Prozessökonomische Alternativen zur Verständigung im Strafverfahren [1 ed.] 9783428556809, 9783428156801

Die Arbeit beleuchtet die Verständigung im Strafverfahren nach dem Grundsatzurteil des BVerfG. Die Regelungen zur Verstä

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German Pages 181 [182] Year 2019

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Prozessökonomische Alternativen zur Verständigung im Strafverfahren [1 ed.]
 9783428556809, 9783428156801

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Schriften zum Strafrecht Band 333

Prozessökonomische Alternativen zur Verständigung im Strafverfahren

Von

Martin Göttgen

Duncker & Humblot · Berlin

MARTIN GÖTTGEN

Prozessökonomische Alternativen zur Verständigung im Strafverfahren

Schriften zum Strafrecht Band 333

Prozessökonomische Alternativen zur Verständigung im Strafverfahren

Von

Martin Göttgen

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich V – Rechtswissenschaft – der Universität Trier hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15680-1 (Print) ISBN 978-3-428-55680-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85680-0 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2018 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind bis April 2018 berücksichtigt. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem Lehrer und Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Bernd Hecker, der mir stets sein Ohr lieh, meine Entwürfe in unglaublicher Geschwindigkeit sorgfältig begutachtete, mir eine wundervolle Arbeit am Lehrstuhl mit einem fantastischen Lehrstuhlteam ermöglichte und dem ich noch so Vieles mehr verdanke. Mir fällt es schwer, gebührende Zeilen zu schreiben, die dem gerecht werden können, sodass ich den Versuch erst gar nicht ernsthaft unternehme, meine Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen. Herrn Prof. Dr. Mark Zöller danke ich herzlich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ebenso danke ich Herrn Prof. Dr. Peter Reiff für die Mitwirkung an der Disputation. Von ganzem Herzen danken möchte ich noch so vielen Menschen, die mich über die Jahre hinweg unterstützt und mir überhaupt erst ermöglicht haben, diese Arbeit zu vollenden. Auch hier reicht der Rahmen nicht, weshalb ich mich kurz fasse: Ich bin sicher, dass diejenigen, denen ich wahrhaft zu danken habe, wissen, dass sie gemeint sind. Nicht unerwähnt bleiben darf die ungeheure Menge an Kaffee, ohne die diese Dissertation niemals entstanden wäre. Zu Beginn zählte ich noch die Kilogramm Zucker, die ich in diesem Gebräu voller Wunder vernichtete. Mein größter Dank aber gebührt meiner Familie für den nötigen Rückhalt während des gesamten Studiums. Allen voran danke ich meiner Frau, Nicky, für ihre Liebe und Geduld mit mir. Sie hat mich in bewundernswerter Weise unterstützt und war immer für mich da. Unendlich dankbar bin ich schließlich meinem Vater, VRLG a. D. HansGeorg Göttgen, für die vielen schier endlosen, aber auch und vor allem motivierenden Gespräche über die Dissertation und für die umfangreichen Korrekturarbeiten. Ihm widme ich diese Arbeit. Mainz, im November 2018

Martin Göttgen

Inhaltsverzeichnis A. Gegenstand der Arbeit und praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 I. Verfassungsrechtliche Grundsätze im Widerstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1. Grundsätze, die von der Verständigung beeinträchtigt werden können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 a) Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 17 b) Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 c) Öffentlichkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 d) Schuldprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 e) Richterliche Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 f) Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 g) Gleichheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 h) Anspruch auf rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Grundsätze, die von der Verständigung gefördert werden sollen . . . . . 34 a) Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege . . . . . . 34 b) Beschleunigungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 c) Prozessökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 d) Konzentrationsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Abwägung der widerstreitenden Belange im Rahmen der praktischen Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 II. Einfach-rechtliche Probleme des Verständigungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . 40 1. Strafober- und Strafuntergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Beweisverwertungsverbot des § 257c IV 3 StPO und Fernwirkung . . 42 3. Kein zwingendes Geständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4. Ermessensfehler bei kategorischer Ablehnung der Verständigung durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 5. Trägt die Verständigung tatsächlich zur Prozessökonomie bei? . . . . . . 47 III. Die fehlerhafte Systematik des § 257c StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 IV. Tatsächliche Probleme – oder: wo kein Kläger (Rechtsmittelführer), da kein (Revisions-)Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht . . . I. Österreichisches Strafprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verständigungstendenzen und Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lehren für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schweizerisches Strafprozessrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verständigungstendenzen und Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56 56 56 59 61 61

8 Inhaltsverzeichnis a) Antrag des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 b) Aufgaben der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 c) Das Durchführungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 aa) Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 bb) Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 cc) Privatklägerbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 d) Das gerichtliche Bestätigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 aa) Weg zum Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 bb) Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 cc) Abwesenheitsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 dd) Mögliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 e) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 f) Sonderproblem: Abgekürztes Verfahren bei mehreren Tatbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Lehren für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Differenzierung bei der richterlichen Unabhängigkeit . . . . . . . . . . 102 b) Unterschiede im Beweisrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 c) Rechtliche Stellung des Privatklägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 d) Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 e) Begründungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 f) Ermittlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 g) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 h) Rechtsmittelverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 aa) Diametral entgegengesetzte Regelung der Anfechtbarkeit . . . . 108 bb) Beispielsfälle und Vorzug der Opportunitätsregelungen . . . . . 110 i) Vergleich zum deutschen vereinfachten Jugendverfahren . . . . . . . . 116 j) Vergleich zum deutschen beschleunigten Verfahren . . . . . . . . . . . . 117 k) Möglichkeit der Verfahrenserleichterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 l) Begrenzung des Strafmaßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 III. Luxemburgisches Strafprozessrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Verständigungstendenzen und Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Lehren für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 D. Konsequenzen und Problemlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Möglichkeiten der Umgehung der rechtmäßigen Verständigung  . . . . . . . II. Strafbarkeitsrisiken bei informellen „Deals“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsbeugung (§ 339 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beispielsfall und Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Täterkreis, Tatsituation und Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Staatsanwalt als möglicher Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Richter als Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Prägnante weitere Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

130 130 133 134 134 135 135 137 138 139

Inhaltsverzeichnis9 2. Strafvereitelung im Amt (§§ 258, 258a StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Beispielsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Mangelnde Urkundsqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4. Fazit und aktuelle Folgen für Richter und Staatsanwalt . . . . . . . . . . . . 143 5. Strafbarkeit des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Parteiverrat (§ 356 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Weitere Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 III. Verfahren nach §§ 154 II und 154a II StPO als prozessökonomische Alternative zur Verständigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Abwägung der Vor- und Nachteile der Verständigung . . . . . . . . . . . . . 146 2. Opportunitätsprinzip prozessökonomischer als die Verständigung . . . . 147 a) Reduzierte Anwendbarkeit von §§ 153, 153a StPO . . . . . . . . . . . . 147 b) Vorzüge der §§ 154, 154a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 c) „Königsweg“ der §§ 154 II und 154a II StPO nach Eröffnung des Hauptverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 aa) Grundsätzliche Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 bb) Einbindung des Beschuldigten nicht erforderlich . . . . . . . . . . 151 cc) Ermöglichung schuldangemessener Bestrafung . . . . . . . . . . . . 152 dd) Realisierung der Strafzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 ee) Keine Schlechterstellung des Nebenklägers im Vergleich zur Verständigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 ff) Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 gg) Einsparpotenzial anhand eines Beispielsfalls . . . . . . . . . . . . . . 156 hh) Gegenleistung des Beschuldigten nicht erforderlich . . . . . . . . 158 ii) Keine Kumulation von Verständigung und §§ 154 II, 154a II StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 jj) Prägnanter Beispielsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 E. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht Abs. Absatz a. E. am Ende AG Amtsgericht Anm. Anmerkung Art. Artikel AT Allgemeiner Teil Aufl. Auflage Az. Aktenzeichen BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BBl Bundesblatt der Schweiz BeckOK Beck’scher Online-Kommentar BeckRS Beck online Rechtsprechung Begr. Begründer BGBl. Bundesgesetzblatt BGE Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts BGH Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen BT Besonderer Teil BT-Drs. Drucksache des Bundestages BtMG Betäubungsmittelgesetz BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bzw. beziehungsweise d. des / der ders. derselbe dies. dieselbe / dieselben DRiZ Deutsche Richterzeitung Drs. Drucksache Einl. Einleitung EMRK Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten et al. et alii (= „und andere“) evtl. eventuell

Abkürzungsverzeichnis11 f. / ff. folgende Fn. Fußnote FS Festschrift GA Goltdammer’s Archiv für Strafrecht gem. gemäß GG Grundgesetz GVG Gerichtsverfassungsgesetz Halbs. Halbsatz HK-GS Dölling / Duttke / König / Rössner Gesamtes Strafrecht Handkom­ men­tar HRRS Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Straf­recht Hrsg. Herausgeber insb. insbesondere i. V. m. in Verbindung mit JA Juristische Arbeitsblätter JBl Juristische Blätter (Österreich) jew. jeweils JGG Jugendgerichtsgesetz JR Juristische Rundschau JuS Juristische Schulung JZ JuristenZeitung KK-StPO Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung KMR-StPO Kleinknecht / Müller / Reitberger Kommentar zur Strafprozessordnung LG Landgericht lit. litera LK-StGB Strafgesetzbuch – Leipziger Kommentar m. mit MüKo-StGB Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch m. w. Nachw. mit weiteren Nachweisen Nachw. Nachweise NJOZ Neue Juristische Online-Zeitschrift NJW Neue Juristische Wochenschrift NK-StGB NomosKommentar Strafgesetzbuch Nr. Nummer NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-RR NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht

12 Abkürzungsverzeichnis NZWiSt

Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht öAnwBl Österreichisches Anwaltsblatt OGH Oberster Gerichtshof (Österreich) ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung OLG Oberlandesgericht OWiG Ordnungswidrigkeitengesetz Ref-E Referentenentwurf RiStBV Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Rn. Randnummer S. Seite / Satz SK-StGB Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch SK-StPO Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung StGB Strafgesetzbuch StGB CH Schweizerisches Strafgesetzbuch StGB D Deutsches Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung StPO CH Schweizerische Strafprozessordnung StPO D Deutsche Strafprozeßordnung StPO L Code d’instruction criminelle StraFo Strafverteidiger Forum StV Strafverteidiger UA Unterabsatz u. a. und andere v. von Var. Variante vgl. vergleiche Vorb. Vorbemerkungen WaffG Waffengesetz wistra Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht zahlr. zahlreich z. B. zum Beispiel ZIS Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik ZJS Zeitschrift für das Juristische Studium ZPO Zivilprozessordnung ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZStrR Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZWH Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen

A. Gegenstand der Arbeit und praktische Relevanz Die Verständigung im Strafverfahren ist von außerordentlich hoher praktischer Relevanz. Obwohl konsensuale Verfahrenspraktiken rechtsstaatlichen Bedenken ausgesetzt sind und für Richterinnen und Richter1 vielfältige Rechtsanwendungsprobleme und sogar Strafbarkeitsrisiken bergen, wird etwa ein Fünftel aller Strafverfahren an Amts- und Landgerichten durch Absprachen erledigt.2 Im Volksmund ist mit Verständigung gemeint, sich über etwas zu einigen oder gemeinsam eine Lösung zu finden, die von allen akzeptiert werden kann.3 Man könnte etwa sagen: „Ich habe mich mit meinem Nachbarn darüber verständigt, was mit dem an mein Grundstück angrenzenden Bambus geschehen soll.“ Tatsächlich verwendet der Gesetzgeber eine ähnliche Formulierung. Er spricht davon, dass „das Gericht und die Verfahrensbeteiligten … versuchen, sich über den weiteren Verfahrensfortgang und insbesondere das Ergebnis des Strafverfahrens zu verständigen.“4 Auch das Gesetz selbst besagt in § 257c I 1 StPO, dass sich das Gericht „in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen“ kann. Das BVerfG bezeichnet Verständigungen konkreter als „Absprachen zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft sowie der Verteidigung und dem Angeklagten, nach denen das Gericht dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine bestimmte Strafe oder jedenfalls eine Strafobergrenze zusagt.“5 Die Literatur schließlich sieht die Verständigung als „eine Art der Verfahrenserledigung, die nicht allein auf hoheitlich-autoritativem Richterspruch gründet, sondern ihre Gestalt und Rechtfertigung in erster Linie aus dem Einvernehmen der Protagonisten des Verfahrens (Gericht, Staatsanwaltschaft und Angeklagter) bezieht.“6 1  Allein aus sprachlichen Gründen wird in der Folge lediglich die männliche Form benutzt. 2  Nachzulesen in BVerfGE 133, 168 (194 Rn. 49) = BeckRS 2013, 48285. 3  Etwa Duden bei „verständigen“, abrufbar unter http: /  / www.duden.de / rechtschrei bung / verstaendigen#b2-Bedeutung-3, zuletzt aufgerufen am 19.4.2018. 4  BT-Drs. 16 / 12310, S. 1. 5  BVerfGE 133, 168 (171 Rn. 2) = BeckRS 2013, 48285. 6  Niemöller, in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil A Rn. 1, Kursivierung im Original. Das Einvernehmen sieht auch das BVerfG in seinem jüngsten Beschluss zur Verständigung als wesentliches Merkmal an, vgl. BVerfG, NStZ 2016, 422 (424).

14

A. Gegenstand der Arbeit und praktische Relevanz

Durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.20097 wurde vornehmlich mit der Vorschrift des § 257c StPO versucht, Auswüchse der früheren Verständigungspraxis zu unterbinden und die bis dahin von der höchstrichterlichen Judikatur konkretisierten verfassungsrechtlichen Vorgaben festzuschreiben. Insbesondere in komplexen Fallgestaltungen – vornehmlich des Wirtschaftsstrafrechts – bietet diese Praxis attraktive Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung.8 Auch wenn man die zunächst praeter legem entwickelte Verständigung nach Inkrafttreten des § 257c StPO als ein nunmehr auch vom Gesetzgeber ausdrücklich anerkanntes „Institut des Strafverfahrensrechts“ einstufen darf,9 muss ihre konkrete Ausgestaltung den mit Verfassungsrang ausgestatteten Prozessmaximen des Strafprozessrechts Rechnung tragen. Aufgabe und Ziel dieser Dissertation ist es, die Zulässigkeit und Grenzen der strafprozessualen Verständigung ausgehend von der gesetzlichen Regelung des § 257c StPO und der Grundsatzentscheidung des BVerfG vom 19.3.2013 im Lichte der verfassungsrechtlichen Vorgaben nach Maßgabe der praktischen Konkordanz zu konkretisieren. Weiter ist zu untersuchen, ob ein Strafverfahren mit Hilfe der Verständigung prozessökonomisch und doch ­revisionssicher und verfassungskonform gestaltet werden kann. Das ist an­ gesichts der hohen Zahl an begründeten Revisionen, die ihren Grund in einer misslungenen Verständigung haben, kein leichtes Unterfangen.10 Auch rechts­staatliche Bedenken sind im Zusammenhang mit Verständigungen im Bereich des für den Beschuldigten stets ganz besonders belastenden Strafverfahrens naheliegend. Es besteht großes Druckpotenzial, welches die Grenze zur Verfassungswidrigkeit erreicht und den Rechtsstaat vor Herausforderungen besonderer Art stellt. So spekuliert das BVerfG, ob sich die beteiligten Akteure (namentlich Richter, Staatsanwalt und Verteidiger) selbst strafbar machen können, wenngleich es lediglich den eher fernliegenden § 348 StGB, die Falschbeurkundung im Amt, ins Spiel bringt, anstatt den weit relevanteren § 339 StGB, die Rechtsbeugung, anzudenken.11 Die obergerichtliche Rechtsprechung ging in einem Fall sogar so weit, ein Instanzenurteil für gänzlich nichtig und unwirksam zu erklären.12 Somit steht zu befürchten, dass bei penibler Beachtung aller Anforderungen die Vorteile und Anreize 7  BGBl. I

2009 Nr. 49, S. 2353 (vom 3.8.2009, Inkrafttreten am 4.8.2009). auch Volk / Engländer, Grundkurs StPO, 2013, § 30 Rn. 2. 9  Beulke, Strafprozessrecht, 2016, Rn. 394. Schünemann, Wetterzeichen, 2005, S. 9, sprach noch von einer „Praxis gegen das Gesetz“. 10  Vgl. allein das Februar-Heft des StV 2016, in dem ganze zwölf Entscheidungen (davon elf vom BGH) zur Verständigung abgedruckt sind. 11  BVerfGE 133, 168 (213 f. Rn. 78) = NJW 2013, 1058 (1064). 12  OLG München, NJW 2013, 2371. 8  So



A. Gegenstand der Arbeit und praktische Relevanz15

der Verständigung vom schieren Zeitaufwand für ihre verfassungsrechtlich geforderten Förmlichkeiten wieder zunichtegemacht werden. Vor diesem Hintergrund drängt es sich geradezu auf, nach prozessökonomischen Alternativen zur Verständigung zu suchen, die de lege lata der Verständigung möglicherweise vorzuziehen sind. Um diese Alternativen zu finden oder Zulässigkeit und Grenzen der Verständigung zu konkretisieren, soll auch ein rechtsvergleichender Blick in benachbarte Rechtssysteme geworfen und untersucht werden, wie dort verständigungsähnliche Regelungen gehandhabt werden. Wie zu zeigen ist, können aus der rechtsvergleichenden Untersuchung Lehren für das deutsche Strafverfahrensrecht gezogen werden. Unsere Untersuchung soll schließlich in die Beantwortung der forschungsleitenden Frage münden, ob das geltende Recht eine prozessökonomischere Alternative zur verständigungsbasierten Erledigungspraxis zur Verfügung stellt.

B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung I. Verfassungsrechtliche Grundsätze im Widerstreit13 Es mag auf den ersten Blick irritieren, wenn sich Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung nebst Mandantschaft aus der Hauptverhandlung heraus und in ein von der Öffentlichkeit abgeschirmtes Hinterzimmer zurückziehen, um die weiteren Vorgehensweisen sowie Voraussetzungen für eine Verurteilung oder gar die Höhe der Strafe auszuhandeln.14 Der Vergleich zum zivilprozessrechtlichen Vergleich drängt sich geradezu auf. Was dort erlaubt ist, trifft auf das strenge und selbstredend auch viel belastendere, einschneidendere Strafverfahren nur sehr eingeschränkt zu. Hier müssen vielmehr rechtsstaatliche Grundsätze beachtet werden, um ein solches Vorgehen verfassungsrechtlich überhaupt zu legitimieren. Ob eine Absprache als rechtmäßige Verständigung nach § 257c StPO oder aber als rechtswidriger „Deal“ zu bewerten ist, hängt mithin maßgeblich von der Einhaltung der Prozessmaximen ab, die den Rahmen für eine verfassungskonforme Verständigungspraxis abstecken. 1. Grundsätze, die von der Verständigung beeinträchtigt werden können Der Blick soll sich zunächst auf diejenigen Prozessgrundsätze richten, die von der Verständigung beeinträchtigt werden können. Zu diesen gehören namentlich das Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren, die Selbstbelastungsfreiheit, der Öffentlichkeitsgrundsatz, das Schuldprinzip und die damit verbundene Amtsaufklärungspflicht, die Neutralität des Gerichts, die Unschuldsvermutung, der Gleichheitsgrundsatz und der Anspruch auf recht­ liches Gehör. 13  So bereits nahezu wortlautgleich Göttgen, in: Schriftenreihe der Stiftung der Hessischen Rechtsanwaltschaft, Band 6: Deals im Strafverfahren, 2015, S. 1 (2 ff.). 14  Dieses Prozedere in aller Deutlichkeit ans Licht gebracht hat erstmals Weider, StV 1982, 545, unter dem Pseudonym Detlef Deal aus Mauschelhausen. Siehe aber auch schon Schmidt-Hieber, NJW 1982, 1017. Zur Geschichte der Verständigung insgesamt BVerfGE 133, 168 (171 ff. Rn. 2 ff.) = BeckRS 2013, 48285; Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, Einl. Rn. 119b ff.; Niemöller, in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil A; knapp Rabe, Verständigungsurteil, 2017, S. 1 f.; Stuckenberg, in: Löwe / Rosenberg, § 257c Rn. 1 ff.; SK-StPO / Velten, Vor §§  257b–257c ff. Rn. 1 ff.; jew. m. w. Nachw.



I. Verfassungsrechtliche Grundsätze im Widerstreit17

a) Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren Wie das BVerfG bereits überzeugend dargelegt hat, wird das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (Art. 2 I, 20 III GG, Art. 6 I 1 EMRK) bei Beachtung der gesetzlichen Vorschriften zur Verständigung nicht verletzt.15 Vielmehr wird dem Angeklagten eine überaus starke Position zuerkannt, wenn er im Rahmen einer Verständigung Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens ausüben kann.16 Zwingend zu beachten sind dabei aber die umfangreichen Belehrungspflichten, die sich aus § 257c V StPO ergeben und – im Fall einer Verständigung über die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung – auch die Offenlegung der beabsichtigten Bewährungsauflagen beinhalten können.17 Diese Pflichten sichern das faire Verfahren18 und sollen dem Angeklagten bewusst vor Augen halten, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen das Gericht von dem in Aussicht gestellten Ergebnis einer Verständigung abweichen kann.19 Das BVerfG geht sogar tendenziell noch weiter, indem es darlegt, dass bei einem Verstoß gegen diese Belehrungspflicht das Urteil regelmäßig auf dem Unterlassen der Belehrung beruht und ein solches Beruhen im Sinne des § 337 I StPO nur in Ausnahmefällen verneint werden kann; insoweit zieht es einen Vergleich zur Belehrung über das Schweigerecht und zum Recht auf einen Verteidiger gem. § 136 I 2 ­StPO.20 Wie Jahn und Knauer zutreffend bemerken, etabliert der Senat damit einen quasi-absoluten Revisionsgrund.21 Richtig ist aber auch, dass diese Entscheidung originär dem Gesetzgeber vorbehalten ist und daher in §§ 337 f. StPO kodifiziert werden müsste.22 Die StPO unterscheidet zwischen relativen (§ 337 StPO) und absoluten (§ 338 StPO) Revisionsgründen. Der Belehrungsverstoß hat bei der Kodifizierung der Verständigung jedoch keinen Einlass in § 338 StPO gefunden.23 Aber nicht nur das „ob“ der Belehrungs15  Vgl. BVerfGE 133, 168 (200 f. Rn. 59, 231 Rn. 112) = NJW 2013, 1058 (1060 f., 1069); siehe BeckOK StPO / Temming, § 407 Rn. 5, für die (unzulässige) Verständigung über einen Strafbefehl, da keine Bindungswirkung. 16  So auch der Vorsitzende des 1. Strafsenats des BGH, vgl. BVerfGE 133, 168 (187 Rn. 38) = BeckRS 2013, 48285. 17  BGH, NJW 2014, 1831 (1832 Rn. 11), m. Verweis auf BVerfG, NJW 2013, 1058 (1071). 18  BVerfGE 133, 168 (224 Rn. 99) = NJW 2013, 1058 (1067); KMR-StPO / v. Heintschel-Heinegg, § 257c Rn. 58; Radtke, NStZ 2013, 729. 19  BT-Drs. 16 / 12310, S. 15; BVerfGE 133, 168 (237 Rn. 125) = NJW 2013, 1058 (1071). 20  BVerfGE 133, 168 (225 Rn. 99 m. Verweis auf BGHSt, 38, 214 [226 f.]; 238 f. Rn. 127) = NJW 2013, 1058 (1067, 1071). 21  Jahn, JuS 2013, 659 (660); Knauer, NStZ 2013, 433 (436). 22  So auch Jahn, JuS 2013, 659 (660); Knauer, NStZ 2013, 433 (436). 23  In diese Richtung auch Stuckenberg, ZIS 2013, 212 (215).

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B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

pflicht kann zum Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensfehler führen, sondern auch das „wann“. Der Angeklagte muss vor der Verständigung, die mit seiner und der Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu Stande kommt (vgl. § 257c III 4 StPO), nach § 257c V StPO qualifiziert belehrt werden.24 Diese Belehrungspflicht besteht bereits bei einer angestrebten Verständigung und nicht etwa erst dann, wenn eine solche schon erfolgt ist oder sich das Gericht von ihr gem. § 257c IV StPO wieder lösen will.25 Nur die strikte Einhaltung dieser zeitlichen Reihenfolge wahrt den Schutzzweck der Belehrung. Selbst wenn die Belehrung unmittelbar nach Zustandekommen der Verständigung, aber noch vor dem Geständnis erfolgt, beruht das Urteil in aller Regel auf dem Belehrungsverstoß. Von dieser Erkenntnis ausgehend hat das BVerfG in einem seiner jüngsten Beschlüsse26 folgerichtig ein Urteil des BGH27 aufgehoben, der eine vermeintliche Lücke im Grundsatzurteil (BVerfGE 133, 168) gesehen hatte. Das BVerfG begründet sein Beharren auf der zeitlichen Reihenfolge mit einem Vergleich zu den Belehrungspflichten aus § 136 I StPO und § 243 V 1 StPO, denn bei der Verständigung werde durch die Möglichkeit der Bindung des Gerichts an Zusagen bezüglich der Strafgrenzen eine ganz enorme „Anreiz- und Verlockungssituation“ geschaffen.28 Die in § 257c V StPO getroffene Regelung gewinnt damit grundlegende Bedeutung sowohl für die Gewährleistung des fairen Verfahrens als auch für die Selbstbelastungsfreiheit.29 Einzig eine qualifizierte Belehrung, die dem Beschuldigten vor Augen führt, dass er nun wieder vollkommen frei ist, auszusagen oder zu schweigen, und die ihm das Wissen vermittelt, dass sein vorheriges Geständnis gegenstandslos ist, kann einen Fehler in der zeitlichen Reihenfolge heilen.30 Eine klare Absage ist möglichen Versuchungen zu erteilen, dem Beschuldigten im Rechtsgespräch die Verhängung einer überharten Sanktion anzukündigen, sollte er einer Verständigung abgeneigt sein, ihn hingegen milde zu bestrafen, wenn er sich geständig zeigt. Eine solche „Sanktionsschere“ ist schon Schlothauer / Weider, StV 2009, 600 (604). NJW 2017, 1626 (lediglich Leitsatz der Redaktion abgedruckt) = NStZRR 2017, 151; Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 30. 26  BVerfG, NJW 2014, 3506; zustimmend Eisenberg, StV 2014, 69 (70); BeckOK StPO / Eschelbach, § 257c Rn. 42. 27  BGH, NStZ 2013, 728, m. Anm. Radtke, NStZ 2013, 729, sowie Eisenberg, StV 2014, 69. 28  BVerfGE 133, 168 (225 Rn. 99) = NJW 2013, 1058 (1067); BVerfG, NJW 2014, 3506 (3507 Rn. 15). 29  BVerfGE 133, 168 (239 Rn. 127) = NJW 2013, 1058 (1071); zur Selbstbelastungsfreiheit siehe sogleich. 30  Ähnlich BGH, NJW 2017, 1626 (lediglich Leitsatz der Redaktion abgedruckt) = NStZ-RR 2017, 151. 24  So

25  BGH,



I. Verfassungsrechtliche Grundsätze im Widerstreit19

unverhältnismäßig und darf vom Richter nicht in Aussicht gestellt werden, wenn sie sich durch eine unangemessen große Differenz zwischen dem zu erwartenden Strafmaß bei erfolgter Verständigung und dem nach „streitigem“ Verfahren auszeichnet.31 Schließlich ist es auch ein Gebot der Fairness des Verfahrens, dass das Gericht die Verfahrensbeteiligten unverzüglich darauf hinweist, wenn es von seinen Zusagen im Rahmen der Verständigung abweichen will, § 257c IV 4 StPO.32 b) Selbstbelastungsfreiheit Auch die aus Art. 2 I, 1 I GG abzuleitende Selbstbelastungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare) kann von der Verständigung beeinträchtigt sein, schafft diese doch für den Angeklagten eine besondere „Anreiz- und Verlockungssituation“33, durch ein vereinbartes Geständnis aktiv Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens zu nehmen. Die Aussagefreiheit als notwendiger Teil der Selbstbelastungsfreiheit ist Ausdruck einer auf der Menschenwürde beruhenden rechtsstaatlichen Grundhaltung.34 Freilich muss der Angeklagte nicht aussagen oder ein Geständnis ablegen, sondern kann hierüber frei entscheiden.35 Hierbei muss aber differenziert werden zwischen einer rechtmäßigen Verständigung und der Androhung einer unverhältnismäßigen „Sank­ tionsschere“.36 Letztere verletzt die Selbstbelastungsfreiheit, indem sie durch die in Aussicht gestellte unverhältnismäßig hohe Strafe im Falle eines streitigen Verfahrens einen so hohen Druck auf den Angeklagten ausübt, dass von einer freien Entscheidung nicht mehr gesprochen werden kann. Einfachrechtlich kann dabei auch auf § 136a StPO rekurriert werden, der ebenfalls die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung des Angeklagten schützt.37 Daher darf dem Angeklagten im Rahmen einer Verständigung auch keine gesetzlich nicht vorgesehene Strafmilderung in Aussicht gestellt wer31  So etwa in einem der vor dem BVerfG gerügten Fälle, BVerfGE 133, 168 (182 ff. Rn. 29) = BeckRS 2013, 48285: Bei Verständigung Annahme eines minderschweren Falls mit Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung im Gegensatz zu Mindeststrafe drei Jahre nach streitiger Beweisaufnahme. 32  BeckOK StPO / Eschelbach, § 257c Rn. 41. 33  BVerfGE 133, 168 (208 Rn. 68, 225 Rn. 99, 231 Rn. 112, 238 Rn. 126) = NJW 2013, 1058 (1063, 1067, 1069, 1071). 34  BVerfGE 133, 168 (201 Rn. 60) = NJW 2013, 1058 (1061). 35  So auch die Bundesregierung, vgl. BVerfGE 133, 168 (186 Rn. 35) = BeckRS 2013, 48285. 36  Dazu schon oben B. I. 1. a). 37  Stuckenberg, in: Löwe / Rosenberg, § 257c Rn. 7; Ziegert, StraFo 2014, 228 (230 ff.).

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B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

den, mit der der Boden schuldangemessenen Strafens verlassen würde; Rechtsgespräche und Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses sind jedoch zulässig38 und waren dies schon immer. Auch im Rahmen der Selbstbelastungsfreiheit – insbesondere wegen der Möglichkeit zur Einflussnahme auf den Ausgang des Verfahrens – muss den Belehrungspflichten besondere Bedeutung zukommen.39 Sofern diese jedoch von den Gerichten beachtet werden und keine unverhältnismäßige „Sanktionsschere“ die Verständigung als unrechtmäßig qualifiziert, ist die Selbstbelastungsfreiheit in vollem Umfang gewahrt. c) Öffentlichkeitsgrundsatz Mit dem Gesetz zur Verständigung wollte der Gesetzgeber vor allem möglichst vollständige Transparenz und Dokumentation erreichen, um sowohl den in § 169 GVG niedergelegten Öffentlichkeitsgrundsatz zu wahren als auch die vollumfängliche Kontrolle durch die Rechtsmittelgerichte zu ermöglichen.40 Darüber hinaus soll auch der am Verfahren nicht beteiligten Öffentlichkeit eine Kontrolle der Justiz ermöglicht werden; immerhin handelt es sich hierbei – mit den Worten des BVerfG – um ein der demokratischen Idee verpflichtetes, unverzichtbares Institut zur Verhinderung obrigkeitlicher Willkür.41 Die Öffentlichkeit könne ihre Kontrollfunktion aber nur ausüben, wenn sie die Informationen erhält, die zur Beurteilung der Angemessenheit einer etwaigen Verständigung erforderlich sind. Zunächst einmal bedeutet das, dass alle Vorgänge, die mit der Verständigung zusammenhängen, in die Hauptverhandlung eingeführt werden müssen, denn nur so ist einerseits der Öffentlichkeit Genüge getan und andererseits auch dem in § 261 StPO normierten Grundsatz der freien Beweiswürdigung, der verlangt, dass das Gericht seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung schöpft.42 Zumindest müssen die Verständigungsvorgänge aber dokumentiert werden. Das beginnt bereits im Ermittlungsverfahren, denn die Staatsanwaltschaft kann schon zu diesem Zeitpunkt den Stand des 38  BVerfGE 133, 168 (231 f. Rn. 113, 228 Rn. 106) = NJW 2013, 1058 (1069, 1068). 39  BVerfGE 133, 168 (224 Rn. 99) = NJW 2013, 1058 (1067); BVerfG, NJW 2014, 3506 (3507 Rn. 15); Radtke, NStZ 2013, 729; siehe auch oben B. I. 1. a). 40  BT-Drs. 16 / 12310, S. 1, 8, 9, 12, 15, 22. 41  BVerfGE 133, 168 (217 Rn. 88) = NJW 2013, 1058 (1065). 42  In diese Richtung auch BVerfGE 133, 168 (214 f. Rn. 81, 218 f. Rn. 90) = NJW 2013, 1058 (1064, 1065 f.). Gänzlich anders etwa noch Haas, NJW 1988, 1345, der glaubte, dass „Vereinbarungen im Strafverfahren … nicht dem Grundsatz der Öffentlichkeit“ unterlägen.



I. Verfassungsrechtliche Grundsätze im Widerstreit21

Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, muss den wesentlichen Inhalt dann aber aktenkundig machen (vgl. § 160b StPO). Dies ermöglicht dem Gericht, die zwischen Staatsanwaltschaft und Angeklagten im Ermittlungsverfahren getroffenen Vereinbarungen nachzuvollziehen.43 Im Zwischenverfahren gewährleistet § 202a StPO, dass etwaige Erörterungen zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten aktenkundig gemacht werden. Entsprechendes gilt für Erörterungen nach Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 212 StPO). Nun ist Aktenkundiges noch nicht der Öffentlichkeit zugänglich, sondern dient vorerst nur der Dokumentation. Dem Öffentlichkeitsgrundsatz verschafft in diesem Zusammenhang jedoch die Bestimmung des § 243 IV 1 StPO Geltung, wonach der Vorsitzende mitzuteilen hat, ob Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist. Gegebenenfalls ist deren wesentlicher Inhalt mitzuteilen. Diese Pflicht gilt für die gesamte Hauptverhandlung (§ 243 IV 2 StPO). Der Wortlaut der Norm („ob“) lässt auf die Notwendigkeit auch einer Negativmitteilung schließen, falls keine Verständigungsgespräche stattgefunden haben.44 § 273 Ia 2 StPO statuiert die Pflicht, diese Mitteilungen zu protokollieren. Ausgenommen sind lediglich solche Gespräche, die ausschließlich der Organisation und der Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung dienen, wie z. B. die Abstimmung der Verhandlungstermine, da diese keinen Einfluss auf das Verfahrensergebnis haben und somit dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgelagert sind.45 Bestehen Zweifel, ob § 243 IV StPO anzuwenden ist, müssen diese in der Hauptverhandlung offenbart werden, um dem Öffentlichkeitsgrundsatz maximale Geltung zu verleihen.46 Ferner kann das Gericht auch in der Hauptverhandlung den Stand des Verfahrens erörtern (§ 257b StPO). Diese Vorschrift ist für sich betrachtet zwar nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung gerichtet. Aber gerade durch sie wird vollständige Transparenz gewährleistet. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer solchen Erörterung aufgenommen werden (§ 273 I 2 StPO). Bemerkenswert ist, dass nur die Erörterung nach § 160b StPO, die grundsätzlich unter der Federführung der Staatsanwaltschaft erfolgt, nicht bekanntgemacht und protokolliert werden muss. Dies ist für den 43  KK-StPO / Griesbaum,

§ 160b Rn. 9. 133, 168 (223 Rn. 98) = NJW 2013, 1058 (1067). Eingehend zum Negativattest sogleich. 45  BVerfGE 133, 168 (216 Rn. 84) = NJW 2013, 1058 (1065). 46  BVerfGE 133, 168 (216 f. Rn. 85) = NJW 2013, 1058 (1065); Allgayer, NStZ 2015, 185 (186); Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 243 Rn. 18a. Anders aber noch Landau / Bünger, ZRP 2005, 268 (271), die damals davon ausgingen, dass Protokollierungspflichten zum Inhalt von im Zwischenverfahren und außerhalb der Hauptverhandlung stattgefundenen Erörterungen „die Gefahr einer Überspannung der formellen Anforderungen“ in sich bergen. 44  BVerfGE

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B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

Öffentlichkeitsgrundsatz aber unschädlich, da das Gericht hier noch nicht beteiligt ist und die dortigen Ergebnisse somit ohnehin keinen Einfluss auf das Urteil entfalten können. Nur wenn diese frühzeitigen Erörterungen die Hauptverhandlung beeinflussen sollen, muss das Gericht einbezogen werden, was dann wiederum zwingend die Mitteilungs- und Protokollierungspflichten auslöst. Selbstverständlich sind nicht nur Erörterungen des Verfahrensstandes in die Hauptverhandlung einzuführen, sondern auch die – nicht selten auf solchen Erörterungen aufbauende – Verständigung selbst (§ 257c III StPO), die nach der Rechtsprechung des BVerfG nur in der Hauptverhandlung erfolgen darf.47 Dies gilt nicht zuletzt auch, um den während der Hauptverhandlung das Richteramt in vollem Umfang ausübenden (also auch zwingend an Verständigungen beteiligten), aber bei Gesprächen außerhalb dieser nicht immer anwesenden Schöffen eine verantwortbare Entscheidung über die Verständigung und über den Inhalt des Urteils zu ermöglichen.48 Dem ist zuzustimmen, da nur so mit Blick auf die düstere Geschichte der „Deals“ ein „Schmierentheater“49 der Verfahrensbeteiligten verhindert werden kann und auch nur so die Öffentlichkeit in die Lage versetzt wird, die ihr zugedachte Kontrollfunktion effektiv auszuüben. Zugleich wird damit dem Risiko entgegengewirkt, dass Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung bei einem möglichen Interessengleichlauf zum Nachteil des Angeklagten agieren.50 Freilich sind auch der wesentliche Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis der Verständigung im Protokoll wiederzugeben (§ 273 Ia 1 StPO); dazu gehört insbesondere der Vermerk, wer die Anregung zu den Gesprächen gegeben hat und welchen Inhalt die einzelnen „Diskussionsbeiträge“ aller Verfahrensbeteiligten sowie der Richter hatten, insbesondere von welchem Sachverhalt sie ausgegangen sind und welche Ergebnisvorstellungen hierbei geäußert wurden.51 Eine weitere Mitteilungspflicht findet sich in § 257c IV 4 StPO; das Gericht muss unverzüglich mitteilen, wenn es von der Verständigung abweichen will. Dies und die Belehrung nach § 257c V StPO sind ebenfalls protokollpflichtig, § 273 Ia 2 StPO. Wenn dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist, muss dies schließlich auch in den Urteilsgründen angegeben werden (§ 267 III 5 StPO). Zusätzlich ist im Protokoll auch festzuhalten, wenn keine Verständigung stattgefunden hat (§ 273 Ia 3 StPO). Dieser vom Bundesrat kritisierte „Negativattest“ wurde von der Bundesregierung ausdrücklich verteidigt, um „mit höchst möglicher Gewissheit und in der Revi47  BVerfGE

133, 168 (215 Rn. 82) = NJW 2013, 1058 (1065). BVerfGE 133, 168 (215 Rn. 82, 217 Rn. 86, 219 Rn. 90) = NJW 2013, 1058 (1065, 1066). 49  Weider, StV 1982, 545 (552). 50  BVerfGE 133, 168 (232 Rn. 114) = NJW 2013, 1058 (1069). 51  BVerfGE 133, 168 (217 Rn. 86) = NJW 2013, 1058 (1065); Stuckenberg, in: Löwe / Rosenberg, § 257c Rn. 71. 48  Vgl.



I. Verfassungsrechtliche Grundsätze im Widerstreit23

sion überprüfbar das Geschehen in der Hauptverhandlung … dokumentieren“ zu können.52 Damit soll zugleich auch sichergestellt werden, dass es zu keiner Vereinbarung außerhalb der geltenden Verständigungsregeln kommt. Sollte es dennoch zu einem irgendwie gearteten „Deal“ gekommen, aber ein Negativattest protokolliert worden sein, kann nach Auffassung des BVerfG sogar der Tatbestand der Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) erfüllt sein.53 Der umfangreiche Katalog aller vorgenannten Mitteilungs- und Protokollierungspflichten dient der Transparenz der Verständigungspraxis und hebt die besondere Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes hervor. Damit sind auch die in § 261 StPO positivierten Grundsätze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit als Teile des Öffentlichkeitsgrundsatzes vollumfänglich gewahrt. Die Offenlegung und Einführung der Verständigung in die Hauptverhandlung wird von einem Teil der Richterschaft als „überflüssiger Formalismus“ empfunden.54 Dennoch führt vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben kein Weg an den zahlreichen, von der Praxis gelegentlich als unangenehm empfundenen55 Pflichten vorbei. Der Öffentlichkeitsgrundsatz, der gerade auch wegen der mit gänzlich heimlichen Verfahren im Hinterzimmer der Justiz beginnenden Geschichte der Verständigung besondere Bedeutung erlangt, fordert vollkommene Transparenz. Um die der Gewährleistung von Transparenz und Öffentlichkeit dienenden Vorschriften keiner Umgehungsgefahr auszusetzen, muss die in § 257c StPO getroffene Regelung zur Verständigung als abschließend betrachtet werden.56 Bereits der Wortlaut der Norm („nach Maßgabe der folgenden Absätze“) lässt keine andere Auslegung zu. Alle informellen Absprachen, Deals oder „Gentlemen’s Agreements“ sind demnach unzulässig und bereits von Verfassungs wegen untersagt57. Mit dem Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass er eine Verständigung nur bei Wahrung der Transparenz- und Dokumentationspflichten für zulässig hält; das BVerfG formuliert in diesem Zusammenhang treffend: „Das gesetzliche Regelungskonzept ist … als eine untrennbare Einheit aus Zulassung und inhaltlicher Beschränkung von Verständigungen bei gleichzeitiger Einhegung durch die Mitteilungs-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten zu begreifen.“58 52  BT-Drs.

16 / 12310, S. 22. 133, 168 (213 f. Rn. 78) = NJW 2013, 1058 (1064); zweifelhaft, vgl. Stuckenberg, ZIS 2013, 212 (215). Vgl. dazu ausführlich unten D. II. 3. 54  Vgl. BVerfGE 133, 168 (195 Rn. 49) = BeckRS 2013, 48285. 55  Vgl. Deutscher Richterbund, in: BVerfGE 133, 168 (191 Rn. 45) = BeckRS 2013, 48285. 56  BVerfGE 133, 168 (212 Rn. 75 f.) = NJW 2013, 1058 (1064). 57  BVerfGE 133, 168 (233 Rn. 115) = NJW 2013, 1058 (1069). 58  BVerfGE 133, 168 (222 Rn. 96) = NJW 2013, 1058 (1066). 53  BVerfGE

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Auch bei Verstößen gegen die gesetzlichen Transparenz- und Dokumentationspflichten beruht nach zutreffender Auffassung des BVerfG das verständigungsbasierte Urteil im Rahmen der Revision regelmäßig – und nur in besonderen Ausnahmesituationen nicht – auf der Gesetzesverletzung im Sinne von § 337 I StPO.59 Dies soll sogar bei fehlender Negativmitteilung nach § 243 IV 1 StPO und bei fehlendem Negativattest gem. § 273 Ia 3 StPO der Fall sein, da sich sonst nicht sicher ausschließen lasse, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige informelle Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht. Der Senat rekurriert in seiner Urteilsbegründung auf die Dogmatik zum Recht auf das letzte Wort (§ 258 II, III StPO). Dass dieses Vorgehen zumindest kritikwürdig ist, da eine solche Entscheidung grundsätzlich nur dem Gesetzgeber zusteht, wurde bereits an anderer Stelle dargelegt.60 Entgegen dem Gesetzesentwurf des Bundesrates, der die Rechtsmittelmöglichkeiten nicht nur durch Zulassung eines Rechtsmittelverzichts bei vorheriger qualifizierter Belehrung über die Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsmittels, sondern auch durch Ausschluss der Berufung und Beschränkung der Revision auf Verfahrensfehler im Zusammenhang mit der Absprache sowie auf die absoluten Revisionsgründe des § 338 StPO wesentlich einschränken wollte61, hat der Gesetzgeber schließlich auch einen Rechtsmittelverzicht bei einer Verständigung generell ausgeschlossen (vgl. § 302 I 2 StPO) und damit die Überprüfbarkeit durch die Rechtsmittelgerichte sichergestellt. Auch hierüber ist der Angeklagte qualifiziert zu belehren (§ 35a S. 3 StPO). d) Schuldprinzip Das Schuldprinzip ist in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 I und 2 I GG) sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert.62 Es beinhaltet die Forderung nach materieller Gerechtigkeit und somit nach Strafen, die in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen.63 Einen wichtigen Teil des Schuldprinzips stellt somit auch die Ermittlung des wahren Sachverhalts dar, ohne den schuldangemessenes Strafen nicht möglich ist.64 Mit dem Schuldprinzip eng 59  BVerfGE

133, 168 (223 Rn. 97) = NJW 2013, 1058 (1067). zu den „quasi-absoluten“ Revisionsgründen oben B. I. 1. a). 61  BT-Drs. 16 / 4197, S. 2; vgl. auch die Stellungnahme der Bundesregierung, BTDrs. 16 / 4197, S. 12. 62  BVerfGE 45, 187 = NJW 1977, 1525 (1532); BVerfGE 133, 168 (197 Rn. 53) = NJW 2013, 1058 (1059). 63  BVerfGE 133, 168 (198 Rn. 55) = NJW 2013, 1058 (1060) m. w. Nachw. 64  BVerfG, NJW 1981, 1719 (1722); BVerfGE 133, 168 (226 Rn. 102) = NJW 2013, 1058 (1067). 60  Siehe



I. Verfassungsrechtliche Grundsätze im Widerstreit25

verbunden ist daher die Amtsaufklärungspflicht (§ 244 II StPO) – wenngleich es dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht untersagt ist, unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze für Fälle einfach gelagerter und eindeutiger Sachverhalte ein vereinfachtes Verfahren wie etwa das summarische Strafbefehlsverfahren (§§ 407 ff. StPO), das beschleunigte Verfahren (§§ 417 ff. StPO) oder das vereinfachte Jugendverfahren (§§ 76 ff. JGG) zu schaffen.65 Eine Verständigung als solche kann aber niemals alleinige Grundlage für ein Urteil sein.66 § 257c I 2 StPO verweist ausdrücklich auf den Untersuchungsgrundsatz des § 244 II StPO. Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass es nicht ausreichend ist, wenn der Angeklagte im Rahmen einer Verständigung schlicht der Anklage nicht entgegentritt.67 Bis hin in die Anfangsjahre des neuen Jahrtausends wurden solche Erklärungen selbst von erstinstanzlichen Strafkammern – erst recht von den Amtsgerichten – als Grundlage für den dann freilich zügig folgenden Schuldspruch akzeptiert. Dies ist glücklicherweise Geschichte. Problematisch ist auch ein sogenanntes „schlankes Geständnis“, welches im Gegensatz dazu doch schon etwas weiter geht. Ein „schlankes Geständnis“ legt der Angeklagte ab, wenn er lediglich das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in der Hauptverhandlung bestätigt, ohne auf strittige Einzelheiten einzugehen.68 Auch auf ein solches „inhaltsleeres Formalgeständnis“69 darf nach überwiegender Auffassung eine Verurteilung nicht gestützt werden.70 Vielmehr muss im Geständnis auf einzelne, insbesondere unklare Punkte eingegangen werden; es muss also lückenlos sein.71 Meyer-Goßner scheint in Anlehnung an das „schlanke Geständnis“ ähnlich zu spekulieren, wenn er überlegt, ob in der Verständigung ein Absehen von einer (auch notwendigen) Beweiserhebung vereinbart werden dürfe.72 Er zitiert dazu die Gesetzesbegründung73, die davon spricht, dass ein Verzicht auf weitere Beweisanträge und Beweiserhebungen sich nicht außerhalb der Sach65  BVerfGE

133, 168 (226 f. Rn. 104) = NJW 2013, 1058 (1068). 133, 168 (204 Rn. 65) = NJW 2013, 1058 (1062). 67  Dies stellt nicht einmal ein Geständnis dar, vgl. BVerfGE 133, 168 (209 Rn. 70) = NJW 2013, 1058 (1063). 68  Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 3. 69  BGHSt (Großer Senat) 50, 40 = NJW 2005, 1440 (1442). 70  BVerfGE 133, 168 (209 Rn. 70, 239 Rn. 129) = NJW 2013, 1058 (1063, 1071); BGH, NStZ-RR 2012, 52; BGHSt (Großer Senat) 50, 40 = NJW 2005, 1440 (1442); OLG Hamm, BeckRS 2011, 26597; BeckOK StPO / Eschelbach, § 257c Rn. 21; Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 17. A. A. Jahn / Müller, NJW 2009, 2625 (2628, wenn der Sachverhalt nachvollziehbar eingeräumt wird). 71  Ähnlich auch OLG Hamm, BeckRS 2011, 26597. 72  Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 13. 73  BT-Drs. 16 / 11736, S. 11. 66  BVerfGE

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B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

aufklärung bewegen dürfe. Wie dies dann aber mit § 244 II StPO in Einklang zu bringen sein soll, bleibt auch für Meyer-Goßner rätselhaft und erscheint auch tatsächlich mit der Sachaufklärungspflicht unvereinbar.74 Fischer wiederum rügt ganz generell, dass die Prinzipien eines „konsensualen“ Verfahrens und der Aufklärungspflicht offenkundig im Widerspruch zueinander stünden und im Grundsatz unvereinbar seien.75 Dem ist entgegenzuhalten, dass der Umfang der Beweisaufnahme durch ein glaubhaftes oder überprüfbares Geständnis stets verringert wird – unabhängig davon, ob dieses nun auf einer Verständigung oder auf anderen Hintergründen basiert. Indes ist ein verständigungsbasiertes Geständnis infolge der „Anreiz- und Verlockungs­ situation“ fehleranfälliger als ein herkömmliches.76 Da die Amtsaufklärungspflicht weiterhin volle Geltung beansprucht (§§ 257c I 2, 244 II StPO), bleibt der erforderliche Umfang an Beweiserhebung grundsätzlich gleich, als Kompensation zur höheren Fehleranfälligkeit müssen aber Fragen zum Sachverhalt hinreichend beantwortet werden können77 – anderenfalls muss konven­tionell Beweis über die streitigen Punkte erhoben und erbracht werden. Das bedeutet zwar, dass das verständigungsbasierte Geständnis aus sich heraus, auf Grund der Beantwortung von Fragen oder durch Beweiserhebung überprüfbar sein muss,78 jedoch sind keine strengeren Anforderungen an die Überprüfung eines solchen Geständnisses zu stellen als an die eines herkömmlichen – so bleiben etwa Vorhalte oder das Selbstleseverfahren (§ 249 II StPO) nach den allgemeinen Regeln möglich.79 Fischer konstatiert weiter, dass Gesichtspunkte des erforderlichen Verfahrensaufwands, der Länge der Hauptverhandlung und der Inanspruchnahme von Justiz-Ressourcen nicht geeignet seien, die Schuld des Täters in ausschlaggebendem Maße zu beeinflussen.80 Dem ist zumindest insoweit beizutreten, als ein herkömmliches Geständnis für die Mildewaltung bei der Strafzumessung stets von größerer Bedeutung sein muss als das verständigungsbasierte, da Ersteres auch die Reue des Täters besonders honorieren 74  Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 13; so auch Fischer, StraFo 2009, 177 (186); Spaniol, StraFo 2014, 366 (369); Theile, NStZ 2012, 666 (668 f.). 75  Fischer, StraFo 2009, 177 (181); ganz ähnlich auch Weigend, StV 2013, 424 (425). 76  BVerfGE 133, 168 (208 Rn. 68) = NJW 2013, 1058 (1063). 77  Vgl. BT-Drs. 16 / 12310, S. 13; BVerfGE 133, 168 (208 Rn. 68, 209 Rn. 70) = NJW 2013, 1058 (1063); BGH, NStZ-RR 2012, 256 (256 f.). Nach Ziegler, FS v. Heintschel-Heinegg, 2015, S. 521 (527), „bedarf es in der Regel weiterer Indizien, die für die Richtigkeit der Angaben sprechen.“ Dies begründet er mit einem Vergleich zum Kronzeugen, dessen Angaben ebenfalls erhöht fehleranfällig seien. 78  Vgl. auch BVerfGE 133, 168 (230 Rn. 110) = NJW 2013, 1058 (1069). 79  BVerfGE 133, 168 (209 Rn. 71) = NJW 2013, 1058 (1063). 80  Fischer, StraFo 2009, 177 (181).



I. Verfassungsrechtliche Grundsätze im Widerstreit27

soll.81 Wenn der Amtsaufklärungspflicht jedoch Genüge getan ist, der Sachverhalt also hinreichend und überprüfbar festgestellt wurde, dann kann eine das Schuldprinzip wahrende Strafe ohne Weiteres gefunden werden.82 Der in § 257c I 2 StPO enthaltende Verweis auf § 244 II StPO sichert die Aufklärungspflicht ab. Damit das Gebot schuldangemessenen Strafens und die daraus resultierende Pflicht zur Ermittlung der materiellen Wahrheit nicht umgangen werden und vollumfänglich kontrollierbar bleiben, hat der Gesetzgeber zudem einen Rechtsmittelverzicht bei einer Verständigung generell ausgeschlossen (§ 302 I 2 StPO).83 e) Richterliche Neutralität Die Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 I 2 GG) beinhaltet unter anderem, dass der Angeklagte sich nicht vor einem Richter zu verantworten hat, der auf Grund persönlicher oder sachlicher Beziehungen zu den Verfahrensbeteiligten oder zum Streitgegenstand die gebotene Neutralität vermissen lässt.84 Wenn eine vom Gericht angestrebte85 Verständigung scheitert, besteht für den Angeklagten die durchaus nachvollziehbare Befürchtung, dass die Neutralität der Berufsrichter oder Schöffen beeinträchtigt ist, diese Personen also befangen sein könnten (vgl. § 24 II StPO). Man denke nur an den Fall, dass bei einem verständigungsbasierten Geständnis eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung in Aussicht gestellt wurde und diese Verständigung an der fehlenden Zustimmung des Angeklagte scheitert, woraufhin das Gericht den Angeklagten nach streitiger Verhandlung zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.86 Ein solcher Fall erinnert schon an die unzulässige „Sanktionsschere“ – wenn auch ohne Androhung einer solchen – und ist in jedem Fall unverhältnismäßig und daher revisibel. In 81  In eine ähnliche Richtung geht auch der Deutsche Richterbund, vgl. BVerfGE 133, 168 (190 f. Rn. 45) = BeckRS 2013, 48285. 82  Ignor, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, § 257c Rn. 12. 83  BVerfGE 133, 168 (221 Rn. 95) = NJW 2013, 1058 (1066), siehe auch schon oben B. I. 1. c). 84  BVerfGE 21, 139 (146); BVerfGE 89, 28 (36); BVerfGE 133, 168 (203 Rn. 62) = NJW 2013, 1058 (1061). 85  Vgl. Wortlaut d. § 257c I 1 StGB: „Das Gericht kann sich … verständigen“. 86  Fälle dieser Art waren in der Vergangenheit durchaus zu finden, wurden aber selbstredend in der Revision aufgehoben. Vgl. zum konkreten Beispiel Jähnke, ZRP 2001, 574 (575); einen ähnlichen Fall schildert der Deutsche Anwaltverein, dargestellt in BVerfGE 133, 168 (192 Rn. 46) = BeckRS 2013, 48285. Weitere prägnante Fälle, allerdings im Zusammenhang mit Gesamtstrafenbildung, sind unten D. III. in Fn. 708–711 und 713 zu finden.

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B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

einem ähnlichen Fall hob der BGH87 den Strafausspruch einer Entscheidung auf, bei der sich der Angeklagte durch Begleichung seiner Steuerschuld von über einer halben Million Euro aus einem anderen Strafverfahren einen Straferlass von mindestens einem Jahr und neun Monaten hätte erkaufen können – sich also tatsächlich zum Teil hätte freikaufen können. Freilich darf er das nicht. So spricht auch der BGH im zitierten Urteil ganz offen von „erzwungenem Freikaufen“ seitens des Gerichts, welches nicht in die Wege geleitet werden dürfe, sowie davon, dass eine so große Spanne nicht mit der strafmildernden Wirkung eines Schadensausgleichs gerechtfertigt werden könne. Etwas anderes gilt zwar vor allem dann, wenn der Angeklagte von sich aus zur Schadensminderung und Wiedergutmachung beiträgt. In diesem Fall kann das Gericht bei der Strafzumessung die Umkehrleistung und Reue des Täters in Form der Strafmilderung honorieren (vgl. § 46 II 2 a. E. StGB und § 46a StGB). Allerdings muss auch dann die Strafmilderung schuldangemessen sein. Es stellt sich somit die Frage, wie solche großen „Scheren“ zu Stande kommen. Wenn das Gericht eine Verständigung anregt, hat es sich – ähnlich wie beim zivilrechtlichen Vergleich – in aller Regel bereits intensiv mit dem Fall auseinandergesetzt und ungefähre Vorstellungen vom Ergebnis entwickelt. Wenn die Verständigung nun am Angeklagten scheitert und das Gericht daher umfangreiche und zeitraubende Beweiserhebungen auf sich zukommen sieht, wohingegen es das Verfahren mit einer Verständigung alsbald hätte erledigen können, ist es menschlich verständlich, wenn sich die Richter darüber ärgern, dass alle ihre Bemühungen vergeblich waren.88 Das ist eine schwierige Situation für die Rechtsprechenden, und es gelingt sicher nicht jedem, sich faktisch davon nicht zumindest unbewusst beeinflussen zu lassen. Der professionell arbeitende Richter muss aber selbstverständlich und nicht nur unter dem Eindruck der Strafdrohung des § 339 StGB auch in einem solchen Fall seine innere Unabhängigkeit bewahren und darf sich keinesfalls von derart sachfremden Erwägungen leiten lassen. Er ist verpflichtet, auch auf die an der gescheiterten Verständigung evtl. beteiligten Schöffen einzuwirken und deutlich zu machen, dass aus dem Scheitern eines vorangegangenen Verständigungsgesprächs keine für den Angeklagten negativen Rückschlüsse gezogen werden dürfen. Gerade Laienrichtern vermag es oftmals nicht einzuleuchten, dass die Verhandlungen zur Verständigung in keiner Form verwertet werden dürfen. So 87  BGHSt 49, 84 = NJW 2004, 1396 (1398), m. Anm. Weider, NStZ 2004, 339 (341), der auch von einer „Schere“ spricht. 88  Ähnlich auch Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 28: „Dass für das Gericht das [der gescheiterten Verständigung möglicherweise vorhergehende] Geständnis doch eine die Verurteilung motivierende Bedeutung haben kann, steht auf einem anderen Blatt“. Siehe auch Hettinger, JZ 2011, 292 (300 f.); Isfen, ZStW 125 (2013), 325 (336 f.); Rode, StraFo 2015, 89 (92); Weigend, FS Maiwald, 2010, S. 829 (841): „richterpsychologisch … belastet“.



I. Verfassungsrechtliche Grundsätze im Widerstreit29

verhält es sich aber mit allen Beweisverwertungsverboten, sodass sich hieraus keine Besonderheiten für die Verständigung ergeben und somit auf die entsprechende Dogmatik verwiesen werden kann.89 Das Verwertungsverbot ergibt sich aus der Natur der Sache als Kompensation für die ja dann auch nicht offerierte Gegenleistung in Form einer Strafobergrenze.90 Auch aus einer ursprünglichen Gesprächsbereitschaft seitens des Angeklagten könnte das Gericht den Schluss ziehen, dass dieser belastende Informationen hätte preisgeben können.91 Hier gilt das bereits Gesagte entsprechend. Zusätzlich muss das Gericht auch im Fall der gescheiterten Verständigung diesen Vorgang in das Protokoll aufnehmen (§ 273 Ia 2 i. V. m. § 243 IV StPO). Eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter und der damit verbundenen Neutralitätspflicht ist wegen einer gescheiterten Verständigung nach alledem nicht zu besorgen. Auf der anderen Seite ist die Neutralität des Richters auch nicht durch eine wirksam und rechtmäßig zu Stande gekommene Verständigung beeinträchtigt. Nach § 257c IV StPO entfaltet die Verständigung nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht. Wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen wurden oder sich neu ergeben und das Gericht deswegen zur Überzeugung gelangt, dass die vereinbarte Strafe nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist, entfällt die Bindung des Gerichts an die Verständigung (§ 257c IV 1 StPO). Auch das erwartete und vereinbarte, aber nicht eingehaltene Prozessverhalten des Angeklagten lässt die Bindungswirkung entfallen (§ 257c IV 2 StPO). Diese Fälle ziehen selbstredend zum Schutz des Angeklagten ein Verwertungsverbot nach sich (§ 257c IV 3 StPO). Um die Fairness des Verfahrens zu wahren, ist der Angeklagte über all diese Varianten vor der Verständigung qualifiziert zu belehren (§ 257c V StPO).92 Schließlich verbietet auch die Neutralitätspflicht des Gerichts (neben dem Schuldprinzip und der mit ihm verbundenen Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit sowie dem Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens und der Unschuldsvermutung) die Mittel zur Wahrheitserforschung, die rechtliche Subsumtion, die Strafzumessung und die Schuldfrage zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen.93 89  Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 28; Weigend, FS Maiwald, 2010, S. 829 (843 f.). Umfassend zur Dogmatik der Beweisverbote Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 356 ff.; KK-StPO / Senge, Vorb. §§ 48 ff. Rn. 20 ff.; kurz und prägnant KK-StPO / Greven, Vorb. §§ 94 ff. Rn. 10–14. 90  Vgl. Duttge, FS Böttcher, 2007, S. 53 (75). 91  Weigend, FS Maiwald, 2010, S. 829 (841). 92  Dazu schon oben B. I. 1. a). 93  Vgl. BVerfGE 133, 168 (227 Rn. 105) = NJW 2013, 1058 (1068), Hervorhebung jedoch durch den Verfasser dieser Dissertation. So auch schon BVerfG, NJW 1987, 2662 (2663) = NStZ 1987, 419.

