahrenseinleitung und Hauptverhandlung war geprägt durch die Vorbereitung der Hauptverhandlung. Im Zuge dessen waren dem Gericht auch selbst Befugnisse zugewiesen, um die Hauptverhandlung möglichst umfassend vorzubereiten. Genannt seien hier nur der Erlass von Herausgabeanordnungen in Bezug auf Urkunden (Art. 235 ff. ZPO BE), die Einholung von amtlichen oder ärztlichen Berichten (Art. 241 ZPO BE) sowie die Beauftragung eines Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens (Art. 265 ZPO BE). Art. 181 2 ZPO BE wies dem Gericht in generalklauselartiger Weise die Befugnis zu, „[…] alle Massnahmen zu treffen, welche notwendig sind, um den Urteilsspruch am Tage der Verhandlung zu ermöglichen.“ Im Übrigen waren die Parteien ebenfalls gehalten, ihnen günstige Beweismittel zu beschaffen und diese für die Hauptverhandlung verfügbar zu machen. Sowohl das Gericht als auch die Parteien trugen damit in der Zwischenphase des Verfahrens aktiv zur Vorbereitung der Hauptverhandlung bei, womit eine Zuordnung zum Hauptverhandlungsmodell mit seiner von Aktivität des Gerichts und der Parteien geprägten Zwischenphase naheliegend erscheint. Diese Zuordnung könnte weiterhin dadurch bestärkt werden, dass das Gesetz in Art. 176 ZPO BE die Möglichkeit eines Vorbereitungsverfahrens vor dem Instruktionsrichter vorsah, das ausweislich Art. 176 II ZPO BE der Vorbereitung der Hauptverhandlung dienen sollte und damit der Idee des Hauptverhandlungsmodells von einer umfassend vorbereiteten Hauptverhandlung recht nahe kommen würde. Unter der Leitung des Instruktionsrichters, der gemäß Art. 8 II ZPO BE bei Kollegialgerichten gleichzeitig den Vorsitz innehatte, wurde der Streitfall in mündlicher Verhandlung erörtert, wobei der Instruktionsrichter von der in Art. 89 ZPO BE verankerten Richterpflicht Gebrauch machen sollte. Ferner konnte der Instruktionsrichter in begrenztem Umfang bereits im Vorbereitungsverfahren Beweismaßnahmen ergreifen, Art. 179 ZPO BE; die erforderliche Beweisanordnung hierfür erging nachträglich in der

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Hauptverhandlung.111 Besondere Berücksichtigung verdient die Einschränkung der Beweisaufnahme in diesem Verfahrensstadium: Statt alle Beweismittel bereits zu diesem Zeitpunkt zuzulassen und für das Erfordernis unmittelbarer Wahrnehmung zur sachgerechten Beurteilung durch das Kollegialgericht eine Wiederholungsmöglichkeit in der Hauptverhandlung vor vollbesetztem Gericht, unter Umständen nur auf Parteiantrag, vorzusehen, entschied sich die Berner Zivilprozessordnung dazu, Parteiverhöre und Zeugeneinvernahmen exklusiv der Hauptverhandlung zuzuweisen. Zudem ist weiter zu berücksichtigen, dass die Befugnis des Instruktionsrichters aus Art. 179 ZPO BE lediglich der Beweismittelbeschaffung diente; ob das Beweismittel dann tatsächlich in der Hauptverhandlung zur Anwendung kam, lag im Ermessen des entscheidenden Gerichts. 112 Hierin zeigen sich besonders deutlich drei Grundsätze, die dem Berner Zivilprozessrecht zugrunde lagen: Zum einen eine große Wertschätzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit und zum anderen das Bestreben nach Effizienz und Beschleunigung sowie die Konzentration des Verfahrens auf die Hauptverhandlung.113 Anders als die Luzerner Zivilprozessordnung, die auch das Führen von Vergleichsverhandlungen als einen der Zwecke der Instruktionsverhandlung explizit festgeschrieben hatte (§ 208 lit. d ZPO LU), findet sich in der Berner Prozessordnung keine entsprechende Vorschrift. Vielmehr war einhellig anerkannt, dass die Vorbereitungsverhandlung zwar zu einem Vergleich führen könnte, dass aber Vergleichsverhandlungen als solche indes nicht selbstständiger Zweck des Vorbereitungsverfahrens waren.114 Dem Vorbereitungsverfahren nach der Berner Zivilprozessordnung kann damit nicht dieselbe Bedeutung wie der Instruktionsverhandlung des Luzerner Zivilverfahrens zugesprochen werden. Diese erweckte den Eindruck, möglichst viele Elemente des Verfahrens schon vor der Hauptverhandlung abarbeiten zu wollen, so dass im besten Fall lediglich die rechtliche Erörterung der Streitigkeit Gegenstand der Hauptverhandlung war. Zwar liegt beiden Regelungsweisen der Gedanke zugrunde, die Hauptverhandlung entlasten zu wollen, doch wurde der Gedanke der Konzentration auf eine Hauptverhandlung im Berner Verfahrensrecht konsequenter im Wege einer umfassenden Verhandlung umgesetzt. Hierfür ist schließlich anzuführen, dass zwar das Gesetz ein Vorbereitungsverfahren in Art. 179 ZPO BE vorsah, dieses Verfahren aber nicht die Regel

111 Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 179 Rn. 1. 112 Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 179 Rn. 2. 113 Leuch, ZBJV 1923, 497, 510, der die Konzentration des Verfahrens und das Prinzip der Unmittelbarkeit als wesentliche Leitmotive für das Zwischenstadium benannte. 114 Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 176 Rn. 3c.

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im Berner Verfahrensablauf sein sollte. 115 Es sollte vielmehr nur dann stattfinden, wenn eine tatsächlich spürbare Entlastung der Hauptverhandlung mit dem Abhalten einer Vorbereitungsverhandlung einhergehen würde. Aber auch in diesem Fall war darauf zu achten, dass die Hauptverhandlung in sachlicher Hinsicht nicht in das Vorbereitungsverfahren vorgezogen werden durfte. 116 Die Bedeutung und der Umfang der Vorbereitungsverhandlung beeinflusst neben der Gestaltung und Einordnung der Zwischenphase gleichermaßen auch die Bewertung der Stellung des Instruktionsrichters im Berner Verfahrensrecht. Dadurch, dass dieser gemäß Art. 179 ZPO BE Beweismaßnahmen ergreifen konnte sowie gemäß Art. 176 I 2 ZPO BE in Ausübung der in Art. 89 ZPO BE verankerten Richterpflicht zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen sollte, scheint dem Instruktionsrichter neben der formellen Verfahrenseinleitung auf den ersten Blick auch ein recht weitgehender Einfluss auf das materielle Verfahrensgeschehen zugekommen zu sein. Dies ähnelt der einflussreichen Stellung des Instruktionsrichters im italienisch-kanonischen Modell. Allerdings war die Befugnis nach Art. 179 ZPO BE auf beweisvorbereitende Maßnahmen beschränkt; zudem lief diese Befugnis sowie die Wahrnehmung der Richterpflicht aus Art. 89 ZPO BE, die im Hinblick auf den Instruktionsrichter ohnehin gegenüber dem Gericht in der Hauptverhandlung deutlich geschmälert war, leer, wenn wie üblich ein Vorbereitungsverfahren gar nicht stattfand. Daraus lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass die Stellung des Instruktionsrichters faktisch auf die formelle Prozessleitung (Art. 8 I ZPO BE) begrenzt war und nur in Ausnahmefällen eine Ausdehnung erfuhr, die zum Großteil auch eher vorbereitender formeller Art war und nur in sehr reduziertem Umfang materielle Leitungsbefugnisse erhielt. Eine recht weitgehende Einflussmöglichkeit auf den Prozessstoff war dem Berner Instruktionsrichter in Art. 182 ZPO BE zugewiesen, der ihm erlaubte, die Verhandlung auf die Entscheidung einzelner formeller Einwände oder einzelner, gegen den Anspruch erhobener Einreden zu beschränken. Diese Beschränkung stand allein

115

Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 176 Rn. 1b. 116 Diese klare Stellungnahme zur Bedeutung des Vorbereitungsverfahrens sollte wohl verhindern, dass die Instruktionsrichter je nach Persönlichkeit und eigener Motivation das Vorbereitungsverfahren entweder zum bloßen, sogar lustlosen Erlass von Anordnungen nutzten oder im anderen Extrem die gesamte Beweisführung in der Vorbereitungsverhandlung durchführten und die Hauptverhandlung auf die Urteilsfällung reduzierten. Diese großen Unterschiede waren früher wohl sehr weit verbreitet, vgl. hierzu Leuch, ZBJV 1923, 497, 510. Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 127 Rn. 1b.

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im Ermessen des Instruktionsrichters und band auch das Gericht in der Hauptverhandlung.117 Diese Bindungswirkung der instruktionsrichterlichen Entscheidung über Einreden und der hieraus resultierende Einfluss auf den Streitgegenstand schränkten den Dispositionsgrundsatz zugunsten der Prozessbeschleunigung deutlich ein und stärkten die Stellung des Instruktionsrichters. Im Unterschied zu den bereits behandelten Befugnissen des Instruktionsrichters wurde hier der weitestgehend formelle Charakter seiner Aufgaben übertroffen, indem einer auf formalen Gründen basierenden Entscheidung, namentlich der Beschleunigung des Verfahrens, Auswirkungen auf den weiteren Fortgang des Verfahrens im Hinblick auf den Streitgegenstand zukamen. Es ist zuzugestehen, dass sich der Blick auf die Stellung des Instruktionsrichters ändert. Allerdings sind die übrigen Befugnisse deutlich weniger weitgehend, so dass der Befugnis zur bindenden Beschränkung des Verfahrens aufgrund der übrigen Ausgestaltung des Gesetzes keine Bedeutung zugemessen werden kann, die die grundsätzliche formell-leitende Position des Instruktionsrichters infrage stellt. Damit hatte der Instruktionsrichter nach dem Berner Zivilprozessrecht keine derart einflussreiche Position inne,118 die es rechtfertigen würde, von einem Instruktionsrichter italienisch-kanonischer Prägung auszugehen. Darüber hinaus fehlt es auch an der vom Gesetz vorgesehenen Terminsequenz in diesem Zwischenstadium. Diese wäre überdies mit dem im Gesetz deutlich zutage tretenden Konzentrationsgrundsatz unvereinbar. 119 (3) Die Stellung des Richters im Verfahren Den Mittelpunkt des Verfahrens nach der Berner Zivilprozessordnung bildete die Hauptverhandlung vor dem voll besetzten Gericht (Art. 187 ff. ZPO BE). Dem Gesetz ließ sich recht deutlich entnehmen, dass die Hauptverhandlung an einem einzigen Termin mit einem Urteil abgeschlossen werden sollte, 120 worin

117

Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 182 Rn. 2. 118 Die Darstellung bei Rüegg, in: Richter und Verfahrensrecht. Festgabe 150 Jahre Obergericht Luzern, S. 283, 291 erweckt zwar den Eindruck, als hätte dem Instruktionsrichter ein weitreichender Einfluss zugestanden. Tatsächlich stand dem Instruktionsrichter im Kollegialgericht der Vorsitz zu, doch seinen Befugnissen, die ihm als einzelnem und alleinigem Richter im Vorbereitungsverfahren zugewiesen waren, kam lediglich eine formelle Ordnungsfunktion zu. 119 Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 181 Rn. 1, welche aus dem Konzentrationsgrundsatz ein Verbot für das Abhalten verschiedener Termine zur Beweisführung ableiteten und sich damit explizit gegen eine Zwischenphase nach italienisch-kanonischem Vorbild aussprachen. 120 Vgl. Art. 176 I 1 ZPO BE: „Erachtet der Instruktionsrichter die durch die Schriftsätze gegebene Grundlage als nicht genügend, um den Urteilsspruch am Tage der Hauptverhandlung zu ermöglichen, […].“

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sich der Grundsatz der Beschleunigung des Verfahrens sowie jener der Konzentration des Verfahrens niederschlugen. Die Hauptverhandlung im Berner Zivilprozess diente der Erörterung des Sachverhalts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht sowie der Beweisaufnahme vor dem gesamten Gericht. Die in der Vorbereitungsphase von Gericht und Parteien ergriffenen Maßnahmen bereiteten die Hauptverhandlung umfassend vor, so dass das Verfahren mit einem Urteil am Ende der Hauptverhandlung abgeschlossen werden konnte. Um dies zu ermöglichen, wies das Gesetz dem Richter in Art. 89 ZPO BE ausweislich der Überschrift „Die Richterpflicht“ die Befugnis zu, „[…] in jedem Stadium des Prozesses von Amtes wegen zur Ergänzung oder wahrheitsgemässen Feststellung des Tatbestandes der von den Parteien behaupteten Rechte und Ansprüche die Einvernahme der Parteien an[zu]ordnen und die ihm notwendig scheinenden Beweisverfügungen [zu] treffen.“ Diese Vorschrift stellte den Ausgangspunkt der materiellen Prozessleitung dar. Sie drängte die Grundentscheidung des Gesetzes für den Verhandlungsgrundsatz auffallend weit zurück, sollte an seiner grundsätzlichen Existenz jedoch nichts ändern.121 Vielmehr sollte der Richter in Ausübung der materiellen Prozessleitung nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen122 den Parteien Hilfestellung anbieten bei der Erfüllung ihrer Behauptungs- und Substantiierungslast, die ihnen durch die Verhandlungsmaxime zugewiesen war. Im Wege der Parteieinvernahme konnte der Richter damit sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht Hinweise erteilen,123 sofern der unvollständige oder unklare Sachverhalt zumindest rudimentär behauptet wurde. 124 Auf tatsächlicher Ebene erfolgte dies zumeist durch weitergehende Fragen im Wege der informatorischen Befragung.125 In rechtlicher Hinsicht konnten Hinweise auf fehlerhafte oder unvollständige Rechtsbegehren, auf die Möglichkeit einer Klageänderung sowie

Art. 181 2 ZPO BE: „Überhaupt sind alle Massnahmen zu treffen, welche notwendig sind, um den Urteilsspruch am Tage der Verhandlung zu ermöglichen.“ Siehe auch schon Leuch, ZBJV 1923, 497, 511. 121 Vgl. Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 89 Rn. 1c; Kellerhals/Güngerich/Berger, Zivilprozessrecht, Rn. 03.07; Kummer, Grundriss des Zivilprozessrechts, S. 78 f. 122 Leuch, ZBJV 1923, 36, 573. 123 Leuch, ZBJV 1923, 36, 569. 124 Brönnimann, Die Behauptungs- und Substanzierungslast im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 68; Spirig, Prozessleitung, 50, 48. 125 Brönnimann, ZBJV 1990, 329, 363.

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die Nützlichkeit nicht vorgebrachter Angriffs- und Verteidigungsmittel ergehen.126 Der Umfang der Hinweise orientierte sich wie in der Zürcher und Luzerner Zivilprozessordnung an der Rechtskundigkeit der Parteien.127 Selbst der richterliche Hinweis auf die bestehende Verjährungseinrede sollte nach Stimmen in der Literatur von der in Art. 89 ZPO BE verankerten Fürsorgepflicht erfasst sein.128 Die Hinweispflicht fand ihre Grenzen in der Unparteilichkeit des Richters129 sowie darin, dass die Verantwortung für die Sachverhaltsermittlung nicht vollumfänglich auf den Richter übertragen werden konnte. 130 Unsorgfältigkeiten der Parteien bei der Darbringung des streitentscheidenden Sachverhalts waren ebenfalls kein Anwendungsbereich des richterlichen Instruments aus Art. 89 I 2 ZPO BE. 131 Auf einen unbefangenen Blick hin bleibt zunächst unklar, ob Art. 89 I ZPO eine Verpflichtung des Richters zur materiellen Prozessleitung statuierte oder dem Richter lediglich ein Recht gewährte, auf die Tatsachen- beziehungsweise Rechtsfindung Einfluss zu nehmen. Während die Überschrift des Art. 89 I ZPO BE von einer Richterpflicht sprach, wurde im eigentlichen Normtext lediglich „kann“ verwendet, was auf ein bloßes Recht des Richters hindeutet, das er nach eigenem Ermessen ausüben konnte. Einigkeit bestand jedoch darin, dass ihm kein freies Ermessen zustand, sondern er dieses pflichtgemäß ausüben musste. 132 Eine Bindung des Richters bei Inanspruchnahme des verfahrensleitenden Instruments aus Art. 89 I ZPO BE wurde ferner aus dem Grundsatz der Gewährung des bestmöglichen Rechtsschutzes abgeleitet. 133 126 Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 89 Rn. 2b. 127 Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 89 Rn. 2b. Brönnimann, Die Behauptungs- und Substanzierungslast im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 68 will bei rechtsunkundigen Parteien sogar einen richterlichen Hinweis zulassen, wenn die Partei noch nicht einmal ihrer Bestreitungslast nachkam. 128 Leuch, ZBJV 1923, 36, 571 f., der die an die Partei gerichtete, richterliche Frage, ob sie die Verjährung nicht geltend machen wolle, ohne weiteres noch von der materiellen P rozessleitungsbefugnis nach Art. 89 I 1 ZPO BE umfasst sah, ungeachtet der Tatsache, dass es sich um eine nicht von Amts wegen zu berücksichtigende Einrede handelt. Dies begründete er damit, dass nach Schweizer Recht die Verwirkung anders als die Verjährun g von Amts wegen zu berücksichtigen sei, ein überzeugendes Argument für diese unterschiedliche Behandlung jedoch nicht existiere. In Umsetzung des sozialen Zivilprozesses dürfe daher an dieser Stelle die nach seiner Auffassung ungerechtfertigte Differenzie rung nicht zum Nachteil einer Partei gereichen. 129 Leuch, ZBJV 1923, 36, 574; Troller, Von den Grundlagen des zivilprozessualen Formalismus, S. 62. 130 Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 89 Rn. 2d. 131 Leuch, ZBJV 1923, 36, 567. 132 Leuch, ZBJV 1923, 36, 573. 133 Leuch, ZBJV 1923, 36, 564.

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Die Weite der materiellen Prozessleitung nach bernischem Zivilprozessrecht ergab sich jedoch nicht allein aus der Befugnis des Richters, Hinweise in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu erteilen. Vielmehr stand dem Richter gemäß Art. 214 1 ZPO BE in der Zwischen- und Hauptphase des Verfahrens ferner die Befugnis zu, weitere, nicht von den Parteien beantragte Beweismittel zur Klärung des Sachverhalts beizuziehen. Leitgedanke bei der Beiziehung weiterer Beweismittel war dabei die möglichst zuverlässige Feststellung des für die Streitentscheidung maßgebenden Sachverhalts. 134 Insbesondere Beweismittel, die nach dem Vorbringen der Parteien als geeignet zur Wahrheitsfindung schienen, sowie solche, die der Richter aus eigener Wahrnehmung kannte, konnten zusätzlich beigezogen werden. 135 Nachforschungen anzustellen, um weitere, nicht einmal angedeutete Beweismittel zu erlangen, war aber wohl auch von Art. 214 1 ZPO BE erfasst.136 Unter Berücksichtigung des hierzu erforderlichen Arbeitsaufwandes sowie mit Blick auf die dabei entstehenden Kosten wurde diese Befugnis aber vermutlich eher selten wahrgenommen. Nichtsdestotrotz stand die Vorschrift des Art. 214 1 ZPO BE im Kontrast oder zumindest aber in einem nicht zu gering zu bewertenden Spannungsverhältnis mit der Grundsatzentscheidung des kantonalen Gesetzgebers für die Geltung des Verhandlungsgrundsatzes im Zivilprozess, 137 der gerade den Parteien die Verantwortung für die Beibringung der Beweismittel auferlegte. Zugunsten der Prozessbeschleunigung und der Verfahrenserleichterung sah ferner Art. 196 I ZPO BE in einer Parallelvorschrift zu Art. 182 ZPO BE die Befugnis des Gerichts zur Beschränkung des Verfahrens auf einzelne oder mehrere Fragen des Streitverhältnisses vor. Auch dies war Ausdruck des starken Richters, welcher neben ergänzenden Fragen und Hinweisen ferner im Interesse der Prozessökonomie den Streitgegenstand beschränken konnte. Das Spannungsverhältnis zwischen Prozesseffizienz und Verhandlungsgrundsatz wurde daher durch eine Einschränkung des Verhandlungsgrundsatzes aufgelöst. Die Zivilprozessordnung des Kantons Bern hatte damit recht eindeutig das Bild eines starken, mit zahlreichen und durchaus weitgehenden Befugnissen ausgestatteten Richters gezeichnet, der in Ausübung der ihm zugewiesenen 134 Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 214 Rn. 1. 135 Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 214 Rn. 1. 136 Dies lässt zumindest die Formulierung von Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 214 Rn. 1 vermuten, wonach „ihm [dem Richter] nicht zugemutet wird, ins Blaue hinaus Nachforschungen nach solchen [weiteren Beweismitteln] anzustellen.“ Daraus ergibt sich aber, dass es dem Richter doch frei stand, diesen Arbeitsaufwand weiterer Nachforschungen auf sich zu nehmen. 137 Die Geltung des Verhandlungsgrundsatzes im bernischen Zivilprozessrecht ergab sich aus Art. 89 II ZPO BE sowie Art. 202 II ZPO BE. Hierzu auch Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Art. 89 Rn. 1c.

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Rechte und Pflichten vollumfänglich im Dienste der Erforschung der materiellen Wahrheit stand. Dieser wurde im Berner Zivilprozessrecht unter wohl maximaler Zurückdrängung, aber nichtsdestotrotz unter Fortgeltung des Verhandlungsgrundsatzes ein vergleichsweise hohes Gewicht beigemessen. Die Stellung des Richters nach der Berner Zivilprozessordnung entsprach daher aufgrund der ihm zugewiesenen formellen und umfangreichen materiellen Prozessleitungsbefugnisse dem aktiven Richter des Hauptverhandlungsmodells, der angehalten ist, durch eine begrenzte Eigeninitiative auf die Feststellung der tatsächlichen Wahrheit hinzuwirken. (4) Zwischenfazit Das Verfahren nach der Berner Zivilprozessordnung wurde von einer durch fact pleading geprägten Einleitungsphase eröffnet, an die sich dann eine von Aktivität des Gerichts und der Parteien gekennzeichnete Zwischenphase anschloss. Deren Ziel war es, durch zahlreiche Vorbereitungsmaßnahmen zu einer umfassend vorbereiteten Hauptverhandlung zu führen, die nach nur einem Termin mit einer Urteilsverkündung enden sollte. Wichtiges Dogma der Zwischenphase war es jedoch, die Hauptverhandlung nicht durch eine überfrachtete Vorbereitungsphase obsolet werden zu lassen. Vielmehr sollte das zentrale, der Streitklärung dienende Geschehen unter Aufrechterhaltung des Konzentrationsgrundsatzes in einer von einem starken und einflussnehmenden Richter geleiteten Hauptverhandlung stattfinden. Eine solche Ausrichtung des gesamten Verfahrensablaufs auf diese eine Hauptverhandlung zeigt eine nahezu exakte Umsetzung des Hauptverhandlungsmodells durch eine Zivilprozessordnung, die sehr geordnet wirkt und trotz hoher Regelungsdichte dem Richter gleichwohl ausreichend Raum zu flexiblen Reaktionen ließ. d) Der Kanton Waadt aa) Das ordentliche Verfahren gemäß Art. 257 ff. CPC VD138 (1) Einleitende Phase Anders als bei den zuvor dargestellten Verfahren der Kantone Zürich, Luzern und Bern statuierte die waadtländische Zivilprozessordnung keine generelle Pflicht, ein Sühneverfahren vor Klageerhebung durchzuführen.139 Vielmehr war dies den Parteien mit Ausnahme der in Art. 129 CPC VD genannten Fälle anheimgestellt und lediglich in Art. 128 CPC VD für die Feststellung des Ab-

138 Den nachfolgenden Ausführungen wurde der Code de Procédure Civile du Canton de Vaud vom 14. Dezember 1966 in der bis zum Inkrafttreten der gesamtschweizerischen Zivilprozessordnung geltenden Fassung zugrunde gelegt. 139 Hierzu Guldener, Schweizerisches Zivilprozeßrecht, S. 419 insb. Fn. 2b.

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stammungsverhältnisses (constatation de filiation) zwingend vorgeschrieben.140 Das Verfahren wurde daher ohne vorhergehendes Sühneverfahren mit Einreichung der Klage durch den Kläger rechtshängig (Art. 119 I lit. b CPC VD). Die Klage musste den in Art. 262 CPC VD festgelegten Anforderungen entsprechen und damit eine übersichtliche und umfassende Darstellung der der Klage zugrunde liegenden Tatsachen sowie Beweisangebote für diese enthalten. Ferner musste ein klarer präziser Antrag gestellt werden, Art. 262 II lit. d CPC VD i.V.m. Art. 265 I CPC VD. 141 Außerdem waren die für den Kläger verfügbaren und als Beweismittel genannten Urkunden der Klage beizulegen, Art. 264 I CPC VD. Ein Fehlen dieser Voraussetzungen wurde prinzipiell mit einer Klageabweisung (éconduction dʼinstance) sanktioniert.142 Bei der äußerlichen Darstellung der Tatsachen sowie der Bezeichnung der Beweismittel wurden von der kantonalen Rechtsprechung strenge Maßstäbe angelegt. So durfte beispielweise eine unter einer Ordnungsnummer genannte Behauptung nur ein Tatsachenelement enthalten.143 Die hierauf innerhalb einer vom Instruktionsrichter gesetzten Frist144 ergehende Klageerwiderung musste zu den vom Kläger vorgetragenen Tatsachen einzeln Stellung nehmen, anderweitige den Antrag des Beklagten stützende Tatsachen vortragen sowie präzise Beweisangebote unterbreiten und Anträge stellen, Art. 270 I CPC VD. Auch der Beklagte musste in seinem Besitz befindliche Urkunden der Klageerwiderung beilegen, Art. 270 II CPC VD i.V.m. Art. 264 I CPC VD. Rechtliche Ausführungen waren in diesem Verfahrensstadium noch nicht von Bedeutung, sondern in den verfahrenseinleitenden Schriftsätzen lediglich fakultativ, Art. 262 II CPC VD. Der Schriftenwechsel erfolgte unter Leitung des Instruktionsrichters, Art. 274 I CPC VD, der für die Setzung der Fristen und deren Überwachung sowie die Zustellung der Schriftsätze verantwortlich war. Ein Austausch von Replik und Duplik war zwar der vom Gesetz vorgesehene Regelfall. Nichtsdestotrotz konnte der Instruktionsrichter bei Einvernehmen der Parteien hierauf verzichten, Art. 274 I, VI CPC VD. Die Phase des Schriftenaustausches

140

Vor der größeren Revision des Gesetzes 1990 war ein Sühneverfahren auch noch für andere Streitigkeiten zwingend vorgeschrieben. Nach der Revision blieb das zwingende Sühneverfahren lediglich der Feststellung des Abstammungsverhältnisses vorbehalten. Mit d ieser Entwicklung nahm die waadtländische Zivilprozessordnung eine Sonderstellung in der recht ausgedehnten schweizerischen Streitschlichtungskultur ein. Insbesondere eine fehlende Verpflichtung zu einem vorgängigen Schlichtungsversuch in allen Familiensachen stellte eine Besonderheit des waadtländischen Rechts in der schweizerischen Rechtskultur dar. Hierzu Poudret/Haldy/Tappy, Procédure Civile Vaudoise, Art. 127 Rn. 1, Art. 128. 141 Siehe zu den Anforderungen sowie den sich aus ihrem Fehlen ergebenden Konsequenzen Rognon, Les Conclusions, S. 114−126. 142 JdT 1993 III, 66, c. 3; JdT 1998 III, 10. 143 JdT 1993 III, 74, c. 3b et note; JdT 1995 III, 27 c. 3a et note; JdT 1997 III, 27 c.3 . 144 Art. 269 CPC VD.

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endete schließlich auf Antrag einer Partei mit der Folge, dass der Instruktionsrichter die Parteien zur anschließend stattfindenden Instruktionsverhandlung vorlud, Art. 276 I CPC VD. Wurde der entsprechende Antrag nicht binnen eines Jahres gestellt, so trat Prozessverjährung ein, Art. 276 III CPC VD. (2) Zwischenphase Mit der Ladung der Parteien zur Instruktionsverhandlung, die anders als nach der Berner Verfahrenspraxis grundsätzlicher Bestandteil der procédure ordinaire war, setzte der Instruktionsrichter den Parteien eine Frist, um ihre Zeugen mit einem Hinweis, für welche Behauptungen diese angerufen werden sollen, zu nennen und sofern erforderlich Sachverständige vorzuschlagen, Art. 278 CPC VD, sowie die an diese gerichteten Fragen einzureichen. Im Rahmen der sodann unter Vorsitz des Instruktionsrichters stattfindenden Instruktionsverhandlung erörterte der Instruktionsrichter im Dialog mit den Parteien den Streitgegenstand. Dabei lag der Schwerpunkt der Verhandlung nach der Intention des Gesetzes und nach der Zielsetzung der Instruktionsverhandlung auf der Klärung der dem Streit zugrunde liegenden Tatsachen, so dass am Ende der Instruktionsverhandlung ein genauer Überblick für die Parteien über die streitigen und damit zu beweisenden Tatsachen 145 geschaffen war, Art. 280 II CPC VD. 146 Im Anschluss wurden die von den Parteien angebotenen Beweise diskutiert, Art. 281 I CPC VD. Die Instruktionsverhandlung schloss sodann mit dem Erlass eines Beweisbeschlusses, in welchem über die beizubringenden Beweise sowie die Vorlage von Urkunden entschieden wurde, Art. 282 I lit. a, lit. b CPC VD. 147 Darüber hinaus wurde gegebenenfalls ein Sachverständiger ernannt sowie die ihm zu unterbreitenden Fragen festgelegt, Art. 282 I lit. c CPC VD. Damit diente die Instruktionsverhandlung in geringem Maße auch der Beweisaufnahme.148 Das Gesetz legte fest, welche Beweismittel bereits in der Instruktionsverhandlung vom Instruktionsrichter abgenommen werden konnten, namentlich der Urkunden- und Sachverständigenbeweis (Art. 176 I, 235 I CPC VD) sowie regelmäßig die Inaugenscheinnahme von Gegenständen (Art. 244 CPC VD). 149 Der Zeugenbeweis wurde hingegen im ordentlichen Verfahren

145 Dass nur streitige Tatsachen einem Beweisverfahren unterlagen, ergibt sich aus einem Umkehrschluss aus Art. 164 I CPC VD. 146 Poudret/Haldy/Tappy, Procédure Civile Vaudoise, Art. 280 Rn. 1. 147 An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Parteiaussage anders als in zahlreichen anderen kantonalen Prozessordnungen nach der waadtländischen Zivilprozessordnung kein Beweismittel darstellte, vgl. Art. 170 I CPC VD. Hierzu Wurzburger, SJZ 1982, 309 ff. 148 Trotz der Schwierigkeit, dies dem Gesetz eindeutig zu entnehmen, lässt es sich zumindest auch mittelbar aus Art. 291 CPC VD ableiten, welcher mit der Marginalie „Complément dʼinstruction“ (dt.: Ergänzung der Untersuchung) versehen ist. Moser, JdT 1978 III, 2, 3. 149 Siehe hierzu Moser, JdT 1978 III, 2, 3.

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des mehrinstanzlichen Rechtszuges ausschließlich vor dem erkennenden Gericht abgenommen Art. 202 CPC VD, um den insbesondere beim Zeugenbeweis bedeutsamen Unmittelbarkeitsgrundsatz zu wahren. 150 Entgegen dem weiten Novenrecht der Berner Zivilprozessordnung konnten die Parteien in einem Verfahren nach der waadtländischen Zivilprozessordnung nach Abschluss des Schriftenwechsels keine neuen Tatsachen mehr vortragen, es sei denn, sie traf an dem verspäteten Vorbringen kein Verschulden, Art. 279 I, II CPC VD. Auch die verspätete Vorlage von Urkunden oder die verspätete Nennung von Beweismitteln war nach Art. 279 I CPC VD grundsätzlich ausgeschlossen und nur bei fehlendem Verschulden der Parteien für die Verspätung zulässig, Art. 279 II CPC VD. Gegenstand der Instruktionsverhandlung war damit im Grundsatz nur, was in den verfahrenseinleitenden Schriftsätzen genannt und behandelt wurde. Neben der Feststellung des streitigen Sachverhalts und der zur Verfügung stehenden Beweismittel war dieses Verfahrensstadium jedoch ferner geeignet, Vergleichsverhandlungen anzuregen, da die Parteien zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens bereits einen Eindruck von der Überzeugungskraft der ihnen zur Verfügung stehenden Beweise im Vergleich zu jenen der Gegenseite gewinnen konnten. Art. 126 CPC VD, der eine Verpflichtung des Richters enthielt, einen Vergleichsversuch spätestens in der Hauptverhandlung zu unternehmen, konnte damit bereits bei Inanspruchnahme durch den Instruktionsrichter zu einer einvernehmlichen Streiterledigung führen. Diese ersichtlich auf die Vorbereitung der Hauptverhandlung ausgerichtete Zwischenphase konnte nur in Ausnahmefällen entfallen, namentlich dann, wenn der Instruktionsrichter ohne weiteres die von den Parteien angebotenen Beweise genehmigen konnte, keine Fragen aufkamen, die in einem Zwischenverfahren zu klären waren, oder Vergleichsverhandlungen weder zweckmäßig noch erfolgsversprechend waren, Art. 288 I CPC VD. Während vor der Instruktionsverhandlung die Parteien aufgerufen waren, Zeugen zu nennen und gegebenenfalls Fragen einzureichen, die von einem Sachverständigen beantwortet werden sollten, diente dieses Zwischenstadium zwischen der Verfahrenseinleitung und der Hauptverhandlung insbesondere im Nachgang zur Instruktionsverhandlung der weiteren Organisation der Hauptverhandlung durch das Gericht, so dass Dritte aufgefordert wurden, Urkunden vorzulegen (Art. 180 I CPC VD), und Sachverständige für die Erstellung eines Gutachtens beauftragt wurden (Art. 221 CPC VD). Außerdem wurden die von den Parteien benannten Zeugen geladen (Art. 290 III CPC VD). 150 Eine Ausnahme hierzu bildete das Verfahren vor der Cour Civile, in welchem die Zeugen bereits vor dem Instruktionsrichter angehört wurden, Art. 317 I CPC VD. Ein Verfahren fand immer dann vor der Cour Civile statt, wenn in Vermögensstreitigkeiten der Streitwert CHF 100 000 überstieg und keine andere Zuständigkeit bestand sowie wenn das Bundesrecht eine einzige Kantonsinstanz für einzelne Streitigkeiten vorsah, Art. 74 II, III de la Loi vaudoise d’organisation judiciaire (12. Dezember 1979).

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(3) Endphase Sobald die Streitsache im Hinblick auf die Tatsachen sowie hinsichtlich der benötigten Beweismittel umfassend aufbereitet war, ging das Verfahren in seine Hauptphase, namentlich die Hauptverhandlung, als Kern des prozessualen Geschehens über, bei welcher das persönliche Erscheinen der Parteien verlangt war, Art. 290 I CPC VD. Zu diesem Zeitpunkt endeten die Befugnisse des Instruktionsrichters; sie gingen in vollem Umfang auf das entscheidende Gericht über.151 Zur Vorbereitung auf die Hauptverhandlung stellte der Präsident den Mitgliedern des entscheidenden Gerichts die Akte zur Verfügung, Art. 290 IV CPC VD, so dass sie sich bereits im Vorfeld einen Überblick über die Streitsache verschaffen konnten, um auf diese Weise einen effizienten Fortgang der Hauptverhandlung zu gewährleisten. Die Hauptverhandlung wurde mit einer Einführung in den Sach- und Streitstand eröffnet, der sodann die Beweisaufnahme folgte, Art. 292 I CPC VD. Deren Ergebnisse würdigte das Gericht nach seiner freien Überzeugung, Art. 5 III CPC VD. Nach der gesetzlichen Intention sollte dieser Ablauf ohne Unterbrechung bis zum Urteil führen, Art. 292 I a.E. CPC VD, so dass nach dem Wunsch des Gesetzgebers grundsätzlich nur ein Termin zur Streiterledigung führen sollte. Hierin lässt sich, wenn auch etwas versteckt, ein Bekenntnis der waadtländischen Zivilprozessordnung zum Konzentrationsgrundsatz ausmachen. Den Parteien stand ein Äußerungsrecht bezüglich der Beweisergebnisse zu. Sodann wurde ihnen das Wort für ihre Schlussvorträge erteilt, Art. 293 CPC VD, in denen sie unter Würdigung des festgestellten Sachverhalts und der Beweisergebnisse ihre Schlussanträge stellten. Das Gericht war im Rahmen der Beweisaufnahme nicht an den Beweisbeschluss des Instruktionsrichters gebunden; vielmehr konnte das Gericht auch Beweise abnehmen, die die Parteien ordnungsgemäß angekündigt hatten, deren Abnahme der Instruktionsrichter allerdings zuvor bereits abgelehnt hatte, Art. 291 CPC VD. 152 Auch die waadtländische Zivilprozessordnung hatte sich zwar wie die bisher dargestellten Prozessordnungen im ordentlichen Prozess ebenfalls für den Verhandlungsgrundsatz entschieden, kannte aber ebenso gewisse Einschränkungen, die eine Entscheidung auf Grundlage der materiellen Wahrheit ermöglichen wollten. So sah Art. 165 I, II CPC VD vor, dass der Richter in jedem Verfahrensstadium das Recht hatte, die Parteien zu befragen und sie zur näheren Präzisierung ihrer tatsächlichen Ausführungen, ihres Bestreitens oder Zugestehens anhalten konnte.153 Grundsätzlich wurde diese richterliche Befugnis 151

Poudret/Haldy/Tappy, Procédure Civile Vaudoise, Art. 290 Rn. 1. Hierzu ausführlich und kritisch Rousselle, Le Droit à la Preuve, S. 94 ff. 153 Art. 165 I CPC VD: „Le juge a le droit, en tout état de cause, d’interpeller les parties.“ Art. 165 II CPC VD: „Il peut leur faire préciser dans quelle mesure elles admettent ou contestent leurs allégations réciproques, faire constater le résultat de l’interrogatoire au procès verbal et en tenir tel compte que de raison dans son jugement.“ 152

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bereits in der Instruktionsverhandlung bei der erstmaligen Diskussion der Streitsache in einem gerichtlichen Rahmen relevant, 154 jedoch war wohl nicht ausgeschlossen, dass auch in der Hauptverhandlung noch Bedarf bestand, die tatsächlichen Ausführungen zu präzisieren, insbesondere für die an der Vorverhandlung nicht beteiligten Richter. Ferner wies Art. 265 II CPC VD dem Richter die Befugnis zu, die Parteien zur präziseren Darstellung ihrer Anträge aufzufordern.155 Anders als nach der Berner Zivilprozessordnung, die in Art. 214 ZPO BE dem Richter auch die Beiziehung von nicht von den Parteien benannten Beweismitteln ermöglichte, war die materielle Prozessleitung des waadtländischen Richters insofern beschränkt, auch wenn Art. 5 I CPC VD auf einen unbefangenen Blick hin eine ähnlich weite Befugnis wie Art. 214 ZPO BE erwarten ließ. 156 Zwar war eine solche weitgehende Befugnis Gegenstand der Diskussionen bei der umfassenden Revision des Gesetzes 1966, konnte sich letztlich aber nicht durchsetzen. 157 Dem Richter wurde unter Art. 5 I CPC VD schließlich nur die Befugnis zugewiesen, für eine behauptete Tatsache eine andere Beweisart als von den Parteien vorgesehen zu bestimmen. Die Grenzen der eigenen Beweisermittlung des waadtländischen Richters waren daher deutlich enger gezogen als jene des Berner Richters. Während die genannten Vorschriften die materielle Prozessleitung des Richters beschrieben, legte Art. 1 I CPC VD vergleichbar einem Programmsatz die formelle Prozessleitung in die Hände des Richters, indem zuvörderst festgelegt war, dass der Prozess unter der Autorität und Leitung des Richters stattfand158 und dieser damit durch geeignete Anordnungen und Fristsetzungen dem Verfahren einen effizienten äußeren Rahmen geben sollte. Nach den Plädoyers schloss der Vorsitzende die Hauptverhandlung, bevor ein Urteil in nichtöffentlicher Beratung gefällt wurde, Art. 294 I CPC VD. Dieses wurde den Parteien nach der Revision des Gesetzes nicht mehr mündlich verkündet, 159 sondern nur noch in schriftlicher Form in Kopie zugestellt, Art. 301 III CPC VD.

