Privatisierung der Arbeitslosenversicherung: Ein Konzept für Deutschland (Kieler Studien - Kiel Studies, 332) (German Edition) 3540242392, 9783540242390

In dem Buch wird ein System privater Arbeitslosenversicherungen entwickelt, das Arbeitnehmern und Arbeitgebern gleicherm

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English Pages 350 [347] Year 2005

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Privatisierung der Arbeitslosenversicherung: Ein Konzept für Deutschland (Kieler Studien - Kiel Studies, 332) (German Edition)
 3540242392, 9783540242390

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Kieler Studien • Kiel Studies 332 Dennis Snower (Herausgeber) Institut fiir Weltwirtschaft an der Universitat Kiel

Hans H. Glismann Klaus Schrader

Privatisierung der Arbeitslosenversicherung: Ein Konzept fur Deutschland

^ S p rringer i

Dr. Hans H. Glismann Institut fur Weltwirtschaft D-24100 Kiel Dr. Klaus Schrader Institut fiir Weltwirtschaft D-24100 Kiel [email protected]

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet tiber abrufbar ISSN 0340-6989 ISBN 3-540-24239-2 Springer Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich geschutzt. Die dadurch begrundeten Rechte, insbesondere die der tJbersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfaltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfaltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestinunungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulassig. Sie ist grundsatzlich vergutungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2005 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Umschlaggestaltung: Erich Kirchner, Heidelberg Gedruckt auf saurefreiem Papier 42/3153-5 4 3 2 10

Vorwort

Das Dilemma in der gegenwartigen sozialpolitischen Diskussion besteht darin, dass einerseits schon das Wort „Reform" Empfindlichkeiten auslost, andererseits grundlegende Anderungen in den Systemen der sozialen Sicherung unabdingbar geworden sind. In dieser Arbeit geht es um die Reform der deutschen Arbeitslosenversicherung, deren wesentlicher Inhalt es ist, Anreize fUr einen Abbau von Arbeitslosigkeit und fur mehr Beschaftigung zu schaffen. Diese Anreize sollen gleichermaBen auf Beschaftigte, Arbeitslose und Arbeitgeber einwirken. Um der Reformmiidigkeit und den weit verbreiteten Angsten vor dem Verlust sozialer Besitzstande Rechnung zu tragen und damit die politische Vermittelbarkeit zu erleichtem, wurde bei der vorgeschlagenen Reform besonderes Gewicht auf Vertrauensschutz, Transparenz und NachvoUziehbarkeit gelegt. Dem Leser soil die Moglichkeit eroffnet werden, die vorgeschlagene Privatisierung der Arbeitslosenversicherung mit Altemativkonzepten zu vergleichen und sich vor diesem Hintergrund ein eigenes Urteil zu bilden. Die ausfiihrlichen Literaturanalysen und die Erfahrungen mit altemativen Systemen zeigen zudem, dass kein Mangel an Ideen zur Gestaltung von Arbeitslosenversicherungen herrscht. Die international und nationale Literatur wie auch die unterschiedlichen Losungen in Europa und Nordamerika sind praktizierter Ideenwettbewerb. Er zeigt, dass das seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts bestehende deutsche System der Arbeitslosenversicherung nicht (mehr) wettbewerbsfahig ist. Das vor diesem Hintergrund hier vorgeschlagene Trennsystem der Arbeitslosenversicherung weist Arbeitnehmem und Arbeitsgebem in Zukunft unterschiedliche Rollen zu: Die Arbeitnehmer versichem ihr individuelles Risiko, arbeitslos zu werden, bei einer privaten Versicherung ihrer Wahl; die Arbeitgeber leisten iiber eine ruckholbare - Arbeitslosigkeitsabgabe ihren individuellen Beitrag zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes. Wir danken fur Anregungen und Verbesserungsvorschlage vor allem unseren Kollegen Bjom Christensen und Henning Klodt, fur wertvolle Hinweise den Gutachtem unserer Beitrage in ORDO und der Zeitschrift fiir Wirtschaftspolitik, fur hilf-

VI

Vorwort

reiche Mitarbeit bei der statistischen Analyse Marianne Keudel und Jan Michael Bungenstock; Regina Amhold behielt die Ubersicht iiber verschiedene Versionen des Manuskripts. Fiir die redaktionelle Bearbeitung des Manuskripts danken wir Itta Schulte, Britta Thun und Korinna Wemer-Schwarz.

Kiel, im Februar 2005

Hans H. Glismann und Klaus Schrader

Inhaltsverzeichnis

1 Das Problem 1.1 Vorbemerkungen 1.2 Zum Reformbedarf der Arbeitslosenversicherung 1.2.1 Kemelemente der deutschen Arbeitslosenversicherung 1.2.2 Effizienzanalysen zur deutschen Arbeitslosenversicherung

Eine private Arbeitslosenversicherung fiir Deutschland 2.1 Ein anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung: Das Trennsystem 2.1.1 Die Arbeitnehmerseite: Private Arbeitslosenversicherungen 2.1.2 Die Arbeitgeberseite: Der Arbeitslosenversicherungsfonds 2.1.3 Zum Regulierungsbedarf des Trennsystems 2.1.4 Der Ubergang zum Trennsystem 2.2 Die beiden Kemprobleme privater Arbeitslosenversicherungen 2.2.1 Das Problem der Versicherbarkeit des Arbeitslosigkeitsrisikos 2.2.2 Das Problem der Zwangsmitgliedschaft Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung: Erfahrungen und Vorschlage 3.1 Historische Erfahrungen mit der Arbeitslosenversicherung in Deutschland 3.1.1 Das Kaiserreich 3.1.2 Die Weimarer Republik 3.1.3 Das Deutsche Reich zwischen 1933 und 1939 3.1.4 Die Bundesrepublik Deutschland nach 1949 3.1.5 Lehren aus der Geschichte?

1 1 5 5 11

19 19 20 40 45 58 59 60 72

80 80 81 88 93 95 100

VIII

3.2

3.3

Inhaltsverzeichnis

Internationale Erfahrungen mit der Arbeitslosenversicherung 3.2.1 Die Arbeitslosenversicherung in den Landem der EU-15 3.2.2 Die Arbeitslosenversicherung in den Vereinigten Staaten 3.2.3 Lehren aus den intemationalen Erfahrungen Vorschlage zur Reform der Arbeitslosenversicherung 3.3.1 Die deutsche Diskussion

4 Zur Empirie des Trennsystems 4.1 4.2

4.3

Ein Uberblick iiber das Trennsystem Statistische Grundlagen 4.2.1 Zur Struktur der Arbeitslosigkeit in Deutschland: Eine Momentaufnahme des Jahres 2000 4.2.2 Das individuelle reale Arbeitslosigkeitsrisiko 4.2.3 Das individuelle monetare Arbeitslosigkeitsrisiko und das Arbeitslosengeld 4.2.4 EinFazit Kosten und Ertrage des Trennsystems: Simulationsrechnungen 4.3.1 Effizienzgewinne durch private Arbeitslosen versicherungen 4.3.2 Effizienzgewinne durch Beschaftigungsanreize fiir Arbeitgeber 4.3.3 EinFazit

5 Schlussbetrachtungen 5.1 Einige kritische Fragen zum Trennsystem 5.1.1 Zu den vermeintlichen Vorzugen der bestehenden Arbeitslosenversicherung 5.1.2 Zur fehlenden Eignung privater Arbeitslosenversicherungen fiir das deutsche Sozialsystem 5.1.3 Zur Kritik an der Rolle der Arbeitgeber im Trennsystem 5.2

Zusammenfassung und wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen

103 104 109 121 123 123 139 139 141 141 149 157 162 163 164 177 186 188 188 188

190 195 197

6 Anhang

202

7 Literaturverzeichnis

310

8 Schlagwortregister

326

Verzeichnis der Tabellen

Tabelle 1: Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland: Ausgewahlte Jahre im Zeitraum 1950-2003

2

Tabelle 2: Kemelemente der deutschen Arbeitslosenversicherung in ausgewahlten Jahren

7

Tabelle 3: Literatur zur Effizienz der deutschen Arbeitslosenversicherung

15

Tabelle 4: Zur Identifikation des individuellen Arbeitslosigkeitsrisikos Ein Beispiel

26

Tabelle 5: Zur Bestimmung von Arbeitslosengeld (ALG) und Pramie Ein Beispiel mit Varianten

29

Tabelle 6: Arten der Arbeitslosigkeit

38

Tabelle 7: Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Deutschen Kaiserreich 1887-1913

82

Tabelle 8: Arbeitslosigkeit im Jahr 1895 nach Berufsgruppen

84

Tabelle 9: Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der Weimarer Republik 1919-1932

88

Tabelle 10: Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Deutschen Reich 1933-1939

94

Tabelle 11: Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland 1950-2003

95

Tabelle 12: Arbeitslosenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland: Beitrage und Leistungsumfang (1951-1969)

97

Tabelle 13: Entwicklung der Arbeitslosigkeit in ausgewahlten Industrielandem zwischen 1960 und 2003

103

Tabelle 14: Arbeitslosenversicherung in der EU-15 (Stand: 2003)

105

Tabelle 15: Sozialhilfe in der EU-15 (Stand: 2003)

107

X

Verzeichnis der Tabellen

Tabelle 16: Beitrage der Untemehmen zur Arbeitslosenversicherung in den Vereinigten Staaten nach Bundesstaaten im Jahr 2003

111

Tabelle 17: Literatur zur Effizienz der Arbeitslosenversicherung in den Vereinigten Staaten

114

Tabelle 18: Vorschlage zur Reform der Arbeitslosenversicherung

124

Tabelle 19: Arbeitslosigkeit nach Qualifikationen in Deutschland im September 2000

142

Tabelle 20: Arbeitslosigkeit nach Regionen in Deutschland im Jahr 2000

143

Tabelle 21: Arbeitslosigkeit nach Berufen in Deutschland im September 2000

145

Tabelle 22: Arbeitslosigkeit nach Alter in Deutschland im September 2000

148

Tabelle 23: Zur Identifikation des individuellen realen Risikos der Arbeitslosigkeit im Jahr 2000

150

Tabelle 24: Zur Identifikation des individuellen realen Risikos der Arbeitslosigkeit im Jahr 2000: gutes und schlechtes Risiko

152

Tabelle 25: Transformation eines schlechten realen Risikos durch Willenserklarung (Trans 1) und zusatzlicher struktureller Anpassung (Trans 2)

155

Tabelle 26: Zu den individuellen Kosten einer privaten Absicherung des Arbeitslosigkeitsrisikos (fur das Jahr 2000)

159

Tabelle 27: Transformation eines aggregierten Risikos durch Willenserklarungen (Trans 1) und zusatzliche strukturelle Anpassungen (Trans 2)

168

Tabelle 28: Zur Simulation des Initialeffekts einer Umstellung des Systems der Arbeitslosenversicherung: Der Niveausprung

171

Tabelle 29a: Die standige Dynamik der neuen Arbeitslosenversicherung bei einer Beschaftigungselastizitat des Akzeptanzlohns von 111

173

Tabelle 29b: Die standige Dynamik der neuen Arbeitslosenversicherung bei einer Beschaftigungselastizitat des Akzeptanzlohns von |0,5|

175

Verzeichnis der Kdsten

XI

Tabelle 30a: Initialeffekt und standige Dynamik bei einer Beschaftigungselastizitat des Akzeptanzlohns von |1,0|

176

Tabelle 30b: Initialeffekt und standige Dynamik bei einer Beschaftigungselastizitat des Akzeptanzlohns von |0,5|

177

Tabelle 31: Die Arbeitgeberseite im Trennsystem: Zyklische Dynamik iiber zwei Konjunkturzyklen

180

Verzeichnis der Kasten

Kasten 1: Sonstige Leistungen der Bundesanstalt fUr Arbeit

6

Kasten 2: Eine Taxonomie der Versicherbarkeit von Arbeitslosigkeit

23

Kasten 3: Modelle fiir eine aktivierende Sozialhilfe

53

Kasten 4: Eckpunkte des Hartz-IV-Gesetzes (ab 01.01.2005)

57

Kasten 5: „Versicherung gegen Stellenlosigkeit fiir Handlungsgehilfen" vom 1.1.1908

86

Kasten 6: Arbeitslosenversicherung in den Vereinigten Staaten

110

Kasten 7: Komponenten des Trennsystems

140

Verzeichnis der Abbildungen

Abbildung 1: Die Entwicklung des Budgets der Bundesanstalt ftir Arbeit 1969-2003

9

Abbildung 2: Daten zur Arbeitslosigkeit und zur Arbeitslosenversicherung in Deutschland 1969-2003

11

Abbildung 3: Zur Theorie der Arbeitssuche

13

Abbildung 4: Der primare autoregressive Prozess in der Arbeitslosenversicherung

31

Abbildung 5: Sekundarer autoregressiver Prozess in der Arbeitslosenversicherung

32

Abbildung 6: Zusammenhang zwischen Pramienzahlungen, Rucklagen und Beitragsriickerstattung fUr unterschiedliche Risiken

34

Abbildung 7: Zusammenhang zwischen Beitragsriickerstattung, Arbeitslosigkeit und Pramienzahlungen

35

Abbildung 8: Zur gesamtwirtschaftlichen Auswirkung eines Systemwechsels der Arbeitslosenversicherung: Initialeffekt und laufende Prozesse

165

Abbildung 9: Nominale und effektive Arbeitslosigkeitsabgabe iiber 40 Perioden (10 Konjunkturzyklen)

185

Abbildung 10: Standardabweichung der effektiven Arbeitslosigkeitsabgabe iiber 40 Perioden

187

Verzeichnis der Ubersichten

Ubersicht 1: Zum System der deutschen Arbeitslosenversicherung (Stand: Oktober 2003)

202

Ubersicht 2: Die Arbeitslosenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland: Beitrage und Leistungsumfang - vom AFG des Jahres 1969 bis zum SGB III des Jahres 2003

207

Ubersicht 3: Literatur zur Effizienz der deutschen Arbeitslosenversicherung: Eine Auswahl empirischer Arbeiten

211

Ubersicht 4: Die Systemdiskussion zur privaten Arbeitslosenversicherung in der deutschen Literatur

215

Ubersicht 5: Eine Chronologic der Absicherung gegen Arbeitslosigkeit: I. Die Zeit des Kaiserreichs

220

Ubersicht 6: Eine Chronologic der Absicherung gegen Arbeitslosigkeit: II. Die Zeit der Weimarer Republik 1918 bis 1932

223

Ubersicht 7: Eine Chronologic der Absicherung gegen Arbeitslosigkeit: III. Die Zeit des Deutschen Reichs von 1933 bis 1939

233

Ubersicht 8: Eine Chronologic der Absicherung gegen Arbeitslosigkeit: IV. Die Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1969

238

Ubersicht 9: Arbeitslosenversicherungen in der EU-15: Ein Systemvergleich

252

Ubersicht 10: Sozialhilfesysteme in der EU-15 (Stand: Dezember 2003)

261

Ubersicht 11: Ausgewahlte Literatur zur Wirkungsweise der Arbeitslosenversicherung in den Vereinigten Staaten

265

Ubersicht 12: Vorschlage zur Reform der deutschen Arbeitslosenversicherung (ALV): Ein chronologischer Literaturiiberblick

283

Ubersicht 13: Ausgewahlte Vorschlage zur Ausgestaltung von Arbeitslosenversicherungssystemen: Die intemationale Diskussion

302

Verzeichnis der Abkiirzungen

AA ABM AFG ALG ALH ALQ ALU ALV ALVS ASU AVAVG AWE BA BBG BGBl. BIP BMA BMF BMWA BSI BSP BTP BZ BZD DoL EAZ FuE FUTA GDV GRV lAB KKG KUG

Agentur fur Arbeit ArbeitsbeschaffungsmaBnahmen Arbeitsforderungsgesetz Arbeitslosengeld Arbeitslosenhilfe Arbeitslosenquote Arbeitslosenunterstiitzung Arbeitslosenversicherung Arbeitslosenversicherungssteuer Arbeitsgemeinschaft Selbstandiger Untemehmer Gesetz iiber die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung added worker effect Bundesanstalt fiir Arbeit, ab 01.10.2004: Bundesagentur fiir Arbeit Beitragsbemessungsgrenze Bundesgesetzblatt Bruttoinlandsprodukt Bundesministerium fiir Arbeit und Sozialordnung Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium fiir Wirtschaft und Arbeit beschaftigungsschaffendelnfrastrukturforderung Bruttosozialprodukt „benefit transfer"-Programm Betriebszugehorigkeit Bezugsdauer Department of Labor Einarbeitungs-ZEingliederungszuschuss Forschung und Entwicklung Federal Unemployment Tax Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft Gesetzliche Rentenversicherung Institut fiir Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Konkursausfallgeld Kurzarbeitergeld

Verzeichnis der Abkurzungen

MISSOC MWP MWSt NAL NI NJEB PSID RGBl. RL RM RVO SAM SchlWG SERFS SGB SIPP SOEP SV SVR UBG UGG UHG UISA USA System USGAO VAG VGR WG WPRS ZEW

XV

gegenseitiges Informationssystem der sozialen Sicherheit in den Mitgliedsstaaten der EU und des EWR marginal willingness to pay Mehrwertsteuer nominale Arbeitslosigkeitsabgabe National Insurance New Jersey Extended Benefit Program Panel Study on Income Dynamics Reichsgesetzblatt Regelleistung Reichsmark Reichsverordnung StrukturanpassungsmaBnahmen Schlechtwettergeld State Earnings Related Pension Scheme Sozialgesetzbuch Survey of Income and Program Participation Soziookonomisches Panel Sozialversicherung Sachverstandigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichenEntwicklung Uberbriickungsgeld Ubergangsgeld Unterhaltsgeld Unemployment Insurance Savings Accounts Unemployed Support Accounts System United States General Accounting Office Versicherungspflichtiges Arbeitsentgelt VolkswirtschaftlicheGesamtrechnung Wintergeld Worker Profiling and Reemployment Services Zentrum fiir Europaische Wirtschaftsforschung, Mannheim

Das Problem

1.1

Vorbemerkungen

Die Arbeitslosigkeit in Deutschland hat seit Mitte der neunziger Jahre ein Niveau erreicht, das sogar das der fruhen funfziger Jahre ubertrifft. Anders als in den ersten Jahren der Bundesrepublik liegt dieser Arbeitslosigkeit nicht ein Zustrom von Arbeit suchenden Fluchtlingen und Kriegsheimkehrem zugrunde, sondem sie ist offenbar das Ergebnis langandauemder Fehlentwicklungen und institutioneller Verwerfungen. Die deutsche Einheit hat diese Probleme, statt sie zu mildem, offen gelegt und verscharft. Der seit Ende der sechziger Jahre steigende Trend der Arbeitslosenquote zeigt, dass Arbeitslosigkeit in Deutschland kein ausschlieBlich konjunkturelles Phanomen ist: Jeder Konjunkturzyklus weist eine hohere durchschnittliche Arbeitslosenquote auf als der vorherige. Nach der Wiedervereinigung gab es zwar einen Niveausprung der Quote fUr das gesamte Bundesgebiet, der Trend zeigte aber auch fur die alten Bundeslander unverandert nach oben (Tabelle 1).^ In der Arbeitsmarktforschung besteht grundsatzlich Einigkeit in der Diagnose, dass es sich in der Tat um kein konjunkturelles Phanomen handele.^ Einigkeit herrscht offensichtlich auch bezuglich jenes Therapieansatzes, dem zufolge MaBnahmen der Weiter- und Hoherqualifizierung von Arbeitskraften das AusmaB der Arbeitslosigkeit verringem konnten. AUerdings ist das Meinungsspektrum wesentlich breiter, wenn es um Details dieses therapeutischen Ansatzes und erganzende Oder weiterfUhrende MaBnahmen geht. Offensichtlich gibt es kein Patentrezept fur die Losung der driickenden Arbeitsmarktprobleme: Nur ein Biindel von Veranderungen durfte einerseits Anreize bei Arbeitnehmem schaffen, Arbeitslosigkeit zu vermeiden bzw. zu verkurzen, sowie andererseits den Arbeitgebem Anreize zur Beschaftigungsausweitung geben. Unter diesem Aspekt erscheint auch

Ein weiteres Trendphanomen ist - hier nicht ausgewiesen - eine steigende Erwerbsquote; dieses Phanomen ist freilich nicht auf Deutschland beschrankt, sondem gilt fur die OECD-Lander insgesamt. Es wird, der OECD (1983: 11, 121) zufolge, bis zum Jahr2010anhalten. Auf die Ursachen soil hier nicht eingegangen werden. Manche sehen vor allem liberhohte Lohne als den Kern des Problems an, andere machen die weltwirtschaftliche Entwicklung verantwortlich oder interne Strukturprobleme der deutschen Wirtschaft; auch der technische Fortschritt als Ausloser wird oft genannt (siehe ausfiihrlich etwa Franz (1996: 362 ff), Layard et al. (1991), Lindbeck und Snower (1988: 15 ff)).

2

Kapitel 1

Die Problemstellung

Tabelle 1: Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland: Ausgewahlte Jahre im Zeitraum 1950-2003 Arbeitslosenquote^ Insgesamt

West

1950

11,0

1960

1,3 0,7 3,8 7,2 6,2 6,4 8,0 9,0 9,1 9,9

1970 1980 1990 1991 1992 1993 1994

10,6

1995 1996 1997 1998 1999

10,4 11,5 12,7 12,3 11,7

2000 2001 2002 2003

10,7 10,3 10,8 11,6

7,3 8,5 9,8

10,8 10,3

9,6 8,4 8,0 8,5 9,3

Ost

10,2 14,4 15,4 15,7 14,8 16,6 19,1 19,2 18,7 18,5 18,8 19,2 20,1

^1950-1965 Arbeitslose in Prozent der unselbstandigen Erwerbspersonen (1950 und 1955 ohne Saarland), 1966-1989 Arbeitslose in Prozent der abhangigen Erwerbspersonen (ohne Soldaten), 1990-2003 Arbeitslose in Prozent der abhangigen zivilen Erwerbspersonen. Quelle: BA (2004a); eigene Zusammenstellung. eine Neuordnung der institutionellen Rahmenbedingungen des deutschen Arbeitsmarktes geboten zu sein. Teil dieser Reformen sollte ein grundlegender Umbau des bestehenden staatlichen Systems der Arbeitslosenversicherung sein. Die wissenschaftliche und auch politische Vemachlassigung der Frage eines beschaftigungsfordemden Umbaus der Arbeitslosenversicherung hat in Deutschland jedoch Tradition. Seit den ersten Ansatzen einer allgemeinen Arbeitslosenunterstutzung zu Beginn der Weimarer Republik steht bis heute der Fursorgegedanke im Vordergrund. Vorschlage, systemimmanente Anreize zur Vermeidung Oder Verkiirzung der Arbeitslosigkeit zu schaffen, spielten bisher kaum eine Rolle. Die Konsequenz daraus war, dass die Arbeitslosenversicherung selbst zu keiner Zeit Teil des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums wurde. Vielmehr

1.1 Vorbemerkungen

3

kann vermutet werden, dass die staadiche Arbeitslosenversicherung selbst eine Ursache der Arbeitsmarktprobleme geworden ist. Im folgenden Teil soil daher untersucht werden, welche Rolle die Arbeitslosenversicherung bei der Losung der deutschen Arbeitsmarktprobleme gespielt hat und spielen konnte. Zu diesem Zweck werden zunachst die Kemelemente der bestehenden Arbeitslosenversicherung dargestellt und ihre Entwicklung mit dem Verlauf der Arbeitslosigkeit in Deutschland in den letzten Jahrzehnten konfrontiert. Erganzend werden empirische Analysen iiber die arbeitsmarktpolitische Effizienz der deutschen Arbeitslosenversicherung hinzugezogen; es geht hier darum, ob und inwieweit die Aktionsparameter der Arbeitslosenversicherung erfolgreich genutzt wurden, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Auf dieser Basis soil im Rahmen der vorliegenden Studie eingehend der Frage nachgegangen werden, ob es sinnvoll und praktikabel sein konnte, Anreizdefizite des bestehenden Systems nicht durch marginale Anderungen zu reduzieren, sondem den Wechsel zu einem neuen, anreizkompatiblen System zu vollziehen. Als mogliche Option fur ein uberlegenes System wird die Privatisierung der Arbeitslosenversicherung vorgeschlagen: Konnte eine private Versicherung des Arbeitslosigkeitsrisikos sowohl fur Arbeitnehmer als auch fur Arbeitgeber von Vorteil sein und signifikante Effizienzgewinne hervorbringen? Der Grundgedanke dabei ist, die Anreizmechanismen privater Versicherungen fiir die Arbeitslosenversicherung nutzbar zu machen. Denn Versicherungsvertrage enthalten im Allgemeinen Klauseln, die die Vermeidung des Versicherungsfalls bei den Versicherten sinnvoll erscheinen lassen. Die Frage ist, ob man die typischen Parameter einer Versicherung so in das System der Arbeitslosenversicherung integrieren kann, dass auf alien Seiten - bei Versicherungsnehmem, Versicherungsgebem und Arbeitgebem - Anreize entstehen und fortbestehen, die auf einen RUckgang der Arbeitslosigkeit abzielen. Diese Parameter sind die aller privaten Versicherungen: Versicherungspramien, die auf einer individuellen Risikoeinschatzung basieren, und die zu vereinbarende Versicherungsleistung. Wahrend fiir die Arbeitnehmerseite eine private Arbeitslosenversicherung entwickelt wird, soil auf der Arbeitgeberseite ein Fondsmodell erarbeitet werden, das fiir die Arbeitgeber Beschaftigungsanreize bietet und gleichzeitig fiir eine Beteiligung an den Kosten der Arbeitslosigkeit sorgt. Diese beiden Komponenten sollen ein neues System der Arbeitslosenversicherung fur Deutschland bilden, das als „Trennsystem" bezeichnet wird. Das Trennsystem wiirde den Ubergang von der bestehenden, kollektivistisch angelegten Arbeitslosenversicherung zu einem individualistischen, auf jeweils personlicher Verantwortung aller Beteiligten beruhenden System bedeuten. Es wird darauf einzugehen sein, wie der Ubergang zum neuen System gestaltet werden sollte und welcher Regulierungsbedarf durch ein Trennsystem entsteht.

4

Kapitel 1

Die Problemstellung

Die Natur des Vorschlags macht es unerlasslich, auch auf die gravierendsten Bedenken gegen ein derartiges System einzugehen. Als Kemproblem privater Arbeitslosenversicherungen wird in der Literatur zum einen die mangelnde Versicherbarkeit des Arbeitslosigkeitsrisikos gesehen: Moral hazard und adverse Selektion sind die haufigsten, in der intemationalen Diskussion genannten Einwande; zu diesen gesellen sich noch spezifisch „deutsche" Vorbehalte hinzu, wie z.B. die mangelnde Unabhangigkeit der Arbeitslosigkeitsrisiken und Messprobleme. Zum anderen ist auf die Probleme der Zwangsmitgliedschaft und des Kontrahierungszwangs einzugehen, die vielfach als unverzichtbares Element einer Arbeitslosenversicherung angesehen werden. Dariiber hinaus soil der Stellenwert des Trennsystems als effiziente, funktionstuchtige Alternative zur staatlichen Arbeitslosenversicherung durch den Vergleich mit weiteren Reformoptionen ermittelt werden. Ziel ist es herauszufmden, ob im Vergleich zum Trennsystem effizientere Systeme vorstellbar oder bereits realisiert worden sind. So mag es effiziente Arbeitslosenversicherungen in der deutschen Vergangenheit gegeben haben oder im Ausland geben; insbesondere in den fortgeschrittenen Industrielandem konnten effiziente Systeme bestehen. Da nicht vermutet werden kann, dass alle sinnvollen Ideen fur eine effiziente Absicherung des Arbeitslosigkeitsrisikos in der Vergangenheit oder der intemationalen wirtschaftspolitischen Praxis zu fmden sind, ist des Weiteren eine Analyse der wissenschaftlichen Reformdiskussion unerlasslich. Aufgrund der auf Deutschland ausgerichteten Problemstellung steht die einschlagige deutsche Diskussion im Vordergrund, die bisher einer Versicherungslosung wenig Beachtung geschenkt und andere Prioritaten gesetzt hat. SchlieBlich soil die kritische Priifung des hier vorgeschlagenen Reformmodells auch die Fragen nach der Operationalisierbarkeit und moglichen Effizienzgewinnen einschliefien: Wie konnte das Trennsystem in der Praxis funktionieren, welche Kosten und Ertrage waren zu erwarten? Eine empirische Analyse des Trennsystems kann aufgrund fehlender Erfahrungen allerdings nur auf der Basis von Simulationsstudien erfolgen, die auf der deutschen Wirklichkeit des Jahres 2000 beruhen werden. Den Abschluss der Studie bildet eine Auseinandersetzung mit kritischen, haufig ins Detail gehenden Argumenten gegen das Trennsystem. Sie basiert auf Kritiken, Anregungen und Kommentaren zu einer Reihe von Veroffentlichungen, in denen die Autoren vorlaufige Erkenntnisse und Gedanken zur Diskussion gestellt hatten.^

Vgl. etwa Glismann und Schrader (2001a, 2003a, 2003b).

1.2 Zum Reformbedarf der Arbeitslosenversicherung

1.2

Zum Reformbedarf der Arbeitslosenversicherung

1.2.1

Kernelemente der deutschen Arbeitslosenversicherung

5

Die Schwerpunkte der Leistungen der deutschen Arbeitslosenversicherung sind in Ubersicht 1 (im Anhang der Studie) wiedergegeben. Grundsatzlich kann man zwischen „versicherungsanalogen" und „versicherungsfremden" Leistungen unterscheiden. Dabei bedeutet „versicherungsanalog", dass die Leistung der Versicherung in einem weiten Sinne mit den vorangegangenen Beitragen der Versicherten korreUert ist; „in einem weiten Sinne" soil darauf hindeuten, dass bei staatlichen Systemen der sozialen Sicherung ein praziser versicherungsmathematischer - das heiBt von interpersonellen Einkommensumverteilungen freier - Zusammenhang zwischen Beitragen und Leistungen erfahrungsgemaB nicht erwartet werden kann. Als versicherungsanaloge Leistungen sind in Ubersicht 1 das Arbeitslosengeld und das Kurzarbeitergeld anzusehen und, mit Einschrankungen, auch das Unterhaltsgeld."^ Versicherungsfremd ist dagegen die Arbeitslosenhilfe, bei der ein wichtiges Kriterium die Bedurftigkeit ist. Die Arbeitslosenhilfe ist zwar administrativ Sache der Bundesanstalt fiir Arbeit (§§ 190 ff., 367 ff. SGB III), wird aber vom Bund - bis auf die Verwaltungskosten - finanziert (§ 363 I SGB III). Auch das Winter(ausfall)geld, das wegen des sicheren Eintrittes des schadenverursachenden Ereignisses „Winter" nicht durch Versicherungen, sondem durch Formen der Erspamisbildung abzudecken ware, ist eher versicherungsfremder Natur. Eine Vielzahl weiterer MaBnahmen und Instrumente der Bundesanstalt fUr Arbeit (im Folgenden: BA) waren noch zu nennen. Auch sie konnten danach eingeteilt werden, ob sie versicherungsanaloger oder eher versicherungsfremder Natur sind (Kasten 1). Tabelle 2 gibt fiir ausgewahlte Jahre seit 1969 die Schwerpunkte der Mittelverwendung der Bundesanstalt fUr Arbeit wieder. Bezogen auf das Jahr 2003 macht das Arbeitslosengeld mehr als 50 Prozent des Budgets aus, an zweiter Stelle befmden sich die Ausgaben fiir Weiterbildung mit 10 Prozent, wahrend Arbeitsbeschaffungs- und StrukturanpassungsmaBnahmen 4 Prozent des Budgets beanspruchen. Allerdings befmdet sich ein gewichtiger Ausgabenposten fiir die Finanzierung der Arbeitslosigkeit auBerhalb des eigendichen Haushalts der Bundesanstalt: Die Arbeitslosenhilfe - die, weil vom Bund direkt fmanziert, gewissermaBen als eine „Bundessozialhilfe" anzusehen ist - betrug allein im Jahr

Das Unterhaltsgeld ist vom Ansatz her - namlich den Arbeitslosen durch Qualifizierung fiir potentielle Arbeitsnachfrager attraktiver zu machen und damit die Kosten der Finanzierung des Arbeitslosengeldes zu senken - vermutlich auch fur private Versicherungen erwagenswert.

6

Kapitel 1

Das Problem

Kasten 1: Sonstige Leistungen der Bundesanstalt fur Arbeit Leistungen an Arbeitnehmer (§§ 45-216 SGB III): (1) TrainingsmaBnahmen (§§ 48 ff.); (2) Insolvenzgeld (fur Arbeitnehmer, die wegen Konkurses keinen Lohn erhalten, §§ 183 ff.); (3) Ubergangsgeld (fiir Behinderte, die an berufseinfiihrenden MaBnahmen teilnehmen, §§ 160 ff.); (4) Uberbruckungsgeld (fiir Arbeitslose, die sich selbstandig machen, beziehungsweise fiir Arbeitnehmer, die damit einer drohenden Arbeitslosigkeit zuvorzukommen, § 57); (5) Mobilitatshilfen (mit den Untergruppen „tjbergangsbeihilfe", „Ausriistungsbeihilfe" (fiir Kleidung und Arbeitsgerat), „Reisekostenbeihilfe", „Trennungskostenbeihilfe", „Fahrkostenbeihilfe", „Umzugskostenbeihilfe" (§§ 53 f.)); (6) „Berufsausbildungshilfe" (fiir Auszubildende, § 59 ff.); (7) „Sonstige Behindertenhilfen" (§§ 97 ff.); (8) Berufsberatung und -vermittlung (§ 29 ff.), die als nichtmonetare Hilfen einzustufen sind. Leistungen an Arbeitgeher (§§ 217-239 SGB III): (9) Eingliederungszuschiisse zu Arbeitsentgelten (zum Ausgleich von Minderleistungen von Arbeitnehmem, §§ 217 ff.); (10) Zuschiisse zur beruflichen Eingliederung und zur Ausbildungsvergiitung Behinderter(§§235ff.). Leistungen an Trdger von Mafinahmen der beruflichen Ausbildung (§§ 240279a SGB III): (11) Zuschiisse fiir „zusatzliche MaBnahmen" der betrieblichen Ausbildung („zusatzliche MaBnahmen" sind solche, die Sprach- und Bildungsdefizite im Rahmen anerkannter Ausbildungen beseitigen, die „Fachpraxis" und „Fachtheorie" fordem und der „sozialpadagogischen Begleitung" dienen, § 241); (12) Zuschiisse an Institutionen der beruflichen Bildung (§ 248 f.); (13) Eingliederungszuschiisse aufgrund eines Sozialplans (§ 254 ff.); (14) Zuschiisse zu ABM und StrukturanpassungsmaBnahmsen (Letztere sind Verbesserungen in Bereichen wie Umwelt, soziale Dienste, Breitensport, Denkmalpflege, „Wohnumfeld" und touristische Infrastruktur, §§ 260ff.). Quelle: SGB III (2003); BMWA (2003); eigene Zusammenstellung.

1.2 Zum Reformbedarf der Arbeitslosenversicherung

Tabelle 2: Kemelemente der deutschen Arbeitslosenversicherung in ausgewahlten Jahren Ausgaben der BA insgesamt (Mill. Euro) darunter (in Prozent) Arbeitslosengeld Kurzarbeitergeld Winterbauforderung Weiterbildung^ Konkursausfallgeld Eingliederung Behinderterl' Eingliederungszuschiisse Berufsausbildung^ ArbeitsbeschaffungsmaBnahmen StrukturanpassungsmaBnahmen nachrichtlich: Arbeitslosenhilfe (Mill. Euro) Ausgaben der BA und des Bundesd Mill. Euro Prozent des BSP

1969 1477

1989 20 366

1991 36 774

2003 56 850

23,3 0,1 28,9 6,5

44,1 1,1 2,3 11,7 0,7 7,4

33,0 14,6 2,1 15,5 0,5 5,2

51,1 1,2 0,1 10,0 2,9 5,8 2,7 3,9 2,9 1,1

0,1

-

-

-

4,6 0,5

2,5 8,5

1,8 8,5

-

-

-

17

4 194

3 660

16 500

1497 0,5

24 592 2,1

42 425 2,9

73 950e 3,5

^EinschlieBlich (Teil-, Anschluss-) Unterhaltsgeld, Kosten fUr bemfliche Weiterbildung (vormals bemfliche Fortbildung und Umschulung), Training sowie Lohnzuschtisse fiir Beschaftigte. — t)Dazu werden im Jahre 2002 die Pflichtausgaben und Ermessensleistungen der beruflichen Ersteingliederung beziehungsweise Wiedereingliederung Behinderter gezahlt, in den Jahren 1989 und 1991 die Leistungen zur Rehabilitation. — ^Beriicksichtigt sind die Zuschiisse zur Forderung der Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher sowie die Berufsausbildungsbeihilfe. — d^usgaben der Bundesanstalt fiir Arbeit sowie Ausgaben des Bundes fiir Leistungen nach SGB III. — ^Vorlaufig.

Quelle: BA (2004b; Ifd. Jgg.); BMF (2004); Statistisches Bundesamt (2003: 657; 2004,); eigene Zusammenstellung und Berechnungen. 2003 rund 16,5 Mrd. Euro; zusammen mit dem Arbeitslosengeld in Hohe von mehr als 29 Mrd. Euro ergibt sich damit eine Summe von etwa 45,5 Mrd. Euro, die unmittelbar zur Einkommenssicherung bei Arbeitslosigkeit verwendet wurde. Bei der Entwicklung der Ausgaben muss die Zasur der Wiedervereinigung 1989/90 beachtet werden. Sie beriihrte die Struktur der Ausgaben ebenso wie die Entwicklung des Ausgabenaggregats. Die Ausgaben der Bundesanstalt und des Bundes weisen zwar seit 1969 einen steigenden Trend auf, und zwar sowohl absolut als auch in Prozent des Bruttosozialprodukts, allerdings enthalt der Anstieg dieser Ausgaben von 2,1 Prozent des Bruttosozialprodukts in 1989 auf 2,9 Prozent im Jahre 1991 offenbar vereinigungsbedingte Ausgaben. Die strukturelle Entwicklung der Ausgaben der Arbeitslosenversicherung zeigt:

8

Kapitel 1

Die Problemstellung

- Es gab deutlich vereinigungsbedingte Anderungen. Die Anteile von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe an den Gesamtausgaben sanken von 1989 auf 1991 betrachtlich, wahrend das Kurzarbeitergeld kurzfristig drastisch anstieg. Hier schlagt sich u.a. der Umstand nieder, dass in den neuen Bundeslandem die Arbeitsplatzprobleme iiber Kurzarbeit statt uber offene Arbeitslosigkeit „gelost" wurden. Ahnliches wie fiir das Kurzarbeitergeld gilt fiir die Ausgaben fiir Weiterbildung, die 1991 einen Hohepunkt erreichten. - Einen groben Eindruck von den Ausgabenstrukturen der Arbeitslosenversicherung bei „Vollbeschaftigung" mag das Jahr 1969 vermitteln. Das Phanomen der Langzeitarbeitslosigkeit spielte eine vergleichsweise geringe RoUe, wie die Ausgaben fiir Arbeitslosenhilfe zeigen; der groBte Ausgabenfaktor war das „Wintergeld", das heiBt eine iiberwiegend saisonale Erscheinung. - Das Jahr 2003 spiegelt demgegeniiber die Ausgabenstrukturen der Arbeitslosenversicherung bei steigender „Massenarbeitslosigkeit" wider. Das Arbeitslosengeld ist mit groBem Abstand die groBte Ausgabenkategorie im Etat der Bundesanstalt, und die gleichzeitig hohen Ausgaben fiir Arbeitslosenhilfe weisen auf eine betrachtliche Sockelarbeitslosigkeit hin. Betrachtet man ausschlieBlich die originaren Aufgaben der BA (das heiBt ohne Aufgaben im Auftrag des Bundes), so zeigt Abbildung 1, dass seit 1969 - in fast alien Jahren der Bund Defizite im Haushalt der Bundesanstalt abdecken musste. An den Aufgaben gemessen hat die Bundesregierung die Beitragssatze zur Arbeitslosenversicherung stets zu niedrig angesetzt. Besonders deutlich wird dies in den Jahren 1975, 1981 und auch 1993. Dies waren gleichzeitig Jahre, in denen die Arbeitslosenquote sprunghaft anstieg. Nur in dem Jahr 1984 konnten die Einnahmen aus Beitragen alle Ausgaben der Bundesanstalt decken; - der Beitrag des Bundes zum originaren Haushalt der Bundesanstalt im gesamten Beobachtungszeitraum einen deutlich zyklischen Verlauf aufweist; die Lange der Zyklen stimmt mit den bekannten Konjunkturzyklen nicht iiberein. Deutlich wird allerdings, dass die Amplituden der Zyklen seit 1975 im Trend sinken. Hier mogen sich Lemeffekte der Administration niedergeschlagen haben. Die in Abbildung 1 beschriebenen Haushaltssituationen der Bundesanstalt sind im Zeitablauf nicht allein aus der Entwicklung der Arbeitslosigkeit erklarbar. Ubersicht2 (im Anhang) zeigt, dass zum Beispiel die hohen Bundeszuschiisse der Jahre 1975, 1981 und 1993 binnen Jahresfrist zu einer Heraufsetzung der Beitragssatze fiihrten (so 1976 und 1982) beziehungsweise zu teilweise deutlicher Leistungsminderung bei der Hohe des Arbeitslosengeldes (1994) und/oder bei den sonstigen Arten der Leistungsgestaltung (wie vor allemnach 1981). Es

1.2 Zum Reformbedarf der Arbeitslosenversicherung

9

Abbildung 1: Die Entwicklung des Budgets der Bundesanstalt fiir Arbeit^ 1969-2003

1969

1975

1980

1985 DEl/A

1990

1995

2000 2003

•E2/A

El = Beitragseinnahmen, E2 = Gesamteinnahmen, A = Gesamtausgaben. ^Relation zwischen Beitragseinnahmen bzw. Gesamteinnahmen und den Gesamtausgaben. Die 1-Linie kennzeichnet ein ausgeglichenes Budget. El/A = Anteil der Einnahmen aus Beitragen an den gesamten Ausgaben. E2/A = Anteil der Gesamteinnahmen an den Gesamtausgaben; zu den Gesamteinnahmen zahlen auBer den Beitragen folgende Einnahmekategorien: Winterbau-Umlage, Insolvenzgeld-Umlage, Europaischer Sozialfonds, Verwaltungskostenerstattungen, Mittel aus der Ausgleichsabgabe sowie sonstige Einnahmen. Quelle: BA (2004b: 28; Ifd. Jgg.); eigene Zusammenstellung und Berechnungen. wird deutlich, dass mit dem seit 1993 geltenden Beitragssatz von 6,5 Prozent offensichtlich eine Art Schallmauer erreicht wurde, die unabhangig vom Verlauf der Arbeitslosigkeit nicht durchbrochen werden soil. Hier zeigt sich die politische Absicht, die relativen Lohnnebenkosten in Deutschland zumindest teilweise einzufrieren. Der Ausgleich des Haushalts wurde dann durch Leistungsminderungen und Bundeszuschiisse erreicht; durch diese Entkopplung hat der Beitragssatz seine Funktion als Indikator fiir die Entwicklung der Arbeitslosigkeit allerdings endgUltig verloren. Abbildung 2 enthalt eine graphische Zusammenfassung der Entwicklung von Arbeitslosigkeit und institutioneller Ausgestaltung der Arbeitslosenversicherung.

10

Kapitel 1

Die Problemstellung

Ahhildung 2: Daten zur Arbeitslosigkeit und zur Arbeitslosenversicherung in Deutschland 1969-2003^ Prozent

1969

Prozent, Monate 70

ALG^

1980

1991

2003

^Rechte Achse: ALG = Arbeitslosengeld in Prozent des „pauschalierten Nettoarbeitsentgeltes" (Hochstsatz), ALH = Arbeitslosenhilfe in Prozent des „pauschalierten Nettoarbeitsentgeltes" (Hochstsatz), BZD = maximale Bezugsdauer von ALG in Monaten. Linke Achse: ALQ = Arbeitslosenquote, Beitragssatz insgesamt. — ^Zur Definition siehe Ubersicht 1 im Anhang. Quelle: Tabelle 1; Ubersicht 2 im Anhang; eigene Darstellung. Auffallig ist der prozyklische Verlauf des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung und der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes in Bezug auf die Arbeitslosigkeit bis 1993. Dabei erscheint die Prozyklik des Beitragssatzes im fiskalpolitischen Sinne in der Tat in dem Sinne genuiner Natur zu sein, als der steigende Beitragssatz ceteris paribus die Lohnkosten erhoht und uber diese wiederum die Arbeitslosigkeit; dagegen ware die Prozyklik bei der Bezugsdauer wegen des Einkommenseffekts fiskalpolitisch erwUnscht. Allerdings verkennt die fiskalpolitische Sichtweise, dass von der Arbeitslosenversicherung auch Anreize zur Verringerung der Arbeitslosigkeit ausgehen konnten, wenn etwa ein Senken der Bezugsdauer und anderer Leistungsmerkmale die Arbeitslosigkeit verringem. Doch ist eine solche Reaktion nur ansatzweise und erst nach 1995 bei der Hohe des Arbeitslosengeldes (und der Arbeitslosenhilfe) zu erkennen. Die bis zum Jahr 2003 anhaltende Beschaftigungskrise fuhrte zu Einschnitten auf der Leistungsseite: Zum einen wird nach einer Ubergangszeit ab 2006 die Bezugsdauer beim Ar-

1.2 Zum Reformhedarf der Arbeitslosenversicherung

11

beitslosengeld auf 12 Monate begrenzt, nur fur Arbeitslose Uber 55 Jahre betragt der Bezugszeitraum 18 Monate (Gesetz zur Reform des Arbeitsmarktes vom 19.12.2003). Zum anderen soil ab 2005 das Leistungsniveau bei der Arbeitslosenhilfe iiber die Zusammenlegung mit der Sozialhilfe (Arbeitslosengeld II) abgesenkt werden („Hartz-IV-Gesetz"; siehe ausfiihrlich Kasten 4 in Abschnitt 2.1.3.6). Wie bei einer Versicherung sollen Leistungen und Pramien der Bundesanstalt (bzw. Bundesagentur) fUr Arbeit aber auch kunftig nicht kalkuliert werden. Somit zeigt diese deskriptive Analyse der deutschen Arbeitslosenversicherung, dass vom bestehenden System keine „systemischen" Anreize zur Verringerung der Arbeitslosigkeit ausgehen. In den letzten Jahren gab es lediglich Adhoc-Ma6nahmen bei den Leistungsparametem der Arbeitslosenversicherung. Die von diesen MaBnahmen ausgehenden Anreize waren offensichtlich zu schwach ausgepragt, um sichtbaren Einfluss auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit zu entfalten. Die Senkung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe scheint lediglich intramarginaler Natur gewesen zu sein. Doch selbst wenn die Auswirkungen beachtlicher gewesen waren, so beruhten sie doch auf diskretionaren politischen Eingriffen. Von einer wirksamen und effizienten Arbeitslosenversicherung miisste dagegen verlangt werden, dass sie solcher Eingriffe (die uberdies stets Erwartungen wie auch das Vertrauen von Versicherten verletzen) nicht bedarf. Denn wirkliche Versicherungen versuchen stets, von vomherein die versicherte Schadenshohe zu begrenzen.

1.2.2

Effizienzanalysen zur deutschen Arbeitslosenversicherung

Grundsatzlich stellt jede Art von Arbeitslosenunterstiitzung eine Subvention der Nicht-Arbeit dar; es ware daher nicht auszuschlieBen, dass die Arbeitslosenversicherung eben jene Phanomene (mit) hervorruft, derer sie sich dann annimmt. Dabei ist der Zusammenhang insofem nicht von jener „einfachen" neoklassischen Natur, wie etwa Steiner (1997a: 139 f.) zeigt, der zufolge die Arbeitslosenunterstiitzung die Entscheidung zwischen Einkommen und Freizeit beeinflusst, sondem wesendich komplexer: Zunachst ist die Gleichsetzung von Arbeitslosigkeit und Freizeit immer dann problematisch, wenn der arbeitslos Gewordene die Arbeit der Freizeit vorziehen wurde, er also unfreiwillig arbeitslos ist. Eine Unterstutzung der Arbeitslosigkeit durch den Staat oder durch ein privates Untemehmen wUrde wiederum der andauemden Arbeitslosigkeit ein voluntaristisches Element geben, weil der mit der Arbeitslosigkeit verbundene Einkommensverzicht (partiell) aufgehoben wird. Abbildung 3 gibt die Elementarteilchen der herrschenden Theorie der Arbeitssuche wieder, auf der die neueren empirischen Effizienzanalysen Uber die deut-

12

Kapitel 1

Das Problem

Abbildung 3: Zur Theorie der Arbeitssuche Opportunitatskosten der Arbeitssuche

Quelle: Steiner (1997a: 140); Franz (1996: 370 f.); eigene Darstellung. sche Arbeitslosenversicherung durchweg beruhen. Grundsatzlich wird fur den Arbeitslosen das okonomische Kalktil durch die Arbeitslosenversicherung komplizierter, weil nicht nur der potentielle kunftige Arbeitsplatz ein Einkommen bringt, sondem auch das Verharren in Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit hat aufgrund der Arbeitslosenversicherung, ebenso wie die Arbeit, einen Barwert kiinftiger Einnahmen, dem allerdings noch der „Barwert" des kiinftigen Nutzens aus Freizeit hinzuzufiigen ist.^ Die unter anderem von der Hohe der ArbeitsloDie Argumentation iiber den Vergleich vom Barwert der Arbeit und dem Barwert der Arbeitslosigkeit steht vor dem Problem der Bewertung nur individuell erfahrbaren Nutzens. Der Arbeitslose hat zuzuglich zur Arbeitslosenunterstiitzung Nutzen aus der Freizeit; der Beschaftigte hat, gewissermaBen als Input fur die Arbeit, ein individuell zu bewertendes Arbeitsleid in Anrechnung zu bringen. Wichtig ist dabei, dass das okonomische Kalktil beim Vergleich zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit das Nutzenkalktil nur einmal enthalt; das heiBt, die Arbeit lohnt sich, wenn Oder, in der Aussage identisch, wenn KJw,L)>K^JALU).

1.2 Zum Reformbedarf der Arbeitslosenversicherung

13

senunterstutzung bestimmten Anspriiche an die potentiellen Einkommen aus Beschaftigung werden in der Literatur als „Anspruchslohn" (Franz 1996: 205 f.) bezeichnet oder auch, weil dieser angibt, bei welchem Lohnniveau Arbeit angenommen wird, als Akzeptanzlohn (Steiner 1997a: 140); aus der angelsachsischen Literatur ubemommen wird oft die Bezeichnung „reservation wage". Es handelt sich hierbei um eine individuell determinierte GroBe (vgl. dazu FuBnote 5). Anders als diese GroBe kennzeichnet die Lohnersatzquote (replacement ratio) eine strategische GroBe, namlich die Relation aus den Einkommen aus Arbeitslosenunterstutzung und den durchschnittlichen (Netto-)Monatseinkommen. In Deutschland ist diese GroBe als Prozentsatz der Arbeitslosengeld- bzw. Arbeitslosenhilfezahlungen in Prozent des letzten Arbeitseinkommens gesetzlich festgelegt (SGB III 2003 und Ubersicht 1 im Anhang). Sowohl der Akzeptanzlohn als auch die Lohnersatzquote steigen cereris paribus mit der Arbeitslosenunterstutzung, wahrend die Hohe der „Abgangsrate" (hazard rate), welche die Wahrscheinlichkeit angibt, mit der Arbeitslose im Zeitraum Ar in die Erwerbstatigkeit uberwechseln (Hujer und Schneider 1998), mit der Arbeitslosenunterstutzung negativ korrelieren diirfte. Abbildung 3 beschreibt die komplexen Zusammenhange zwischen der Arbeitslosenunterstutzung (Lohnersatzquote) und der Arbeitslosenquote. Im Zentrum steht dabei der Akzeptanzlohn mit seinen negativen Auswirkungen auf die Abgangsrate, die wiederum definitorisch negativ mit der Arbeitslosenquote verbunden ist. Der Akzeptanzlohn ist umso hoher, je niedriger die „Opportunitatskosten der Arbeitssuche" sind: Das sind jene Kosten, die dem Arbeitslosen entstehen, wenn er darauf verzichtet, sich nach einer Beschaftigung umzusehen. Die Lohnersatzquote - d.h. letzdich die ArbeitslosenunterstUtzung - wirkt eben iiber diese Opportunitatskosten der Arbeitssuche; je hoher die UnterstUtzung, desto eher kann der Arbeitslose auf die Arbeitssuche verzichten; mit anderen Worten sinken die Opportunitatskosten der Arbeitssuche mit steigender UnterstUtzung. Einfacher sind die Zusammenhange zwischen den linksseitigen Determinanten und dem Akzeptanzlohn: Je hoher die Markdohne, je groBer die Zahl der freien Stellen und je hoher die Opportunitatskosten der Arbeit (d.h. je groBer der Wert der Freizeit), desto hoher sind die Einkommenserwartungen des Arbeitslosen. Die okonometrische Untersuchung des Arbeitsmarktes hat vor allem in der Bundesrepublik Deutschland stets mit den besonderen Eigenschaften des Untersuchungsgegenstandes zu kampfen: (1) Der Arbeitsmarkt ist hoch reglementiert;

mit:

K^ = Kapitalwert der Arbeit; w = Arbeitslohn; L = Arbeitsleid; K^^ = Kapitalwert der Arbeitslosigkeit; F s Freizeitnutzen; ALf/= ArbeitslosenunterstUtzung. Das bedeutet hier auch, dass das Arbeitsleid im kritischen Punkt absolut gesehen gleich hoch ist wie der Nutzen aus Freizeit (vgl. auch Franz 1996:27 f).

14

Kapitel 1

Die Problemstellung

(2) die Merkmalsanderungen sind im Regelfall nur marginaler Natur (Anderungen in den Anspruchsgrundlagen beim Arbeitslosengeld gelten sogar oft nur fiir bestimmte Altersgruppen); (3) die Reaktionsmuster der Kohorten sind durchweg nur anhand von Befragungen erfassbar und enthalten daher subjektiv gefarbte Daten; dass derartige Selbstauskiinfte zu erheblicher struktureller Ungenauigkeit fuhren, versuchen Kingston et al. (1986) zu belegen. (4) Nicht zuletzt sind allzu viele der okonometrischen Analysen auch deshalb unzuverlassig, weil sie wichtige Einflussfaktoren der Dauer und der Hohe der Arbeitslosigkeit vemachlassigen, wie zum Beispiel die konjunkturellen Situationen im Untersuchungszeitraum oder Ereignisse, die mit der Daten variation bei der Arbeitslosenversicherung gleichzeitig auftreten. Zahlreiche okonometrische Analysen befassen sich mit der Wirkungsweise der deutschen Arbeitslosenversicherung (Tabelle 3; in tJbersicht 3 im Anhang sind weitere Autoren genannt, so z.B. Steiner und Jacoebbinghaus 2003, Kurz 2002 und Maidom 2002). Die Dauer der Arbeitslosigkeit hangt den Ergebnissen zufolge ab von - dem Bestehen eines Anspruchs auf Arbeitslosenunterstutzung iiberhaupt (Steiner 1997a, 1997b; Gangl 2002); dies gilt bei Steiner allerdings nur fur die Manner der Stichprobe, nicht fiir die Frauen; - der Hohe des Anspruchs auf Arbeitslosenunterstutzung. Wahrend Steiner (1997a, 1997b) zufolge Hohe bzw. Anderungen der Lohnersatzquote (replacement ratio) auch bei Mannem ohne Einfluss auf die Dauer der Arbeitslosigkeit sind, argumentieren Hujer und Schneider (1998) und Schneider und Hujer (1997), dass die Hohe der Lohnersatzquote zumindest zu Beginn der Arbeitslosigkeit die Dauer der Arbeitslosigkeit positiv beeinflusst, weil das Suchverhalten der Arbeitslosen vom Anfangsniveau des Arbeitslosengeldes abhange (Schneider und Hujer 1999); in einer neueren Panelanalyse kommt Christensen (2003) auf Basis des „soziookonomischen Panels" (SOEP)^ 2000 zu dem Schluss, dass vor allem bei Arbeitslosen mit einem geringen Einkommen vor der Arbeitslosigkeit Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe aufgrund eines geringen Lohnabstands zu einem relativ hohen Anspruchslohn fuhren. Dieser Anspruch wird zudem bei langerer Arbeitslosigkeit nur geringfugig abgesenkt. In einer erganzenden Untersuchung auf gleicher Basis wird dariiber hinaus ein deutlich positiverer Effekt des Reservationslohns auf die Arbeitslosigkeitsdauer nachgewiesen (Christensen 2005); - der Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosenunterstutzung. Hujer und Schneider (1998) und Schneider und Hujer (1997) zeigen zwar, dass die Dauer des geDas SOEP ist eine Befragung eines reprasentativen Teils der Wohnbevolkerung Deutschlands (ab 16 Jahre) uber soziale und wirtschaftliche Befindlichkeiten (vgl. dazu Hujer et al. 1997).