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B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

Daher ist es dem Gericht verwehrt, die Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit zu umgehen, was auch § 257c I 2 StPO mit dem Hinweis auf § 244 II StPO deutlich macht. Ebenso darf das Gericht im Rahmen der Strafzumessung keinen bestimmten Schuldspruch oder auch nur eine konkrete Strafe versprechen, sondern kann lediglich eine Ober- und Untergrenze für die Strafe angeben (§ 257c III 2 StPO).94 Ein „Handel mit der Gerechtigkeit“ ist damit ausgeschlossen.95 f) Unschuldsvermutung Bis zum Nachweis der Schuld wird die Unschuld des Täters vermutet (Art. 6 II EMRK). Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und genießt damit Verfassungsrang.96 Bis zum prozessordnungsgemäßen Schuldnachweis dürfen daher keine von der Prozessordnung nicht eröffneten strafähnlichen Maßnahmen verhängt werden. Ohne Weiteres kann und soll ein Geständnis des Beschuldigten strafmindernd sein. Freilich darf ein unvoreingenommenes Gericht ein solches nicht einfordern oder erwarten, denn dies würde die Unschuldsvermutung verletzen.97 Vielmehr gilt die Amtsaufklärungspflicht vollständig fort (§§ 257c I 2, 244 II StPO). Das verständigungsbasierte Geständnis muss daher auf Grund der Beantwortung von Fragen oder durch Beweiserhebung überprüfbar sein,98 der Sachverhalt mithin zur sicheren Überzeugung des Gerichts feststehen (§ 261 StPO). Strengere Anforderungen an die Überprüfung eines solchen Geständnisses als an die eines herkömmlichen sind jedoch nicht zu stellen. Aus der notwendigen Überprüfung des Geständnisses ergibt sich auch, dass das Gericht bis zur anderweitigen sicheren Überzeugung von der Unschuld des Beschuldigten auszugehen hat. Daher kann der These, dass das Gericht bei seinem Verständigungsvorschlag bereits von der schuldhaften Verwirklichung der in Rede stehenden Straftat ausgeht,99 ebenso wenig gefolgt werden wie der Behauptung, das Gericht setze sich nach erfolgreicher Verständigung weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Sicht mit dem Ergebnis auseinander.100 BVerfGE 133, 168 (228 Rn. 105) = NJW 2013, 1058 (1068). NJW 1987, 2662 (2663) = NStZ 1987, 419; BVerfGE 133, 168 (228 Rn. 105) = NJW 2013, 1058 (1068). 96  BVerfGE 19, 342 = NJW 1966, 243 (244); BVerfGE 133, 168 (202 Rn. 61) = NJW 2013, 1058 (1061); Beulke, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, Einl. Rn. 62; BeckOK StPO / Valerius, EMRK Art. 6 Rn. 31 m. w. Nachw. 97  Kühne, JZ 2010, 821 (825). 98  Vgl. auch BVerfGE 133, 168 (230 Rn. 110) = NJW 2013, 1058 (1069). 99  BeckOK StPO / Eschelbach, § 257b Rn. 5; SK-StPO / Paeffgen, § 202a Rn. 24. 100  Murmann, FS Roxin zum 80. Geburtstag, 2011, S. 1385 (1401). 94  Vgl.

95  BVerfG,



I. Verfassungsrechtliche Grundsätze im Widerstreit31

Solange die Grundsätze der Fairness, der Selbstbelastungsfreiheit, der Amtsaufklärung und der Neutralität beachtet werden,101 ist kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung zu befürchten.102 g) Gleichheitsgrundsatz In dem zum Grundsatzurteil des BVerfG führenden Verfassungsbeschwerdeverfahren rügten die Beschwerdeführer unter anderem die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 I GG) mit dem Vortrag, dem unverteidigten Angeklagten bliebe die Möglichkeit einer Verständigung faktisch verschlossen.103 Dieser Argumentation fehlt indes jegliche normative und rechts­ tatsächliche Grundlage. Zum einen ist nicht ersichtlich, warum das Gericht sich nicht auch mit unverteidigten Angeklagten verständigen können soll – immerhin soll die Verständigung nach § 257c StPO vom Gericht ausgehen. Dieses muss stets im Einzelfall prüfen, ob ein „geeigneter Fall“ (§ 257c I 1 StPO) gegeben ist und ob es dann einen Verständigungsvorschlag unterbreitet. Zum anderen wird es bei unverteidigten Angeklagten kaum einen praktischen Anlass zu einer Verständigung geben. Gem. § 140 I StPO ist der Angeklagte nur bei Vergehen vor dem AG – Strafrichter104 –, bei denen zudem kein Berufsverbot in Rede steht, nicht notwendigerweise verteidigt. § 140 II StPO ergänzt dies noch um Fälle, bei denen der Verteidiger wegen der Schwere der Tat – und dabei insbesondere wegen der zu erwartenden Dauer des Freiheitsentzugs – oder der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage notwendig ist. In die gleiche Richtung geht die Bestimmung des § 24 I Nr. 3 GVG, die den Fall ohnehin vor das LG bringt, wenn er besonders umfangreich ist. Darüber hinaus weist § 74 I GVG auch solche Verfahren dem LG zu, bei denen es um schwerwiegende Maßregeln der Besserung und Sicherung geht – die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie die Sicherungsverwahrung. Für eine Verständigung bieten sich aber vornehmlich solche Fälle an, die sich durch eine Vielzahl von Angeklagten oder Zeugen oder durch eine besonders schwierige Sach- oder Rechtslage auszeichnen. Faktisch betrachtet bleibt die Verständigung für unverteidigte Angeklagte also nicht wegen des fehlenden Verteidigers weitgehend verschlossen, sondern schlicht deshalb, weil die Fälle für eine Verständigung regelmä101  Siehe

dazu oben B. I. 1. a), b), d) und e). Rönnau, JuS 2018, 114 (116 f.), der sich ebenfalls kritisch zum prozess­ taktisch motivierten Geständnis äußert. 103  BVerfGE 133, 168 (186 Rn. 33) = BeckRS 2013, 48285. 104  Bertram Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 140 Rn. 23, da bei zu erwartenden Strafen von mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe nach allgemeiner Meinung stets ein Verteidiger nach § 140 II StPO („Schwere der Tat“) zu bestellen ist und bei solchen Taten das Schöffengericht zuständig ist, §§ 24, 25 GVG. 102  Vgl.

32

B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

ßig nicht geeignet sind. Zudem unterscheidet das Gesetz zur Verständigung ganz bewusst nicht zwischen dem verteidigten und unverteidigten Ange­ klagten,105 um dem Einwand, die Regelung verletze Art. 3 I GG, entgegenzuwirken.106 Auch zwei von Murmann107 geäußerte Bedenken verfangen nicht. Für die Annahme, ein Verteidiger habe es vielfach in der Hand, auch einen Fall von geringem Schwierigkeitsgrad langwierig und mühsam zu gestalten und so zu einem „geeigneten Fall“ (§ 257c I 1 StPO) zu machen, bleibt er den Beweis schuldig. Sein Einwand, der unverteidigte Beschuldigte sei für Staatsanwaltschaft und Gericht kein „kompetenter Verhandlungspartner“, geht fehl, denn hier unterstellt er das Bild eines Staatsbediensteten, der die „Inkompetenz des Beschuldigten“ geradezu ausnutzt, der „Beschuldigte kann sich allenfalls in die Hand des Gerichts begeben – seine Position ist dann aber keine andere als bei bedingungsloser Ablegung eines Geständnisses“. Dieses von Murmann gezeichnete Bild ist mit dem verfassungsrechtlichen Bild eines Richters gem. Art. 97 GG – und im Übrigen auch eines mündigen Bürgers – nicht vereinbar. Darüber hinaus betont auch das BVerfG die neutrale Stellung der Staatsanwaltschaft („Wächter des Gesetzes“).108 Letzterer Einwand jedoch spricht ein Problem an, das nicht gänzlich zu leugnen ist: Ein Taktieren seitens des Verteidigers oder Beschuldigten kann bei besonders komplexen Sachverhalten das Gericht möglicherweise dazu anhalten, ein verständigungsbasiertes Geständnis stärker zu gewichten als ein reuiges, aus echtem Bedauern abgelegtes Geständnis. Einer solchen möglichen Tendenz muss mit allen Mitteln entgegengewirkt werden, denn das Geständnis darf nicht zur „Handelsware“ werden.109 Die Milderung bei einem taktischen Geständnis muss eng begrenzt sein.110 Zu weit geht dagegen Streng, wenn er einem taktischen Geständnis jegliche Milderungswirkung mit dem Argument abspricht, bloße prozessökonomische Erwägungen könnten nicht alleinige Basis für eine Strafmilderung sein.111 Isoliert betrachtet mag dies richtig sein, schließlich bildet die Schuld die Grundlage für die Zumessung der Strafe (§ 46 I 1 StGB). Gleichwohl trägt auch das taktische Geständnis zur Tataufklärung bei. Dies geht oft einher mit einer Schadenswiedergutmachung (§ 46 II 2 a. E. StGB und insbesondere § 46a StGB). Eine solche freiwillige Leistung kann das Opfer eher zufriedenstellen als eine streitige Entscheidung im Ad105  BT-Drs.

16 / 12310, S. 2. in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, § 257c Rn. 12. 107  Murmann, ZIS 2009, 526 (535). 108  BVerfGE 133, 168 (220 Rn. 93) = NJW 2013, 1058 (1066). 109  BVerfGE 133, 168 (230 Rn. 110) = NJW 2013, 1058 (1069). 110  Rönnau, JuS 2018, 114 (116 f.); Schünemann, StraFo 2010, 90 (95). 111  Streng, FS Schwind, 2006, S. 447 (449). 106  Ignor,



I. Verfassungsrechtliche Grundsätze im Widerstreit33

häsionsverfahren (§ 406 StPO). Hinzu kommt, dass vom geständigen Täter eher eine ernsthafte Entschuldigung beim Opfer erwartet werden kann, dem schließlich auch eine eventuell langwierige und belastende Vernehmung erspart werden kann. All dies fällt bei der Strafzumessung zu Gunsten des Beschuldigten ins Gewicht. Die Rechtsprechung begnügt sich im Fall eines taktischen Geständnisses mit einer auf den Zweifelssatz gestützten Feststellung, dass Schuldeinsicht und Reue subjektive Empfindungen des Beschuldigten sind, die objektiv schwer messbar sind und durchaus auch bei einem solchen Geständnis vorhanden sein können.112 Ferner trägt ein Geständnis stets zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens bei und kann dem Opfer wie auch der Allgemeinheit Genugtuung verschaffen.113 Wichtig bleibt allerdings, dass das bloß taktisch geprägte und motivierte Geständnis in deutlich geringerem Umfang strafmildernd wirkt als ein reuiges.114 So erkennt Streng zutreffend, dass eine Milderung von „einem Drittel der sonst zu erwartenden Strafe“ nur für extreme Fälle eines glaubhaft reuigen Geständnisses des Täters vertretbar ist,115 denn ein solches mildert nicht nur dessen Schuld, die gem. § 46 I 1 StGB die Grundlage für die Strafzumessung ist, sondern trägt „mit eindeutiger Entlastungswirkung“116 deutlich zur Schadenswiedergutmachung sowie zum Bemühen bei, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (§§ 46 II 2 a. E., 46a StGB). Auch die Rechtsprechung misst einer von taktischen Überlegungen motivierten Einlassung eine wesentlich geringere Strafmilderungswirkung zu als einem aus echtem Reue- und Schuldgefühl entspringenden Geständnis.117 Bei der Verständigung ist somit besonders darauf zu achten, ein ernsthaft reuiges Geständnis stets deutlich stärker zu Gunsten des Täters zu gewichten als ein rein taktisches verständigungsbasiertes Geständnis. Nur so wird die Verständigung dem Gleichheitsgrundsatz gerecht und vermeidet, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich, wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln.118 Die Verständigung verstößt damit bei Beachtung der oben aufgestellten Anforderungen nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz.

112  BGHSt

43, 195 = NJW 1998, 86 (89). NStZ 2000, 366. Für strafmildernde Berücksichtigung eines „opferschonenden“ Prozessverhaltens etwa auch Fischer, StGB, § 46 Rn. 55. 114  So auch Trück, ZWH 2013, 169 (178). 115  Streng, FS Schwind, 2006, S. 447 (450). 116  Streng, FS Schwind, 2006, S. 447 (450). Ähnlich auch Thomas Schuster, StV 2014, 109 (110). 117  BGHSt 43, 195 = NJW 1998, 86 (89). 118  Zu dieser Formel bezüglich des Gleichheitsgrundsatzes vgl. BVerfGE 4, 144 = NJW 1955, 625; BVerfGE 121, 317 = NJW 2008, 2409 (2417 Rn. 150); BVerfGE 132, 179 = NJW 2012, 2719 (2720 Rn. 39). 113  BGH,

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B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

h) Anspruch auf rechtliches Gehör Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist in Art. 103 I GG verankert. Dazu gehört der Anspruch des Angeklagten auf Bekanntgabe, welchen Inhalt die Verständigung aus Sicht des Gerichts haben könnte (§ 257c III 1 u. 2 StPO), sowie auf Bekanntgabe der gerichtlichen Abweichungsabsicht, der diese tragenden Gründe und der tatbestandlichen Rechtsfolge einer entfallenden Bindungswirkung.119 Die Verfahrensbeteiligten können dagegen nicht verlangen, dass das Gericht seine Rechtsauffassung oder vorläufige Würdigung der Beweisergebnisse in Erörterungen nach §§ 202a, 212, 257b StPO mitteilt.120 Soweit der Öffentlichkeitsgrundsatz und mit ihm insbesondere die Grundsätze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit gewahrt sind, ist auch das Gebot des rechtlichen Gehörs nicht verletzt. 2. Grundsätze, die von der Verständigung gefördert werden sollen Die strafprozessuale Verständigung steht zugleich im Dienst der Förderung verfassungsrechtlich fundierter Prozessmaximen. Durch sie soll vor allem der Prozess beschleunigt werden, sie dient also dem Beschleunigungsgebot, der Prozessökonomie und möglicherweise auch der Konzentrationsmaxime. Schließlich soll sie eine funktionstüchtige Strafrechtspflege durch Schonung von Ressourcen fördern. a) Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege Der Staat ist von Verfassungs wegen und im Interesse der Allgemeinheit gehalten, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten.121 Durch sie soll das Vertrauen der Bevölkerung in die Fähigkeit des Staates, mittels einer wirksamen Strafverfolgung (durch repressive Maßnahmen) die öffent­ liche Sicherheit und Ordnung zu bewahren,122 gestärkt und die Bürger vor Straftaten (im general- und spezialpräventiven Sinne) geschützt werden. Das 119  KK-StPO / Moldenhauer / Wenske,

§ 257c Rn. 23, 30. StPO / Eschelbach, § 257b Rn. 4; Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257b Rn. 3; KK-StPO / Wenske, § 257b Rn. 3. A. A. SK-StPO / Velten, § 257b Rn. 2, die von einem Anspruch auf begründete Entscheidung ausgeht, wenn die Verfahrensbeteiligten eine Erörterung nach § 257b StPO beantragen. 121  BVerfGE 46, 214 = NJW 1977, 2355 (2356); BVerfGE 133, 168 (199 Rn. 57) = NJW 2013, 1058 (1060). Zur dogmatischen Einordnung (überwiegend im Rechtsstaatsprinzip verortet) siehe statt vieler Landau, NStZ 2007, 121 (122 ff.) m. zahlr. Nachw. 122  BVerfGE 133, 168 (218 Rn. 89) = NJW 2013, 1058 (1065). Ausführlich zur Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege Rabe, Verständigungsurteil, 2017, S. 80 ff. 120  BeckOK



I. Verfassungsrechtliche Grundsätze im Widerstreit35

erfordert die effektive Verfolgung und schuldangemessene Bestrafung von Straftätern. Die Strafrechtspflege kann aber nur insoweit funktionstüchtig sein, wie es die Ressourcen der Strafjustiz zulassen. Diese sieht sich jedoch mit einer stetig wachsenden Arbeitsbelastung konfrontiert.123 Das Geständnis eines Angeklagten verkürzt den Prozess124 und trägt somit entscheidend zur Entlastung der Strafjustiz bei. Gerade bei der zunehmenden Zahl aufwändiger Verfahren, vornehmlich im Bereich der Wirtschafts- (und dort insbesondere Steuer- und Konkurs-), Umwelt-, Sexual- und Betäubungsmittelstrafverfahren, befriedigt ein rechtmäßig zu Stande gekommenes Geständnis das Bedürfnis der Strafjustiz nach Verfahrenserleichterungen.125 b) Beschleunigungsgebot Das Beschleunigungsgebot findet seine Wurzeln im Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes126, in Art. 2 II 2 i. V. m. Art. 20 III GG127 sowie in Art. 6 I 1 EMRK, in dem es heißt, dass jede Person das Recht darauf hat, dass über eine gegen sie erhobene Anklage in einem fairen Verfahren innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.128 Durch ein verständigungsbasiertes Geständnis des Angeklagten kann eine langwierige Beweisaufnahme vermieden werden. Dies dient dem verfahrensrechtlichen Beschleunigungsgebot und kann bei Gewaltdelikten zudem eine das Opfer belastende Zeugenvernehmung entfallen lassen.129 Im Übrigen ist – insbesondere bei Haftsachen,130 die gleichsam gebotene Eilsachen sind – an den generell vorherrschenden zeitlichen Druck zu den123  Krey / Windgätter, FS Achenbach, 2011, S. 233 (233  ff.) m. zahlr. Nachw.; BVerfGE 133, 168 (172 Rn. 3) = BeckRS 2013, 48285; so auch der Generalbundesanwalt, vgl. BVerfGE 133, 168 (189 Rn. 41) = BeckRS 2013, 48285. 124  In legitimer Weise, siehe oben B. I. 1. d). Auch der EGMR, NJW 2011, 3633 (3634), hat keine prinzipiellen Bedenken gegen ein absprachebedingtes Geständnis, das „unter dem Gesichtspunkt einer zügigen Verhandlungsführung und einer geordneten Rechtspflege gerechtfertigt sein“ könne. 125  In diese Richtung bereits Landau, NStZ 2007, 121 (122). 126  BVerfG, NStZ 2005, 456. 127  Statt vieler Beulke, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, Einl. Rn. 67 m. w. Nachw. 128  Vgl. hierzu Tepperwien, NStZ 2009, 1. 129  So schon BGHSt 49, 84 = NJW 2004, 1396 (1397); ebenso die Bundesregierung, vgl. BVerfGE 133, 168 (186 Rn. 35) = BeckRS 2013, 48285. Müller-Piepenkötter, DRiZ 2013, 163, hält als Bundesvorsitzende des WEISSEN RINGS das Argument des Opferschutzes für nicht immer zielführend. So empfänden Opfer von Gewalttaten erneuten Kontrollverlust, wenn sie bei Verständigungen keine Rolle spielten. 130  Zur Verständigung bei Haftsachen Wankel, FS v. Heintschel-Heinegg, 2015, S. 487 (495): „Verständigungsverhandlungen [gem. § 202a S. 1 StPO] können eine

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B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

ken, der für die Instanzgerichte nicht zuletzt durch die Vollstreckungslösung des BGH bei rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung entsteht.131 Selbstverständlich kommt hier auch die gem. § 121 I StPO bestehende Eilbedürftigkeit zum Tragen. Grundsätzlich sollte die Hauptverhandlung vor Ablauf dieser Sechsmonatsfrist begonnen haben.132 c) Prozessökonomie Aus dem öffentlichen Interesse der Allgemeinheit an der Ressourcen­ schonung kann das Gebot der Prozessökonomie gefolgert werden.133 Die Verständigung soll durch verfahrensverkürzende Geständnisse der Prozessökonomie dienen. Der Große Senat für Strafsachen des BGH hat vor der Kodifizierung der Verständigung noch die Auffassung vertreten, Beschleunigungsgrundsatz und Prozessökonomie könnten den Umfang der im Einzelfall gebotenen Aufklärungsbemühungen bestimmen, also möglicherweise das Verfahrensziel der Ermittlung der absoluten Wahrheit verdrängen.134 Diesem Denkansatz ist der Gesetzgeber aber ausdrücklich entgegengetreten, wie deutlich in § 257c I 2 StPO zum Ausdruck gelangt, der auf die weiterhin unverändert geltende Amtsaufklärungspflicht verweist.135 Damit hat die Prozessökonomie zwar auch im Strafprozessrecht immer noch großen Wert, sie wird aber nicht um jeden Preis erkauft. d) Konzentrationsmaxime Die mit dem Beschleunigungsgebot eng verbundene Konzentrationsmaxime besagt, dass die Hauptverhandlung möglichst in einem Gang durchzuführen ist; das hat vor allem Auswirkungen auf die Unterbrechung und die – sachgerechte Verfahrensverlängerung bedingen“, um dem Beschleunigungsgrundsatz letztlich zu genügen (Hervorhebung durch den Verfasser dieser Dissertation). 131  Zur Vollstreckungslösung vgl. nur Tepperwien, NStZ 2009, 1 (3 ff.). Vgl. auch BVerfGE 133, 168 (172 Rn. 3) = BeckRS 2013, 48285. 132  Vgl. dazu auch die gesetzliche Wertung in § 121 III 2 StPO, wonach der Fristenlauf bis zur Urteilsverkündung ruht. Zur Sechsmonatsfrist auch OLG Bremen, StV 2016, 824 (825). 133  Vgl. BeckOK StPO / Bartel, RiStBV Nr. 147 Rn. 9; Tepperwien, NStZ 2009, 1 (5). 134  Vgl. BGHSt (Großer Senat) 50, 40 = NJW 2005, 1440 (1444); in diese Richtung spekulierend jedenfalls Fezer, NStZ 2010, 177 (179). 135  Vgl. hierzu auch die kritischen Ausführungen von Rönnau, JuS 2018, 114 (117).



I. Verfassungsrechtliche Grundsätze im Widerstreit37

deshalb zu vermeidende – Aussetzung des Verfahrens, §§ 228 f. StPO,136 denn Letztere macht eine erneute Durchführung der Hauptverhandlung im vollen Umfang erforderlich, ebenso wie eine fristüberschreitende Unterbrechung, § 229 IV 1 StPO. Hierauf hat die Verständigung kaum Auswirkungen. Zum Tragen kommt allenfalls, dass die Gefahr der Aussetzung des Verfahrens bzw. der Fristüberschreitung durch kürzere Prozesse verringert wird. 3. Abwägung der widerstreitenden Belange im Rahmen der praktischen Konkordanz Verständigungen im Strafprozess berühren – wie gezeigt – eine Reihe von verfassungsrechtlichen Grundsätzen. Der Gesetzgeber war und ist gleichwohl nicht gehindert, konsensuale Erledigungspraktiken mit den zur Sicherung der Verfassungsmäßigkeit gebotenen Vorkehrungen zuzulassen.137 Zu untersuchen ist also, ob es dem Gesetzgeber gelungen ist, einen schonenden Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz138 zu schaffen. Auf der Grundlage dieses von Hesse begründeten Prinzips werden verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter einander so zugeordnet, dass die einzelnen Güter durch ihre wechselseitige Begrenzung zu optimaler Wirksamkeit gelangen und kein einzelnes Rechtsgut mehr als notwendig oder gar gänzlich seiner Wirksamkeit beraubt wird; das gebietet das Prinzip der Einheit der Verfassung.139 Das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforder­ lichen durch seinen Verteidiger vermittelten Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können.140 Wegen der besonderen, zur Objektivität verpflichtenden Stellung der Staatsanwaltschaft (§ 160 II StPO) sind aber durchaus verfahrensspezifische Unterschiede möglich.141 Erst wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht – auch die der Auslegung und Anwendung desselben durch die Gerichte – ergibt, dass es dem Verfahrensrecht an Rechtsstaatlichkeit mangelt, ist das Recht auf ein faires Verfahren 136  Beulke, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, Einl. Rn. 74; KK-StPO / Fischer, Einl. Rn. 28 ff. 137  BVerfGE 133, 168 (225 Rn. 101) = NJW 2013, 1058 (1067). 138  Vgl. dazu BVerfGE 93, 1 = NJW 1995, 2477 (2479 f.). 139  Grundlegend zum Grundsatz der praktischen Konkordanz Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 72, 317 ff. 140  BVerfGE 38, 105 (111); BVerfGE 122, 248 (271 f.); BVerfGE 133, 168 (200 Rn. 59) = NJW 2013, 1058 (1060). 141  BVerfGE 133, 168 (200 Rn. 59) = NJW 2013, 1058 (1060).

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B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

verletzt.142 Bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung sind die Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege sowie das Beschleunigungsgebot einzubeziehen.143 Nach der Judikatur des BVerfG verletzten daher Verfahrensgestaltungen, die den Erfordernissen einer wirksamen Strafrechtspflege dienen, nicht schon dann das Recht auf ein faires Strafverfahren, wenn verfahrensrechtliche Positionen des Beschuldigten dabei „eine Zurücksetzung zugunsten einer wirksameren Strafrechtspflege erfahren“.144 Weiterhin hebt der Senat hervor, dass das Beschleunigungsgebot der Effektivität des Rechtsschutzes, dem Zweck der Kriminalstrafe und der Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit diene, da die Beweisgrundlage durch Zeitablauf verfälscht werden könne.145 Dem entsprechend trägt die Verständigung im Rahmen ihrer verfahrensbeschleunigenden Wirkung auch zur Verwirklichung der Verfahrensfairness und zur Wahrheitsermittlung bei. Zu beachten ist, dass der Gesetzgeber hinreichende Sicherungsmechanismen geschaffen hat, um die Rechte des Beschuldigten weitestgehend zu wahren, etwa die umfangreichen Belehrungspflichten des § 257c  V StPO.146 Letztlich ist auch die Rolle der Staatsanwaltschaft von nicht zu unterschätzender Bedeutung, die nicht nur belastende, sondern auch entlastende Beweise ermittelt (§ 160 II StPO) und hinsichtlich der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften bezüglich der Verständigung vom BVerfG zur Überprüfung aufgerufen ist und erforderlichenfalls auch Rechtsmittel einlegen soll (Nr. 147 I RiStBV).147 Damit sei die Staatsanwaltschaft Garantin für Rechtsstaatlichkeit und gesetzmäßige Verfahrensabläufe (Nr. 127 I 1 RiStBV). In erster Linie solle sie natürlich gar nicht erst ihre Zustimmung zu einer nicht gesetzeskonformen Verständigung geben und damit schon deren Zustandekommen verhindern. Die Generalstaatsanwaltschaften haben diese Gedanken des BVerfG aufgegriffen und – Stichwort: „Wächter des Gesetzes“ – folgende Weisungen148 an die untergeordneten Staatsanwaltschaften erteilt: Die Staatsanwaltschaft hat in der Hauptverhandlung vor ihrer Zustimmung zu prüfen, ob die Verständigung der gesetzlichen Regelung entspricht; außerhalb des gesetzlichen Regelungskonzepts erfolgende informelle Absprachen sind unzulässig; Gegenstand einer Ver142  BVerfGE

133, 168 (200 Rn. 59) = NJW 2013, 1058 (1060). 133, 168 (200 f. Rn. 59) = NJW 2013, 1058 (1060 f.). 144  BVerfGE 133, 168 (200 f. Rn. 59) = NJW 2013, 1058 (1060 f.). 145  BVerfGE 133, 168 (201 Rn. 59) = NJW 2013, 1058 (1061) m. w. Nachw.; siehe auch Beulke, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, Einl. Rn. 67. 146  Siehe dazu auch schon oben B. I. 1. a). 147  BVerfGE 133, 168 (219 ff. Rn. 91 ff.) = NJW 2013, 1058 (1066). 148  Vgl. beispielsweise die Handreichung der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz vom 3.2.14 (Az. 4100 – 4 / 13, nicht veröffentlicht), die einer Musterhandreichung der Generalstaatsanwaltschaften der Bundesrepublik Deutschland entspricht. 143  BVerfGE



I. Verfassungsrechtliche Grundsätze im Widerstreit39

ständigung dürfen weder der Schuldspruch noch Maßregeln der Besserung und Sicherung sein; eine Strafrahmenverschiebung darf nicht Gegenstand einer Verständigung sein; die Staatsanwaltschaft darf keine Zusage hinsichtlich anderer bei ihr anhängiger Ermittlungsverfahren machen (keine „Gesamtlösungen“); es darf keine unverhältnismäßige „Sanktionsschere“ bestehen; der sich verständigende Angeklagte darf nicht besser gestellt werden, als der von Beginn an geständige Beschuldigte; die Interessen von Verletzten sind angemessen zu berücksichtigen; es wird kein Rechtsmittelverzicht erklärt; die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung sind angemessen zu prüfen und dürfen nicht unterstellt werden; die Staatsanwaltschaft hat darauf hinzuwirken, dass alle vorgeschriebenen Mitteilungs-, Belehrungs- und Protokollierungspflichten (auch die Pflicht zum „Negativattest“) eingehalten werden, dass die Verständigung selbst in der Hauptverhandlung erfolgt und dass bei erkennbar fehlerhafter Protokollierung eine Entscheidung des Gerichts nach § 238 II StPO herbeigeführt wird; ein verständigungsbasiertes Geständnis muss gemäß der Pflicht zur Amtsaufklärung und nicht durch einen bloßen Abgleich mit der Aktenlage überprüft werden; bei Anhaltspunkten für eine gesetzwidrige Verständigung, insbesondere bei Nichtbeteiligung der Staatsanwaltschaft, ist fristwahrend Rechtsmittel einzulegen; Erörterungen im Ermittlungsverfahren sind aktenkundig zu machen, § 160b S. 2 StPO; zur Information des Sitzungsvertreters ist der wesentliche Inhalt aller Erörterungen (§§ 160b, 202a, 212 StPO) auch in der Handakte zu vermerken; bei Verständigungsgesprächen sind Sitzungsvermerke über den wesentlichen Ablauf und Inhalt, bei Geständnis auch knapp über die weitere Beweisaufnahme zu fertigen und der Abteilungs- oder Behördenleitung innerhalb der Rechtsmittelfrist zwecks Prüfung vorzulegen; diese Leitungen haben zu prüfen, ob auf Grund unangemessener Verständigungsergebnisse Rechtsmittel einzulegen sind, und bei Fehlentwicklungen in der Praxis diesen in geeigneter Weise entgegenzuwirken; den Generalstaatsanwaltschaften ist in allen Fällen zu berichten, in denen sich Anhaltspunkte für eine Nichtbeachtung der rechtlichen Vorgaben ergeben, insbesondere wenn Rechtsmittel wegen gesetzwidriger Verständigungen eingelegt werden; die Staatsanwaltschaft hat alle Verständigungsverfahren statistisch zu erfassen. Die Dezernenten der Staatsanwaltschaften sind an diese umfangreichen Weisungen, die zu weiten Teilen dem BVerfG-Urteil entlehnt sind, gebunden, §§  146 f. GVG.149 So wird sichergestellt, dass die verfassungs- und einfachrechtlichen Vorgaben seitens der Staatsanwaltschaft – eines zwingenden Beteiligten an einer gesetzmäßigen Verständigung – eingehalten werden. Neben 149  So auch in Bezug auf Ermessensentscheidungen der Staatsanwaltschaft MüKoStPO / Engländer / Zimmermann, § 364b Rn. 11 (im Erscheinen).

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B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

den rechtlichen Ausführungen wird auch die praxisbezogene Tätigkeit des Staatsanwalts sowohl bei der Dezernatsarbeit als auch im Sitzungsdienst in der Handreichung angesprochen. Da diese nicht als behördenintern („nur für die Handakten“) gekennzeichnet ist, wird sie den Gerichten nicht fremd bleiben und auch dort im Verein mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben Beachtung finden. Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege ist von großer Bedeutung für das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeit des Staates, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten und Gerechtigkeit im Einzelfall sowie eine gleichmäßige Behandlung aller zu garantieren.150 Damit dient die Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege einerseits dem Gleichheitsgrundsatz und andererseits der Gewährleistung der Information und des Sicherheitsgefühls der Bürger als Teil des Öffentlichkeitsgrundsatzes.151 Der Öffentlichkeitsgrundsatz wiederum, der durch die im Verständigungsgesetz angelegten Schutzmechanismen umfassend gewahrt ist,152 trägt über die Kontrolle der Rechtsmittelgerichte entscheidend zur Einhaltung des Gebots schuldangemessenen Strafens und der daraus folgenden Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit bei.153 Das viel kritisierte Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren hat somit durch das BVerfG eine entscheidende Konkretisierung erfahren, durch die allen verfassungsrechtlichen Belangen die größtmögliche Geltung zukommen kann.

II. Einfach-rechtliche Probleme des Verständigungsgesetzes Neben der verfassungsrechtlichen Seite gibt es freilich auch im einfachen Recht diskussionswürdige Rechtsfragen. 1. Strafober- und Strafuntergrenze § 257c III 2 StPO gibt dem Gericht die Möglichkeit eine Ober- und Untergrenze der Strafe anzugeben. Die Norm ist als Kann-Vorschrift formuliert, das Gericht also nicht gezwungen, stets eine solche Zusage zu geben. Regelmäßig wird aber gerade eine Strafobergrenze Motivation für den Beschuldigten sein, sich überhaupt mit den anderen Verfahrensbeteiligten zu verständi150  BVerfGE

133, 168 (218 Rn. 89) = NJW 2013, 1058 (1065). Wickern, in: Löwe / Rosenberg, Vor § 169 GVG Rn. 5. 152  Siehe oben B. I. 1. c). 153  BVerfGE 133, 168 (221 Rn. 95) = NJW 2013, 1058 (1066). 151  Vgl.



II. Einfach-rechtliche Probleme des Verständigungsgesetzes41

gen. Der Beschuldigte wird wissen wollen, was im schlechtesten Fall auf ihn zukommt. Die Staatsanwaltschaft hingegen wird zumeist ein Interesse daran haben, eine Mindeststrafe festzulegen, die sie noch für angemessen hält. Es stellt sich die Frage, ob auch nur eine der beiden möglichen Grenzen gesetzt werden kann, ob also das Gericht lediglich eine Obergrenze oder lediglich eine Untergrenze angeben kann. So fordert Meyer-Goßner etwa, dass eine Strafuntergrenze ausreichen müsse, da eine Strafobergrenze „regelmäßig bedeutungslos“ sei.154 Denn wenn Staatsanwaltschaft und Gericht bereits diese Untergrenze als noch angemessen und vertretbar erachtet haben, gebe es keine Veranlassung, eine darüber hinausgehende Strafe zu verhängen.155 Dementsprechend wird in der Literatur vertreten, das „und“ in § 257c III 2 StPO als ein „oder“ zu lesen und nur eine Ober- oder Untergrenze anzugeben.156 Dies wäre dann aber doch eine Punktstrafe, die vom BVerfG gerade als unzulässig und mit dem Schuldprinzip nicht vereinbar angeprangert wird.157 Gegen diese Erwägungen von Meyer-Goßner spricht weiter, dass das Gericht nach der Verständigung in dem eingeschränkten Strafrahmen weiterhin frei in der Strafzumessung sein muss. Diese hängt nämlich evident mit dem Fortschritt der Beweisaufnahme zusammen. Denn einerseits wird die „Leistung“ des Beschuldigten, also das Geständnis, erst nach Zustandekommen der Verständigung, also nach Festlegung des „kleinen Strafrahmens“158, abgelegt. Hierauf muss sich das Ermessen des Gerichts im Rahmen der angegebenen Ober- und Untergrenze der Strafe bezüglich der Strafzumessung beziehen. Das Gericht kann bei Zustandekommen der Verständigung nicht bereits alle Einzelheiten eines Geständnisses in seine Zumessungserwägungen eingestellt haben. Andererseits muss das Geständnis vom Gericht noch überprüft werden (§§ 257c I 2, 244 II StPO),159 es muss weiter Beweise aufnehmen und diese für die Strafzumessung angemessen würdigen. Aber auch, wenn das Gericht nur eine Untergrenze oder lediglich eine Obergrenze 154  Meyer-Goßner,

in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 20. Kirsch, StraFo 2010, 96 (98), der allerdings anders als MeyerGoßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 21 (Strafuntergrenze wird regelmäßig als Strafe festgesetzt), davon ausgeht, „die vom Angeklagten (noch) akzeptierte Straf­ obergrenze“ werde als Strafe verhängt. 156  Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 20 m. Verweis auf SKStPO / Velten, § 257c Rn. 21 (nur Obergrenze); Niemöller, in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil B § 257c Rn. 46 (sowohl ausschließlich Untergrenze als auch nur Obergrenze); Bittmann, wistra 2009, 414 (415) (sowohl ausschließlich Untergrenze als auch nur Obergrenze). 157  BVerfGE 133, 168 (228 Rn. 105) = NJW 2013, 1058 (1068). Vgl. auch MeyerGoßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 11; Niemöller, in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil B § 257c Rn. 45. 158  So die treffende Bezeichnung von Strate, NStZ 2010, 362 (364, 366). 159  Siehe dazu oben B. I. 1. f). 155  Zustimmend

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B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

der Strafe angibt, steht nur ein verringerter Strafrahmen zur Verfügung. An die Stelle der nicht angegebenen Grenze tritt automatisch die Grenze des gesetzlichen Strafrahmens.160 Ein Problem könnte dabei sein, dass die exakte Strafnorm, z. B. § 242 I StGB, noch nicht feststeht. Hier kann die Anklage Abhilfe schaffen, da die Verständigung selbst ja stets erst in der Hauptverhandlung zu Stande kommen kann (anders als etwaige frühere Erörterungen gem. §§ 160b, 202a, 212 StPO). In der Anklageschrift sind die in Betracht kommenden Strafvorschriften genau bezeichnet, weshalb auch bei Angabe von nur einer Grenze der Angeklagte stets Gewissheit über den möglichen Strafrahmen hat. Bei relevanten Änderungen (z. B. auch Verwirklichung der Strafzumessungsvoraussetzungen von § 243 StGB) muss das Gericht zwingend die erforderlichen Hinweise nach § 265 I, II StPO erteilen. Wenn nun das Gericht im Beispiel des (einfachen) Diebstahls nach § 242 I StGB eine Strafobergrenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe angibt, so weiß der Angeklagte, er muss maximal eine zweijährige Freiheitsstrafe befürchten, kann aber durchaus auch noch auf Geldstrafe hoffen. Wenn das Gericht im gleichen Beispiel ausschließlich eine Strafuntergrenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe angibt, darf der Angeklagte auf ebendiese Freiheitsstrafe hoffen, muss aber theoretisch auch mit der höchstmöglichen Strafe für Diebstahl von fünf Jahren Freiheitsstrafe rechnen. Für diese Auslegung spricht nicht zuletzt der Wortlaut des § 257c IV 1 StPO, der ausdrücklich den in Aussicht gestellten „Strafrahmen“ nennt. Der Nachteil dieser Auslegung könnte allerdings darin liegen, dass die Gefahr besteht, bei der Öffentlichkeit den Eindruck einer Einigung gerade auf die angegebene Grenze als Punktstrafe zu erwecken.161 Dagegen ist einzuwenden, dass das Gericht ausdrücklich lediglich eine Grenze angibt und eben nicht eine Punktstrafe. Wenn genau dies deutlich herausgestellt wird, sollte keine Fehlvorstellung in der Öffentlichkeit entstehen können. Wünschenswert ist es dennoch, dass das Gericht bei einer Verständigung stets und zwingend sowohl eine Ober- also auch eine Untergrenze der Strafe angibt. 2. Beweisverwertungsverbot des § 257c IV 3 StPO und Fernwirkung § 257c IV 3 StPO regelt ein Beweisverwertungsverbot für den Fall, dass eine zunächst zu Stande gekommene Verständigung nachträglich durch die in § 257c IV 1, 2 StPO genannten Gründe scheitert und die Bindungswirkung entfällt. Dabei ist zunächst zu beachten, dass der Begriff der in Satz 1 genannten „Umstände“ weiter ausgelegt werden muss als „neue Tatsachen und 160  So auch Niemöller, in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil B § 257c Rn. 46. 161  So die Befürchtung von Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 66.



II. Einfach-rechtliche Probleme des Verständigungsgesetzes43

Beweismittel“ in § 359 Nr. 5 StPO (so muss es sich schon nicht notwendigerweise um neue Umstände handeln).162 Eine bloße Meinungsänderung des Gerichts könne freilich nicht ausreichen. Die Verständigung ist also mit relativ geringem Aufwand einer Aufhebung zugänglich. Fraglich ist dann, wie weit das Beweisverwertungsverbot geht, also ob es auch die beispielsweise auf Grund eines Geständnisses zu Tage geförderten Beweise erfasst. Das Gesetz selbst spricht dabei nur vom „Geständnis“ (§ 257c IV 3 StPO) und beinhaltet somit vom reinen Wortlaut her keine Fernwirkung. Auch der Gesetzgeber geht bei seiner Begründung von diesem Ergebnis aus.163 Im ursprünglichen Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums vom 18.5.2006 war noch nicht einmal ein zwingendes Beweisverwertungsverbot vorgesehen (§ 257c IV 2 Ref-E: „Diese Abweichung steht der Verwertung einer Aussage des Angeklagten nicht grundsätzlich entgegen.“).164 Der Bundesrat sprach sich sogar eindeutig gegen eine Unverwertbarkeit des Geständnisses bei Entfallen der Bindungswirkung aus mit dem Argument, es sei „denklogisch unmöglich, ein Geständnis, welches zudem in Kenntnis aller Umstände und Risiken abgegeben wurde, vollständig ignorieren zu müssen.“165 Das gelte vor allem dann, wenn das Geständnis überprüfbar ist und keine Zweifel an seiner Richtigkeit bestehen. Einige Autoren in der Literatur hingegen wollen mit unterschiedlicher Argumentation eine Fernwirkung in Betracht ziehen.166 Velten argumentiert, der Rechtsgedanke des § 257c IV 3 StPO sei verallgemeinerungsfähig und die gesetzliche Anordnung lückenhaft. Zudem werde das Recht auf ein faires Verfahren nicht nur durch die unmittelbare Verwertung des Geständnisses verletzt, sondern auch dadurch, dass auf das Wissen des Angeklagten zurückgegriffen werde, um diesen belastende Beweismittel einzubringen.167 Wortlaut und Historie sprechen jedoch eindeutig gegen eine Fernwirkung des Beweisverwertungsverbotes. Dieses bezieht sich somit ausschließlich auf das Geständnis. Ausgenommen sind damit auch solche Gegenleistungen des Angeklagten, die nicht ein Geständnis sind oder diesem zumindest ähneln. Auch die ständige Rechtsprechung wendet sich grundsätzlich gegen die 162  So auch schon BGH, BeckRS 2009, 05630 Rn. 19; SK-StPO / Velten, § 257c Rn. 40; Wenske, DRiZ 2012, 123 (124). 163  BT-Drs. 16 / 12310, S. 14 a. E. 164  Ref-E vom 18.5.2006, S. 6, nachzulesen in Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Anhang 4. 165  BR-Drs. 65 / 09 (Beschluss), S. 4 f. 166  Jahn, Gutachten C für den 67. Deutschen Juristentag 2008, S. C 95; Jahn / Müller, NJW 2009, 2625 (2629); SK-StPO / Velten, § 257c Rn. 48, 51; Weigend, FS Maiwald, 2010, S. 829 (844). 167  SK-StPO / Velten, § 257c Rn. 48, 51.

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B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

Möglichkeit einer Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten.168 Für diese Rechtspraxis spricht, dass die Verständigung in jeder Verfahrenslage der Hauptverhandlung möglich ist. Wenn das verständigungsbasierte Geständnis nun in einem frühen Stadium der Hauptverhandlung abgelegt wird, basieren die meisten Beweise zumindest mittelbar auf dem Geständnis. So könnte eine frühe Verständigung den gesamten Prozess vereiteln. Dies kann nicht der Intention des Gesetzgebers entsprechen. Im Übrigen erinnert eine solche Konsequenz an die anglo-amerikanische „fruits of the poisonous treedoctrine“, die in Deutschland mangels vergleichbarer Notwendigkeit der Disziplinierung der Strafverfolgungsbehörden gerade keine Anwendung findet.169 3. Kein zwingendes Geständnis § 257c II 2 StPO lautet: „Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein.“ Dabei ist problematisch, dass diese Regelung lediglich als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ein Geständnis für die Verständigung nicht zwingend ist und auch sonstiges prozessuales „Wohlverhalten“ für eine Verständigung ausreichen kann.170 Dagegen hat der Große Senat für Strafsachen des BGH noch vor dem Verständigungsgesetz – das die Rechtsprechung ja weitestgehend kodifizieren sollte – klar ausgedrückt, ein „inhaltsleeres Formalgeständnis“ reiche nicht aus.171 Meyer-Goßner spricht nun davon, der Senat fordere damit ein qualifiziertes Geständnis.172 Indes spricht der BGH in seinem Beschluss ähnlich wie das Verständigungsgesetz bloß vom „in der Regel“ abgelegten Geständnis.173 Dennoch ist Meyer-Goßner insofern zuzustimmen, als bloßes prozessuales Nichtaufbegehren – etwa durch das Unterlassen von Anträgen jeglicher Art – keine Strafmilderung im Sinne von § 46 StGB begründen kann. Prägnant beschreibt auch Fischer, dass zulässiges Verteidigungsverhalten – vornehmlich Beweis-, Aussetzungs-, Unterbrechungs- und Ablehnungsanträge – dem Beschuldigten nicht angelastet werden darf, das Fehlen eines „opferschonenden“ Prozessverhaltens keinen Strafschärfungsgrund bildet und die Dauer der Hauptverhandlung grundsätzlich kein Strafzumessungsgesichtspunkt ist.174 nur BGH, NJW 2006, 1361 (1363 Rn. 22) m. zahlr. Nachw. zum Ganzen Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 912 ff.; Ostendorf, Strafprozessrecht, Rn.  381 f. 170  Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 16. 171  BGHSt (Großer Senat) 50, 40 = NJW 2005, 1440 (1442). 172  Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 17. 173  BGHSt (Großer Senat) 50, 40 = NJW 2005, 1440 (1442). 174  Fischer, StGB, § 46 Rn. 53, 55. 168  Vgl. 169  Vgl.



II. Einfach-rechtliche Probleme des Verständigungsgesetzes45

Der Gesetzgeber selbst wollte eine „unsachgemäße Verknüpfung“ der Verständigung mit dem Verzicht auf Beweisanträge oder sonstigem in Aussicht gestellten („Wohl-“)Verhalten unterbunden wissen, denn dies würde der Amtsaufklärungspflicht widersprechen.175 Bei Abwägung all dieser Gesichtspunkte ist im Ergebnis das „soll“ in § 257c II 2 StPO als ein „muss“ zu lesen.176 4. Ermessensfehler bei kategorischer Ablehnung der Verständigung durch das Gericht Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.2009 formulierte in den einschlägigen Normen stets, dass das Gericht sich – beispielsweise nach dem § 257c I StPO – verständigen „kann“. Damit räumt das Gesetz dem Gericht ein nicht näher definiertes Ermessen ein, über das „Ob“ und das „Wie“ der richterlichen Betätigung im Rahmen einer Erörterung oder Verständigung zu entscheiden.177 Dabei kann ein wesentliches Problem darin gesehen werden, dass nicht nur das „Wie“ der Verständigung durch das richterliche Ermessen bestimmt wird, sondern insbesondere auch das „Ob“. Denn wenn ein Richter oder eine Kammer die Verständigung kategorisch ablehnt und von vornherein sagt: „Wir verständigen uns nie!“178, so wird dadurch bewusster Ermessensnichtgebrauch und damit ein Ermessensfehlgebrauch offenbar.179 Ein solcher Ermessensfehler180 im Zusammenhang mit der Verständigung kann im Rahmen der Verfahrensrüge als Mangel hin175  BT-Drs.

16 / 12310, S. 13. HRRS 2013, 362 (365). 177  Fezer, NStZ 2010, 177 (181); Salditt, FS Tolksdorf, 2014, S. 377 (383  f.). Ders., StraFo 2015, 1 (5) spricht plastisch von der „Macht der Türhüter“, bei denen „nur der Auftritt und manchmal der Anzug“ helfen. Hinsichtlich Erörterung BeckOK StPO / Eschelbach, § 257b Rn. 12; HK-GS / König / Harrendorf, § 257b Rn. 3; MüKoStPO / Kudlich, § 257b Rn. 11; Salditt, StraFo 2015, 1 (5); KK-StPO / Wenske, § 257b Rn. 8. Für die Staatsanwaltschaft hinsichtlich Erörterung und Verständigung MüKoStPO / Engländer / Zimmermann, § 364b Rn. 11 (im Erscheinen). Eine ausführliche historische Aufarbeitung zum richterlichen Ermessen findet sich bei Salditt, StraFo 2015, 1 (2 ff.). 178  Altenhain / Dietmeier / May, Praxis der Absprachen, 2013, S. 28 f.: Das waren 2012 (Altenhain / Dietmeier / May, Praxis der Absprachen, 2013, S. 18) immerhin noch 19,7 % der befragten Richter, die bis dahin noch keine Verständigung durchgeführt hatten. Vgl. auch Knauer, FS v. Heintschel-Heinegg, 2015, S. 245 (255): „Bei mir /  uns gibt es keine Verständigungen mehr“. 179  Näher zum Ermessensnichtgebrauch BeckOK VwVfG / Aschke, § 40 Rn. 81 ff., insb. Rn. 83 zum bewussten Ermessensnichtgebrauch. 180  Für einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung auch BeckOK StPO / Eschelbach, § 257b Rn. 12; Knauer, FS v. Heintschel-Heinegg, 2015, S. 245 (255); HK-GS / König / Harrendorf, § 257b Rn. 3; SK-StPO / Velten, § 257b Rn. 2. Das 176  Leitmeier,

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B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

sichtlich des Zustandekommens einer Verständigung geltend gemacht werden.181 Um die Revisibilität zu vermeiden, sollte das Gericht also auch die Ablehnung einer Verständigung zu begründen versuchen.182 Zwar ist mangels Vorhandenseins der Verständigung an sich der Bereich der quasi-absoluten Revisionsgründe noch nicht erreicht.183 Dennoch ist mit Blick auf die restriktive Auslegung der Regelungen der Verständigung durch das BVerfG184 ein weiter Kreis revisibler Rechtsfehler denkbar.185 Jedenfalls darf das Gericht nicht pauschal jede Verständigung von vornherein ablehnen, sondern muss stets den Einzelfall genau im Blick behalten. Eine kategorische Aussage wie die obige ist im Bereich der Willkür anzusiedeln. Dann liegt es auf der Hand, dass das Urteil ohne den Ermessensfehler möglicherweise anders ausgefallen wäre, was für ein Beruhen des Urteils auf der Gesetzesverletzung ausreicht.186 Weiter ist Ermessensfehlgebrauch unter dem Aspekt der Gleichheit (Art. 3 GG) anzunehmen für den Fall, dass ein Gericht in völlig gleich gelagerten Fällen mit dem Angeklagten im einen (ursprünglich verbundenen) Verfahren eine Verständigung trifft, im (abgetrennten) Parallelverfahren dem Mitangeklagten eine Verständigung hingegen verwehrt.187 Um Transparenz in größtmöglichem Umfang zu wahren und unzulässiger Druckausübung von vornherein zu begegnen, könnte es sinnvoll sein, Gespräche über eine mögliche Verständigung gem. §§ 257b, 257c StPO ausschließlich in der Hauptverhandlung zu führen188 und Gespräche vor und neben der Hauptverhandlung aus diesen Gründen zu verweigern. Dagegen spricht freilich, dass der Gesetzgeber gerade auch die §§ 160b, 202a, 212 StPO für Erörterungen vor und neben der Hauptverhandlung geschaffen hat. Deshalb könnten sich die Verfahrensbeteiligten wieder dem Vorwurf fehlerhaften Ermessens aussetzen, sollten sie die Möglichkeit solcher Erörterungen Gleiche soll für die Staatsanwaltschaften gelten, vgl. Knauer, FS v. Heintschel-Hei­ negg, 2015, S. 245 (255); Landau, NStZ 2014, 425 (429). 181  Vgl. BeckOK StPO / Wiedner, § 337 Rn. 107. 182  Für die Erörterung jedenfalls MüKo-StPO / Kudlich, § 257b Rn. 13, „wenngleich an die Qualität und Umfang der Bescheidung keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen“; SK-StPO / Velten, § 257b Rn. 2. Bereits frühzeitig Weßlau, StV 2006, 357 (360), zum Entwurf der Bundesrechtsanwaltskammer vom September 2005 (nachzulesen in Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Anhang 1). 183  Siehe zu den „quasi-absoluten“ Revisionsgründen oben B. I. 1. a). 184  Vgl. insb. das Grundsatzurteil BVerfGE 133, 168 = NJW 2013, 1058. 185  BeckOK StPO / Wiedner, § 337 Rn. 107. 186  KK-StPO / Gericke, § 337 Rn. 33. 187  Beispiel nach SK-StPO / Velten, § 257c Rn. 19. 188  Ähnlich Trück, ZWH 2013, 169 (174), mit dem Argument, doppelten Aufwand durch die Einführung in die Hauptverhandlung solcher Gespräche, die vor oder neben der Hauptverhandlung geführt wurden, zu ersparen.



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kategorisch ausschließen. Vielmehr dienen diese Vorschriften einer offenen Kommunikation zwischen der Staatsanwaltschaft und den Verfahrensbeteiligten und sollen Gesprächsmöglichkeiten fördern und damit einen offenen Verhandlungsstil unterstützen.189 Es ist darüber hinaus in Betracht zu ziehen, eine Verständigung oder auch Erörterungen diesbezüglich gänzlich zu verweigern mit dem Argument, dass hierfür keine zeitliche Kapazität vorhanden ist. So empfiehlt Trück den Staatsanwaltschaften, sich Erörterungen zu enthalten, wenn ansonsten die Dokumentationspflichten aus § 160b StPO nicht eingehalten werden könnten.190 Tatsächlich bringt auch die Verständigung an sich viele ähnlich gelagerte Pflichten mit sich, die eine zeitliche Belastung darstellen.191 Vorzugswürdig bleibt es aber, stets im Einzelfall zu entscheiden, ob eine Verständigung oder Erörterungen in Bezug auf eine solche Sinn ergeben. Mit Einzelfallentscheidungen werden Ermessensfehler wirksam vermieden. 5. Trägt die Verständigung tatsächlich zur Prozessökonomie bei? Das entscheidende Problem in der Praxis dürfte bei der Verständigung die Frage sein, ob diese tatsächlich geeignet ist, den Strafprozess spürbar zu verkürzen. Oder prägnanter formuliert: Wie weit geht § 244 II StPO, welche Anforderungen stellt dieser an die Wahrheitsermittlungspflicht bei einem verständigungsbasierten Geständnis? Die Befürchtung erschließt sich deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die Ermittlung des wahren Sachverhalts und eine Verständigung über ein Geständnis, welches auf Grund der besonderen Fehleranfälligkeit infolge der Anreiz- und Verlockungssituation mit Vorsicht zu genießen ist, in einem inneren Widerspruch stehen. So schreibt etwa Fezer in seiner Besprechung des Grundsatzurteils des BVerfG kurz und prägnant: „Entweder bleibt das Verständigungselement als besonderes Element ein Fremdkörper im Strafverfahren oder es muss sich dem Gehalt des § 244 II StPO unterwerfen, also seinen Charakter eines eigenständigen konsensualen Elements verlieren.“192 Klaus Leipold hat bereits unmittelbar nach der Grundsatzentscheidung festgehalten, dass die Schutzmechanismen die Praxistauglichkeit einer Norm nicht so stark beschneiden oder einengen dürfen, dass die praktische Anwendbarkeit in Frage gestellt wird.193 Auch weitere Autoren sehen kaum 189  BT-Drs.

16 / 12310, S. 11. ZWH 2013, 169 (174). 191  Dazu sogleich. 192  Fezer, HRRS 2013, 117 (118). 193  Klaus Leipold, NJW-Spezial 2013, 248. 190  Trück,

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B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

mehr Zeitersparnis in der Verständigung,194 vornehmlich weil durch sie Befangenheitsanträge oder Verfahrensrügen wegen „Sanktionsschere“, Aufklärungspflicht, Beweiswürdigung und Strafmaß provoziert würden.195 Wird der Verweis auf § 244 II StPO ernstgenommen – und dies fordert das BVerfG vehement196 –, so tendieren die Möglichkeiten für eine verfahrensverkürzende Reduzierung des Beweisumfangs gegen Null.197 Vom Senat werden Anwendungsbedingungen vorgegeben, die „die Sinnhaftigkeit einer Verständigung ad absurdum führen“.198 Frank Meyer hält die Grundidee der Verfahrensabsprache, die gerade den Bedürfnissen der Praxis gerecht werden sollte, mit dem Urteil des BVerfG gar für normativ „tot“.199 Der Senat mache die Nutzung der Verständigung noch schwieriger, womit für die Praxis kaum ein sinnvoller Anwendungsbereich bleiben dürfte.200 Auch dem Gesetzgeber habe das Gericht damit enge Grenzen gesetzt, in denen stärker konsensgetragene oder beschleunigungsorientierte Modelle keinen Raum haben.201 Das BVerfG selbst glaubt nicht an eine unauflösbare innere Widersprüchlichkeit der Norm, sieht aber die Beschränkung des praktischen Anwendungsbereichs der Verständigung als zwangsläufige Konsequenz der Einfügung der Verständigung in das bestehende System der Strafprozessordnung; der Raum für Verständigungen wird „spürbar eingeengt“.202 Andererseits legt das BVerfG in ebendieser Grundsatzentscheidung fest, dass die geforderte Überprüfung eines verständigungsbasierten Geständnisses keinen strengeren Anforderungen unterliegt, als sie an eine Beweisaufnahme in normaler Hauptverhandlung nach Abgabe eines Geständnisses zu stellen sind, mit der Einschränkung, dass ein bloßer Abgleich mit der Aktenlage keine hinreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gem. § 261 StPO darstellt.203 Diese Einschränkung hält Meyer-Goßner hingegen für überflüssig, ein abgelegtes Geständnis müsse nur anhand der Akten und nicht durch weitere Beweisaufnahme über194  Hamm, StV 2013, 652; Pfister, StraFo 2016, 187: „Verfahrensweise mit begrenztem Einsparpotential“; Bertram Schmitt, FS Tolksdorf, 2014, S. 399 (411 f.); Stuckenberg, in: Löwe / Rosenberg, § 257c Rn. 10; Trück, ZWH 2013, 169 (171, 174). Zumindest skeptisch auch Rothe / Szalai, NJOZ 2013, 1801 (1807). 195  Trück, ZWH 2013, 169 (171). 196  BVerfGE 133, 168 (207 f. Rn. 68) = NJW 2013, 1058 (1063). 197  Trück, ZWH 2013, 169 (179); Wohlers, NJW 2010, 2470 (2474). 198  Trück, ZWH 2013, 169 (179). 199  Frank Meyer, NJW 2013, 1850. Ebenso Busch-Gervasoni, FS Schiller, 2014, S. 109 (116), Greco, GA 2016, 1 (5); Kudlich, NStZ 2013, 379 (380). 200  Frank Meyer, NJW 2013, 1850 (1852). 201  Frank Meyer, NJW 2013, 1850 (1853). 202  BVerfGE 133, 168 (210 Rn. 72) = NJW 2013, 1058 (1063). 203  BVerfGE 133, 168 (209 f. Rn. 71) = NJW 2013, 1058 (1063).



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prüft werden.204 Dabei geht er jedoch bereits von einem glaubhaften, qualifizierten Geständnis aus und hat so schlicht ebenfalls eine Einschränkung vorgenommen. So schreibt er weiter, es sei stets zu untersuchen, ob das abgelegte Geständnis mit dem Ermittlungsergebnis zu vereinbaren und in sich stimmig ist sowie ob es die bereits getroffenen Feststellungen trägt.205 Zu weit geht allerdings der BGH in einem Beschluss aus dem Jahre 2012.206 Der Entscheidung liegt ein Fall zu Grunde, bei dem es um einen rechtsradikalen Radiosender ging, dessen Moderatoren und Mitarbeiter Lieder mit rechtsradikalen Inhalten sendeten. Festgestellt werden konnten 150 Lieder mitsamt den Texten, welche 70 Seiten des Urteils ausmachten. Das Instanzgericht hat das Urteil auf die glaubhaften geständigen Einlassungen der Angeklagten in der Hauptverhandlung, die verlesenen Registerauszüge und die glaubhaften Bekundungen der Zeugen (zwei Kriminaloberkommissare), die insbesondere über den Gang des Ermittlungsverfahrens berichtet haben, gestützt.207 Der BGH rügt nun, die Kammer habe es unterlassen, die Geständnisse näher zu überprüfen, insbesondere „mit Blick auf die jeweils genauen Texte einer großen Zahl teilweise fremdsprachiger Lieder sowie die Frage, welcher Angeklagte genau bei welcher Moderation genau welche Lieder zu Gehör brachte“; dabei geht aber selbst der Senat davon aus, „dass die Angeklagten sich insoweit nicht an die exakten Einzelheiten des zudem einige Zeit zurückliegenden Geschehens erinnern konnten.“208 Diese Anforderungen sind ersichtlich überzogen. Vielmehr sollte ausreichen, dass das Instanzgericht seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung nach § 261 StPO gebildet hat. Besonders herauszustellen ist, dass die Geständnisse in der Hauptverhandlung abgelegt wurden und nach Überzeugung des LG glaubhaft waren sowie dass die Zeugen in der Hauptverhandlung ausführlich und widerspruchsfrei – auch im Vergleich mit den Geständnissen – berichtet haben. Der Beschluss des BGH zeigt aber erneut, welche Probleme und Gefahren die Verständigung für die Instanzgerichte mit sich bringen kann, denn auch dem zu Grunde liegenden Fall ging wohl eine Absprache209 voraus. Ein Geständnis, zumal ein verständigungsbasiertes, muss also überprüft werden oder bereits zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft und qualifiziert sein. Insbesondere muss sich das Gericht mit solchen Beweisen auseinandersetzen, die geeignet sein könnten, das Geständnis zu erschüttern.210 204  Meyer-Goßner,

in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 17. in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 17a. 206  BGH, NStZ-RR 2012, 256. 207  Nachzulesen in BGH, NStZ-RR 2012, 256. 208  BGH, NStZ-RR 2012, 256 (257). 209  Vgl. BGH, NStZ-RR 2012, 256 Leitsatz 1. 210  SK-StPO / Velten, § 257c Rn. 34. 205  Meyer-Goßner,

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B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

Allerdings wird ein möglicher Zeitgewinn, den ein verständigungsbasiertes Geständnis bringen kann, durch die umfassenden Mitteilungs-, Belehrungsund Dokumentationspflichten wieder zunichtegemacht. So muss gem. § 273 Ia 1, 2 StPO nicht nur protokolliert werden, von wem die Initiative zu Verständigungsgesprächen mit welchem Inhalt ausging und wer diese begrüßt oder abgelehnt hat, sondern es muss auch bei der Verständigung in der Hauptverhandlung genauestens mitgeteilt und dies im Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen werden, wer welchen „Diskussionsbeitrag“ geleistet hat, insbesondere welche Sachverhaltsannahmen und welche Ergebnisvorstellungen geäußert wurden.211 In komplexen Strafverfahren, etwa im Wirtschaftsstrafrecht, würden solche Mitteilungen „Dutzende, wenn nicht Hunderte Seiten füllen“, um diesen Anforderungen zu genügen.212 Beispielhaft sei hierfür ein Fall genannt, bei dem der Beschuldigte 600 Anlegern enorme Zinsen versprochen hat, die Geschädigten von ihm aber keine adäquate Geldleistung erhielten.213 Im Raum steht also 600-facher Betrug, 600 Anleger müssten vernommen werden. Da klingt es verlockend, sich ein Geständnis versprechen zu lassen und so auf die Zeugenvernehmungen zum Großteil verzichten zu können. Gerade bei einem solchen Fall muss aber einerseits das Geständnis umfassend sein, um § 244 II StPO zu genügen, andererseits sind dementsprechend auch die Mitteilungen und Dokumentationen überaus umfangreich. Nach Ansicht des BVerfG zählen zu den zu dokumentierenden und zu protokollierenden wesentlichen Elementen der Verständigung selbst sämtliche außerhalb der Hauptverhandlung geführten Vorgespräche.214 Selbst wenn der Verteidiger nur vorfühlen möchte, ob das Gericht einer Verständigung zugeneigt sein könnte, und dies vielleicht auch nur mit einem Beisitzer bespricht, so muss dieses Gespräch in die Hauptverhandlung eingeführt werden und im Protokoll erscheinen. Ausgenommen sind lediglich solche Gespräche, die ausschließlich der Organisation und der Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung dienen, wie z. B. die Abstimmung der Verhandlungstermine.215 Bestehen Zweifel hinsichtlich der Dokumentationspflicht, muss in der Hauptverhandlung informiert werden.216 Das BVerfG 211  BVerfGE 133, 168 (217 Rn. 86) = NJW 2013, 1058 (1065); BGHSt 58, 310 = NJW 2013, 3046. Dem zustimmend Lam, StraFo 2014, 407 (408). 212  Frank Meyer, NJW 2013, 1850 (1852). Ziegler, FS v. Heintschel-Heinegg, 2015, S. 521 (529), fordert gar jeden auf, „eine lebhafte Diskussion von nur fünfzehn Minuten zwischen mehreren Beteiligten … zu protokollieren“, und hält diese Leistung nach den Maßstäben des BVerfG für kaum fehlerfrei erbringbar. 213  So geschildert bei von Máriássy, öAnwBl 2015, 280 (281). 214  BVerfGE 133, 168 (216 Rn. 82) = NJW 2013, 1058 (1065). 215  BVerfGE 133, 168 (216 Rn. 84) = NJW 2013, 1058 (1065). 216  BVerfGE 133, 168 (216 f. Rn. 85) = NJW 2013, 1058 (1065); Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 243 Rn. 18a.