154

Poudret/Haldy/Tappy, Procédure Civile Vaudoise, Art. 165 Rn. 2. Art. 265 II CPC VD: „Le juge peut en tout état de cause inviter une partie à préciser ses conclusions.“ 156 Art. 5 I CPC VD: „Le juge n’est pas lié par les modes de preuves offerts par les parties.“ 157 Visson, Droit à la production de pièces et discovery, S. 150; Poudret/Haldy/Tappy, Procédure Civile Vaudoise, Art. 5 Rn. 1. 158 Art. 1 I CPC VD: „Le procès s’instruit sous l’autorité et la direction du juge, conformément aux dispositions du présent code.“ 159 Poudret/Haldy/Tappy, Procédure Civile Vaudoise, Art. 301. 155

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bb) Einordnung (1) Die Verfahrenseinleitung Das ordentliche Verfahren nach der waadtländischen Zivilprozessordnung war geprägt von einer umfangreichen Einleitungsphase, was sich auch in der hohen Regelungsdichte der für diese Verfahrensphase einschlägigen Normen widerspiegelte. Darüber hinaus zeigte sich die Bedeutung der Einleitungsphase auch in den zahlreichen Äußerungen der Rechtsprechung zu den verfahrenseinleitenden Schriftsätzen. Obwohl bereits für Klage und Klageerhebung eine umfassende Darstellung des Sach- und Streitstandes und damit fact pleading verlangt wurde (Art. 262 CPC VD, Art. 270 I CPC VD), stellten die Eingabe von Replik und Duplik im waadtländischen Prozess den Normalfall dar, auch wenn für die Setzung der Fristen ein Parteiantrag verlangt war (Art. 274 I 2 CPC VD). Mit diesen Schriftsätzen konnten neue, noch nicht vorgetragene Tatsachen und Beweismittel in den Prozess eingeführt werden und Behauptungen aufgestellt werden. Rechtliche Ausführungen waren zu diesem Zeitpunkt zwar möglich, aber nicht zwingend (Art. 262 III CPC VD), woraus deutlich wird, dass die Verfahrenseinleitung allein der Schaffung einer Tatsachengrundlage für das voranschreitende Verfahren diente. Dass Replik und Duplik wohl Teil des prozessualen Alltags waren, obwohl dadurch das Verfahren in der Einleitungsphase bereits verlängert wurde, lässt sich dadurch erklären, dass sich das waadtländische Verfahrensrecht für ein sehr restriktives Novenrecht entschieden hatte. Neue, in den einleitenden Schriftsätzen nicht vorgetragene Tatsachen und Beweismittel konnten nur unter der hohen Hürde fehlenden Verschuldens für den verspäteten Vortrag außerhalb der Einleitungsphase berücksichtigungsfähig vorgebracht werden, Art. 279 II CPC VD. Die Gestaltung einer umfassenden Einleitungsphase in Kombination mit einem sehr restriktiven Novenrecht ermöglichte eine sehr frühe Kanalisierung des Streitstoffes und legte den Grundstein für einen effizienten Fortgang des Verfahrens. Diese umfassende Einleitungsphase stimmte mit jener des italienisch-kanonischen Modells als auch des Hauptverhandlungsmodells überein. Die Einleitungsphase des waadtländischen ordentlichen Prozesses hebt sich von den bisher dargestellten kantonalen Prozessordnungen jedoch dadurch ab, dass sie aufgrund des stark eingeschränkten Novenrechts erheblich umfangreicher war. Das oben bereits angesprochene Element des Parteiantrags für die Fristsetzung für den Austausch von Replik und Duplik (Art. 274 I 2 CPC VD) fand sich noch an einer weiteren, für den Verfahrensablauf noch bedeutenderen Stelle: Nur ein Parteiantrag konnte das verfahrenseinleitende Stadium beenden und den Übergang in das Zwischenstadium herbeiführen, Art. 276 I CPC VD. Diese Abhängigkeit des Verfahrensfortgangs von einem Parteiantrag war ein Einbruch des Partei-

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betriebs in den ansonsten geltenden Amtsbetrieb des waadtländischen Prozesses160 und wies eine deutliche Nähe zu dem Antragsprinzip des romanisch-kanonischen Prozessrechts auf. 161 Darüber hinaus stand auch die starke Formalisierung mit den durch das Gesetz und nicht zuletzt die waadtländische Rechtsprechung geprägten strengen formalen Vorgaben für die äußere Form der verfahrenseinleitenden Schriftsätze im Einklang mit der strengen Ordnung und dem Formalismus des italienisch-kanonischen Verfahrens.162 Hierin zeigte sich auch eine Konsequenz aus der strengen Eventualmaxime mit stark eingeschränktem Novenrecht. Dieses führte zu einem hohen Maß an Parteiverantwortung bezüglich der Präzisierung der ersten, den Verfahrensablauf wesentlich prägenden Schriftsätzen. Die starke Formalisierung stellte daher eine Sicherungsmaßnahme dar, um den schwerwiegenden Folgen unvollständiger Vorträge entgegen zu wirken, und diente damit letztlich den Interessen der Parteien.163 Obwohl in vielen Rechtsordnungen in jüngeren Reformen der Grad an Formalisierung eher zurückgenommen wurde, bewahrte das waadtländische Prozessrecht dieses Charakteristikum mit Stolz bis zum Inkrafttreten der bundesweit geltenden Zivilprozessordnung.164 Die teilweise Umsetzung des Parteibetriebs in der Einleitungsphase sowie die weitgehende Formalisierung dieses Verfahrensstadiums rechtfertigen in Kombination mit den umfassenden Tatsachendarstellungen die Zuordnung der verfahrenseinleitenden Phase des waadtländischen Zivilprozesses zum italienisch-kanonischen Prozessmodell. Das Element umfassenden Tatsachenvortrags, das auch der Einleitungsphase des Hauptverhandlungsmodells zugrunde liegt, konnte sich insoweit nicht durchsetzen. (2) Die Instruktionsverhandlung und die Stellung des Instruktionsrichters Durch den Parteiantrag auf Einleitung der Zwischenphase, der zugleich das Ende des Einleitungsstadiums markierte, lässt sich die Zwischenphase recht deutlich von den übrigen Verfahrensstadien abgrenzen. Dies gelingt auch deswegen, weil die Durchführung eines Zwischenverfahrens vor dem Instrukti-

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Guldener, Schweizerisches Zivilprozeßrecht, S. 180. Diese äußerte sich insbesondere darin, dass der Kläger einen Antrag auf Ladung des Beklagten oder der Zeugen bei Gericht sowie einen Antrag auf Aufforderung des Beklagten zur Antwort auf die Klage stellen musste, vgl. Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 68, 110, 122, 133. 162 JdT 1995 III, 27, note nimmt sogar selbst Bezug auf das gemeine Recht kanonischen Ursprungs. 163 Poudret/Haldy/Tappy, Procédure Civile Vaudoise, Art. 262 Rn. 1; JdT 1993 III, 74, c. 3a; JdT 1997 III, 27; JdT 1999 III, 20. 164 JdT 1993 III, 74 „Le formalisme qui caractérise la procédure ordinaire vaudoise présente des avantages de clarté et de précision qui contribuent au déroulement régulier du procès et à la sécurité dans l’application du droit matériel.“ 161

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onsrichter den gerichtsalltäglichen Normalfall darstellte und von ihr nur in wenigen Fällen abgesehen werden konnte. 165 Dadurch, dass der Instruktionsrichter die Parteien aufrief, ihre Zeugen zu benennen und Fragenkataloge einzureichen sowie bei Bedarf einen Vorschlag bezüglich eines Sachverständigen mitzuteilen, waren die Parteien vorgängig der Instruktionsverhandlung zur aktiven Prozessvorbereitung angehalten. Durch die Instruktionsverhandlung, die der Aufbereitung des streitigen Sachverhalts und einer teilweisen Beweisaufnahme diente, sowie die in ihrem Nachgang erfolgende Überleitung des Verfahrens in die Hauptverhandlung verlangte das Gesetz jedoch auch eine aktive Rolle des Gerichts in diesem Verfahrensstadium. Die Phase zwischen der Verfahrenseinleitung und der Hauptverhandlung vor dem erkennenden Gericht war damit durch die Aktivität des Gerichts und der Parteien geprägt, die auf eine umfassende Vorbereitung der Hauptverhandlung abzielte. Die aktive Rolle des Gerichts zeigte sich zudem in dem Inhalt der Instruktionsverhandlung: Neben der Diskussion der tatsächlichen Grundlagen des Rechtsstreits und der beschränkten Abnahme von Beweisen war der Instruktionsrichter gehalten, auf eine gütliche Streitbeilegung der Parteien hinzuwirken, Art. 126 I CPC VD. Die Tatsache, dass der Instruktionsrichter den Beweisbeschluss nach Art. 282 CPC VD erließ und selbst in der Vorbereitungsverhandlung in beschränktem Umfang Beweise abnehmen konnte, schließlich die Parteien zur Streitbeilegung ermutigen sollte und damit zur Verfahrensbeendigung beitragen konnte, erweckt den Eindruck weitreichender Befugnisse sowie einer recht einflussreichen Position des Instruktionsrichters und damit eine Nähe zum Instruktionsrichter italienisch-kanonischer Prägung. Allerdings war das erkennende Gericht nicht an den vom Instruktionsrichter erlassenen Beweisbeschluss gebunden. Vielmehr konnte es vom Instruktionsrichter abgelehnte Beweismittel ohne weiteres in der Hauptverhandlung abnehmen, Art. 291 CPC VD, und die bereits vorgenommene Beweisaufnahme selbst ergänzen, ohne erneut auf den Instruktionsrichter zurückkommen zu müssen. 166 Selbst die Befugnis, einzelne Beweise bereits in der Instruktionsverhandlung abzunehmen, beschränkte sich auf den Urkundenbeweis (Art. 176 I CPC) und die Inaugenscheinnahme von Gegenständen (Art. 244 CPC VD) und schmälerte damit die auf den ersten Blick recht weitgehenden Befugnisse des Instruktionsrichters. Der Zeugenbeweis hingegen wurde stets in der Hauptverhandlung vor dem erkennenden Gericht abgenommen, Art. 202 CPC VD.167 Ferner war das Prinzip 165

Vgl. Art. 288 CPC VD. Ein ähnlich ausgestaltetes Selbstvornahmerecht des Kollegialgerichts fand sich auch in der Luzerner Zivilprozessordnung in § 145 II ZPO LU, was gleichermaßen zu einer Schwächung der auf den ersten Blick weitreichenden Befugnisse des Instruktionsrichters führte. 167 Zwar war für das Verfahren vor der Cour Civile die Zeugenvernehmung durch den Instruktionsrichter in der Vorbereitungsverhandlung vorgesehen (Art. 317 I CPC VD), doch bestand auch hier weiterhin die Möglichkeit, die Beweisaufnahme nach Art. 291 CPC VD 166

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der Unmittelbarkeit auch bei einer in der Instruktionsverhandlung stattfindenden Beweisaufnahme deswegen gewahrt, weil es sich bei dem Instruktionsrichter stets um ein Mitglied des erkennenden Gerichts handelte. 168 Die Aufgaben des Instruktionsrichters waren daher in der Einleitungs- und Zwischenphase des Verfahrens lediglich formell-leitender Natur, um die anschließende Hauptverhandlung als Kern des Prozesses umfassend vorzubereiten, so dass diese ohne Unterbrechung zu einem Urteilsspruch führen konnte. Auch die wenigen Möglichkeiten, mit denen der Instruktionsrichter in gewisser Weise auf den materiellen Streitgegenstand einwirken konnte, beispielsweise mit der Aufforderung der näheren Präzisierung der Anträge nach Art. 265 II CPC VD oder bei der Klärung der streitigen Tatsachen im Rahmen der Instruktionsverhandlung nach Art. 280 I CPC VD, wiesen ihm keine derart umfassenden Befugnisse zu, die eine Gleichstellung mit dem italienisch-kanonischen Instruktionsrichter zuließen. Die Instruktionsverhandlung sowie deren Vorbereitung durch die Parteien und das Gericht sowie die Nachbereitung durch das Gericht konstituierten damit die Zwischenphase des waadtländischen Prozesses. Mangels starker Stellung des Instruktionsrichters und aufgrund der fehlenden Terminsequenz scheidet eine Zuordnung der Zwischenphase zum italienisch-kanonischen Prozessmodell aus. Die Aktivität von Gericht und Parteien, die auf die umfassende Vorbereitung der Hauptverhandlung gerichtet war, entspricht stattdessen weitgehend der Zwischenphase des Hauptverhandlungsmodells. (3) Die Stellung des Richters im Verfahren Die in den Art. 290 ff. CPC VD geregelte Hauptverhandlung war der Kern des waadtländischen Prozesses, obwohl die Regelungen hierzu im Gesetz recht

zu ergänzen beziehungsweise Teile hiervon, wie beispielsweise eine Zeugenvernehmung, vor dem erkennenden Gericht zu wiederholen, vgl. Poudret/Haldy/Tappy, Procédure Civile Vaudoise, Art. 317. 168 Dies ergibt sich aus der Zusammenschau von Art. 41 CPC VD i.V.m. der Loi vaudoise d’organisation judiciaire (12. Dezember 1979) sowie Art. 260 CPC VD. Art. 96 b I Loi vaudoise d’organisation judiciaire regelte, dass sich das tribunal d’arrondissement bei Streitwerten zwischen CHF 30 000 und CHF 100 000 aus dem président sowie zwei Richtern zusammensetzte, bei Streitwerten zwischen CHF 8 000 und CHF 30 000 entschied gemäß Art. 96 d II Loi vaudoise d’organisation judiciaire der président als Einzelrichter. Art. 260 CPC VD bestimmte, dass die Vorverhandlung von dem président oder von einem von diesem bestimmten Richter geleitet wird, so dass davon ausgegangen werden kann, dass einer der beiden Richter neben dem président bei einer Delegation der Instruktionsverhandlung die Funktion des Instruktionsrichters übernommen hat. Für den Fall, dass der président bei geringen Streitwerten als Einzelrichter zur Streitentscheidung berufen war, ergab sich aus Art. 319 I CPC VD mit Verweis auf Art. 339 I CPC VD aus der Formulierung „[…], le président assigne les parties à son audience à bref délai,“, dass der président selbst die Instruktionsverhandlung leitete.

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knapp gehalten waren. Die umfassende Zwischenphase mit der festen Institution einer Instruktionsverhandlung sowie die Regelung des Art. 292 I CPC VD, der, sofern möglich, eine ununterbrochene Hauptverhandlung bis zum Erlass des Urteils verlangte, verkörperten die Entscheidung des Gesetzes für den Konzentrationsgrundsatz. Danach sollte der Schwerpunkt des Verfahrens auf der Hauptverhandlung vor dem gesamten erkennenden Gericht liegen und die Streitsache aufgrund der umfassenden Vorbereitung durch die Einleitungs- und Zwischenphase in einem Termin mit einem Urteil erledigt werden. Neben der Erörterung des Sachverhalts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unter richterlicher Leitung und im Dialog mit den Parteien, die sich gemäß Art. 292 II CPC VD jederzeit äußern konnten, diente die Hauptverhandlung auch der Beweisaufnahme (Art. 292 I CPC VD) beziehungsweise der Ergänzung derselben (Art. 291 CPC VD). Auch wenn die Beweise zum Teil bereits in der Instruktionsverhandlung abgenommen waren, so war die Vernehmung von Zeugen jedoch der Hauptverhandlung vorbehalten (Art. 202 CPC VD), um allen Mitgliedern des erkennenden Gerichts die Möglichkeit unmittelbarer Wahrnehmung zur sachgerechten Bewertung der Aussage zu ermöglichen. Sofern in der Instruktionsverhandlung noch kein Vergleichsversuch vorgenommen wurde oder sich die Bewertung des Streitfalles dergestalt geändert hatte, dass sich die Chancen für eine gütliche Streitbeilegung in der Hauptverhandlung erhöht hatten, so konnte das Gericht gemäß Art. 126 I CPC VD einen erneuten Vergleichsversuch unternehmen. Wie auch die zuvor dargestellten Zivilprozessordnungen äußerte sich die waadtländische Prozessordnung recht ausdrücklich zu den richterlichen Leitungsbefugnissen. Bereits Art. 1 I CPC VD erklärte in einer Art Programmsatz, dass das Verfahren entsprechend der im Gesetz genannten Leitungsbefugnisse des Richters stattfindet. Damit war sowohl die formelle Prozessleitung im Wege von Fristsetzungen und die weitere äußere Gestaltung des Verfahrens angesprochen, als auch die begrenzte materielle Prozessleitung, welche im Gesetz nähere Ausgestaltung gefunden hatte. So konnte der Richter gemäß Art. 165 I CPC VD die Parteien in jedem Stadium des Verfahrens befragen. Inwieweit hiervon neben Fragen, die zur genauen Ermittlung des Sachverhalts und der von der Partei vertretenen Rechtsposition führen sollten, auch Hinweise in rechtlicher Hinsicht erfasst waren, ließ sich dem Gesetz nicht entnehmen. Auch die Literatur war hierauf nicht näher eingegangen. 169 Lediglich die Grenze dieser Fragepflicht wurde dergestalt umschrieben, dass der Richter bei

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Art. 165 I CPC VD fand im Zusammenhang mit der Frage- und Aufklärungspflicht vielmehr unberechtigterweise keine nähere Berücksichtigung. Weder waadtländische Rechtswissenschaftler noch Rechtswissenschaftler, die sich mit der Aufklärungs- und Fragepflicht im gesamten schweizerischen Rechtsraum beschäftigten, gingen auf Art. 165 I CPC VD ein.

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klaren und präzisen Aussagen einer Partei nicht auf eine Klageänderung hinwirken durfte. 170 Art. 265 II CPC VD, der ebenfalls häufig als Träger der richterlichen Aufklärungs- und Fragepflicht im waadtländischen Zivilprozessrecht genannt wird, 171 erteilte dem Richter die Befugnis, in jedem Verfahrensstadium auf eine Präzisierung der Parteianträge hinzuwirken. 172 Hierin dürfte wohl eine nähere Ausgestaltung der in Art. 165 I CPC VD festgelegten richterlichen Befugnis gesehen werden. Es wurde angenommen, dass der Umfang der in Art. 265 II CPC VD verankerten Fragepflicht der Regelung des Art. 3 II 2 1. Hs. des Bundesgesetzes über den Bundeszivilprozess von 4. Dezember 1947 173 entsprach, wonach der Richter die Parteien auf unzulängliche Rechtsbegehren aufmerksam machen sollte.174 Aus diesem Grund wurde vertreten, dass dem Richter neben einer Hilfestellung für den Kläger auch die Befugnis zustand, dem Beklagten für die effektive Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte Hinweise zu erteilen,175 um dadurch eine Gleichbehandlung der Parteien zu gewährleisten. In Bezug hierauf wird auch der Hinweis auf den Verjährungs- oder Aufrechnungseinwand genannt.176 Zieht man diese von der Literatur begründete Parallele zwischen Art. 3 II 2 1. Hs. des Bundesgesetzes über den Bundeszivilprozess und Art. 265 II CPC VD heran, so war die Frage- und Hinweispflicht des Richters im waadtländischen Zivilprozess von ähnlichem Umfang wie in den zuvor dargestellten kantonalen Prozessordnungen. Die Frage, ob es sich sowohl in Art. 165 I CPC VD als auch in Art. 265 II CPC VD tatsächlich um eine Verpflichtung des Richters zur Wahrnehmung dieser Befugnisse handelte, konnte dem Wortlaut nicht entnommen werden. Vielmehr ließ dieser aufgrund der Verwendung von „Recht“ (Art. 165 I CPC VD „Le juge a le droit, en tout état de cause, d’interpeller les parties.“) sowie 170

Poudret/Haldy/Tappy, Procédure Civile Vaudoise, Art. 165 Rn. 1. Sarbach, Die richterliche Aufklärungs- und Fragepflicht im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 39; Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, Rn. 540 (S. 313 Fn. 13); Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts und des internationalen Zivilprozessrechts der Schweiz, S. 169. 172 Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, Rn. 540 (S. 313 Fn. 13) bewertet die Regelung des Art. 265 II CPC VD als „sehr konzis“; der Kürze und Prägnanz sind aber wohl auch die Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Umfangs der Befugnis geschuldet. 173 Das Gesetz regelt das Verfahren vor dem Bundesgericht als einziger Instanz für Verfahren nach Art. 120 BGG (Bundesgerichtsgesetz), Art. 1 I Bundesgesetz über den Bundeszivilprozess. 174 Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts und des internationalen Zivilprozessrechts der Schweiz, S. 168. 175 Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts und des internationalen Zivilprozessrechts der Schweiz, S. 168. 176 Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts und des internationalen Zivilprozessrechts der Schweiz, S. 168. 171

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von „kann“ (Art. 265 II CPC VD „Le juge peut en tout état de cause inviter une partie à préciser ses conclusions.“) eher vermuten, dass es dem Richter überlassen war, inwieweit er den Parteien Hilfestellung geben wollte. Allerdings stand wohl auch hier die Ausübung dieses Rechts zumindest im pflichtgemäßen Ermessen des Richters, so dass die dem Wortlaut nach bestehende Freiheit doch begrenzt war.177 Ein weiteres Element der materiellen Prozessleitung war neben Art. 165 I CPC VD und Art. 265 II CPC VD in Art. 5 I CPC VD verankert. Obwohl dieser auf einen ersten, unbefangenen Blick denselben Regelungsgehalt wie Art. 214 I ZPO BE zu haben schien und damit dem Richter die Befugnis zuwies, auch von den Parteien nicht angebotene Beweismittel zu ermitteln und aufzunehmen,178 sollte Art. 5 I CPC VD in seiner Anwendung nicht so weitgehend sein. Vielmehr wurde im Zuge der Reform des waadtländischen Zivilprozessrechts 1966 eine derartige, dem Art. 214 ZPO BE vergleichbare Kompetenz diskutiert und war auch Teil des Vorentwurfs des conseil d’état. 179 Dieser wurde allerdings schlussendlich dergestalt abgewandelt, dass es dem Richter lediglich zustand, die Art des Beweismittels – beispielsweise den Zeugenbeweis – für eine bestimmte Tatsache zu verlangen. Es stand ihm hingegen nicht zu, die Zeugenaussage einer bestimmten Person beziehungsweise die Vorlage einer bestimmten Urkunde für den Beweis einer streitigen Tatsache zu verlangen.180 Art. 214 ZPO BE unterlag keiner derartigen Beschränkung, so dass mit Art. 5 I CPC VD zwar eine Erweiterung der materiellen Prozesseinleitung einherging, dieser jedoch ein deutlich begrenzter Rahmen als Art. 214 ZPO BE zukam. (4) Zwischenfazit Der waadtländische Zivilprozess stellte sich als eine Kumulation von Elementen des italienisch-kanonischen Prozessmodells und des Hauptverhandlungsmodells dar. Die Einleitungsphase war als Konsequenz eines sehr strikten Novenrechts von einem umfassenden Austausch von verfahrenseinleitenden Schriften, von einem beinahe exzessiven Formalismus und von Elementen des Parteibetriebs geprägt und wies damit eine deutliche Ähnlichkeit zu der Einleitungsphase des italienisch-kanonischen Prozessmodells auf. Dieser schloss sich eine Zwischenphase an, die aufgrund der aktiven Rolle von Gericht und 177 Hierzu kritisch Sarbach, Die richterliche Aufklärungs- und Fragepflicht im schweizerischen Zivilprozessrecht S. 38 ff., 44, der wohl trotz der Verwendung von „Recht“ und trotz des Modalverbs „können“ eine Verpflichtung des Richters annehmen will. Dem sich anschließend Hohl, La réalisation du droit et les procédures rapides, S. 49 f., 60. 178 Dies mag auch daher herrühren, dass Poudret/Haldy/Tappy, Procédure Civile Vaudoise, Art. 214 ZPO BE als Referenzvorschrift für Art. 5 CPC VD nennt. 179 Poudret/Haldy/Tappy, Procédure Civile Vaudoise, Art. 5 Rn. 1. 180 Visson, Droit à la production de pièces et discovery, S. 150; Poudret/Haldy/Tappy, Procédure Civile Vaudoise, Art. 5 Rn. 1.

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Parteien und der nur eingeschränkten Kompetenzen des Instruktionsrichters jedoch dem Hauptverhandlungsmodell zuzuordnen ist. Die Schlussphase bildete sodann eine in einem Termin konzentrierte Hauptverhandlung, die sich aufgrund der genannten materiellen Prozessleitungsbefugnisse durch eine aktive Rolle des Gerichts auszeichnete. Wie diese richterlichen Befugnisse im Alltag vor waadtländischen Gerichten jedoch tatsächlich umgesetzt wurden, bleibt mangels Auseinandersetzung in der Literatur weitgehend im Dunkeln. e) Der Kanton Wallis aa) Das ordentliche Verfahren gemäß §§ 125 ff. CPC VS181 (1) Einleitende Phase Anders als der waadtländische Prozess, jedoch im Einklang mit dem Zürcher, Luzerner und Berner Verfahrensrecht ging dem Verfahren vor den Walliser Gerichten ein Schlichtungsverfahren voraus, Art. 111 ff. CPC VS, 182 das vor der formellen Anrufung des Gerichts zur gütlichen Streitbeilegung führen sollte, Art. 116 I CPC VS. Ohne besondere Formalien zu berücksichtigen und ohne Kenntnis der verfügbaren Beweismittel, bemühte sich der Vermittler allein auf Grundlage des ihm mitgeteilten Sachverhalts um eine Schlichtung, Art. 116 I, II CPC VS. Scheiterte die Schlichtung, so erteilte der Vermittler dem zukünftigen Kläger die Klagebewilligung, welche diesen innerhalb von 60 Tagen seit Ausstellung zur Klageerhebung berechtigte, Art. 118 I 1, 2 CPC VS. 183 Im Einklang mit der Berner Regelung trat die Rechtshängigkeit erst mit Einreichung einer den Anforderungen der Art. 125 ff. CPC VS genügenden Klageschrift ein, Art. 73 I 1 CPC VS. Danach musste die Klageschrift die Anträge,184 eine präzise und wie im waadtländischen Prozess nummerierte Darstellung des der Klage zugrunde liegenden Sachverhalts enthalten sowie die hierfür zur Verfügung stehenden Beweismittel nennen, wobei nicht die Nennung des konkreten Beweismittels erforderlich war, sondern die Angabe der 181

Den nachfolgenden Ausführungen wurde der Code de Procédure Civile du Canton du Valais vom 24. März 1998, Stand 1. Januar 2008, zugrunde gelegt. 182 Ausweislich des Wortlauts von Art. 111 CPC VS sollte selbst einem beschleunigten Verfahren nach den Art. 300 ff. CPC VS ein Schlichtungsverfahren vorausgehen. Dies überrascht, ist es dem beschleunigten Verfahren doch immanent, unter größtmöglicher Beschleunigung zu einer Streiterledigung zu gelangen. 183 Zum Schlichtungsverfahren und seinen Wirkungen Ducrot, Le droit judiciaire privé valaisan, S. 220 ff. 184 Trotz der sich aus dem Wortlaut eindeutig ergebenden Verpflichtung, Anträge zu stellen, wurde contra legem vertreten, dass eine Klage auch dann zulässig sein sollte, wenn zwar keine Anträge gestellt wurden, sich das Rechtsbegehren aber ausdrücklich aus den tatsächlichen Behauptungen ergab, Ducrot, Le droit judiciaire privé valaisan, S. 232. Diese Auffassung hat das Kantonsgericht jedoch ausdrücklich abgelehnt, JdT 1998 III, 10 ff.

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Beweisart ausreichte. 185 Dabei galt wie im waadtländischen Zivilprozessrecht die Regelung, dass jede Behauptung nur ein Tatsachenelement enthalten durfte, 186 um auf diese Weise dem Beklagten eine präzise Klageantwort zu ermöglichen beziehungsweise eine klare Äußerung desselben zu erzwingen. Urkunden waren ebenfalls mit der Klageschrift bei Gericht einzureichen, Art. 127 lit. b CPC VS. 187 Darüber hinaus waren rechtliche Ausführungen nicht fakultativ, vielmehr verlangte Art. 126 I lit. f CPC VS eine präzise und von den Tatsachen getrennte Darstellung der rechtlichen Grundlage der Klage. Entsprechend der für die Klageschrift geltenden Anforderungen musste der Beklagte eine Klageantwort einreichen unter Nennung seiner Anträge, der Tatsachen, seiner Beweismittel sowie der rechtlichen Ausführungen, Art. 129, 130 CPC VS. Außerdem musste er die ihm zur Verfügung stehenden Urkunden einreichen, Art. 131 lit. b CPC VD. Darüber hinaus musste er sich ausdrücklich dazu äußern, ob er die einzeln aufgeführten Behauptungen des Klägers zugesteht, bestreitet oder unbeachtet lässt, Art. 130 I lit. c CPC VS. Der Austausch von Replik und Duplik erfolgte zwingend nur bei Einreichung einer Widerklage des Beklagten, Art. 132 II CPC VS, in den übrigen Fällen nur auf Parteiantrag oder auf richterliche Anordnung von Amts wegen, Art. 132 I CPC VS. Diese recht umfangreichen Schriftsätze, die neben tatsächlichen Behauptungen auch bereits die Rechtsstandpunkte der Parteien darlegten, dienten der umfassenden Information des Gerichts und der Parteien und ermöglichten auf dieser breiten Grundlage einen effizienten Verfahrensablauf. Die Tatsache, dass die Parteien bereits zu diesem Zeitpunkt über die rechtliche Auffassung der gegnerischen Partei informiert waren, konnte sich positiv auf die Vergleichsbereitschaft der Parteien und damit möglicherweise auch auf die Verfahrenskosten auswirken, konnten sie doch bereits zu diesem Zeitpunkt die Stichhaltigkeit der eigenen, aber auch der gegnerischen Position kritisch prüfen. (2) Zwischenphase Nach Beendigung des verfahrenseinleitenden Schriftenwechsels legte der zuständige Einzelrichter eine Frist für die obligatorische Vorbereitungsverhand-

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Ducrot, Le droit judiciaire privé valaisan, S. 396. Ducrot, Le droit judiciaire privé valaisan, S. 396. 187 Im Gegensatz zu Art. 127 lit. b CPC VS ließ Art. 143 II CPC VS auch eine Vorlage der Urkunden spätestens in der Vorverhandlung zu, obwohl Art. 127 lit. b CPC VS den Eindruck machte, zwingend zu sein. Die Rechtsprechung hatte das Verhältnis der beiden Vorschriften zum alten Recht dahingehend geklärt, dass Art. 127 lit. b CPC VS diejenigen Urkunden erfasste, die im Zeitpunkt der Klageerhebung für den Kläger bereits verfügbar waren, während Art. 143 II CPC VS jene Urkunden erfasste, auf die er erst nach Klageerhebung zugreifen konnte, RVJ 1990, 222, 225. Hierzu auch Ducrot, Le droit judiciaire privé valaisan, S. 397, 402. 186

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lung fest, Art. 139 CPC VS. In der Vorbereitungsverhandlung wurde unter persönlicher Anwesenheit der Parteien unter der Leitung des Richters der der Klage zugrundliegende Sachverhalt erörtert, Art. 140, 142 CPC VS. Anders als im waadtländischen Zivilprozess und damit in Umsetzung einer nicht ganz so strikten Eventualmaxime konnten die Parteien hier als letzte Möglichkeit auch in den verfahrenseinleitenden Schriftsätzen bisher nicht vorgetragene Tatsachen und Beweismittel in den Prozess einführen, Art. 143 I, 145 I CPC VS. Die Vorbereitungsverhandlung diente überwiegend der Vorbereitung der Beweisaufnahme, indem die zwischen den Parteien streitigen Tatsachen ermittelt und die zur Verfügung stehenden Beweismittel bestimmt wurden, Art. 144 I, II CPC VS. Neben der Leitung der Vorbereitungsverhandlung als Ausdruck der formellen Prozessleitung des Richters zeigte sich eine recht weitgehende materielle Prozessleitungsbefugnis ähnlich wie in Art. 214 ZPO BE in dem Recht des Richters, auch selbstständig die Abnahme von Beweisen zu veranlassen, die keine der Parteien vorgeschlagen hatte, Art. 145 II 1 CPC VS. Diese Befugnis fand ihre Grenzen nur darin, dass die Aktenlage Anlass dafür geben musste und dass die zusätzlichen Beweise zur Feststellung der materiellen Wahrheit erforderlich waren, Art. 145 II 2. Hs. CPC VS. Am Ende der Vorbereitungsverhandlung legte der Richter ähnlich einem Beweisbeschluss188 die streitigen Tatsachen und die jeweils für diese angebotenen Beweismittel fest, Art. 144 I, II CPC VS, und setzte den Parteien eine Frist zur Vorbereitung der Beweisaufnahme, namentlich der Einreichung der Fragen, die den benannten Zeugen und gegebenenfalls den Sachverständigen gestellt werden sollten, Art. 147 CPC VS. Im Anschluss an die Instruktionsverhandlung ging das Verfahren nicht direkt in die Hauptverhandlung mit einer dort stattfindenden Beweisaufnahme über; vielmehr erfolgte die Beweisaufnahme vor der Hauptverhandlung.189 Die Parteien konnten an der Beweisaufnahme teilnehmen, waren hierzu aber nicht verpflichtet, Art. 156 I CPC VS.190 Jedenfalls wurde ihnen das Protokoll der 188 Der Begriff des Beweisbeschlusses (ordonnance des preuves) wurde vom Gesetz nicht verwendet, obwohl der Gesetzgeber dem nachlässigen Festsetzen der streitigen Tatsachen und Beweismittel mit der Reform des Vorgängers von Art. 144 II CPC VS (Art. 167 aCPC VS) entgegenwirken wollte. Siehe hierzu Ducrot, Le droit judiciaire privé valaisan, S. 403. 189 Dies ergibt sich aus der systematischen Stellung der Regelungen in der Walliser Zivilprozessordnung. Zum einen fanden sich die Regelungen über die Beweisaufnahme unter dem zweiten Titel im zweiten Kapitel (De l’instruction de la cause), während sich die Regelungen über die Hauptverhandlung unter dem zweiten Titel im vierten Kapitel fanden. Zum anderen sah Art. 206 lit. b CPC VS für den Fall der Anordnung weiterer Beweise durch den Richter im Vorbereitungsverfahren (Art. 145 II CPC VS) die Ergänzung der Beweisaufnahme vor dem Kantonsgericht durch einen delegierten Richter vor. Vgl. auch Guldener, Schweizerisches Zivilprozeßrecht, S. 460. 190 Nach Guldener, Schweizerisches Zivilprozeßrecht, S. 463 erfolgte die Beweisaufnahme schon im Vorbereitungsverfahren. Dies musste aber nicht zwingend bedeuten, dass

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Beweisaufnahme zugestellt, so dass sie auch bei Abwesenheit bereits vor der Hauptverhandlung Kenntnis von den Ergebnissen der Beweisaufnahme erlangen konnten, Art. 158 I CPC VS. In dem Zeitraum zwischen der Vorbereitungsverhandlung und der Hauptverhandlung wurden sodann bei Bedarf Augenscheine durchgeführt, Sachverständigengutachten erstellt und dem Gericht zur Beweiswürdigung zugeleitet sowie Zeugen vernommen, Art. 164 ff. CPC VS. Lediglich für die Befragung von Zeugen verlangte die Walliser Zivilprozessordnung die Anwesenheit der Parteien, Art. 190 III 1 CPC VS. (3) Endphase Nachdem der Richter die Beweisaufnahme für beendet erklärt hatte, lud er die Parteien zur mündlichen Haupt- beziehungsweise Schlussverhandlung (débat final), sofern er zuständig war, 191 andernfalls übergab er den Fall an das Kantonsgericht, Art. 205 I CPC VS. Diesem gehörte er selbst nicht an, so dass die Beweisaufnahme von dem Prinzip der Mittelbarkeit geprägt war. 192 Dadurch, dass das Beweisergebnis bereits in der Hauptverhandlung bekannt war, diente diese letztlich allein den Stellungnahmen der Parteien zu den abgenommenen Beweisen und der Diskussion der Rechtsfragen. Zu diesem Zweck wurde jeder Partei zweimal das Wort erteilt, Art. 205 III 1 CPC VS, so dass die Hauptverhandlung im Wesentlichen von den Stellungnahmen sowie den Schlussanträgen der Parteien geprägt war. Darüber hinaus konnte das Kantonsgericht aber gemäß Art. 206 CPC VS eine Ergänzung der Beweisaufnahme vornehmen und weitere Beweise abnehmen lassen, sofern in Ausübung der Befugnis aus Art. 145 II CPC VS neue Beweismittel zur Klärung des Sachverhaltes abgenommen werden sollten. Wie in den Prozessrechten von Zürich, Luzern, Bern und Waadt waren auch dem Walliser Richter neben der formellen Prozessleitung in begrenztem Umfang materielle Prozessleitungsbefugnisse zugewiesen, die sowohl in der Zwischen- als auch der Schlussphase des Verfahrens von Bedeutung waren. Die formelle Prozessleitung äußerte sich darin, dass das Walliser Prozessrecht den diese in der Vorbereitungsverhandlung tatsächlich stattfand, da direkt im Anschluss an die Festlegung der Beweismittel insbesondere in Bezug auf den Zeugen-, Sachverständigen- und Augenscheinsbeweis eine unmittelbare Beweisaufnahme aus praktischen Gründen nicht durchgeführt werden konnte. Hierfür sprach im Übrigen auch Art. 147 CPC VS, der die Parteien im Nachgang der Vorbereitungsverhandlung zur Vorbereitung der Beweisaufnahme anhielt. 191 Der Einzelrichter war unter anderem gem. Art. 22 III lit. b CPC VS für vermögensrechtliche Streitigkeiten nach kantonalem Recht mit einem Streitwert von mindestens CHF 8 000 zuständig. 192 Guldener, Schweizerisches Zivilprozeßrecht, S. 464. Das Kantonsgericht war unter anderem zuständig für nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten mit Ausnahme des Familienrechts sowie für vermögensrechtliche Streitigkeiten nach Bundesrecht ab einem Streitwert von CHF 8 000.