1.2 Zum Reformbedarf derA rbeitslosenversicherung

15

Tabelle 3: Literatur zur Effizienz der deutschen Arbeitslosenversicherung Autor (Jahr) PlaBmann (2002)

Gangl (2002) Steiner (1997b)

Schneider und Hujer (1997) Genosko und Weber (2001) Weber (1999)

Fragestellung

1. Arbeitslosenversicherung und „Beim Bezug von Arbeitslosengeld steigt die a. Hohe der Arbeitslosigkeit Austrittsrate an" (S. 173); Selektions- und Stigmatisierungseffekte Uberlagem den Effekt iiber den Anspruchslohn. Positiver Zusammenhang (wenn auch geringer als b. Dauer der Arbeitslosigkeit in den USA, doch sind dafiir die Einkommen nach der Arbeitslosigkeit hoher). Stark positiver Zusammenhang bei Mannem, nicht bei Frauen. 2. Dauer der Arbeitslosenunterstutzung und a. Hohe der Arbeitslosigkeit Kein Einfluss.

b. Dauer der Arbeitslosigkeit

Hunt (1995) Hujer und Schneider (1998)

Schneider und Hujer (1999) Schneider und Hujer (1999)

Christensen (2003, 2005) Hujer und Schneider (1998)

Steiner (1997a)

Ergebnis

3. Hohe der Arbeitslosenunterstutzung und a. Hohe der Arbeitslosigkeit b. Dauer der Arbeitslosigkeit

Positiver Zusammenhang bei Arbeitslosen, die in die „out of labour force" wechseln. Positiver Zusammenhang in den 80er Jahren ftir einige Altersgruppen. Positiver Zusammenhang beim Vergleich unterschiedlicher Altersgruppen fur Arbeitnehmer bis 48 Jahre; bei Alteren geringere Wirkungen. Die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld ist ohne Relevanz (anders als in den USA), weil die Arbeitslosenhilfe die Zahlungen fortsetzt.

Das Suchverhalten hangt vom Anfangsniveau des Arbeitslosengeldes ab. Spatere Senkungen der Arbeitslosenunterstutzung aufgrund des tJbergangs zur Arbeitslosenhilfe werden antizipiert und sind daher ohne groBeren Einfluss. Positiver Zusammenhang zwischen Lohnersatzleistungen und Arbeitslosigkeitsdauer iiber die Reservationslohne. Die Lohnersatzquote zu Beginn der Arbeitslosigkeit hat einen negativen Einfluss auf die tJbergangsrate. Ein Ruckgang der Lohnersatzquote um 1 Prozent erhoht die Ubergangsrate um 1,1 Prozent und senkt die Dauer der Arbeitslosigkeit um 1,1 Prozent. Kein Zusammenhang.

Quelle: Ubersicht 3 im Anhang; eigene Zusammenstellung.

16

Kapitel 1

Die Problemstellung

zahlten Arbeitslosengeldes ohne Einfluss auf den Ubergang in die Erwerbstatigkeit ist; hierfur wird das Bestehen der prinzipiell zeitlich unbegrenzten Arbeitslosenhilfe als Begriindung herangezogen, deren geringeres Niveau antizipiert werde und das daher nicht zu einer intensiven Arbeitssuche ftihre (Schneider und Hujer 1999). Hingegen stellt Hunt einen signifikant positiven Einfluss der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld auf die Dauer der Arbeitslosigkeit einiger Altersgruppen fest (Hunt 1995; ahnlich auch Weber 1999 und Genosko und Weber 2001); - anderen Variablen als der Arbeitslosenunterstutzung. Wurzel (1989) zeigt auf, dass demographische Einflussfaktoren, wie vor allem die (Aus-)Bildung, eine entscheidende Rolle spielen, wahrend das Bestehen eines Anspruchs auf Arbeitslosenunterstutzung, anders als bei Steiner (1997a, 1997b), keine signifikante Bedeutung hat. Fast alle diese Untersuchungen beruhen auf Daten des „soziookonomischen Panels", eine Ausnahme ist die Arbeit von Weber (1999), die auf Daten der Beschaftigtenstichprobe des Instituts fUr Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (TAB) zuriickgreift. Bei aller Heterogenitat der Ergebnisse kann man festhalten, dass aus keiner Untersuchung folgt, dass die Arbeitslosenunterstutzung die Dauer der Arbeitslosigkeit verkiirzt; vielmehr lauten die Ergebnisse zumeist, dass es keinen Oder einen positiven Zusammenhang mit der Bezugsdauer gibt. Von anderer Art sind Untersuchungen dariiber, welchen Einfluss die Arbeitslosenunterstutzung auf den Anspruchslohn hat; Franz (1982) konnte keinen Einfluss diagnostizieren, was sicherlich Uberraschend ist; denn die Opportunitatskosten der Arbeitssuche sinken, wenn die Arbeitslosenunterstutzung steigt. Dies bewirkt letztlich - wie Abbildung 3 andeutet -, dass die Arbeitslosenunterstutzung negativ mit der Abgangsrate korreliert ist. Erwahnenswert schlieBlich ist auch die Analyse von Evans (1996), der mit Hilfe von Statistiken der OECD sowie nationaler statistischer Amter auf die Anreize eingeht, arbeitslos zu werden und neue Arbeit zu suchen. Wichtig sind fUr Evans die Moglichkeiten, zur Arbeitslosenunterstutzung (oder zur Sozialhilfe) hinzuverdienen zu konnen. Dies berUhrt in der Tat - auch wenn der okonometrische Nachweis nicht versucht wird - das grundlegende Problem, wie es zu vermeiden ist, dass Arbeitslose mehr und mehr an beruflicher und sozialer Qualifikation verlieren. Neben den bisher vorgestellten Arbeiten Uber die Auswirkungen von ArbeitslosenunterstUtzungszahlungen gibt es auch solche, die sich mit der Finanzierungsseite des Systems der sozialen Sicherheit befassen. Hierzu gehort Steiner (1996), der in einer auf VGR-Daten beruhenden Modellanalyse zeigt, dass eine Senkung der Sozialversicherungsbeitrage ceteris paribus zu mehr Beschaftigung fUhrt (und dadurch zum Teil selbstfmanzierend ist). Wahrend dieses Ergebnis

1.2 Zum Reformbedarf der Arbeitslosenversicherung

17

eher von schlichter Selbstverstandlichkeit zu sein scheint, ist das weitere Ergebnis weniger schlicht: Wird die Senkung der Sozialversicherungsbeitrage steuerfinanziert, so verschwindet auf lange Sicht dieser Beschaftigungseffekt; kurzfristig allerdings - das heifit bis zum 4. Jahr nach der MaBnahme - ist mit einer Ausweitung der Beschaftigung zu rechnen. Insgesamt gesehen geben die aufgefuhrten Arbeiten keine Hinweise darauf, dass die Arbeitslosenversicherung als beschaftigungspolitisches Instrument unbrauchbar ware. Viele „hazard rate"-Analysen deuten jedoch an, dass letztlich ein positiver Zusammenhang zwischen Arbeitslosenunterstiitzung und Arbeitslosigkeit besteht. Er beruht allerdings auf einer langeren Wirkungskette, als die haufig anzutreffenden Analysen iiber den Zusammenhang von Hohe der Lohnkosten und Arbeitslosigkeit glauben machen. Sogar der Zusammenhang zwischen Arbeitslosenquote und Marktlohnen lauft dem „hazard rate"-Modell zufolge iiber den Anspruchslohn und die Abgangsrate. In die gleiche Richtung weist die Analyse der Finanzierung der Arbeitslosenversicherung. Doch haben die vorliegenden empirischen Analysen fiir Deutschland gezeigt, dass die Zusammenhange zwischen der Dauer und der Hohe der Arbeitslosigkeit auf der einen Seite und der Arbeitslosenunterstiitzung auf der anderen Seite eher schwach sind. Damit stellt sich die Frage nach dem beschaftigungspolitischen Sinn von Anderungen des Niveaus und der Dauer der Arbeitslosenunterstiitzung emeut. Denn diese empirische Evidenz wiirde prinzipiell alien Reformversuchen, die an der Hohe und/oder der Dauer der Arbeitslosenunterstiitzung ansetzen, nur geringe Effizienz bescheinigen. Nun mag es sein, dass die den Analysen zugrunde liegenden Daten nur intramarginale - das heifit fiir die Arbeitslosen nicht spiirbare - Anderungen in den Leistungen der Arbeitslosenversicherung enthielten. Die auf der Basis des SOEP entstandenen Studien konnen nur Variationen in den Grunddaten des Arbeitslosengeldes beriicksichtigen, die vergleichsweise wenig Varianz aufweisen. Uberdies stellt sich hierbei verstarkt die Frage nach dem Wert von Variationen eines Arbeitslosengeldes, wenn im Anschluss an das Arbeitslosengeld eine faktisch zeidich unbegrenzte Gewahrung von Arbeitslosenhilfe zur Verfiigung steht. Bei der Beurteilung der Relevanz des Problems der Intramarginalitat von Anderungen der Arbeitslosenunterstiitzung konnen einige theoretische Uberlegungen weiterhelfen: Bei „normalem" Verlauf der individuellen Kurve des Arbeitsangebots (sie steigt bei positivem Eingangslohn linear mit der Arbeitszeit) beschreibt die Flache unterhalb des vereinbarten Lohns und oberhalb der Angebotskurve den „Gewinn" des Anbieters von Arbeit, defmiert als Differenz aus gesamtem Lohneinkommen und gesamtem Arbeitsleid. Dieser Gewinn ist modellgemaB - wegen des positiven Eingangslohns - deutlich kleiner als die Halfte des gesamten Lohneinkommens (das heiBt, dass der Anteil der Arbeitsleidkompensation am Gesamteinkommen - dem entsprechen in Produktionsuntemehmen

18

Kapitel 1

Die Problemstellung

die Kostenanteile am Umsatz - bei weitem uberwiegt). Bin Arbeitslosengeld in Hohe von 50 Prozent des Arbeitslohns wiirde unter diesen Bedingungen deutlich mehr sein als der durch Arbeit iiberhaupt erzielbare Gewinn. Die Wahrscheinlichkeit ist groB, dass marginale Anderungen der Hohe der Arbeitslosenunterstutzung, auch wenn sie mehrfach und in gleicher Richtung stattfinden, intramarginal bleiben, das heiBt ohne Reaktion bei den Arbeitsplatzsuchenden.

Eine private Arbeitslosenversicherung fiir Deutschland

2.1

Ein anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung: Das Trennsystem

Es soil untersucht werden, ob ein System privater Versicherungen zur Absicherung des Einkommensrisikos bei Arbeitslosigkeit effizienter ware und wie es beschaffen sein konnte. Wiirden private Versicherungen sowohl bei den Anbietem von als auch bei den Nachfragem nach Arbeit wirksame Anreizmechanismen schaffen, die im Ergebnis auf ein Sinken der Arbeitslosigkeit ausgerichtet sind und damit gleichzeitig das Gesamtsystem tendenziell immer billiger werden lassen? Der Vorschlag, an die Stelle staatlich betriebener Arbeitslosenversicherung ein System privater Versicherungsanbieter zu setzen, die miteinander im Wettbewerb um Kunden stehen und iiber alle marktublichen Aktionsparameter verfugen, ist nicht neu. Dies mag daran liegen, dass der Arbeitslosenversicherung die Eigenschaften eines offentlichen Gutes abgehen: Es gibt „Rivalitat im Konsum" - das heiBt, ein zusatzlicher Nachfrager nach Leistungen der Arbeitslosenversicherung verursacht zusatzliche Kosten - und jeder Anbieter ist in der Lage, Nachfrager auszuschlieBen. Im Folgenden geht es darum, ein System privater Versicherungen von Arbeitslosigkeit zu beschreiben. Das Kemproblem fiir solche Versicherungen ist das der Information. Auf dieses Problem wird zunachst und besonders ausftihrlich eingegangen, indem ein Modell zur Bestimmung des individuellen Risikoprofils der Anbieter von Arbeit und der darauf basierenden individuellen Versicherungspramien bei altemativen Leistungen der Arbeitslosenversicherung entworfen wird. Ein anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung ware jedoch unvollstandig, wenn nicht auch die Arbeitgeberseite einbezogen wurde. Dies soil durch die Einrichtung eines Arbeitslosenversicherungsfonds geschehen. Der Ponds soil den Untemehmen Anreize fUr mehr Beschaftigung geben und gleichzeitig zur fmanziellen Stabilitat des Versicherungssystems beitragen. Das Gesamtsystem aus Arbeitslosenversicherungen fiir die Arbeitnehmer und Arbeitslosenversicherungsfonds fiir die Arbeitgeber wird im Polgenden als Trennsystem bezeichnet. Es ist durch Ruckkopplungsmechanismen gekennzeichnet, die dafur sorgen, dass das Trennsystem tendenziell kostenminimierend arbeitet. Die beiden Seiten des Systems sind organisatorisch voneinander getrennt, um Wechselwirkungen zu vermeiden, die zu einer Beeintrachtigung der

20

Kapitel 2

Eine private Arbeitslosenversicherung

Anreizmechanismen fuhren konnten. Zu klaren ist uberdies, welchen Regulierungsbedarf ein solchen Trennsystem hat und wie der Ubergang von der bestehenden staatlichen Arbeitslosenversicherung zum Trennsystem gestaltet werden kann.

2.1.1

Die Arbeitnehmerseite: Private Arbeitslosenversicherungen

2.1.1.1 Die Grundgleichung Jede Versicherung finanziert Schadensfalle der Versicherten mit Hilfe der Pramienzahlungen dieses Personenkreises. Sieht man von Verwaltungskosten, Gewinnen und Sicherheitsreserven ab, so muss die Zahl der Versicherten, multipliziert mit der durchschnittlichen Eintrittswahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit und mit der fur den Fall des Risikoeintritts zugesicherten durchschnittlichen Leistung je Arbeitslosen - das ist die Ausgabenseite -, die gleiche Hohe haben wie das Produkt aus der Hohe der Zahl der Versicherten und den durchschnittlichen Pramienzahlungen pro Kopf; Letzteres ist die Einnahmenseite. Aus dieser Gleichung folgt, dass die Relation aus Pramie und Arbeitslosengeld (pro Monat Oder pro Jahr) - bei ausgeglichenem Budget der Arbeitslosenversicherung gleich hoch sein muss wie die Eintrittswahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit:^ (1)

Y=''' ALG

Die grundlegende Bilanzbeziehung zeigt kombinatorisch auch: Wenn die Zahl der Arbeitslosen (und damit auch y) steigt, dann gibt es verschiedene Wege der Anpassung. So kann auf der Ausgabenseite das Arbeitslosengeld gesenkt werden; es konnen „schlechte Risiken" auf langere Sicht ausgeschlossen werden; es konnen auf der Einnahmenseite die Pramien erhoht oder neue zu Versichemde geworben werden (Letzteres ware nur dann eine langfristige Problemlosung,

^

Dies folgt aus der Budgetgleichung: T = E, wobei T = V-y ^LG und E = V'PR. Definitionen: T Auszahlungen der Versicherung; E Einnahmen der Versicherung; V : Zahl der Versicherten; Y : durchschnittliche Eintrittswahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit; ALG : Arbeitslosengeld pro Kopf; PR : Pramienleistung pro Kopf

2.1 Ein anreizkompatihles System der Arbeitslosenversicherung wenn das Arbeitslosigkeitsrisiko der neu Versicherten geringer ware als das der bislang Versicherten). Hinter dieser Bandbreite moglicher Reaktionsmuster verbirgt sich eine Vielzahl von detaillierten MaBnahmen. So kann die Eintrittswahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit gesenkt werden, indem den Versicherten Anreize zur kiinftigen Schadensvermeidung gegeben werden, etwa durch Neuqualifizierung oder erhohte Mobilitat. Dies sind langerfristig wirksame MaBnahmen der Prophylaxe und auch der Schadensbegrenzung. Jede Versicherung wird diese MaBnahmen ohnehin in ihren Vertragsbedingungen enthalten. Steigt dann trotzdem kurzfristig die Zahl der Schadensfalle, so bleiben wiederum die MaBnahmen der Senkung von Arbeitslosengeldem oder der Pramienerhohung oder der Verschuldung der Versicherung. Da Anderungen der Arbeitslosengelder und der Pramien nicht ganz kurzfristig wirken, bliebe letztlich bei unerwartet hohen Ausgaben nur die Verschuldung der Versicherung. Dies legt Uberlegungen nahe, ob die Verschuldung nicht vorausgreifend vermieden werden konnte, das heiBt, ob die Versicherung eine Schwankungsreserve anlegen soUte und wie hoch diese sein miisste. Die Einfuhrung einer Schwankungsreserve wiederum besagt, dass die Pramien tendenziell groBer sein mussen, als es zum reinen Budgetausgleich notwendig ware.^ Unter Berlicksichtigung moglicher Verschuldung (D) der Versicherung und der Bildung einer moglichen Schwankungsreserve {SR) folgt bei Budgetgleichgewicht^

(2)

y^IK^^.^-'^ ALG

V'ALG

Die „wirkliche" langfristige Beziehung lautet also, dass die Relation aus Pramie und Arbeitslosengeld, korrigiert um einen entweder von der Verschuldung oder von der Schwankungsreserve bestimmten (marginalen) Faktor, gleich hoch

Das heiBt, dass die Gleichung T=V - y- ALG erganzt wird: r = V'Y'ALG + SR, wobei SR: Schwankungsreserve. Daraus ergabe sich Y=PR/ALG-SR/V'ALG.

Im Verschuldungsfall wtirde daraus schlieBlich: wobei D: Verschuldung. Dies folgt aus: T' = E\

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Kapitel 2

Eine private Arbeitslosenversicherung

ist wie die Eintrittswahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit. Anders ausgedriickt: Wenn y mit der Arbeitslosenquote gleichgesetzt wird und damit exogen vorgegeben ist, wird die Relation zwischen Pramie und Arbeitslosengeld bei etwaiger Verschuldung kleiner und - ebenfalls ceteris paribus - bei etwaiger Bildung einer Schwankungsreserve groBer sein als ohne diese. 2.1.1,2 Die Komponenten der Grundgleichung Die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Erfassung des individuellen Risikos Eine Arbeitslosenversicherung versichert unselbstandig Beschaftigte gegen das Risiko, die Kosten moglicher kUnftiger Arbeitslosigkeit in voller Hohe allein tragen zu miissen. Die Pramie, die von den Versicherten zu zahlen ist, hangt vor allem von der Eintrittswahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit und den vereinbarten Zahlungen im Schadensfall ab. Die Eintrittswahrscheinlichkeit von Arbeitslosigkeit ist eng mit den vielfaltigen Arten und Ursachen von Arbeitslosigkeit verkniipft. Auf die im okonomischen Schrifttum - zum Teil kontrovers - diskutierten Arten der Arbeitslosigkeit ist hier nicht einzugehen. Fiir die Versicherbarkeit des Arbeitslosigkeitsrisikos scheint die individuelle Beeinflussbarkeit des Schadenseintritts bedeutsam zu sein: Wer schuldhaft seine Arbeitslosigkeit herbeifiihrt, wird keine private Institution fmden, die die Kosten der darauf folgenden Arbeitslosigkeit Ubemimmt; wer aus betrieblichen Griinden, zum Beispiel im Konkursfall, arbeitslos wird, diirfte regelmaBig individuell schuldlos an der Arbeitslosigkeit sein; er ware versicherbar. Kasten 2 differenziert die Ursachen fiir den Eintritt des Schadens „Kosten der Arbeitslosigkeit" danach, ob diese Ursachen in der Person des potentiellen Versicherungsnehmers liegen oder nicht. Auf den ersten Blick miissten alle Falle von Arbeitslosigkeit, die ihren Grund nicht in der Person des Versicherten haben, versicherbar sein; Moral hazard (zur Definition vgl. Abschnitt 2.2.1.1) ware weitgehend auszuschlieBen. Dies gilt insbesondere fiir die in der (Jbersicht genannten gesamtwirtschafdichen Ursachen. Spurenelemente individueller Verantwortlichkeit mogen in beschaftigungsdampfenden Lohnabschliissen und Arbeitskampfen gesehen werden, sei es aufgrund von Mitgliedschaft in Arbeitnehmerorganisationen oder sei es wegen eines Trittbrettfahrerverhaltens bei Tarifabschliissen. Doch sind diese Spurenelemente schwerlich als Moral hazard zu interpretieren, ebenso wie staatliches Handeln keine individuellen Verantwortlichkeiten begriinden kann. Selbst im Untemehmensbereich lasst sich aus dispositiven Entscheidungen keine Verantwortlichkeit der betroffenen Mitarbeiter herleiten.

2.1 Ein anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung

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Kasten 2: Eine Taxonomie der Versicherbarkeit von Arbeitslosigkeit I. Nicht in der Person des Versicherungsnehmers liegende Ursachen fur den Schadenseintritt 1. Gesamtwirtschaftliche Ursachen, z.B. - konjunkturelle Schwankungen - Strukturwandel 2. Ursachen imUntemehmensbereich, z.B. - erfolglose Untemehmensfuhrung - Neuorganisation 3. Arbeitsmarktprozesse, z.B. - Lohnabschlusse - Lohnnebenkosten - Streiks, Aussperrungen 4. Staatliche Eingriffe, z.B. - Steuererhohungen - Lohnnebenkosten - Subventionen, Handelshemmnisse - Regulierungen - Zinsen, Wechselkurse II. In der Person des Versicherungsnehmers liegende Ursachen fiir den Schadenseintritt 1. Nicht schuldhaft eingetretene Arbeitslosigkeit, z.B. ~ Fehlqualifikation - prohibitiv hohe Mobilitatskosten 2. Quasi-schuldhaft herbeigefuhrte Arbeitslosigkeit, z.B. - geringe Mobilitatsbereitschaft - geringe Qualifizierungsbereitschaft 3. Schuldhaft herbeigefuhrte Arbeitslosigkeit, z.B. - fehlende Arbeitsbereitschaft - Fehlverhalten am Arbeitsplatz Versicherungstechnisch komplizierter sind die in dem Kasten unter II. aufgefUhrten Tatbestande, weil es hier um individuelle Risikofaktoren, das heiBt um vom Versicherungsnehmer beeinflussbare Risiken, geht. In der Tat scheinen die schuldhaften wie auch die genannten quasi-schuldhaften Ursachen von Arbeitslosigkeit nicht versicherbar zu sein: In diesen Fallen unterliegt der Versicherte der Versuchung, den Schadensfall kiinstlich herbeizufUhren. Allerdings ist zu be-

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Kapitell

Eine private Arbeitslosenversicherung

achten, dass die Einschatzung des AusmaBes der individuellen Schuld im Zeitablauf Anderungen unterliegt. Heute ist in Deutschland weitgehend anerkannt, dass zum Beispiel auch Kosten der Immobilitat kollektiv - das heiBt hier: von einer Versichertengemeinschaft- getragen werden miissen, wenn diese Kosten individuell unzumutbare Hohen erreichen (Beispiel: Arbeitsangebot an einen deutschen Arbeitslosen in Kenia). Ahnliche Gedanken wie beim Mobilitatsverhalten gibt es im Falle unzureichender oder falscher Qualifikation. Ist die Qualifikation zum Beispiel im Rahmen eines anerkannten Ausbildungsgangs erfolgt - sei es z.B. als Kombination aus Lehre und Berufsschule oder als Universitatsabschluss - wird von individuell schuldhaftem Verhalten nicht die Rede sein konnen. Erst wenn in solchen Fallen eine Fehlqualifikation evident wird und keine Neuorientierung erfolgt, entsteht im Zeitablauf zunehmende individuelle Verantwortlichkeit fiir die Arbeitslosigkeit; der Fehlqualifizierte „wandert" gewissermaBen im Zeitablauf in dem Kasten 2 von II. 1. nach II.2. Die Ursachen fiir den Schadenseintritt sind nicht fUr alle Arbeitnehmer von gleicher Bedeutung. Beamte und Angestellte des offentlichen Dienstes haben erfahrungsgemaB die in der Ubersicht genannten Faktoren nicht zu befiirchten (mit Ausnahme des unter II.3. Aufgefuhrten). Das bedeutet, dass diese Personengruppe kaum freiwillig eine Arbeitslosenversicherung abschlieBen diirfte, weil im offentlichen Dienst die einzigen Ursachen fiir Arbeitslosigkeit die schuldhaft herbeigefiihrten sind - diese unterliegen jedoch einem derart gravierenden Moralhazard-Problem, dass versicherungsseitig ein Vertragsverhaltnis wohl auszuschlieBen ist. Die in Kasten 2 unter I. genannten, nicht in der Person des Arbeitnehmers liegenden Ursachen der Arbeitslosigkeit weisen in der Regel unterschiedliche Eintrittswahrscheinlichkeiten auf. So mag im Strukturwandel zunachst jener Beschaftigte arbeitslos werden, dessen Grenzprodukt am niedrigsten ist; dies gilt fiir alle anderen unter I. genannten Ursachen gleichermaBen. Oder: Ein Einbruch in der Geschaftstatigkeit der Bekleidungsindustrie trifft vor allem jene Regionen stark und zuerst, die bestimmte strukturelle Merkmale, hier einen hohen Anteil der in der Bekleidungsindustrie Beschaftigten, aufweisen (vgl. etwa Dicke et al. 1976: 110 ff.). Wenn dies so ist, dann bedeutet das fiir eine Versicherung, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit arbeitslos zu werden, von Qualifikationsstrukturen und regionalen Merkmalen abhangt. Letztlich miisste die Pramie - folgt man Kasten 2 - in jenen Bereichen iiberdurchschnittlich sein, die - besonders ausgepragten konjunkturellen oder saisonalen Einfliissen unterliegen (Baugewerbe, Gastronomic, Fremdenverkehrsgewerbe); - durch Tarifvertrage geregelte Arbeitsplatze in der Privatwirtschaft aufweisen;

2.1 Ein anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung - besonderen staatlichen Schutz genieBen, etwa durch Handelshemmnisse, Subventionen oder Regulierungen (Bekleidungsgewerbe, Bergbau, Landwirtschaft), die jederzeit abgebaut werden konnen; - besonders empfindlich auf Zinserhohungen reagieren (Baugewerbe). Das bedeutet, dass Tatigkeiten mit diesen Merkmalen hohere Risiken der Arbeitslosigkeit beinhalten. Um wie viel daher die Versicherungspramien dieser Gruppen iiber dem Durchschnitt liegen miissten, dtirfte sich freilich erst im Prozess des „Versuchens und Irrens" herausstellen. Dariiber hinaus werden sich in der Arbeitslosenstatistik weitere strukturelle Merkmale niederschlagen, die dann zu einer starkeren Beriicksichtigung einzelner Merkmale in der Pramiengestaltung fiihren. Zu ihnen zahlen wohl die Fehlqualifikationen und das Mobilitatsverhalten, wie unter ILL in Kasten 2 genannt, die nicht zuletzt auch eine Folge der unter L genannten Ursachen der Arbeitslosigkeit sind. Daraus ergaben sich dann weitere berufliche, regionale oder branchentypische Merkmale erhohten Arbeitslosigkeitsrisikos. Tabelle 4 ist eine Umsetzung dieser Uberlegungen. Sie enthalt ein (ausbaufahiges) Muster des fiir jeden Versicherten anzustellenden Kalkiils bei der Bestimmung des individuellen „realen" Risikos.^^ Die Matrix umfasst Risikoklassifizierungen, in der Kopfzeile nach allgemeinen Kriterien und in der ersten Spalte nach personlichen Merkmalen des gegen Arbeitslosigkeit zu Versichemden. Der Einfachheit halber sind nur vier allgemeine Merkmale aufgefiihrt und drei - hier allerdings auf zusammen acht Positionen untergliederte - personliche Merkmale des Arbeitnehmers. Jede Versicherungsgesellschaft wird weitere Merkmale fiir wichtig, manche sogar fiir wichtiger halten als die genannten.^^ Zudem werden, ebenfalls aus Vereinfachungsgriinden, fiir jedes Merkmal nur drei Risikoklassen gebildet, gewissermaBen als Hinweis auf iiberdurchschnittliche (p 1), unterdurchschnittliche (p 3) und durchschnittliche (p 2) zu erwartende Kosten der Arbeitslosigkeit. Im Beispiel wurde unterstellt, dass das iiberdurchschnittliche Risiko fiir sich allein genommen jeweils eine um 50 Prozent hohere Pramie erfordert als das durchschnittliche Risiko; entsprechend wurde linear das unterdurchschnittliche Risiko jeweils mit 50 Prozent der Durchschnittspramie ^" „Real" heifit das Risiko deshalb, weil es von ausschliefilich nichtpreislichen Faktoren bestimmt wird. Das unten zu behandelnde „monetare" Risiko bezieht die Preise fur Giiter, Dienstleistungen und Faktoren mit ein. Ebenfalls um eine Vereinfachung handelt es sich bei einer etwaigen, hier nicht vorgenommenen, Gewichtung der einzelnen Merkmale. Versicherungen werden im Wettbewerbsprozess vermutlich feststellen, dass einige der personlichen und der allgemeinen Merkmale kostentrachtiger sind als andere. Jedes einzelne Merkmal wiirde dann etwa in Tabelle 4 mit einem multiplikativen Faktor versehen, der groBer (bei groBerem Gewicht des Merkmals) oder kleiner (bei geringerem Gewicht des Merkmals) als 1 ist.

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Kapitel 2

Eine private Arbeitslosenversicherung

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^In der Tabelle ist fUr jede Auspragung des Arbeitslosengeldes der dazugehorige Anteil an der Durchschnittspramie zur Arbeitslosenversicherung wiedergegeben; die Norm, an der jeder Anteil sich bemisst, wird mit 1 fixiert (so das durchschnittliche Arbeitslosengeld, vgl. FuBnote c, die durchschnittliche Dauer der Zahlung von Arbeitslosengeld und der konstante Verlauf der Zahlungen). Abweichungen vom Durchschnitt nach oben fuhren zu Anteilen von uber 1, Abweichungen nach unten fUhren zu Anteilen von kleiner als 1. Die mit Kreisen gekennzeichneten Varianten geben die willkUrlich gewahlten und durchgerechneten Beispiele an.— ^Aus Tabelle 4 Ubemommen. — ^1. Annahme: Die Grundversicherung entspricht dem Niveau der Sozialhilfe. 2. Annahme: Das durchschnittliche Sozialhilfeniveau betragt 55 Prozent des durchschnittlichen Arbeitslosengeldes. — ^Annahme: Die durchschnittliche Dauer der Zahlungen von Arbeitslosengeld betragt 1 Jahr. — ^Produkt aus Pramienklassen, Hohe-, Dauer- und Verlaufsfaktor. — ^Die Zusatzversicherung deckt die Differenz zwischen Grundversicherung und Arbeitslosengeld (vgl. dazu FuBnote c) ab, bzw. ein Vielfaches davon. — SSumme der relativen Pramien aus Grundversicherung und Zusatzversicherung.

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Kapitell

Eine private Arheitslosenversicherung

geld = 1. Abweichungen nach oben/unten drucken sich in Anteilen uber/unter 1 aus. In der Kopfzeile sind die Ergebnisse der Risikoeinschatzungen (einschlieBlich des aus Tabelle 4 iibemommenen Musterfalls) abgetragen. Die niedrigste mogliche Einstufung in Tabelle 4 war mit 0,25 Prozent (durchschnittliches Risiko =1) definiert, die hochste mit 2,25 Prozent. Zwischen diesen vom Modell des Kastens 4 vorgegebenen Eckwerten liegt ein Kontinuum von 200 Pramienklassen, wenn man, in der Prozentanalogie, auf ganze einstellige Stufen abstellt. Mit diesem individuellen Faktor aus Tabelle 4 sind die leistungsbezogenen Merkmale innerhalb der Tabelle 5 multiplikativ verkniipft; das Ergebnis der Multiplikation ist als „relative Pramie" abgetragen (die Summe der relativen Pramie aus Grundversicherung und Zusatzversicherung ist wiederum additiv). Die Grundversicherung gegen Arbeitslosigkeit wird in Hohe der maximalen Sozialhilfe angenommen: Ein geringerer Betrag wUrde fiir den Arbeitslosen die Sozialhilfe von vomherein attraktiv erscheinen lassen; es gibt es keinen Anlass fiir den Gesetzgeber, a priori unvemunftige Losungen durchzusetzen. Als Basissicherung reicht das Sozialhilfeniveau aber aus, weil die Gelder der Arbeitslosenversicherung, solange sie gezahlt werden, nicht den einschneidenden Restriktionen der Sozialhilfe unterliegen.^^ In dem Modell von Tabelle 5 wurde davon ausgegangen, dass die Relation aus maximaler Sozialhilfe und durchschnittlichem Arbeitslosengeld sich mit der gleichen Relation in den Pramienzahlungen in der Grundversicherung widerspiegelt und dass der Zahlungsverlauf der Arbeitslosengelder in der gesetzlichen Basissicherung „normal" ist (was bedeutet, dass es sich um konstante Betrage im Zeitablauf handelt). Bei der Dauer der Arbeitslosigkeit lautet die Modellannahme, dass diese im Durchschnitt ein Jahr betragt (die maximale Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes betragt in Deutschland 32 Monate (Ubersicht 1 im Anhang)). Insgesamt errechnet sich der individuelle Pramienanteil zur Grundversicherung gegen Arbeitslosigkeit durch jeweilige Multiplikation der Faktoren „H6he, Dauer und Verlauf * des Arbeitslosengeldes miteinander und mit der individuellen Pramienklasse (in der Spalte ,,0,25" also: 0,55 • 1,0 • 1,0 • 0,25 = 0,14). Die Zusatzversicherung, unter II. der Tabelle 5 genannt, deckt alle jene Einkommenswunsche im Falle von Arbeitslosigkeit ab, die uber die Grundversicherung hinausgehen. Besteht der Wunsch des Versicherungsnehmers, das durchschnitdiche Arbeitslosengeld zu erhalten, muss er folglich zusatzlich zur Grundversicherung 45 Prozent der Durchschnittspramie, multipliziert mit seinem Risikofaktor, zahlen. ^^ Hierzu gehoren die Anrechenbarkeit von Vermogenswerten und -einkommen sowie der RUckgriff auf nahe Verwandte.

2.1 Ein anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung

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2.1.1,3 Die RUckkopplungsmechanismen individueller Versicherungsvertrdge Die eingangs postulierte Notwendigkeit eines Systems der Arbeitslosenversicherung, kostenminimierend angelegt zu sein, verlangt positive Riickkopplungen zwischen der Hohe der Arbeitslosigkeit und den Anstrengungen aller Marktteilnehmer, die Arbeitslosigkeit zu senken oder zu vermeiden. Fiir die Arbeitnehmer wird dieser Zusammenhang im Folgenden als „Autoregressivitat" bezeichnet, fiir die Arbeitgeber als „experience rating". Die primdre Autoregressivitdt Unter Autoregressivitat ist der wechselseitige Einfluss zwischen Schadenhaufigkeit und Budget des Versicherungsnehmers zu verstehen (Abbildung 4): Jeder gemeldete Schaden belastet in t^ das Budget des Versicherungsnehmers durch steigende Pramien im Falle der Wiederaufnahme einer Erwerbstatigkeit und durch das im Regelfall relativ niedrige Einkommen bei Arbeitslosigkeit. Dies fiir sich genommen bedeutet lediglich, dass es sich fmanziell nicht lohnt, den Risikofall herbeizufiihren. Es bedeutet aber auch, dass es sich lohnt, den alten finanziellen Status wiederherzustellen. Je eher das gelingt, desto geringer sind die negativen Effekte auf die neu festzusetzende Pramie der Arbeitslosenversicherung (vgl. hierzu Tabelle 4 und 5). Mit der Verbesserung der Budgetsituation in ^2 dem Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Arbeit - entsteht der Anreiz, die alte und giinstigere Pramiensituation durch kiinftige Schadensfreiheit emeut herbeizufuhren. Abbildung 4: Der primare autoregressive Prozess in der Arbeitslosenversicherung

Schadenshaufigkeit des Versicherungsnehmers

ti

(-)

h

(-)

Budget des Versicherungsnehmers

Die sekunddre Autoregressivitdt Beschreibt der primare autoregressive Prozess den Zusammenhang zwischen realer Sphare (Schadenshaufigkeit) und monetarer Sphare (Budget des Versicherungsnehmers), so bezieht sich die sekundare Autoregressivitat ausschlieBlich

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Kapitel 2

Eine private Arbeitslosenversicherung

Abbildung 5:

Sekundarer autoregressiver Prozess in der Arbeitslosenversicherung

/

[ Jjl j : funktionale Risikokomponente

1: definitorische Kompensationskomponente

auf den monetaren Sektor. Dieser Sektor bringt das Budget der Arbeitslosenversicherung mit ins Spiel (Abbildung 5). Die Versicherung hat eine weitere wichtige Variable, um letztlich die Schadenshaufigkeit zu beeinflussen: RUckzahlungszusagen. Bei diesen handelt es sich um die vertragliche Verpflichtung der Arbeitslosenversicherung, einen bestimmten Anteil der jahrlichen Pramienleistung zu akkumulieren, zu verzinsen^^ und am Ende der Vertragsdauer - das heiBt im Regelfall spatestens mit dem altersbedingten Ausscheiden aus dem Erwerbsleben - die aufgelaufene Summe auszuzahlen, sofem der Versicherte nicht arbeitslos wurde. Die zuriickgezahlte Summe verringert sich um etwaige, wahrend der Versicherungsdauer ausgezahlte Arbeitslosengelder. Abbildung 5 veranschaulicht das Modell des autoregressiven Zusammenhangs innerhalb der monetaren Sphare. Das Dreieck, das von den Komponenten Pramienhohe, Hohe der Beitragsruckerstattung und Arbeitslosengeldzahlungen gebildet wird, beschreibt den Teil des Budgets des Versicherungsnehmers, der von seinen Beziehungen zur Arbeitslosenversicherung bestimmt wird (spiegelbildlich

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Die Hohe und die Zusammensetzung der Zinsen soil hier nicht weiter diskutiert werden. In Analogic zu zahlreichen Kapitallebensversicherungen konnte der Zins (zum Teil) aus einer Beteiligung am Gewinn der Arbeitslosenversicherung bestehen und (zum Teil) aus einem kapitalmarktanalogen Zins.

2.1 Ein anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung ist dieses identisch mit dem Budget der Versicherung, deren Geschaftsvolumen gleich der Summe aller Individualbudgets ist). Dieses Budget enthalt drei Komponenten, eine funktionale Risikokomponente, der zufolge die Zahlung von Arbeitslosengeld die Pramie nach Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess erhoht (sie entspricht der primaren Autoregressivitat); eine zweite definitorische Kompensationskomponente, der zufolge die Hohe der vereinbarten Beitragsriickerstattungen um den Betrag sinkt, der als Arbeitslosengeld individuell ausgezahlt wurde. Was den dritten Zusammenhang, die funktionale Sparkomponente, zwischen Pramienhohe und Hohe der Beitragsriickerstattung anbelangt, so spiegelt sich hier ein Sparprozess wider: Je hoher die Pramie, desto hoher die potentielle Riickzahlung; dies entspricht schlichten Sparbiichem. Bemerkenswert ist jedoch die sekundare Autoregressivitat: Da die Pramien umso hoher sind, je schlechter das individuelle Risiko eingeschatzt wird, ist auch die maximal mogliche Beitragsriickerstattung fiir schlechte Risiken besonders hoch. Das bedeutet, dass es bei den hohen Risiken aufgrund der Beitragsriickerstattung auch hohe Anreize gibt, den Risikofall nicht eintreten zu lassen. Arbeitslosengeld, Pramienhohe und Beitragsriickerstattung Fiir den einzelnen Versicherungsnehmer, der nach der Risikoeinstufung eine bestimmte Pramienzahlung zu leisten hat, bildet die Arbeitslosenversicherung verzinsliche Riicklagen, aus denen nach Vertragsende die Beitragsriickerstattungen bzw. vor Vertragsende Zahlungen im Falle von Arbeitslosigkeit geleistet werden.^^ Unter der Annahme, dass der Anteil der laufenden Riicklagen an der Pramie auch bei unterschiedlichen Risiken konstant ist, ergibt sich ein exponentieller Verlauf der Beitragsriickerstattungskurve I (das heiBt: ohne das Auftreten von Arbeitslosigkeit), wie in Abbildung 6 dargestellt. Bei anderen Risiken ergeben sich andere Verlaufe von Riicklagen und Beitragsriickerstattungen: I kennzeichnet das durchschnittliche Risiko des Arbeitslosen, II das iiberdurchschnittliche (mit hoheren Pramien, hoheren Riicklagen und hoherer Beitragsriickerstattung) und III das unterdurchschnittliche Risiko (mit niedrigeren Pramien, niedrigeren Riicklagen und niedrigerer Beitragsriickerstattung).^^ Anzumerken bleibt noch, dass eine Verbesserung (Verschlechterung) im individuellen Risiko - etwa durch Branchenwechsel oder stabile (labile) Beschaftigung - vom Zeitpunkt der Ver-

^^ Die Pramie bleibt selbstverstandlich der Preis fiir die Absicherung eines moglicherweise eintretenden Risikos; sie ist nicht grundsatzlich, sondem allenfalls ausnahmsweise mit Erspamisbildung verbunden. ^° In einem halblogarithmischen Diagramm verliefen die Rucklagenkurven parallel zur Zeitachse, und die Beitragsriickerstattungskurven stiegen linear an und wSren zueinander parallel, wenn die Verzinsung und die Gewinnbeteiligung fur alle Risiken die gleiche Hohe aufwiesen.

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Kapitel2

Eine private Arbeitslosenversicherung

Ahhildung 6: Zusammenhang zwischen Pramienzahlungen, Rucklagen und Beitragsruckerstattung fur unterschiedliche Risiken BRE (kumuliert) RL (kumuliert)

BRE II

> t BRE = Beitragsruckerstattung RL = Rucklagen t = Zeitachse

besserung (Verschlechtemng) an einen Knick nach unten (nach oben) in der RUcklagenkurve bin zu einem neuen Trend impliziert, mit entsprechender Verlagerung der Beitragsriickerstattungskurven. Abbildung 7 ist auf Abbildung 6 aufgebaut. Sie gibt den Verlauf der Beitragsruckerstattungskurve I wieder; auf die exponentielle Darstellung wurde verzichtet; man kann sich die Kurve der Beitragsriickerstattungen in einem halblogaritbmischen MaBstab vorstellen. Der durchschnittliche Versicherte, der nicht arbeitslos wird, erhalt am Ende der Versicherungszeit, in t^, den Betrag BRE^ von der Arbeitslosenversicherung rtickerstattet. Alle vorherigen Werte auf der Beitragsriickerstattungskurve I sind fiir ihn lediglich fiktiver Natur: Sie werden erst konkret, wenn der Fall der Arbeitslosig-

2.1 Ein anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung Abbildung 7: Zusammenhang zwischen Beitragsriickerstattung, Arbeitslosigkeit und Pramienzahlungen BREII BRE (kumuliert) BRE„

BRE, BRE

ti t2 t3 U ts

: Beginn der Arbeitslosigkeit : Zeitpunkt des Abbaus der Beitragsriickerstattung ohne Zinsen : Beginn der Wiederbeschaftigung bei hoher Risikopramie ' Zeitpunkt des Abbaus der Beitragsriickerstattung mit Zinsen : Ende der Laufzeit der Zahlung von Arbeitslosengeld (Vertragsende bei Arbeitslosigkeit) tn : Ende des Vertrags mit der Arbeitslosenversicherung im Regelfalle tn+h • (hypothetischer) Schnittpunkt der BRE-Kurven „alt" und „neu" a' : Anderungsrate der BRE-Kurve I (durchschnittliches Risiko) P' : Anderungsrate der BRE-Kurve II (iiberdurchschnittliches Risiko) keit eintritt. Tritt er im Zeitpunkt t^ ein, wird der bis dahin aufgelaufene Beitragsrtickerstattungsanspruch mit den Zahlungen an Arbeitslosengeld verrechnet, woraus sich der Verlauf der Kurve BRE-AL ergibt, der die Zeitachse in t^ schnei-

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Kapitell

Eine private Arheitslosenversicherung

det. Danach wiirde die Zahlung von Arbeitslosengeld den Versicherten in die Verschuldung fuhren, wenn nicht sein Vertrag mit der Arheitslosenversicherung ehen dieses Risiko ahdecken wiirde. Bei hegrenzter Dauer dieser Zahlungen wiirde in t^ der Anspruch auf (steuerfinanzierte) Sozialhilfe einsetzen. Nimmt der Arheitslose jedoch im Zeitpunkt t-^ eine neue Arheit auf, so hat sich seine Risikoeinschatzung durch die Versicherung verschlechtert; er muss folglich hohere Pramien leisten und akkumuHert rascher als zuvor seine kiinftige Beitragsriickerstattung. Vom hypothetischen Zeitpunkt t^^^ (der durchaus auch vor t^ liegen konnte, das heiBt h ware negativ) an wiirde sein Beitragsriickerstattungsanspruch hoher ausfallen, als wenn er nicht arbeitslos geworden ware. Abbildung 7 zeigt deutlich, dass die Arheitslosenversicherung sowohl als „Sparkasse" (his t^ funktioniert, als auch als Versicherung (bis ^5). Dahei bestehen Sparfunktion und Versicherungsfunktion nur zwischen 0 und t^ nebeneinander (wenn auch mit unterschiedlichen Gewichten), danach dominiert die Versicherungsfunktion. Die Autoregressivitat, das heiBt der Anreiz, nicht arbeitslos zu werden oder bei eingetretener Arbeitslosigkeit rasch einen neuen Arbeitsplatz zu fmden, ist - sofem Arbeitslosigkeit eintritt - im gesamten Zeitbereich zwischen 0 und ^5 wirksam. 2.1.1.4 Anreizefur Arbeitnehmer zur Verringerung der Arbeitslosigkeit Die Ursachen von Arbeitslosigkeit konnen vorwiegend in der Person des Arbeitnehmers oder beim Arbeitgeber liegen. Soil eine Arheitslosenversicherung Anreize zur Verringerung der Arbeitslosigkeit setzen, scheint es folgerichtig zu sein, wenn sie diese Anreize bei beiden Gruppen von Marktteilnehmem wirken lasst. Die Tabellen 4 und 5 beschreiben ein Anreizsystem, das ausschlieBlich beim Arbeitnehmer ansetzt; hierauf soil zunachst eingegangen werden. Vor der Arbeitslosigkeit Insgesamt gesehen diirfte eine Versicherung der Kosten der Arbeitslosigkeit, wie sie oben entworfen wurde, kraftige Anreize geben, Arbeitslosigkeit zu vermeiden, da geringe Risiken deutlich niedrigere Pramien zur Folge haben als hohe Risiken und da es Beitragsruckerstattungen gibt. Zwar gibt es nicht in alien Fallen die Moglichkeit, dass der Versicherte sein Risiko steuem kann - etwa bei den genannten Strukturindikatoren -, doch bestehen durch die Selbstbindungsindikatoren erhebliche Spielraume fiir Pramiensenkungen. Im Beispiel der Tabelle 4 konnte der Muster-Versicherte seine Pramie durch eine einfache Erklarung von 93 Prozent auf 66 Prozent senken, indem er sich zu einem HochstmaB an regionaler und beruflicher Mobilitat sowie zu moderaten Einkommensforderungen verpflichtet.

2.1 Ein anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung

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Bei bestehender Arbeitslosigkeit Die Anreize fur den Arbeitslosen, moglichst rasch ein neues Arbeitsverhaltnis zu suchen, sind im herrschenden System staatlicher Arbeitslosenversicherung kaum vorhanden, jedenfalls nicht aus dem Versicherungsverhaltnis heraus. Denn kiinftig zu zahlende Pramien und kiinftige Leistungsanspriiche sind unabhangig davon, in welchem Umfang heute Leistungen in Anspruch genommen werden. Dies ist im vorgeschlagenen System privater Arbeitslosenversicherung deshalb anders, weil der iiber langere Zeit Arbeitslose weder Anspruch auf Arbeitslosengeld noch auf Arbeitslosenhilfe hatte, allenfalls auf die (niedrigere) Sozialhilfe. Die Frage ist allerdings, ob die Arbeitslosen fur alien Arten der Arbeitslosigkeit Anreize zur Wiederaufnahme einer Beschaftigung haben, d.h., ob die oben beschriebenen Zusammenhange allgemeingUltig sind; auch ist zu fragen, ob der Mustervertrag einer privaten Arbeitslosenversicherung je nach Problemlage anders formuliert sein muss. Abgeleitet von den gangigen Erscheinungen der Arbeitslosigkeit (Tabelle 6) ergeben sich folgende Antworten: Freiwillige Arbeitslosigkeit ist regelmaBig kein Versicherungsfall, der die Zahlung eines Arbeitslosengeldes nach sich zieht, weil das Entstehen wie die Dauer dieser Arbeitslosigkeit ausschlieBlich vom Versicherungsnehmer bestimmt werden. Hier ist die Gefahr des Moral hazard fur eine Versicherung zu groB. Friktionale Arbeitslosigkeit ist ein klarer Versicherungsfall, der allerdings auf kurze Zeit beschrankt ist. Hier wird der Versicherungsnehmer regelmaBig abwagen, ob er den Versicherungsfall melden soil, da dies auf langere Zeit sein Risikoprofil verschlechtert. Dieses Kalkiil entspricht dem in der Kfz-Versicherung, bei der abzuwagen ist, ob ein geringftigiger Schaden selbst getragen oder pramienwirksam reguliert werden sollte. Hysterese-Arbeitslosigkeit wird als ein autokorrelierter Prozess beschrieben. Das System der privaten Arbeitslosenversicherung bietet Anreize, diesen Prozess zu vermeiden. Zudem kann durch eine ebenfalls autokorrelierte Gestaltung des Arbeitslosengeldes (etwa indem das Arbeitslosengeld an die Dauer der Arbeitslosigkeit geknupft wird, d.h., im Zeitablauf degressiv und/oder zeitlich begrenzt gezahlt wird) diese Tendenz verstarkt werden. Bei der Insider/Outsider-Arbeitslosigkeit ist die Wirksamkeit individueller Anreize durch die Vertragsgestaltung der Arbeitslosenversicherung fraglich. 1st das Tarifkartell allumfassend bezuglich der Branchen und der potentiellen Arbeitgeber, dann sind individuelle Anreize wirkungslos: Der Arbeitslose muss den uberhohten Lohn verlangen, durch den er arbeitslos wurde; eine solche Bindung wird tendenziell durch Allgemeinverbindlicherklarungen, aber auch durch bestatigendes Verhalten von Arbeitgebem hergestellt. Besteht diese Art der Arbeitslosigkeit, dann bietet die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft bei der Arbeitssu-

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Kapitel 2

Eine private Arbeitslosenversicherung

Tahelle 6: Arten der Arbeitslosigkeit^ Typus

Beschreibung

Entsteht, wenn der erzielbare Lohn vom potentiellen Arbeitnehmer ftir zu gering angesehen wird. In ihr kommen individuelle Praferenzen zum Ausdruck. Friktionale Arbeitslosigkeit Es handelt sich um eine kurzfristige Arbeitslosigkeit (wenige Wochen), die oft im Zusammenhang mit der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz entsteht (Sucharbeitslosigkeit). Hysterese-Arbeitslosigkeit 1st eine langerfristige Arbeitslosigkeit, die auf dem Verlust an beruflicher und sozialer Qualifikation beruht. Jede Form von Arbeitslosigkeit kann bei entsprechender Dauer in die Hysterese-Arbeitslosigkeit ubergehen. Insider/Outsider-Arbeitslosigkeit Diese Arbeitslosigkeit beruht auf kartellahnlichen Absprachen iiber Lohne und sonstige Arbeitsbedingungen. , Jnsider" sind die Beschaftigten und von Tarifabschlussen Begtinstigten; „Outsider** sind die Arbeitslosen. Keynesanische Arbeitslosigkeit Im Regelfall handelt es sich hierbei um Arbeitnehmer, die aufgrund eines Ruckgangs der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage (im Verein mit nach unten starren Lohnen) freigesetzt werden. Konjunkturelle Arbeitslosigkeit Ursachlich sind zyklisch auftretende Unterauslastungen des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotentials. Diese Form Arbeitslosigkeit sinkt bei zunehmender Kapazitatsauslastung. Langfristige Arbeitslosigkeit Alle Arten der Arbeitslosigkeit konnen ftir einzelne Arbeitslose in diese Form der Arbeitslosigkeit fuhren. Es ist eine nicht nach der Ursache, sondem nur nach der Dauer (in der Kegel uber 12 Monate) differenzierende Sammelbezeichnung. Die Qualifikation(sstrukturen) der Arbeitslosen und Mismatch-Arbeitslosigkeit diejenige(n) der Arbeitsplatze passen nicht zueinander. Aufgrund (zu) geringer regionaler Mobilitat entstandeRegionale Arbeitslosigkeit ne und auf bestinmie Regionen beschrankte Arbeitslosigkeit. Die Spezialisierung von Arbeitskraften auf Tatigkeiten, Saisonale Arbeitslosigkeit die nur zu bestimmten Jahreszeiten nachgefragt werden, fuhrt zu dieser Art der Arbeitslosigkeit. Freiwillige Arbeitslosigkeit

^Soweit im Text genannt. Quelle: Vgl. dazu Klodt etal. (1997), Franz (1996), Layard et. al (1991), Lindbeck und Snower (1986, 1988); eigene Zusammenstellung.