II. Einfach-rechtliche Probleme des Verständigungsgesetzes51

spricht von umfassender Transparenz in der Öffentlichkeit sowie vollständiger Dokumentation im Hauptverhandlungsprotokoll.217 Es verwundert daher nicht, dass Gerichte dazu übergehen (müssen), nach verständigungsrelevanten Gesprächen deren Inhalt nach Art eines „kaufmännischen Bestätigungsschreibens“ zusammenzufassen und schriftlich zur Verfügung zu stellen.218 Ferner muss der Angeklagte umfangreich219 nach § 257c V StPO und zwingend in der richtigen Reihenfolge – also noch vor seiner Zustimmung zur Verständigung – belehrt werden.220 Diese Belehrung muss ebenfalls protokolliert werden (§ 273 Ia 2 StPO). Darüber hinaus muss stets eine qualifizierte Rechtsmittelbelehrung nach § 35a S. 3 StPO erfolgen. Erschwerend kommt hinzu, dass ein Verstoß gegen die soeben genannten Pflichten in der Regel einen quasi-absoluten Revisionsgrund darstellt.221 Die Pflichten gehen für das Gericht also stets mit erheblichen Schwierigkeiten und Gefahren einher. Eine erfolgreiche Revision vergrößert zudem naturgemäß die Arbeitsbelastung der Justiz noch weiter. Damit bleibt es dabei, dass die Verständigung zwar Motivation für ein verfahrensverkürzendes Geständnis sein kann. Dieses muss lückenlos sein,222 Fragen zum Sachverhalt müssen beantwortet werden können,223 anderenfalls muss Beweis erhoben und erbracht werden; es muss also überprüfbar sein.224 Nur so ist der Amtsaufklärungspflicht nach § 244 II StPO und damit dem Schuldprinzip Genüge getan. Durch die notwendigen, im Verfassungsrecht begründeten umfassenden Mitteilungs-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten wird die Zeitersparnis in aller Regel negiert. Damit gleicht die Verständigung, so wie sie der Gesetzgeber in die StPO implementiert hat, dem berühmten Hummel-Paradoxon, bloß in umgekehrter Weise. Die Verständigung wurde kodifiziert, um den Strafprozess effizienter zu machen. Tatsächlich wird dieses Ziel – mit den Präzisierungen des BVerfG – größten217  BVerfGE

133, 168 (222 Rn. 96) = NJW 2013, 1058 (1066). DRiZ 2011, 315 (316). 219  Polomski, DRiZ 2011, 315 (316), spricht von fünf Varianten in einer für den Angeklagten „emotional höchst angespannten Situation“. 220  Siehe dazu auch schon oben B. I. 1. a). Zur zeitlichen Komponente auch BGH, NJW 2017, 1626 (lediglich Leitsatz der Redaktion abgedruckt) = NStZ-RR 2017, 151, sowie BVerfG, NJW 2014, 3506; zustimmend Eisenberg, StV 2014, 69 (70); BeckOK StPO / Eschelbach, § 257c Rn. 42. 221  BVerfGE 133, 168 (223 Rn. 97; 225 Rn. 99 m. Verweis auf BGHSt, 38, 214 [226 f.]; 238 f. Rn. 127) = NJW 2013, 1058 (1067, 1071). Vgl. dazu Jahn, JuS 2013, 659 (660); Knauer, NStZ 2013, 433 (436). Siehe dazu auch schon oben B. I. 1. a). 222  Ähnlich auch OLG Hamm, BeckRS 2011, 26597. 223  Vgl. BT-Drs. 16 / 12310, S. 13; BVerfGE 133, 168 (208 Rn. 68, 209 Rn. 70) = NJW 2013, 1058 (1063). 224  Vgl. auch BVerfGE 133, 168 (230 Rn. 110) = NJW 2013, 1058 (1069). Zum Ganzen auch schon oben B. I. 1. d). 218  Polomski,

52

B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

teils nicht erreicht. Beim Hummel-Paradoxon liegt die Lösung darin, dass in der Berechnung, die der Legende zu Grunde liegt, die rotierende Bewegung der Flügel außer Betracht gelassen wurde. Dazu schreibt Ivars Peterson „Wings aren’t rigid. They bend and twist.“ – zu Deutsch etwa „Flügel sind nicht starr. Sie biegen und winden sich.“225 So versuchte auch die Praxis anfangs, sich um die starren Regeln des Verständigungsgesetzes herumzuwinden.226 Dies allerdings ist gesetzwidrig, denn die Regeln über die Mitteilungs-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten sichern gerade die Verfassungsmäßigkeit des Verständigungsgesetzes.227 Das BVerfG formuliert treffend, „dass im Rechtsstaat des Grundgesetzes das Recht die Praxis bestimmt und nicht die Praxis das Recht“.228 Besonders erschreckend ist, dass es auch nach dem Grundsatzurteil des BVerfG noch immer Juristen gibt, die meinen, es habe sich „nichts geändert“, das Gesetz als Ganzes sei „unpraktikabel“ und man werde weiterhin rechtswidrige „Deals“ durchführen.229 Dem muss die Praxis entschieden entgegentreten und auch strafrechtlich gegen diese „Unrechtsanwender“ vorgehen.230 Einzig etwa in Fällen der Wahlfeststellung231, bei denen nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten eine eindeutige Feststellung nicht möglich ist,232 kann die Verständigung einen echten zeitlichen Gewinn bringen. Denn in einer solchen Konstellation könnte sich der Angeklagte bereit ­erklären, einen der in Betracht kommenden Geschehensabläufe in seinem Geständnis zu bestätigen. So bliebe es dem Gericht erspart, mühsam die in Betracht kommenden Geschehensabläufe bis ins letzte Detail zu durchleuchten, nur um zu dem Ergebnis zu kommen, dass eine Aufklärung mit letzter Gewissheit unmöglich ist und der Angeklagte auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage verurteilt werden muss. Beim typischen Lehrbuchbeispiel der echten bzw. ungleichartigen Wahlfeststellung kann nicht mit Sicherheit 225  Ivars Peterson, Flight of the Bumblebee, 2004, a. E., abrufbar unter https: /  /  www.sciencenews.org / article / flight-bumblebee, zuletzt aufgerufen am 19.4.2018. 226  BVerfGE 133, 168 (235 Rn. 120) = NJW 2013, 1058 (1070). Dazu auch ausführlich unten D. I. 227  BVerfGE 133, 168 (222 f. Rn. 96) = NJW 2013, 1058 (1066 f.). 228  BVerfGE 133, 168 (235 Rn. 119) = NJW 2013, 1058 (1070). 229  Fischer, GS Seebode, 2015, S. 59 (78 f. Fn. 79) = HRRS 2014, 324 (333 Fn. 79). 230  Dazu ausführlich unten D. II. 231  Vgl. zur Wahlfeststellung insgesamt Eser / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 1 Rn. 57 ff. Vgl. ferner den Vorlagebeschluss des 2. Senats des BGH, BeckRS 2015, 20998, in dem dieser dem Großen Senat für Strafsachen die Frage vorlegt, ob die Rechtsfigur der gesetzesalternativen Verurteilung mit Art. 103 II GG vereinbar ist, der diese positiv beschied, vgl. BGHSt 62, 164 = NJW 2017, 2842. Siehe dazu nur die prägnante Zusammenstellung des Rechtsstreits innerhalb der höchstrichterlichen Rechtsprechung von Wolter, GA 2016, 316 (318 ff.). 232  Eser / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 1 Rn. 78; Rengier, AT, § 57 Rn. 14.



III. Die fehlerhafte Systematik des § 257c StPO53

festgestellt werden, ob der Täter das Diebesgut selbst gestohlen (§ 242 StGB) oder von einem Dritten bösgläubig erworben hat (§ 259 StGB), eine straflose Sachverhaltsvariante scheidet hingegen aus.233 In einem solchen Fall muss das Gericht nun alle möglichen Beweise erheben, um eine der beiden Sachverhaltsalternativen beweisen zu können oder eben bei Unaufklärbarkeit wahldeutig zu verurteilen. Wenn sich der Täter aber bezüglich einer Alternative geständig zeigt, so kann das Gericht auf die Beweiserhebungen verzichten. Die Glaubhaftigkeit dieses Geständnisses ist bei einer solchen Fallgestaltung in der Regel nicht zu bezweifeln, da eine straflose Variante von vornherein ausgeschlossen ist. Auch hierbei ist allerdings da­ rauf zu achten, ein ernsthaft reuiges Geständnis deutlich stärker zu Gunsten des Täters zu gewichten als ein rein taktisches verständigungsbasiertes Geständnis.234

III. Die fehlerhafte Systematik des § 257c StPO Systematisch steht die Kernvorschrift des Verständigungsgesetzes (§ 257c StPO) vor der Regelung zu den Schlussvorträgen und nicht etwa, wie von verschiedener Seite als sinnvoll erachtet,235 im Umfeld der Norm zum Gang der Hauptverhandlung (§ 243 StPO) oder derjenigen zur Beweisaufnahme (§ 244 StPO). Der Entwurf der Bundesrechtsanwaltskammer vom September 2005 hatte eine Regelung der Urteilsabsprache in einem neuzufassenden § 243a StPO vorgeschlagen.236 Mit dem durch Gesetz festgeschriebenen Standort komme aber der irreführende Eindruck zu Stande, eine Verstän­ digung könne erst am Ende der Hauptverhandlung, also nach der Beweis­ aufnahme und vor den Schlussvorträgen, erfolgen.237 Dagegen ist das in § 257c II 2 StPO geforderte Geständnis ja gerade ein entscheidender Teil des Beweisaufnahme. Dies übersieht Dießner, wenn sie davon ausgeht, der angemessene Strafrahmen könne erst nach vollständiger Aufklärung des Sachverhaltes angegeben werden.238 Rechtsfolgen hat die fehlerhafte Systematik Frister, AT, Kapitel 3 Rn. 34. dazu bereits oben B. I. 1. g). 235  Ignor, öAnwBl 2010, 238 (240); Meyer-Goßner, ZRP 2009, 107 (107 f.); Niemöller, in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil A Rn. 28; ders., in: Niemöller /  Schlothauer / Weider, 2010, Teil B § 257c Rn. 6. Kritisch auch Frank Meyer, StV 2015, 790. 236  Nachzulesen in Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Anhang 1. Dafür auch Meyer-Goßner, ZRP 2009, 107 (107 f.); Niemöller, in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil B § 257c Rn. 6. 237  Meyer-Goßner, ZRP 2009, 107 (107  f.); Niemöller, in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil B § 257c Rn. 6. 238  Dießner, StV 2011, 43 (47 m. Fn. 68). 233  Etwa

234  Siehe

54

B. Rechtslage in Deutschland und Problemstellung

zwar keine,239 deutlich wird dabei aber, dass das Verständigungsgesetz systematische Mängel aufweist. Zudem ist die Vorschrift über die Belehrung des Beschuldigten in § 257c V StPO an dieser Stelle eher misslich untergebracht, denn dieser Standort erweckt den Anschein, die Belehrung sei erst nach dem Zustandekommen der Verständigung zu erteilen.240 Zu diesem Zeitpunkt kann der Beschuldigte jedoch nicht mehr mit der gleichen Wirkung belehrt werden. So hat auch das BVerfG besonders betont, dass die Belehrung vor Zustandekommen der Verständigung erfolgen muss.241

IV. Tatsächliche Probleme – oder: wo kein Kläger (Rechtsmittelführer), da kein (Revisions-)Richter Auch der Beschuldigte hat ein Interesse an der Verständigung. Für ihn wird der belastende und möglicherweise langwierige Prozess verkürzt. Eine nicht selten eintretende Rufschädigung – insbesondere bei prominenten Angeklagten – wird durch eine kurze öffentliche Hauptverhandlung minimiert.242 Demnach kann der Verständigung eine ähnlich schonende Wirkung zukommen wie dem Strafbefehl. Zudem kann der Angeklagte in einer Verständigung aktiv Einfluss auf das Strafmaß ausüben und eine bindende Zusage über die Strafhöhe erlangen. Dem Verteidiger wiederum ist im Interesse seines Mandanten daran gelegen, den Prozess möglichst kurz zu halten. Ihm kommt die Verständigung daher ebenfalls zugute. Es bleibt damit festzuhalten, dass auf allen Seiten Motive für eine Verständigung gefunden werden können. Im amtsgerichtlichen Alltag bleibt aber häufig aus Sicht der Beteiligten keine Zeit für eine in die Hauptverhandlung eingeführte und protokollierte Verständigung.243 Meist reicht es aus, den Verteidiger mit der Frage zu kontaktieren, ob es angesichts der Aktenlage nötig erscheint, die Zeugen zu la239  Niemöller,

in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil B § 257c Rn. 6 a. E. in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil A Rn. 28. 241  BVerfG, NJW 2014, 3506; zustimmend Eisenberg, StV 2014, 69 (70); BeckOK StPO / Eschelbach, § 257c Rn. 42. 242  Vgl. nur Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 27 f. m. w. Nachw. 243  So stellte sich die Situation in Gesprächen zwischen dem Verfasser dieser Dissertation und Praktikern häufig dar; siehe auch Altenhain / Dietmeier / May, Praxis der Absprachen, 2013, S. 36 f., die zeigen, dass bezeichnende 33,6 % der befragten Amtsrichter ausschließlich informelle Absprachen treffen. Das Ergebnis wird auch von den befragten Verteidigern und Staatsanwälten bestätigt, Altenhain / Dietmeier / May, Praxis der Absprachen, 2013, S. 38. Vgl. ferner dazu Heger / Pest, ZStW 126 (2014), 446 (485 f.). 240  Niemöller,



IV. Tatsächliche Probleme – oder: wo kein Kläger, da kein Richter 55

den, oder ob hierauf verzichtet werden kann. Der Verteidiger wird bei hoher Verurteilungswahrscheinlichkeit im Interesse seiner Mandantschaft einlenken und ein Geständnis in Aussicht stellen, wenn dafür beispielsweise eine Bewährungsstrafe möglich ist. Dies stellt nach dem Gesetz eine Verständigung dar. Mangels Belehrung und Protokollierung ist diese aber rechtswidrig und revisibel, ein solches Verhalten gegebenenfalls sogar strafbar244. Eine Revision wird aber nur in den seltensten Fällen eingelegt. Einerseits wird sich der Richter an die vereinbarte Strafart und -höhe halten, um auch zukünftig auf diese verfahrensverkürzende Methode zurückgreifen zu können, andererseits wird auch der Verteidiger kein Interesse an einem Rechtsmittel haben, um sich in zukünftigen Verfahren nicht den Weg zu einer solchen Vereinbarung mit dem Richter zu verbauen.245 Auch eine Strafanzeige wegen Rechtsbeugung (§ 339 StGB) wird der Verteidiger tunlichst unterlassen, denn er selbst könnte dann ebenfalls wegen (versuchter) Teilnahme an einer Rechtsbeugung nach § 339 StGB strafbar sein.246 Dieses materielle Problem wird deshalb nur dann auftauchen, wenn nach dem Instanzurteil ein Verteidigerwechsel erfolgt oder das Gericht und die Verteidigung den Staatsanwalt außen vor lassen und dieser dann einschreitet, indem er Ermittlungen einleitet. Theorie und Praxis fallen somit weit auseinander. Häufig wiederkehrende Verständigungssituationen könnten jedoch recht einfach mit einem Standardtext in einem Formblatt in die Akten eingeführt werden, bei dem lediglich die Namen und Einzelheiten ersetzt werden. Dies bietet sich etwa bei der soeben geschilderten Situation an – auf Anregung des Gerichts verzichtet die Verteidigung auf Zeugen. Diese erstellte Urkunde muss dann selbstredend auch zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden. Ebenso sollte es möglich sein, eine unkomplizierte Verständigung mit wenigen Sätzen in das Hauptverhandlungsprotokoll zu diktieren. Die Belehrung des Beschuldigten sollte stets und quasi automatisiert stattfinden. Somit ist es auch den Amtsrichtern zuzumuten, rechtmäßige und revi­ sionsfeste Verständigungen zu praktizieren.

244  Dazu

ausführlich unter D. II. auch Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 44. 246  Dazu ausführlich unter D. II. 1. und D. II. 4. 245  So

C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht Zur weiteren Problemlösung bietet es sich nun an, in den benachbarten Rechtssystemen nach möglichen Lösungen zu forschen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den deutschsprachigen Rechtssystemen.

I. Österreichisches Strafprozessrecht 1. Verständigungstendenzen und Kodifizierung In Österreich existiert bislang kein kodifiziertes Abspracheverfahren. Verständigungstendenzen in der Praxis wurden im Jahre 2004 vom OGH ­höchstrichterlich rigoros abgelehnt und gar die Möglichkeit disziplinärer und strafrechtlicher Konsequenzen (§ 302 StGB Österreich – Missbrauch der Amtsgewalt) erwogen.247 Eine Absprache widerspreche in eklatanter Weise den tragenden Grundprinzipien des österreichischen Strafverfahrensrechts, insbesondere dem zur Erforschung der materiellen Wahrheit. Daher könne das Gericht mit „(mutmaßlichen) Rechtsbrechern“ nicht kontrahieren. Diese strikte Ablehnung stellt eine Ausnahme in den kontinentaleuropäischen Ländern dar.248 Dagegen schreiben Bertel / Venier, zwar seien Vergleiche zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidiger nicht vorgesehen, es komme aber trotzdem vor, dass der Verteidiger schon vor der Hauptverhandlung in Gesprächen mit Staatsanwalt und Richter das Urteil aushandele249 bzw. eine Verständigung darüber erziele, wie das Urteil ausfallen könnte250. Eine solche Verständigung werde folgendermaßen umgesetzt: Der Beschuldigte erklärt sich in der Hauptverhandlung „für schuldig“, sämtliche Protokolle werden mit seiner Einwilligung verlesen und er verzichtet unmittelbar nach Verkündung des ausgehandelten Urteils auf Rechtsmittel.251 Dabei konkretisieren 247  OGH, 11 Os 77 / 04, vom 24.8.2004, veröffentlicht in JBl 2005, 127. Dazu auch Hettinger, JZ 2011, 292. Vgl. in jüngerer Zeit OGH, 13 Os 1 / 10m, vom 4.3.2010, veröffentlicht in JBl 2011, 63. 248  Vgl. dazu Orlandi, ÖJZ 2009, 404, mit Blick auf Italien, Portugal, Spanien, Frankreich und Deutschland. 249  Bertel / Venier, Grundriss StPO, 2004, Rn. 40. 250  Bertel / Venier, Grundriss StPO, 2004, Rn. 591. 251  Bertel / Venier, Grundriss StPO, 2004, Rn. 40.



I. Österreichisches Strafprozessrecht57

die Autoren, dass Staatsanwaltschaft und Gericht rechtskonform tätig werden, wenn der Fall aufgeklärt ist, also die materielle Wahrheit erforscht ist, das ausgehandelte Ergebnis sachlich vertretbar ist und weder auf den Beschuldigten noch auf seinen Verteidiger ein irgendwie gearteter Druck ausgeübt wurde. Die Existenz von Prozessabsprachen in der Realität der österreichischen Strafrechtspraxis dürfte damit als gesicherte Erkenntnis anzusehen sein,252 auch wenn dies kaum je eingeräumt wird.253 Die Arbeitsgruppe Strafrecht des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags kam bereits 2009 zu dem Ergebnis, dass eine gesetzliche Regelung von Verständigungen wünschenswert ist, da diese in der täglichen Arbeit des Strafverteidigers existent, tatsächlich nicht „verhinderbar“ seien und durch eine gesetzliche Regelung die Verständigungsoptionen nicht nur solchen Verteidigern vorbehalten blieben, die ständigen Kontakt zu Staatsanwälten und Richtern pflegten.254 Dabei könnte sich der österreichische Gesetzgeber durchaus bei den bereits in Kraft getretenen deutschen und schweizerischen255 Regelungen bedienen oder sich die Vielzahl der Veröffentlichungen zu diesem Thema zu Herzen nehmen. In eine ähnliche Richtung wie die schweizerischen Regelungen gehen die Ausführungen der Arbeitsgruppe Strafrecht des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags, freilich ohne dies deutlich zu machen, vermutlich gar ohne dies zu erkennen. Beispielhaft soll der Richter genannt werden, der nicht „in eigener Sache“ über Verständigungen entscheiden dürfen soll, sondern vielmehr eine Verständigung zwischen Staatsanwaltschaft und Beschuldigtem bzw. dessen Verteidigung lediglich kontrolliert.256 Kier / Bockemühl widersprechen dem Ergebnis der Arbeitsgruppe Strafrecht des Österreichischen Rechtanwaltskammertags vehement und führen vor allem das Argument an, dass es in sich widersprüchlich sei, auf der einen Seite eine jeder Absprache innewohnende Verfahrensverkürzung anzustreben, auf der anderen Seite aber 252  Weitere Fundstellen, die dies belegen: Kier / Bockemühl, öAnwBl 2010, 402 (402 m. Fn. 4, 403 m. Fn. 9): „ein offenes Geheimnis, dass es auch in der täglichen Praxis der österreichischen Strafgerichtsbarkeit zu Absprachen unter den Verfahrensbeteiligten hinsichtlich des Ausgangs des Strafverfahrens kommt“; Murko, öAnwBl 2015, 354 (354, 356): „Absprachen finden statt“ und „Absprachen existieren in der Realität“; Ruhri, öAnwBl 2010, 243 (244): „eine in der Praxis häufig vorkommende Situation“. 253  Vgl. nur Birklbauer, ZIS 2009, 101 (103 m. Fn. 13 f.). 254  Dargestellt bei Ruhri, öAnwBl 2010, 243. 255  Dazu sogleich ausführlich unter C. II. Den Regelungen zum schweizerischen abgekürzten Verfahren scheint im Übrigen auch das tschechische Strafverfahrensrecht äußerst ähnlich zu sein, vgl. dazu ausführlich Herczeg, ZStW 125 (2013), 738. Dabei sei das tschechische Vermittlungsverfahren zwar vom US-amerikanischen plea bargaining inspiriert, unterscheide sich von diesem Institut aber, Herczeg, ZStW 125 (2013), 738 (739). 256  Vgl. Ruhri, öAnwBl 2010, 243 (246), und zum Richter beim schweizerischen abgekürzten Verfahren unten C. II. 1. d).

58

C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

die Wahrheitsfindung und Aufklärungspflicht völlig unberührt zu lassen.257 Sicherheitsmechanismen könne es nicht geben, weil dann „der Zweck der Absprache ad absurdum geführt würde“ und die „Wahrheit“ stets nur das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens sei. Weiter kritisieren die Autoren, dass die Überlegungen der Arbeitsgruppe einen solchen Beschuldigten benachteiligten, der bereits im Ermittlungsverfahren geständig war, weil dieser in einer Absprache nichts mehr „anzubieten“ hätte.258 Dagegen spricht aber, dass ein ernsthaft reuiges Geständnis – besonders ein so frühes wie das im Ermittlungsverfahren – stets deutlich stärker zu Gunsten des Täters gewichtet werden muss als ein taktisches verständigungsbasiertes Geständnis.259 Ratz, der seit 2012 Präsident des OGH ist, befürchtet gar eine deutliche Verschlechterung der fachlichen Befähigung solcher Richter, die sich in aller Regel verständigten.260 Diese Richter fürchteten die Mühe, sich zeitraubend in komplexe Sachverhalte einzuarbeiten, würden so aber ihre Fachkompetenz verlieren, die „nicht einfach von heute auf morgen wiederzugewinnen“ sei. Dies wirft eine allzu düstere Prognose auf die professionelle Justizlandschaft. Ähnlich wie dem Zivilrichter, der eine gütliche Streitbeilegung nach § 278 der deutschen ZPO anstrebt und dabei nicht minder sorgfältig arbeitet als bei Fertigung eines Urteils, obliegt auch dem Strafrichter beim Absprachevorgang die erforderliche Sorgfaltspflicht. Entsprechend hinzu kommt Folgendes: Mit der Ausbildung zum Volljuristen erwirbt der Jurist nicht nur Fachwissen im Einzelnen, sondern vor allem die analytische Fähigkeit sich mit fremder, unbekannter Materie auseinanderzusetzen. Diese Fähigkeit geht nicht einfach so verloren, besonders dann nicht, wenn das eigene Kernthema – beim Strafrichter das Strafrecht – täglich zur Bearbeitung ansteht. Zudem eignen (vgl. für Deutschland § 257c I 1 StPO D: „in geeigneten Fällen“) sich bei Leibe nicht alle Fälle und Sachverhalte für eine Verständigung, weshalb diese Angst von Ratz als überzogen zu bewerten ist. Darüber hinaus muss der Richter auch bei einer Verständigung über umfassende Aktenkenntnis verfügen, insbesondere auch um die Grundsätze der Strafzumessung (§ 257c III 2 StPO D: „unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen“ – Hervorhebung durch den Verfasser dieser Dissertation) beachten zu können. Ferner konstatiert Ratz, dass der Beschuldigte bei einer angedachten Absprache im österreichischen Strafverfahren keinerlei Vertrauensschutz genieße, sich somit nicht auf die Absprache verlassen könne und sich damit teilweise ausliefere.261 257  Kier / Bockemühl,

öAnwBl 2010, 402 (408 f.). öAnwBl 2010, 402 (411). 259  Dazu ausführlich schon oben B. I. 1. g). 260  Ratz, ÖJZ 2009, 949 (951). 261  Ratz, ÖJZ 2009, 949 (952). 258  Kier / Bockemühl,



I. Österreichisches Strafprozessrecht59

Zur möglichen Strafbarkeit schreibt Ratz, dies betreffe nur den Richter, nicht auch den an einer Absprache beteiligten Verteidiger, denn das Gesetz verpflichtet nur den Richter zur Suche nach materieller Wahrheit, nicht aber den Verteidiger,262 der – wie in den meisten rechtsstaatlichen Prozessordnungen – im Gegensatz zum Gericht und zur Staatsanwaltschaft einseitiger Parteivertreter ist. Murko hält ebenfalls eine Strafbarkeit für Verteidiger wegen Beteiligung am Amtsmissbrauch für nahezu ausgeschlossen, da ein Verteidiger kaum je sicheres Wissen von der Überzeugung des Richters haben wird, gegen welche dieser dann ein Fehlurteil spricht.263 Allerdings spreche die Judikatur der Schöffengerichte zur subjektiven Tatseite dafür, dass in der Praxis eine Strafbarkeit auch der Verteidiger möglich erscheine. Die sich absprechenden Staatsanwälte fallen laut Murko ebenfalls unter den Tatbestand des Amtsmissbrauchs.264 2. Lehren für das deutsche Recht Angesichts der grundsätzlich abweichenden Rechtslage in Österreich können Lehren für das deutsche Recht diesen rudimentären Erkenntnissen kaum entnommen werden. Zwei Beobachtungen sind jedoch anzustellen: Der Beschluss des OGH265, die Ausführungen von Bertel / Venier266 sowie von Birkl­ bauer267 und die lebhaft geführte Diskussion der Arbeitsgruppe Strafrecht des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags („gelebte Verständigungspraxis“) – dargestellt von Ruhri268 – zeigen, dass es auch in Österreich Tendenzen der Praxis gibt, irgendwie geartete Absprachen zu treffen, jedoch sehen der OGH und ihm folgend Kier / Bockemühl269 ebenso ein Problem bei der Wahrheitsermittlungspflicht, wie dies im deutschen Recht der Fall ist.270 Zudem wird auch in Österreich ein Geständnis wie auch ein Rechtsmittelverzicht271 für notwendig erachtet. Dem Geständnis wird dabei laut Murko ein „extrem hoher Stellenwert in der Strafbemessung“ eingeräumt.272 Dem ist in dieser Form entschieden entgegenzutreten. Auch in der österreichischen 262  Ratz,

öAnwBl 2015, 276 (279). öAnwBl 2015, 354 (355). 264  Murko, öAnwBl 2015, 354. Vgl. zudem im schweizerischen Recht unten C. II. 1. c) aa), Text vor Fn. 338. 265  OGH, 11 Os 77 / 04, vom 24.8.2004, veröffentlicht in JBl 2005, 127. 266  Bertel / Venier, Grundriss StPO, 2004, Rn. 40, 591. 267  Birklbauer, ZIS 2009, 101 (103 f.). 268  Ruhri, öAnwBl 2010, 243. 269  Kier / Bockemühl, öAnwBl 2010, 402 (408 f.). 270  Dazu oben B. I. 1. d) sowie B. II. 5. 271  Vgl. dazu eingehend unten C. II. 2. h). 272  Murko, öAnwBl 2015, 354. 263  Murko,

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C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

Strafrechtspraxis muss gewährleistet sein, dass ein ernsthaft reuiges Geständnis stets deutlich stärker zu Gunsten des Täters gewichtet wird als ein rein taktisches verständigungsbasiertes Geständnis.273 Anzumerken ist noch, dass Ratz als Präsident des OGH die strikte Ablehnung des Gerichts gegen Prozessabsprachen damit begründet, es sei in Österreich deutlich leichter einen Beweisantrag abzulehnen, als dies in Deutschland der Fall ist.274 Der Beschuldigte bzw. sein Verteidiger müssten einen solchen Antrag klar strukturiert stellen. Falls Beweismittel einem möglichen Beweisverwertungsverbot unterliegen,275 müsste einem solchen bereits in der Hauptverhandlung entgegengetreten werden, um im Beschwerdeverfahren die entsprechende Rüge noch vorbringen zu können. Ähnlich stärke das österreichische Strafverfahrensrecht den Richter auch bei Ablehnungsgesuchen deutlich wirksamer als das deutsche Verfahrensrecht, wo dieses Institut insbesondere bei der sogenannten „Konfliktverteidigung“276 ausufert und oft gar missbraucht wird. Dies ist z. B. dann nicht selten der Fall, wenn auf jede unliebsame Gerichtsentscheidung, Vorsitzendenverfügung und auch auf sonstiges – oft auch außergerichtliches – Verhalten gleichsam automatisch die Ablehnung folgt. Im österreichischen Verfahren werde erfolgversprechender verhindert, dass der Richter im Strafprozess nach Belieben von der Wahrheitssuche abgehalten werde. Die Entscheidung über sinnfreie Ablehnungsgesuche erfordert im Vergleich zur deutschen Ablehnungspraxis weit weniger Arbeitsaufwand und Zeit. So erklärt Ratz den seiner Ansicht nach geringeren Bedarf an Verständigungen in Österreich und verteidigt das Verbot verfahrensbeendender Prozessabsprachen mit diesem „eindeutig an richterlicher Wahrheitsfindung orientierten“ Verfahrensablauf.277 Der deutsche Gesetzgeber könnte sich zumindest insoweit an den von Ratz dargestellten Vorteilen des österreichischen Strafverfahrens ein Beispiel nehmen. Ferner sei es laut Ratz in Österreich ohne Weiteres möglich, durch allseitige Zustimmung auf Beweisaufnahmen gänzlich zu verzichten, sodass beispielsweise ein Geständnis nicht mehr überprüft werden müsste.278 Er fordert vom österreichischen Gesetzgeber daher Zurückhaltung hinsichtlich einer möglichen Verständigungsregelung. Kritikwürdig ist die Ansicht von Ratz allerdings insoweit, als sich durch evtl. vorschnelles Akzeptieren eines Geständnisses das österreichische Strafverfahrensrecht doch recht weit von der von ihm so hoch gelobten materiellen Wahrheit entfernt. Denn ein Geständ273  Dazu

schon oben B. I. 1. g). öAnwBl 2015, 276 (278); vgl. bereits ders., ÖJZ 2009, 949 (951 ff.). 275  Ähnlich allerdings auch § 244 III 1 StPO D. 276  Dazu etwa kurz und prägnant BGH, NStZ-RR 2009, 207. 277  Ratz, öAnwBl 2015, 276 (279). 278  Ratz, ÖJZ 2009, 949 (952 m. Fn. 20). 274  Ratz,



II. Schweizerisches Strafprozessrecht61

nis kann auch falsch sein. Dann ist die „Wahrheit“ aber eine konstruierte formelle Wahrheit. Vollständige, endgültige materielle Wahrheit dürfte in der Praxis allerdings kaum erreichbar und damit bloß ein anzustrebender theoretischer Wert sein. Hier gilt es, einen gerechten Ausgleich zwischen den Positionen – materielle Wahrheit, Verteidigungsrechte, Prozessökonomie – zu finden. Dazu angehalten ist nicht nur der Gesetzgeber. Wie Ratz zutreffend bemerkt, dürfen auch die Rechtsmittelgerichte den Tatrichter nicht mit immer strengeren Anforderungen in seiner täglichen Arbeit fesseln.279

II. Schweizerisches Strafprozessrecht 1. Verständigungstendenzen und Kodifizierung In der Schweiz wurde der Bund erst im Jahre 2000 generell zur Gesetz­ gebung auf dem Gebiet des Strafprozessrechts ermächtigt (Art. 123 I der Schweizerischen Bundesverfassung).280 Auf Grund dieser Ermächtigung verabschiedete das Parlament am 5.10.2007 die bundeseinheitliche Schweizerische Strafprozessordnung (kurz: StPO CH), die am 1.1.2011 in Kraft trat.281 Davor gab es 29 verschiedene Strafprozessordnungen, davon 26 der einzelnen Kantone und 3 des Bundes.282 Gründe für die Vereinheitlichung finden sich in der so vermiedenen Rechtszersplitterung und in der fortgeschrittenen Harmonisierung der verschiedenen Strafprozessordnungen, die vom Bundesgericht der Schweiz und auch von der früheren Europäischen Kommission für Menschenrechte und dem EGMR vorangetrieben wurde.283 Darüber hinaus waren freilich die Stärkung von Rechtssicherheit und Rechts­ gleichheit,284 die Erleichterung der interkantonalen und auch internationalen Zusammenarbeit der Strafverfolgung sowie die verbesserte wissenschaftliche Bearbeitung Triebfeder für die Vereinheitlichung der Materie.285 Dabei ist vor allem zu beachten, dass materielles und formelles Strafrecht oft untrennbar zusammenhängen und beide zu Grunde liegenden Gesetzeswerke daher 279  Ratz,

öAnwBl 2015, 276 (278 f.); ders., ÖJZ 2009, 949 (953 f.). FS Egon Müller, 2008, S. 383. 281  Zur Entstehungsgeschichte siehe Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21.12.2005 des Schweizerischen Bundesrates, BBl 2006, S. 1098 ff., abrufbar unter https: /  / www.admin.ch / opc / de / federal-gazette / 2006 / 1085.pdf, zuletzt aufgerufen am 19.4.2018. 282  Kunz, FS Egon Müller, 2008, S. 383. 283  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1096 f. 284  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1097; Kunz, FS Egon Müller, 2008, S. 383. 285  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1098; Kunz, FS Egon Müller, 2008, S. 383. 280  Kunz,

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C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

so gut wie möglich aufeinander abgestimmt sein müssen; dies kommt besonders auch der schweizerischen Anwaltschaft zugute,286 die mit einem einheitlichen Strafprozessrecht sich nicht entweder auf einzelne Strafprozessordnungen spezialisieren oder aber zahlreiche Strafprozessordnungen kennen und anwenden muss. So kann darüber hinaus ein innerschweizerisches „forum shopping“, also das systematische Ausnutzen nebeneinander bestehender Zuständigkeiten und unterschiedlicher prozessualer Regelungen, vermieden werden.287 In der neuen StPO CH ähnelt das sogenannte abgekürzte Verfahren (Art. 358–362 StPO CH) der deutschen Verständigung. Dabei beantragt die beschuldigte Person bei der Staatsanwaltschaft die Durchführung eines abgekürzten Verfahrens (Art. 358 I StPO CH). Voraussetzung ist ein Geständnis über den wesentlichen Sachverhalt und die zumindest grundsätzliche Anerkennung etwaiger Zivilansprüche. Dem Beschuldigten ist gem. Art. 130 lit. e StPO CH zwingend ein Verteidiger zu bestellen. Sodann werden Sachverhalt und schuldangemessene Strafe oder Maßnahme von der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten und dem möglichen Privatkläger außerhalb einer Hauptverhandlung und zunächst ohne Beteiligung des Gerichts erarbeitet und in der Anklageschrift festgehalten.288 Das Gericht kontrolliert in der Hauptverhandlung lediglich den Sachverhalt, welcher der Anklage zu Grunde liegt, und ob dieser mit der Aktenlage übereinstimmt (Art. 361 II StPO CH). Daraufhin kann es die Anklageschrift als Ganzes gem. Art. 362 II 1 StPO CH zum Urteil erheben oder anderenfalls, wenn es die Voraussetzungen als nicht gegeben oder die Sanktionen als unangemessen ansieht, das abgekürzte Verfahren ablehnen und die Akten an die Staatsanwaltschaft zur Durchführung eines ordentlichen Vorverfahrens zurückweisen (Art. 362 III 1 StPO CH). Die nur oberflächliche gerichtliche Kontrolle wurde in der Diskussion über die Einführung eines abgekürzten Verfahrens kritisiert.289

286  Botschaft

zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1097. denkbaren missbräuchlichen „forum shopping“ bei Art. 50 GRCh (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) bei Wegfall der in Art. 54 SDÜ (Schengener Durchführungsübereinkommen) enthaltenen Vollstreckungsbedingung Hecker, Europäisches Strafrecht, § 13 Rn. 38; ders., JuS 2014, 845 (847); Pauckstadt-Maihold, FS von Heintschel-Heinegg, 2015, S. 359 (362) m. w. Nachw.; Zöller, FS Krey, 2010, S. 501 (519 f.). 288  Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 94. 289  Vgl. die Voten der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Ratsmitglieder der Sozialdemokratischen Fraktion und der Grünen Fraktion im Amtlichen Bulletin der Bundesversammlung – Nationalrat – vom 20.6.2007, S. 1020 (1026–1028), abrufbar unter http: /  / www.parlament.ch / poly / Download_amtl_Bulletin / 07_06 / NR_07_06.pdf, zuletzt aufgerufen am 19.4.2018. 287  Zum



II. Schweizerisches Strafprozessrecht63

Augenfällige Unterschiede zu den deutschen Verständigungsregelungen sind die vollständig unterbleibende Beweiserhebung vor Gericht (Art. 361 IV StPO CH)290 – die materielle Wahrheit wird lediglich im staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsverfahren ermittelt (Art. 6 StPO CH)291 – und der in Art. 360 I lit. h StPO CH vorgeschriebene Rechtsmittelverzicht. Über diesen hinausgehend ist auch die Zustimmung zur Anklageschrift und damit zu Strafmaß und Nebenfolgen für die Parteien unwiderruflich (Art. 360 I 3 StPO CH).292 Die Zustimmung muss vom Beschuldigten innerhalb von zehn Tagen nach Eröffnung der Anklageschrift grundsätzlich unwiderruflich erteilt werden (Art. 360 I 1 und 2 StPO CH), sonst scheitert das abgekürzte Verfahren. Das bedeutet für den Beschuldigten einen enormen Druck. Kompensierend wirkt da lediglich, dass allein der Beschuldigte das abgekürzte Verfahren gem. Art. 358 I StPO CH initiieren kann. In Deutschland gilt die Amtsaufklärungspflicht bei Verständigungen weiterhin fort (§§ 257c I 2, 244 II StPO).293 Ein Rechtsmittelverzicht ist sogar gesetzlich ausgeschlossen (vgl. § 302 I 2 StPO).294 Zu erwähnen ist freilich, dass die in der Schweiz ausbleibende gerichtliche Beweisaufnahme nicht unbedingt eine Besonderheit des abgekürzten Verfahrens ist. Vielmehr stellt die vornehmlich staatsanwaltschaft­ liche Beweiserhebung den Regelfall im schweizerischen Strafprozess dar (sogenannte beschränkte Unmittelbarkeit).295 Das Gericht soll nur bei Lücken im Untersuchungsergebnis neue Beweise erheben oder fehlerhafte Beweis­ erhebungen wiederholen (Art. 343 I, II StPO CH). Das abgekürzte Verfahren ist gem. Art. 358 II StPO CH ausgeschlossen, wenn die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verlangt. Damit ist Schwerstkriminalität a priori ausgenommen. Ähnlich wie in Deutschland bei der Verständigung können gem. Art. 362 IV StPO CH Erklärungen der Parteien, die im Hinblick auf das abgekürzte Verfahren abgegeben worden sind, nach Ableh290  Diesem Vorgehen zumindest vergleichbar ist in Deutschland das vereinfachte Jugendverfahren, vgl. dazu §§ 76–78 JGG, insb. § 77 I 1 Halbs. 2 Var. 3 JGG, der ein vereinfachtes Jugendverfahren ausschließt, wenn eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich ist. Daher ist auch bei diesem Verfahren tunlichst ein Geständnis nötig. Ebenfalls vergleichbar ist das beschleunigte Verfahren gem. §§ 417–420 StPO D. Bei diesem ist ein einfacher Sachverhalt oder eine klare Beweislage erforderlich. 291  Dazu mehr bei Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 88 ff. m. w. Nachw. 292  Anders aber BGE 139 IV 233 – Urteil vom 24.6.2013, nach dem die Möglichkeit des Widerrufs durch die beschuldigte Person hinzunehmen ist. 293  Siehe oben B. I. 1. d). 294  Siehe oben B. I. 1. c). 295  Vgl. nur Albrecht, ZStrR 2010, 180 (187 ff.); Frank Meyer, StV 2015, 790 (797); Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 90 f.; Riklin, GA 2006, 495 (509). Pieth, ZStrR 2010, 161 (163), spricht von fakultativer Unmittelbarkeit. Zudem sei laut Frank Meyer, StV 2015, 790 (797), das schweizerische Ermittlungsverfahren „weitaus partizipatorischer“.

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C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

nung eines Urteils im abgekürzten Verfahren in einem folgenden ordentlichen Verfahren nicht verwertet werden. Das Rechtsmittel der Berufung ist nach Art. 362 V StPO CH nur möglich, wenn eine Partei geltend macht, sie habe der Anklageschrift nicht zugestimmt oder das Urteil entspreche nicht der Anklageschrift. Ein Rechtsmittel ist also nur bei extremen Abweichungen vom üblichen abgekürzten Verfahren statthaft. Diese Regelung trägt dem zwingenden Rechtsmittelverzicht Rechnung. Systematisch steht das abgekürzte Verfahren in dem Titel „Besondere Verfahren“ unmittelbar nach dem auch in der Schweiz möglichen Strafbefehlsverfahren. a) Antrag des Beschuldigten Der erste Schritt zum abgekürzten Verfahren muss gem. Art. 358 I StPO CH vom Beschuldigten kommen. Er setzt das Verfahren durch einen Antrag bei der Staatsanwaltschaft in Gang. Mit dieser als Sicherungsmaßnahme verstandenen Initiierung durch die beschuldigte Person selbst soll gewährleistet werden, dass sich jeder Beschuldigte freiwillig in das besondere Verfahren begibt; so soll einem hohen Druck seitens der Strafverfolgungsbehörden gegenüber der beschuldigten Person entgegengewirkt werden.296 Damit wird auch die Selbstbelastungsfreiheit gewahrt. Die Staatsanwaltschaft kann den Beschuldigten zwar auf die Möglichkeit eines solchen Verfahrens hinweisen. Ihr ist jedoch nicht erlaubt, die beschuldigte Person mit Versprechungen etwa über den Verfahrensgang unter Druck zu setzen, um ein abgekürztes Verfahren einleiten zu können.297 Der Antrag kann schriftlich bei der Staatsanwaltschaft gestellt oder mündlich zu Protokoll gegeben werden.298 Der frühestmögliche Zeitpunkt für einen Antrag ergibt sich nicht direkt aus dem Gesetz. Ein Antrag soll nicht bereits zu Beginn des polizeilichen Ermittlungsverfahrens gestellt werden, sondern nach den Darlegungen des Schweizerischen Bundesrates erst, wenn der Umfang der strafrechtlichen Verantwortlichkeit „einigermassen klar ersichtlich“ sei, die Parteien sich beispielsweise schon über die wichtigsten Anklagepunkte wie den Sachverhalt und die Strafe geeinigt hätten.299 Der Bundesrat räumt ein, dass dieses Vorgehen 296  Amtliches Bulletin der Bundesversammlung – Nationalrat – vom 20.6.2007, S. 1020 (1030). 297  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1295. 298  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 358 Rn. 2; Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 105 m. w. Nachw. 299  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1295, so auch Pieth, ZStrR 2010, 161 (167 f.); Stadler, Ermessen der Staatsanwaltschaft, 2007, S. 6.



II. Schweizerisches Strafprozessrecht65

vorherige informelle Verhandlungen voraussetze. So erkennt auch das Kanton Freiburg informelle Gespräche ausdrücklich als möglich an.300 Stadler hingegen befürwortet eine differenzierte Lösung: Erste Absprachen seien erst nach der Antragstellung zu treffen, im Antrag selbst muss dementsprechend der Sachverhalt noch nicht eingestanden werden.301 Das widerspricht aber der klaren gesetzlichen Regelung in Art. 358 I StPO CH, die den Antrag mit den Voraussetzungen verknüpft, dass der Beschuldigte den Sachverhalt, der für die rechtliche Würdigung wesentlich ist, eingesteht und die Zivilansprüche zumindest im Grundsatz anerkennt. Pointiert meint Stadler weiter, dass es eines abgekürzten Verfahrens nicht bedürfe, wenn weiterhin informelle Absprachen erlaubt seien.302 Hingegen hat auch in diesem Fall das abgekürzte Verfahren den wichtigen Zweck, die vorgängigen informellen Verhandlungen in gesetzlich geregelte Bahnen zu leiten und die Ergebnisse überprüfbar zu gestalten. Indes muss das Beweisverwertungsverbot gem. Art. 362 IV StPO CH dann aber auch für die informellen Absprachen Geltung erhalten, sollte das abgekürzte Verfahren scheitern. Letztmöglicher Zeitpunkt für den Antrag auf das abgekürzte Verfahren ist gem. Art. 358 I StPO CH unmittelbar vor der Anklageerhebung. Für den Beschuldigten ist vor allem dieser Zeitpunkt sinnvoll, da er dann am besten abschätzen kann, ob es für ihn vorteilhaft ist, ein abgekürztes Verfahren einzuleiten.303 Allerdings eröffnet dieses Vorgehen für die Staatsanwaltschaft, die ja der vorrangige Verhandlungspartner im abgekürzten Verfahren für den Beschuldigten ist, weniger Zeitersparnis. Im Gegenteil könnten sogar die Abspracheverhandlungen – insbesondere über die Rechtsfolgen – das Verfahren in die Länge ziehen.304 Zudem verliert der Beschuldigte so die Möglichkeit, den Sachverhalt strafmindernd selbst aufzuklären. Gem. Art. 130 lit. e StPO CH bedarf der Beschuldigte zwingend eines Verteidigers. Die amtliche Überschrift der Vorschrift lautet „Notwendige Verteidigung“.305 Das Gesetz sagt aber nicht genau, ab wann der Verteidiger bestellt werden muss, sondern nur dass die beschuldigte Person verteidigt werden muss, „wenn ein abgekürztes Verfahren … durchgeführt wird“. Die 300  Richtlinie Nr. 2.4. des Generalstaatsanwalts vom 9. Mai 2011 betreffend das abgekürzte Verfahren, Ziffer  5, abrufbar unter https: /  / www.fr.ch / mp / files / pdf80 / Richt linie_2_4__abgekuerztes_Verfahren_28022011.pdf, zuletzt aufgerufen am 19.4.2018. 301  Stadler, Ermessen der Staatsanwaltschaft, 2007, S. 7. 302  Stadler, Ermessen der Staatsanwaltschaft, 2007, S. 6. 303  So auch Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 106 m. w. Nachw. 304  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 358 Rn. 10. 305  So auch § 140 StPO D. Beide Prozessordnungen vermeiden tunlichst den abschätzigen Begriff „Pflichtverteidigung“. Vgl. aber §§ 141–145 StPO D, die allesamt seit dem 18.7.2015 den Begriff „Pflichtverteidiger“ in der amtlichen Überschrift nennen (BGBl. I 2015 Nr. 31, S. 1333, 1340, vom 17.7.2015, Inkrafttreten am 18.7.2015).

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C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

Bezeichnung „Durchführung“ findet sich in den Art. 358 StPO CH und Art. 359 StPO CH wieder. Gem. Art. 358 I StPO CH kann der Beschuldigte die Durchführung des abgekürzten Verfahrens beantragen. Das impliziert, dass die Durchführung zeitlich erst nach dem Antrag liegt, der Verteidiger also erst nach dem Antrag zu bestellen ist. Nach Art. 359 I 1 StPO CH entscheidet die Staatsanwaltschaft über die Durchführung endgültig. Der Verteidiger müsste unter diesen Prämissen also gar erst nach der Entscheidung der Staatsanwaltschaft bestellt werden, was kritikwürdig ist. Denn bereits deutlich früher werden vielfach schon informelle Gespräche über das Verfahren geführt und insbesondere muss die beschuldigte Person bereits mit ihrem Antrag den Sachverhalt eingestehen (Art. 358 I StPO CH). Die notwendige Verteidigung soll ein weiteres Sicherungsmittel für den Beschuldigten sein.306 Aus Art. 3 StPO CH – insbesondere Abs. 2 lit. c – sowie Art. 107 II StPO CH, die die grundlegendsten Verfahrensrechte sichern sollen, kann daher eine Pflicht der Strafverfolgungsbehörden abgeleitet werden, dem Beschuldigten bereits bei den ersten Gesprächen über das abgekürzte Verfahren einen Verteidiger zu bestellen. Gem. Art. 131 I StPO CH achtet die Verfahrensleitung darauf, dass im Falle notwendiger Verteidigung eine solche unverzüglich bestellt wird. Wenn bei notwendiger Verteidigung die beschuldigte Person trotz Aufforderung der Verfahrensleitung keine Wahlverteidigung bestimmt oder der Wahlverteidigung das Mandat entzogen wurde oder diese es niedergelegt hat und die beschuldigte Person nicht eine neue Wahlverteidigung bestimmt, so ordnet die Verfahrensleitung eine amtliche Verteidigung an und bestellt diese (Art. 132 I lit. a, 133 I StPO CH). Im Stadium der ersten Gespräche über das abgekürzte Verfahren leitet nach Art. 61 lit. a StPO CH (bis zur Einstellung oder Anklageerhebung) die Staatsanwaltschaft das Verfahren. Sie bestellt demnach – anders als im deutschen Recht (§§ 141 IV, 142 I 2 StPO D) – die amtliche Verteidigung. Dies stellt einen nicht zu unterschätzenden prozessökonomischen Vorteil dar, zumal nach § 141 IV Var. 1 StPO D zur Feststellung des zuständigen Gerichts noch eine Prognoseentscheidung erforderlich ist (§§ 24 I, 25, 28, 74 I GVG), die im frühen Verfahrensstadium nicht selten recht problembehaftet ist. Bei der deutschen Verständigung ist – wie bereits gezeigt307 – kaum ein Fall einer Verständigung mit einem unverteidigten Beschuldigten denkbar. Zumindest insoweit sind also kaum Unterschiede zur schweizerischen Situation erkennbar.

306  Amtliches Bulletin der Bundesversammlung – Nationalrat – vom 20.6.2007, S. 1020 (1030). 307  Siehe oben B. I. 1. g).



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b) Aufgaben der Staatsanwaltschaft Voraussetzungen für die Durchführung des abgekürzten Verfahrens sind gem. Art. 358 StPO CH das Eingeständnis des Beschuldigten den Sachverhalt betreffend, der für die rechtliche Würdigung wesentlich ist, die grundsätzliche Anerkennung etwaiger Zivilansprüche sowie eine Straferwartung von höchstens fünf Jahren Freiheitsstrafe. Diese Voraussetzungen werden von der Staatsanwaltschaft geprüft, die dann nach Art. 359 I 1 StPO CH über die Durchführung endgültig entscheidet. Diese Entscheidung muss nicht begründet werden (Art. 359 I 2 StPO CH). Die beschuldigte Person muss zunächst durch ein glaubhaftes Geständnis die bis dahin ermittelten objektiven und subjektiven Tatumstände im Rahmen einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung einräumen. Das Geständnis muss der Staatsanwaltschaft die Subsumtion unter den Tatbestand ermöglichen, der eingeräumte wesentliche Sachverhalt muss also die Tatbestandsmäßigkeit, die Rechtswidrigkeit und die Schuld erkennbar werden lassen.308 Zusätzlich gehören nach Auffassung von Stadler zum wesentlichen Sachverhalt auch die Elemente, die die Bestimmung des zu erwartenden Strafrahmens erlauben.309 Zum Geständnis gehöre auch, unter welchen Umständen die Tat begangen wurde310 und ob der beschuldigten Person bewusst war, dass sie einen Straftatbestand verwirklicht. Letzteres entspricht dem subjektiven Tatbestand. Nicht erforderlich sei hingegen, dass der Beschuldigte den Sachverhalt in allen Nebenaspekten eingesteht. Dafür spricht, dass solche nicht wesentlich für die rechtliche Würdigung sind. Tatsachen, die für diese rechtliche Würdigung ohne Bedeutung sind, braucht der Beschuldigte nach dem Gesetz nicht anzugeben. So ist bei einigen Autoren in der Literatur nur von einem Sachverhaltsgeständnis und nicht von einem Schuldgeständnis die Rede.311 In Art. 160 StPO CH wird jedoch festgelegt, dass bei einer geständigen Person die „Glaubwürdigkeit [sic – besser: Glaubhaftigkeit] ihres Geständnisses“ durch die Staatsanwaltschaft (und auch durch das Gericht) zu prüfen ist. Der Beschuldigte wird darüber hinaus aufgefordert, die näheren Umstände der Tat genau zu bezeichnen. Der Umfang des Geständnisses muss also eine hinreichende Überprüfbarkeit ermöglichen. Man könnte einwenden, dass Art. 358 I StPO CH nur verlangt, dass der Beschuldigte den Sachverhalt eingesteht, der für die rechtliche Würdigung wesentlich ist, die Regelung des 308  Vgl. Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 358 Rn. 14; Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 111 m. w. Nachw.; Stadler, Ermessen der Staatsanwaltschaft, 2007, S. 4. 309  Stadler, Ermessen der Staatsanwaltschaft, 2007, S. 4; sich dem anschließend Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 358 Rn. 14. 310  Vgl. in Deutschland § 46 II StGB D. 311  Siehe nur Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 111 m. zahlr. Nachw.

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C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

Art. 160 StPO CH hierdurch also für das spezielle Verfahren eine Einschränkung erfährt. Überzeugender ist es aber, den Art. 160 StPO CH als allgemeinen Grundsatz aufzufassen, der auch systematisch unter dem 4. Titel (Beweismittel) den Titeln 6–8 der StPO CH über Vorverfahren, erstinstanzliches Hauptverfahren und besondere Verfahren vorangestellt ist und somit generelle Bedeutung hat. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass Art. 361 II lit. a und b StPO CH eine gerichtliche Überprüfung des Geständnisses fordert, wie dies auch schon Art. 160 StPO CH vorschreibt. Über das Geständnis hinaus muss die beschuldigte Person etwaige Zivil­ ansprüche zumindest im Grundsatz anerkennen. Dies kann der Beschuldigte schriftlich, protokollarisch oder durch einen Vergleich mit dem Privatkläger erreichen.312 Hinsichtlich der Höhe der Ansprüche verhält sich das Gesetz nicht ausdrücklich. Auch der Bundesrat formuliert in der Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts nicht eindeutig: „… entweder bloss dem Grundsatz nach oder auch hinsichtlich der Höhe.“313 Aus dem Wortlaut „zumindest“ (Art. 358 I StPO CH) kann geschlossen werden, dass die Ansprüche nur dem Grunde nach anerkannt werden müssen, die Höhe der Ansprüche kann freilich ebenfalls schon anerkannt werden. Dies entspricht auch der gängigen Verfahrensweise beim schweizerischen Adhäsionsverfahren nach Art. 122 ff. StPO CH, bei dem gem. Art. 126 III 1 StPO CH das Gericht die Zivilklage auch nur dem Grundsatz nach entscheiden und sie im Übrigen auf den Zivilweg verweisen kann, wenn die vollständige Beurteilung des Zivilanspruchs unverhältnismäßig aufwändig wäre.314 Zuletzt prüft die Staatsanwaltschaft die Voraussetzung des Art. 358 II StPO CH, nach dem das abgekürzte Verfahren ausgeschlossen ist, wenn die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verlangt. Die Staatsanwaltschaft muss sich also bereits zu diesem Zeitpunkt in der Rechtsfolge bis zu dieser Grenze festlegen. Die Prüfung der Rechtsfolgenerwartung wird ihr dadurch ermöglicht, dass sie meist schon umfangreiche Beweiserhebungen angestellt hat und somit die rechtsfolgenerheblichen Umstände berücksichtigen kann. Sollten diese dagegen zu einer Einschätzung noch nicht hinreichend tragfähig sein, so müssen zunächst weitere Ermittlungen durchgeführt werden. An eine Frist ist die Staatsanwaltschaft dabei dem Gesetz nach nicht gebunden (im Gegensatz zu den übrigen Parteien, die nach Mitteilung der Durchführung des abgekürzten Verfahrens bzw. nach Eröffnung 312  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 358 Rn. 26; Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 114 m. w. Nachw. 313  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1295. 314  Zum Adhäsionsverfahren in Deutschland vgl. §§ 403 ff. StPO D, insb. § 406 I 2 StPO D, der dem Gericht ebenfalls die Möglichkeit gibt, die Entscheidung auf den Grund oder einen Teil des geltend gemachten Anspruchs zu beschränken.



II. Schweizerisches Strafprozessrecht69

der Anklageschrift innerhalb von zehn Tagen Erklärungen abgeben müssen, vgl. Art. 359 II StPO CH für die Anmeldung von Zivilansprüchen durch die Privatklägerschaft und Art. 360 II 2 StPO CH für die Zustimmung oder Ablehnung der Anklageschrift durch die Parteien). Zu beachten ist allerdings, dass gem. Art. 29 I der Schweizerischen Bundesverfassung jede Person in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innerhalb angemessener Frist hat. Ganz ähnlich sind diese Rechte auch in Art. 3 II lit. a, b und vor allem lit. c StPO CH und in Art. 6 I 1 EMRK kodifiziert. Gem. Art. 359 I 1 StPO CH entscheidet die Staatsanwaltschaft über die Durchführung des abgekürzten Verfahrens endgültig. Sie ist dabei, auch wenn die Voraussetzungen für die Durchführung eines abgekürzten Verfahrens gegeben sind, frei, dieses zu genehmigen oder dem strikten Legalitätsprinzip den Vorzug zu gewähren.315 Die beschuldigte Person hat also keinen Anspruch auf die Durchführung des abgekürzten Verfahrens, sondern nur auf ermessensfehlerfreie Entscheidung.316 Die Entscheidung muss nicht begründet werden, Art. 359 I 2 StPO CH. Das Gesetz verwendet den Begriff „endgültig“. Damit ist in erster Linie gemeint, dass gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft keine Rechtsmittel möglich sein sollen,317 insbesondere keine Beschwerde. Eine solche könnte sich allenfalls aus Art. 393 StPO CH – insbesondere Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit. a (Missbrauch des Ermessens)318 – ergeben. Dies verbietet sich aber auf Grund des Art. 380 StPO CH,319 bei dem genau diese Formulierung „endgültig“ wieder auftaucht. Dagegen soll die Staatsanwaltschaft selbst ihre Entscheidung noch verändern können, etwa wenn sie nach Ablehnung später doch auf das abgekürzte Verfahren zurückkommen möchte oder wenn sie ein bereits eingeleitetes abgekürztes Verfahren nicht mehr weiter betreiben möchte oder gar kann.320 Das ergibt sich allein schon aus der Notwendigkeit, reagieren zu können, wenn neue Straftaten oder die Straferwartung erhöhende Umstände erkennbar werden und die zu 315  Weisungen der Oberstaatsanwaltschaft (Zürich) für das Vorverfahren (WOSTA) vom 1. April 2018, Ziffer 14.3.2., S. 256, abrufbar unter https: /  / staatsanwaltschaften. zh.ch / internet / justiz_inneres / staatsanwaltschaften / de / Strafverfahren1 / ErlasseSVE / _ jcr_content / contentPar / downloadlist_1389704831902 / downloaditems / 165_1523 005135346.spooler.download.1523005682344.pdf / WOSTA+_01.04.2018.pdf, zuletzt aufgerufen am 19.4.2018. 316  So auch Stadler, Ermessen der Staatsanwaltschaft, 2007, S. 7, 23; Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 117 f. m. w. Nachw. 317  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1296: „… ihr Entscheid kann nicht angefochten werden.“ 318  In der deutschen Strafrechtspraxis ist eine deutlich erweiterte Rügemöglichkeit im Revisionsverfahren eröffnet, wenn Willkür erkennbar ist. 319  So auch Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 359 Rn. 3. 320  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 359 Rn. 3.