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Richter mehrfach zu einer förderlichen Streiterledigung durch das Setzen angemessener Fristen verpflichtete193 und ihn mit entsprechenden Sanktionsbefugnissen gegen prozessverzögerndes Verhalten der Prozessbeteiligten ausstattete. 194 Die Befugnis, die Parteien auf Unklarheiten, Unvollständigkeit und fehlende Präzision in ihren Schriftsätzen und Anträgen hinzuweisen und ihnen die Gelegenheit zur Ergänzung zu geben, Art. 66 III CPC VS, konstituierte die materielle Prozessleitungsbefugnis des Richters. Die Grenze fand diese Befugnis aber in dem auch für die anderen kantonalen Prozessordnungen geltenden Grundsatz, dass der Richter lediglich unterstützend tätig werden durfte, nicht aber die Parteien von der Behauptungslast über Gebühr befreien durfte. 195 Der Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit wirkte ebenfalls einschränkend.196 Darüber hinaus war dem Richter gemäß Art. 145 II CPC VS ähnlich wie in Art. 214 der Berner Zivilprozessordnung die Befugnis zugewiesen, sowohl im Vorbereitungsverfahren als auch in der Hauptverhandlung weitere von den Parteien nicht vorgeschlagene Beweise aufzunehmen, sofern sich aus der Akte Anhaltspunkte ergaben, dass deren Aufnahme die Wahrheitsfindung positiv beeinflussen konnte. Hier drängte das Feststellen der materiellen Wahrheit den ansonsten geltenden und in Art. 63 I CPC VS ausdrücklich verankerten Verhandlungsgrundsatz zurück. Sofern die Streitsache entscheidungsreif war, erging das Urteil und die Urteilsformel wurde in öffentlicher Verhandlung verkündet, es sei denn, die Parteien hatten hierauf verzichtet, Art. 209 III CPC VS. Eine Ausfertigung des Urteils, dessen Inhalt sich nach Art. 213 I CPC VS richtete, wurden den Parteien innerhalb von 60 Tagen ab der Hauptverhandlung zugestellt, Art. 213 III CPC VS. bb) Einordnung (1) Die Verfahrenseinleitung Der ordentliche Prozess nach der Walliser Zivilprozessordnung war vergleichbar dem waadtländischen Prozessrecht von einer umfangreichen Einleitungsphase geprägt. Im Wesentlichen waren die verfahrenseinleitenden Schriftsätze von der Antragsstellung, der Darstellung der tatsächlichen Grundlagen sowie der Angabe der verfügbaren Beweismittel gekennzeichnet. Wie in der Zivilprozessordnung des Kantons Waadt war diese Phase von starker Formalisierung dergestalt geprägt, dass jede Tatsachenbehauptung separat aufzuführen war und damit eine klare und präzise Darstellung der in Rede stehenden Tatsa-

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Art. 36 III 2 CPC VS, Art. 129 CPC VS, Art. 132 III CPC VS, Art. 147 CPC VS. Art. 178 II CPC VS, Art. 189 I 2 CPC VS. 195 Ducrot, Le droit judiciaire privé valaisan, S. 300. 196 Hohl, La réalisation du droit et les procédures rapides, S. 52. 194

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chen dem Gegner eine ebenfalls präzise Antwort ermöglichte. Das fact pleading in einem so frühen Verfahrensstadium versetzte beide Parteien in die Lage, die Stichhaltigkeit der gegnerischen Ausführungen zu prüfen und den Fokus der Prozessvorbereitungen auch in beweisrechtlicher Hinsicht auf die tatsächlich streitigen Tatsachen zu richten. Darüber hinaus erzwang die Anforderung an die Klageerwiderung, sich durch die Verwendung bestimmter Worte197 zu den einzelnen Behauptungen des Klägers zu äußern, eine Klarheit der Aussagen, die den weiteren Verfahrensablauf insbesondere im Rahmen der nachfolgenden Instruktionsverhandlung entzerren und damit aufgrund der frühen Kanalisierung des Streitstoffes positiv beeinflussen konnte. Ferner wurde durch die vom Gesetz erzwungene Präzisierung und die dadurch eingedämmte Mehrdeutigkeit von Aussagen die nachfolgende Instruktionsverhandlung vereinfacht und damit insgesamt der Verfahrensablauf beschleunigt. Im Unterschied zum waadtländischen Zivilprozess unterlag das ordentliche Verfahren nach der Walliser Zivilprozessordnung keiner derart restriktiven Eventualmaxime, so dass auch außerhalb der verfahrenseinleitenden Schriftsätze neue Tatsachen vorgebracht werden konnten. Eine explizite Verankerung der Eventualmaxime war im Gesetz nicht auszumachen. Eine Zusammenschau von Art. 142 II 3 CPC VS sowie Art. 66 II CPC VS ließ aber den Schluss zu, dass die Instruktionsverhandlung der letztmögliche Zeitpunkt für einen neuen Tatsachenvortrag war. Art. 142 II 3 CPC VS legte fest, dass der Kläger in der Instruktionsverhandlung neue Tatsachen zu Protokoll geben kann, während Art. 66 II CPC VS den Vortrag neuer, erst im Laufe des Verfahrens zur Kenntnis einer Partei gelangter Tatsachen ausnahmsweise bis 10 Tage nach Schluss der Instruktion gemäß Art. 205 I 1 CPC VS zuließ. Macht man allerdings den Gedanken, den das Kantonsgericht bezüglich des Zeitpunkts für die Urkundenvorlage und des Verhältnisses von Art. 127 lit. b CPC VS und Art. 143 II CPC VS entwickelt hatte − dass der Kläger nämlich kein Recht zur verspäteten Vorlage von Urkunden hat, sofern er bereits in ihrem Besitz ist 198 − auch für den Tatsachenvortrag fruchtbar, so ergibt sich aus Art. 142 II 3 CPC VS i.V.m. Art. 66 II CPC VS die Instruktionsverhandlung als der letztmögliche Zeitpunkt für einen neuen Tatsachenvortrag. 199 Aus dem in Art. 62 I CPC VS verankerten Verbot treuwidrigen Verhaltens folgt auch, dass in den verfahrenseinleitenden Schriften alle bereits bekannten Tatsachen

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Art. 130 I lit. c CPC VS: „[…] Une détermination sur chacun des allégués articulés dans la demande par „admis“, „contesté“ ou „ignoré“, sans adjonction d’autres faits.“ 198 RVJ 1990, 222, 225 199 Zum selben Ergebnis gelangt Ducrot, Le droit judiciaire privé valaisan, S. 303 f., der eine Parallele zu Art. 145 I CPC VS zieht, welcher die Instruktionsverhandlung als letztmöglichen Zeitpunkt für die Einführung neuer Beweismittel festlegt, und auf die enge Verknüpfung von Tatsachenvortrag und Beweismittel hinweist.

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vorzutragen waren, so dass trotz eines etwas liberaleren Novenrechts ein Zwang zum vollständigen Tatsachenvortrag bestand. Neben der umfassenden Darstellung des den Schriftsätzen zugrunde liegenden Sachverhalts, mussten aber bereits in diesem Verfahrensstadium zwingend rechtliche Ausführungen gemacht werden, während in den bereits dargestellten kantonalen Prozessordnungen Rechtsausführungen in den verfahrenseinleitenden Schriftsätzen fakultativ waren. Dies war wohl dem weiteren Verfahrensablauf geschuldet, welcher keine Konzentration des prozessualen Geschehens auf eine umfassende Hauptverhandlung, sondern vielmehr ein sequenziertes Verfahren vorsah, so dass in der Schlussverhandlung allenfalls klarstellende Diskussionen über die Ergebnisse der Beweisaufnahmen sowie über die rechtlichen Ausführungen stattfinden sollten, nicht aber die erstmalige Erörterung der rechtlichen Grundlagen. Durch die Kombination ausführlicher Tatsachendarstellungen und rechtlicher Ausführungen kam der Einleitungsphase des Walliser Zivilprozessrechts erhebliche Bedeutung in Bezug auf das weitere Verfahren zu. Sie diente durch die Entlastung der weiteren Verfahrensschritte auch dem in der Zivilprozessordnung an unterschiedlichen Stellen zutage tretenden Beschleunigungsgrundsatz. Die umfangreichen Tatsachendarstellungen in den verfahrenseinleitenden Schriftsätzen, die den Beklagten umfassend über den Grund der Klage sowie den Kläger über die Stichhaltigkeit der Einwände des Beklagten informierten, lassen eine Zuordnung sowohl zum Hauptverhandlungs- als auch zum italienisch-kanonischen Verfahrensmodell zu. Das hohe Maß an Formalisierung, das ein wesentliches Element des italienisch-kanonischen Verfahrensrechts war, und die sich hieraus ergebende Rationalisierung der Prozessphase, rechtfertigen jedoch wie im waadtländischen Verfahrensrecht die Zuordnung der Einleitungsphase zum italienisch-kanonischen Verfahrensmodell. (2) Die Instruktionsverhandlung und die Beweisaufnahme Die Zwischenphase des ordentlichen Verfahrens nach der Walliser Prozessordnung wurde im Wesentlichen von der obligatorischen Instruktionsverhandlung sowie der in ihrem Nachgang stattfindenden Beweisaufnahme geprägt. Die Instruktionsverhandlung diente ausweislich des Gesetzes neben der Diskussion des Sachverhalts sowie der Festsetzung der streitigen beziehungsweise zugestandenen Tatsachen, Art. 142 ff. CPC VS, auch der Bezeichnung der konkreten Beweismittel, nachdem lediglich die Beweisart in den verfahrenseinleitenden Schriftsätzen angezeigt werden musste. Dem Instruktionsrichter, der die Verhandlung aktiv leitete und auf klare und präzise Äußerungen der Parteien hinwirken sollte, Art. 142 I CPC VS, stand hier ein Ergänzungsrecht der angebotenen Beweismittel zu, Art. 145 II CPC VS. Nach der Instruktionsverhandlung waren die Parteien aufgerufen, die von ihnen beabsichtigten Fragen an Zeugen und Sachverständige bei Gericht einzureichen, Art. 147 CPC VS, so

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dass sowohl dem Gericht, welches beispielsweise die Herausgabe von Urkunden von Dritten (Art. 165 I CPC VS) oder die Durchführung eines Augenscheins (Art. 170 I CPC VS) anordnen konnte, als auch den Parteien in diesem Verfahrensstadium eine aktive Rolle zugewiesen war. Die Instruktionsverhandlung der bisher dargestellten Kantone diente in den meisten Fällen der umfassenden Vorbereitung der Hauptverhandlung, in der sich das prozessuale Hauptgeschehen bündelte. Das Walliser Prozessrecht sah eine solche Konzentration auf eine umfassende Hauptverhandlung nicht vor, vielmehr war die Aufnahme der in der Instruktionsverhandlung festgelegten Beweise der Hauptverhandlung vorgelagert. Die Instruktionsverhandlung diente damit zwar der Vorbereitung, allerdings mehr der Vorbereitung der Beweisaufnahme als der tatsächlichen Schlussverhandlung. Die Beweisaufnahme erfolgte sodann in dem Zeitraum zwischen der Instruktionsverhandlung und der Hauptverhandlung. Zumindest für die Zeugenvernehmung, für welche das Gesetz die Anwesenheit der Parteien verlangte (Art. 190 III 1 CPC VS) musste damit ein zusätzlicher Termin anberaumt werden. Hier wird deutlich, dass die Walliser Zivilprozessordnung das Verfahren in verschiedene Verfahrensabschnitte unterteilte, so dass der Festlegung der Tatsachengrundlage und der Beweisaufnahme jeweils separate Termine zugewiesen waren. Abschließend erfolgte sodann ein Termin zur umfassenden Bewertung der gewonnenen Erkenntnisse in tatsächlicher, beweismäßiger und rechtlicher Hinsicht. Diese Sequenzierung des Verfahrens erinnert an das Reihenfolgeprinzip des italienisch-kanonischen Prozessmodells, das nahezu jeder Verfahrenshandlung einen eigenen separaten Termin vorbehalten hatte. Eine solche exzessive Sequenzierung wie in der ursprünglichen Gestaltung des Modells lag dem Walliser Recht zwar nicht zugrunde, doch die Wurzeln des Walliser Verfahrensmodells lassen sich durchaus auf das italienisch-kanonische Prozessmodell zurückführen. (3) Die Stellung des Instruktionsrichters Der Instruktionsrichter stellte aufgrund seiner besonderen Stellung eine Eigenart des Walliser Prozessrechts dar. Lag der zu behandelnde Fall in dem Kompetenzbereich des Instruktionsrichters gemäß Art. 22 III CPC VS, so ergaben sich keine Besonderheiten, da dieser dann von der Verfahrenseinleitung bis zum Erlass des Urteils an allen Prozessabschnitten beteiligt war, die Beweisaufnahme daher unter Aufrechterhaltung des Unmittelbarkeitsprinzips erfolgte. War jedoch das Kantonsgericht gemäß Art. 23 I CPC VS als einzige Instanz für die Entscheidung des Falles zuständig, so erfolgte die Einleitungsund die Zwischenphase und damit auch die Beweisaufnahme vor dem Instruktionsrichter, der dem Kantonsgericht als Kollegialgericht allerdings nicht angehörte. Dies ergab sich aus Art. 23 IV CPC VS i.V.m. Art 23 I lit. c CPC VS, wonach ein delegierter Richter des Kantonsgerichts für die Instruktion in all

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jenen Fällen zuständig war, in welchem Bundesrecht das Kantonsgericht als einzige Instanz vorsah. Dadurch, dass ausdrücklich nur für den Fall des Art. 23 I lit. c CPC VS ein delegierter Richter des Kantonsgerichts vorgesehen war und die Instruktionskompetenz in den übrigen Fällen des Art. 23 I CPC VS gemäß Art. 22 II 2. Hs. CPC VS dem Einzel- beziehungsweise Bezirksrichter (juge du district) zugewiesen war, ließ sich der Walliser Zivilprozessordnung eine gewisse Geringschätzung des Prinzips der Unmittelbarkeit in Fällen der Art. 23 I lit. a und b CPC VS vor dem Kantonsgericht entnehmen.200 Dass ein delegierter Richter das Vorbereitungsverfahren leitet, war und ist auch in anderen Rechtsordnungen außerhalb der Schweiz keine Besonderheit; dass jedoch eine an der Entscheidung schlussendlich völlig unbeteiligte Gerichtsperson das gesamte Verfahren bis zur Haupt- beziehungsweise Schlussverhandlung leitet, war und ist sehr selten. Zu berücksichtigen ist in Bezug auf das Walliser Verfahrensrecht weiterhin, dass die Schlussverhandlung einen recht reduzierten Inhalt hatte und lediglich der Diskussion der Beweisergebnisse sowie der Rechtsfragen diente, so dass der Einfluss des Instruktionsrichters auf die materielle Schlussentscheidung beträchtlich war. Neben der Beweisaufnahme kam ihm in der Instruktionsverhandlung auch die Befugnis zu, die Parteien auf unklare und unpräzise Ausführungen hinzuweisen sowie ihnen in einem engen Rahmen Hinweise zu erteilen, Art. 66 III CPC VS. Die Befugnis des Instruktionsrichters war jedoch dadurch eingeschränkt, dass auch das Kantonsgericht eine Ergänzung der Beweisaufnahme anordnen konnte, Art. 206 CPC VS i.V.m. Art. 145 II CPC VS. Diese konnte von einem juge cantonal durchgeführt werden, der als Einzelrichter entschied, oder von einem delegierten Richter, sofern der Fall in die Zuständigkeit eines Kollegialgerichts fiel. Anders als nach dem klassischen italienisch-kanonischen Prozessmodell konnte das Kantonsgericht jedoch die Ergänzung der Beweisaufnahme selbst vornehmen beziehungsweise einen delegierten Richter bestimmen. Eine Zurückverweisung an den ursprünglich hierfür gemäß Art. 22 II CPC VS zuständigen Einzel- beziehungsweise Bezirksrichter erfolgte hingegen nicht. Diese in ihrer Bedeutung recht geringe Modifikation des klassischen italienisch-kanonischen Modells kann nichts daran ändern, dass die Zwischenphase des ordentlichen Prozesses nach dem Walliser Zivilprozessrecht durch die Umsetzung der Mittelbarkeit der Instruktion im Verfahren vor dem Kantonsgericht sowie des sequenzierten Verfahrensablaufs starke Bezüge zum italienisch-kanonischen Prozessmodell aufwies. Dass sowohl das Gericht als auch die Parteien in der Zwischenphase des Verfahrens zur aktiven Mitarbeit bei der Wahrheitsfindung beziehungsweise der Vorbereitung derselben aufgerufen waren, stellt zwar ein Element des Hauptverhandlungsmodells dar, tritt aber aufgrund der überwiegenden italienisch-kanonischen Elementen in dieser Verfahrensphase in den Hintergrund. 200

Guldener, Schweizerisches Zivilprozeßrecht, S. 20, 463.

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(4) Die Stellung des Richters im Verfahren Anders als für das Zivilprozessrecht der Kantone Bern, Luzern und Waadt kann für das Walliser Zivilprozessrecht nicht davon gesprochen werden, dass die Hauptverhandlung den Kern des Verfahrens darstellte, auf die alle zuvor durchgeführten Verfahrensschritte ausgerichtet waren. Durch die vorgezogene Beweisaufnahme und die Reduzierung der Schlussverhandlung auf die Diskussion der Beweisergebnisse und gegebenenfalls der rechtlichen Grundlagen lässt sich kein Moment im Verfahren ausmachen, auf dessen Vorbereitung sämtliche unternommenen Maßnahmen konzentriert sind. Zwar ließe sich vertreten, dass die Schlussverhandlung deshalb umfassend vorbereitet war, weil die Ergebnisse der Beweisaufnahme bereits zu Beginn der Schlussverhandlung vorlagen. Allerdings steht hinter dem Konzept einer umfassenden Hauptverhandlung im Sinne des Hauptverhandlungsmodells der Gedanke der Konzentration des prozessualen Geschehens auf eine Verhandlung, die neben der Beweisaufnahme auch die Diskussion der Beweisergebnisse, der Rechtsfragen sowie Fragen bezüglich des Sachverhalts erfassen soll. Auch die Tatsache, dass die Schlussverhandlung nach Walliser Recht wohl häufig direkt eine Urteilsfällung ermöglichte, wie es dem Idealfall der Umsetzung des Hauptverhandlungsmodells zugrunde liegt, ermöglicht keine Zuordnung der Schlussphase des Walliser Zivilprozesses zum Hauptverhandlungsmodell, war die direkte Entscheidung des Rechtsstreits doch lediglich die logische Konsequenz des auf einer Terminsequenz basierenden Verfahrensmodells. Dem Richter stand auch im Walliser Zivilprozessrecht sowohl die formelle als auch die materielle Prozessleitung zu. Art. 63 IV CPC VS i.V.m. Art. 63 II CPC VS verkörperte die formelle Leitungsbefugnis des Richters in Bezug auf den äußeren Ablauf des Verfahrens und verpflichtete ihn, auf eine zügige Erledigung des Prozesses hinzuwirken. Die materielle Prozessleitung war sowohl in Art. 66 III CPC VS verankert, der den Richter ausweislich des Wortlautes verpflichtete, den Parteien Hilfestellung bei der Präzisierung ihrer Anträge und übrigen Eingaben zu geben, als auch in Art. 145 II CPC VS, der dem Gericht eine über die angebotenen Beweismittel der Parteien hinausgehende Beweisaufnahme ermöglichte. An dieser Stelle drängt sich eine Parallele zu der inhaltlich identischen Vorschrift der Berner Zivilprozessordnung, namentlich Art. 214 ZPO BE, auf, die den Richter ebenfalls zu einer freien Hinzuziehung weiterer Beweise ohne Antrag der Parteien berechtigte. Wie auch Art. 214 ZPO BE stellte Art. 145 II CPC VS eine gewisse Aushöhlung des Verhandlungsgrundsatzes und eine Annäherung an die Inquisitionsmaxime dar. Folglich stand die Vorschrift des Art. 145 II CPC VS in einem deutlichen Spannungsverhältnis zu Art. 66 I CPC VS, der den Verhandlungsgrundsatz verkörperte. 201. 201

Ducrot, Le droit judiciaire privé valaisan, S. 300.

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Hinsichtlich der Art und Weise, wie der Richter im Rahmen des Art. 66 III CPC VS bei Unvollständigkeit von Anträgen und sonstigen Eingaben Abhilfe schaffen konnte, stand ihm jedoch ein Wahlrecht zu, hieß es doch, dass er sich dem Mittel geeigneter Fragen bedienen könne, Art. 66 III 2 CPC VS. Die Erteilung von Hinweisen an Kläger und Beklagten zur umfassenden Rechtsverwirklichung war damit von dem Wortlaut ebenfalls erfasst. Inwieweit hiervon aber auch rechtliche Hinweise, wie beispielsweise der Hinweis auf eine bestehende Verjährungseinrede, erfasst waren, ließ sich ähnlich der Situation im Kanton Waadt weder dem Wortlaut entnehmen, noch äußerte sich die verfügbare Literatur konkret zum Walliser Prozessrecht. 202 Nichtsdestotrotz offenbarte sich in den genannten richterlichen Befugnissen wie in den anderen kantonalen Prozessordnungen eine Zurückdrängung203 des ansonsten geltenden und in Art. 63 I CPC VS ausdrücklich verankerten Verhandlungsgrundsatzes zugunsten der Feststellung der materiellen Wahrheit. (5) Zwischenfazit Das ordentliche Verfahren nach der Walliser Zivilprozessordnung wies in einzelnen Elementen wohl nicht zuletzt wegen der geographischen und sprachlichen Nähe Ähnlichkeiten mit dem waadtländischen Verfahren auf, 204 jedoch gleichzeitig auch Einzigartigkeiten, die wie die Mittelbarkeit der Beweisaufnahme in Verfahren vor dem Kantonsgericht eine Besonderheit im Konzert der kantonalen Rechtsordnungen darstellten.205 Fast identisch mit den waadtländischen Verfahrensregeln war die Einleitungsphase neben dem fact pleading auch von einem hohen Grad an Formalisierung geprägt, welche ein prägendes Element des italienisch-kanonischen Prozessmodells ist. Daran anschließend folgten eine Zwischen- und Schlussphase, die in ihrer äußeren Gestalt aufgrund der Terminsequenz von Instruktionsverhandlung, anschließender separater Beweisaufnahme sowie verfahrensabschließender Schlussverhandlung in deutlicher Nähe zum Reihenfolgeprinzip des italienisch-kanonischen Modells standen. Die hieraus resultierende, fehlende Konzentration des prozessualen Geschehens auf eine allumfassende Hauptverhandlung kann weder durch die Aktivität von Gericht und Parteien im Zwischenstadium des Verfahrens noch 202

Ducrot, Le droit judiciaire privé valaisan, S. 300 äußerte sich nur zu Hinweisen auf Unklarheiten bei der Darstellung des Sachverhalts und verwies im Übrigen auf die Ausführungen von Brönnimann, Die Behauptungs- und Substanzierungslast im schweizerischen Zivilprozessrecht, welcher sich ohne Fokus auf einen bestimmten Kanton im allgemeinen mit der richterlichen Fragepflicht beschäftigte (S. 66 ff.). 203 Brönnimann, Die Behauptungs- und Substanzierungslast im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 75 spricht hingegen bewusst nicht von einer Zurückdrängung der Verhandlungsmaxime, sondern vielmehr von ihrer Ergänzung. 204 So auch Guldener, Schweizerisches Zivilprozeßrecht, S. 463. 205 Guldener, Schweizerisches Zivilprozeßrecht, S. 20.

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durch die dem Gesetzeswortlaut nach einflussreiche Stellung des Richters eine Zuordnung des Walliser Verfahrensablauf zum Hauptverhandlungsmodell rechtfertigen. Die prägenden Elemente des Verfahrens weisen italienisch-kanonischen Charakter auf, hinter dem die wenigen Aspekte, die dem Hauptverhandlungsmodell zuzuordnen sind, zurücktreten müssen. 3. Zwischenergebnis Die Einordnung der dargestellten kantonalen Prozessordnungen macht deutlich, dass im Wesentlichen dieselben Prinzipien die Basis des ordentlichen Verfahrens bildeten. Die unterschiedliche Gewichtung von Elementen des italienisch-kanonischen Modells sowie Aspekten des Hauptverhandlungsmodells ist auf historisch bedingte Unterschiede in der kantonalen Rechtskultur sowie auf geographische und sprachliche Zugehörigkeiten zurückzuführen.206 Auch wenn bezüglich der Grundentscheidungen des Prozessrechts Einigkeit zwischen den Kantonen bestand, zeigen sich doch sowohl im Verfahrensablauf als augenfälligstem Merkmal eines Verfahrensrechts als auch in weniger auffallenden, aber bedeutenden Details erhebliche Unterschiede. Es liegt auf der Hand, dass diese unterschiedlichen prozessualen Regelungen über den Ausgang des Verfahrens und damit die Verwirklichung subjektiver Rechte entscheiden konnten. Am auffälligsten ist sicherlich die Entscheidung einiger kantonaler Gesetzgeber für eine Konzentration des prozessualen Geschehens in einer Hauptverhandlung, die im Idealfall aufgrund umfassender Vorbereitung zur Streiterledigung durch Urteil in einem Termin führt, wie dies in den Zivilprozessordnungen von Luzern, Bern und Waadt der Fall war. Andererseits waren jedoch auch dem italienisch-kanonischen Reihenfolgeprinzip folgende Verfahrensregelungen, namentlich im Kanton Wallis und teilweise auch im Kanton Zürich, vertreten. Die Frage, ob die Beweisaufnahme der Hauptverhandlung vorangehen (Wallis), Teil der Hauptverhandlung sein (Luzern, Bern, Waadt) oder der Hauptverhandlung nachfolgen sollte (Zürich), wurde von den kantonalen Gesetzgebern ebenfalls unterschiedlich beantwortet. Ob ein Sühneverfahren vor Klageerhebung obligatorisch sein sollte (Zürich, Luzern, Wallis) oder ob seine Durchführung im Ermessen der Parteien stand (Bern und Waadt) sowie der Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit waren ebenfalls Gegenstand unterschiedlicher Regelungen. Weiterhin fanden sich unterschiedliche Auffassungen in Bezug auf die Institution einer Instruktionsverhandlung beziehungsweise eines Vorbereitungs-

206 Die Anlehnung der deutschen Schweiz an das deutsche Zivilprozessrecht sowie der welschen Kantone und des Tessins an das französische Recht darstellend Kren Kostkiewicz, in: The Law of Evidence in the European Union, S. 437.

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verfahrens: Im Kanton Luzern und auch im Kanton Bern war die Instruktionsverhandlung207 so umfassend ausgestaltet, dass die anschließende Hauptverhandlung nahezu obsolet zu werden schien, während die obligatorische Vorbereitungsverhandlung des Kantons Wallis lediglich der Diskussion der Tatsachengrundlage sowie des Erlasses des Beweisbeschlusses diente. Im Zusammenhang hiermit unterlag auch die Stellung des Instruktionsrichters als beteiligte Gerichtsperson unterschiedlicher Ausgestaltung. Während nahezu überall der Instruktionsrichter ein delegierter Richter des entscheidenden Kollegialgerichts war und damit im Falle einer Beweisaufnahme in der Instruktionsverhandlung das Unmittelbarkeitsprinzip weitestgehend gewahrt wurde, hatte sich die Zivilprozessordnung des Kantons Wallis für Verfahren vor dem Kantonsgericht für eine der Hauptverhandlung vorgängige Beweisaufnahme nach dem Grundsatz der Mittelbarkeit entschieden, war der zuständige Instruktionsrichter doch nicht Teil des in der Schlussverhandlung entscheidenden Kollegialgerichts. Uneinheitliche Regelungen trafen die kantonalen Zivilprozessordnungen im Übrigen im Hinblick auf die Ausgestaltung der materiellen Prozessleitungsbefugnisse des Richters. Zum Teil wurde eine Frage- beziehungsweise Aufklärungspflicht statuiert (Zürich, Bern, Wallis). Andere Kantone hatten lediglich ein Frage- und Aufklärungsrecht des Richters in ihren Gesetzen verankert. Eine Bindung des Richters konnte sich aber daraus ergeben, dass er sein Ermessen pflichtgemäß auszuüben hatte (Luzern, Waadt). Dass an dieser Stelle eine große Diversität der kantonalen Regelungen bestand, kann jedoch nicht verwundern. Denn die Frage, inwieweit der Richter den Parteien bei der Sachverhaltsdarstellung Hilfestellung geben und sie auf rechtliche Versäumnisse hinweisen darf, ist seit Aufkommen dieses richterlichen Instruments Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Diskussionen und gerichtlicher Entscheidungen. Allerdings ist die Intensität, mit welcher sich die Prozessualisten der jeweiligen Kantone damit auseinandersetzten, doch recht unterschiedlich, wobei hier eine umfassendere Diskussion in den überwiegend deutschsprachigen Kantonen festzustellen war. Doch auch in den vorhandenen Diskussionen ist es nicht gelungen, den Umfang der Aufklärungs- beziehungsweise Hinweispflicht zu präzisieren. Eine Auseinandersetzung mit den einzelnen kantonalen Normen fand sich selten, vielmehr wurde zur Aufarbeitung dieser richterlichen Befugnis oftmals auf andere kantonale Prozessrechte oder generelle Überblickswerke verwiesen.208 Allerdings war der Umfang und die Ausübung der 207 Im Kanton Bern sprach man von der Vorbereitungsverhandlung, vgl. Kapitel 3 I 2 c aa) (2). 208 Ein Beispiel hierfür ist Brönnimann, Die Behauptungs- und Substanzierungslast im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 68 ff. Zum Zusammenspiel von Behauptungslast und Prozessmaximen Perret, in: Présence et actualité de la Constitution dans l’ordre juridique, S. 257 ff., 261 ff.

I. Das schweizerische Zivilprozessrecht bis zum 31. Dezember 2010

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Aufklärungspflicht aufgrund der im Detail unterschiedlichen Formulierungen der Aufklärungs- und Fragepflicht im Gesetz nicht nur eine interkantonale, sondern vielmehr auch eine intrakantonale Frage, liegt doch die Ausübung einer in Worte gefassten Befugnis immer auch im Ermessen des Normanwenders. 209 Neben der Anwendung sowie dem Umfang der Aufklärungs- beziehungsweise Fragepflicht wurden die materiellen Prozessleitungsbefugnisse des Richters aber in manchen Kantonen durch die sehr breite Möglichkeit ausgedehnt, nicht von den Parteien beantragte Beweise aufzunehmen, sofern dies für die Ermittlung der materiellen Wahrheit förderlich war. Neben Bern (Art. 214 ZPO BE) wies auch die Zivilprozessordnung des Kantons Wallis (Art. 145 II CPC VS) eine solche richterliche Befugnis auf, die die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzes zugunsten des Verhandlungsgrundsatzes aufgrund dieses sehr dem Untersuchungsgrundsatz zuneigenden Elements durchaus infrage stellen konnte. Die übrigen behandelten Kantone hingegen drängten bei dieser Frage die grundsätzliche Entscheidung zugunsten des Verhandlungsgrundsatzes nicht über Gebühr zurück. Wesentliche und vor allem für die Praxis bedeutsame Unterschiede zeigten sich auch bei der Gewichtung der einzelnen Prozessmaximen. So ließ die Berner Zivilprozessordnung die Ergänzung beziehungsweise Berichtigung von Tatsachen noch bis zu den Parteivorträgen in der Hauptverhandlung zu, während der Kanton Waadt die Eventualmaxime deutlich strenger umgesetzt hatte und sämtliche Tatsachen bis zum Ende der Einleitungsphase vorgetragen werden mussten. Neben einer unterschiedlichen Regelungsdichte in den Gesetzeswerken erschwerten nicht nur Unterschiede in terminologischer Hinsicht, sondern vielmehr auch Unterschiede in bedeutsamen Grundentscheidungen der kantonalen Prozessordnungen die Freizügigkeit der schweizerischen Rechtsanwälte. Zwar war diese nicht rechtlich eingeschränkt, vielmehr waren die Rechtsanwälte vor allen Gerichten der schweizerischen Eidgenossenschaft postulationsfähig. Allerdings resultierte aus den mannigfaltigen Kantonsprozessordnungen faktisch eine Beschränkung der Berufsausübung auf den Ausbildungskanton, konnte das Auftreten vor Gerichten eines anderen Kantons doch zu einem verhängnisvollen Unterfangen mit weitreichenden finanziellen Konsequenzen werden.210 Aus wissenschaftlicher Sicht stellt eine solche Diversität an Regelwerken für denselben Bereich innerhalb eines Bundesgebietes zwar eine Möglichkeit dar, 209

Hohl, La réalisation du droit et les procédures rapides, S. 50. Vgl. auch Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996, BBl. 1997 I, 1, 516; Sutter-Somm, in: Festschrift für Dieter Leipold zum 70. Geburtstag, S. 753, 755 spricht sogar von „Prozessfallen“ beim Prozessieren außerhalb des eigenen Kantons. Siehe auch Walder-Richli, in: Festschrift für Kostas E. Beys, Bd. 2, S. 1713, 1714; Vogel, AJP 1992, 459, 463. 210

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Kapitel 3: Das Zivilprozessrecht der Schweiz

bewusste oder unbewusste gegenseitige interkantonale Rezeptionen sowie den kulturellen Ursprung einzelner Regelungen zu erforschen. Allerdings gilt es zu beachten, dass die Weiterentwicklung des Rechts und die wissenschaftliche Bearbeitung bei kantonalen Regelungen früh Grenzen erreichen oder gar stagnieren kann. Im Interesse der Wissenschaft war daher ein breiterer Zugang zum Recht, wie ihn eine bundeseinheitliche Regelung schafft, ebenfalls positiv. 211 Allein bereits größere Ressourcen würden ein intensiveres Durchdringen der Materie sowie einen größeren wissenschaftlichen Diskurs erlauben. Die zuvor näher analysierten kantonalen Zivilprozessordnungen können daher als exemplarisch für die Diversität der rechtlichen Ausgestaltung des ordentlichen Verfahrens vor schweizerischen Zivilgerichten vor dem Inkrafttreten der vereinheitlichenden Reform am 1. Januar 2011 angesehen werden. Sie machen deutlich, dass Verschiedenartigkeit im Recht zwar ein kulturelles Gut ist, dass aber diese Unterschiede heutzutage gleichermaßen den interkantonalen Rechtsbetrieb erheblich erschweren können.

II. Das schweizerische Zivilprozessrecht ab dem 1. Januar 2011 II. Das schweizerische Zivilprozessrecht ab dem 1. Januar 2011

1. Die Entstehungsgeschichte a) Erste Vereinheitlichungsversuche Die Geschichte der Vereinheitlichung des schweizerischen Zivilprozessrechts ist eine Geschichte voller früher Vereinheitlichungsideen, kantonaler Widerstände, Stagnation, beachtlicher wissenschaftlicher Vorarbeiten sowie schlussendlich des Erlasses einer einheitlichen Zivilprozessordnung für die gesamte schweizerische Eidgenossenschaft. Die erste, allerdings ohne Erfolg gebliebene Diskussion einer Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts lässt sich bereits auf die Zeit der Helvetik (1798−1803) datieren.212 Im Zuge des Vorsatzes, das bisher der kantonalen Gesetzgebung zugewiesene materielle Zivilrecht zu vereinheitlichen, wurde das zuvor gescheiterte Vorhaben eines einheitlichen Zivilprozessrechts bei den Vorbereitungen einer Verfassungsrevision 1868 bis 1872 erneut auf Veranlassung des schweizerischen Juristenvereins aufgenommen. Es war in der Nationalratskommission sowie dem National- und Ständerat auch Gegenstand ausführlicher Bearbeitungen, gleichzeitig aber auch kontroverser Diskussionen.213 Dabei sprachen sich überwiegend deutschsprachige Kantonsvertreter für die 211

Siehe hierzu BBl. 2006, 7221, 7222. Schurter/Fritzsche, Das Zivilprozessrecht der Schweiz, Band 1: Das Zivilprozessrecht des Bundes S. 158, 161; Walther, ZSR 124 (2005) II, 301, 302. 213 Hierzu ausführlich Sutter, Auf dem Weg zur Rechtseinheit im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 4 ff., 16 Fn. 64, 32 ff. 212

II. Das schweizerische Zivilprozessrecht ab dem 1. Januar 2011

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Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts aus, während sich die Opposition zumeist aus Vertretern der französischsprachigen Kantone formierte. 214 Aus diesem Grund war eine endgültige Kompetenzzuweisung auf dem Gebiet des Verfahrensrechts in dem Entwurf für die Verfassungsrevision auch nicht konsensfähig, so dass sich letztlich der Kompromiss durchsetzte, dass die Kantone bis zum Erlass von Bundesgesetzen über das Zivil- und Zivilprozessrecht zur Gesetzgebung befugt bleiben sollten.215 Dieser Änderungsentwurf scheiterte jedoch in der Volksabstimmung vom 12. Mai 1872 sowohl auf Grundlage der abgegebenen Stimmen des schweizerischen Volkes als auch in der Abstimmung der Stände, 216 so dass trotz der langjährigen Vorbereitungen und Verhandlungen eine Vereinheitlichung von materiellem Zivilrecht und Zivilprozessrecht vorerst gescheitert war. Vermutet wurde, dass der grundsätzlich bestehende Konsens hinsichtlich einer Vereinheitlichung des materiellen Rechts aufgrund der Kontroverse um die Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts und der Gefahr der Beeinflussung der in der Kompetenz der Kantone stehenden und dort auch verbleibenden Gerichtsorganisation letztlich zum Scheitern der Verfassungsrevision beigetragen hat.217 Die in der direkten Folgezeit (1872−1874) wieder aufgenommenen Bemühungen für eine Verfassungsrevision klammerten daher eine Vereinheitlichung des klassischen Zivilprozessrechts vorerst aus und widmeten sich erfolgreich der Schaffung einer Bundeskompetenz für bestimmte Bereiche des Zivilrechts sowie für das Schuldbeitreibungs- und Konkursrecht.218 Die Regelungskompetenz für die gerichtliche Organisation sowie das Verfahrensrecht blieb hingegen bei den Kantonen, war das Interesse, auch in diesem Bereich Einheit zu schaffen, nach der an der Idee eines einheitlichen Zivilprozessrechts gescheiterten Verfassungsrevision von 1872 doch vorerst abgeflacht. Nur wenige Jahre später jedoch kam es 1898 zu einer erneuten Verfassungsänderung dahingehend, dass dem Bund die Kompetenz für das gesamte materielle Zivilrecht übertragen wurde. Hintergrund war, dass bereits kurz nach der Verfassungsänderung 1874 die Schaffung eines umfassenden materiellen Zivilrechts erneut die wissenschaftlichen Diskussionen beherrschte219 und Eugen Huber 214 Sutter, Auf dem Weg zur Rechtseinheit im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 32−35; Walther, ZSR 124 (2005) II, 301, 302. 215 Protokoll über die Verhandlungen des Schweizerischen Nationalrathes betreffend Revision der Bundesverfassung 1871/1872, 556. 216 BBl. 1872 II, 358 ff. 217 Sutter, Auf dem Weg zur Rechtseinheit im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 39. 218 Walther, ZSR 124 (2005) II, 301, 302 f. 219 Karl Hilty, ein Berner Professor, stellte auf der Jahresversammlung des Schweizerischen Juristenvereins neben Gustav König, ebenfalls ein Berner Professor, einen Antrag auf Ausarbeitung einer einheitlichen Zivilrechtskodifikation, die erneut die Kodifizierung eines einheitlichen Zivilprozessrechts vorsah, und stieß damit auf erheblichen Widerstand, ZSR 2 (1883), 624, 650 ff.