2,1 Ein anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung

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che per se ebenso wenig Anreize wie die fehlende Mitgliedschaft. Letztlich sind die Mechanismen der autoregressiven Gestaltung des Arbeitslosengeldes und/ Oder die zeitliche Begrenzung Anreiz zu einer Arbeitsplatzsuche, die in diesem Falle eher auf branchenfremde Beschaftigung (die seinem Grenzprodukt entspricht) gerichtet sein diirfte. Bei der keynesianischen Arbeitslosigkeit sind die Ursachen der Arbeitslosigkeit fur die Arbeitslosenversicherung wie fur den einzelnen Versicherungsnehmer nicht so unbeeinflussbar wie bei der Insider/Outsider-Arbeitslosigkeit. Zwar ist ein gesamtwirtschaftlicher Nachfrageriickgang fur beide Vertragspartner exogen, doch das Bediirfnis nach einem starren Nominallohn ist manipulierbar. Der einzelne Arbeitslose wird in einem autoregressiven Vertragssystem, in dem das Bestehen auf einem starren Nominallohn im Zeitablauf zunehmend mit KUrzungen des Arbeitslosengeldes bezahlt wird, irgendwann einen Punkt erreichen, an dem die Aufnahme einer nominal schlechter entlohnten Arbeit okonomisch attraktiv wird. Die konjunkturelle Arbeitslosigkeit scheint auf den ersten Blick der Idealfall einer Arbeitslosenversicherung zu sein: Autoregressive Prozesse sind im Grunde nicht erforderlich, da die Arbeitslosigkeit „nur" konjunkturell ist und der Betroffene im Aufschwung wieder in Arbeit sein wird. Bei der langfristigen Arbeitslosigkeit entstehen alle jene Versicherungsprobleme, die im Rahmen der Hysterese-Arbeitslosigkeit beschrieben wurden. Hinzu kommt lediglich, dass auch die mogliche Ursache des Strukturwandels (technologischer Wandel, Verlagerungen der Nachfrage, schwindende Wettbewerbsfahigkeit) darauf hindeuten kann, dass eine Ruckkehr zum alten Arbeitsplatz auszuschlieBen ist. Was die Anreize zur Beendigung der Arbeitslosigkeit anlangt, so kann dies bedeuten, dass bei Wiedereintritt in das Berufsleben die Pramie - ceteris paribus - niedriger ist, als es zuvor der Fall war, weil zum Beispiel ein Wechsel in eine strukturstSrkere Branche erfolgte oder weil QualifikationsmaBnahmen pramienmindemd wirkten. Dies mag den ansonsten sicheren Pramienanstieg aufgrund der Arbeitslosigkeit mehr als kompensieren. Vertragsimmanente Anreize zur Verminderung der Mismatch-Arbeitslosigkeit werden dadurch geschaffen, dass WeiterbildungsmaBnahmen sich ktinftig pramiensenkend auswirken werden, ebenso wie dies bei einer individuellen Anpassung des Arbeitslosen durch Reduzierung der Einkommenserwartungen oder Steigerung der regionalen und sektoralen Mobilitat der Fall ware. Das AusmaB der regionalen Arbeitslosigkeit wird ihrem Ursprung nach durch erhohte Mobilitatsanreize verringert. Die Arbeitslosenversicherung bietet derartige Anreize durch die Pramiengestaltung bei den beschaftigten Versicherungsnehmem und kann bei bestehender regionaler Arbeitslosigkeit durch die Gestaltung der H5he der Arbeitslosengelder Mobilitatsanreize geben oder durch die

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Kapitel 2

Eine private Arbeitslosenversicherung

Vermittlung von Arbeitsnachfragem in andere Regionen diese Art der Arbeitslosigkeit senken. Die negativen Ruckkoppelungen regelmaBig wiederkehrender saisonaler Arbeitslosigkeit auf die Versicherungspramien sind eigentlich Anreiz zur Vermeidung, Verringerung oder Umgehung der Kosten der Arbeitslosigkeit auf Seiten des Versicherungsnehmers; zu denken ware etwa an die Einrichtung von „Jahresarbeitszeitkonten". Fur die Versicherung handelt es sich im Kern nicht um eine Risikoabdeckung, sondem um ein regelmafiiges sicheres Ereignis. Sie muss diesen Fall entweder ausschlieBen - das heiBt: nicht versichem -, oder sie muss eine reine intertemporal und auf die versicherte Person bezogene Einkommensumverteilung betreiben. Mit anderen Worten: Die Versicherung schopft in der Arbeitssaison die Gelder von Saisonarbeitem ab, die sie ihnen in der Saison der Arbeitslosigkeit wieder auszahlt. Das bedeutet allerdings, dass die Versicherung die Rolle eines Kreditinstituts ubemimmt. Alle versicherungstechnischen MaBnahmen, durch Anreize Arbeitslosigkeit zu beseitigen, scheitem in den (vielen) Fallen, in denen der Staat die Arbeitslosigkeit generiert. Im Grunde miissten die daraus folgenden Arbeitslosengelder vom Verursacher getragen werden, um nicht zusatzliche Moral-hazard-Probleme bei den Politikem zu schaffen. Doch da eine Differenzierung der Arbeitslosigkeit nach Verursachem faktisch nicht moglich sein diirfte, miisste auch diese Form von Arbeitslosigkeit von einer Arbeitslosenversicherung abgedeckt werden. Damit zeigt sich, dass bei alien gangigen Arten von Arbeitslosigkeit die Arbeitslosen Anreize zur Wiederaufnahme.einer Beschaftigung in einem System privater Arbeitslosenversicherung haben. Gleichzeitig hat es sich nicht als notwendig herausgestellt, den Mustervertrag einer Arbeitslosenversicherung je nach Art der Arbeitslosigkeit unterschiedlich zu formulieren. Die allgemeinen, wesentlich auf Autoregression angelegten Vertragsinhalte reichen aus, um in (fast) jeder Situation der Arbeitslosigkeit Anreize zu ihrer Beseitigung zu schaffen. Das gilt sogar fUr den Fall der von der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik herbeigefUhrten Arbeitslosigkeit.

2.1.2

Die Arbeitgeberseite: Der Arbeitslosenversicherungsfonds

Es ist dargelegt worden, wie ein System privater Arbeitslosenversicherungen aufgrund von Ruckkopplungen zwischen Arbeitnehmem und Versicherungen zu einer Verringerung oder Vermeidung der Arbeitslosigkeit und damit zu einer Verringerung der Gesamtkosten des Systems beitragen konnte. Als ein Schwachpunkt mag gelten, dass ein derartiges System einseitig arbeitnehmerorientiert funktioniert. Denn auch die Arbeitgeber sind durchaus als eine eigenstandige

2.1 Ein anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung

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„Ursache" von Arbeitslosigkeit anzusehen. Hinzu kommt, dass die Arbeitgeber in Deutschland bislang ohnehin (halftig) an der Finanzierung dieses Teils der sozialen Sicherheit beteiligt sind. Allerdings fehlt es dabei an solchen Ruckkopplungen auf das individuelle Entlassungsverhalten, die sowohl fur den einzelnen Arbeitgeber als auch fur die Gesellschaft lohnend waren. 1st es moglich, die derzeit in Deutschland bestehende Beteiligung der Arbeitgeber an den Kosten der Arbeitslosenversicherung so zu gestalten, dass auch hier durch entsprechende RUckkopplungseffekte die Haufigkeit von Entlassungen sinkt? 21.2,1 Zur Finanzierung des Fonds Grundgedanke des Trennsystems ist, dass auch die Arbeitgeber als Nachfrager nach Arbeit weiterhin eine Arbeitsmarktabgabe leisten sollten; da die reine Arbeitslosenversicherung im neuen System Angelegenheit der Arbeitnehmer ist, konnen die Ertrage aus der Arbeitsmarktabgabe der Arbeitgeber zusatzlich eingesetzt werden, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Vorbild ist das Prinzip des „experience rating", das in den Arbeitslosenversicherungen der amerikanischen Bundesstaaten Anwendung fmdet (siehe ausfiihrlich Abschnitt 3.2.2): Wenn dieses Prinzip auch in Deutschland angewendet werden sollte, dann batten alle Arbeitgeber einen bestimmten Prozentsatz der Lohnsumme, der anfanglich dem bisherigen Arbeitgeberanteil am Arbeitslosenversicherungsbeitrag entsprechen konnte, als „Steuer" zu entrichten. Je nach der Haufigkeit von Entlassungen konntedann ein Arbeitgeber seine individuelle „Lohnsummensteuer" auf null reduzieren. Zu beriicksichtigen ist allerdings der Einwand gegen eine private Arbeitslosenversicherung mit ausschlieBlich von den Arbeitgebem finanzierten Pramien. Er lautet, dass die Arbeitnehmer nur wenige Anreize batten, ihre eigene Risikofaktoren zu verbessem und damit die Kosten (Pramien) der Versicherung fiir den Arbeitgeber zu senken; der Arbeitgeber ubemehme mit der Einstellung eines Arbeitsuchenden die fmanzielle Verantwortung fur dessen kiinftige Lebensgestaltung (soweit sie die individuellen Risikofaktoren beeinflusst). Eine weitere Quelle fiir Interessenkonflikte zwischen Arbeitgebem und Arbeitnehmem wiirde entstehen. Dieser Einwand gilt nicht nur fiir die Vollfinanzierung der Arbeitslosenversicherung durch die Arbeitgeber, sondem auch fiir eine anteilige Finanzierung, die die Arbeitnehmer mit einbezieht, in letzterem Falle freilich in geringerem MaBe. Unabhangig davon, ob die Finaazierung der Arbeitslosenversicherung allein durch den Arbeitgeber oder anteilig durch beide Marktteilnehmer erfolgt, ware diese Konstruktion nicht anreizoptimal: Bei alleiniger Finanzierung durch den Arbeitgeber wiirden die beschriebenen Riickkopplungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitslosenversicherung, die auf eine Senkung der Arbeitslo-

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sigkeit hinauslaufen, weitgehend^^ fehlen; bei anteiliger Finanzierung fehlen diese Riickkopplungen ebenfalls, doch kommt hinzu, dass die Arbeitsuchenden gewissermaBen als Lohnminderung etwaige hohe und vom Arbeitgeber verursachte Pramien anteilig mitfinanzieren. Damit sollte eine effiziente, anreizkompatible Arbeitslosenversicherung jede Mischfinanzierung vermeiden, da diese stets das AusmaB der die Arbeitslosigkeit senkenden Riickkopplungen vermindert. Wie aber konnen Arbeitgeber und Arbeitnehmer an der Finanzierung beteiligt sein, ohne dass es zu Mischfinanzierungen kommt? Abhilfe schafft hier eine weitgehende und formale Trennung zwischen der Arbeitnehmerseite und der Arbeitgeberseite im Rahmen des Trennsystems. 2.1.2.2 Die Verwendung der Fondsmittel Die Arbeitgeber zahlen zunachst alle den gleichen zu vereinbarenden prozentualen Teil der Lohnsumme als „Arbeitslosigkeitsabgabe" an einen Arbeitslosenversicherungsfonds. Am Ende einer Abrechnungsperiode erhalten diejenigen Arbeitgeber Gutschriften auf die Arbeitslosigkeitsabgabe, die - gemessen etwa am gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt - unterdurchschnittlich zur Arbeitslosigkeit beigetragen haben. Im einfachsten Fall erhalt ein Arbeitgeber nicht nur die gesamte gezahlte Arbeitslosigkeitsabgabe zuriick, sondem bezieht (netto) Pramien vom Fonds, wenn er im Referenzzeitraum hinreichend viele Einstellungen nachweisen kann. Dies entspricht in GrundzUgen dem amerikanischen „experience rating".^© D^^ anders als in den Vereinigten Staaten, die Arbeitslosigkeitsabgabe nicht zur Finanzierung der Arbeitslosengelder benotigt wird - dies ist Sache der anderen Seite des Trennsystems -, wird damit die Liquiditat der Arbeitslosenversicherung nicht beriihrt. Auch ist es vorstellbar, dass die Fondsmittel zur Sicherung des Systems privater Arbeitslosenversicherungen verwendet werden, so dass es zwei Verwendungsarten gabe: - Einrichtung einer „letzten Zuflucht" (lender of last resort) fiir jene Falle, in denen aufgrund von Illiquiditat einer Arbeitslosenversicherung Arbeitslosengelder ausfallen wiirden; ^^ Der Arbeitnehmer mag ohnehin bereit sein, sein Risikoprofil zu verbessem, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten. ^^ Im Unterschied zum amerikanischen „experience rating" sollte die Arbeitslosigkeitsabgabe nach oben fixiert sein. In den Vereinigten Staaten zahlen Firmen, die liberdurchschnittlich viele Entlassungen vomehmen, von Staat zu Staat unterschiedliche Zuschlage auf die dortige Arbeitslosigkeitssteuer. Dies kame in manchen Fallen einer Strafsteuer auf ohnehin in wirtschaftliche Bedrangnis geratene Firmen gleich.

2.1 Ein anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung - Wiederausschiittung der Einnahmen aus der Arbeitslosigkeitsabgabe in Form von Pramien fur Arbeitgeber, die Arbeitslose einstellen. Die beiden Verwendungsarten schlieBen sich nicht aus, sondem konnen sich derart erganzen, dass zunachst fiir die Etablierung einer „letzten Zuflucht" gesorgt wird und Uber deren Finanzierung hinausgehende Einnahmen als Einstellungspramien verwendet werden. Diese Entscheidungen wie auch die gesamte Administration konnte ein Fonds ubemehmen, der von den Tarifvertragsparteien, aber auch von Parlamenten und Regierungen der Lander und des Bundes qua Gesetz unabhangig ist. Als „letzte Zuflucht" wiirde der Fonds fiir jene Notfalle in vertragHch vereinbarte Leistungen eintreten, die von einer in- oder auslandischen Arbeitslosenversicherung deshalb nicht mehr erfiillt werden konnen, weil sie zahlungsunfahig geworden ist. Es handelt sich dabei nicht um Zahlungen an die betroffene Arbeitslosenversicherung, sondem um Zahlungen an deren anspruchsberechtigte Versicherte.^^ Sofem die zahlungsunfahige Arbeitslosenversicherung den Konkurs vermeiden kann, wird sie die vom Fonds gezahlten Arbeitslosengelder als Verbindlichkeiten in ihre neue Eroffnungsbilanz einstellen miissen; kann sie ihn nicht vermeiden, ist die Arbeitslosigkeitsabgabe systemadaquat verwendet worden. Im letzteren Falle werden die so befriedigten Arbeitslosen, wenn sie eine neue Arbeit aufnehmen, eine neue Versicherung suchen. Komplizierter wird die Funktion des Fonds als „letzte Zuflucht" in jenen Notfallen, in denen die Rechtsordnung kein so eindeutiges Kriterium, wie es die Insolvenz einer einzelnen Arbeitslosenversicherung ware, bereitstellt. Der groBte anzunehmende Unfall des Systems privater Arbeitslosenversicherungen wurde in der gleichzeitigen Insolvenz (fast) aller Anbieter von Arbeitslosenversicherungen bestehen. Wie die Geschichte zeigt - Hyperinflation, Weltwirtschaftskrise der Jahre 1929 ff., Weltkriege -, sind groBe wirtschaftliche Katastrophen zwar selten, aber eben nicht auszuschlieBen. Eine einfache Losung dieses Problems bestunde darin, dass der Fonds, sobald seine Mittel zur Finanzierung mehrerer gleichzeitiger Insolvenzen nicht ausreichen, den ,J^otstand" erklart und damit seine Funktion als „letzte Zuflucht" fiir diesen Fall auBer Kraft setzt. In der gleichen Situation konnte iibrigens auch das bestehende staatliche Arbeitslosenversicherungsmonopol die zusatzlichen finanziellen Belastungen nicht tragen; es ware auf Zuschiisse aus dem offentlichen Haushalt angewiesen. Die Riicklagenbildung zum Zwecke der Notfallvorsorge ist nicht die einzige Verwendungsart der Fondsmittel. Ihr diirfte Genuge getan sein, wenn die Ein^^ Dies wUrde der Idee eines „Versichertenschutzfonds" entsprechen, der von Horsch (1998) vorgeschlagen wurde, wenn auch die Finanzierung durch Pramienleistungen der Versicherungsuntemehmen an eine Art von „Konkursausfallversicherung" erinnert.

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nahmen aus der Arbeitslosigkeitsabgabe etwa eines Jahres verzinslich angelegt wiirden.^^ Der groBte und wichtigste Teil der Ausgaben wird die Wiederausschuttung der Mittel als Pramie fur Einstellung von Arbeitslosen sein. Dies diirfte am einfachsten zu bewerkstelligen sein, wenn die jahrlichen Einnahmen aus der Arbeitslosigkeitsabgabe in vollem Umfang^^ auf diejenigen Arbeitgeber verteilt werden, die Neueinstellungen vomehmen. Da das Ziel dieser Ausschiittungen wieder die Senkung der Arbeitslosigkeit ist, waren zweckmaBigerweise die Nettoeinstellungen eines Arbeitgebers das MaB fur die Ausschiittung. Ein Arbeitgeber also, der zwar Neueinstellungen vomimmt, aber in gleicher Hohe Entlassungen, wird wegen der Entlassungen weiter den hochsten Satz der Arbeitslosigkeitsabgabe zahlen und keinen Anteil an der Ausschiittung fur (Netto-)Neueinstellungen haben. Wie hoch die Pramie fiir jede (Netto-)Neueinstellung ausfallt, stellt sich erst heraus, wenn die entsprechenden Statistiken fUr das abgelaufene Kalender(Rechnungs-)jahr vorliegen. Das bedeutet, dass ein Arbeitgeber, sofem er (Netto-)Neueinstellungen vomimmt, nur eine ungefahre Vorstellung dariiber haben wird, wie hoch seine Pramien ausfallen werden; vermutlich werden sich zahlreiche Arbeitsmarkt- und Konjunkturexperten darum bemiihen, hier fiir Prognosescharfe zu sorgen. Es ist nicht auszuschlieBen, dass - vor allem in Zeiten von Rezessionen - die Pramie je (Netto-)Neueinstellung relativ hoch sein wiirde. Dies wurde fiir eine antizyklische Sinnhaftigkeit des Fonds sprechen. Anzumerken ist noch, dass die Pramien nicht nur fiir die Wiedereingliederung von gemeldeten Arbeitslosen gezahlt werden, sondem auch fiir die Einstellung von jenen, die bislang nicht zu den Erwerbspersonen zahlten; eine groBe Gruppe davon durften die Berufsanfanger sein. Um die Missbrauchsmoglichkeiten im System der Wiedereinstellungspramien zu begrenzen, sollte an jede mit Pramien belohnte Neueinstellung die Bedingung gekniipft werden, den betreffenden Ar^^ Die Jahreseinnahme einer Arbeitslosigkeitsabgabe von 3 Prozent auf die Lohnsumme wurde unter gegenwartigen Bedingungen ungefahr ausreichen, alle Arbeitslosengelder fur ein Jahr zu finanzieren; allerdings ist dabei nicht berucksichtigt, dass viele Arbeitgeber ihre Steuerleistung zuruckerhalten wtirden, wenn sie keine Entlassungen vorgenommen haben. Die praktischen Probleme, wie zum Beispiel eine Notfall-Finanzierung konkret gestaltet werden sollte (Auszahlungen entsprechend den bestehenden Vertragen versus gleiches Auszahlungsniveau fur alle Notfalle), sind an dieser Stelle nicht zu diskutieren. ^^ Vorausgesetzt ist, dass die Rucklagenbildung fur Notfalle abgeschlossen ist und keine weiteren Zuflusse - von Zinsertragen abgesehen - in den Notfallfonds erfolgen. Vom Griindungsjahr an gerechnet, konnten etwa die Einnahmen des Jahres 1 voll in den NotfallfondsflieBenund vom Jahre 2 an alle Einnahmen (ohne Zinseinnahmen) ausgeschtittet werden. Sofem es einmal zu Mittelabflussen wegen eines Notfalls kommt, wiirden die laufenden Einnahmen aus der Arbeitslosigkeitsabgabe zunachst fur die Wiederauffullung des Notfallfonds und der Rest als Wiedereinstellungspramie verwendet werden.

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beitnehmer fur eine Mindestzeit - zum Beispiel 2 Jahre - zu beschaftigen; andemfalls ware die Pramie zuruckzuzahlen. SchlieBlich ist der Sonderfall des offentlichen Dienstes zu beachten. Er ist auf der einen Seite einer der groBten Arbeitgeber; auf der anderen Seite ist in den letzten Jahren (nicht ohne Grund) selbst von der Politik nach einem schlankeren Staat gerufen worden. Das konnte sich folgendermaBen in der Fondspolitik niederschlagen: Der offentliche Dienst zahlt zwar die Arbeitslosigkeitsabgabe wie jeder andere Arbeitgeber auch, erhalt aber keine Ruckzahlungen entsprechend seinem Entlassungsverhalten. Vorstellbar ware auch, dass der offentliche Dienst fur (Netto-)Neueinstellungen keine Pramien erhalt. Die Auswirkungen der Einstellungspramien werden durchaus gesamtwirtschaftlich vorteilhaft sein. So wird tendenziell nicht nur die Arbeitslosenquote sinken, sondem es werden auch gleichzeitig Anreize fiir die Neugriindung von Untemehmen gesetzt; schlieBlich erhalt bei Neugriindung der Arbeitgeber fUr jeden eingestellten Mitarbeiter (im ersten Jahr) die Pramie. Als nachteilig mag die ebenfalls tendenzielle Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsintensitat angesehen werden; doch ist zweifellos der Abbau von Arbeitslosigkeit ceteris paribus definitionsgemaB mit einer Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsintensitat verbunden. Ob ein gleichzeitiger verstarkter Sachkapitaleinsatz okonomisch gerechtfertigt ware, unterliegt dem Kalkiil jedes einzelnen Untemehmens.

2.1.3

Zum Regulierungsbedarf des Trennsystems

Die vorangegangenen Uberlegungen zur institutionellen Gestaltung eines Trennsystems haben bereits deutlich gemacht, dass weder ein System privater Arbeitslosenversicherungen noch ein Arbeitslosenversicherungsfonds ohne feste Regeln und Regulierungen auskommen. Kern der Regulierungen fur die privaten Arbeitslosenversicherungen sollten die Vertragsfreiheit und der Wettbewerb sein: Beide bedingen einander und beide stellen letzten Endes sicher, dass das System privater Arbeitslosenversicherung kostenminimierend ist, das heiBt effizient. Kern der Regulierungen fiir den Arbeitslosenversicherungsfonds sollte die Garantie seiner Unabhangigkeit sein. 2.1.3.1 Vertragsfreiheit fur Arbeitnehmer In einem Wirtschaftssystem, das auf Vertragsfreiheit setzt und in dem Versicherungsverhaltnisse Angelegenheit der privaten Versicherungsuntemehmen und der Versicherten sind, gelten andere Spielregeln, als man sie bisher in der deut-

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schen Sozialversicherung gewohnt ist. Angewandt auf den Bereich der Arbeitslosenversicherung konkretisiert sich Veitragsfreiheit folgendermafien: - Die Versicherungspramien sind nicht einkommensabhangig, sondem werden in ihrer Hohe vom vereinbarten Arbeitslosengeld und von der Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikofalls bestimmt; auch die Wahl des Versicherungsuntemehmens wird eine Rolle spielen. - Es gibt weder in der Hohe noch in der Dauer der Zahlungen von Arbeitslosengeld eine Gleichbehandlung aller Versicherten; vielmehr sind beide Parameter vertraglich zu regeln. - Es gibt keine Ausnahmen von der grundsatzlich versicherungsmathematischen Behandlung aller Versicherten. So werden alle Versicherten entsprechend ihres individuellen Risikos eingestuft. - Die Vertragswahrung ist frei wahlbar, soweit es sich um konvertierbare Wahrung handelt; altemativ konnen die realen Versicherungsleistungen - namlich die Pramien wie auch die Arbeitslosengelder - mit Indexklauseln festgeschrieben werden. - Die Wahl der Versicherung ist frei; dies gilt sowohl innerhalb eines Landes als auch innerhalb der Europaischen Union und grundsatzlich auch fiir jedes andere Sitzland der Versicherung auBerhalb der Europaischen Union. Insgesamt bedeutet dies, dass die Arbeitnehmer, wie sie es bereits bei anderen Versicherungen gewohnt sind, eigenverantwortlich Art und Umfang der Absicherung des Risikos der Arbeitslosigkeit bestimmen. Die staatliche Regulierungsaufgabe bestande darin, wie bei den anderen Versicherungen auch, rechtliche Mindeststandards vorzugeben - etwa bei den allgemeinen Versicherungsbedingungen -, um eine rechtliche „Schieflage" zu Lasten der Versicherungsnehmer zu verhindem und um die Transaktionskosten der Vertragsgestaltung moglichst gering zu halten. 2.1.3,2 Zur Durchsetzbarkeit privater Versicherungsvertrdge Ein staatlicher Regulierungsbedarf konnte Uberdies vermutet werden, wenn es um die Durchsetzung privater Arbeitslosenversicherungsvertrage geht. In der Tat sollte es in einem Rechtsstaat moglich sein, vertragliche Vereinbarungen durchzusetzen. Im Fall eines Vertragsbruches steht, wie fiir alle anderen zivilrechdichen Auseinandersetzungen auch, der Klageweg offen, und dieser sollte zeitnah zu einer Klarung des Konflikts fuhren. Doch ware dieser Regulierungsbedarf bei privaten Arbeitslosenversicherungen nicht singular - in dieser Hinsicht wurden fiir die Arbeitslosenversicherungen die gleichen Regeln gelten wie fiir die anderen Versicherungsarten auch.

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Dieses rechtliche Instrumentarium wiirde auch greifen, wenn sich der Versicherungsnehmer zum Beispiel nicht an seine Mobilitatszusagen oder Einkommenszugestandnisse im Fall der Arbeitslosigkeit halt: Er wiirde den Anspruch auf Versicherungsleistungen verlieren. Das Versicherungsuntemehmen kann die Einstellung dieser Zusagen des Versicherungsnehmers dadurch kontrollieren, dass es - entsprechend den Vertragsbedingungen (die auch Zumutbarkeitsregelungen enthalten sollten)- Beschaftigungsmoglichkeiten nachweist bzw. uber Dritte - etwa in Gestalt privater Arbeitsvermittler - nachweisen lasst. Diese Vermittiungstatigkeit ware dutch die Pramie abgedeckt und auch im Interesse des Versicherungsuntemehmens, das die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld moglichst kurz halten mochte. AuBerdem darf nicht tibersehen werden, dass der Versicherungsnehmer selbst in der Regel an einer kurzen Arbeitslosigkeitsdauer interessiert ist. So geht es fur ihn um Beitragsriickerstattungen und um die Einstufung in eine gunstige Risikoklasse. Somit entsteht kein besonderer Regulierungsbedarf, da die herkommlichen Instrumente der Vertragsgestaltung und durchsetzung sowie Ruckkopplungsmechanismen Vertragsprobleme vermeiden bzw. losen konnen. 2.1.3,3 Wettbewerb zwischen Versicherungen Versicherungen verteilen Pramien von den Versicherten auf die eingetretenen Risikofalle um. Das bedeutet, dass die Pramienhohe jedes einzelnen Versicherten, multipliziert mit der Zahl der Versicherten, den Kosten der Risikofalle entsprechen muss (Abschnitt 2.1.1). Ist die Pramiensumme niedriger, kann die Versicherung die auftretenden Risiken nicht (voll) abdecken; ist sie hoher, steigen die Gewinne des Versicherungsuntemehmens. Bei Wettbewerb, so kann vermutet werden, entsprechen auf mittlere und lange Sicht die Pramieneinnahmen pro Jahr den Kosten der eingetretenen Risiken zuzuglich den Kosten der Verwaltung (einschlieBlich wettbewerbsgerechter Untemehmensgewinne). Fehlt es an Wettbewerb, so ist die Entwicklung von Kosten, Gewinnen und wohl letztlich auch von eingetretenen Risiken eine andere als bei Wettbewerb: Kosten und Gewinne sind im Monopolfall tendenziell uberhoht, sei es, weil der Monopolist Uberhohte Pramien verlangt oder weil er seine Gewinnmaximierung zum Teil Uber eine Nichtanerkennung von gemeldeten Schadensfallen betreibt. Da er Monopolist ist, fehlt dem Versicherungsnehmer die Moglichkeit, einen gunstigeren Anbieter von Versicherungsleistungen zu wahlen; ihm bleibt nur ein Verzicht auf Versicherung. Verzichtet eine groBere Zahl von Versicherten auf die Versicherung, muss wiederum auch der Versicherer reagieren und sich entweder verhalten, als ob Wettbewerb bestunde, oder danach streben, fur seine Dienstleistungen vom Staat als gemeinwohlforderlich anerkannt zu werden, um auf diesem Wege eine Zwangsversicherung zu etablieren.

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Das von den Versicherungen angebotene Gut ist langfristig definiert. Der Kunde erkennt die Qualitat der Versicherung zwar in einer wichtigen Auspragung, namlich der Pramie, sofort, ist aber beziiglich der Schadensregulierung wie auch der Seriositat der Geldverwaltung durch das Untemehmen auf Versprechungen und Vermutungen oder auf Erfahrungen Dritter (Finanzberater, Verbraucherschutz, Testzeitschriften) angewiesen. Auch wenn Wettbewerb unter Versicherungen herrscht, besteht diese Unsicherheit weiter. Fiir dieses Problem gibt es mehrere Losungen, darunter vermutlich auch effiziente. Eine mogliche Losung ist die der Staatsaufsicht: Eine Kontrollbehorde priift fur alle Versicherungen die einschlagigen Parameter und ist befugt - etwa bei zu hohen oder zu niedrigen Pramien oder bei unsachgemaBer Geldanlage - Weisungen zu erteilen. Eine andere mogliche Losung besteht darin, den Anbietem und Nachfragem freie Hand zu lassen und fiir Streitfalle auf eine - erstinstanzliche - freiwillige Schiedsgerichtsbarkeit zu setzen. Denn Uber das Geschaftsgebaren wie auch iiber die Pramien gibt es im Regelfall frei verfiigbare Informationen. Allerdings ist das Beschaffen dieser Informationen mit Kosten verbunden. Wer diese Kosten scheut, kann zum Beispiel hohere Pramien bei etablierten oder renommierten Untemehmen in der Hoffnung auf solides Geschaftsgebaren zahlen; er vermeidet damit die Kosten der Informationsbeschaffung und zahlt dafUr hohere Pramien. Diese Substitutionsbeziehung zwischen Informationskosten und Pramien gilt auch im umgekehrten Fall: Der Kunde kann ein Untemehmen wahlen, das sehr niedrige Pramien mit dem gleichen Versprechen moglicher Schadensregulierung verbindet; dann besteht die Substitutionsbeziehung zwischen den zusatzlichen Kosten schlechterer Schadensregulierung und den niedrigeren Informationskosten. Teil der Informationskosten im weiteren Sinne sind Ubrigens auch die Kosten des moglichen Rechtsweges im Streitfall oder die Kosten einer etwa bestehenden Unsicherheit iiber die Qualitat kiinftiger Schadensregulierung. Die Frage ist, welche der beiden Losungen die okonomisch effiziente ist, das heifit die gesamtwirtschaftlich kostengUnstige. Die Kosten der Staatsaufsicht bestehen zunachst in den Gehaltem der diensttuenden Beamten und der dem Vorstand angehorenden Politiker mit der damit verbundenen Eigendynamik der Kosten - das sind die Kosten, die erfahrungsgemaB bei jeder Behorde im Zeitablauf ohne eine sachliche Notwendigkeit hinzukommen. Wichtiger noch diirften alle jene Kosten der Staatsaufsicht sein, die mit der inharenten Zwangskartellierung einhergehen: weitgehende Ausschaltung des Preis- und Qualitatswettbewerbs, durch Rentabilitatsvorschriften induzierte Kostenmaximierungsstrate-

2.1 Ein anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung gien^^ und Abschottung des Marktes gegen Wettbewerber unter dem Signum des Konsumentenschutzes. Dies ist unter anderem der Grund, weshalb die Deregulierungskommission (1991: Ziff. 45, 63) vorschiagt, dass die Versicherungsaufsicht „... anstelle der herrschenden Produktregulierung ... Musterbedingungen einfiihrt ..., von denen [der unerfahrene Versicherungskunde] als Referenzpunkt ausgehen kann ..." (Deregulierungskommission 1991: Ziff. 63). AuBerdem solle die Versicherungsaufsicht ihre „Informationsbasis" der Offentlichkeit - zum Zwecke des Verbraucherschutzes - zur Verfugung stellen. Das heiBt: Da Behorden teuer sind, mag der Vorschlag der Deregulierungskommission einen gangbaren Kompromiss zwischen uberhohten Kosten staatlicher Burokratie und eventuell hohen Kosten individueller Informationsbeschaffung darstellen. 2.1.3.4 RuckversicherungenfUr

Arbeitslosenversicherungen?

Wie der Arbeitslosenversicherungsfonds im Rahmen des Trennsystems den Versicherten einen Schutz gegen „Katastrophen", wie Insolvenzen einzelner privater Versicherungsuntemehmen, gewahrt, ist in Abschnitt 2.1.2.2 dargelegt worden. Nicht genannt wurden jene Uberlegungen, die auf einen Schutz der Versicherungsuntemehmen selbst gegen „Katastrophen" in Gestalt von IlHquiditat hinauslaufen. Ruckversicherungen sind in der Versicherungswirtschaft haufig anzutreffen. Hier geht es darum, dass auch private Arbeitslosenversicherungen gegen die Zahlung von Pramien Diversifizierung betreiben, indem sie das Risiko auf weitere Risikotrager verteilen. Die Notwendigkeit von Riickversicherungsvertragen mag dafur im Falle der Arbeitslosenversicherung relativ gering sein, da der einzelne Risikofall „Arbeitslosigkeit" aufgrund der maximal erreichbaren Schadenshohe kaum ins Gewicht fallt. Relevant wiirde eine derartige Versicherung nur, wenn unerwartete massenhafte Arbeitslosigkeit bei den Versicherten auftritt. Das hinter diesem Phanomen stehende Ereignis kann nicht „konjunkturelle Arbeitslosigkeit" sein, da das konjunkturelle Auf und Ab keineswegs unerwartet ist. Nur wenn das Versicherungsuntemehmen ein hohes Ma6 an regionaler oder sektoraler Spezialisierung aufweist, diirfte ein Ruckversichemngsvertrag dringend geboten sein. Vermutlich hatten derart spezialisierte Versicherungsanbieter ohnehin nur dann eine

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Werden Gewinnmoglichkeiten durch gesetzliche Obergrenzen beschrankt, lohnt es sich, die Kosten zu erhohen, etwa durch schonere Verwaltungsgebaude oder komfortable Fachtagungen an attraktiven Orten.

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Kapitel 2

Eine private Arbeitslosenversicherung

Chance auf dem Markt, wenn sie die bestehende Riickversicherung nachwiesen (Cutler und Zeckhauser 1999: 233 ff.).^^ Insbesondere das konjunkturelle Arbeitslosigkeitsrisiko einer Arbeitslosenversicherung erortert Haley (1990). Er analysiert die Moglichkeit, durch die Bildung von finanziellen Gegenpositionen (hedging) zur Arbeitslosenquote den steigenden Ausgaben der Arbeitslosenversicherung kompensierende Einnahmen entgegenstellen zu konnen. Idealtypisch kommen Haley zufolge solche Anlageformen in betracht, die erfahrungsgemaB -leider nennt Haley hier auch den Goldpreis - stabile oder mit dem Konjunkturverlauf negativ korrelierte Ertrage einbringen. Auf eine Alternative zum Abschluss von Ruckversicherungsvertragen weisen Kleindorfer und Kumreuther (1999: 154 ff.) hin: Eine private Versicherung kann die Ausgaben fur Ruckversicherungspramien zum Teil einsparen, wenn sie „Katastrophenbonds" anbietet und dafur Kaufer fmdet. Diese Bonds sind verzinslich und stehen im - defmitionsgemaB seltenen - Katastrophenfall zur Finanzierung der Anspruche der Versicherungsnehmer zur Verfugung. Die Eigentumer der Bonds miissten dann allerdings ihre Anspruche beim Verkauf oder bei der Einlosung der Bonds reduzieren. 2.1.3.5 Die Unabhdngigkeit des Arbeitslosenversicherungsfonds Angesichts der klar umrissenen Aufgaben des Ponds sollten die Moglichkeiten der politischen Einflussnahme institutionell auf ein Minimum reduziert werden. Worauf es bei der Verwaltung des Ponds ankommt, sind Seriositat und Kompetenz in Pinanzfragen. Die notwendige Unabhangigkeit des Ponds und seine Pestlegung auf das Ziel der Verminderung der Arbeitslosigkeit legen es nahe, das institutionelle Modell einer idealtypischen Zentralbank zu kopieren (Schrader 1999a: 145 ff.). Denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein abhangiger Ponds eine die Arbeitslosigkeit senkende Politik verfolgt, diirfte relativ gering sein. Abhangigkeit bedeutet, dass der Ponds ein Teil der Regierung bzw. deren Erfiillungsgehilfe ist oder dem Einfluss der Tarifvertragsparteien ausgesetzt ist. Eine uberlegene Alternative kann in einem unabhangigen Ponds gesehen werden, der ausschlieBlich als „letzte Zuflucht" in den genannten Notfallen dient und nach den vorgegebenen Kriterien die Wiederauszahlung der Pramien organisiert: Unter der MaBgabe, dass die Unabhangigkeit des Ponds kein Selbstweck, sondem Mittel zur Erfullung der ihm gestellten Aufgaben ist, sollte dem Ponds die Preiheit des Instrumenteneinsatzes eingeraumt werden. Dabei bedarf es folgen^^ Es ist nicht uninteressant, dass Cutler und Zeckhauser als groBte Probleme der Ruckversicherungen wiederum Moral hazard und adverse Selektion ausmachen, diesmal allerdings durch die einzelnen Versicherungen (die zum Beispiel nur die „schlechten" Risiken riickversichem).

2.1 Ein anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung der gesetzlich fixierter Elemente, um seine „Zielerreichungsunabhangigkeit" rechtlich abzusichem:^^ Erstens sollte die funktionelle Unabhdngigkeit des Fonds gesichert sein. Das bedeutet, dass der Fonds fiir ,iNotfallma6nahmen" und die Pramienausschiittung allein verantwortlich ist. Er miisste demzufolge von Regierung und Parlament weisungsunabhangig sein. Zweitens ist die personelle Unabhdngigkeit des Fonds zu gewahrleisten. Das heiBt, dass die Mitglieder des Leitungsgremiums des Fonds vor Einflussen von auBen geschiitzt sein miissen, damit die funktionelle Unabhangigkeit des Fonds nicht unterlaufen werden kann. Daher ist sicherzustellen, dass die Leitungsmitglieder fachlich qualifiziert und politisch unabhangig sind sowie politischem Druck widerstehen konnen.^^ Drittens sollte eine instrumentelle Unabhdngigkeit des Fonds in dem Sinne gegeben sein, dass der Fonds die Kontrolle iiber alle Instrumente ausiibt, die er fur seine Aufgabenerhaltung benotigt. Das bedeutet zum einen, dass der Fonds nicht geeignet ist, in direkter oder indirekter Form die Defizite offentlicher Haushalte zu finanzieren. Zum anderen ist die instrumentelle Unabhangigkeit des Fonds nur dann gesichert, wenn er die alleinige Kompetenz fiir Notfallhilfen und Pramienausschiittung hat. Anderenfalls konnte die Durchsetzung arbeitsmarktpolitischer Ziele die regelgebundene Tatigkeit des Fonds unterlaufen. Viertens ware die finanzielle Unabhdngigkeit des Fonds zu sichem. Sie wird dadurch erreicht, dass der Fonds iiber eigene Einnahmen und einem eigenen Haushalt verfiigt, der auBerhalb des Staatshaushalts bilanziert und durch eine unabhangige Institution gepriift wird. Doch selbst wenn ein Fondsgesetz die notwendigen Elemente zur Sicherung der Unabhangigkeit enthalt, bleibt die Frage nach dem Bestand dieses Gesetzes. Er ware gegeniiber Parlament und Regierung besser gesichert, wenn das Fondsgesetz nur mit qualifizierter Mehrheit geandert werden konnte.

^" Der Analogic zum Idealtypus einer unabhangigen Zentralbank folgend, werden die Elemente einer rechtlichen Absicherung der Fondsunabhangigkeit aus der einschlagigen Literatur zur Unabhangigkeit einer Zentralbank abgeleitet. Siehe dazu: Well (1989: 283 ff), Willms (1990: 552 ff), Neumann (1991: 101 ff) und Fischer (1995a, 1995b). Zu diesem Zweck sollte das Vorschlags- und Besetzungsrecht bei mehreren offentlichen Gremien liegen, um politische Gegengewichte zu schaffen; eine politisch motivierte Abberufung sollte ausgeschlossen sein; die Amtszeiten sollten angemessen lang sein.

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Kapitel 2

Eine private Arbeitslosenversicherung

2.1.3.6 Zur AusgestaUung der Sozialhilfe Die Einfuhrung des Trennsystems erzeugt auch bei der Ausgestaltung der Sozialhilfe einen Handlungsbedarf: Wenn die Sozialhilfe finanziell attraktiv ist, konnte ein Arbeitnehmer dazu veranlasst werden, auf den Abschluss einer Arbeitslosenversicherung von vomherein zu verzichten. Er hatte dann eine „kostenlose" staatliche Einkommensabsicherung fiir den Fall der Arbeitslosigkeit zur Verfugung, die aus seiner Sicht ein Substitut fiir eine private Arbeitslosenversicherung ware. Diesem Problem kann zum einen damit begegnet werden, dass die Sozialhilfe lediglich der Sicherung eines soziookonomischen Existenzminimums dient; das heiBt, dass das Sozialhilfeniveau (einschliefilich der Beriicksichtigung von Vermogen und sonstiger Haushaltseinkommen) keine Anreize zu freiwilliger Arbeitslosigkeit gibt und angemessene „Lohnabstande" sicherstellt, die die rasche Wiederaufnahme einer Beschaftigung reizvoll erscheinen lassen. Zum anderen kann die Ausgestaltung der Sozialhilfe einem „Trittbrettfahren" dadurch entgegenwirken, dass auf erwerbsfahige Sozialhilfeempfanger uber Beschaftigungsangebote ein permanenter Druck zur (Re-)Integration in den Arbeitsmarkt ausgeiibt wird. Eine derart „aktivierende Sozialhilfe" wurde einerseits als Zwangselement Leistungskurzungen bei Arbeitsverweigerung mit sich bringen; andererseits bestunde die Verpflichtung der (staatlichen) Sozialhilfetrager, den Leistungsempfangem eine Chance auf Beschaftigung zu bieten. Die Frage nach der Ausgestaltung einer aktivierenden Sozialhilfe, die anreizkompatibel mit einem System privater Arbeitslosenversicherungen ware, kann mit dem Hinweis auf entsprechende Modelle beantwortet werden, die in die deutschen Diskussion bereits eingefuhrt bzw. im Ausland verwirklicht wurden. In Kasten 3 werden Sozialhilfemodelle skizziert, die das Moral-hazard-Problem der Sozialhilfe signifikant verringem konnten: Der Vorschlag von Sinn et al. (2002) sieht eine Mischung aus Leistungskurzungen, „Jobangeboten" und Lohnsubventionen vor, die insbesondere eine Beschaftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt attraktiv machen soil. Dieses Modell weist damit fraglos den Vorzug auf, Anreize zum Ausstieg aus der Sozialhilfe zu setzen, um Uber eine Beschaftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt ein deutlich hoheres Arbeitseinkommen zu erzielen. Problematisch erscheint, dass die Schaffung eines staatlich subventionierten Niedriglohnsektors als wesentliche Voraussetzung fiir die Integration erwerbsfahiger Sozialhilfeempfanger angesehen wird. Entscheidend fiir die fiskalische Nettobelastung durch dieses Modell ist, wie viele Sozialhilfeempfanger in (hoherwertige) regulare Arbeit gelangen; dies machen die Modellrechnungen von Sinn et al. (2002) deutlich. Auch diirfen die moglichen gegenlaufigen Arbeitsmarkteffekte nicht iibersehen werden, wie sie u.a. durch verschiedene Formen von Mitnahmeeffekten, Herbeifiihrung des Subventionstatbestands oder Verhar-

2.1 Bin anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung

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Kasten 3: Modelle fur eine aktivierende Sozialhilfe (1) Sinn etal. (2002) - Absenkung der Sozialhilfeanspriiche fur erwerbsfahige, nicht im ersten Arbeitsmarkt beschaftigte Personen, so dass Sozialhilfe nur bei Zusatzeinkommen attraktiv ist. - Zuschiisse zu Niedriglohnen (Lohnsteuergutschrift fur alle Beschaftigten bis zu bestimmten Einkommensgrenzen), um schon bei einer Teilzeitbeschaftigung ein der bisherigen Sozialhilfe entsprechendes Haushaltseinkommen zu erzielen und bei Vollbeschaftigung deutlich zu uberschreiten. - Jobangebote durch den Staat fur nicht vermittelbare Personen, die iiber die Entlohnung das Sozialhilfeniveau erreichen konnen. - Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, Ansiedlung der neuen Sozialhilfe auf kommunaler Ebene, Abschaffung von ABM/SAM zugunsten kommunaler BeschaftigungsmaBnahmen, ggf Einschaltung privater Leiharbeitsfirmen. (2) Danemark: „Act on Active Social Policy" (1998) - Personen die keinen Anspruch (mehr) auf Arbeitslosenunterstiitzung haben, konnen Sozialhilfe beantragen; sie miissen bei der Arbeitsverwaltung registriert sein. - Differenzierung nach Alter: Unter 30-jahrige Sozialhilfeempfanger (ohne sonstige Probleme auBer Arbeitslosigkeit) bekommen innerhalb von 13 Wochen ein bindendes Angebot fur eine AktivierungsmaBnahme; diese dauert je nach Vorbildung 6-18 Monate und umfasst 30-37 Wochenstunden; zwischen Aktivierungsangeboten dtirfen nicht mehr als 3 Monate liegen. Bei iiber 30-Jahrigen liegt die maximale Wartezeit auf Aktivierung bei 12 Monaten, eine Nachfolgeaktivierung ist nicht vorgeschrieben. Die Kommunen konnen schon bei Antragstellung unverzuglich eine Sofortaktivierung einleiten. - Bei Ehepartnem wird von beiden Arbeitsbereitschaft verlangt; Fehlzeiten bei AktivierungsmaBnahmen fuhren zu Leistungskiirzungen. (3) Niederlande: „Social Assistance Act" (2004) - Bessere Aktivierung der Sozialhilfeempfanger durch groBere Kompetenzen fur die Kommunen: Diese erhalten ein Sozialhilfebudget, das von der Einkommensstruktur in ihrem Zustandigkeitsbereich abhangt; die allgemeinen Fordersatze sind vorgegeben, die individuelle Forderung ist gestaltbar; Uberschusse aufgrund erfolgreicher Aktivierung verbleiben als Anreiz bei der Kommune ebenso wie Defizite. Fiir AktivierungsmaBnahmen verfiigen die Kommunen uber ein Reintegrationsbudget, das konjunkturabhangig ist. Sie sind verpflichtet, einen GroBteil der Mittel fur privatwirtschaftliche Aktivitaten zu verwenden, ansonsten sind sie frei bei der Mittelvergabe. - Sozialhilfeempfanger sind zur aktiven Arbeitssuche verpflichtet und miissen jede zumutbare Arbeit annehmen; mangelnde Kooperation kann zu Kiirzung oder Streichung der Leistungen fuhren. Quelle: Sinn et al. (2002); Beskaeftigelses Ministeriet (2004); Ministry of Social Affairs and Employment (NL) (2004); Schrader (1999b: 209 ff.); eigene Zusammenstellung.

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Kapitel2

Eine private Arheitslosenversicherung

ren in geringqualifizierter Tatigkeit entstehen konnen. Anschauungsbeispiele fiir Schwachen eines subventionierten Niedriglohnsektors geben die bestehenden Modelle im Vereinigten Konigreich und in den Vereinigten Staaten (vgl. dazu Kleinert et al. 2000: 170 ff., 176 ff.). Ein weiteres Problem kann die kommunale Beschaftigung von Sozialhilfeempfangem mit sich bringen, wenn diese in den Verdrangungswettbewerb mit bereits am Markt agierenden privaten Anbietem tritt. Dennoch erscheint es sinnvoll, derartige BeschaftigungsmaBnahmen auf kommunaler Ebene unter Einschaltung privater Leiharbeitsfirmen durchzufiihren, wenn dadurch die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt rascher erfolgt als bei einer zentralen Zustandigkeit.28 Einen anderen Weg beschreitet Danemark: Arbeitslose Sozialhilfeempfanger werden unter kommunaler Regie in der Regel umgehend aktiviert, das heifit in arbeitsmarktpolitische MaBnahmen einbezogen, wie sie auch fUr die anderen Arbeitslosen vorgesehen sind, Es gibt quasi keine „Ruhezeiten" - fUr keinen der Ehepartner - und SanktionsmaBnahmen bei unkooperativem Verhalten erhohen den Druck. AUerdings darf nicht ubersehen werden, dass arbeitsmarktpolitische MaBnahmen nach danischem Vorbild kein Garant fiir eine Integration in den regularen Arbeitsmarkt sind (vgl. ausfUhrlich Schrader 1999b). Ebenfalls auf kommunaler Ebene ist die Aktivierung von Sozialhilfeempfangem in den Niederlanden angesiedelt: Auch hier stehen MaBnahmen zur Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt im Vordergrund, weitreichende Sanktionen sollen die Kooperationsbereitschaft der zu Aktivierenden sicherstellen. Interessant erscheint das niederlandische Modell jedoch vor allem aufgrund der Erfolgsanreize auf der Finanzierungsseite. So konnen die Kommunen unmittelbar an Uberschussen im Sozialhilfebudget profitieren, die aus erfolgreicher Integration von Sozialhilfeempfangem in den Arbeitsmarkt resultieren. Wenn die zentralen Mittelzuweisungen angemessen zugeschnitten werden, dtirfte sich das Eigeninteresse der Kommunen in einer raschen Aktivierung niederschlagen und damit zu Einsparungen bei der steuerfmanzierten Sozialhilfe fuhren (vgl. auch Schrader 2000: 96 ff.). Der Vergleich dieser Modelle fiir eine aktivierende Sozialhilfe legt die Schlussfolgerung nahe, dass bei der Ausgestaltung einer anreizkompatiblen Sozialhilfe besonders folgende Elemente sinnvoll erscheinen: ^° Altemativ zu einer Subventionierung von Niedriglohnarbeit ist die Ausgabe von Vouchem ausschlicBlich an arbeitslose Sozialhilfeempfanger denkbar. Uber eine Verwendung als Lohnbestandteil oder zur Finanzierung betrieblicher Weiterbildung soil der Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt, nicht notwendigerweise in den Niedriglohnbereich, erleichtert werden. Ein Vergleich dieser beiden Instrumente durch Orszag und Snower (1999) fur das Vereinigte Konigreich zeigt die Vorteilhaftigkeit von Vouchem im Hinblick auf die Einkommensentwicklung bei Geringqualifizierten und auf den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit.

2.1 Ein anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung

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- Anreize fur Sozialhilfeempfanger zur Aufnahme regularer Arbeit, d.h. geringes Absicherungsniveau; deutlich hoheres Einkommen bei Arbeitsaufnahme; wirksame Sanktionen bei fehlender Kooperation, die nicht durch "weiche" Zumutbarkeitsregelungen unterlaufen werden konnen. - Dezentrale Organisation der Aktivierung auf kommunaler Ebene, um Aktivierungsmoglichkeiten „vor Ort" effizient zu nutzen; da wo Kommunen keine komparativen Vorteile besitzen, vor allem bei der Vermittiung in den iiberregionalen Arbeitsmarkt und der (Wieder-)Herstellung der Beschaftigungsfahigkeit, liegt die Einschaltung privater Arbeitsmarktdienstleister nahe. - Anreize fur kommunaler Trager, d.h., eine fmanzielle Beteiligung der Kommunen am Integrationserfolg erhoht die Effizienz der AktivierungsmaBnahmen. Durch das Hartz-IV-Gesetz, das eine Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum 01.01.2005 vorsieht, ist Bewegung in das deutsche System der Sozial- und Arbeitslosenhilfe gekommen (Kasten 4). Doch inwieweit erfullt das neue Arbeitslosengeld II die Bedingungen fiir eine anreizkompatible Sozialhilfe? Hinsichtlich der Anreize zur Beschaftigungsaufnahme ist festzustellen, dass es fiir bisherige Arbeitslosenhilfebezieher durch die Abkehr von einer nettolohnbezogenen Unterstutzungszahlung in vielen Fallen verstarkt Anreize zum Verlassen der Arbeitslosigkeit geben diirfte. Auch die im Vergleich zur bisherigen Sozialhilfe hoheren Hinzuverdienstmoglichkeiten mogen Arbeitsanreize geben. Trotz dieser Merkmale ist das ALGII allerdings von der reduzierten Sozialhilfe nach Sinn et al. (2002: 31 ff.) weit entfemt. Vor allem fehlt die Kopplung zwischen hoheren Transferleistungen und einer Beschaftigungsaufnahme. Auch sind die SanktionsmaBnahmen bei unkooperativem Verhalten vergleichsweise gering. Anders als bei den hier vorgestellten Modellen einer aktivierenden Sozialhilfe verzichtet Hartz IV auf die prinzipielle Ansiedlung der AktivierungsmaBnahmen auf kommunaler Ebene. Durch die Einbeziehung bisheriger, arbeitsfahiger Sozialhilfeempfanger, die kommunal betreut wurden, erfolgt tendenziell vielmehr eine Zentralisierung. Die kommunale Beteiligung beschrankt sich auf ausgewahlte Versorgungsleistungen (z.B. Unterbringung, Kinderbetreuung), die in keinem Bezug zu einer sinnvollen Aktivierung stehen. Dieses Manko konnte die eigentlich vorgesehene Option kommunaler Tragerschaft der Eingliederung beseitigen. Doch scheint dieses Optionsmodell nicht so ausgestaltet zu sein, dass es sich fiir die Mehrzahl der Kommunen „rechnet"; das heiBt, dass etwa Anreize nach niederlandischem Vorbild fehlen. So ist Hartz IV im Vergleich zum bisherigen System von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sicherlich ein Fortschritt, aber es bestehen wohl weiterhin „Effizienzpotentiale" bei der Aktivierung zukiinftiger ALG-II-Bezieher.

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Eine private Arbeitslosenversicherung

Kasten 4: Eckpunkte des Hartz-IV-Gesetzes (ab 01.01.2005) - Bezieherkreis von Arbeitslosengeld (ALG) II: Bisherige Empfanger von Arbeitslosenhilfe und alle arbeitsfahigen Sozialhilfeempfanger. - Leistungshohe: • Regelleistung (RL) fur AlleinstehendeZ-erziehende in Hohe 345 Euro (West) bzw. 331 Euro (Ost); erwachsene (Ehe-)Partner erhalten jeweils 90Prozent der RL; Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr 60Prozent, Kinder ab dem 15. Lebensjahr und sonstige erwerbsfahige Angehorige 80 Prozent der RL (Sozialgeld). • ZuschlSge: Im Anschluss an das Arbeitslosengeld I werden zusatzlich (im 1. Jahr) max. 160 Euro (Einzelpersonen) bzw. 320 Euro (Partner) sowie 60 Euro je Kind gezahlt, im 2. Jahr die Halfte dieser Betrage. • Zusatzleistungen: Zulagen fiir einzelfallbedingten Mehrbedarf, Unterkunft und Heizung, Kinderbetreuung, Beratung, Einmalleistungen und Sozialversicherungsbeitrage. • Einkommens- und Vermogensanrechnung: Beriicksichtigt wird jegliches Geldeinkommen (abzgl. bestinunter Zahlungsverpflichtungen); ein „Schonvermogen" wird nicht angerechnet (Immobilie, Kfz und Hausrat in angemessenem Umfang, Altersvorsorge und Barvermogen jeweils bis zu einer Hochstgrenze); Freibetrage bestehen bei Erwerbstatigkeit: 15 Prozent aus dem Nettoeinkonmien bei 400 Euro Bruttoverdienst und 30 Prozent bei 400,01 bis 900 Euro und 15 Prozent bei 900,01 bis 1 500 Euro; unberucksichtigt bleiben Mehraufwandsentschadigungen fiir Zusatzjobs („1-EuroJobs"). - Zumutbarkeits- und Sperrzeitregelungen: Jede Erwerbstatigkeit bzw. Eingliederungsvereinbarung ist grundsatzlich zumutbar, auch eine Entlohnung unterhalb des Tariflohns oder ortsiiblichen Entgelts ist zu akzeptieren. Bei Ablehnung wird die RL des Haushaltsvorstands fur 3 Monate urn 30 Prozent gekurzt, der Zuschlag im Anschluss an das ALG I entfallt; im Wiederholungsfall erfolgt eine zusatzliche Kiirzung des ALG II um den Ktirzungssatz in der ersten Stufe; bei unter 25-jahrigen kann eine vollstandige Leistungsstreichung erfolgen. Bei Verletzung von Prasenzpflichten kann eine 10-prozentige Kiirzung der RL bei sonst gleichen Sanktionsmechanismen wie im Fall der Ablehnung erfolgen. - Eingliederung: Die Agentur fiir Arbeit (AA) benennt einen Fallmanager fiir jeden erwerbsfahigen Hilfsbediirftigen; eine Eingliederungsvereinbarung (6 Monate Laufzeit) definiert Rechte und Pflichten. Die notwendigen Eingliederungsleistungen erbringt die AA oder von ihr beauftragte Dritte. Ein Einstiegsgeld bei Aufnahme einer Erwerbstatigkeit kann iiber 24 Monate geleistet werden. - Tragerschaft: Kommunale Trager und AA erbringen die Grundsicherung; dabei iibeminmit der Bund die Leistungen fiir Eingliederung und Lebensunterhalt, Zuschlage und SV-Beitrage; die Kommunen konnen optional auch die Aufgabe der AAwahmehmen. Quelle: 4. Gesetz fiir modeme Dienstleistungen am Arbeitsmarkt; eigene Zusammenstellung.

