Ein Leben ohne Kinder: Kinderlosigkeit in Deutschland (German Edition) 3531149334, 9783531149332

Trotz der offensichtlichen sozialpolitischen Relevanz und gro en medialen Aufmerksamkeit des Ph nomens Kinderlosigkeit s

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Ein Leben ohne Kinder: Kinderlosigkeit in Deutschland (German Edition)
 3531149334, 9783531149332

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Dirk Konietzka · Michaela Kreyenfeld (Hrsg.) Ein Leben ohne Kinder

Dirk Konietzka Michaela Kreyenfeld (Hrsg.)

Ein Leben ohne Kinder Kinderlosigkeit in Deutschland

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

.

. 1. Auflage März 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frank Engelhardt Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-14933-2

Vorwort

In der aktuellen in den Medien geführten Debatte über den demographischen Wandel in Deutschland spielen geringe Geburtenraten und hohe Kinderlosigkeit eine zentrale Rolle. Insbesondere spektakuläre Zahlen über das Ausmaß der Kinderlosigkeit unter Akademikerinnen haben die unterschiedlichsten Kommentatoren auf den Plan gerufen. In praktisch allen überregionalen Printmedien wurde das Thema behandelt. Der SPIEGEL berichtete aus einem ‚Land ohne Lachen’, die ZEIT vom ‚kinderlosen Land’, FOCUS winkte ‚Bye bye Baby’. Journalisten und Journalistinnen stritten und streiten über den ‚Gebärstreik der Frauen’ und die ‚Zeugungsunwilligkeit der Männer’. Die in diesem Band versammelten Beiträge liefern eine soziologische Bestandsaufnahme der Kinderlosigkeit, die sich in Inhalt und Duktus von den in der Öffentlichkeit vorherrschenden Problembeschreibungen abhebt. Der Band geht auf einen Workshop zurück, der am 6. und 7. Oktober 2005 unter dem Titel ‚Ein Leben ohne Kinder? Kinderlosigkeit in Deutschland’ am Max-PlanckInstitut für demografische Forschung in Rostock stattfand. Wir möchten an dieser Stelle dem Direktor der Abteilung Fertilität und Familiendynamik im heutigen Europa des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung Rostock, Prof. Dr. Jan Hoem, für die großzügige infrastrukturelle und finanzielle Unterstützung der Durchführung des Workshops danken. Gedankt sei auch dem Rostocker Zentrum zur Erforschung des demographischen Wandels; insbesondere Kristín von Kistowski, die den Workshop mit durchgeführt hat, und Christine Röpke, die auf der organisatorischen Seite zum Gelingen des Workshops beigetragen hat. Schließlich möchten wir dem Lektor des VS Verlags, Frank Engelhardt, für die Unterstützung des Buchprojekts unseren Dank aussprechen. Der vorliegende Band ist keine Dokumentation der genannten Veranstaltung, es handelt sich vielmehr um eine eigenständige Publikation, für die wir neben ausgewählten Beiträgen der Tagung weitere Aufsätze angeworben haben.

Rostock, Januar 2007 Dirk Konietzka und Michaela Kreyenfeld

Inhalt Einleitung Michaela Kreyenfeld und Dirk Konietzka Die Analyse von Kinderlosigkeit in Deutschland: Dimensionen – Daten – Probleme ………………………………………….. 11 Kinderlosigkeit in Deutschland im europäischen Vergleich Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel Kinderlosigkeit in Deutschland í Ein europäischer Sonderweg? Daten, Trends und Gründe ………………………………………………… 045 Katja Köppen, Magali Mazuy und Laurent Toulemon Kinderlosigkeit in Frankreich ……………………………………...……….. 83 Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson Kinderlosigkeit, Bildungsrichtung und Bildungsniveau. Ergebnisse einer Untersuchung schwedischer Frauen der Geburtsjahrgänge 1955-59 …………………….…………………......... 105 Sozialstruktur der Kinderlosigkeit in Ost- und Westdeutschland – Die Rolle von Bildung und Erwerbsverlauf Hildegard Schaeper Familiengründung von Hochschulabsolventinnen. Eine empirische Untersuchung verschiedener Examenskohorten ...………. 137 Heike Wirth Kinderlosigkeit von hochqualifizierten Frauen und Männern im Paarkontext í Eine Folge von Bildungshomogamie? ..……………………. 167 Michael Stegmann und Tatjana Mika Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen in der Bundesrepublick und der DDR und ihre Auswirkung auf das Alterseinkommen ………………………………......... 201

Kinderwunsch und Familienorientierung von Männern und Frauen Jan H. Marbach und Angelika Tölke Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle ……………………..… 245 Jan Eckhard und Thomas Klein Die Motivation zur Elternschaft. Unterschiede zwischen Männern und Frauen ……….…………………….. 275 Mandy Boehnke Hochschulbildung und Kinderlosigkeit: Deutsch-deutsche Unterschiede …………………………………………… 295 Laura Bernardi und Sylvia Keim Anfang dreißig und noch kinderlos? Lebenswege und Familienmodelle berufstätiger Frauen aus Ost- und Westdeutschland ………………………………………...…... 317 Erklärungsansätze der Kinderlosigkeit Heike Kahlert Die Kinderfrage und der halbierte Wandel in den Geschlechterverhältnissen ……………………………………………………………….. 337 Torsten Schröder Geplante Kinderlosigkeit? Ein lebensverlaufstheoretisches Entscheidungsmodell .………………….... 365 Günter Burkart Eine Kultur des Zweifels: Kinderlosigkeit und die Zukunft der Familie ………………..………..…… 401 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren …………………………………. 425

Einleitung

Kinderlosigkeit in Deutschland – theoretische Probleme und empirische Ergebnisse Michaela Kreyenfeld und Dirk Konietzka

1

Einleitung1

In fast allen europäischen Ländern bleiben heute mehr Männer und Frauen kinderlos als vor zwei oder drei Jahrzehnten. In Westdeutschland werden voraussichtlich mehr als 20 Prozent der 1965 geborenen Frauen und möglicherweise 30 Prozent der höher gebildeten Frauen des gleichen Jahrgangs ohne eigene Kinder bleiben. Das Thema Kinderlosigkeit hat in der jüngsten Zeit eine erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit erweckt, jedoch steht die in Medien und Politik geführte Debatte auf wackeligen Füßen. Die dort verwendeten Zahlen zum Ausmaß der Kinderlosigkeit von Männern und Frauen in unserer Gesellschaft gehen weit auseinander und die vermuteten Ursachen der hohen Kinderlosigkeit in Deutschland sind widersprüchlich. Sind wirtschaftliche Unsicherheiten, schlechte Bedingungen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder einseitig karriereorientierte Lebenskonzepte von Frauen, insbesondere Akademikerinnen, für die hohe Kinderlosigkeit verantwortlich? Fehlt ‚nur’ ein geeigneter Lebenspartner oder, wenn vorhanden, fehlt diesem das Interesse an Familie? Die öffentliche Debatte nimmt mitunter bizarre Formen an. Auf der einen Seite werden niedrige Geburtenraten und hohe Kinderlosigkeit nicht nur mit dem Niedergang der Familie gleichgesetzt, sondern auch für einen Kollaps der

1

Die Autoren danken dem Forschungsdatenzentrum des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen für die Bereitstellung der Scientfic-Use-Files der Mikrozensen. Der SOEP-Gruppe sei für die Verwendung der Daten des Sozio-Oekonomischen Panels gedankt. Wir danken ebenfalls dem Beraterkreis des ‚Fertility and Family Surveys’ (FFS) für die Erlaubnis der Nutzung der Daten des FFS. Dem Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen danken wir für die Möglichkeit der Nutzung der Daten der Volkszählung 1970. Hier sei vor allem Paul Lüttinger gedankt. Sebastian Böhm sei für die Unterstützung bei der Analyse der Daten der Volkszählung 1970 gedankt. Dem Deutschen Jugendinstitut danken wir für die Bereitstellung des DJI-Familiensurveys. Ein Teil der in diesem Beitrag benutzten Daten entstammen der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS). Die Daten sind beim Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung in Köln erhältlich. Die genannten Institutionen und Personen tragen keine Verantwortung für die Verwendung der Daten in diesem Beitrag. Ines Wlosnewski danken wir für hilfreiche Anmerkungen zu diesem Beitrag.

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Kinderlosigkeit in Deutschland – theoretische Probleme und empirische Ergebnisse

sozialen Sicherung verantwortlich gemacht. Auf der anderen Seite wird die Diskussion um Kinderlosigkeit als gesellschaftspolitischer Angriff auf die Selbstbestimmungsrechte von Frauen, das individuelle Recht auf ein Leben ohne Kinder und die Autonomie der Wahl von Lebenskonzepten jenseits des bürgerlichen Familienmodells wahrgenommen. Die holzschnittartige Vergröberung der Positionen mag zwar deren öffentliche Wirksamkeit fördern, ist aber der Analyse des Phänomens der Kinderlosigkeit in der Gegenwartsgesellschaft nur bedingt förderlich. In deutlichem Kontrast zu den in den Medien mit Inbrunst vorgetragenen Überzeugungen über die wahren Ursachen und die wirklich Verantwortlichen der (angeblich) kinderlosen Gesellschaft steht die sozialwissenschaftliche Analyse der Kinderlosigkeit. Wer sich mit dem Thema wissenschaftlich beschäftigt, muss zunächst verblüfft feststellen, dass es in Deutschland keine amtlichen Daten über das Ausmaß der Kinderlosigkeit gibt. Die zur Verfügung stehenden empirischen Daten sind lückenhaft oder unzuverlässig, sodass grundlegende Fragen, wie hoch der Anteil kinderloser Frauen und Männer ist, wie stark Kinderlosigkeit im Zeitverlauf zugenommen hat und wie sie sozialstrukturell verankert ist, allenfalls näherungsweise beantwortet werden können. Kinderlosigkeit hat nicht nur viele Facetten und unterschiedliche Ursachen, bei genauerer Betrachtung verschwimmen auch scheinbar klare Grenzen wie jene zwischen gewollter und ungewollter Kinderlosigkeit. Fest gefügte Gewissheiten über die säkulare Zunahme der Kinderlosigkeit und den Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Kinderlosigkeit erweisen sich als fraglich. Die biographische Realität der Kinderlosigkeit ist häufig komplex und widersprüchlich – im Leben vieler Menschen klaffen Lücken zwischen Wunsch und Wirklichkeit, tun sich Widersprüche zwischen verschiedenen Lebenszielen auf und entfalten bestimmte Entscheidungen ungeahnte Nebenfolgen im späteren Lebenslauf. Kinderlosigkeit ist häufig eine Folge des Aufschubs der Familiengründung und Ausdruck spezifischer biographischer Konstellationen, seltener dagegen das Ergebnis einer einmaligen Entscheidung oder dauerhaften Disposition. Mit den unterschiedlichen Aspekten des Phänomens der Kinderlosigkeit befassen sich die Autoren und Autorinnen der Beiträge des vorliegenden Buches. Sie liefern sowohl theoretische als auch empirische Analysen der Kinderlosigkeit in Deutschland und im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Zusammengenommen korrigieren sie ein in der Öffentlichkeit eindimensional präsentiertes Bild, machen auf die vielschichtigen Konturen der Kinderlosigkeit aufmerksam und eröffnen nicht zuletzt kontraintuitive Einsichten in die Rolle von Kinderlosigkeit im Leben von Männern und Frauen. In Abschnitt 2 diskutieren wir zunächst konzeptuelle Probleme der Analyse von Kinderlosigkeit sowie die Probleme der Messung ‚endgültiger’ Kinderlo-

Michaela Kreyenfeld und Dirk Konietzka

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sigkeit im Lebenslauf. In Abschnitt 3 erörtern wir die Datenlage zur Kinderlosigkeit in Deutschland und vergleichen die mit Hilfe verschiedener Datenquellen errechneten kohortenspezifischen Anteile kinderloser Frauen. In Abschnitt 4 geben wir einen Überblick über die Fragestellungen und Ergebnisse der Beiträge dieses Bandes.

2

Probleme der Analyse von Kinderlosigkeit

2.1

Wie neu ist Kinderlosigkeit?