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Kapitel 3: Das Zivilprozessrecht der Schweiz

mit der Ausarbeitung eines einheitlichen materiellen Zivilrechts beauftragt wurde. 220 Nach der gescheiterten Schaffung einer Bundeskompetenz für das Zivilprozessrecht 1872 waren erfolgversprechende Vereinheitlichungsbestrebungen in diese Richtung versiegt. Zwar war die Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts vereinzelt noch Thema auf Tagungen, 221 doch diese Idee für eine praktische Umsetzung wurde zunächst nicht mehr aufgegriffen. Vielmehr lässt sich eine deutliche Fokussierung der schweizerischen Gesetzgebungstätigkeit auf das materielle Zivilrecht erkennen.222 Das Scheitern der Vereinheitlichungsbemühungen hinsichtlich des Zivilprozessrechts 1872 sowie die Schwierigkeit, dieses Thema erneut in fruchtbare wissenschaftliche Diskussionen zu integrieren, kann symptomatisch dafür herangezogen werden, welche Umwälzung eine solche Veränderung für das schweizerische Rechtsleben bedeutet hätte und nach den neuen erfolgreichen Reformanfängen am Ende des 20. Jahrhunderts auch tatsächlich bedeutet hat. b) Wissenschaftliche Aufarbeitung der Vereinheitlichungsidee in der Folgezeit So wenig sich die Rechtswissenschaftler und Praktiker aller Kantone für eine Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts begeistern konnten, so wenig konnten sie allerdings von dieser Idee ablassen. Zwar avancierte die Idee eines einheitlichen schweizerischen Zivilprozessrechts nicht zu einem Thema von allgegenwärtiger Präsenz, doch eine unterschwellige Aktualität der Diskussion zu Beginn des 20. Jahrhunderts kann nicht geleugnet werden. Bereits zur Jahrhundertwende wurde ähnlich den Vorarbeiten Eugen Hubers für die Vereinheitlichung des Privatrechts auf dem Schweizerischen Juristentag eine umfassende, auf Kantonsebene rechtsvergleichende Untersuchung der Zivilprozessrechte beschlossen.223 In der Folgezeit erarbeiteten Emil Schurter und nach dessen Tod Hans Fritzsche eine Übersichtsdarstellung zu den kantonalen Rechtsentwicklungen und der jeweiligen Prozesspraxis. 224 Die Fertigstellung der Übersichtswerke in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts löste jedoch

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Sutter, Auf dem Weg zur Rechtseinheit im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 47. Zum Beispiel auf dem 36. Juristentag in Chur wurden Vorträge zur Frage gehalten, ob in Bezug auf das Zivilprozessrecht zumindest ein einheitliches Gerichtsstandsgesetz erlassen werden sollte, Roguin, ZSR 17 (1898), 697 ff.; Ganzoni, ZSR 17 (1898), 735 ff. 222 Walder, plädoyer 6/06, 36. 223 ZSR 19 (1900), 681, 721. 224 Schurter/Fritzsche, Das Zivilprozessrecht der Schweiz, Band 1: Das Zivilprozessrecht des Bundes (1924), Band 2 Erste Hälfte: Die geschichtlichen Grundlagen der kantonalen Rechte (1931), Band 2 Zweite Hälfte: Letzte Wandlungen und heutiger Stand der kantonalen Rechte (1933). Zu dieser Entwicklung Walder, plädoyer 6/06, 36, 37; Sutter, Auf dem Weg zur Rechtseinheit im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 57. 221

II. Das schweizerische Zivilprozessrecht ab dem 1. Januar 2011

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trotz der Zuhilfenahme derselben Methode wie bei den Vorarbeiten zur materiellen Privatrechtsvereinheitlichung keinen vergleichbaren Enthusiasmus aus, der in einer ernsthaften, praktischen Umsetzung der Vereinheitlichungsidee mündete. 225 Nichtsdestotrotz verfasste Max Guldener in der Folgezeit eine „meisterhafte Zusammenstellung der Verfahrensregeln in Zivilsachen“ 226, die 1947 erschien und für die Erarbeitung der einheitlichen Zivilprozessordnung um die Jahrtausendwende von unschätzbarem Wert war. 227 Erst die Feier des hundertjährigen Bestehens des Schweizerischen Juristenvereins 1961 brachte das zersplitterte Zivilprozessrecht wieder in das Bewusstsein der Schweizer Juristen, allerdings nicht im Wege bisheriger purer Vereinheitlichungsbestrebungen, sondern in Diskussionen um das Verhältnis von Bundesprivatrecht und kantonalem Zivilprozessrecht. Guldener selbst vertrat dort die Auffassung, dass von einer vereinheitlichenden Kodifikation schon allein deswegen abgesehen werden müsste, weil die kantonalen Regelwerke genügend ausgereift wären und der Bundesgesetzgeber durch die Wahrnehmung seiner Kompetenz, prozessuale Vorschriften insoweit zu erlassen, wie sie für die Durchsetzung des materiellen Rechts erforderlich sind, einen soliden Rahmen geschaffen habe. 228 Von dieser Bundeskompetenz sah er aufgrund einer recht extensiven Auslegung jedoch auch die Befugnis des Bundesgesetzgebers erfasst, das Beweisrecht umfassend einheitlich zu regeln.229 Mithin plädierte Guldener für eine partielle Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts. Ähnlich äußerte sich Voyaume, welcher die föderalistische Staatsstruktur der Schweiz bemühte, die eine Vereinheitlichung verbiete. Gleichzeitig griff er ebenfalls Guldeners Vorschlag eines vereinheitlichten Beweismittelrechts auf, dessen Realisierung mit Blick auf die Autonomie der Kantone im Wege eines Konkordats am schonendsten erfolgen könnte. 230 Das große Konfliktpotential dieses Themas offenbarte sich in der anschließenden Diskussion, in der sich die Befürworter einer umfassenden Vereinheitlichung und die Gegner derselben

225 Sutter, Auf dem Weg zur Rechtseinheit im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 57; Fritzsche, Der schweizerische Juristenverein 1861−1960, S. 170 konstatierte bezugnehmend auf die Fertigstellung der rechtsvergleichenden Darstellung der kantonalen Prozessrechte von Schurter/Fritzsche: „Dem Zivilprozeßwerk war damit der Wind aus den Segeln genommen. Es konnte nur noch einige Spezialisten interessieren.“ Das Interesse an einer Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des Zivilprozesses war zu diesem Zeitpunkt damit bereits deutlich abgeschwächt, obwohl nun eine sehr fundierte rechtsvergleichende Grundlage für eine Rechtsvereinheitlichung geschaffen war. 226 Walder, plädoyer 6/06, 36, 37. 227 Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 1. Auflage, Zürich 1947, 2. Auflage, Zürich 1958, 3. Auflage, Zürich 1979. 228 Guldener, ZSR 80 (1961) II, 1, 66. 229 Guldener, ZSR 80 (1961) II, 1, 66. 230 Voyame, ZSR 80 (1961) II, 67, 180, 181.

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Kapitel 3: Das Zivilprozessrecht der Schweiz

heftige Wortgefechte lieferten.231 Die anschließende Abstimmung führte wiederum lediglich, aber doch immerhin zum Ergebnis, dass die Frage der Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts weiterhin behandelt und gefördert werden sollte. 232 Eine Beschränkung der Vereinheitlichung auf das Beweisrecht fand, wie von Guldener und Voyame vorgeschlagen, aufgrund der weiteren Vermischung von Bundes- und Kantonsrecht und der dadurch eintretenden Verkomplizierung keine Mehrheit. In der Folge wurden stets aufs Neue unterschiedlich weitgehende Entwürfe vorgestellt, die wie zuvor zu Diskussionen zwischen Befürwortern und Gegnern führten. Weder der von Paul Schwartz verfasste „Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend die Anpassung der kantonalen Zivilprozessverfahren an das Bundeszivilrecht“,233 noch die von Peter Schaad konzipierten „Grundlinien einer schweizerischen Zivilprozessordnung“234 konnten sich allerdings dergestalt durchsetzen, dass eine Verfassungsänderung in greifbare Nähe gelangte.235 Ein Grund hierfür war mitunter ein großer Widerstand der romanischen Kantone sowie des Tessins, die die Sinnhaftigkeit und Erforderlichkeit einer bundeseinheitlichen Zivilprozessordnung in einem Bericht zu dem von Paul Schwartz verfassten Entwurf infrage stellten. 236 Nicht wenig zum erneuten Scheitern des Eintretens in ein Gesetzgebungsverfahren trugen auch Unklarheiten darüber bei, ob die Bundesverfassung überhaupt ein Bundesgesetz betreffend die Anpassung der kantonalen Zivilprozessverfahren an das Bundeszivilrecht zuließ.237 Schließlich wurde die Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Kantonen auf dem Gebiet des Zivilverfahrensrechts ein weiteres Mal im Zusammenhang mit einer geplanten Totalrevision der Bundesverfassung in den Fokus der Rechtswissenschaft gerückt. 238 Dadurch, dass der Verfassungsentwurf die geplante Bundeskompetenz jedoch nicht klar umriss, vielmehr aufgrund der völlig neuen Kompetenzverteilung beachtliche Unklarheiten hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenzen im Ganzen und damit auch in Bezug

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ZSR 80 (1961) II, 408 ff.; Sutter, Auf dem Weg zur Rechtseinheit im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 59 f. 232 ZSR 80 (1961) II, 448. 233 ZSR 88 (1969) II, 242 ff. 234 Schaad, ZSR 88 (1969) II, 21 ff. 235 Ausführlich hierzu Sutter, Auf dem Weg zur Rechtseinheit im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 62−72. 236 Ein Ausschnitt des Berichts der romanischen Kantone und des Tessins findet sich in ZSR 88 (1969) II, 994, 1002, 1051 f. 237 ZSR 88 (1969) II, 948, 952 (Votum Walder), 953, 954 (Votum Poudret), 958 (Votum Hefti), 980, 981 (Votum Bridel) u.a. Vgl. hierzu auch Sutter, Auf dem Weg zur Rechtseinheit im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 69 Fn. 412. 238 Der Verfassungsentwurf ist abgedruckt in BBl. 1985 III, 161 ff.

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auf das Verfahrensrecht bestanden, scheiterte der Entwurf an dem großen Widerstand der Kantone, die aufgrund der neuen Kompetenzvermutung zugunsten des Bundes um ihren Einfluss in wichtigen Kernbereichen bangten. 239 c) Die gesetzgeberische Umsetzung der Vereinheitlichungsidee Nach zahlreichen gescheiterten Anläufen, auf Verfassungsebene den Boden für ein einheitliches Zivilprozessrecht zu schaffen, erhielten die Befürworter einer Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts, die nie ganz verstummt waren, durch die Entwicklungen auf internationaler Ebene Unterstützung. Sowohl das Inkrafttreten des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht 1989 240 als auch die Ratifikation des Lugano-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ) drei Jahre später schärften das Bewusstsein im Hinblick auf die Vereinheitlichung zivilprozessualer Materien. So mehrten sich fortan Stimmen, die sich in Anlehnung an das LugÜ für eine Schaffung eines einheitlichen eidgenössischen Gerichtsstandsgesetzes und damit zumindest für ein partiell vereinheitlichtes Zivilprozessrecht aussprachen, 241 um damit einer Benachteiligung schweizerischer Bürger mit Blick auf die Vereinheitlichung auf internationaler Ebene zuvor zu kommen. 242 Insbesondere der der Schweiz zugestandene Vorbehalt, in den ersten 10 Jahren nach Ratifizierung des LugÜ ergangene Entscheidungen, die allein auf Art. 5 Nr. 1 LugÜ gestützt waren, nicht anzuerkennen, machte den Erlass bundeseinheitlicher Gerichtsstandsregelungen erforderlich.243 Der dort behandelte Gerichtsstand des Erfüllungsortes verstieß gegen die in Art. 59 der damaligen Bundesverfassung statuierte Gerichtsstandsgarantie des Wohnsitzkantons. Durch Zeitablauf tauchte damit das Problem auf, dass die Kantone aufgrund der verfassungsrechtlichen Gerichtsstandsgarantie einen von Art. 5 Nr. 1 LugÜ vorgesehenen Gerichtsstand nicht anbieten konnten, obwohl dieser auf internationaler Ebene existierte.244 Aus diesem Grund wurde dem Bund im Zuge der Verfassungsrevision vom 18. April 1999 die Befugnis erteilt, auf dem Gebiet der örtlichen Zuständigkeit zu 239

Die verwirrende Kompetenzregelung in Bezug auf das Verfahrensrecht ausführlich darstellend Sutter, Auf dem Weg zur Rechtseinheit im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 71; Furgler, ZSR 97 (1978) I, 231, 234 f. 240 Hierzu umfassend Stürner, in: Festschrift für Karl Heinz Schwab zum 70. Geburtstag, S. 465 ff. 241 Eine sehr deutliche Äußerung findet sich bei Poudret, in: Droit Cantonal et Droit Fédéral, S. 233, 270. 242 BBl. 2006, 7221, 7234; Stürner, in: Festschrift für Karl Heinz Schwab zum 70. Geburtstag, S. 465, 485; Walther, ZSR 124 (2005) II, 301, 305; Sutter-Somm, in: Festschrift für Dieter Leipold zum 70. Geburtstag, S. 753, 758 f.; Walder, plädoyer 6/06, 36, 38. 243 Zur Kollision von Art. 5 Nr. 1 LugÜ und Art. 59 aBV siehe Walther, ZZPInt 5 (2000), 295, 299 ff. 244 Walther, ZSR 124 (2005) II, 301, 306.

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legiferieren.245 Im Folgenden wurde auf früheren Entwürfen eines einheitlichen Gerichtsstandsgesetzes aufgebaut, so dass zum 1. Januar 2001 ein bundesweit einheitliches Gerichtsstandsgesetz (GestG) in Kraft trat. 246 Mit dem Erlass des Gerichtsstandsgesetzes hatte die Schweiz einen sehr großen Schritt in der über ein Jahrhundert dauernden Diskussion um eine Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts gemacht, der ein positives Klima für neue Vereinheitlichungsbestrebungen bezüglich eines einheitlichen Zivilprozesses geschaffen hatte. Dieses Klima wurde sodann aufgegriffen und mündete im Bundesbeschluss zur großen Justizreform vom 8. Oktober 1999, 247 der schließlich auch die Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts umfasste.248 Im Wege einer Verfassungsänderung aufgrund der Volksabstimmung vom 12. März 2000, in der der Bundesbeschluss von Volk und Ständen mit großer Zustimmung angenommen worden war, 249 wurde dem Bund sodann die Kompetenz für die Gesetzgebung auf dem gesamten Gebiet des Zivilprozessrechts zugewiesen, Art. 122 I BV. Die Kompetenz der Kantone für die Gerichtsorganisation und die Rechtsprechung blieben jedoch unangetastet, so dass sich die Befürchtung eines übermäßigen Kompetenzverlusts, die zahlreiche Kantone während der über einhundertjährigen Entwicklungsphase immer wieder zu Widerstand gegen ein vereinheitlichtes Zivilverfahrensrecht veranlasste, nicht realisierte. d) Vom Vorentwurf bis zum Inkrafttreten der schweizerischen Zivilprozessordnung Bereits vor der Volkabstimmung über die große Justizreform wurde im April 1999 eine Expertenkommission aus namhaften Professoren sowie Vertretern der Verwaltung, Justiz und Anwaltschaft eingesetzt und mit dem Auftrag betraut, einen Vorentwurf für eine gesamtschweizerische Zivilprozessordnung zu

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Art. 30 II BV: Jede Person, gegen die eine Zivilklage erhoben wird, hat Anspruch darauf, dass die Sache vom Gericht des Wohnsitzes beurteilt wird. Das Gesetz kann einen anderen Gerichtsstand vorsehen. 246 Zur Geschichte des Gerichtsstandsgesetzes Walther, ZZPInt 5 (2000), 295, 307 ff. 247 BBl. 1999, 8633 ff. Zur großen Justizreform ausführlich Kälin/Rieder, ZZPInt 5 (2000), 325, 327 ff. 248 Die große Justizreform umfasste neben der Schaffung einer einheitlichen Zivilprozessordnung auch die Vereinheitlichung des Strafprozessrechts sowie die Neuregelung des Verfahrens vor dem Bundesgericht, BBl. 2006, 7221, 7235. 249 BBl. 2000, 2990.

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erarbeiten. 250 Nach nur etwas mehr als drei Jahren konnte die Kommission bereits im Oktober 2002 den Vorentwurf dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement überreichen.251 Nach den Entwurfsverfassern sollte der Vorentwurf zwar den Vorschlag für eine bundeseinheitliche Zivilprozessordnung darstellen, jedoch gleichzeitig an die kantonalen Traditionen anknüpfen und aus den Erfahrungen der Kantone schöpfen. Eine Prozessordnung eines bestimmten Kantons sollte jedoch nicht zum Vorbild genommen werden,252 vielmehr sollte die Veränderung von den bisherigen kantonalen Verfahrensordnungen zur bundeseinheitlichen Zivilprozessordnung „ein möglichst gleich langer Weg für alle Kantone“ 253 sein. In Punkten, in denen große Unterschiede bei den kantonalen Prozessordnungen bestanden, sollte zu diesem Zweck ein Kompromiss gefunden werden. 254 Um den Bedürfnissen der praktischen Rechtsanwendung und den Entwicklungen der Lebenswirklichkeit gerecht zu werden, sollte sich das Gesetzeswerk durch eine offene Sprache und ohne Hang zu „erschöpfende[m] Perfektionismus“255 auszeichnen. Der Mut zur Lücke sollte als Element der schweizerischen Rechtstradition die notwendige Flexibilität und ein hinreichendes Maß an Aktualität der Prozessordnung ermöglichen. 256 Als weiterer Kernpunkt des Vorentwurfs sollte ferner die vertikale Rechtszersplitterung dadurch bekämpft werden, dass die in zahlreichen materiellen Bundesgesetzen verstreuten prozessualen Regelungen in die neue Zivilprozessordnung inkorporiert und das materielle Recht insoweit bereinigt werden.257 Zudem sollte das zuvor erlassene Gerichtsstandsgesetz in die Zivilprozessordnung integriert werden. Im Übrigen verfolgte der Vorentwurf – wie bei Reformen des Zivilprozessrechts üblich – die Ziele der Gewährung effektiven Rechtsschutzes, der Schaffung von Rechtssicherheit und der Senkung der Verfahrenskosten. Der Vorentwurf war Gegenstand ausführlicher wissenschaftlicher Diskussion258 sowie eines breit angelegten Vernehmlassungsverfahrens im Juni bis 250 Die beteiligten Personen sind in der Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung namentlich aufgeführt, vgl. BBl. 2006, 7221, 7235. 251 Der Vorentwurf kann auf der Homepage des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements unter http://www.ejpd.admin.ch/dam/data/bj/staat/gesetzgebung/archiv /zivilprozessrecht/ve-ber.pdf abgerufen werden (zuletzt abgerufen am 19.10.2015). 252 Sutter-Somm, BJM 2003, 185, 186. 253 BBl. 2006, 7221, 7237. 254 Begleitbericht der Entwurfskommission zu dem Vorentwurf S. 10. Abrufbar unter https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/staat/gesetzgebung/archiv/zivilprozessrecht/vn -ber-d. pdf. (zuletzt abgerufen am 19.10.2015). 255 BBl. 2006, 7221, 7236. 256 Begleitbericht der Entwurfskommission zum Vorentwurf, S. 10. 257 Begleitbericht der Entwurfskommission zum Vorentwurf, S. 10. 258 Beiträge von Berti, Haldy, Sutter-Somm und Meier, in: Helvetisches Zivilprozessrecht. Symposium zu 75. Geburtstag von Prof. Dr. h.c. mult. Walther J. Habscheid; Beiträge u.a. von Karlen, Frei, Dolge und Rüegg, in: Die neue Schweizerische Zivilprozessordnung. Eine

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Dezember 2003, in dem jedermann, aber insbesondere die Kantone, politische Parteien und interessierte Organisationen, aufgerufen war, sich zum Vorentwurf zu äußern und gegebenenfalls Verbesserungsvorschläge vorzutragen.259 Eine grundsätzliche Zustimmung aller Beteiligten zur Vereinheitlichung des schweizerischen Zivilprozessrechts durch eine bundeseinheitliche Kodifikation ließ sich den eingereichten Stellungnahmen entnehmen. Allerdings sollte dieses Ziel für die Kantone kostenneutral erreicht werden, so dass insbesondere kostenintensive Neuerungen wie eine obligatorische, schriftliche Begründung des Urteils sowie die Ausdehnung von Elementen der unentgeltlichen Rechtspflege Gegenstand von Kritik waren.260 Während „großmehrheitlich […] die Vorlage der Expertenkommission als sorgfältiges, ausgewogenes und ausgereiftes Werk“261 gewürdigt wurde, gab es neben vielfältiger Detailkritik allerdings auch Kritik grundsätzlicher Art an dem Vorentwurf. So kritisierte der Kanton Schaffhausen die ungenügende Regelungsdichte, Luzern vermisste dogmatische Stringenz im Vorentwurf262 und die Universität Zürich erklärte, dass der Vorentwurf offenkundig das Ergebnis von „größtem Zeitdruck“ und „sehr geringem Arbeitsaufwand“ und aus diesem Grund „insgesamt oberflächlich“ und „in manchen Passagen mangelhaft“ sei. Nur eine „durchgreifende und umfassende Revision des vorliegenden Vorentwurfs“ würde zu einem „zufriedenstellenden Ergebnis“ führen.263 Orientierung; insbesondere die Beiträge von Sutter-Somm, Leuenberger und Gasser zur Verfahrensstruktur, in: Die künftige schweizerische Zivilprozessordnung; Rita Trigo Trindade/Nicolas Jeandin (Hrsg.), Unification de la procédure civile; Berti, in: Gauchs Welt − Recht, Vertragsrecht und Baurecht. Festschrift für Peter Gauch zum 65. Geburtstag, S. 347 ff.; Leuenberger, AJP 2003, 1421 ff.; Meier, in: Festschrift 125 Jahre Kassationsgericht des Kantons Zürich, S. 249 ff.; ders., Vorentwurf für eine Schweizerische Zivilprozessordnung: Überblick mit Kritik und Änderungsvorschlägen; Domej, ZZPInt 11 (2006), 239 ff.; Meier/Mürner, SJZ 2003, 597 ff.; dies., ZZPInt 8 (2003), 543 ff. Sehr kritisch zum methodischen Vorgehen der Entwurfsverfasser und dem gesamten Entstehungsprozess Oberhammer, in: Privatrecht und Methode. Festschrift für Ernst A. Kramer, S. 1025 ff.; Perret, in: De lege ferenda: réflexions sur le droit désirable en l’honneur du professeur Alain Hirsch, S. 435 ff.; Sutter-Somm, ZSR 121 (2002) I, 545 ff.; ders., ZZPInt 7 (2002), 369 ff.; ders., BJM 2003, 185 ff.; ders., in: Rechtsschutz im Privatrecht − Symposium für Richard Frank, S. 69 ff. Im Übrigen und auch bezüglich Detailfragen siehe weitere Literaturverweise bei Walther, ZSR 124 (2005) II, 301, 308 ff. Fn. 33. 259 Die eingegangenen Stellungnahmen können abgerufen werden unter https:// www.bj.admin.ch/dam/data/bj/staat/gesetzgebung/archiv/zivilprozessrecht/ve -ber-res.pdf (zuletzt abgerufen am 19.10.2015). Alle Kantone bis auf den Kanton Waadt haben die Möglichkeit ergriffen, sich zu dem Vorentwurf zu äußern. 260 Vgl. Zusammenstellung der Vernehmlassungen, S. 56 ff. 261 BBl. 2006, 7221, 7237. 262 Zusammenstellung der Vernehmlassungen, S. 60. 263 Zusammenstellung der Vernehmlassungen, S. 76 ff. Dies mag auch Ausdruck der generellen Skepsis gegenüber einer Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts im Kanton Zürich gewesen sein, war das Zürcher Zivilprozessrecht doch wissenschaftlich durchdrungen

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Den kantonalen Stellungnahmen ließ sich durchaus die Bereitschaft zur Innovation entnehmen. Gleichermaßen offenbarte sich aber auch eine Tendenz, bei Kritikpunkten als Lösungsvorschlag die damals geltende, eigene kantonale Regelung in diesem Bereich anzubieten. 264 So weist die Stellungnahme des Kantons Luzern im Hinblick auf die Institution eines Instruktionsrichters sowie bezüglich des Inhalts einer Vorbereitungsverhandlung eine hervorstechende Beharrlichkeit bei seiner Kritik am Vorentwurf und der Anpreisung von Verbesserungsvorschlägen auf, die nahezu identisch Inhalt der damals geltenden Luzerner Zivilprozessordnung waren. 265 Diese, die eigene kantonale Tradition bewahrende Haltung spiegelte sich auch darin wider, dass bei der Gesamtbeurteilung des Vorentwurfs in der Zusammenstellung der Vernehmlassung die Formulierung gewählt wurde, dass „die Fortführung der kantonalen Prozessrechtstraditionen mit punktueller Innovation“ begrüßt werde, wird hierbei doch der Schwerpunkt weiter auf die kantonale Tradition gelegt. Mit Blick auf die eingegangenen Stellungnahmen dürfte eine solche Formulierung allerdings den Eindruck erweckt haben, dass dies von den Kantonen auch als Schwerpunktsetzung bezüglich ihrer eigenen kantonalen Tradition verstanden wurde und nicht lediglich als Ausdruck des Ablehnens ausländischer Rechtsinstrumente aus völlig fremden Rechtskulturen. Nach dem Ende der Vernehmlassungen beauftragte der Bundesrat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, eine Botschaft auszuarbeiten und dabei die in der Vernehmlassung geäußerte Kritik zu berücksichtigen und entsprechend einzuarbeiten.266 Bei der anschließenden Überarbeitung wurde der geäußerten Detailkritik Rechnung getragen und die Botschaft schließlich am 28. Juni 2006 vom Bundesrat verabschiedet. Die bundeseinheitliche schweizerische Zivilprozessordnung trat schließlich am 1. Januar 2011 in Kraft. Sie und den modernen Standards angepasst. Siehe dies anmerkend Sutter-Somm, in: Rechtsschutz im Privatrecht – Symposium für Richard Frank, S. 69. 264 Eine ähnliche Haltung befürchtete bereits Bundesrichter Hans Peter Walter in einem Vortrag vor dem Basler Juristenverein 1995, abgedruckt in BJM 1995, 281, 300: „Wohl keiner spricht sich entschieden gegen diese Vereinheitlichung aus, solange er von der klaren und unumstösslichen Prämisse ausgehen darf, die eigene Ordnung werde universalisiert. (…).“ Vgl. auch Berti, in: Helvetisches Zivilprozessrecht. Symposium zum 75. Geburtstag von Walther J. Habscheid, S. 19, 23; ähnlich Sutter-Somm, in: Helvetisches Zivilprozessrecht. Symposium zum 75. Geburtstag von Walther J. Habscheid, S. 32, 34. 265 Vgl. hierzu die Stellungnahme Luzerns zu einzelnen Artikeln des Vorentwurfs betreffend die Person des Instruktionsrichters sowie die Vorbereitungsverhandlung, Zusammenstellung der Vernehmlassungen, S. 331 (zu Art. 113 VE ZPO CH), 335 (zu Art. 114 VE ZPO CH), 579 (zu Art. 217 VE ZPO CH), 587 (zu Art. 220 VE ZPO CH). 266 Medienmitteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 15.09.2004. Abrufbar unter http://www.ejpd.admin.ch/content/ejpd/de/home/dokumentati on/mi/2004/2004-09-150.html (zuletzt abgerufen am 19.10.2015). Ausführlich zum Stadium zwischen der Auswertung des Vernehmlassungsverfahrens und dem Erlass der neuen Zivilprozessordnung Sutter-Somm, Ritsumeikan Law Review 2012, 81, 83 ff.

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markierte zum einen das Ende der großen Justizreform, die im März 2000 begonnen hatte, und setzte zum anderen den Schlusspunkt unter eine über hundertjährige Entwicklung, die mehrere Anläufe gebraucht hatte und von mitunter heftigen Diskussionen, gleichzeitig aber auch von Stillstand geprägt war. 2. Das ordentliche Verfahren nach Art. 219 ff. ZPO CH a) Der Verfahrensablauf aa) Einleitende Phase Dem ordentlichen Verfahren geht gemäß Art. 197 ZPO CH zwingend ein Schlichtungsverfahren oder wahlweise auch eine Mediation gemäß Art. 213 ZPO CH voraus. Trotz des in der Schweiz weit verbreiteten Schlichtungsgedankens können die Parteien jedoch gemäß Art. 199 I ZPO CH ab einem Streitwert von CHF 100 000 auf die Durchführung einer Schlichtung einvernehmlich verzichten. Das Schlichtungsverfahren wird durch das klägerische Schlichtungsgesuch eingeleitet (Art. 202 I 1 ZPO CH) und verfolgt letztlich den Zweck, auf eine einvernehmliche Streitbeilegung der Parteien im Wege eines Vergleichs hinzuwirken, um auf diese Weise die Durchführung eines streitigen Verfahrens obsolet zu machen, Art. 201 I ZPO CH. Bereits die Einreichung des Schlichtungsgesuchs führt zur Rechtshängigkeit der Streitsache sowie zu den damit verbundenen Restriktionen, Art. 62 I, 64 ZPO CH. Kann keine Einigung erzielt werden, so erteilt das Gericht außerhalb von Streitigkeiten über Miet- und Pachtzinserhöhungen dem Kläger die Klagebewilligung, Art. 209 I lit. b ZPO CH, die ihn innerhalb der folgenden drei Monate zur Klageerhebung berechtigt, Art. 209 III ZPO CH. 267 Das gerichtliche Verfahren wird schließlich durch die Einreichung der Klage eingeleitet, welche neben den klägerischen Anträgen die diese stützenden Tatsachenbehauptungen sowie die zur Verfügung stehenden Beweismittel enthalten muss, Art. 221 I ZPO CH. Während Rechtsausführungen fakultativ sind, Art. 221 III ZPO CH, sind die Klagebewilligung, die für die eigene Beweisführung vorgesehenen Urkunden sowie ein Verzeichnis der übrigen Beweismittel der Klage beizufügen, Art. 221 II ZPO. Dabei soll die Darstellung die einzelnen Behauptungen ausreichend kenntlich machen, um dem Beklagten eine adäquate Stellungnahme in der Klageerwiderung zu ermöglichen. 268 Die Tatsachenbehauptungen sind substantiiert unter Nennung der hierfür vorgesehenen Beweismittel vorzutragen, 269 wobei allerdings unklar gebliebene Ausführungen in den folgenden Verfahrensstadien mithilfe der gerichtlichen Fragepflicht aus Art. 56 ZPO CH einer Klärung zugeführt werden können, sofern 267 Zum Schlichtungsverfahren Tappy/Novier, in: Il Codice di diritto processuale civile svizzero, S. 81 ff. 268 Leuenberger, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 221 Rn. 2. 269 Gasser/Rickli, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Art. 221 Rn. 3.

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sie zumindest ansatzweise eine Andeutung in der Klage gefunden haben.270 Dadurch, dass Art. 222 ZPO CH, der die Klageantwort des Beklagten regelt, in seinem Absatz zwei für die inhaltlichen und formellen Anforderungen der Klageantwort umfassend auf die Vorgaben für die Klageschrift verweist, gelten dieselben Anforderungen auch für die Klageantwort. Der Beklagte soll sich dabei auch in seinem eigenen Interesse absatzweise zu den in der Klage aufgestellten Behauptungen äußern.271 Ein Generalbestreiten des gesamten Vortrags des Klägers genügt allerdings nicht mehr; vielmehr gilt das Erfordernis ausreichender Substantiierung auch für die Klageerwiderung und die darin enthaltenen Bestreitungen.272 Gemäß Art. 225 ZPO CH kann das Gericht einen zweiten Schriftenwechsel anordnen, sofern es die Verhältnisse erfordern. Für sinnvoll erachtet wird die Anordnung eines zweiten Schriftwechsels insbesondere bei besonders komplexen Sachverhalten.273 Der Vorentwurf hatte demgegenüber den Austausch von Replik und Duplik noch als Normalfall vorgesehen.274 Im Vernehmlassungsverfahren wurde die Regelung mit Blick auf die Verfahrensverzögerung, die einem zweiten Schriftenwechsel regelmäßig innewohnt, als zu schwerfällig und kostenträchtig kritisiert. 275 Unabhängig davon, ob ein zweiter Schriftenwechsel angeordnet wird oder nicht, ermöglichen unter geltendem Recht die umfassenden Schriftsätze der Parteien wie bereits in zahlreichen kantonalen Prozessordnungen eine frühzeitige Kanalisierung des Streitstoffes – dies umso mehr auch deswegen, weil die Einleitungsphase und insbesondere deren Ausgestaltung durch die Schriftsätze der Parteien für den weiteren Fortgang des Verfahrens von besonderer Bedeutung sind. Anhand des Vortrags der Parteien im Einleitungsstadium des Verfahrens muss das Gericht nämlich über den weiteren Verfahrensablauf entscheiden. Dieser wiederum hat erheblichen Einfluss auf den Vortrag neuer Tatsachen und Beweismittel. Die Parteien sind daher im eigenen Interesse angehalten, ihre Vorträge ausreichend zu substantiieren, damit das Gericht seine Entscheidung über den weiteren Verfahrensablauf auf eine fundierte Grundlage stützen kann.

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Leuenberger, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 221 Rn. 43 f.; Willisegger, in: Basler Kommentar ZPO, Art. 221 Rn. 30. 271 Leuenberger, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 222 Rn. 15. 272 Leuenberger, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 222 Rn. 20; ders., ZZZ 2007, 327, 329. 273 BBl. 2006, 7221, 7338, 7340. Siehe hierzu auch Willisegger, in: Basler Kommentar ZPO, Art. 225 Rn. 1; Olgiati, Il Codice di diritto processuale civile svizzero, S. 198. 274 Die Regelung des Vorentwurfs stand im Kontext eines sehr strengen Novenrechts, konnten nach dem Vorentwurf Noven doch nur bis zum Abschluss des Schriftenwechsels unbeschränkt vorgetragen werden, so dass eine breitere Einleitungsphase sinnvoll erschien. Diese Regelung des Vorentwurfs wies eine große Ähnlichkeit mit der Verfahrenseinleitung nach waadtländischem Recht auf. 275 Zusammenstellung der Vernehmlassungen, S. 560 ff.