2.1 Ein anreizkompatibles System der Arbeitslosenversicherung 2.1.4

Der Ubergang zum Trennsystem

Es kann davon ausgegangen werden, dass ein immer groBer werdender Anteil der Bevolkerung Anderungen im System der sozialen Sicherheit und ebenso Reformvorschlagen mit Misstrauen und, mittlerweile, mit Uberdruss begegnet. Dies ist nicht ohne Relevanz fur die Gestaltung des Ubergangs zum Trennsystem. Daher sollte an erster Stelle, wie bei jedem Systemwechsel notwendig und dennoch nie praktiziert, der Vertrauensschutz fUr alle Arbeitnehmer und Arbeitslosen stehen. Keiner darf gezwungen werden, wahrend des Ubergangs oder danach eine schlechtere individuelle Absicherung gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit in Kauf zu nehmen.2^ Der zeitliche Ablauf des Ubergangs konnte folgendermaBen gestaltet werden: Zunachst gibt es eine Ankiindigung der Systemumstellung, nicht zuletzt um der Versicherungswirtschaft Zeit zu geben, Angebote zu konzipieren. Hierzu bedarf es zum Beispiel des Aufbaus von Datenbanken zur Errechnung der realen und monetaren Risiken sowie zur Pramienfestlegung. Mit der Einfiihrung des Trennsystems sollte das alte System nicht sofort abgeschafft werden. Vielmehr ist das gleichzeitige Nebeneinander zwischen Trennsystem und der alten staatlichen Arbeitslosenversicherung ein wichtiges Element, um Vertrauen in die Funktionstuchtigkeit und Wettbewerbsfahigkeit des Trennsystems herzustellen. FUr alle, die an der bisherigen Arbeitslosenversicherung festhalten, gelten die alten paritatischen Beitrage.-^^ In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass die Umstellung der bestehenden Arbeitslosenversicherung auf das Trennsystem nicht die gleichen, erheblichen Probleme des Ubergangs aufwirft, wie etwa der Ubergang vom Umlageverfahren auf ein Kapitalstockverfahren beim System der Alterssicherung. Das liegt daran, dass lediglich vom bestehenden Umlageverfahren bei der staatlichen Arbeitslosenversicherung auf ein anderes Umlageverfahren bei privaten Arbeitslosenversicherungen umgestellt wird. Die Anspriiche bedUrfen, um zur Auszahlung durch eine Versicherung zu fuhren, keiner langeren vorherigen Sparphase (wie ein Kapitalstockverfahren im System der Alterssicherung). Aus diesem Grund kann ein Systemwechsel relativ komplikationslos erfolgen. ^^ Dies gilt auch fur die oft zitierten „schlechten Risiken" (Abschnitt 5.1.2). ^^ Wie lange ein Parallelsystem aus BA und privaten Versicherungsanbietem bestehen sollte, hangt von mehreren Faktoren ab: Sofem die privaten Versicherungen effizienter arbeiten, werden niedrigere Pramien oder hohere Leistungen viele Arbeitnehmer veranlassen, die staatliche Versicherung zu verlassen. Dieses „Rosinenpicken" kann dazu fuhren, dass die staatliche BA ihr Leistungsspektrum verandem muss, wenn sie die Beitragssatze nicht erhohen will. Auf jeden Fall erscheint es sinnvoU, das Parallelsystem solange in Kraft zu lassen, bis die Altanspriiche abgewickelt sind; dies k5nnte beschleunigt werden, wenn Altvertrage an private Versicherungen abgegeben werden konnten.

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Eine private Arbeitslosenversicherung

Effizienzsteigemd und gleichzeitig zum Vorteil fur die Nachfrager konnte die Offnung dieses Marktes fiir intemationale, auch iiberseeische Wettbewerber sein. Eine solche Offnung miisste aus naheliegenden Griinden - etwa die Diensdeistungsfreiheit in der EU - mit dem Ende der Ubergangsphase gegeniiber alien Landem der EU ohnehin stattfinden; hier wurde sich zudem die gemeinsame Wahrung vieler EU-Mitglieder vertrauensbildend auswirken. Wer dennoch voller Misstrauen einem neuen System gegeniibersteht, kann nach Ablauf der Ubergangsphase auf den emeuten Abschluss einer Arbeitslosenversicherung verzichten und statt dessen fUr den Risikofall sparen oder seine geringe Risikoaversion zu erhohtem Konsum nutzen. Das Prinzip der Freiwilligkeit der Arbeitslosenversicherung gestattet jedem auch, erst abzuwarten und zu beobachten, ob das neue Trennsystem tatsachlich effizient ist.

2.2

Die beiden Kernprobleme privater Arbeitslosenversicherungen

Wer die Versicherungslosung praferiert, muss sich mit einer seit langem etablierten Argumentationskette auseinandersetzen. Sie besagt, dass ausgerechnet das Arbeitslosigkeitsrisiko nicht versicherbar sei.^^ Dabei kann man zwischen allgemeinen, fUr alle Versicherungsarten geltenden Problemen unterscheiden - Moral hazard und adverse Selektion - und besonderen, nur die Arbeitslosenversicherung betreffenden Problemen. Darauf basiert die folgende Unterteilung der Analyse zur Versicherbarkeit des Arbeitslosigkeitsrisikos. Vom Problem der Versicherbarkeit ist das der Ausubung gesetzlichen Zwangs zu trennen: Sollte es eine Versicherungspflicht fiir alle potentiell Arbeitslosen geben und zu welchen Bedingungen? Sollte es auf der anderen Seite bei den Versicherem einen Zwang zum Vertragsabschluss (Kontrahierungszwang) geben? Zum Teil stlitzt sich diese Diskussion, wie beim Problem der Versicherbar-

^^ In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die in Deutschland bestehenden „Versicherungsangebote" fur den Fall der Arbeitslosigkeit nicht als vollwertige Arbeitslosenversicherungen gelten konnen: Als „Private Vorsorge bei Arbeitslosigkeit" bezeichnet die „Volksfursorge Versicherungsgruppe" eines ihrer Angebote (vgl. dazu http://www.volksfuersorge.de/intemet/vfu/vfu.nsf/docs/beratung_rundumdieper son_beru ... vom 18.05.04). Das Angebot umfasst die Aufstockung des Arbeitslosengeldes von 60/67 Prozent (die das Arbeitsamt bezahlt) auf 90 Prozent des Nettolohns, offenbar ohne Einkommensobergrenze. Das Angebot ist in mehrfacher Hinsicht eingeschrankt, erfordert keine Risikopriifung und besteht wohl nur im Zusammenhang mit der staatlichen Zwangsabsichening. Eine Alternative zur bestehenden Arbeitslosenversicherung ist es daher nicht. Ahnliches gilt auch fur Angebote anderer Unternehmen, die etwa die Finanzierung von Immobilien und Pkws im Falle der Arbeitslosigkeit absichem.

2.2 Die beiden Kemprobleme privater Arbeitslosenversicherungen

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keit, auf die klassischen versicherungstechnischen Argumente des Moral hazard und der adverse Selektion. Diese Argumente sind daher in aller gebotenen Kiirze noch einmal aufzufuhren (Abschnitt 2.2.2). 2.2.1

Das Problem der Versicherbarkeit des Arbeitslosigkeitsrisikos

Bin groBes Gewicht bei der Frage der Versicherbarkeit haben die klassischen Versicherungsprobleme Moral hazard und adverse Selektion, die in der intemationalen Diskussion vorherrschend sind. Vor allem das Moral-hazard-Problem kann auf sehr unterschiedliche Art und Weise eine private Arbeitslosenversicherung in ihrer Funktionstuchtigkeit beeintrachtigen. Darauf ist im Einzelnen einzugehen. Zahlreiche Wirtschaftswissenschaftler vor allem im deutschsprachigem Raum begriinden ihre Skepsis gegeniiber der Versicherbarkeit des Arbeitslosigkeitsrisikos allerdings vor allem mit - der mangelnden UnabhSngigkeit der Arbeitslosigkeitsrisiken, - der mangelnden Quantifizierbarkeit des Arbeitslosigkeitsrisikos und - der prohibitiven Hohe der Pramienleistung, wie die Auswertung der einschlagigen Literatur in Ubersicht 4 im Anhang zeigt. Diese Einwande werden von alien Skeptikem - von Schonb^ck bis zum Sachverstandigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) weitgehend geteilt. Auf diese Standardargumente soil daher nachfolgend ebenfalls detailliert eingegangen werden. Die darUber hinausgehenden Argumente gegen eine private Versicherbarkeit des Arbeitslosigkeitsrisikos sind hingegen zum Teil hochst unterschiedlich. So gibt es die Frage, ob die Heterogenitat der potentiellen Versicherungsnehmer zum Problem fur eine private Arbeitslosenversicherung werden kann. Und Knappe (1995) zufolge scheitert der Ubergang zu privaten Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit an der in Deutschland bestehenden Regulierung des Arbeitsmarktes, die ein Moral-hazard-Verhalten begunstige. Knappe wurde die private wettbewerbliche Organisation der Arbeitslosenversicherung wohl fUr weitgehend problemlos halten, wenn man sich entschlieBen konnte, auch auf den Arbeitsmarkten Vertragsfreiheit einzufuhren. 2.2.1.1 Das Moral-hazard'Problem Das Moral-hazard-Problem (wie auch das Problem der adversen Selektion) kennzeichnet ein Grundproblem, vor denen jede Art von Versicherung - auch eine Arbeitslosenversicherung - steht. Eine einfache und empirisch angelegte

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Kapitell

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Erlauterung besagt: Moral hazard liegt vor, wenn nach Abschluss eines Versicherungsvertrages die Zahl der Schadensfalle zunimmt, der durchschnittliche individuelle Schadenswert steigt oder beides geschieht (Grubel 1971: 99 f.). Dem Moral hazard liegt ein Nutzenkalkiil zugrunde (Schlesinger 1994: 123): Solange Schadensverhiitung etwas kostet, lohnt es sich fur den Versicherungsnehmer, weniger Schadensverhiitung zu betreiben, wenn eine Versicherung den etwaigen Schaden abdeckt. Und: Je hoher die Versicherungssumme (und damit die Pramie) ist, desto weniger lohnt sich die Pravention fUr den Versicherungsnehmer. Amott und Stiglitz (1988) bezeichnen dies als „Substitutionseffekt". Gleichzeitig steigen mit sinkendenden individuellen Anstrengungen zur Schadenspravention die Ausgaben der Versicherung und entsprechend die Pramien.^^ Das ist der Grund, warum Rejda (1992) meint, dass Moral hazard potentiell in der Lage sei, aufgrund „zu hoher" Pramien das Entstehen einer Versicherung zu verhindem. Schlussiger argumentiert Faure (1995: 456), der die mangelnde Kontrollmoglichkeit des Moral hazard durch die Versicherungen als Ursache fur eine existenzbedrohende Diskrepanz zwischen Schadenshohe und Pramienleistung ausmacht. Damit gewinnt allerdings die Diskussion um das Moral hazard eine neue Dimension: Es ist die Nicht-Verifizierbarkeit des Verhaltens von Versicherungsnehmem, die eine Versicherung unmoglich machen kann, Diese Gedanken entsprechen weitgehend dem Stand der Literatur. Es fallt auf, dass es in alien Oberlegungen zum Moral hazard und zur Informationsasymmetrie der Versicherungsnehmer ist, der die Rolle des (potentiellen) „Schurken" spielt. Ist er das wirklich? Und was ist mit den iibrigen Teilnehmem am System? Moral hazard bei den Versicherungsnehmem Welche Aufwendungen zur Schadensverhiitung wird ein durchschnittlicher Arbeitnehmer unterlassen, sobald er eine Arbeitslosenversicherung abgeschlossen hat? Die unterlassene oder verringerte Schadenspravention konnte darin bestehen, dass der beschaftigte Versicherungsnehmer verstarkt auf Lohnanhebung pocht, in seinem Arbeitseifer nachlasst oder sich unangemessene Freiheiten am Arbeitsplatz herausnimmt. ^^ Oft wird „cheating", das heiBt Betrug, als wesentliches Merkmal des Moral hazard bezeichnet (Borch 1990: 317). Das freilich - weil Betrug strafbewehrt und damit teuer ist - diirfte nur dann eine entscheidende Rolle fiir das Moral hazard spielen, wenn mogliche Strafen nicht als Kosten in das Nutzenkalkul eingehen. Gemeint ist wohl eher, dass bei den Selbstauskiinften des Versicherten gegenuber dem Versicherer die Bandbreite zulassiger Antworten zum eigenen Vorteil ausgeschopft wird. Mit anderen Worten: Der Versicherungsnehmer nutzt Informationsasymmetrien zu seinen Gunsten aus, und das Beseitigen dieser Asymmetrien durch die Versicherung verursacht Kosten. Das Argument der asymmetrischen Information und ihrer Vermeidung unterliegt wiederum einem Nutzenkalkul und beruhrt im Regelfall nicht den Betrugstatbestand.

2.2 Die beiden Kemprobleme privater Arbeitslosenversicherungen Ob diese Verhaltensanderungen aufgrund einer Arbeitslosenversichening wahrscheinlich sind, ist eine offene Frage. Man darf wohl vermuten, dass sie fur die groBe Mehrheit der Arbeitnehmer keine Rolle spielen wurden. Leider gehen die Vertreter der Moral-hazard-These nicht naher auf die verringerten Aufwendungen zur Schadensvermeidung durch die Versicherungsnehmer ein. Von okonomischer Bedeutung mag sein, dass einzelne, nicht tarifgebundene Arbeitnehmer, mit der Gewissheit von Arbeitslosengeld im Hintergrund, riskantere und hoher bezahlte TUtigkeiten anstreben. In diesem Fall hatte die Arbeitslosenversichening womoglich positive gesamtwirtschaftliche Produktivitatseffekte - dann namlich, wenn das Kalkiil dieses Versicherungsnehmers aufgeht (vgl. auch Riirup 1990). Die Versicherung hatte hohere Kosten als ohne den Wechsel des Arbeitnehmers auf riskantere Tatigkeitsfelder. Zu fragen ist allerdings, ob auch arbeitslose Versicherungsnehmer einem Moral hazard ausgesetzt sind (Schafer: 2003, 46 f.). Ein Arbeitsloser muss bei Aufnahme einer neuen Beschaftigung wegen seiner vergangenen Arbeitslosigkeit mit einer hoheren Pramie rechnen; steigt damit der Akzeptanzlohn, dann kann die Bereitschaft zur Aufnahme von Arbeit sinken. Zwei Fragen stellen sich hier: Konnen die Versicherungspramien durch vergangene Arbeitslosigkeit prohibitiv hoch werden? Und steigt der Akzeptanzlohn wirklich? Zunachst: Vergangene Arbeitslosigkeit ist nur eine unter vielen Determinanten der Pramienhohe. Selbst wenn dieser Effekt erheblich ware, konnte er durch gegenlaufige Bewegungen bei anderen Determinanten korrigiert werden.^^ Was die Entwicklung des Akzeptanzlohns bei Arbeitslosigkeit anlangt, so mag dieser mit der Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld ansteigen. Am Ende der vereinbarten Versicherungszeit ist jedoch nicht mehr das Arbeitslosengeld die relevante BezugsgroBe des Akzeptanzlohns, sondem die Sozialhilfe, die restriktivere Bezugsbedingungen und ein geringeres Niveau aufweist. Damit sinkt der Akzeptanzlohn abrupt und spurbar. Mit anderen Worten: Der Arbeitslose wird bei rationalem Verhalten von Beginn an ein Barwertkalkul vomehmen, das den pramieninduzierten Anstieg des Akzeptanzlohns wirksam dampft. Es zeigt sich, dass das Moral-hazard-Problem, zumindest was die Versicherten angeht, von geringer Bedeutung sein diirfte. Die in der Literatur geauBerten Bedenken wegen dieser Art der Kostensteigerung erscheinen iibertrieben. Hinzu kommt, dass jede Versicherung von sich aus die individuelle Neigung zur Schadensvermeidung starken wurde, etwa durch Ruckkopplung der Pramien an vergangene Schadensverlaufe.

^^ Das Versicherungsmodell, das in Abschnitt 2.1.1 entworfen wurde, sieht zum Beispiel Selbstbindungsindikatoren vor, die aufgrund vergangener Arbeitslosigkeit steigende Pramien (mehr als) kompensieren konnen.

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Moral hazard bei den Arbeitgebem In den Vereinigten Staaten mag ein Moral hazard bei den Arbeitgebem den Gesetzgeber bewogen haben, das „experience rating" einzufiihren (vgl. dazu Abschnitt 3.2.2). Es sieht vor, dass die von Arbeitgebem zu zahlenden Pramien an die Inanspmchnahme der Arbeitslosenversichemng durch ihre (ehemaligen) Mitarbeiter gekoppelt sind; das Entlassungsverhalten schlagt sich mit kurzer zeitlicher Verzogemng in (relativ) niedrigen beziehungsweise hohen Pramien zur Arbeitslosenversichemng nieder. Das Beispiel der Vereinigten Staaten zeigt, dass das Moral hazard bei den Arbeitgebem eine Versichemng gegen Arbeitslosigkeit nicht notwendig Uberteuert und damit ausschlieBt. Es zeigt auch, dass es durchaus moglich ist, Anreize zu mehr Beschaftigung in ein System zur Einkommensabsichemng fur Arbeitslose einzubauen. Moral hazard bei der Arbeitslosenversicherung Dass die Schadenshaufigkeit nach Abschluss eines Vertrages aus Griinden steigt, die bei der Arbeitslosenversichemng zu suchen sind, ist, solange Wettbewerb besteht, kein sehr naheliegender Gedanke. Die Versichemng wird immer bestrebt sein, die Zahl der Schadensfalle so klein wie moglich zu halten, um - bei gegebener und vereinbarter Pramienhohe - ihren Gewinn zu maximieren und um bei variabler Pramienhohe - durch Preissenkungen ihre Wettbewerbsposition zu verbessem. Haufig gibt es auf Versichemngsmarkten jedoch keinen hinreichenden Wettbewerb. Ist der Zugang zum Markt fUr Arbeitslosenversichemngen behordlich kontrolliert, kommt dies einer Wettbewerbsbeschrankung gleich, die die Zahl der Anbieter und - wegen der damit einhergehenden Preis (Pramien-)erhohung - die Zahl der Versichemngskontrakte verringert. Da dies die Produzentenrente erhoht, sind behordlich kontrollierte (Versichemngs-)Markte oft durch gesetzliche Gewinnbeschrankungen gekennzeichnet. Diese Gewinnbeschrankungen ftihren ihrerseits weniger zu den erwarteten Preissenkungen, als vielmehr erfahmngsund theoriegemaB zu kUnstlichen Kostensteigemngen.^^ Unter diesen Bedingungen gibt es ein Moral hazard der Versichemngsanbieter, das sich in iiberhohten ^^ Die Mikrotheorie der Wirtschaftswissenschaften sagt fiir diesen Fall einen Ruckgang der nachgefragten Menge an Versicherungsvertragen voraus. Sind die Pramien allzu deutlich gestiegen oder uberhoht, wird die Offentlichkeit mit Forderungen nach Zwangsabschlussen oder, in einem Vorstadium, mit Forderungen nach dem Verbot auslandischer Versicherungsangebote zu rechnen haben. Denn auslandische Anbieter unterlagen fremden Rechtsordnungen und uberhaupt einem Wahrungsrisiko und seien daher dem Verbraucher nicht zuzumuten; auBerdem sei das Versicherungswesen eine so komplizierte und fur die Daseinsvorsorge der Menschen bedeutsame Materie, dass dem Burger die Freiheit der Auswahl nicht zugemutet werden konne.

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Pramien ausdriickt und sich damit, ahnlich wie das Moral hazard der Versicherungsnehmer, in pramienwirksam erhohten Kosten widerspiegelt. Anders als beim oft genannten Moral hazard der Versicherungsnehmer liegen diesem Fall allerdings keine realen Zuwachse der Schadensfalle zugrunde, vielmehr ist er von Behorden initiiert. Moral hazard bei den Tarifvertragsparteien Die Tarifvertragsparteien konnten auf die EinfUhrung privater Arbeitslosenversicherungen mit einer Zunahme der Schadensfalle reagieren. Sie haben dann weniger Anlass, die Folgen ihrer Tarifpolitik auf den Arbeitmarkten zu beriicksichtigen. Das Besondere an diesem Moral hazard besteht darin, dass es nicht die Versicherungsnehmer sind, die ihre Aufwendungen zur Schadensvermeidung aus guten okonomischen Griinden verringem, sondem dass Dritte durch ihr Handeln zusatzliche Schaden fiir die Versicherten in Kauf nehmen. Dass diese Art des Moral hazard fiir bedeutsam gehalten wird, zeigen die Analysen Rischs (1980; 1983: 124 ff.). Dennoch ist auch hier die Frage nach der empirischen Relevanz dieser Variante des Moral hazard zu stellen. Und auch hier sind statistische Erhebungen, ebenso wie bei den vorgenannten Moral hazard, nicht vorhanden. Zwar gibt es okonometrische Schatzungen dariiber, welchen Einfluss eine Lohnanderung auf die Zahl der Arbeitsplatze hat,^^ doch durfte Moral hazard nur einer von zahlreichen Einflussfaktoren der Tarifpolitik sein. Es ist zu vermuten, dass diese Art des Moral hazard von einem System der Arbeitslosenversicherung begUnstigt wird, in dem es keine Ruckkopplung zwischen individueller Schadenshaufigkeit und individueller Pramie gibt. Die von Hayek (1971: 351) beschriebene friihe Rolle der Gewerkschaften als „friendly societies" (zum Beispiel in Gestalt der Unterstutzungskassen der Arbeiter) wUrde ebenfalls ein solches Moral hazard vermeidenhelfen.^^ Moral hazard bei den Politikem Politiker spielen dann eine Rolle bei der Arbeitslosenversicherung, wenn sie Regeln zur Ordnung des Marktes aufstellen oder Regeln andemorts festlegen, die auf die Arbeitslosenversicherung Einfluss haben. Es kommt zu „funktionslosen" Pramienerhohungen, wenn die Anbieter auf diesen Markten kontrolliert werden Oder wenn Anreize gesetzt werden, die die Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer einschranken. Anreize, die die Arbeitslosigkeit unmittelbar erhohen, sind 35

Zu nennen sind etwa neuere Arbeiten von Fitzenberger (1999) so wie Buslei und Steiner(1999). 36 Die gewerkschaftlichen Unterstutzungskassen der Arbeiter im Deutschen Reich um 1890 boten fur ihre Mitglieder im Falle der Arbeitslosigkeit finanzielle Leistungen an, die allerdings nicht einklagbar waren (vgl. etwa Jastrow und Badtke 1918).

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zum Beispiel eine gesetzliche Mindesthohe (oder -dauer) von Arbeitslosengeld Oder die Festlegung einheitlicher beziehungsweise ausschlieBlich einkommensabhangiger statt risikobestimmter Pramien. Das Moral hazard bei den Politikem besteht also eigentlich darin, Moral hazard bei den Versicherungsnehmem und Versicherungsanbietem zu provozieren, indem marktmaBige Reaktionen auBer Kraft gesetzt werden. Daher ist der Ursprung des Hazardspiels in den genannten Fallen bei den Politikem zu suchen, die sich nicht ganz ohne Eigeninteresse einmischen. Schlussfolgerungen Grundsatzlich ist jede Art von Versicherung dem Moral hazard ausgesetzt. Allerdings zeigt sich, dass die Versicherungsnehmer von sich aus wenig Anlass haben, nach Abschluss einer privaten Arbeitslosenversicherung die Aufwendungen zur Schadensvermeidung zu senken. Bei ihnen wie auch bei einem vorstellbaren Moral hazard der Arbeitgeber reichen die moglichen kostentrachtigen Ruckkopplungen aus, um Moral hazard wirksam zu verhindem. Bei den anderen relevanten Akteuren sind es stets die besonderen politisch zu verantwortenden Rahmenbedingungen, die Moral hazard hervorrufen; das bedeutet, dass Moral hazard bei entsprechenden Anderungen dieser Bedingungen kein Hindemis fur private Arbeitslosenversicherungendarstellt. 2.2.1.2 Das Problem der adversen Selektion Adverse Selektion beschreibt den Prozess einer standigen Verschlechterung des aggregierten Risikos je Versicherten, das in der Gesamtheit aller Versicherten inkorporiert ist. Die „widrige Auswahl" beinhaltet, dass gute Risiken entweder gar keine Versicherung abschlieBen oder im Zeitablauf mehr und mehr gute Risiken die Versicherung aufkUndigen (vgl. dazu auch Borch 1990: 322 ff.). Das Modell „ optimaler Kohortenbildung " Adverse Selektion ist ein Problem aller Versicherungen, unabhangig von der Tragerschaft und von gesetzlichen Bestimmungen. Jede Versicherung umfasst eine Bandbreite von Risiken, wobei grundsatzlich die guten Risiken die weniger guten subventionieren. Ein solches System ist auf Dauer nur funktionsttichtig, wenn die guten Risiken a priori nicht genau wissen, dass sie gute Risiken sind, Informationen also unvollstandig sind (Faure 1995: 457 f.). Ex posteriori gute Risiken werden giinstigere Versicherungsbedingungen verlangen^^ und, im Er"^^ Auch der Wechsel in eine gunstigere Kohorte von Versicherten andert nichts an dem Prinzip, dass innerhalb jeder Kohorte die guten Risiken die weniger guten finanzieren. Doch mag es sein, dass es nach dem Wechsel eine groBere Ungewissheit iiber

2.2 Die beiden Kemprohleme privater Arheitslosenversicherungen folgsfall, die eigenen Pramien verringem; falls sie keine gunstigeren Bedingungen erhalten, werden sie diesen Versicherungsvertrag kiindigen und vielleicht ein anderes Versicherungsuntemehmen wahlen - sofem Wettbewerb auf diesem Versicherungsmarkt herrscht. Gibt es keinen Wettbewerb, ersetzen diese guten Risiken ihren gekiindigten Versicherungsvertrag durch Erspamisbildung. Das bedeutet, dass Versicherungen auf Dauer nur uberleben konnen, wenn sie Kohorten unterschiedlicher Risiken bilden; das optimale AusmaB der Kohortendifferenzierung wird dabei vom subjektiven Empfinden der Versicherten bestimmt. Es ist dann erreicht, wenn die Versicherten nicht mehr feststellen konnen, ob sie zu den guten oder den schlechten Risiken ihrer Kohorte gehoren; dann ist auch der Prozess der „widrigen Auswahl" beendet (was die Versicherung statistisch an der Entwicklung der Austritte der guten Risiken beobachten kann). Das Modell unterschiedlicher Deckungsgrade Anders als dieses Modell der optimalen Kohortenbildung, die bei Wettbewerb tendenziell von jedem Versicherungsuntemehmen angestrebt wird, ist die Losung des Problems der adversen Selektion bei Rothschild und Stiglitz (1976): Versicherungen bieten voile Deckung zum Preis der schlechten Risiken an und eine partielle Deckung zum Preis der guten Risiken. Statt diesen Trick zu durchschauen, kaufen (bei Rothschild und Stiglitz) die schlechten Risiken die teurere Police mit voller Schadensdeckung und die guten Risiken die andere Police. Grund dafur sind die Modellannahmen: Der als „self selection" (Schlesinger 1994: 128) bezeichnete Prozess bedeutet in der Tat, dass alle schlechten Risiken "... freiwillig den teuren Versicherungsvertrag mit voller Schadensdeckung [wahlen] und alle guten Risiken... den billigen Vertrag... mit partieller Deckung" (Schlesinger 1994: 128 ff.). Das Modell der ^pooling contracts " Ein „pooling contract" liegt vor, wenn beide Risikogruppen den gleichen Versicherungsvertrag erhalten und eine gleiche Pramie zahlen, die als (gewogener) Durchschnitt aus den Pramien der guten und der schlechten Risiken errechnet wird. Der Versicherungsanbieter kann dann die Verluste, die die schlechten Risiken mit sich bringen, durch die Gewinne aus den guten Risiken gerade ausgleichen (Schlesinger 1994: 130 ff.). Unausgesprochen steht hinter diesen „pooling contracts" die Vorstellung einer Zwangsversicherung. Wie sonst ist es zu erkladas eigene Risiko gibt. Mit anderen Worten nahert sich das apriorische Risiko mit zunehmender Risikodifferenzierung dem exposteriorischen, bis ein Gleichgewicht dort erreicht ist, wo der diagnostische und prognostische Unscharfebereich zumindest fur die Versicherten hinreichend ausgepragt ist.

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ren, dass bei Wettbewerb zwischen Versicherungsanbietem die guten Risiken uberhohte Pramien zahlen? Mit anderen Worten: Solange es keinen Zwang zum Versicherungsabschluss gibt, verursacht dieses Modell adverse Selektion, statt sie zu verhindem. Es funktioniert bei Schlesinger wohl nur deshalb, weil auch hier die Annahmen (zum Beispiel „Risikoaversion erster Ordnung" - das heiBt: strenge Risikoaversion) okonomisch intelligente Reaktionen bei den Wirtschaftssubjekten ausschlieBen. Schlussfolgerungen Insgesamt gesehen ist adverse Selektion ohne Frage ein strukturbestimmendes Merkmal aller Versicherungen. Sie fuhrt zur Bildung von Risikogruppen; dabei setzt sich die Ausdifferenzierung so lange fort, bis die Versicherungsnehmer zufrieden sind, das heiBt, der Meinung sind, dass die Schadenswahrscheinlichkeit, gewogen mit der Schadenshohe, dem entspricht, was als Pramie zu zahlen ist. Fur die Herstellung dieser optimalen Struktur ist adverse Selektion geradezu die Voraussetzung; sie beseitigt sukzessive das Problem der unvoUstandigen (asymmetrischen) Information, vor dem die Versicherungsanbieter stehen. Die Modelle von Rothschild, Stiglitz und Schlesinger sind dagegen kaum geeignet, das Verhalten von Versicherungsnehmem richtig zu antizipieren; ihre Schemata der Quersubventionierung sind bei Wettbewerb unwirksam. Dies gilt fUr alle Arten von Versicherungen, besonders aber fur die Arbeitslosenversicherung. Denn die schlechten Risiken der Arbeitslosenversicherung sind wohl im Regelfall gerade solche Versicherungsnehmer, deren Budget relativ klein ist. Wieso es ausgerechnet diese schlechten Risiken mit obendrein begrenztem Budget sind, die vollen Versicherungsschutz nachfragen, bedarf einer besonderen Begriindung. Auch ist unerfmdlich, wieso die guten Risiken - das sind im Falle der Arbeitslosenversicherung die relativ produktiven, gut verdienenden Arbeitnehmer - freiwillig eine uberhohte Pramie zahlen, die den schlechten Risiken zugute kommt. 2.2.1.3 Zur mangelnden Unabhangigkeit der Risiken Wenn Risiken nicht voneinander unabhangig sind, bedeutet dies, dass von Zeit zu Zeit die Arbeitslosigkeit gehauft auftritt; die Versicherungskosten sind - von Zeit zu Zeit - pro Zeiteinheit hoher, als es bei voneinander unabhangigen Risiken der Fall ware. Vier Falle von verbundenen Risiken sind bei der Arbeitslosigkeit bedeutsam: (1) Typischerweise wird hier die konjunkturelle Arbeitslosigkeit genannt; ein Extremfall durfte die saisonale Arbeitslosigkeit sein. Unterstellt man einmal die Richtigkeit des Vorgetragenen, so bedeutet dies zunachst, dass die Versicherungspramie von Zeit zu Zeit - das heiBt im Konjunkturtal - aufgrund gestiege-

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ner Kosten hoher sein miisste und im Konjunkturhohepunkt niedriger. Eine private Versicherung wurde durch einen intertemporalen Ausgleich eine konstante Pramie erreichen konnen. Wenn das konjunkturdurchschnittliche Kostenniveau der Arbeitslosigkeit aufgrund der unterstellten Verbundenheit der Risiken hoher ware als bei unabhangigen Risiken, waren demnach die konjunkturdurchschnittHchen Pramien hoher^^ (ahnUch auch Knappe 1995). (2) Eine zweite Art von verbundenen Risiken wird als Infektionsrisiko (Schonback 1980: 57 f.) bezeichnet. Es ist ebenfalls intertemporaler Natur und besagt, dass ein Risiko in t^ beeinflusst wird vom gleichen Risiko in ^Q; als Beispiel wird ein schadHngsbedingter Emteausfall in t^ genannt, dessen Ursachenbekampfung in t^ auch die Emte in t^ beeintrachtigt. Dieser Fall ist fUr die Arbeitslosigkeit nicht ohne Relevanz: Wenn etwa die Arbeitslosigkeit in t^ die Tarifparteien veranlasst, durch die Vereinbarung ungewohnlich niedriger Lohne die Beschaftigung zu stimulieren, und wenn dann im anschlieBenden Aufschwung die Gewerkschaften zur Kompensation der vorangegangenen Lohnzugestandnisse einen Lohnzuschlag verlangen, der dann die nachste Arbeitslosigkeit einleitet, konnte man von einem verbundenen Risiko sprechen. Ein solches „infektioses Verhalten" der Tarifpartner ist freiUch nur moglich, wenn die Vertragsfreiheit auf den Arbeitsmarkten eingeschrankt ist; denn sonst ware ein Arbeitslosigkeit induzierender Lohnaufschlag nicht durchsetzbar. Bei diesem Infektionsrisiko handelt es sich also nicht ursachUch um ein die private Versicherbarkeit ausschlieBendes Wesensmerkmal der Arbeitslosigkeit, sondem um vom Staat zwangsweise aufrechterhaltene Regeln. Sofem die Vertragsparteien fiir Risiken verantwortlich gemacht werden, deren - hier durchaus mogliche - Vermeidung die Rechtslage untersagt, kann man in der Tat von nichtversicherbaren Risiken sprechen. Die pareto-optimale Losung des Problems ware allerdings sicher nicht die steuerfmanzierte Kompensation der Arbeitslosen, sondem die Herstellung von Vertragsfreiheit (vgl. auch Knappe 1995).^^ (3) Die Risiken der Arbeitslosigkeit konnen auch derart verbunden sein, dass die Arbeitslosigkeit einer Person im Zeitpunkt t^ direkt zur Arbeitslosigkeit einer zweiten Person in t^ fuhrt. Dies ist kein (intertemporales) Konjunktur- und auch kein Infektionsproblem, wie oben beschrieben, sondem typischerweise ein Pro^^ Hartmann (1998) fuhrt zusatzlich die (mogliche) Asymmetric der Konjunkturzyklen an, die einer Versicherungslosung im Wege sttinde; auch sei die Startfinanzierung fur die notigen „Schwankungsfonds" zu teuer. Beides ist wenig uberzeugend, solange die Asymmetric - einmal unterstellt, sie bestunde - systematisch auftritt und die Versicherungsleistungen an eine bestimmte Dauer der vorherigen Laufzeit des Vertrages gekniipft werden. ^^ Beenstock (1986) etwa ist der Auffassung, dass verbundene Risiken eine Versicherbarkeit nur ausschlieBen, wenn die Risiken vollkommen positiv korreliert sind („perfectly positively correlated"; Beenstock 1986: 11), und das sei bei der Arbeitslosigkeit nicht der Fall.

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blem, das mit der Produktionsfunktion der Untemehmen (oder der Volkswirtschaft) zusammenhangt. Es beschreibt die Auswirkungen des Strukturwandels, wenn zum Beispiel Vorlieferanten arbeitslos werden, well der intemationale Wettbewerb oder der technische Fortschritt oder der langfristige Wandel der Nachfrage die Abnehmer ihrer Produkte arbeitslos macht. Eine Versicherung wird auch in diesem Falle nicht unmoglich gemacht, vielmehr konnen strukturelle Eigenschaften, wie sie in den Produktionsfunktionen zum Ausdruck kommen, durchaus in das individuelle Risikoprofil fiir jeden Arbeitnehmer eingehen und damit in die Hohe der von ihnen zu zahlenden Pramien (vgl. ahnlich Barr 1987: 114 f. und anders Schonback 1988: 52 ff.). (4) Der auBerste Grad an Verbundenheit der Arbeitslosigkeitsrisiken tritt im Rahmen von groBen Wirtschaftskrisen (Schonback 1988: 55) auf. Das Argument der Nichtversicherbarkeit wurde besagen, dass derartige einmalige Spitzenrisiken von Versicherungen nicht abgedeckt werden konnten, weil dazu die Pramien nicht ausreichten (und weil es an der Vorhersehbarkeit derartiger Krisen mangele). Dieses Argument entspricht demjenigen in der Alterssicherung, dem zufolge ein Umlageverfahren bei exogenen Storungen ineffizient sei: Wenn Beitragszahler ausfallen oder Transferempfanger aufgrund von Anderungen der Gesetzeslage mehr Geld erhalten, gerat das Umlageverfahren in Schwierigkeiten. Die Arbeitslosenversicherung ist einem Umlageverfahren vergleichbar; auch hier miissen auf mittlere Sicht die Pramieneinnahmen die Versicherungsauszahlungen decken. Doch ist die groBe Wirtschaftskrise kein Uberzeugendes Argument gegen die Moglichkeit privater Versicherungen: „... insurers ... should be more wary of saying that risks are uninsurable when the scale of the damage is extremely high ... there are enough insurance techniques to provide coverage for high risks ..." (Faure 1995: 459). Der Hinweis auf die „techniques" ist treffend. Es gibt keine Vorschrift, der zufolge alle Risiken der Arbeitslosigkeit fiir alle Betroffenen zu lOOProzent abzudecken sind. Auch eine staatliche Zwangs-Arbeitslosenversicherung ware damit in groBen Wirtschaftskrisen iiberfordert und muss auf „exteme Ressourcen" (Steuermittel) zuriickgreifen (Schafer 2003: 45). Sowohl das Beispiel der Weimarer Republik als auch die heute Ublichen Anpassungen an verschlechterte wirtschaftliche Rahmenbedingungen in der Alterssicherung wie in der Arbeitslosenversicherung zeigen, dass es gerade staatliche Zwangsversicherungen sind, die regelmaBig mit Leistungskurzungen und Pramienerhohungen reagieren (vgl. die Abschnitte 3.1.2 und 3.1.4 sowie Glismann und Horn 1997: 50 ff.). 2.2.1.4 Zum unbekannten Ausmafi des Arbeitslosigkeitsrisikos Als unbekannt werden hier die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Arbeitslosigkeit angesehen sowie die zu erwartende Hohe des damit verbundenen Schadens

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bezeichnet. Es ist keine Frage, dass ein Risiko, das solchermaBen nicht kalkulierbar ist, nicht versichert werden kann. Ein privater Versicherungsanbieter wurde ein „unkalkulierbares" Risiko nicht eingehen wollen. Allerdings sollten die beiden Argumente auseinandergehalten werden: (1) Was die unbekannte Wahrscheinlichkeitsverteilung der Risiken anlangt, so stellt sich die Frage, ob dieser Einwand gegen die Versicherbarkeit fiir sich genommen tragt. Sollte die personelle Verteilung gemeint sein, so ist die Unbekanntheit des Risikos die grundlegende Voraussetzung fiir eine Versicherung; ware bekannt, welches individuelle Risiko wann eintritt, wiirde eine Versicherung nicht zustande kommen - allenfalls ein Sparvertrag. Auch werden die statistischen Informationsmoglichkeiten und wiederum die Techniken des Versicherungsgewerbes unterschatzt. Uber Arbeitslosigkeit gibt es fiir alle entwickelten Volkswirtschaften ausfiihrliche Statistiken und lange Zeitreihen; zahlreiche staatHche und nichtstaatliche Organisationen erstellen standig Prognosen der wirtschaftlichen Entwicklung, zu der auch die Arbeitslosenquote gehort. AuBerdem ist die Arbeitslosigkeit nach zahllosen Risikomerkmalen disaggregiert bekannt, etwa nach Branchen oder Berufsgruppen, nach Regionen oder Qualifikationen. Und nicht zuletzt muss, wer eine Versicherung abschliefien mochte, dem Versicherungsanbieter seine personliche Erwerbsbiographie offen legen. Insgesamt diirfte ein privater Versicherungsanbieter in jedem Einzelfall eines zu Versichemden eine recht prazise Prognose der individuellen Risiken, arbeitslos zu werden, machen konnen. (2) Was das unbekannte AusmaB der Versicherungsleistungen anlangt, so ist zumindest zu priifen, ob dariiber hinaus die vertragliche Gestaltung der Versicherung nicht ein hinreichend absichemder Aktionsparameter ist. In der praxisnahen Literatur wird darauf verwiesen, dass dieses AusmaB durchaus quantifizierbar ist: „A third pseudo-justification (of social insurance, d. Verf.) is that there can be no actuarial basis for determining unemployment insurance premia, particularly because unemployment as a whole is too volatile, so that the risks are uninsurable. Our research shows that this assumption is false: it is feasible to define unemployment risk classifications ..." (Beenstock 1986: 11) und dass Versicherungsleistungen durch Vertrag relativ einfach zu definieren sind (Kohlmann 1996: 382). 2.2.1.5 Zur prohibitiven Hohe der Prdmien Es wird gesagt, dass eine zu groBe Zahl potentieller Nachfrager einer Versicherung gegen Arbeitslosigkeit iiber ein zu geringes Einkommen verfiige, um die erforderlichen PrSmien zu zahlen (Schonback 1988: 49). Was hier gemeint ist, ist sicherlich nicht die absolute Pramienhohe der Bezieher niedriger Einkommen;

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denn um ein niedriges Einkommen abzusichem, brauchte es auch nur eine absolut niedrige Pramie. Gemeint ist wohl vielmehr, dass die Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Arbeitslosigkeit signifikant negativ mit der Einkommenshohe korreliert, so dass selbst die Absicherung geringer Einkommen relativ teuer ist. Hinter diesem Einwand von der zu hohen Pramie steckt die Vorstellung, dass die Versicherung gar keine sein soil, vielmehr wird eine Einkommensumverteilung verlangt. Fur Einkonmiensumverteilungen aber ist gemeinhin der Staat zustandig. Umverteilung hat weder mit Versicherung noch mit der Versicherbarkeit zu tun: Sie ist eine (staatliche) Leistung ohne Gegenleistung. Versicherungen dagegen bieten Dienstleistungen gegen Bezahlung an. Das Argument prohibitiv hoher Pramien besagt letztlich, dass die Zahl der Versicherungsnachfrager kleiner sein wird als die Zahl der Erwerbspersonen insgesamt."*^ Die Versicherbarkeit bleibt fUr diese Versicherungsnachfrager unberiihrt. Zu vermuten ist, dass nur ein relativ kleiner Teil der Bevolkerung der staatlichen Umverteilung durch Sozialhilfe bedarf und dass die Mehrzahl der Erwerbstatigen tolerable Pramien ftir eine private Arbeitslosenversicherung zahlen wUrde, zumal diese keine Umverteilungselemente zugunsten sozial Schwacher mehr enthielte. So ist dieses Argument ebenso wie die zuvor genannten Argumente gegen die Versicherbarkeit des Risikos der Arbeitslosigkeit eher abstrakter Natur. Ein Okonom wiirde vermuten, dass eine Versicherung stets dann zustande kommt, wenn ein Versicherungsanbieter und ein Nachfrager sich iiber Leistung und Gegenleistung einigen konnen. Versicherungen selbst sehen das ahnlich. So berichtet z.B. Borch (1990: 316) von einem Versicherungsabschluss in England, dessen Gegenstand das Einfangen des Ungeheuers von Loch Ness war.^^ Der Fall zeigt, dass sogar Katastrophenfalle versicherbar sind und dass das fehlende Wissen Uber die H5he des Risikos den Versicherungsabschluss nicht verhindert. Das Loch-Ness-Beispiel und viele andere Beispiele aus der Versicherungswirtschaft belegen, dass Faure (1995: 459) recht hat: Jedes Risiko ist versicherbar, solange es nur einen Anbieter und einen Nachfrager dieser Versicherung gibt. Allerdings dUrfte sich die Einigung beider iiber die zu zahlenden Pramien schwierig gestalten, wenn der Preis zu hoch wird. Das kann dann der Fall sein, wenn Moral hazard und adverse Selektion eine bedeutsame Rolle spielen. Diese beiden Argumente sind es letztlich, die den Kern der Versicherbarkeit beriihren. ^" Es ist zu vermuten, dass diejenigen, die wegen der prohibitiven Hohe der Pramien keinen Versicherungsschutz batten, weil sie zu einkommensschwach sind, auch im bestehenden staatlichen System der Arbeitslosenversicherung keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hatten. Vgl. hierzu Abschnitt 5.1.2. ^^ Eine Whisky-Brennerei hatte im Jahr 1971 eine Million britische Pfund fur das Einfangen des Ungeheuers von Loch Ness ausgelobt. Offenbar hielt sie das Risiko, eine Million Pfund zu verlieren, fur so hoch, dass sie eine Versicherung (fur eine Pramie von 2 500 Pfund) abschloss.

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2.2.1.6 Zur Heterogenitdt derpotentiellen Versicherungsnehmer Einer der bedeutenderen Versicherungsexperten aus den Vereinigten Staaten, und zwar Rejda (1992), bringt einen weiteren Einwand gegen die Versicherbarkeit des Arbeitslosigkeitsrisikos. Risiken seien nur versicherbar, wenn es eine groBe Zahl homogener Versicherungsnehmer gebe; Arbeitnehmer seien in Bezug auf die Qualifikation zu unterschiedlich. Rejda nennt als Beleg vier unterschiedliche Qualifikationsklassen („unskilled, semi-skilled, skilled, professional"). Das von Rejda genannte Kriterium der Homogenitat mag durchaus den hypothetischen Idealfall der Versicherbarkeit kennzeichnen. In der Versicherungspraxis allerdings stellt dieser Idealfall allenfalls eine Ausnahme dar. Im Regelfall geht es bei Versicherungen um heterogene Objekte, deren Verlust oder Schaden abgesichert wird. Haufiger als Versicherungen homogener Objekte diirfte es Versicherungen einmaliger Objekte geben - unabhangig davon, ob es sich um Gegenstande (seltener Schmuck, Antiquitaten etc.) handelt oder um besondere Menschen (wie z.B. die Stimme von Marlene Dietrich, die mit 1 Mill. US Dollar von der Filmindustrie versichert wurde).^^ Auch schlieBen sich die bislang genannten Gegenargumente einander zum Teil aus. So beruhen die oben genannten Einwande gegen die Versicherbarkeit des Arbeitslosigkeitsrisikos zum Teil auf der zu groBen Homogenitat der Versicherungsnehmer - wie etwa das konjunkturelle Arbeitslosigkeitsrisiko. Zudem ist die Bildung von in sich weitgehend homogenen Risikoklassen eine Versicherungstechnik, nicht aber ein Kriterium der Versicherbarkeit. Akzeptiert man dennoch die Argumentation Rejdas, so stellen die von ihm genannten vier Qualifikationsklassen jede fur sich eine „versicherbare" homogene Gruppe von Beschaftigten dar.

2.2.2

Das Problem der Zwangsmitgliedschaft

In der Literatur zur Organisation der Arbeitslosenversicherung wird durchweg die Zwangsmitgliedschaft mit entsprechenden Zwangsbeitragen zur Finanzierung einer Absicherung gegen Arbeitslosigkeit beschrieben. Bemerkenswerterweise wird im Regelfall darauf verzichtet, den Zwang naher zu begriinden. Und wenn einmal eine Begriindung gegeben wird, besteht diese in dem Hinweis auf Moral-hazard-Probleme, die sich ohne Zwangsmitgliedschaft ergeben oder einstellen wurden (z.B. Berthold 1999 und Giersch 1999). Breyer et al. (2004) fanden hierauf eine uberzeugende Entgegnung: Die Anwendung vom Zwang ist solange nicht einzusehen, wie es um die Absicherung von Einkommensrisiken

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http://www.bankrate.com^vm/news/user/200204wa.asp?print=on vom 02.04.2004.

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oberhalb der Sozialhilfe geht; und auf dem Niveau der Sozialhilfe wurden Zwangsbeitrage nur eine Art von Sondersteuer fur Arbeitnehmer sein (Breyer et al. 2004: 43). Im Folgenden wird versucht, den Begriindungen fur ein obligatorisches System der Arbeitslosenversicherung nachzugehen. Die Herangehensweise entspricht derjenigen, die zum Problem der Versicherbarkeit angewendet wurde. So steht am Anfang die Moral-hazard-Begriindung einer Zwangsmitgliedschaft, untergliedert nach den potentiellen Tragem des Moral hazard. Dem schlieBt sich die Betrachtung zweier weiterer Begriindungen einer Zwangsversicherung an: adverse Selektion und Trendphanomene. 2.2.2.1 Moral hazard Als ursachlich ftir die Austibung von Zwang wird in der Sozialpolitik stets das Moral hazard gehalten. Weil es Moral hazard gebe, miissten alle Arbeitnehmer in die Arbeitslosenversicherung eintreten, denn sonst wurden einige wenige die anderen vielen ausbeuten; diese Ausbeutung fande deshalb statt, weil es das soziale Netz der Sozialhilfe gabe und, moglicherweise, weil Arbeitslosigkeit fiir sich genommen der Gesellschaft - uber die steuerfmanzierte Sozialhilfe hinaus - weiteren Schaden zufUgen wiirde."*^ Es ist sinnvoll, zwischen verschiedenen Arten dieses Moral hazard zu unterscheiden und zu fragen, ob die jeweilige Art einen Zwang begriinden wurde. Kriterium dieser Unterscheidung sollen die potentiellen Hasardeure sein. Hier kommen wieder folgende Gruppen in Frage: die (zu versichemden) Arbeitnehmer, die Arbeitgeber, die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbande, die Versicherungen und die mit Sozialpolitik befassten politischen Entscheidungstrager. Moral hazard bei den Arbeitnehmem Unterliegt die Entscheidung uber den Abschluss einer Arbeitslosenversicherung dem freien Willen des Einzelnen, so wird es stets Arbeitnehmer geben, die auf eine solche Absicherung verzichten. Sie waren im Falle der Arbeitslosigkeit darauf angewiesen, Erspamisse zu verzehren, das heiBt Vermogen aufzulosen oder auf Transfers von Verwandten und Freunden zu hoffen. Dies ware gemeinhin Anreiz genug, eine solche Versicherung abzuschlieBen oder alles Erdenkliche zu ^^ Ganz offensichtlich ist das hier angefuhrte Moral hazard nicht identisch mit dem Moral hazard der Versicherung, das im Abschnit 2.2.1.1 diskutiert wurde. Jenes besagt, dass der Abschluss eines Versicherungsvertrags zu einem Anstieg der versicherten Schaden fuhrt, dass also ein Versicherungsnehmer die ubrigen Versicherungsnehmer „ausbeutet**. Dagegen ist das hier zu diskutierende Moral hazard versicherungsunabhangig; es beschreibt die Ausbeutung der Gesellschaft durch wenige aufgrund von Regulierungen (hier aufgrund der Sozialhilfe).

2.2 Die beiden Kemprobleme privater Arbeitslosenversicherungen tun, um den Zustand der Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Doch hat jeder, der nicht in der Lage ist, fur seinen Unterhalt zu sorgen, in Deutschland Anspruch auf Sozialhilfe (zu den Einzelheiten siehe z.B. Boss 1999). Dies beriihrt das Moral-hazard-Problem: Einigen erscheint es lohnend, sich auf die Zahlungen der Sozialhilfe zu verlassen; im Grenzfall bietet diese Hilfe Anreize, nicht mehr zu arbeiten44 Es ist zu vermuten, dass diejenigen, die freiwillig keine Beitrage zu einer Arbeitslosenversicherung leisten wiirden, idealtypisch aus zwei Kohorten bestehen. Die eine Kohorte hat ein relativ hohes Grenzprodukt der Arbeit, oft auch Vermogen, ist voller Leistungsbereitschaft und schlieBt fur sich selber ein Arbeitslosigkeitsrisiko aus; eine etwaige kurzfristige Sucharbeitslosigkeit stellt kein finanzielles Problem dar. Diese Gruppe zwangszuversichem wUrde bedeuten, sie mit einer Steuer zu versehen, um andere zu finanzieren. Die andere Kohorte hat ein relativ niedriges Grenzprodukt, kaum Vermogen, eine geringere Leistungsbereitschaft und schlieBt ein Arbeitslosigkeitsrisiko fur sich selber nicht aus; sie ware bereit, im Risikofalle Sozialhilfe zu beziehen, das heiBt, sie ware ebenfalls nicht bereit, freiwillig in die Arbeitslosenversicherung Beitrage zu zahlen."^^ Ein Weiteres kommt hinzu: Eine private Versicherung wUrde sich iiber kurz Oder lang gezwungen sehen, Risikoklassen fiir die Beitragszahler zu bilden. In diesen Klassen waren die Beitrage fiir die beschriebene erste Gruppe auBerordentlich niedrig - sofem die Selbsteinschatzungen richtig sind - und fiir die zweite Gruppe auBerordentlich hoch. In Prozent der jeweiligen Durchschnittseinkommen der Gruppen ausgedriickt, wiirden die Pramien der ersten Gruppe nahe null liegen, in der zweiten Gruppe einen groBen Anteil des Einkommens ausmachen. Zumindest fiir die Letzteren ware die daraus resultierende Belastung ganz offensichtlich zu hoch. Der Gedanke ist naheliegend, iiber Zwangsbeitrage die Beschaftigten aus der ersten Gruppe (wie auch die Beschaftigten mit versicherungstechnisch durchschnittlichen Merkmalen) zu verpflichten, einen Teil des

^^ Die in Abschnitt 2.1.3.6 dargestellten Modelle einer „aktivierenden Sozialhilfe" waren allerdings geeignet, von der Sozialhilfe ausgehende Missbrauchsmoglichkeiten einzudammen. ^^ Die zahlenmaBige GroBe dieser zweiten Gruppe hangt von der H5he und der Art der Sozialhilfe ab. In dem Extremfall, dass es keine Sozialhilfe gabe, ware die Anzahl vermutlich nahe null. Im anderen Extremfall der (sicher nicht finanzierbaren) Sozialhilfe auf dem Einkommensniveau leitender Beamter wiirden wohl alle Beschaftigten auf eine Arbeitslosenversicherung verzichten und im Zweifel die Sozialhilfe sogar der Arbeit vorziehen. Mit anderen Worten: Die Sozialhilfe schafft im Wesentlichen die Probleme des Moral hazard, und die Hohe der Sozialhilfe bestimmt das AusmaB dieser Probleme (ahnliches gilt im Ubrigen fiir andere soziale Sicherungssysteme, wie das der Alterssicherung). Die Sozialhilfe ist fiir die Diskussion der Arbeitslosenversicherung jedoch exogen vorgegeben.