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verlangende (Art. 358 II StPO CH) Strafe hiernach auf über fünf Jahre anwächst. Von diesem Ergebnis geht auch der Gesetzgeber aus, wenn er formuliert, dass der Entscheid lediglich nicht angefochten werden könne.321 Mit „endgültig“ ist also nur gemeint, dass den Rechtsmittelinstanzen eine Überprüfung der Entscheidung entzogen ist.322 Sollte sich die Staatsanwaltschaft für die Durchführung des abgekürzten Verfahrens entscheiden, so teilt sie dies gem. Art. 359 II StPO CH den Parteien mit und setzt der Privatklägerschaft eine Frist von zehn Tagen, um Zivilansprüche und die Forderung auf Entschädigung für notwendige Aufwendungen im Verfahren anzumelden. Sollte die Privatklägerschaft ihre Ansprüche und Forderungen nicht innerhalb der zehn Tage anmelden, so kann sie diese nicht mehr im abgekürzten Verfahren, sondern nur noch auf dem Zivilrechtsweg geltend machen.323 Auch wenn in Art. 359 II StPO CH nur die Mitteilung bei Durchführung des abgekürzten Verfahrens vorgeschrieben ist, hat die Staatsanwaltschaft auch die Pflicht, die Ablehnung des Verfahrens den Beteiligten mitzuteilen. Das folgt aus einem Umkehrschluss aus Art. 359 I 2 StPO CH, denn auch wenn sie die Entscheidung nicht begründen muss, so ist aus dieser Vorschrift doch ein Offenbarungserfordernis ­abzuleiten. Dieses Ergebnis bestätigt auch Art. 84 V StPO CH. Wer die zu benachrichtigenden Parteien sind, richtet sich nach Art. 104 I StPO CH ­ ­(beschuldigte Person und Privatklägerschaft). Lehnt die Staatsanwaltschaft die Durchführung des abgekürzten Verfahrens ab, so führt sie ein ordentliches Vorverfahren (Art. 299 ff. StPO CH) durch. Art. 362 IV StPO CH ist unmittelbar zwar nur für den Fall des gescheiterten Urteils im abgekürzten Verfahren anwendbar. Geständnis oder anderweitige Leistungen bei der Aufklärung durch den Beschuldigten oder Erklärungen der Privatklägerschaft, die mit Blick auf das abgekürzte Verfahren abgegeben worden sind, sind in diesem Fall dennoch analog Art. 362 IV StPO CH nicht verwertbar.324 Alle Beweise, die unabhängig vom abgekürzten Verfahren bereits erhoben wurden, sind verwertbar.325 Die Staatsanwaltschaft muss die Untersuchung aber wieder aufnehmen und die bereits erhobenen Beweise gegebenenfalls ergänzen, um das Vorverfahren gem. Art. 308 I, 318 I 1 StPO CH 321  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1296: „… ihr Entscheid kann nicht angefochten werden.“ 322  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 359 Rn. 3. 323  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1296. 324  Für analoge Anwendung auch Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 358 Rn. 24, Art. 360 Rn. 42 f.; Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 124; jew. m. zahlr. Nachw. aus der Literatur. In der deutschen Verständigung regelt § 257c IV 3 StPO D ein Beweisverwertungsverbot, siehe dazu oben B. II. 2. 325  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 360 Rn. 44.



II. Schweizerisches Strafprozessrecht71

abschließen zu können.326 Das Gleiche gilt auch für das Durchführungsverfahren (dazu sogleich), wenn die Privatklägerschaft die Anklageschrift ablehnt oder der Beschuldigte der Anklageschrift nicht zustimmt. c) Das Durchführungsverfahren aa) Ermittlungen Das Durchführungsverfahren hat die Erstellung der Anklageschrift gem. Art. 360 I StPO CH zum Ziel, die nach Art. 362 II StPO CH die wesentliche Grundlage für das spätere Urteil im abgekürzten Verfahren bildet. Damit diese Anklageschrift hinreichende Aussicht auf die erforderliche Zustimmung der Parteien hat, müssen diese im Vorfeld in Verhandlungen treten. Das ist eine logische Abfolge; das Gesetz selbst sagt über diese Vorverhandlungen – der schweizerische Gesetzgeber spricht von Absprachen327 – nichts aus. Vornehmlich der Beschuldigte und die Staatsanwaltschaft müssen sich insbesondere über die vorgeworfenen Taten (Art. 360 I lit. a i. V. m. Art. 325 I lit. f StPO CH), Strafmaß, Maßnahmen (Art. 56–73 StGB CH, etwa ein Berufsverbot gem. Art. 67 ff. StGB CH, Fahrverbot328 nach Art. 67e StGB CH oder Einziehungen gem. Art. 69 ff. StGB CH), Weisungen bei Gewährung des bedingten Strafvollzugs (Art. 360 I lit. b–d StPO CH) und sonstige Folgen des Verfahrens ins Benehmen setzen, denn die Zustimmung des Beschuldigten ist für den Erfolg des abgekürzten Verfahrens zwingend notwendig. Die Anklageschrift muss über die im ordentlichen Verfahren erforderlichen Angaben gem. Art. 325 f. StPO CH hinaus – analog zu den soeben dargestellten Vorverhandlungen – auch das Strafmaß, etwaige Maßnahmen, Weisungen für den Fall des bedingten Strafvollzugs, den Widerruf von bedingt ausgesprochenen früheren Sanktionen oder Entlassungen aus dem Sanktionsvollzug, die Regelung der zivilrechtlichen Ansprüche der Privatklägerschaft, die Kosten- und Entschädigungsfolgen sowie den Hinweis an die Parteien enthalten, dass diese mit der Zustimmung zur Anklageschrift auf ein ordentliches Verfahren und auf Rechtsmittel verzichten (Art.  360  I lit.  a–h StPO CH). Gem. Art. 360 II 1, 2 StPO CH eröffnet die Staatsanwaltschaft den Parteien die Anklageschrift und setzt ihnen eine Frist von zehn Tagen, innerhalb derer sie der Anklageschrift zustimmen oder diese ablehnen können. Die Zustimmung ist unwiderruflich (Art. 360 II 3 StPO CH). Wenn die Privatklägerschaft nicht innerhalb von zehn Tagen die Anklageschrift schriftlich ablehnt, so gilt ihre Zustimmung als erteilt (Art. 360 III i.  V.  m. 326  Greiner / Jaggi,

in: Basler Kommentar, Art. 360 Rn. 37. zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1294 ff. 328  Nach dem deutschen StGB keine Maßnahme, sondern eine Nebenstrafe. 327  Botschaft

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C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

Art. 360 II 2 StPO CH). Stimmen die Parteien der Anklageschrift zu, übermittelt die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift mit den Akten dem erstinstanzlichen Gericht (Art. 360 IV StPO CH). Lehnt einer der Beteiligten die Anklageschrift ab, so führt die Staatsanwaltschaft ein ordentliches Vorverfahren durch (Art. 360 V StPO CH). Fraglich ist, ob die Staatsanwaltschaft im abgekürzten Verfahren die materielle Wahrheit zu ermitteln sucht, wie es im deutschen Strafprozessrecht zwingend (§ 244 II StPO D) und auch im ordentlichen schweizerischen Vorverfahren vorgesehen ist (Art. 6 StPO CH), oder ob über eine Absprache lediglich die formelle Wahrheit ermittelt wird, also der Sachverhalt zu Grunde gelegt wird, der ausgehandelt wurde, und nur als wahr gilt.329 Die formelle Wahrheit gründet sich dabei allein auf dem Konsens zwischen Staatsanwaltschaft und Beschuldigtem. Für die zweitgenannte Auffassung spricht insbesondere, dass gem. Art. 361 IV StPO CH kein Beweisverfahren stattfindet. Der Untersuchungsgrundsatz nach Art. 6 StPO CH gelte nicht und die Strafverfolgungsbehörde könne sich „nicht annähernd sicher sein“, ob der eingestandene Sachverhalt der Wirklichkeit entspricht.330 Das erstinstanzliche Gericht prüfe nur, ob die Erklärung des Beschuldigten mit der Aktenlage übereinstimmt oder nicht. Dafür kann auch Art. 361 II lit. b StPO CH angeführt werden. Art. 362 V StPO CH bestimmt schließlich, dass mit der Berufung gegen ein Urteil im abgekürzten Verfahren nur geltend gemacht werden kann, dass der Anklageschrift nicht zugestimmt wurde oder das Urteil nicht der Anklageschrift entspreche. Auch das streitet für die Außerkraftsetzung des Untersuchungsgrundsatzes im abgekürzten Verfahren, denn im ordent­ lichen Verfahren kann das Berufungsgericht das Urteil in allen angefochtenen Punkten umfassend überprüfen (Art. 398 II StPO CH); insbesondere kann gem. Art. 398 III lit. b StPO CH die unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts gerügt werden. Donatsch / Cavegn führen für diese ihre Ansicht weiter ins Feld, dass beim Vergleich zwischen abgekürztem Verfahren und Strafbefehlsverfahren die Revision gem. Art. 410 I StPO CH ausdrücklich nur gegen Strafbefehle, nicht aber gegen Entscheide im abgekürzten Verfahren möglich sei.331 Sie übersehen hierbei, dass gem. Art. 362 II 1 StPO CH das Gericht die Straftatbestände, Sanktionen und Zivilansprüche 329  So beispielsweise im US-amerikanischen Strafprozessrecht. Dazu instruktiv Brodowski, ZStW 124 (2012), 733, der sich zur Differenzierung zwischen formeller und materieller Wahrheit allerdings kritisch äußert (siehe dazu Brodowski, ZStW 124 [2012], 733 [763 f. Fn. 192]). Zu Recht kritisch zum US-amerikanischen Modell etwa Herzog, GA 2014, 688 (692 f.), z. B. „In ihrer unauflösbaren Verbindung mit der Gerechtigkeit kann Wahrheit nicht disponibel … gemacht werden“. Ähnlich auch Malek, StV 2011, 559 (561): „Anreiz zum wahrheitswidrigen Zeugnis“. 330  Donatsch / Cavegn, ZStrR 2008, 158 (162). 331  Donatsch / Cavegn, ZStrR 2008, 158 (162).



II. Schweizerisches Strafprozessrecht73

der Anklageschrift im abgekürzten Verfahren zum Urteil erhebt und gegen rechtskräftige Urteile grundsätzlich ja die Revision gem. Art. 410 I StPO CH zulässig ist. Allerdings ergibt sich aus den Vorschriften zum abgekürzten Verfahren selbst, dass eine Revision gegen Urteile im abgekürzten Verfahren nicht möglich ist, denn die Beteiligten stimmen hierbei der Anklageschrift zu, die nach Art. 360 I lit. h StPO CH den Hinweis enthält, dass die Parteien auf Rechtsmittel verzichten, und somit bindend für die Beteiligten ist.332 Zudem spricht Art. 362 V StPO CH nur von der Berufung und auch diese ist nur in äußerst beschränktem Rahmen zulässig. Zu beachten ist aber, dass Art. 6 StPO CH als Grundsatz und damit als Ziel des Gesetzgebers ausformuliert ist, die materielle Wahrheit zu erforschen.333 Dass gem. Art. 361 IV StPO CH kein Beweisverfahren stattfindet, spricht nicht generell gegen dieses Ansinnen, denn die Vorschrift bezieht sich nur auf die Hauptverhandlung vor Gericht, nicht aber auf die staatsanwaltschaftliche Beweiserhebung. Entscheidend ist also auch hier wieder334 die Systematik der schweizerischen Strafprozessordnung. Solange die (allgemeinen) Grundsätze durch das spe­ zielle Verfahren nicht ausdrücklich außer Kraft gesetzt werden, gelten diese unverändert fort.335 Das Gleiche gilt wiederum auch für Art. 160 StPO CH, der von der Staatsanwaltschaft fordert, das Geständnis der beschuldigten Person zu prüfen und diese aufzufordern, die näheren Umstände der Tat genau zu bezeichnen. Ergeben sich hierbei Unstimmigkeiten, muss die Staatsanwaltschaft weiter ermitteln und Beweise erheben. Zudem befragt selbst das Gericht im abgekürzten Verfahren die beschuldigte Person (Art. 361 II StPO CH) und „wenn nötig“ auch die übrigen anwesenden Parteien (Art. 361 III StPO CH). Maßgeblich ist also auch im abgekürzten Verfahren die materielle Wahrheit. Dieses Ergebnis scheint auch der Gesetzgeber zu bestätigen, wenn er bezüglich der Regelungen für die Hauptverhandlung und das Urteil ausführt: „Die Gründe für eine Verweigerung der Genehmigung können … im Materiellen liegen (z. B. für das Gericht ungenügender Konnex zwischen den Straftaten, die in den vorhandenen Untersuchungsakten erscheinen, und jenen, die in der Anklage erscheinen).“336 Hier wird klargestellt, dass das Ergebnis des Durchführungsverfahrens in Form der Anklageschrift in Einklang mit der Aktenlage stehen muss. Auch Art. 361 II lit. a und b StPO CH richtet die entsprechende Forderung an das Gericht. Damit 332  So auch die ausdrückliche Intention des Gesetzgebers, siehe Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1297. 333  So zum generellen Verständnis des Art. 6 StPO CH auch Melunovic / Joset, Anwaltsrevue 2015, 251 (253) m. w. Nachw. 334  Wie bereits oben C. II. 1. b) zum Umfang des Geständnisses. 335  Siehe hierzu auch Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1289. 336  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1297.

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C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

ist das sogenannte „fact bargaining“, bei welchem eine Absprache über den Sachverhalt getroffen und dieser ausgehandelt – gar konstruiert – wird, unzulässig und verstößt gegen Art. 6 StPO CH.337 Ein solches fact bargaining kann sogar eine Strafbarkeit des absprechenden Staatsanwalts wegen Urkundenfälschung im Amt (Art. 317 StGB CH) und Begünstigung (Art. 305 I StGB CH) begründen.338 Die Staatsanwaltschaft hat die materielle Wahrheit zu ermitteln. Mit dem fact bargaining ist bereits die erste von drei zu unterscheidenden Formen (Unterbegriffe) der US-amerikanischen Verständigung, dem sogenannten „plea bargaining“ (Oberbegriff), angesprochen. Das plea bargaining war Vorbild des schweizerischen abgekürzten Verfahrens.339 In dieses haben auch die beiden verbleibenden Verhandlungsformen – das „charge bargain­ ing“ und das „sentence bargaining“ – ansatzweise Einlass gefunden. Beim charge bargaining wird eine Vereinbarung über die Anklage getroffen, beim sentence bargaining einigen sich die Beteiligten über das konkrete Strafmaß oder den bedingten Vollzug der Strafe.340 Ersteres hat verschiedene Unterformen341: Zunächst kann sich der Staatsanwalt bereit erklären, einige Anklagepunkte nicht weiter zu verfolgen (sogenanntes „dismissal agreement“), indem er beispielsweise bei vielen einzelnen Betrugstaten nur die schwersten verfolgt oder bei einem Wohnungseinbruchsdiebstahl eine geringfügige Sachbeschädigung, die im Gegensatz zur Diebstahlstat nicht ins Gewicht fällt, fallen lässt. Dieses Vorgehen ist mit der deutschen Regelung in § 154 StPO D vergleichbar und findet auch in dem schweizerischen Art. 8 II lit. a StPO CH Anklang. Ferner könnte die Staatsanwaltschaft die Anklage auf ein geringfügigeres Delikt reduzieren (sogenanntes „charge-reduction agreement“), z. B. anstelle eines qualifizierten Tatbestands nur den Grundtatbestand oder anstelle von Mittäterschaft nur Gehilfenschaft anklagen. Beim sentence bargaining können die Verfahrensbeteiligten im abgekürzten Verfahren eine Absprache über die konkreten Rechtsfolgen, also vor allem über das Strafmaß treffen. Dementsprechend findet sich im schweizerischen Recht in Art. 360 I lit. b StPO CH die Regelung, wonach die Anklage337  So im Ergebnis auch Stohner, forumpoenale 2015, 168 (169). Exemplarisch zur Kuriosität des „fact bargaining“ in den USA Brodowski, ZStW 124 (2012), 733 (749), wenn z. B. aus einem Einbruch zu nächtlicher Stunde (in den USA ein Qualifikationstatbestand) ein „Einbruch bei Tag“ gemacht wird. 338  Vgl. dazu auch Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 137 f.; Stohner, forumpoenale 2015, 168 (169); jew. m. w. Nachw. 339  Vgl. Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Vor Art. 358–362 Rn. 24; Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 130; jew. m. w. Nachw. 340  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Vor Art. 358–362 Rn. 26, 28. 341  Vgl. zu diesen Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Vor Art. 358–362 Rn. 27 m. w. Nachw.



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schrift das Strafmaß enthalten muss. Ziel der Staatsanwaltschaft bei dieser Absprache wird regelmäßig sein, ein Geständnis der beschuldigten Person zu erlangen, um die Sachverhaltsaufklärung hierdurch zu erleichtern. Für den Beschuldigten wiederum ist das festgesetzte Strafmaß Anreiz und Anlass, sich auf eine solche Absprache einzulassen. Das Geständnis kann strafmindernd berücksichtigt werden, wenn es auf Einsicht in das begangene Unrecht oder auf Reue schließen lässt oder der Täter dadurch zur Aufdeckung der eigenen Tat beiträgt,342 wobei auch das Schweizerische Bundesgericht zutreffend ein reuiges Geständnis deutlich stärker gewichtet als ein taktisches: „Denn dieses Geständnis ist, um es noch einmal festzuhalten, ein besonderes. Der Beschwerdeführer hat gemäss den Ausführungen im angefochtenen Entscheid die Straftaten von sich aus gestanden, ohne grösseren Vorhalten ausgesetzt gewesen zu sein.“343 Ein solches Schuldanerkenntnis kann für das Opfer bzw. die geschädigte Partei eine gewisse immaterielle Genugtuung darstellen.344 Ein Geständnis aus aufrichtiger Reue sehen auch Greiner / Jaggi als besonders strafmindernd an, wobei Freiwilligkeit, Zeitpunkt, Grund und Umfang des Geständnisses eine besondere Rolle spielen sollen.345 Das taktische Geständnis trägt aber gleichwohl zur Tataufklärung über den eigenen Tatanteil bei und kann daher ebenfalls – wenn auch in deutlich geringerem Umfang – strafmindernd berücksichtigt werden.346 Im Übrigen gelten die Regelungen zur Strafzumessung (Art. 47 ff. StGB CH) auch im abgekürzten Verfahren,347 anderenfalls wird die Absprache die spätere Prüfung der Angemessenheit durch das urteilende erstinstanzliche Gericht im Hauptverfahren nicht bestehen.348 Die Staatsanwaltschaft kann gem. Art. 8 II lit. a StPO CH auf die Strafverfolgung von solchen Taten verzichten, denen neben den anderen der beschuldigten Person zur Last gelegten Taten für die Festsetzung der zu erwartenden 342  Ständige Rechtsprechung, vgl. BGE, 118  IV  342 (349) – Urteil vom 11.12.1992; BGE, 121 IV 202 (205  f.) – Urteil vom 25.9.1995; BGer, 6B_582 / 2013 vom 20.02.2014, Erwägung 3.4. Vgl. dazu Stohner, forumpoenale 2015, 168 (170): „Strafreduktion im Bereich von einem Fünftel bis zu einem Drittel“. Vgl. in Deutschland die §§ 46 ff. StGB D. Sogenannte „Kronzeugenregelungen“ finden sich in § 46b StGB D und besonders auch in § 31 BtMG. Zu Letzteren siehe etwa Kinzig, in: Schönke / Schröder, § 46b Rn. 1 f. 343  BGE, 121 IV 202 (206) – Urteil vom 25.9.1995. Ähnlich wie dargestellt sehen es auch Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 358 Rn. 18. 344  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 18. 345  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 358 Rn. 52. 346  Vgl. hierzu Stohner, forumpoenale 2015, 168 (170) m. w. Nachw., der aber auch erwägt, die Strafminderung ganz entfallen zu lassen, da ein taktisch geprägtes Geständnis nicht von Reue oder Einsicht zeugt. 347  So auch Stohner, forumpoenale 2015, 168 (170). 348  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 358 Rn. 48.

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Strafe oder Maßnahme keine wesentliche Bedeutung zukommt (dismissal agreement).349 Dabei verfügt die Staatsanwaltschaft, dass entweder kein Verfahren eröffnet oder aber – was vorzugswürdig ist – das laufende Verfahren eingestellt wird (Art. 8 IV StPO CH). Dies ist Ausnahme vom Legalitätsprinzip (Art. 7 I StPO CH)350 und Ausdruck des Opportunitätsprinzips351 und somit in das Ermessen der Staatsanwaltschaft gestellt. Die Ermessensausübung hierüber kann Gegenstand einer Absprache im abgekürzten Verfahren sein. Die Teileinstellung kann also „Gegenleistung“ für ein Geständnis oder anderweitige Aufklärungshilfe sein. Es gilt hierbei zu beachten, dass die beschuldigte Person allein schon aus Gründen des fairen Verfahrens vor weiterer Verfolgung der eingestellten Taten nach dem Grundsatz „ne bis in idem“ geschützt werden muss. Deshalb sollten beim abgekürzten Verfahren die Fälle, denen neben den anderen keine wesentliche Bedeutung zukommt, eingestellt werden, statt lediglich kein Verfahren zu eröffnen (vgl. Art. 8 IV StPO CH), denn eine rechtskräftige Einstellungsverfügung kommt einem freisprechenden Endentscheid gleich (Art. 320 IV StPO CH). Regelmäßig wird gem. Art. 309 StPO CH aber zum Zeitpunkt der Absprache ohnehin schon ein Verfahren eröffnet worden sein, welches dann eingestellt werden kann.352 Sinnvoll und wichtig ist es dabei, die Teileinstellung mit der Rechtskraft des Urteils, dem das abgekürzte Verfahren zu Grunde liegt, zu verknüpfen, um Missbrauchsfällen vorzubeugen, denn andernfalls „würde die Einstellungsverfügung noch während des abgekürzten Verfahrens und unabhängig von dessen Ausgang in formelle und materielle Rechtskraft erwachsen“.353 Wenn jedoch die Staatsanwaltschaft in Vorleistung tritt, indem sie bereits vor dem Urteil Straftaten einstellt, dann entsteht hieraus ein Spannungsverhältnis zum verbindlichen Gesetzeswortlaut in Art. 362 IV StPO CH, nach dem die Leistungen und Gegenleistungen aller Parteien – also auch die der Staatsanwaltschaft – allesamt im Falle des Scheiterns des abgekürzten Verfahrens im späteren ordentlichen Verfahren nicht mehr verbindlich sind.354 Greiner / Jaggi sprechen in diesem Zusammenhang einen erheblichen Schwachpunkt in der 349  Vgl. 350  In

dazu auch die deutschen Regelungen in §§ 154 und 154a StPO D. Deutschland finden sich entsprechende Vorschriften in §§ 152 II, 163 I

StPO D. 351  Stohner, forumpoenale 2015, 168 (169). 352  Dies ist vergleichbar mit der Situation in §§ 154 II und 154a II StPO D. 353  Stadler, Ermessen der Staatsanwaltschaft, 2007, S. 33. Ähnlich auch Stohner, forumpoenale 2015, 168 (171). 354  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 358 Rn. 83; Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1297. So waren aber vor Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung nach der Praxis in den Kantonen BaselLandschaft, Tessin und Zug Einstellungen der Staatsanwaltschaft endgültig, selbst wenn das Gericht den Erledigungsvorschlag der Anklageschrift nicht genehmigte, vgl. Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 358 Rn. 83 m. entsprechenden Nachw.



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gesetzlichen Systematik an, der sich aus Art. 323 StPO CH ergibt, nach dem die Wiederaufnahme eingestellter Taten bei Bekanntwerden neuer Beweismittel und Tatsachen möglich ist.355 Denn wenn nach der hier vertretenen Lösung Taten, denen neben den anderen keine wesentliche Bedeutung zukommt, eingestellt werden, dann stellt es gerade den Regelfall dar, dass diese Taten noch nicht bis ins kleinste Detail beleuchtet worden sind. Hierin besteht ja gerade auch der wesentliche Teil der Zeitersparnis für die Staatsanwaltschaft, die mit dem abgekürzten Verfahren auch dieses Ziel verfolgt. Daher muss Art. 323 StPO CH für die Fälle des abgekürzten Verfahrens tele­ologisch reduziert werden: Sobald das Urteil, mit dem die Teileinstellung verknüpft wurde, rechtskräftig ist, können die eingestellten Taten nicht wiederaufgenommen werden. Anderenfalls ermöglichte die Norm in diesen Fällen unvertretbare Verletzungen des Rechts des Beschuldigten auf ein faires Verfahren. Hiervon könnten jedoch wiederum Rückausnahmen für Fälle sinnvoll sein, bei denen sich aus den neuen Beweisen und Tatsachen eine gänzlich andere rechtliche Bewertung als die ursprünglich angenommene ergibt, etwa wenn dann eine erheblich schwerere Tat in Betracht kommt. Zu denken ist beispielsweise an den Fall, dass ein bloßes Vergehen eingestellt wurde und sich später herausstellt, dass die Tat auch als Verbrechen hätte verfolgt werden können. Dieses Beispiel ist aber mit der deutschen Rechtslage wenig vergleichbar, da sich die Legaldefinitionen in beiden Rechtsordnungen deutlich unterscheiden: Nach § 12 StGB D wird – zutreffend – auf das Mindeststrafmaß abgestellt. So kann dann etwa nach § 153a I 5 StPO D die eingestellte Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden, wenn der Beschuldigte die Auflagen und Weisungen erfüllt hat. In der Schweiz sind dagegen Vergehen lediglich Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht sind, Verbrechen dementsprechend hingegen alle Taten, die mit Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht sind (Art. 10 II, III StGB CH). Damit sind selbst solche Taten als Verbrechen zu kategorisieren, die auch mit Geldstrafe bestraft werden können, etwa der Diebstahl nach Art. 139 StGB CH. Hieran krankt das schweizerische Recht ganz beträchtlich. Rechtssichere trennscharfe Abgrenzungsmöglichkeiten zu finden, gestaltet sich daher als schwierig. Diesem Schwachpunkt muss dann begegnet werden, indem Rückausnahmen abzulehnen sind. Es liegt dann im Risikobereich und in der Gestaltungsmöglichkeit der Staatsanwaltschaft, hinreichend ausführlich zu ermitteln, um solch denkbaren Fällen von vornherein zu begegnen und vorzubeugen.

355  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 358 Rn. 87. Ähnliche Vorschriften sind in Deutschland in §§ 359 ff. StPO D und auch in §§ 211, 174 II StPO D zu finden.

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Im Gegensatz zur Teil­einstellung nach Art. 8 II lit. a StPO CH sind die übrigen Fälle des Art. 8 StPO CH allesamt auf vollständige Einstellung gerichtet, weshalb in diesen Fällen eine Absprache keinen Sinn ergibt. Beim charge-reduction agreement muss zunächst differenziert werden. Wenn die angeklagten Taten mit dem tatsächlichen, das heißt der materiellen Wahrheit entsprechenden Sachverhalt in Einklang zu bringen sind, ist eine solche Absprache grundsätzlich zulässig. So ist beispielsweise eine Gehilfenschaft stets auch ein Minus zur Mittäterschaft und kann somit grundsätzlich unter deren Sachverhalt subsumiert werden. Sie wird erst in der Konkurrenz­ ebene von der Mittäterschaft verdrängt. Dies aber könnte Gegenstand der Vereinbarung sein, denn Gehilfenschaft widerspricht nicht dem ermittelten Sachverhalt. Ähnlich ist auch jeder qualifizierte Diebstahl immer auch ein einfacher Diebstahl. Bei solchen Vereinbarungen handelt es sich aber stets um Absprachen über den Schuldspruch.356 Dies ist mit dem Schuldprinzip nicht in Einklang zu bringen. Daher ist diese Art der Vereinbarung beim abgekürzten Verfahren nicht gestattet. Anders ist es, wenn durch die Vereinbarung z. B. aus einer einsatzfähigen echten Waffe eine Scheinwaffe oder aus einem Wohnungseinbruchsdiebstahl ein bloßer Einbruchsdiebstahl konstruiert wird.357 Denn wenn eine einsatz­ fähige Waffe durch Führen oder gar Verwenden im Spiel ist, kann der Begriff „Scheinwaffe“ nicht unter den Sachverhalt subsumiert werden; eine Wohnung ist per definitionem etwas anderes (und kein Plus) im Vergleich zum Dienstoder Geschäftsraum. Die beiden letztgenannten Beispiele entsprechen somit dem fact bargaining und sind daher, wie oben ausgeführt, als Gegenstand einer Absprache unzulässig.358 Zusätzlich problematisch bei den übrigen Beispielen – jene, die beim charge-reduction agreement der materiellen Wahrheit nicht widersprechen – ist Art. 8 StPO CH. Auch dieser stellt wie Art. 6 StPO CH einen Grundsatz dar. Hätte der Gesetzgeber also eine über diesen Art. 8 StPO CH hinausgehende Opportunitätsbefugnis der Staatsanwaltschaften für das abgekürzte Verfahren zulassen wollen,359 so wäre er gehalten gewesen, dies explizit in den Art. 358–362 StPO CH zu regeln. So bleibt es für den Staatsanwalt grundsätzlich beim Verfolgungszwang gem. Art. 7 I StPO CH mit Ausnahme des Anwendungsbereiches des Art. 8 StPO CH.360 Das charge356  Seppi,

Absprachen, 2011, S. 165. Beispiele stammen grundsätzlich aus der Dogmatik zum deutschen Strafrecht, können aber sinngemäß übertragen werden. 358  Fact bargaining ist demnach eine eigene Unterform des charge bargaining – Brodowski, ZStW 124 (2012), 733 (749), verwendet die beiden Begriffe sogar synonym. 359  Für eine solche Stadler, Ermessen der Staatsanwaltschaft, 2007, S. 33. 360  So auch Stohner, forumpoenale 2015, 168 (169 f.). 357  Alle



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reduction agreement ist damit nicht nur in den letztgenannten Fällen, sondern insgesamt unzulässig. Dieses Ergebnis entspricht auch dem in Deutschland geltenden Verbot der Verständigung über den Schuldspruch gem. § 257c II 3 StPO D. Das dismissal agreement hingegen steht, wie bereits ausgeführt, gerade mit Art. 8 II lit. a StPO CH in Einklang und ist damit auch im abgekürzten Verfahren zulässig. Mithin ist festzuhalten, dass die Staatsanwaltschaft auch im abgekürzten Verfahren die materielle Wahrheit zu erforschen hat. Sie darf sich dabei aber der Instrumente des sentence bargaining und des dismissal agreement bedienen, um ein Geständnis von der beschuldigten Person zu erlangen und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts zu erleichtern. bb) Dokumentation Für die gerichtliche Überprüfung von immenser Bedeutung ist, ob und inwieweit die Absprache dokumentiert wird. Die speziellen Art. 358–362 StPO CH schweigen hierzu. Teile der Literatur in der Schweiz sprechen sich für eine ausführliche Dokumentation und Protokollierung der Absprache aus.361 Dies wird insbesondere mit Art. 76 I StPO CH begründet, der für das gesamte Strafverfahren eine generelle Protokollierungspflicht für Aussagen der Parteien, die mündlichen Entscheide der Behörden sowie alle anderen Verfahrenshandlungen, die nicht schriftlich festgehalten werden, vorsieht.362 Darüber hinaus folgt dies aber auch aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens und dem damit verbundenen Erfordernis, sicherzustellen, dass im abgekürzten Verfahren keine versteckten Absprachen getroffen werden.363 Anderenfalls wären der Staatsanwaltschaft Tür und Tor geöffnet, den Beschuldigten mit unangemessenen „Sanktionsscheren“ unter Druck zu setzen oder sachfremde Erwägungen in die Ermessensentscheidungen einzustellen. Die Dokumentationspflicht dient darüber hinaus der ausreichenden Verteidigung der beschuldigten Person gem. Art. 6 III lit. b EMRK.364 Zudem kann aus Art. 362 I StPO CH eine Überprüfungsbefugnis des Gerichts auch für die Phase der Absprache gefolgert werden, denn es entscheidet insbesondere, ob die Durchführung des abgekürzten Verfahrens rechtmäßig und angebracht ist (Art. 362 I lit. a StPO CH) und ob die beantragten Sanktionen angemessen sind (Art. 362 I lit. c StPO CH). Dieser Überprüfungsbefugnis kann das Ge361  Donatsch / Cavegn, ZStrR 2008, 158 (173); Kaufmann, recht 2009, 152 (161); Stohner, forumpoenale 2015, 168 (171) m. w. Nachw. auch zur Gegenansicht. 362  So auch Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1155. 363  Kaufmann, recht 2009, 152 (161). 364  Kaufmann, recht 2009, 152 (161).

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richt nur dann gerecht werden, wenn die Verhandlungen zumindest in den wesentlichen Grundzügen dokumentiert sind. Systematisch ist Art. 76 I StPO CH den Vorschriften über die besonderen Verfahren vorangestellt und hat somit generelle Bedeutung. Das Kapitel, in dem sich Art. 76 I StPO CH findet, ist gar als „Allgemeine Verfahrensregeln“ bezeichnet. Der Gesetzgeber betont mithin die immense Bedeutung der allgemeinen Dokumentationspflicht.365 Diese Argumente überzeugen, sodass von einer ausführlichen Dokumentationspflicht auszugehen ist. Vorbildlich ist insoweit die Praxis des Kantons Zürich:366 Mit dem Entscheid über die Durchführung des abgekürzten Verfahrens sind mündliche oder schriftliche Erklärungen der Parteien zu protokollieren, ebenso die Umstände, die zur Vereinbarung der Durchführung des abgekürzten Verfahrens geführt haben, sowie das zu beantragende Strafmaß, wenn das ordentliche Verfahren durchgeführt würde. cc) Privatklägerbeteiligung Ein praktisches Problem könnte sich aus dem Erfordernis der Zustimmung der Privatklägerschaft ergeben; auch diese ist „Partei“ im Sinne von Art. 360 I lit. h, V StPO CH (vgl. Art. 360 I lit. f, III StPO CH). Als Privatklägerschaft gilt die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren 118 I als Straf- oder Zivilklägerin oder -kläger367 zu beteiligen (Art.  StPO CH). Als geschädigte Person wiederum gilt die Person, die durch die Straftat in ihren Rechten unmittelbar verletzt worden ist (Art.  115 I StPO CH). Damit geht die schweizerische Regelung deutlich über den Anwendungsbereich der deutschen Vorschriften hinaus. In § 374 I StPO D (Privatklage) und § 395 StPO D (Nebenklage) sind nur wenige Katalogtaten genannt, bei denen sich eine Privatperson am Strafverfahren beteiligen kann. Bei der erforderlichen Zustimmung der Privatklägerschaft im abgekürzten Verfahren ist schon fraglich, auf welche Teile sich diese Zustimmung beziehen muss. Das Gesetz äußert sich hierzu nicht ausdrücklich. Allerdings spricht die Systematik dafür, dass sich auch die Zustimmung der Privatklä365  Botschaft

zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1155. der Oberstaatsanwaltschaft (Zürich) für das Vorverfahren (WOSTA) vom 1. April 2018, Ziffer 14.3.2., S. 257, abrufbar unter https: /  / staatsanwaltschaften. zh.ch / internet / justiz_inneres / staatsanwaltschaften / de / Strafverfahren1 / ErlasseSVE / _ jcr_content / contentPar / downloadlist_1389704831902 / downloaditems / 165_1523 005135346.spooler.download.1523005682344.pdf / WOSTA+_01.04.2018.pdf, zuletzt aufgerufen am 19.4.2018. 367  Bei der Zivilklage wird die Parallele zur StPO D in Art. 119 II lit. b und Art. 122 I StPO CH schon im Wortlaut – „adhäsionsweise“ – deutlich. Das deutsche Adhäsionsverfahren führt in der gerichtlichen Praxis indes ein eher kümmerliches Dasein, vgl. Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, Vorb. § 403 Rn. 1–3, dies trotz der beeindruckend umfassenden Regelungen in den §§ 403–406c StPO D. 366  Weisungen



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gerschaft auf alle Punkte der Anklageschrift beziehen muss, denn in Art. 360 I StPO CH sind diese Punkte ohne Differenzierung aufgeführt und erst in Art. 360 II, III StPO CH werden die Regeln bezüglich der Zustimmung der Privatkläger hierzu erläutert. Auch der Wortlaut von Art. 360 II 2 StPO CH spricht für dieses Ergebnis, denn danach müssen die Beteiligten erklären, ob sie „der Anklageschrift“ zustimmen oder diese ablehnen, also wird erneut keine Differenzierung hinsichtlich der einzelnen Teile der Anklageschrift vorgenommen.368 Schließlich bietet auch die teleologische Auslegung hinreichende Ansätze für das Postulat nach umfassender Zustimmung: Je weitgehender auch der Privatkläger in die Absprache eingebunden wird, umso weniger ist ein späteres Abrücken von ihr zu befürchten. Gleichwohl wird ein Folgeproblem damit nicht vollständig ausgeräumt, welches darin besteht, dass die Privatklägerschaft das abgekürzte Verfahren in einem recht späten Stadium, insbesondere noch nach dem Zustandekommen der Absprache zwischen Beschuldigtem und Staatsanwaltschaft, noch verhindern kann ­ (Art. 360 V StPO CH). Ein Großteil der erarbeiteten Ergebnisse wäre damit hinfällig, denn analog Art. 362 IV StPO CH sind die Erklärungen der Parteien, die im Hinblick auf ein abgekürztes Verfahren abgegeben wurden, im dann folgenden ordentlichen Verfahren nicht verwertbar. Besonders in großen Wirtschaftsverfahren mit einer oft nur schwer überschaubaren Anzahl von Geschädigten wird es sich als schwierig, wenn nicht gar unmöglich erweisen, ein abgekürztes Verfahren einzuleiten.369 Denn selbst wenn von beispielsweise einhundert Privatklägern neunundneunzig ausdrücklich zustimmen, scheitert das gesamte abgekürzte Verfahren mit der Wirkung des Art. 360 V StPO CH, wenn nur ein einziger die Anklageschrift ablehnt. Daher erscheint es angezeigt, den oder die Privatkläger bereits in die Absprache miteinzubeziehen. Aber selbst dieses Vorgehen bietet keine Garantie dafür, dass die Privatklägerschaft die Anklageschrift später nicht doch ablehnt, denn rechtsverbindliche Zusagen kann die Staatsanwaltschaft von den Privatklägern im Rahmen der Absprache nicht erhalten. Immerhin geht es dabei ja um eine unabänderliche Zustimmung, weil eine Revision gänzlich ausgeschlossen und die Berufung nur höchst eingeschränkt möglich ist (Art. 360 I lit. h, 362 V StPO CH). Darüber hinaus wird die Privatklägerschaft im Gegensatz zu dem Beschuldigten auch nicht zwingend im Hauptverfahren nochmals vom Gericht befragt, ob sie den Sachverhalt anerkennt (Art. 361 II lit. a, III StPO CH). Das Schicksal des abgekürzten Verfahrens bleibt bis zur Zustimmung der Privatkläger oder bis zur fehlenden Ablehnung innerhalb der Zehntagesfrist ungewiss. Die schweizerische Konzeption krankt auch daran, dass die Privatklägerschaft noch nicht einmal eine Begründungspflicht trifft, was Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 360 Rn. 28. auch Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 360 Rn. 26.

368  Ähnlich 369  So

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eine inhaltliche Überprüfung der Ablehnung unmöglich macht.370 Sie könnte damit ihre Zustimmung sogar von der Anerkennung überhöhter zivilrecht­ licher Ansprüche abhängig machen.371 Die Privatklägerschaft hat mithin beim schweizerischen abgekürzten Verfahren eine deutlich stärkere Position inne, als der Nebenkläger bei der deutschen Verständigung. Letzterer ist kein Verständigungspartner, sondern kann allenfalls als „Verständigungsgehilfe“ das Zustandekommen einer Verständigung erleichtern oder fördern, indem er beispielsweise einen Strafantrag wegen eines mitangeklagten Nebenklage­ deliktes zurücknimmt oder zurückzunehmen verspricht.372 Ein Widerspruch des Nebenklägers kann das Zustandekommen einer Verständigung nicht hindern.373 Immerhin können aber im schweizerischen Recht unbekannte Geschädigte nach dem Abschluss des Vorverfahrens nicht mehr erklären, sich am Strafverfahren als Privatklägerschaft zu beteiligen, und damit das abgekürzte Verfahren dann auch nicht mehr verhindern. Dies ergibt sich aus Art. 118 III StPO CH, nach dem die Erklärung, sich als Privatklägerschaft am Strafverfahren zu beteiligen, gegenüber einer Strafverfolgungsbehörde spätestens bis zum Abschluss des Vorverfahrens abzugeben ist. Die Staatsanwaltschaft kann somit lediglich versuchen, die Privatkläger so früh wie möglich umfassend zu ermitteln und einzubeziehen, und muss sich sodann auf deren Zugeständnisse verlassen, da rechtsverbindliche Zusagen zur noch nicht eröffneten Anklageschrift nicht möglich sind. d) Das gerichtliche Bestätigungsverfahren aa) Weg zum Urteil Im gerichtlichen Bestätigungs- oder Hauptverfahren schließlich führt das erstinstanzliche Gericht gem. Art. 361 I StPO CH eine Hauptverhandlung durch. Dabei befragt es die beschuldigte Person und stellt fest, ob diese den Sachverhalt anerkennt, welcher der Anklage zu Grunde liegt, und diese Erklärung mit der Aktenlage übereinstimmt (Art. 361 II StPO CH). Darüber hinaus befragt das Gericht wenn nötig auch die übrigen anwesenden Parteien (Art. 361 III StPO CH). Ein Beweisverfahren hingegen findet nicht statt (Art. 361 IV StPO CH). Weiter befindet das Gericht gem. Art. 362 I StPO CH frei darüber, ob die Durchführung des abgekürzten Verfahrens rechtmäßig und angebracht ist, die Anklage mit dem Ergebnis der Hauptverhandlung und 370  Greiner / Jaggi,

in: Basler Kommentar, Art. 360 Rn. 31 m. w. Nachw. die Sorge von Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 360 Rn. 26 m. Verweis auf das Amtliche Bulletin des Ständerates vom 20.9.2007, S. 725 (727). 372  Niemöller, in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil B § 257c Rn. 41. 373  BT-Drs. 16 / 12310, S. 14. 371  So



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mit den Akten übereinstimmt sowie ob die beantragten Strafmaßnahmen (unscharf „Sanktionen“ genannt, vgl. – zutreffender – Art. 360 I lit. b, c StPO CH) angemessen sind. Sind die Voraussetzungen für ein Urteil im abgekürzten Verfahren erfüllt, so erhebt das Gericht die Straftatbestände, Sanktionen und Zivilansprüche der Anklageschrift zum Urteil; die Erfüllung der Voraussetzungen für das abgekürzte Verfahren wird summarisch374 begründet (Art. 362 II StPO CH). Sind die Voraussetzungen für ein Urteil im abgekürzten Verfahren nicht erfüllt, so weist das Gericht die Akten an die Staatsanwaltschaft zur Durchführung eines ordentlichen Vorverfahrens zurück und eröffnet den Parteien seinen ablehnenden Entscheid mündlich sowie schriftlich im Dispositiv (das deutsche Pendant ist der Tenor); dieser Entscheid ist nicht anfechtbar (Art. 362 III StPO CH). Wichtig ist in diesem Fall das Beweisverwertungsverbot gem. Art. 362 IV StPO CH, nach dem Erklärungen, die von den Parteien im Hinblick auf das abgekürzte Verfahren abgegeben worden sind, nach der Ablehnung eines Urteils im abgekürzten Verfahren in einem folgenden ordentlichen Verfahren nicht verwertbar sind. Der Richter („Verfahrensleitung“, vgl. hierzu Art. 61 lit. d StPO CH) prüft im Verfahren nach Vorlage der Anklageschrift, ob diese und die Akten ordnungsgemäß erstellt sind (Art. 329 I lit. a StPO CH). Im deutschen Prozessrecht wird dieser Verfahrensschritt im Zwischenverfahren behandelt. Weiter prüft das Gericht in einer öffentlichen, verkürzten Hauptverhandlung (im deutschen Prozessrecht Teil des Hauptverfahrens), ob die Anklageschrift genehmigt und zum Urteil erhoben werden kann; es nimmt damit wichtige Schutz- und Kontrollfunktionen wahr.375 Insbesondere wird überprüft, ob ein genügender Zusammenhang zwischen den Straftaten, die aus den vorhandenen Untersuchungsakten ersichtlich sind, und denen, die Inhalt der Anklage sind, besteht376 und andererseits ob ein Sachverhalt zu Unrecht nicht in der Anklage enthalten ist.377 Freilich fehlt ein Beweisverfahren, weshalb der Befragung der beschuldigten Person eine Schlüsselstellung zukommt. Dabei handelt es sich nicht um eine Beweismaßnahme im Sinne der Einvernahme der beschuldigten Person gem. Art. 157 ff. StPO CH, es soll dem Beschuldigten (und auch den übrigen anwesenden Parteien) nur eine letzte Möglichkeit eingeräumt werden, sich zur Sache zu äußern, damit sich das Gericht vergewissern kann, dass die Anklageschrift tatsächlich auf dem freien Willen aller 374  Diese Diktion findet sich beim deutschen Strafbefehlsverfahren, vgl. BVerfGE 3, 248 (253) = NJW 1954, 69; BGHSt 29, 305 (307) = NJW 1980, 2364; Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, Vorb. § 407 Rn. 1. 375  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 361 Rn. 1. 376  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 358 Rn. 77; Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1297. 377  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 358 Rn. 77 m. w. Nachw.

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Beteiligten beruht.378 Grundsätzlich hat das Gericht summarisch zu prüfen, ob überhaupt ein Geständnis der beschuldigten Person in der Hauptverhandlung vorliegt und ob dieses Geständnis sämtliche in der Anklage beschriebenen Sachverhalte abdeckt (Art. 361 II lit. a StPO CH).379 In diesem Zusammenhang stellt sich ein zentrales Problem des abgekürzten Verfahrens: Kann der Beschuldigte sein Geständnis im gerichtlichen Bestätigungsverfahren noch widerrufen? Ein solcher Widerruf war nach der Gesetzgeberintention nicht gewünscht um etwaigem Missbrauch zu Zwecken der Verfahrensverzögerung vorzubeugen.380 Namentlich im Kanton Tessin, in dem bereits vor der bundeseinheitlichen Strafprozessordnung ein abgekürztes Verfahren nach kantonalem Prozessrecht möglich war, wurden mit der Einräumung einer Widerrufsmöglichkeit schlechte Erfahrungen gemacht.381 Dort initiierten Beschuldigte bewusst ein abgekürztes Verfahren, führten alle erforderlichen Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft durch und widerriefen am Schluss ihr Geständnis in der Hauptverhandlung, um den gesamten Prozess in die Länge zu ziehen. Möglicherweise war ihr Ziel, Verjährung der Taten zu erreichen, denn die Verjährung tritt erst durch ein erstinstanzliches Urteil nicht mehr ein (Art. 97 III StGB CH), das heißt, erst dieses Urteil hemmt die Verjährung, deren Frist dann nicht vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens abläuft (so auch in Deutschland, § 78b III StGB D). Der Gesetzgeber formuliert weiter, dass es auch im Rahmen der Berufung der beschuldigten Person verwehrt ist zu rügen, „sie habe der Erledigung im abgekürzten Verfahren zwar zugestimmt, sei aber in Wirklichkeit nicht geständig, oder der Sachverhalt sei nicht bewiesen oder der Tatbestand nicht erfüllt.“382 Dementsprechend schließt Art. 360 II 3 StPO CH den Widerruf der Zustimmung zur Anklageschrift im Bestätigungsverfahren gesetzlich aus. Einzig in Extremfällen oder bei erheblichen Willensmängeln wird das Gericht die Anklageschrift ablehnen dürfen, etwa wenn der Beschuldigte geltend macht, dass er der Anklageschrift nur wegen Täuschung, Drohung oder unter Zwang zugestimmt hat.383 Dem aber dürfte freilich die zwingende notwendige Verteidigung (Art. 130 lit. e StPO CH) entscheidend entgegenstehen, sodass solche Fälle kaum je in der Praxis vorkommen sollten. Nach dem Bundesgericht dagegen ist die Möglichkeit eines Widerrufs 378  Greiner / Jaggi,

in: Basler Kommentar, Art. 361 Rn. 11. in: Basler Kommentar, Art. 361 Rn. 12. 380  Amtliches Bulletin der Bundesversammlung – Nationalrat – vom 20.6.2007, S. 1020 (1027, 1030); Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1296. 381  Amtliches Bulletin der Bundesversammlung – Nationalrat – vom 20.6.2007, S. 1020 (1027, 1029). 382  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1297. 383  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 360 Rn. 22, Art. 361 Rn. 11. 379  Greiner / Jaggi,



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hinzunehmen, wenn ein Gericht sich nicht persönlich davon überzeugen kann, dass der Beschuldigte den angeklagten Sachverhalt anerkennt.384 Ein Urteil im abgekürzten Verfahren setze voraus, dass die beschuldigte Person ihr Geständnis in der Hauptverhandlung bestätigt. Das Bundesgericht begründet seine Ansicht damit, dass nur so der Schutzmechanismus des ­gerichtlichen Bestätigungsverfahrens seinen Schutz auch entfalten kann. Der Beschuldigte im konkreten Fall hatte sich im Hauptverfahren auf sein ­Aussageverweigerungsrecht berufen, das Gericht der erstinstanzlichen Entscheidung hatte sich auf die Zustimmung zur Anklageschrift gestützt. Der Beschuldigte rügte eine Verletzung von Art.  362 V i.  V.  m. Art.  361 II StPO  CH. Das Bundesgericht hieß die Beschwerde gut. Hierbei verkennt es aber, dass Art. 362 V StPO CH ausdrücklich nur von der Zustimmung zur Anklageschrift spricht und Fehler hierbei der Berufung preisgibt, hingegen Art. 361 II lit. a StPO CH die Anerkennung des Sachverhaltes betrifft. Mit Zustimmung ist die in Art. 360 II 2 StPO CH genannte Zustimmung aus dem Durchführungsverfahren gemeint. Damit ist die Rüge des Beschuldigten schon gar nicht tauglicher Gegenstand der Berufung. Das Bundesgericht hat hier contra legem und gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers entschieden, dessen Sicht der Dinge auf Grund des geringen zeitlichen Abstandes zwischen dem Erlass des Gesetzes und der Entscheidung im Urteil besonders zu beachten ist, das heißt, wenn das Richterrecht sich erst in der Aufbauphase befindet und differenzierte Diskussionen noch nicht erfolgt sind. Wenn das Gericht der erstinstanzlichen Entscheidung meint, mit der Zustimmung im Durchführungsverfahren sei denknotwendig auch die Anerkennung des Sachverhalts im Hauptverfahren umfasst,385 so ist dem ebenfalls die unterschiedliche Begrifflichkeit entgegenzuhalten. Vielmehr ist zunächst zu differenzieren: Handelt es sich bei dem Verhalten des Beschuldigten im gerichtlichen Bestätigungsverfahren um einen ausdrücklichen ­Widerruf oder verweigert er schlicht die Aussage? Ein Widerruf der Zustimmung ist nach dem Gesetz ausdrücklich ausgeschlossen. Art. 360 II 3 StPO CH lässt auch keine andere Auslegung zu.386 Interessant ist aber der Fall der Aussageverweigerung, denn der Beschuldigte kann nicht zur Aussage gezwungen werden. Niemand ist verpflichtet, sich selbst zu belasten (nemo tenetur se ipsum accusare).387 Das wird auch einfach-rechtlich in Art. 113 I 1, 2 StPO CH festgeschrieben. Daher ist auch die Ansicht kaum vertretbar, nach der Art. 361 II StPO CH nur den Schluss zulasse, dass die beschuldigte Person den Anklagesachverhalt an der Hauptverhandlung aner384  BGE,

139 IV 233 (Regeste und S. 240 f.) – Urteil vom 24.6.2013. 139 IV 233 (234–236) – Urteil vom 24.6.2013. 386  Anders aber Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 361 Rn. 17c, 17e. 387  Grundlegend zum Nemo-tenetur-Grundsatz BVerfG, NJW 1981, 1431. 385  BGE,

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kennen, mithin ihr bereits abgelegtes Geständnis vor dem Gericht wiederholen müsse.388 Entscheidend ist im Fall der Aussageverweigerung vielmehr, ob das Gericht die Anerkennung des Sachverhaltes auch ohne Aussage des Beschuldigten im Hauptverfahren feststellen kann. Ein Indiz ist gewiss die Zustimmung zur Anklageschrift, aber ausreichend ist das sicher nicht. Hierbei ist zu beachten, dass das Gesetz in Art. 361 III StPO CH dem Gericht die Möglichkeit gibt, die übrigen anwesenden Parteien „wenn nötig“ zu ­befragen. Gerade ein solcher Fall der Notwendigkeit ergibt sich, wenn der Beschuldigte in der Hauptverhandlung schweigt. Parteien sind nun freilich nicht nur der Beschuldigte und die Privatklägerschaft, sondern gem. Art. 104 I lit. c StPO CH auch die Staatsanwaltschaft, die dann über Art, Ausmaß und Umstände der Zustimmung Auskunft geben kann. Außerdem können im Falle mehrerer Beschuldigter auch die übrigen beschuldigten Personen Hinweise auf die tatsächliche Anerkennung des Sachverhaltes durch den Aussageverweigernden und dessen Tatverhalten liefern. Durch diese ­Befragungen kann das Gericht trotz Schweigens des Beschuldigten in der Hauptverhandlung überprüfen, ob die Anklage mit dem Ergebnis dieser Hauptverhandlung übereinstimmt (Art. 362 I lit. b Var. 1 StPO CH). Zusätzlich können Protokolle über die Absprache aus dem Durchführungsverfahren hinzugezogen werden (Übereinstimmung mit den Akten – Art. 362 I lit. b Var. 2 StPO CH), die dann zu Gunsten des Beschuldigten insbesondere auf Unstimmigkeiten zu untersuchen sein werden. Bommer und Stohner vertreten nun aber die Ansicht, dass mit Anerkennung des Sachverhalts in Art. 361 II lit. a StPO CH eine Erneuerung des Geständnisses gefordert wird und dass nur eine positive Erklärung daraufhin überprüft werden kann, ob sie mit der Aktenlage übereinstimmt (Art. 361 II lit. b StPO CH).389 Eine Erneuerung des Geständnisses fordert wegen des Ausnahmecharakters des abgekürzten Verfahrens auch das Bundesgericht.390 Insoweit ist einzuräumen, dass Ausnahmevorschriften grundsätzlich restriktiv auszulegen sind und sich der Wortlaut von Art. 361 II lit. b StPO CH („diese Erklärung“) unmittelbar auf Art. 361 II lit. a StPO CH bezieht. Wenn aber die beschuldigte Person schweigt und den Sachverhalt nicht anerkennt, kann das Gericht „diese Erklärung“ auch nicht überprüfen. Unter Anwendung von Art. 361 II lit. b, III StPO CH kann und muss das Gericht jedoch – wie oben schon angedeutet – die Erklärungen der übrigen anwesenden Parteien auf die Übereinstimmung mit der Aktenlage überprüfen. Dabei sind die er388  Teil der Rüge in BGE, 139 IV 233 (234) – Urteil vom 24.6.2013, vom Beschuldigten jedoch so gemeint, dass andernfalls ein ordentliches Vorverfahren durchzuführen ist; Hervorhebung durch den Verfasser dieser Dissertation. 389  Bommer, in: Heer, Schweizerische Strafprozessordnung, 2010, S. 149 (155); Stohner, forumpoenale 2015, 168 (173). 390  BGE, 139 IV 233 (240) – Urteil vom 24.6.2013.



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forderlichen Protokolle über die Absprache aus dem Durchführungsverfahren391 essenzielle Bestandteile der Prüfung, die jedoch mit Blick auf Art. 361 IV StPO CH nicht die Grenze zum Beweisverfahren überschreiten darf – ein Spagat, der sicher nicht ganz einfach ist, der Gerichten aber gleichwohl gelingen sollte. Zuletzt führt das Bundesgericht noch aus, dass seine Auslegung zwar zur faktischen Möglichkeit des an sich ausgeschlossenen Widerrufs führt, dies aber hinzunehmen ist, „wenn sich das Gericht nicht persönlich davon überzeugen kann, dass die beschuldigte Person den angeklagten Sachverhalt anerkennt. Andernfalls könnte ebenso gut auf die Durchführung einer Hauptverhandlung und das gerichtliche Bestätigungsverfahren verzichtet werden.“392 Dieses letzte Argument verfängt gleichfalls nicht. Unter Zugrundelegung der hier vertretenen Auffassung ist es ganz und gar nicht sicher, dass sich das Gericht nicht mit Hilfe der Befragung der Staatsanwaltschaft oder der übrigen anwesenden Parteien davon überzeugen kann, dass der Beschuldigte den Sachverhalt tatsächlich anerkennt. Es muss eben alle Erkenntnismöglichkeiten nutzen, sehr sorgfältig überprüfen und sich anschließend seine Überzeugung bilden. Anders ist dies auch nicht im ordentlichen Hauptverfahren, wenn der Beschuldigte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, auch wenn dem Gericht dann ein vollständiges Beweisverfahren zur Verfügung steht. Greiner / Jaggi halten es – entgegen dem Bundesgericht – für möglich, die Aussageverweigerung als Teil des Aussageverhaltens der beschuldigten Person zu würdigen und dann – ähnlich wie nach der hier vertretenen Auffassung – im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Umstände zum Schluss zu kommen, die Aussageverweigerungserklärung ergebe zusammen mit der Aktenlage ein schlüssiges Bild und die Anklage stimme mit dem Ergebnis der Hauptverhandlung und den Akten überein.393 Diese Vorgehensweise ist zumindest aus deutscher Sicht problematisch. Denn wenn der Beschuldigte vollständig die Aussage verweigert, kann das Gericht dies nicht zu seinem Nachteil werten.394 Nur Teileinlassungen sind einer weitergehenden Interpretation zugänglich, wenn also der Beschuldigte nur teilweise schweigt.395 In ganz ähnlicher Weise wie bei der Aussageverweigerung wollen Greiner / Jaggi auch im Falle eines Widerrufs des Geständnisses in der Hauptverhandlung 391  Vgl.

oben C. II. 1. c) bb). 139 IV 233 (240 f.) – Urteil vom 24.6.2013. 393  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 361 Rn. 17b. 394  Grundlegend dazu BVerfG, NStZ 1995, 555; BGHSt 25, 365 = NJW 1974, 2295 (2296); Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 261 Rn. 16. Zuletzt BGH, NStZ 2016, 59 (59 f.). 395  Vgl. dazu BGHSt 20, 298 = NJW 1966, 209; Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 261 Rn. 17; Miebach, NStZ 2000, 234 (236 ff.). 392  BGE,

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verfahren.396 Zusätzlich schlagen sie vor, dass der Widerruf des Geständnisses wie im ordentlichen Verfahren dahingehend zu prüfen ist, ob er begründet ist oder nicht. Das Gericht müsse dafür das im Vorverfahren abgelegte Geständnis und die übrigen Aktenbestandteile würdigen. Sie fordern schließlich, dass die Staatsanwaltschaft im Vorfeld mit Blick auf ebendiese Würdigung ein Geständnis im abgekürzten Verfahren durch weitere Untersuchungen abklärt und die beschuldigte Person anhält, die näheren Umstände der Tat genau zu bezeichnen (Art. 160 StPO CH). Dieser Vorschlag würde aber ein Beweisverfahren gleichsam durch die Hintertür in das gerichtliche Bestätigungsverfahren des abgekürzten Verfahrens einführen. Art. 160 StPO CH ist eine Norm aus dem Bereich der Beweismaßnahmen im Sinne der Einvernahme der beschuldigten Person. Wie Greiner / Jaggi aber selbst feststellten, handelt es sich bei der Befragung der beschuldigten Person um keine Beweismaßnahme im Sinne von Art. 157 ff. StPO CH.397 Dann kann auch das Gericht nicht auf dem Umweg über ausführlichere Akten letztendlich doch eingehend Beweise würdigen. Schließlich würde das auch den Sinn des abgekürzten Verfahrens konterkarieren, denn dann hätte jedenfalls die Staatsanwaltschaft einen ganz ähnlichen Arbeitsaufwand zu betreiben, wie dies im ordentlichen Vorverfahren der Fall wäre. Diese Ausführungen offenbaren erneut die oben bereits dargestellte Schwachstelle des Gesetzes, wobei auch hier von den schweizerischen Gerichten – und im Übrigen natürlich auch von den Staatsanwaltschaften – erhofft und erwartet werden darf, dass sie durch ihre Handhabung in der Praxis (Richterrecht) den insoweit recht hölzernen Teil des Gesetzes tauglich werden lassen: Es gibt kein Beweisverfahren (Art. 361 IV StPO CH), andererseits dürfen wesentliche Aktenbestandteile nicht außen vor bleiben (Art. 361 II lit. b, 362 I lit. b Var. 2 StPO CH). Nahrwold wiederum will zwar einen Widerruf in Form des bloßen Schweigens des Beschuldigten zulassen, diesem jedoch im Gegenzug das Beweisverwertungsverbot gem. Art. 362 IV StPO CH verwehren, da das Verwertungsverbot vornehmlich den Sinn habe, das Risiko der Vorleistungspflicht des Beschuldigten im Rahmen der Absprache (Geständnis bereits zu diesem Zeitpunkt, Staatsanwaltschaft „leistet“ erst später) zu mindern, der Beschuldigte seinen Teil der Absprache aber nicht eingehalten hätte, indem er nun schwieg.398 Wenn das abgekürzte Verfahren nicht an der Genehmigung des Gerichts scheitert, sondern das Scheitern im Verantwortungsbereich der beschuldigten Person liegt, so solle ihr das Verwertungsverbot nicht zugutekommen. Zudem gelte unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensfairness nichts anderes, da der Beschuldigte durch sein Schweigen nicht mehr auf den Fort396  Greiner / Jaggi,

in: Basler Kommentar, Art. 361 Rn. 17e. in: Basler Kommentar, Art. 361 Rn. 11. 398  Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 155 f. 397  Greiner / Jaggi,



II. Schweizerisches Strafprozessrecht89

bestand seines Geständnisses und seiner rechtlichen Folgen durch Genehmigung des Gerichtes vertrauen dürfe. Eine gewisse Widersprüchlichkeit ist bereits hier nicht zu übersehen. Diese Ansicht Nahrwolds ist aber auch mit dem Wortlaut von Art. 362 IV StPO CH nicht zu vereinbaren, insbesondere da die Vorschrift nach Ablehnung des Urteils ohne Einschränkung unmittelbar und nicht nur analog anwendbar ist. Art. 362 IV StPO CH schreibt eindeutig ein Beweisverwertungsverbot für Erklärungen vor, die von den Parteien im Hinblick auf das abgekürzte Verfahren abgegeben worden sind. Das Geständnis aus dem Vorverfahren hat der Beschuldigte zweifellos zunächst im Hinblick auf das abgekürzte Verfahren abgegeben. Somit gerät diese Auslegung mit dem Gesetzes­wort­laut in Konflikt. Auch Sinn und Zweck des Verwertungsverbotes gehen weiter als bloß die Risikoabschwächung der Vorleistung, denn das Verbot gilt für alle Erklärungen aller beteiligten Parteien, also auch etwa für die Zugeständnisse der Staatsanwaltschaft. Zuletzt spricht auch der Grundsatz des fairen Verfahrens entscheidend gegen seine Ansicht, denn der Beschuldigte muss sich darauf verlassen können, dass sein nur auf Grund des besonderen Verfahrens mit den entsprechenden Nutzen für ihn (Sicherheit bezüglich der Rechtsfolge, kurze öffentliche Hauptverhandlung) abgegebenes Geständnis bei Scheitern des abgekürzten Verfahrens nicht verwertet werden kann, unabhängig davon aus welchem Grund das abgekürzte Verfahren scheitert. Anderenfalls hätte er im Vorverfahren jedenfalls auf diese Möglichkeit der Verwertbarkeit hingewiesen werden müssen. Zu denken ist etwa an eine Art qualifizierter Belehrung ähnlich der vom Großen Senat für Strafsachen des BGH entwickelten399 und vom BGH zu §§ 136, 136a StPO D übernommenen400. Im Ergebnis kann das Gericht bei einer eng am Gesetzeswortlaut orientierten Auslegung unter Umständen auch bei Aussageverweigerung im abgekürzten Verfahren die Anklageschrift durch Urteil bestätigen, es muss dann aber naturgemäß einen höheren Aufwand betreiben. Art. 361 III, 362 I lit. b Var. 2 StPO CH geben ihm hierzu die – wenn auch eingeschränkte – Befugnis trotz fehlenden Beweisverfahrens. Bei dieser Auslegung ist auch der Schutz des gerichtlichen Bestätigungsverfahrens stets gewahrt, denn wenn das Gericht sich nicht von der Anerkennung des Sachverhaltes überzeugen kann, so sind die Voraussetzungen für ein Urteil im abgekürzten Verfahren nicht erfüllt und es muss die Akten an die Staatsanwaltschaft zur Durch­ führung eines ordentlichen Vorverfahrens zurückweisen (Art.  362  III  1 StPO CH).