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bb) Zwischenphase Ordnet das Gericht keinen zweiten Schriftenwechsel an, so kann es das Verfahren unmittelbar in die Hauptphase überleiten und die Parteien zur Hauptverhandlung vorladen, was sich in kleineren, übersichtlichen Fällen anbietet, die keiner intensiven Vorbereitung durch das Gericht und die Parteien bedürfen.276 In diesem Fall entfällt die Zwischenphase nahezu vollständig, aber auch die Hauptphase wird oftmals recht verkürzt sein, da es bei derart einfach gelagerten Fällen doch häufig zu einer Verfahrensbeendigung durch Vergleich kommen kann, vorausgesetzt die Parteien sind vergleichsbereit und die Streitsache vergleichsgeeignet. Allerdings kann das Gericht nach dem ersten oder nach dem zweiten Schriftenwechsel auch eine Instruktionsverhandlung durchführen, die zwar nicht ausschließlich zu diesem Zeitpunkt stattfinden muss, aber zumeist dort den größten Nutzen für den weiteren Fortgang des Verfahrens hat,277 dient sie doch ausweislich des Wortlautes von Art. 226 II ZPO CH auch der Vorbereitung der Hauptverhandlung. Der Hauptanwendungsbereich der Instruktionsverhandlung liegt daher mit Blick auf ihren Zweck regelmäßig nach dem ersten Schriftenwechsel. 278 Dieses Verfahrenselement, das in den kantonalen Prozessordnungen hinsichtlich Umfang und Bedeutung sehr unterschiedlich ausgestaltet war, soll laut der Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung regelmäßig im ordentlichen Verfahren durchgeführt werden, sofern dies in dem zu entscheidenden Rechtsstreit angemessen ist. 279 Gemäß Art. 226 II ZPO CH dient die Instruktionsverhandlung der freien Erörterung des Streitgegenstandes, der Ergänzung des Sachverhaltes, dem Versuch einer Einigung und der Vorbereitung der Hauptverhandlung. Darüber hinaus ermächtigt Art. 226 III ZPO CH das Gericht, bereits in diesem Verfahrensstadium Beweise abzunehmen. Letztlich kann der Zweck der Instruktionsverhandlung damit entweder mit der Verfahrensbeendigung durch Vergleich beschrieben werden oder, wenn dies nicht gelingt, mit der Vorbereitung der Hauptverhandlung im Wege der freien Erörterung des Streitgegenstands, der Ergänzung des Sachverhaltes sowie einer vorgezogenen Beweisaufnahme.280 Eine nachfolgende Hauptverhandlung soll 276

Vgl. Leuenberger, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 225 Rn. 6. So auch Trezzini, in: Commentario al Codice di diritto processuale civile svizzero, Art. 226 Anm. 1.A. (S. 1007). 278 Staehelin/Staehelin/Grolimund, Zivilprozessrecht, § 21 Rn. 7; Leuenberger, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 226 Rn. 17; ders., ZZZ 2007, 327, 330; Pahud, in: Brunner/Gasser/Schwander ZPO, Art. 226 Rn. 2; Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 339. 279 Vgl. BBl. 2006, 7221, 7340. 280 Gasser/Rickli, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Art. 226 Rn. 2 f. Die schweizerische Zivilprozessordnung hat sich für den Begriff der „Beweisabnahme“ entschieden, nachdem die Terminologie in den einzelnen Kantonen unterschiedlich war; in Zürich und Luzern war beispielsweise Beweisabnahme, in Bern jedoch Beweisaufnahme gängig. Im Folgenden 277

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nach der Intention des Gesetzgebers bestenfalls in nur einem Termin erledigt werden,281 was eine umfassende Vorbereitung im Vorfeld verlangt. Aufgrund dieser Elemente kann die Instruktionsverhandlung daher je nach ihrer Gestaltung und je nach der Initiative des Gerichts eine wesentliche Bedeutung im Verfahrensablauf gewinnen und erheblichen Einfluss auf die Streitentscheidung nehmen. Nicht ausgeschlossen ist damit, dass eine recht umfangreiche Instruktionsverhandlung faktisch zu einer vorgezogenen Hauptverhandlung werden kann, was jedoch mit Blick auf die besondere Bedeutung, die die schweizerische Zivilprozessordnung der Hauptverhandlung grundsätzlich zuweist, 282 zu vermeiden ist. Das Stattfinden einer Instruktionsverhandlung wirkt sich ferner auf die Möglichkeit aus, neue Tatsachen und Beweismittel vorzubringen. Während in der Instruktionsverhandlung selbst diese noch uneingeschränkt vorgetragen werden können, findet mit dem Schluss der Instruktionsverhandlung auch der Aktenschluss statt, so dass ab diesem Zeitpunkt ein neuer Vortrag nur noch in den engen Grenzen des Art. 229 I ZPO CH möglich ist.283

wird in Anlehnung an den deutschen Sprachgebrauch der Begriff „Beweisaufnahme“ verwendet. 281 Für das vereinfachte Verfahren hat dieser Grundsatz mit Art. 246 I ZPO CH Eingang ins Gesetz gefunden. Für das ordentliche Verfahren wird trotz fehlenden Bekenntnisses des Gesetzgebers in der Zivilprozessordnung von seiner Geltung ausgegangen. Siehe hierzu Leuenberger, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 226 Rn. 1; Pahud, in: Brunner/Gasser/Schwander ZPO, Art. 228 Rn. 2; Willisegger, in: Basler Kommentar ZPO, Art. 226 Rn. 20; Müller, in: Beweisrecht der neuen ZPO: Chancen und Risiken, S. 63, 64. 282 Statt vieler siehe Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 341, der die Hauptverhandlung als „Mittelpunkt des Prozesses“ bezeichnet. Pahud, in: Brunner/Gasser/Schwander ZPO, Art. 228 Rn. 1 spricht von der Hauptverhandlung als „Herzstück des ordentlichen Verfahrens“ nach der gesetzlichen Konzeption. Leuenberger, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/ Leuenberger ZPO, Art. 231 Rn. 2. 283 Die Regelung des Novenrechts war eine der größten, wenn nicht sogar die größte Herausforderung bei der Schaffung einer gesamtschweizerischen Zivilprozessordnung. Die zahlreichen sehr unterschiedlichen Regelungen in den kantonalen Zivilprozessordnungen erschwerten es erheblich, einen Konsens auf diesem Gebiet zu schaffen und einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Stellenwert der materiellen Wahrheit und der Verfahrensbeschleunigung zu finden. Siehe hierzu Sutter-Somm, ZZZ 2005, 3, 17, der einen Überblick über die unterschiedlichen kantonalen Regelungsweisen des Novenrechts gibt. Ferner Hofmann/Lüscher, Le Code de procédure civile, S. 211 f.; Naegeli/Mayhall, in: Oberhammer/Domej/Haas Kurzkommentar ZPO, Art. 229 Rn. 1; Willisegger, in: Basler Kommentar ZPO, Art. 229 Rn. 5; Cocchi, in: Il Codice di diritto processuale civile svizzero, S. 147, 158 mit einem Vergleich zur früheren Regelung des Kantons Tessin. Während der Vorentwurf in Art. 215 VE ZPO CH, geleitet vom Gedanken der Verfahrensbeschleunigung, ein strenges Novenrecht vorgesehen hatte, das nach dem Schriftwechsel nur noch beschränkt Ergänzungen zuließ, entschied sich der Bundesrat nach erheblicher Kritik in den Vernehmlassungen für ein abgeschwächtes Novenrecht, welches den neuen Vortrag von Tatsachen und Beweismitteln selbst noch in den ersten Parteivorträgen in der Hauptverhandlung zugelassen hatte

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Regelmäßig erlässt das Gericht am Ende der Instruktionsverhandlung die Beweisverfügung, die festlegt, welche Beweismittel für den Beweis welcher Tatsachen zugelassen sind und welche Partei die Beweislast hierfür trägt, Art. 154 ZPO CH. 284 Der Gesetzgeber hat sich dabei bewusst und mit Blick auf die Verfahrenseffizienz gegen ein mehrstufiges System bestehend aus dem gerichtlichen Beweisauflagebeschluss, den Beweisantretungsschriften der Parteien und dem gerichtlichen Beweisabnahmebeschluss entschieden, das beispielsweise im Kanton Zürich praktiziert wurde. 285 Der Erlass der Beweisverfügung zu diesem Zeitpunkt ist erforderlich, um die Idee einer nur einen Termin umfassenden Hauptverhandlung umsetzen zu können.286 Dies schließt einen späteren Erlass jedoch nicht aus. Die Instruktionsverhandlung ist aufgrund der Möglichkeit formloser Erörterung des Streitstandes sowie aufgrund der Tatsache, dass beide Parteien über (Art. 225 Entwurf ZPO CH, siehe hierzu BBl. 2006, 7221, 7340 f.). Diese sehr weite Regelung scheiterte jedoch am Widerstand des Ständerats, welcher sich für eine zeitliche Begrenzung von Noven vor der Hauptverhandlung aussprach (Amtl. Bulletin Ständerat 2007, 528 ff.). Die schließlich in Art 229 ZPO CH Gesetz gewordene Regelung wählt einen Mittelweg, basiert letztlich jedoch auf dem strengeren Vorschlag des Ständerats. Der auf dem bundesrätlichen Entwurf basierende Vorschlag des Nationalrats (Amtl. Bulletin Nationalrat 2008, 964 ff.) hatte daher das Nachsehen. Zum Ganzen Killias, in: Berner Kommentar ZPO, Art. 229 Rn. 4 ff.; Leuenberger, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 229 Rn. 2 f.; Klingler, Die Eventualmaxime in der Schweizerischen Zivilprozessordnung, S. 107 ff. Aber auch die nunmehr geltende Fassung der Vorschrift ist aufgrund handwerklicher Mängel Kritik ausgesetzt und wird oftmals als Paradebeispiel für Flüchtigkeitsfehler aufgrund der doch recht zügigen Erstellung des Gesetzestextes genannt. Vgl. hierzu Oberhammer, ZEuP 2013, 751, 764 f., der die Regelung als „echten Denkfehler“ und die Unterscheidung zwischen echten und unechten Noven für „bemerkenswert missglückt“ hält. Gemäß Art. 229 I lit. a ZPO CH sollen auch echte Noven vorliegen, wenn neue Tatsachen und Beweismittel erst nach Abschluss des Schriftenwechsels oder nach der letzten Instruktionsverhandlung gefunden worden sind. Dies kann mit Blick auf Art 229 I lit. b ZPO CH jedoch dogmatisch nicht korrekt sein. Siehe hierzu Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 344; Killias, in: Berner Kommentar ZPO, Art. 229 Rn. 13; Tappy, in: CPC commenté, Art. 229 Rn. 7; Pahud, in: Brunner/Gasser/Schwander ZPO, Art. 229 Rn. 10. Naegli/Mayhall, in: Oberhammer/Domej/Haas Kurzkommentar ZPO, Art. 229 Rn. 8 stellen die in der Literatur vorgeschlagenen Lösungen der Praxis dar. 284 Hierzu Leuenberger, ZZZ 2007, 327, 333. 285 Spühler/Dolge/Gehri, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 308. Der Vorentwurf sah in Art. 219 VE ZPO CH eine qualifizierte Beweisverfügung vor, welche das Zürcher Modell mit Beweisauflagebeschluss des Gerichts und Beweisantretungsschrift der Parteien beinhaltete. In den Vernehmlassungen wurde diese Regelung jedoch als überflüssig neben der „einfachen“ Beweisverfügung nach Art. 218 VE ZPO CH sowie wegen des zusätzlichen Schriftsatzwechsels als zu schwerfällig angesehen, so dass die Regelung in der Folge ersatzlos gestrichen wurde. Vgl. hierzu Zusammenstellung der Vernehmlassungen, S. 585 ff.; Brönnimann, in: Berner Kommentar ZPO, Art. 154 Rn. 2; Hasenböhler, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 154 Rn. 1. 286 Pahud, in: Brunner/Gasser/Schwander ZPO, Art. 231 Rn. 1.

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die Behauptungen und Beweismittel der Gegenseite umfassend informiert sind oder im Laufe der Verhandlung informiert werden, ein geeigneter Zeitpunkt für Vergleichsverhandlungen, da sich regelmäßig das Ergebnis des Prozesses bereits schemenhaft erahnen lässt. 287 Gemäß Art. 124 III ZPO CH kann das Gericht zwar jederzeit versuchen, eine Einigung zwischen den Parteien herbeizuführen. Art. 226 II ZPO CH macht jedoch deutlich, dass der Gesetzgeber Vergleichsverhandlungen insbesondere in diesem Verfahrensstadium für sinnvoll erachtet. Die Annahme ist durchaus berechtigt, lassen sich doch durch eine einvernehmliche Streitbeilegung zu diesem Zeitpunkt sowohl erhebliche Verfahrenskosten auf Seiten der Parteien vermeiden als auch personelle Ressourcen auf Seiten des Gerichts einsparen. Sowohl um eine einvernehmliche Streitbeilegung zu erreichen, als auch um die Hauptverhandlung dergestalt vorzubereiten, dass diese in einem Termin stattfinden kann, ist das Gericht gemäß Art. 56 ZPO CH berechtigt und verpflichtet, den Parteien bei unklarem, widersprüchlichem, unbestimmtem oder offensichtlich unvollständigem Vorbringen rechtlicher oder tatsächlicher Art durch entsprechende Nachfragen oder Hinweise Hilfestellung zu geben. 288 Von Art. 56 ZPO CH ist grundsätzlich während des ganzen Verfahrens, sinnvollerweise jedoch vor Aktenschluss und damit in der Instruktionsverhandlung Gebrauch zu machen.289 Fand sich im Vorentwurf noch eine Ausnahme für das unbeschränkte Vorbringen von Noven, die sich aus der Ausübung der gerichtlichen Fragepflicht ergeben hatten,290 erhob sich hiergegen in den Vernehmlassungen Widerstand, da befürchtet wurde, dass die gerichtliche Fragepflicht ein Einfallstor für einen zeitlich unbeschränkten Vortrag von Noven werden könnte291 und der Verhandlungsgrundsatz damit zu stark zurückgedrängt, wenn nicht sogar abgeschafft würde. 292 Im Zuge der Überarbeitung wurde diese Ausnahme trotz einiger positiver Stimmen in den Vernehmlassungen gestrichen, 293 so dass das nunmehr geltende Recht keine Sonderstellung mehr für Noven vorsieht, die auf die Ausübung der gerichtlichen Fragepflicht zurückgehen. Das Gericht muss bei Ausübung des Fragerechts daher die allgemeinen Regeln be-

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Leuenberger, ZZZ 2007, 327, 330. Zum Inhalt der einzelnen Elemente siehe Fellmann, in: HAVE Haftpflichtprozess 2009, S. 69, 80 ff.; Lienhard, Die materielle Prozessleitung der Schweizerischen Zivilprozessordnung, S. 27 ff. 289 Sutter-Somm/von Arx, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 56 Rn. 36; Hurni, in: Berner Kommentar ZPO, Art. 56 Rn. 39; Trezzini, in: Commentario al Codice di diritto processuale civile svizzero, Art. 56 Anm. 1. (S. 129). 290 Art. 215 II lit. b VE ZPO CH. 291 Zusammenstellung der Vernehmlassungen, S. 564 ff. Siehe insbesondere die Ausführungen von Aargau (S. 564) und Luzern (S. 565 f.). 292 Hierzu auch BBl. 2006, 7221, 7341. 293 Positiv äußerte sich zum Beispiel der Kanton Bern (S. 564 f.) 288

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achten, so dass eine Ergänzung des Vorbringens in tatsächlicher Hinsicht regelmäßig in der Instruktionsverhandlung erfolgen muss. Allerdings kommt der Frage- und Aufklärungspflicht nichtsdestotrotz auch in der Hauptverhandlung eine bedeutende Rolle zu, auch wenn sich der Bezugspunkt von eher tatsachenlastigen Fragen und Hinweisen zu einer eher rechtlichen Hilfestellung wandelt. Ist ein Kollegialgericht zur Entscheidung berufen, so muss es der Instruktionsverhandlung nicht zwingend in voller Besetzung beiwohnen. Vielmehr kann es die Durchführung der Instruktionsverhandlung an ein Mitglied des Gerichts delegieren, Art. 124 II ZPO CH, 294 welches das Kollegialgericht vor der Hauptverhandlung über die bereits vorgenommenen Verfahrensschritte informiert. Ferner dient das Protokoll der Instruktionsverhandlung den übrigen Mitgliedern des Kollegialgerichts zur umfassenden Information über den Stand des Verfahrens vor der Hauptverhandlung. Neben der Instruktionsverhandlung ist die Zwischenphase ferner dadurch geprägt, dass sowohl das Gericht als auch die Parteien durch eigene Aktivität die Hauptverhandlung vorbereiten. Das Gericht kann auf Antrag der Parteien ein Sachverständigengutachten in Auftrag geben, 183 I ZPO CH, von den Parteien oder Dritten die Herausgabe von Urkunden verlangen, Art. 160 I ZPO CH, oder einen Augenschein vornehmen, Art. 181 I ZPO CH. Mit dem Bestreben des Gesetzes, die Hauptverhandlung in einem Termin zu erledigen, stünde es damit im Einklang, wenn diese Maßnahmen vor der Hauptverhandlung vorgenommen werden, so dass ihre umfassende Vorbereitung gewährleistet ist. Gleichermaßen ist die Aktivität der Parteien ebenfalls auf die Vorbereitung der Hauptverhandlung ausgerichtet. 295 Mit der Vorladung der Parteien zum Termin der mündlichen Hauptverhandlung endet schließlich das Zwischenstadium durch Überleitung in die End- beziehungsweise Hauptphase.296 cc) Endphase Sofern die Parteien nicht auf die Hauptverhandlung gemäß Art. 233 ZPO CH verzichten,297 geht das Verfahren in die Endphase über, die im Wesentlichen

294 BBl. 2006, 7221, 7340; Leuenberger, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 226 Rn. 19. Das mit der Instruktionsverhandlung betraute Mitglied des Gerichts wird entweder als Instruktionsrichter oder als Referent bezeichnet. Die Terminologie ist insoweit nicht einheitlich und orientiert sich wohl an der bisherigen Terminologie der kantonalen Zivilprozessordnungen. 295 Vgl. BBl. 2006, 7221, 7316. 296 Willisegger, Grundstruktur des Zivilprozesses, S. 311. 297 Neben einem Generalverzicht auf die gesamte Hauptverhandlung, wenn beispielsweise in einer vorhergegangenen Instruktionsverhandlung bereits alle verfügbaren Beweise abgenommen wurden und die Sache damit spruchreif ist (Gasser/Rickli, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Art. 226 Rn. 6), soll auch ein teilweiser Verzicht auf eines der drei Stadien

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durch die Hauptverhandlung geprägt wird, Art. 228 ZPO CH. Diese ist in drei Teilabschnitte unterteilt, die je nach dem vorausgegangenen Verfahren dem Vortrag neuer Tatsachen und Beweismittel, 298 der Klärung von Rechtsfragen und der Beweisaufnahme sowie schließlich den Schlussanträgen der Parteien dienen. Zu Beginn der Hauptverhandlung stellen die Parteien ihre Anträge und begründen diese, wobei sich die Intensität der Ausführungen daran orientiert, wie das Gericht das Verfahren zuvor gestaltet hat. Die Parteien erhalten hier mindestens zweimal das Wort, um jeweils auf den Vortrag der Gegenpartei in unmittelbarem Beisein des Gerichts adäquat antworten zu können. Im Anschluss daran werden unter Einhaltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes die in der Beweisverfügung bezeichneten Beweise vor dem erkennenden Gericht aufgenommen, Art. 231 ZPO CH. Eine bereits in der Instruktionsverhandlung gemäß Art. 226 III, 155 I ZPO CH vorgenommene Beweisabnahme kann gemäß Art. 155 II ZPO CH bei Vorliegen wichtiger Gründe wiederholt werden. Während der Vorentwurf die Wiederholung einer delegierten Beweisabnahme in das Ermessen des Gerichts gestellt 299 und sich hiergegen in den Vernehmlassungen beträchtlicher Widerstand erhoben hatte,300 sieht Art. 155 II ZPO CH nun eine Wiederholung der Beweisabnahme vor dem erkennenden Gericht nur noch bei Vorliegen eines wichtigen Grundes vor. Dieser wird wohl immer dann gegeben sein, wenn gerade die unmittelbare Wahrnehmung des gesamten erkennenden Gerichts von besonderer Bedeutung für die sachgerechte Bewertung des Beweiswertes eines Beweismittels, insbesondere einer Zeugenaussage, erforderlich ist. 301 Während grundsätzlich alle kantonalen Prozessordnungen dem Grundsatz freier Beweiswürdigung folgten, hierzu jedoch weitreichende Ausnahmen vorsahen,302 verzichtet die geltende Zivilprozessordnung bis auf die erhöhte Beweiskraft öffentlicher Urkunden, Art. 179 ZPO CH, auf Beweisregeln und folgt dem Grundsatz freier Beweiswürdigung, Art. 157 ZPO CH. 303 der Hauptverhandlung, nämlich die ersten Parteivorträge, die Beweisaufnahme, die Schlussvorträge, möglich sein. Hierzu ausführlich Pahud, in: Brunner/Gasser/Schwander ZPO, Art. 233 Rn. 1 ff. Dabei erscheint jedoch zumindest ein bindender Verzicht auf die ersten Parteivorträge fraglich, da gerade die Hauptphase im ordentlichen Verfahren nach der gesetzlichen Intention von Mündlichkeit geprägt sein soll und zudem das Unmittelbarkeitsprinzip neben einer unmittelbaren Beweisaufnahme auch eine unmittelbare Meinungsbildung des Gerichts von dem Sachvortrag der Parteien umfasst. So auch Willisegger, Grundstruktur des Zivilprozesses, S. 313. 298 Dies ist der Fall, wenn nach der Verfahrenseinleitung ohne zweiten Schriftwechsel und Instruktionsverhandlung das Verfahren direkt in die Hauptverhandlung übergeht. 299 Art. 222 2. Hs. VE ZPO CH. 300 Zusammenstellung der Vernehmlassungen, S. 590 f. 301 Hasenböhler, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 155 Rn. 13. 302 BBl. 2006, 7221, 7314. 303 Gasser/Rickli, Schweizerische Zivilprozessordnung, Art 157 Rn. 2 nennen noch weitere Regelungen, wie beispielsweise gesetzliche Vermutungen, den Ausschluss von Zeugen

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Nach Abschluss der Beweisabnahme erhalten die Parteien Gelegenheit, sich zum Beweisergebnis und zur Sache zu äußern, wobei auch hier gleich wie bei den ersten Parteivorträgen den Parteien Gelegenheit zu einem zweiten Vortrag gegeben wird, Art. 232 I ZPO CH. Neben einem Verzicht auf mündliche Schlussvorträge und deren Ersetzung durch schriftliche Eingaben ist ein genereller Verzicht auf den dritten und letzten Teilabschnitt der Hauptverhandlung ebenfalls gemäß Art. 233 ZPO CH möglich (argumentum a maiore ad minus); dies wird in der Prozesspraxis häufig der Fall sein, da auf den vom Gericht gewonnenen Eindruck vom Beweisergebnis regelmäßig nicht mehr bedeutend eingewirkt werden kann.304 Die schweizerische Zivilprozessordnung weist dem Gericht sowohl die formelle als auch die materielle Prozessleitung zu. Erstere fand in Art. 124 I ZPO CH ihren Niederschlag, der schlicht festhält, dass das Gericht den Prozess leitet und zu diesem Zweck die notwendigen prozessleitenden Verfügungen erlässt. Darüber hinaus wird das Gericht in Anlehnung an das dem Gesetz zugrunde liegenden Beschleunigungsgebot zur zügigen Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens sowie zur Berücksichtigung dieses Grundsatzes bei der äußeren Gestaltung des Verfahrens insbesondere bei der Setzung angemessener Fristen angehalten. Das Gericht muss sich außerdem bei der Entscheidung, welchen Gang das Verfahren nehmen soll, nach dem Austausch der verfahrenseinleitenden Schriftsätzen hieran orientieren und den der Streitsache adäquaten verfahrensrechtlichen Rahmen unter größtmöglicher Schonung personeller und finanzieller Ressourcen wählen. Die schweizerische Zivilprozessordnung hat sich wie ihre kantonalen Vorgängerinnen für die Geltung des Verhandlungsgrundsatzes im ordentlichen Verfahren entschieden, so dass die Parteien nach allgemeinen Grundsätzen und ihrer ausdrücklichen Verankerung in Art. 55 I ZPO CH dem Gericht das ihr Begehr stützende Tatsachenmaterial und die vorhandenen Beweismittel anzugeben haben. Allerdings verpflichtet Art. 56 ZPO das Gericht, die Parteien auf einen unklaren, widersprüchlichen, unbestimmten oder offensichtlich unvollständigen Vortrag hinzuweisen und ihnen Gelegenheit zur Klarstellung und Ergänzung zu geben. Die Ergänzung des Vorbringens auf einen Hinweis oder auf Nachfrage durch das Gericht muss jedoch die Grenzen des Vorbringens von Noven i.S.d. Art. 229 ZPO CH respektieren.305 Daher wird sich insbesondere die Variante der Ausübung der Fragepflicht und die daraufhin folgende Ergänzung des Vorbringens wohl häufig in der Instruktionsverhandlung abspielen,

vom Hörensagen (Art. 169 ZPO CH), den Numerus clausus zulässiger Beweismittel (Art. 168 ZPO CH) und die Beweiswürdigung bei unberechtigter Verweigerung der Mitwirkung (Art. 164 ZPO CH), die sie unter dem Terminus Beweisregeln führen. 304 Pahud, in: Brunner/Gasser/Schwander ZPO, Art. 233 Rn. 4. 305 Six, in: Festschrift 75 Jahre Aargauischer Juristenverein 1936−2011, S. 87, 96.

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während klarstellende Äußerungen der Parteien auf einen gerichtlichen Hinweis auch über die zeitliche Grenze neuen Vortrags hinaus möglich sind, sofern sich diese tatsächlich auf eine bloße Klarstellung beschränken und keine Erweiterung des Vortrags enthalten. Je nach Gestaltung des Verfahrensablaufs durch das Gericht kann die Pflicht aus Art. 56 ZPO CH mündlich oder schriftlich ausgeübt werden. 306 Die gerichtliche Fragepflicht bezieht sich umfassend neben Vorbringen tatsächlicher Art auch auf Rechtsfragen und Beweisanträge, 307 so dass das Gericht recht weitgehend Hilfestellung geben kann. Dies ist insbesondere im schweizerischen Zivilprozessrecht von besonderer Bedeutung, besteht im schweizerischen Zivilprozessrecht doch keine Anwaltspflicht in den zivilprozessualen Verfahren. 308 Wie in einigen früheren kantonalen Zivilprozessordnungen hat auch die nun geltende schweizerische Prozessordnung die richterlichen Leitungsbefugnisse in materieller Hinsicht dergestalt erweitert, dass das Gericht gemäß Art. 153 II ZPO CH auch in Verfahren unter Geltung des Verhandlungsgrundsatzes von Amts wegen Beweis erheben kann. Allerdings unterliegt dieser zunächst recht stark wirkende Einbruch in den Verhandlungsgrundsatz engen Grenzen, die den Einbruch relativieren und eine Verkehrung ins Gegenteil verhindern: Eine Beweiserhebung von Amts wegen unter Geltung des Verhandlungsgrundsatzes ist dem Gericht nämlich nur erlaubt, wenn an der Richtigkeit einer nicht streitigen Tatsache erhebliche Zweifel bestehen. Neben der Einschränkung des Verhandlungsgrundsatzes kollidiert diese Regelung allerdings auch mit dem in Art. 150 I ZPO CH verankerten, allgemeingültigen Grundsatz, dass der Beweiserhebung nur streitige Tatsachen unterliegen. Das unter dem Verhandlungsgrundsatz grundsätzliche Ausreichen der formellen Wahrheit wird hier im Interesse der materiellen Wahrheit und des Auftrags des Gerichts, so nah wie möglich an der materiellen Wahrheit zu entscheiden, zurückgedrängt, was bei der einvernehmlichen Behauptung offensichtlich unrichtiger Tatschen durch die Parteien unterlaufen würde. Die schweizerische Zivilprozessordnung hat sich daher gegen eine sehr weite, nahezu schrankenlose Beweisermittlungsbefugnis entschieden, wie diese etwa in Art. 214 1 der Berner Zivilprozessordnung zu finden war. Nichtsdestotrotz darf das Gericht unabhängig von Art. 153 II ZPO CH selbst immer einen Augenschein vornehmen (Art. 181 I ZPO CH) oder einen Sachverständigen zur Erstellung eines Gutachtens hinzuziehen (Art. 183 I ZPO CH). Hierin ist aber nicht zwingend eine Einschränkung des

306

Hurni, in: Berner Kommentar ZPO, Art. 56 Rn. 39. Hauptanwendungsbereich sind wohl aber regelmäßig die mündlichen Verfahrensabschnitte. Vgl. hierzu Gasser/Rickli, Schweizerische Zivilprozessordnung, Art. 56 Rn. 4; Leuenberger/Uffer-Tobler, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 116; Trezzini, in: Commentario al Codice di diritto processuale civile svizzero, Art. 56 Anm. 3.A. (S. 132 f.). 307 Hurni, in: Berner Kommentar ZPO, Art. 56 Rn. 4. 308 Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 392 f.

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Verhandlungsgrundsatzes zu sehen, da sowohl Augenschein als auch die Erstellung eines Gutachtens neben ihrer Beweisfunktion zu einem weitaus größeren Teil erst der Verdeutlichung des Sachverhalts dienen. 309 Sofern das Gericht eine ausreichende Entscheidungsgrundlage erarbeitet hat und die Sache für spruchreif erachtet, erlässt es das Urteil, Art. 236 I ZPO CH, entweder mündlich am Ende der Hauptverhandlung, Art. 239 I lit. a ZPO CH, oder schriftlich im Nachgang zur Hauptverhandlung, Art. 239 I lit. b ZPO CH. Die Entscheidungsgründe werden nur auf Verlangen einer Partei mitgeteilt, sofern diese ihr Begehren innerhalb von 10 Tagen ab Eröffnung des Urteils dem Gericht mitteilt, Art. 239 II 1 ZPO CH. Wird innerhalb dieser Frist keine Begründung verlangt, so gilt dies gleichzeitig als Rechtsmittelverzicht, Art. 239 II 2 ZPO CH. Der Vorentwurf sah die schriftliche Begründung eines jeden Urteils ohne Parteiantrag vor.310 Diese Regelung konnte sich aber wegen des damit verbundenen personellen und finanziellen Aufwandes in den Vernehmlassungen nicht durchsetzen und war erheblicher Kritik ausgesetzt. 311 b) Die Einordnung aa) Die Verfahrenseinleitung Die Verfahrenseinleitung nach der geltenden schweizerischen Zivilprozessordnung bietet keine Überraschung, vielmehr ist die Umsetzung mit den umfangreichen und dem Substantiierungserfordernis unterliegenden Schriftsätzen aus früheren kantonalen Prozessordnungen bekannt.312 Auch hat sich der Gesetzgeber an dieser Stelle in Anlehnung an die bisherige kantonale Praxis für eine recht formale Einleitungsphase entschieden, deren Inhalt und Ablauf dem Gesetz in nüchternen Worten entnommen werden kann. Die formale Strenge spiegelt sich auch in den Anforderungen an die Schriftsätze wider, die umfassend den den Parteien zu diesem Zeitpunkt bekannten Streitstoff darlegen sowie die zur Verfügung stehenden Beweismittel nennen müssen. Selbst die innere Ordnung der Schriftsätze folgt formalen Vorgaben, um ein schnelles Erfassen der vorgetragenen Tatsachen für die Gegenseite zu ermöglichen sowie ihr die Gelegenheit einer angemessenen Verteidigung zu geben. Unabhängig davon, wie das Verfahren nach der Einleitungsphase vom Gericht im Rahmen der gesetzlichen Befugnisse ausgestaltet wird, besteht aufgrund des in Art. 229 ZPO CH geregelten Novenrechts jeweils außerhalb der ersten verfahrenseinleitenden Schriftsätze noch eine weitere Gelegenheit, bei der die Parteien unbeschränkt neue Tatsachen vortragen können. Grundsätzlich 309

Gasser/Rickli, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Art. 153 Rn. 2 spricht von der „Illustrationsfunktion“ von Augenschein und Sachverständigengutachten. 310 Art. 230, 231 VE ZPO CH. 311 Zusammenstellung der Vernehmlassungen, S. 607 ff. 312 Siehe hierzu die Darstellung der kantonalen Prozessordnungen Kapitel 3 I 2.

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bestünde damit die Möglichkeit, in den einleitenden Schriftsätzen nicht umfassend vorzutragen, um auf diese Weise die Entscheidung des Gerichts für den weiteren Verfahrensablauf, wie beispielsweise die Anordnung eines zweiten Schriftwechsels oder einer Instruktionsverhandlung, zu beeinflussen. Zwar läge es nahe, ein solches Verhalten als rechtmissbräuchlich und daher als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, der in Art. 52 ZPO CH für das gerichtliche Verfahren ausdrücklich normiert ist, anzusehen. Dem dürften aufgrund der expliziten Normierung von Präklusionsvorschriften und der hieraus hervorgehenden Wertentscheidung des Gesetzgebers jedoch sehr enge Grenzen gesetzt sein. Lediglich ein offensichtlich intendierter Rechtsmissbrauch durch verzögertes Vorbringen dürfte wohl als Verstoß gegen Treu und Glauben gewertet werden.313 Die Darstellung der Tatsachenbehauptungen sowie die Nennung der verfügbaren Beweismittel dient in jedem Fall der Information der Parteien: Zum einen erhält der Beklagte anders als in den Fällen der Klageeinleitung durch notice pleading sogleich umfassend Kenntnis, aus welchem Grund er mit einer Klage überzogen wird, zum anderen können beide Parteien bereits früh die Stichhaltigkeit und Überzeugungskraft ihrer Sachvorträge und Beweismittel abschätzen. In gewissem Maße dient das hier verwirklichte fact pleading auch der Kanalisierung des Streitstoffes für das weitere Verfahren. Durch die Möglichkeit noch weiteren unbeschränkten Vortrages erfährt die Kanalisierungsfunktion allerdings Einschränkungen. Während die Informationsfunktion der Einleitungsphase zugunsten der Parteien auch bereits in der dem gerichtlichen Verfahren vorhergehenden Schlichtung teilweise erfüllt wird, sind die ersten verfahrenseinleitenden Schriftsätze auch für das Gericht von besonderer Bedeutung, muss es doch auf Grundlage der darin dargestellten Tatsachen über den weiteren Verfahrensgang entscheiden. Dieser wirkt sich sodann auf die Ausgestaltung des Novenrechts aus. Die schweizerische Zivilprozessordnung bietet dem Gericht für die verschiedenartigen, von der Lebenswirklichkeit gestalteten Streitsachen ausreichend Spielraum für eine zweckmäßige Gestaltung des Verfahrensablaufs, 314 die dem Umfang des einzelnen Rechtsstreits gerecht wird. Es kann entweder direkt zur Hauptverhandlung vorladen, zur Instruktionsverhandlung laden, einen zweiten Schriftwechsel anordnen oder Instruktionsverhandlungen und den zweiten Schriftwechsel bei Bedarf auch kombinieren. 315 Die für die Verfahrensgestaltung weitreichendste Entscheidung des Gerichts knüpft damit an die Präsentation der Standpunkte der Parteien in den ersten Schriftsätzen an. Daher 313

Ähnlich Oberhammer, in: Oberhammer/Domej/Haas Kurzkommentar ZPO, Art. 52 Rn. 5; Göksu, in: Brunner/Gasser/Schwander ZPO, Art. 52 Rn. 27. 314 Leuenberger, ZZZ 2007, 327, 337. 315 Hierzu Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 338, der die möglichen Verfahrensgestaltungen im ordentlichen Verfahren schematisch darstellt.

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liegt es im Interesse der Parteien, bereits in den ersten Schriftsätzen umfassend und ohne taktisches Verzögern vorzutragen, um dem Gericht eine fundierte Entscheidung über den weiteren Verfahrensablauf zu ermöglichen. Nur dann kann den Parteien umfassender Rechtsschutz zuteil werden. Das Verlangen nach substantiierten Vorträgen steht ferner im Einklang mit dem Gedanken eines konzentrierten Verfahrens. 316 Die Einleitungsphase des geltenden schweizerischen Zivilprozessrechts ist damit in der Regel von recht umfassendem fact pleading geprägt, unabhängig davon, ob die Parteien zu einem späteren Zeitpunkt noch weitere neue Tatsachen vorbringen, und kann damit sowohl dem italienisch-kanonischen Modell als auch dem Hauptverhandlungsmodell zugeordnet werden. Die starke Formalisierung insbesondere in Bezug auf die Darstellung der Tatsachenbehauptungen weist jedoch eine leichte Tendenz zum italienisch-kanonischen Modell auf. 317 bb) Die Ausgestaltung der Zwischenphase Je nach der Entscheidung des Gerichts über den weiteren Fortgang des Verfahrens kann sich die Zwischenphase sehr unterschiedlich gestalten, so dass sie eine flexible Achse innerhalb des doch recht geordneten Verfahrensablaufs im ordentlichen Verfahren darstellt. 318 Unabhängig davon, welche Verfahrensgestaltung für den Fall angemessen ist und vom Gericht gewählt wird, ist allen vom Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten gemein, dass sie der Vorbereitung der Hauptverhandlung dienen sollen.319 Dieser Zweck der Zwischenphase wird besonders bei der Ausgestaltung der Instruktionsverhandlung nach Art. 226 I, II ZPO CH ausdrücklich genannt. Nachdem sich in zahlreichen kantonalen Gesetzen eine Instruktionsverhandlung320 nach den einleitenden Schriftsätzen etabliert hatte, wird wohl auch unter Geltung der bundeseinheitlichen Zivilprozessordnung eine solche in Fortführung bisheriger kantonaler Praxis regelmä-

316

Gasser/Rickli, Schweizerische Zivilprozessordnung, Art. 221 Rn. 3. Auf das gemeine Recht als Ursprung dieser genauen Tatsachendarstellung verweisend Tappy, in: CPC commenté, Art. 221 Rn. 17. Dieses prägte in wesentlichen Elementen die Entstehung des italienisch-kanonischen Prozessmodells. Siehe hierzu oben Kapitel 1 I 1. 318 Willisegger, Grundstruktur des Zivilprozesses, S. 304. 319 Lädt das Gericht die Parteien nach dem Austausch der ersten Schriftsätze sofort zur Hauptverhandlung vor, so fehlt es zwar an einem der Vorbereitung der Hauptverhandlung dienenden Austausch zwischen den Parteien und dem Gericht. Letztlich sollten beide aber doch vorbereitende Maßnahmen beispielsweise in Bezug auf Beweismittel treffen, um dem Anspruch des Gesetzes, die Hauptverhandlung in einem Termin abzuhalten, Rechnung tragen zu können. 320 Die Terminologie war insofern nicht einheitlich. Neben Instruktionsverhandlung wurden auch die Bezeichnungen Vorbereitungsverfahren oder Referentenaudienz verwendet. Inhaltlich waren sie jedoch alle auf die Vorbereitung der Hauptverhandlung ausgerichtet. 317

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ßig nach den verfahrenseinleitenden Schriftsätzen stattfinden, obwohl das Gesetz die Durchführung einer Instruktionsverhandlung auch zu anderen Zeitpunkten im Verfahren nicht ausschließt. Im Einklang mit bisherigen kantonalen Gepflogenheiten soll nach der gesetzgeberischen Intention eine solche Instruktionsverhandlung regelmäßig stattfinden, um auf diese Weise die Chance für eine Streiterledigung in der Hauptverhandlung in einem Termin zu ermöglichen.321 (1) Die Beweisaufnahme im ordentlichen Verfahren Besondere Bedeutung für die Zuordnung einer Verfahrensgestaltung zu einem der Prozessmodelle kommt der Ausgestaltung der Beweisaufnahme und ihrer Einbettung in den Verfahrensablauf zu. Während die Beweisaufnahme im U.S.-amerikanischen trial-Modell und dem Hauptverhandlungsmodell Gegenstand der Hauptverhandlung vor dem urteilenden Gericht ist, im trial-Modell aber zusätzlich eine vorbereitende Beweisaufnahme während der pretrial discovery stattfindet, folgt das italienisch-kanonische Prozessmodell dem System einer der Hauptverhandlung vorgelagerten Beweisaufnahme vor einem Instruktionsrichter beziehungsweise einem delegierten Richter. Die Beweisaufnahme hat in der neuen schweizerischen Zivilprozessordnung an unterschiedlichen Stellen Beachtung gefunden. Gemäß Art. 155 I ZPO CH kann die Beweisaufnahme an eines oder mehrere der Gerichtsmitglieder delegiert werden. Absatz zwei desselben Artikels legt ferner fest, dass eine Partei aus wichtigen Gründen die Beweisaufnahme durch das urteilende Gericht verlangen kann. Im Rahmen der Ausgestaltung der Hauptverhandlung findet sich sodann die Regelung, dass das Gericht die Beweise nach den Parteivorträgen abnimmt, Art. 231 ZPO CH. Die mehrfache Befassung des Gesetzestextes mit der Beweisaufnahme ist das Ergebnis größerer Diskussionen über die Normierung der Beweisaufnahme in den Vernehmlassungen, boten die Regelungen des Vorentwurfs doch Anlass, sich über eine Grundsatzentscheidung des Zivilprozessrechts, namentlich dem Unmittelbarkeitsgrundsatz, Gedanken zu machen. Art. 149 des Vorentwurfs für ein schweizerisches Zivilprozessrecht normierte übereinstimmend mit dem nun geltenden Art. 155 I ZPO CH die Delegationsmöglichkeit an ein oder mehrere Gerichtsmitglieder. Art. 149 II des Vorentwurfs legte weiter fest, dass das urteilende Gericht die Beweisaufnahme durchführt, wenn eine Partei es verlangt und keine wichtigen Gründe dagegen sprechen. Einen dem geltenden Art. 231 ZPO CH entsprechenden Inhalt wies die Vorschrift des Art. 222 des Vorentwurfs auf.

321 Willisegger, in: Basler Kommentar ZPO, Art. 226 Rn. 20. Über die gesetzliche Intention der Streiterledigung in einem Termin Müller, in: Beweisrecht der neuen ZPO: Chancen und Risiken, S. 63, 64.