Um das aktuelle Ausmaß der Kinderlosigkeit in Deutschland besser einordnen zu können, ist ein Vergleich mit anderen Ländern und früheren Zeiten hilfreich. Ein historischer Rückblick zeigt, dass Anteile kinderloser Frauen in der Größenordnung von 20 Prozent weder in Deutschland noch in anderen westlichen Ländern ein neues Phänomen sind. Das von Hajnal (1965) beschriebene ‚European marriage pattern’, welches das demographische Verhalten in den nord- und westeuropäischen Ländern seit dem 15. Jahrhundert prägte, war durch ein hohes Alter bei der ersten Heirat und einen relativ großen Anteil von Männern und Frauen, die lebenslang ledig und kinderlos blieben, gekennzeichnet. Dieses Muster war auch für die Familie des 19. Jahrhunderts in Nordamerika charakteristisch. So war in den USA Kinderlosigkeit weit verbreitet: „the single adult was a significant part of the American population in the nineteenth and early twentieth century“ (Rindfuss, Morgan und Swicegood 1988: 61). Morgan (1991: 782) schätzt, dass 25 Prozent der Frauen der Jahrgänge, die um 1900 geboren wurden, kinderlos blieben. Rowland (1998: 20) geht für Australien für die Jahrgänge 1891 bis 1906 von Anteilen von 30 Prozent aus. In Deutschland waren die Anteile zeitlebens kinderloser Frauen in den Jahrgängen, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts geboren wurden, durchgängig sehr hoch. Für die um die Jahrhundertwende Geborenen lagen sie sehr wahrscheinlich deutlich über 20 Prozent (vgl. Abschnitt 3, Tabelle 5). Die Lebensläufe dieser Geburtsjahrgänge waren durch die Wirtschaftskrisen und Kriege der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts gezeichnet. Erst in den Geburtsjahrgängen ab 1930 ging das Ausmaß der Kinderlosigkeit von Frauen deutlich zurück. Es waren vor allem die Frauen und Männer dieser Kohorten, die in den 1950er und 1960er Jahren das ‚Golden Age of Marriage’ (Festy 1980) begründeten, indem sie früher heirateten und Eltern wurden als die Kohorten vor ihnen. Der Anteil zeitlebens Kinderloser fiel in der Nachkriegsepoche auf ein historisch vermutlich einmalig niedriges Niveau. Auch wenn die niedrige Kinderlosigkeit in dieser Zeit im Nachhinein mit dem ökonomischen Boom und der normativen An-

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Kinderlosigkeit in Deutschland – theoretische Probleme und empirische Ergebnisse

ziehungskraft des bürgerlichen Familienmodells erklärt wurde, war das ‚Golden Age of Marriage’ in der zeitgenössischen Literatur keineswegs vorhergesehen worden (vgl. Parsons 1955: 3ff.). Veevers (1973: 203) spricht noch von einem „paradoxen“ und erklärungsbedürftigen Rückgang des Anteils Kinderloser. Mit den Geburtskohorten 1950 und später ist das Ausmaß der Kinderlosigkeit in den USA und den meisten westeuropäischen Ländern wieder gestiegen. Der westdeutsche Jahrgang 1960, welcher gegenwärtig der jüngste mit abgeschlossener Fertilitätsbiographie ist, weist im europäischen Vergleich vermutlich den höchsten Anteil zeitlebens kinderloser Frauen auf. Nicht nur die Anteile der Kinderlosen eines Jahrgangs haben sich erhöht, auch die Gründe für ein Leben ohne Kinder haben sich vom ersten Drittel des 20. bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts verändert. In der Vergangenheit hatten ökonomische Krisen wie die ‚Great Depression’ in den USA oder die sozialen und demographischen Erschütterungen in Folge des ersten und zweiten Weltkriegs in Europa das Ausmaß der Kinderlosigkeit in bestimmten Kohorten ansteigen lassen. Heute werden dagegen neben den (wieder zunehmenden) ökonomischen Unsicherheiten vor allem wachsender Wohlstand, kultureller Wandel und Individualisierung als Ursachen einer grundlegend veränderten Logik reproduktiven Handelns betrachtet (Ariès 1980; van de Kaa 1987, 2004). Ob ökonomische Krisen und politische Umwälzungen die Neigung zur Familiengründung einer Kohorte nachhaltig beeinflussen, ist auch eine Frage des ‚demographischen Regimes’ (Morgan 1991). Der Systemwechsel in Ostdeutschland und den mittel- und osteuropäischen Ländern ereignete sich in einem Regime früher Elternschaft, weshalb kinderlose Frauen und Männer in der Regel noch ein relativ langes biographisches Zeitfenster zur Bewältigung des sozialen Umbruchs zur Verfügung hatten. Aus diesem Grund hat die Transformation in Ostdeutschland zwar die bekannten Einbrüche in den Periodenfertilitätsziffern zur Folge gehabt, auf der Kohortenebene aber trotz deutlicher Veränderungen des Timings des Geburtenverhaltens keinen gravierenden Anstieg der Kinderlosigkeit verursacht (Konietzka und Kreyenfeld 2004).

2.2

Wann ist Kinderlosigkeit ungewollt?

In der Literatur wird häufig zwischen gewollter und ungewollter Kinderlosigkeit unterschieden (Nave-Herz 1988; Höpflinger 1991; Schneider 1996; OnnenIsemann 2004).2 Allerdings hat sich die Bedeutung dieses Begriffspaars über die

2

In den USA wird häufig der Begriff ‚childfree’ anstelle des Begriffs ‚childless’ verwendet, um die Konnotation des ‚Mangels’ des Begriffs der Kinderlosigkeit zu vermeiden (Hoffman und

Michaela Kreyenfeld und Dirk Konietzka

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Zeit verändert. So klassifizierte Veevers (1979: 3) unverheiratete Frauen als ungewollt kinderlos. Heute besteht dagegen weitgehend ein Konsens darüber, dass unter ungewollter Kinderlosigkeit nur biologisch bedingte Unfruchtbarkeit zu verstehen ist. Auch wenn es problematisch ist, den Anteil biologisch bedingter Kinderlosigkeit in einer Population präzise zu schätzen, wird meistens davon ausgegangen, dass zwischen 5 und 10 Prozent aller Frauen in entwickelten Ländern biologisch bedingt kinderlos bleiben (Leridon 1992; Wilcox und Mosher 1994; Chandra und Stephen 1998). Eine strikte Unterscheidung zwischen ungewollter und gewollter Kinderlosigkeit ist schwierig, weil Fruchtbarkeit altersabhängig ist und Individuen häufig erst dann von ihrer Unfruchtbarkeit bzw. Subfekundität erfahren, wenn sie einen konkreten Kinderwunsch haben. Rindfuss, Morgan und Swicegood (1988: 27) betonen, dass im Lebenslauf gewollte temporäre Kinderlosigkeit in ungewollte dauerhafte Kinderlosigkeit umschlagen kann. Morgan (1991: 780) sieht das Aufschieben von Fertilitätsentscheidungen als einen der wichtigsten Gründe dafür, dass eine Frau ungewollt kinderlos bleibt: „childlessness in the past, as in the present, was most often caused by a series of postponements.“ Allerdings liegen kaum mikroanalytische Studien vor, die den Prozess rekonstruieren, wie ein zunächst latenter, aber aufgeschobener Kinderwunsch in ungewollte, endgültige Kinderlosigkeit mündet (eine Ausnahme sind die Analysen des Bamberger Ehepaar-Panels, siehe Rupp 2005). Aus den bisherigen Überlegungen folgt, dass die Entscheidung für oder gegen ein Kind am besten als Prozess aus der Lebenslaufperspektive zu betrachten ist. Auch wenn eine Person die Entscheidung zur Kinderlosigkeit durchaus als früh, einmalig und unumkehrbar erleben kann (Gillespie 1999: 47; Heaton, Jacobson und Holland 1999), dürfte Kinderlosigkeit in den meisten Fällen am angemessensten als Produkt einer Abfolge von biographischen Entscheidungen verstanden werden, welche von den gegebenen äußeren Rahmenbedingungen sowie den individuellen Ressourcen und subjektiven Lebenszielen beeinflusst werden. Die hier angesprochenen Lebenslaufentscheidungen werden typischerweise über einen längeren Zeitraum, der sich über zwei Jahrzehnte erstrecken kann, getroffen; sie tangieren verschiedene Lebensbereiche – die Ausbildung, das Erwerbsleben, regionale Mobilität und die private Lebensform –, und es sind nicht zuletzt die Lebenspartner an ihnen beteiligt. Dieses Geflecht an Faktoren impliziert, dass Kinderlosigkeit nicht unbedingt das Resultat einer bewussten Entscheidung gegen Kinder und Familie sein muss, sie vielmehr die Folge

Levant 1985; Somers 1993). Eine solche, durchaus fragwürdige, terminologische Differenzierung findet sich bislang im deutschen Sprachraum nicht.

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Kinderlosigkeit in Deutschland – theoretische Probleme und empirische Ergebnisse

von aufgeschobenen oder zurückgestellten Fertilitätsentscheidungen oder auch die Nebenfolge von Entscheidungen in anderen Lebensbereichen sein kann. Strukturelle und institutionelle Kontexte spielen ebenfalls eine Rolle für die Frage der Kinderlosigkeit. In Deutschland stellt sich für Männer und Frauen die Entscheidung für ein Kind in aller Regel als Entscheidung dar, die das bislang praktizierte Lebensmodell und die Alltagsorganisation von Grund auf umstellt. Westdeutsche Frauen und Männer sind, wie Befragungen immer wieder bestätigen, in ihrer Mehrheit davon überzeugt, dass die Mutterrolle mit Erwerbstätigkeit, insbesondere Vollzeiterwerbstätigkeit, nicht vereinbar ist. Unter den Voraussetzungen einer strukturellen und kulturellen Unvereinbarkeit löst die Mehrheit der Frauen in Westdeutschland den Konflikt zwischen Familie und Beruf zugunsten von Familie, während eine Minderheit zugunsten des Berufs auf Kinder verzichtet. Wir wissen eher wenig darüber, wie der damit verbundene Entscheidungsprozess abläuft, durch welche Erfahrungen und äußeren Faktoren er beeinflusst wird und welche Rolle der Partner darin spielt.

2.3

Wann ist Kinderlosigkeit endgültig?

Die Zunahme der Kinderlosigkeit in den jüngeren Geburtskohorten steht, wie bereits erwähnt, in enger Verbindung mit einem veränderten Timing von Erstgeburten im Lebenslauf. Charakteristisch für die jüngeren familiendemographischen Entwicklungen ist der Aufschub der Familiengründung. Mit steigendem Alter bei der Erstgeburt verschiebt sich auch der Zeitpunkt, ab dem Kinderlosigkeit einen ‚endgültigen’ Charakter bekommt. Kinderlosigkeit ist im Leben einer Frau erst dann ‚endgültig’, wenn anzunehmen ist, dass sie nicht mehr ein erstes Kind bekommen wird. In früheren empirischen Studien wurden vielfach, einer Querschnittslogik folgend, Frauen ohne Kinder unterschiedlichen Alters, darunter auch jene, die sich noch in ihrer reproduktiven Phase befanden, betrachtet (De Jong and Sell 1977; Baum 1983; Nave-Herz 1988). In einem solchen Analysedesign stellt sich wenig überraschend das Alter der Frau als eine entscheidende Determinante der Kinderlosigkeit heraus. Die Mehrzahl der kinderlosen Personen in den genannten Studien hatte einen latenten Kinderwunsch, der lediglich bis zum Befragungszeitpunkt noch nicht umgesetzt war. So stellen De Jong und Sell (1977: 132) in ihren Analysen altersspezifischer Fertilitätsraten fest, „that childlessness is temporary and that childbearing may occur later in life.“ In einigen qualitativen Studien zur Kinderlosigkeit wurden die interviewten Personen gebeten, Angaben zur Ernsthaftigkeit der intendierten Kinderlosigkeit zu machen. Auf dieser Basis wurden auch unter 30-jährige Frauen als kinderlos eingestuft, sofern