399  BGHSt

(Großer Senat) 50, 40 (61 f.) = NJW 2005, 1440 (1446). 53, 112 = NJW 2009, 1427 (1428); Bertram Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 136a Rn. 30. 400  BGHSt

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C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

bb) Öffentlichkeit Dass die Hauptverhandlung grundsätzlich öffentlich ist, ergibt sich schon aus den allgemeinen Vorschriften (Art. 69 ff. StPO CH). Die speziellen Normen über das abgekürzte Verfahren schreiben nichts anderes vor. Im Gegenteil wird vom Gesetzgeber hervorgehoben, dass die Zulässigkeit dieses besonderen Verfahrens vom Gericht „unter den Augen der Öffentlichkeit“ überprüft werden soll.401 Im Vorentwurf war es in einfachen Fällen und mit Einverständnis der Parteien noch möglich, auf eine mündliche Hauptverhandlung zu verzichten,402 dies hätte jedoch dem Öffentlichkeitsgrundsatz widersprochen. Die im deutschen Strafprozessrecht – aus welchen Gründen auch immer – ausufernde Praxis403 zum Strafbefehlsverfahren (§§ 407 ff. StPO D) führt nicht selten dazu, dass Straftäter vorbestraft sind, ohne dies zu wissen,404 etwa dann, wenn sie den förmlich zugestellten Strafbefehl nicht zur Kenntnis nehmen (wollen). Ohne eine mündliche Hauptverhandlung wäre ein wichtiger Teil der Kontrolle über die Absprachepraxis verloren gegangen.405 De lege lata ist eine solche Möglichkeit nicht gegeben. Kunz geht jedoch noch weiter, indem er die heutige Situation auch unter dem Gesichtspunkt der Transparenz und Überprüfbarkeit kritisiert.406 Die Regelung des abgekürzten Verfahrens breite „ein Tuch des Schweigens“ über das Zustandekommen der vorangegangenen Absprache. Das mag zwar durchaus noch gesetzeskonform sein, nach hier vertretener Ansicht aber muss die Absprache protokolliert werden. Daraus ergibt sich weiter die Folgefrage, ob dieses Protokoll auch in die Hauptverhandlung eingeführt werden muss, so wie das bei der deutschen Verständigung der Fall ist. Einerseits wird mit der Anklageschrift bereits das endgültige Ergebnis der Absprache publik gemacht. Andererseits könnte durchaus auch das Verlesen des Protokolls über die Absprache oder zumindest dessen wichtigster Punkte zu fordern sein. Das vollständige Verlesen würde dem Öffentlichkeitsgrundsatz und dem Unmittelbarkeitsprinzip am besten zur Geltung verhelfen. Allerdings bedingt auch dies wieder eine Relativierung der erwünschten und vom Gesetzgeber407 durch 401  Botschaft

zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1296. Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 361 Rn. 4. 403  Vgl. zur ansteigenden Tendenz Momsen, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, § 407 Rn. 1 a. E. 404  In eine ähnliche Richtung gehen Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 408b Rn. 1, und Momsen, in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, § 408b Rn. 2, die den Zweck dieser Norm darin sehen, dem Beschuldigten die Gefahr des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung bewusst zu machen. 405  So auch Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 361 Rn. 4. 406  Kunz, FS Egon Müller, 2008, S. 383 (391). 407  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1294. 402  Vgl.



II. Schweizerisches Strafprozessrecht91

das abgekürzte Verfahren beabsichtigten Verfahrensvereinfachung. Das Gesetz verhält sich zu dem Problem nicht. Weder in den Art. 76 ff. StPO CH über die Protokolle noch in den Art. 335 ff. StPO CH über die Durchführung der Hauptverhandlung finden sich Hinweise darauf, ob ein Protokoll in die Hauptverhandlung einzuführen ist. Entscheidend ist daher, dass der Öffentlichkeitsgrundsatz einen tragenden Teil der Kontrolle über die Justiz darstellt. Ohne das Einführen des Protokolls über die Absprache hat die Öffentlichkeit keine Chance, die konkreten Abläufe und Inhalte der Absprache zu erfahren, denn die Anklageschrift enthält eben nur das Ergebnis. Zwar überprüft auch das Gericht das Zustandekommen der Absprache anhand des Protokolls. Jedoch reicht das für die Einhaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes nicht aus. Dagegen dürfte das Verlesen des Protokolls über die Absprache die Hauptverhandlung nicht über Gebühr in die Länge ziehen, zumal nach der hier vertretenen Auffassung nur die wesentlichen Grundzüge der Verhandlungen zur Absprache zu protokollieren sind. cc) Abwesenheitsverfahren Grundsätzlich ist im schweizerischen Strafverfahrensrecht ein Abwesenheitsverfahren nach den Art. 366 f. StPO CH – wie auch das abgekürzte Verfahren eines der besonderen Verfahren aus dem 8. Titel der Schweizerischen Strafprozessordnung – möglich. Im deutschen Strafprozess findet eine Hauptverhandlung gegen einen ausgebliebenen Angeklagten nicht statt (§ 230 I StPO D), vielmehr wird dieser vorgeführt oder gegen ihn wird ein Haftbefehl erlassen, wenn sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist und dies zur Durchführung der Hauptverhandlung geboten erscheint (§ 230 II StPO D). Eine Ausnahme hiervon bildet § 231 II StPO D, der es dem Gericht gestattet, die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten zu Ende zu führen, wenn dieser über die Anklage schon vernommen war (oder ihm Gelegenheit zur umfassenden Äußerung gegeben wurde408) und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. Nach dem schweizerischen Recht kann das Gericht ohne die Anwesenheit des Beschuldigten eine Hauptverhandlung führen und ein Urteil erlassen, wenn der Beschuldigte wiederholt der Verhandlung unentschuldigt fernbleibt und nicht vorgeführt werden kann und wenn er im bisherigen Verfahren ausreichend Gelegenheit hatte, sich zu den ihm vorgeworfenen Straftaten zu äußern und die Beweislage ein Urteil ohne seine Anwesenheit zulässt (Art. 366 I, II, IV, 367 II, III Var. 1 StPO CH). Die beiden letztgenannten Voraussetzungen sind dem § 231 II StPO D sehr ähnlich. Davon zu unterscheiden ist die Dispensation der beschuldigten Person gem. Art. 336 III StPO CH, bei der die Verfah408  Meyer-Goßner,

in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 231 Rn. 19.

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C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

rensleitung dem Beschuldigten auf sein Gesuch hin das persönliche Erscheinen erlassen kann, wenn dieser wichtige Gründe geltend macht und wenn seine Anwesenheit nicht erforderlich ist (vergleichbar mit dem deutschen § 233 StPO D). In der Literatur wird die Zulässigkeit der Kombination dieser Verfahren mit dem abgekürzten Verfahren diskutiert.409 Das Einfallstor hierfür findet sich in den allgemeinen Vorschriften der Art. 335 ff. StPO CH, die unter Vorbehalt der besonderen Vorschriften im abgekürzten Verfahren gelten410: Für das Abwesenheitsverfahren gilt die Verweisung in Art. 336 IV StPO CH, welcher dieses Verfahren bei unentschuldigtem Ausbleiben des Beschuldigten für anwendbar erklärt, für die Dispensation ist Art. 336 III StPO CH selbst der Anknüpfungspunkt. Nach der hier vertretenen Lösung für das Problem der Aussageverweigerung durch den Beschuldigten in der Hauptverhandlung muss zwischen den beiden Varianten (Abwesenheitsverfahren und Dispensation) für die Kombination mit dem abgekürzten Verfahren nicht unterschieden werden.411 Dem Gericht ist es danach möglich, sich von der Anerkennung des Sachverhaltes durch den Beschuldigten zu überzeugen, ohne diesen zu hören. Anderenfalls hätte es der Beschuldigte in der Hand, über den Umweg der Dispensation oder des Abwesenheitsverfahrens faktisch wirksam sein Geständnis – entgegen dem klaren Postulat des Gesetzes: „Die Zustimmung ist unwiderruflich“ (Art. 360 II 3 StPO CH) – zu widerrufen und so eben doch das Verfahren in die Länge zu ziehen. Genau das wollte der Gesetzgeber, wie soeben verdeutlicht, aber ausdrücklich verhindern.412 Beide Varianten sollen aber die Ausnahme bleiben, nicht zuletzt weil das Gericht bei jener Lösung über Art. 361 III, 362 I lit. b Var. 2 StPO CH höheren Aufwand betreiben muss und die Anwesenheit und Anhörung des Beschuldigten in der Hauptverhandlung selbstredend für alle Beteiligten zu favorisieren ist. Dessen Befragung ist – auch nach den hier vertretenen Ansichten – ein tragendes Element für die gerichtliche Prüfung und Entscheidung.413 Wenn Greiner / Jaggi vor diesem Hintergrund für das Abwesenheitsverfahren meinen, dem Beschuldigten würde die Möglichkeit genommen, sich nochmals zu der Angelegenheit zu äußern,414 so ist dem entgegenzuhal409  Siehe nur Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 361 Rn. 19a f. m. zahlr. Nachw. zu den verschiedenen Meinungen. 410  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 361 Rn. 3. 411  Anders etwa Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 361 Rn. 19a, 21, die das Abwesenheitsverfahren im abgekürzten Verfahren ablehnen (dazu sogleich), die Dispensation hingegen in Ausnahmefällen für zulässig erachten. 412  Amtliches Bulletin der Bundesversammlung – Nationalrat – vom 20.6.2007, S. 1020 (1027, 1030); Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1296. 413  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 361 Rn. 19a, 21. 414  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 361 Rn. 19a.



II. Schweizerisches Strafprozessrecht93

ten, dass diese Folge vollständig vom Beschuldigten selbst zu verantworten ist, wenn er wiederholt unentschuldigt der Verhandlung fernbleibt. In jedem Fall zwingend ist die Anwesenheit der Verteidigung des Beschuldigten. Für die Dispensation wird dies ausdrücklich vorgeschrieben in Art. 336 II, V StPO CH. Für das Abwesenheitsverfahren ergibt sich ebenfalls, dass die Verteidigung anwesend sein muss, denn andernfalls wäre die Fairness des Verfahrens beeinträchtigt. dd) Mögliche Entscheidungen Art. 362 StPO CH sieht zwei Möglichkeiten der Verfahrensbeendigung vor, die Genehmigung der Anklageschrift durch Urteil (Abs. 2) oder den ablehnenden Entscheid und die anschließende Zurückweisung der Akten an die Staatsanwaltschaft zur Durchführung eines ordentlichen Vorverfahrens (Abs. 3). Für die Erhebung zum Urteil müssen folgende Voraussetzungen gem. Art. 362 I StPO CH erfüllt sein, über die das Gericht frei zu befinden hat: Die Durchführung des abgekürzten Verfahrens ist rechtmäßig und angebracht (lit. a); die Anklage stimmt mit dem Ergebnis der Hauptverhandlung und mit den Akten überein (lit. b); die beantragten Sanktionen sind angemessen (lit. c). Dabei geht es ausschließlich darum, die Voraussetzungen des abgekürzten Verfahrens zu prüfen und nicht etwa auch, ob die angeklagten Straftaten nach den sonst üblichen Beweisgrundsätzen tatsächlich verwirklicht sind.415 Rechtmäßig ist die Durchführung, wenn das abgekürzte Verfahren ordnungsgemäß eingeleitet und durchgeführt wurde, die Anklageschrift den Anforderungen des Gesetzes genügt und den Parteien die ihnen zustehenden Rechte gewährt worden sind; kurzum prüft das Gericht die Voraussetzungen der Art. 358–360 StPO CH.416 Das Gericht hinterfragt weiter, ob die Durchführung des abgekürzten Verfahrens angebracht ist. Damit sind Überlegungen des Gerichts gemeint, auf Grund derer die Durchführung trotz Rechtmäßigkeit nicht angezeigt sein könnte.417 Das Gesetz verhält sich nicht dazu, wann von mangelnder Angebrachtheit auszugehen ist, Einzelfallkasuistik in der Praxis wird hier sach­ liche Kriterien etablieren müssen.418 Beispiele für denkbare Fälle finden sich bei Greiner / Jaggi419: Erheblicher Abklärungsbedarf bezüglich der Zurech415  Greiner / Jaggi, 416  Greiner / Jaggi,

in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 3. in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 5; Nahrwold, Verständi-

gung, 2014, S. 159. 417  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 6. 418  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 7. 419  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 8.

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C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

nungsfähigkeit des Beschuldigten oder betreffend einer Maßnahme gem. Art. 56 ff. StGB CH; Zweifel wegen der Trennung von Strafverfahren in abgekürzte und ordentliche Verfahren bei mehreren Tatbeteiligten;420 Ungleichbehandlung gleichgelagerter Fälle durch die Staatsanwaltschaft.421 Weiter erscheint plausibel, dass das Gericht die Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft nach Art. 359 I StPO CH zu überprüfen hat.422 Gem. Art. 362 I lit. b StPO CH prüft das Gericht die Übereinstimmung der Anklage mit dem Ergebnis der Hauptverhandlung und mit den Akten. Weil die Akten- und Beweislage zu den Anklagepunkten zumeist lückenhaft ist, handelt es sich dabei um eine summarische Prüfung, bei der das Gericht sich in Zurückhaltung üben muss – schließlich gründet sich das Verfahren auf eine Vereinbarung zwischen den Parteien.423 Die Prüfung der Übereinstimmung der Anklage mit dem Ergebnis der Hauptverhandlung hat als Grundlage vor allem die Befragung der Parteien, insbesondere der beschuldigten Person (Art. 361 II, III StPO CH). Folgende Gründe sind Beispiele für die Unvereinbarkeit der Anklage mit dem Ergebnis der Hauptverhandlung: Die Anklage führt andere Sachverhalte auf, als der Beschuldigte in der Hauptverhandlung anerkennt; dessen Schuld ist für das Gericht bezüglich der vorgeworfenen Taten unüberwindbar zweifelhaft (Zweifel können bei der Befragung des Beschuldigten aufkommen); das Gericht zweifelt an der Schuld­ fähigkeit der beschuldigten Person.424 In letzterem Fall ist gem. Art. 20 StGB CH eine „sachverständige Begutachtung durch einen Sachverständigen“ angezeigt, die aber im abgekürzten Verfahren mangels Beweisverfahren (Art. 361 IV StPO CH) nicht durchzuführen ist. Jedenfalls bei Zweifeln über die Schuld sollte es aber möglich sein, diese Zweifel mit Hilfe der Befragung der Parteien auszuräumen. Bei der Prüfung, ob die Anklage mit den Akten übereinstimmt, wird das Gericht im Besonderes den Grundsatz der materiellen Wahrheit zu beachten haben, also hinterfragen, ob die Anklage auf dieser beruht oder andererseits lediglich auf einem ausgehandelten fiktiven Sachverhalt,425 was als fact bargaining zu bewerten und nicht zulässig ist. Dabei wird das aktenkundige Geständnis des Beschuldigten besonderes Au420  Näher zum Problem des abgekürzten Verfahrens bei mehreren Tatbeteiligten unten C. II. 1. f). 421  Vgl. auch Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 160; Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 8, erwägen Gleichbehandlungsüberlegungen nur hinsichtlich der Trennung der Strafverfahren bei mehreren Tatbeteiligten. 422  Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 159 m. w. Nachw. 423  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 9 m. w. Nachw.; ähnlich auch Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1296. 424  Zu finden bei Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 13. 425  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 9; bereits eingehend zu den Grenzen der Erforschungspflicht der Staatsanwaltschaft oben C. II. 1. c) aa).



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genmerk verdienen. Stützt es die in der Anklage beschriebenen Straftatbestände hinreichend oder werden andererseits im Geständnis gar Straftaten offenbart, die weder nach Art. 8 II lit. a StPO CH eingestellt noch Gegenstand der Anklage wurden?426 Auch die rechtliche Würdigung des Sachverhalts ist – wie auch die übrigen Bestandteile der Anklageschrift – auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen.427 Nicht geregelt ist, ob und gegebenenfalls wie das Gericht auch auf die Übereinstimmung des Ergebnisses der Hauptverhandlung mit den Akten zu achten hat. Diese fehlt etwa dann, wenn der in der Hauptverhandlung eingestandene Sachverhalt eine andere rechtliche Bewertung erfordert als die Darstellungen in den Akten.428 Dann kann allerdings denklogisch schon die Anklage mit einem der beiden Elemente nicht übereinstimmen, denn wenn die Anklage mit dem Ergebnis der Hauptverhandlung und mit den Akten übereinstimmt, dann stimmen zwingend auch Ergebnis der Hauptverhandlung und Akten überein. Man kann sich hier ein Dreieck aus übereinstimmenden Elementen vorstellen. Die Übereinstimmung zwischen Anklage und dem Ergebnis der Hauptverhandlung sowie den Akten hat das Gericht ohnehin gem. Art. 362 I lit. b StPO CH zu überprüfen, sodass sich das Problem in der Praxis nicht stellen dürfte.429 In Art. 362 I lit. c StPO CH ist die Prüfung der Angemessenheit der beantragten Sanktionen vorgeschrieben. Dabei sind besonders die Regeln der Strafzumessung und die Strafrahmenvorschriften sowie Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründe (etwa aufrichtige Reue gem. Art. 48 lit. d StGB CH) zu beachten, die auch im abgekürzten Verfahren weiterhin gelten.430 Auch bei dieser Prüfung soll das Gericht Zurückhaltung üben und die Angemessenheit bejahen, wenn die Sanktionen noch vertretbar sind.431 Allerdings hat es gestützt auf die Akten sicherzustellen, dass die Sanktionen mit dem Verschulden des Täters zu vereinbaren sind.432 Hingegen werden die zivilrechtlichen Ansprüche nicht auf Angemessenheit überprüft, da hier die Disposi­ tionsmaxime gilt.433 Hält das Gericht die beantragten Sanktionen nicht für angemessen, so erscheint es prozessökonomisch und sinnvoll, die anwesenden Parteien hierauf hinzuweisen und bei allseitigem Einverständnis die Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 11. in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 11. 428  Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 163. 429  So auch Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 163. 430  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 14, 16 f.; Stohner, forumpoenale 2015, 168 (172). Zur strafmindernden Wirkung des Geständnisses auch schon oben C. II. 1. c) aa). 431  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 15. Strenger hingegen Stohner, forumpoenale 2015, 168 (172) m. w. Nachw. 432  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 16. 433  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 11 a. E. 426  Ähnlich

427  Greiner / Jaggi,

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C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

Straftatbestände und Zivilansprüche der Anklageschrift mit abgeänderten Sanktionen zum Urteil zu erheben. So sieht es auch der Gesetzgeber, der sogar die Anklage selbst sowie die rechtliche Würdigung der angeklagten Sachverhalte weiterhin zur Disposition der Parteien stellen will.434 Wie im Durchführungsverfahren ist dabei der Konsens der Beteiligten erforderlich, ohne deren Zustimmung der – neue – Vorschlag des Gerichts nicht zum Urteil erhoben werden kann. Art. 360 II, III StPO CH sind analog mitsamt der Zehntagesfrist heranzuziehen.435 Dabei ist es auch mit Blick auf die Zustimmung der Privatklägerschaft ohne Belang, welcher Teil der Anklage abgeändert werden soll.436 Aus der Prüfungskompetenz des Gerichts folgt für das Durchführungsverfahren, dass die Staatsanwaltschaft mit den Parteien genehmigungsfähige und schuldangemessene Sanktionen – also insbesondere nicht zu niedrige Strafen – aushandeln muss, um einem späteren Scheitern des abgekürzten Verfahrens im gerichtlichen Bestätigungsverfahren vorzubeugen.437 Ansonsten riskiert sie ein spätes Scheitern, was dann die Gefahr der Verjährung birgt. Nach der hier vertretenen Annahme einer ausführlichen Dokumentationspflicht hinsichtlich der Absprache kann das Gericht problemlos die Strafzumessungserwägungen der Parteien nachvollziehen und einer Prüfung unterziehen. Nötigenfalls kann es gem. Art. 361 II, III StPO CH zusätzlich die anwesenden Parteien befragen. Schließlich erhebt das Gericht gem. Art. 362 II StPO CH die Straftatbestände, Sanktionen und Zivilansprüche der Anklageschrift zum Urteil, wenn es die Voraussetzungen für ein Urteil im abgekürzten Verfahren als erfüllt ansieht, und begründet dies summarisch. Nach wie vor ist aber die Feststellung der Tatschuld wie auch der gesamte Urteilsinhalt nicht das Ergebnis richterlicher Urteilsfindung, sondern der Einigung der Parteien.438 Sollte das Gericht zu der Überzeugung gelangen, dass die Voraussetzungen für ein Urteil im abgekürzten Verfahren nicht erfüllt sind, dann hat es die Akten an die Staatsanwaltschaft zur Durchführung eines ordentlichen Vorverfahrens zurückzuweisen (Art. 362 III StPO CH). Das Gesetz sagt zwar nichts darüber aus, ob diese Entscheidung auch begründet werden muss. Dass der Entscheid nicht anfechtbar ist, spricht grundsätzlich dagegen, da es keine Anfechtung gibt, die sich gegen eine Begründung wenden könnte; mit 434  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1297. So auch Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 24 m. w. Nachw. Differenzierend Stohner, forumpoenale 2015, 168 (173). 435  Jedenfalls für den Beschuldigten Stohner, forumpoenale 2015, 168 (173). 436  Anders Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 24, die die Zustimmung der Privatklägerschaft nur für Änderungen im Schuld- oder Zivilpunkt fordern, nicht hingegen bei der Abänderung der Sanktionen. 437  Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 166. 438  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 9 m. w. Nachw.



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anderen Worten: Ohne Anfechtbarkeit ist eine Begründung überflüssig. Ähnlich ist diese Frage auch in § 34 Var. 1 StPO D geregelt. Der Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs gem. Art. 3 StPO CH (für das rechtliche Gehör besonders Abs. 2 lit. c) und Art. 107 StPO CH sowie die aus diesen Vorschriften abgeleitete, auch dem schweizerischen Gericht obliegende Fürsorgepflicht könnten freilich auch hier eine – wenn auch kurze – Begründung sinnvoll erscheinen lassen. Insbesondere ist eine solche Begründung anzuraten, um den aus Sicht des Gerichts bestehenden Fehlern bei zukünftigen Verfahren begegnen zu können.439 Gem. Art. 362 IV StPO CH sind sämtliche Erklärungen, die von den Parteien im Hinblick auf das abgekürzte Verfahren abgegeben worden sind, nach der Ablehnung eines Urteils im abgekürzten Verfahren in einem folgenden ordentlichen Verfahren nicht verwertbar. Diese Erklärungen können auch nicht über die Einvernahme von im Verfahren beteiligten Personen als Zeugen in das ordentliche Verfahren eingeführt werden.440 Auch Vergleiche mit der Privatklägerschaft, die im Zusammenhang mit dem abgekürzten Verfahren geschlossen wurden, sind nach der Verweigerung der Genehmigung hinfällig.441 Vom abgekürzten Verfahren unabhängige Vergleiche und Erklärungen haben hingegen weiterhin Bestand bzw. sind verwertbar.442 Das ordentliche Verfahren wird in dem Stadium weitergeführt, in dem es sich zum Zeitpunkt der Einleitung des abgekürzten Verfahrens befand.443 Nach der Auffassung, das Gericht könne Anklage, rechtliche Würdigung und vor allem die beantragte Sanktion mit Einverständnis der Parteien in der Hauptverhandlung noch abändern, ist eine erneute Durchführung eines abgekürzten Verfahrens nach Scheitern im gerichtlichen Bestätigungsverfahren ausgeschlossen, dies insbesondere mit Blick auf den Sinn und Zweck des abgekürzten Verfahrens, die Verfahrensdauer zu verkürzen.444 e) Rechtsmittel Grundsätzlich verzichten die Parteien mit der Zustimmung zur Anklageschrift auf Rechtsmittel (Art. 360 I lit. h StPO CH). Art. 362 V StPO CH gibt Auskunft über die dennoch bestehenden, aber sehr eingeschränkten Berufungsmöglichkeiten: Im Fall eines Urteils im abgekürzten Verfahren kann eine Partei mit der Berufung nur geltend machen, sie habe der Anklageschrift nicht zugestimmt oder das Urteil entspreche der Anklageschrift nicht. Zu 439  Greiner / Jaggi,

in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 29. in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 33. 441  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1297. 442  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 31 f. 443  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 34. 444  Ähnlich auch Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 35, auch wenn sie nur von einer Regel und keinem zwingenden Ausschluss ausgehen. 440  Greiner / Jaggi,

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dem erstgenannten Fall könnte zählen, dass der Beschuldigte die Zustimmungserklärung gar nicht unterzeichnet oder ein Dritter statt des Beschuldigten unterschreibt oder der Verteidiger gegen den Willen des Beschuldigten die Erklärung abgegeben hat.445 Weiter erfasst sind schwerwiegende Willensmängel wie etwa Zwang oder Täuschung seitens der Staatsanwaltschaft und durch strafbare Handlungen wie etwa durch „Erpressung“ (gemeint ist wohl nach dem deutschen Rechtsverständnis eine Nötigung) oder Drohung erwirkte Zustimmungen, die aber in der Praxis auf Grund der Schutzmechanismen (notwendige Verteidigung, Überprüfung durch das Gericht) die absolute Ausnahme darstellen dürften.446 Verteidigung, Staatsanwaltschaft und / oder Gericht müssten schon kollusiv vorgehen, um diese Berufungsmöglichkeit zu eröffnen. Ohnehin wird dann in der Regel der Rechtsmittelverzicht nicht endgültig sein (Art. 386 III StPO CH). Für den Fall, dass das Urteil nicht der Anklageschrift entspreche, müsste das Gericht die Anklageschrift ohne Zustimmung der Parteien abgeändert und zum Urteil erhoben haben,447 denn das Gericht kann mit der Zustimmung der Parteien durchaus die Anklage ändern.448 Nach der Intention des Gesetzgebers ist die Revision (ähnelt dem deutschen Wiederaufnahmeverfahren und ist nicht vergleichbar mit der deutschen Revision449) ausgeschlossen, der Beschuldigte kann also nicht nachträglich ein Beweismittel vorbringen, das ihn angeblich entlastet.450 In der Literatur wird gleichwohl für eine Zulassung der Revision gestritten,451 dies etwa bei rechtsstaatlich inakzeptablen Ergebnissen, unerträglichem Widerspruch zwischen Urteil im abgekürzten Verfahren und späterem Strafentscheid über den gleichen Sachverhalt sowie bei allgemeinem Interesse an sachlich richtigen Entscheidungen. Darüber hinaus seien Fälle denkbar, in denen die Absprache bei Kenntnis des neuen Beweismittels nicht zu Stande gekommen oder anders ausgefallen wäre, so z. B. wenn der Beweis geeignet sei, einen Freispruch oder eine wesentlich mildere Bestrafung herbeizuführen. Dagegen spricht aber eben die klare gesetzgeberische Intention, die auf Grund des kurzen Zeitablaufs seit Inkrafttretens der Schweizerischen Strafprozessordnung besonders zu beachten ist. Hinzu kommt, dass die Parteien mit Zustimmung zur Anklageschrift einen Rechtsmittelverzicht erklärt (Art. 360 I lit. h 445  Greiner / Jaggi,

in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 43. in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 45. 447  Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 48. 448  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1297. 449  Vgl. Art. 410 ff. StPO CH; dazu auch Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 180. 450  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1297. 451  Vgl. nur Stohner, forumpoenale 2015, 168 (174) mit einer Zusammenfassung und entsprechenden Nachw. 446  Greiner / Jaggi,



II. Schweizerisches Strafprozessrecht99

StPO CH), sich also mit ebendieser Folge der ausgeschlossenen Revision abgefunden haben. Zudem folgt dieses Ergebnis aus einem Umkehrschluss aus Art. 362 V StPO CH. Insbesondere der Beschuldigte hat mit seinem Initiativrecht den Zeitpunkt der Einleitung des abgekürzten Verfahrens in der Hand und kann so dafür Sorge tragen, dass ihn entlastende Beweismittel nicht erst nachträglich auftauchen. Weiter spricht dagegen die Natur des abgekürzten Verfahrens, denn die Untersuchung ist bewusst unvollkommen ausgestaltet, ein gerichtliches Beweisverfahren hat ja gerade nicht stattgefunden, weshalb nicht selten neue Beweismittel zu Tage treten können, die der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht unbekannt waren.452 Die auf der Einigung der Parteien basierende Erledigung im abgekürzten Verfahren bedingt ferner fast zwingend geringfügige Widersprüche zu einem ordentlichen Strafverfahren gegen mitbeteiligte Beschuldigte.453 Die Revision ist damit ausgeschlossen. f) Sonderproblem: Abgekürztes Verfahren bei mehreren Tatbeteiligten Bei mehreren an der Tat beteiligten Personen gibt es für das abgekürzte Verfahren verschiedene Konstellationen, die zum Teil problemträchtig sind. Wenn alle Tatbeteiligten einen Antrag bei der Staatsanwaltschaft auf Durchführung des abgekürzten Verfahrens stellen und die Voraussetzungen für das Verfahren bei allen Beteiligten gegeben sind, steht der erfolgreichen Durchführung nichts entgegen. Dafür spricht vor allem der Grundsatz der Verfahrenseinheit im schweizerischen Strafprozessrecht, der in Art. 29 I lit. b StPO CH kodifiziert ist und nach dem Mitttäter und Teilnehmer gemeinsam verfolgt und beurteilt werden.454 Er bezweckt die Verhinderung sich widersprechender Urteile und dient der Prozessökonomie.455 Falls aber die Voraussetzungen nicht für alle Beteiligten vorliegen oder nur ein Teil der Tatbeteiligten überhaupt einen Antrag bei der Staatsanwaltschaft stellt, so können nicht alle Tatbeteiligten gemeinsam im abgekürzten Verfahren abgeurteilt werden. Dann stellt sich die Frage, ob zumindest gegen einzelne Beschuldigte das abgekürzte Verfahren in Betracht kommt. Es steht in diesem Fall zu befürchten, dass diese dann gleichsam als Gegenleistung für belastende Aussagen gegen die übrigen Beteiligten mildere Strafen erhalten.456 Dies erinnert durchaus an die Kronzeugenregelung, die der schweizerische Gesetzgeber 452  Greiner / Jaggi,

in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 51. in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 54. 454  Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 108 m. w. Nachw. 455  BGE, 138 IV 29 – Urteil vom 24.11.2011. 456  Vgl. Ruckstuhl, ZStrR 2000, 414 (426); Nahrwold, Verständigung, 2014, S.  107 f. 453  Greiner / Jaggi,

100 C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

aber „aus rechtsstaatlichen Gründen“ bewusst nicht in die neue StPO CH eingefügt hat.457 Zunächst sei nach kontinental-europäischer und vor allem schweizerischer Rechtstradition die Rolle des Beschuldigten mit der des Zeugen unvereinbar; die beschuldigte oder verdächtige Person könne nicht Zeuge in eigener Sache sein. Außerdem widerspreche eine solche Regelung dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 8 I der Schweizerischen Bundesverfassung, weil einzelnen Beschuldigten zu Lasten anderer Tatbeteiligter prozessuale Vorteile eingeräumt würden. Zuletzt bestünden auch Bedenken hinsichtlich der Glaubhaftigkeit der „auf solche Weise erkauften belastenden Aussagen“ sowie der Einhaltung des Anspruchs auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 I EMRK. Fraglich ist, wie sich dieses Dilemma lösen lässt. Zunächst bietet es sich für den Fall, dass nur ein Teil der Beteiligten das abgekürzte Verfahren beantragt hat, für die Staatsanwaltschaft an, die übrigen Beschuldigten in besonderer Weise auf die Möglichkeit des abgekürzten Verfahrens hinzuweisen. Eine entsprechende Pflicht kann erneut aus Art. 3 StPO CH – hier insbesondere Abs. 2 lit. c – sowie Art. 107 II StPO CH hergeleitet werden. Wenn aber ein Beteiligter sich dem abgekürzten Verfahren versagt, kann er hierzu nicht gedrängt oder gar gezwungen werden, denn ein wichtiger Grundsatz des abgekürzten Verfahrens ist, dass es auf der Freiwilligkeit der Beteiligten basiert und daher im ersten Schritt die Initiative des Beschuldigten fordert.458 Sowohl in diesem Fall als auch dann, wenn nicht bei allen Beteiligten die Voraussetzungen des abgekürzten Verfahrens gegeben sind, muss eine andere Lösung gesucht werden. Als Ausnahme zum Grundsatz der Verfahrenseinheit kommt die Verfahrenstrennung nach Art. 30 StPO CH in Betracht. Damit vergleichbar sind die recht unübersichtlich geratenen §§ 2–4 der deutschen StPO.459 Deutlich praktikabler und mithin praxisnäher ist Art. 30 StPO CH. Eine hiernach mögliche Verfahrenstrennung kann nur aus „sachlichen Gründen“ erfolgen. Dann wird gegen einen Teil der Beschuldigten das abgekürzte Verfahren betrieben, gegen die verbliebenen das ordentliche Verfahren. Problematisch ist aber, was unter sachlichen Gründen zu verstehen ist, denn die StPO CH verhält sich dazu nicht. In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gibt es dazu bisher wenig Hinweise. Rein organisatorische Aspekte auf Seiten der Strafverfolgungsbehör457  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1087, 1112 f., 1124. 458  Vgl. auch Amtliches Bulletin der Bundesversammlung – Nationalrat – vom 20.6.2007, S. 1020 (1030); so auch Nahrwold, Verständigung, 2014, S. 108. 459  Zu beachten sind bei Verbindung und Trennung rechtshängiger Strafsachen nach Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 4 Rn. 10, verfassungsrechtliche Grenzen, namentlich das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren, sein Recht auf zügigen Abschluss eines Strafverfahrens sowie das Übermaßverbot.



II. Schweizerisches Strafprozessrecht101

den genügen jedenfalls nicht.460 Die sachlichen Gründe müssten objektiv sein und eine Verfahrenstrennung solle dabei vor allem der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Vermeidung unnötiger Verzögerung dienen.461 Die Literatur nenne als sachliche Gründe etwa die bevorstehende Verjährung einzelner Straftaten oder die Unerreichbarkeit einzelner beschuldigter Personen; alle Beispiele bezögen sich auf Charakteristika des Verfahrens, des Täters oder der Tat, nicht aber auf organisatorische Aspekte auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden.462 In dem diesem Urteil zu Grunde liegenden Verfahren hat das Bundesgericht die Spezialisierung einzelner Staatsanwaltschaften als rein organisatorischen Aspekt angesehen, der den Ausnahme­ charakter der Verfahrenstrennung konterkariere, sollte man ihn als sachlichen Grund anerkennen.463 Nach Kaufmann464 kann sich ein sachlicher Grund aus der fehlenden Mitwirkung eines Mittäters an einem abgekürzten Verfahren ergeben, weil dieser beispielsweise keinen Antrag stellt, kein Geständnis ablegt oder keine Anerkennung etwaiger Zivilansprüche abgibt. Ein sachlicher Grund sei aber auch der erhöhte Schuldgehalt. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Straferwartung bei den einzelnen Mittätern deutlich differiert: Der Mittäter A ist Erst­ täter, der Mittäter B dagegen mehrfach einschlägig vorbestraft und bewährungsbrüchig (das heißt, die bedingte Strafe nach Art. 42 StGB CH wird wegen Nichtbewährung gem. Art. 46 I StGB CH widerrufen werden), sodass B (nicht aber A) eine Freiheitsstrafe von über fünf Jahren erwartet, die Staatsanwaltschaft also mehr als fünf Jahre verlangt und mithin bei B das abgekürzte Verfahren daher nach Art. 358 II StPO CH ausgeschlossen ist. Noch deutlicher wird dies, wenn B bereits zu fünf Jahren oder mehr Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist und die Tatzeit der nunmehr anzuklagenden Tat vor diesem (rechtskräftigen) Urteilsspruch liegt. In diesem Fall steht fest, dass B ohne Rücksicht auf die Höhe der wegen der jetzt anzuklagenden Tat zu erwartenden Strafe im Ergebnis zu einer zwingend über fünf Jahren liegenden Freiheitsstrafe verurteilt werden wird, da die bereits erkannte Strafe gem. Art. 49 II StGB CH einzubeziehen ist. Damit scheidet das abgekürzte Verfahren für die anzuklagende Tat von B aus. Diese Situation ist dem deutschen § 55 StGB vergleichbar, der (wie auch die genannte schweizerische Norm) von einem hochgradigen Gerechtigkeitsdenken zeugt. Entscheidend für dessen Anwendbarkeit, also für die Frage, ob dem Täter der 460  BGE,

138 IV 214 – Urteil vom 10.7.2012. 138 IV 214 (219) – Urteil vom 10.7.2012. 462  BGE, 138 IV 214 (219) – Urteil vom 10.7.2012 m. zahlr. Nachw. aus der schweizerischen Literatur. 463  BGE, 138 IV 214 (214 2. Regest, 220 f.) – Urteil vom 10.7.2012. 464  Kaufmann, recht 2009, 152. 461  BGE,

102 C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

danach zwingende Vorteil bei der Zumessung der letztlich zu findenden Strafe zugutekommt, ist nicht der oft zufällige Zeitpunkt des Aufdeckens der noch nicht angeklagten Tat. Gleichgültig ist dabei auch, in wessen Sphäre der Grund für die verspätete Anklage liegt (etwa wegen verzögerter polizeilicher Ermittlungen, verspäteter Anklageerhebung oder aber andererseits eines zögerlichen Geständnisses). Der Grundgedanke ist vielmehr, dass dem B der „Mengenrabatt“ nicht entgehen darf, gleichviel weshalb die Voraussetzungen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung vorliegen. Falls aber der sachliche Grund schon in der fehlenden Mitwirkung, also im Nachtatverhalten des Täters gesucht wird, widerspricht dies der klaren gesetzlichen Wertung, dass die Mitwirkung des Täters beim abgekürzten Verfahren freiwillig sein muss. Eine Ungleichbehandlung mitwirkungswilliger und -unwilliger Beschuldigter widerspricht zwar nicht schon Art. 8 I der Schweizerischen Bundesverfassung, da es sich hierbei um ungleiche Bezugssubjekte handelt und der mitwirkungswillige Beschuldigte für sein positives Nachtatverhalten belohnt werden kann. Ungleiches wird also folgerichtig auch ungleich behandelt. So wird z. B. ein Geständnis in aller Regel strafmindernd berücksichtigt. Gleichwohl muss bei der Wertung des sachlichen Grundes auch der Ausnahme­ charakter des Art. 30 StPO CH berücksichtigt werden. Im Zusammenspiel mit dem Grundsatz der Freiwilligkeit des abgekürzten Verfahrens kann das Nachtatverhalten des Täters kein ausschlaggebender sachlicher Grund für eine Verfahrenstrennung sein. Anders verhält es sich, wenn auf den hohen Schuldgehalt und die zu erwartende Freiheitsstrafe abgestellt wird. Hierin ist ein objektiver Grund zu sehen, der nicht das Nachtatverhalten berücksichtigt, sondern die eigentliche Tat. Sollte die Staatsanwaltschaft bei einigen Tatbeteiligten mehr als fünf Jahre Freiheitsstrafe verlangen, bei anderen aber nicht – vgl. dazu die oben genannten Fallgestaltungen – und Letztere das abgekürzte Verfahren beantragt haben, so kann die Staatsanwaltschaft ausnahmsweise die Verfahren nach Art. 30 StPO CH trennen, denn in der Straferwartung liegt ein tatbezogener sachlicher Grund. 2. Lehren für das deutsche Recht a) Differenzierung bei der richterlichen Unabhängigkeit Im abgekürzten Verfahren ist der schweizerische Richter – im Gegensatz zu seinem deutschen Kollegen bei der Verständigung – nicht an der Absprache beteiligt, sondern entscheidet lediglich über das Vorliegen der Voraussetzungen des Verfahrens und erhebt die Anklage zum Urteil. Entscheiden und



II. Schweizerisches Strafprozessrecht103

Urteilen gehören zum originären Aufgabengebiet eines Richters. Dabei ist er verfassungsrechtlich zur Unabhängigkeit verpflichtet (Art. 97 GG). Bei der Verständigung allerdings ist der Richter geradezu federführend. Er hat gem. § 257c I 1 StPO D das Initiativrecht465 und ist auch bei der inhaltlichen Gestaltung die zentrale Figur.466 Im Vergleich dazu bietet die schweizerische Vorgehensweise deutliche Vorteile für den Bereich der richterlichen Neutralität, denn hier sind keinerlei Beeinträchtigungen zu befürchten. Dafür übt die Staatsanwaltschaft in der Schweiz nahezu vollständige Kontrolle über das Verfahren aus, indem sie mit dem Beschuldigten und der etwa beteiligten Privatklägerschaft gemeinsam das Strafmaß festlegen kann. Gleichwohl verletzt nach hier vertretener Ansicht auch die Verständigung in Deutschland nicht das Gebot der richterlichen Unabhängigkeit.467 b) Unterschiede im Beweisrecht Der in der Schweiz praktizierte Verzicht auf eine Beweiserhebung in der Hauptverhandlung kann für Deutschland nicht übernommen werden. Dies würde gegen den Amtsaufklärungsgrundsatz (§ 244 II StPO D) und damit gegen das im deutschen Verfassungsrecht verankerte Schuldprinzip verstoßen.468 Insbesondere hat das BVerfG ausdrücklich festgestellt, dass es nicht ausreicht, sich der Anklageschrift zu unterwerfen.469 In der Schweiz reicht es demgegenüber gem. Art. 358 I StPO CH schon aus, wenn der Beschuldigte den Sachverhalt im Vorverfahren eingesteht. Hierauf aufbauend wird eine verkürzte Anklageschrift entworfen, der der Beschuldigte nur zustimmen muss (Art. 360 II 2 StPO CH). In Deutschland würde durch dieses Prozedere auch der Öffentlichkeitsgrundsatz verletzt. Gem. Art. 69 III lit. a StPO CH ist das Vorverfahren – wie in Deutschland – nicht öffentlich. Auf Grund der fehlenden Beweiserhebung werden die entscheidenden Ergebnisse des Vorverfahrens jedoch – anders als in Deutschland – nicht in die Hauptverhandlung eingeführt. Das schweizerische Strafprozessrecht geht sogar so weit, dass nicht einmal die Anklage zwingend verlesen werden muss. Vielmehr können die Parteien hierauf gem. Art. 340 II StPO CH verzichten. Dem auch in der Schweiz existenten Öffentlichkeitsprinzip ist zumindest aber insoweit Rechnung getragen, als die Verfahrensleitung die Anklageschrift zur Orientierung des im Gerichtssaal anwesenden Publikums kurz zusammenfasst.470 465  Meyer-Goßner,

in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 23. NStZ 2010, 177 (181). 467  Siehe oben B. I. 1. e). 468  Siehe oben B. I. 1. d). 469  BVerfGE 133, 168 (209 Rn. 70) = NJW 2013, 1058 (1063). 470  Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1283. 466  Fezer,

104 C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

Gravierend kommt jedoch hinzu, dass die der Anklage vorhergehende Absprache zwischen Staatsanwaltschaft und den übrigen Beteiligten im abgekürzten Verfahren bezüglich der Aushandlung der Anklageschrift und damit insbesondere der Strafe nicht öffentlich ist und auch nicht in der Hauptverhandlung öffentlich gemacht werden muss; selbst das Gericht erhält nicht zwingend Einblick, sondern bekommt nur nachträglich das Verhandlungs­ ergebnis übermittelt.471 Eine gerichtliche Überprüfung des Vorgehens bei der Absprache ist so nicht möglich. Bei der deutschen Verständigung stellen dagegen Transparenz und Überprüfbarkeit grundlegende rechtsstaatliche Sicherungsmechanismen dar. Wie bereits nachgewiesen muss aber auch in der Schweiz über die Absprache ein Protokoll mit den wesentlichen Grundzügen der Verhandlungen erstellt und zu den Akten genommen werden.472 Nur so erhält das Gericht Einblick in die Absprache und kann die Durchführung des Verfahrens angemessen überprüfen. Ein Teil der schweizerischen Lehre sieht die Einschränkung des Untersuchungsgrundsatzes kritisch, wenn kein Beweisverfahren durchgeführt, sondern auf konsensualem Wege eine formelle Wahrheit konstruiert werde.473 Eine solche Möglichkeit eröffnet das deutsche Strafverfahrensrecht nicht474 und wird nach hier vertretener Ansicht auch für das schweizerische Recht abgelehnt.475 Zudem wird die Einhaltung der Rechtsgleichheit angezweifelt, weil finanziell schwächere Beschuldigte auf der einen Seite wegen der Gerichtskosten im ordentlichen Verfahren das abgekürzte Verfahren wählten, auf der anderen Seite der mittellose Beschuldigte die zivilrechtlichen Ansprüche des Privatklägers überhaupt nicht oder nicht im geforderten Umfang erfüllen könne.476 Dagegen spricht aber zum einen, dass die Gerichtskosten (die bei Mittellosen ohnehin nicht beigetrieben werden) für den Beschuldigten keinen ausschlaggebenden Gesichtspunkt darstellen, wenn es in der Rechtsfolge um Freiheitsstrafen geht. Zum anderen müssen die zivilrecht­ lichen Ansprüche der Privatklägerschaft gem. Art. 358 I StPO CH lediglich im Grundsatz anerkannt und nicht bereits erfüllt werden. Wenn die Voraussetzungen für ein Urteil im abgekürzten Verfahren erfüllt sind, erhebt das Gericht zwar auch die Zivilansprüche der Anklageschrift zum Urteil (Art. 362 II 1 StPO CH). Dieses Vorgehen ist dem deutschen Adhäsions­ verfahren vergleichbar (§§ 403  ff. StPO D, insbesondere § 406 I 1, III 1 471  Kunz,

FS Egon Müller, 2008, S. 383 (388). oben C. II. 1. c) bb). 473  Vgl. nur Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Vor Art.  358–362 Rn. 41 m. w. Nachw. 474  Siehe oben B. I. 3. 475  Dazu oben C. II. 1. c) aa). 476  Vgl. Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Vor Art.  358–362 Rn.  44 m. w. Nachw. 472  Siehe



II. Schweizerisches Strafprozessrecht105

StPO D). Aber auch in der Schweiz muss dann zunächst die Vollstreckung (Betreibungsverfahren) aus dem Urteil betrieben werden, die fruchtlos bleiben wird, wenn der Beschuldigte mittellos ist. Zudem muss über die Höhe der Ansprüche noch vor den Zivilgerichten gestritten werden, wenn der Beschuldigte die Zivilansprüche nur im Grundsatz und nicht der Höhe nach anerkennt.477 Daher stellt auch dieser Kritikpunkt kein der Rechtsgleichheit entgegenstehendes Argument dar. Der Gleichheitsgrundsatz ist allerdings verletzt, wenn ein geständiger Angeklagter im abgekürzten Verfahren milder bestraft wird als ein Angeklagter in einem vergleichbaren Fall im ordentlichen Verfahren, der ein reuiges Geständnis ablegt. Zwar ließe sich argumentieren, dass in diesem Fall zwei ungleiche Verfahren zur Anwendung gelangen und diese Ungleichheit auch die ungleiche Rechtsfolge rechtfertige. Es stellt sich dann aber die Frage, auf was die Strafmilderung im Einzelnen gestützt wird. Gleich ist das Geständnis der zu vergleichenden Angeklagten. Ungleich ist die Effizient und Prozessökonomie der verschiedenen Verfahren. Aus Letzterem ergibt sich aber keine die Strafzumessung beeinflussende Auswirkung, denn im schweizerischen Recht misst das Gericht die Strafe ebenso nach dem Verschulden des Täters zu (Art. 47 I 1 StGB CH) wie im deutschen Recht (§ 46 I 1 StGB D: „Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe“). Prozessökonomie und Effizienz der Strafrechtspflege haben jedoch nichts mit dem Verschulden des Beschuldigten zu tun. Nahrwold argumentiert, die mit dem abgekürzten Verfahren verbundene Strafmilderung lasse sich auch mit der Verkürzung der Verfahrensrechte des Beschuldigten rechtfertigen, denn dieser gehe ein gewisses Risiko ein, wenn er sich auf eine stark verkürzte Hauptverhandlung ohne Beweisverfahren einlässt.478 Auch das vermag aber eine stärkere Strafmilderung als in vergleichbaren ordentlichen Verfahren nicht zu rechtfertigen, denn die Verkürzung der Verfahrensrechte lässt einen Zusammenhang zum Verschulden des Täters ebenfalls vermissen. Vielmehr besteht die Gefahr eines Handeltreibens mit dem Geständnis, was das BVerfG für die deutsche Verständigung klar ausgeschlossen hat.479 Das Schweizerische Bundesgericht gewichtet – vollkommen zutreffend – ein reuiges Geständnis deutlich stärker als ein taktisches,480 woran sich auch die Praxis orientieren muss. Das taktische 477  Vgl.

dazu bereits oben C. II. 1. b). Verständigung, 2014, S. 252, der allerdings auch erkennt, dass das Verschulden durch eine schneller verhängte Strafe nicht geringer wird, das Problem bezüglich der Strafzumessung aber nur durch gesetzlich verankerte Strafmilderung bei einer Urteilsabsprache gelöst werden könnte, welche jedoch nicht existiert (S. 253). 479  BVerfGE 133, 168 (230 Rn. 110) = NJW 2013, 1058 (1069): „Ein Geständnis darf nicht zur ‚Handelsware‘ werden“. 480  BGE, 121 IV 202 (206) – Urteil vom 25.9.1995. Ähnlich auch Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 358 Rn. 18. 478  Nahrwold,

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Geständnis kann zwar auch strafmindernd berücksichtigt werden, denn es trägt zur Tataufklärung über den eigenen Tatanteil bei und schont das Opfer oder die geschädigte Partei, was als Nachtatverhalten481 zu seinen Gunsten verwendet werden kann, aber eben in deutlich geringerem Umfang als beim reuigen Ge­ständnis,482 denn aufrichtige Reue ist gem. Art. 48 lit. d StGB CH ein kodifizierter Strafmilderungsgrund. c) Rechtliche Stellung des Privatklägers Das oben483 skizzierte schweizerische Problem des Zustimmungserfordernisses der Privatklägerschaft existiert in Deutschland nicht. Einerseits kann der Widerspruch des Nebenklägers das Zustandekommen der Verständigung nicht verhindern.484 Andererseits wird dieses Problem bei einer eventuell vorhandenen Alternative zur Verständigung nicht akut.485 d) Selbstbelastungsfreiheit Die Selbstbelastungsfreiheit wird im schweizerischen Strafprozessrecht durch die uneingeschränkte Freiwilligkeit und das beim Beschuldigten konzentrierte Initiativrecht – ebenso wie in Deutschland – ausreichend gewahrt. Dagegen könnte die Unschuldsvermutung durch das schweizerische abgekürzte Verfahren verletzt sein. Wenn ein Beschuldigter das abgekürzte Verfahren beantragt hat, kann er von den Strafverfolgungsbehörden kaum mehr seriös als unschuldig angesehen werden,486 wie es Art. 10 I StPO CH an sich vorsieht. Allerdings gilt weiterhin Art. 160 StPO CH, der als allgemeiner Grundsatz aufzufassen ist. Denn er ist unter dem 4. Titel (Beweismittel) den Titeln 6–8 der StPO CH über Vorverfahren, erstinstanzliches Hauptverfahren und besondere Verfahren (wozu das abgekürzte Verfahren zählt) vorangestellt und erlangt somit nach systematischer Auslegung generelle Bedeutung. Diese Norm fordert von Staatsanwaltschaft und Gericht, dass ein Geständnis auf die Glaubhaftigkeit zu überprüfen ist. Somit haben die Strafverfolgungsbehörden auch im abgekürzten Verfahren so lange von der Unschuld des Beschuldigten auszugehen, bis sie eine gegenteilige sichere Überzeugung er481  Vgl.

dazu in Deutschland § 46 II 2 a. E. StGB D. hierzu Stohner, forumpoenale 2015, 168 (170) m. w. Nachw., der aber auch erwägt, die Strafminderung ganz entfallen zu lassen, da ein taktisch geprägtes Geständnis nicht von Reue oder Einsicht zeugt. 483  C. II. 1. c) cc). 484  Jahn / Müller, NJW 2009, 2625 (2630). 485  Dazu unten D. III. 486  Bommer, in: Heer, Schweizerische Strafprozessordnung, 2010, S. 149 (163). 482  Vgl.



II. Schweizerisches Strafprozessrecht107

langt haben. Darüber hinaus lässt sich mit der Rechtsfolge des Art. 360 V StPO CH argumentieren, denn wenn der Beschuldigte der Anklageschrift nicht zustimmt, führt die Staatsanwaltschaft ein ordentliches Vorverfahren durch, bei welchem die Unschuldsvermutung unverändert gilt (Art. 10 I StPO CH). In diesem Fall ist ferner Art. 362 IV StPO CH zu beachten, der ein Beweisverwertungsverbot vorschreibt. Auch in dieser Regelung zeigt sich die Unschuldsvermutung im schweizerischen abgekürzten Verfahren. e) Begründungserfordernis Gem. Art. 359 I 2 StPO CH muss die Entscheidung über die Durchführung des abgekürzten Verfahrens von der Staatsanwaltschaft nicht begründet werden. Dies steht im Widerspruch zu den in Deutschland vorherrschenden Bestrebungen, die Verständigung transparent und überprüfbar zu gestalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In diesem Zusammenhang spielt die Erwägung eine Rolle, dass in Deutschland die Ablehnung einer Verständigung unter Ermessensgesichtspunkten zumindest summarisch begründet werden soll.487 Aber auch die schweizerischen Behörden müssen ihr Ermessen im Einzelfall ausüben und dürfen nicht kategorisch das abgekürzte Verfahren ganz oder für einzelne Deliktstypen ausschließen, denn der Gesetzgeber hat das abgekürzte Verfahren nur ausgeschlossen, wenn die Staatsanwaltschaft im konkreten Fall eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren erwartet.488 f) Ermittlungsgrundsatz Aus dem hier vertretenen Verbot der Sachverhaltsabsprache (fact bargaining) für das schweizerische abgekürzte Verfahren kann auch für das deutsche Recht gefolgert werden, dass Verständigungen über den Sachverhalt nicht zulässig sind. Denn insbesondere in Bezug auf das Grundsatzurteil des BVerfG,489 aber auch aus einem Erst-recht-Schluss aus der ausdrücklichen Aufrechterhaltung des Untersuchungsgrundsatzes (§ 244 II i. V. m. § 257c I 2 StPO D) ergibt sich, dass in Deutschland die materielle Wahrheit auch bei der Verständigung erforscht und zu Grunde gelegt wird. Das schweizerische Recht hat eine solche ausdrückliche Bezugnahme nicht in das Gesetz aufgenommen, dennoch sprechen überwiegende Gründe für die Forderung nach 487  Vgl.

dazu bereits oben B. II. 4. im Ergebnis auch Stohner, forumpoenale 2015, 168 (169), m. einzelnen Nachw. aus der Praxis zur Missachtung dieses Grundsatzes. 489  BVerfGE 133, 168 = NJW 2013, 1058. 488  So

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Ermittlung der materiellen Wahrheit, der auch die schweizerische Staatsanwaltschaft verpflichtet ist. Auch im abgekürzten Verfahren darf der „Boden schuldangemessenen Strafens“ nicht verlassen werden.490 Das entspricht der Situation der Verständigung in Deutschland, bei der das Schuldprinzip ebenfalls seine vollständige Geltung behält.491 g) Systematik Systematisch ist das abgekürzte Verfahren als eigenständiges besonderes Verfahren ausgestaltet, während die Verständigung keine eigenständige Verfahrensart wie etwa die besonderen Verfahrensarten des sechsten Buchs der deutschen StPO (darunter auch das beschleunigte Verfahren492) darstellt, sondern vielmehr in das allgemein geltende Strafprozessrecht integriert wurde. Der deutsche Gesetzgeber hat die vorbereitende Erörterung in jedem Verfahrensstadium mit einer eigenen Norm ausgestattet (§§ 160b, 202a, 212, 257b StPO D). h) Rechtsmittelverzicht aa) Diametral entgegengesetzte Regelung der Anfechtbarkeit Auch beim Rechtsmittelverzicht gibt es einen augenfälligen Unterschied zwischen den beiden untersuchten Prozessordnungen. In der deutschen Verständigung wurde der Rechtsmittelverzicht durch § 302 I 2 StPO D gesetzlich ausgeschlossen. Durch § 35a S. 3 StPO D, der eine Belehrung des Betroffenen darüber vorsieht, dass er in jedem Fall frei in seiner Entscheidung ist, ein Rechtsmittel einzulegen, wird der Ausschluss des Rechtsmittelverzichts noch verfestigt. Zweck der Regelungen ist es, den Rechtsmittelberechtigten gegen mögliche Willensbeeinträchtigungen zu schützen, da durch seine Mitwirkung an der Verständigung die Erwartung geweckt wird, der Beschuldigte werde das konsensorientierte Ergebnis nicht anfechten.493 Anderenfalls sähe er sich dem Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens ausgesetzt, was eine besondere Drucksituation erzeuge. Zudem soll der Beschuldigte vor vorschnellen Entscheidungen über seine Rechtsmittel bewahrt werden, er soll vielmehr in Ruhe und ohne Druck überlegen, ob er das Urteil akzeptieren 490  Greiner / Jaggi,

in: Basler Kommentar, Art. 362 Rn. 16. oben B. I. 1. b) und d). 492  Siehe dazu sogleich unten C. II. 2. j). 493  Niemöller, in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil B § 35a Rn. 3. 491  Siehe



II. Schweizerisches Strafprozessrecht109

will.494 Dagegen kann es in der Schweiz kein Urteil im abgekürzten Verfahren ohne Rechtsmittelverzicht geben, denn die Anklageschrift, der die Parteien zugestimmt haben, enthält zwingend den Hinweis an die Parteien, dass diese mit der Zustimmung zur Anklageschrift auf Rechtsmittel verzichten (Art. 360 I lit. h StPO CH). Einzig die Berufung bleibt in engen Grenzen möglich, nämlich dann, wenn eine Partei geltend machen kann, sie habe der Anklageschrift nicht zugestimmt oder das Urteil entspreche der Anklageschrift nicht (Art. 362 V StPO CH). Eine Revision ist hingegen ausgeschlossen. Diese ähnelt allerdings eher dem deutschen Wiederaufnahmeverfahren und ist nicht vergleichbar mit der deutschen Revision (vgl. Art. 410 ff. StPO CH). Gem. § 302 I 2 StPO D ist der Verzicht auf Rechtsmittel ausgeschlossen. Die Regelung geht aber nicht weit genug. In § 302 I 1 StPO D spricht der Gesetzgeber vom Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels sowie von der Zurücknahme eines Rechtsmittels. In § 302 I 2 StPO D wird ausdrücklich nur der Verzicht erwähnt. Die unterschiedliche Formulierung der beiden Sätze lässt vertretbar erscheinen, dass der Beschuldigte in einem verständigungsbasierten Verfahren ein eingelegtes Rechtsmittel zurücknehmen kann.495 Dies würde faktisch aber wie ein Rechtsmittelverzicht wirken, wenn man mit dem BGH davon ausgeht, dass das Rechtsmittel nicht erneut eingelegt werden kann und die Rücknahme zum Verlust des Rechtsmittels führt.496 So lag dem BGH im Jahre 2010 ein Fall vor, dem ein verständigungsbasiertes Urteil vorausgegangen war, gegen das der Verteidiger am Tag der Urteilsverkündung Revision eingelegt und keine Stunde später ebendiese Revision zurückgenommen hatte.497 Bei einer solchen Vorgehensweise liegt es nahe, dass hierdurch der Sinn und Zweck von § 302 I 2 StPO D umgangen werden soll. Laut BGH soll dagegen eine Umgehung nur für den Fall vorliegen, dass das Gericht den Angeklagten zu dieser Vorgehensweise drängt oder sie sogar Inhalt der Verständigung ist.498 Mit Recht stellt Jahn in seiner kritischen Anmerkung fest, dass das Argument des BGH, der Angeklagte könne durch dieses Prozedere eine Woche früher von der Untersuchungshaft in den Strafvollzug wechseln, mit Blick auf § 57 II StGB D „bei einer Haftstrafe von

494  Niemöller,

in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil B § 302 Rn. 3. BGHSt 55, 82 = NJW 2010, 2294 (2294 Rn. 17). 496  Ständige Rechtsprechung, vgl. BGHSt 10, 245 = NJW 1957, 1040; BGH, NStZ 1995, 356; NStZ-RR 2010, 55 (55 f.). Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 302 Rn. 12, spricht gar davon, dass die Rücknahmeerklärung den Verzicht auf die Wiederholung des Rechtsmittels enthält. So auch BGH, NStZ-RR 2000, 305; NStZRR 2004, 341. 497  BGHSt 55, 82 = NJW 2010, 2294. 498  BGHSt 55, 82 = NJW 2010, 2294 (2295 Rn. 23). 495  So

110 C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

104 Wochen … gekünstelt“ wirkt.499 Noch zugespitzter spricht Fischer gar von der „Erfindung von Bauernschläue geprägter Tricks“.500 Der BGH fügt jedoch als weiteren Begründungsbaustein das Argument hinzu, für die Rücknahme seien im Gegensatz zum einfachen Verzicht zwei Erklärungen notwendig, durch welche eine vorschnelle Handlung des Angeklagten vermieden werde.501 Zudem verlangt § 302 II StPO D eine ausdrückliche Ermächtigung des Mandanten, wenn das Rechtsmittel durch seinen Verteidiger zurückgenommen werden soll. Die Überzeugungskraft dieser Argumente wird jedoch durch die überaus kurzen Zeitspannen zwischen Urteilsverkündung und Revisionseinlegung und vor allem zwischen Revisionseinlegung und Rücknahme des Rechtsmittels minimiert. Insbesondere stellte sich der Fall so dar, dass der Anstoß zu dieser Konstruktion laut der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden vom Verteidiger des Angeklagten kam, der Angeklagte bei dieser Erörterung aber überhaupt nicht zugegen war.502 Erschwerend kommt hinzu, dass der Angeklagte zur Zeit der Revisionsrücknahme in Untersuchungshaft saß und es eher unwahrscheinlich ist, dass Angeklagter und Verteidiger zwischen Revisionseinlegung und Rücknahme des Rechtsmittels Kontakt hatten.503 Wahrscheinlicher ist, dass der Angeklagte bereits zuvor lediglich ein pauschales Einverständnis (§ 302 II StPO D) erteilt hatte. Freilich ist auch dies nicht unproblematisch, wie Meyer-Goßner treffend formuliert: „Die bei Übernahme des Mandats erteilte allgemeine Prozessvollmacht kann … nicht als ausdrückliche [Rücknahme-]Ermächtigung angesehen werden, es sei denn, das Mandat wurde erst zur Durchführung des Rechtsmittelverfahrens erteilt …; sonst muss sich die Ermächtigung auf ein bestimmtes Rechtsmittel beziehen“.504 bb) Beispielsfälle und Vorzug der Opportunitätsregelungen Das KG hatte über einen anderen Fall zu befinden.505 Dort war beim Schöffengericht die Einbeziehung der Strafe aus einem früheren Urteil vom Strafrichter Teil der Verständigung, sofern der Angeklagte bezüglich ebendieses Urteils seine dort eingelegte Berufung zurücknimmt. Er wurde sodann hinsichtlich § 257c V StPO D wie auch hinsichtlich § 35a S. 3 StPO D ord499  Jahn,

JuS 2010, 742 (744). ZRP 2010, 249 (250). Ähnliche Formulierungen finden sich auch bei Beulke, FS Schlothauer, 2018, S. 315 (327), und Scheffler / Lehmann, StV 2015, 123 (128). 501  BGHSt 55, 82 = NJW 2010, 2294 (2294 f. Rn. 18). 502  BGHSt 55, 82 = NJW 2010, 2294 (2294 Rn. 11 f.). 503  Gericke, NStZ 2011, 110 (111). 504  Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 302 Rn. 32 m. w. Nachw. 505  KG, NStZ 2015, 236. 500  Fischer,



II. Schweizerisches Strafprozessrecht111

nungsgemäß belehrt. Mit der Zustimmung zum Verständigungsvorschlag erklärte er die Rücknahme der Berufung gegen das Strafrichterurteil. Im verständigungsgemäßen späteren Urteil vom Schöffengericht wurde die Strafe aus dem Strafrichterurteil nach § 55 StGB D einbezogen. Der Hintergrund dieser Verfahrensweise soll näher beleuchtet werden: In einer förmlich nicht zu beanstandenden Vereinbarung vor dem Schöffengericht hatte der Angeklagte für beide Verfahren ein Geständnis signalisiert und – um den Weg in § 55 StGB D zu eröffnen – die Rücknahme der Berufung gegen das Strafrichterurteil angekündigt. Diese Rücknahme hat er sodann auch zu Protokoll des Schöffengerichts erklärt. Die Berufungsrücknahme wurde der zur Entscheidung über die Berufung gegen das Strafrichterurteil zuständigen kleinen Strafkammer unverzüglich zugeleitet, die dem nunmehr nach ihrer Meinung rechtskräftig verurteilten Angeklagten die Kosten ihres Berufungsverfahrens auferlegte. Zusammen mit der sofortigen Beschwerde gegen diese Kostenentscheidung (§§ 464 III, 304 III, 311 StPO D) beantragte der Verteidiger „festzustellen, dass die Rücknahme der Berufung [gegen das Strafrichterurteil, Klarstellung durch den Verfasser dieser Dissertation] unwirksam war und das Berufungsverfahren fortzuführen“ sei.506 Gegen die daraufhin ergangene Feststellung der kleinen Strafkammer, die Berufung gegen das Strafrichterurteil sei wirksam zurückgenommen und das Berufungsverfahren sei beendet, legte die Verteidigung mit der Begründung, die Berufungsrücknahme sei entsprechend §§ 302 I 2, 35a S. 3 StPO D unzulässig, eine zweite sofortige Beschwerde ein, die beim KG erfolglos blieb. Dazu führte das KG im Wesentlichen aus:507 § 302 I 2 StPO D erfasse nur den Verzicht, nicht aber die Rechtsmittelrücknahme. Eine analoge Anwendung scheide mangels planwidriger Regelungslücke aus. Verzicht und Rücknahme unterschieden sich deutlich voneinander, weil der Verzicht „in aller Regel am Ende der Hauptverhandlung spontan durch eine einzige, womöglich nicht hinreichend überlegte Erklärung ausgesprochen“ werde, die Rechtsmittelrücknahme bedürfe dagegen einer erneuten Erwägung der Gesamtumstände und einer da­ rauf basierenden weiteren Willensäußerung, wonach die zuvor getroffene Entscheidung revidiert werde. Beide Situationen seien für den Angeklagten vollkommen unterschiedlich, einmal stehe er noch unter dem Eindruck einer hektischen Hauptverhandlung, im anderen Fall habe er Zeit und Ruhe, eine wohlerwogene Entscheidung über die Erfolgsaussichten und den Fortbestand seines Rechtsmittels zu befinden. Auch aus § 257c StPO D folge keine Unwirksamkeit der Berufungsrücknahme. Das KG bezieht sich hierbei besonders auf § 257c II 1 Var. 3 StPO D („das Prozessverhalten der Verfahrens­ beteiligten“) und zitiert hierbei die Materialien des Gesetzgebers, welcher 506  KG, 507  KG,

NStZ 2015, 236 (237). NStZ 2015, 236 (237 f.).