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Kapitell

Eine private Arbeitslosenversicherung

Risikos fiir die zweite Gruppe zu ubemehmen und damit die schlechten Risiken zu subventionieren. Das heiBt: Eine Zwangsversicherung wurde ausschlieBlich dazu dienen, Einkommen von vielen Versicherten zu wenigen Versicherten (mit anderen strukturellen Merkmalen) umzuverteilen. Es ist daher die Frage nach dem richtigen Assignment zu stellen, das heiBt nach der richtigen Zuordnung von Politikvariablen zu bestinimten angestrebten Zielen. Es scheint unter Okonomen gangige Auffassung zu sein, dass Verteilungsziele, die vom Verteilungsergebnis des Marktes abweichen, staatliche Korrekturen implizieren. Staatiiche Verteilungsziele iiber private Institutionen erreichen zu wollen, kann auBerordentlich kostspielig sein. Die Schlussfolgerung hieraus lautet, dass Zwangsabgaben nicht in ein System privater Arbeitslosenversicherung passen. Die Alimentierung derjenigen (der zweiten Gruppe), die keine freiwillige Arbeitslosenversicherung abschlieBen wurden, die Moral-hazard-Falle sind und schlechte Risiken darstellen, ist eine Angelegenheit des Staates - w i e die Sozialhilfe, von der das Moral-hazardProblem ausgeht, auch -, der dieses Problem mit den ihm eigenen Mitteln losen sollte. Diese Mittel sind steuerfinanzierte Zuweisungen von Mindesteinkommen, eben Sozialhilfe. Das konnte bedeuten, dass die Lohn- und Einkommensteuer fiir abhangig Beschaftigte steigt, sofem man die Solidargemeinschaft der abhangig Beschaftigten fiir „zustandig" halt. Es konnte auch bedeuten, dass die Lohn- und Einkommensteuer insgesamt mit einem Zuschlag belegt wird, wenn man alle Einkommensteuerpflichtigen in die Solidarhaftung einschlieBen will. In Bezug auf die deutsche Situation heiBt das allerdings keineswegs, dass das System teurer wiirde als das bisherige staatliche Zwangssystem, im Gegenteil. Die bisher aus einer Mischung von privaten Beitragen zur staatlichen Arbeitslosenversicherung und aus Steuermitteln fmanzierte „zweite Gruppe" wird bei Arbeitslosigkeit in die Sozialhilfe (bzw. in das neue ALG II) iiberfuhrt, der die bisherigen Steuermittel fiir die staatliche Arbeitslosenversicherung (zur Finanzierung der Arbeitslosenhilfe) zuflieBen; das private System der Arbeitslosenversicherung wird gleichzeitig mit deutlich geringeren Pramien auskommen. Hinzu kommt, dass bei einer Sozialhilfe (bzw. ALG II), die auf eine Integration der Leistungsbezieher im Beschaftigungsverhaltnis ausgerichtet ist, ein groBes Einsparungspotential besteht. Moral hazard bei den Arbeitgebem Vorteile zu Lasten Dritter erhalten in der in Deutschland praktizierten paritatisch fmanzierten Arbeislosenzwangsversicherung jene Arbeitgeber, deren Branche ein ungtinstiges Risiko aufweist. Das iiberdurchschnittliche Arbeitsplatzrisiko stellt fiir die betreffenden Arbeitgeber eigenriich einen Kostenfaktor dar. Ermoglicht eine Zwangsversicherung, die mit am Durchschnitt aller Arbeitgeber orien-

2.2 Die beiden Kemprobleme privater Arbeitslosenversicherungen

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tierten Einheitspramien operiert, die Kosteniiberwalzung, dann werden diese Arbeitgeber eine Zwangsversicherung fur sozialpolitisch unabdingbar halten. Eine Zwangsversicherung der beschriebenen Art wird gesamtwirtschaftlich ganz offensichtlich so nicht zu begriinden sein. Vielmehr wurde sie das Moral hazard erst schaffen, das sie eigentlich abwehren sollte. Moral hazard bei den Tarijvertragsparteien Es ist die These aufgestellt worden, dass „die Bedeutung der Errichtung einer Zwangsversicherung gegen Arbeitslosigkeit mit nicht risikogerechten Pramiensatzen ... im wesentlichen darin [liegt], das Angebotsmonopol auf dem Arbeitsmarkt aufrechtzuerhalten, indem die Ertragsrate auf AuBenseiterkonkurrenz gesenkt Oder ganz abgeschafft wird" (Amann 1993: 128). Dies entspricht dem Argument von Verbandsvertretem, dass alien Arbeitnehmem die gleichen Lasten fur die Finanzierung des Sozialsystems auferlegt werden mussten, damit Wettbewerbsgleichheit herrsche (das Argument taucht in vielen Variationen auf, nicht zuletzt, wenn auBenwirtschaftliche Protektion gefordert wird, um das „Sozialdumping" der weniger entwickelten Lander abzuwehren). Das Moral-hazard-Phanomen ist demzufolge darin begriindet, dass „Dritte" (das sind die guten Risiken) gezwungen werden, die schlechten Risiken mitzufinanzieren, damit das Arbeitsangebotsmonopol - und damit letztlich das Duopol der Tarifvertragsparteien - abgesichert wird. Hier gabe es zahlreiche Anmerkungen zu machen, wie etwa diejenige, dass das Duopol auch durch ganz andere ZwangsmaBnahmen abgesichert werden konnte und tatsachlich auch abgesichert wird (Allgemeinverbindlicherklarung, Branchentarife, Tarifvertragsgesetz, Betriebsverfassungsgesetz, Stabilitats- und Wachstumsgesetz und nicht zuletzt der kaum zu ubersehende gesellschaftliche Konsens). Eine weitere Schwache in der Argumentation Amanns liegt in der wenig realistischen Annahme, dass der Faktor Arbeit homogen sei. Die Mismatch-Arbeitslosigkeit zum Beispiel beschreibt gerade jenen Zustand, in dem das nachgefragte Anforderungsprofil nicht dem Qualifikationsprofil des Arbeitslosen entspricht. Der unangepasste Arbeitslose wird schwerlich die AuBenseitergefahr fUr das Angebotsmonopol begriinden konnen. Wirtschaftspolitisch folgt daraus, dass im „gunstigen Fall" - wenn die These Amanns stimmt - ein Zwang zum Abschluss einer Arbeitslosenversicherung vermieden werden sollte, da er lediglich unerwunschte, namlich monopolistische Verhaltensweisen ermoglicht. Im „ungunstigen Fall" -wenn Amanns These nicht zutrifft - besteht kein koUektives Moral-hazard-Problem.

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Kapitel 2

Eine private Arbeitslosenversicherung

Moral hazard bei den Versicherungen Versicherungszwang bedeutet fur die Versicherungen, dass sie auch solche Klienten erhalten, die sich ohne diesen Zwang nicht versichem wiirden. Es handelt sich wieder um diejenigen, die auBerordentlich gute Risiken darstellen, und um diejenigen, die auBerordentlich schlechte Risiken darstellen. Das bedeutet fiir die Versicherungen mehr Umsatz und - b e i gleicher Struktur der Umsatzrenditen iiber die Versichertenkohorten - mehr Gewinne. Doch welches Moral-hazard-Verhalten der Versicherungswirtschaft gabe es in einem freiwilligen Arbeitslosenversicherungssystem? Zumindest drangt sich derartiges nicht auf. Mit anderen Worten: Versicherungszwang niitzt zumindest den Versicherungsgesellschaften; sie miissten erlautem, warum sie ohne diesen Zwang dem Moral hazard unterlagen. Moral hazard bei den Politikem Wenn Moral hazard bedeutet, dass sich einige auf Kosten Dritter Vorteile verschaffen - dieses war, zusammen mit der Sozialhilfe, der Ausgangspunkt fiir die Diskussion der Zwangsbeitrage zur Arbeitslosenversicherung -, dann scheint es angebracht, neben den Zwangszuversichemden die Gruppe der Politiker zu betrachten, die ein wichtiger Akteur in diesem Szenario ist. Jede Art von staatlichem Zwang bringt Politiker (und Beamte) ins Spiel. Kann es sein, dass die Art der Regelung der Arbeitslosenversicherung fiir diese Gruppe Anreize bietet, sich auf Kosten Dritter Vorteile zu verschaffen? Die Vorteile, die Politiker sich legitimerweise standig zu verschaffen suchen, bestehen nicht zuletzt in zusatzlichen Wahlem. Um Wahler auf sich aufmerksam zu machen, muss ein Politiker in den Medien prasent sein. Hierfiir ist die Sozialpolitik geeignet, weil sie unmittelbar in das Leben aller Biirger eingreift und daher „wichtig" ist, „wichtiger" oft als die Produktion originar offentlicher Giiter, Die Hohe von Versicherungsbeitragen oder von Auszahlungen an Arbeitslose schafft Aufmerksamkeit und ermoglicht Wohltaten auf Kosten Dritter; ein Zwangssystem gibt mehr als ein anderes Spielraum fiir diskretionare politische Entscheidungen. Allein etwa die Hohe der gesetzlichen Mindestsicherung gegen Arbeitslosigkeit schafft einen standigen Anlass fiir bedeutsame Beratungen und Entscheidungen. Hinzu kommt die Erfahrung in Deutschland, dass die Sozialsysteme - gesetzliche (Zwangs-)Alterssicherung, gesetzliche (Zwangs-)Krankenversicherung, gesetzliche (Zwangs-)Arbeitslosenversichemng - mit ihren quasi-offentlichen Haushalten untereinander und mit dem Bundeshaushalt finanziell verwoben sind. Der Bundeshaushalt kommt ins Spiel, wenn etwa „versicherungsfremde" Leistungen fmanziert werden oder wenn die Zwangsversicherungen Steuerzuschiisse erhalten. Mit anderen Worten: Wenn man an effiziente Losungen denkt, sollten die

2.2 Die beiden Kemprobleme privater Arheitslosenversicherungen

11

oft sachfremden und an kurzfristigen Interdependenzen orientierten politischen Entscheidungen moglichst ausgeschlossen werden. Das heiBt, dass das Moral hazard bei den Politikem nicht geeignet ist, einen Versicherungszwang zu begriinden. Eher das Gegenteil ist der Fall. 2.2.2.2 Adverse Selektion Adverse Selektion beschreibt den Prozess einer standigen Verschlechterung des aggregierten Risikos je Versicherten, das in der Gesamtheit aller Versicherten inkorporiert ist: Die „widrige Auswahl" bedeutet, dass gute Risiken entweder gar keine Versicherung abschlieBen oder aber im Zeitablauf mehr und mehr gute Risiken die Versicherung aufkiindigen (S. 64). Es wurde bisher gezeigt, dass Versicherungen auf Dauer nur uberleben konnen, wenn sie Kohorten unterschiedlicher Risiken bilden. Eine Alternative fur eine risikogerechte Vertragsgestaltung stellt die Zwangsmitgliedschaft dar: Kundigungen sind dann nicht oder nur unter der einschrankenden Bedingung moglich, dass eine andere Versicherungsgesellschaft an die Stelle der vorherigen tritt. Fiir Letzteres wiederum ist Voraussetzung, dass es Wettbewerb zwischen Versicherungen gibt. Das bedeutet, dass - b e i Wettbewerb - eine Kohortenbildung unterschiedlicher Risiken auch im Zwangssystem stattfindet; die vagabundierenden guten Risiken konnen nur durch uberdurchschnittlich gute Bedingungen attrahiert werden. Nur wenn ein Zwangssystem weniger effizient ware als ein freiwilliges System, ware die Ausubung von Zwang „rational". Abstrakt ausgedriickt bedeutet Zwang, dass es einige Versicherte gibt, die einen Preis (eine Pramie) fiir die Versicherungsleistung zahlen, der (die) liber dem Grenznutzen des Zahlenden liegt. Zwangsversicherungen schlieBen regelmaBig ein Pareto-Optimum aus. Insgesamt gesehen begriindet daher adverse Selektion keine Zwangsversicherung. Das Problem kann okonomisch effizienter vom Markt gelost werden. 2.2.2.3 Das Trendphdnomen Versicherungen sind nicht und machen nicht immun gegen Trendphanomene. Sofem die Arbeitslosigkeit im Zeitablauf „normal" verlauft, das heiBt, um einen durchweg konstanten Mittelwert streut, ist die Kassenlage der Versicherungen ebenfalls „normal": Einnahmen wie Ausgaben sind prognostizierbar und bei kurzfristigen Uberraschungen - etwa einer Erhohung der Versicherungssteuer mit geringfUgigen Anderungen der Vertragsbedingungen kompensierbar. Anders ist es, wenn die gesamtwirtschaftliche Arbeitslosenquote standig steigt und damit auch das durchschnittliche Risiko, arbeitslos zu werden. Eine Versicherung musste dann unerwartet hohe Auszahlungen an Arbeitslosengeld leisten;

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Kapitel 2

Eine private Arbeitslosenversicherung

gleichzeitig sanken mit trendmaBig steigender Arbeitslosigkeit die Pramieneinnahmen. Fiir die Versicherungen geht daher ein linear steigender Trend der Arbeitslosigkeit mit einer uberproportionalen Verschlechterung der Kassenlage einher. Das bedeutet, dass die Versicherung zur Finanzierung der steigenden Ausgaben die Pramien entsprechend iiberproportional zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit erhohen musste. Ein solches Vorgehen ware offensichtlich nur kurze Zeit moglich und nahme eventuell dramatische strukturelle Verschlechterungen in Kauf, besonders weil die guten Risiken verstarkt kiindigten. Tritt der Staat als Weisungsbefugter auf und verbietet Austritte aus der Versicherung und zwingt alle Nichtversicherten zwecks Steigerung des Pramienaufkommens in die Versicherung hinein, so wurde zweifellos die Frist bis zum Kollaps der Arbeitslosenversicherung verlangert. Bei steigendem Trend der Arbeitslosigkeit nahme die Abgabenlast aus Steuem und Zwangsabgaben weiterhin zu, senkte dadurch das gesamtwirtschaftliche Wachstum (Heitger 1998) und machte die Arbeitslosenversicherung vollkommen abhangig von staatlich verfugten Zwangsabgaben. Solange der Trend anhalt, musste letztlich auch der Staat theoretisch alle anderen Aktivitaten einstellen, da seine (noch) verfiigbaren Ressourcen fiir die Finanzierung der Arbeitslosenversicherung gebraucht wiirden. Das bedeutet, dass lange bevor der beschriebene Notfall eintritt, die Ursachen der trendmaBigen Zunahme der Arbeitslosigkeit beseitigt werden miissen, und es bedeutet, dass die Begriindung staatlichen Zwangs hier verfehlt ist. 2.2.2.4 Zum Kontrahierungszwang der Arbeitslosenversicherungen Was die Verpflichtung der Arbeitslosenversicherungen zum Vertragsabschluss, den Kontrahierungszwang, betrifft, so mangelt es auch hier an triftigen Griinden, die Vertragsfreiheit aufzuheben. Ein Zwang ware nur sinnvoll, wenn eine nicht kostendeckende Versicherungspramie gesetzlich vorgeschrieben wUrde, denn anderenfalls waren schlechte Risiken, bei kostendenkenden Pramien, versicherbar. Der Gesetzgeber muss sich daher auch in diesem Fall iiberlegen, ob er wirklich Einkommensumverteilung Uber die Versicherungspramien vomehmen will. In einem freiheitlichen System wiirde die Gesamtheit der Versicherten dies nicht akzeptieren. Die Versicherungen, die aufgrund der Pramienfixierung zuerst in finanzielle Note kamen, wiirden kompensierende Subventionen vom Staat, der die Verantwortung fiir die Pramiengestaltung triige, verlangen. Es ist von vomherein nicht zu sagen, wo die Regulierungsspirale enden wiirde. Letztlich ergabe sich wohl wieder eine Zwangsversicherung fiir die Versicherten, mit Kontrahierungszwang fiir die Versicherungsanbieter, und damit ein System wie das bestehende, das „auf die Dauer das Ubel verschlimmem [wurde], zu dessen Abhilfe [es] geschaffen worden ist" (Hayek 1971: 382).

2.2 Die beiden Kemprobleme privater Arbeitslosenversicherungen

79

2.2.2.5 Schlussfolgerungen Es wurde gezeigt, dass Moral hazard, adverse Selektion oder das Trendphanomen keine uberzeugenden Argumente sind, eine Zwangsversicherung okonomisch zu begriinden. Somit kann vor dem Hintergrund der dargestellten Argumente fur eine Zwangsmitgliedschaft festgehalten werden: Auch eine Zwangsversicherung gegen die finanziellen Risiken der Arbeitslosigkeit wurde dazu dienen, Einkommen von vielen Versicherten zu wenigen Versicherten (mit anderen strukturellen Merkmalen) umzuverteilen, ohne dass diese Umverteilung versicherungstechnisch oder sozialpolitisch geboten ware. Statt wegen der Flucht einiger in die Sozialhilfe eine Arbeitslosenzwangsversicherung einzufuhren, lohnte es sich, iiber das System der Sozialhilfe nachzudenken. Seit langerem wird wegen der negativen Leistungsanreize, die von der Sozialhilfe ausgehen, iiber das „Lohnabstandsgebot" diskutiert (Boss 2002). Angemessene „Lohnabstande" wurden bedeuten, dass die Anreize, Arbeitslosigkeit in Kauf zu nehmen und sich auf die Sozialhilfe zu verlassen, verringert wiirden. Wie bereits angefiihrt, gibt es einen groBen Gestaltungsspielraum, iiber eine sinkende Attraktivitat der Sozialhilfe die Arbeit lohnender zu machen (vgl. im Einzelnen den Abschnitt 2.1.3.6).Was schlieBlich den Kontrahierungszwang der Versicherer anbelangt, so wiirde dieser iiber die dann einsetzende Regulierungsspirale eine Zwangsmitgliedschaft durch die Hintertur einfiihren.

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung: Erfahrungen und Vorschlage

Der Entwurf des Trennsystems gewanne an Uberzeugungskraft, wenn er den Vergleich mit altemativen Systemen oder Reformmodellen bestunde. Im Vordergrund steht dabei die Frage, ob von der Arbeitslosenversicherung Anreize zur Verminderung oder zur Verktirzung von Arbeitslosigkeit ausgehen. So mag es in der deutschen Geschichte der Arbeitslosenversicherung durchaus sinnvolle Ansatze gegeben haben, die in Vergessenheit geraten sind, es mag im Ausland Arbeitslosenversicherungen mit wirksamen, auf eine Absenkung der Arbeitslosigkeit zielenden Regeln geben, und es konnten unter den zahlreichen Reformideen im In- und Ausland durchaus weitere Ansatze fur die effiziente Arbeitslosenversicherung gefunden werden. Dieser Reihenfolge entsprechend wird zunachst die Geschichte der deutschen Arbeitslosenversicherung auf Anreizmechanismen hin analysiert, und unter dem gleichen Aspekt werden anschlieBend die Arbeitslosenversicherungen in westlichen Industrielandem einer naheren Betrachtung unterzogen. Den Abschluss dieses Kapitels bilden alternative Vorschlage zur Reform der Arbeitslosenversicherung in der deutschen und intemationalen wissenschaftlichen Literatur.

3.1

Historische Erfahrungen mit der Arbeitslosenversicherung in Deutschland

Bei der Suche nach einem effizienten System der Arbeitslosenversicherung kann ein Blick in die Geschichte der deutschen Arbeitslosenversicherung hilfreich sein. Anders als fUr die Analyse der Erfahrungen anderer Lander trifft hier nicht der Einwand zu, dass die institutionellen Bedingungen und vor allem die vorherrschende Mentalitat sowie das kulturelle Umfeld ganzlich andere als in Deutschland seien und daher keine Ruckschlusse erlaubten. Der Vergleich mit historischen Erfahrungen wird zwar auch durch den Wandel von Institutionen relativiert. Die Mentalitat wird von Stromungen des Zeitgeistes mit gepragt und das kulturelle Umfeld ist auch im Lande im Zeitablauf geradezu revolutionaren Anderungen unterworfen. Dennoch bleibt der Kern des Arguments von der groBeren Ahnlichkeit, wie die folgende Analyse zeigen wird, richtig. Zudem mag die historische Analyse den Werdegang des herrschenden Systems erklaren hel-

3.1 Historische Erfahrungen mit der Arbeitslosenversicherung in Deutschland fen und Antwort auf die Frage geben, an welchen Wiederstanden gegebenenfalls alternative Systeme beziehungsweise Reformversuche gescheitert sind. Im Folgenden sollen die institutionellen Regeln zur Absicherung des Arbeitslosigkeitsrisikos dargestellt und analysiert werden, die seit der Griindung des Deutschen Reiches im Jahr 1871 eingefuhrt wurden. Dabei geht es vor allem um die okonomischen Fragen nach der Hohe der Pramien und der zugesicherten Leistungen sowie darum, welche Anreize gesetzt wurden, uberhaupt eine - wie auch immer bezeichnete- Arbeitslosenversicherung abzuschlieBen und welche Anreize bestanden, die Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder gegebenenfalls so rasch wie moglich zu beenden. SchlieBlich ist von Bedeutung, ob das jeweilige System der Arbeitslosenversicherung sich auf Dauer bewahrt hat oder ob es gescheitert ist, sei es aufgrund versicherungsimmanenter Probleme (zum Beispiel Moral hazard oder adverse Selektion) oder aufgrund von exogenen Storungen (Krieg, Inflation Oder Gesetzgebung).

3.1.1

Das Kaiserreich

Im deutschen Kaiserreich (hier 1871-1914) gab es keine zentralisierte Zustandigkeit - weder auf Reichs- noch auf Lander- oder Gemeindeebene - fur Beschaftigung und Arbeitslosigkeit. Unmittelbar beschaftigungsregelnde Gesetze gab es nicht; man kann sagen, dass auf den Arbeitsmarkten Vertragsfreiheit herrschte. Die Gewerbeordnung aus dem Jahr 1869 etwa schaffte die obligatorische Zunftbindung ab, garantierte Gewerbefreiheit sowie die Freiheit, Mitarbeiter auszubilden, und sie sicherte die freie Gestaltung des Arbeitsvertrages. Dies war spater Anlass fur die aufkommende Sozialdemokratie, „vorhandene Mi6stande aus der Grundlage der bestehenden [freiheitlichen] Gewerbeverfassung [und] der privaten Produktion ...." herzuleiten (Jastrow und Badtke 1918: 177) und eine Verstaatlichung der Produktionsmittel und Abschaffung der Vertragsfreiheit auf dem Arbeitsmarkt zu verlangen.^^ Tabelle 7 zeigt, dass die Arbeitslosigkeit im Kaiserreich im Allgemeinen recht gering war, zumindest wenn man sie mit den heutigen deutschen Verhaltnissen vergleicht. Allerdings ist hier mehrerlei zu bedenken. Die Arbeitslosenquoten der

^^ Jastrow und Badtke (1918) beschreiben, wie seit 1878/79 die deutsche Wirtschaftspolitik mehr und mehr die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt (durch einengende Bestimmungen, durch Protektion etc.) beeinflusste. Parallel dazu formulierten die Sozialdemokraten im Jahr 1891 in ihrem „Erfurter Minimalprogramm" ihre Position dahingehend, dass der Staat „ ... es nicht prinzipiell ablehnen konne, fur die Folgen einer Arbeitslosigkeit des Individuums mit einzutreten" (Jastrow und Badtke 1918: 118).

81

82

KapitelS

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

Tabelle 7: Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Deutschen Kaiserreich^ 1887-1913 (Prozent) Jahr

Arbeitslosenquote

Jahr

Arbeitslosenquote

Jahr

Arbeitslosenquote

1887 1888 1889 1890 1891 1892 1893 1894 1895

0,2 3,8 0,2 2,3 3,9 6,3 2,8 3,1 2,8

1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904

0,6 1,2 0,4 1,2 2,0 6,7 2,9 2,7 2,1

1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913

1,6 1,1 1,6 2,9 2,8 1,9 1,9 2,0 2,9

^Gemessen als Anteil von arbeitslosen Gewerkschaftsmitgliedem an den Gewerkschaftsmitgliedem insgesamt. Quelle: Mitchell (1992: 160); eigene Zusammenstellung. Tabelle 7 beziehen nur Mitglieder der ,J^achverbande", das heiBt der Arbeitnehmerorganisationen, mit in die Berechnung ein. Gewerkschaften gab es seinerzeit lediglich im Bereich industrieller Aktivitaten; der Anteil dieser industriellen Aktivitaten war, obwohl im Trend ansteigend, vergleichsweise gering: In den Jahren 1885-1889 betrug er 34 Prozent (Mitchell 1992: 913), darin sind die groBen Sektoren Bergbau und Baugewerbe mit enthalten (der Anteil der Jahre 19101913 lag bei 44 Prozent (Mitchell 1992: 913)). Zudem war der gewerkschaftliche Organisationsgrad mit 6,7 Prozent im Jahr 1900 und mit 16 Prozent im Jahr 1910 niedrig (Frerich und Frey 1993: 143). Welche Anhaltspunkte gibt es also fur die Vermutung, dass die „gewerkschaftliche" Arbeitslosenquote der Tabelle 7 nicht oder nur wenig von der (unbekannten) gesamtwirtschafdichen Arbeitslosenquote abweicht? Einerseits gibt es Griinde, warum die gewerkschaftliche Arbeitslosenquote hoher gewesen sein konnte als die gesamtwirtschaftliche: (1) Gewerkschaften streben fiir ihre Mitglieder bessere Arbeitsbedingungen an (Lohne, soziale Sicherheit etc.); dies lauft auf relativ hohe Lohnkosten fiir Gewerkschaftsmitglieder hinaus und damit unter den damals herrschenden Bedingungen - auf eine relativ hohe Arbeitslosigkeit. (2) In dem MaBe, in dem Vertragsfreiheit auf dem Arbeitsmarkt herrschte, konnte es auf dem nicht organisierten Teil des Arbeitsmarktes kein nennenswertes Problem der Arbeitslosigkeit gegeben haben. Lediglich der ge-

3.1 Historische Erfahrungen mit der Arbeitslosenversicherung in Deutschland werkschaftlich organisierte Teil, der wesensmaBig die individuelle Vertragsfreiheit einschrankte, ware demnach von Arbeitslosigkeit betroffen gewesen."^^ Andererseits gibt es auch begrtindbare Vermutungen, dass die gesamtwirtschaftliche Arbeitslosenquote hoher war als die in Tabelle 7 ausgewiesene gewerkschaftliche: (1) Aufgrund der zunehmenden Industrialisierung im Kaiserreich stieg auch die Nachfrage nach industriellen Arbeitskraften; unter sonst gleichen Bedingungen miisste daher die industrielle Arbeitslosenquote unter der gesamtwirtschaftlichen gelegen haben. Mit anderen Worten: Die ausgewiesenen gewerkschafdichen Arbeitslosenquoten, die sich zum Beginn des 20. Jahrhunderts nur auf die Industriearbeiter bezogen, wurden die gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit unterschatzen. (2) Es wird behauptet, dass die Gewerkschaften (Fachverbande) vor allem die relativ gut bezahlten Facharbeiter organisierten und nicht die „... der Arbeitslosigkeit am meisten ausgesetzte Masse der Arbeiter ...." (Henning 1974: 285). Wenn dies so war, dann ware die in Tabelle 7 ausgewiesene gewerkschaftliche Arbeitslosenquote fUr die Gesamtwirtschaft irrefUhrend. Allerdings gibt es zwei Arbeitslosenzahlungen fiir das ganze Reichsgebiet aus dem Jahr 1885, eine vom 14. Juni und eine weitere vom 2. Dezember. Sie erfassten 22 Berufsgruppen - von der „Landwirtschaft" bis zur „Beherbergung und Erquickung" -, das waren 13,7 Millionen Arbeitnehmer (Tabelle 8): Von diesen waren im Juni 1,8 Prozent und im Dezember 4,8 Prozent beschaftigungslos (im Dezember allein waren 15,6 Prozent der im Baugewerbe Beschaftigten arbeitslos).^^ Das wurde bedeuten, dass die in Tabelle 7 ausgewiesene gewerkschaftliche Arbeitslosenquote cum grano salis als weitgehend deckungsgleich mit der gesamtwirtschaftlichen angesehen werden kann. Der geringen Bedeutung der Arbeitslosigkeit im Kaiserreich entsprach die geringe Aufmerksamkeit, die der Bekampfung oder der finanziellen Alimentation der Arbeitslosigkeit zukam. Noch 1918 schrieben Jastrow und Badtke (1918: 120), dass es eine Arbeitslosenversicherung oder eine ihr entsprechende Einrichtung „praktisch" nicht gegeben habe. Dennoch gab es Institutionen, die zumindest grundlegende Merkmale einer Arbeitslosenversicherung aufwiesen: Sie lieBen gegen Pramienzahlungen fiir einige Zeit dem versicherten Arbeitslosen finanzielle Leistungen zukommen; die Hohe dieser Leistungen stand im funktionalen Zusammenhang mit der Pramienhohe, und die Leistungen waren ein-

47

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Das Argument wird gestutzt von dem groBen Interesse, das die Gewerkschaften friihzeitig an der Arbeitslosenunterstutzung batten. Bis 1918 zumindest hat „... die groBten Leistungen auf dem Gebiete der Arbeitslosenunterstutzung ... bisher die Selbsthilfe der Arbeiterorganisationen aufzuweisen" (Jastrow und Badtke 1918: 121). Herkner (1922: 393) nennt fur die gleichen Stichtage (geringfugig) niedrigere Zahlen an „gesunden Arbeitslosen".

83

84

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

Tabelle 8: Arbeitslosigkeit im Jahr 1895 nach Berufsgruppen Arbeitnehmer

Berufsgruppen

I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. XIII. XIV. XV. XVI. XVII. XVIII . XIX. XX. XXI.

xxn.

Landwirtschaft usw. Forstwirtschaft und Fischerei Bergbau, Hiittenwesen usw. Industrie der Steine und Erden Metallverarbeitung Maschinen, Werkzeuge usw. Chemische Industrie Forstwirtschaftliche Nebenprodukte usw. Textilindustrie Papier Leder Holz- und Schnitzstoffe Nahrungs- und Genussmittel Bekleidung und Reinigung Baugewerbe Polygraphische Gewerbe Kunstler und kiinstlerische Betriebe Fabrikarbeiter, Gesellen o. nahere Bez. Handelsgewerbe Versicherungsgewerbe Verkehrsgewerbe Beherbergung und Erquickung

Insgesamt

insgesamt

davon arbeitslos (Prozent)

am 14.6.1895

am am 14.6.1895 2.12.1895

5 607 213 116713 564 922 468 489 719 775 304 463 92 582 38 116 878 494 121 526 123 914 456 229 650 970 775 671 1 151851 106 526 18 765 28 542 626 637 18 216 533 150 316 951

0,66 1,19 1,47 1,47 2,89 2,57 1,94 2,09 1,64 2,60 3,46 2,93 3,27 3,13 2,87 4,18 3,59 4,96 3,52 1,50 1,30 2,54

3,62 4,76 2,03 5,76 3,75 3,44 2,29 2,74 1,92 2,86 6,04 4,00 4,35 5,42 15,61 4,38 5,51 35,66 4,24 1,73 3,04 4,92

13 725 825

1,77

4,80

Quelle: Darstellung nach Kumpmann (1923: 799). klagbar. Vor diesem Hintergrund sind folgende, zumindest rudimentare Einrichtungen zur Absicherung bei Arbeitslosigkeit zu nennen (Ubersicht5 im Anhang): - Unterstiitzungskassen der Arbeiter, die bei Arbeitslosigkeit nicht einklagbare Hilfe leisteten. Der Kreis der so potentiell Alimentierten war allerdings sehr klein. Zum Beispiel boten im Jahr 1891 nur etwa 17 Prozent der Gewerkschaftsverbande eine Absicherung an; da nur 3,4 Prozent der Beschaftigten uberhaupt organisiert waren, bedeutet dies - bei linearer Hochrechnung-, dass lediglich 0,6 Prozent der Beschaftigten im Jahr 1891 einer Unterstiit-

3.1 Historische Erfahrungen mit der Arbeitslosenversicherung in Deutschland

85

zungskasse angehorten. Dieser Anteil stieg freilich rasch auf 15,5 Prozent im Jahrl914. - Selbsthilfekassen der „Privatangestellten", die in den Anfangsjahren almosenahnliche Unterstutzungen an die „in Not befindlichen Kollegen" (Kumpmann 1920: 111) zahlten. Einen groBen Sprung in Richtung einer wirklichen Arbeitslosenversicherung untemahm eine dieser Selbsthilfekassen der Angestellten, der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband, im Jahr 1908 (Kasten 5), wenn Kumpmann (1920: 111) auch meint, dass 1914 „noch alles in den ersten Anfangen" war. - FursorgemaBnahmen einzelner groBerer Arbeitgeber, deren finanzielle almosenahnliche Leistungen vor allem an von konjunkturellen Einbruchen betroffene Arbeitnehmer gingen, zum Teil nur wahrend der Wintermonate (so bei H. Lanz). Auch hier, wie bei den Privatangestellten, gab es vereinzelt Schritte in Richtung einer Arbeitslosenversicherung, so bei der Mohr AG: Dieses Untemehmen richtete eine „Versicherungskasse gegen Arbeitslosigkeit" ein, in die alle Arbeiter Beitrage einzahlen mussten; dafur erhielten entlassene Arbeiter fUr maximal 13 Wochen tagliche Unterstutzungen. Pramien wie auch das „Arbeitslosengeld" diskriminierten nach Geschlecht und nach Familienstand, jedoch nicht nach Risiko. - Zuschusssysteme, die zu einem Teil von offentlichen Kassen abhingen. Die potentielle Finanzierung aus Steuem bedeutete nicht nur, dass es sich keineswegs um Versicherungen handelte, sondem auch, dass die zumeist kommunalen Geldgeber Einfluss nehmen konnten. Die kommunalen Zuschiisse nach dem Genter System wurden arbeitslosen Gewerkschaftsmitgliedem gewahrt, sofem die Arbeitslosen von ihren Gewerkschaften Arbeitslosengeld erhielten. Eine Sparvariante des Genter Systems sah Zuschiisse fiir nicht gewerkschaftlich gebundene Arbeitslose vor, sofem diese Arbeitslosen zuvor auf ein Sparkonto Erspamisse fiir den Fall der Arbeitslosigkeit gebildet hatten. Auch das Kolner System (vgl. ausfiihrlicher Adamy und Reidegeld 1987: 376; Adamy und Reidegeld 1988) funktionierte ahnlich wie das Genter System, anfanglich (1896) allerdings ausschlieBlich fiir die im Winter arbeitslos Gewordenen. Dieses Kolner System veranschaulichte nach seiner Erweiterung im Jahr 1911, dass die Dimension der kommunalen Zuschiisse weit mehr war, als gemeinhin unter dem Wort zu verstehen ist: Der Anteil der Zuschiisse Kolns am Gesamtaufkommen der Versicherungskasse lag im Jahr 1912 bei iiber 80 Prozent (Kumpmann 1920: 122). Der Anteil der Arbeitslosen lag allerdings durchweg bei iiber 50 Prozent der „Versicherten", so dass die Zuschiisse wohl eine fruhe Art der Sozialhilfe darstellten (Wermel und Urban 1949: 82). Von alien genannten Varianten der Absicherung bei Arbeitslosigkeit waren die einzigen, die auf Zwangsmitgliedschaft beruhten, das kommunale Zuschusssystem St. Gallens und die Versicherung eines Arbeitgebers (A.L. Mohr AG).

86

Kapitel 3

Alternative Systeme der

Arbeitslosenversicherung

Kasten 5: „Versicherung gegen Stellenlosigkeit fUr Handlungsgehilfen" vom 1.1.1908 Mit dem Jahr 1908 trat im Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband zu Hamburg an die Stelle der „wohlwollenden ErwSgung jedes Unterstiitzungsantrags" erstmals das einklagbare Recht auf Arbeitslosengeld. Bemerkenswert war, dass es dem Verband weitgehend an Vorbildem und an versicherungstechnischen Grundlagen mangelte. Letztere warden durch eine Fragebogenaktion bei den Mitgliedem erforscht; die Ergebnisse bildeten die Grundlage fiir die Versicherungsmathematik. Bemerkenswert ist auch, dass die (umstrittene) Unterscheidung zwischen verschuldeter und unverschuldeter Arbeitslosigkeit weitgehend vermieden wurde: Erstere schloss die Zahlung von Arbeitslosengeld aus, bezog sich allerdings nur auf die Folgen von strafrechtlich relevanten Vergehen. Einen Anreiz zu rascher Wiederaufnahme einer Beschaftigung setzte der Verband dadurch, dass er die Zahlung von Arbeitslosengeld an die Bewerbung um eine neue Arbeitsstelle bei der Stellenvermitdung des Verbandes kniipfte. Zu den technischen Details: (1)

(2)

bis Juni 1902: Pramie: Arbeitslosengeld: Bezugsdauer: Wartezeit: Stand 1909: Pramie: Arbeitslosengeld:

2 M/Monat je Mitglied 25 M/Monat je Mitglied 3 Monate 1 Jahr 2 M/Monat je Mitglied 30 M/Mitglied, mit jedem MitgUedsjahr um 1 M steigend (Max.: 75 M)

Bezugsdauer:

3 Monate, mit jeweils 5 Mitgliedsjahren um 1 Monat stei-

Wartezeit:

gend (Max.: 12 Monate) 2 Jahre

Setzt man die Daten des Jahres 1909 (Irwahn 1911: 278) in die grundlegende Versicherungsgleichung (vgl. dazu Abschnitt 2.1.1.1) ein, so ergeben sich relative Pramien, deren Grundlage eine Eintrittswahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit von y = 1,92 Prozent ist. Die Arbeitslosenquote fiir die Mitglieder des Verbandes betrug im gleichen Jahr: 1,27 Prozent (und lag damit deutlich unter der „gesamtwirtschaftlichen" Arbeitslosenquote (Tabelle 7)); y lag also um rund 50 Prozent hoher als die tatsachliche Arbeitslosenquote. Das heifit, dass der Verband im Jahr 1909 Riicklagen bilden konnte; in der Tat erreichten die Uberschiisse in diesem Jahr die Hohe von 82 649 Mark, was uber 40 Prozent aller Einnahmen der Versicherung ausmachte.

Quelle: Eigene Darstellung nach Kumpmann (1920).

3.1 Historische Erfahrungen mit der Arbeitslosenversicherung in Deutschland

87

Die Ubersicht 5 (im Anhang) veranschaulicht noch einmal, dass Arbeitslosigkeit im Kaiserreich nicht als gesamtwirtschaftliches Problem gesehen wurde. Vielmehr war sie ein Problem einzelner „Fachbereiche", einzelner Arbeitgeber Oder einzelner Kommunen. Alle Versuche, die aus Arbeitslosigkeit resultierende materielle Not zu dampfen, fanden demzufolge auf der Ebene einzelner Branchen, Untemehmen oder Orte statt. Das bedeutet gleichzeitig, dass es eine hinreichende Risikostreuung, die fur eine Versicherung langfristig unabdingbar ist, nicht gab. Dies liegt nicht etwa daran, dass die Theorie des Versicherungswesens (noch) nicht entwickelt gewesen ware. Die Literatur und die Diskussion zum Versicherungswesen, sogar zur Arbeitslosenversicherung (Schanz 1897), hat durchaus auf die relevanten Fragestellungen Bezug genommen, doch war die Arbeitslosigkeit in der Tat kein sehr drangendes Problem, schon gar nicht auf der Reichsebene. Der Arbeitsmarkt mit seinen Fluktuationen war private Sache; ein privates Angebot an Versicherungsleistungen jedoch scheiterte wohl daran, dass es Uberregional und brancheniibergreifend hatte stattfmden miissen. Es mogen auch institutionelle, organisationstechnische Griinde einem derartigen Angebot im Wege gestanden haben. Die relativ groBe Bedeutung der Gewerkschaften Oder der Arbeitgeber fiir die Absicherung „ihrer" Arbeitslosigkeit unterstreicht diesen privaten Charakter: Bei den Arbeitgebem war es Ausfluss des patriarchalischen Fursorgegedankens, bei den Gewerkschaften war es eine Gegenleistung fiir die Beitragszahlung, und fur die Kommunen ging es darum, die Kosten der Armenpflege auf weitere Schultem und Institutionen zu verteilen. Alle genannten Absicherungssysteme endeten spatestens mit Beginn des ersten Weltkriegs. Ob dies allein auf den Kriegsbeginn zuriickzufuhren ist, etwa weil die Zuschusssysteme aufgrund altemativer Mittelverwendung durch die Kommunen zusammenbrachen, oder ob die Mitglieder, etwa der Selbsthilfeorganisationen, zu einem groBen Teil zum Kriegsdienst gezogen wurden, muss offen bleiben. Sicher ist aber, dass einige „Versicherungen" schon weit vor dem Kriegsbeginn versagten, etwa diejenige der A.L. Mohr AG im Jahr 1906. Jastrow und Badtke (1918) fuhrten - wie auch andere (Kumpmann 1920: 123) - weder Kriegsgriinde noch untemehmerischen Konkurs als Hauptursache des Scheitems an, sondem die Freiwilligkeit fast aller Systeme. Diese habe dazu gefUhrt, dass nur die „besser gelohnten Arbeiter" vom System „versorgt" wurden. Doch auch diese Erklarungsversuche sind unbefriedigend, wie das Ende der beiden aufgefUhrten Zwangssysteme verdeudicht. Selbst die Argumentation mit den „besser gelohnten Arbeitem" ist falsch, wie die Stadtcollnische Versicherungskasse zeigt. Warum die Autoren nicht die mangelnde Risikodiversifizierung anfiihren, ist verwunderlich.

88 3.1.2

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

Die Weimarer Republik

3.1.2.1 Aufdem Weg zur ersten staatlichen Arbeitslosenversicherung in Deutschland Eigentlich ware zu erwarten gewesen, dass die Weimarer Republik (hier 1918 1932) ihre Existenz mit der Hypothek kriegsbedingter Arbeitslosigkeit begonnen hatte. Dies war nicht der Fall (Tabelle 9). In der Literatur werden 9 Millionen durch das Kriegsende in Streitkraften und in der Riistungsindustrie freigesetzte Arbeitsuchende genannt (Wermel und Urban 1949: 28). Fast alle fanden einen Arbeitsplatz. Fur die rasche Absorption der Arbeitsuchenden werden mehrere Griinde angefuhrt, darunter vor allem die Garantie, auf den alten Arbeitsplatz zuriickkehren zu konnen. Dies durfte freilich nur einen Teil der potentiellen Arbeitslosigkeit beseitigt haben, weil kriegsbedingte Zerstorungen und, nicht zuletzt, alliierte Produktionsverbote haufig eine Ruckkehr auf den alten Arbeitsplatz unmoglich machten. AuBerdem wurden mit jeder Arbeitsplatzgarantie die inzwischen beschaftigten Arbeitskrafte gefahrdet. Entscheidend durfte vielmehr gewesen sein, dass die Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt, wie schon im Kaiserreich, gering waren und die Vertragsfreiheit entsprechend groB. Daher konnte, im Verein mit der ebenfalls kriegsbedingt hohen latenten Nachfrage nach GUtem und Dienstleistungen, der Circulus virtuosus zwischen niedrigen Lohnen bei hohem Grenzprodukt der Arbeit, raschem Anstieg der effektiven Nachfrage und daraufhin raschem Anstieg der Reallohne etc. einsetzen. Im Jahr 1919 wurden allein durch offentliche Arbeitsvermittler rund 5 Millionen Arbeitsvertrage initiiert. Tabelle 9: Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der Weimarer Republik 1919-1932 (Prozent)^ Jahr 1919 1920 1921 1922 1923

Arbeitslosenquote 3,7 3,8 2,8 1,5 9,6

Jahr 1924 1925 1926 1927 1928

Arbeitslosenquote Jahr 13,5 6,7 18,0 8,8 8,4

1929 1930 1931 1932

Arbeitslosenquote 13,1 (4,3) (15,3) (23,3) (30,1)

^Bis 1929 gemessen als Anteil von arbeitslosen Gewerkschaftsmitgliedem zu Gewerkschaftsmitgliedem insgesamt. In Klammem: amtlich registrierte Arbeitslose in Prozent der Erwerbspersonen. Quelle: Mitchell (1992: 160 ff.); Statistisches Reichsamt (Ifd. Jgg.); eigene Zusammenstellung.

3.1 Historische Erfahrungen mit der Arheitslosenversicherung in Deutschland

89

Dennoch war die Arbeitslosigkeit zu Beginn der Weimarer Republik hoher als vor dem Krieg. Ohne Frage gab es kriegsbedingt Hartefalle, bei denen zuweilen die gemeindliche Fursorge an ihre Grenzen gestoBen sein mag. Am Beginn der organisierten Absicherungssysteme stand wohl nicht zuletzt deshalb die Ubernahme der fmanziellen Verantwortung fiir die Arbeitslosen des gesamten Deutschen Reichs durch den Staat, in erster Linie durch den Zentralstaat (Reich). Die im Jahr 1918 eingefuhrte Erwerbslosenfursorge wurde daher nicht von ungefahr zur Halfte vom Reich fmanziert (Ubersicht 6 im Anhang), zu einem Drittel von den Landem und zu einem Sechstel von den Gemeinden. Neben dem neuen Aspekt der Zentralisierung der FUrsorge spielte sicheriich auch eine Rolle, dass der kriegsbedingten Arbeitslosigkeit mit der Einfuhrung einer pramienfmanzierten Arheitslosenversicherung technisch nicht beizukommen war: Die kriegsbedingt Arbeitslosen hatten kein Geld und aus naheliegenden Griinden wohl auch kein Verstandnis fiir derartige Innovationen. Gleichzeitig bedeutete die Zentralisierung der Erwerbslosenfursorge, dass alien bediirftigen Arbeitslosen ein steuerfinanziertes Einkommen garantiert wurde. Bis 1927 beruhte die Absicherung gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit auf Fursorgeleistungen (noch Cbersicht 6 im Anhang). Die im Zeitablauf durchgefuhrten Anderungen dieser Fursorge bezogen sich vor allem auf - Art, Hohe und Dauer der Leistungen der Fursorge und - die Finanzierungsmodalitaten. Bei alien im Folgenden beschriebenen Leistungen geht es im Prinzip stets um Transfers an Arbeitslose, das heiBt de jure an Personen, die arbeitsfahig und arbeitswillig sind. Die reine Armenpflege, seit jeher in der Zustandigkeit der Kommunen, wird davon nicht beriihrt. Allerdings ist zu bedenken, dass das neue System den Gemeinden einen Teil der Last der Armenfursorge abnahm - vor allem unmittelbar nach dem Krieg, als die Fursorge noch nicht befristet war. In spateren Jahren sollte sich bestatigen, dass die Armenfursorge und die Absicherung gegen Arbeitslosigkeit in wechselndem Umfang Substitute waren. Was die Hohe der Erwerbslosenfursorge anbelangt, so ist ein Trend von einer generellen, gesetzesgebundenen Regelung im Jahr 1918 uber eine spezifische Fixierung von Hochstsatzen in Mark (1919) hin zu einer standig anderbaren Festsetzung durch den Reichsminister fiir Arbeit (1923) zu beobachten. Eine analoge Entwicklung gilt fiir die Dauer der Zahlungen: zunachst unbefristet (1918), dann fiir die „Zugezogenen" befristet (1919), spater 26 Wochen mit der Moglichkeit von Verlangerungen (1921) und schlieBlich, iiber die Zustandigkeit des Ministers (1923), zu einer maximalen Bezugsdauer von 26 Wochen innerhalb eines Jahres (1924).

90

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

Der Kreis der „Versicherten" verengte sich mit dem Abstand zum Krieg. Er betraf anfangs Personen uber 14 Jahre (1918), dann solche uber 16 Jahre (1921) und schlieBlich Personen uber 18 Jahre (1924). Verglichen mit der Leistungsseite, auf der eine Zentralisierung der Kompetenzen auf das Reich stattfand, entwickelte sich die finanzielle Verantwortung vom Reich weg: Wahrend das Reich im Jahr 1918 noch zu 50 Prozent an der Finanzierung beteiligt war und die Lander zu einem Drittel, verschwand der Reichsanteil - von einem Ausnahmetatbestand abgesehen (1923: Reichs-Beihilfe fiir Problemregionen) - bis Oktober 1923 vollstandig; gleiches gilt fUr das Landerdrittel. Die finanzielle Belastung wurde im Jahr 1923 auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer abgewalzt; der Gemeindeanteil wurde, unwesentlich, auf 20 Prozent erhoht. Der Ubergang von der staatlichen Finanzierung der ErwerbslosenfUrsorge zur Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist in dem Ma6 als beschaftigungssenkend anzusehen, in dem nicht gleichzeitig die Steuem von Arbeitgebem und Arbeitnehmem gesenkt werden. Denn ohne Frage wirkte die Ubertragung der fmanziellen Verantwortung lohnkostensteigemd. Ohne einen entsprechenden gleichzeitigen Anstieg der Arbeitsproduktivitat, fiir den es keine Anhaltspunkte gibt, war daher mit Beschaftigungseinbriichen zu rechnen. Dass parallel zu dieser Lohnkostensteigerung die Steuem gesenkt wurden, ist unwahrscheinlich: Das Reich befand sich in einer Haushaltskrise (Wermel und Urban 1949: 39). In der Tat berichten Wermel und Urban von einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit (Wermel und Urban 1994: 40), der wiederum kurzfristige gesetzgeberische MaBnahmen zur Folge hatte: Die Bezugsdauer der Fursorge wurde gektirzt, und die Finanzierungsanteile der Arbeitgeber und Arbeitnehmer wurden erhoht. Die daraufhin steigende Arbeitslosigkeit fuhrte zu einer friihen Variante „modemer" Arbeitsmarktpolitik: Es gab (wieder) eine Kurzarbeiter-Forderung (1926), obwohl die Erfahrungen aus friiheren Jahren wenig ermutigend waren, und es gab eine Forderung von Notstandsarbeiten (1925), obwohl diese lediglich von „volkswirtschaftlichem" Nutzen sein soUten. 3.1.2.2 Die gesetzliche Regelung von Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung des Jahres 1927 Das „Gesetz Uber die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung" (AVAVG) vom Juli 1927 ist die erste unfassende Regelung dieses Teils der sozialen Sicherheit in Deutschland. Es hat in seinen grundlegenden Ziigen bis heute Bestand. Seine wesentiichen Merkmale sind (noch Ubersicht 6 im Anhang): - die Staatsmonopolisierung der Arbeitsvermittlung,

3.1 Historische Erfahrungen mit der Arbeitslosenversicherung in Deutschland

91

- die „paritatische" einkommens- und nicht risikoabhangige Finanzierung der Leistungen der Arbeitsamter durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber, - die einkommensbezogene und nicht versicherungsbezogene Arbeitslosenunterstutzung, - die gesetzliche Festlegung der Hochstdauer der Arbeitslosenunterstutzung, - die Zwangsmitgliedschaft der „Versicherten". Ein Teil dieser Regelungen ist erstaunlich, wenn man die wirtschaftliche Situation der Zeit bedenkt: Die Arbeitslosenquote war 1927/28 auf gut 8 Prozent gesunken; der inharente Optimismus des Gesetzgebers mag aus dem Ruckgang der Arbeitslosigkeit von 18 Prozent im Jahr 1926 hergenihrt haben. Die NotstockRegelung des AVAVG (vgl. S. 227) fur maximal 0,6 Millionen Arbeitslose bestatigt diese Optimismusthese: Denn 0,6 Millionen Arbeitslose entsprachen damals einer Arbeitslosenquote von „nur" gut 4 Prozent. Wenn es so war, dann griindete dieser Optimismus auf sehr kurzfristigen Uberlegungen und beriicksichtigte zudem nicht die Folgen des AVAVG fUr die Beschaftigung. Denn das Gesetz verteuerte die Arbeit, zum Beispiel durch die amtliche Kontrolle der Einhaltung tariflicher Mindestlohne, und es beseitigte die Wahlfreiheit der Arbeitslosen bezuglich der Arbeitsvermittlung. Das bedeutet nicht, dass der dramatische Anstieg der Arbeitslosigkeit (noch Tabelle 9) in den folgenden Jahren auf die beschaftigungsmindemden Elemente des AVAVG zuriickzufuhren ware. Die konjunkturelle und spater vor allem die weltwirtschaftliche Situation dUrften den wesentlichen Teil dazu beigetragen haben; der Beginn der Weltwirtschaftskrise wird generell auf den 24. Oktober 1929 („schwarzer Donnerstag"; vgl. Kindleberger 1979: 111 ff.) gelegt. Hinzu kommt, wie Wermel und Urban (1949: 10) beschreiben, dass das Gesetz zum Missbrauch einlud: Scheinarbeitsverhaltnisse wurden konstruiert, und das Gesetz wurde, wie Gesetze meist, dem Wortlaut entsprechend statt sinngemaB angewandt. Auch die handwerklichen Mangel des AVAVG trugen sicher zur Verscharfung der Arbeitslosigkeit bei. Die technischen Details des Gesetzes, die fUr die „Versicherten" bedeutsam waren, entsprachen weiterhin denjenigen aus der Erwerbslosenfursorge der vorangegangenen Jahre: Der Beitragssatz betrug 3 Prozent und die Dauer der Leistungen an Arbeitslose war, wie zuvor, auf 26 Wochen beschrankt. Allerdings mussten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, statt wie zuvor zu 80 Prozent, jetzt zu 100 Prozent fur die Beitrage aufkommen. Institutionell wurden von der neu gegriindeten „Reichsanstalt fiir Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung" iiber die Landesarbeitsamter bis zu den Arbeitsamtem auf der untersten Ebene zahlreiche Behorden geschaffen: Auch diese Merkmale haben sich bis heute kaum verandert. Entsprechendes gilt fUr die Sozialhilfe: Den Anweisungen des

92

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

Reichsarbeitsministers in der Weimarer Republik entspricht das heutige Bundessozialhilferecht. 3.1.2.3 Der Test auf Krisentauglichkeit Bei der Verabschiedung des AVAVG war der Gesetzgeber offensichtlich von der Erwartung stark riicklaufiger Arbeitslosenzahlen ausgegangen; auBerdem diirfte er mit den beschaftigungsmindemden Auswirkungen des AVAVG nicht gerechnet haben. Wie auch immer: Die Arbeitslosigkeit stieg seit 1929 drastisch an; im Jahr 1932 machte sie rund 30 Prozent der Erwerbspersonen aus. Der Gedanke, fiir Krisenzeiten besondere Vorkehrungen zu treffen, war zwar schon in das AVAVG von 1927 eingeflossen. Doch beginnend mit dem August 1928 iiberschlugen sich die Gesetzesanderungen bzw. Verordnungen zur Krisenunterstiitzung und zur Krisenfursorge (noch Ubersicht 6 im Anhang). Durchweg ging es seit Ende August des Jahres 1928 um eine Kurzung der Ausgaben der Reichsanstalt Oder um eine Verbesserung der Einnahmen. Die MaBnahmen im Einzelnen bestanden aus - zeidicher Begrenzung der Krisenunterstutzung (Ende August 1928; Oktober 1930; Oktober 1931; Juni 1932); - KUrzung der Leistungen (Oktober 1929; Juni 1931; Juni 1932); - Erhohung der Wartezeiten (Oktober 1927; Juni 1931); - Verschlechterung der Rechtslage der Begiinstigten (Juli 1930; Juni 1931; Oktober 1931, Juni 1932); - Erhohung der Beitragseinnahmen (Oktober 1929; Dezember 1929; Juli 1930; September 1930; Juni 1932). Im Nachhinein kann man feststellen, dass diese MaBnahmen zumindest zu keiner nachhaltigen Senkung der Arbeitslosigkeit gefuhrt haben. Ein Grund dafiir mag gewesen sein, dass das vorrangige Ziel aller MaBnahmen die Erhaltung der Zahlungsfahigkeit der bestehenden Arbeitslosenversicherung war. Dieses Ziel glaubte man durch Anderungen vieler Detailregeln erreichen zu konnen statt durch einen grundsatzlichen Systemwandel. Die Wirtschaftspolitik war, anders ausgedriickt, uberfordert, hatte sie doch erst 1927 einen sakularen Reformschritt auf diesem Gebiet durchgesetzt. Diese Uberforderung der Wirtschaftspolitik wird eher verstandlich, wenn man einen Blick auf die heutige Zeit wirft. Selbst heute gelingt es nicht, eine substantielle Reform der Arbeitslosenversicherung durchzusetzen, obwohl die marginalen Eingriffe der letzten Jahre bislang - wie in den Jahren um 1930 - ohne erkennbaren Einfluss waren. Zu dieser Uberforderung mag genau wie heute ein Erkenntnisproblem beigetragen haben: Seinerzeit haben die fiir die Wirtschaftspolitik Verantwortlichen das bestehende System der

3.1 Historische Erfahrungen mit der Arheitslosenversicherung in Deutschland

93

Arbeitslosenversicherung fur gut und erhaltenswert gehalten (Borchardt 1978); sie haben damals die Probleme der hohen Arbeitslosigkeit vor allem auf „exogene" Faktoren zuruckgefuhrt und nicht auch auf eine systematische Fehlkonstruktion der Arbeitslosenversicherung. Eine Gutachterkommission aus dem Jahr 1931 bestatigte die Regierung in ihrer Politik marginaler Datenvariation (Wermel und Urban 1949: 43 ff.). Selbst die „Experten" schreckten vor dem Systemwechsel zuriick. Die Arbeitslosenversicherung des Jahres 1927 hat den Test auf Krisentauglichkeit nicht bestanden. Sie war ganz offensichtlich nicht geeignet, Arbeitslosigkeit abzubauen, im Gegenteil. Wegen der fehlenden Ruckkopplungen zwischen Arbeitslosigkeit und induzierten Anreizen zur Vermeidung oder zur Verkiirzung der Arbeitslosigkeit reduzierte sich die Krisenbekampfung der Jahre 1929 ff. auf das Bemiihen, die buchhalterische Ordnung aufrechtzuerhalten.