Michaela Kreyenfeld und Dirk Konietzka

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sie versichert hatten, dass sich ihr Wunsch auch zukünftig nicht ändern wird (Gillespie 1999: 47; Gillespie 2000: 228; Black und Scull 2005). In der demographischen Forschung wird üblicherweise die Altersklasse von 15 bis 45 Jahren als reproduktive Phase einer Frau definiert, sodass das Ausmaß der endgültigen Kinderlosigkeit eines Geburtsjahrgangs von Frauen ab dem Jahr bestimmt werden kann, in dem dieser das Alter von 45 Jahren erreicht. Dies bedeutet, dass man heute – vorausgesetzt, man verfügt über aktuelle Daten – sichere Aussagen über das Ausmaß der Kinderlosigkeit der Frauen der Jahrgänge, die 1962 und früher geboren wurden, machen kann. Die Kinderlosigkeit der jüngeren Jahrgänge, die ihre reproduktive Phase noch nicht beendet haben, muss dagegen geschätzt werden. Während der Schätzfehler für Kohorten, die zum letzten Datenzeitpunkt zwischen 40 und 45 Jahre alt waren, relativ gering ausfällt, sind für jüngere Kohorten Prognosen der endgültigen Kinderlosigkeit deutlich fehleranfälliger.3 Wie Rindfuss, Morgan und Swicegood (1988: 28f.) feststellen, sind die Wandelbarkeit von Werten und Intentionen im Lebenslauf sowie der schlecht vorhersehbare Einfluss zukünftiger Periodenereignisse wichtige Gründe dafür, dass „predicting the ultimate level of childlessness for a cohort still in childbearing years is hazardous at best, and quite often misleading.“ Bei Männern stellt sich das Problem der ‚Endgültigkeit’ der Kinderlosigkeit noch komplizierter dar. Unter 35- oder 40-jährigen Männern ist der Anteil Kinderloser durchgängig höher als unter Frauen gleichen Alters. Vergleiche dieser Art sind vor allem in der öffentlichen Diskussion als empirischer Beleg für die These herangezogen worden, dass weniger die Frauen als vielmehr die Männer für die Kinderlosigkeitsmisere verantwortlich sind. Allerdings liegt hier ein Kurzschluss vor, denn die altersspezifisch höhere Kinderlosigkeit von Männern ist vor allem Ausdruck der Tatsache, dass Männer im Durchschnitt einige Jahre älter als ihre Partnerinnen und entsprechend auch bei der Familiengründung älter sind. Hinzu kommen statistische Probleme der Erfassung der Kinderlosigkeit von Männern, die darin begründet sind, dass Männer bei Befragungen Kinder, zu denen sie keine soziale Beziehung (mehr) haben, häufig nicht angeben oder – was angesichts der Zunahme nichtehelicher Geburten verstärkt der Fall sein 3

Bei der häufig zur Prognose der endgültigen Kinderzahl einer Kohorte genutzten CalotMethode werden die alterspezifischen Fertilitätsziffern der Kohorten, die ihre Fertilität noch nicht abgeschlossen haben, auf der Grundlage der bereits bekannten Fertilitätsraten der älteren Kohorten vervollständigt. Dieses Verfahren nimmt an, dass jüngere Kohorten das gleiche Verhalten zeigen werden wie ihre Vorgängerkohorten. Im Fall einer Verschiebung des Geburtenalters von Frauen überschätzt das Verfahren das Ausmaß der Kinderlosigkeit. Aufgrund des derzeit starken Anstiegs des Erstgeburtenalters in Ostdeutschland, Südeuropa, Ost- und Mitteleuropa überschätzt die Calot-Methode insbesondere dort das Ausmaß der Kinderlosigkeit jüngerer Geburtskohorten, d. h. vor allem der Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre Geborenen.

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Kinderlosigkeit in Deutschland – theoretische Probleme und empirische Ergebnisse

dürfte – von ihrer Vaterschaft nichts wissen oder diese bestreiten (Rendall et al. 1999; Schmitt 2005).

3

Das empirische Ausmaß der Kinderlosigkeit

3.1

Ausmaß der Kinderlosigkeit im internationalen Vergleich

Internationale Vergleiche des Ausmaßes der Kinderlosigkeit beruhen entweder vorwiegend auf Ergebnissen der Bevölkerungsstatistiken (Frejka und Sardon 2005, 2006) oder auf Zensusdaten, wie dem von den United Nations (2004) herausgegebenen World Fertility Report. Für einige Länder wie Deutschland, Belgien und Großbritannien liefern weder (Mikro-)Zensus noch Bevölkerungsstatistik verlässliche Informationen über die Anteile kinderloser Frauen. In diesen Fällen bieten nichtamtliche Befragungen wie der Family and Fertility Survey wichtige ergänzende Informationen. Mit dem deutschen Family and Fertility Survey (FFS) können jedoch nur bedingt Aussagen über die endgültige Kinderlosigkeit gemacht werden, da die Stichprobe nur Frauen bis zum Alter von 39 Jahren und nicht die ausländische Population umfasst.4 Tabelle 1 gibt einen Überblick über das Ausmaß der endgültigen Kinderlosigkeit der Frauen der Geburtskohorten 1940, 1950 und 1960 in verschiedenen europäischen Ländern. Nur in wenigen Ländern sind mehr als 15 Prozent der Frauen des Geburtsjahrgangs kinderlos geblieben, so in England/Wales, Österreich, der Schweiz sowie den Niederlanden und Finnland. In den süd- und osteuropäischen Ländern ist Kinderlosigkeit dagegen weniger verbreitet, jedoch hat sich in diesen Ländern seit dem Beginn der 1990er Jahre ein deutlicher Wandel des demographischen Verhaltens vollzogen, sodass man davon ausgehen kann, dass in jüngeren Kohorten auch dort die Anteile kinderloser Frauen höher liegen werden. Solange diese Kohorten ihre reproduktive Phase aber nicht abgeschlossen haben, können wir, wie bereits ausgeführt, keine abschließenden Aussagen treffen. Dies gilt auch für Ostdeutschland. Während die Kohorten, die bis 1965 geboren wurden, zum größten Teil bereits vor der Wende eine Familie gegründet hatten, kann für die Kohorten, die nach 1965 geboren wurden, das endgültige Ausmaß der Kinderlosigkeit noch nicht abschließend bestimmt werden.

4

Der Gender and Generation Survey wird als Nachfolgesurvey des Family and Fertility Survey die Möglichkeit bieten, aktuelle Kennziffern zur Kinderlosigkeit zu berechnen (United Nations 2006). Die Daten für Deutschland und für alle anderen beteiligten Länder sind jedoch bis zum heutigen Zeitpunkt nicht offiziell verfügbar.

19

Michaela Kreyenfeld und Dirk Konietzka

Tabelle 1: Anteil dauerhaft kinderloser Frauen im Ländervergleich nach Kohorten Kohorte

1940

1950

1960

10%c)

14%d)

c)

17%d)

Nordeuropa Dänemark Finnland Norwegen Schweden

a)

15%

b)

9%

b)

17%

c)

9%

c)

12%d)

12%

12%

15%d)

12%

8%

8%e)

Westeuropa Deutschland (Ost) Deutschland (West)

11%

14%

England/Wales

11%

15%

Niederlande

19% 11%f)

Frankreich 11%

15%

18%

Österreich

18%g)

Schweiz

18%h)

Südeuropa Griechenland

11%

10%

11%

Italien

15%

13%

15%

Spanien

10%

Ost- und Mitteleuropa Rumänien Tschechische Republik

8%

6%

8%

7%

7%

Ungarn 9% 9% 8% Anmerkungen: Die Berechnungen für Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden beinhalten nicht die ausländische Population. a) Kohorten 1937-39; b) Kohorten 1935-39; c) Kohorten 1945-49; d) Kohorten 1955-59 im Alter 40; e) Kohorte 1958; f) Kohorten 1954-59 im Jahr 1994; g) Kohorten 1955-61 im Jahr 1995/96; h) Kohorten 1954-60 im Jahr 1994 Quellen: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (1999) für Deutschland (Ost) Andersson und Rønsen (2006) für Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden Frejka und Sardon (2004) für England/Wales (Kohorte 1940 und 1950), Griechenland, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn Frejka und Sardon (2006) für Italien, Rumänien und Niederlande Kreyenfeld (2002) für Deutschland (West) Smallwood (2003) für England/Wales (Kohorte 1960) Fertility and Family Surveys (eigene Berechnungen) für Frankreich, Österreich und Schweiz

20

3.2

Kinderlosigkeit in Deutschland – theoretische Probleme und empirische Ergebnisse

Die Bevölkerungsstatistik in Deutschland

Für die meisten Länder kann der Anteil kinderloser Frauen eines Geburtsjahrgangs auf Basis der Bevölkerungsstatistik bestimmt werden. Die amtliche Bevölkerungsstatistik erfasst auf der einen Seite die nach dem Alter differenzierte Anzahl der weiblichen Bevölkerung und auf der anderen Seite die Anzahl der Geburten, differenziert nach Geburtenfolge und Alter der Frau. Deutschland gehört zu den wenigen Ländern, für die der Anteil kinderloser Frauen nicht auf der Basis der Bevölkerungsstatistik berechnet werden kann. Zwar veröffentlicht das Statistische Bundesamt jährlich nach dem Lebensalter differenzierte Zahlen über die weibliche Wohnbevölkerung. Auch sind wichtige Kennziffern der Geburtenstatistik, darunter die Anzahl der Geburten nach dem Alter der Frau, bekannt. Geburten werden aber nur nach dem Prinzip der Rangfolge in der bestehenden Ehe dokumentiert. Um das Ausmaß der Kinderlosigkeit von Frauen berechnen zu können, wären jedoch Informationen über die biologische Rangfolge der Geburten im Leben einer Frau notwendig. Um das Ausmaß der Kinderlosigkeit auf der Basis der Bevölkerungsstatistik bestimmen zu können, wäre es lediglich nötig, die Dokumentationspraxis geringfügig zu ändern – und zwar anstelle der Rangfolge der Geburten in der bestehenden Ehe deren biologische Rangfolge zu erheben.5 Dies ist in den meisten europäischen Ländern Praxis, in Deutschland jedoch bislang politisch nicht durchsetzbar gewesen. Im Gegensatz dazu hatte die amtliche Statistik der DDR Geburten nach der biologischen Rangfolge unterschieden – diese Statistik wurde nach 1990 abgeschafft. Immerhin können wir so die endgültige Kinderlosigkeit von Frauen in der DDR bestimmen. Wie Tabelle 2 zeigt, betrug die Kinderlosigkeit des Jahrgangs 1940 11 Prozent, und sie sank in den folgenden Jahrgängen auf unter 10 Prozent.

5

Die Erfassung der Geburten ist im Gesetz über die Statistik der Bevölkerungsbewegung und die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. März 1980 festgelegt. Eine sofortige Änderung der Erfassungspraxis würde aber erst im Jahr 2037, wenn die heute 15-jährgen Frauen ihre reproduktive Phase abgeschlossen haben werden, verlässliche Angaben zur Kinderlosigkeit bereitstellen.

21

Michaela Kreyenfeld und Dirk Konietzka

Tabelle 2: Endgültige Kinderzahl von Frauen in der DDR nach Kohorten 1940

1945

1950

1955

Verteilung der Kinderzahl Kinderlos

11%

8%

7%

8%

Ein Kind

26%

29%

30%

27%

Zwei Kinder

35%

42%

47%

48%

Drei und mehr Kinder

28%

21%

16%

18%

Insgesamt

100%

100%

100%

100%

Durchschniottliche Kinderzahl 1,98 1,87 Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (1999)

1,79

1,84

Angesichts der fehlenden paritätsspezifischen Information der bundesdeutschen Bevölkerungsstatistik haben verschiedene Autoren das Ausmaß der Kinderlosigkeit mit einem Korrekturverfahren geschätzt (Birg, Filip und Flöthmann 1990; Dorbritz und Schwarz 1996; Kreyenfeld 2002). Dieses Verfahren schätzt die Anzahl erster Kinder auf der Basis der amtlichen Angaben zu den Erstgeburten in bestehenden Ehen sowie von zusätzlichen Annahmen über den Anteil der Erstgeburten unter nichtehelichen Geburten. In Tabelle 3 sind die Ergebnisse der Schätzungen von Kreyenfeld (2002) wiedergegeben. Sie lassen auf einen sprunghaften Anstieg der Kinderlosigkeit zwischen den westdeutschen Jahrgängen 1950 und 1955 schließen. Mit steigendem Anteil nichtehelicher Geburten wird diese Methode jedoch zunehmend fehleranfällig, sodass sie zur Schätzung der Kinderlosigkeit der jüngeren Jahrgänge, insbesondere in Ostdeutschland, nicht geeignet scheint. Tabelle 3: Endgültige Kinderzahl von Frauen in Westdeutschland nach Kohorten 1940

1945

1950

1955

Verteilung der Kinderzahl Kinderlos

11%

13%

14%

19%

Ein Kind

26%

30%

31%

27%

Zwei Kinder

34%

35%

35%

36%

Drei und mehr Kinder

29%

22%

20%

18%

Insgesamt

100%

100%

100%

100%

Durchschniottliche Kinderzahl 1,97 1,78 1,70 1,62 Anmerkung: Für die Kohorte 1955 beziehen sich die Angaben zur Verteilung der Kinderzahl auf das Alter 40. Quelle: Kreyenfeld (2002)