112 C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

klargestellt habe, sämtliche Handlungen, die in der Sphäre des Angeklagten lägen und über die er frei disponieren könne, würden von Var. 3 erfasst.508 Der Gesetzgeber hat dort tatsächlich aber nur drei Absätze später ausdrücklich niedergelegt, „Entscheidungen, die in andere Verantwortlichkeit als derjenigen fallen, die am Erkenntnisverfahren beteiligt sind oder Prozesssitua­ tionen außerhalb des gegenständlichen Erkenntnisverfahrens betreffen (wie z. B. Entscheidungen im Strafvollstreckungsverfahren oder Entscheidungen in Strafverfahren, die bei anderen Gerichten anhängig sind) sind damit ausgeschlossen.“509 Mit Blick darauf verfängt auch die am Wortsinn orientierte denkbare Auslegung von § 257c II 1 StPO D nicht, wonach das Gesetz die Klarstellung „im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren“ lediglich bei Var. 2 nennt, nicht jedoch am Ende und nach Var. 3 – was formulierungstechnisch problemlos möglich gewesen wäre. Diese Auslegung erscheint auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbar, erfasst aber nicht den in der Gesamtschau erkennbaren Willen des Gesetzgebers, der insbesondere aus der eben zitierten Stelle der Drucksache des Bundestages deutlich wird. Diese widerspricht auch der Befürchtung des KG, die Stellung des Angeklagten als Prozesssubjekt werde tangiert, wenn ihm die Möglichkeit genommen werde, in der von der Kammer gebilligten Weise Einfluss auf den Gang und das Ergebnis des Strafverfahrens (gemeint ist wohl von beiden Strafverfahren) zu nehmen.510 Wenn das KG schließlich meint, die beiden ersten Varianten von § 257c II 1 StPO D richteten sich ausschließlich an das Gericht, die von ihm bemühte dritte Variante hingegen an die übrigen Verfahrensbeteiligten,511 so überzeugt auch dies nicht. Gerade Var. 2 („sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen“) betrifft erkennbar alle Verfahrensbeteiligten. Beispielsweise muss bei § 154a II StPO D die Staatsanwaltschaft zustimmen, bei § 154 II StPO D ist gar ihr Antrag erforderlich. Noch deutlicher wird dies bei §§ 153 II, 153a II StPO D, bei denen sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte zustimmen müssen und im letzten Fall der Angeklagte gar über die Auflagen und Weisungen disponieren muss. Die Mängel der Argumentation des KG offenbaren sich gravierend, wenn es noch glaubt hinzufügen zu müssen, Gegenstand der Verständigung könne ein noch bei der Staatsanwaltschaft anhängiges Ermittlungsverfahren sein, indem dort die Zusage einer Einstellung – und sei es nur nach § 154 I StPO D – gegeben wird. Auch hier mag erneut auf die Drucksache des Bundestages verwiesen werden, die das KG in ihrer Gesamtaussage erkennbar nicht erfasst und verkürzt hervorgehoben hat. Zuzustimmen ist dem KG zwar soweit es ausführt, gerade 508  BT-Drs. 509  BT-Drs.

tion.

510  KG, 511  KG,

16 / 12310, S. 13. 16 / 12310, S. 13, Hervorhebung durch den Verfasser dieser Disserta-

NStZ 2015, 236 (238). NStZ 2015, 236 (238).



II. Schweizerisches Strafprozessrecht113

der Wortlaut der §§ 302 I 2, 35a S. 3 StPO D spreche nicht gegen die Zurücknahme eines eingelegten Rechtsmittels. Bezüglich eines anderen Verfahrens nach Ablauf der einwöchigen Einlegungsfrist (§§ 311 II, 314 I, 341 I StPO D) können Sinn und Zweck der Regelungen selbstverständlich nicht betroffen sein, denn dieses andere Verfahren war ja eben nicht verständigungsbasiert. Hier benötigt der Angeklagte mangels besonderer Drucksituation keinen besonderen Schutz. Dies allerdings in der Verständigung selbst zu fordern, begegnet größten Bedenken, denn das BVerfG hat in seinem Grundsatzurteil gerade die Unzulässigkeit sogenannter „Gesamtlösungen“ (auch „Packagedeals“ genannt512) verdeutlicht.513 Der Senat hat dies am Beispiel der Staatsanwaltschaft erläutert (keine Einstellung anderer Verfahren nach § 154 I StPO D).514 Für die Verpflichtung zu einer Rechtsmittelrücknahme durch den Angeklagten oder die Staatsanwaltschaft in einem „fremden“, nicht beim jetzt beteiligten Gericht anhängigen Verfahren kann jedoch nichts anderes gelten.515 Damit verstößt die Verständigung des dem Beschluss des KG zu Grunde liegenden Urteils gegen § 257c StPO D. Der Beschuldigte kann nicht an dem festgehalten werden, was er in dieser rechtswidrigen Verständigung versprochen und erklärt hat. Somit muss auch die Rücknahme der Berufung gegen das erste (Strafrichter-)Urteil unwirksam sein. Das entspricht auch dem oben genannten Normzweck der §§ 302 I 2, 35a S. 3 StPO D, den Angeklagten vor übereilten Entscheidungen in der hektischen Situation der Urteilsverkündigung zu schützen, denn die Rücknahme der Berufung geschah unmittelbar nach Zustimmung zur Verständigung unter dem Eindruck einer hierdurch entstandenen Drucksituation.516 Besonders wegen des am Wortlaut orientierten Arguments verstößt die Konstruktion der Zurücknahme eines eingelegten Rechtsmittels im Normalfall aber nicht gegen § 302 I 2 StPO D. Der Gesetzgeber hat die Zurücknahme bewusst nicht in die Regelung einbezogen, was gerade der Wortlaut von § 302 I 1 StPO D beweist.517 Vorteilhaft ist, dass dadurch eine Zurücknahme eines Rechtsmittels nach Ablauf der einwöchigen Einlegungsfrist (§§ 311 II, 314 I, 341 I StPO D) möglich bleibt. Für die Verständigung bleibt aber das Problem während der einwöchigen Rechtsmittelfrist bestehen, dass die Zurücknahme faktisch wie ein Verzicht wirkt. Wegen der besonderen Situation bei einem verständigungsbasierten Urteil sollte daher die oben skiz512  Bittmann,

NStZ 2017, 57; Knauer / Pretsch, NStZ 2015, 238. 133, 168 (214 Rn. 79) = NJW 2013, 1058 (1064). 514  So auch oben B. I. 3. behandelte Handreichung der Generalstaatsanwaltschaften. 515  Knauer / Pretsch, NStZ 2015, 238 (238 f.). 516  So auch Knauer / Pretsch, NStZ 2015, 238 (239). 517  Ähnlich KG, NStZ 2015, 236 (237). 513  BVerfGE

114 C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

zierte Rechtsprechung hinsichtlich der Wirkung der Zurücknahme eines Rechtsmittels überdacht und dahingehend differenziert werden, ob die Zurücknahme noch innerhalb der einwöchigen Frist zur Rechtsmitteleinlegung liegt oder danach. Im ersten Fall bleibt es dem Angeklagten unbenommen, innerhalb dieser Frist erneut Rechtsmittel einzulegen.518 Dies folgt aus Sinn und Zweck von § 302 I 2 StPO D. Dieser schützt den Beschuldigten in der besonderen Drucksituation nach einer Verständigung vor der Annahme, er müsse an dieser festhalten. Damit verliert der Beschuldigte freilich die Möglichkeit, frühzeitiger in den Strafvollzug zu kommen. Dafür ist er innerhalb der Woche aber vollkommen frei in seiner Entscheidung, Rechtsmittel einzulegen, wie es der Intention des Gesetzgebers entspricht. Hierdurch wird der Beschuldigte auch besonders geschützt. Zwar hat er möglicherweise ein Interesse an frühzeitigerem heimatnahen Vollzug im Gegensatz zur Untersuchungshaft – denn solange die Untersuchungshaft vollstreckt wird, geschieht dies grundsätzlich in der dafür zuständigen Justizvollzugsanstalt, die meist heimatfern ist; erst nach Rechtskraft kann der Verurteilte bei der Staatsanwaltschaft beantragen, in die heimatnahe Vollzugsanstalt verlegt zu werden (dies gilt sogar bundesländerübergreifend) – oder am maximal eine Woche (vgl. §§ 311 II, 314 I, 341 I StPO D) früheren Zeitpunkt der Halbstrafenverbüßung gem. § 57 II StGB D. Dieses Interesse muss jedoch hinter seinem eigenen besonderen Schutz zurückstehen, zumal im Fall der Halbstrafenverbüßung die Untersuchungshaft gem. §§ 57 IV, 51 StGB D angerechnet werden kann, was freilich der uneingeschränkte Regelfall ist (vgl. das RegelAusnahme-Verhältnis in § 51 I 1 StGB D und § 51 I 2 StGB D). Es wäre allerdings begrüßenswert, wenn der Gesetzgeber mit einer Ergänzung in § 302 I StPO D klarstellen würde, dass der Angeklagte im Fall eines verständigungsbasierten Urteils innerhalb der Frist zur Rechtsmitteleinlegung auch nach Rücknahme frei ist, erneut Rechtsmittel einzulegen. Damit würde auch die rechtswissenschaftliche Diskussion um die Rechtsmittelrücknahme nach Verständigung enden. Wenn Niemöller519 das ebenso bestreitet, wie eine unterschiedliche Auslegung des Begriffs „Zurücknahme“ für Verständigungsfälle und sonstige Fälle, weil er bei Zurücknahme des Rechtsmittels innerhalb der Rechtsmittelfrist in allen Verfahren entgegen der ständigen Rechtsprechung des BGH eine erneute Rechtsmitteleinlegung innerhalb der Frist für möglich hält, so übersieht er einen entscheidenden Punkt: Auch dem Gesetzgeber war bei Erarbeitung des § 302 I 2 StPO D die ständige Rechtsprechung des BGH nicht fremd. Das hat zwei mögliche Folgen: Entweder ihm war bewusst, dass die Zurücknahme eines Rechtsmittels im Ergebnis einem 518  Ähnlich auch Niemöller, NStZ 2013, 19 (23 f.), allerdings ohne Differenzierung – eine erneute Rechtsmitteleinlegung innerhalb der Rechtsmittelfrist hält er entgegen der Rechtsprechung des BGH stets und für alle Verfahren für möglich. 519  Niemöller, NStZ 2013, 19 (24).



II. Schweizerisches Strafprozessrecht115

Rechtsmittelverzicht gleichsteht, und er hat diese Möglichkeit den Verfahrensbeteiligten bewusst eröffnen wollen. Dies würde den Schutzzweck der Norm allerdings geradezu konterkarieren.520 Außerdem gibt es hierfür in den Gesetzesmaterialien keinen Hinweis.521 Oder ihm war dieses Resultat gerade nicht hinreichend bewusst und er hat sich über die Konsequenzen in der Form keine Gedanken gemacht. Dann ist aber mit teleologischer Auslegung eine unterschiedliche Bewertung des Begriffs „Zurücknahme“ für Verständigungs- und sonstige Fälle auf Grund der planwidrigen Regelungslücke zu rechtfertigen. Es geht hier indes nicht um eine Analogie. Vielmehr soll dem Willen des Gesetzgebers weitestmöglich Rechnung getragen werden. Mit dem Wortlaut der Norm ist dies ebenfalls vereinbar, denn diese Auslegung befindet sich im möglichen grammatikalischen Sinn des Wortes „Zurücknahme“, wovon auch Niemöller für seine – freilich für alle Verfahren geltende – Ansicht ausgehen kann. Zudem muss lediglich eine ständige Rechtsprechung „bereichsspezifisch“ anders interpretiert werden und nicht, wie Niemöller behauptet, eine gesetzgeberische Entscheidung.522 Dass die ständige Rechtsprechung bezüglich der Zurücknahme eines Rechtsmittels innerhalb der Anfechtungsfrist generell kritikwürdig sein mag, steht auf einem anderen Blatt. Mit einer Ergänzung in § 302 I StPO D könnte der Gesetzgeber sich jedenfalls eindeutig positionieren, ob er diese ständige Rechtsprechung des BGH billigt oder nicht. Ungeachtet dieser – wie und von wem auch immer – lösbaren Probleme ist die Rechtslage zum Rechtsmittelverzicht im deutschen Verfahrensrecht dem nahezu kategorischen Rechtsmittelausschluss in der Schweiz auf Grund der besonderen Anreiz- und Drucksituation nach Verkündung des verständigungsbasierten Urteilsspruchs vorzuziehen. Dies gilt umso mehr, als dem deutschen Richter rechtssichere Alternativen offenstehen.523 Dazu sei folgende in der Praxis gar nicht seltene Situation dargestellt:524 Die Teilnehmer an den Verständigungsverhandlungen sind sich allseits einig und finden ein für alle akzeptables Ergebnis. Von daher signali520  So auch Niemöller, NStZ 2013, 19 (25), der in dieser Konstruktion eine Gesetzesumgehung sowie einen Rechtsmissbrauch sieht. 521  Vgl. den äußerst kurzen Absatz zur Änderung in § 302 I StPO D in der Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16 / 12310, S. 15. 522  Niemöller, NStZ 2013, 19 (24). 523  Dazu unten D. III. 524  So ist es dem Verfasser dieser Dissertation in zahlreichen Diskussionen mit Praktikern vermittelt worden. Ganz ähnlich lief der Fall ab, der dem Beschluss des OLG München, NJW 2013, 2371, zu Grunde liegt, allerdings legte der Beschuldigte erst mehr als ein Jahr später über seinen neuen Verteidiger Berufung ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der versäumten Berufungsfrist (OLG München, NJW 2013, 2371 [2372]). Das Urteil des AG wurde zu Recht als nichtig und unbeachtlich bewertet. Vgl. zu den Abläufen dieses „Prozesses“ auch Leitmeier, NStZ 2014, 690 (690 f.).

116 C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

siert der Verteidiger aus eigener Initiative, ein entsprechendes Urteil werde nach einer Woche rechtskräftig, er habe den Mandanten „im Griff“. Unmittelbar nach dem verständigungsgemäßen Urteil entzieht der Verurteilte diesem Verteidiger das Mandat und ein neuer Verteidiger legt Rechtsmittel ein. Eine solche Konstellation sollte das Gericht stets im Kalkül haben, also auch bei „gesichert“ erscheinenden Verständigungen äußerst sorgfältig arbeiten. Der Aufwand ist nach wie vor hoch, eine Zeitersparnis eher gering. Hier wird bereits der Vorteil einer prozessualen Lösung nach Opportunitätsregeln (§§ 153 ff. StPO D) deutlich, bei denen grundsätzlich die Entscheidung sogleich Bestand erlangt.525 i) Vergleich zum deutschen vereinfachten Jugendverfahren Das abgekürzte Verfahren ist in groben Zügen mit dem deutschen vereinfachten Jugendverfahren nach §§ 76–78 JGG zu vergleichen. Beide Verfahren sind vornehmlich für mittelschwere Kriminalität vorgesehen.526 Dahinter steht zudem besonders die Überlegung, dass im vereinfachten Jugendverfahren ein Absehen von einzelnen rechtsstaatlichen Prinzipien als zulässig erachtet wird, jedenfalls sofern die Bedeutung der Sache und die Wahrheits­ ermittlungspflicht nicht entgegenstehen (§ 78 III 1 JGG).527 Letzteres stellt eine wichtige rechtsstaatliche Hürde dar, weshalb beispielsweise an die Ablehnung von Beweisanträgen keine geringeren Anforderungen zu stellen sind als im allgemeinen Strafverfahrensrecht.528 Damit ist aber auch klargestellt, dass wie bei der Verständigung und nach hier vertretener Auffassung auch beim abgekürzten Verfahren die materielle Wahrheit ermittelt werden muss. Das vereinfachte Jugendverfahren dient ebenso wie das abgekürzte Verfahren – zumindest auch – der Prozessökonomie.529 So ist das vereinfachte Jugendverfahren nur möglich, wenn eine umfangreiche Beweisaufnahme nicht erforderlich ist (§ 77 I 1 Halbs. 2 Var. 3 JGG). Daher ist tunlichst ein Geständnis zu fordern. Zwingend ist dies aber nicht, da ansonsten der Nemotenetur-Grundsatz betroffen ist.530 Ähnlich liegt es auch im schweizerischen 525  Ebenfalls

unten D. III. insb. D. III. 2. c) ff). in: Meier / Rössner / Trüg / Wulf, JGG, § 76 Rn. 1, für das vereinfachte Jugendverfahren; Greiner / Jaggi, in: Basler Kommentar, Art. 358 Rn. 113, für das abgekürzte Verfahren. 527  Eisenberg, JGG, § 78 Rn. 3, 22. 528  Vgl. dazu §§ 244  f. StPO D; Eisenberg, JGG, § 78 Rn. 23; a.  A. BeckOK StPO / Walther, JGG § 78 Rn. 2 mit Verweis auf BeckOK StPO / Temming, § 420 Rn. 5: „Die Ablehnung von Beweisanträgen setzt nur noch voraus, dass das Gericht die Erhebung des angebotenen Beweises zur Erforschung der Wahrheit nicht für erforderlich hält“. 529  Eisenberg, JGG, § 78 Rn. 3. 526  Buhr,



II. Schweizerisches Strafprozessrecht117

abgekürzten Verfahren, in dem die Beweisaufnahme gänzlich entfällt. Hier werden also auch rechtsstaatliche Prinzipien (insbesondere der Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsgrundsatz) bewusst umgangen, damit Verfahren vereinfacht werden können.531 Außerdem wird auch beim vereinfachten Jugendverfahren das Verfahren mit dem ablehnenden richterlichen Beschluss in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurückversetzt.532 Ein deutlicher Unterschied liegt freilich darin, dass in der Schweiz Strafen bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe im abgekürzten Verfahren ausgesprochen werden können (Art. 358 II StPO CH), im deutschen vereinfachten Jugendverfahren hingegen überhaupt nicht auf Jugendstrafe erkannt werden darf (§ 78 I 2 Var. 2 JGG). Darüber hinaus ist im vereinfachten Jugendverfahren eine gerichtliche Beweisaufnahme vorgesehen, im abgekürzten Verfahren werden lediglich die Voraussetzungen desselben geprüft und anschließend geurteilt. Die Beweisaufnahme findet allein im staatsanwaltschaftlichen Durchführungsverfahren statt. Diesbezüglich nimmt der Staatsanwalt im abgekürzten Verfahren eine unersetzliche, zentrale Rolle ein, während sein deutscher Kollege im vereinfachten Jugendverfahren überhaupt nicht teilzunehmen braucht (§ 78 II 1 JGG) und in der Regel auch nicht teilnimmt.533 j) Vergleich zum deutschen beschleunigten Verfahren Ähnlich stellt sich die Situation beim beschleunigten Verfahren dar, §§ 417–420 StPO D. In diesem Verfahren darf entschieden werden, wenn die Sache auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist (§ 417 StPO D). Klar ist die Beweislage vor allem dann, wenn der Beschuldigte ein Geständnis ablegt.534 Bemerkenswert bei diesem Verfahren ist vor allem, dass vor dem Strafrichter Beweis­ antizipationen in gewissem Maße zulässig sind (§ 420 IV StPO D).535 Ähn­ liche Regelungen gibt es im Privatklageverfahren (§ 384 III StPO D) und im 530  Buhr,

Rn. 5.

in: Meier / Rössner / Trüg / Wulf, JGG, § 77 Rn. 3; Eisenberg, JGG, § 78

531  Botschaft

zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006, S. 1294. 12, 184 = NJW 1959, 396 (397); Eisenberg, JGG, § 78 Rn. 17; Schatz, in: Diemer / Schatz / Sonnen, JGG, § 77 Rn. 7. Das Gleiche gilt, wenn das Rechtsmittelgericht nach Anfechtung des erstinstanzlichen Urteils die Eignung für das vereinfachte Jugendverfahren verneint, vgl. Schatz, in: Diemer / Schatz / Sonnen, JGG, § 78 Rn. 20. 533  Buhr, in: Meier / Rössner / Trüg / Wulf, JGG, § 76 Rn. 1. 534  KK-StPO / Graf, § 417 Rn. 9; Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 417 Rn. 16. 535  Dahs, NJW 1995, 553 (556); Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 420 Rn. 10. 532  BGHSt

118 C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

Verfahren nach dem OWiG (§ 77 I, II Nr. 1 OWiG). Bei § 77 II Nr. 1 OWiG ist der Wortlaut deutlicher als beim beschleunigten Verfahren („wenn nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist“). Dennoch reicht auch für § 420 IV StPO D ein dem entsprechender kurzer Satz zur Begründung des Beschlusses (§ 244 VI StPO D) aus, wenn sich aus den Urteilsgründen zumindest ergibt, dass der Sachverhalt tatsächlich so eindeutig geklärt ist, dass es der Beweiserhebung nicht bedurfte.536 § 411 II 2 StPO D verweist auf § 420 StPO D, sodass das Gleiche auch für das Verfahren nach Einspruch gegen einen Strafbefehl gilt, welches deutlich praxisrelevanter ist als das beschleunigte Verfahren.537 Das Gericht kann hier Beweisanträge ablehnen, wenn der Sachverhalt nach seiner Überzeugung ausreichend geklärt ist und eine weitere Beweisaufnahme hieran nichts mehr ändern würde; der Richter ist nicht an die Ablehnungsgründe der §§ 244 III, 245 StPO D gebunden.538 Damit stellen Beweisanträge lediglich Anregungen dar.539 Außerdem gewährt § 420 I, II StPO D Einschränkungen im Bereich der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, wenn der Angeklagte, der Verteidiger und die Staatsanwaltschaft (soweit anwesend), ihre Zustimmung geben (§ 420 III StPO D). Die Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen und Mitbeschuldigten darf demnach durch Verlesung ihrer Äußerungen ersetzt werden, Erklärungen von Behörden und sonstigen Stellen dürfen auch dann verlesen werden, wenn die einschränkenden Voraussetzungen des § 256 StPO D nicht vorliegen. Mithin können auch Leumundszeugnisse (etwa Schulzeugnisse, dienstliche Beurteilungen und Führungsberichte540) vereinfacht eingeführt werden (vgl. dagegen § 256 I Nr. 1 lit. c a. E. StPO D). Noch weiter geht freilich das schweizerische abgekürzte Verfahren, indem es überhaupt keine gerichtliche Beweisaufnahme vorsieht (Art. 361 IV StPO CH). Immerhin soll beim abgekürzten Verfahren nach hier vertretener Auffassung dem Beschuldigten von Anfang an ein Verteidiger bestellt werden. Im deutschen beschleunigten Verfahren ist ein Verteidiger erst notwendig, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten (mit oder ohne Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung, 536  KK-StPO / Graf, § 420 Rn. 8; Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 420 Rn. 11. 537  Dahs, NJW 1995, 553 (557). Zur geringen praktischen Bedeutung des beschleunigten Verfahrens vgl. Wenske, NStZ 2009, 63 (64 m. Fn. 13a). 538  BT-Drs. 12 / 6853, S. 36. Nicht auf die subjektive Überzeugung des jeweiligen Strafrichters, sondern auf die bereits erhobenen Beweise abstellend KK-StPO / Graf, § 420 Rn. 7. 539  Dahs, NJW 1995, 553 (556); Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 420 Rn. 10 m. Verweis auf § 384 Rn. 14. Nach Mosbacher, NZWiSt 2013, 201 (202), kann der Beweisantragsteller das Gericht zu Beweiserhebungen „zwingen“, wenn kein Grund zur Ablehnung besteht. 540  Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 256 Rn. 8 f.



II. Schweizerisches Strafprozessrecht119

als Einzel- oder Gesamtstrafe541) zu erwarten ist. Weitere Besonderheiten des beschleunigten Verfahrens bestehen darin, dass die Anklage mündlich erhoben werden kann (§ 418 III StPO D), der Beschuldigte nur dann geladen wird, wenn er sich nicht freiwillig zur Hauptverhandlung stellt oder nicht dem Gericht vorgeführt wird (§ 418 II 1 StPO D), die Ladungsfrist im Falle einer Ladung nur vierundzwanzig Stunden – also ein Siebtel der Regelfrist des § 217 I StPO D – beträgt (§ 418 II 3 StPO D), ein Eröffnungsbeschluss nicht erforderlich ist (§ 418 I StPO D) und die §§ 201, 202, 205 StPO D nicht anzuwenden sind542. Die Ladung kann sogar schon dann entfallen, wenn bloß damit zu rechnen ist, dass der Beschuldigte sich freiwillig zur Hauptverhandlung stellt oder alsbald vorgeführt wird.543 Zuletzt ist zu beachten, dass gem. § 127b I StPO D die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes zur vorläufigen Festnahme eines auf frischer Tat Betroffenen oder Verfolgten befugt sind, wenn eine unverzügliche Entscheidung im beschleunigten Verfahren wahrscheinlich und zu befürchten ist, dass der Festgenommene der Hauptverhandlung fernbleiben wird. Nach § 127b II StPO D darf aus denselben Gründen ein höchstens auf eine Woche befristeter Haft­ befehl ergehen, wenn die Durchführung der Hauptverhandlung binnen einer Woche nach der Festnahme zu erwarten ist.544 Quasi als Kompensation für die vielen rechtsstaatlichen Einschränkungen545 darf im beschleunigten Verfahren eine höhere Freiheitsstrafe als Freiheitsstrafe von einem Jahr oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung nicht verhängt werden (§ 419 I 2 StPO D), einzig die Entziehung der Fahrerlaubnis ist zulässig (§ 419 I 3 StPO D). Eine Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung ist aber durchaus möglich. k) Möglichkeit der Verfahrenserleichterung Der größte Unterschied zwischen dem schweizerischen abgekürzten Verfahren und der deutschen Verständigung dürfte aber sein, dass in der Schweiz zumindest die Gerichte deutlich spürbarer entlastet werden, da der Richter lediglich noch die Voraussetzungen des abgekürzten Verfahrens prüfen muss, nicht den umfangreichen Formvorschriften seines deutschen Kollegen unter541  Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 418 Rn. 11; OLG Karlsruhe, NJW 1999, 3061 (3062). 542  Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 418 Rn. 1. 543  Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 418 Rn. 6. 544  Eingehend und kritisch zum § 127b StPO D Stintzing / Hecker, NStZ 1997, 569. 545  Besonders kritisch zum beschleunigten Verfahren Scheffler, NJW 1994, 2191, allerdings noch zum ursprünglichen Verbrechensbekämpfungsgesetzesentwurf. Zu den nur geringfügigen Änderungen vgl. BT-Drs. 12 / 7837, S. 2 f.

120 C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

worfen ist und auf eine Beweisaufnahme verzichten darf. Diese wird vornehmlich im staatsanwaltschaftlichen Beweisverfahren durchgeführt, welches dank der Absprache selbst auch geringeren Aufwands bedarf. In Deutschland sollen durch die Verständigung zwar auch Vereinfachungen vornehmlich für die Gerichte erreicht werden, § 257c I 2 i. V. m. § 244 II StPO D steht aber einer verkürzten oder gar entbehrlichen Beweisaufnahme entgegen. Verfahrensverkürzungen gehen in aller Regel mit einer Verkürzung prozessrecht­ licher Grundsätze und Garantien einher.546 So wäre es in Deutschland verfassungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt des Schuldprinzips und der damit verbundenen Amtsaufklärungspflicht nicht möglich, das Urteil allein auf eine Verständigung zu stützen, vielmehr muss das verständigungsbasierte Geständnis zumindest überprüfbar sein.547 Zudem gehen die möglichen Erleichterungen für das Gericht mit erheblichen Mitteilungs-, Belehrungs- und Protokollierungspflichten einher, die zwar rechtsstaatlich erforderlich sind, der zeitliche Gewinn ist dann aber gering bis nicht existent. Daher muss eine Alternative gesucht werden, die tatsächlich Verfahrenserleichterungen ermöglicht, frühzeitige Rechtssicherheit schafft und dennoch rechtsstaatlich unbedenklich ist.548 Dabei kann auf oben549 getroffene Wertungen aus dem schweizerischen abgekürzten Verfahren zurückgegriffen werden. Insbesondere das dismissal agreement bietet interessante Möglichkeiten, bei dem die Staatsanwaltschaft gem. Art. 8 II lit. a StPO CH auf die Strafverfolgung von solchen Taten verzichten kann, denen neben den anderen der beschuldigten Person zur Last gelegten Taten für die Festsetzung der zu erwartenden Strafe oder Maßnahme keine wesentliche Bedeutung zukommt. l) Begrenzung des Strafmaßes Abschließend lässt sich noch ein weiterer Punkt hervorheben, der bei der deutschen Verständigung problematisch ist. Die Verständigung ist bezüglich der Straferwartung nicht begrenzt – ein eklatanter Unterschied zum abgekürzten Verfahren (Freiheitsstrafe von nicht mehr als fünf Jahren), vereinfachten Jugendverfahren (gar keine Jugendstrafe), beschleunigten Verfahren 546  Vgl. BVerfGE 3, 248 (253) = NJW 1954, 69, zum Strafbefehlsverfahren: „Als summarisches Verfahren bleibt das Strafbefehlsverfahren seiner Natur nach mit Unzulänglichkeiten behaftet. So können unzureichende Ermittlungen zu einem der wahren Sachlage nicht gerecht werdenden Strafbefehl führen. Denn in diesem Verfahren trifft der Richter grundsätzlich keine eigenen Tatsachen- und Schuldfeststellungen.“ Ähnlich Scheffler, NJW 1994, 2191 (2195), zum beschleunigten Verfahren: „Rechte des Angeklagten beschneiden“. 547  Siehe oben B. I. 1. d). 548  Unten D. III. 549  Siehe oben C. II. 1. c) aa).



III. Luxemburgisches Strafprozessrecht121

(Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr) und zum Strafbefehlsverfahren (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, § 407 II 2 StPO D). Die Begrenzungen sind durchaus angezeigt, dienen sie doch dazu, Verfahren wegen höherer Kriminalität ohne jede Einschränkung in Umfang und Sorgfalt zu betreiben. Der verständigungsbereite Richter läuft Gefahr, bei komplexen und weniger alltäglichen Sachverhalten zu schnell den vermeintlich einfachen Weg zu suchen. Eine Begrenzung des Anwendungsbereichs einer Absprache auf mittlere und leichtere Kriminalität ist auch in den übrigen kontinentaleuropäischen Ländern zu ­beobachten.550 Dies habe, so Orlandi, eher kriminalpolitische als rechtliche Gründe: Die Begrenzung sei als Test zu sehen und werde nach positiven Erfahrungen aufgehoben, die Absprache auch auf höhere Kriminalität ausgeweitet.551 Nach hier vertretener Ansicht ist bei höherer Kriminalität keinerlei Platz für eine verfahrensbeendende Absprache, wenn dadurch die Wahrheitsermittlung mit geringerer Sorgfalt betrieben wird. Auch Orlandi fordert stets ein Mindestmaß an Beweisen, um dem Grundsatz der Unschuldsvermutung zu genügen, relativiert die Grundsätze des Strafrechts aber insgesamt, wenn diese nicht im jeweiligen Verfassungsrecht verankert sind. Dieser Ansatz geht nach hier vertretener Auffassung nicht weit genug. Die Amtsaufklärungspflicht darf nicht durch eine verfahrensbeendende Absprache ausgehöhlt werden. Die Absprache darf nicht alleinige und sollte nur in geeigneten Ausnahmefällen dominierende Grundlage eines Urteils sein.

III. Luxemburgisches Strafprozessrecht 1. Verständigungstendenzen und Kodifizierung Auch in Luxemburg steigt die Arbeitsbelastung der Justiz mit der Anzahl der abzuurteilenden Straftaten und der steigenden Komplexität der Fälle stetig an.552 Mit Gesetz vom 24.2.2015 zur Änderung des Code d’instruction criminelle (kurz: StPO L) wurde daher eine Verständigungsmöglichkeit in Luxemburg eingeführt553 und dabei bewusst auf Anleihen aus den Nachbarländern Luxemburgs verzichtet.554 Anfangs war in den Überlegungen der Arbeitsgruppe der nationalen Justizkonferenz noch der Begriff der „transac550  Orlandi, ÖJZ 2009, 404, mit Blick auf Italien, Portugal, Spanien, Frankreich und Deutschland. 551  Orlandi, ÖJZ 2009, 404 (406). 552  Weirich, Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115. 553  Mémorial A – N° 33 vom 4.3.2015 (Amtsblatt des Großherzogtums Luxemburg), S. 350 ff., abrufbar unter http: /  / data.legilux.public.lu / file / eli-etat-leg-memorial2015-33-fr-pdf.pdf, zuletzt aufgerufen am 19.4.2018. 554  Weirich, Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115 (115, 117).

122 C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

tion“, also des Vergleichs, vorherrschend, der aber bewusst im Gesetz nicht aufgegriffen wurde, um keinerlei Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass es sich um einen echten Strafprozess mit kontradiktorischem Urteil über die öffentliche Klage handelt.555 Die Art. 563–578 StPO L regeln das „jugement sur accord“ (das Verständigungsurteil), laut der Überschrift des Kapitels II schlicht „accord“ genannt, zu Deutsch Verständigung. Bereits in der ersten das neue Verfahren betreffenden Norm wird deutlich gemacht, dass die Verständigung – ähnlich wie in der Schweiz556 – nur bei Vergehen und Verbrechen in Betracht kommt, die auf Grund von mildernden Umständen mit einem Freiheitsentzug von fünf Jahren oder weniger oder mit Geldstrafe bestraft werden (Art. 563 UA 1 StPO L). Die Verständigung kann in jedem Verfahrensstadium zwischen dem Staatsanwalt und der verfolgten Person (ähnelt dem Begriff des Beschuldigten in Deutschland557) geschlossen werden (Art. 563 UA 2, 3 StPO L). Letztere muss für alle mit der Verständigung im Zusammenhang stehenden Handlungen von einem Rechtsanwalt vertreten sein (Art. 564 UA 2 StPO L). Diesem obliegt es auch, seinen Mandanten über das Verständigungsverfahren aufzuklären und ihn in Bezug auf alle Konsequenzen dieses Verfahrens zu beraten.558 Das Initiativrecht liegt sowohl beim Staatsanwalt als auch bei der verfolgten Person, der jeweils andere Teil kann ohne Angabe von Gründen den Vorschlag, der zumindest die Tat und einen Strafvorschlag enthält, ablehnen (Art. 564 UA 1, 3 StPO L). Einer Ablehnung steht es gleich, wenn der Verständigungsvorschlag nicht innerhalb einer Frist von einem Monat seit Empfang des Vorschlags beantwortet wird (Art. 564 UA 6 StPO L). Hierbei bedeutet Beantwortung nicht zwingend auch die Annahme des Vorschlags, denn Art. 564 UA 7 S. 1 StPO L setzt eine weitere Frist von vier Monaten seit Empfang, innerhalb derer die Verständigung geschlossen werden muss. Anderenfalls sind sämtliche Handlungen, die mit Blick auf diese Verständigung durchgeführt wurden, unwirksam. Flankiert wird diese Unwirksamkeit durch Art. 564 UA 8 StPO L, der in diesem Fall die Vernichtung aller im Zusammenhang mit der Verständigung stehenden Dokumente anordnet. Die viermonatige Frist kann einmalig durch gemeinsame Erklärung der verfolgten Person und des Staatsanwalts um dieselbe Zeitspanne verlängert werden (Art. 564 UA 7 S. 2 StPO L). Die Verständigung wird durch eine Urkunde geschlossen, die alle zu Grunde liegenden Taten genau aufzählt (Art. 565 UA 1 S. 1 StPO L). Diese klare gesetzliche Forderung birgt für die Frage nach dem Strafklagever555  Weirich,

Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115 (117). dazu soeben unter C. II. 2. l). 557  Näher dazu Weirich, Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115 (118). 558  Weirich, Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115 (118). 556  Siehe



III. Luxemburgisches Strafprozessrecht123

brauch große Vorteile, denn dieser tritt dann nur hinsichtlich der genannten Taten ein. In der Verständigungsurkunde sind weiter enthalten die strafrechtliche Einordnung der von der verfolgten Person eingeräumten Taten, mögliche mildernden Umstände, die auszusprechenden Haupt- und Nebenstrafen sowie die ursprünglich von den Parteien vorgeschlagenen Strafen, die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und eine mögliche Entscheidung über bisher angemeldete und anerkannte Schadensersatzansprüche (Art. 565 UA 1 S. 2 StPO L). Die vorgeschlagenen und auszusprechenden Strafen richten sich nach den im Code pénal559 und in strafrechtlichen Spezialgesetzen vorgesehenen, deren Ober- und Untergrenzen auch bei ­Anwendung des Verständigungsurteils die gleichen bleiben.560 Zudem dürfen die in der Urkunde enthaltenen vorgeschlagenen und auszusprechenden Strafen eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren nicht überschreiten (Art. 565 UA 1 S. 2 Spiegelstrich 3 StPO L). Unterschrieben wird die Urkunde vom Staatsanwalt und sowohl von der verfolgten Person als auch von dem sie vertretenden Rechtsanwalt (Art. 565 UA 3 StPO L). Mit ihrer Unterschrift gesteht die verfolgte Person zugleich alle in der Urkunde enthaltenen Taten ein. Besonders deutlich wird diese Folge in Art. 573 UA 1 und Art. 575 I UA 1 StPO L („faits que la personne poursuivie a reconnu avoir commis dans l’acte d’accord“). Das Opfer, unabhängig davon, ob es zudem Zivilpartei (ähnlich dem deutschen Adhäsionskläger) ist, nimmt nicht an der Verständigung teil und unterzeichnet daher die Verständigungsurkunde nicht,561 obschon seine Schadensersatzansprüche in der Urkunde geregelt sein können (vgl. Art. 565 UA 1 S. 2 StPO L). Von daher kann der Geschädigte konsequenterweise gem. Art. 574 UA 2 StPO L die Rückverweisung seiner zivilrechtlichen Ansprüche an ein Zivilgericht verlangen. Neben den bereits genannten Angaben enthält die Verständigungsurkunde den vollständigen Namen und das Geburtsdatum der verfolgten Person sowie ihren Wohnort (Art. 565 UA 2 StPO L) – ähnlich den Grunddaten des Beschuldigten in Deutschland (vgl. die deutschen § 111 OWiG, § 243 II 2 StPO)562. Wenn die verfolgte Person keinen Wohnsitz im Großherzogtum hat, wählt sie den Wohnsitz der Kanzlei des sie vertretenden Rechtsanwalts (Art. 565 UA 2 S. 1 StPO L). Diese Wahl des Wohnortes entfaltet Wirksamkeit, solange keine neue Wahl eines Wohnortes erfolgt (Art. 565 UA 2 S. 2 StPO L). Diese Regelung ist praktikabel und birgt auch keine Gefahr einer Ungleichbehandlung, da die verfolgte Person ohnehin für alle Handlungen im Zu559  Das

luxemburgische Strafgesetzbuch. Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115 (117). 561  Weirich, Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115 (119). 562  Dafür, dass die „persönlichen Verhältnisse“ in § 243 II 2 StPO D nur die Angaben aus § 111 des deutschen OWiG meint, Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner /  Schmitt, § 243 Rn. 11. 560  Weirich,

124 C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

sammenhang mit der Verständigung von einem Rechtsanwalt vertreten sein muss (Art. 564 UA 2 StPO L).563 Ihr Sinn und Zweck ist vielmehr, Problemen bei der Ladung vorzubeugen und dadurch zu verhindern, dass das Verfahren verzögert wird.564 Das Gesetz stellt in Art. 566 S. 1 StPO L fest, dass die Verständigung weder negative Auswirkungen auf die öffentliche Klage noch auf die zivilrechtliche Klage gegen die anderen Verfolgten hat, die keine Verständigung geschlossen haben. Dieses Postulat entfaltet nur dann rechtliche Wirkung, wenn hieraus ein Beweisverwertungsverbot für Erkenntnisse aus dem Verständigungsverfahren resultiert. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass zu Gunsten der übrigen Verfolgten die Verständigung aber durchaus herangezogen werden kann, wenngleich die nicht an der Verständigung Beteiligten kein Recht auf Übermittlung der Dokumente haben, die mit der Verständigung in Zusammenhang stehen (Art. 566 S. 2 StPO L). Nach dem positiven Abschluss der Verständigungsverhandlungen soll laut Art. 568 UA 1 S. 1 StPO L die möglicherweise bereits eingeleitete vorläufige Untersuchung (ähnlich dem deutschen Zwischenverfahren, in Luxemburg dem Untersuchungsrichter übertragen) aller Taten enden, die von der Verständigung betroffen sind und in der Verständigungsurkunde aufgeführt werden. Der Untersuchungsrichter kann die Beendigung der vorläufigen Untersuchung durch eine vom Staatsanwalt oder von der verfolgten Person angreifbare Anordnung verweigern (Art. 569 UA 1 StPO L). Die Verweigerung ist durch die Berufung nach den Form- und Fristerfordernissen der Art. 133 und 133-1 StPO L angreifbar. Im Falle endgültiger Verweigerung sind erneut sämtliche Handlungen, die mit Blick auf diese Verständigung durchgeführt wurden, unwirksam und alle im Zusammenhang mit der Verständigung stehenden Dokumente werden vernichtet (Art. 569 UA 2 StPO L). Wenn die vorläufige Untersuchung jedoch angesichts der zu Stande gekommenen Verständigung beendet wird oder eine solche noch nicht stattgefunden hatte, werden die verfolgte Person und die mögliche Zivilpartei – wie auch die Person, die zwar keine Zivilpartei ist, aber dennoch einen Schadensersatzanspruch geltend gemacht hat, der in der Verständigung berücksichtigt wurde – vom Staatsanwalt vor die Strafkammer geladen, damit dort über die Verständigung entschieden werden kann (Art. 570 UA 1 StPO L).565 Ferner werden auch solche Personen vom Staatsanwalt jedenfalls über Datum, Uhr563  Das

ist im Ansatz vergleichbar mit dem deutschen § 232 IV StPO. Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115 (119). 565  Anders in Deutschland, wo der Vorsitzende des Gerichts die erforderlichen Ladungen anordnet, § 214 I 1 StPO D. Die luxemburgische Norm ist allenfalls dem § 214 III StPO D vergleichbar, wonach der Staatsanwaltschaft das Recht der unmittelbaren Ladung weiterer Personen zusteht. 564  Weirich,



III. Luxemburgisches Strafprozessrecht125

zeit und Ort der öffentlichen Sitzung informiert, die Opfer sein oder Schadensersatzansprüche gegen die verfolgte Person haben könnten (Art. 570 UA 3 StPO L). Die Verständigungsurkunde ist den jeweiligen Ladungen beizufügen und auch der angerufenen Strafkammer zuzuleiten (Art. 571 S. 1 StPO L). Wie bereits oben erwähnt, gesteht die verfolgte Person sämtliche Taten, die in der Verständigungsurkunde aufgeführt werden, mit ihrer Unterschrift. Dies jedenfalls setzt Art. 575 I UA 1 StPO L voraus, der besagt, dass die Strafkammer über die Schuld der verfolgten Person anhand der Taten entscheidet, deren Begehung in der Urkunde zugegeben worden ist. Wegen der möglicherweise frühzeitig eingestellten Untersuchung könnte dieses Geständnis einziges echtes Beweismittel sein. Dies birgt das Risiko einer unzureichenden Würdigung des Einzelfalls. Es erscheint denkbar, dass das Geständnis nicht näher nachgeprüft und keine weiteren Beweise erhoben werden, denn Art. 575 II UA 1 S. 1 StPO L setzt für ein Urteil der Strafkammer voraus, dass die Schuld der verfolgten Person bereits erwiesen ist. Daraus könnte gefolgert werden, dass eine Verständigung vornehmlich dann Sinn ergibt, wenn entweder die vorläufige Untersuchung schon so weit fortgediehen ist, dass das entsprechende Geständnis glaubhaft erscheint, oder wenn das Geständnis aus sich heraus derart detailliert ist, dass es keiner weiteren Untersuchung bedarf. Dies wiederum würde möglicherweise dem Gedanken der Beschleunigung des Strafverfahrens widersprechen, denn insbesondere wenn die vorläufige Untersuchung kurz vor dem Abschluss steht, führt das Verständigungsurteil zu keinem signifikanten zeitlichen Gewinn, sondern könnte das Verfahren sogar verlängern. In diesem Fall kann der Untersuchungsrichter ernsthaft erwägen, die Beendigung der vorläufigen Untersuchung gem. Art. 569 UA 1 StPO L zu verweigern. Zu beachten ist aber ohnehin, dass die Strafkammer die verfolgte Person zu den Taten, die diese in der Verständigungsurkunde zugibt, befragt und auch die weiteren geladenen Parteien mit ihren Beobachtungen und Erklärungen gehört werden (Art. 573 UA 1, 2 StPO L). Selbst die Personen, die Opfer sein oder Schadensersatzansprüche gegen die verfolgte Person haben könnten und daher über die öffentliche Sitzung informiert wurden (Art. 570 UA 3 StPO L), haben das Recht sich zu äußern, insbesondere um die Strafkammer darüber zu informieren, ob sie Ansprüche gegen die verfolgte Person geltend machen wollen.566 Damit werden alle Interessierten und vor allem die verfolgte Person gehört (Anspruch auf rechtliches Gehör) und es gibt doch eine Art abgekürztes Beweisverfahren – ähnlich wie es in der Schweiz gem. Art. 361 III StPO CH der Fall ist, der besagt, dass die übrigen anwesenden Parteien

566  Weirich,

Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115 (124).

126 C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

„wenn nötig“ befragt werden können.567 Somit kann auch das möglicherweise einzige Beweismittel, das Geständnis, einer gewissen richterlichen Prüfung unterzogen, hinterfragt und gegebenenfalls verifiziert werden. Gem. Art. 573 UA 3 StPO L werden die verfolgte Person, ihr Rechtsanwalt und der Staatsanwalt auch mit ihren Schlussfolgerungen gehört. Weiter hat die Strafkammer zu prüfen, ob die in der Verständigungsurkunde angeordneten Strafen gesetzmäßig und verhältnismäßig sind (Art.  575 II UA 1 S.  1 StPO L). Wenn sie dies und die Schuld der verfolgten Person bejaht, verurteilt sie diese durch zu begründendes Urteil zu den vorgeschlagenen Strafen und entscheidet auch über Kosten des Verfahrens, deren Rückerstattung und die eventuell vorgebrachten Schadensersatzansprüche, soweit diese von den betroffenen Parteien akzeptiert wurden. Sie kann dabei nicht von den vorgeschlagenen Strafen und sonstigen Bestimmungen der Verständigungsurkunde abweichen (Art. 575 II UA 1 S. 2 StPO L). Damit handelt es sich bei den vorgeschlagenen Strafen um vereinbarte Punktstrafen. Wenn die Strafkammer aber im Fall der aus ihrer Sicht erwiesenen Schuld Fehler bei der in der Urkunde vorgeschlagenen strafrechtlichen Einstufung, der Strafe an sich oder der Entscheidung über die Kosten des Verfahrens feststellt, fordert sie die verfolgte Person und den Staatsanwalt auf, diese zu korrigieren (Art. 575 II UA 2 StPO L). Im Falle der Einigung dieser Personen werden die Fehler korrigiert und die Strafkammer entscheidet nach Art. 575 II UA 1 StPO L (Art. 575 II UA 3 StPO L). Zudem darf sie über Anträge auf vorzeitige Haftentlassung befinden sowie auf vollständige oder teilweise Aufhebung der gerichtlichen Kontrolle erkennen.568 Wenn sie hingegen befindet, dass die Schuld nicht erwiesen ist, dass die vorgeschlagenen Strafen nicht gesetzmäßig oder angemessen sind oder dass die strafrechtliche Einstufung, die Strafe oder die Kostenentscheidung, so wie sie vorgeschlagen wurden, fehlerhaft sind, darf sie diese nicht selbst korrigieren (vgl. Art. 575 II UA 2 StPO L); vielmehr sind die Verständigung und alle rechtlichen Handlungen, die mit Blick auf den Verständigungsschluss getätigt wurden, nichtig (Art. 575 III S. 1 StPO L). Die Kompetenz zur Änderung der Verständigungsurkunde hat eben nicht die Strafkammer, die „lediglich“ prüfen und abschließend entscheiden darf, sondern allein die verfolgte Person und die Staatsanwaltschaft. Die Kammer stellt in diesem Fall des Scheiterns der Verständigung selbiges in einem Urteil fest und setzt die Parteien in den Stand des Verfahrens vor dem Abschluss der Vereinbarung zurück (Art. 575 III S. 2 StPO L). Alle Dokumente, die mit der Verständigung in Verbindung stehen, werden zerstört (Art. 575 III S. 3 StPO L), es sei denn, gegen dieses ablehnende Urteil wird 567  Dazu

ausführlich oben C. II. 1. d) aa). Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115 (126). Die vergleichbare deutsche Norm ist § 268b StPO D. 568  Weirich,



III. Luxemburgisches Strafprozessrecht127

von einer oder den Parteien Rechtsmittel eingelegt.569 Art. 577 S. 2 StPO L schreibt vor, dass die Dokumente und Erklärungen im Zusammenhang mit der Verständigung im Falle ihrer Nichtigkeit weder als Beweismittel zur Belastung noch zur Entlastung der verfolgten Person dienen können. Art. 574 StPO L behandelt die Rechtsmittelmöglichkeiten der Zivilpartei, der sonstigen Personen, die einen Schadensersatzanspruch geltend gemacht haben, sowie der Personen, die Opfer sein oder Schadensersatzansprüche gegen die verfolgte Person haben könnten (vgl. Art. 570 UA 3 StPO L). Wörtlich heißt es in Art. 574 UA 1 StPO L „ne peuvent pas s’opposer au jugement sur l’accord“, also etwa „können dem Urteil über die Verständigung nicht entgegentreten“. Systematisch auffällig steht diese Norm vor dem Art. 575 StPO L, der überhaupt erst das Urteil der Strafkammer behandelt, und nicht im Zusammenhang mit Art. 576 StPO L, der die ordentlichen Rechtsmittel für anwendbar erklärt (Art. 576 UA 1 StPO L), die dann mit Dringlichkeit zu behandeln sind (Art. 576 UA 2 StPO L). Art. 574 UA 2 StPO L präzisiert daher, dass die genannten Personen die Verständigung mit Blick auf ihre darin geregelten Schadensersatzansprüche akzeptieren oder die Rückverweisung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche an ein Zivilgericht verlangen können. Interessant dabei ist, dass die Zivilkammer gem. Art. 574 UA 3 StPO L im Falle der Rückverweisung über die zivile Klage nach den Verfahrensregeln entscheidet, die in der Strafsache anzuwenden sind.570 Das ist allerdings für das luxemburgische Strafprozessrecht keine Besonderheit und soll der geschädigten Person zugutekommen, die dadurch die Prozesskosten gering halten kann.571 Art. 578 S. 1 StPO L schließlich erklärt die öffentliche Klage durch das Verständigungsurteil für beendet und ordnet Strafklageverbrauch für alle Taten an, die in der Verständigung erfasst sind. Art. 578 S. 2 StPO L stellt klar, dass etwaige zivilrechtliche Klagen durch Personen, deren Ansprüche in der Verständigung nicht geregelt sind, unberührt bleiben. Ähnlich können auch die in der Verständigungsurkunde nicht erwähnten Taten Gegenstand weiterer Strafverfolgung sein.572

569  Weirich,

Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115 (126). „En cas de renvoi, la chambre civile du tribunal d’arrondissement statue sur l’action civile selon les règles de procédure applicables en matière pénale.“ 571  Weirich, Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115 (125). 572  Weirich, Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115 (126). 570  Wörtlich:

128 C. Rechtliche Situation im Ausland und Lehren für das deutsche Recht

2. Lehren für das deutsche Recht In Luxemburg wird gem. Art. 563 UA 1 StPO L die Verständigung genauso wie in der Schweiz auf Taten begrenzt, die im Falle einer Verurteilung höchstens eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren erwarten lassen. Daher ist auch hier die Verständigung auf alle Straftaten mit Ausnahme von Schwerstkriminalität anwendbar.573 Vergleichbar ist auch, dass die Verständigung zwischen dem Staatsanwalt und der verfolgten Person geschlossen wird, was wiederum den Vorteil birgt, dass das Gericht vollkommen unbefangen entscheiden kann.574 Dass die Staatsanwaltschaft den Verständigungsvorschlag der verfolgten Person ablehnen kann, ohne diese Ablehnung zu begründen, ruft dieselben Probleme hervor wie im schweizerischen Recht.575 Daher ist auch hier zu fordern, dass der Staatsanwalt sein Ermessen bezüglich der Ablehnung des Vorschlags im jeweiligen Einzelfall ausüben muss. Ein mit einem Strafvorschlag versehener Verständigungsvorschlag des Staatsanwalts kann beim Beschuldigten enormen Druck ausüben. Das Initiativrecht des Staatsanwalts könnte somit die Selbstbelastungsfreiheit der verfolgten Person berühren. Allerdings befindet sich der Staatsanwalt ohnehin in der Position des Anklägers, sodass der Druck geringer ist, als wenn ein Richter eine Strafe vorschlägt. Da in Deutschland gar der Richter die Verständigung initiiert, ist das Problem dort virulenter.576 Die Unabhängigkeit des Gerichtes jedenfalls bleibt auf diese Weise ohne jede Einschränkung gewahrt.577 Im Fall einer gescheiterten Verständigung ähneln sich alle behandelten Rechtsordnungen, indem sie weitreichende Beweisverwertungsverbote für die Handlungen, die mit Blick auf die jeweilige Verständigung durchgeführt wurden, vorsehen. In Luxemburg sind das die Art. 564 UA 7 S. 1, UA 8, 569 UA 2, 575 III, 577 S. 2 StPO L. Gegenüber dem Grundsatz der Verfahrenseinheit im schweizerischen Strafprozessrecht, der in Art. 29 I lit. b StPO CH kodifiziert ist und aus dem Probleme beim abgekürzten Verfahren bei mehreren Tatbeteiligten resultieren können,578 weist die Regelung des Art. 566 S. 1 Var. 1 StPO L den Vorteil auf, dass ein Tatbeteiligter eine Verständigung schließen kann, auch wenn ein anderer Tatbeteiligter sich entzieht; Letzterem erwachsen durch die Weigerung keine Nachteile. Die Strafkammer wird stets nur die Schuld der sich verständigenden Person feststellen und nur gegen sie eine Strafe aussprechen.579 Der größte Unterschied zur 573  Weirich,

Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115 (117). dazu oben C. II. 2. a). 575  Dazu oben C. II. 2. e). 576  Siehe ausführlich dazu oben B. I. 1. e). 577  So auch Weirich, Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115 (115, 117). 578  Siehe ausführlich dazu oben C. II. 1. f). 579  Weirich, Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115 (126). 574  Siehe



III. Luxemburgisches Strafprozessrecht129

deutschen Verständigung ist die Vereinbarung einer Punktstrafe, die in Luxemburg Art. 575 II UA 1 S. 2 StPO L vorschreibt. In Deutschland ist die Verständigung über eine Punktstrafe dagegen ausgeschlossen.580 Für das deutsche Strafrecht bringt der Vergleich mit dem Verständigungsrecht in Luxemburg dennoch kaum neue Impulse, dies insbesondere angesichts der bereits gewonnenen umfangreichen Erkenntnisse aus dem Rechtsvergleich mit den Regelungen der Schweiz. Das mag auch daran liegen, dass die luxemburgische Verständigung recht neu und somit noch kaum erforscht ist.

580  BVerfGE 133, 168 (228 Rn. 105) = NJW 2013, 1058 (1068). Vgl. auch MeyerGoßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 257c Rn. 11; Niemöller, in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil B § 257c Rn. 45.