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Insbesondere die Ausgestaltung von Art. 149 I, II des Vorentwurfs war in den Vernehmlassungen erheblicher Kritik ausgesetzt. 322 Denn diesem Artikel ließ sich nicht entnehmen, ob sich das Gesetz nun für die Geltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes entschieden hatte und im Grundsatz die Beweisaufnahme vor dem urteilenden Gericht stattfinden sollte oder ob vielmehr die Delegation an eines oder mehrere der Gerichtsmitglieder den Normalfall darstellen sollte. Als unklar wurde ferner das Verhältnis von Art. 149 und Art. 222 des Vorentwurfs angesehen. Einigkeit bestand darin, dass eine zu behebende Unklarheit über die Grundsatzentscheidung des Gesetzes bestand. Darüber, wie diese jedoch beseitigt werden sollte, war man sich uneins. Wohl unter Aufrechterhaltung früherer kantonaler Gepflogenheiten wurde teilweise eine unmittelbare Beweisaufnahme,323 teilweise aber auch eine Beweisaufnahme durch einen delegierten Richter 324 als Normalfall vorgeschlagen. Der Gesetzgeber entschied sich für die Regelung des Art. 155 I, II ZPO CH, so dass näher zu betrachten ist, ob die begehrte Klarheit nun geschaffen ist. Konzentriert man sich allein auf die Möglichkeit der Delegation an ein oder mehrere Gerichtsmitglieder in Art. 155 I ZPO CH, so erweckt der Wortlaut den Eindruck, dass dies der Normalfall sein solle. Nicht zuletzt die exponierte Regelung an erster Stelle in Art. 155 ZPO CH unterstützt diesen Eindruck. Die Formulierung des Art. 155 II ZPO CH und das Voranstellen der „wichtigen Gründe“ als Voraussetzung für eine Beweisaufnahme vor dem urteilenden Gericht lässt es durchaus zu, eine Kompetenz des urteilenden Gerichts nur bei Vorliegen wichtiger Gründe anzunehmen. Durch den Satzbaustein „aus wichtigen Gründen“ am Anfang des Satzes wird die Betonung auf einen gewissen Ausnahmecharakter der Beweisaufnahme vor dem urteilenden Gericht gelegt. Zieht man jedoch die Gesetzgebungsmaterialien und damit auch den Vorentwurf und die dort vorgesehene Regelung des Art. 149 II heran, die zum einen das Verlangen der Parteien und zum anderen kein Entgegenstehen wichtiger Gründe verlangte, um eine Beweisaufnahme vor dem urteilenden Gericht zuzulassen, weist der geltende Art. 155 II ZPO CH eine deutlich abgeschwächte Form auf, die eher als Art. 149 II des Vorentwurfs den Schluss zuließe, dass sich das Gesetz für den Grundsatz einer Beweisaufnahme vor dem urteilenden Gericht entschieden hat. Dies stünde ferner in Einklang mit den Äußerungen

322

Zusammenstellung der Vernehmlassungen, S. 403 ff. Die Kantone Aargau, Genf und Schaffhausen sprachen sich dafür aus, dass der Grundsatz der Unmittelbarkeit deutlich im Gesetz verankert werden und die Beweisaufnahme daher im „Normalfall“ vor dem urteilenden Gericht stattfinden müsse. 324 Die Kantone Luzern, Neuenburg, Obwalden und Zug plädierten für die Delegation der Beweisaufnahme, wobei der Kanton Obwalden sogar eine Delegation an Gerichtsschreiber, die nicht Teil des entscheidenden Gerichts sind, entsprechend der bisherigen kantonalen Tradition Obwaldens befürwortete. 323

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der Botschaft zur schweizerischen Zivilprozessordnung325 und derjenigen Ansicht in der schweizerischen Literatur, die sich für die Geltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes ausspricht.326 Auch Art. 231 ZPO CH, der die Beweisaufnahme nach den ersten Parteivorträgen in der Hauptverhandlung verortet, kann für diese Position herangezogen werden. Für den Ausnahmecharakter einer Beweisaufnahme in der Instruktionsverhandlung kann ferner die systematische Stellung der Art. 226 III ZPO CH angeführt werden, der die Befugnis zur Beweisaufnahme in der Instruktionsverhandlung enthält. Diese Befugnis wird nämlich gerade nicht zusammen mit den anderen Elementen der Instruktionsverhandlung, die eher von einem Vorbereitungs- statt Ersetzungscharakter geprägt sind, in Art. 226 II ZPO CH genannt, sondern abgesetzt und separat im dritten Absatz der Vorschrift. Es liegt daher nicht fern, hieraus eine gewisse Subsidiarität dieser Befugnis abzuleiten. Dies vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass sich bei einem isolierten Blick auf die Vorschrift des Art. 155 ZPO CH keine eindeutige Stellungnahme des Gesetzes zum Unmittelbarkeitsgrundsatz entnehmen lässt. Es bleibt unklar, ob Art. 155 I ZPO CH bereits die Ausnahme zu einem nicht verankerten Grundsatz ist, der in einem imaginären „Absatz null“ zu suchen wäre, und Art. 155 II ZPO CH hierzu die Gegenausnahme darstellt. 327 Ob Art. 231 ZPO CH als fehlender „Absatz null“ herangezogen werden kann, ist fragwürdig. Sowohl die systematische Stellung im Gesetz als auch die Äußerungen in den Vernehmlassungen dürften der Überzeugungskraft einer solchen Interpretation entgegenstehen. Vom Gesetzestext gedeckt wäre aber auch eine Interpretation dergestalt, dass sich das Gericht frei entweder für eine Delegation entscheiden oder von sich aus die Beweisaufnahme vor dem urteilenden Gericht vornehmen kann. Einziges Korrektiv einer solch freien Entscheidung des Gerichts wäre dann der 325

BBl. 2006, 7221, 7305, 7313. Brönnimann, in: Berner Kommentar ZPO, Art. 155 Rn. 1; Hasenböhler, in: SutterSomm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 155 Rn. 7; Gasser/Rickli, Schweizerische Zivilprozessordnung, Art. 155 Rn. 1; Staehelin/Staehelin/Grolimund, Zivilprozessrecht, S. 337; Leu, in: Brunner/Gasser/Schwander ZPO, Art. 155 Rn. 3, 5; Schweizer, in: CPC commenté, Art. 155 Rn. 5 ff.; Müller, in: Beweisrecht der neuen ZPO: Chancen und Risiken, S. 63, 64, 72. Willisegger, Grundstruktur des Zivilprozesses, S. 275 f., stellt aber fest, dass den Parteien nur ein bedingter Anspruch auf eine unmittelbare Beweisaufnahme zugestanden wird, und beschreibt insofern zumindest unausgesprochen einen erheblich eingeschränkten Unmittelbarkeitsgrundsatz. Kritisch hingegen äußert sich Oberhammer, in: Oberhammer/Domej/Haas Kurzkommentar ZPO, Vor Art. 52−58 Rn. 2, der der eidgenössischen Zivilprozessordnung mangelnde Erkenntnis attestiert in Bezug auf den „prinzipiellen Charakter der Frage, ob jene Personen, die das Urteil fällen, auch an der gesamten Verhandlung und Beweisabnahme teilgenommen haben müssen (…).“ 327 So auch Leu, in: Brunner/Gasser/Schwander ZPO, Art. 155 Rn. 3, der ausdrücklich kritisiert, dass es versäumt wurde, den Grundsatz in Art. 155 ZPO CH festzuhalten, und stattdessen nur die Ausnahme normiert wurde. 326

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Fall, dass wichtige Gründe für eine Beweisaufnahme vor dem urteilenden Gericht sprächen und die Parteien diese verlangten. Eine auffallende Nähe zur Regelung des Art. 149 II des Vorentwurfs kann dann aber nicht geleugnet werden, da der Unterschied nur noch in der Formulierung bestünde: Das fehlende Bestehen wichtiger Gründe, die gegen eine Beweisaufnahme vor dem urteilenden Gericht sprechen, sowie wichtige Gründe, die eine Beweisaufnahme durch das urteilende Gericht verlangen, dürfte im Ergebnis vergleichbare Sachverhaltsgestaltungen erfassen, die zu einer Beweisaufnahme vor dem urteilenden Gericht führen würden. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber der vereinzelt in den Vernehmlassungen geforderten Befugnis, die Beweisaufnahme auch den dem urteilenden Gericht nicht angehörenden Gerichtsschreibern zu übertragen, 328 nicht gefolgt ist, kann weder als Argument für noch gegen eine der genannten Interpretationen des Gesetzes herangezogen werden, da eine unabhängige Stellung des die Beweise aufnehmenden Instruktionsrichters nicht mehr für eine Zuordnung zum italienisch-kanonischen Modell erforderlich ist. Es ist daher zu konstatieren, dass durch die Modifikation des Art. 149 II des Vorentwurfs zu der jetzt geltenden Form des Art. 155 II ZPO CH tatsächlich etwas Klarheit geschaffen wurde329 und zumindest der Wortlaut der Vorschrift zusammen mit den Äußerungen der Literatur eine Vermutung für die Geltung des Unmittelbarkeitsprinzips zulässt. Klar für die Geltung dieses Prinzips spricht sich das Gesetz aber nicht aus, vielmehr ist es, wie oben gezeigt, auch anderen, entgegengesetzten Auslegungen zugänglich. Es ist durchaus zweifelhaft, ob die nunmehr geltende sehr offene und zahlreichen Interpretationen zugängliche Regelung der Bedeutung des Unmittelbarkeitsprinzips als „Lebensnerv der Beweiswürdigung“330 gerecht wird, zumal gerade die Beweiswürdigung durch das Gericht eine nicht unerhebliche Rolle bei der Sachentscheidung und damit letztlich bei der Durchsetzung des materiellen Rechts spielt. Mitunter wird aus der teilweisen Nichtbeachtung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes in der Literatur 331 sowie der fehlenden Verankerung als Prozessgrundsatz in der

328 Zusammenstellung der Vernehmlassungen, S. 403 f. Willisegger, in: Basler Kommentar ZPO, Art. 226 Rn. 4 weist richtigerweise daraufhin, dass folglich für eine Delegation an den Gerichtsschreiber auch keine kantonale Gesetzesgrundlage mehr zulässig ist. 329 Trezzini, in: Commentario al Codice di diritto processuale civile svizzero, Art. 226 Anm. 4. (S. 1011) hält das Nebeneinander von Art. 226 III ZPO CH und Art. 231 ZPO CH auch weiterhin für eine heikle Angelegenheit („aspetti delicati“). 330 Kummer, Grundriss des Zivilprozessrechts, S. 83. 331 Mit dem Grundsatz setzen sich jedoch auseinander Berger/Güngerich, Zivilprozessrecht, Rn. 540 ff.; Spühler/Dolge/Gehri, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 106; Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, Rn. 553 (S. 324), 657 f. (S. 395 ff.); Hohl, Procédure Civile Tome I, Rn. 928 ff.

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eidgenössischen Zivilprozessordnung geschlossen, dass die Bedeutung dieses Grundsatzes möglicherweise verkannt werde.332 Für die Einordnung in eines der Prozessmodelle ergibt sich damit das Bild, dass sich das Gesetz tendenziell für eine Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung vor dem erkennenden Gericht entschieden hat, wie sie auch für das Hauptverhandlungsmodell charakteristisch ist. Allerdings würde das Gesetz einer Interpretation nicht entgegenstehen, die eine umfassende Beweisaufnahme vor der Hauptverhandlung innerhalb der Instruktionsverhandlung vor einem delegierten Richter vorsieht.333 Dies ließe dann aber zumindest in Bezug auf den äußeren Ablauf des Verfahrens eine Zuordnung zum italienisch-kanonischen Modell zu, das eine Beweisaufnahme durch einen Instruktionsrichter vorsieht und der Hauptverhandlung lediglich die Erörterung des Sach- und Streitstandes sowie der Diskussion des Beweisergebnisses anhand der Berichterstattung des Instruktionsrichters zuweist. Dieser weite Gestaltungsspielraum des Gerichts führt folglich dazu, dass es von der Entscheidung des Gerichts abhängt, ob der Prozess in seiner Struktur eher dem Hauptverhandlungsmodell oder dem italienisch-kanonischen Modell zuzuordnen ist. Eine ähnlich weite Gestaltungsmacht kann sich ferner ergeben, wenn mehr als eine Instruktionsverhandlung angeordnet wird und in diesen jeweils einzelne Verfahrensschritte vorgenommen werden. So erscheint es bei umfangreichen Sachverhalten nicht praxisfremd, bereits nach dem Austausch der verfahrenseinleitenden Schriftsätze eine Instruktionsverhandlung anzusetzen, auf welche dann ein zweiter Schriftenwechsel folgt. Auch eine hierauf erfolgende erneute Instruktionsverhandlung ist durchaus möglich. 334 Wird diese Möglichkeit dafür genutzt, sehr reduzierte Instruktionsverhandlungen durchzuführen, deren Inhalt lediglich durch eines der in Art. 226 II, III ZPO CH genannten Elemente gebildet wird, dann kann sich dieser Verfahrensablauf aufgrund der Aneinanderreihung einzelner Termine dem Reihenfolgeprinzip italienisch-kanonischer Prägung annähern, welches im Interesse eines entzerrten und sche-

332

Oberhammer, in: Oberhammer/Domej/Haas Kurzkommentar ZPO, Vor Art. 52−58 Rn. 2, welcher dem Unmittelbarkeitsgrundsatz ein „Schattendasein“ in der schweizerischen Zivilprozessrechtsdogmatik attestiert. 333 Natürlich insofern, als eine Partei nicht aus wichtigen Gründen eine Beweisaufnahme vor dem urteilenden Gericht verlangt. Ein solches Vorgehen zeichnet sich wohl auch in der Praxis ab, vgl. Müller, in: Beweisrecht der neuen ZPO: Chancen und Risiken, S. 63, 70. 334 Killias, in: Berner Kommentar ZPO, Art. 226 Rn. 4 f. Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 338 bezeichnet diese Verfahrensgestaltung als „Ordentliches Verfahren premium“, welches laut Fußnote 625 aber auch bei einer fehlenden zweiten Instruktionsverhandlung gegeben sein soll.

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matisch strukturierten Verfahrensablaufs einzelnen Verfahrensschritten jeweils einen eigenen Termin zugewiesen hatte. 335 Selbst Instruktionsverhandlungen nach der Hauptverhandlung sind denkbar, 336 so dass Terminsequenzen unter Geltung der schweizerischen Zivilprozessordnung in entsprechenden Fällen durchaus wahrscheinlich sind und auch hier ein italienisch-kanonisches Element zutage treten kann.337 Die Anordnung mehrerer Instruktionsverhandlungen kann in sehr komplexen Fällen durchaus gerechtfertigt sein. Je nach dem, wie stark man das vorbereitende Element unter den verschiedenen Funktionen der Instruktionsverhandlung gewichtet, wirkt sich dies darauf aus, ob mehrere Termine für sinnvoll erachtet werden oder nicht.338 An dieser Stelle gewährt das Recht den Richtern erneut eine sehr breite Entscheidungsbefugnis. Werden jedoch über Gebühr und ohne sachlichen Grund einzelne Verfahrensschritte separaten Instruktionsverhandlungen zugewiesen, so dürfte dies einen Missbrauch der gesetzlich vorgesehenen Gestaltungsinstrumente darstellen. (2) Die Stellung des Instruktionsrichters Auch der Stellung des Instruktionsrichters kommt bei der Zuordnung zu Prozessmodellen besondere Bedeutung zu. Art. 124 II ZPO CH sieht eine Delegation der Prozessleitung an ein Gerichtsmitglied vor, so dass die Instruktionsverhandlung entsprechend früherer kantonaler Praxis bei Kollegialgerichten aus Effizienzgründen und zur Schonung personeller und finanzieller Ressourcen in der Regel von einem Instruktionsrichter geleitet wird. 339 In einem Gespräch ohne weitere formelle Bindungen soll der Instruktionsrichter mit den Parteien den Streitgegenstand erörtern und zur Ergänzung des Sachverhaltes beitragen sowie unklar gebliebene Tatsachenschilderungen klären. Zu diesem Zweck kann sich der Instruktionsrichter der richterlichen Fragepflicht aus Art. 56 ZPO CH bedienen, der in diesem Verfahrensstadium insbesondere mit Blick auf einen potentiellen Vergleich zwischen den Parteien, aber auch mit Blick auf die Beschränkung des Vortrags neuer Tatsachen bis zum Abschluss

335

Zur Terminsequenz im italienisch-kanonischen Prozessmodell siehe Kapitel 1 I 2 b). Higi, ZZZ 2006, 459, 473; Äußerung des Kantons Luzern in den Vernehmlassungen, vgl. Zusammenstellung der Vernehmlassungen, S. 579; Pahud, in: Brunner/Gasser/Schwander ZPO, Art. 226 Rn. 2; Leuenberger, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 226 Rn. 16. 337 So sollen nach Aussagen waadtländischer Kantonsrichter die Richter im Kanton Genf zur Festsetzung einzelner Termine für einzelne Verfahrensschritte neigen. Selbst für die Entscheidung über einen Antrag auf Fristverlängerung sollen separate Termine anberaumt werden. 338 Das vorbereitende Element hochhaltend beispielsweise Willisegger, in: Basler Kommentar ZPO, Art 226 Rn. 5 339 Killias, in: Berner Kommentar ZPO, Art. 226 Rn. 9. 336

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der Instruktionsverhandlung (Art. 229 I ZPO CH) besondere Bedeutung zukommt. 340 Während die deutsche und die italienische Fassung des Gesetzestextes die Modalität der Ausübung der Richterpflicht auf „Fragen“ beschränkt, lässt der französische Gesetzestext die Frage der Modalität offen, 341 so dass trotz des Wortlauts der deutschen und italienischen Fassung wohl der Schluss zulässig ist, dass der Gesetzgeber auch Hinweise und Anregungen im Einklang mit der gängigen Auslegung der Aufklärungs- und Fragepflicht in anderen Ländern als von Art. 56 ZPO CH umfasst angesehen hat. Eine solche Auslegung steht überdies im Einklang mit der großen Mehrheit der Literaturstimmen vor Inkrafttreten der eidgenössischen Zivilprozessordnung. 342 Hiermit sind dem Instruktionsrichter flexible Instrumente an die Hand gegeben, die zum einen die Vorbereitung der Hauptverhandlung ermöglichen, zum anderen aber auch den Parteien die notwendige Hilfestellung bei der Geltendmachung ihrer Rechtsposition geben. Außerdem kann das Gericht den Parteien auf Grundlage seiner Kenntnis von der Streitsache die Aussichten für einen Prozessgewinn, etwaige Risiken, aber auch die vorläufige Rechtsauffassung des Gerichts darlegen,343 ohne sich dem Verdacht der Parteilichkeit auszusetzen, der bei ähnlichen Äußerungen in der Hauptverhandlung schnell entstehen kann. Dies vermag oftmals die Vergleichsbereitschaft der Parteien zu erhöhen, bewegen sich die Kosten eines Gerichtsverfahrens zu diesem Zeitpunkt doch noch in einem vertretbaren Rahmen. Letztlich wirkt sich an dieser Stelle erneut die Qualität der vorbereitenden Schriftsätze aus. Neben der materiellen Prozessleitung steht dem Instruktionsrichter naturgemäß auch die formelle Prozessleitung zu. Dieser kommt in der Zwischenphase des ordentlichen Verfahrens aufgrund der bereits angesprochenen verschiedenartigen Gestaltungsmöglichkeiten dieser Verfahrensphase eine besondere Bedeutung zu. Er kann den äußeren Verfahrensablauf im Rahmen der im Gesetz ausdrücklich genannten Möglichkeiten gestalten, insbesondere Fristen setzen und Verhandlungen anberaumen,344 hat aber auch bei der inneren Gestaltung der Zwischenphase ein weites Ermessen.345 Zwar sind ihm Grundinhalte bei-

340

Spühler/Dolge/Gehri, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 94. Art. 56 Interpellation par le tribunal: „Le tribunal interpelle les parties lorsque leurs actes ou déclarations sont peu clairs, contradictoires, imprécis ou manifestement incomplets et leur donne lʼoccasion de les clarifier et de les compléter.“ 342 Brönnimann, Die Behauptungs- und Substanzierungslast im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 67; Asprion Stöcklin, Die Verhandlungsmaxime im schweizerischen Zivilprozessrecht de lege lata und de lege ferenda, S. 128; Sarbach, Die richterliche Aufklärungsund Fragepflicht im schweizerischen Zivilprozessrecht, S. 45; Heer, in: Richter und Verfahrensrecht. Festgabe 150 Jahre Obergericht Luzern, S. 153, 176. 343 Willisegger, Grundstruktur des Zivilprozesses, S. 305. 344 Fellmann, in: HAVE Haftpflichtprozess 2009, S. 69, 70. 345 Willisegger, Grundstruktur des Zivilprozesses, S. 310 f. 341

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spielsweise der Instruktionsverhandlung vorgegeben, in der Art ihrer Umsetzung ist der Instruktionsrichter aber frei. Durch Zuweisung der formellen aber auch der durch den Verhandlungsgrundsatz begrenzten materiellen Leitung sieht die schweizerische Zivilprozessordnung eine aktive Rolle des Instruktionsrichters neben den Parteien vor. Von einer richterlichen Passivität und einer Parteiendominanz U.S.-amerikanischer Prägung ist diese Gestaltung weit entfernt. Diese Aktivität des Gerichts zeigt sich neben der Ausübung der richterlichen Fragepflicht auch in der bereits oben beschriebenen Befugnis des Instruktionsrichters, bereits vor der Hauptverhandlung gemäß Art. 226 III ZPO CH i.V.m. Art. 155 I ZPO CH Beweise abzunehmen. Unabhängig davon, ob dem Instruktionsrichter nun die Befugnis zur vollen oder nur zu einer teilweisen Beweisaufnahme übertragen wird, entsteht der Eindruck, dass dem Instruktionsrichter zusammen mit der richterlichen Pflicht aus Art. 56 ZPO CH eine recht einflussreiche Position im gerichtlichen Verfahren zusteht, welche eine Nähe zum Instruktionsrichter italienisch-kanonischer Prägung aufweisen könnte. Der in den Vernehmlassungen vorgetragene Vorschlag, eine Delegation auch an Gerichtsschreiber zuzulassen,346 die in der Entscheidphase keine die Entscheidung beeinflussende Rolle spielen, hätte die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Instruktionsverhandlung in einem Maße ins Gegenteil verkehrt, dass das schweizerische Zivilprozessrecht dem Anspruch, ein modernes Prozessrecht zu schaffen, nicht gerecht geworden wäre. Dieser Vorstoß fand daher zurecht keine Umsetzung. Nichtdestotrotz ist die Annahme eines Instruktionsrichters italienisch-kanonischer Prägung nicht mehr allein an der Zugehörigkeit zum erkennenden Gericht zu messen,347 vielmehr ist die Gesamtheit seiner Befugnisse und die sich hieraus ergebende Einflussmöglichkeit näher zu untersuchen. Zwar ist die Möglichkeit der Beweisaufnahme durch den Instruktionsrichter in der Zwischenphase des Verfahrens nicht auf bestimmte Beweismittel begrenzt, wie dies beispielsweise die Berner Zivilprozessordnung in Art. 179 ZPO BE vorgesehen hatte, doch besteht Einigkeit, dass eine Aufnahme von Beweisen, deren sachgerechte Bewertung nur bei unmittelbarer Wahrnehmung durch das Kollegialgericht gewährleistet ist, zu vermeiden oder zumindest mit Zurückhaltung zu praktizieren ist.348 Eine umfassende Beweisaufnahme bereits in der Instruktionsverhandlung ist auch vom Wortlaut des Art. 226 III ZPO CH

346 Siehe die Äußerung des Kantons Obwalden in den Vernehmlassungen, Zusammenstellung der Vernehmlassungen, S. 403 f.; Willisegger, in: Basler Kommentar ZPO, Art. 226 Rn. 4. Hierzu schon Fn. 324. 347 Siehe hierzu Kapitel 1 I 2 b). 348 Willisegger, Grundstruktur des Zivilprozesses, S. 310; ders., in: Basler Kommentar, Art. 226 Rn. 20

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nicht ausgeschlossen.349 Ein völliger Ausschluss einer umfassenden Beweisaufnahme in diesem Verfahrensstadium ist damit nicht gegeben. Indessen besteht dann die Möglichkeit, dass die Parteien eine Wiederholung der Beweisaufnahme nach Art. 155 II ZPO CH beantragen, um dem Gesamtgericht eine sachgerechte Bewertung durch unmittelbare Begutachtung zu ermöglichen. Die weitreichende Befugnis des delegierten Richters wird allerdings dadurch geschmälert, dass das Gericht nicht an die frühere Beweisaufnahme durch den Instruktionsrichter gebunden ist, sondern unabhängig davon weitere Beweise abnehmen und die Beweisverfügung insofern abändern kann, Art. 154 3 ZPO CH. 350 Letztlich könnte man die Stellung des Instruktionsrichters folglich dahingehend beschreiben, dass seine Befugnis zur Beweisaufnahme je nach Verfahrensgestaltung durch das Gericht geringe Bedeutung haben kann, wenn dieses von seiner Abänderungsbefugnis Gebrauch macht oder die Parteien eine Wiederholung der Beweisaufnahme auf Grundlage von Art. 155 II ZPO CH verlangen. Geschieht jedoch nichts dergleichen, kommt dem Instruktionsrichter eine starke und einflussreiche Stellung zu. Die Beweisaufnahme durch den Instruktionsrichter kann, muss aber keine Endgültigkeit besitzen. Sie liegt daher nicht im alleinigen Verantwortungsbereich des Instruktionsrichters. Vielmehr steht dem Kollegialgericht eine eigene korrigierende Befugnis zu. Es ist also nicht darauf angewiesen, den Instruktionsrichter für eine ergänzende Beweisaufnahme zu beauftragen. Aus diesen Gründen ist die Stellung des delegierten Richters im Instruktionsverfahren nicht mit dem Instruktionsrichter italienisch-kanonischer Prägung gleichzusetzen.

349

Tappy, in: CPC commenté, Art. 226 Rn. 20. Nach Müller, in: Beweisrecht der neuen ZPO: Chancen und Risiken, S. 63, 70, 72 spricht sich das Gesetz zwar für den Unmittelbarkeitsgrundsatz und damit für eine Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung aus, die Praxis drehe diese Regel aber um, so dass die Beweisaufnahmen regelmäßig in der Instruktionsverhandlung stattfinden. Gegen die Zulässigkeit einer umfassenden Beweisaufnahme spricht sich zumindest indirekt Frei/Willisegger, in: Basler Kommentar ZPO, 1. Auflage 2010, Art. 226 Rn. 15 aus. 350 Killias, in: Berner Kommentar, Art. 231 Rn. 5. Uneinheitlich beurteilt wird die Frage, ob eine Beweisverfügung auch vor einer Beweisaufnahme in der Instruktionsverhandlung erlassen werden muss. Zustimmend insoweit Willisegger, Grundstruktur des Zivilprozesses, S. 309, Brönnimann, in: Berner Kommentar ZPO, Art. 154 Rn. 10; Guyan, ZZZ 2011, 3, 14; Hasenböhler, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 154 Rn. 22; Schmid, in: Oberhammer/Domej/Hass Kurzkommentar ZPO, Art. 154 Rn. 3a, der auch den mündlichen Erlass der Beweisverfügung insbesondere in der Instruktionsverhandlung für zulässig erachtet. Ablehnend äußert sich Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 312. Wohl ebenfalls ablehnend zumindest bei „einfachen Verhältnissen“ Staehelin/Staehelin/Grolimund, Zivilprozessrecht, S. 338, wobei unklar bleibt, was unter „einfache Verhältnisse“ zu subsumieren ist.

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(3) Zwischenergebnis Wie gezeigt unterliegt die Zwischenphase des ordentlichen Verfahrens nach dem schweizerischen Zivilprozessrecht großer Flexibilität, deren Ausgestaltung in wesentlichen Teilen durch gerichtliche Entscheidungen bestimmt wird. Diese Gestaltungsmacht des Gerichts erschwert daher eine klare Zuordnung zu einem der Prozessmodelle, macht sie möglicherweise sogar unmöglich. So kann sich die Zwischenphase je nach Ausgestaltung der Instruktionsverhandlung stark an das italienisch-kanonische Modell anlehnen. Gleichermaßen kann sich das Verfahren aber bei einer sehr reduzierten Beweisaufnahme in der Instruktionsverhandlung oder gar bei einem Verzicht auf diese eher dem Hauptverhandlungsmodell annähern. Die gesetzliche Regelung lässt jedoch wohl eine Tendenz zum Hauptverhandlungsmodell erkennen, was aber eine Gestaltung des Verfahrensablaufs dergestalt nicht ausschließt, dass er dem italienisch-kanonischen Prozessmodell entspricht. Hierfür lässt sich auch die Aktivität der Parteien, die zur Teilnahme an der Instruktionsverhandlung sowie zur Vorbereitung der Hauptverhandlung angehalten sind, und die Aktivität des Gerichts anführen. Dasselbe gilt in vergleichbaren, aber doch deutlich engeren Grenzen auch für die Stellung des Instruktionsrichters. Seine Rolle im Verfahrensablauf scheint recht dominant, doch lässt sich dem Gesetz aufgrund der ersetzenden und korrigierenden Befugnisse des Kollegialgerichts eher eine auf die formelle Verfahrensgestaltung ausgerichtete Stellung des Instruktionsrichters entnehmen. Die Auswirkungen der instruktionsrichterlichen Befugnisse auf das materielle Streitergebnis sind bis auf den Fall der Streiterledigung durch Vergleich als gering, aber durchaus als vorhanden einzustufen. Der Zweck dieser Verfahrensphase, dass die Parteien unter gerichtlicher Anleitung und Rahmensetzung gemeinsam untereinander aber auch im Dialog mit dem Gericht entweder die Streitbeilegung durch Vergleich suchen oder aber mit entlastenden Maßnahmen die anstehende Hauptverhandlung vorbereiten, steht vielmehr im Einklang mit dem Hauptverhandlungsmodell. Nichtsdestotrotz kann eine bestehende Anlehnung an italienisch-kanonische Elemente nicht in Gänze geleugnet werden. Die Intensität italienisch-kanonischer Elemente in dieser Verfahrensphase steht vielmehr zur Disposition des Gerichts. cc) Die Ausgestaltung der Hauptverhandlung Die Hauptverhandlung soll nach Äußerungen in der Literatur das Glanz- oder „Kernstück“351 des ordentlichen Verfahrens darstellen, in dem sich das wesentliche prozessuale Geschehen bündelt, so dass nach nur einem Termin eine Streitentscheidung möglich ist. Letzteres lässt sich zwar anders als in früheren

351

Higi, ZZZ 2006, 459, 473

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kantonalen Zivilprozessordnungen als Prämisse nicht direkt dem Gesetz entnehmen. Es finden sich allerdings Normen in der schweizerischen Zivilprozessordnung, aus denen der Gedanke der Konzentration und Beschleunigung spricht. Nach Art. 124 I ZPO CH ist das Gericht bei Ausübung der Prozessleitungsbefugnisse gehalten, das Verfahren zügig vorzubereiten und durchzuführen. Die richterliche Fragepflicht dient neben der Umsetzung des Gedankens eines sozialen Zivilprozesses auch im Wesentlichen der Prozessbeschleunigung.352 Im Übrigen ist der Verfahrensablauf naturgemäß auf die Streitbeendigung ausgelegt, die regelmäßig in der Hauptverhandlung stattfindet. Art. 226 II ZPO CH nennt stellvertretend für alle vom Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten die Vorbereitung der Hauptverhandlung in Zusammenhang mit der Instruktionsverhandlung als Zweck der Zwischenphase, so dass alle Verfahrenshandlungen folglich auf eine umfassende Vorbereitung der Hauptverhandlung abzielen.353 Die besondere Bedeutung der Hauptverhandlung zeigt sich sodann auch in Art. 233 ZPO CH, der den Parteien zwar ermöglicht, auf die Hauptverhandlung einvernehmlich zu verzichten, aber gleichzeitig dem Gericht eine Art Vetorecht zuweist. Das Gericht kann nämlich trotz der grundsätzlichen Bindung an den Parteiantrag die Durchführung der Hauptverhandlung anordnen, sofern es eine Hauptverhandlung unter Anwesenheit der Parteien für erforderlich hält.354 Ein leichtfertiger Verzicht der Parteien auf den eigentlichen Kern des prozessualen Geschehens ist damit ausgeschlossen, was ebenfalls die bedeutende Stellung der Hauptverhandlung im Prozessgefüge untermauert. Wie groß die Bedeutung der Hauptverhandlung jedoch im einzelnen Verfahren ist, unterliegt in weiten Teilen der Gestaltungsmacht des Gerichts. Abhängig davon, wie sich das Gericht in Bezug auf die Durchführung der Beweisaufnahme entscheidet, findet diese entweder ganz oder teilweise in der Hauptverhandlung statt. Eine Hauptverhandlung ohne Beweisaufnahme ist unter Geltung der schweizerischen Zivilprozessordnung aber wie oben gezeigt ebenfalls denkbar. Das Gesetz gibt den Ablauf der Endphase und damit der Hauptverhandlung recht starr vor: Auf die einleitenden Parteivorträge mit der Gelegenheit zur Gegenäußerung folgt grundsätzlich die Beweisaufnahme. Abschließend wird den Parteien in ihren Schlussvorträgen Gelegenheit gegeben, zum Beweisergebnis Stellung zu nehmen und die übrigen Erkenntnisse des Verfahrens abschließend zu würdigen. Auch hier besteht jeweils die Möglichkeit zur Gegenäußerung. Diese zahlreichen Äußerungsmöglichkeiten in der Hauptverhandlung können als Abbild der Stellung der Partei im gesamten Verfahren herangezogen werden, denn schon vor der Hauptverhandlung sind die Parteien

352 Ausführlich Trezzini, in: Commentario al Codice di diritto processuale civile svizzero, Art. 56 Anm. 3. B. (S. 134 f.). 353 Higi, ZZZ 2006, 459, 473. 354 Killias, in: Berner Kommentar ZPO, Art. 233 Rn. 12.

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häufig zur Äußerung aufgerufen: Neben der Klageschrift und der Klageerwiderung kann in diesem Verfahrensstadium eine weitere Äußerungsmöglichkeit bestehen, wenn das Gericht einen zweiten Schriftwechsel anordnet. Inhalt der Instruktionsverhandlung ist regelmäßig ein informelles Rechtsgespräch zwischen den Parteien und dem Gericht, in dessen Rahmen die in Art. 226 I ZPO CH genannten Zwecke erfüllt werden, so dass der Grundsatz des rechtlichen Gehörs auch in der Instruktionsverhandlung von besonderer Bedeutung ist.355 Insgesamt zeigt sich hierin, dass das Verfahren zwar auf einer ausgedehnten formellen und materiellen Prozessleitung des Gerichts basiert, gleichermaßen aber auch das ausgeprägte System von Rede und Gegenrede der Parteien das Gerüst des Verfahrens bildet. Dieser Wechsel von Rede und Gegenrede im Prozess hat seinen Ursprung im frühen italienisch-kanonischen Prozess und liegt damit zumindest in Grundzügen auch dem italienisch-kanonischen Verfahrensmodell zugrunde. Zwar sind Rede und Gegenrede auch für das Hauptverhandlungsmodell sowie das trial-Modell charakteristisch. Der streng vorgegebene Ablauf und die Beschränkung des informellen Dialogs zwischen den Parteien und dem Gericht auf die Instruktionsverhandlung, deren Ablauf weitgehend ungeregelt ist und daher der freien Gestaltung der Verfahrensbeteiligten unterliegt, steht der starken Formalisierung des italienisch-kanonischen Modells jedoch sehr nahe. Die Hauptverhandlung der beiden anderen Modelle hingegen ist nicht durch einen derart strengen Ablauf gekennzeichnet, sondern unterliegt vielmehr der Dynamik des Prozessgeschehen und – insbesondere beim Hauptverhandlungsmodell – der Ausübung der materiellen Prozessleitungsbefugnis des Richters. Auch die Verwendung des Begriffs „Plädoyer“ in der Literatur356 für die Parteivorträge in der Hauptverhandlung entspricht diesem System von Rede und Gegenrede357 und stützt damit die Qualifizierung dieser Struktur als italienisch-kanonisches Element. Gemäß Art. 56 ZPO CH ist dem Gericht eine Fragepflicht zugewiesen, die bei unklarem, widersprüchlichem, unbestimmtem oder unvollständigem Vorbringen zum Tragen kommt. Der soeben aufgezeigte starre Aufbau und sehr schematische Ablauf der Hauptverhandlung lassen allerdings nur wenig Raum für dieses flexible Instrument des Gerichts und dessen Gestaltungswert. Auch das enge Novenrecht, das in der Regel einen unbeschränkten neuen Tatsachenvortrag in der Hauptverhandlung nicht mehr zulässt, schmälert die Bedeutung der Fragepflicht in der Endphase des Verfahrens. Nichtsdestotrotz beeinflusst

355

Hierzu mit Blick auf die große Bedeutung des Behauptungsstadiums im eidgenössischen Zivilprozess Higi, ZZZ 2006, 459, 474. 356 Siehe zum Beispiel Leuenberger, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 232 Rn. 4 f.; Gasser/Rickli, Schweizerische Zivilprozessordnung, Art. 232 Rn. 1; Killias, in: Berner Kommentar ZPO, Art. 232 Rn. 4; Pahud, in: Brunner/Gasser/Schwander ZPO, Art. 232 Rn. 3. 357 Oberhammer, ZEuP 2013, 751, 768.