22 3.3

Kinderlosigkeit in Deutschland – theoretische Probleme und empirische Ergebnisse

Kinderlosigkeit im Zensus und Mikrozensus

Zensus und Mikrozensus stellen die wichtigsten Ergänzungen zur Bevölkerungsstatistik dar. Als Mikrodaten, die auch soziodemographische Informationen enthalten, erlauben sie im Unterschied zu den meisten Bevölkerungsstatistiken die Bestimmung von Kinderlosigkeit in Subpopulationen wie den Hochschulabsolventinnen. Auch in Deutschland ist der Mikrozensus für die Analyse der Haushalts- und Familienstrukturen die wichtigste amtliche Befragung. In der Mikrozensuserhebung wird seit dem Jahr 1957 einmal jährlich ein Prozent der Bevölkerung in Westdeutschland befragt, in Ostdeutschland wurde die erste Befragung im Jahr 1991 durchgeführt.6 Da die Mehrzahl der Fragen der Auskunftspflicht unterliegt, spielen Antwortverweigerungen im Unterschied zu nichtamtlichen Befragungen im Mikrozensus kaum eine Rolle. Das Frageprogramm des Mikrozensus umfasst über 100 Fragen, darunter solche zu den im Haushalt lebenden Kindern. Da Personen aber nicht nach ihren nicht mehr im Haushalt lebenden Kindern gefragt werden, gibt auch der Mikrozensus keine verlässliche Auskunft über die tatsächliche Anzahl der Kinder der Befragten und damit auch nicht über die Anteile kinderloser Frauen.7 Aufgrund dieses Mangels wurden in der Forschung pragmatische Wege eingeschlagen, das Ausmaß der Kinderlosigkeit zu rekonstruieren (Grünheid 2004; Wirth und Dümmler 2004; Duschek und Wirth 2005).8 Das gängigste 6 7

8

Seit 2005 wird der Mikrozensus auch unterjährig erhoben, d. h. es liegen nunmehr auch Quartalsergebnisse vor. Das Statistische Bundesamt (2006: 1) konstatiert in diesem Zusammenhang, dass „die gegenwärtig für Deutschland verfügbaren Daten der amtlichen Statistik“ keine Möglichkeit bieten, um „präzise Aussagen zum Ausmaß der Kinderlosigkeit vorzunehmen.“ Das Statistische Bundesamt hat im Jahr 2006 eine ‚Frauenbefragung zur Geburtenentwicklung in Deutschland’ durchgeführt, um die fehlenden Angaben der Bevölkerungsstatistik zu ergänzen. Erste Ergebnisse dieser Befragung werden im Herbst 2007 erwartet. Zur Abgrenzung der Kinderzahl im Mikrozensus wird die Familie als Einheit zu Grunde gelegt. Nach dem traditionellen Familienkonzept ist eine Familie definiert als „zusammen wohnende Ehepaare ohne ledige Kinder im Haushalt, zusammen wohnende Ehepaare mit ihren leiblichen Kindern im Haushalt und allein Erziehende (unabhängig von einer eventuell vorhandenen Lebenspartnerschaft) mit ihren ledigen Kindern im Haushalt“ (Heidenreich und Nöthen 2002: 28). Wird dieses Familienkonzept zu Grunde gelegt, um die Kinder der weiblichen Bezugsperson in der Familie zu ermitteln, überschätzt man die Kinderlosigkeit, da Kinder in nichtehelichen Lebensgemeinschaften nicht klar zugeordnet werden können. Lebt eine Frau mit ihrem Partner und dem gemeinsamen Kind in einem Haushalt und sind der Mann und die Frau nicht miteinander verheiratet, wird eine der beiden Personen als Bezugsperson des Kindes, die andere Person dagegen als eine ‚familienfremde’ Person und damit als kinderlose Person eingestuft. Seit 1996 steht im Mikrozensus das neue Konzept der Lebensformen zur Verfügung, das es erlaubt auch nichteheliche Lebensgemeinschaften abzugrenzen (Nöthen 2005).

Michaela Kreyenfeld und Dirk Konietzka

23

Verfahren, das in der US-amerikanischen Literatur auch als ‚own-children method’ bezeichnet wird, leitet die Kinderzahl der Befragten aus der Summe der im Haushalt lebenden Kinder ab (Cho, Retherford und Choe 1986). Eine Frau gilt als kinderlos, wenn sie nicht mit einem Kind zusammen im Haushalt lebt. In diesem Zusammenhang ist die Frage von zentraler Relevanz, bis zu welchem Lebensalter der Befragten man davon ausgehen kann, dass zumindest noch das jüngste Kind im elterlichen Haushalt lebt. Setzt man die Altersgrenze ‚zu spät’ an, werden Kinder nicht erfasst, die den elterlichen Haushalt bereits verlassen haben. Die meisten Publikationen zu diesem Thema haben mit einer Altersgrenze von 35 bis 39 Jahren gearbeitet. In dieser Altersgruppe befinden sich aber zunehmend Frauen, insbesondere Hochschulabsolventinnen, die noch kein erstes Kind haben, sodass das Ausmaß der ‚endgültigen’ Kinderlosigkeit überschätzt wird. Bei systematischer Betrachtung sind es vor allem zwei Gründe, die dazu führen, dass die im Haushalt lebenden Kinder nicht mit den Kindern, die eine Frau jemals geboren hat, übereinstimmen. Der erste, bereits genannte, Grund ist, dass Kinder mit zunehmendem Alter immer häufiger den elterlichen Haushalt verlassen. Neben diesem Umstand (und dem seltenen Fall des Todes eines Kindes) kommt vor allem die Möglichkeit in Betracht, dass ein Kind nicht im Haushalt der Mutter lebt, weil die Mutter aufgrund von Scheidung oder Trennung den Familienhaushalt verlassen hat. Ein Faktor, der zu einer Überschätzung der Anzahl der eigenen Kinder führt, sind dagegen die Stiefkinder, die der Partner in einen gemeinsamen Haushalt mitgebracht hat und die im Mikrozensus nicht eindeutig identifiziert werden können. Der Unterschied zwischen der tatsächlichen Kinderzahl und der Anzahl der Kinder im Haushalt einer Frau kann durch einen Vergleich der Bevölkerungsstatistik mit dem Mikrozensus festgestellt werden. Aus der Bevölkerungsstatistik ziehen wir zur Berechnung der durchschnittlichen Kinderzahl pro Frau für jede Geburtskohorte die kumulierten altersspezifischen Fertilitätsziffern heran. Abbildung 1a zeigt, dass in Westdeutschland Mikrozensus und Bevölkerungsstatistik bis zum Alter von 39 Jahren zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommen. Ab diesem Alter liegt die Schätzung der Kinderzahl mit Hilfe des Mikrozensus jedoch unter der der Bevölkerungsstatistik. Da die Kinder der über 39-jährigen Frauen bereits häufiger das Elternhaus verlassen haben, liefern die im Haushalt lebenden Kinder laut Mikrozensus keine hinreichende Annäherung an die tatsächliche Anzahl der Kinder der Frauen.

24

Kinderlosigkeit in Deutschland – theoretische Probleme und empirische Ergebnisse

Abbildung 1a: Kinderzahl von Frauen im Mikrozensus und in der Bevölkerungsstatistik, Westdeutschland 2004 2.0

Bevölkerungsstatistik 1.5

Mikrozensus

1.0 35

36

37

38

39

40

41

42

43

44

45

Alter der Frau

Abbildung 1b: Kinderzahl von Frauen im Mikrozensus und in der Bevölkerungsstatistik, Ostdeutschland 2004 2.0

Bevölkerungsstatistik 1.5

Mikrozensus

1.0 35-37

38-40

41-43

44-46

Alter der Frau

Anmerkungen: Die Berechungen des Mikrozensus beziehen sich auf Personen in Privathaushalten am Hauptwohnsitz der Lebensgemeinschaft. Die Zahl der Kinder wurde aus der Summe der Kinder in der Lebensgemeinschaft berechnet. Berlin ist in den hier verwendeten Daten der Bevölkerungsstatistik nicht enthalten. Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2004, eigene Berechnungen

Michaela Kreyenfeld und Dirk Konietzka

25

In Ostdeutschland besteht allenfalls noch für die Altersklasse 35 bis 37 eine relativ gute Übereinstimmung zwischen Mikrozensus und Bevölkerungsstatistik (Abbildung 1b). Jenseits dieses Alters bestehen dagegen deutliche Abweichungen in Bezug auf die Kinderzahl einer Frau. Die schlechte Übereinstimmung der Werte des Mikrozensus und der Bevölkerungsstatistik ist zum einen auf das in Ostdeutschland frühere Alter bei der Erstgeburt zurückzuführen, aufgrund dessen die Kinder der ostdeutschen Frauen im Alter von Ende Dreißig bereits häufiger ausgezogen sind. Hinzu kommen die pluraleren Familienformen in Ostdeutschland, die es wahrscheinlicher machen, dass ein Kind beim Vater bzw. in der Fortsetzungsfamilie des Vaters lebt. Die bisherigen Betrachtungen haben gezeigt, dass der Mikrozensus zumindest für westdeutsche Frauen bis zu einem Alter von 39 Jahren relativ verlässliche Schätzungen des Anteils noch kinderloser Frauen erlaubt. Wie Abbildung 1 aber auch deutlich gemacht hat, ist die Fertilitätsbiographie der Frauen in diesem Alter noch nicht abgeschlossen. Mit den genannten Vorbehalten präsentiert Tabelle 4 auf der Basis der Mikrozensen 1973 bis 2004 die Anteile kinderloser Frauen im Alter von 38 bis 39 Jahren für unterschiedliche Geburtsjahrgänge.9 Mit den in den 1950er Jahren geborenen Kohorten sind demnach die Anteile kinderloser Frauen in Westdeutschland kontinuierlich gestiegen. 25 Prozent der Frauen der Kohorten 1961 bis 1962 und 26 Prozent der Frauen der Kohorten 1965 bis 1966 waren im Alter von 38 bis 39 Jahren kinderlos. Die endgültige Kinderlosigkeit der beiden Kohorten dürfte aber aufgrund später Geburten im Lebenslauf niedriger liegen. Obwohl wir für Ostdeutschland von einer deutlicheren Überschätzung der Kinderlosigkeit als für Westdeutschland ausgehen müssen, weisen die Mikrozensen für die in den 1950er Jahren geborenen Frauen eine Kinderlosigkeit von unter 10 Prozent aus. In der Geburtskohorte 1965 bis 1966 war der Anteil kinderloser Frauen im Alter 38 bis 39 bereits deutlich höher, was auf einen Anstieg der Kinderlosigkeit auch in den neuen Bundesländern verweist.

9

Da das Alter bei der Erstgeburt in den älteren Kohorten niedriger ist und daher vermutlich ein höherer Prozentsatz der Kinder der befragten Person im Alter von 38 bis 39 Jahren bereits den elterlichen Haushalt verlassen hatte, kann in Tabelle 4 die Kinderlosigkeit der älteren Jahrgänge überschätzt werden. Zudem können in den älteren Kohorten nichteheliche Lebensgemeinschaften nicht abgegrenzt werden, was ebenfalls zu einer leichten Überschätzung der Kinderzahl führen kann (siehe Fußnote 8).

26

Kinderlosigkeit in Deutschland – theoretische Probleme und empirische Ergebnisse

Tabelle 4: Anteile kinderloser Frauen im Alter 38-39, Mikrozensus Westdeutschland

Ostdeutschland

Mikrozensus

Kohorte 1934-35

16%

--

Mikrozensus 1973

Kohorte 1937-38

15%

--

Mikrozensus 1976

Kohorte 1946-47

16%

--

Mikrozensus 1985

Kohorte 1951-52

22%

10%

Mikrozensus 1991

Kohorte 1957-58

24%

8%

Mikrozensus 1996

Kohorte 1961-62

25%

10%

Mikrozensus 2000

Kohorte 1965-66 26% 14% Mikrozensus 2004 Anmerkungen: Für die Mikrozensen 1996-2004 beziehen sich die Berechungen auf Personen in Privathaushalten am Hauptwohnsitz der Lebensgemeinschaft. Die Zahl der Kinder wurde aus der Summe der Kinder in der Lebensgemeinschaft berechnet. Für die Mikrozensen 1973-1991 beziehen sich die Berechnungen auf Personen in Privathaushalten am Hauptwohnsitz der Familie. Die Zahl der Kinder wurde aus der Summe der Kinder in der Familie generiert. Quelle: Mikrozensus 1973-2004, eigene Berechnungen

Im Unterschied zum Mikrozensus wurden in der Volkszählung 1970 die deutschen weiblichen Befragten nach der Anzahl ihrer ehelich geborenen Kinder gefragt.10 Die Beschränkung auf deutsche Befragte dürfte die Aussagekraft der Analysen nur geringfügig reduzieren, da der Anteil der ausländischen Population in der Bundesrepublik zu diesem Zeitpunkt eher gering war. Gravierender ist die Nichtbeachtung der nichtehelich geborenen Kinder, die zu einer Überschätzung der Kinderlosigkeit führt. Dennoch stellt die Volkszählung 1970 neben der Mikrozensus-Zusatzerhebung 1971 unseres Wissens die einzige amtliche Befragung dar, in der auch Informationen über die nicht mehr im elterlichen Haushalt lebenden Kinder erhoben wurden. Tabelle 5 zeigt, dass, ein Drittel der Frauen der am Anfang des 20. Jahrhunderts geborenen Kohorten kinderlos blieb. Auch unter den in den 1920er Jahren geborenen Frauen war Kinderlosigkeit laut Volkszählung 1970 mindestens so verbreitet wie unter den in der ersten Hälfte der 1960er Jahre geborenen Frauen. Allein in den Geburtsjahrgängen 1935-39 lag demnach der Anteil der kinderlosen Frauen unterhalb von 20 Prozent.