D. Konsequenzen und Problemlösung I. Möglichkeiten der Umgehung der rechtmäßigen Verständigung Das Verständigungsgesetz birgt mit der Eröffnung der Möglichkeit von Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung die Gefahr, ein Abspracheverfahren neben der gesetzmäßigen Verständigung zuzulassen. Über die §§ 160b, 202a, 212, 257b StPO können die Verfahrensbeteiligten in jeder Lage des Verfahrens den aktuellen Stand erörtern. Dabei erscheint es durchaus möglich, Absprachen zu treffen, ohne sich offiziell in eine Verständigungssituation zu begeben. Schon der Gesetzentwurf des Bundesrates vom 15.12.2006 offenbarte Bedenken, „die Erörterungen von Urteilsabsprachen außerhalb der Hauptverhandlung dürfen nicht ein eigenständiges, informelles und unkon­ trollierbares Verfahren neben der eigentlichen Hauptverhandlung hervor­ bringen“.581 Allerdings begründen solche Erörterungen für den Beschuldigten keinen Vertrauenstatbestand und lösen auch keine Bindung des Gerichts an dabei in Aussicht gestellte Strafober- oder -untergrenzen aus.582 Sie haben somit wenig Anreiz- und Verlockungswirkung für den Beschuldigten und dienen vielmehr einer offenen Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten. Das kommunikative Element der Hauptverhandlung soll durch sie hervorgehoben und gefördert werden. Der Gesetzgeber spricht vom „Gedanken eines transparenten Verfahrensstils“.583 Daher ist es nur konsequent, dass er über die Möglichkeit der Erörterung außerhalb der Hauptverhandlung ­hinausgehend die Einführung in die Hauptverhandlung vorgeschrieben hat: Dies stellen die §§ 243 IV, 273 I 2 StPO sicher, die umfassende Mitteilungsund Protokollierungspflichten für das Gericht statuieren. Damit ist ein Parallelverfahren neben der gesetzmäßigen Verständigung wirksam ausgeschlossen. Ein solches ist darüber hinaus trotz erfolgtem „Rechtsmittelverzicht“ revisibel, denn ein solcher ist – auch beim „Parallelverfahren“ – gem. § 302 I 2 StPO unwirksam, die so erfolgte Umgehung der rechtmäßigen Verständigung eine konkludente Absprache und somit ein rechtswidriger ­ „Deal“.584 Auch wenn diesem Vorgehen eine gewisse Kreativität nicht abgesprochen werden kann, weisen vor ­allem die vollständig unterlassene Be581  BT-Drs.

16 / 4197, S. 8. in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 202a Rn. 2. 583  BT-Drs. 16 / 12310, S. 12.

582  Meyer-Goßner,



I. Möglichkeiten der Umgehung der rechtmäßigen Verständigung131

weisaufnahme nach „schlankem Ge­ständnis“585 sowie die Betonung im Protokoll, eine „qualifizierte Absprache gem. § 257c StPO“586 habe nicht stattgefunden, darauf hin, dass die gesetzlichen Regelungen bewusst umgangen werden sollten. Es gibt keine einfache oder qualifizierte Verständigung. Es gibt ausschließlich die sich am Gesetzeswortlaut und den Konkretisierungen des BVerfG587 orientierende rechtmäßige Verständigung einerseits und die gesetzes- und rechtswidrigen sowie darüber hinaus strafbewehrten „Deals“588 andererseits. Niemöller steht dem diese Umgehung behandelnden Beschluss des BGH589 ablehnend gegenüber, bedient sich dabei aber Argumentationsmustern aus dem Vertragsrecht („Dieses Schweigen ließ sich nicht als Zustimmung deuten“; „was elementaren Grundsätzen des allgemeinen Vertragsrechts zuwiderläuft“), die dem vertragsfeindlichen Straf(prozess)recht fernliegen.590 Allerdings hat seine Argumentation einen wunden Punkt getroffen, wenn diese darauf abstellt, dass es nach dem BGH bereits eine konkludente Absprache geben kann, ohne dass der Richter jemals ausdrücklich seine Zustimmung gegeben hat,591 ohne jegliche Zusage irgendeiner Strafober- oder -untergrenze. „Bloßes Einigsein … steht nicht einer Einigung gleich“.592 Es fehlen dann zumindest die gesetzlich geregelten gegenseitigen Verpflichtungen, etwa die Erbringung eines Geständnisses und ebenjene Zusagen durch das Gericht. Ob darüber hinaus auch ein rechtswidriger „Deal“ gegeben ist, muss im Einzelfall unter Gesamtabwägung der Umstände entschieden werden. In der Tat wird eine Strategie zur Vermeidung einer formellen Verständigung diskutiert.593 Dabei geht die Verständigung ihren gesetzesgemäß formellen Gang bis hin zum Verständigungsvorschlag durch das Gericht in der Hauptverhandlung (§ 257c III 1 StPO). Allerdings schweigen sodann sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft, sodass die Verständigung 584  Bezeichnend BGHSt 59, 21 = NJW 2014, 872, m. zustimmenden Anm. Deiters, ZJS 2014, 583 (585 f., 588); Jäger, JA 2014, 394 (396); Knauer, NStZ 2014, 115 (116); Kudlich, JZ 2014, 471 (472); Norouzi, NJW 2014, 874. Ebenso Altvater, StraFo 2014, 221. 585  BGHSt 59, 21 = NJW 2014, 872 Leitsatz 1 („Formalgeständnis“) und Rn. 5, 7, 10. 586  BGHSt 59, 21 = NJW 2014, 872 Rn. 6, 14, 16; Hervorhebung durch den Verfasser dieser Dissertation. 587  BVerfGE 133, 168 = NJW 2013, 1058. 588  Zu Letzterem sogleich unter D. II. 589  BGHSt 59, 21 = NJW 2014, 872. 590  Niemöller, JR 2014, 216 (217, 220). Ihm aber zustimmend, insofern eine „Übereinkunft in der Hauptverhandlung“ nicht zu Stande kam, Deiters, ZJS 2014, 583 (585 m. Fn. 21). 591  Niemöller, JR 2014, 216 (220). 592  Niemöller, JR 2014, 216 (220). 593  Vgl. Fischer, ZRP 2010, 249 (250); Niemöller, NStZ 2013, 19 (25).

132

D. Konsequenzen und Problemlösung

mangels Zustimmung (§ 257c III 4 StPO) nicht zu Stande kommt. Dennoch leistet der Angeklagte hierauf seine im Verständigungsvorschlag „versprochene“ Gegenleistung (etwa das Geständnis) und das Gericht urteilt dem Vorschlag gemäß. Daraufhin können Angeklagter und Staatsanwaltschaft Rechtsmittelverzicht erklären und das Urteil ist damit rechtskräftig. § 302 I 2 StPO steht dem nicht entgegen, da es sich formell um kein verständigungsbasiertes Urteil handelt.594 Im Gegensatz zu oben beschriebenem Fall nach BGHSt 59, 21 = NJW 2014, 872, handelt es sich hier nicht um eine Umgehung der gesetzlichen Regelungen, da diese gerade bis zum formellen Zustandekommen der Verständigung vollständig beachtet wurden. Insbesondere den umfassenden Mitteilungs- und Protokollierungspflichten nach §§ 243 IV, 273 I 2 StPO wurde ja entsprochen. Die Beteiligten machen sich so auch nicht strafbar, da sie schlicht die Grenzen des Erlaubten nutzbar machen und einhalten – also gleichsam ausreizen. Kehrseite ist allerdings, dass dabei vor allem der Angeklagte keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen kann, denn es kommt eben keine Verständigung zu Stande.595 Das Gericht kann sich mit dieser Verfahrensweise, die – auf schwäbisch – ein „Geschmäckle“ hat, deutlich einfacher von dem bloßen Vorschlag lösen, als § 257c IV, V StPO dies vorgesehen hätte. Nach hier vertretener Ansicht zur Verständigung insgesamt kommt erschwerend hinzu, dass auch dieses Vorgehen für das Gericht zu kaum zeitlicher Ersparnis führt,596 da im gesamten Strafprozess § 244 II StPO weiterhin volle Geltung beansprucht. Das bedeutet, dass ein mögliches Geständnis in vollem Umfang nachgeprüft werden muss. Der vollständige Sachverhalt muss bewiesen werden, denn die Amtsaufklärungspflicht gilt unverändert fort. Somit ist dieses Vorgehen zwar rechtlich nicht zu beanstanden, tatsächlich kann hierauf aber auch verzichtet werden, weil es den Beteiligten keinen Gewinn bringt. Das Gericht wie auch die Staatsanwaltschaft haben den gleichen Aufwand zu betreiben, der Angeklagte kann sich auf das „Vereinbarte“ nicht hinreichend sicher verlassen. Vorzugswürdig wäre dann – insbesondere aus Sicht der Verteidigung –, wenn der Angeklagte schlicht von sich aus ein reuiges Geständnis ablegt, welches in der Strafzumessung deutlich stärker zu seinen Gunsten gewichtet werden könnte und müsste als ein derart taktisches. Demnach ist die bewusste und rechtswidrige Umgehung einer rechtmäßigen Verständigung von der lediglich nicht zu Stande gekommenen Verständigung abzugrenzen, die dann schlicht keinen Vertrauensschutz begründet. Im Fall des BGH597 hätte dieser der Revision wohl kaum stattgegeben, wenn der 594  Niemöller,

NStZ 2013, 19 (25). NStZ 2013, 19 (26). 596  Siehe dazu oben B. II. 5. 597  BGHSt 59, 21 = NJW 2014, 872. 595  Niemöller,



II. Strafbarkeitsrisiken bei informellen „Deals“133

Tatrichter das Geständnis des Angeklagten ordnungsgemäß überprüft hätte.598 Denn dann hätte er den Anforderungen des Amtsaufklärungsgrundsatzes gem. §§ 257c I 2, 244 II StPO Genüge getan. Dagegen wurde kein einziges weiteres Beweismittel neben der vom Verteidiger vorgelesenen und vom Angeklagten bestätigten Erklärung mehr bemüht.599 Eine drohende Strafbarkeit dürfte die Verfahrensbeteiligten von Abspracheversuchen gänzlich außerhalb der Hauptverhandlung abhalten.600

II. Strafbarkeitsrisiken bei informellen „Deals“ Außerhalb der Hauptverhandlung getroffene Absprachen (pejorativ „Deals“ genannt) sind keine Verständigungen im Sinne von § 257c StPO. Dies ergibt sich aus dem Gesetz selbst, indem es in den übrigen die Verständigung betreffenden Normen stets § 257c StPO mitzitiert (vgl. §§ 35a S. 3, 243 IV 1, 267 III 5, 273 Ia 1 StPO). Einzig § 273 Ia 3 StPO fällt hier aus dem Rahmen, dies wird aber dadurch kompensiert, dass in S. 1 bereits § 257c StPO mitzitiert wurde.601 Der Gesetzgeber hat die „Deals“ auch als gesetzwidrig gebrandmarkt, indem er in § 257c I StPO klar zum Ausdruck bringt, dass für Verständigungen die „folgenden Absätze“ maßgebend sind. Das bekräftigte darüber hinaus das BVerfG in seinem Grundsatzurteil, denn „Deals“ sind mit dem Schuldprinzip, der Wahrheitserforschungspflicht und dem Prinzip des fairen Verfahrens nicht vereinbar.602 Niemöller603 findet für solche rechtswidrigen Absprachen drastische Worte: „Für das Gesetz sind sie Luft“; „ein sonderbares Hybridwesen604“; „Monster“, dem das Gesetz keinen Raum biete. Einzig die von illegalen „Deals“ streng zu trennenden Erörterungen sind außerhalb der Hauptverhandlung gesetzeskonform. Mit der Gesetzwidrigkeit geht einher, dass ein „Deal“ keinerlei Vertrauen und auch keinerlei gesetzlichen Schutz (wie z. B. der gesetzliche Ausschluss des Rechtsmittelverzichts nach verständigungsbasiertem Urteil, § 302 I 2 StPO) auslösen kann. Treffend formuliert Niemöller: „Wer sich auf eine Absprache einlässt, deren illegaler Charakter unter der Geltung des Verständigungs­ gesetzes offenkundig und unbezweifelbar ist …, handelt auf eigene Gefahr, stellt sich außerhalb des Gesetzes und hat auf dessen Schutz keinen Knauer, NStZ 2014, 115 (116); Kudlich, JZ 2014, 471 (472). 59, 21 = NJW 2014, 872 Rn. 5, 7. 600  Dazu sogleich unter D. II. 601  Niemöller, NStZ 2013, 19 (22). 602  BVerfGE 133, 168 (233 Rn. 115) = NJW 2013, 1058 (1069). 603  Niemöller, NStZ 2013, 19 (22). 604  Für die unvertretbare Ansicht, dass den Absprachen außerhalb der Hauptverhandlung doch rechtliche Relevanz zuzuerkennen sei. 598  Ähnlich 599  BGHSt

134

D. Konsequenzen und Problemlösung

Anspruch.“605 Daher greift der Schutzmechanismus des § 257c IV 3 StPO nicht, ein Geständnis bleibt grundsätzlich verwertbar.606 Ein Beschuldigter sollte sich mithin strikt vor einem solchen rechtswidrigen „Deal“ hüten. Für die übrigen Verfahrensbeteiligten steht wegen einer Beteiligung an einem gesetzwidrigen „Deal“ gar eine mögliche Strafbarkeit im Raum. Umso mehr verwundert es, dass im Jahre 2012607 noch 58,9 % der Richter in Deutschland mehr informelle als formelle Absprachen durchführten.608 1. Rechtsbeugung (§ 339 StGB) Ein Richter, anderer Amtsträger oder Schiedsrichter (Täterkreis) macht sich gem. § 339 StGB strafbar, wenn er bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache (Tatsituation) das Recht zu Gunsten oder zum Nachteil einer Partei beugt (Tathandlung). a) Beispielsfall und Grundsätzliches Der Richter kann sich gem. § 339 StGB strafbar machen, wenn er bewusst ein objektiv falsches609 Geständnis des Beschuldigten als wahr behandelt und in der Folge keine Sachaufklärung mehr betreibt, sondern das Geständnis schlicht strafmildernd berücksichtigt.610 Bei der Rechtsbeugung handelt es sich um ein echtes Amtsdelikt, bei dem die innerstaatliche Rechtspflege und im Besonderen das Vertrauen der Allgemeinheit in die Funktionsfähigkeit, Unparteilichkeit und Willkürfreiheit der Rechtspflege vor Angriffen von innen geschützt werden.611 Auch Verstöße gegen bloßes Verfahrensrecht kön605  Niemöller, NStZ 2013, 19 (23). Weiter auch ders., GA 2014, 179 (181): „unzulässig … keine Rechtswirkungen … keine Rechtsbindung … nichtig“, Kursivierung im Original. 606  Kirsch, StraFo 2010, 96 (101). 607  Altenhain / Dietmeier / May, Praxis der Absprachen, 2013, S. 18. 608  Altenhain / Dietmeier / May, Praxis der Absprachen, 2013, S. 36 f. Dazu auch BVerfGE 133, 168 (194 Rn. 49) = BeckRS 2013, 48285. 609  Es kommt nicht auf die innere Überzeugung des Richters an, die Entscheidung muss Recht und Gesetz objektiv widersprechen, Heine / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 339 Rn. 9, 13. 610  Beispiel nach Rönnau, Absprache, 1990, S. 231. Vgl. zur generellen Möglichkeit der Strafbarkeit eines sich rechtswidrig verständigenden Richters auch Jahn / Müller, NJW 2009, 2625 (2631); Kirsch, StraFo 2010, 96 (101), der zwar von „Strafvereitelung (§ 339 StGB)“ spricht, aber wohl – insb. wegen der Sperrwirkung (dazu etwa Heine / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 339 Rn. 17) – die Rechtsbeugung meint (zur Strafvereitelung sogleich unten D. II. 2.). 611  Statt vieler Heine / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 339 Rn. 1 m. zahlr. Nachw.



II. Strafbarkeitsrisiken bei informellen „Deals“135

nen eine Rechtsbeugung begründen,612 wie es auch bei Verstößen gegen das Verständigungsgesetz regelmäßig der Fall ist. Volk stellt dabei mit der Lehre von der objektiven Zurechnung auf den Schutzzweck der Norm ab.613 Die Regelungen des Verständigungsgesetzes, insbesondere §§ 257c I 2, 244 II StPO zur Amtsaufklärungspflicht, sollen sowohl den Beschuldigten als auch die ordnungsgemäße Strafrechtspflege an sich umfänglich schützen und können daher bei Verstößen ohne Weiteres Gegenstand der Rechtsbeugung sein. Sie sind selbstverständlich keine bloßen Ordnungsvorschriften. b) Täterkreis, Tatsituation und Tathandlung aa) Staatsanwalt als möglicher Täter Sowohl Richter als auch Staatsanwälte, die sich an grob rechtswidrigen Verständigungen beteiligen, sind grundsätzlich taugliche Täter des § 339 StGB, denn der Richter ist ausdrücklich genannt, der Staatsanwalt fällt unter den Amtsträgerbegriff des § 11 I Nr. 2 lit. a StGB.614 Dabei nimmt Letzterer im Hinblick auf die geforderte richterähnliche Funktion in der Regel eine unparteiische Stellung615 ein, was nicht zuletzt § 160 II StPO beweist.616 Staatsanwälte nehmen nicht selten für sich in Anspruch, der „objektivsten Behörde der Welt“ zu dienen.617 Fraglich ist aber, ob der Staatsanwalt eine Rechtssache wie ein Richter618 leitet oder entscheidet, wenn er sich an rechtswidrigen „Deals“ beteiligt. Beim Staatsanwalt als „Herr des Ermittlungsverfahrens“ kommt täterschaftliche Rechtsbeugung vornehmlich bei makelbehafteten Entscheidungen gem. §§ 153 I, 153a I, 154 I, 154a I, 170 II StPO, nach § 45 JGG oder durch dauerhaftes Nichtbearbeiten einer Sache in 612  BGHSt 38, 381 = NJW 1993, 605 (606); BGHSt 42, 343 = NJW 1997, 1452; BGHSt 47, 105 = NJW 2001, 3275; BGH, NStZ 2010, 92; BGH, NStZ 2011, 52 (53); BGH, NStZ 2013, 106 (107) m. Anm. Hecker, JuS 2012, 1042; BGH, NStZ 2013, 655 (656) m. Anm. Hecker, JuS 2014, 85; Fischer, GS Seebode, 2015, S. 59 (64) = HRRS 2014, 324 (326); Heine / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 339 Rn. 12; Wessels / Hettinger / Engländer, BT I, Rn. 1211. 613  Volk, NStZ 1997, 412 (413–415). 614  BGHSt 32, 357 = NJW 1984, 2711; BGHSt 40, 272 = NJW 1995, 64 (65); BGH, JR 2000, 246 = BeckRS 1998, 31361117; Fischer, StGB, § 339 Rn. 6; Heine / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 339 Rn. 2; Rengier, BT II, § 61 Rn. 6; Schlot­hauer, in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil D Rn. 27; MüKoStGB / Uebele, § 339 Rn. 12. 615  Vgl. zu diesem Erfordernis Rengier, BT II, § 61 Rn. 5. 616  So auch MüKo-StGB / Uebele, § 339 Rn. 12. 617  Vgl. etwa KK-StPO / Fischer, Einl. Rn. 236. 618  Zum Erfordernis der Richterähnlichkeit vgl. BGHSt 34, 146 = NJW 1986, 3093; Heine / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 339 Rn. 6; Rengier, BT II, § 61 Rn. 4.

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D. Konsequenzen und Problemlösung

Betracht.619 Die rechtmäßige Verständigung erfolgt in der Hauptverhandlung selbst, wo der Staatsanwalt lediglich Sitzungsvertreter ist. Daher fehlt ihm dort stets schon die erforderliche Täterqualität.620 Diese Rechtssache leitet das Gericht, also insbesondere der (Vorsitzende) Richter. Beim rechtswidrigen „Deal“ dürfte das nicht anders sein. Möglicherweise wird sich im „Hinterzimmer der Justiz“ zwar kein Leiter der Rechtssache ausmachen lassen. Am Ende entscheidet jedoch das Gericht über das Ergebnis des Verfahrens. Fischer ist bei rechtswidrigen Absprachen anderer Meinung und nimmt – jedoch ohne Begründung – Mittäterschaft an,621 obwohl er selbst vertritt, dass der Sitzungsvertreter in der Regel kein tauglicher Täter des Sonderdelikts ist.622 Dießner stellt bei ihrer Begründung bezüglich möglicher Mittäterschaft zumindest auf die wesentliche Mitbestimmung des Geschehensablaufs und darauf ab, dass der Verständigungsvorschlag auch seitens des Staatsanwaltes zustimmungsbedürftig ist und die Verständigung somit von ihm abhängt.623 Es fällt jedoch schwer, dem an einem rechtswidrigen „Deal“ lediglich teilnehmenden oder einen solchen zulassenden Staatsanwalt die „Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache“ (§ 339 StGB) anzudichten. Der Staatsanwalt verfügt somit nur über eine Zustimmungskompetenz, nicht aber über eine (Mit-)Entscheidungskompetenz.624 Über § 25 II StGB kann schließlich keine besondere Täterqualität, zu der auch die Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache gehört,625 zugerechnet werden.626 Durch Mitwirkung an einem solchen „Deal“ können sich daher nur die weiteren Richter bei einem 619  Fischer, StGB, § 339 Rn. 6; Heine / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 339 Rn. 2; Rengier, BT II, § 61 Rn. 6; MüKo-StGB / Uebele, § 339 Rn. 12. 620  Als Sitzungsvertreter kommt nur Teilnahme an § 339 StGB in Betracht, vgl. auch Fischer, StGB, § 339 Rn. 6; MüKo-StGB / Uebele, § 339 Rn. 12. 621  Fischer, StGB, § 339 Rn. 7; so auch MüKo-StGB / Uebele, § 339 Rn. 12 mit Verweis auf Fischer, aber ebenfalls ohne Begründung. Nach Globke, JR 2014, 9 (17), beeinflusse auch der Staatsanwalt den Abschluss einer informellen Absprache entscheidend und sei somit als tauglicher Täter einer Rechtsbeugung anzusehen, da er wie alle Beteiligten zustimmen müsse. 622  Fischer, StGB, § 339 Rn. 6. 623  Dießner, StV 2011, 43 (48). 624  Vgl. auch BeckOK StGB / Bange, § 339 Rn. 8, der auf „Leitungs- oder Entscheidungskompetenz“ abstellt. Zu denken wäre allenfalls an den Extremfall, dass allein der Staatsanwalt die Verständigung initiiert und auch bei den folgenden Verhandlungen uneingeschränkt federführend ist, die anderen Beteiligten sich gleichsam seinem Willen unterwerfen. Ein solcher Fall dürfte indes äußerst selten sein. Die tatbestandliche Voraussetzung „Leitung und Entscheidung einer Rechtssache“ stellt eine hohe Hürde dar, weshalb nach hier vertretener Ansicht der Staatsanwalt selbst dann nicht mittäterschaftlich strafbar ist, wenn er mit dem Richter kollusiv zusammenarbeitet. 625  So auch deutlich Rengier, BT II, § 61 Rn. 4. 626  Vgl. nur Rengier, AT, § 44 Rn. 1.



II. Strafbarkeitsrisiken bei informellen „Deals“137

Kollegialgericht – also durchaus auch die Laienrichter – über Mittäterschaft strafbar machen,627 denn auch sie sind zur Entscheidung einer Rechtssache berufen. Anders ist dies nur, wenn der Staatsanwalt entgegen der Aufforderung des BVerfG628 kein Rechtsmittel gegen einen rechtswidrigen „Deal“ einlegt, wie auch Fischer zutreffend bemerkt.629 Insoweit hat er die erforderliche leitende Stellung inne. Dann macht sich der Staatsanwalt wegen Rechtsbeugung durch Unterlassen strafbar. Seine Beschützergarantenstellung zu Gunsten der Rechtspflege folgt aus der Amtsträgereigenschaft i. V. m. §§ 160 II, 296 II, 301, 302 I 3 StPO, dem Appell des BVerfG630 und der darauf basierenden Weisungen631 der Generalstaatsanwaltschaften.632 Dabei handelt es sich um Unterlassen zu Gunsten oder zum Nachteil des Verurteilten – je nach Ergebnis des „Deals“. Bei einer unvertretbar milden Strafe einerseits geht die Nichteinlegung des Rechtsmittels zu Gunsten des Verurteilten, andererseits bei möglichem kollusiven Zusammenarbeiten gegen den Angeklagten – etwa wenn sich der Verteidiger besonders gut mit Gericht und Staatsanwaltschaft stellen will, um auch zukünftig „dealen“ zu können633 – zu dessen Nachteil. bb) Richter als Täter Der Richter im oben geschilderten Fall wiederum verstößt in grober Weise gegen die Amtsaufklärungspflicht, die Unschuldsvermutung, das Recht auf ein faires Verfahren sowie als Folge daraus gegen die Grundsätze der Strafzumessung634 und entfernt sich damit, wie die Rechtsprechung stets formuliert, bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz.635 Aus diesem Grund wird auch bei Ermittlung der bloß formellen Wahrheit unter 627  Allgemein zur Mittäterschaft bei Entscheidungen eines Kollegialgerichtes Erb, NStZ 2009, 189 (192 f.); Heine / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 339 Rn. 3 a. E. 628  BVerfGE 133, 168 (220 Rn. 93) = NJW 2013, 1058 (1066). 629  Fischer, StGB, § 339 Rn. 22a. 630  BVerfGE 133, 168 (220 Rn. 93) = NJW 2013, 1058 (1066). 631  Siehe oben B. I. 3. behandelte Handreichung der Generalstaatsanwaltschaften. 632  Vgl. auch allgemein Rengier, AT, § 50 Rn. 34 ff., insb. Rn. 36. 633  Auch Beulke, FS Schlothauer, 2018, S. 315 (327), führt diese Möglichkeit an. Zu dieser und den strafrechtlichen Folgen hieraus für den Verteidiger sogleich unter D. II. 5. a). 634  Rönnau, Absprache, 1990, S. 231 f. 635  BGHSt 32, 357 = NJW 1984, 2711; BGHSt 40, 169 = NJW 1994, 3238 (3240 f.); BGHSt 41, 247 = NJW 1995, 3324 (3325 ff.); BGH, NStZ 2010, 92. Zu dieser restriktiven Auslegung vgl. Heine / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 339 Rn. 10 f. und Rn. 17 mit der Folgerung der dadurch erreichten umfangreicheren Sperrwirkung des § 339 StGB. Dießner, StV 2011, 43 (46), spricht zutreffend von Verfassungsverstoß und folgert hieraus den gravierenden Verfahrensverstoß.

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D. Konsequenzen und Problemlösung

Zurückstellung der materiellen Wahrheit – also bei einem „Ausdealen“ und damit Verfälschen des Sachverhalts – das Recht gebeugt.636 Denn dann ist in aller Regel der Sachverhalt nicht nur unwesentlich verfälscht, weshalb ein Willkürakt gegen die ausdrückliche gesetzliche Anordnung in §§ 257c I 2, 244 II StPO angenommen werden kann.637 Notwendig ist Willkür zwar nicht, sie begründet aber in jedem Fall den elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege. Wenn für rechtliche Unregelmäßigkeiten „politische Gründe“ das Motiv darstellen, so sind diese „wesentliche Voraussetzung für die Annahme eines Willkürakts, deren es hier [gemeint ist ein DDR-Altfall] für die Bestrafung wegen Rechtsbeugung bedarf“.638 Motiv eines rechtswidrigen „Deals“ ist meist das Bestreben nach Beschleunigung. Je nachdem, ob dabei nur die Freizeit des Richters maximiert werden soll oder ob der Richter „dealt“ um die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege aufrecht zu erhalten, ist von Willkür auszugehen oder liegt diese eher fern. Erb zufolge ist Rechtsbeugung wegen illegaler Absprachen auch bei („angeblich“) bedrohter Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege zu bejahen.639 c) Subjektiver Tatbestand Auch der subjektive Tatbestand bereitet seit dem Grundsatzurteil des BVerfG640 keine nennenswerten Probleme, es könne sich allenfalls ein vermeidbarer Verbotsirrtum ergeben.641 Sachfremde Motive sind jedenfalls dann anzunehmen, wenn ein Richter ein durch das Rechtsmittelgericht an ihn zurückverwiesenes Verfahren auf Antrag oder mit Zustimmung des Staatsanwalts einstellt, „weil ihm die neue Verhandlung und Entscheidung zu viel Arbeit macht“, und wenn er die Entscheidung eines übergeordneten Gerichts und ihre Bindungswirkung entgegen dem Gesetz schlicht missachtet.642 Sätze wie „Wenn bei mir was zurückkommt, stelle ich das ein. Für so was habe ich keine Zeit“ und „ihn interessiere nicht, was die Herren beim BayObLG entscheiden“643 dürfen sich selbstverständlich nicht in den Mund eines Richters verirren und müssen auch dem Staatsanwalt bei seinen Anträgen oder Zustimmungserteilungen fremd sein. Aber auch ohne Willkür ist ein bewuss636  So auch BGHSt 40, 169 = NJW 1994, 3238 (3241); Dießner, StV 2011, 43 (46); Heine / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 339 Rn. 7. 637  Ähnlich hat dies der BGH auf den von ihm zu beurteilenden DDR-Altfall angewendet, BGHSt 40, 169 = NJW 1994, 3238 (3241). 638  BGHSt 40, 169 = NJW 1994, 3238 (3242). 639  Erb, StV 2014, 103 (105). 640  BVerfGE 133, 168 = NJW 2013, 1058. 641  Erb, StV 2014, 103 (106), Kursivierung im Original. 642  BGHSt 44, 258 = NJW 1999, 1122. 643  Beide Zitate aus BGHSt 44, 258 = NJW 1999, 1122.



II. Strafbarkeitsrisiken bei informellen „Deals“139

tes Verfälschen des Sachverhalts ein schwerwiegender Verstoß gegen Recht und Gesetz und somit als „Beugung des Rechts“ (§ 339 StGB) zu beurteilen. Zu ermitteln ist auch bei einer Verständigung stets die materielle Wahrheit. Problematisch könnte sein, wenn nur die Möglichkeit eines falschen Sachverhaltes unter grober Verletzung der Amtsaufklärungspflicht hingenommen wird. Dabei ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass dadurch die konkrete Gefahr einer inhaltlich falschen Entscheidung und damit eines unrechtmäßigen Vor- oder Nachteils für eine Partei – den Verurteilten – geschaffen wird.644 Nach der neueren Rechtsprechung des BGH muss die Entscheidung unvertretbar sein und zudem eine Rechtsregel von grundlegender Bedeutung verletzen.645 Auch diese noch engere Voraussetzung erfüllt der Richter, der eine bloß formelle Wahrheit ausreichen lässt. Das Gesetz gibt die Amtsaufklärungspflicht in §§ 257c I 2, 244 II StPO klar als Notwendigkeit auch bei Verständigungen vor. Sie ist von grundlegender verfahrensrechtlicher Bedeutung. Beides hat auch das BVerfG in seiner Grundsatzentscheidung zur Verständigung erläutert und bekräftigt und die Schutzfunktion der zwingenden Ermittlung der materiellen Wahrheit betont.646 Somit kann sich der Richter nicht darauf berufen, er habe auf die Vertretbarkeit der Entscheidung außerhalb der Regeln des Verständigungsgesetzes vertraut, etwa weil er § 257c StPO nicht als abschließend begreife und „Deals“ neben einer gesetzmäßigen Verständigung für möglich halte. d) Prägnante weitere Beispiele Laut Jahn / Kudlich sind weitere denkbare Fälle einer strafbaren Rechtsbeugung die Vereinbarung einer Punktstrafe sowie Absprachen über Maß­ regeln der Besserung und Sicherung oder über den Schuldspruch.647 Auch die bewusste Entziehung der Überprüfung eines rechtswidrigen „Deals“ 644  BGHSt 42, 343 = NJW 1997, 1452 (1452 f.): bereits wenn ein Richter „in rechtlich fehlerhafter Weise eine Zuständigkeit an sich zieht“, um verfahrensfremde Motive zu verfolgen; BGH, NStZ 2013, 648 (651 ff.); BGH, NStZ 2013, 533 (534); BGH, NStZ-RR 2001, 243 (244); Erb, StV 2014, 103 (106); Dießner, StV 2011, 43 (45 f.); Fischer, StGB, § 339 Rn. 23; ders., GS Seebode, 2015, S. 59 (64) = HRRS 2014, 324 (327); MüKo-StPO / Jahn / Kudlich, § 257c Rn. 213; Hecker, JuS 2014, 85; Heine / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 339 Rn. 12; Heger, in: Lackner / Kühl, § 339 Rn. 7; NK-StGB / Kuhlen, § 339 Rn. 75; MüKo-StGB / Uebele, § 339 Rn. 49, 59; Wessels / Hettinger / Engländer, BT I, Rn. 1211. Im Ergebnis jede informelle Absprache für Rechtsbeugung haltend Fischer, GS Seebode, 2015, S. 59 (80) = HRRS 2014, 324 (334). 645  BGHSt 59, 145 = NJW 2014, 1192 (1193). 646  Siehe oben B. I. 1. d). 647  MüKo-StPO / Jahn / Kudlich, § 257c Rn. 211. Vgl. auch zur Verständigung über den Schuldspruch oder über Maßregeln der Besserung und Sicherung Dießner, StV

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D. Konsequenzen und Problemlösung

durch die Rechtsmittelgerichte – etwa durch in der Regel beim „Deal“ fehlende Dokumentation – erfüllt den Rechtsbeugungstatbestand.648 Darüber hinaus macht sich wegen Rechtsbeugung der Richter strafbar, der durch eine unzulässige „Sanktionsschere“ dem Angeklagten ein Geständnis abpresst.649 Der Vorteil oder Nachteil besteht stets in der falschen Entscheidung zu Gunsten650 oder zu Lasten des Beschuldigten.651 Wenn somit eine Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung gegeben ist, steht die auf dem Schutz der richterlichen oder richterähnlichen Unabhängigkeit beruhende Sperrwirkung652 des § 339 StGB einer möglichen weitergehenden Strafbarkeit nicht entgegen. 2. Strafvereitelung im Amt (§§ 258, 258a StGB) a) Objektiver Tatbestand Darüber hinaus kommt sowohl für den Richter als auch für den Staatsanwalt Strafvereitelung im Amt nach §§ 258, 258a StGB in Betracht. Dafür muss der Täter ganz oder teilweise vereiteln, dass ein anderer bestraft oder einer Maßnahme unterworfen wird. Der Tatbestand wird also auch dann verwirklicht, wenn die Bestrafung nur zum Teil vereitelt wird, indem die Strafe entgegen dem wahren Sachverhalt milder ausfällt als den tatsächlichen Umständen entsprechend.653

2011, 43 (46); Erb, StV 2014, 103 (105); Schlothauer, in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil D Rn. 57; MüKo-StGB / Uebele, § 339 Rn. 48. 648  Erb, StV 2014, 103 (106). 649  Erb, StV 2014, 103 (105, zudem 106, m. Verweis auf die Nichtigerklärung eines amtsgerichtlichen Urteils durch das OLG München, NJW 2013, 2371 – vgl. dazu aber die Dokumentation in StV 2014, 569, wonach die Staatsanwaltschaft München II auf eine Strafanzeige hin gem. § 152 II StPO von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen hat, auch einer Dienstaufsichtsbeschwerde blieb der Erfolg verwehrt); Kudlich, NStZ 2013, 379 (381). Ähnlich auch Heger / Pest, ZStW 126 (2014), 446 (484). Umfassend zum Thema „Sanktionsschere“ und Strafbarkeit des Richters Kubik, Sanktionsschere, 2014, S. 169 ff. Zur „Sanktionsschere“ auch schon oben B. I. 1. a) und b). 650  Vgl. hierzu BVerfGE 133, 168 (196 Rn. 49) = BeckRS 2013, 48285: „Nicht weniger als 16,4 % der Richter und 30,9 % der Staatsanwälte erklärten, sich im Rahmen einer Absprache schon auf eine ihrer Ansicht nach zu milde Strafe eingelassen zu haben.“ 651  Ähnlich auch MüKo-StPO / Jahn / Kudlich, § 257c Rn. 212, allerdings mit Einschränkung bei der Vereinbarung einer Punktstrafe, dass diese dann „evident nicht mehr tat- und schuldangemessen“ sein dürfe (Hervorhebung durch Jahn / Kudlich). 652  Vgl. nur Heine / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 339 Rn. 17 m. zahlr. Nachw. 653  Fischer, StGB, § 258 Rn. 9; Stree / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 258 Rn. 14; Kühl, in: Lackner / Kühl, § 258 Rn. 4.



II. Strafbarkeitsrisiken bei informellen „Deals“141

b) Beispielsfälle Dies dürfte wiederum insbesondere dann zu bejahen sein, wenn nur eine ausgehandelte formelle Wahrheit zu Gunsten des Beschuldigten „ermittelt“ wird und beispielsweise nur wegen eines Vergehens statt eines Verbrechens bzw. lediglich wegen des Grunddelikts statt einer beweisbaren Qualifikation verurteilt, ein Strafmilderungsgrund zu Unrecht herangezogen oder auch die Tagessatzhöhe bei der Geldstrafe zu niedrig festgesetzt,654 die gesetzliche Strafuntergrenze noch unterschritten oder anderweitig eine unvertretbar milde Strafe verhängt wird. Die ersten beiden Beispiele stellten im Übrigen eine unzulässige Verständigung über die Schuld dar.655 Darüber hinaus kann sich der Staatsanwalt auch wegen Strafvereitelung im Amt durch Unterlassen strafbar machen, wenn er entgegen seiner soeben656 festgestellten Rechtspflicht keine Rechtsmittel gegen auf rechtswidrigen „Deals“ beruhende Urteile einlegt. 3. Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) a) Objektiver Tatbestand Eine Strafbarkeit wegen Falschbeurkundung im Amt nach § 348 StGB verwirklicht, wer als Amtsträger befugt und zuständig eine rechtlich erhebliche Tatsache insbesondere falsch beurkundet.657 Dies könnte sich ergeben, wenn entgegen § 273 Ia 1, 2 StPO das Protokoll einen falschen Inhalt von der Verständigung und den zu ihr gehörenden Erörterungen, Mitteilungen und Belehrungen enthält oder im Widerspruch zu § 273 Ia 3 StPO das Negativattest wahrheitswidrig protokolliert wurde. Auch das BVerfG deutet eine solche Möglichkeit in seinem Grundsatzurteil zur Verständigung an.658 Der objektive Tatbestand setzt jedoch die Befassung mit einer öffentlichen Urkunde voraus. b) Mangelnde Urkundsqualität Allerdings bereitet bereits der Begriff der öffentlichen Urkunde Probleme. Der Begriff orientiert sich an § 415 I ZPO und meint damit Urkunden, die 654  Vgl. zu den vorgenannten Beispielen auch Stree / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 258 Rn. 14. 655  Dießner, StV 2011, 43 (47). 656  D. II. 1. b) aa). 657  Hecker, in: Schönke / Schröder, § 348 Rn. 2. 658  BVerfGE 133, 168 (213 f. Rn. 78) = NJW 2013, 1058 (1064).

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D. Konsequenzen und Problemlösung

von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind. Damit ist der Vorsitzende, der eine falsche Protokollierung veranlasst, zunächst einmal erfasst. Der strafrechtliche Begriff im Sinne von § 348 StGB ist allerdings enger zu verstehen als der des § 415 I ZPO. Die Urkunde muss daher zusätzlich für den Außenrechtsverkehr bestimmt sein und besondere erhöhte Beweiskraft haben, die sogenannte „volle Beweiswirkung für und gegen jedermann“.659 Ebendiese Wirkung hat das Sitzungsprotokoll jedoch nicht, da § 274 StPO nur für das Rechtsmittelverfahren gilt.660 Schlothauer / Weider sprechen dem Hauptverhandlungsprotokoll lediglich Beweiskraft für „die Beachtung der vorgeschriebenen Förmlichkeiten“ wie etwa „die Tatsache der Abgabe bestimmter Erklärungen“, nicht aber für deren sachliche Richtigkeit zu.661 Wenn der BGH in einem obiter dictum662 und Dießner663 geltend machen, dass das Protokoll bezüglich der Förmlichkeiten, die für die Hauptverhandlung vorgeschrieben sind, Beweiswirkung entfaltet, so übersehen beide, dass dies gerade keine Beweiskraft für und gegen jedermann bewirkt, sondern, wie die Gegenansicht überzeugend darlegt,664 nur für das Rechtsmittelverfahren. Die Beweiswirkung folgt aus Sinn und Zweck der Pflicht zur Protokollierung, dem Rechtsmittelgericht – und nur ihm – die 659  BGHSt (Großer Senat) 22, 201 = NJW 1968, 2153 (2154); OLG Hamm, NJW 1977, 592 (593) m. umfassender Kasuistik aus der reichgerichtlichen Rechtsprechung; Beulke / Stoffer, JZ 2013, 662 (672); Brehmeier-Metz, in: AnwaltKommentar StGB, § 271 Rn. 3 und § 348 Rn. 5; Erb, StV 2014, 103 (103 f.); Fischer, StGB, § 271 Rn. 4; Knauer, NStZ 2013, 433 (435); Rengier, BT II, § 37 Rn. 13; Stuckenberg, ZIS 2013, 212 (215); LK-StGB / Zieschang, § 348 Rn. 14. 660  OLG Hamm, NJW 1977, 592 (593); Fischer, FS Kühne, 2013, S. 203 (212); LK-StGB / Gribbohm, 11. Aufl. 2006, § 348 Rn. 19; Knauer, NStZ 2013, 433 (435); Stuckenberg, ZIS 2013, 212 (215); LK-StGB / Zieschang, § 348 Rn. 19. Ohne Begründung auch Fischer, StGB, § 271 Rn. 12. 661  Schlothauer / Weider, StV 2009, 600 (606). Ähnlich Brocke, StraFo 2013, 441 (451). 662  BGHSt 51, 88 = NJW 2006, 3579 (3581) m. fehlerhaftem Verweis auf LKStGB / Gribbohm, 11. Aufl. 2006, § 348 Rn. 18, in der es lediglich um ein vorbereitetes Zustellungsprotokoll des Gerichtsvollziehers geht, das darüber hinaus keine Urkundenqualität haben soll. Vgl. stattdessen vielmehr nur eine Rn. später unmissverständlich LK-StGB / Gribbohm, 11. Aufl. 2006, § 348 Rn. 19: „So werden Protokolle über die Hauptverhandlung in Strafsachen nicht nach § 348 geschützt, und zwar selbst dann nicht, wenn ein Rechtsmittelverzicht protokolliert wird“. 663  Dießner, StV 2011, 43 (47). 664  OLG Hamm, NJW 1977, 592 (593); Fischer, FS Kühne, 2013, S. 203 (212); LK-StGB / Gribbohm, 11. Aufl. 2006, § 348 Rn. 19; Knauer, NStZ 2013, 433 (435); Stuckenberg, ZIS 2013, 212 (215); LK-StGB / Zieschang, § 348 Rn. 19. Vgl. auch Schlothauer / Weider, StV 2009, 600 (606).



II. Strafbarkeitsrisiken bei informellen „Deals“143

Prüfung dieser Förmlichkeiten zu ermöglichen.665 Wegen Falschbeurkundung im Amt können sich die Beteiligten daher entgegen der vom BVerfG angedeuteten Rechtsansicht nicht strafbar machen. 4. Fazit und aktuelle Folgen für Richter und Staatsanwalt Damit steht fest, dass die Rechtsbeugung nach § 339 StGB den Haupt­ anknüpfungspunkt einer Strafbarkeit für die Absprachen treffenden Richter darstellt. Dabei ist mit Blick auf alle Beteiligten besonders auf den Verbrechenscharakter der Rechtsbeugung (Mindeststrafmaß ein Jahr Freiheitsstrafe, vgl. § 12 I StGB) und die damit verbundenen strafrechtlichen Gefahren des § 30 StGB hinzuweisen.666 Nach §§ 339, 30 I StGB ist schon der Versuch der Anstiftung zur Rechtsbeugung strafbar. Gem. §§ 339, 30 II StGB steht das Sich-Bereiterklären zu einer Rechtsbeugung oder deren Anstiftung, das Annehmen des Erbietens einer Rechtsbeugung oder der entsprechenden Anstiftung eines anderen sowie die Verabredung zur Rechtsbeugung oder zu deren Anstiftung unter Strafe. Neben den vorgenannten Straftaten kommt auch Nötigung in einem besonders schweren Fall gem. § 240 I, II, IV 2 Nr. 2 StGB in Betracht. Sollte sich ein bei dem Urteil mitwirkender Richter oder Schöffe entsprechend der soeben dargestellten Möglichkeiten667 strafbar gemacht haben, kann der Verurteilte zu seinen Gunsten Wiederaufnahme des durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens verlangen (§ 359 Nr. 3 StPO), sofern er die Verletzung der Amtspflichten der Richter oder Schöffen nicht selbst veranlasst hat. Letzteres kommt mit Blick auf § 257c III 4 StPO (Zustimmung des Angeklagten zum Verständigungsvorschlag) durchaus in Betracht.668 Die bloße Zustimmung wird aber für eine Veranlassung regelmäßig nicht ausreichen. Vielmehr hat das Initiativrecht für 665  OLG

Hamm, NJW 1977, 592 (593). auch Beulke, FS Schlothauer, 2018, S. 315 (316). Später (319 f.) bezeichnet er unter Diskussion der Theorie, die dem Verteidiger alles erlaubt, was auch der Beschuldigte straffrei darf, eine Strafbarkeit wegen Mitwirkung an für den Beschuldigten günstigen, aber rechtswidrigen Verständigungen als „undenkbar“. Begründet wird dies mit einem wenig einleuchtenden Argument: Wenn der Beschuldigte vor Gericht folgenlos lügen darf, müsse auch ein Bruch einzelner Verfahrensregeln durch den Verteidiger erlaubt sein. Das verfängt nicht. Lügen und Brechen von Verfahrensregeln sind wesensverschieden, zumal der Beschuldigte wegen der vollkommen unterschiedlichen Rechtsstellung im Prozess im Vergleich zum Verteidiger auch weitergehende Verteidigungsrechte hat – so darf er eben falsche Angaben machen, der Verteidiger hingegen nicht, vgl. nur Stree / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 258 Rn. 19 m. zahlr. Nachw. Freilich stellt das auch Beulke nicht in Abrede, vgl. FS Schlothauer, 2018, S. 315 (322). 667  D. II. 1.–3. 668  So Dießner, StV 2011, 43 (49 Fn. 95). 666  So

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D. Konsequenzen und Problemlösung

die Verständigung immer noch das Gericht (§ 257c I 1 StPO). Auch zu Ungunsten des Verurteilten kann das Verfahren wiederaufgenommen werden (§ 362 Nr. 3 StPO). Wird gegen einen Richter – etwa wegen Rechtsbeugung – rechtskräftig eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verhängt, so endet automatisch sein Dienstverhältnis (§ 24 Nr. 1 DRiG). Das Gleiche gilt gem. § 41 I Nr. 1 BBG für den Staatsanwalt. Dies alles darf zum Anlass genommen werden, sich als an einer Verständigung Beteiligter besonders sorgfältig zu verhalten. Es ist allerdings auch zu konstatieren, dass die Weisungen der Generalstaatsanwaltschaften669 keinerlei Hinweise auf die Strafverfolgung von rechtswidrig „dealenden“ Richtern enthält. Daher ist zunächst zu erwarten, dass sich die Praxis insoweit weiterhin zurückhalten und nur eindeutige, besonders krasse Fälle von Rechtsbeugung tatsächlich verfolgen und bestrafen wird. 5. Strafbarkeit des Verteidigers a) Parteiverrat (§ 356 StGB) Der objektive Tatbestand setzt voraus, dass ein Anwalt oder anderer Rechtsbeistand zwei Parteien pflichtwidrig dient. Auch für den Verteidiger kommt mithin eine täterschaftliche Strafbarkeit im Zusammenhang mit rechtswidrigen „Deals“ in Betracht. Für den Fall, dass sich der Verteidiger und der Staatsanwalt kollusiv gegen den Beschuldigten verbünden, um den Mandanten zur Annahme der vom Staatsanwalt angebotenen Absprache zu drängen, könnte die Möglichkeit eines Parteiverrats (sogenannte Prävarikation) gem. § 356 I, II StGB im Raum stehen. Allerdings stellt die Staatsanwaltschaft nach umstrittener Meinung keine Partei des Strafverfahrens dar.670 Dann fehlt es für § 356 I StGB an der zweiten Partei, der der Verteidiger dienen könnte, für § 356 II StGB an der Gegenpartei. Für diese Ansicht spricht im Besonderen § 160 II StPO, nach dem die Staatsanwaltschaft auch die zur Entlastung des Beschuldigten dienenden Umstände zu ermitteln hat, der sie also zur Objek­ tivität verpflichtet. Daraus folgt, dass die Staatsanwaltschaft kein eigenes, einem für den Beschuldigten günstigen Gang widerstreitendes Interesse hat, sondern zur Neutralität verpflichtet ist. Auch eine Verständigung macht den Staatsanwalt nicht zu einer „Partei“, er bleibt unabhängiges Rechtspflege­ organ, das nur der Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichtet ist.671 Dafür spricht 669  Siehe

oben B. I. 3. behandelte Handreichung der Generalstaatsanwaltschaften. NStZ 1991, 561 (562): „offensichtlich nicht“; Heine / Weißer, in: Schön­ke / Schröder, § 356 Rn. 13; NK-StGB / Kuhlen, § 356 Rn. 27; Rönnau, Absprache, 1990, S. 240 f.; SK-StGB / Rogall, § 356 Rn. 25. 671  SK-StGB / Rogall, § 356 Rn. 25 m. Fn. 146 a. E. 670  Dahs,



II. Strafbarkeitsrisiken bei informellen „Deals“145

erneut auch die Handreichung der Generalstaatsanwaltschaften.672 Die Gegenansicht sieht die Staatsanwaltschaft als „Partei“ im Sinne des § 356 StGB an.673 Dafür spreche, dass die Rechtsangelegenheit dem Anwalt oder Rechtsbeistand vom Mandanten anvertraut sei.674 Dem ist zwar zuzustimmen, da das Vertrauen der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und vor allem in die Inte­ grität der Anwalt- und Rechtsbeistandschaft geschütztes Rechtsgut des § 356 StGB ist675 und dieses Vertrauen bei kollusivem Zusammenarbeiten mit der Staatsanwaltschaft massivst enttäuscht wird. Allerdings wird man schwerlich behaupten können, der Anwalt oder Rechtsbeistand „diene“ der Staatsanwaltschaft.676 Er wird sich dieser im Regelfall nicht unterwerfen. Weiteres Argument sei die Pflicht zur Durchsetzung des Strafanspruchs, welche den Staat selbst zur „Partei“ mache.677 Dagegen spricht aber, dass man dann auch das Gericht als Partei im Sinne des § 356 StGB ansehen müsste,678 was aber allein schon vom Wortlaut „Partei“ auf Grund der verfassungsrechtlich gebotenen Neutralitätspflicht679 nicht umfasst sein kann. Mit dieser Erwägung kann auch nicht dem Argument gefolgt werden, der Staat sei Partei, weil den rechtskräftig Verurteilten eine Duldungspflicht für finanzielle und freiheitsbeschränkende Sanktionen treffe, aus der ein Rechtsverhältnis zwischen Staat und Verurteiltem resultiere680 – zumal sich der Konnex zwischen Rechtsverhältnis und Parteieigenschaft ohnehin nicht erschließt. Man wird wohl auch kaum den Gesetzgeber und alle Gesetzesunterworfenen (ebenfalls ein Rechtsverhältnis zwischen Staat und Bürger) als Parteien einer Rechtssache ansehen können. Allein aus Rechten und Pflichten681 kann die Parteieigenschaft nicht geschlossen werden. Darüber hinaus kann die Staatsanwaltschaft nicht selbst durch einen Anwalt oder Rechtsbeistand vertreten werden, was ebenfalls gegen die 672  Siehe

oben B. I. 3. behandelte Handreichung der Generalstaatsanwaltschaften. Strafbarkeit des Verteidigers, 2010, Rn. 232; LK-StGB /  Gillmeister, § 356 Rn. 43; Kretschmer, Parteiverrat, 2005, S. 243 f.; Prinz, Parteiverrat, 1999, S. 142. Matt, in: Matt / Renzikowski, StGB, § 356 Rn. 28, bejaht zwar die Parteieigenschaft, verneint aber in der Folge, dass der Anwalt oder Rechtsbeistand der Staatsanwaltschaft in dieser Eigenschaft „dient“, selbst wenn er seinen Mandanten an diese „verrät“. 674  Beulke / Ruhmannseder, Strafbarkeit des Verteidigers, 2010, Rn. 232; Kretschmer, Parteiverrat, 2005, S. 245. 675  Vgl. nur Heine / Weißer, in: Schönke / Schröder, § 356 Rn. 1 m. zahlr. Nachw. 676  Heine / Weißer, in: Schönke / Schröder, § 356 Rn. 13; Matt, in: Matt / Renzikowski, StGB, § 356 Rn. 28. So aber Beulke / Ruhmannseder, Strafbarkeit des Verteidigers, 2010, Rn. 232; LK-StGB / Gillmeister, § 356 Rn. 43. 677  Kretschmer, Parteiverrat, 2005, S. 244; Prinz, Parteiverrat, 1999, S. 142 f. 678  Zutreffend NK-StGB / Kuhlen, § 356 Rn. 27 m. Fn. 119. 679  Vgl. oben B. I. 1. e). 680  Kretschmer, Parteiverrat, 2005, S. 244. 681  Kretschmer, Parteiverrat, 2005, S. 244. 673  Beulke / Ruhmannseder,

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D. Konsequenzen und Problemlösung

Eigenschaft der Staatsanwaltschaft als Partei spricht.682 Das Argument, der Verteidiger könne sich auch wegen Parteiverrats strafbar machen, wenn er es unterlässt, den Mandanten auf Rechtsmittel gegen das verständigungsbasierte Urteil hinzuweisen,683 dürfte angesichts der zwingenden richterlichen Belehrung nach § 35a S. 3 StPO als überholt gelten. Entscheidendes Argument ist aber in der Tat § 160 II StPO, der eindeutig gegen die Parteieigenschaft der Staatsanwaltschaft spricht. Der Staatsanwalt selbst könnte sich mangels Stellung als Anwalt oder Rechtsbeistand und wegen der Sonderdeliktsqualität684 von § 356 StGB ohnehin nur als Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) strafbar machen. Seine Strafe wäre dann gem. § 28 I StGB nach § 49 I StGB zu mildern. Mangels Parteieigenschaft sind freilich auch diese Überlegungen sub­ stanzlos. b) Weitere Tatbestände So problemträchtig eine Strafbarkeit des Strafverteidigers wegen Strafvereitelung nach § 258 StGB im Einzelnen sein mag, so eindeutig ist dagegen, dass jedes prozessual erlaubte Verteidigerverhalten keine strafbare Strafvereitelung darstellen kann.685 Der Verteidiger darf also auf eine für seinen Mandanten günstige Verständigung hinarbeiten, solange er sich nicht wegen (versuchter) Teilnahme an einer Rechtsbeugung nach § 339 StGB strafbar macht686 oder ein anderes Strafgesetz verletzt.

III. Verfahren nach §§ 154 II und 154a II StPO als prozessökonomische Alternative zur Verständigung 1. Abwägung der Vor- und Nachteile der Verständigung Es bleibt festzuhalten, dass die Verständigung – dem Gesetz entsprechend durchgeführt – zwar rechtmäßige Urteile hervorbringen kann, die dadurch auch begründete Aussicht auf Rechtskraft haben. Sie bringt aber in ihrer jetzigen Form keine nennenswerten Verfahrensverkürzungen und ihre Vorteile werden durch die mannigfachen Pflichten, die die Praxis beachten muss, 682  Heine / Weißer, in: Schönke / Schröder, § 356 Rn. 13; NK-StGB / Kuhlen, § 356 Rn. 27. 683  Kretschmer, Parteiverrat, 2005, S. 246; Prinz, Parteiverrat, 1999, S. 145. 684  Heine / Weißer, in: Schönke / Schröder, § 356 Rn. 4. 685  Vgl. zu allem nur Stree / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 258 Rn. 19 m. zahlr. Nachw. 686  Dazu ausführlich oben D. II. 1. und D. II. 4.



III. Verfahren nach §§ 154 II und 154a II StPO147

relativiert oder gar negiert.687 Zudem wird im Vergleich zu den rechtlichen Gegebenheiten in der Schweiz und in Luxemburg das dortige Bestreben deutlich, auf die Mitwirkung des Richters beim Verständigungsvorgang weitestgehend zu verzichten und ihn auf seine originäre Aufgabe des Entscheidens über die Verständigung zwischen Beschuldigtem und Staatsanwaltschaft zu beschränken. Dagegen hat der Richter in Deutschland das alleinige Initiativrecht (§ 257c I 1 StPO), was mit Gefahren für die richterliche Neutralität verbunden sein kann. Daher lohnt es sich, nach einer prozessökonomischen und rechtssicheren Alternative zu forschen. 2. Opportunitätsprinzip prozessökonomischer als die Verständigung a) Reduzierte Anwendbarkeit von §§ 153, 153a StPO Grundsätzlich bietet es sich an, die Alternative zu der Verständigung in den Vorschriften zu suchen, die im Opportunitätsprinzip wurzeln. Zunächst könnten die §§ 153 und 153a StPO zur Entlastung der Justiz entscheidend beitragen.688 Ihre Anwendung hat aber Grenzen und einen beachtlichen Nachteil, wenn die Geschichte der Verständigung bedacht wird: Einerseits kommen Einstellungen gem. §§ 153 I und 153a I StPO nur bei Vergehen in Betracht. Demgemäß ist z. B. bereits bei gewerbsmäßigem Bandenbetrug, der nach § 263 V i. V. m. § 12 I StGB ein Verbrechen ist, deren Anwendung ausgeschlossen, obwohl gerade bei solchen Fällen eine prozessökonomische Verkürzung des Verfahrens insbesondere mit Blick auf die knappen Ressourcen der Justiz bedeutsam sein kann. Freilich ist hier auch zu bedenken, dass die vollständige Einstellung eines Verbrechens kaum mit dem staatlichen Strafverfolgungsauftrag in Einklang zu bringen ist. Andererseits haben die §§ 153 und 153a StPO den Nachteil, dass zumindest nach ihren jeweiligen Absätzen 1 bereits die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung bzw. der Erhebung der öffentlichen Klage absehen kann – bei §§ 153 I 1 und 153a I StPO stets nur mit Zustimmung des Gerichts. Wenn nun die Geschichte der Verständigung in den Blick genommen wird, die ihren düsteren, rechtsstaatlich bedenklichen Anfang im Hinterzimmer der Justiz nahm,689 so muss konsta687  Siehe

dazu ausführlich oben B. II. 5. vom BVerfG in BVerfGE 133, 168 = NJW 2013, 1058, gemachten verfassungsrechtlichen Vorgaben und Einschränkungen gelten nur für die Verständigung, nicht hingegen für die Einstellung nach §§ 153 und 153a StPO, vgl. dazu Beulke, FS v. Heintschel-Heinegg, 2015, S. 33 (36). Vgl. im Überblick – auch zum Strafbefehlsverfahren – Sauer / Münkel, Absprachen, 2014, Rn. 6 f. 689  Dazu vor allem Weider, StV 1982, 545, unter dem Pseudonym Detlef Deal aus Mauschelhausen. Zur Geschichte der Verständigung insgesamt BVerfGE 133, 168 (171 ff. Rn. 2 ff.) = BeckRS 2013, 48285; Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner / Schmitt, 688  Die

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D. Konsequenzen und Problemlösung

tiert werden, dass auch bei der Einstellung außerhalb der Hauptverhandlung die Transparenz für die Öffentlichkeit fehlt. Die §§ 153 und 153a StPO können die Zahl der Verständigungen im Bereich der Vergehen somit zwar verringern, aber einen zufriedenstellenden Ersatz bieten sie gewiss noch nicht. b) Vorzüge der §§ 154, 154a StPO Deutlich zielführender kann die Anwendung von §§ 154 oder 154a StPO sein. Dabei geht es im Gegensatz zu den §§ 153 und 153a StPO nicht um eine vollständige, sondern nur um die Teileinstellung bei mehreren Taten – sei es nun im prozessualen (§ 264 StPO) oder materiellen (§§ 52, 53 StGB) Sinne –, die nicht auf Vergehen beschränkt ist. Die Staatsanwaltschaft kann gem. § 154 I StPO von der Verfolgung einer Tat absehen, wenn die Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt (Nr. 1) oder wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint (Nr. 2). Dabei sind vor allem die jeweiligen letzten Varianten (Strafe oder Maßregel, die der Beschuldigte „wegen einer anderen Tat zu erwarten hat“) interessant. § 154 StPO „ermöglicht insbesondere die Beschränkung oder Vermeidung von Großverfahren“.690 Der gewichtige Unterschied für die Staatsanwaltschaft ist im Vergleich zu den §§ 153 I 1 und 153a I StPO, dass die Anwendung von §§ 154 I oder 154a I StPO nicht von der Zustimmung des Gerichts abhängig ist. Sie kann daher frühzeitig – zumindest dann, wenn sie die Gewichtung der einzelnen Fälle hinreichend abwägen kann – Teileinstellungen vornehmen und hierdurch bereits das Ermittlungsverfahren verkürzen. Bei § 154 I Nr. 2 StPO ist mit Blick auf den Regelungszweck des Verständigungsgesetzes die Formulierung „wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist“ von besonderer Bedeutung. Damit eröffnet die Regelung gerade den Anwendungsbereich, der für Verständigungen typischerweise interessant ist, etwa Großverfahren im Wirtschafts-, Betäubungsmittel- oder Sexualstrafrecht. Sind allerdings Einl. Rn.  119b ff.; Niemöller, in: Niemöller / Schlothauer / Weider, 2010, Teil A; Stuckenberg, in: Löwe / Rosenberg, § 257c Rn. 1 ff.; SK-StPO / Velten, Vor §§ 257b– 257c ff. Rn. 1 ff.; jew. m. w. Nachw. 690  Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154 Rn. 1. Ähnlich auch BT-Drs. 8 / 976, S. 39; KK-StPO / Diemer, § 154 Rn. 1; MüKo-StPO / Teßmer, § 154 Rn. 2.



III. Verfahren nach §§ 154 II und 154a II StPO149

durch Verfahrenstrennung (§ 4 StPO) Urteile in angemessener Frist zu erwarten, so ist dieser Weg vorrangig zu beschreiten.691 Bei der Teileinstellung nach § 154 I StPO wird die Strafverfolgung einer eigenständigen Tat eines Mehrfachtäters eingestellt, während § 154a I StPO die Beschränkung innerhalb einer prozessualen Tat ermöglicht.692 Im Übrigen ähneln sich beide Vorschriften. Ein Vorteil eröffnet sich durch die Anwendung der §§ 154 oder 154a StPO insbesondere für die Staatsanwaltschaft, denn nach den Absätzen 1 wird lediglich vorläufig von der Verfolgung abgesehen, die Staatsanwaltschaft kann also – mit geringen Einschränkungen – jederzeit bis zur Verfolgungsverjährung die Ermittlungen wiederaufnehmen.693 Das kann besonders dann von Bedeutung sein, wenn sich im fortgeführten Verfahren unerwartete Probleme auftun oder das prognostizierte Ergebnis verfehlt wird. c) „Königsweg“ der §§ 154  II und 154a  II StPO nach Eröffnung des Hauptverfahrens aa) Grundsätzliche Erwägungen Dies sind zunächst die Handlungsvarianten der Staatsanwaltschaft gem. §§ 154 I und 154a I StPO, die sich gleichwohl auch stets dem Vorwurf der Intransparenz ausgesetzt sehen. Besonders interessant wird es daher, wenn §§ 154 II und 154a II StPO in den Blick geraten. Diese regeln die Teileinstellung bzw. Beschränkung der Verfolgung nach Erhebung der öffentlichen Klage (§ 154 II StPO) bzw. nach Einreichung der Anklageschrift (§ 154a II StPO). Unterschiedlich ist auch das nach Beginn des Zwischen- bzw. Hauptverfahrens erforderliche prozessuale Verhalten der Staatsanwaltschaft. Im Fall des § 154 II StPO ist ihr Antrag erforderlich, geht es doch hier um eine im Sinne von § 264 StPO eigenständige – prozessuale – Tat, über die im Urteilsfall stets vollständig zu entscheiden wäre. Nach § 154a II StPO ist dagegen (nur) die Zustimmung der Staatsanwaltschaft für die Beschränkung erforderlich, weil hier eben nach wie vor über die prozessuale Tat (§ 264 StPO) entschieden werden wird. Sobald sich das Verfahren nicht mehr im Zwischenverfahren befindet, liegt der Vorteil auf der Hand: Die Einstellung bzw. Beschränkung erfolgt vornehmlich in der Hauptverhandlung. Selbstverständlich können §§ 154 II und 154a II StPO auch außerhalb der Hauptverhandlung Anwendung finden. Nach dem hier angestrebten Lösungsansatz 691  BT-Drs. 8 / 976, S. 39; Beulke, in: Löwe / Rosenberg, § 154 Rn. 23; KK-StPO /  Diemer, § 154 Rn. 11; Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154 Rn. 9, 12. 692  Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154a Rn. 1. 693  Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154 Rn. 15, 21 f.