3.1.3

Das Deutsche Reich zwischen 1933 und 1939

Die Arbeitslosigkeit hatte im Jahr 1932 ihren Hohepunkt erreicht. Dieses Jahr war auch das Ende der Weimarer Republik. In den darauf folgenden Jahren 1933 bis 1939 scheint die Krise auf dem Arbeitsmarkt bewaltigt worden zu sein (Tabelle 10). Welche Rolle spielte die Arbeitslosenversicherung in dieser Zeit? Um es vorweg zu nehmen: Die Arbeitslosenversicherung spielte fur den Abbau der Arbeitslosigkeit keine bedeutsame Rolle. Soweit die gesetzgebenden Organe Einfluss auf den Arbeitsmarkt nahmen, geschah dies auBerhalb der Arbeitslosenversicherung, so vor allem durch das „Gesetz iiber Treuhander der Arbeit" vom 19.5.1933. Mit diesem Gesetz wurden fiir groBere Wirtschaftsgebiete „Treuhander an Stelle der Vereinigung von Arbeitnehmem, einzelner Arbeitgeber Oder der Vereinigungen von Arbeitgebem ..." gesetzt (RGBl. 1933b, I (52): 285). Diese Treuhander ubemahmen damit die Rolle der Tarifparteien und hatten fur die „... Aufrechterhaltung des Arbeitsfriedens" (RGBl. 1933b, I (52): 285) zu sorgen. Sie unterstanden den Weisungen der Reichsregierung. Auch ein Teil der in Ubersicht 7 (im Anhang) aufgefuhrten MaBnahmen betrifft die Arbeitslosenversicherung eher am Rande, so zum Beispiel die Gesetze zur Verminderung der Arbeitslosigkeit aus dem Jahr 1933. In ihnen ging es um staatliche ArbeitsbeschaffungsmaBnahmen fiir Arbeitslose. Kern waren kreditfinanzierte Arbeiten von nationalem Interesse, ahnlich den Notstandsarbeiten in der Zeit vor 1933. Dabei war eine - vermutlich nicht immer okonomisch sinnvolle - hohe Arbeitsintensitat vorgeschrieben. Im Nachhinein gesehen entsprachen diese Programme dem, was spater Keynes (1936) in seiner „General Theory" aus dem Jahr 1936 fur Phasen hoher Arbeitslosigkeit empfehlen sollte. Frei-

94

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

Tabelle 10: Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Deutschen Reich^ 1933-1939 (Pozent) Jahr 1933 1934 1935 1936

Arbeitslosenquote 26,3 14,9 11,6 8,3

Jahr 1937 1938 1939

Arbeitslosenquote 4,6 2,1 (3,2) (0,9)

^Amtlich registrierte Arbeitslosigkeit in Prozent der Erwerbspersonen. In Klammem: Nach Mitchell konigierte Gewerkschaftsdaten auf der Grundlage von Galenson und Zellner (1987). Mitchell (1992) nennt keine Prozentzahlen fur 1939, aber 119 000 Arbeitslose (1938: 429 000). Quelle: Mitchell (1992: 160 ff.); Statistisches Reichsamt (Ifd. Jgg.); eigene Zusammenstellung. lich hat Keynes zum Beispiel nicht an die im gleichen Programm verabschiedeten „Ehestandshilfen" gedacht, mit denen versucht wurde, den Arbeitsmarkt von (weiblichen) Anbietem zu entiasten."^^ Spater von der Wirtschaftstheorie entwickelte fiskalpolitische Modelle mogen auch hinter Gesetzen wie dem tiber die „Abgabe zur Arbeitslosenhilfe" (1934) gestanden haben; die Abgabe sollte der Hebung der Kaufkraft dienen. Dieser Zweck ist einem Theorem von Haavelmo zufolge durch eine Steuererhohung dann zu erreichen, wenn der Staat eine hohere Ausgabenquote hat als die Steuerzahler. Grundlegende Reformen der Arbeitslosenversicherung sind in den Jahren zwischen 1933 und 1939 nicht erkennbar. Sie haben sich angesichts der rasch sinkenden Arbeitslosigkeit wohl auch nicht aufgedrangt. In den Jahren nach 1936 sind die Leistungen fiir Arbeitslose sogar verbessert und damit die Arbeitsanreize relativ gesenkt worden. Im Jahr 1939 wurden Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenversicherung dann vollkommen voneinander abgekoppelt: Es gab eine Grundsicherung (Hauptunterstutzung) fur alle Arbeitslosen, unabhangig vom Versichertenstatus. Auf diesem Trend der Entkopplung lag schon die Aufhebung der begrenzten Bezugsdauer von Arbeitslosenhilfe aus dem Jahr 1937 (22.12.). Mit anderen Worten: Zu Beginn des Krieges hatte die Institution der Arbeitslosenversicherung ihre Existenzberechtigung weitgehend verloren.

^^ Familienforderung dieser und ahnlicher Art kann als ein durchgehendes Merkmal der Gesetzgebung der Jahre 1933 bis 1939 angesehen werden (vgl. auch die Verordnung vom 3.6.1937).

3.1 Historische Erfahrungen mit der Arbeitslosenversicherung in Deutschland

3.1.4

95

Die Bundesrepublik Deutschland nach 1949

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs gab es eine institutionelle Ubergangsphase, bis im Jahr 1949 im Westen Deutschlands aus der Trizone die Bundesrepublik Deutschland und aus der Sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik wurde. Diese (Jbergangsphase war gekennzeichnet von wirtschaftlicher Not, Arbeitslosigkeit, Schwarzmarkten, alliierten Produktionsund damit Beschaftigungsverboten und sonstiger rigoroser Wirtschaftslenkung durch die Siegermachte. Die ArbeitslosenunterstUtzung und ArbeitslosenfUrsorge wurde um die Jahreswende 1946/47 von den West-Alliierten wieder zugelassen (Rottenecker und Schneider 1996: 139). Der deutsche Bundestag begann erst im Jahr 1951, sich mit der Arbeitslosenversicherung gesetzgeberisch zu befassen. Auf den ersten Blick gab es Anlass genug, sich mit der Situation des Arbeitsmarktes auseinanderzusetzen: Die kriegsbedingte Arbeitslosigkeit war hoch und der Zustrom von Fluchtlingen, nicht zuletzt aus der Deutschen Demokratischen Republik, ebenfalls (Stolper et al. 1966: 313 f.). Doch das Problem, das eine Arbeitslosenversicherung hatte losen miissen, schwand mit dem „Wirtschaftswunder" (Tabelle 11). Um das Jahr 1960 war faktisch die Vollbeschaftigung erreicht. Tabelle 11: Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland^ 19502003 (Prozent) Jahr

Arbeitslosenquote

Jahr

Arbeitslosenquote

Jahr

Arbeitslosenquote

Jahr

Arbeitslosenquote

1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963

11,0 10,4

1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977

0,8 0,7 0,7 2,1 1,5 0,9 0,7 0,8 1,1 1,2 2,6 4,7 4,6 4,5

1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991

4,3 3,8 3,8 5,5 7,5 9,1 9,1 9,3 9,0 8,9 8,7 7,9 7,2

1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003

8,5 9,8

9,5 8,4 7,6 5,6 4,4 3,7 3,7 2,6 1,3 0,8 0,7 0,8

10,6 10,4 11,5 12,7 12,3 11,7 10,7 10,3 10,8 11,6

7,3(6,2)b

^1950-1965 Arbeitslose in Prozent der unselbstandigen Erwerbspersonen (bis 1958 ohne Saarland); 1966-1989 in Prozent der abhangigen Erwerbspersonen; 1990-2003 Arbeitslose in Prozent der abhangigen zivilen Erwerbspersonen; ab 1991 Gesamtdeutschland. — bin Klammem: Messziffer und Gebietsstand wie 1990.

Quelle: BA (2004a); eigene Zusammenstellung.

96

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

die sich - mit konjunkturellen Schwankungen - bis in die siebziger Jahre hielt. Nach 1973, moglicherweise auch aufgrund des Olpreisschocks und, damit zusammenhangend, aufgrund unzureichender Anpassung der Tarifpartner an diese Veranderungen, stieg die Arbeitslosigkeit erst allmahlich und nach 1980 (zweiter Olpreisschock) rapide an. Die Phase zwischen 1984 und 2003 schlieBHch kann als eine Zeit anhaltend hoher und daher „struktureller" Arbeitslosigkeit angesehen werden; allerdings gab es auch in dieser Zeit eine langere Erholungsphase etwa zwischen 1989 und 1992 - die kurz nach der deutschen Wiedervereinigung ein Ende fand. 3.1.4.1 Von Weimar (AVAVG) nach Bonn (AFG) Die Gesetzgebung der Bundesrepublik zur Arbeitslosenversicherung begann im Jahr 1951 ganz im Geiste der Weimarer Republik: Die Arbeitslosenversicherung blieb in staatlicher Regie, und sie war keine Versicherung; sie verteilte Geldtransfers an Arbeitslose, orientiert am friiheren Einkommen der Arbeitslosen und am Familienstand. Bemerkenswert erscheint, dass die Arbeitslosenunterstutzung und die Arbeitslosenhilfe (Letztere wurde als „Arbeitslosenfursorge" bezeichnet) die gleichen maximalen Leistungen bei Familien zahlten, aber bei Ledigen Unterschiede machten (Tabelle 12). Die Subvention fUr Familien war bis 1973 bei der Arbeitslosenhilfe hoher als bei der Arbeitslosenunterstutzung. Die Arbeitsbeschaffung spielte in der ersten Halfte der fiinfziger Jahre noch eine Rolle, ohne jedoch Weimarer AusmaBe zu erreichen. Dazu sind die Kassenkredite des Bundesfmanzministers fur eine „wertschaffende Arbeitslosenfiirsorge" zu zahlen (27.12.1951 und 4.8.1953), die sich an besondere Problemgruppen wandte, aber auch die (sehr) vorsichtige Lockerung des Vermittlungsmonopols der Bundesanstalt am 9.7.1954. Doch nur zwei Jahre spater, bei guter Arbeitsmarktlage, folgte eine emeute Festigung des Vermittlungsmonopols der Bundesanstalt, bei der sogar der Aushang von Listen uber Stellenangebote untersagt wurde (vgl. dazu und im Folgenden Ubersicht 8 im Anhang). Ansonsten waren die gesetzgeberischen Anderungen bis 1956 denen ahnlich, die in den Jahren vor der Krise in der Weimarer Republik erfolgten. Es gab einen Anstieg der Hohe und der Dauer der Leistungen und, allerdings nur zweimal, eine Senkung des Beitragssatzes. Einen gesetzgeberischen Neuanfang brachte das Jahr 1957, als das AVAVG von 1927/29 neu formuliert wurde. Das Bemerkenswerte dieses AVAVG 1957 war zunachst die Kontinuitat. So wurde das Monopol der Bundesanstalt in den Bereichen der Vermittlung und Beratung aufrechterhalten. Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe blieben unverandert auf dem Niveau der ersten Halfte der fiinfziger Jahre. Doch es gab Neuerungen, wie die Stillegungsvergutung, die an Arbeitnehmer von solchen Betrieben gezahlt wurde, die wegen Energie- oder Wassermangeln schlieBen mussten, oder wie die

3.1 Historische Erfahrungen mit der Arheitslosenversicherung in Deutschland

97

Tabelle 12: Arheitslosenversicherung in der Bundesrepuhlik Deutschland: Beitrage und Leistungsumfang (1951-1969) Beitrage

Leistungen

Arbeitslosenhilfe BeitragsbeBeitragsArbeitslosengeld messungsgrenze satz^ Hochstbetrage Bezugsdauer Hochstbetrage Bezugsdauer (monatlich (Prozent) (monatlich (Monate) (monatlich (Monate) in DM) in DM)b in DM)b 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969

375,00 500,00

750,00

4 4 4 4 3 2

243,60/114,00 324,00/170,40

wie 1927

243,60/94,80 324,00/126,00

wie 1927

12

489,60/280,80

324,00/141,60 489,60/228,80

840,00/442,80 765,60/537,60

840,00/362,40 765,60/451,20

2C

1,4 1,3 1300,00

1300,00

1,3

969,60/667,20

12

969,60/559,20

wie 1927

^esamtbeitrag von Arbeitnehmem und Arbeitgebem in Prozent des Bruttoarbeitsentgelts. — ^T>\Q erste Zahl bezieht sich auf Verheiratete mit Familie, die zweite Zahl auf Alleinstehende. — ^Vom 01.08.61 bis 31.03.62 waren die Beitrage ausgesetzt.

Quelle: Ubersicht 8 im Anhang; BMA (Ifd. Jgg); Neu (1996); eigene Zusammenstellung. Kurzarbeitervergutung, die erstmals im Jahr 1926 vom Gesetzgeber geregelt worden war. In den Folgejahren gab es weitere Neuerungen, wie das Schlechtwettergeld fur die Bauwirtschaft oder die Fortsetzung von Bewahrtem in den Bereichen Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld und StilllegungsvergUtung. Die sechziger Jahre begannen in Bezug auf die Regeln der Arheitslosenversicherung eher mit Marginalien. Die „Feinsteuerung" nahm zu. Ursachlich dafur dUrfte die anhaltende Vollbeschaftigung gewesen sein; andere Situationen als die uberbordender Nachfrage nach Arbeitskraften schienen dem Gesetzgeber kaum vorstellbar zu sein. Am 25.4.1961 wurde die Bundesregierung sogar ermachtigt, die Beitragsleistungen zur Arheitslosenversicherung ganz oder teilweise auszu-

98

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

setzen - von einer Ermachtigung zur Beitragsanhebung war keine Rede. Keine Marginalien beinhalteten die Gesetze zur Anderung des AVAVG der Jahre 1966 und 1967. Die Leistungen der Bundesanstalt wurden in dieser Zeit auf alien Ebenen angehoben. Diese Leistungsverbesserungen wie auch die darauf folgenden und wieder eher marginalen Erganzungen bis Mitte des Jahres 1969 kennzeichneten eine Arbeitsmarktpolitik der vollen Kassen. Auf vollen Kassen basierte auch die Ablosung des AVAVG durch das Arbeitsforderungsgesetz des Jahres 1969 (AFG). 3.1.4.2 Das AFG Der deutsche Bundestag verabschiedete im Jahr 1969 ein neues Gesetz zur Arbeitslosenversicherung, das ganz im Geiste seines Vorlaufers aus dem Jahr 1927 gehalten war. Es war allerdings um einige Facetten reicher - zum Beispiel spielten das Schlechtwettergeld und das Unterhaltsgeld eine gewichtige Rolle -, und es wandte sich an einen sehr viel groBeren Kreis von Betroffenen, nicht unbedingt „nur" an Arbeitslose. So wandte es sich an Bauarbeiter, Behinderte, Frauen, altere Arbeitnehmer und Kurzarbeiter. Ein groBer Teil dieser Erganzungen hatte sich in den Gesetzesanderungen und Verordnungen der letzten zwanzig Jahre schon angedeutet. Der Hintergrund des AFG war die seit rund 10 Jahren andauemde Situation der Vollbeschaftigung, zum Teil sogar der so genannten tJberbeschaftigung (noch Tabelle 11). Arbeitslosigkeit und ihre potentiellen Kosten gingen nicht in das politische Kalkul ein. Es war zudem eine Zeit, in der man glaubte, alle wichtigen wirtschaftspolitischen Parameter im Griff zu haben. Dieser Glaube an die wirtschaftspolitische Machbarkeit, der seinen gesetzlichen Niederschlag im Stabilitats- und Wachstumsgesetz von 1968 gefunden hatte, sollte noch einige Jahre fortbestehen, bis er sich in den achtziger Jahren als Illusion herausstellte. Bemerkenswert ist im gleichen Zusammenhang, dass nach dem AFG die - im AFG dynamisierten - Beitragsleistungen von der Bundesregierung jederzeit gesenkt (nicht erhoht) werden konnten. Ein weiteres Merkmal geringer Relevanz der Arbeitslosigkeit ist die strikte Beibehaltung des Beratungs- und Vermittlungsmonopols der Bundesanstalt, wenn auch die Begriindung des Monopols mit den „schutzwiirdigen Interessen deutscher Arbeitnehmer..." ihrerseits nicht begriindet wurde. Letztlich konnte es sich nur, da Vollbeschaftigung herrschte, um die Protektion von Arbeitnehmem vor mobileren Kollegen, womoglich aus dem Ausland, handeln. In dieses Bild fUgten sich weitere Anderungen im Anschluss an das AFG ein: Im Jahr 1969 wurde zur Weihnachtszeit ein Gesetz zur Aufstockung des Unterhaltsgeldes verabschiedet und zwei Tage darauf, am 24.12., eine Verordnung, in der alle Leistungen der Bundesanstalt angehoben wurden.

3.1 Historische Erfahrungen mit der Arbeitslosenversicherung in Deutschland

99

Die Entwicklung seit 1970 zeigt auf der Beitragsseite einen steigenden Trend sowohl bei der - jetzt dynamisierten - Bemessungsgrundlage als auch bei dem Beitragssatz (Ubersicht 2 im Anhang).^^ Eine parallele Ausweitung der Leistungen ist auf den ersten Blick nicht erkennbar, im Gegenteil: Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe (in Prozent des Nettoeinkommens) sanken im Gesamtzeitraum, insbesondere fiir Alleinstehende. Ein Teil der rasch steigenden Beitragseinnahmen mag in den zahlreichen laufenden Anderungen der „sonstigen" MaBnahmen gebunden worden sein, ein weiterer in der Ausdehnung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von 12 auf maximal 32 Monate im Untersuchungszeitraum. Letzteres freilich diirfte wiederum die Gesamtzahlungen an Arbeitslosenhilfe (ceteris paribus) verringert haben. Den Lowenanteil an den rasch steigenden Einnahmen aus Beitragen hat sicherlich die zunehmende Zahl von Arbeitslosen absorbiert, moglicherweise im Verein mit einer steigenden Anzahl von Beschaftigten in der Arbeitslosenverwaltung. Es ist hier auch auf den Zusammenhang zwischen beitragsinduzierter Arbeitslosigkeit auf der einen Seite und dem Anstieg des Anspruchslohns - vor allem zwischen 1969 und 1975/83 - auf der anderen Seite zu verweisen (vgl. dazu Abschnitt 1.2): Sowohl der Anspruchslohn als auch die „Lohnersatzquote" stiegen (ceteris paribus) mit dem Arbeitslosengeld und der Arbeitslosenhilfe. Damit sanken die Opportunitatskosten der Arbeitssuche und die „Abgangsrate", das ist die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Arbeitsloser einen neuen Arbeitsplatz fmdet und ihn annimmt. Die Bewdhrungsprobe des AFG in Zeiten steigender und hoher Arbeitslosigkeit Nach 1973 stieg die Arbeitslosigkeit an - anfangs kraftiger als Ende der siebziger Jahre. Seit 1983 kann man von einem auBerordentlich hohen Niveau der Arbeitslosigkeit sprechen. Ubersicht 2 veranschaulicht, dass die Regelungen der Arbeitslosenversicherung in diesem Zeitraum zwar haufig geandert wurden, allerdings nicht in der erkennbaren Absicht, die Arbeitslosigkeit zu senken: - Auf der Beitragsseite stiegen in Westdeutschland sowohl die steuerbare Bemessungsgrenze (um 4,8 Prozent im Jahresdurchschnitt zwischen 1973 und 2001) als auch der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung (von 1,7 Prozent im Jahr 1973 auf 6,5 Prozent im Jahr 2001); insgesamt stiegen damit die Beitrage jedes Arbeitnehmers an der Beitragsbemessungsgrenze seit 1973 um jahresdurchschnittlich 10,0 Prozent. So liegt die Vermutung nahe, dass die Arbeitslosigkeit allein schon aufgrund der Verteuerung der Arbeitslosenversicherung iiber die steigenden Lohnkosten zugenommen hat. ^^ Die Bemessungsgrenzen lagen 1969 bei 1 700 DM und 2001 bei 8 700 DM (alte Bundeslander).

100

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

- Auf der Leistungsseite ist standig manipuliert worden, so dass ein einheitliches Bild schwer zu erstellen ist. Deutlich wird, dass die Hohe des Arbeitslosengeldes wie auch der Arbeitslosenhilfe fiir Familien geringfugig gesenkt wurde und fiir Ledige etwas deutlicher. Dafur stieg jedoch die maximale Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von 12 Monaten im Jahr 1973 auf 32 Monate im Jahr 2001. Genauer ausgedriickt heiBt das, dass nach 1973 die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes um (maximal) das 2,6fache anstieg und die Hohe des Arbeitslosengeldes um (maximal) 11,8 Prozent sank. Soweit von der Gesamthohe des Arbeitslosengeldes - das ist die groBte erreichbare Hohe der Uber die Anspruchszeit kumulierten Auszahlungen - Arbeitsanreize ausgehen, sind diese seit 1973 sicher gesunken.^^ Bei den sonstigen Arten der ArbeitslosenunterstUtzung gab es ein stetes Auf und Ab. Gemessen an der Entwicklung der Arbeitslosigkeit hat sich das AFG nicht bewahrt. Es diente sowohl zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit als auch einer wachsenden Palette versicherungsfemer Leistungen. Fine Parallele zur Zeit der Weimarer Republik drangt sich auf: die weitgehende Wirkungslosigkeit der Arbeitslosenversicherung in Bezug auf die Hohe und die Dauer der Arbeitslosigkeit (vgl. auch Abschnitt 1.2.2).

3.1.5

Lehren aus der Geschichte?

Die Geschichte Deutschlands seit 1871 veranschaulicht, dass die Arbeitslosenversicherung zu keiner Zeit mit dem Ziel eingesetzt wurde, die Arbeitslosigkeit zu verringem: - Im Kaiserreich war das AusmaB der Arbeitslosigkeit derart gering, dass weder beim Staat noch bei Privaten ein besonderer Handlungsbedarf gesehen wurde. Nur einige wenige Kommunen, Untemehmen und Gewerkschaften, die fiir „ihre" Beschaftigten eine Absicherung fiir den Fall einer Arbeitslosigkeit aufbauten, boten eine Art von Arbeitslosenversicherung an. Diese hatte allerdings meist eher karitativen als versicherungsanalogen Charakter. Ansatze zu einer Versicherungslosung mit starken Anreizen fur eine rasche Wiederaufnahme einer Beschaftigung enthielt lediglich die „Versicherung gegen Stellenlosigkeit von Handlungsgehilfen" aus dem Jahr 1908.

^^

Nimmt man die Eckpfeiler des Arbeitslosengeldes (68 Prozent des Einkommens erhielten Ledige 12 Monate lang im Jahre 1973; im Jahre 2001 waren es noch 60 Prozent fur 32 Monate), so errechnet sich ein realer Anstieg des Anspruchs auf Arbeitslosengeld von 3,8 Prozent pro Jahr im Jahresdurchschnitt zwischen 1973 und 2001.

3.1 Historische Erfahrungen mit derA rbeitslosenversicherung in Deutschland

101

- In der Zeit der Weimarer Republik bestand die Absicherung gegen die finanziellen Folgen der Arbeitslosigkeit zunachst (bis 1923) aus staatlich finanzierten Fursorgeleistungen. Der FUrsorgecharakter blieb auch nach 1923 erhalten, jedoch anderte sich die Finanzierung durch eine zunehmende Beteiligung von Arbeitgebem und Arbeitnehmem und eine abnehmende Beteiligung des Zentralstaates. Eine entscheidende und bis heute wirksame Anderung brachte das Jahr 1927 mit dem AVAVG. In ihm trat neben die Fursorgeleistungen, denen die Bediirftigkeit als wichtigste Anspruchsvoraussetzung zugrunde lag, die „Hauptunterstutzung" aufgrund von Arbeitslosigkeit (dies entspricht der heutigen Unterscheidung zwischen Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe). Wenn auch der Zusammenhang zwischen Pramienleistungen und Anspriichen der Beitragszahler relativ lose war - die Finanzierung der Leistungen der Arbeitsamter war paritatisch einkommensabhangig statt risikobezogen -, war das AVAVG die erste umfassende Regelung dieses Teils der sozialen Sicherheit. Allerdings hatte das AVAVG auch weitere, die Effizienz und die Zukunft belastende Eigenschaften. So war es ein Zwangssystem, und es schloss den Wettbewerb um die gunstigste Arbeitslosenversicherung aus. - In den Jahren zwischen 1933 und 1939 spielte die Arbeitslosenversicherung beim raschen Abbau der Arbeitslosigkeit keine Rolle. Es war eher das Gegenteil der Fall. So wurden die Leistungen fur Arbeitslose sogar verbessert und damit auf eine mogliche produktive Ruckkopplung zwischen Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosigkeit verzichtet. - Das bundesdeutsche System der Arbeitslosenversicherung setzte zunachst das Weimarer AVAVG fort und formulierte es dann, mit einigen Erweiterungen, aber im Geiste unverandert, als Arbeitsforderungsgesetz (AFG) im Jahr 1969 neu. Mit anderen Worten: Auch das AFG verzichtet weitgehend auf versicherungsadaquate Losungen. Kann man aus der historischen Erfahrung Lehren fiir ein effizienteres System der Arbeitslosenversicherung der Zukunft Ziehen? Solche Lehren waren deshalb niitzlich, weil das jetzige System die hohe bestehende Arbeitslosigkeit zumindest nicht verhindert hat und voraussichdich auch kiinftig nicht zum Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen wird. Die Geschichte der deutschen Arbeitslosenversicherung enthalt in der Tat einige bemerkenswerte Aspekte. Es gab sowohl in der Kaiserzeit als auch in der Weimarer Republik Ansatze zu einer Versicherungslosung fiir das Arbeitslosigkeitsproblem. Die erste Versicherung war privater Natur (Versicherung fiir Handlungsgehilfen), und die zweite war vom Staat dekretiert (Notverordnung vom 26.07.30). Beide Losungen schufen Anreizmechanismen, die auf eine Senkung der Arbeitslosigkeit abzielten. Die Handlungsgehilfen-Versicherung kniipfte das Arbeitslosengeld an die

102

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

Bemtihungen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden; die Notverordnung sah erhohte Beitrage zur Arbeitslosenversicherung derjenigen Arbeitgeber vor, deren Entlassungsverhalten das System iiberdurchschnittlich in Anspruch nahm. Es waren dies gewissermaBen Fragmente, die jeweils Teilaspekte des Problems einer effizienten Arbeitslosenversicherung abdeckten, wenn auch ohne den Hintergrund eines konsistenten Modells der wichtigen Wirkungszusammenhange: Der Staat griff 1930, angesichts der Weltwirtschaftskrise, zu auBergewohnlichen MaBnahmen, eben ,JMot"ma6nahmen; ohne Not ware dieser Ansatz zu einer Versicherungslosung vermutlich unterblieben. Auch im Kaiserreich war die genannte versicherungsahnliche Institution eher eine Ausnahme und singular; weder der Staat noch die Privaten sahen eine Veranlassung, eine Arbeitslosenversicherung zu etablieren. Bemerkenswert ist die Handhabung des Beratungs- und Vermittlungsmonopols der Reichs- bzw. Bundesanstalt fiir Arbeit. Prinzipielle Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Monopols sind nie emsthaft aufgetaucht. Dennoch war offenbar der Gesetzgeber von der okonomischen Effizienz des Monopols nicht (iberzeugt. So wurde in besonderen Krisenfallen das Monopol gelockert, wenn auch der Monopolist gehalten war, eine strenge Aufsicht iiber seine neuen Konkurrenten auszuuben, und wenn auch versucht wurde, die private Vermittlung okonomisch unattraktiv zu machen. Auch in diesen Tagen wird die Zulassung privater Vermittler betrieben - ob dies auf die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit zuriickzufuhren ist oder eher Ausfluss des Aufdeckens fragwurdiger Vermittlungstechniken (bzw. -statistiken) der Bundesanstalt ist, kann hier offen bleiben. Die Analyse der Verordnungen und Gesetze ergab, dass in der Regel von der Arbeitslosenversicherung keine Effekte zu erwarten waren, die auf eine Senkung der Arbeitslosigkeit hinausliefen. Die historische Entwicklung hat diese Analyse bestatigt: Weder zu Beginn der dreiBiger Jahre noch seit den achtziger Jahren wurde versucht, der Krise auf dem Arbeitsmarkt mit den Mitteln einer Arbeitslosenversicherung beizukommen. Das bedeutet nicht, dass die Politik untatig blieb; zu manchen Zeiten war vielmehr eine geradezu hektische Abfolge von Regelungen und Regelanderungen zu beobachten. Diese dienten jedoch durchweg dem Zweck, das versagende bestehende System zu erhalten und zu verteidigen. Selbst die beschriebene Lockerung des Vermittlungsmonopols enthielt zuweilen die Absichtserklarung, diese Lockerung so bald wie moglich wieder riickgangig zu machen.

3.2 Internationale Erfahrungen mit der Arbeitslosenversicherung

3.2

103

Internationale Erfahrungen mit der Arbeitslosenversicherung

Probleme der Arbeitslosigkeit und ihrer Versicherung gibt es auch in anderen Landem (Tabelle 13), wenn auch die Entwicklung der Arbeitslosigkeit einen unterschiedlichen Verlauf nahm. In Deutschland ist seit 1970 ein dramatischer Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen; ein Anstieg, wenn auch weniger ausgepragt, ist fiir die gesamte Europaische Union (EU) zu beobachten; die Arbeitslosenquote in der EU war 1970 funfmal hoher und 2003 deutlich niedriger als in Deutschland. Die in Europa vorherrschenden Entwicklungen sind offenbar nicht auf weltwirtschaftliche Storungen zuruckzufuhren oder auf den Strukturwandel, der in den letzten Jahren mit dem Begriff „New Economy" umschrieben wurde. Denn die Arbeitslosenquote in den Vereinigten Staaten hatte einen ganz anderen Verlauf; seit den achtziger Jahren steigt die Erwerbstatigkeit dort stark an, starker noch, als es in dem RUckgang der Arbeitslosenquote allein zum Ausdruck kommt (Kleinert et al. 2000: 172 ff.). Die Ursachen der iiber viele Jahre steigenTabelle 13: Entwicklung der Arbeitslosigkeit in ausgewahlten Industrielandem zwischen 1960 und 2003^ (Prozent) Deutschlandh Vereinigte Staaten Vereinigtes EU^ Konigreich n.v. 1960 0,7 5,5 1,2 n.v. 1965 0,4 4,5 1,1 1970 0,4 4,9 2,1 2,1 1975 8,5 3,4 3,4 2,3 1980 2,6 7,1 5,8 5,0 1985 7,2 7,2 9,3 11,2 1990 4,8 5,6 6,9 8,1 1992 6,4 7,5 9,7 9,1 1995 10,1 8,0 5,6 8,5 2000 7,8 4,0 5,4 7,8 2001 7,4 4,7 5,0 7,4 2002 8,6 5,8 7,7 5,1 2003 n.v. 9,3 6,0 8,0 ^Standardisierte Arbeitslosenquoten der OECD bis auf die fett gesetzten Werte; Letztere sind nationale Arbeitslosenquoten nach der OECD. — ^Ab 1992 Gesamtdeutschland. — CEU-15 fur die standardisierte Quote, sonst aktuelle Zusammensetzung.

Quelle: OECD (2004); eigene Zusammenstellung.

104

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

den Arbeitslosigkeit sind daher zunachst in den EU-Landem, vor allem in Deutschland, selbst zu suchen. Hier ware insbesondere nach der Verfassung der Arbeitsmarkte zu fragen; dazu zahlt auch die Art und Ausgestaltung der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe, die beide iiber das Niveau des Anspruchslohns und damit iiber die Anreize zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit entscheiden. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Arbeitsmarktentwicklung in der EU-15 und in den Vereinigten Staaten sollen im Folgenden die institutionellen Grundlagen der Arbeitslosenversicherung in diesen Landem dargestellt werden. Aufgrund der relativ positiven Arbeitsmarktentwicklung im Vereinigten Konigreich wird im Rahmen der EU-15 das britische Absicherungssystem einer genaueren Betrachtung unterzogen. Da die Vereinigten Staaten im Vergleich zur EU-15 grundlegend andere institutionelle Regelmechanismen aufweisen und zudem ein groBer Fundus an empirischen Analysen iiber deren System vorliegt, soil auBerdem gepriift werden, welche Wirkungen das amerikanische System auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit hat(te).

3.2.1

Die Arbeitslosenversicherung in den Landern der EU-15

3.2.1.1 Eine Ubersicht In alien Landem der EU-15 gibt es Arbeitslosenversicherungen (vgl. dazu Tabelle 14 und ausfiihrlich die Ubersicht 9 im Anhang). Im Regelfall besteht Versicherungspflicht, wie in Deutschland. Nur die drei skandinavischen Lander Danemark, Finnland und Schweden stellen die Mitgliedschaft ins freie Ermessen. Allerdings sind in diesen drei Landem die Anreize gro6, Mitglied in einer der Arbeitslosenversichemngen zu sein. Die Beitrage sind durchweg sehr niedrig - in Danemark liegen sie beim 4,8fachen des taglichen Hochstbetrags an Unterstutzung^2 - und das Arbeitslosengeld ist vergleichsweise hoch; in Danemark liegt es bei 90 Prozent des Referenzlohns. Vergleicht man die maximalen Gesamtleistungen der Arbeitslosenversichemngen in den EU-Landem, die sich aus dem Produkt von relativer Hohe des Arbeitslosengeldes und der maximalen Bezugsdauer ergeben, so erhalten arbeitslose Danen die hochsten Lohnersatzleistungen; am anderen Ende der Rangskala stehen Irland und Italien.^^ Diese Reihenfolge andert sich auch nicht, wenn man die Steuerpflicht beriicksichtigt: In alien drei Landern, wie in der uberwiegenden ^^ Das entspricht einem Beitragssatz von gut 1 Prozent. ^^ Nicht berucksichtigt sind die beiden Lander (Finnland und Vereinigtes Konigreich), fiir die keine genauen Angaben iiber die Hohe des Arbeitslosengeldes zur Verfiigung stehen.

3.2 Internationale Erfahrungen mit der Arbeitslosenversicherung

105

Tabelle 14: Arbeitslosenversicherung in der EU-15 (Stand: 2003) Land

Finanzierung

Arbeitslosengeld

HOhea Arbeit- Arbeit- Fiskus nehmer geber (Prozent)b (Prozent) (Prozent) Belgien

SVBC

SVBC

DAd

Danemark

SVBC

-

DAd

90

Arbeitslosenhilfe

Zwangsmitgliedschaft/ versteuerbar

Hohea (Prozent)*'

maximale Dauer (Monate)

48-60

-

-

ja/ja nein/ja

maximale Dauer (Monate)

446/55/60 unbefristet

Deutschland

3,25

3,25

DAd

60/60/67

6-32

53/53/57

unbefristet

ja/nein

Finnland

n.b.f

n.b.f

uberwiegend

.g

17-36

.g

unbefristet

nein/ja

2,4

4,0

Pauschale

57,4

7-42

€21,-/Tag

im Prinzip unbefristet

ja/ja

1,33 SVRC

3,67

DAd

50/50/70h

5-12

.g

3-12

ja/ja

Irland

SVBC

DAd

125 €/ Wochei

13

125 €/ Woche

unbefristet

ja/ja

Italien

0,3

2,2^,4

-

-

Frankreich Griechenland

DAd

40/40/40

6-9

steuerfinanziert

80/80/85

12-30

1,55

-

70/70/70

6-60

Luxemburg

Niederlande

5,8

ja/ja ja/ja

70/70/701

6-24^

ja/ja

3,0

3,0

DAd

60/80/80

5-19,5

52,3l

unbefristet

ja/nein

Portugal

SVBC

SVBC

-

65/65/65

12-38

80/100/100)

6-38

ja/nein

Schweden

n.b.f

3,7

DAd

80/80/80

10-20

Pauschale

10-20

nein/ja

Spanien

1,65

7,0

-

70/70/701

4-24

75/125J

6-18

ja/ja

SVBC

SVBC

DAd

Pauschale

6

Pauschale

unbefristet

ja/ja

Osterreich

Vereinigtes Konigreich

aMaximaler Betrag: ledig/verheiratet/verheiratet mit Kindem (max.). — ^Prozent des Einkommens der Arbeitnehmer, oft mit Hochstbetragen versehen. — ^Zusammen mit anderen Sozialversicherungsbeitragen erhoben; Arbeitslosenversicherungsbeitrag ist nicht trennbar.— dDefizitausgleich.—^Im ersten Jahr 60 Prozent.— ^Nicht bezifferbar. — gNicht zusammenfassbar; vgl. Ubersicht 9 im Anhang.— ^Angestellte (Arbeiter: 10 Prozentpunkte weniger). — ^Zuziiglich Zuschlage bzw. Kinderpauschalen. — JBezugsgroBe: Mindestlohn. — ^Bei Personen iiber 57,5 Jahre: 84 Monate. — ^Andere Bedingungen gelten nach Ablauf eines halben Jahres und bei Beziehem niedriger Einkommen.

Quelle: MISSOC (2004a) und Ubersicht 9 im Anhang; eigene Zusammenstellung. Mehrheit der EU-15, unteriiegen die Leistungen der Arbeitslosenversicherung der Steuer. Hinsichtlich der Arbeitslosenhilfe ist festzustellen, dass nicht alle Lander der EU diese Form der Unterstutzung Arbeitsloser kennen. In Belgien besteht keine Notwendigkeit fur die Zahlung von Arbeitslosenhilfe, weil der Bezug von Ar-

106

Kapitel 3

Alternative Systeme derA rbeitslosenversicherung

beitslosengeld nicht befristet ist; in Italien, Luxemburg und Danemark sind die Arbeitslosen nach dem Auslaufen des Arbeitslosengeldbezugs auf andere Einkommensquellen angewiesen - im Regelfall wohl auf die Sozialhilfe; in Danemark tritt diese Eventualitat allerdings erst nach vier bis ftinf Jahren ein. Die Finanzierung ist der Teil der Arbeitslosenversicherung, der einem Vergleich am wenigsten zuganglich ist. Das liegt zunachst daran, dass in den meisten Landem der Staat ein wichtiger Geldgeber ist; wo er fiir einen Defizitausgleich sorgt, sind diese Gelder in ihrer (relativen) Hohe bestenfalls im Nachhinein bestimmbar. Es liegt aber auch daran, dass einige Lander die Beitrage zur Arbeitslosenversicherung zusammen mit anderen Sozialversicherungsbeitragen (z.B. Krankenversicherung, Alterssicherung und Invaliditat) erheben. Relativ eindeutig scheint die Finanzierung nur in den Landem zu sein, die einen festgelegten Teil des Einkommens der Beschaftigten von Arbeitnehmem und Arbeitgebem verlangen. Unter diesen Landem wird Uberwiegend der jeweilige Arbeitgeber am starksten belastet; in Deutschland und Osterreich besteht eine paritatische Finanziemng; nur die Niederlande belasten die Arbeitnehmer starker, und zwar fast viermal so sehr wie die Arbeitgeber. Tabelle 14 gibt freilich nur sehr oberflachliche Informationen zur Praxis der Arbeitslosenversichemngen in Europa. Zum Beispiel variieren die Bezugsbedingungen der Lohnersatzleistungen wie auch die moglichen Sanktionen bei unzureichenden BemUhungen um einen neuen Arbeitsplatz zwischen den Landem. So relativieren sich die auf den ersten Blick groBziigigen Konditionen in Danemark, wenn man die Vergabepraxis beriicksichtigt. Unzureichend sind zum Teil auch die Angaben zur Hohe der Arbeitslosenunterstiitzung. Im Vereinigten Konigreich etwa befmden sich die genannten „Pauschalen" sowohl ftir die beitragsabhangige als auch fiir die einkommensabhangige Arbeitslosenunterstiitzung auf dem Niveau der Sozialhilfe (Ubersicht 9 im Anhang). 3.2,1.2 Exkurs: Sozialhilfe in den Ldndern der EU-IS Sozialhilfe, die ebenfalls Einfluss auf die Dauer der Arbeitslosigkeit haben kann, wird nicht in alien Landem der EU-15 gezahlt (Tabelle 15 und ausfiihrlich Ubersicht 10 im Anhang). Dort, wo sie gezahlt wird, sind die Leistungen, wenn man sie mit dem jeweiligen Durchschnittseinkommen vergleicht, auBerordentiich unterschiedlich: Danemark und das Vereinigte Konigreich zahlen den Anspmchsberechtigten mnd ein Drittel, Schweden und Portugal nur 11 bzw. 13 Prozent des jeweiligen nationalen durchschnittlichen Einkommens. AUe diese Zahlungen erfolgen, solange die Hilfsbediirftigkeit besteht, das heiBt im Prinzip zeitlich unbegrenzt. Die meisten Lander verzichten auf eine Besteuemng der Sozialhilfe; dort, wo eine Steuerpflicht besteht, diirfte die Hohe der Sozialhilfe den jeweiligen

3.2 Internationale Erfahrungen mit der Arbeitslosenversicherung

107

Tabelle 15: Sozialhilfe in der EU-15 (Stand: 2003) Land

Hohe^

Belgien Danemark Deutschland Finnland Frankreich Griechenland Irland Italien

26,7 36,5 15,4 15,8 18,8 0 18,4 13,2

Luxemburg Niederlande Osterreich Portugal Schweden Spanien Vereinigtes Konigreich

Dauer

Zu ver- ArbeitsbeSonstige steuem reitschaft als VergunstiVorausgungen^ setzung^

unbegrenzt unbegrenzt unbegrenzt unbegrenzt 3 Monate^

nein

nein nein

(+)

21,4 24,2 19,0 13,0 11,0 13,4

unbegrenzt zeitlich beschrankt unbegrenzt unbegrenzt unbegrenzt unbegrenzt unbegrenzt 12 Monate^

ja ja nein nein nein

+ ++ + + +

ja

32,8

unbegrenzt

nein

ja nein nein nein

++ ++ (+) + +

nein ja ja nein ja

Sonstige Restriktionend ja k.A. ja ja ja

ja ja

nein nein nein

4-

ja ja ja ja ja ja

.f

ja

ja

-

ja ja ja ja ja

aHilfe an Alleinstehende in Prozent des BIP pro Kopf. — t)_keine Anforderungen, (+) sehr geringe Anforderungen, + geringe Anforderungen, ++ hohere Anforderungen. — ^Z.B. Heizungszuschusse oder Ubemahme der Krankenversicherung. — ^X.B. finanzieller Ruckgriff auf Eltem oder Kinder. — ^Verlangerung moglich. — ^Income support (fur nicht arbeitsfahige Personen). Quelle: MISSOC (2004b) und Ubersicht 10 im Anhang; eigene Zusammenstellung. Freibetrag kaum iibersteigen. Im Regelfall wird Sozialhilfe Uberdies nur gezahlt, soweit ein Ruckgriff auf Vermogen und Einkommen naher Verwandter nicht moglich ist. Entscheidend fiir die Bewertung der Leistungen der Sozialhilfe sind auch die sonstigen VergUnstigungen, die neben der Grundsicherung geleistet werden; sie konnen, wie das Beispiel Deutschlands zeigt, erheblich sein: Der Durchschnitt von 15,4 Prozent des durchschnittlichen Einkommens kann sich hier durch Zusatzleistungen im Einzelfall durchaus verdoppeln (Boss 2002: 38 f.).

108

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

Der zweite entscheidende Faktor bei einer Bewertung der Sozialhilfe in den EU-Landem sind die Auflagen an die Leistungsempfanger. Sie konnen in einigen Landem ein hohes Ma6 an Arbeitsbereitschaft voraussetzen und bei fehlender Kooperation zu drastischen KUrzungen der Sozialhilfe fiihren. Ein Beispiel fiir rigorose Auflagen und die Praxis nachhaltiger Sanktionen ist Danemark, wo erwerbsfahige Sozialhilfeempfanger der „kommunalen Aktivierung" unterliegen. Ahnliches gilt fiir das Vereinigte Konigreich, wo die eigentliche Sozialhilfe an die Erwerbsunfahigkeit gebunden ist; alle Erwerbsfahigen unterliegen den Ma6nahmen der Arbeitsverwaltung (Abschnitt 3.2.2.3). 3.2.1.3 Exkurs: Das System des Vereinigten Konigreichs Im Vereinigten Konigreich gibt es keine Arbeitslosenversicherung im herkommlichen Sinne. Die Einkommenssicherung bei Arbeitslosigkeit erfolgt im Rahmen vom Beitragen zur Nationalversicherung („national insurance", NI). Diese Nationalversicherung tragt zur Finanzierung nicht nur der Arbeitslosen, sondem auch der Alterssicherung und der Kosten des Gesundheitswesens bei. Da es keine institutionelle Bindung an einzelne Leistungsarten gibt, ist eine Effizienzanalyse und damit auch eine effizienzgesteuerte kontrollierte Verbesserung der Leistungsfahigkeit der NI grundsatzlich nicht moglich: Es handelt sich um einen kollektivistischenLosungsansatz. Beitragspflichtig sind im Vereinigten Konigreich nicht nur abhangig Beschaftigte, wie etwa in Deutschland, sondem auch Selbstandige ohne Arbeitnehmer (self-employed). Die Beitrage zur NI werden nach sechs Klassen erhoben, die in vier Gruppen eingeteilt sind, je nachdem ob der Zahlungspflichtige angestellt, selbstandig ohne Mitarbeiter, ohne Arbeit oder Arbeitgeber ist.^^ In alien vier Gruppen beziehungsweise sechs Klassen handelt es sich prinzipiell um festgelegte Pro-Kopf-Beitrage; Klasse 3 zum Beispiel spielt fiir die Absicherung der Arbeitslosen keine Rolle; sie beschreibt freiwillige Zahlungen zum Schutz von Rentenanspriichen. Je nach „Status" des Zahlungspflichtigen - es handelt sich dabei um eine Mischung aus personlichen und arbeitsrechtlichen Kriterien kann ein Beitragszahler nach mehr als einer (von den sechs) Klassen beitragspflichtig sein. Jeder Beitrag zur NI wird anhand eines Beitrags-Tabellen-Buchstabens (contribution table letter) festgelegt; dabei gibt es acht Buchstaben (plus drei ^^ Zu den Einzelheiten vgl. etwa Business Matters (2000). Zu diesen Einzelheiten gehort etwa, dass Klasse 1 zwei zusatzliche Klassen enthalt, namlich lA und IB, die selbstandig neben Klasse 1 bestehen; z.B. handelt es sich bei Klasse lA um (absolute) Beitrage der Arbeitgeber, die anhand der Zahl derjenigen Kraftfahrzeuge (und des Treibstoffverbrauchs) ermittelt werden, welche die Firma den Arbeitnehmem zum privaten Gebrauch zur Verfugung stellt.

3.2 Internationale Erfahrungen mit derA rbeitslosenversicherung 109 weitere fur Seeleute). Die Buchstaben diskriminieren danach, ob der normale Beitrag zu zahlen ist oder ein reduzierter (z.B. fur verheiratete Frauen oder fur Witwen) und ob eine Freistellung vom staadichen einkommensbezogenen Rentensystem (State Earnings Related Pension Scheme, SERFS) vorliegt. Auf der Leistungsseite erhalten alle Arbeitslosen ein Einkommen, das ungefahr der Sozialhilfe entspricht. Die Arbeitslosen mit giiltigem Anspruch auf Arbeitslosengeld konnen dieses ein halbes Jahr lang beziehen, unabhangig von sonstigen (Familien-)Einkunften. Die ubrigen Arbeitslosen erhalten einen Einkommenstransfer, der die gleiche Hohe hat, aber zeitlich nicht begrenzt ist; im Unterschied zum vorgenannten Arbeitslosengeld werden hier jedoch sonstige (Familien-)Einkunfte angerechnet (Glismann und Schrader 2001b: 11 ff.).

3.2.2

Die Arbeitslosenversicherung in den Vereinigten Staaten

3.2.2.1 Kernelemente und Funktionsweise In den Vereinigten Staaten gibt es keinen KUndigungsschutz wie in Deutschland (Blank 1994: 161 ff.). Im Regelfall gelten die individuellen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen iiber die Dauer der Beschaftigung. Die fmanzielle Absicherung gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit - das fur alle Arbeitnehmer betrachtet in den Vereinigten Staaten heute deudich niedriger ist als in Deutschland - erfolgt auf der Basis eines Bundesgesetzes aus dem Jahre 1935 (Legal Information Institute 2000). Dieses Gesetz verpflichtete alle Bundesstaaten, eine Arbeitslosenversicherung einzurichten und gab bezuglich der Ausgestaltung dieser Versicherung jedem Staat weitgehende Freiheit (New York State Department of Labor 1990: 4f.). Gemessen an den Leistungen der deutschen Arbeitslosenversicherung sind diejenigen in den amerikanischen Bundesstaaten eher als gering zu bezeichnen (Kasten 6). Heute wird meist 50 Prozent eines Referenzlohns fUr eine Zeit von maximal 26 Wochen gezahlt. Eine Arbeitslosenhilfe, die im Anschluss an das Arbeitslosengeld gezahlt wird, gibt es nicht. Die Finanzierung der Zahlungen an Arbeitslose liegt bei den Untemehmen. Sie zahlen an den jeweiligen Bundesstaat einen Anteil (6,2 Prozent) an der besteuerbaren Lohnsumme,^^ die „Federal Unemployment Tax" (FUTA). Von diesen 6,2 Prozent flieBen 0,8 Prozentpunkte - das sind zur Zeit 56 US-Dollar pro Arbeitnehmer - an die Bundesregierung als pauschalierter Beitrag zu den Verwaltungskosten. Die restlichen 5,4 Prozentpunkte sind hypothetischer Natur: Jeder Bundesstaat legt seine Regeln zum Arbeitslosengeld selbstandig fest; das gilt ^^ Der „Federal Unemployment Tax Act" legt in seiner gegenwartigen Fassung pro Arbeitnehmer eine Bemessungsgrenze von 7 000 US-Dollar fest.

110

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

Kasten 6: Arbeitslosenversicherung in den Vereinigten Staaten Ziel: Befristete Einkommenssicherung bei Arbeitslosigkeit wahrend der Arbeitssuche entsprechend den Bedingungen eines Rahmenprogramms des Bundes und deren jeweiliger Ausgestaltung durch die einzelnen Bundesstaaten. Anspruchsberechtigte: Arbeitslose, die unverschuldet arbeitslos geworden, arbeitsfahig und fur eine Arbeit verfiigbar sind und sich aktiv um Arbeit bemiihen. Sie miissen innerhalb eines „Basiszeitraums" (in der Regel die ersten vier der fiinf letzten voUstandigen Kalenderquartale vor Beginn der Arbeitslosigkeit) ein vorgegebenes Mindesteinkommen erzielt oder eine Mindestzeit gearbeitet haben. Die konkreten Anspruchsvoraussetzungen legen die einzelnen Bundesstaaten fest. Finanzierung: In alien Bundesstaaten mussen die Arbeitgeber eine „Bundesarbeitslosigkeitssteuer" in Form einer Lohnsummensteuer entrichten (Tabelle 16), deren Hohe auf Bundesebene festgelegt ist und im Regelfall mit dem Entlassungsverhalten der Arbeitgeber variiert („experience rating")Leistungsumfang: Arbeitslosenunterstiitzung wird in den meisten Bundesstaaten iiber einen Zeitraum von hochstens 26 Wochen gezahlt; nur in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit kann die Bezugsdauer, je nach Bundesstaat, um 13-20 Wochen verlangert werden. Die Hohe betragt 50 Prozent eines Referenzbruttolohns bis zu einem vorgegebenen Hochstbetrag. Sanktionen: Der Arbeitslose hat gegeniiber der Arbeitsverwaltung in den einzelnen Bundesstaaten Melde- und Auskunftspflichten. Wenn er diesen nicht gentigt, verliert er die Untersttitzung. Dies ist auch dann der Fall, wenn er die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen nicht langer erfullt. Quelle: Kleinert et al. (2000: 164); OECD (1997, 1999: 13 ff.); DoL (2000); New York State Department of Labor (1990); Legal Information Institute (2000); eigene Zusammenstellung. fur die Beitragssatze, fiir die Bemessungsgrundlage (Tabelle 16), fur die Hohe des Arbeitslosengeldes, fiir die Dauer der Zahlungen (vgl. hierzu auch Woodbury und Rubin 1997, insbesondere S. 231 ff.) und, nicht zuletzt, fur die Berechtigung, Arbeitslosengeld zu beziehen (eligibility). Das amerikanische System der Arbeitslosenversicherung ist durch Riickkopplung gekennzeichnet: Arbeitgeber werden steuerlich belohnt (bestraft), wenn sie relativ selten (haufig) Entlassungen vomehmen. Die Belohnung drlickt sich in einer faktischen Steuersenkung aus, die von Staat zu Staat unterschiedlich

3.2 Internationale Erfahrungen mit der Arbeitslosenversicherung

111

Tabelle 16: Beitrage der Untemehmen zur Arbeitslosenversicherung in den Vereinigten Staaten nach Bundesstaaten im Jahr 2003 Beitragssatze Obergrenze fur den (in Prozent der Bemesbesteuerbaren sungsgrundlage)^ Lohn (US-Dollar pro Jahr) Alabama Alaska Arizona Arkansas Colorado Connecticut Delaware Florida Georgia Hawaii Idaho Illinois Indiana Iowa Kalifomien Kansas Kentucky Louisiana Maine Maryland Massachusetts Michigan Minnesota Mississippi Missouri Montana Nebraska Nevada New Hampshire New Jersey New Mexico

8 000 26 700 7000 9 500 10 000 15 000 8 500 7 000 8 500 30 200 27 600 9 000 7000 19 200 7 000 8 000 8000 7 000 12 000 8 500 10 800 9000 22 000 7000 7 500 19 700 7 000 21500 8000 23 900 16 600

Beitrag je Beschaftigten (US-Dollar pro Jahr)b

Minimum

Maximum

Minimum

0,44 1,00 0,05 0,80 0,00 1,90 0,30 0,10 0,00 0,20 0,20 0,60 0,10 0,00 0,90 0,05 0,30 0,14 0,55 0,30 1,32 0,06 0,47 0,70 0,00 0,13 0,05 0,25 0,01 0,30 0,05

6,04 5,40 5,40 8,70 5,40 6,80 8,20 5,40 5,40 5,40 5,40 7,20 5,40 8,00 5,40 7,40 9,00 6,20 5,40 7,50 7,23 9,30 9,55 5,40 7,80 6,50 5,40 5,40 6,50 5,40 5,40

35 267 4 76 0 285 26 7 0 60 55 54 7 0 63 4 24 10 66 26 143 5 103 49 0 26 4 54 1 72 8

Maximum 483 1442 378 827 540 1020 697 378 459 1631 1490 648 378 1536 378 592 720 434 648 638 780 837 2 101 378 585 1281 378 1 161 520 1291 896

112

Kapitel 3

A Itemative Systeme derA rbeitslosenversicherung

Fortsetzung Tabelle 16: Obergrenze fur den Beitragssatze besteuerbaren (in Prozent der BemesLohn sungsgnindlage)^ (US-Dollar pro Jahr) Minimum

Maximum

Beitrag je Beschaftigten (US-Dollar pro Jahr)b

Minimum

Maximum

New York North Carolina North Dakota Ohio Oklahoma Oregon Pennsylvania Rhode Island South Carolina South Dakota Tennessee Texas Utah Vennont Virginia Washington Washington, D.C. West Virginia Wisconsin Wyoming

8 500 15 900 18 000 9000 11700 26 000 8000 12 000 7000 7000 7000 9000 22 500 8000 8000 29 700

0,90 0,00 0,49 0,10 0,20 1,20 1,50 1,66 1,04 0,00 0,40 0,07 0,10 0,40 0,20 0,57

8,90 5,70 10,09 6,50 5,80 5,40 9,20 9,76 5,90 7,00 10,00 8,47 8,10 5,40 6,30 5,40

77 0 88 9 23 312 120 199 73 0 28 6 23 32 16 169

757 906 1816 585 679 1404 736 1 171 413 490 700 762 1823 432 504 1604

9 000 8000 10 500 15 900

1,30 1,50 0,00 0,18

6,60 7,50 9,75 6,56

117 120 0 29

594 600 1024 1043

Bund(FUTAf

7 000

6,20

434

^In Prozent der Sunmie der besteuerbaren Lohne. — t)Bezogen auf die Obergrenze fur den besteuerbaren Lohn; auf Jahresbasis; gerundet. — cpederal Unemployment Tax. Vgl. auch die Erlauterungen im Text. Quelle: DoL (2(X)4); eigene Zusammenstellung und Berechnungen. hoch ist: Die oben genannten 5,4 Prozentpunkte an Arbeitslosensteuer konnen zu Steuergutschriften verwendet werden, in manchen Staaten sogar zu 100 Prozent (z.B. Colorado, Georgia, vgl. noch Tabelle 16); in diesen Staaten betragt die auf andere Steuem anrechenbare Gutschrift also 378 US-Dollar je Beschaftigten (5,4

3.2 Internationale Erfahrungen mit derArbeitslosenversicherung

113

Prozent von 7 000 US-Dollar).^^ Untemehmen, die ihre wirtschaftlichen Probleme in hohem MaBe durch Entlassungen losen, konnen zu Arbeitslosigkeitssteuem herangezogen werden, die zu einer Gesamtbelastung von mehr als 6,2 Prozent auf 7 000 US-Dollar fuhren: In Montana zum Beispiel liegt die Hochstbelastung durch die Arbeitslosensteuer bei 1 281 US-Dollar je Beschaftigten (zuzuglich der oben genannten 56 US-Dollar Verwaltungspauschale). Offenbar ist das amerikanische System der Arbeitslosenversicherung im Bereich der positiven Anreize begrenzt - namlich auf 378 US-Dollar je Beschaftigten an jahrlicher Steuergutschrift -, im Bereich der negativen Anreize jedoch nicht: Es gibt keine bundesgesetzliche Grenze fiir das AusmaB der steuerlichen Sanktionen. Auf der Leistungsseite ist das Bild weniger heterogen. In alien Bundesstaaten wird regelmaBig 50 Prozent des Bruttoeinkommens an Arbeitslosengeld gezahlt, das ein Arbeitnehmer in den letzten 52 Wochen vor der Arbeitslosigkeit erzielt hat; die Staaten unterscheiden sich allerdings in der Festlegung der Hohe des maximal anrechenbaren Einkommens. Das Arbeitslosengeld wird im Regelfall iiber hochstens 26 Wochen gewahrt (zu weiteren Details vgl. Kasten 6). 3.2.2.2 Effizienzanalysen zur amerikanischen

Arbeitslosenversicherung

Die empirischen Analysen zur Wirkungsweise der Arbeitslosenversicherung unterscheiden sich in den Vereinigten Staaten fundamental von den Analysen des deutschen Systems. Da die einzelnen Bundesstaaten die Arbeitslosenversicherung in unterschiedlicher Weise handhaben, manche Staaten mehr zu Reformen der Arbeitslosenversicherung neigen als andere und da, nicht zuletzt, sowohl die Leistungen der Arbeitslosenversicherung bei Arbeitslosigkeit in den Bundesstaaten als auch die Beitrage zur Arbeitslosenversicherung zwischen Untemehmen und Regionen unterschiedlich sind, bieten sich der vergleichenden Analyse viele Moglichkeiten. Mit anderen Worten: Anders als im eher zentralverwalteten Deutschland, wo die Streuung der strategischen Variablen im Grunde zu gering fiir aussagekraftige okonometrische Tests ist, stehen in den Vereinigte Staaten zahlreiche „natUrliche Experimente" fiir derartige Tests zur Verfiigung. Bemerkenswert ist iiberdies, dass es einen weiteren grundlegenden Unterschied zwischen der empirischen Literatur zur deutschen und der zur amerikanischen Arbeitslosenversicherung gibt: Die deutsche Literatur ist theoretisch wie empirisch vor allem mit dem Arbeitsangebot befasst, etwa mit den Reaktionen der Anbieter auf Parameterveranderungen. Die amerikanischen Analysen sind beinahe ebenso einseitig auf die Nachfrageseite konzentriert, etwa darauf, wie die Nachfrage

^^ In einem Staat wie Louisiana betragt die maximale Steuergutschrift 368,20 US-Dollar (die genaue Rechnung lautet: [7000 (0,062-0,0014)-56]); vgl. dazu Tabelle 16).