10

Die Frauen wurden gebeten, das Geburtsjahr aller lebend geborenen ehelichen Kinder aufzulisten. Die Intervieweranweisung dazu lautete: „Es sind auch die Kinder einzutragen, die nicht mehr in Ihrem Haushalt leben oder bald nach der Geburt oder später verstorben sind. Vorehelich geborene legitimierte Kinder gelten als ehelich.“

27

Michaela Kreyenfeld und Dirk Konietzka

Tabelle 5: Anteile kinderloser Frauen in der Bundesrepublik Deutschland, Volkszählung 1970 Anteil kinderloser Frauen Kohorte 1895-1904

33%

Kohorte 1905-1909

33%

Kohorte 1910-1914

28%

Kohorte 1915-1919

25%

Kohorte 1920-1924

25%

Kohorte 1925-1929

25%

Kohorte 1930-1934

22%

Kohorte 1935-1939 18% Anmerkungen: Die Analyen enthalten nur deutsche Frauen. Es wurden nur ehelich geborene Kinder erfragt. Quelle: Volkszählung 1970, eigene Berechnungen

3.4

Kinderlosigkeit in nichtamtlichen Befragungen

Angesichts der Lücken der amtlichen Statistik spielen nichtamtliche Befragungen zur Bestimmung der Kinderlosigkeit in Deutschland eine bedeutende ergänzende Rolle. Tabelle 6 gibt einen Überblick über die Anteile kinderloser Frauen, die wir auf der Basis der wichtigsten Befragungsdatensätze berechnet haben. Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), das den längsten Beobachtungszeitraum bietet, unterstützt die Ergebnisse der Volkszählung 1970, der zufolge die Kohorten, die um die Jahrhundertwende geboren wurden, besonders hohe Anteile Kinderloser aufwiesen und die Kinderlosigkeit in den folgenden Kohorten kontinuierlich zurückging. Die zwischen 1935 und 1939 Geborenen sind auch laut SOEP die Jahrgänge mit den niedrigsten Anteilen kinderloser Frauen. Volkszählung und SOEP unterscheiden sich aber im Hinblick auf das Niveau der gemessenen Kinderlosigkeit. Die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) und der Familiensurvey des Deutschen Jugendinstituts weisen für die in den 1950er Jahren geborenen Frauen geringere, der Fertility and Family Survey (FFS) dagegen deutlich höhere Anteile kinderloser Frauen aus. Diese Unterschiede können zum Teil damit erklärt werden, dass der FFS die ausländische Population nicht enthält und die Personen beim Befragungszeitpunkt erst zwischen 38 und 39 Jahre alt waren. Sieht man vom Fertility and Family Survey ab, dann verweisen die Befragungsdatensätze für die westdeutschen Frauen der Ko-

28

Kinderlosigkeit in Deutschland – theoretische Probleme und empirische Ergebnisse

Tabelle 6: Kinderlosigkeit von westdeutschen Frauen in unterschiedlichen nichtamtlichen Befragungsdatensätzen, Fallzahlen in Klammern SOEP

ALLBUS

Familiensurvey

Fertility and Family Survey

1900-09

20% (251)

--

--

--

1910-19

19% (383)

--

--

--

1920-24

16% (345)

23% (130)

--

--

1925-29

18% (378)

23% (167)

--

--

1930-34

18% (408)

11% (159)

--

--

1935-39

12% (507)

13% (273)

--

--

1940-44

13% (552)

16% (278)

--

--

1945-49

18% (467)

13% (252)

15% (345)

--

1950-54

17% (571)

14% (241)

14% (391)

23% (361)

1955-59

19% (666)

17% (295)

18% (427)

--

Anmerkungen: Die SOEP-Berechnungen der Kinderlosigkeit der Frauen der Kohorten 1900-39 basieren auf den Substichproben A und B des SOEP. Es wurde der Gewichtungsfaktor bphrf verwendet. Für die SOEP-Berechnungen der Kinderlosigkeit der Kohorten 1940-59 wurden Frauen der Substichproben A, B, D-F des SOEP herangezogen, die im Jahr 2005 in den westlichen Bundesländern lebten. Es wurde der Gewichtungsfaktor vphrf verwendet. Für die ALLBUS-Analysen wurden die Daten der Jahre 2000, 2002 und 2004 gepoolt. Die Analysen umfassen nur Frauen, die zum Befragungszeitpunkt 40 Jahre und älter waren und in den westlichen Bundesländern lebten. In den ALLBUS-Analysen sind Stief- und Adoptivkinder nicht berücksichtigt worden. Aus den Analysen des Familiensurveys wurde die Panelpopulation ausgeschlossen. Die Analysen sind mit dem Gewichtungsfaktor hr_rs gewichtet. Die Analysen des FFS beruhen auf deutschen Frauen, die im Jahr 1992 38-39 Jahre alt waren. Quellen: SOEP 2005; DJI-Familiensurvey 2000; Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) 2000, 2002, 2004; Fertility and Family Survey (FFS) 1992, eigene Berechnungen

Michaela Kreyenfeld und Dirk Konietzka

29

horten 1950 bis 1959 übereinstimmend auf ein Niveau der Kinderlosigkeit, das unter 20 Prozent liegt. Damit wird die Vermutung gestützt, dass der Mikrozensus die Kinderlosigkeit in Deutschland deutlich überschätzt. Allerdings bleiben Unsicherheiten bestehen, da gerade die Ergebnisse nichtamtlicher Befragungen dadurch verzerrt werden können, dass Frauen ohne Kinder häufiger erwerbstätig und daher in der Regel schlechter für Interviews erreichbar sind. Insgesamt zeigt die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Datensätze erhebliche Variationen in den Anteilen kinderloser Frauen. Nichtamtliche Befragungsdaten bieten demnach wichtige zusätzliche Informationen zur Soziodemographie der Kinderlosigkeit, verlässliche Schätzungen der Anteile kinderloser Frauen liefern sie aber nicht.

4

Strukturen und Ursachen der Kinderlosigkeit in Deutschland

Die Beiträge dieses Bandes analysieren das Phänomen der Kinderlosigkeit aus unterschiedlichen Perspektiven. Neben internationalen Vergleichen werden Bildungsunterschiede und Arbeitsmarkteinflüsse auf die Kinderlosigkeit von Frauen, Einkommensungleichheiten zwischen kinderlosen und Frauen mit Kindern sowie die Rolle der Partner und Männer untersucht. Darüber hinaus betrachten sie geschlechtsspezifische Unterschiede in den subjektiven Werten von Kindern für das eigene Leben, in der Bewertung verschiedener Lebensbereiche und in den Lebenskonzepten. Schließlich werden unterschiedliche theoretische Erklärungen der Kinderlosigkeit ausgearbeitet.

Kinderlosigkeit im europäischen Vergleich Für das Verständnis des Phänomens der Kinderlosigkeit in Deutschland hat die Ausweitung des Blicks auf andere Länder eine große Bedeutung. Der Beitrag von Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel bereitet eine Vielzahl grundlegender demographischer Informationen über die Anteile kinderloser Frauen und Kinderzahlen im europäischen Vergleich auf; er stellt zudem die Veränderung der Kinderlosigkeit im Vergleich von Geburtskohorten dar. Derartig in Perspektive gerückt, wird zum einen deutlich, dass die steigende Kinderlosigkeit in Deutschland zwar Teil eines mehr oder weniger allgemeinen europäischen Trends ist, zum anderen aber Westdeutschland und die Schweiz diesen Trend anführen. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist, dass es im europäischen Ver-

30

Kinderlosigkeit in Deutschland – theoretische Probleme und empirische Ergebnisse

gleich nur einen schwachen Zusammenhang zwischen den Anteilen Kinderloser und der durchschnittlichen Kinderzahl von Frauen einer Geburtskohorte gibt. Damit wird die Notwendigkeit bestätigt, das Phänomen sinkender Geburtenraten und steigender Kinderlosigkeit analytisch und empirisch voneinander zu trennen. Die Autoren prognostizieren für die jüngeren Kohorten weiter steigende Kinderlosigkeit, insbesondere in den ehemals sozialistischen osteuropäischen Ländern. Sie betonen aber zugleich, dass Schätzungen, die auf Fortschreibungen der beobachteten demographischen Verhaltensmuster älterer Kohorten beruhen, angesichts des rasanten Wandels des Geburtenverhaltens in den jüngeren Jahrgängen sehr unsicher sind. Dorbritz und Ruckdeschel ergänzen die amtlichen Daten schließlich durch Befragungsdaten zum Kinderwunsch von Kinderlosen und erhalten auf diese Weise ergänzende Informationen zu den Motiven für eine Entscheidung gegen Kinder oder Ambivalenzen in dieser Frage. An diese höchst relevante Thematik schließen auch Marbach und Tölke sowie Eckhard und Klein in diesem Band an. Für ein besseres Verständnis der Kinderlosigkeit in Westdeutschland sind vertiefte Analysen anderer europäischer Länder hilfreich. Frankreich und Schweden sind instruktive Fallbeispiele, da in beiden Ländern nicht nur die Geburtenrate deutlich höher – in Schweden liegt die Kinderzahl pro Frau für den Jahrgang 1965 bei 2,00 und in Frankreich bei 2,03 (Council of Europe 2005) –, sondern auch die Kinderlosigkeit geringer als in Deutschland ist. In beiden Ländern sind darüber hinaus die Vereinbarkeitsbedingungen von Familie und Beruf unbestritten besser als in (West-)Deutschland. In Frankreich ist das Niveau der Kinderlosigkeit viel niedriger als in Westdeutschland; die Kinderlosigkeit der Kohorte 1960 ist mit 11 Prozent eine der niedrigsten in Europa. Jedoch sind die Strukturen der Kinderlosigkeit, wie Katja Köppen, Magali Mazuy und Laurent Toulemon zeigen, relativ ähnlich. So steigt auch dort Kinderlosigkeit mit dem Bildungsniveau der Frauen, während für Männer die Kinderlosigkeit mit höherem Berufsstatus sinkt. Im Unterschied zu Westdeutschland gibt es zudem kaum dauerhaft kinderlose Männer und Frauen, die in Partnerschaft leben. Schweden weist in Bezug auf das Geburtenverhalten, die Frauenrolle, die Erwerbsbeteiligung von Müttern und die öffentliche Infrastruktur der Kinderbetreuung viele Parallelen zu Frankreich auf. Der schwedische Fall liefert jedoch nicht zuletzt aufgrund der Qualität der der Forschung zur Verfügung stehenden Daten weitere wertvolle Hinweise. Das Standardargument der neoklassischen Ökonomie lautet, dass mit steigendem Lohnsatz und arbeitsmarktrelevanten Humankapital von Frauen die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Haushalt uneffektiver wird und daher die

Michaela Kreyenfeld und Dirk Konietzka

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Schattenkosten von Kindern und Hausarbeit steigen. Bildung gilt in diesem Zusammenhang als wichtiger Indikator für das zu erwartende Lohneinkommen, sodass man annehmen sollte, dass mit steigender Bildung auch die Kinderlosigkeit von Frauen zunimmt. Gerda Neyer, Jan Hoem und Gunnar Andersson untersuchen die Unterschiede in den Anteilen kinderloser Frauen in Abhängigkeit nicht nur vom formalen Bildungsniveau, sondern auch von der Ausbildungsrichtung. Sie zeigen erhebliche Differenzen in den Anteilen kinderloser Frauen je nach Ausbildungsberuf oder Studienfach. Zum Beispiel bleiben Frauen mit einer Ausbildung im Gesundheitsweisen zu 11 Prozent kinderlos und Theologinnen zu 31 Prozent. Insgesamt erweist sich die Ausbildungsrichtung als bedeutsamer als das Ausbildungsniveau für das Ausmaß der Kinderlosigkeit. Die Autoren diskutieren eine Reihe struktureller und institutioneller Merkmale des schwedischen Bildungssystems und des Arbeitsmarkts, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern unterschiedlich beeinflussen, sowie individuelle Einflussfaktoren, die für dieses Resultat verantwortlich sein können. Die Studie zeigt insgesamt, dass der Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Fertilität bzw. Kinderlosigkeit weniger linear ist als vielfach angenommen. Für Deutschland fehlen zwar vergleichbare Daten, jedoch liegt der Schluss nahe, dass auch hier die Formel ‚höhere Bildung = mehr Kinderlosigkeit’ einer genaueren Betrachtung nicht Stand halten würde.