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die Fragepflicht die Stellung des Gerichts im Gesamtgefüge des Prozesses, damit die Zuordnung der Richterfigur zu einem der Prozessmodelle und verdient daher wie im Rahmen der kantonalen Prozessordnungen nähere Betrachtung. Alois Troller bemerkte schon 1945 in einer historischen Analyse der Umsetzung der materiellen Prozessleitung, dass ein Fokus auf der Regelung der materiellen Prozessleitung liegen müsse, wenn erneut ein Versuch eines gemeinsamen schweizerischen Zivilprozessrechts gestartet werde. 358 Nach erheblichem Widerspruch im Vernehmlassungsverfahren 359 wurde das in Art. 51 des Vorentwurfs vorgesehene Fragerecht in der geltenden schweizerischen Zivilprozessordnung als Verpflichtung des Gerichts festgelegt 360 und auf diese Weise die in den kantonalen Prozessordnungen oftmals bestehende Frage beantwortet, ob die zwar als Fragerecht ausgestaltete richterliche Befugnis in der Praxis nicht doch als Pflicht gehandhabt werden sollte. Hiermit wurde letztlich Klarheit bezüglich der unterschiedlichen Ausgestaltungen in den Prozessordnungen geschaffen, die trotz der Unterschiede jedoch im Ergebnis eine ähnliche Interpretation und schlussendlich auch Praxis hervorgebracht hatten.361 Die Ausdehnung des Fragerechts auf unvollständiges Vorbringen gab ebenfalls Anlass zu Kritik, da eine zu starke Zurückdrängung des in Art. 50 I des Vorentwurfs (jetzt Art. 55 I ZPO CH) verankerten Verhandlungsgrundsatzes befürchtet wurde, mit der Folge, dass die nunmehr geltende Fassung eine Beschränkung auf offensichtlich unvollständiges Vorbringen enthält. Neben Hinweisen auf Lücken im tatsächlichen Vorbringen sind auch Hinweise in rechtlicher Hinsicht von Art. 56 ZPO CH gedeckt, deren Intensität 358

Troller, Von den Grundlagen des zivilprozessualen Formalismus, S. 64. Dieser Äußerung sind die Verfasser der schweizerischen Zivilprozessordnung durchaus gefolgt, hat die Aufklärungspflicht in der schweizerischen Zivilprozessordnung doch an unterschied lichen Stellen eine Regelung gefunden. Bezüglich der Intensität der Ausübung der Fragepflicht erfolgte dabei eine Anpassung an die im Gesetz vorgesehenen unterschiedlichen Verfahren, namentlich in Art. 56 ZPO für das ordentliche Verfahren und in Art. 247 ZPO für das vereinfachte Verfahren. Kritisch hierzu Oberhammer, ZEuP 2013, 751, 767 sowie Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 396. 359 Zusammenstellung der Vernehmlassungen, S. 180 ff. 360 Detailliert zur Entwicklung vom Fragerecht im Vorentwurf zur Fragepflicht im geltenden Gesetzestext Fellmann, in: HAVE Haftpflichtprozess 2009, S. 69, 73 ff. 361 Vgl. insoweit die Ausführungen zu den Fragerechten beziehungsweise Fragepflichten bei der Darstellung ausgewählter kantonaler Zivilprozessordnungen. Für Zürich Kapitel 3 I 2 a) bb) (4), für Luzern Kapitel 3 I 2 b) bb) (4), für Bern Kapitel 3 I 2 c) bb) (4), für Waadt Kapitel 3 I 2 d) bb) (3) und für den Kanton Wallis Kapitel 3 I 2 e) bb) (4). Die nunmehr gewählte Gestaltung des richterlichen Fragerechts wird von Tessiner Rechtswissenschaftlern nichtdestotrotz als „un’evoluzione epocale“ (dt. eine epochale Entwicklung) bezeichnet, da die Tessiner Zivilprozessordnung von einem fakultativen und sehr engen Grenzen unterliegenden Fragerecht geprägt war und nun gerade das Gegenteil, nämlich eine sehr umfassende Pflicht, vorgesehen ist, vgl. Trezzini, Commentario al Codice di diritto processuale civile svizzero, Art. 56 Anm. 1. (S. 129).

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sich wie auch in den früheren kantonalen Gesetzen an der Rechtskundigkeit der Parteien orientiert sowie daran, ob diese im Prozess anwaltlich vertreten sind.362 Die anwaltliche Vertretung führt jedoch nicht generell zu einem Ausschluss der Fragepflicht, diese ist lediglich mit Zurückhaltung auszuüben. 363 Wie auch bereits unter Geltung der kantonalen Zivilprozessrechte ist die Frage umstritten, ob auch der Hinweis auf die Verjährungseinrede von der Pflicht des Art. 56 ZPO CH erfasst ist. 364 Die gesamtschweizerische Zivilprozessordnung konnte in diesem Punkt nicht zur Klärung der Diskussion beitragen. Ihre Grenze findet die Aufklärungs- und Fragepflicht zum einen in dem Grundsatz, dass der unklare oder unvollständige Sachverhalt zumindest Andeutung im Parteivortrag gefunden hat,365 sowie zum anderen in der Unparteilichkeit des Richters. Ferner gilt weiterhin der durch das Bundesgericht aufgestellte Grundsatz, dass die Aufklärungspflicht nicht prozessuale Nachlässigkeit der Parteien ausgleichen soll. 366 Allein die ersichtliche Unkenntnis der Parteien und der hieraus möglicherweise resultierende Rechtsverlust sind das Fundament ihres Anwendungsbereichs.367 Insoweit hatte sich aber gegenüber den kantonalen Prozessordnungen keine Änderung ergeben, haben diese im Grundsatz insoweit doch dieselben Maßstäbe angelegt. Garant einer einheitlichen Anwendung sind solche gemeinsamen Maßstäbe jedoch nicht. Bereits unter Geltung der kantonalen Zivilprozessordnungen war ein Ost-West-Gefälle in der Ausübung der materiellen Leitungsbefugnisse zu

362

Bühler, in: Festschrift 75 Jahre Aargauischer Juristenverein 1936−2011, S. 25, 42; Gasser/Rickli, Schweizerische Zivilprozessordnung, Art. 56 Rn. 3; Haldy, in: CPC commenté, Art. 56 Rn. 3, welcher sich allerdings nicht mit der inhaltlichen Ausgestaltung der Richterpflicht auseinandersetzt; Staehelin/Staehelin/Grolimund, Zivilprozessrecht, S. 144; Affentranger, in: Stämpflis Handkommentar ZPO, Art. 56 Rn. 4; Sutter-Somm/von Arx, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 56 Rn. 31; Dietschy, SZZP 2011, 82, 83. Nach Auffassung Meiers hat die Frage, ob die Parteien anwaltlich vertreten sind oder nicht, in Bezug auf Umfang und Inhalt der richterlichen Fragepflicht eine größere Bedeutung, als die Anwendbarkeit von Art. 56 ZPO CH im ordentlichen Verfahren oder Art. 247 ZPO CH im vereinfachten Verfahren, vgl. Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 396. 363 Siehe hierzu ausführlich und differenziert Lienhard, Die materielle Prozessleitung der Schweizerischen Zivilprozessordnung, S. 101 ff. 364 Positiv äußern sich insoweit Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 395 f.; Six, in: Festschrift 75 Jahre Aargauischer Juristenverein 1936−2011, S. 87, 99 f.; Hurni, in: Berner Kommentar ZPO, Art. 56 Rn. 25. Eine ablehnende Haltung nehmen ein Willisegger, Grundstruktur des Zivilprozesses, S. 271, Staehelin/Staehelin/Grolimund, Zivilprozessrecht, S. 145; Glasl, in: Brunner/Gasser/Schwander ZPO, Art. 56 Rn. 22; Sutter-Somm/von Arx, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 56 Rn. 43. 365 Spühler/Dolge/Gehri, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 93. 366 Urteil Bundesgericht vom 30. August 2001 (5P147/2001) E. 2 lit. a)cc)). 367 Fellmann, in: HAVE Haftpflichtprozess 2009, S. 69 , 79.

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erkennen,368 dessen Fortsetzung insbesondere bei dem im Vorentwurf vorgesehenen Fragerecht befürchtet wurde. 369 Gerade aber weil es in der Natur der Frage- und Aufklärungspflicht liegt, dass diese nicht schematisch ausgeübt werden kann, lag und liegt hier ein Einfallstor für eine unterschiedliche Ausübung und Beibehaltung bisheriger kantonaler Traditionen. Das die Reform des Zivilprozessrechts tragende Ziel der Vereinheitlichung kann daher für die Umsetzung der richterlichen Frage- und Aufklärungspflicht nicht rigoros verfolgt werden. Neben den der Prozessordnungen zugrunde liegenden Rechtskulturen dürften divergierende Prozesspraktiken jedoch wohl nicht allein an die Ausgestaltung dieses prozessualen Instruments als Recht oder Pflicht geknüpft sein. Vielmehr bietet der Wortlaut des Art. 56 ZPO CH insbesondere mit den Elementen „unklar“, „unbestimmt“ und „offensichtlich unvollständig“ dem Richter einen Ermessensspielraum, um den Umständen des Einzelfalls gerecht werden zu können. Eine hieraus resultierende unterschiedliche Handhabung dieser Richterpflicht ist damit die natürliche Folge, so dass dies keine auf der besonderen Situation der Schweiz basierende Erscheinung ist. Letztlich dürften aber die unterschiedlichen rechtskulturellen Hintergründe der einzelnen Kantone auch unter Geltung der gesamtschweizerischen Zivilprozessordnung an dieser Stelle vernehmbar zutage treten. Nichtsdestotrotz hat sich die eidgenössische Zivilprozessordnung wie die früheren kantonalen Ordnungen zumindest im Gesetz für einen starken Richter entschieden. Die unterschiedliche Handhabung ist in der Praxis möglich und auch wahrscheinlich; eine umfassende Passivität nach italienisch-kanonischem Vorbild ist aber von den gesetzlichen Regelungen nicht gedeckt. Die begrenzte Gestaltungsmacht des Richters in der Hauptverhandlung aufgrund des engen Anwendungsbereichs des Art. 56 ZPO CH wird jedoch dadurch aufgewogen, dass dem Gericht ein weitreichender Einfluss auf die äußere Verfahrensgestaltung, namentlich den gesamten Verfahrensablauf zukommt. Neben einer direkten Vorladung zur Hauptverhandlung, kann das Gericht auch nach dem Austausch der ersten verfahrenseinleitenden Schriftsätze einen weiteren Schriftwechsel anordnen. Außerdem ist das Gericht bezüglich der Anzahl und des Zeitpunkts von Instruktionsverhandlungen grundsätzlich nicht eingeschränkt. Hinsichtlich der Gestaltung des äußeren Verfahrensab-

368 Auf die unterschiedliche Handhabung der Fragepflicht beziehungsweise des Fragerechts verweisend auch Gasser/Rickli, Schweizerische Zivilprozessordnung, Art. 56 Rn. 1; Oberhammer, in: Privatrecht und Methode. Festschrift für Ernst A. Kramer, S. 1025, 1043; Sutter-Somm, ZZZ 2005, 3, 16; Fellmann, in: HAVE Haftpflichtprozess 2009, S. 69, 71; Domej, ZZPInt 11 (2006), 239, 255; Leuenberger, in: Rechtliche Rahmenbedingungen des Wirtschaftsstandortes Schweiz. Festschrift 25 Jahre juristische Abschlüsse an der Universität St. Gallen, S. 601, 603. 369 Oberhammer, in: Privatrecht und Methode. Festschrift für Ernst A. Kramer, S. 1025 f., 1043.

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laufs findet die richterliche Gestaltungsmacht ihre Grenze erst in der Angemessenheit des gewählten Verfahrensablaufs mit Blick auf den Umfang und die rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten des zu behandelnden Sachverhalts. Insoweit kann der Richter ferner weitgehend über die Gewichtung mündlicher und schriftlicher Elemente im Verfahren entscheiden. Daneben findet die Rolle des Richters auch eine Stärkung dadurch, dass ihm gemäß Art. 153 II ZPO CH die Befugnis zukommt, von Amts wegen Beweis zu erheben, wenn erhebliche Zweifel an der Richtigkeit einer nicht streitigen Tatsache bestehen. Im Interesse der materiellen Wahrheit wird zwar der in Art. 55 I ZPO CH verankerte Verhandlungsgrundsatz abgeschwächt, die Auswirkungen auf das Verfahren sind jedoch überschaubar. Nicht zuletzt durch das Erfordernis „erheblicher Zweifel“ sind dem Vorgehen enge Grenzen gesetzt. Diese Einschränkung bietet ebenfalls einen richterlichen Ermessenspielraum, der eine unterschiedliche praktische Handhabung erlaubt. Die Grenzen richterlichen Ermessens sind aber wohl enger gesetzt als in Art. 56 ZPO CH. Nichtsdestotrotz passt sich diese Regelung in das Bild des starken Gerichts nahtlos ein. Schlussendlich verlangt die schweizerische Zivilprozessordnung daher ein starkes Gericht, das im Rahmen seiner formellen und materiellen Prozessleitung dem Verfahren einen angemessenen äußeren Rahmen und eine klare innere Struktur gibt. Dieses Richterbild entspricht jenem, welches die Vereinfachungsnovelle in Deutschland maßgeblich prägte und welches ein charakteristisches Merkmal des Hauptverhandlungsmodells ist. Allerdings darf dies nicht als Schaffung eines richterdominierten Verfahrens verstanden werden. Auch wenn die Stellung der Parteien nicht vergleichbar ist mit der Parteiendominanz im U.S.-amerikanischen trial-Modell, so weist die schweizerische Zivilprozessordnung den Parteien doch einen begrenzten Einfluss auf die Gestaltung des Verfahrens zu. Im Wege einseitiger Anträge können sie ihre Vorstellung eines angemessenen Verfahrens gegenüber dem Gericht kommunizieren, wie beispielsweise über das Abhalten einer Instruktionsverhandlung oder den Verzicht auf diese.370 Gemeinsames übereinstimmendes Handeln der Parteien bindet in einigen vom Gesetz vorgesehenen Fällen sogar das Gericht an die Entscheidung der Parteien, obwohl Verfahrensrecht in der Regel zwingendes Recht ist und damit grundsätzlich nicht zur Disposition der Parteien steht. 371 In den übrigen, gesetzlich nicht geregelten Fällen muss selbst bei einem einver-

370

Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 390. Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 51; Meier, Iura novit curia, S. 73 f. Beispielhaft zu nennen sind Art. 17 ZPO CH (Gerichtsstandsvereinbarungen), Art. 199 I ZPO CH (Verzicht auf das Schlichtungsverfahren), Art. 213 I ZPO CH (Mediation statt Schlichtungsverfahren), Art. 232 II ZPO CH (Verzicht auf die Schlussvorträge in der Hauptverhandlung), vgl. Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 390 f. 371

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ständlichen Antrag der Parteien eine Bindungswirkung für das Gericht aufgrund des zwingenden Charakters grundsätzlich verneint werden. Eine Zurückdrängung des zwingenden Charakters des Verfahrensrechts ist insofern auch nicht zwingend notwendig, bleibt es dem Gericht doch unbenommen, aufgrund der von den Parteien gegebenen Denkanstöße das Verfahren entsprechend zu gestalten, sofern die Anträge sinnvoll und im Hinblick auf den zu entscheidenden Sachverhalt angemessen sind und keine prozessualen Grundentscheidungen beeinträchtigt werden. Die Signalwirkung, die ein solcher positiver Bescheid über einen gemeinsamen Parteiantrag auf das Engagement der Parteien haben kann, darf angesichts des Ziels einer zügigen, aber gleichwohl qualitativ hochwertigen und effektiven Verfahrenserledigung nicht unterschätzt werden.372 c) Fazit aa) Das Prozessmodell der schweizerischen Zivilprozessordnung Das ordentliche Verfahren nach der eidgenössischen Zivilprozessordnung ist wie oben gezeigt einer eindeutigen Zuordnung zu einem der Prozessmodelle nicht zugänglich. Während kein prägendes Charakteristikum des U.S.-amerikanischen trial-Modells Eingang in den schweizerischen ordentlichen Zivilprozess gefunden hat, finden sich sowohl Elemente des italienisch-kanonischen Modells als auch solche des Hauptverhandlungsmodells. Deren Gewichtung im einzelnen Verfahren liegt in weiten Teilen in der Hand des angerufenen Gerichts, das aufgrund seiner Prozessleitung in Art. 124 I 1 ZPO CH eine sehr große Gestaltungsmacht innehat. Letztlich ist es damit die Ausübung der Gestaltungsmacht durch das Gericht, welche über das dem Verfahren zugrunde liegende Prozessmodell entscheidet. Entschließt sich das Gericht für eine der Hauptverhandlung vorhergehende umfassende Beweisaufnahme vor dem delegierten Richter in der Instruktionsverhandlung und treten noch weitere Instruktionsverhandlungen für einzelne 372

Weitergehend und eine Bindungswirkung bejahend, wenn keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstehen, Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 391. Die hier vorgeschlagene Behandlung der Fälle sowie die Auffassung von Meier dürften in der Praxis regelmäßig zu denselben Ergebnissen führen. Mit dem Grundsatz, dass Verfahrensrecht außerhalb der gesetzlichen Ausnahmen nicht zur Disposition der Parteien stehen soll, zu brechen, würde allerdings ohne Not einen Konflikt mit der in Art. 124 I ZPO CH verankerten Prozessleitung des Gerichts heraufbeschwören. An dieser Stelle es der Entscheidungsmacht des Richters zu überlassen, ob er im Sinne eines effizienten Verfahrensablaufs den unterstellt objektiv sinnvollen Anträgen der Parteien stattgibt, würde zum einen Art. 124 I ZPO CH entsprechen und zum anderen in das Gesamtgefüge der schweizerischen Zivilprozessordnung passen, welche wie gezeigt eine generell sehr weitgehende Entscheidungsbefugnis des Richters vorsieht. Eine Bindung des Richters an Parteianträge außerhalb gesetzlicher Regelungen erschiene daher als Fremdkörper.

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Verfahrensschritte hinzu, so kommt dies dem Verfahrensablauf nach dem italienisch-kanonischen Prozessmodell sehr nahe. Übt der Richter dann die ihm in Art. 56 ZPO CH zugewiesene Richterpflicht noch sehr reduziert aus, ist das Abbild des italienisch-kanonischen Prozessmodells nahezu perfekt. Beraumt das Gericht jedoch nach der Verfahrenseinleitung eine Instruktionsverhandlung zur näheren Klärung der in den einleitenden Schriften vorgetragenen Tatsachen an oder hält es eine Vergleichsverhandlung für erfolgsversprechend, verhandelt das Gericht im Anschluss den Sachverhalt vor dem voll besetzten Gericht und nimmt Beweise in der Hauptverhandlung ab, entspricht der äußere Verfahrensablauf weitgehend jenem des Hauptverhandlungsmodells. Nimmt der Richter dann noch die ihm vom Gesetz zugewiesenen formellen und materiellen Leitungsbefugnisse aktiv und engagiert wahr, so entspräche auch das Richterbild dem des Hauptverhandlungsmodells. Dies macht deutlich, dass sich der Gesetzgeber der schweizerischen Zivilprozessordnung nicht eindeutig für eines der dargestellten Prozessmodelle entschieden hat, sondern die Verfahrensgestaltung in einem sehr hohen Maß der Entscheidung des Gerichts überlässt. Allerdings erwecken die Regelungen zur Hauptverhandlung (Art. 228 ff. ZPO CH) aufgrund ihres Umfangs doch den Eindruck, als habe der Gesetzgeber hierauf einen Schwerpunkt legen wollen. Zwar erscheinen sie im Vergleich zu deutschen oder gar europäischen Regelungen äußerst minimalistisch, doch im Gesamtgefüge der Regelungen zum ordentlichen Verfahren fanden sie auch aufgrund der Verortung in einem eigens der Hauptverhandlung zugewiesenen Kapitel im Vergleich zu anderen Verfahrensstadien eine umfassendere Regelung. Dem entsprechen ferner die Äußerungen in der Literatur, die der Hauptverhandlung eine zentrale und auch bedeutende Stellung zuweisen. Auch die isolierte Betrachtung der Vorschrift des Art. 231 ZPO CH, die die Beweisaufnahme eigentlich der Hauptverhandlung zuweist, sowie die Änderung des Art. 155 ZPO CH im Vergleich zum Vorentwurf stärken die Stellung der Hauptverhandlung, indem sie als „Mittelpunkt des Prozesses“373 oder „Kernstück des ordentlichen Verfahrens“ 374 charakterisiert wird. 375 Letztlich genügt dies jedoch nicht, um von einem eindeutigen Bekenntnis des eidgenössischen Gesetzgebers zum Hauptverhandlungsmodell sprechen zu können. Eine Tendenz zum Hauptverhandlungsmodell kann jedoch sicherlich angenommen werden. Man könnte nach alledem erwägen, den schweizerischen Zivilprozess als Ausdruck eines weiteren, eigenen Modells anzusehen, welches zwar bekannte und charakteristische Elemente des italienisch-kanonischen Prozessmodells und des Hauptverhandlungsmodells enthält, deren Gewichtung und damit ihre

373

Meier, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 341. Higi, ZZZ 2006, 459, 473 375 Siehe soeben Text bei Fn. 353. 374

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prägende Rolle für das Verfahren aber dem Gericht überlässt. Ein solches Modell wäre daher in seiner Grundstruktur sehr flexibel und dynamisch und durch die Entscheidungen des Gerichts im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten formbar. Allerdings dürfte es – ohne die Leistung des eidgenössischen Gesetzgebers bei der größten Vereinheitlichungsreform der jüngeren Vergangenheit schmälern zu wollen – zum einen an der Signifikanz und der Innovation fehlen, um überzeugend die Zuordnung zu einem neuen Modell sui generis begründen zu können. Zum anderen ist es zumindest zweifelhaft und möglicherweise auch ein Widerspruch in sich, in einer derart flexiblen Verfahrensgestaltung ein eigenständiges Modell zu sehen, impliziert doch bereits der Begriff des Modells naturgemäß zumindest das Vorhandensein eines hinreichend feststehenden, äußeren Rahmens. Gerade dieser dürfte aber dem ordentlichen Verfahren nach der schweizerischen Zivilprozessordnung fehlen. Vielmehr liegt nur eine Tendenz zu einem festen äußeren Rahmen vor. Das Gesetz sieht viele Handlungsmöglichkeiten vor, denen dann im Einzelnen ein etwas fassbarerer Rahmen zugewiesen ist. „Der“ eine feste Rahmen für das große Ganze, der gerade das Wesen eines Modells konstituiert, ist aber im hier betrachteten Verfahren nur sehr schwach ausgeprägt. Dem Verfahrensablauf im ordentlichen erstinstanzlichen Verfahren nach der eidgenössischen Zivilprozessordnung liegt damit kein Modell sui generis zugrunde. Mangels Begründung eines Modells sui generis ist damit festzuhalten, dass das ordentliche erstinstanzliche Verfahren keinem der traditionellen Verfahrensmodelle zugeordnet werden kann. Die Gewichtung der Elemente des italienisch-kanonischen Prozessmodells sowie jener des Hauptverhandlungsmodells unterliegt der Gestaltung des Gerichts, so dass die eidgenössische Zivilprozessordnung kein Modell klar favorisiert und letztlich die Zuordnung zu einem der Prozessmodelle zur Disposition des Gerichts steht. Allerdings kann dem Gesetz wie oben dargestellt eine Tendenz zum Hauptverhandlungsmodell entnommen werden. bb) Umsetzung des Vereinheitlichungsgedankens Ausgehend von diesem Ergebnis stellt sich die Frage, inwieweit eine solche flexible Gestaltung des Verfahrensablaufs im ordentlichen Verfahren mit dem Gedanken der Vereinheitlichung des Verfahrensrechts zu vereinbaren ist, welcher diesem schweizerischen Gesetzgebungsvorhaben vergleichbar einem Programmsatz zugrunde lag.376 Zunächst ist klarzustellen, dass es sich bei der geschaffenen eidgenössischen Zivilprozessordnung nicht um eine „absolute Neuschöpfung“ 377 handelt. Vielmehr ist diese ein Abbild unterschiedlicher kantonaler Traditionen, an denen 376 377

Vgl. BBl. 2006, 7221, 7230 ff. Kritisch Oberhammer, ZEuP 2013, 751, 757. Higi, ZZZ 2006, 459, 475.

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Kapitel 3: Das Zivilprozessrecht der Schweiz

ausweislich der Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung in gewissem Umfang festgehalten werden sollte und auf die eine eidgenössische Zivilprozessordnung aufgebaut werden sollte. Daneben muss aber auch berücksichtigt werden, dass aufgrund der 26 unterschiedlichen kantonalen Prozessordnungen nur eine enge Grenze für überraschende Neuregelungen bestand, zumal auch der Mehrwert mancher neuartiger Regelung oftmals zweifelhaft sein kann. Obwohl die Zivilprozessordnung dem Richter einen weiten Gestaltungsspielraum aufgrund verschiedener Möglichkeiten bezüglich des Fortgangs des Verfahrens zuweist und trotz recht offener und interpretationsfähiger Vorschriften, legt die schweizerische Zivilprozessordnung dennoch Eckpfeiler fest, die die Gestaltungsmacht des Richters begrenzen. Allerdings ist zu konstatieren, dass mit Blick auf die vorstehend gemachten Ausführungen ihre einschränkende Wirkung überschaubar ist und die in den Vorschriften enthaltene Dynamik unterschiedlichste Verfahrensgestaltungen zulässt. Auf diese Weise ist das Fortführen bisher bestehender kantonaler Traditionen in den Verfahrensabläufen zumindest nicht ausgeschlossen. Folglich besteht durchaus die Gefahr, dass trotz eines einheitlichen Gesetzestextes die Gerichtspraxis weiter von Kanton zu Kanton verschieden bleibt. Der Grund dafür, dass zahlreiche Regelungen der schweizerischen Zivilprozessordnung einzelne Elemente unterschiedlicher Verfahrensmodelle umsetzen, dürfte wie gezeigt in der offenen und interpretationsfähigen Gestaltung von Normen mit Schlüsselfunktion für den Verfahrensablauf liegen, insbesondere der Gestaltung der Instruktionsverhandlung sowie der Handhabung der richterlichen Fragepflicht. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, was der schweizerische Gesetzgeber mit der „Vereinheitlichung“ meinte, die er zuvörderst als Ziel seiner Reform festgesetzt hatte. In formeller Hinsicht ist eine Vereinheitlichung mit der Schaffung eines Gesetzestextes für die gesamte Eidgenossenschaft ohne weiteres erfolgt. In materieller Hinsicht, also bezogen auf die Gerichtspraxis, fällt eine Antwort deutlich schwerer. Diese Schwierigkeit ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass neben dem Ziel der Vereinheitlichung auch das Leitmotiv „Mut zur Lücke“, welches ausweislich der Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung zur kantonalen und schweizerischen Tradition gehört, 378 eine wesentliche Rolle im Gesetzgebungsprozess gespielt hat. „Erschöpfender Perfektionismus“ sollte vermieden werden, um durch eine offene Gestaltung den Richtern den notwendigen Spielraum für die Gewährung bestmöglichen und effektiven Rechtsschutzes zu geben. 379 Die insbesondere aus der Sicht deutscher Juristen geringe Regelungsdichte der nun geltenden Zivilprozessordnung dürfte diesem „Mut zur Lücke“ geschuldet sein. Die recht große Flexibi-

378 379

BBl. 2006, 7221, 7236. BBl. 2006, 7221, 7236.

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lität der Zivilprozessordnung in Bezug auf die richterliche Verfahrensgestaltung darf damit als Ergebnis der Umsetzung dieses Leitmotivs bezeichnet werden. Gerade diese, laut der Botschaft zur Zivilprozessordnung dem effektiven Rechtsschutz dienende Herangehensweise könnte allerdings das Ziel der Vereinheitlichung konterkarieren. Es gilt daher, der Frage nachzugehen, wie es zusammenpasst, einerseits Vereinheitlichung als Ziel der Reform zu definieren und sich andererseits für das Leitmotiv „Mut zur Lücke“ als Gestaltungsinstrument zu entscheiden, dürfte dieser „Mut zur Lücke“ im Verfahrensrecht doch gerade eine Einbruchstelle für das Fortführen bestehender kantonaler Traditionen sein und damit eine uneinheitliche Verfahrensgestaltung befördern. 380 Vor diesem Hintergrund könnte angenommen werden, dass die offene Gestaltung des ordentlichen Verfahrens trotz Vereinheitlichungsabsicht gewählt wurde, weil der Gesetzgeber von einem interkantonalen Konsens in Bezug auf die Verfahrensgestaltung ausging, welcher eine Einebnung bestehender Unterschiede zwischen den kantonalen Gerichtspraktiken herbeiführen würde, ohne dass eine imperative Anordnung im Gesetzestext erfolgen muss. Mit Blick auf die Vernehmlassungen, die in wichtigen, die Verfahrensstruktur wesentlich prägenden Punkten recht konträre Positionen der Kantone offenbart hatten, erscheint dies aber nicht überzeugend. Auch das Bestehen einer eidgenössischen Prozesskultur oder -tradition, die zu einer einheitlichen Lückenfüllung oder Interpretation führen könnte, kann aufgrund der föderalistischen Struktur und der großen Eigenverantwortung der Kantone im Rahmen der Gesetzgebung eher bezweifelt werden. Das bereits vor der Reform bestehende „einheitliche Zivilprozessrecht“, welches durch die Rechtsprechung des Bundesgerichts und die prozessualen Regelungen im materiellen Bundesrecht geschaffen wurde, hätte hierfür durchaus als Ansatz fungieren können, blieb aber bei der Schaffung der schweizerischen Zivilprozessordnung nahezu vollständig unberücksichtigt. 381 Im Übrigen wird sich eine lückenfüllende Rechtskultur doch überwiegend aus der Gerichtspraxis ergeben. Zwar dürften „Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung“382 in Bezug auf die schweizerische Zivilprozessordnung zukünftig durch die Rechtsprechung des Bundesgerichts geklärt werden.383 Dass hierdurch jedoch in naher Zukunft ein engmaschiges Netz richterlicher Rechtsfortbildung entsteht, welches den Prozess der Rechtsvereinheitlichung deutlich befördern wird, ist indes in Zweifel zu ziehen. Dies mag nicht zuletzt daran lie-

380

Die „Nachwirkung“ kantonaler Traditionen unter Geltung der schweizerischen Zivilprozessordnung aufgrund der offenen Verfahrensgestaltung aufgreifend, Sutter-Somm, ZZZ 2007, 301, 320; Oberhammer, ZEuP 2013, 751, 758; von Werdt, in: Zivilprozess – aktuell, S. 17, 28; Müller, in: Beweisrecht der neuen ZPO: Chancen und Risiken, S. 63, 73. 381 Oberhammer, ZEuP 2013, 751, 757. 382 Art. 74 II lit. a BGG. 383 Siehe auch Sutter-Somm, ZZZ 2007, 301, 321.

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gen, dass in einem Land von der Größe der Schweiz bereits zahlenmäßig weitaus weniger Entscheidungen mit Grundsatzcharakter getroffen werden können als in flächenmäßig größeren Ländern, da die Anzahl der Rechtsstreitigkeiten weitaus geringer ist. Im Übrigen ist auch die wissenschaftliche Durchdringung des Rechts in ihrem Umfang und ihrer Schnelligkeit allein schon wegen geringerer personeller Ressourcen in der Wissenschaft nicht so schnell zu erwarten. Hinzu treten dann zudem die verschiedenen Einflüsse der germanischen oder romanischen Rechtskultur, denen die Kantone in ihrer Entwicklung in unterschiedlicher Intensität ausgesetzt waren und dies auch in der Gegenwart noch sind.384 Bei einem solchen staatsrechtlichen und kulturellen Hintergrund sind gemeinsame grundlegende Maßstäbe, die noch Raum für eine unterschiedliche Handhabung geben, zwar geeignet, einen Grundkonsens auf formeller Ebene in Form eines einheitlichen Gesetzestextes zu schaffen, nicht aber eine gemeinsame Zivilprozessrechtskultur hervorzubringen. Eine gemeinsame Basis der Richter aus einzelnen Kantonen in Form einer gesamtschweizerischen Rechtstradition ist abgesehen von der grundsätzlichen Geltung üblicher Verfahrensgrundsätze im Zivilprozess nicht gegeben, so dass die Schweizer Richter darauf nicht zurückgreifen könnten, um einen einheitlichen kantonsübergreifenden Verfahrensablauf zu gestalten. Dies darf aber nicht dazu führen, dass den Rechtsanwendern vorschnell eine negative Haltung attestiert wird, die kantonale Traditionen konservieren will und Neuem grundsätzlich ablehnend, zumindest jedoch skeptisch gegenübersteht. Dass eine solche Haltung existieren mag, kann zwar nicht vorschnell in Abrede gestellt werden. Allerdings ist sie vielleicht auch aus der Not geboren, da ein Rückgriff auf gesamtschweizerische Rechtstraditionen wie gezeigt entweder gar nicht oder nur in engen Grenzen möglich ist. Ein Rückgriff auf altbekannte Strukturen und damit auf jene, die unter den kantonalen Rechtsordnungen entwickelt und praktiziert wurden, dürfte in einer solchen Situation eine natürliche menschliche Reaktion sein. Zwar wird es für unzulässig erachtet, das Verfahren so zu gestalten, wie die Richter es nach kantonalem Recht gewohnt waren.385 Doch lässt sich dies bei einer solchen offenen Verfahrensgestaltung zumindest bei der Generation der Juristen, die sowohl zur Zeit des kantonalen Gesetzes als auch nun unter Geltung der schweizerischen Zivilprozessordnung praktiziert hat, nicht so einfach vermeiden, zumal die nunmehr geltende eidgenössische Zivilprozessordnung ein solches Vorgehen in weiten Teilen auch zulässt. Im Übrigen dürfte insoweit eine Rechtmäßigkeitskontrolle nur in sehr offensichtlichen, an Rechtsmissbrauch grenzenden Fällen erfolgreich sein.

384 Oberhammer, ZEuP 2013, 751, 753; Kren Kostkiewicz, in: The Law of Evidence in the European Union, S. 437. 385 Leuenberger, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger ZPO, Art. 225 Rn. 11 in Bezug auf den Zeitpunkt des Aktenschlusses.

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All dies legt daher nahe, dass sich der schweizerische Gesetzgeber den Folgen einer solchen Gestaltung bewusst war und dass er sich auch bewusst für eine „Gleichheit in Ungleichheit“ entschieden hat: Allen Kantonen steht nun dieselbe Rechtsgrundlage zur Verfügung, die aber durchaus unterschiedliche und damit kantonal ungleiche Verfahrensgestaltungen erlaubt und wohl auch zutage treten lässt. Reduziert man das Ziel der Reform auf die „Schaffung einer vereinheitlichten Kodifikation“, 386 so hat der schweizerische Gesetzgeber sein Ziel erreicht. cc) Abschließende Betrachtung Die am 1. Januar 2011 in Kraft getretene schweizerische Zivilprozessordnung ist das Ergebnis eines bisher beispiellosen Gesetzesvorhabens im Verfahrensrecht auf eidgenössischem Terrain. Niemals zuvor hatte sich der eidgenössische Gesetzgeber auf dem Gebiet des Verfahrensrechts daran versucht, aus dem Nichts ein Gesetz zu schaffen, ohne dass eine Referenzkodifikation beispielsweise aus einem anderen Kanton oder dem Ausland Modell gestanden hätte.387 Einzig ein umfassendes Repertoire kantonaler Regelungen stand zur Verfügung, die dem Gesetzgeber eine Orientierung boten. Aufgrund der Verschiedenartigkeit der Kantone mit ihren unterschiedlichen kulturellen Hintergründen verbot sich mit Blick auf den Geltungsbereich der zu schaffenden Kodifikation eine unreflektierte Übernahme einzelner Bausteine. Dass unter diesem Vorzeichen und trotz der in dem Gesetzgebungsverfahren zutage getretenen kantonalen Tendenzen, ihre Souveränität soweit wie möglich zu bewahren, schlussendlich ein Gesetz verabschiedet wurde, das von allen 26 Kantonen mitgetragen wurde, darf durchaus als ein Meilenstein schweizerischer Gesetzgebungsgeschichte bezeichnet werden. „Den Rechtssuchenden unabhängig von lokalen prozessualen Zufälligkeit die Verfolgung ihrer Ansprüche nach einheitlichen Grundsätzen zu ermöglichen“, 388 war in der Vergangenheit oftmals das Hauptanliegen der Befürworter einer eidgenössischen Zivilprozessordnung. Angesichts der gefundenen Ergebnisse kann dies die geltende gesamtschweizerische Zivilprozessordnung nur in Teilen, wohl vorerst auch nur in Grundzügen leisten. Aufgrund der benannten 386

Vgl. Oberhammer, ZEuP 2013, 751, 765, der sich deutlich und sehr kritisch dazu äußert, dass die Vereinheitlichung als solche allerdings nicht als inhaltliches Programm einer Kodifikation herangezogen werden kann, wie dies von der Botschaft zur Zivilprozessordnung getan wird. „Ziel der Kodifikation war eine Kodifikation.“ Ebenso ders., in: Privatrecht und Methode. Festschrift für Ernst A. Kramer, S. 1025, 1029. 387 Vgl. Walder-Richli, in: Festschrift für Kostas E. Beys, Bd. 2, S. 1713, 1715. 388 H. P. Walter, BJM 1995, 281, 300 mit Bezug auf die weitreichende Judikatur des Bundesgerichts auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts, welche auf die Schaffung bundesweit einheitlicher Maßstäbe im Prozessrecht zur einheitlichen Durchsetzung des materiellen Rechts gerichtet war.