114

Kapitel 3

Alternative Systeme der

Arbeitslosenversicherung

nach Arbeit auf Anderungen der Arbeitslosigkeitssteuer reagiert. Dies ist sicherlich auch Ausfluss der beschriebenen Unterschiede der Systeme. Im Folgenden wird die seit Beginn der achtziger Jahre erschienene relevante Literatur ausgewertet, mit Schwerpunkt auf den Arbeiten der letzten Jahre. Bin Beitrag (Grubel und Walker 1978) wurde aus den siebziger Jahren aufgenommen, da er grundlegende Probleme der Arbeitslosenversicherung in vorbildlicher Weise analysiert. Ubersicht 11 im Anhang gibt einen Uberblick iiber die in der empirischen Literatur behandelten Kemfragen und Tabelle 17 prasentiert dazu einige representative Untersuchungen; aus Vergleichsgrunden ist Tabelle 17 so gegliedert wie Tabelle 3 in Abschnitt 1.2.1. Tabelle 17: Literatur zur Effizienz der Arbeitslosenversicherung in den Vereinigten Staaten Ergebnis

Autor (Jahr)

Fragestellung

Jurajda (2002) Moomaw (1998)

1. Arbeitslosenversicherung und Der Anspruch auf Arbeitslosenunterstiitzung era. Hohe der Arbeitslosigkeit hoht die Wahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit. Arbeitslosenunterstiitzung erhoht die Arbeitslosenquote; das „experience rating" hilft, diese Quote zu senken. Es besteht ein positiver Zusammenhang.

Gritz und MaCurdy (1997) Betcherman und Leckie (1995)

Jurajda (2002) Card und Levine(1998) Card und Levine(1998) Katz und Meyer (1990)

Anderson und Meyer (1994a, 1997a)

b. Dauer der Arbeitslosigkeit

Es besteht ein positiver Zusammenhang.

2. Dauer der Arbeitslosenunterstiitzung und Es gibt keinen Zusammenhang. a. Hohe der Arbeitslosigkeit Es besteht ein positiver Zusammenhang. b. Dauer der Arbeitslosigkeit

Es besteht ein positiver Zusammenhang. Eine zusUtzliche Woche Anspruch auf Arbeitslosenunterstiitzung verlangert die Arbeitslosigkeit umO,2Wochen.

3. Hohe der Arbeitslosenunterstiitzung und Es besteht ein positiver Zusammenhang mit der a. Hohe der Arbeitslosigkeit Zahl der Antrage auf Arbeitslosenunterstiitzung.

Quelle: Ubersicht 11 im Anhang; eigene Zusammenstellung.

3.2 Internationale Erfahrungen mit der A rbeitslosenversicherung

115

Hohe der Arbeitslosenunterstutzung und Arbeitslosigkeit Der herrschenden Theorie der Arbeitssuche zufolge bedeutet eine Erhohung der Arbeitslosenunterstutzung - das heiBt ein Anstieg der Lohnersatzquote (replacement ratio) -, dass die Opportunitatskosten der Arbeitssuche sinken; mit diesem Ruckgang geht ein Anstieg des Akzeptanzlohns (reservation wage) einher, der wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Ende der Arbeitslosigkeit kommt (hazard rate), mindert; im Ergebnis steigt die Arbeitslosenquote (vgl. hierzu ausfuhrlich Layard et al. 1991: 216 ff.). Dieser in Deutschland oft und mit geringer empirischer Aussagekraft uberprUfte Zusammenhang liegt auch einigen Studien iiber das System der Vereinigte Staaten zugrunde. Eine friihe Arbeit von Moffit (1985b) gibt eine genau Quantifizierung dieses Zusammenhangs: Ein Anstieg der Arbeitslosenunterstutzung um 10 Prozent erhoht die Zahl der Antrage auf Arbeitslosenunterstutzung um durchschnittlich 0,5 Wochen; das fast gleiche Ergebnis findet sich bei Engberg (1991) sowie spater bei Anderson und Meyer (1994a, 1997a). Diese Bestatigungen elementarer Zusammenhange haben Konsequenzen: Anderson (1991) schlagt vor, fUr eine rasche Wiederaufnahme der Beschaftigung Boni auszusetzen; spater analysiert Meyer (1996) das diesbezugliche IllinoisExperiment aus den achtziger Jahren, bei dem 500 US-Dollar an Pro-Kopf-Bonus bei rascher Arbeitsaufnahme gezahlt wurden, und lehnt es aus gesamtwirtschaftlichen Grunden ab: Es sei zu teuer und wiirde die Arbeitslosigkeit vermutlich eher erhohen statt senken. Ob hier der beschaftigungssenkende Effekt hoherer Steuem oder der reine Mitnahmeeffekt dominiert, bleibt dabei offen, wenn auch einige Beispiele fur „kunstliche Arbeitslosigkeit" zum Zwecke des Empfangs eines Bonus genannt werden. In der Tat zeigen Anderson und Meyer (1995), dass die individuelle Steuerlast beim „experience rating" deutliche Beschaftigungswirkungen hat. Bezugsdauer von Arbeitslosenunterstutzung und Arbeitslosigkeit Jener Teil der Versicherungstheorie, der die Rolle des Moral hazard beschreibt, wiirde eine positive Korrelation zwischen einer Erhohung (Senkung) der Bezugsdauer von Arbeitslosenunterstutzung und der Hohe beziehungsweise der Dauer der Arbeitslosigkeit vorhersagen. Zu der gleichen Vorhersage wUrden all jene gelangen, die das Phanomen der Hysterese in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten stellen: Je langer die Bezugsdauer von Arbeitslosenunterstutzung ist, desto mehr verliert der Arbeitslose an fachlicher und sozialer Kompetenz. Den Zusammenhang zwischen der Bezugsdauer von Arbeitslosenunterstutzung und der Dauer der Arbeitslosigkeit untersucht Moffit (1985a, 1985b). Er quantifiziert mit fast blauaugiger Prazision die Zahl der zusatzlichen Tage an Arbeitslosigkeit aufgrund einer einwochigen Verlangerung des Anspruchs auf Ar-

116

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arheitslosenversicherung

beitslosenunterstutzung, und das nach Geschlechtem getrennt: Die Dauer der Arbeitssuche steigt erwartungsgemaB - um weniger als eine Woche -, und die Arbeitsneigung nimmt ab. Zu ahnlichen, quantitativ nur geringfiigig abweichenden Auswirkungen kommen Katz und Meyer (1990) sowie Hunter (1990) und Card und Levine (1998). Dieser im Zeitablauf offenbar immer wieder bestatigte Zusammenhang wird in einem Fall zwar nicht falsifiziert, doch auch nicht nachgewiesen (Engberg 1991). Dies mag auf das spezifische Programm, das Engberg zugrunde legt, zuriickzufuhren sein. Er vergleicht Teilnehmer an einem „Trade Adjustment Assistance"-Programm mit einer Stichprobe von Arbeitslosen. Eine neuere Analyse (Jurajda 2002) bestatigt Engberg insofem, als die Dauer des Arbeitslosengeldbezugs keinen Einfluss auf die Dauer der Arbeitslosigkeit hat, sondem (nur) der Anspruch allein ausreicht, Arbeitslosigkeit zu generieren; allerdings: Die Analyse Jurajdas ist zwar neu, nutzt aber Daten aus den siebziger Jahren. Der Zusammenhang zwischen der Bezugsdauer von Arbeitslosenunterstiitzung und der Hohe der Arbeitslosigkeit stand weniger zur Diskussion. Hier mag eine Rolle gespielt haben, dass die Verlangerung von Arbeitslosigkeit regelma6ig auch auf eine rechnerische Erhohung der Arbeitslosenquote hinauslauft. Nur Card und Levine (1998) quantifizieren einen positiven Einfluss auf die Zahl der Arbeitslosen. Versicherungsprdmien und Arbeitslosigkeit Anders als bei den Analysen iiber den Einfluss der Dauer oder der Hohe der Arbeitslosenunterstutzung auf die Arbeitslosigkeit geht es bei den Arbeiten iiber die Auswirkungen der Versicherungspramien auf die Arbeitslosigkeit um die Nachfrageseite des Arbeitsmarktes: Wie reagieren Untemehmen auf Anderungen der „unemployment tax"? Dieser Frage gehen vor allem Anderson und Meyer nach. Anderson (1991) zeigt, dass das „experience rating" den Umfang der saisonal bedingten Entiassungen messbar dampft und dass die Untemehmen bei Endassungen vorsichtiger zu Werke gehen, da sie offenbar die Auswirkungen ihrer Personalpolitik auf die Steuerlast ins Kalkul Ziehen. In die gleiche Richtung zielen die Analysen von Moomaw (1998) und von Anderson und Meyer (1998). Letztere vergleichen die Erfahrungen in dem Bundesstaat Washington nach der Einflihrung des „experience rating" mit einer langeren Periode davor. Diese Arbeit bestatigt die friihere Analyse Andersons; es wird auBerdem festgestellt, dass nach der Einfuhrung des „experience rating" die Beschaftigung zunahm. Bemerkenswert erscheint, dass sowohl vor wie auch nach der Umstellung auf das „experience rating" die Arbeitslosigkeitssteuer im Kern auf die Lohne uberwalzt (angerechnet) werden konnte, dass dies jedoch - nach der Umstellung - fur die firmenspezifische Ab-

3.2 Internationale Erfahrungen mit derA rbeitslosenversicherung

117

weichung vom Durchschnitt nicht mehr gait: Wer uberdurchschnittlich oft entlieB, musste mit GewinneinbuBen rechnen. Eine in der Fachliteratur oft gestellte Frage ist die nach der Vollkommenheit des amerikanischen Systems des „experience rating". Konnte der Zusammenhang zwischen Entlassungsverhalten und Arbeitslosigkeitssteuer enger gestaltet werden? Anderson und Meyer (1994b) sind dieser Meinung; sie fUhren 20 Prozent aller vorubergehenden - das heiBt wohl im Wesentlichen: saisonbedingten Entlassungen auf die Unvollkommenheit des Systems zuriick. Card und Levine (1994) kommen zu dem gleichen Ergebnis; ihnen zufolge schlagt die Unvollkommenheit, nicht gerade verwunderlich, vor allem in Rezessionsjahren durch. Die Rolle von Quersubventionen zwischen Untemehmen im „experience rating" Jedes Versicherungssystem ist mit Quersubventionen und ihrem Spiegelbild, der „Querbesteuerung", einzelner Aktivitaten, Personen oder Untemehmen verbunden. Das gilt auch fUr das amerikanische „experience rating", weil es durch die Definition von Hochst- und von Mindestbeitragssatzen Kostenverursacher zu weniger als 100 Prozent an den Kosten beteiligt und weil es auf der anderen Seite auch Untemehmen besteuert, die keine Endassungen vorgenonmien haben. KonsequentermaBen ist -auf diesen Aspekt reduziert- die durchschnittliche FirmengroBe bei den „Subventionsempfangem" zu groB und bei den „Querbesteuerten" zu klein. Das AusmaB der Quersubventionen hangt Laurence (1991) zufolge vor allem von der Branchenzugehorigkeit und dem Alter des Untemehmens ab; es seien die „mittelalten" (das heiBt 11 bis 20 Jahre alten) Untemehmen, die uber das „experience rating" subventioniert wiirden. Im Jahre 1993 konkretisierte Laurence diesen Refund: 3 Prozent aller Untemehmen erhalten durch das „experience rating" eine Subvention in Hohe von durchschnitdich 2 Prozent ihrer Lohnsumme. Affirmativ, wenn auch weniger konkret, ist der Beitrag von Anderson und Meyer aus dem Jahr 1993 zu diesem Thema. In den Jahren 1995 und 1998 beschreiben beide dann noch einmal die Allokationseffekte der firmenspezifischen Arbeitslosigkeitssteuer, wobei in Anderson und Meyer (1998) dargestellt wird, dass der Abbau von Allokationsverzerrungen eben durch das (im Staate Washington nach 1985 eingefiihrte) „experience rating" geschieht. Sonstige Aspekte der empirischen Literatur tJber die beschriebenen und hier interpretierten Zusammenhange hinaus werden in der Literatur weitere Aspekte behandelt, von denen einige erwahnenswert sind: - Die Arbeitslosenunterstiitzung hatte keinen nennenswerten Einfluss auf das Lohnniveau nach der Wiederaufnahme der Arbeit (Hunter 1990).

118

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

- Das Budget der Arbeitslosenversicherung konnte deutlich entlastet werden, wenn die Leistungskontrollen und der Informationsfluss iiber Arbeitsangebote verbessert wurden (Meyer 1992, 1995). Ob das Letztere heute noch verbesserbar ist, mag angesichts der neuen Moglichkeiten der Informationsbeschaffung und des Informationsangebotes dahingestellt bleiben. - Die finanzielle Situation der Budgets der Einzelstaaten fiir die Arbeitslosenversicherung bestimmt mit uber die Zugangsregeln zur Arbeitslosigkeit; allein daher kann der Anteil der Empfanger der Arbeitslosenunterstutzung an alien Arbeitslosen zwischen Bundesstaaten unterschiedHch sein (USGAO 1993). - Gewerkschaftsmitglieder sind vergleichsweise haufig arbeitslos (Moomaw 1998). - Das „experience rating" ist besser als jedes andere bekannte System zur Absicherung der Folgen von Arbeitslosigkeit (Baicker et al. 1997). Modellanalysen und Theorien Der Versuch, die Modellanalysen und theoretischen Ansatze zur Funktionsweise der Arbeitslosenversicherung ebenso zu strukturieren wie die empirischen Arbeiten, muss scheitem. Denn Modelle und Theorien Uber die Zusammenhange zwischen Hohe und Dauer der Arbeitslosenunterstutzung oder der Arbeitslosenversicherungspramien und der Arbeitslosigkeit gibt es kaum. Die in Ubersicht 11 im Anhang erfassten theoretischen Arbeiten beschaftigen sich mit der Frage nach dem (wohlfahrts-)optimalen System der Arbeitslosenversicherung, mit der okonomischen Sinnhaftigkeit von Arbeitslosenversicherungen oder mit der theoretischen Beschreibung des Marktes fiir die Arbeitslosenversicherung. Bei diesen Analysen steht die empirische Uberpriifbarkeit nicht im Vordergrund - sie sind ohne empirischen Gehalt und daher aus praktischer Sicht als weitgehend irrelevant anzusehen.^^ Doch enthalten einige Arbeiten bemerkenswerte Gedanken: Wang und Williamson (1996) zeigen, dass ein optimales Anreizsystem im Bereich der Arbeitslosenversicherung mit erheblichen Sanktionen (bei Eintritt in die Arbeitslosigkeit) und Belohnungen (beim Verlassen der Arbeitslosigkeit) einhergehen muss. Ihrer Meinung nach ist das amerikanische System weit von einem solchen optimalen Zustand entfemt, da es - statt die Arbeitslosigkeit zu senken - diese erhohe. Mit anderen Worten: Von der Arbeitslosenversicherung geschaffenes Moral hazard wirkt starker, als die von der Arbeitslosenversicherung geschaffenen Anreize, eine Beschaftigung aufzunehmen. Ebenfalls mit einem optimalen System der Arbeitslosenversicherung befassen sich Hopenhayn

^^ Eine Ausnahme bildet der bemerkenswerte Beitrag von van Ommeren (2003). Er entwickelt das Modell des Wohlfahrtskalkuls eines Arbeitslosen und benutzt anstelle empirischer Daten die veroffentlichten Forschungsergebnisse anderer Autoren.

3,2 Internationale Erfahmngen mit der Arbeitslosenversicherung 119 und Nicolini (1996). Sie konstruieren ein Modell, bei dem die Arbeitslosenversicherung ein stetes Moral-hazard-Problem darstellt. Die optimierende Losung lautet, dass die Dauer der Arbeitssuche mit steuerlichen Belohnungen und Bestrafungen einhergehen und die Arbeitslosenunterstiitzung im Zeitablauf sinken muss. Weitgehend der herrschenden (neoklassischen) Theorie verhaftet und ohne besondere Uberraschungen ist die Arbeit von Marimon und Zilibotti (1997), aus der hervorgeht, dass eine Arbeitslosenversicherung die Arbeitslosigkeit erhoht, wahrend in einer Laissez-faire-Wirtschaft Arbeitslosigkeit durch Lohnanpassungen vermieden wurde. Die Autoren beantworten moglicherweise mit ihrer Arbeit - ohne dieses anzustreben - die grundlegende Frage von Oswald (1986), warum es keine (spontanen) Griindungen privater Arbeitslosenversicherungen gebe. Oswald bemiiht eine durchaus diskussionswurdige - und vermutlich mit Empirie unterlegbare - Hypothese iiber die einseitige Verteilung des Arbeitslosigkeitsrisikos nach Alter; die aus Marimon/Zilibotti ableitbare grundsatzliche Uberlegung wurde jedoch lauten, dass es keine privaten Arbeitslosenversicherungen geben kann: in einer Laissez-faire-Wirtschaft nicht, weil es keine Nachfrage nach einer solchen gibt, und in einer regulierten Wirtschaft nicht, weil es eine staatliche Arbeitslosenversicherung gibt, die private Arbeitslosenversicherungen rechtlich oder faktisch ausschheBt. Acemoglu und Shimer (1998, 2000) beweisen modelltheoretisch, dass Arbeitslosenversicherungen volkseinkommenssteigemd wirken. Das liegt daran, dass erst eine solche Absicherung die Bereitschaft von Arbeitnehmem erhoht, Hochlohntatigkeiten mit entsprechend hohem Beschaftigungsrisiko aufzunehmen. Als zusatzlicher Aspekt mag hinzugefUgt werden, dass eine so wirkende Arbeitslosenversicherung gleichzeitig die intersektorale und -regionale Mobilitat erhohen kann; so wurde auf zweierlei Weise die gesamtwirtschaftliche Produktivitat aufgrund von arbeitslosenversicherungsbedingtem Strukturwandel verbessert. Zum Erkenntniswert der Forschungsergebnisse Die empirische Literatur zur Wirkungsweise der Arbeitslosenversicherung in den Vereinigten Staaten weist deutliche Unterschiede zu wissenschaftlichen Analysen der deutschen Arbeitslosenversicherung auf: In methodischer Hinsicht wurden in den Vereinigten Staaten vergleichsweise wenige Arbeiten auf der Basis hochabstrakter „hazard rate"-Modelle durchgefuhrt; Datenbasen, wie sie dem deutschen SOEP entsprechen, spielen kaum eine Rolle.^^ Vielmehr liegen den Arbeiten zahlreiche allgemein verfugbare „naturliche Experimente" zugrunde. Zum Teil sind die Ausfuhrungen uber die Zuverlassigkeit solcher Erhebungen auBerordendich kritisch (Louis et al. 1986).

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Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

well die Regeln zur Arbeitslosenversicherung zwischen den Bundesstaaten - und in ihnen - geniigend unterschiedlich sind. Dariiber hinaus scheinen die Ergebnisse in den Vereinigten Staaten allgemeingultiger zu sein als die, die iiber die deutsche Arbeitslosenversicherung vorliegen. Sie geben gewissermaBen Auskunft dariiber, wie eine Arbeitslosenversicherung vermudich immer und uberall bei Anderungen der Hohe oder Dauer der Arbeitslosenunterstiitzung funktionieren wiirde, wenn andere Regulierungen des Arbeitsmarktes ein solches Funktionieren nicht verhinderten. Auch auf das Phanomen der Quersubventionierungen bzw. der Querbesteuerungen zwischen Untemehmen durch die Abgaben an die Arbeitslosenversicherung weist die empirische Literatur der Vereinigten Staaten hin, mit alien ihren Konsequenzen fur die gesamtwirtschafdiche Produktionsstruktur.^^ Festzuhalten ist auch, dass die Mehrzahl der Analysen in den Vereinigten Staaten an der Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt ansetzt; fraglos liegt dies an dem dominierenden Einfluss des „experience rating". Dem stehen die vorwiegend auf das Arbeitsangebot konzentrierten Analysen in Deutschland gegeniiber. Eine Synthese beider Analyseschwerpunkte scheint moglich: Das amerikanische „experience rating" wirkt eben fur rund 6 Monate vorwiegend iiber die Nachfrageseite. Nach dieser Zeit, das heiBt fiir die langere Zeit Arbeitslosen, ist es weniger wirkungsvoll. Dann setzen alle die okonomischen Wirkungsmechanismen ein, die im Vordergrund der angebotsorientierten deutschen Literatur stehen: z.B. Lohnersatzquote, Opportunitatskosten der Arbeitssuche, Akzeptanzlohn, Abgangsrate, Opportunitatskosten der Arbeit. Ein weiterer Gesichtspunkt ist erwahnenswert. Man kann vermuten, dass eine optimale Arbeitslosenversicherung auch bewirken sollte, dass alle Beteiligten am System - die Arbeitnehmer, die Arbeitslosen, die Arbeitgeber und die Versicherungsinstitutionen - ein okonomisches Interesse an niedrigen Arbeitslosenzahlen Oder an einem Abbau von Arbeitslosigkeit haben. Unter diesem Aspekt ist auch das amerikanische System unvollkommen, nicht nur wegen des zeitlich begrenzten „experience rating": Die Versicherungsinstitutionen in Gestalt der bundesstaatlichen Trust Funds werden steuerfinanziert; dieses „Umlageverfahren" bietet wenig Anreize zu Kostensenkungen. Ahnliches, wenn auch institutionell vollkommen verschieden, gilt fiir Deutschland.

^^ Vgl. auch unten die Reformvorschlage zur deutschen Arbeitslosenversicherung bei Genosko et al. (1999), die ahnliche Uberlegungen enthalten.

3.2 Internationale Erfahrungen mit der Arbeitslosenversicherung

3.2.3

121

Lehren aus den intemationalen Erfahrungen

Sucht man in den Systemen zur Absicherung des Risikos der Arbeitslosigkeit nach Anreizen fur Arbeitnehmer, Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder gegebenenfalls zu verkiirzen, sowie nach Anreizen fiir Arbeitgeber, Entlassungen zu vermeiden, so fallt das Ergebnis trotz aller Systemunterschiede sehr bescheiden aus. Auf der Finanzierungsseite finden sich die auffalligsten Unterschiede zwischen den 16 untersuchten Landem: Prinzip der Ruckkopplung. Dieses Prinzip ist nur in den Vereinigten Staaten, im „experience rating", angelegt. Arbeitgeber werden steuerlich belohnt/bestraft, wenn sie das Instrument der Entlassung wenig/haufig nutzen. Eine vergleichbare Riickkoppelung, die auf eine Vermeidung von Arbeitslosigkeit abzielt, findet sich weder auf der Einnahmenseite der deutschen Arbeitslosenversicherung noch in einem der anderen Absicherungssysteme. Identitdt des Schuldners. In den Vereinigten Staaten ist der Arbeitgeber Schuldner, in Deutschland, wie in den meisten anderen Landem, sind sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer abgabenpflichtig (Ausnahmen: Danemark und Luxemburg). In fast alien Landem tragt auch der Fiskus zur Finanziemng bei. Bemessungsgrundlage. In alien Landem werden die Beitrage als Anteil des Einkommens (unabhangig vom Risiko) erhoben. Freilich gibt es oft Einkommensobergrenzen je Arbeitnehmer bis zu denen die Abgabenpflicht greift. Auffallig ist, dass diese Obergrenzen in den amerikanischen Bundesstaaten haufig deutlich unter denjenigen der europaischen Lander liegen. Letztlich ist dies mehr als nur ein quantitativer Unterschied, denn er bedeutet, dass in den Vereinigten Staaten praktisch fiir jeden Arbeitnehmer der maximale (untemehmensspezifische) Beitrag fallig wird. Zurechenbarkeit von Beitrdgen zur Arbeitslosenversichemng. Einige Lander sind dadurch gekennzeichnet, dass sie keine spezifischen Abgaben fiir die Arbeitslosenversicherung kennen: Belgien, Danemark, Irland, Portugal und das Vereinigte Konigreich. Die Zusammenfassung aller Sozialabgaben bedeutet, dass eine okonomische Analyse auf der Basis der Einnahmen fiir die Arbeitslosenversichemng (und fiir die anderen Sozialversicherungen) nicht moglich ist und vielleicht auch nicht moglich sein soil. Auf der Leistungsseite gehen Anreize zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit vor allem von der Dauer und der Hohe der Zahlungen von Arbeitslosenunterstiitzung aus. Auch hier gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Landem: Die maximale regulare Dauer der Arbeitslosengeldzahlungen ist in Deutschland rund fiinfmal so hoch wie zum Beispiel in den Vereinigten Staaten oder im

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Kapitel3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

Vereinigten Konigreich, aber nur etwa halb so hoch wie in Danemark oder in den Niederlanden. Allerdings diirfte die Gesamtdauer von ArbeitslosenunterstUtzungszahlungen die wichtigeren Informationen iiber die Anreizaspekte der Arbeitslosenversicherung geben. Da zeigt sich, dass die Arbeitslosenhilfe in Deutschland wie in einigen weiteren Landem - anders als in den Vereinigten Staaten - grundsatzlich unbefristet ist.^^ Von der Hohe des Arbeitslosengeldes gehen relativ starke Anreize zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit in den angelsachsischen und in den mediterranen Landem aus. Zudem ist das britische bzw. irische System mit dem Pauschalbetrag je Arbeitslosen (flat rate) als grundverschieden von den Arbeitslosenversicherungen der anderen Lander anzusehen. In funf Landem werden hingegen die Arbeitsanreize von Ehepaaren mit Kindem durch hohere Zuwendungen verringert. Von den drei skandinavischen Landem abgesehen, besteht in alien Landem eine Zwangsmitgliedschaft in der Arbeitslosenversichemng. Dies gilt auch fiir das deutiich unterschiedliche, arbeitgeberorientierte System in den Vereinigten Staaten. So ergibt der intemationale Vergleich, dass in keinem der untersuchten Lander eine Ruckkopplung zwischen dem Risiko, arbeitslos zu werden, und der vom Arbeitnehmer zu zahlenden Pramie stattfindet. Eine Ruckkopplung zwischen der vom Arbeitgeber zu zahlenden Abgabe und dessen Endassungsverhalten findet sich nur im amerikanischen System. Die Arbeitgeber konnen dadurch die Kosten der ihnen zurechenbaren Arbeitslosigkeit nicht auf alle Beitragszahler Uberwalzen. Das amerikanische System entspricht somit am ehesten dem, was eine privat organisierte Arbeitslosenversichemng wohl leisten wUrde: Es ist vergleichsweise kostengUnstig, nicht zuletzt aufgmnd der Anreize, Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Dies ist nicht nur der Eindmck, den der institutionelle Vergleich vermittelt. Auch die empirischen Analysen des amerikanischen Systems kommen meist zu vergleichbaren Bewertungen. So erscheint auch vor diesem Hintergmnd die Beriicksichtigung einer Variante des „experience rating" auf der Arbeitgeberseite des Trennsystems erfolgversprechend zu sein.

^

Die Anreizwirkungen der Bezugsdauer werden des Weiteren durch die Sozialhilfe relativiert. Diese ist in fast alien Landem zeitlich unbefristet (siehe dazu Tabelle 15).

3.3 Vorschldge zur Reform der Arbeitslosenversicherung 123

3.3

Vorschlage zur Reform der Arbeitslosenversicherung

3.3.1

Die deutsche Diskussion

Nennenswerte Vorschlage zur Reform der deutschen Arbeitslosenversicherung wurden erst (wieder) nach dem Anstieg der Arbeitslosigkeit seit den siebziger Jahren gemacht, als sich herausstellte, dass die Arbeitslosigkeit offenbar zu einem groBen Teil nicht konjunkturbedingt, das heiBt gewissermafien „von selber reversibel", war. Die steigende Arbeitslosigkeit und die damit einhergehenden hoheren Kosten der Arbeitslosenversicherung fiihrten zu Uberlegungen, wie der langfristigen Arbeitslosigkeit begegnet werden konnte, sowie zu naheliegenden Vorschlagen, wie die Kosten der Arbeitslosigkeit gesenkt werden konnten. Die mit der Wiedervereinigung stark steigende „strukturelle" Arbeitslosigkeit in den neuen Bundeslandem hat diese Tendenz noch verstarkt. Bemerkenswert ist, dass die meisten Autoren der empirischen Analysen zur Effizienz der Arbeitslosenversicherung nicht zu dem Kreis derjenigen zu zahlen sind, die die Reform der Arbeitslosenversicherung thematisiert haben. Ebenso gilt umgekehrt, dass die meisten Diskussionsbeitrage zur Reform keine Versuche zur okonometrischen Fundierung ihrer Aussagen enthalten. Dies mag daran liegen, dass die Datenbasis zur Arbeitslosenversicherung und zum Arbeitsmarkt - anders etwa als in den Vereinigten Staaten - in Deutschland aufgrund der Informationspolitik der BA schwach ist. Es bietet sich an, die uberschaubare Literatur zur Reform der deutschen Arbeitslosenversicherung in drei Gruppen einzuteilen. Die erste Gruppe vertritt radikale Losungsvorschlage, die zweite Gruppe ist mit allmahlichen Anpassungen des Systems der Arbeitslosenversicherung an die neue Arbeitsmarktlage befasst und scheint fur diese Anpassungsstrategien auch jeweils einzutreten; die dritte Gruppe schlieBlich verteidigt das bestehende System der Arbeitslosenversicherung als das bestmogliche. Ubersicht 12 (im Anhang) gibt einen Uberblick uber die Diskussion in Deutschland; Tabelle 18 fasst den Teil der Ubersicht 12 zusammen, der mit Reformvorschlagen befasst ist. Gemessen an der relativen Haufigkeit der Publikationen^^ zur Reform der deutschen Arbeitslosenversicherung ist einerseits die Zahl derjenigen, die uneingeschrankt die staatiiche Zwangsversicherung in ihrer gegenwartigen Form fiir die bestmogliche Art der Absicherung des Arbeitslosigkeitsrisikos halten, sehr gering. Andererseits driicken zwar die meisten Beitrage

^^ Es wurden nur solche Arbeiten zur Reform der deutschen Arbeitslosenversicherung herangezogen, die die Hiirde der Publikationswurdigkeit genommen haben und die nicht die Neuauflage einer hier schon berucksichtigten Publikation waren.

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Kapitel 3

Alternative Systeme der

Arbeitslosenversicherung

Tabelle 18: Vorschlage zur Reform der Arbeitslosenversicherung Autor

Jahr

Vorschlag (These)

Breyer et al.

2(X)4

Aufhebung der Versicherungspflicht, optional Erspamisbildung.

Berthold und Berchem

2002

Grund- und Wahlpakete fiir Arbeitslose bei einer neuen staatlichen ALV; differenzierte Beitrage durch Arbeitnehmer, Gewerkschaften und Arbeitgeber; Versicherungspflicht auf Sozialhilfeniveau.

Handelskammer Hamburg

2002

Abschaffung der ALV; Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber im Kiindigungsfall bei vereinfachtem Kundigungsrecht.

Engelhard und Geue ASU

1998

ALV in Regie der Gewerkschaften.

1984

Abschaffung der staatlichen ALV in langer Frist und Ausbau der Eigenvorsorge.

Soltwedel Risch

1983 1980

Herzog-Kommission Sell

2003 2003

SVR

2003

Abbau von Fehlanreizen im gegenwartigen System der ALV, unter anderem durch „experience rating" auf der Arbeitgeberseite.

Hartz-Kommission

2002

Weiterentwicklung der ALV zu einer Beschaftigungsversicherung und Konzentration der B A auf Vermittlung und Integration von Arbeitslosen in den „ersten Arbeitsmarkt".

Berthold

2000

Starkere Aquivalenz zwischen Beitragen und Leistungen bei der staatlichen ALV. Mindestsicherung in Hohe der Sozialhilfe; Finanzierung durch Arbeitnehmer, Untemehmen und Gewerkschaften.

Eekhoff und Milleker

2000

KronbergerKreis

1999

Genosko et al.

1999

SVR

1999

Eisen

1997

Versicherungspflicht auf Sozialhilfeniveau, freiwillige Hoherversicherung. Finanzierung versicherungsfremder Leistungen der ALV durch einen Bundeszuschuss. Einfiihrung des ..experience rating" fiir die ALV-Beitrage der Unternehmen. Reform des Arbeitslosengeldes durch starkere Befristung und Abschaffung der „originaren" Arbeitslosenhilfe. Befreiung der ALV von „versicherungsfremden Leistungen"; Einfiihrung von Beschaftigungsgutscheinen (Vouchers).

Sell

1997

SVR

1996

/. Zum Systemwechsel

Reine Versicherungslosung mit gewerkschaftlicher Zuschusspflicht. ALV mit gewerkschaftlicher Zuschusspflicht. //. Zur Systemanpassung Beibehaltung des bisherigen Systems, aber mit weniger Anreizen zum Verbleib in der Arbeitslosigkeit. Weiterentwicklung des bestehenden „parafiskalischen Versicherungsmonopols".

Aufgabenadaquate Finanzierung der Leistungen der Sozialversicherung. Aufteilung der ALV in Mindestabsicherung und Zusatzversicherung; Ausweitung der „Zumutbarkeit" von Arbeitsplatzangeboten.

Quelle: Ubersicht 12 im Anhang; eigene Zusammenstellung.

3.3 Vorschldge zur Reform der Arbeitslosenversicherung

125

eher Unzufriedenheit mit dem herrschenden System aus, doch befurworten auch nur wenige Autoren einen radikalen Wechsel des Systems. 3.3.1.1 Vorschldge zum Systemwechsel Defmiert man einen vollstandigen Systemwechsel als den tJbergang von einem staatlichen Zwangsmonopol (mit nicht risikoaquivalenten Beitragen) zu einem privaten, wettbewerblich organisierten Versicherungssystem auf freiwilliger Basis (mit risikoaquivalenten Beitragen), so sind nur zwei der Vorschlage zum Systemwechsel vollstandig, namlich der an der langen Frist orientierte Teil des Vorschlags der Arbeitsgemeinschaft Selbstandiger Untemehmer (ASU 1984) und das „Dreisprung-ModeH" der Handelskammer Hamburg (2002); allerdings implizieren auch die Darlegungen von Breyer et al. (2004) mit der Aufhebung der Versicherungspflicht letztlich eine Abschaffung der Arbeitslosenversicherung. Die Handelskammer Hamburg schlagt als Ersatz fiir die bisherige Arbeitslosenversicherung vor, dass die Arbeitgeber die Zahlung des Arbeitslosengeldes ubemehmen (Entgeltfortzahlung); ein tragender Gedanke dabei ist die Substitution des bisherigen KUndigungsschutzes durch die Pflicht zur (zeitlich begrenzten) Lohnfortzahlung. In der Tat wiirde letztere Kundigungen wirksamer verhindem als die bisherigen recht umstandlichen gesetzlichen Bestimmungen. Doch scheinen die Seiteneffekte unabsehbar zu sein; zu ihnen gehoren Struktureffekte, wie sie mit einer unterschiedlich starken Verteuerung der Arbeit bei den einzelnen Arbeitgebem einhergehen. Die ASU (1984) schlagt vor, die staatliche Arbeitslosenversicherung abzuschaffen und durch ein Biindel von privaten Aktivitaten zu substituieren, etwa durch eigene Erspamisbildung der Arbeitnehmer, durch - freiwillige - Selbsthilfeeinrichtungen und durch private Versicherungen. All dies scheint okonomisch sinnvoll zu sein. So erhoht die Erspamisbildung die Bereitschaft zur Mobilitat und Weiterbildung im Falle der Arbeitslosigkeit (und auch vor Eintritt der Arbeitslosigkeit), die privaten Versicherungen werden risikoaquivalente Strukturen aufbauen und damit ebenfalls beschaftigungserhaltend und -fordemd wirken. Die sinnvolle zusatzliche Rolle der „gesellschaftlichen Selbsthilfeeinrichtungen" ist dagegen eher unklar; sie haben offenbar nicht die gleiche Bedeutung wie bei Risch (1980) oder bei Engelhard und Geue (1998). Leider geht der Beitrag der ASU nicht wesentlich iiber ein Schlagwortregister hinaus. Auch die Begriindungen wirken eher wie zuriicknehmende Entschuldigungen. Mehr wissenschaftliches Gewicht kommt dem Vorschlag von Breyer et al. (2004) zu; neben der Aufhebung der Versicherungspflicht ist der Gedanke der Absicherung des Einkommensrisikos durch Erspamisbildung (Arbeitslosigkeitskonten) bemerkenswert. Hier wurden offensichtlich Anleihen bei der intematio-

126

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

nalen Diskussion gemacht, die bereits in den 90er Jahren „Sparmodelle" enthielt (siehe dazu Abschnitt 3.3.2.1). Bei den ubrigen Vorschlagen aus dieser Gruppe dominiert die nahezu einhellige Ablehnung eines vollstandigen Einschnitts. Unter Beibehaltung einer staatlichen Zwangsversicherung wollen Berthold und Berchem (2002) bzw. Berthold et al. (2001) vor allem den Finanzierungsmodus der Arbeitslosenversicherung andem, um Arbeitgebem und Arbeitnehmem Anreize zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit zu geben. AuBerdem sollen die Gewerkschaften in die finanzielle Pflicht genommen werden. Allerdings verzichten die Autoren auf eine detaillierte Darstellung der Funktionsweise ihres Systems; die Probleme einer (drittel-)paritatischen, risikoorientierten Finanzierung - Zurechenbarkeit und Wechselwirkungen - werden ebenso wenig gelost wie die Problematik des Einbaus von Versicherungselementen in einem sozialpolitisch geleiteten staatlichen System. Der Eindruck bleibt, dass zwar die Vorzuge einer Versicherungslosung gesehen werden, ihre Unvereinbarkeit mit einem staatlichen Zwangssystem aber nicht erkannt wird. Engelhard und Geue (1998) schlagen die tJbertragung eines groBen Teils der sachlichen und fmanziellen Verantwortung fur die Arbeitslosenversicherung vom Staat auf eine private Organisation vor, und zwar auf die Gewerkschaften. Ansatzweise ahnlich war schon der Vorschlag von Risch (1980), der freilich die uberkommenen Zustandigkeiten des Staates fur die Arbeitslosenversicherung weitgehend beibehalten wollte. Die Privatisierung der Arbeitslosenversicherung schafft, wie Engelhard und Geue begrUnden, in der Tat Anreize zu beschaftigungskonformen Tarifabschlussen, zumindest auf der Seite der Anbieter von Arbeit. Die Freiwilligkeit der Versicherung verstarkt derartige Tendenzen. Der groBe Nachteil des Vorschlags besteht darin, dass die Arbeitslosenversicherung offensichtlich ein Monopolbetrieb bleiben soil; die vorgeschlagene staatliche Kontrolle von Beitragen und Leistungen kompensiert nicht das Problem fehlenden Wettbewerbs, sondem kann es sogar verscharfen, da auf diese Weise die fiir ein rein privates Monopol immerhin mogliche Gefahr der AuBenseiterkonkurrenz ausgeschlossen werden kann. Ein weiterer Nachteil mag darin gesehen werden, dass die Autoren die Moglichkeiten zur Effizienzsteigerung der Arbeitslosenversicherung auf der Ausgabenseite ausblenden. Auch ist fraglich, ob die guten Risiken tatsachlich Anreize haben, in 2^iten des Strukturwandels - das heiBt faktisch immer - freiwillig Beitrage in die Arbeitslosenversicherung zu zahlen; hier wiirde es darauf ankommen, die guten Risiken zu „uberzeugen", etwa durch niedrigere und/oder individuelle Beitrage. Ob das in einer gewerkschaftlich organisierten Arbeitslosenversicherung konsensfahig ware, ist zumindest eine offene Frage. Der Vorschlag von Risch (1980) scheint hinter dem von Engelhard und Geue zuriickzubleiben. Zwar besteht auch hier, wie spater bei Engelhard und Geue, das

3.3 Vorschldge zur Reform der Arbeitslosenversicherung

127

Ventil einer im Vergleich mit dem bisherigen System hoheren Beschaftigungskonformitat. Doch offenbar verzichtet Risch auf das Element der Freiwilligkeit, was Konsequenzen hat: Die Quote der „Zielarbeitslosigkeit" ist wegen der fehlenden Freiwilligkeit direkt verkniipft mit den Gewinnen (der Gewerkschaften) aus der Abschopfung von „t)berschiissen"; bei freiwilliger Mitgliedschaft waren Ein- und Austritte Signal und Anlass genug fUr bessere Prognosen. Zu bedenken ist zudem, dass bei amtlichen wie bei privaten Fixierungen derartiger Quoten stets Moral hazard im Spiel ist. Uber Engelhard und Geue hinaus geht dagegen Rischs Vorschlag, die Arbeitsvermittlung von der Versicherungs- und Transferaufgabe zu trennen; diese Trennung wurde Quersubventionierungen verhindem helfen und eine klarere Rechnungslegung erlauben. Allerdings ist unklar, welche guten Griinde fur eine Beitragsfmanzierung der Vermittlung sprechen. Wie Risch setzt auch Soltwedel (1983) auf gewerkschaftliche Zuschusspflicht zur Arbeitslosenversicherung, will aber gleichzeitig durch Leistungsminderungen der Arbeitslosenversicherung ein Moral hazard der Versicherungsnehmer reduzieren. 3.3.1.2 Vorschldge zur Systemanpassung Dominierendes Merkmal vieler Vorschlage zur graduellen Verbesserung des deutschen Systems der Arbeitslosenversicherung ist die starkere Beriicksichtigung versicherungstechnischer Elemente. Diese Vorschlage sind in einer Grauzone zwischen Systemwechsel und Systemanpassung angesiedelt. Offensichtlich erscheint einigen Autoren eine Versicherungslosung sinnvoll, allerdings nur, wenn es bei einer staatlichen (Mindest-)Zwangssicherung bleibt. Berthold (2000) wie auch Eekhoff und Milleker (2000) zum Beispiel schlagen mehr Beitragsdifferenzierung nach dem Risiko im Rahmen der staatlichen Arbeitslosenversicherung vor; auch wollen sie die Versicherungspflicht auf ein MindestmaB - das Sozialhilfeniveau - begrenzen. Dementsprechend sind die Vorteile einer solchen Anpassung im Vergleich zum bestehenden System offensichtlich; zu dem Vorteil einer groBeren Aquivalenz der Leistungen von Versicherungsnehmem und -gebem kommt die Vereinfachung der Arbeitslosenversicherung durch den Wegfall der systemfremden Arbeitslosenhilfe und durch eine insgesamt erhohte Transparenz. Allerdings weisen beide Vorschlage den groBen Nachteil auf, dass die Umsetzbarkeit und die Verzahnung der einzelnen Komponenten der reformierten staatlichen Arbeitslosenversicherung im Unklaren bleibt. Wie schon bei dem Vorschlag von Berthold und Berchem (2002) angemerkt, fehlt auch hier der Nachweis der Operationalitat. GroBe Aufmerksamkeit erhielten zwei Kommissionen, die sich mit Fragen der sozialen Sicherheit (Herzog-Kommission 2003) beziehungsweise mit der Reform der Arbeitsmarktpolitik (Hartz-Kommission 2002) befassten. Wer von der Arbeit

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Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

dieser Kommissionen nennenswerte Durchbriiche fur eine Reform der Arbeitslosenversicherung erwartete, wurde enttauscht. Es werden keine innovativen Vorschlage aufgegriffen, die dem Stand der Diskussion entsprochen batten. Die Herzog-Kommission wiederholt die in alien Bereichen der Sozialpolitik Ublicben Vorschlage zur KUrzung der Leistungen. Die alleinige Ausgliederung „versicherungsfremder" Leistungen aus der staatiichen Arbeitslosenversicherung reicht zudem nicht aus, der BA den Charakter einer Versicherung zu geben. Die HartzKommission strebt vomehmlich eine Erhohung der Mobilitat der Beschaftigten an: Einkommensverluste aufgrund eines Arbeitsplatzwechsels sollen von der Arbeitslosenversicherung kompensiert werden. Ansonsten stehen bei der Reform der Arbeitslosenversicherung weniger die finanziellen Versicherungsleistungen und die dabei zu zahlenden Pramien im Vordergrund als vielmehr die Vermittlungstatigkeit der BA und die Finanzierungsmoglichkeiten der BA durch Bund, Lander und Gemeinden. Dabei wird der Eindruck vermittelt, dass das Monopol der BA in Kembereichen, in denen sie wenig erfolgreich agiert, nicht abgebaut, sondem gestarkt werden soil - okonomische Griinde fiir einen solchen „Systemwandel" gibt es offensichtlich nicht. Wahrend Sell (2003) auf der Vorteilhaftigkeit des staadichen Versicherungsmonopols beharrt und, wie der SVR (2003), fiir eine degressive Gestaltung des Arbeitslosengeldes eintritt, geht der SVR einen Schritt weiter. Er pladiert fiir die anteilige Finanzierung der Arbeitslosenversicherung durch ein „experience rating". Nicht nachzuvollziehen ist freilich, angesichts langjahriger Erfahrungen in den Vereinigten Staaten, die sehr grobe Differenzierung nach „Risikoklassen" (gemeint sind wohl „Schadensklassen"), die der Rat vorschlagt. Der Kronberger Kreis (1999) halt die Fehlanreize im herrschenden System der Arbeitslosenversicherung fiir relativ gering; lediglich an der Aquivalenz von Beitragen und Leistungen mangele es. Doch ist auch hier lediglich an die Ausgliederung versicherungsfremder Leistungen gedacht; eine Verletzung des Aquivalenzprinzips durch die fehlende Risikoaquivalenz von Beitragen und vorgegebenen Leistungen wird nicht gesehen. Dementsprechend wird kein besonderer Reformbedarf festgestellt. Auch ist unklar, woran die relativ geringe Verzerrung im Vergleich zu anderen Arten der sozialen Sicherheit gemessen wird. Der SVR (1999) will ebenfalls eine Aquivalenz zwischen Risiko und Pramie herbeiftihren, zielt jedoch durch generelle Leistungssenkungen auf eine Effizienzverbesserung der Arbeitslosenversicherung ab. Mit anderen Worten wird ein ausgesprochen undifferenziert arbeitendes System der Arbeitslosenversicherung undifferenziert verbessert. Bemerkenswerterweise ist der Vorschlag des SVR aus dem Jahresgutachten 1996 inhaltlich anders. Es stehen nicht Hohe und Dauer der Arbeitslosenunterstiitzung im Mittelpunkt, sondem der Umfang des Versicherungszwangs und die Zumutbarkeit von Beschaftigungsangeboten. Auch hier geht es um eine im Vergleich zur bisherigen Arbeitslosenversicherung

3.3 Vorschldge zur Reform der Arbeitslosenversicherung 129 ausgepragtere Effizienz und um mehr Beschaftigung. Zu diskutieren ware allerdings, warum bei der Mindestabsicherung nicht eine starkere Aquivalenz zwischen Beitragen und Leistungen angestrebt werden sollte; die prozentual gleichen Beitrags- und Mindestsatze behielten ihren steuerahnlichen Charakter. Genosko et al. (1999) schlagen ein „experience rating" nach amerikanischem Vorbild vor. Sie stellen dabei aber nicht auf die Anreize zur Vermeidung von Entlassungen ab, sondem auf die Vermeidung einer Quersubventionierung zwischen den Untemehmen iiber Arbeitslosengeldzahlungen. Damit tritt der eigentliche Reformvorschlag in den Hintergrund; Fragen einer Arbeitnehmerbeteiligung an der Arbeitslosenversicherung oder einer Angleichung des Kundigungsschutzes an amerikanische Standards werden nicht diskutiert. Eisen (1997) zielt, wie spater der SVR (1999) und Berthold (2000) auch, eindeutig auf eine Effizienzverbesserung des Systems. Wie beim SVR sind seine Reparaturvorschlage, anders als die Bertholds, relativ undifferenziert hinsichtlich der Beriicksichtigung individueller Risiken. Die vorgeschlagenen Beschaftigungsgutscheine diirften sich zudem als administrativ sehr aufwendig herausstellen. Was die Finanzierungsseite betrifft, fehlen Reformvorschlage zur Effizienzverbesserung. Minimalistische Ansatze - die eher auf das vermutete Mach- und Durchsetzbare als auf das Bestmogliche abzielen - werden von Sell (1997) und Paque (1995) prasentiert. Sell mochte nur die Versicherungselemente der bestehenden Arbeitslosenversicherung durch Beitrage finanziert sehen; beim Rest handelt es sich gewissermaBen um offentliche Guter, fUr die alle Burger iiber Steuem aufkommen miissten. Unklar bleibt, inwieweit durch eine Anderung der Finanzierungsstruktur bei unveranderten Aufgaben (und Ausgaben) die Effizienz der Arbeitslosenversicherung verbessert wird. Paques „Minimalreform", die auf eine staatliche Kompensation von EinkommenseinbuBen bei der Arbeitsaufnahme hinauslauft und den Druck auf die Arbeitslosen zur Arbeitsaufnahme erhoht, dient zwar der Effizienz der Arbeitslosenversicherung, das heiBt dem Abbau der Arbeitslosigkeit. Dem stehen aber als Nachteile der biirokratische Mehraufwand bei der Festsetzung und Kontrolle von Lohndifferenzen sowie die Schaffung eines neuen Subventionstatbestandes gegeniiber. Letztlich betrifft dieser Vorschlag weniger die Reformdebatte zur Arbeitslosenversicherung als vielmehr die Diskussion iiber einen subventionierten Niedriglohnsektor. Die ASU hat nicht nur Vorschlage fiir eine radikale Systemumstellung vorgetragen (Abschnitt 3.3.1.1), sondem auch der Systemanpassung das Wort geredet. Bei den Vorschlagen der ASU (1984) fiir eine kurzfristige Reform handelt es sich zum groBten Teil um Gedanken, die 1996 und 1999 vom SVR aufgegriffen wurden. Es geht um Senkungen des Leistungsumfangs der Arbeitslosenversicherung, wobei freilich nicht deutlich wird, was der Zweck des Sparens ist (z.B. niedrigere Beitragssatze, geringere Zuschiisse von dritter Seite oder gar eine Ef-

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Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

fizienzsteigerung der Arbeitslosenversicherung). Auch werden zum Teil Ma6nahmen als kurzfristig bezeichnet, die de facto auf einen langfristigen Systemwechsel hindeuten - wahrscheinlich nicht ohne einen Seitenblick auf den Vorschlag der langfristigen Abschaffung der staatlichen Arbeitslosenversicherung: Zu nennen ist etwa die (teilweise) Beitragsriickerstattung bei Nichtinanspruchnahme der Arbeitslosenversicherung oder die Ausgliederung saisonaler Arbeitslosigkeit und nicht vermittelbarer Arbeitsloser. 3.3.1.3 GrUndefur eine BeibehaUung des Systems Verteidiger des herrschenden deutschen Systems der Arbeitslosenversicherung sind in der Literatur kaum zu finden. Eine Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang Riirup (1990) dar sowie, in seinem Gefolge, Hartmann (1998). Beide Arbeiten sind ohne empirischen Hintergrund, und beide leiten ihre Schlussfolgerungen aus einem BUndel von Annahmen ab. Hartmann verfolgt dariiber hinaus noch Verteilungsziele, fur deren Zwecke die Arbeitslosenversicherung instrumentalisiert werden soil; insgesamt versucht Hartmann, die Merkmale des bestehenden Systems - namlich den Versicherungszwang, die (prozentual gleiche) Einheitspramie und das Staatsmonopol - okonomisch zu begriinden, ohne der Alternative - kein Versicherungszwang, individuelle risikobestimmte Pramien und Wettbewerb zwischen privaten Versicherungsanbietem - eine faire Chance zu geben. Wie schon zuvor Riirup geht es auch Hartmann nicht um eine Beeinflussung - das heiBt Minderung - des individuellen oder kollektiven Risikos der Arbeitslosigkeit, sondem beide setzen gewissermafien an der Finanzierungsseite an: Es gibt ein privat nicht versicherbares Risiko der Arbeitslosigkeit, das im Wesentlichen nicht von den Risikotragem, sondem von anderen getragen werden soil - hier von den guten Risiken. Diese Einkommensumverteilung, darin haben Riirup und Hartmann sicher recht, kame im Rahmen einer Arbeitslosenversicherung bei Wettbewerb nicht zustande, hierfiir bedarf es der staatlichen Autoritat. Es hat auch den Anschein, als spiele das Risiko bei beiden Autoren die gleiche Rolle. Beide vermuten, dass die „...Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung mit dem Eingehen (zusatzlicher) Risiken zunimmt..." (Riirup 1990: 190) und allein daher die Arbeitslosenversicherung das gesamtwirtschaftliche Wachstum positiv beeinflusse, namlich weil sie das Eingehen zusatzlicher Risiken erleichtere.^2 Da zweifellos die Arbeitslosigkeit auch eines dieser Risiken darstellt, verkennt diese Aussage, dass das Bestehen einer (staatlichen) Arbeitslosenversicherung das Risiko der Arbeitslosigkeit erhoht und damit das wirtschaftliche Wachstum beeintrachtigen kann. Versteht man, wie wohl iiblich, Versicherungen als Institutionen, welche Risiken kostenminimierend absichem und daher Prami^^ Riirup beruft sich bei diesem Teil seiner Analyse auf Sinn (1986).