Sozialstruktur der Kinderlosigkeit in Deutschland Obwohl – oder gerade weil – belastbare empirische Daten fehlen, richtet sich die aktuelle Diskussion der Kinderlosigkeit in Deutschland fast ausschließlich auf die Gruppe der Akademikerinnen. Dabei wird das Bild einer homogenen Gruppe gezeichnet, das die entscheidende Frage vernachlässigt, von welchen äußeren Voraussetzungen und biographischen Erfahrungen es abhängt, ob Frauen kinderlos bleiben. Im Unterschied zur Bundesrepublik war Kinderlosigkeit in der DDR nicht nur seltener, sondern auch weniger von Bildungsunterschieden geprägt. Veränderungen in Ostdeutschland nach 1990, insbesondere die Frage, ob Bildungsunterschiede im generativen Verhalten und speziell in der Prävalenz von Kinderlosigkeit zugenommen haben, sind daher für ein Verständnis der Kinderlosigkeit höher gebildeter Frauen in Deutschland heute höchst aufschlussreich. Der Beitrag von Hildegard Schaeper stellt die Frage der Familiengründung von Hochschulabsolventinnen explizit in den Kontext des Lebenslaufs. Sie zeigt

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Kinderlosigkeit in Deutschland – theoretische Probleme und empirische Ergebnisse

einen entscheidenden Wandel dahingehend, dass in Ostdeutschland nach der Wende Erstgeburten während des Studiums weniger wahrscheinlich geworden sind. Der ‚Institutioneneffekt’, der auf die Unvereinbarkeit der Bildungsbeteiligung und der Familiengründung zielt, scheint in Ostdeutschland nach der Wende relevanter geworden zu sein. Nach dem Studium bekommen ostdeutsche Hochschulabsolventinnen aber immer noch schneller ein erstes Kind als westdeutsche. Insgesamt zeigen die Analysen von Schaeper die Bedeutung der individuellen Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt für den Prozess der Familiengründung. Eine schnelle berufliche Konsolidierung durch das Erreichen einer unbefristeten Beschäftigung beschleunigt den Übergang zur Mutterschaft. Die hohen Karriereaspirationen sowie Flexibilitätsanforderungen von Arbeitsmarkt und Betrieben bedingen dagegen einen Prozess des Aufschubs der Familiengründung. Weiterhin zeigt Schaeper, dass in der Gruppe der Hochschulabsolventinnen auch Enttäuschungen auf dem Arbeitsmarkt die Familiengründung beschleunigen können. So hat ein beruflicher Abstieg einen positiven Einfluss auf den Übergang zur Erstelternschaft. Eine andere häufig gestellte Frage betrifft den Einfluss, den die Partner der Frauen, insbesondere der höher gebildeten Frauen, auf die Familiengründung haben. Heike Wirth untersucht, wie sich Bildungsunterschiede zwischen den Partnern auf die Wahrscheinlichkeit kinderlos zu bleiben auswirken. Ihre zentrale Forschungsfrage ist, ob insbesondere Partnerschaften, in denen beide hoch qualifiziert sind, vermehrt kinderlos bleiben. Für diese Annahme spricht das Argument, dass in diesem Fall für beide Partner hohe Opportunitätskosten der Kindererziehung existieren. Die Frage der Kinderlosigkeit von hoch qualifizierten Paaren ist außerdem relevant, weil vielfach angenommen wird, dass die Bildungshomogamie in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat. Diesen Befund kann Wirth jedoch nicht bestätigen. Zwar ist der Anteil der Partnerschaften, in denen die Frau höher qualifiziert ist, gestiegen, jedoch kann für Westdeutschland keine generelle Zunahme der Bildungshomogamie festgestellt werden. Auch gibt es keine klaren Hinweise darauf, dass Paare, in denen beide Partner hoch qualifiziert sind, die höchsten Kinderlosigkeitsanteile aufweisen. Zwar ist die Kinderlosigkeit in dieser Gruppe höher als bei Paaren, in denen nur der Mann einen Hochschulabschluss hat. Die höchsten Anteile Kinderloser findet man jedoch in der Gruppe der Paare, in denen die Frau einen Hochschulabschluss besitzt, der Mann aber geringer qualifiziert ist. Ein weiterer für die Analyse der Kinderlosigkeit in Deutschland relevanter Aspekt betrifft die Frage der ökonomischen Benachteiligung, die Frauen und Paare in Folge des Aufziehens von Kindern erleiden. Die Frage des Zusammen-

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hangs von Kinderzahl und dem Erwerbs- und Alterseinkommen im Vergleich zwischen der alten Bundesrepublik und der DDR ist Thema des Beitrags von Michael Stegmann und Tatjana Mika. Die deutschen Rentenversicherungsdaten liefern einen weiteren empirischen Nachweis dafür, dass Kinderlosigkeit in Deutschland bereits in älteren Geburtskohorten weit verbreitet war. Kinder hatten für Frauen in Ost und West sehr unterschiedliche Folgen für die Erwerbsbeteiligung und damit auch für das Alterseinkommen der Frauen und ihrer Haushalte. Betrachtet man die Einkommensentwicklung über das gesamte Erwerbsleben (bzw. über die Beitragszahlerkarriere), dann haben im Westen Kinder eine dauerhafte Absenkung des Erwerbeinkommens und der Rentenansprüche von Frauen mit Kindern im Vergleich zu kinderlosen Frauen zur Folge. Im Osten beschränken sich Einkommenseinbußen dagegen auf die Zeiten der Kindererziehung, und die Höhe der Alterseinkommen wird nicht mehr von der Zahl der Kinder beeinflusst. Kinder führten in der Bundesrepublik, anders als in der DDR, zu dauerhaften Wohlfahrtseinbußen nicht nur für Frauen, sondern auch für Paare. Es ist sozialpolitisch bedeutsam, dass die Einkommensungleichheit zwischen Kinderlosen und Familien nur im Westen existiert. Das mit der Kinderzahl steigende Einkommensgefälle verweist damit nicht pauschal auf die ökonomische Benachteiligung der Familie in unserer Gesellschaft, sondern speziell auf die ökonomische Prekarität eines Familienmodells, das eine mehr oder weniger dauerhaft verringerte Erwerbsbeteiligung von Frauen nach der Geburt von Kindern vorsieht. Der Ost-West-Vergleich verdeutlicht, wie sehr die ökonomischen Folgen von Kindern bzw. entsprechende Vorteile von Kinderlosigkeit institutionell geformt und von Familienmodellen und Sozialpolitik geprägt werden.

Kinderwunsch und Familienorientierung von Männern und Frauen Neben strukturellen Aspekten wie der Bildung in ihren Facetten (Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau, Bildungshomogamie) und den Arbeitsmarktbedingungen – sowie möglicherweise antizipierten Konsequenzen von Kindern für das Lebenseinkommen und Rentenansprüche – spielen subjektive Aspekte der Motivation zur Elternschaft und der Lebensorientierungen eine wichtige Rolle für die Entscheidung für oder gegen Kinder. Jan Marbach und Angelika Tölke untersuchen die Bedeutung unterschiedlicher Lebensorientierungen im Hinblick auf die Lebensbereiche von Familie und Beruf für den Kinderwunsch in Ostund Westdeutschland. Die Lebensorientierung von Männern und Frauen hat ih-

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Kinderlosigkeit in Deutschland – theoretische Probleme und empirische Ergebnisse

nen zufolge keinen messbaren Einfluss auf den Kinderwunsch und die gewünschte Zahl an Kindern. Der Kinderwunsch variiert jedoch deutlich mit den Werten, welche die Befragten Kindern subjektiv zuschreiben. Insbesondere Männer und Frauen, die Kinder mit immateriellen Motiven (Lebenssinn) verbinden, haben einen stärkeren Kinderwunsch und geben auch eine etwas höhere Zahl gewünschter Kinder an. Die Autoren stellen weiterhin die bislang wenig beachtete Frage, wodurch eine ‚adaptive’, weniger berufszentrierte Lebensorientierung bei Männern beeinflusst wird. Es zeigt sich, dass höher gebildete, urbane, beruflich erfolgreiche Männer mit einer höher gebildeten Partnerin häufiger einem solchen Lebensmodell folgen. Jan Eckhard und Thomas Klein gehen der Frage nach, wie sehr sich die Motive von Männern und Frauen zur Elternschaft in Westdeutschland unterscheiden und wie verhaltenswirksam deren Motivstrukturen in Bezug auf die Geburt von Kindern sind. Die Autoren zeigen zahlreiche Differenzen zwischen den Geschlechtern in Bezug auf instrumentelle und immaterielle Beweg- und Hinderungsgründe von Elternschaft auf, welche sich wiederum geschlechtsspezifisch in unterschiedlicher Weise auf die Geburt eines ersten Kindes oder weiterer Kinder auswirken. Die von Männern genannten Motive und auch deren Verhaltensrelevanz hängen stärker als die der Frauen von der Existenz einer Paarbeziehung und von wahrgenommenen Beziehungsproblemen innerhalb einer existierenden Beziehung ab. Insgesamt erweisen sich die Motive zur Elternschaft nicht nur als geschlechtsspezifisch, sondern auch als sozialstrukturell differenziert. Wie die Autoren betonen, ist es in Zukunft erforderlich, nicht nur Männer, sondern explizit die Paarebene stärker in die Analyse von Kinderlosigkeit und generativen Entscheidungen einzuschließen. Wie der Beitrag von Marbach und Tölke gezeigt hat, bestehen heute erhebliche Ost-West-Differenzen auf der Ebene der Lebensorientierungen von Frauen. Im Osten gibt es im Gegensatz zum Westen kaum Frauen, die eine reine Familienorientierung vertreten. Paradoxerweise wird jedoch die Wichtigkeit von Kindern für das eigene Leben im Osten höher als im Westen eingeschätzt. So zeigt Mandy Boehnke, dass nach wie vor große Ost-West-Unterschiede in der subjektiven Bedeutung von Kindern bestehen. Die größere Wichtigkeit von Kindern und Familie im Osten, welche zugleich sehr viel weniger als im Westen nach dem Bildungsabschluss differenziert ist, ordnet sie einer kulturellen Dimension von Familialismus zu. Es zeigen sich bislang wenig Anzeichen, dass sich die diesbezüglichen Ost-West-Unterschiede verringern. Eine zweite, strukturelle Ebene von Familialismus betrifft die wohlfahrtsstaatlichen Institutionen. In Ostdeutschland treffen relativ gute Rahmenbedingungen der Vereinbarkeit

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von Familie und Beruf (also eine fortgeschrittene strukturelle De-Familialisierung) auf einen ausgeprägten kulturellen Familialismus. Dadurch entstehen gute Voraussetzungen für ein Leben mit Kindern – im Unterschied zum Westen, wo struktureller Familialismus und eine kulturelle De-Familialisierung die gegenteilige Wirkung haben. Die subjektive Bedeutung von Erwerbsverläufen und -erfahrungen für die Frage der Familiengründung bei Frauen in Ost- und Westdeutschland steht im Zentrum des Beitrags von Laura Bernardi und Sylvia Keim. Durch diesen werden die Ausführungen von Boehnke sowie Schaeper in einer instruktiven Weise ergänzt. In einem Vergleich von vier exemplarischen Fallgeschichten von 29bis 30-jährigen höher gebildeten und Vollzeit erwerbstätigen Frauen in Rostock und Lübeck, die keine Kinder, aber einen Kinderwunsch haben, werden trotz vergleichbarer materieller und wirtschaftlicher Lebenssituationen und Rahmenbedingungen deutliche Unterschiede in den subjektiven Familienmodellen, den Verhaltensstrategien und Vorstellungen in Bezug auf die Voraussetzungen von Kindern und Familiengründung sowie den Planungsgrad der Familiengründung zwischen den betrachteten Frauen aus beiden Städten sichtbar. Die Autorinnen finden Belege dafür, dass nicht nur die aktuellen Lebensumstände, sondern in hohem Maße auch inkorporierte und habituelle, also tradierte und als selbstverständlich erlebte, Unterschiede für das Projekt Elternschaft von Bedeutung sind.