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zahlreichen richterlichen Gestaltungsmöglichkeiten wird vorerst der „Trachtenlook“389 unterschiedlicher schweizerischer Gerichtspraxis trotz einheitlicher Rechtsgrundlage wohl bestehen bleiben, zumal am Bundesgericht „im Allgemeinen festgestellt [wurde], dass die Kantone dazu tendieren, die ZPO in dem Sinne zu verstehen und anzuwenden, der am nächsten demjenigen der bisherigen kantonalen Prozessordnung entspricht.“390 Die hier anklingende Kritik, dass die Schweiz den eingeschlagenen Weg der Vereinheitlichung nicht vollends bis zum Schluss gegangen ist, an dessen Ende eine vom Gesetz vorgesehene einheitliche Gerichtspraxis hätte stehen können, sondern vielmehr sich auf eine formelle Vereinheitlichung beschränkt hat und überdies die Gerichtsorganisation von der Vereinheitlichung vollends ausgenommen hat, soll die Errungenschaften dieser Kodifikation aber nicht schmälern. Die Zivilprozessordnung verkörpert allerdings die wohl offenste Gestaltung eines vereinheitlichenden Gesetzes, welche abgesehen von einem Rahmengesetz möglich war.391 Es ist jedoch auch nicht ausgeschlossen, dass dies der einzige gangbare Weg gewesen ist, um dieses Projekt zu realisieren. Mit Blick auf die Gesetzgebungsgeschichte und die zahlreichen gescheiterten Versuche der Schaffung einer einheitlichen Zivilprozessordnung liegt es nahe, dass die Schweiz für eine gesetzlich aufgezwungene Vereinheitlichung der Prozesspraxis nicht bereit gewesen wäre und eine solche Regelungsweise ein Gesetzgebungsverfahren mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erfolgreich hätte durchlaufen können. Nichtsdestotrotz wäre eine weniger liberale, die richterliche Gestaltungsmacht stärker beschränkende Regelung für eine Vereinheitlichung der Gerichtspraxis in der Zukunft empfehlenswert gewesen. Um dieses Ziel zu erreichen, wäre sicher neben einer restriktiveren Umsetzung der richterlichen Gestaltungsmacht und anstelle einer Kumulierung verschiedener Elemente unterschiedlicher Prozessmodelle eine engere Orientierung an einem der Prozessmodelle hilfreich gewesen. Dies hätte dem ordentlichen Verfahren einen festeren Rahmen geben können. Selbstverständlich steht es jedem Gesetzgeber frei, 389

Sutter-Somm, ZZZ 2007, 301, 321. Von Werdt, in: Zivilprozess – aktuell, S. 17, 28. Ähnlich äußert sich auch Müller, in: Beweisrecht der neuen ZPO: Chancen und Risiken, S. 63, 73, der darauf hinweist, dass die Gerichte auch beim Zeitpunkt der Durchführung der Beweisaufnahme „jedenfalls im Ergebnis exakt so vorgehen [können], wie sie es nach dem bisherigen kantonalen Prozessrecht gewohnt waren.“ Bezugnehmend auf die Gerichtspraxis im Kanton Zürich stellt er fest, dass eine Beweisaufnahme in der Instruktionsverhandlung praktisch nicht stattfindet. Dies kann nicht verwundern, fand die Beweisaufnahme nach Zürcher Verfahrensrecht vor der Reform doch nicht in der Referentenaudienz als Pendant zur nunmehr möglichen Instruktionsverhandlung statt, sondern folgte dieser (einzigen) mündlichen Verhandlung in ein em separaten Termin nach. 391 Die Schaffung eines Rahmengesetzes wurde einhellig abgelehnt, BBl. 2006, 7221, 7236. 390

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ob er sich bei der Schaffung gänzlich neuer Gesetze an Prozessmodellen und deren Struktur orientiert. Gerade aber wenn die Entwicklung einer Kodifikation aus dem Nichts heraus im Raume steht, hätte eine Anlehnung an eines der Modelle unter Umständen verhindern können, dass nach Inkrafttreten der Zivilprozessordnung bereits die ersten Kantonsgerichte Direktiven verfassen, die das Festhalten an althergebrachten kantonalen Strukturen empfehlen 392 oder dass eine solche Tendenz in der Literatur auch kritisch thematisiert wird.393 Dies gilt im Falle der schweizerischen Zivilprozessordnung umso mehr, da keine großen rechtsvergleichenden Arbeiten vorausgegangen waren 394 und für die Konzeption keine andere Rechtsordnung Modell gestanden hat. Dass Diskussionen über die Fortführung kantonaler Traditionen und dementsprechende Entwicklungen in der Prozesspraxis gerade in der Anfangszeit stattfinden und eine Vereinheitlichung im Gerichtsalltag in weite Ferne rücken lassen, ist misslich, aber mit Blick auf die Vorgehensweise auch nicht allzu überraschend. Allerdings ist es gerade die Anfangszeit, in der sich prozessuale Unarten und unschöne Gewohnheiten einschleichen, die, einmal vorhanden, nur sehr schwer wieder beseitigt werden können. Das Bedürfnis, umfassenden Rechtsschutz zu gewähren und dafür dem Richter eine maximale Bandbreite an gestaltenden Instrumenten an die Hand zu geben, um für jeden denkbaren Rechtsstreit die passende, effektiven Rechtsschutz gewährende Verfahrensgestaltung zur Hand zu haben, ist ein nachvollziehbares Anliegen bei der Kodifizierung einer modernen Zivilprozessordnung und erhöht sicherlich auch die Chance, dass ein sachangemessener Rechtsschutz gewährt wird. Allerdings darf nicht aus den Augen verloren werden, dass Rechtschutz und Rechtssicherheit naturgemäß eng miteinander verknüpft sind. Wird umfassender Rechtsschutz durch weitreichende richterliche Freiheiten beabsichtigt, leidet zwangsläufig die Vorhersehbarkeit im Prozess, wenn insbesondere rechtsunkundige und nicht anwaltlich vertretene Parteien nur schwer abschätzen können, welchen Verfahrensablauf der Richter anordnen wird. Dies gilt in der schweizerischen Situation natürlich umso mehr, da hier die beschriebene Gefahr des Festhaltens an kantonalen Gepflogenheiten aktuell 392 Vgl. Rapport d’Orientation sur l’Introduction dans le Canton de Vaud du Code de Procédure Civile Suisse, Mars 2013, S. 21, 393 Von Werdt, in: Zivilprozess – aktuell, S. 17, 28; Sutter-Somm, ZZZ 2007, 301, 320 f.; Oberhammer, ZEuP 2013, 751, 752; Müller, in: Die neue ZPO, Erfahrungen − Unstimmigkeiten − Schwachstellen − Lösungen, S. 57. Insbesondere auch Higi, ZZZ 2006, 459, 482, der es infrage stellt, ob die Offenheit für regionale Unterschiede ein besonderes Anliegen einer gesamtschweizerischen Zivilprozessordnung sein kann. Zwar bezieht sich seine Auseinandersetzung auf den Entwurf zur Zivilprozessordnung, seine Ausführungen treffen aber gleichermaßen auch auf die in Kraft getretene Fassung der schweizerischen Zivilprozessordnung zu. 394 Oberhammer, in: Privatrecht und Methode. Festschrift für Ernst A. Kramer, S. 1025, 1031 f., 1039 ff.

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Kapitel 3: Das Zivilprozessrecht der Schweiz

scheint und damit trotz eines einheitlichen Gesetzes kantonale Divergenzen in naher Zukunft wohl nicht eingeebnet werden können. Selbstverständlich unterliegt die Verfahrensgestaltung auch in weiten Teilen dem persönlichen Einsatz des einzelnen Richters und ist dadurch nur in engen Grenzen durch eine Kodifikation steuerbar. Insbesondere bei der Ausübung der richterlichen Fragepflicht ist die Persönlichkeit des zuständigen Richters prägendes Element.395 Die hierdurch entstehende Unsicherheit für Richter und Parteien kann naturgemäß nur in geringem Maß beeinflusst werden; nichtsdestotrotz wäre es daher im Interesse der Rechtsschutzgewährung wünschenswert gewesen, wenn in Bereichen, die größerer gesetzlicher Steuerbarkeit zugänglich sind wie der Gestaltung des äußeren Verfahrensablaufs, präzisere Regelungen getroffen worden wären.396 Ein ökonomischer, positiver Nebeneffekt auf die Anzahl der eingelegten Rechtsmittel zum Zweck der Überprüfung der Auslegung unpräziser Normen wäre sodann nicht auszuschließen. Klarzustellen ist, dass eine gewisse Flexibilität im Verfahrensablauf bestehen muss, um den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls Rechnung tragen zu können. Allerdings birgt zu viel Freiheit für die Richter auch Gefahren für die Durchsetzung des materiellen Rechts, kann jenes doch nur durch ein effektiven Rechtsschutz gewährendes Zivilprozessrecht zur vollen Geltung gelangen. Zu viel Freiheit für Richter sollte man angesichts der Prozessgeschichte anderer Staaten mit Skepsis gegenüberstehen und mit Blick auf die dienende Funktion des Verfahrensrechts bezüglich des materiellen Rechts auch als Gefahr für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes wahrnehmen. So kann Fritz Baurs Äußerung zum reformbedürftigen Zustand vor der Vereinfachungsnovelle in Deutschland auch für eine abschließende Bemerkung zur eidgenössischen Zivilprozessordnung herangezogen werden: „Um die gleichmäßige Durchsetzung des materiellen Rechts vor jedem beliebigen zur Entscheidung berufenen Gericht zu sichern, müssen alle Verfahren nach einem einheitlichen, der Gestaltungsfreiheit des Richters enge Grenzen setzenden Prozessgesetz ablaufen.“397 In Anbetracht des verfolgten Vereinheitlichungsgedankens hätte etwas mehr von diesem Gedanken der schweizerischen Zivilprozessordnung gut zu Gesicht gestanden.

395

Vgl. Hohl, La réalisation du droit et les procédures rapides, S. 50. Ähnlich mit Bezug auf die unterschiedliche Handhabung der richterlichen Fragepflicht innerhalb der Schweiz und den einzelnen Kantonen Hohl, La réalisation du droit et les procédures rapides, S. 49 f. 397 Baur, Wege zu einer Konzentration der mündlichen Verhandlung im Prozeß, S. 8. 396

Schlussbemerkungen Der letzte Teil soll nun den gewonnenen Erkenntnissen gewidmet werden und diese näher betrachten. Ziel der Arbeit war es zunächst nachzuweisen, dass das Hauptverhandlungsmodell ohne Rücksicht auf rechtskulturelle Hintergründe einzelner Rechtsordnungen zahlreichen Reformgesetzen zugrunde lag und damit erfolgreich die Bedeutung der beiden anderen Prozessmodelle, namentlich des trial-Modells und des italienisch-kanonischen Modells, abgelöst oder zumindest zurückgedrängt hat. Sodann sollte unter Berücksichtigung der verfahrensrechtlichen Gegebenheiten in den Kantonen vor der Reform die schweizerische Zivilprozessordnung vom 1. Januar 2011 dahingehend untersucht werden, ob sich der schweizerische Gesetzgeber diesem weltweiten Trend zugunsten des Hauptverhandlungsmodells angeschlossen hat. Die Brisanz dieser Untersuchung lag dabei insbesondere in der Tatsache, dass der eidgenössische Gesetzgeber bei der Schaffung der Zivilprozessordnung 26 unterschiedliche Verfahrensordnungen und ihre kulturellen Hintergründe berücksichtigen musste, um einen konsensfähigen Vorschlag erfolgreich zur Abstimmung bringen zu können.

I. Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells I. Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells ist in weiten Teilen das Ergebnis des Kampfes zahlreicher Staaten gegen eine überlange Verfahrensdauer und gegen hohe Verfahrenskosten in Zivilverfahren. Den näher betrachteten Reformbestrebungen Spaniens, Englands und auch Uruguays lag am Ausgang des 20. Jahrhunderts die Schaffung einer größeren Verfahrenseffizienz und eine hierdurch eintretende Verbesserung der Rechtsschutzgewährung zugrunde. Diesen Bedürfnissen wurde und wird das Hauptverhandlungsmodell wohl am ehesten gerecht, so dass der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells auch ohne weiteres als „Siegeszug“1 desselben bezeichnet werden kann. Der spanische Zivilprozess und das italienisch-kanonische Prozessmodell weisen denselben historischen Ursprung auf. Aus diesem Grund konnte eine

1

Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 151.

284

Schlussbemerkungen

nicht auf die Qualität des Modells gestützte, sondern eher eine politisch motivierte Rezeption dieses Modells im spanischen Rechtsraum ohne allzu große Schwierigkeiten erfolgen. An deren Ende stand eine nahezu perfekte Umsetzung des italienisch-kanonischen Prozesses in den Siete Partidas, die insbesondere das Reihenfolgeprinzip als wesentliches Merkmal dieses Prozessmodells dem Verfahrensablauf zugrunde legten. Über die Jahrhunderte traten vermehrt Defizite zutage, da das Verfahren den veränderten Umständen der Zeit und der zunehmenden Komplexität der Sachverhalte nicht mehr gerecht wurde. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde diese Kritik an den langwierigen, teuren und umständlichen Prozessen offen geäußert; sie konnte auch optimierende Gesetzgebungsvorhaben anstoßen, die jedoch wirkungslos verhallten. In der Folgezeit kam es sogar zu einem Rückschritt zu den Grundsätzen des italienisch-kanonischen Modells und den Siete Partidas. Erst im 20. Jahrhundert erfolgte schrittweise eine Abkehr von einzelnen Elementen des italienisch-kanonischen Prozessmodells durch die Aktivierung des Richters und die Betonung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes. Die weitere Entwicklung war im Wesentlichen geprägt von punktuellen Anpassungen, die aber letztlich an dem Ursprung der Defizite vorbei gingen. Dieser Trend konnte erst im Jahr 2000 gebrochen werden, als die spanische Zivilprozessordnung umfassend reformiert wurde und das schwerfällige italienisch-kanonische Prozessmodell dem Hauptverhandlungsmodell weichen musste. Eine vergleichbare Entwicklung nahm auch das uruguayische Zivilprozessrecht, welches noch vor dem spanischen Zivilprozessrecht in Anlehnung an den Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica eine grundlegende Reform erfuhr. Ähnlich dem spanischen Zivilprozessrecht gründete sich das englische Zivilprozessrecht auf sehr alten Rechtstraditionen und hatte schließlich trotz unterschiedlicher Ursprünge mit den identischen Defiziten einer langen Verfahrensdauer und hoher Verfahrenskosten zu kämpfen. Die Rules of the Supreme Court formulierten ein sehr starres Verfahren, das der Einhaltung formeller Anforderungen größere Bedeutung zumaß als der Erforschung der materiellen Wahrheit. Dies, die passive Rolle des Richters sowie die recht umfassende discovery bildeten das trial-Modell authentisch ab. Mit der Zeit mehrte sich jedoch die Kritik am Verfahrensrecht. Die bekannten Missstände der langen Prozessdauern, der Ineffizienz, der hohen Kosten und der Unübersichtlichkeit wurden zunehmend zum Gegenstand rechtswissenschaftlicher Diskussionen, in denen schließlich insbesondere die Passivität des Richters als Ursprung dieser Defizite identifiziert wurde. Die auf Vorarbeiten von Lord Woolf erlassenen Civil Procedure Rules nahmen sich am Ende des 20. Jahrhunderts umfassend dieser Missstände an. Sie reduzierten die zum Teil ausufernde Beweisaufnahme nach den Rules of the Supreme Court, die sich in ihrem Umfang deutlich an dem U.S.-amerikanischen Verfahrensrecht orientiert hatten, und wiesen dem Richter eine aktive Rolle im Prozessgeschehen zu, so dass die dem trialModell anhaftende Dominanz der Parteien zurückgedrängt und eine Balance

I. Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells

285

zwischen dem Gericht und den Parteien geschaffen wurde. Auch hier wurden daher vergleichbar mit der spanischen Entwicklung alte und traditionsreiche Strukturen zugunsten des Hauptverhandlungsmodells aufgegeben und damit der Weg für einen effektiveren Rechtsschutz bereitet. Aber nicht nur einzelne Rechtsordnungen wandten sich von Prozessmodellen ab, die einer gewachsenen Rechtskultur entsprangen, sondern auch Modellgesetze für den Zivilprozess wurden nach dem Vorbild des Hauptverhandlungsmodells geschaffen. Auch dabei mussten etwaige rechtskulturelle Eigenheiten hinter dem Wunsch nach einem Modellgesetz mit einem effizienten Verfahrensablauf zurücktreten. Bei der Schaffung des Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica hätte man durchaus erwarten können, dass sich der vorgesehene Verfahrensablauf am italienisch-kanonischen Verfahrensmodell orientiert. Denn die Wurzeln des Prozessrechts der südamerikanischen Staaten liegen wie jene des spanischen Prozessrechts in der romanischen Rechtskultur und haben damit denselben Ursprung wie das italienisch-kanonische Verfahrensmodell. Das Modellgesetz wurde zu einem Zeitpunkt geschaffen, zu dem der Reformbedarf zahlreicher südamerikanischer Staaten offenbar wurde und Reformen durchgeführt oder zumindest geplant wurden. Wohl auch um hier eine Trendwende anzustoßen, folgt der Código Procesal Civil Modelo para Iberoamérica gerade nicht dem schwerfälligen italienisch-kanonischen Modell. Vielmehr bekennt er sich in sehr deutlicher Form zum Hauptverhandlungsmodell und dem diesem zugrunde liegenden Stuttgarter Modell. Auch die vom American Law Institute und UNIDROIT geschaffenen Principles of Transnational Civil Procedure überraschen mit ihrem deutlichen Bekenntnis zum Hauptverhandlungsmodell. Die Principles nehmen insofern eine Sonderstellung ein, als sie das Ergebnis eines Projektes zweier Institutionen sind, die unterschiedlichen Rechtskreisen angehören und daher auch sehr unterschiedlich vorgeprägt waren, so dass bereits im Grundsatz unterschiedliche Rechtsverständnisse aufeinander trafen. Dass sich die Principles in ihrem Art. 9 so deutlich für das Hauptverhandlungsmodell als Verfahrensstruktur aussprechen, dürfte die Qualität desselben unterstreichen. Diese Entwicklungen im Prozessrecht mit Fokus auf die Verfahrensstruktur und der deutlich zutage tretende Erfolg des Hauptverhandlungsmodells bestätigen die Qualität an Rechtsschutz, die dieses Verfahrensmodell einem Zivilverfahren verleihen kann. Die Entwicklung zeigt außerdem eine Abkehr von dem schwerfälligen italienisch-kanonischen Verfahrensmodell, das den heutigen Anforderungen an ein modernes Verfahrensrecht aufgrund der Komplexität der Streitigkeiten sowie seiner Anfälligkeit für eine Explosion von Verfahrenskosten und -dauer nicht mehr gerecht werden kann. Auch das trial-Modell, dessen Ursprung in England liegt, wird zunehmend im Verfahrensrecht zurückgedrängt. Neben dem Mutterland des trial-Modells

286

Schlussbemerkungen

England haben auch die Principles of Transnational Civil Procedure, deren Erstellung in weiten Teilen vom American Law Institute betreut wurde, gerade nicht das trial-Modell als Verfahrensstruktur gewählt. Man wird dies wohl weniger dem Einfluss von UNIDROIT als den Nachteilen des trial-Modells zuzuschreiben haben. Das sehr parteiendominierte Verfahren des trial-Modells wäre aus kontinentaleuropäischer Sicht mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht konsensfähig gewesen. Selbst der U.S.-amerikanische Zivilprozess hält nicht mehr in allen Bereichen sklavisch an den einzelnen Elementen dieses Modells fest. So wird die passive Rolle des Richters durch die Rechtsprechung des Supreme Court selbst leicht aufgeweicht, indem dem Richter vermehrt verfahrensleitende Befugnisse zugewiesen werden. Außerdem wurden bereits für bestimme Klagen die Anforderungen an die verfahrenseinleitenden Schriftsätze erhöht und das notice pleading zumindest in einzelnen Bereichen infrage gestellt. Die Einzigartigkeit des trial-Modells zeigt wie kein anderes der aufgezeigten Prozessmodelle das Zusammenspiel von Recht, Kultur und Gesellschaft. Das trial-Modell ist das Ergebnis einer langen Entwicklung, die sich nicht allein auf den rechtlichen Bereich beschränkte, sondern vielmehr auch zum Träger des liberalen amerikanischen Lebensgefühls wurde, welches selbst die Suche nach der materiellen Wahrheit im Zivilprozess dem freien Kampf der Kräfte überlässt. Dass eine solche verfahrensrechtliche Idee ohne den entsprechenden kulturellen und gesellschaftlichen Rückhalt nicht funktionieren kann, liegt nahe. Aus diesen Gründen kann es nicht verwundern, dass das trial-Modell gerade nicht für eine Sammlung grundlegender Prinzipien für den transnationalen Prozess gewählt wurde, das auf einen weltumspannenden Anwendungsbereich angelegt war und daher auch einen gewissen Kompromisscharakter aufweisen musste, um realistische Umsetzungschancen zu haben. Letztlich stellt sich das Hauptverhandlungsmodell als ein konsensfähiges Modell dar, das über rechtskulturelle Grenzen hinweg in verschiedenen Rechtskreisen geschätzt und dem Verfahrensablauf im Zivilprozess bei umfassenden Reformen zugrunde gelegt wird. Dieser weltumspannende Erfolg, dem sich sogar andere Rechtskreise unter Aufgabe von Elementen anschließen, die die eigene Rechtstradition wesentlich prägten, spricht für die hohe Qualität des Hauptverhandlungsmodells und für eine gute Basis für effektiven Individualrechtsschutz. Entwickelt aus dem Stuttgarter Modell in den 1970er Jahren kann es auch heute noch eine passende Lösung für die drängendsten und den Individualrechtsschutz beeinträchtigenden Probleme des Verfahrensrechts bieten. Der „Siegeszug des Hauptverhandlungsmodells“ 2 dürfte mit Blick auf die dargestellte Entwicklung daher auch vorerst kein Ende finden.

2

Stürner, ZZP 123 (2010), 147, 151.

II. Die Entscheidung der Schweiz

287

II. Die Entscheidung der Schweiz II. Die Entscheidung der Schweiz

Aufgrund der starken Betonung der Souveränität der Kantone war die schweizerische Eidgenossenschaft seit jeher von einer gesellschaftlichen, kulturellen und sprachlichen Vielfalt auf engstem Raum geprägt, die in dieser Form auf dem europäischen Kontinent einzigartig war, ist und wohl auch zukünftig bleiben wird. Diese Vielfalt bildete sich auch auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts ab, in dem vor dem Inkrafttreten der schweizerischen Zivilprozessordnung im Jahre 2011 26 kantonale Prozessordnungen Rechtsschutz für Zivilrechtsstreitigkeiten boten. Entsprechend der unterschiedlichen kulturellen Ursprünge und Einflüsse unterschieden sich die verschiedenen Prozessordnungen in teilweise für die Verfahrensstruktur bedeutsamen Einzelfragen, orientierten sich die deutschsprachigen Kantone doch eher an der Rechtsentwicklung Deutschlands und Österreichs, während die welschen Kantone und das Tessin die französische Rechtsentwicklung für die Weiterentwicklung des eigenen Rechts im Blick behielten. Betrachtet man die Umsetzung von Prozessmodellen anhand der Zivilprozessordnungen der Kantone Zürich, Bern, Luzern, Waadt und des Kantons Wallis, ergab sich, dass sowohl das italienisch-kanonische Modell als auch das Hauptverhandlungsmodell einzelnen Prozessordnungen bewusst oder unbewusst als Grundlage dienten. Mischformen, in welchen italienisch-kanonische Elemente neben solchen des Hauptverhandlungsmodells in unterschiedlicher Gewichtung umgesetzt wurden, wurden ebenfalls praktiziert. Die kulturelle Vielfalt hatte damit auch im Zivilprozessrecht ihren Niederschlag gefunden. Mit dem Erlass der bundeseinheitlichen schweizerischen Zivilprozessordnung als Teil der großen Justizreform setzte die Schweiz den Schlusspunkt unter die zahlreichen, aber bisher erfolglos gebliebenen Bestrebungen einer Vereinheitlichung des Verfahrensrechts, die bereits mehrere Jahrhunderte die rechtswissenschaftlichen Diskussionen geprägt hatten. Der Fokus hat sich damit auch auf dem Gebiet des Rechts von der Betrachtung der Kantone als eigenständige Rechts-, Wirtschafts- und Gesellschaftseinheiten hin zur Schweiz als Bundesstaat verschoben,3 um insbesondere in internationalen Wirtschaftsfragen als eine Einheit wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Konkurrenzfähigkeit auf dem internationalen Wirtschaftsmarkt hängt auch zu einem nicht unbedeutenden Teil davon ab, ob ein attraktives Rechtssystem vorhanden ist. Der Wettbewerb der Rechtsordnungen macht damit auch vor dem Zivilverfahrensrecht nicht Halt, auch wenn für große Wirtschaftsstreitigkeiten oftmals Schiedsklauseln den Streitfall den staatlichen Gerichten entziehen. Kleine und mittlere Unternehmen, die die schweizerische Wirtschaft zu einem bedeutenden Teil mittragen, dürften indes in den meisten Fällen bei Streitigkeiten staatliche Ge-

3

Kälin/Rieder, ZZPInt 5 (2000), 325, 330.

288

Schlussbemerkungen

richte anrufen. Im Übrigen verspricht ein einheitliches Prozessrecht auch Erleichterungen im interkantonalen Handel. Ferner dürfte auch ein geschlossenes Auftreten nach Außen mit Blick auf die fortschreitende Internationalisierung des Prozessrechts dem Rechtsstandort Schweiz den Rücken stärken. Die Ausgangslage für die Schaffung eines eidgenössischen Zivilprozessrechts unterschied sich damit bereits in Grundzügen von den Reformen in Deutschland, Spanien, England und Uruguay. Nicht verfahrensrechtliche Missstände in Form von hohen Verfahrenskosten, überlanger Verfahrensdauer und Ineffizienz waren der Auslöser für die Reform. Einzig das Streben nach Einheitlichkeit sollte laut der Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung die Antriebsfeder für diese Umgestaltung sein. 4 Die Schweiz nimmt daher mit der großen Justizreform auf dem Gebiet des Zivilverfahrensrechts insoweit eine Sonderstellung ein, macht es doch einen erheblichen Unterschied, ob man sich bei einer Gesetzesreform an zu beseitigenden Missständen orientieren muss oder ob man geradezu aus dem Nichts heraus eine für unterschiedlich rechtlich vorgeprägte Kantone konsensfähige Verfahrensordnung schaffen soll. Auf die eingangs gestellte Frage, ob sich die Schweiz mit der eidgenössischen Zivilprozessordnung dem Erfolg des Hauptverhandlungsmodells angeschlossen hat, muss eine dem Juristen geläufige Antwort gegeben werden: Es kommt darauf an. Es kommt darauf an, mit welchem Einsatz der Richter seine formellen und materiellen Leitungsbefugnisse wahrnimmt. Es kommt wohl darauf an, in welchem Kanton der Richter vor der Reform tätig war und wie verhaftet der urteilende Richter dem alten kantonalen Recht und seinen Gebräuchen ist. Ferner kommt es darauf an, wie er die Normen der eidgenössischen Zivilprozessordnung auslegt. Zusammenfassend unterliegt die Zuordnung zu einem der Prozessmodelle in weiten Teilen der Persönlichkeit des Richters und seiner Handhabung des Gesetzestextes. Der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells setzt sich daher in der Schweiz nicht ohne weiteres fort, sondern ist davon abhängig, für welche Verfahrensstruktur sich der jeweilige Richter entscheidet. Eine eindeutige Zuordnung des Verfahrensablaufs der schweizerischen Zivilprozessordnung zu einem der Prozessmodelle ist damit aufgrund der Offenheit und Flexibilität, die das Gesetz selbst vorsieht, sowie aufgrund der weitreichenden gestalterischen Befugnisse des Richters nicht möglich. Eine klare Entscheidung für das Hauptverhandlungsmodell hat die eidgenössische Zivilprozessordnung also nicht getroffen; eine Tendenz zum Hauptverhandlungsmodell lässt sich dem Gesetzestext indes entnehmen, so dass sich der Erfolg des Hauptverhandlungsmodells in der Schweiz zumindest zum Teil fortgesetzt hat. Nichtsdestotrotz lässt es auch eine Gestaltung des Verfahrensablaufs in Anlehnung an das italienisch-kanonische Modell zu. Einzig Elemente des trial4

BBl. 2006, 7221, 7230 ff.

II. Die Entscheidung der Schweiz

289

Modells haben keinen Niederschlag in der schweizerischen Zivilprozessordnung gefunden. Die richterliche Gestaltungsmacht geht so weit, dass sich das Verfahren je nach richterlicher Entscheidung stark dem italienisch-kanonischen Modell annähern kann, dass das Hauptverhandlungsmodell umgesetzt wird oder dass unterschiedliche Elemente des einen und des anderen Modells kombiniert werden können. Die Anlehnung an eines der klassischen Modelle steht damit zur Disposition des angerufenen Gerichts. Diese Vielzahl an Gestaltungsmöglichkeiten stellt daher mit Sicherheit „eine interessante Chance für die richterliche Prozessrechtsentwicklung“5 dar. Nun mag man dem entgegenhalten, dies sei wohl kaum eine Erkenntnis, die sich allein auf das schweizerische Recht beziehe, da die Verfahrensgestaltung letztlich unabhängig in welcher Rechtsordnung in weiten Teilen der Handhabe des Richters und seinem persönlichen Einsatz unterliege. Diesem Einwand ist in begrenztem Umfang stattzugeben. Eine gewisse Flexibilität bei der Verfahrensgestaltung muss dem Richter allein schon deswegen zukommen, damit er der Vielgestaltigkeit der Lebenswirklichkeit auch im Prozessrecht mit einem sachangemessenen Rechtsschutz begegnen kann. Die Flexibilität, die die eidgenössische Zivilprozessordnung insbesondere in Bezug auf die Ausgestaltung und den Umfang der Vorbereitungsphase sowie in Bezug auf Inhalt und Zeitpunkt der Beweisaufnahme vorsieht, ist jedoch im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen selten, zumal die Flexibilität gerade die Verfahrensstruktur prägende Elemente erfasst. Die besondere Bedeutung der gewählten Regelungsweise liegt jedoch auch darin, dass das eigentliche Ziel dieses eidgenössischen Gesetzesvorhabens die Vereinheitlichung des Verfahrensrechts war. Aufgrund der offenen Gestaltung und der bereits in der Praxis beobachteten Tendenzen der Rechtsanwender, sich weiterhin an kantonalen Traditionen zu orientieren, stellt dies die Zielerreichung zumindest im Gerichtsalltag infrage, so dass möglicherweise „Einheit gewollt. Vielfalt geblieben?“ die Entwicklung im schweizerischen Zivilprozessrecht treffend abbildet. Der Gestaltungsansatz „Mut zur Lücke“ als ein Charakteristikum der kantonalen und schweizerischen Rechtskultur dürfte letztlich das Vereinheitlichungsziel merklich zurückgedrängt haben. Dass aber die Bewahrung beziehungsweise Weiterführung kantonaler Traditionen während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens so deutlich betont wurde,6 stellt bereits das Element „Einheit gewollt.“ infrage und legt nahe, dass der Rückgriff auf kantonale Traditionen auch für den schweizerischen Gesetzgeber absehbar und vielleicht sogar intendiert war. Unter diesem Blickwinkel hat sich der schweizerische Gesetzgeber für eine Vereinheitlichung auf der geringsten Stufe in einer Kodifikation entschieden und durch 5 Higi, ZZZ 2006, 459, 482 zum Entwurf zur Zivilprozessordnung, was aber gleichermaßen auch auf die in Kraft getretene Zivilprozessordnung bezogen werden kann, da insoweit keine weiteren Änderungen mehr vorgenommen wurden. 6 BBl. 2006, 7221, 7236.

290

Schlussbemerkungen

das Bereitstellen einer Rechtsgrundlage eine einheitliche Basis für die Gestaltungsentscheidungen der Richter geschaffen. Allerdings dürfte der „Kantönligeist“ und das darin zum Vorschein kommende Insistieren auf größtmögliche kantonale Souveränität auch nur eine solche offene und flexible Gestaltung der Zivilprozessordnung zugelassen haben. Der vor Inkrafttreten der eidgenössischen Zivilprozessordnung bestehende bunte Flickenteppich prozessualer Regelungen auf dem Gebiet der schweizerischen Eidgenossenschaft ist durch die bundesweit geltende eidgenössische Zivilprozessordnung zwar etwas verblasst, besteht jedoch vorerst weiter, da das einheitliche Zivilverfahrensrecht abseits der bundesweit geltenden Kodifikation im Gerichtsalltag nur vage zu erkennen ist. Die Zeit wird zeigen müssen, ob sich die Unterschiede in der praktischen Anwendung einebnen und die Tendenzen zur Bewahrung der altbewährten kantonalen Prozesspraxis abschwächen. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass diese Entwicklung noch eine Zeit lang auf sich warten lässt und unter Umständen sogar ein Generationenwechsel bei den Rechtsanwendern erforderlich ist, um eine spürbare Vereinheitlichung auch der Prozesspraxis erreichen zu können. Die hohe gestalterische Verantwortung der Schweizer Richter könnte in diesem Bereich daher auch zu einer Sternstunde der richterlichen Prozessleitung werden. Das Hauptverhandlungsmodell hat dabei gute Chancen, doch noch vollends den Sieg davonzutragen.

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Sachregister Sachregister Actio 14, 16 Active case management 118, 131 ff., 137 ff. Adversary system 48, 118, 124, 163 Adversary principle 135 f. Affirmative Defense 43 f. Alternative dispute resolution 119 Alternative Streitbeilegungsmethode 119, 128 Amtsbetrieb 56, 214 Amtsgerichtsnovelle 55 f. Annexkompetenz 8 Antragsprinzip 111, 214 Anpassungsdruck 8, 171 Appeal 38, 109 Appendix of forms 43 Argentinien 150 Audiencia − complementaria 142, 145 ff., 154 − preliminar 142 ff., 154 − previa 85 f., 92 Aufklärungspflicht 63, 133, 180, 217, 232 f., 250, 269 ff. Berufsausübungsbewilligung 9 Beweisabnahmebeschluss 174, 179, 248 Beweisanordnung 143, 145, 163, 197, 200 Beweisantretungsschrift 174, 248 Beweisauflagebeschluss 174, 177, 183 f., 248 Beweisentscheid 184 Beweisinterlokut 177 Beweisregel 9, 15, 17 f., 22, 28 f., 47, 51, 71, 76, 79, 251 f. Beweisurteil 21 Beweisverfügung 189, 204, 248, 251, 265

Beweiszulassung 86 f. Bewilligung 181, 184, 194 Billigkeitsgedanke 34 Bill in equity 35, 39 Bolivien 150 Brasilien 150 British Empire 31 Brüssel I−VO 4 Canones 24 Chancellor 32 ff. Chancery 32 Chancery Amendment Act 95 Civil action 39 Civil Justice Review 116 Close of pleadings 104 Closing speech 130 Code of best practice 126 Common Law Procedure Act 95 Comparecencia previa 83 Conformity Act 40 Contempt of Court 36 Costa Rica 150 Cost management 138 County Court Rules 115, 125 Court − of Appeal 98, 102, 109 − of Chancery 36, 39, 94 f. − of Common Pleas 32, 94 − of Exchequer 32, 94 − of King’s Bench 32, 94 − order 45, 121 − system 31 Cross-examination 107, 130 Decree 36 Decretum Gratiani 24 Deregulierung 50

312 Directions questionnaire 126 Disclosure 127, 136, 138, 162 Durchruftermin 65, 67 f. Effizienzsteigerung 68, 71, 97, 116, 135, 165 Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement 241, 243 Enabling Act 40 Entry of trial 106 Erfüllungsort 239 Eventualmaxime 26, 44, 51 f., 75, 78, 85, 173, 186, 200, 214, 222, 225, 233 Exequatur 5 Expert witness 45 Exzeptiones, dilatorische 17 Fact issue 33, 36, 38, 49 Federal court 40 ff. Fernwirkung 71 Field Code 39 Fishing expeditions 44 Flickwerk 60 Formula 16, 19, 34 Formularverfahren 13, 16 ff., 34 f. Forum shopping 98 Freizügigkeit 8 f., 233 Friedensrichter 172 f., 175 Fuero Real 74 Gemeiner Prozess 51, 177 Gemengelage 170 General denial 43 Genereally indorsed writ 103 Gerichtsmagistrat 14 ff. Gerichtsorganisation 235, 240, 280 Gerichtsstandsgarantie 239 Geschäftszeuge 22 Giudice istruttore 27 Glaubhaftigkeit 107 Glaubwürdigkeit 36, 107 Gottesurteil 22 Güteverfahren, obligatorisches 58 Handelsbrauch 156 Handelsstreitigkeit 156 Handelsverkehr 111, 156

Sachregister Harmonisierungsbestrebung 166 Harmonisierungsprojekt 11, 155, 157 Hearsay Rule 41 Heilbron/Hodge Report 116 Helvetik 234 High Court of Justice 98 Implementationsvorschlag 158 Inquiry on Access to Justice 125 Inquisitionsmaxime 161, 229 Internationalisierung 5 f., 288 Interrogatory 44 Intime conviction 29 Iudex privatus 14 Ius commune 32 Judgment for default 45 Juge cantonal 228 Juge de la mise en état 27 Juge du district 228 Juge unique 29 Justizreform 240, 244, 287 f. Klagebewilligung 194, 220, 244 Kognitionsverfahren 13, 18 ff., 25, 35 Kollegialgericht 58 f., 65, 68, 89, 182, 185, 187 ff., 198 ff., 215, 227 ff., 250, 262, 264 f. Kolonialisierung 31 Korrespondenzanwalt 8 Kostensanktion 123, 127, 131, 186 Königsgesetzgebung 23 Kreuzverhör 115 Lack of procedural discipline 124 Legis actiones 14, 16 Legisaktionenverfahren 15 ff. Litis contestatio 15 ff. Lugano-Übereinkommen 239 Managerial judge 45 Memorandum of appearance 103 Mercosur 139 Modellgesetz 5, 10, 50, 139 f., 142, 144 ff., 165, 167, 285 Modell sui generis 275 Monopolstellung 9

Sachregister Noveneingabe 186 Novenrecht 210, 213 f., 219, 226, 245, 247 f., 254 f., 268 Nueva Recopilación 77, 82 Ordenamiento de Alcalá 76 f. Ordre public 4 f. Overriding objective 131, 133 ff. Papsttum 23 Paterfamilias 46 Parteibetrieb 22, 51, 55, 116, 191, 214, 219 Parteiendominanz 22, 264, 272 Parteilichkeit 180, 185, 198, 263 Parteiherrschaft 57, 75, 80 f., 135 Parteiverantwortung 22, 50, 52, 55, 214 Personal forms 95 Personalhaft 16 Peru 150 Plausibilitätskontrolle 69 Plausibility Pleading 43 Punitive Damages 49 Präklusion 64, 67, 74 Pre-action protocol 123, 126 f., 131 Pretrial − conference 45 f. − discovery 41, 44 ff., 115, 120, 132, 257 − review 122, 128 Privilege 166 Privy Council 31 Procedural judge 122, 126 f., 129, 131 Procédure ordinaire 209 Production of documents 41, 44, 105, 111 Protective order 47 Prozessförderungspflicht 67, 89 f., 124 Prozessmaxime 170, 232 Prozessrechtsverständnis 3, 135 Rahmengesetz 5, 8, 280 Rechtsfortbildung 9, 277 Rechtskraft 85, 180 Rechtsrezeption 171 Rechtsschutzgewährung 152, 282, 283 Rechtssicherheit 1, 214, 281 Rechtsstaat 1 Rechtsverordnung 102

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Rechtszersplitterung − horizontale 7 f. − vertikale 7, 241 Reichsjustizgesetze 7, 51 Reihenfolgeprinzip 25 f., 30, 74, 87, 177, 181, 227, 230 f., 261, 284 Rezeption 29, 74, 171, 234, 284 Rule of Relevancy 47 Schiedsstelle 61 Schlichtungsverfahren 83, 220, 244 Schlüssigkeit 27, 43, 142 Schlüssigkeitsprüfung 194 Schlussverhandlung 30, 175, 223, 226 ff., 232 Schriftlichkeit 20, 24, 51, 54, 75, 80, 84, 88, 130, 135, 149, 151, 172, 183 Schweizerischer Juristenverein 234 Selbstvornahmebefugnis 28, 190 Settlement 45 ff. Single joint expert 121, 123, 134 Smoking gun 48 Specific denial 43 Spruchformel 14 ff., 96 Statement of case 126, 136 Strafprozess 63, 65, 88 Streitgedinge 20 Striking out 45, 119 Sühneverfahren 172 f., 207 f., 231 Summing up 107, 130 Tagfahrt 174, 177 Tagsatzung, erste 149 Terminsequenz 25 f., 52, 177 f., 203, 216, 229 f., 262 Territorialstaaten 54 Treu und Glauben 255 Trial bundle 128 ff. Trial by ambush 127 Uniformität 43, 165, 171 Uniformity of Process Act 95 Unterbrechungsdauer 63 Untersuchungsgrundsatz 198, 233 Urteilsschelte 21 Verfahren − in iure 14, 16 ff., 33 − apud iudicem 16 ff.

314 Verfahrensverständnis 23, 30, 46 Verfassungsrevision 234 f., 239 Vergleichsbereitschaft 119, 121, 127, 145, 173, 221, 263 Vernehmlassungsverfahren 241, 243, 245, 269 Verschleppungsabsicht 62, 64 Verstaatlichung 20 Vertrauensgrundsatz 4 Vertrauenskrise 57 Vista 91 f. Volksabstimmung 235 Vorbereitungsverhandlung 194 ff., 201 f., 215, 222 f., 232, 243 Vorlagepflicht 162

Sachregister Waffengleichheit 118 f., 121 Weisung 172, 175, 178 Wettbewerb der Rechtsordnungen 7, 287 Widerklage 17, 91, 101, 183, 221 Writ of summons 100, 103 Written Deposition 38 Zeugeneinvernahme 184, 196, 201 Zivilprozessrechtsdogmatik 261 ZPO-Reformgesetz 68 Zügellosigkeit 1 f. Zwangsinstrument 64 Zwitterstellung 18