3.3 Vorschldge zur Reform derArbeitslosenversicherung

131

en verlangen, die gerade zur Finanzierung der eintretenden Risiken ausreichen,^^ dann bedeuten hohere Risiken auch hohere Kosten der Arbeitslosigkeit (in Form direkter Einkommenstransfers und in Form von Produktionsausfallen). Ob Produktionsausfalle und Kostensteigerungen das wirtschaftliche Wachstum stimulieren, erscheint fraglich.^ Andere Argumentationsstrange der Autoren bleiben nicht nachvollziehbar und werden nicht begriindet, so etwa: „Als eine besonders wirksame und kostengunstige MaBnahme zur Verhinderung des durch Verzerrungen der Risikoeinschatzung bedingten Ausfalls von Versicherungsnachfrage und der resultierenden WohlfahrtseinbuBen kann eine staatliche Zwangsversicherung angesehen werden" (Riirup 1990: 186). Wieso die staatliche Zwangsversicherung kostengUnstig ist und welche Folgen es hatte, wenn der (staatliche) Versicherungsanbieter falschen Einschatzungen unterlage, obwohl die Versicherungsnachfrager die Risiken richtig einschatzten, bleibt ebenfalls im Unklaren. Die Argumentation wird nur unter einer Voraussetzung schlUssiger: Der Staat, die Politiker und Beamten wissen nicht nur alles besser als die Anbieter und Nachfrager von Versicherungsleistungen, sondem ihr „Wissen" ist auch stets richtig. 3.3.1.4 EinFazU Die Auswertung der deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Literatur iiber die Arbeitslosenversicherung und ihre eventuelle Reformbedurftigkeit ergab, dass mehrheitlich Unzufriedenheit mit der deutschen Arbeitslosenversicherung besteht, da sie offenkundig iiber kein wirksames Instrumentarium zur Verringerung der Arbeitslosigkeit verfiigt. Die Diagnose herrscht vor, dass von der staatlichen Arbeitslosenversicherung nicht die notwendigen Anreize ausgehen, Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder zu verkiirzen. In diesem Sinne wird die Arbeitslosenversicherung von der Mehrzahl der Autoren als ineffizient angesehen. Dennoch war die Mehrzahl der Reformvorschlage konservativ in dem Sinne, dass man marginale Anderungen des Systems ftir ausreichend hielt, um nachhaltige Erfolge bei der Bekampfung der Arbeitslosigkeit zu erzielen. Angesichts der andauemden Arbeitsmarktkrise in Deutschland gewinnen in der wissenschaftlichen Diskussion allerdings zunehmend Vorschlage an Bedeutung, die auf einen Systemwechsel oder eine tiefgreifende Systemanpassung abzielen. Dies geht soweit, dass selbst eine Abschaffung der staatlichen Arbeitslosenversicherung offen diskutiert wird. Ahnlich wie bereits zu Beginn der achtzi"^

Von Verwaltungskosten einmal abgesehen. Es ist hier nicht die Rede vom - nicht versicherbaren - untemehmerischen Risiko. Letzteres ist ohne Frage ein Motor der wirtschaftlichen Entwicklung, zumindest solange es viele voneinander unabhangige untemehmerische Entscheidungen gibt.

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Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

ger Jahre wird zudem an die Nutzung von Techniken im Rahmen der Arbeitslosenversicherung gedacht, wie sie von privaten Versicherungen traditionell angewendet werden: u.a. Risikoaquivalenz der Beitrage, Wahlfreiheit bei den Leistungen und Schadenfreiheitsrabatte. Darin zeigen sich deutiiche Gemeinsamkeiten mit dem hier vorgeschlagenen Konzept zur Privatisierung der Arbeitslosenversicherung in Gestalt des Trennsystems. Auch die EinfUhrung eines „experience rating" bei den Arbeitgeberbeitragen, wie ebenfalls im Trennsystem vorgesehen, entwickelt sich zu einem „Standardvorschlag" in der deutschen Reformdiskussion. Jedoch weisen diese Vorschlage im Vergleich zum Trennsystem den gravierenden Nachteil auf, dass sie auf verschiedene Weise inkonsequent und damit inkonsistent sind. Es wird eine Mischung aus staatlicher und privater Versicherung oder nur eine Teilreform vorgeschlagen, ohne ein funktionstuchtiges Gesamtsystem im Blick zu haben. Ohne den Nachweis der „Vertraglichkeit" der einzelnen Systemelemente miteinander und der technischen Umsetzbarkeit bleibt jeder Reformvorschlag nur Stiickwerk oder Utopie. Diese Unzulanglichkeiten versucht das in Kapitel 2 vorgeschlagene Trennsystem zu vermeiden.

3.3.2

Die Internationale Diskussion

Angesichts der fehlenden Konsequenz und Konsistenz in der deutschen Reformdiskussion ist es naheliegend, die intemationale Literatur auf Vorschlage zu untersuchen, die fur die Reform der deutschen Arbeitslosenversicherung Modellcharakter haben und auch gegeniiber dem hier vorgeschlagenen Trennsystem Vorzuge haben konnten. Dabei soil es sich um Reformmodelle handeln, die im Vergleich zu einer staatlichen Arbeitslosenversicherung, wie sie in Deutschland besteht, deutiiche Effizienzgewinne versprechen und daher einen Systemwechsel attraktiv erscheinen lassen. Die einschlagige intemationale Literatur wird von angelsachsischen Beitragen dominiert, in denen zum Teil eine komplette Abkehr von der herkommlichen Arbeitslosenversicherung vorgeschlagen wird. Zu diesen Vorschlagen, auf die nachfolgend eingegangen wird, gehoren (siehe Ubersicht 13 im Anhang): - die Vergabe riickzahlbarer Kredite an Arbeitslose anstelle der bisherigen „nichtrUckzahlbaren" ArbeitslosenunterstUtzung (Feldstein 1975); ~ die Einrichtung individueller „Arbeitslosensparkonten" durch den Staat mit voller Anrechnung etwaiger ArbeitslosenunterstUtzung Grubel (1995); ahnlich auch Orszag und Snower (1997) und Feldstein und Altmann (1998) sowie Orszag et al. (1999); - die partielle Umwandlung von ArbeitslosenunterstUtzung in Beschaftigungsgutscheine Snower (1994); Orszag und Snower (1999);

3.3 Vorschldge zur Reform der Arheitslosenversicherung

133

- die gleichzeitige Herstellung von Wettbewerb und Wahlfreiheit auf dem Markt fiir Arbeitslosenversicherung (Beenstock und Brasse 1986). 3.3.2,1 Das Sparmodell Auf kostentrachtige kiinftige Ereignisse kann man sich durch Sparen einstellen, sofem das Ereignis zeitlich hinreichend fern ist, um entsprechendes Sparkapital zu akkumulieren. Typischerweise gilt dies fiir die individuelle Alterssicherung, der regelmaBig eine lange Arbeits- und Sparphase vorausgeht. Beim Eintritt von Risiken ist allerdings die Lange der zur Verfugung stehenden vorherigen Sparphase ungewiss; dies ist der Grund dafur, dass Versicherungslosungen zur Risikoabdeckung grundsatzlich effizienter sind als Erspamisbildung. Doch haben Versicherungen wiederum spezifische Nachteile, die vor allem im Moral hazard gesehen werden. Diese Einschatzung ist offenbar der Grund daftir, dass zahlreiche Autoren die eigentlich weniger effiziente Sparlosung fiir das Problem der fmanziellen Absicherung bei Arbeitslosigkeit der Versicherungslosung vorziehen. Vertreter des Sparmodells sind Grubel (1995), Orszag und Snower (2002 und 1997) sowie Feldstein und Altman (1998). Das gehaufte Auftreten des Spargedankens seit 1995 ist bemerkenswert. Es trifft zusammen mit der Hinwendung zu kritisch-empirischen Analysen der sonstigen sozialen Sicherungssysteme; vor allem aus dem angelsachsischen Bereich wurden Vorschlage laut, die eine ReIndividualisierung der sozialen Sicherung anstrebten. Letztere bedeutete im Falle der Krankenversicherung eine erhohte Kostenbeteiligung des Einzelnen und im Bereich der Altersvorsorge eine verstarkte individuelle Zurechnung von Sparleistungen fiir das Alter. Diese Trendwende des Denkens spiegelt sich besonders anschaulich in den Publikationen Martin Feldsteins wider. Sowohl nachvoUziehbar als auch anschaulich ist die abstrakte Darlegung der Variante eines Sparmodells zur Absicherung des Arbeitslosigkeitsrisikos bei Feldstein und Altman (1998), die sich allerdings verbal nicht ganz vom Versicherungsprinzip losen konnte (tJbersicht 13 im Anhang): Die „Arbeitslosenversicherungssparkonten" (Unemployment Insurance Savings Accounts, UISA) erreichen, da sie iiberziehbar sind, den gleichen Zweck wie eine Versicherung, namlich eine sofortige Absicherung gegen die Kosten der Arbeitslosigkeit. Dieser Vorteil entzieht dem Sparmodell von Feldstein und Altman jedoch den Boden, denn er fiihrt gleichzeitig das zu vermeidende versicherungstypische Moral hazard, wenn auch etwas versteckt, wieder ein. Die Autoren sehen diesen Mangel durchaus, halten jedoch das AusmaB des potentiellen Moral hazard fiir gering: Nur 5 Prozent der Versicherten in den Vereinigten Staaten wiirden ihr Arbeitsleben mit einem negativen Saldo auf ihrem individuellen UISA abschlieBen. Es stellt sich natiirlich die Frage, welche Kosten des Moral hazard in einem ech-

134

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

ten privaten Versicherungssystem auftreten wurden; dieser Frage sind die Autoren nicht nachgegangen. Doch immerhin errechnen Feldstein und Altman - wenn auch kaum nachvollziehbar -, dass UISA billiger ware als das bislang in den Vereinigten Staaten praktizierte System. Dies mag an den Verhaltensanderungen zahlreicher Arbeitnehmer liegen, die - anders als bisher - die Chance nutzen wollen und konnen, durch besonderen Einsatz bei der Arbeit und Arbeitssuche iiber ihr Sparkonto ihr Lebenseinkommen zu erhohen. Der groBe Vorteil dieses Vorschlags liegt fraglos in der Individualisierung von Kosten und Ertragen der Absicherung gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit. Das AusmaB an Umverteilung, das in alien Systemen sozialer Sicherheit mit okonomischen Ineffizienzen einhergeht, wird deutlich reduziert. Als ein kleiner Nachteil mag angesehen werden, dass Feldstein und Altman von einer Analyse der notwendigen institutionellen Rahmenbedingungen ihres Systems absehen. Denn auch das UISA diirfte fur den okonomischen Erfolg einer unabhangigen Kontrolle bedurfen, wie sie nicht zuletzt der Wettbewerb zwischen Finanzintermediaren mit sich bringen konnte. Die entscheidende Frage allerdings bleibt, ob das „unechte Sparmodell" („unecht", weil das Sparkonto von Beginn an uberziehbar ist und weil der Steuerzahler letztlich das Uberleben des Systems garantiert - wie bisher auch) einem Versicherungsmodell uberlegen ist oder iiberhaupt sein kann. Eine optimale Zuordnung zwischen Instrumenten und Zielen (assignment) wiirde die Abdeckung von Risiken mit Versicherungslosungen vorsehen, nicht mit Erspamisbildung. Schon vor Feldstein und Altman hatte Grubel (1995) ein Sparmodell in die Diskussion Uber die Reform der Arbeitslosenversicherung eingebracht; er bezeichnete dies als „revolutionare Innovation". Auch bei Grubel wird der institutionelle Rahmen - bewusst - nicht diskutiert. Er schlagt vor, jedem Erwerbstatigen einen einheitlichen Fixbetrag auf ein „Arbeitslosensparkonto" zu iiberweisen; Finanzier ist der Steuerzahler. Diesen Betrag erhalt dann auch jeder Arbeitslose in jedem Jahr - unabhangig von seinem „Kontostand". Obwohl dieser Vorschlag, auch Grubel zufolge, weiterer Ausgestaltung bediirfte (vgl. die „offenen Fragen", die Grubel selber formuliert (noch Ubersicht 13)), scheint er deni spateren UISA von Feldstein und Altman uberlegen zu sein, weil er keine intertemporalen Verzerrungen im Anreizsystem schafft: Wahrend bei Feldstein und Altman iiber Jahre hinweg durchaus Defizite angehauft werden konnen, die einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt aufgrund eben dieses Defizits von Jahr zu Jahr weniger attraktiv machen, wird bei Grubel der Sparbetrag unabhangig von Kontostanden ausgezahlt. Ein zweiter und entscheidender Vorteil liegt darin, dass Grubels Sparbetrag bei Arbeitsaufnahme weitergezahlt wird; das bedeutet nicht nur, dass es keine negativen Beschaftigungsanreize wie bei Feldstein und Altman gibt, sondem auch, dass es keine Verzerrun-

3.3 Vorschldge zur Reform der Arbeitslosenversicherung

135

gen in der Allokation der Arbeit gibt: Nichtarbeit und Arbeit erhalten die gleiche Subvention. Es lohnt sich nicht mehr, wegen des Arbeitslosengeldes arbeitslos zu werden.^^ Das heiBt, der „Anspruchslohn" wird durch das Arbeitslosengeld nicht beeinflusst. Ahnlichkeiten mit den genannten Sparmodellen weist auch das „Unemployment Support Account"-System von Orszag und Snower (1997) auf. Doch anders als bei Grubel enthalt das System deutliche Umverteilungselemente: Bezieher niedriger Einkommen werden vom Staat unterstutzt, die anderen nicht; zudem steht im Hintergrund und jederzeit verfugbar die Sozialhilfe. Die Finanzierung des Systems geht in die gleiche Richtung: Bezieher hoher Einkommen werden zusatzlich besteuert. Der Vorschlag von Orszag und Snower wird verstandlich, wenn man beriicksichtigt, dass die Autoren das im Vereinigten Konigreich herrschende System vor Augen haben. Die von den Autoren gelieferten Argumente der Intemalisierung bisheriger Kosten der Arbeitslosigkeit und damit der Kostensenkung buBen jedoch insofem an Uberzeugungskraft ein, als neue Externalitaten durch Subventionen und Sondersteuem geschaffen werden. Gemeinsam mit Orszag und Stiglitz haben Orszag und Snower zwei Jahre spater (Orszag et al. 1999) eine Variante ihres Vorschlags erarbeitet; sie konnten dabei von der Arbeit von Feldstein und Altman (1998) profitieren. Es fehlen jetzt die Umverteilungselemente, dafur ist das Modell nicht mehr allgemeingultig: Es geht nur noch um die Kosten der Arbeitslosigkeit jungerer Arbeitnehmer - wobei unklar bleibt, wie die Eigenschaft, jung zu sein, genau definiert wird. Doch fUr diese Gruppe scheint der Vorschlag sinnvoll zu sein. So besteht wohl fur die genannten Arbeitnehmer im Regelfall tiber das ganze Arbeitsleben hinweg ein Anreiz, spater mit einem positiven Arbeitssparkonto in Rente zu gehen. Ob parallel zu den individuellen Sparkonten, die nur auf das Arbeitsangebot abstellen, eine Art „experience rating" eingefuhrt werden soil, um auch die Nachfrageseite des Arbeitsmarktes in die Absicherung gegen Arbeitslosigkeit einzubeziehen, wird nicht erortert. 3.3.2,2 Das Vouchermodell Anders als beim Sparmodell werden beim Vouchermodell von Snower (1994) geldliche Anspriiche (zum Teil) durch Gutscheine substituiert. Diese Gutscheine konnen fur betriebliche Weiterbildung oder als ein Lohnbestandteil verwendet werden. Beide Verwendungsarten beriicksichtigen den Fall, dass das potentielle Grenzprodukt des Arbeitslosen unter demjenigen eines vergleichbaren Erwerbstatigen liegt. Die Starke des „Benefit-Transfer Programm" (BTP) konnte fraglos ^^

Dies gilt allerdings nur insoweit, als der Grenznutzen des Geldes im relevanten Bereich nicht (allzu sehr) fallt.

136

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

in dem Umstand liegen, dass der schleichende Verlust an beruflicher und sozialer Kompetenz vor allem bei seit langerer Zeit Arbeitslosen aufgehalten und womoglich umgekehrt wird. Idealtypisch sind die Kosten derartiger MaBnahmen gering, da an die Stelle der Arbeitslosenunterstutzung ein regularer - wenn auch unterdurchschnittlich hoher - Lohn tritt und das so gesparte Geld fiir die Finanzierung der Voucher zur Verfugung steht. Bewahrt sich das Programm wie erhofft, dann fmanziert es sich „von selbst", bewahrt es sich nicht, entstehen keine zusatzlichen Kosten. Ob das Programm sich bewahren wiirde, ist offen. Das Kalkiil der Arbeitsnachfrager mag sich als Hindemis herausstellen. Fiir sie lohnt es sich, Arbeitskrafte zu entlassen und durch Voucher subventionierte Arbeitskrafte einzustellen. Was dann bei den Alt-Arbeitslosen an Kompetenzverfall verhindert wird, entsteht bei den Neu-Arbeitslosen. Mit anderen Worten: Auch wenn die Arbeitslosigkeit auf uberhohte Lohne zuriickzufiihren ist, muss das Modell die Arbeitslosigkeit nicht wirksam senken. Wird es produktivitatserhohend angelegt, so konnte man sich von einer betrieblichen Weiterbildung eine nachhaltige Verminderung der Arbeitslosigkeit versprechen. Allerdings miisste der Effekt der Verdrangung bisheriger Arbeitskrafte durch die neuqualifizierten bisherigen Arbeitslosen beriicksichtigt werden. Spater verglich Snower, zusammen mit Orszag (Orszag und Snower 1999), dieses Vouchersystem mit einem System der Subventionierung niedriger Lohne (low-wage subsidies). Die Arbeit stellt, sicherlich zutreffend, fest, dass die Schnittmenge beider Grundgesamtheiten - die der Niedriglohnempfanger und die der Voucherbezieher - auBerordendich groB ist. Das bedeutet, dass von einem Vouchersystem fiir Arbeitslose die Gruppe der Bezieher niedriger Lohne besonders betroffen sein wird und umgekehrt. Was im Einzelfall, etwa fiir das Vereinigte Konigreich, effizienter ist, hangt, nicht ganz iiberraschend, von den Ausgangsbedingungen ab (Orszag and Snower 1999: 37). Beim Vouchermodell handelt es sich im Grunde nicht um eine Einkommenssicherung fiir den Risikofall der Arbeitslosigkeit. Vielmehr tritt es neben das bestehende britische System der Nationalversicherung und soil offensichdich in erster Linie den Wiedereintritt der Arbeitslosen in die Erwerbstatigkeit erleichtem. Daher fehlen all jene Komponenten, die auf einen (voriibergehenden) Einkommensausgleich abstellen, wie Erspamisbildung oder Versicherungspramien. 3.3.2.3 Das Darlehensmodell Eine weitere Absicherungsaltemative bei Arbeitslosigkeit stellt das Darlehensmodell dar. Der hier interessierende Teil des Vorschlags von Feldstein aus dem Jahre 1975 ist der dritte Punkt in der Ubersicht 13 im Anhang. Die schrittweise Erleichterung der fmanziellen Lasten der Arbeitslosigkeit ist offensichtlich star-

3.3 Vorschlage zur Reform der Arheitslosenversicherung 137 ker an der Bediirftigkeit ausgerichtet als an der Effizienz. Vermutlich lieBe sich eine eher effizienzorientierte Staffelung vorstellen, die genau umgekehrt verliefe, namlich von nichtriickzahlbaren Versicherungsleistungen in den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit bis bin zu rtickzahlbaren Darlehen bei Uber sechsmonatiger Dauer der Arbeitslosigkeit. Feldstein hat spater diesen Vorschlag dann auch nicht wieder aufgegriffen, sondem durch sein individuelles Sparsystem ersetzt (Abschnitt 3.3.2.1), wobei man als dauerhaftes Element in Feldsteins Reformiiberlegungen die Abkehr von kollektivistischen L5sungen ausmachen kann. Dies gilt ubrigens auch fiir seine Vorschlage zur Reform der Alterssicherung aus der zweiten Halfte der neunziger Jahre. 3.3.2.4 Das Versicherungsmodell Beenstock und Brasse (1986) scheinen die Arheitslosenversicherung beim Wort zu nehmen. Sie beschreiben, wie im Vereinigten Konigreich eine Versicherung gegen Arbeitslosigkeit ausgestaltet werden konnte. Fiir das Vereinigte Konigreich mit seinem undifferenziert kollektivistischen Sozialsystem kame die Versicherungslosung einer Revolution gleich: (1) Es wurde erstmals eine spezielle Arheitslosenversicherung eingefuhrt; (2) die Hohe der Versicherungspramien ware individuell risikoabhangig und nicht von politischen Gedanken an Einkommensumverteilung gepragt;^^ (3) es wiirden die Arbeitsnachfrager dergestalt in die Arheitslosenversicherung einbezogen, als sie - ahnlich wie in den Vereinigten Staaten - die Versicherungspramie Ubemehmen wiirden, deren Hohe sich auch an ihrem Entlassungsverhalten orientiert. Der entscheidende Schwachpunkt des Versicherungsmodells von Beenstock und Brasse (1986, 1988) liegt in der Finanzierung des Pramienaufkommens durch die Nachfrager nach Arbeit. Dies wird offensichtlich dann zum Problem, wenn die Pramienhohe - wie bei Beenstock und Brasse gewollt - auch vom Verbal ten der Arbeitnehmer abhangt. Denn mit dieser Finanzierung entfallt fiir die Arbeitsanbieter der unmittelbare Anreiz, die eigenen Risikofaktoren - wenigstens die leicht beeinflussbaren - zu verbessem und damit die individuellen Versicherungskosten zu senken. Der Arbeitgeber iibemahme mit der Einstellung eines Arbeitsuchenden gewissermaBen die finanzielle Verantwortung fiir dessen kiinftige Lebensgestaltung (die letztlich die individuellen Risikofaktoren bestimmt). Auch die Integration von „experience rating" und individuellen Risikofaktoren der Arbeitnehmer in eine einheitliche Pramie ist bei Beenstock und Brasse nicht iiberzeugend. Das „experience rating" basiert auf einer Lohnsummensteuer ^^ Blake und Beenstock (1988) zeigen, wie unter Wettbewerbsbedingungen risikodifferenzierte Pramien fiir eine private Arheitslosenversicherung ermittelt werden konnen.

138

Kapitel 3

Alternative Systeme der Arbeitslosenversicherung

und differenziert nur zwischen Untemehmen (je nach Entlassungspolitik des Untemehmens). Die individuellen Risikopramien differenzieren nicht nach Untemehmen, sondem zwischen Arbeitnehmem mit unterschiedlicher Erwerbsbiographie. 3.3.2.5 EinFazU Ein kursorischer Uberblick iiber die verschiedenen Vorschlage aus der intemationalen Diskussion lasst eine Versicherungslosung, wie sie Beenstock und Brasse (1986, 1988) skizzieren und wie sie auch im Rahmen des Trennsystems auf der Arbeitnehmerseite vorgeschlagen wird, am vorteilhaftesten erscheinen: Sie hat den groBen Vorteil der Sparmodelle, namlich die Individualisierung von bis dahin kollektiv verantworteten Risiken, inkorporiert, aber sie weist nicht den Nachteil des Sparmodells auf, lediglich einen „second best"-Ansatz zu verfolgen. Denn Sparen fuhrt stets erst nach dem Ablauf langerer Fristen zu nennenswerten Ertragen; Risiken dagegen treten jederzeit auf und bedlirfen der jederzeit moglichen Absicherung. Daher sind Versicherungen in solchen Fallen jedem Sparmodell uberlegen. Dass Feldstein und Altman (1998), wie schon Grubel (1995), dieses Manko sahen und ihm durch die Uberziehbarkeit von Sparkonten begegneten, zeigt, dass auch diese Autoren das Problem fiir entscheidend hielten. Ihre Losung jedoch fiihrt von dem groBen Vorteil der Individualisierung wieder weg, hin zur kollektiven Verantwortung: Denn die Uberziehung der Konten finanziert der Steuerzahler. Eine sinnvolle Erganzung zu einer Versicherungslosung konnte das auf Snower (1994) zuriickgehende Vouchermodell sein. Einerseits kann es fiir private Arbeitslosenversicherungen von Interesse sein, ihre arbeitslosen Klienten iiber Beschaftigungs- und/oder Weiterbildungsgutscheine wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren und auf diese Weise den „Versicherungsschaden" zu begrenzen. Andererseits kann dieses Instrument genutzt werden, um Arbeitslose aus nachgelagerten Transfersystemen (z.B. Sozialhilfe) wieder in Beschaftigung zu bringen.

4 Zur Empirie des Trennsystems

4,1

Ein Uberblick iiber das Trennsystem

Die bisherige Analyse deutet darauf bin, dass eine Versicberung gegen Arbeitslosigkeit auf privater Basis nicbt nur moglicb ist, sondem einem staatlicben System der Arbeitslosenversicberung uberlegen sein diirfte. Die Uberlegenbeit griindet sicb auf die Etablierung eines Trennsystems, in dem sowobl die Arbeitnebmer iiber Arbeitslosenversicberungen als auch die Arbeitgeber iiber einen Arbeitslosenversicherungsfonds ein okonomisch begnindetes Interesse an der Vermeidung von Arbeitslosigkeit oder an der Senkung der Dauer der Arbeitslosigkeit haben. Kasten 7 gibt die strukturellen Merkmale des Trennsystems noch einmal wieder. Auf der Arbeitnehmerseite bestehen Riickkopplungseffekte der Art, dass ein Versicherungsnehmer, der seine Beschaftigungschancen verbessert und ein hohes Ma6 an Flexibilitat aufweist, nicht nur sein Arbeitslosigkeitsrisiko vermindert, sondem auch von niedrigeren Pramien - aufgrund von giinstigen Risikoeinschatzungen und von Beitragsruckerstattungen - profitiert. Bei Arbeitslosigkeit gehen von diesen Riickkopplungseffekten Anreize aus, die Arbeitslosigkeit so schnell wie moglich zu beenden. Zudem kann der Arbeitnehmer iiber die Wahl der Versicherungen und der Versicherungsleistungen Einfluss auf seine Pramienhohe nehmen. Auf der Arbeitgeberseite beeinflusst zum einen ein variabler Satz der Arbeitslosigkeitsabgabe das Entlassungsverhalten des einzelnen Untemehmens: Ahnlich wie im amerikanischen Modell senkt eine unterdurchschnittliche Zahl von Entlassungen die Abgabenlast eines Untemehmens („experience rating"). Zum anderen geben Beschaftigungspramien den Arbeitgebem einen Anreiz, die Zahl der Beschaftigten per saldo zu erhohen. Die Rolle des Staates ist im Trennsystem im Gegensatz zum gegenwartigen System der deutschen Arbeitslosenversicberung stark reduziert: Seine Aufgaben bestehen, wie in alien Bereichen der Volkswirtschaft, darin, die rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen dafiir zu schaffen, dass ein wettbewerblich organisierter Markt entsteht und funktionstiichtig bleibt, hier eben der Markt privater Arbeitslosenversichemngen. In ahnlicher Weise hat der Staat fiir die Arbeitsfahigkeit des Arbeitslosenversicherungsfonds zu sorgen, ohne permanent Einfluss auf dessen Geschaftstatigkeit zu nehmen. Als standiger Akteur tritt der Staat nur als Anbieter von Sozialhilfe auf, die den Arbeitslosen ohne Versiche-

140

Kapitel 4

Zur Empirie des Trennsystems

Kasten 7: Komponenten des Trennsystems Arbeitnehmerseite

f^'

Arbeitgeberseite

TT

•nnnn V

->

Private Arbeitslosenversicherungen

Arbeitslosenversicherungsfonds

7^

A

nan V

RUckversicheningen

9

10 UnabhMngige Wirtschaftspriifer

Aktivierende Sozialhilfe

A rheitnehmerseite Individuelle Versicheningspramien nach Risikoprofil Vereinbarte Versicherungsleistungen, Beitragsruckerstattungen Ruckversicherungspramien (Partielle) Schadensdeckung Arbeitgeberseite Arbeitslosigkeitsabgabe Beschaftigungspramien Notfallhilfe Exteme Kontrolle 9 10: 11 12

Staat Wettbewerbsaufsicht und Vorschlag von Musterbedingungen Emennung einer unabhangigen Fondsverwaltung Auswahl durch jahrliche Ausschreibung Sicherung des Existenzminimums und Arbeitsmarktintegration durch aktivierende Sozialhilfe

4.2 Statistische Grundlagen

141

rungsschutz einerseits ein Existenzminimum sichert beziehungsweise nach Auslaufen der Versicherungsleistungen eine Mindestsicherung bereitstellt. Andererseits sollte die Sozialhilfe so ausgestaltet werden, dass die erwerbsfahigen Sozialhilfeempfanger Anreize und Moglichkeiten zu einer Beschaftigungsaufnahme erhalten. Nachfolgend soil geklart werden, wie ein solches Trennsystem in der Praxis funktionieren kann und welche Kosten und Ertrage zu erwarten sind. Dabei steht zunachst die Funktionsweise der privaten Arbeitslosenversichemngen im Mittelpunkt. Zu diesem Zweck wird zunachst auf die Statistik der Arbeitslosigkeit im Jahre 2000 eingegangen. Sie ist die Grundlage fur die Fallbeispiele, anhand derer exemplarisch das individuelle reale Arbeitslosigkeitsrisiko und seine potentielle Wirkung auf Versicherungspramien und -leistungen ermittelt werden. In einem weiteren Schritt sollen durch Simulationsrechnungen Kosten und Ertrage des Trennsystems bestimmt werden. Konkret soil versucht werden, jeweils fur die Arbeitnehmerseite und die Arbeitgeberseite die Effizienzgewinne zu ermitteln, die sich aus der EinfUhrung eines Trennsystems ergeben konnten.

4.2

Statistische Grundlagen

Im Folgenden soil auf der Grundlage von Tabelle 4 in Abschnitt 2.1.1.2 das individuelle reale Arbeitslosigkeitsrisiko fur ausgewahlte Fallbeispiele in Deutschland fiir das Jahr 2000 berechnet werden. Dazu wird in einem ersten Schritt die empirische Ausgangsbasis, namlich die Situation auf den Arbeitsmarkten Deutschlands, dargestellt, soweit sie in die spatere Risikoanalyse einfliefit. Die allgemeinen Merkmale sind aus der Tabelle 4 in Abschnitt 2.1.1.2 abgeleitet worden und sollen unmittelbar die Ermittlung des aggregierten (Gesamt-)Risikos jedes einzelnen Versicherungsnehmers erlauben. Ziel der Darstellungen ist die Identifikation individueller realer Risiken in Berechnungstabelle 23.

4.2.1

Zur Stniktur der Arbeitslosigkeit in Deutschland: Eine Momentaufnahme des Jahres 2000

4,2,1,1 Allgemeine Merkmale der Arbeitslosigkeit Im Jahre 2000 waren 9,6 Prozent der Erwerbspersonen in Deutschland arbeitslos. Wie nicht anders zu erwarten, sind die Erwerbspersonen von der Arbeitslosigkeit unterschiedlich betroffen, zum Beispiel je nach der Art ihrer Qualifikation, nach der Arbeitsmarktregion oder nach dem ausgeiibten Beruf. Auf der Grundlage von Statistiken, die die Bundesanstalt fUr Arbeit erstellt, sollen diese drei allgemei-

142

Kapitel 4

Zur Empirie des Trennsystems

nen Merkmale exemplarisch in die Berechnung des individuellen aggregierten Risikos eingearbeitet werden. Die Daten fur das allgemeine Merkmal Arbeitslosigkeit nach Qualifikation erfassen die Grundgesamtheit aller Arbeitslosen und zivilen Erwerbstatigen (Tabelle 19), unterteilt in Arbeitslose und Erwerbspersonen ohne Ausbildung (Gruppe 1), mit abgeschlossener bemflicher Ausbildung (Gruppe 2.1.) und mit Hochschulausbildung (Gruppe 2.2.: Universitaten und Fachhochschulen). So waren im Jahre 2000 iiber 22 Prozent der Erwerbspersonen ohne Ausbildung arbeitslos, das ist mehr als das dreifache der durchschnittlichen Arbeitslosenquote der Erwerbspersonen mit abgeschlossener bemflicher Ausbildung. Es wird auch deutlich, dass Arbeitnehmer mit Hochschulausbildung am wenigsten von der Arbeitslosigkeit betroffen waren. Ein Vergleich dieser qualifikationsspezifischen Arbeitslosenstrukturen mit den Werten fur das Jahr 1993 (Reinberg und Hummel 2002) zeigt im Zeitablauf eine relativ hohe strukturelle Stabilitat, wobei sich die Nachteile fehlender Ausbildung verscharft haben und die Vorteile einer Hochschulausbildung noch deutlicher geworden sind. Die in Tabelle 19 wiedergegeTabelle 19: Arbeitslosigkeit nach Qualifikationen in Deutschland im September 2000 Arbeitslose ArbeitsZivile Erwerbsin 1000 losenquote^ Erwerbstatige tatigenin 1 000 quoteb 1. 2.

Ohne Ausbildung Mit abgeschlossener Ausbildung 2.1. Mit abgeschlossener bemflicher Ausbildung 2.1.1. Betriebliche Ausbildung, Berufsfachschule 2.1.2. Fachschul-, Meister- und Technikerausbildung 2.2. Mit Hochschulausbildung 2.2.1. Universitaten 2.2.2. Fachhochschulen Insgesamt

1396

22,2

4 888

14,1

2 289

7,1

29 736

85,9

2 114

8,1

24 018

69,4

1978

n.v.

n.v.

n.v.

136 175 126 49

n.v. n.v. n.v.

n.v. 5 718 n.v. n.v.

n.v. 16,5 n.v. n.v.

3 685

9,6

34 624

100,0

3,0

^Arbeitslose in Prozent aller zivilen Erwerbspersonen (ohne Auszubildende) gleicher Qualifikation. — bEr^erbstatige gleicher Qualifikation in Prozent aller zivilen Erwerbstatigen. Quelle: Reinberg und Hummel (2002: 27, 30); eigene Zusammenstellung und Berechnungen.

4.2 Statistische Grundlagen 143 benen Arbeitslosenquoten und Qualifikationen werden, genormt auf die durchschnittliche Arbeitslosenquote, in die Berechnungstabelle eingehen. Das allgemeine Merkmal Region bezieht sich auf regionale Teilgesamtheiten: Um den Streuungsbereich und den Durchschnitt einigermaBen zu erfassen, sollen hier in die Berechnung des individuellen Risikos der Arbeitsamtsbezirk mit der hochsten und derjenige mit der niedrigsten Arbeitslosenquote aufgenommen werden sowie das Bundesland, dessen Arbeitslosenquote dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt am nachsten kommt. Tabelle 20 gibt die Basisdaten fiir dieses Merkmal wieder. Tabelle 20: Arbeitslosigkeit nach Regionen in Deutschland im Jahr 2000 Regionale Einheit^

Schleswig Holstein kleinste Quote groBte Quote Hamburg Mecklenburg-Vorpommem kleinste Quote groBte Quote Niedersachsen kleinste Quote groBte Quote Bremen Nordrhein-Westfalen kleinste Quote groBte Quote Hessen kleinste Quote groBte Quote Rheinland-Pfalz kleinste Quote groBte Quote Saarland kleinste Quote groBte Quote

Jahresdurchschnittliche Arbeitslosenquoteb 8,5 6,6 10,8 8,9 17,8 15,5 20,9 9,3 6,5 12,0 13,0 9,2 6,1 14,3 7,3 6,1 11,1 7,3 5,8 10,2 9,8 8,1 11,6

Regionale Einheit^

Jahresdurchschnittliche Arbeitslosenquoteh

B aden-Wiirttemberg kleinste Quote groBte Quote Bay em kleinste Quote groBte Quote Berlin Brandenburg kleinste Quote groBte Quote Sachsen-Anhalt kleinste Quote groBte Quote ThUringen kleinste Quote groBte Quote Sachsen kleinste Quote groBte Quote

5,4 4,1 8,7 5,5 2,8 9,1 15,8 17,0 13,8 19,6 20,2 18,4 22,5 15,4 13,4 20,4 17,0 14,1 20,0

Deutschland insgesamt^ Bundesgebiet West Bundesgebiet Ost

9,6 (8,5) 7,8 (6,6) 17,4(14,8)

^Hier: Bundeslander und Arbeitsamtsbezirke. — bArbeitslose in Prozent aller zivilen Erwerbspersonen; Jahresdurchschnitte. — cpur 1992 Werte in Klammem. Quelle: BA (2001a: 170; 1993); eigene Zusammenstellung.

144

Kapitel 4

Zur Empirie des Trennsystems

Die Verteilung der Arbeitslosenquoten nach Regionen, hier Arbeitsamtsbezirken, bestatigt die oft diskutierten West-Ost-Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote war im Jahre 2000 im „Osten" mehr als doppelt so hoch wie im „Westen". Zudem hat sich im Zeitablauf auch die relative Arbeitslosenquote zwischen „Osten" und „Westen" kaum geandert, wie ein Vergleich der Werte von 2000 und 1992 zeigt: Auf den ersten Blick mag zwar die Angleichung der Lebensverhaltnisse in Bezug auf die realen Einkommen tendenziell gelungen sein, jedoch ist sie hinsichtlich des Abbaus der Arbeitslosigkeit offensichdich fehlgeschlagen. Des Weiteren fallt auf, dass die Streuung der Arbeitslosenquoten zwischen den Bundeslandem doch erheblich ist und dass die Lander mit der niedrigsten durchschnitdichen Arbeitslosenquote auch den groBten Variationskoefflzienten zwischen der kleinsten und der groBten Arbeitslosenquote (nach Arbeitsamtsbezirken) aufweisen. Es zeigt sich, dass der Arbeitsamtsbezirk mit der hochsten Arbeitslosenquote in Sachsen-Anhalt liegt, wahrend derjenige mit der niedrigsten Quote sich in Bayem befmdet; zusatzlich zu diesen Werten wird fiir die Berechnungstabelle die Arbeitslosenquote des Saarlands ausgewahlt, das dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt am ehesten entspricht. Das dritte und letzte allgemeine Merkmal, das gewahlt wurde, bezieht sich auf den Beruf des zu Versichemden. Die Statistik dieses Bereichs zeigt eine starke Uberlappung mit dem ebenfalls in Tabelle 4 genannten Merkmal „Branche" (Tabelle 21). Hier wurden die Arbeitslosenzahlen nach der Berufsabschnittsstatistik der Bundesanstalt fiir Arbeit ubemommen, da anders als bei der Zuordnung der Arbeitslosen nach Wirtschaftszweigen bei den Berufen eine relativ voUstandige Zuordnung erfolgt, wenn sie sich auch nur auf einen Teil aller Beschaftigten, namlich auf die sozialversicherungspflichtig Beschaftigten bezieht. Analog zur Vorgehensweise beim allgemeinen Merkmal „Region" sollen in der Berechnungstabelle wieder die Extrema und der Durchschnitt herausgegriffen werden. Da hier unter anderem die (im Prinzip unkundbaren) Beamten nicht enthalten sind, ist die durchschnittliche Arbeitslosenquote mit 11,8 Prozent im Jahr 2000 deutlich hoher als die durchschnittliche Arbeitslosenquote der vorherigen Tabellen. Ein Mangel dieser beruflichen Aufgliederung scheint zudem darin zu bestehen, dass die jeweiligen Grundgesamtheiten auf zweistelligem Niveau von sehr unterschiedlicher GroBe sind: Zum Beispiel umfasst Ordnungsziffer 37 (Lederhersteller, Leder- und Fellverarbeiter) rund 40 000 sozialversicherungspflichtig Beschaftigte, wahrend zu der Gruppe der Warenkaufleute, Ordnungsziffer 68, mehr als 2Millionen sozialversicherungspflichtig Beschaftigte zahlen. Hierin kommt vermudich zum Ausdruck, dass diese Statistik weit zuriickreichende Wurzeln hat und daher friiher einmal zahlenmaBig gleichwertige Berufsstrukturen widerspiegelt. Dass die Streuung der Arbeitslosenquoten zwischen den hier aufgefiihrten Berufen groBer ist, als es oben in der Statistik der „Arbeitslosigkeit nach Qualifikation" zum Ausdruck kam (Tabelle 19), kann wegen der weiterge-

4.2 Statistische Grundlagen

145

Tabelle 21: Arbeitslosigkeit nach Berufen in Deutschland im September 2000 Ordnungs ziffer

Beruf

01 bis 05 Pflanzenbauer, Tierziichter, Fischereibenife

06

Forst- und Jagdberufe 07 bis 09 Bergleute, Mineralgewinner 10 bis 11 Steinbearbeiter/Baustoffhersteller 12 bis 13 Keramiker, Glasmacher

Arbeitslose

Arbeitslosenquote^

Sozialversicherungspflichtig BesChaftigte

Beschaftigtenanteir

1,6 0,2 0,2 0,2 0,2

119 298

21,7

430 462

5 229

11,1

41 879

7 102

11,1

56 880

5 016

8,1

56 910

7 415

10,6

62 538

41813

8,8 8,3

433 335 153 453

14 bis 15 Chemiearbeiter, Kunststoffverarbeiter

16 17 18

114 526

Papierhersteller, -verarbeiter

10 366

Dnicker

17 240 10211

10,1 13,1

67 736

19 bis 24 Metallerzeuger, -bearbeiter

63 005

10,0

567 045

25 bis 30 Schlosser, Mechaniker und zugeordnete Berufe

185 677

8,6 8,2

1973 358

31 32

Holzaufbereiter, Holzwarenfertiger

Elektriker

65 464

Montierer und Metallberufe a n g

96 563

16,1

503 207

55 410

25,5

161 884

33 bis 36 Textil- und Bekleidungsbenife

37

Lederhersteller, Leder- und Fellverarbeiter

732 877

1,6 0,4 0,6 0,2 2,1 7,1 2,7 1,8 0,6 0,1 2,7 3,7 0,8 1,0

9 489

18,9

40 717

39 bis 43 Ernahrungsberufe

139 741

15,7

750 329

44 bis 47 Bauberufe

206 050

16,9

1013 181

48 428

18,1

219 130

49 316

15,0

279 457

56 327 130 294

16,3

289 237

24,8

395 085

1,0 1,4

18 823

4,9

365 320

1,3

34 343

14,1

209 224

0,8

75 437

9,6 5,1

710 365

49 581 33 941

10,5

289 307

343 036

13,6

2 179 288

2,6 3,3 1,0 7,9

48 bis 49 Bau-, Raumausstatter, Polsterer

50 51

Tischler, Modellbauer

52 53

Warenpriifer, Versandfertigmacher

54

Maschinisten und zugehorige Berufe

Maler, Lackierer und verwandte Berufe Hilfsarbeiter ohne nahere Tatigkeitsangabe

60 bis 61 Ingenieure, Chemiker, Physiker, Mathematiker

62 63 68

Techniker Technische Sonderfachkrafte Warenkaufleute

69 bis 70 Dienstleistungskaufleute und zugehorige Berufe 71 bis 73 Verkehrsberufe

74

Lagerverwalter, Lager- und Transportarbeiter

75 bis 78 Organisations-, Verwaltungs- und Buroberufe

922 595

50 110

4,3

1 115 239

137 887

10,5

1 175 323

4,0 4,3

188 142

18,2

845 605

3,1

560 117

9,0

5 663 405

20,5

146

Kapitel 4

Zur Empirie des Trennsystems

Fortsetzung Tabelle 21 Ordnungsziffer

Beruf

Arbeitslose

Arbeitslosenquote^

Sozialversicherungspflichtig Beschaftigte

Beschaftigtenanteil"

25,2

426 105

1,5

11 169

9,5

106 399

32 249

18,4

143 017

104 106

5,5

1 788 730

0,4 0,5 6,5

175 201 18 669

10,5

1 493 380

Korperpfleger

9,8

171831

91

Gastebetreuer

67 395

14,6

394 215

92

Hauswirtschaftliche Berufe

51892

20,5

201 240

93

Reinigungsbenife

161 193

15,5

878 762

98

Arbeitskrafte mit noch nicht bestimmten Berufen

98 491

31,6

213 189

0,8

3 684 790

11,8

27 635 766

100,0

79 bis 81 Ordnungs- und Sicherheitsberufe 82

Publizisten, Dolmetscher, Bibliothekare

83

KUnstler und zugeordnete Berufe

84 bis 85 Gesundheitsdienstberufe 86 bis 89 Sozial- und Erziehungsberufe, a.n.g., geistes- und naturwissenschaftliche Berufe 90

Zusammen

143 554

5,4 0,6 1,4 0,7 3,2

^Arbeitslose in Prozent der Summe aus sozialversicherungspflichtig Beschaftigten und Arbeitslosen gleichen Berufs. — ^Sozialversicherungspflichtig Beschaftigte gleichen Berufs in Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschaftigten.

Quelle: BA (2001b: 32, 52 f.); eigene Zusammenstellung und Berechnungen. henden Aufgliederung nicht iiberraschen. Die Extreme liegen im Bereich der von Arbeitslosigkeit relativ stark betroffenen Textil- und Bekleidungsberufe (Ordnungsziffem 33 bis 36) und im Bereich Dienstleistungskaufleute und zugehorige Berufe (Ordnungsziffem 69 und 70), die vergleichsweise niedrige Arbeitslosenquoten aufweisen. Die durchschnittliche Arbeitslosenquote von 11,8 Prozent in dieser Statistik wird spater in der Berechnungstabelle 23 fur die Normierung verwandt. 4.2,1.2 Personliche Merkmale von Arbeitslosen Anders als bei den allgemeinen Merkmalen konnen die Wirkungen von personhchen Merkmalen auf das individuelle reale Arbeitslosigkeitsrisiko oftmals nicht aus den offiziellen Statistiken der Arbeitsverwaltung abgeleitet werden. Dies ist unmittelbar nur bei Alter und Geschlecht moglich, nicht aber bei den in Tabelle 4 genannten Selbstbindungsindikatoren. Hier besteht das generelle versicherungstechnische Problem, dass bei neuen Kriterien die Haufigkeitsverteilung des Merkmals und die daraus resultierende Verteilung des Risikos der Arbeitslosigkeit unbekannt sind. Bei der Arbeitslosenversicherung kommt erschwerend hin-

4.2 Statistische Grundlagen

147

zu, dass die Arbeitslosigkeitsrisiken erstmalig versicherungsmathematisch erfasst werden miissen. Um Probleme dieser Art zu losen, wurden etwa bei der KfzVersicherung „Ersteinstufungsverfahren" fUr neue Fahrzeugmodelle entwickelt, fur die noch keine verlasslichen Erfahrungen uber Haufigkeit und Hohe von Schaden vorliegen. Daher wird auf Erfahrungen mit Vorganger- und/oder Konkurretizmodellen zuriickgegriffen, um eine Ersteinstufung vomehmen zu konnen.^^ Im Falle der Arbeitslosenversicherung kann analog eine Ersteinstufung auf der Grundlage der Arbeitsmarktstatistiken der Bundesanstalt fiir Arbeit und anderer empirischer Analysen des Arbeitsmarkts erfolgen - wie es hier im Folgenden auch geschieht. Im Zeitablauf konnen die zunehmend detaillierter werdenden Informationen zur Schadensverteilung fiir eine angemessenere Pramiendifferenzierung genutzt werden.^^ Die Informationsbasis der Versicherung dUrfte sich insbesondere hinsichdich der personlichen Merkmale qualitativ im Zeitablauf verbessem. Eine Ersteinstufung bei den Merkmalen Alter und Geschlecht fallt aufgrund der verfugbaren empirischen Basis relativ leicht; hier beziehen sich beide Merkmale auf die jeweiligen Grundgesamtheiten in Deutschland. Aufschluss Uber den Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Alter gibt Tabelle 22.^^ Wie nicht anders zu erwarten, steigt das Arbeitslosigkeitsrisiko mit zunehmendem Lebensalter, von den offensichtlichen Einstiegsproblemen jiingerer Erwerbspersonen einmal abgesehen. Aus dieser Tabelle ergibt sich fiir die Gruppe der 40-55-Jahrigen ein Arbeitslosigkeitsrisiko, das genau dem Durchschnitt entspricht. Die Gruppe der 55-65-Jahrigen steht in den folgenden Berechnungen (Tabelle 23) fiir das „hohe Risiko" und die der unter 40-Jahrigen fiir das niedrige Risiko. Die BA (2001c) veroffendicht zudem geschlechtsspezifische Arbeitslosenquoten fiir Gesamtdeutschland. Danach betrug die jahresdurchschnittliche Arbeitslosenquote im Jahre 2000 bei den Mannem 9,2 Prozent und bei den Frauen 10 Prozent, wahrend die Arbeitslosenquote insgesamt 9,6 Prozent erreichte. Auch diese Werte gehen unter der Kategorie „personliche Merkmale" in die Berechnungstabelle ein.

^"7 Siehe dazu ausfuhrlich GDV (2002). ^^ Zu der Schatzung der versicherten Schadensverteilung bei einer privaten Arbeitslosenversicherung aus versicherungswirtschaftlicher Sicht siehe Kohlmann (1996: 382). ^^ Es ist bei diesen wie auch den anderen statistischen Basisdaten zu beachten, dass die marginale Arbeitslosenquote von der durchschnitdichen abweichen durfte. Der Schluss von der durchschnitdichen Arbeitslosigkeit nach Alter auf die Wahrscheinlichkeit, mit der bestimmte Altersgruppen arbeitslos werden, ist daher moglicherweise irrefiihrend. Doch sollten diese Stadstiken fiir die Versicherungen mangels geeigneter Daten lediglich Ausgangspunkt der Vertragsgestaltung sein. Realitatsnahere Informadonen entstehen im Zeitablauf als Ergebnis eines Lemprozesses.

148

Kapitel 4

Zur Empirie des Trennsystems

Tabelle 22: Arbeitslosigkeit nach Alter in Deutschland im September 2000 Altersgruppe Arbeitslose Arbeitslosen- Sozialversicherungsquote^ pflichtig Beschaftigte unter 20 Jahren 20 bis unter 25 25 bis unter 30 30 bis unter 35 35 bis unter 40 40 bis unter 45 45 bis unter 50 50 bis unter 55 55 bis unter 60 60 bis unter 65

Insgesamt

Beschaftigtenquote"

119 875 326 506 310 768 418 170 367 552 427 076 419 213 402 894 635 054 157 682

10,1 12,1 8,7 8,8 9,9 10,4 11,4 14,4 21,0 22,6

1 067 006 2 371891 3 261 278 4 333 762 4 255 195 3 679 424 3 258 094 2 394 981 2 389 013 540 026

3,9 8,6 11,8 15,7 15,4 13,4 11,8 8,7 8,7 2,0

3 684 790

11,8

27 550 670

100,0

^Arbeitslose in Prozent der Summe aus sozialversicherungspflichtig Beschaftigten und Arbeitslosen gleicher Altersgruppe. — bsozialversicherungspflichtig Beschaftigte gleicher Altersgruppe in Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschaftigten. Quelle: BA (2001b: 8, 33); eigene Zusammenstellung und Berechnungen. Bei den ebenfalls zur Kategorie „personliche Merkmale" zahlenden Selbstbindungsindikatoren fehlt cine statistische Basis, wie sic fur die oben dargestellten allgemeinen und personlichen Merkmale besteht. Dennoch sollen Selbstbindungsindikatoren beriicksichtigt werden, die weitere Aussagen iiber das Arbeitslosigkeitsrisiko von Versicherungsnehmem erlauben: die regionale und die berufliche Mobilitatsbereitschaft sowie die Bereitschaft zum Einkommensverzicht. Die dahinter stehende Vermutung lautet, dass die Wahrscheinlichkeit von (andauemder) Arbeitslosigkeit eines Versicherungsnehmers umso geringer ist, je mehr er bereit ist, seinen regionalen Arbeitsplatz zu andem, einen anderen Beruf zu ergreifen oder zu erlemen und, nicht zuletzt, je hoher seine Bereitschaft ist, auch einer geringer bezahlten Beschaftigung nachzugehen. In Ermangelung amtlicher Statistiken haben sich manche Autoren bei diesen Merkmalen auf Selbstauskiinfte gestUtzt (zum Beispiel Blaschke und Nagel 1984: 210). Neuere Berechnungen sind von Entorf (1996) angestellt worden, die im Wesentlichen auf Befragungsergebnissen von BiBB und TAB beruhen (Entorf 1996: 20). Entorf errechnet Mobilitatswahrscheinlichkeiten fiir Manner und Frauen getrennt, unter anderem fiir die Perioden 1991/1992, und er weist die Standardfehler der jeweiligen Mobilitatswahrscheinlichkeiten aus. Dabei unterscheidet er zwischen drei beruflichen Merkmalen. Aus den statistischen Angaben fiir diese drei Gruppen wurden hier fiir Manner und Frauen insgesamt das arith-

4.2 Statistische Grundlagen 149 metische Mittel der Mobilitatswahrscheinlichkeiten sowie der Standardfehler ermittelt. Letzterer war die Grundlage fiir die Ermittlung des oberen und unteren Wertes in der Berechnungstabelle (Tabelle 23, Merkmale II.3. und 11.4.).^^ Um die Bereitschaft zum Einkommensverzicht zumindest ansatzweise zu ermitteln, wurde auf Befragungen von Arbeitslosen („ich wtirde ein geringeres Einkommen in Kauf nehmen") zuriickgegriffen, die fiir das Jahr 2000 gelten (Brixy und Christensen 2002: 2). Der Ruckschluss auf die Bereitschaft zum Einkommensverzicht der Erwerbstatigen scheint erlaubt zu sein: Blaschke und Nagel (1984) verglichen eben diese Bereitschaft sowohl fiir Beschaftigte als auch fiir Arbeitslose und stellten keine nennenswerten Unterschiede zwischen beiden Gruppen fest. Hier wurde als geringe Bereitschaft zum Einkommensverzicht eine Antwort gewertet, die „auf keinen Fall" lautete. Die Antwort „ungem" wurde als Normalfall interpretiert, und die Antwort „ohne weiteres" wurde als hohe Bereitschaft zum Einkommensverzicht gewertet.

4.2.2

Das individuelle reale Arbeitslosigkeitsrisiko

4.2,2,1 Die Ausgangswerte fiir das Jahr 2000 Eine Versicherung muss jeden Beitrittswilligen daraufhin einschatzen, welches Risiko er fiir die Versicherung (und damit letztlich fiir die Gesamtheit der Versicherten) bedeutet. Dies entspricht der Vorgehensweise anderer privater Versicherungen gegen z.B. Krankheit, Unfall und Diebstahl. Das Risiko, arbeitslos zu werden, ist ein Einkommens- beziehungsweise Vermogensrisiko fiir den zu Versichemden wie auch fiir den Versicherungsgeber. Diesem „monetaren" Risiko (vgl. dazu Abschnitt 4.2.3) geht das „reale" Risiko voraus. „Real" ist dieses vorgeschaltete Risiko deshalb, weil es zwar quantifizierbar ist, aber nicht auf monetaren GroBen beruht. In Tabelle 23, der Berechnungstabelle, sind die ausgewahlten allgemeinen und personlichen Merkmale verwertet, die in Abschnitt 4.2.1 erlautert wurden und zum Teil aus den Tabellen 19-22 abgeleitet werden konnten. Eine Versicherung wird vermutlich weitere Kennziffem zugrunde legen oder im Zeitablauf, sei es im Prozess des Versuchens und Irrens, sei es aufgrund des Vorpreschens von Konkurrenten, weitere hinzufiigen miissen und bisherige variieren beziehungsweise auf diese verzichten. Die Auspragung der drei „allgemeinen Merkmale" bezieht sich auf die jeweils zugrunde liegende Arbeitslosenstatistik, deren Ord70

Um zu den Faktoren entsprechend der Tabelle 4 zu gelangen, wurde die jeweilige durchschnittliche der ermittelten Quoten zur Basis genommen und bei jedem Merkmal - bei den allgemeinen wie bei den personlichen Merkmalen - der untere und obere Extremwert auf diesen durchschnittlichen Wert normiert.

150

Kapitel4

Zur Empirie des Trennsystems i2 g 13

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