Erklärungsansätze der Kinderlosigkeit Kinderlosigkeit, das bestätigen die empirischen Studien dieses Bandes, ist ein Resultat von Handlungen und Entscheidungen, die Individuen bzw. Paare in ihren Lebensläufen unter Berücksichtigung zahlreicher Einflussfaktoren treffen. Die Beiträge unterstreichen, dass die strukturellen Einflussfaktoren auf die Entscheidung zur Familiengründung vielschichtiger sind als häufig unterstellt. Neben einer steigenden und länger dauernden Bildungsbeteiligung sowie risikoreicheren Erwerbsverläufen sind, wie das schwedische Beispiel zeigt, auch die Ausbildungsart und das Berufsfeld von Bedeutung. Auf die Familiengründung (oder deren Ausbleiben) in den Lebensläufen von Frauen haben weiterhin sozioökonomische Merkmale des Partners – dessen Ausbildung und berufliche Position – einen Einfluss. Dazu kommt ein weiter Bereich kultureller Einflüsse, die in der empirischen Forschung schwierig zu erfassen sind und daher häufig außer Acht bleiben. Mehrere Beiträge dieses Bandes zeigen, dass Männer und Frauen teilweise unterschiedliche Motive mit Elternschaft verbinden, welche wiederum je nach Lebensumständen unterschiedlich stark auf das generative

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Kinderlosigkeit in Deutschland – theoretische Probleme und empirische Ergebnisse

Verhalten wirken. Kulturelle und strukturelle Faktoren gehen dabei häufig Hand in Hand, wie der Ost-West-Vergleich zeigt. In individuellen Orientierungen und Überzeugungen sind vielfach die strukturellen Rahmenbedingungen inkorporiert – wenn etwa westdeutsche Männer und Frauen der Ansicht sind, dass eine außerhäusige Kinderbetreuung, über die man kaum Erfahrungswissen besitzt, den Kindern schadet. Theorien der Erklärung von Kinderlosigkeit haben es vor diesem Hintergrund mit einem komplexen Beziehungsgefüge zu tun, das kaum auf die rationale Kalkulation der Nutzen und Kosten von Kindern eines Paares zum Zeitpunkt der Heirat oder Haushaltsgründung reduziert werden kann. Es ist heute weitgehend akzeptiert, dass die Kinderfrage in ihrem Kern eine Frage ist, die im breiteren Kontext des Lebenslaufs beantwortet werden muss. In diese fließen vergangene Erfahrungen, antizipierte Lebensereignisse, die Partnerschaftssituation und die Anforderungen unterschiedlicher, mehr oder weniger stark miteinander konfligierender Lebensbereiche und Lebensziele sowie der makrostrukturelle, historische, institutionelle und kulturelle Kontext ein. Die abschließenden drei Beiträge leuchten einige theoretische Probleme der Erklärung von Kinderlosigkeit aus. Welche Rolle spielen soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern für zunehmende Kinderlosigkeit, wie stabil oder ‚anpassungsfähig’ sind Präferenzen und Lebensziele im Hinblick auf Fertilitätsentscheidungen im Lebenslauf, inwiefern ist Kinderlosigkeit Ausdruck einer spezifisch individualistischen Kultur, in welcher die Entscheidung zur Elternschaft zunehmend problematisch wird? Heike Kahlert diskutiert zunächst aus einem feministischen Blickwinkel die makrostrukturellen Rahmenbedingungen des Geburtenverhaltens in modernen Gesellschaften. Der Geburtenrückgang und die hohe Kinderlosigkeit werden als Folge eines ungleichen Wandels der Geschlechterverhältnisse im privaten Bereich verstanden. Der Zunahme der Erwerbsbeteiligung der Frauen steht, so die These, eine anhaltend geringe Familien- und Sorgearbeit von Männern gegenüber. Die Ungleichheit der privaten Arbeitsteilung der Geschlechter wird zugleich durch die Institutionen des Marktes und des modernen Wohlfahrtsstaates unterstützt. Unter den Rahmenbedingungen einer „strukturell ungleichen geschlechtlichen Arbeitsteilung“ sind Frauen immer weniger bereit, die traditionellen Aufgaben, die ihnen Männer, Staat und Markt aufbürden, auszufüllen. Hinzu kommen steigende Anforderungen von Seiten des Arbeitsmarktes im Zuge des globalisierten Kapitalismus, die zunehmend als unkompatibel mit den Anforderungen an Elternschaft und Familie empfunden werden. Kinderlosigkeit kann also als Strategie von Frauen, die Risiken der Reproduktionsarbeit zu ver-

Michaela Kreyenfeld und Dirk Konietzka

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meiden, verstanden werden. Insgesamt lassen sich laut Kahlert Geburtenrückgang und Kinderlosigkeit als Ausdruck der rationalen Anpassung des Geburtenverhaltens an Widersprüche im Wandel des Geschlechterverhältnisses und insbesondere an die institutionell gestützte ungleiche Arbeitsteilung der Geschlechter erklären. Die beiden folgenden Beiträge beleuchten stärker die individuelle Entscheidungsproblematik für oder gegen Kinder, d. h. sie fragen, in welchem Maß sich die Präferenzen und Lebensziele von Individuen unter gegebenen Umständen im Lebenslauf verändern bzw. inwiefern Individuen heute überhaupt klare Ziele und Präferenzen in Bezug auf Elternschaft ausbilden. Eines der zentralen theoretischen Probleme der Analyse der Entscheidung für oder gegen Elternschaft betrifft die Frage nach der Bewertung des Lebensziels Elternschaft bzw. des Lebensbereichs Familie gegenüber anderen Lebensbereichen. Torsten Schröder stellt einen entscheidungstheoretischen Ansatz vor, der davon ausgeht, dass Individuen ihre Lebensplanungen und die Bewertung von Lebenszielen (etwa Elternschaft) im Lebenslauf gegebenenfalls an äußere, nicht beeinflussbare Rahmenbedingungen anpassen. Lebensziele und ihre subjektive Wichtigkeit sind im Lebenslauf nicht stabil, sondern sie ändern sich mit den erfahrenen äußeren Bedingungen und können zugunsten anderer Ziele zurückgestellt werden. Nach Schröder sind unterschiedliche Mechanismen der Anpassung der Lebensplanung an ungünstige Rahmenbedingungen wählbar. So kann man sein Anspruchsniveau zur Verwirklichung des Ziels verringern oder das Lebensziel neu bewerten. Da subjektive Präferenzen, Wünsche und Nutzeneinschätzungen keine konstanten Persönlichkeitsmerkmale sind, ist auch der Nutzen von Konstrukten wie dem Kinderwunsch gering, wenn nicht der Lebenslaufkontext, widerstrebende Lebensziele, äußere Umstände und innere Dispositionen explizit berücksichtigt werden. Günter Burkart greift ebenfalls das Problem der Lösung miteinander widerstreitender Ziele auf, hebt aber den Aspekt des Nichtentscheiden-Wollens oder Könnens hervor. Seine zeitgeschichtliche These lautet, dass sich seit den 1960er Jahren verstärkt eine Kultur des Individualismus herausgebildet hat, die sich vorrangig in den Dimensionen der Selbstthematisierung und Selbstreflexion ausdrückt. Diese reflexive Form des Individualismus ist zum Massenphänomen geworden und sie wird institutionell vielfach gestützt – zum Beispiel durch die professionellen Beratungsberufe. Sie kommt in einer Kultur des Zweifels in Bezug auf Elternschaft zum Ausdruck, die sich zunehmend unterhalb der manifesten Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf verankert hat. Burkart stellt die Ambivalenz von Zögern, Zweifel und Problematisierung, welche die

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Kinderlosigkeit in Deutschland – theoretische Probleme und empirische Ergebnisse

Kultur der Selbstreflexion auszeichnet, gegen die Vorstellung eines unambivalenten individualistischen Selbstverwirklichungsanspruchs. Wer das eigene Leben als dauerhaftes Provisorium im Lebenslauf versteht, wird, so die These, zwangsläufig langfristig bindende Elternschaftsentscheidungen aufschieben. Nach Burkart hat die Kultur des Zweifels den Stellenwert eines allgemeinen Dispositionsrahmens für Kinderlosigkeit – von den strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen hängt es dann ab, inwieweit die Disposition aktualisiert wird. Die Erklärung des Phänomens der Kinderlosigkeit bedarf – das machen die Beiträge dieses Buches deutlich – der expliziten Berücksichtigung verschiedener Realitätsebenen. Die institutionellen Rahmenbedingungen – insbesondere jene der Vereinbarkeit von Familie und Beruf –, die kulturellen Kontexte, tradierte Rollenvorstellungen, die eigenen Ressourcen und individuellen Lebensziele von Frauen und Männern machen die Familiengründung voraussetzungsreich. Entscheidungen für oder gegen Kinder sind zugleich persönliche Entscheidungen, auf die moralischer Druck, politisch-populistische Kampagnen und mediale Schuldzuweisungen – sei es an Generationen, höher gebildete Frauen oder Männer – wenig Einfluss haben dürften. Bei aller Privatheit generativer Entscheidungen zeigen die Analysen der Strukturen der Kinderlosigkeit in Deutschland und europäischen Nachbarländern jedoch, dass Kinderlosigkeit sozialen Regelmäßigkeiten unterworfen ist. Die in diesem Band versammelten Beiträge belegen, dass das Ausmaß der Kinderlosigkeit mit dem historischen Kontext und den jeweiligen strukturellen und kulturellen Rahmenbedingungen variiert. Staatliche Familien- und Sozialpolitik gehört zu diesen Rahmenbedingungen; sie nimmt Einfluss auf individuelle Entscheidungen über die Lebensform und das praktizierte Familienmodell und eben nicht zuletzt auf generative Entscheidungen – auch wenn isolierte politische Maßnahmen die individuelle Neigung zur Familiengründung wahrscheinlich nicht nachhaltig verändern. Die Lebensziele der Individuen sind nur bedingt von außen beeinflussbar – sei es, weil kulturelle Normen und Leitbilder träge und vielfach habitualisiert oder als Zeitgeist tief in die Alltagskultur und die Wertvorstellungen einer Generation eingegraben sind, sei es, weil sich die individualisierten und auf Autonomie ausgerichteten Werte der Individuen gegen institutionelle Eingriffe sperren. Aus der Lebenslaufperspektive wird sichtbar, dass Kinderlosigkeit häufig Ausdruck von komplexen Lebenslaufkonstellationen ist. Die Familiengründung steht in Konkurrenz zu anderen biographischen Fragen – der Ausbildung, der Karriereplanung, der Partnersuche oder der Qualität der

Michaela Kreyenfeld und Dirk Konietzka

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Paarbeziehung. Auf welche Art und Weise diese individuell gelöst werden, hängt nicht nur, aber eben auch vom sozial- und familienpolitischen Kontext ab. Es ist wahrscheinlich, dass ein hohes Ausmaß an Kinderlosigkeit in Westdeutschland für alle in den 1960er Jahren geborenen Frauenjahrgänge charakteristisch sein wird. Ob dies auch für die Kohorten, die in den 1970er Jahren geboren wurden, gelten wird, wagen wir nicht vorherzusagen. Es ist derzeit unklar, zu welchen Anteilen der anhaltende Prozess der Verschiebung von Erstgeburten im Lebenslauf zu einem endgültigen Verzicht auf Kinder oder zu vermehrten späten Geburten führen wird. Im Lauf des 20. Jahrhunderts unterlag die Verbreitung von Kinderlosigkeit in Deutschland erheblichen Schwankungen. Diese Erfahrung zeigt zumindest, dass steigende Kinderlosigkeit kein unumkehrbarer Prozess ist. In dem Maße aber, wie sich die ganz und gar unbestreitbaren strukturellen Probleme der Unvereinbarkeit von ‚Kind und Beruf’ in Deutschland zu einer Kultur der Kinderlosigkeit verfestigen, ist eine weitere Zunahme des endgültigen Verzichts auf Kinder im Lebenslauf wahrscheinlich.