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D. Konsequenzen und Problemlösung

sollte dies aber Ausnahmecharakter haben, um die Entscheidung aus dem Hinterzimmer der Justiz in die Öffentlichkeit zu holen. Transparenz und Kontrolle durch die Öffentlichkeit sind dann vollständig gewahrt. Das Gericht listet in seinem Einstellungsbeschluss die eingestellten Taten exakt auf694 und hat tunlichst – vergleichbar mit der Anklageschrift – Tatzeit und Tatort zu benennen und die Handlung konkret darzustellen. Das ist insofern von Bedeutung, als nur dann die Verurteilung wegen der eingestellten Taten ausscheidet.695 Im Fall des Gerichtsbeschlusses handelt es sich trotz des eindeutigen Wortlautes („vorläufig“) um eine endgültige Einstellung, die deshalb auch eine Kostenentscheidung erforderlich macht und nur über § 154 III–V StPO der Wiederaufnahme zugänglich ist.696 Die materielle Rechtskraft ist mithin nur dadurch beschränkt, dass im Fall der Einstellung mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung diese Strafe oder Maß­ regel nachträglich wegfällt und das eingestellte Verfahren nicht inzwischen verjährt ist (§ 154 III StPO) oder dass im Fall der Einstellung mit Blick auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel das nicht verjährte eingestellte Verfahren binnen drei Monaten nach Rechtkraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wiederaufgenommen wird (§ 154 IV StPO), weil dort die prognostizierten Rechtsfolgen unzureichend ausgefallen waren. Hat das Gericht eingestellt, bedarf es auch zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses (§ 154 V StPO). Der Wiederaufnahme­ beschluss ist auch nach Ablauf der Frist des § 154 IV StPO noch zulässig, wenn sich nachträglich herausstellt, dass Gegenstand des eingestellten Verfahrens kein Vergehen, sondern ein Verbrechen ist.697 Im Hinblick auf die ersten Varianten („rechtskräftig verhängt worden ist“) kann es für ein Gericht sinnvoll sein, über mehrere Taten nach Abtrennung in getrennten Verfahren zu entscheiden, um so rasch die entsprechenden Voraussetzungen für eine Einstellung nach § 154 StPO zu erfüllen.698

694  Schmitt,

in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154 Rn. 16a. BeckRS 2008, 20932 Rn. 10; BGH, NStZ 1997, 249 (250); BGH, NStZ 1981, 23; Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154 Rn. 16a. 696  BGHSt 10, 88 = NJW 1957, 637 (638); Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154 Rn. 17 f. 697  BGHSt 54, 1 = NJW 2009, 2548 (2550); BGHSt 33, 234 = NStZ 1986, 36 m. Anm. Rieß; Beulke, in: Löwe / Rosenberg, § 154 Rn. 63 m. § 153 Rn. 88; KMRStPO / Plöd, § 154 Rn. 22; Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154 Rn. 22. A. A. KK-StPO / Diemer, § 154 Rn. 31; Pfeiffer, StPO, 2005, § 154 Rn. 6. 698  Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154 Rn. 4. 695  BGH,



III. Verfahren nach §§ 154 II und 154a II StPO151

bb) Einbindung des Beschuldigten nicht erforderlich Für Staatsanwaltschaft und Gericht hat die Anwendung von §§ 154 oder 154a StPO im Gegensatz zu den §§ 153–153b StPO einen ganz entscheidenden Vorteil: Die Zustimmung des Beschuldigten ist nicht erforderlich. Das ist rechtsstaatlich unbedenklich, denn die Teileinstellung wirkt sich zu Gunsten des Beschuldigten aus, indem die Zahl der Vorwürfe gegen ihn verringert wird699 und von ihm – anders als bei § 153a StPO – keine „Gegenleistung“ erbracht wird. Dieses Ergebnis bestätigt ein Vergleich zwischen §§ 154, 154a StPO und § 31a II 1 BtMG, denn Letzterer fordert für die Einstellung durch das Gericht die Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten. In Kenntnis dieser Sachlage hat der Gesetzgeber bei der kürzlich erfolgten Novellierung des Strafverfahrens durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.8.2017700 die Zustimmung des Beschuldigten bei den §§ 154 und 154a StPO nicht als Voraussetzung für die Beschränkung oder Teileinstellung hinzugefügt. Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass er ebenfalls davon ausgeht, die genannten Normen wirken sich zu Gunsten des Beschuldigten aus. Letzterer muss auch nicht vorher gehört werden, zumindest wenn eine für ihn günstige Kostenentscheidung getroffen wird.701 Das Gericht sollte jedoch in Verfolgung des Rechts auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (Art. 2 I, 20 III GG, Art. 6 I 1 EMRK) wohlweislich stets eine Anhörung erwägen, dies insbesondere dann, wenn die bisherigen Einlassungen des Beschuldigten sein Bestreben nach einem Freispruch erkennen lassen. Die Beschwerde ist gegen einen ordnungsgemäß ergangenen Gerichtsbeschluss nach § 154 II StPO grundsätzlich unzulässig, denn der Beschuldigte ist nicht beschwert.702 Deshalb ist diese Einstellung auch der Revisionsrüge entzogen, obwohl § 336 S. 2 StPO jedenfalls nicht direkt eingreift. Das ist nur dann anders, wenn die Unschuld des Beschuldigten bereits zweifelsfrei feststand.703 Auch Entscheidungen der Verwaltungsbehörde wegen etwaiger Ordnungswidrigkeiten sind 699  Volk,

NJW 1996, 879 (879 f.). 2017 Nr. 58, S. 3202 (vom 23.8.2017, Inkrafttreten mit Einschränkungen hinsichtlich der Aufzeichnung der Vernehmung des Beschuldigten in Bild und Ton am 24.8.2017). 701  BGH, NStZ-RR 2008, 183; BGH, Beschluss vom 12.4.1994  – 4 StR 765 / 93, nachzulesen bei Kusch, NStZ 1995, 18; Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154 Rn. 16. 702  BGH, NStZ-RR 2008, 183; BGHSt 10, 88 = NJW 1957, 637; Beulke, in: Löwe / Rosenberg, § 154 Rn. 48; Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154 Rn. 20, § 154a Rn. 23; SK-StPO / Weßlau / Deiters, § 154 Rn. 50. 703  BVerfG, NJW 1997, 46 (46 f.); BGH, NStZ-RR 2007, 21 (lediglich Leitsatz der Schriftleitung abgedruckt) = BeckRS 2006, 13336; BGHSt 10, 88 = NJW 1957, 637 (638); Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154 Rn. 20. 700  BGBl. I

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D. Konsequenzen und Problemlösung

nicht tangiert, denn solche können trotz – oder gerade wegen (vgl. §§ 21 I 1, 43 I OWiG) – der Einstellung des Verfahrens bezüglich der Straftat weiter verfolgt werden.704 cc) Ermöglichung schuldangemessener Bestrafung Die Frage ist nun, ob sich bei der Strafzumessung Probleme auftun können. Das wäre etwa zu befürchten, wenn wegen der Teileinstellung eine nicht mehr angemessene Strafe verhängt werden könnte. Das ist allein schon gesetzlich ausgeschlossen, denn die eingestellte Tat darf hinsichtlich der Strafe oder Maßregel neben der verbleibenden Tat nicht beträchtlich ins Gewicht fallen bzw. die verbleibende Tat diesbezüglich muss zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheinen. Aber auch im tatsächlichen Bereich scheiden nennenswerte Probleme aus, wenn man sich folgendes Grundprinzip vor Augen hält: Bei der Bildung einer Gesamtstrafe gibt es feste Grenzen. § 54 I StGB schreibt die Erhöhung der verwirkten höchsten (Einzel-)Strafe – der sogenannten Einsatzstrafe – vor, es sei denn, eine der Einzelstrafen ist bereits eine lebenslange Freiheitsstrafe. Anders als in den Vereinigten Staaten wird in Deutschland auch dann nur auf lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe erkannt (§ 54 I 1 StGB). Die Obergrenze für zeitige Freiheitsstrafen ist fünfzehn Jahre (§ 54 II 2 Var. 1 StGB). Somit steht für die schwerwiegendsten Delikte im deutschen Strafrecht auch bei Teileinstellung weiterhin die angemessene Strafe zur Verfügung. Wenn nunmehr der Blick auf die für den Anwendungsbereich der Verständigung und damit auch der §§ 154 II und 154a II StPO relevantere mittlere Kriminalität etwa im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts gelenkt wird, so muss zunächst der Begriff der Einsatzstrafe erläutert werden. Das Gesetz umschreibt ihn mit „der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art … der ihrer Art nach schwersten Strafe“ (§ 54 I 2 StGB). Bei gleichartigen Strafarten, wie es für die typischen Anwendungsbereiche der Verständigung regelmäßig der Fall sein wird, ist die Einsatzstrafe damit die quantitativ höchste Einzelstrafe.705 Bei ungleichartigen Strafen ist die Freiheitsstrafe als die schwerere Strafart vorrangig gegenüber der Geldstrafe, selbst wenn letztere in der Tagessatzanzahl höher ist.706 Die Einsatzstrafe ist auch im Voraus ohne nennenswerte Schwierigkeiten zu prognostizieren. Im 704  BGHSt 41, 385 = NJW 1996, 1973 (1974), m. diesbezüglich zustimmender und eingehender Anm. Kindhäuser, JZ 1997, 101 (102 f.); BayObLG, NZV 2004, 269; Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154 Rn. 15, 17. 705  Sternberg-Lieben / Bosch, in: Schönke / Schröder, § 54 Rn. 4. 706  BGHSt 37, 106 = NJW 1990, 2560 (2567); Sternberg-Lieben / Bosch, in: Schönke / Schröder, § 54 Rn. 5; MüKo-StGB / von Heintschel-Heinegg, § 54 Rn. 11; Klappstein / Kossmann, JuS 2010, 785 (786).



III. Verfahren nach §§ 154 II und 154a II StPO153

Wirtschaftsstrafrecht wird diese in der Regel bei der Tat mit dem höchsten Schaden zu finden sein, im Betäubungsmittelstrafrecht bei der mit der größten Menge oder der gefährlichsten Droge. Im Sexualstrafrecht wird die Einsatzstrafe grundsätzlich bei der Tat mit der höchsten Intensität bzw. den gravierendsten Folgen für das Opfer festzusetzen sein. Bedeutsam bleibt insoweit freilich auch, dass die erste begangene Straftat, also das Überschreiten der Schwelle zur Illegalität, erhebliches Gewicht hat. Diese Einsatzstrafe wird sodann nach dem Asperationsprinzip erhöht, um die angemessene Gesamtstrafe zu finden (§ 54 I 2 StGB).707 Aber auch hierbei gibt es Grenzen. So ist der Gesamtstrafausspruch immer dann besonders sorgfältig zu begründen, wenn die Gesamtstrafe an die gesetzlich normierten Grenzen heranreicht (sich also etwa nach oben der Summe aller Einzelstrafen annähert), aber auch dann, wenn sich die Gesamtstrafe „auffallend von der Einsatzstrafe entfernt“.708 Etwa ab Frühjahr 1997 ist eine Vielzahl von Entscheidungen des BGH ergangen, in denen die Gesamtstrafenbildung des erstinstanzlichen LG kritisiert wurde und deshalb die Urteile insofern aufzuheben waren. So hat der BGH im März 1997 das Vierfache der Einsatzstrafe als Gesamtstrafe nicht akzeptiert.709 Auch das knapp Dreifache war laut einer Entscheidung vom April 1998 unangemessen.710 Erst recht gilt dies für das Fünfeinhalb­ fache der Einsatzstrafe als Gesamtstrafe, auf welche die Große Wirtschaftsstrafkammer des LG Koblenz noch im Dezember 1997 erkannt hatte, weshalb dieses Urteil im Juli 1998 aufgehoben wurde.711 Eine rein mathematische Berechnung der Gesamtstrafe ist nicht möglich, denn es sind stets die Grundsätze der Strafzumessung zu berücksichtigen. Die Vorinstanzen in den genannten Fällen aber haben sich dort „in zu starkem Maße von der Summe der Einzelstrafen … leiten lassen“ und keine „zusammenfassende Würdigung der Person des Angeklagten und der einzelnen Strafen“ vorgenommen.712 Da nach dem vorgenannten Zeitpunkt vergleichbare Aufhebungen nicht mehr erforderlich waren, ist erkennbar, dass auch die Praxis der Instanzgerichte 707  Sternberg-Lieben / Bosch,

in: Schönke / Schröder, § 54 Rn. 2. wistra 1997, 227 = BeckRS 1997, 31121143. Vgl. dazu auch BGH, wistra 1998, 262 = BeckRS 1998, 31360666: „ungewöhnliche Divergenz von Einsatzstrafe und Gesamtstrafe“. 709  BGH vom 20.3.1997  – 4 StR 671 / 96, wistra 1997, 227 = BeckRS 1997, 31121143 (Freiheitsstrafe von zwei Jahren als Einsatzstrafe, acht Jahre Gesamtstrafe). 710  BGH vom 20.4.1998  – 5 StR 153 / 98, wistra 1998, 262 = BeckRS 1998, 31360666 (Einsatzstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten). 711  BGH vom 29.7.1998 – 2 StR 197 / 98, BeckRS 1998, 31357841 (Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten als Einsatzstrafe, acht Jahre und drei Monate Gesamtstrafe). 712  BGH, wistra 1998, 262 = BeckRS 1998, 31360666; BGH, wistra 1997, 227 = BeckRS 1997, 31121143. 708  BGH,

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D. Konsequenzen und Problemlösung

die Problematik verinnerlicht und die Vorgaben des BGH beachtet hat. Allerdings musste der BGH noch im Februar 2001 wegen fehlerhafter Gesamtstrafenbildung das zu überprüfende Urteil aufheben, weil die Strafkammer zu der Einsatzstrafe die Hälfte der Summe der verbliebenen Einzelstrafen hinzugerechnet hatte.713 Auch dies geht selbstredend nicht an, denn „jeder Schematismus ist der Gesamtstrafenbildung fremd.“714 Gleichwohl ist mit dem bisher Gezeigten zu konstatieren, dass es grundsätzlich keinen nennenswerten Unterschied für die angemessene Gesamtstrafenbildung machen kann, ob nun beispielsweise mehrere Hundert Einzelstrafen festgesetzt werden oder lediglich eine zweistellige Anzahl an Einzelstrafen. Dies führt dann zwingend zu der Überlegung, dass selbst einer gewaltigen Vielzahl von Einzelstrafen für das Endergebnis kein entscheidendes Gewicht mehr zukommt. Dann aber liegen in vergleichbaren Fällen genau die Voraussetzungen vor, welche vornehmlich § 154 II StPO im Blick hat. Trotz der prozessualen und materiellen Unterschiede kann auch § 154a II StPO tangiert sein. dd) Realisierung der Strafzwecke Durch die Anwendung von §§ 154 II und 154a II StPO ist die Akzeptanz der Allgemeinheit und deren Vertrauen in die Strafrechtspflege deutlich ausgeprägter als bei der Verständigung, denn jedenfalls die schwersten Delikte werden in der Hauptverhandlung vollständig aufgeklärt. Frank Meyer bezeichnet das Vertrauen der Allgemeinheit in die Strafrechtspflege als „Achillesferse der gesamten Absprachepraxis“, denn die „Überzeugungskraft und Legitimität der Entscheidungen, die sie produzieren muss, um wirklich Rechtsfrieden schaffen zu können, erodiert“.715 Zudem ist die Einwirkung auf den Täter erschöpfend gesichert (vgl. § 154 I Nr. 2 StPO), denn auf eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe kann auch unter Ausurteilung aller Einzelstrafen rechtmäßig ohnehin kaum erkannt werden. Schließlich ist so auch der Verteidigung der Rechtsordnung (vgl. dazu etwa §§ 47 I, 56 III, 59 I 1 Nr. 3 StGB und freilich auch § 154 I Nr. 2 StPO) hinreichend Genüge getan, künftigen ähnlichen Rechtsverletzungen wird wirksam vorgebeugt.716

713  BGH,

NStZ 2001, 365. NStZ 2001, 365 (366). 715  Frank Meyer, NJW 2013, 1850 (1853). 716  Dies fordert Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154 Rn. 14. 714  BGH,



III. Verfahren nach §§ 154 II und 154a II StPO155

ee) Keine Schlechterstellung des Nebenklägers im Vergleich zur Verständigung Ein Nachteil, der nicht unerwähnt bleiben darf, kann sich für das Opfer der eingestellten Straftat ergeben, welches rechtmäßig den Weg der Nebenklage oder des Adhäsionsverfahrens wählen möchte. Relativiert werden die Bedenken bezüglich des Adhäsionsverfahrens bereits dadurch, dass dieses in der gerichtlichen Praxis ein eher kümmerliches Dasein führt,717 dies trotz der beeindruckend umfassenden Regelungen in den §§ 403–406c StPO. In der Rechtswirklichkeit sei dies zurückzuführen auf die „forensische Verschiedenheit der Aufgaben von Strafrichtern und Zivilrichtern“.718 Kernkompetenz des Strafprozesses ist nicht, Zivilansprüche zu bescheiden. Zu beachten ist zudem der zivilprozessrechtliche Beibringungsgrundsatz.719 Denn im Zivilprozess ist es Sache der Parteien, Tatsachenstoff beizubringen und zu beweisen, der ihre Ansprüche stützt oder Einwendungen ausfüllt. Dies kann nicht im Wege der Neben- oder Adhäsionsklage auf den Strafprozess ausgelagert werden, dem der Amtsermittlungsgrundsatz zu Grunde liegt. Auch bei der Anwaltschaft ist das Adhäsionsverfahren unbeliebt, dies aus recht naheliegenden Gründen, die aus dem Gebührenrecht resultieren. Kaum Unterschiede finden sich beim Nebenkläger (§§ 395–402 StPO), der auch durch die Einstellung nach §§ 154 II und 154a II StPO Nachteil erleiden kann. Dies insbesondere dann, wenn er Berufung eingelegt hat und in dieser zweiten Tat­ sacheninstanz die Einstellung der Tat erfolgen soll, bei der er die Opferrolle innehat. Denn auch in dieser Verfahrenssituation ist seine Zustimmung zur Einstellung nicht erforderlich.720 Allerdings greifen auch hier zwei tragende Gesichtspunkte ein, die den tatsächlich bestehenden Nachteil als vernachlässigbar erscheinen lassen: Wenn das Nebenklagedelikt tatsächlich und zulässigerweise eingestellt werden kann, so ist gesichert, dass auch bei seiner Ausurteilung keine deutlich höhere Strafe in Betracht käme. Hier gelten die obigen Ausführungen zur Gesamtstrafenbildung. Zudem erlangt der Nebenkläger auch bei dem Verständigungsmodell keine günstigere Rechtsposition, denn auch dabei ist er außen vor. Somit stellt sich auch das schweizerische Problem des Zustimmungserfordernisses der Privatklägerschaft721 bei dem hier favorisierten Ansatz über §§ 154 II und 154a II StPO D nicht.

717  Meyer-Goßner,

in: Meyer-Goßner / Schmitt, Vorb. § 403 Rn. 1–3. nach Hirsch, GS Kaufmann, 1989, S. 699 (716). 719  Vgl. dazu nur Rosenberg / Schwab / Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 77 Rn. 1 und 3 für einen Überblick und § 77 passim zu Detailfragen. 720  Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154 Rn. 16. 721  Vgl. oben C. II. 1. c) cc). 718  Zitat

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D. Konsequenzen und Problemlösung

ff) Rechtssicherheit Ein Vorteil gegenüber der Verständigung ist wiederum die Nachhaltigkeit. Die Einstellung nach §§ 154 II und 154a II StPO ist grundsätzlich nicht angreifbar und erlangt sofort mit Erlass Bestandskraft. Damit ist auch gesichert, dass jeder Beteiligte weiß, welche konkret benannten Teile aus dem Verfahren ausgeschieden sind und welche verbleiben. Zu beachten ist allerdings, dass eine Begründung für das Unterlassen der Verständigung (und tunlichst auch für die Anwendung der §§ 154 II und 154a II StPO) erforderlich ist. Anderenfalls ergäbe sich ein Ermessensfehler in der Form des Ermessensnichtgebrauchs.722 Als Argument kommt hier etwa die Prozessökonomie in Betracht, wobei stets der Einzelfall im Blick bleiben muss.723 Der Arbeitsaufwand einer Einstellung nach §§ 154 II und 154a II StPO dürfte jedoch stets deutlich geringer sein als der bei einer Verständigung, wo alle Mitteilungs-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten penibel beachtet werden müssen. gg) Einsparpotenzial anhand eines Beispielsfalls Beim Fall mit den 600 Anlegern, die ihr Geld verloren haben,724 ermöglicht § 154 II StPO eine weitaus überzeugendere Lösung als die Verständigung. Durch Einstellung der allermeisten Einzeltaten kann der Beweisumfang deutlich reduziert werden; die Anklage kann sich auf den Nachweis einzelner besonders schwerer Einzeltaten konzentrieren. Im Gegensatz zur Verständigungslösung ist es weder nötig, dass der Beschuldigte im Detail gesteht, noch müssen die in einem solch komplexen Fall überaus umfangreichen Mitteilungs- und Dokumentationspflichten des Verständigungsgesetzes beachtet werden. Zu dem von ihm geschilderten Fall hat von Máriássy klargestellt, dass nach einer Verständigung nur einzelne Anleger exemplarisch gehört werden müssten.725 Das mag richtig sein, dennoch bleiben die Erfordernisse des umfassenden Geständnisses und der umfassenden Mitteilungen und Dokumentationen. Mit dem Verfahren nach § 154 II StPO kann jedoch genau das von ihm beschriebene Vorgehen – die zeugenschaftliche Vernehmung von nur wenigen Anlegern – rechtssicher, prozessökonomisch und effektiv realisiert werden, ohne sich in den „Fallstricken“ der Verständigung zu verfangen, die von Máriássy selbst auch sieht.726 Ein weiterer positiver Neben722  Vgl.

oben B. II. 4. dazu schon oben B. II. 5. 724  Vgl. oben B. II. 5. 725  von Máriássy, öAnwBl 2015, 280 (281). 726  von Máriássy, öAnwBl 2015, 280. 723  Vgl.



III. Verfahren nach §§ 154 II und 154a II StPO157

effekt ist, dass die im Verständigungsfall peinlichst genau zu beachtende Dokumentationspflicht nach § 273 Ia 1, 2 StPO bei dem Verfahren nach § 154 II StPO deutlich eingeschränkt ist. Letzteres nimmt seinen Anfang grundsätzlich durch eine formlose Anregung des Gerichts, die keine wesentliche Förmlichkeit im Sinne von § 273 I 1 StPO und mithin auch nicht protokollierungspflichtig ist, während diese Pflicht andererseits bei der Verständigung bereits beim kleinsten Anzeichen zwingend besteht. Der Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 154 II StPO kann und sollte wohl auch in das Protokoll aufgenommen werden, notwendig ist dies nicht. Ausreichend ist auch, wenn in dem auf den Antrag folgenden Gerichtsbeschluss deutlich wird, dass die Teileinstellung auf Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgt ist. Eine Fehlerquelle tut sich hierbei in keinem Fall auf. Im bisher behandelten Fall hat der Beschuldigte die Anleger mit jeweils eigenständigen Handlungen getäuscht. Denkbar ist aber auch der Fall, dass eine Vielzahl von Anlegern durch eine Handlung getäuscht wird, wie es bei Schneeballsystemen oder Kettenmails der Fall ist. Der Täter schickt eine Mail mit Täuschungscharakter an eine große Zahl von potenziellen Anlegern und bittet zudem um Weiterleitung im Bekanntenkreis. Wenn er zudem die weitere Korrespondenz sowie den Geldeingang automatisiert hat, liegt eine Handlung im natürlichen Sinne vor (§ 52 StGB) – und mithin selbstverständlich auch eine Tat im prozessualen Sinne –, denn der Beschuldigte betätigt nur ein einziges Mal die Maustaste zum Senden der E-Mails. Das Gesetz bietet auch hierfür eine Lösung: § 154a II StPO.727 Grundsätzlich sind abtrennbare Teile der Tat (vgl. § 154a I StPO) etwa Teile einer Falschaussage oder Teile eines Dauerdeliktes, sofern sie zeitlich abzugrenzen sind.728 Wenn nun gar Teile eines Dauerdeliktes wie des unerlaubten Waffenbesitzes729 abtrennbar sind, die ebenfalls auf einer Handlung basieren, so ist es nur konsequent, im dargestellten Kettenmail-Fall ebenso verfahren zu können, zumal dabei immerhin einzelne klar abtrennbare tatbestandsmäßige Erfolge (hier: der Vermögensschaden der Anleger) gegeben sind, die so beim Dauerdelikt häufig nicht existieren. Einzelne Tatbestandsmerkmale hingegen sind nicht abtrennbar.730 727  Vgl. zu den kriminellen „Möglichkeiten“ durch die stets voranschreitende technische Entwicklung Kuhli, StV 2016, 40 (40 f., 47). In solchen Fällen, insbesondere mit einer großen Anzahl an Kleinstschäden, spricht sich auch der BGH in BGHSt 58, 119 = NJW 2013, 2608 (2612), sowie BGH, NJW 2014, 2132 (2133), für eine Beschränkung gem. § 154a II, I 1 Nr. 1 StPO aus, jeweils mit Beschränkung des Vorwurfs auf bloße Versuchstaten. Dazu tendenziell ablehnend Kuhli, StV 2016, 40 (41 ff.), der den Ansatz aber selbst wieder aufgreift (S. 47). 728  Beulke, in: Löwe / Rosenberg, § 154a Rn. 6; Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154a Rn. 5. 729  MüKo-StGB / Heinrich, WaffG § 52 Rn. 166. 730  BGH, NStZ 1981, 23; Beulke, in: Löwe / Rosenberg, § 154a Rn. 4; Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 154a Rn. 5.

158

D. Konsequenzen und Problemlösung

hh) Gegenleistung des Beschuldigten nicht erforderlich Im schweizerischen Recht stellt sich beim abgekürzten Verfahren das Problem, dass die Staatsanwaltschaft als Gegenleistung Straftaten gem. Art. 8 II lit. a StPO CH teileinstellen kann.731 Es handelt sich hier ähnlich wie bei der Einstellung nach § 153a StPO D um ein gegenseitiges Verhältnis, bei dem der Beschuldigte auch eine irgendwie geartete Leistung erbringt. Bei der hier vertretenen Lösung über § 154 II StPO D besteht gerade dieses Problem nicht, denn der Beschuldigte „gibt“ hier nichts um die Teileinstellung zu erreichen. Es fehlt also das do ut des. Vielmehr stellen Staatsanwaltschaft und Gericht aus prozessökonomischen und Opportunitätsgrundsätzen folgenden Gründen teilweise ein, ein Verhalten also, das der – überlasteten – Justiz dienlich ist. ii) Keine Kumulation von Verständigung und §§ 154 II, 154a II StPO Somit können die §§ 154 II und 154a II StPO eine echte Alternative zur Verständigung darstellen und sollten auch alternativ danebenstehen. Kumulativ können beide Institute zu Problemen führen, wie ein Fall des OLG Frankfurt am Main zeigt.732 In diesem Fall wurde die Einstellung gem. § 154 II StPO im Rahmen einer Verständigung vereinbart, ohne jedoch die Protokollierungspflicht nach § 273 Ia 1, 2 StPO der Verständigung zu beachten. Tatsächlich hatte eine Verständigung dahin stattgefunden, dass ein Vermögensdelikt weiter verfolgt, ein tatmehrheitliches Körperverletzungsdelikt jedoch eingestellt werden sollte. Die Dokumentationspflichten wurden eklatant verletzt. Bei der hier favorisierten Lösung wäre dieser Fall unproblematisch geblieben. Das LG hätte zwanglos auf eine Verständigung verzichten, den gewiss zu erwartenden Antrag der Staatsanwaltschaft entgegennehmen und nach § 154 II StPO einstellen können. Sogenannten „Gesamtlösungen“ (auch „Packagedeals“ genannt733) hat auch das BVerfG in seinem Grundsatzurteil eine Bindungswirkung und eine Vertrauen auslösende Wirkung abgesprochen.734 Das folge aus dem Wortlaut des § 257c II 1 StPO, der nur vom „zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren“ spricht. Der Senat hat dies am Beispiel der Staatsanwaltschaft erörtert. So kann eine Einstellung anderer Verfahren nach § 154 I StPO nicht Gegenstand der Verständigung sein.735 731  Vgl.

oben C. II. 1. c) aa). Frankfurt am Main, NStZ-RR 2011, 49 (50). 733  Bittmann, NStZ 2017, 57; Knauer / Pretsch, NStZ 2015, 238. 734  BVerfGE 133, 168 (214 Rn. 79) = NJW 2013, 1058 (1064). 735  So auch oben B. I. 3. behandelte Handreichung der Generalstaatsanwaltschaften. 732  OLG



III. Verfahren nach §§ 154 II und 154a II StPO159

Indes hat der BGH in einem kürzlich erlassenen Beschluss diese Ansicht relativiert.736 Solange nicht der Eindruck entsteht, die angekündigte Einstellung sei von der Bindungswirkung der Verständigung umfasst, dürfe die Staatsanwaltschaft eine ebensolche Ankündigung anlässlich einer Verständigung machen. Dafür wiederum spreche die Gesetzesbegründung: „Nicht ausgeschlossen ist aber, dass die Staatsanwaltschaft Zusagen im Rahmen ihrer gesetz­ lichen Befugnisse zur Sachbehandlung in anderen, bei ihr anhängigen Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten, wie z. B. eine Einstellung nach § 154 StPO, abgibt. Solche Zusagen können aber naturgemäß nicht an der Bindungswirkung teilnehmen, die eine zustande gekommene Verständigung nach Maßgabe der Absätze 4 und 5 für das Gericht entfaltet.“737 Das lässt sich durchaus hören. Immerhin ist die Gesetzesbegründung auf Grund der kurzen Zeit seit Kodifizierung bei der Auslegung besonders zu beachten.738 Nach einem Vorschlag von Bittmann kommt es sogar nur auf die Zuständigkeit des Gerichts an, sodass ein „Packagedeal“ in Betracht kommt, wenn die betroffenen Verfahren beim gleichen Gericht in exakt derselben Besetzung anhängig sind, was vornehmlich beim Strafrichter am AG denkbar erscheint.739 Interessant bei dem zu Grunde liegenden Fall ist, dass die Revision dennoch Erfolg hatte, denn der Vorsitzende hat nicht „über sämtliche außerhalb der Hauptverhandlung geführten Verständigungsgespräche berichtet“ (§ 243 IV StPO).740 So wurde etwa über ein Treffen während unterbrochener Hauptverhandlung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung lediglich das Gesprächsergebnis mitgeteilt, statt zu erklären „welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist“.741 Das zeigt erneut, wie viele Fallstricke die Verständigung beherbergt und welch immenser Aufwand betrieben werden muss, um das daraufhin folgende Urteil revisionsfest zu machen. Es ist indes auch nicht nachzuvollziehen, weshalb überhaupt beide Institute (Einstellung aus Opportunität und Verständigung) kombiniert werden sollten. Selbst wenn die Verteidigung auf einer Verständigung besteht, so ist einem dahingehenden möglichen Einwand zu entgegnen, dass der Beschuldigte keinen Anspruch auf die Verständigung hat. „Das Gericht kann sich … verständigen“ (§ 257c I 1 StPO) – es muss dies aber nicht tun. 736  BGH,

NStZ 2017, 56. 16 / 12310, S. 15; gleiches Zitat bei BGH, NStZ 2017, 56 (57). 738  So auch BVerfGE 133, 168 (205 Rn. 66) = NJW 2013, 1058 (1062). 739  Bittmann, NStZ 2017, 57 (58). 740  BGH, NStZ 2017, 56 (57). 741  BGH, NStZ 2017, 56 = BeckRS 2016, 16906 Rn. 9 (nicht abgedruckt in der NStZ), Zitat nach BVerfGE 133, 168 (217 Rn. 85) = NJW 2013, 1058 (1065). 737  BT-Drs.

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D. Konsequenzen und Problemlösung

jj) Prägnanter Beispielsfall Weiter noch kann es für die nach der hier vertretenen Lösung angestrebte Rechtssicherheit sogar schädlich sein, den Beschuldigten oder die Verteidigung einzubeziehen. Das zeigt der jüngst durch Beschluss des BVerfG entschiedene Fall zur Verständigung.742 Dort wurde zunächst eine Verständigung erwogen mit dem Ziel, die Schadenshöhe nach § 154a II StPO zu begrenzen. Hier wird erneut deutlich, dass die Verknüpfung beider Rechtsinstitute pro­ blembehaftet ist. Die Verständigung kam nicht zu Stande und wurde auch nicht weiter verfolgt. Dennoch strebte das LG weiter eine – seitens der Staatsanwaltschaft zustimmungsbedürftige – Begrenzung der Schadenshöhe an. Die Staatsanwaltschaft gab ihre Zustimmung nur unter der Bedingung, dass bereits gestellte Beweisanträge zurückgenommen würden, um eine „möglicherweise noch monatelang andauernde Hauptverhandlung“ zu vermeiden.743 Das Gericht machte im Rahmen dieser Verhandlungen klar, dass sowohl die Staatsanwaltschaft berechtigt sei, die Zustimmung zur Verfahrensbeschränkung zurückzunehmen, wenn es nicht zu der erhofften Verfahrensbeschleunigung käme, als auch die Verteidigung ihre Beweisanträge erneut stellen könne, wenn es nicht zu der angestrebten Verfahrensbeschränkung käme. An den Beschränkungsbeschluss schloss sich ein Teilgeständnis des Beschuldigten an. Das Gericht ließ protokollieren, es habe keine Verständigung stattgefunden (Negativattest, vgl. § 273 Ia 3 StPO). Anschließend wurde der Angeklagte verurteilt. Das hier zu Grunde liegende Verhalten der Beteiligten nähert sich einem informellen „Deal“ an und verletzt daher das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren.744 Problematisch ist also erneut gerade die Verknüpfung von zwei gegenläufigen Positionen, nämlich Verfolgungsbeschränkung nach § 154a II StPO als Leistung und Rücknahme von gestellten Beweisanträgen nebst Teilgeständnis als Gegenleistung.745 Dieses Synallagma „kennzeichnet ein Verständigungsgeschehen“.746 Belegt wird dies im Besonderen durch das Verhalten der Staatsanwaltschaft, die an die Verfahrensbeschränkung eine Forderung im Sinne eines do ut des knüpfte.747 Das ist zwar grundsätzlich möglich und erlaubt, aber eben nur unter Beachtung aller Schutzpflichten, also aller Mitteilungs-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten, die die Verständigung auslöst. Ebendies wurde – bewusst oder unbewusst – umgangen. Erschwerend kommt hinzu, dass das LG eine formelle Wahrheit konstruiert und auf Grund einer fiktiven, nicht im 742  BVerfG, 743  BVerfG, 744  BVerfG, 745  BVerfG, 746  BVerfG, 747  BVerfG,

NStZ NStZ NStZ NStZ NStZ NStZ

2016, 2016, 2016, 2016, 2016, 2016,

422. 422. 422 (423). 422 (423 f.). 422 (424). 422 (424).



III. Verfahren nach §§ 154 II und 154a II StPO161

Einzelnen bewiesenen Schadenshöhe verurteilt hat; das BVerfG formuliert hierzu tadelnd, „dass der Verfahrensbeschränkung umfassende Verhandlungen über die ‚zu gestehende‘ Höhe des Vermögensnachteils vorausgingen und sie dem Betrag nach dem letzten Verständigungsvorschlag der Verteidigung entsprach.“748 Die Kammer hat es zum einen unterlassen, die ausgeschiedenen Verfahrensteile genau zu bezeichnen. Zum anderen war das Geständnis des Beschuldigten zum großen Teil inhaltsleer749 und nicht geeignet, den Umfang der Beweisaufnahme entscheidend zu verkürzen. Dieses Geständnis – und insbesondere dessen zutreffend als inhaltsleer bewerteter Teil – wurde nicht einmal überprüft.750 Denkbar war hier durchaus auch, dass das LG diese beschränkte Schadenshöhe gar nicht hätte beweisen, sondern lediglich einen geringeren Vermögensnachteil hätte feststellen können.751 Somit war die Pflicht zur Sachaufklärung gem. § 244 II StPO nicht hinreichend beachtet worden, was eine mögliche Aufklärungsrüge begründet hätte. Nach hier vertretener Lösung hätte es dieses Synallagma nicht gegeben, denn das Verfahren wäre unabhängig von irgendwelchen Erklärungen des Beschuldigten beschränkt worden. Es handelt sich bei der Beschränkung nach § 154a II StPO und der Teileinstellung nach § 154 II StPO um einseitig zu treffende Entscheidungen.752 Die Beschränkung hätte aus prozessökonomischen Gründen stattgefunden, um den Beweisaufwand zu verringern, nicht hingegen um das Recht des Beschuldigten zu beschneiden, zulässige Beweisanträge zu stellen. In diesem Fall wäre es auch nicht zu dem halbherzigen (Teil-)Geständnis gekommen. Der ausgeschiedene Verfahrensstoff wäre (den Anforderungen der §§ 154 II und 154a II StPO entsprechend) genau bezeichnet worden, die verbleibenden Teile hätten in einem ordnungsgemäßen Beweisverfahren nachgewiesen werden können – oder auch nicht, dann aber eben mit der logischen Konsequenz, den Beschuldigten ganz oder zum Teil zu entlasten und insoweit (im Falle von ursprünglich materiell-rechtlich tatmehrheitlichen Fällen) schlicht und einfach freizusprechen.753

748  BVerfG,

NStZ 2016, 422 (425). NStZ 2016, 422 (425). 750  Bittmann, NStZ 2016, 425 (427). 751  BVerfG, NStZ 2016, 422 (425). 752  Bittmann, NStZ 2016, 425 (426), Hervorhebung durch den Verfasser dieser Dissertation. 753  Hätte materiell-rechtlich Tateinheit im Raum gestanden, wäre eben nur wegen des nachgewiesenen Tatumfangs verurteilt worden. 749  BVerfG,

E. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick Diese Dissertation hat zwar auch das Bestreben, dem ernsthaft reuigen Geständnis den entscheidenden Vorrang vor dem rein taktischen verständigungsbasierten Geständnis754 einzuräumen. Das zentrale Anliegen war jedoch stets, eine Alternative für die wenig effektive Verständigung im Strafverfahren755 aufzuzeigen. Dieses Ziel lässt sich erreichen: Wie dargelegt, bietet sich als prozessökonomische Alternative zur Verständigung eine Instrumentalisierung der §§ 154 II und 154a II StPO an.756 Das bestehende deutsche Strafverfahrensrecht räumt mit den seit Jahrzehnten geltenden Opportunitätsregelungen glänzende Möglichkeiten ein, den durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.2009757 aufgeworfenen Problemen auszuweichen. Darüber hinaus werden die durch dieses trefflich und mannigfach kritisierte Gesetz erst hervorgebrachten Mitteilungs-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten nicht relevant. Nach hier vertretener Einschätzung ist dieses auch bei Praktikern eher unbeliebte Gesetz zwar mit der Verfassung vereinbar und hat durch das BVerfG eine entscheidende Konkretisierung erfahren, durch die allen verfassungsrechtlichen Belangen die größtmögliche Geltung zukommen kann.758 Leider lässt die praktische Durchsetzung jedoch noch weitgehend zu wünschen übrig.759 Aus dem defizitären Vollzug des Gesetzes kann aber noch nicht auf die Verfassungswidrigkeit der Regelung geschlossen werden, da die immer noch weit verbreitete verfassungswidrige Praxis nicht auf die Vorschrift selbst zurückzuführen, mithin auch nicht Ausdruck eines strukturbedingt zu dieser Praxis führenden Regelungsdefizits ist.760 Denn eine Verständigung ist nur bei Berücksichtigung der vom Gesetzgeber geschaffenen umfangreichen Schutzmechanismen zulässig und rechtmäßig. In einem besonders krassen Fall wurde 754  B. I. 1. g). 755  B. II. 5., 756  D. III.

757  BGBl. I 758  B. I.

auch zur einzigen vorstellbaren Ausnahme.

2009 Nr. 49, S. 2353 (vom 3.8.2009, Inkrafttreten am 4.8.2009).

759  BVerfGE 133, 168 (233 Rn. 116 ff.) = NJW 2013, 1058 (1069 f.), insb. mit Verweis auf die empirische Untersuchung zur Praxis der Verständigung im Strafverfahren von den vom Senat beauftragten Sachverständigen Altenhain et al. (veröffentlicht in Altenhain / Dietmeier / May, Praxis der Absprachen, 2013) in Rn. 48 ff. (in der NJW nicht abgedruckt, siehe hierfür BeckRS 2013, 48285). 760  BVerfGE 133, 168 (233 Rn. 116, 118) = NJW 2013, 1058 (1069 f.).



E. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick163

innerhalb einer informellen Absprache eine „Sanktionsschere“ gebraucht und die bereits im Zwischenverfahren getroffene „Verständigung“ ohne jegliche Nachprüfung des Sachverhalts und unter Außerachtlassung aller Schutzmechanismen in ein formales Urteil umgesetzt, wobei nicht einmal sicher war, dass die beteiligten Schöffen über diese Hintergründe informiert waren.761 Auch das praktisch inhaltslose „Geständnis“ trug nicht zur Sachverhaltsaufklärung bei und traf keinerlei Aussage zur Willenskomponente des Tatvorsatzes. Damit wurden kumulativ das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren, die Selbstbelastungsfreiheit, der Öffentlichkeitsgrundsatz, die Amtsaufklärungspflicht und damit das Schuldprinzip, die richterliche Neutralität sowie die Unschuldsvermutung verletzt. Dieses Urteil wurde zu Recht sogar als nichtig und damit unwirksam und unbeachtlich gewertet.762 Ein solcher Fall dürfte sich aber nach den oben genannten an die Staatsanwaltschaften erteilten Weisungen763 nicht wiederholen. Für Staatsanwälte und Richter ergeben sich bei der Verständigung nicht unbeträchtliche Strafbarkeitsrisiken.764 Die Rechtsbeugung nach § 339 StGB stellt dabei den Hauptanknüpfungspunkt einer Strafbarkeit für die Absprachen treffenden Richter dar. Dabei ist besonders auf den Verbrechenscharakter der Rechtsbeugung und die damit verbundene Vorverlagerung der Strafbarkeit nach § 30 StGB hinzuweisen. Nach §§ 339, 30 I StGB ist bereits der Versuch der Anstiftung zur Rechtsbeugung strafbar. Gem. §§ 339, 30 II StGB steht das Sich-Bereiterklären zu einer Rechtsbeugung oder deren Anstiftung, das Annehmen des Erbietens einer Rechtsbeugung oder ihrer Anstiftung eines anderen sowie die Verabredung zur Rechtsbeugung oder zu deren Anstiftung unter Strafe. Von großer Bedeutung ist zudem die Gefahr der Aufhebung der verständigungsbasierten Entscheidung im Revisionsverfahren und dem damit verbundenen Zeit- und Arbeitsaufwand. Offensichtlich fehlerhafte Verständigungsverfahren eignen sich selbstredend hervorragend für begründete Revisions­ 761  OLG

München, NJW 2013, 2371 (2375 ff.). aber Leitmeier, NStZ 2014, 690, der das Postulat der Nichtigkeit ab-

762  Anders

lehnt.

763  Siehe oben B. I. 3. behandelte Handreichung der Generalstaatsanwaltschaften. Dies schon frühzeitig prognostizierend Scheinfeld, ZJS 2013, 296 (302): „die mög­ lichen flankierend-sichernden Maßnahmen der … Generalstaatsanwaltschaften … versprechen Abhilfe.“ Dagegen Frank Meyer, NJW 2013, 1850 (1851), der meint, damit würde der „Konstrukteur der Aktenlage zum Kontrolleur ausgerufen“. Hiergegen wendet sich ausdrücklich Bertram Schmitt, FS Tolksdorf, 2014, S. 399 (411), der zu Recht an die Stellung der Staatsanwaltschaft als ein „zu Gerechtigkeit und Objektivität verpflichtetes Rechtspflege- und Justizorgan“ erinnert. Vgl. dazu auch § 160 II StPO. 764  D. II.

164

E. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

rügen. Darüber hinaus ist die Verständigung an sich schon durch die umfangreichen Belehrungspflichten fehleranfällig, was allein die Vielzahl der Entscheidungen zur Verständigung zeigt.765 Eine entsprechende Rüge und Revisionsbegründung wird daher stets zu befürchten sein. Aber auch innerhalb einer rechtmäßigen Verständigung ist die Einflussnahme durch den Verteidiger immens. Bei besonders komplizierten oder umfangreichen Fallkon­ stellationen, wie sie unter anderem das Wirtschafts- oder Betäubungsmittelstrafrecht sehr ausgeprägt kennt, ist die vollumfängliche Sachaufklärung bei streitigem Verfahren wegen im Einzelnen zu beweisenden Schadenshöhen oder Substanzmengen sperrig und enorm zeitaufwändig. Die Gerichte dürften daher geneigt sein, zu scheinbar leichteren Alternativen zur mühsamen – komplizierten und zeitaufwändigen – Hauptverhandlung zu greifen. Findige Verteidiger können versuchen, sich diese besondere Drucksituation zunutze zu machen. Der Verteidiger wiederum hat stets die verschiedenen Optionen gegeneinander abzuwägen und im Auge zu behalten, um für seinen Mandanten das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Er sollte sich aber tunlichst davor hüten, das Gericht im Rahmen der Verständigung beispielsweise durch Ankündigung einer Konfliktverteidigungsstrategie zu Zugeständnissen zwingen zu wollen.766 Denn dann wird das Gericht gewiss eine Verständigung scheitern lassen und mit Blick auf die Neutralitätspflicht auch scheitern lassen müssen. Gezeigt werden konnte, dass die Verständigung im Strafverfahren mit all ihren rechtsstaatlich erforderlichen Anforderungen in aller Regel entgegen ihres ursprünglichen Zwecks nicht der Prozessökonomie zu dienen vermag.767 Das Gericht muss – nicht nur, aber auch – deswegen stets im Einzelfall sein Ermessen ausüben und entscheiden, ob es eine Verständigung oder Erörterung einleitet oder nicht.768 Demnach lag es nahe, eine prozessökonomische Alternative zur Verständigung zu suchen, die rechtssicher und praxisnah in den §§ 154 II und 154a II StPO gefunden wurde.769 Der Verständigung bedarf es nach hier vertretener Auffassung nahezu überhaupt nicht mehr. Den Anstoß zu diesem Lösungsvorschlag hat insbesondere die Analyse des schweizerischen Strafverfahrensrechts zu Tage gefördert.770 Namentlich das „dismissal agreement“ bietet 765  Vgl. nur die umfangreichen Beiträge von Knauer / Lickleder, NStZ 2012, 366 ff., zur Rechtsprechung vor dem Grundsatzurteil des BVerfG und von Hartmut Schneider, NStZ 2014, 192 ff. und 252 ff., zur Rechtsprechung danach. 766  So wohl geschehen in den Anfängen des „Deals“, siehe Jähnke, ZRP 2001, 574 (575). 767  B. II. 5., auch zur einzigen vorstellbaren Ausnahme. 768  B. II. 4. 769  D. III. 770  C. II. 2. k).



E. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick165

dort interessante Möglichkeiten, bei denen die Staatsanwaltschaft gem. Art. 8 II lit. a der schweizerischen Strafprozessordnung auf die Strafverfolgung von solchen Taten verzichten kann, denen neben den anderen der beschuldigten Person zur Last gelegten Taten für die Festsetzung der zu erwartenden Strafe oder Maßnahme keine wesentliche Bedeutung zukommt. Das entspricht in wesentlichen Teilen den §§ 154 II und 154a II StPO. Die Praxis profitiert von einem einfachen und dennoch zeitsparenden Prinzip: dem Opportunitätsgrundsatz. Nach alledem darf nie vergessen werden, dass das verständigungsbasierte Geständnis weniger strafmildernd wirkt als das herkömmliche, welches auch die Reue des Täters besonders honorieren soll.771 In jedem einzelnen Fall ist besonders darauf zu achten, ein ernsthaft reuiges Geständnis spürbar stärker zu Gunsten des Täters zu gewichten als ein rein taktisches verständigungsbasiertes. So kann von Seiten der Gerichte die Anreiz- und Verlockungssituation, die von einer Verständigung für den Beschuldigten ausgeht, entschärft werden. Gleichwohl birgt das reuige Geständnis naturgemäß enormes Potenzial hinsichtlich der Prozessökonomie. Es ist – wie die Lösung über §§ 154 II und 154a II StPO – deutlich prozessökonomischer als das verständigungsbasierte Geständnis, da es nicht in gleichem Maße hinterfragt werden muss, insbesondere dann nicht, wenn es einhergeht mit offenbartem eigenerlebtem Täterwissen und Empathie für das Opfer. Perspektivisch könnte der Gesetzgeber durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.8.2017772 sinnvolle Änderungen zu Gunsten der Justiz erlassen haben, die aber nur ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung sein können. Zu nennen ist etwa die Möglichkeit einer Fristsetzung für die schriftliche Begründung von Ablehnungsgesuchen gem. § 26 I 2 StPO. Hierbei zeigen sich jedoch besonders die Schwächen auch dieses Gesetzes. So soll laut Gesetzesbegründung von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, „wenn das Recht zur mündlichen Begründung eines Ablehnungsgesuchs in der Hauptverhandlung mit dem Ziel der Verfahrensverzögerung missbraucht wird.“773 Nimmt man das ernst, stellt sich doch evident die Frage, warum bei erkennbarem Missbrauch das Recht als solches überhaupt noch bestehen soll. Versäumt wurde leider auch, den Anwendungsbereich von § 26a StPO zu erweitern, was vornehmlich der Prozessökonomie gedient hätte und revisionsrechtliche Pro­ bleme hätte minimieren können. Denn damit wäre der Konfliktverteidigung 771  B. I. 1. g).

772  BGBl. I 2017 Nr. 58, S. 3202 (vom 23.8.2017, Inkrafttreten mit Einschränkungen hinsichtlich der Aufzeichnung der Vernehmung des Beschuldigten in Bild und Ton am 24.8.2017). 773  BT-Drs. 18 / 11277, S. 14.

166

E. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

auch insoweit der Boden entzogen worden. Die Aufzeichnung der ersten Vernehmung des Beschuldigten in Bild und Ton gem. § 136 IV StPO ist ein besonders interessantes Thema. Allerdings wird speziell diese Regelung erst am 1.1.2020 in Kraft treten. So spannend beide Themenkomplexe auch sind, sie können nicht mehr Gegenstand dieser Untersuchung sein. Zu begrüßen ist indes die Erstreckung der Anwendbarkeit des § 153a StPO auf das Revi­ sionsverfahren als Erweiterung der Möglichkeiten nach dem Opportunitätsgrundsatz, auch wenn diese Erstreckung allein noch kaum etwas bewirken wird, was auch der Gesetzgeber selbst erkannt hat.774 Bemerkenswert ist, dass der Gesetzgeber zwar gleich dreimal die Grundsatzentscheidung des BVerfG vom 19.3.2013 zitiert, an den Verständigungsregeln an sich aber nichts ändert.775 Lediglich Äußerlichkeiten werden dezent reformiert. So hat der Vorsitzende des Gerichts gem. § 213 II StPO in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, den äußeren Ablauf der Hauptverhandlung vor der Terminbestimmung mit dem Verteidiger, der Staatsanwaltschaft und dem Nebenklägervertreter abzustimmen. Des Weiteren erhält der Verteidiger gem. § 243 V 3 StPO auf Antrag in solchen Verfahren Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf.776 Eine weitere Gesetzesänderung ist für die hier gefundene Alternative der Anwendung von §§ 154 oder 154a StPO entbehrlich, da lediglich die vorhandenen Opportunitätsbestimmungen konsequent und intensiv genutzt werden. Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich und prozessökonomisch. Sie verringert den Zeitaufwand bei den Instanzgerichten und reduziert Urteilsauf­ hebungen und Zurückverweisungen durch die Revisionsgerichte. Die Richter und die verbeamteten Staatsanwälte sind Dienstleister. Sie dienen dem Volk, in dessen Namen alle Urteile ergehen. Um diesen Dienstleistungsauftrag zu gewährleisten, müssen die Ressourcen hinreichend verfügbar sein. Nach derzeitiger Lageeinschätzung ist ernsthaft zu befürchten, dass die eklatante Überlastung der Strafjustiz fortbesteht, weshalb die – angesichts der wenig praktikablen Verständigungsregelungen – geübte Zurückhaltung hinsichtlich der Verständigungspraxis als Hilfeschrei an die Länder für eine drastische Personalaufstockung zu verstehen ist.777 Es geht um nichts Geringeres als die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege. 774  BT-Drs.

18 / 11277, S. 14. 18 / 11277, S. 1, 13 und 15. 776  Ähnlich auch § 257 III StPO. 777  Das entspricht einhelliger Meinung. Vgl. BVerfGE 133, 168 (172 Rn. 3) = BeckRS 2013, 48285; vgl. weiter Krey / Windgätter, FS Achenbach, 2011, S. 233 775  BT-Drs.



E. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick167

(233 ff.) m. zahlr. Nachw.; ferner auch der Generalbundesanwalt in BVerfGE 133, 168 (189 Rn. 41) = BeckRS 2013, 48285. Darüber hinaus BVerfG, NJW 2006, 668 (671): „Hilft der Staat der Überlastung der Gerichte nicht ab, so muss er es hinnehmen und gegebenenfalls auch seinen Bürgerinnen und Bürgern erklären, dass mutmaßliche Straftäter auf freien Fuß kommen, sich der Strafverfolgung und Aburteilung entziehen oder erneut Straftaten von erheblichem Gewicht begehen. Die mit der Haftprüfung betrauten Gerichte verfehlen die ihnen obliegende Aufgabe, den Grundrechtsschutz der Betroffenen zu verwirklichen, wenn sie angesichts des Versagens des Staates, die Justiz mit den erforderlichen personellen und sächlichen Mitteln auszustatten, die im Falle einer Verletzung des Beschleunigungsgebots gebotenen Konsequenzen nicht ziehen.“; BGHSt (Großer Senat) 50, 40 = NJW 2005, 1440 (1443 f.), mit Hinweis auf den Beschleunigungsgrundsatz und den Grundsatz der Prozessökonomie; BGHSt 50, 299 = NJW 2006, 925 (929), mit deutlichem Appell für eine spürbare personelle Stärkung der Justiz, um insb. in Steuer- und Wirtschaftsstrafverfahren unangemessen milde Strafen wegen zu langer Verfahrensdauer zu verhindern; mit klaren Worten an den Staat und erschreckenden Statistiken auch OLG Bremen, StV 2016, 824, inbs. Leitsätze 4–6 und S. 825–827 („Verzögerung, die bei verfassungsgemäßer Ausstattung des LG vermeidbar wäre“); drastisch auch Arenhövel, DRiZ 2012, 370: „Politiker in Bund und Ländern müssen sich dieser Wahrheit stellen“; Caspari, DRiZ 2013, 160; Erb, StV 2014, 103 (105 Fn. 28): „einen teilweisen ‚Stillstand der Rechtspflege‘ in Kauf nehmen und den Ball auf diese Weise an die Politik zurückspielen …, damit diese die Rahmenbedingungen für eine Strafjustiz schafft, die ihre Aufgaben ohne rechtsstaatswidrige Verfahrensabsprachen erfüllen kann“; Erhard, StV 2013, 655 passim; BeckOK StPO / Eschelbach, § 257c Rn. 1.8: „Personaleinsparungen trotz chronifizierter Überlastung der Strafjustiz“ und „Dauerzustand der Überlastung“; Fezer, HRRS 2013, 117 (118); Fischer, GS Seebode, 2015, S. 59 (72) = HRRS 2014, 324 (330): „angesichts der desolaten Lage der Strafjustiz“; Hildebrandt, Verständigung, 2010, S.  43 ff.; Jahn, JuS 2017, 277 (279), für die lohnende „Schaffung von Planstellen“ im Zusammenhang mit gesetzlichem Richter und Mutterschutz; Knauer, FS v. Heintschel-Heinegg, 2015, S. 245 (246): „notorisch unterfinanziert“; Kirsch, StraFo 2010, 96 (101); Kudlich, NJW-Beilage 2010, 86; Frank Meyer, NJW 2013, 1850 (1852), spricht von der „schleichenden Ökonomisierung der Strafrechtspflege“ und kritisiert (auf S. 1853) die Politik scharf, „wenn unvermittelt in den Sinn kommende Stellschrauben wie die Erhöhung der Justizressourcen offenbar Null-Optionen sind“; Ostendorf, ZIS 2013, 172 (174): „Arbeitsüberlastung und Zeitbedrängnis“; Peters, Urteilsabsprachen, 2011, S. 17 ff., mit hochinteressanten Statistiken; Bertram Schmitt, FS Tolksdorf, 2014, S. 399 (412); Trück, ZWH 2013, 169 (176 f., 179): „überobligatorische Arbeitsauslastung“ (S. 177); Wohlers, NJW 2010, 2470, die gefährliche Tendenz aufzeigend, die Strafverfahren so schlank auszugestalten, dass die Justizressourcen für die Erledigung der Gesamtheit der Verfahren noch ausreichen (mit Verweis auf Basdorf, StV 2010, 414 [415]). Schon frühzeitig Rönnau, Absprache, 1990, S. 20, 42 ff., 285 f.; Schmidt-Hieber, Verständigung, 1986, Rn. 1, 14; Schünemann, FS Pfeiffer, 1988, S. 461 (463 ff.): quantitative Herausforderungen, welche noch gemeistert wurden (S. 467), sowie qualitative Überforderung (S. 468 ff.), welche vorhanden war (S. 474). Für Österreich: Kier / Bockemühl, öAnwBl 2010, 402 (410); Murko, öAnwBl 2015, 354; Ratz, ÖJZ 2009, 949 (954 f.): „Die dringend nötige Bereitstellung der personellen Ressourcen ist Sache der Politik“; Ruhri, öAnwBl 2010, 243 (248). Für Luxemburg: Weirich, Pasicrisie luxembourgeoise 2015, 115.

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Sachregister Abgekürztes Verfahren  62–121, 125, 128, 155, 158 Adhäsionsverfahren  32–33, 68, 80, 104–105, 123, 155 Amtsaufklärungspflicht  24–27, 29–30, 36, 38–39, 45, 47–53, 59, 72, 107, 116, 120–121, 132–141, 155, 160–161, 163–164 Aussageverweigerung  84–89

Konfliktverteidigung  60, 164–166

Betäubungsmittelstrafrecht siehe Großverfahren Beweisverwertungsverbot  29, 42–44, 60, 65, 83, 88–89, 107, 124, 128

Opportunitätsprinzip  74–79, 110–116, 120, 147–162, 164–166

Dismissal agreement siehe Opportunitätsprinzip Einsatzstrafe  152–154 Erörterung  21–22, 39, 46, 108, 130, 141, 159, 164 Gesamtlösung  39, 110–113, 158–159 Gesamtstrafenbildung  27, 101–102, 119, 152–155 Geständnis  26, 30, 32, 44–45, 48–53, 59–61, 156, 163 – ernsthaft reuiges  26, 28, 32–33, 53, 58–60, 75, 95, 105–106, 132, 162, 165 – „schlankes Geständnis“  25, 131 – taktisches  32–33, 75, 132, 162, 165 – verständigungsbasiertes  26, 30, 32, 35, 48–53, 160–162, 165 Großverfahren  14, 35, 50, 81, 148, 152–153, 164, 167 Handreichung der Generalstaatsanwaltschaften siehe Weisungen der Generalstaatsanwaltschaften

Maßregeln der Besserung und Sicherung  31, 39, 119, 139, 148, 150, 152, 165 Materielle Wahrheit  27, 29–30, 38, 40, 56–61, 63, 72–74, 78–79, 94, 104, 107–108, 116, 137–141, 160–161 Nebenklage  80–82, 106, 155, 166

Packagedeals siehe Gesamtlösung Prozessökonomie  14–15, 32, 36, 47–53, 61, 66, 95–96, 99, 105, 116, 147–162, 164–167 siehe auch Opportunitätsprinzip Punktstrafe  41–42, 126, 129, 139–140 „Quasi-absolute“ Revisionsgründe  17, 24, 46, 51 Rechtsmittelverzicht  24, 27, 39, 59, 63–64, 71, 73, 97–99, 108–116, 130–133, 142 Rechtssicherheit  61, 120, 156, 160–161 Sanktionsschere  18–20, 27, 39, 48, 79, 140, 163 Schadenswiedergutmachung  28, 32–33 Sexualstrafrecht siehe Großverfahren Strafklageverbrauch  122–123, 127 Strafzwecke  34, 38, 154 Trennung von Verfahren  46, 94, 100–102, 148–150 Umweltstrafrecht siehe Großverfahren Unterlassen  137, 141

Sachregister181 Verständigung passim – Ablehnung  30, 45–47, 156 – Anwendungsbereich siehe Groß­ verfahren – Begriff  13 – Belehrung  17–18, 20, 24, 29, 39, 51, 54–55, 120, 156, 160, 162 – gescheiterte  28–29, 42–44 – kein Anspruch auf  159 – Mitteilungs- und Dokumentationspflichten  20–24, 39, 50–51, 120, 130–132, 140, 156, 158–160, 162 – Negativattest  21–24, 39, 141, 160

– Protokollierung  21–23, 29, 39, 50–51, 55, 141–143, 156–158, 160 Weisungen der Generalstaatsanwaltschaften  38–40, 113, 137, 144–145, 158, 163 Wirtschaftsstrafrecht siehe Groß­ verfahren Zivilprozessrechtlicher Vergleich  16, 28, 58, 68, 97 Zurücknahme eines eingelegten Rechtsmittels  109–116