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Kinderlosigkeit in Deutschland im europäischen Vergleich

Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg? Daten, Trends und Gründe Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

1

Einleitung

Kinderlosigkeit, als bevölkerungswissenschaftliches Thema lange Zeit kaum beachtet, erfreut sich einer wachsenden Aufmerksamkeit. Aktuell diskutiert wird das Thema im Kontext der Debatte um die demographische Alterung und die Zukunft des Sozialstaates, in der Kinderlose immer häufiger für die Finanzierungskrise mitverantwortlich gemacht werden. Ungeachtet der gewachsenen Öffentlichkeitswahrnehmung hat sich in jüngster Vergangenheit am unbefriedigenden Forschungsstand nur wenig verändert. Der gravierendste der Mängel ist wohl, dass in Deutschland das genaue Ausmaß der Kinderlosigkeit nicht bekannt ist und nur Schätzungen vorliegen, die zwar im Detail, aber nicht im Grundtrend voneinander abweichen. Hinzu kommt, dass wir die Situation Deutschlands im internationalen Vergleich bislang nicht kennen und es ebenfalls nur Schätzungen zu den Anteilen kinderloser Frauen in besonderen sozialen Gruppen gibt (z. B. zum viel diskutierten Anteil von Akademikerinnen ohne Kinder). Unklarheit herrscht ebenfalls über das Verhältnis von gewollter und ungewollter Kinderlosigkeit und wir wissen nur sehr wenig über die Wege in die Kinderlosigkeit und die Ursachen von Kinderlosigkeit. Auf einige dieser offenen Punkte soll nachfolgend eingegangen werden. Zunächst haben es sich die Autoren zum Ziel gesetzt, Daten über Kinderlosigkeit in Deutschland vorzustellen und einen europäischen Vergleich vorzunehmen. Für die Beschreibung der deutschen Situation werden Ergebnisse von Birg und Flöthmann (1996), Sobotka (2005) und dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) vorgestellt. Letztere Daten beruhen sowohl auf den Daten der Geburtenstatistik als auch auf Mikrozensusergebnissen. Im Rahmen des europäischen Vergleichs wird auf Daten des Europarats zurückgegriffen, die einheitlich durch das Observatoire Démographique Européen (ODE) mit Hilfe des Calot-Verfahrens berechnet wurden (vgl. dazu auch Council of Europe 2004: 79f.). Im zweiten Teil der Datenanalyse werden dann ausgehend von den Daten der ‚Population Policy Acceptance Study’, einer international vergleichenden

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Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Studie über Einstellungen zum demographischen Wandel und bevölkerungsrelevante Politiken, der Kinderwunsch und die Gründe der Kinderlosen gegen die Geburt von Kindern untersucht. In den Analysen fällt immer wieder die besondere Situation in Westdeutschland bzw. Deutschland ins Auge. Westdeutschland gehört im europäischen Vergleich gemeinsam mit der Schweiz zu den Ländern mit den höchsten Kinderlosenanteilen und dem schnellsten Anstiegstrend. In Westdeutschland ist auch die Gruppe in der Bevölkerung, die noch keine Kinder hat und auch keine möchte, die größte innerhalb der IPPAS-Vergleichsländer. Unsere Daten deuten darauf hin, dass die Kinderlosigkeit in Westdeutschland einen besonderen Charakter trägt. Sie scheint häufiger gewollt zu sein als in anderen Ländern. Wir erklären dies mit den von den Vereinbarkeitsbedingungen ausgehenden polarisierenden Wirkungen. Vor die Wahl Beruf oder Kinder gestellt, haben sich unter den jüngeren Frauen immer mehr für den Beruf entschieden. Nach wie vor bestehen in West- und Ostdeutschland erhebliche Besonderheiten in den Mustern der Familienbildung, die sich auch in deutlichen Unterschieden bei den Anteilen kinderloser Frauen nach Geburtsjahrgängen äußern. In den neuen Bundesländern haben sich die Familienbildungsmuster aus den 1960er Jahren erhalten. Wir führen das auf die konservierende Wirkung der geschlossenen sozialistischen Gesellschaften hin. Darauf wollen wir insbesondere eingehen.

2

Daten und Methoden

Kinderlosigkeit in Deutschland muss aufgrund der Tatsache geschätzt werden, dass die Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung nicht die biologische Rangfolge der Lebendgeborenen, sondern nur die Kinder in der jeweils bestehenden Ehe zählt, und der Mikrozensus nur Auskunft über die Zahl der im Haushalt lebenden Kinder und nicht die der geborenen Kinder gibt. Die vorliegenden Schätzungen erfolgen auf ganz unterschiedlichen Wegen (vgl. zu den Ergebnissen Punkt 3). Birg und Flöthmann (1996: 6) haben für ihre Analysen die Perinatalstatistik von Krankenhäusern ausgewertet. Thomas Sobotka (2005: 1) geht von EUROSTAT-Daten aus und gelangt über die Schätzung kohortenund periodenspezifischer Geburtenwahrscheinlichkeiten zu den Anteilen kinderloser Frauen nach Geburtsjahrgängen in zwei Varianten. Die am BiB ebenfalls mit Hilfe des Calot-Verfahrens (vgl. zur Methode: Council of Europe 2004: 117 ff.) vorgenommenen Analysen basieren auf der Paritätsverteilung der Lebendgeborenen in der bestehenden Ehe nach Geburtsjahrgängen. Die Paritätsvertei-

Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

47

lung für die nichtehelich Lebendgeborenen wird geschätzt und in die Ergebnisse für die bestehenden Ehen eingerechnet. Ein gänzlich anderer Ansatz musste bei der Auswertung des Mikrozensus infolge der Tatsache gewählt werden, dass nur die Zahl der im Haushalt lebenden Kinder bekannt ist und die sich hauptsächlich aufgrund von Geburten und Auszügen aus dem elterlichen Haushalt im Lebensverlauf verändert. Um bei der Auswertung des Mikrozensus die beiden Unsicherheiten (kommen noch erste Kinder hinzu bzw. haben alle Kinder bereits den Haushalt verlassen) zu minimieren, wurden die Mikrozensen von 1991 bis 2003 nach Geburtsjahrgängen und der Zahl der im Haushalt lebenden Kinder ausgezählt. Man erhält also pro Geburtsjahr 13 verschiedene Werte (für jedes Mikrozensusjahr) über die Anzahl der Kinder im Haushalt. Dies soll beispielhaft für den Geburtsjahrgang 1960 in Deutschland-West dargestellt werden (Abbildung 1). Dieser Jahrgang war zum Erhebungszeitpunkt des Mikrozensus 1990 30 bzw. 31 Jahre alt. Da nach dem 30. Lebensjahr noch relativ viele erste Kinder geboren werden, war der Anteil der Frauen ohne Kinder im Haushalt noch relativ hoch (30,3 Prozent). Mit den nachfolgenden Mikrozensen (und mit steigendem Alter der Kohorte 1960) sinkt dann dieser Anteil. Er erreichte im Jahr 1999 (Alter der Frauen 38 bzw. 39 Jahre) mit 21,8 Prozent seinen Tiefstwert. Danach beginnen die Anteile wieder zu steigen, da der Effekt des Auszugs der Kinder aus dem Haushalt größer ist als noch mögliche Erstgeburten. Hinsichtlich der Ermittlung von Kinderlosigkeit wird angenommen, dass der niedrigste Wert für die Anteile von Frauen, die ohne Kinder im Haushalt leben, am ehesten der tatsächlichen Kinderlosigkeit entspricht. Da diese Verteilung vom jeweiligen Alter bei Erstgeburt der Geburtsjahrgänge abhängt, liegt dieser Tiefstwert beim Geburtsjahrgang 1955 in einem früheren Jahr (1993) und bei den jüngeren Jahrgängen in einem späteren Jahr (2003) (Abbildung 1). Sinnvolle Ergebnisse liefert dieser Ansatz für die Geburtsjahre 1955 bis 1967. Bei den nach 1965 Geborenen ist es aber durchaus möglich, dass der Tiefstwert in einem der Mikrozensen nach 2003 erreicht wird. Bei dieser Vorgehensweise wird ein weiteres Problem offensichtlich. Bedingt durch Zufallsschwankungen in den Stichproben gibt es in einigen Geburtsjahrgängen kein kontinuierliches Sinken bis zum Tiefstwert und nachfolgend ein kontinuierliches Ansteigen des Anteils der Frauen ohne Kinder im Haushalt, sondern die Werte pendeln leicht nach oben bzw. unten. Dies ist insbesondere bei der kleineren Fallzahl für die neuen Bundesländer zu verzeichnen. Um dies abzuschwächen, wurde die Datenreihe mittels eines gleitenden Durchschnitts geglättet (Abbildung 1).

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Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Abbildung 1: Frauen ohne Kinder im Haushalt in den Geburtsjahrgängen 1955, 1960 und 1965 in den Mikrozensen 1991-2003, tatsächliche und geglättete Werte (in Prozent) 50

45

40

Geburtsjahrgang 1965

Prozent

Geburtsjahrgang 1955 35

30

Geburtsjahrgang 1960

25

20

15 1991 1992 1993

1994

1995

1996

1997 1998

1999 2000 2001 2002 2003

Mikrozensen tatsächliche Werte

gleitender Durchschnitt

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 1991-2003, eigene Berechnungen

Die weiteren Analysen beruhen auf der International Population Policy Acceptance Study (IPPAS). Bei der IPPAS handelt es sich um ein von der EU gefördertes Projekt unter der Koordination des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung, an dem vierzehn europäische Länder teilgenommen haben (vgl. Tabelle A1 im Anhang). Inhalt der Studie war die Frage nach der Wahrnehmung und Bewertung des demographischen Wandels und seiner Folgen in der Bevölkerung sowie die Zustimmung zu politischen Maßnahmen. In den Ländern des IPPAS sind dabei mehr als 30 Tausend Frauen und Männer mittels eines standardisierten Fragebogens befragt worden. Unter anderem wurde dabei auch nach dem Kinderwunsch und den Gründen gegen (weitere) Kinder gefragt.1 Die

1

Für weitere Details siehe auch http://www.bib-demographie.de/ppa/Main.htm

Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

49

folgenden Auswertungen beschränken sich auf Kinderlose im Alter zwischen 20 und 49 Jahren. In den jeweiligen Stichproben schwankt deren Anteil an der gesamten Altersgruppe zwischen 21 Prozent in Litauen und 49 Prozent in Westdeutschland. Aufgrund der geringen Fallzahl sind für einige Länder detaillierte Analysen nur eingeschränkt möglich (vgl. Tabelle A2 im Anhang). Die Kinderwunschfrage wurde in der IPPAS nur an Personen bis zum Alter 49 gestellt und ist zweiteilig. Zuerst wurde gefragt, ob man sich überhaupt (weitere) Kinder wünscht. Die möglichen Antwortvorgaben waren ‚ja’, ‚nein’, ‚ich bin mir unsicher/weiß nicht’ und ‚ich/meine Partnerin ist schwanger’. Personen, die mit ‚nein’ oder ‚weiß nicht’ geantwortet haben, wurden im Anschluss nach den Gründen gegen (weitere) Kinder, Personen, die mit ‚ja’ oder ‚bestehende Schwangerschaft’ antworteten nach der gewünschten Anzahl gefragt. Wenn es im Folgenden um den Kinderwunsch geht, werden nur diejenigen berücksichtigt, die sich sicher sind, also mit ‚ja’ oder ‚nein’ geantwortet haben. Obwohl es in der Demographie durchaus üblich ist, ‚Unsichere’ zu den Personen ohne Kinderwunsch zu zählen, soll hier darauf verzichtet werden, da gerade bei der Berechnung von Durchschnittswerten, wie sie hier vorgenommen werden, die Ergebnisse zu sehr nach unten verzerrt würden. Deshalb werden diejenigen, die sich unsicher sind, aus der Berechnung des Kinderwunsches ausgeschlossen, ebenso wie Schwangere und Personen, die angegeben haben, keine Kinder mehr bekommen zu können.

3

Kinderlosigkeit in Deutschland

Die Ergebnisse der Analysen zu den Anteilen kinderloser Frauen in Deutschland zeigen trotz unterschiedlicher methodischer Ansätze und im Detail auch abweichender Ergebnisse im Trend in die gleiche Richtung (Tabelle 1). Auch nach diesen Datenbetrachtungen steht fest, dass es in Deutschland die Zahl über Kinderlosigkeit in den jüngeren Geburtsjahrgängen nicht zu geben scheint. Ebenso zeigt sich eindeutig, dass Kinderlosigkeit in Deutschland auf dem Vormarsch ist. Unstrittig ist die noch relativ niedrige Kinderlosigkeit in den Jahrgängen, die in den 1940er Jahren geboren wurden und die zu etwa 10 Prozent keine Kinder bekommen haben. Für diese Jahrgänge bestehen auch noch keine innerdeutschen Unterschiede. Danach, auch das zeigen die Daten einheitlich, bleibt die Kinderlosigkeit im Osten niedrig und beginnt im Westen deutlich anzusteigen.

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Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Tabelle 1: Anteile kinderloser Frauen in West- und Ostdeutschland in den Geburtsjahrgängen 1940-1975 nach verschiedenen Schätzansätzen (in Prozent) Geburtsjahr

Birg und Flöthmann

Westdeutschland Sobotka BiB Höhere Niedrigere Bevölk. MikroVariante Variante Statistik zensus 10,6 10,1

Ostdeutschland BiB Bevölk. MikroStatistik zensus 8,9

1940

10,6

1945

13,0

12,7

12,9

1950

15,8

14,2

14,8

1955

21,9

18,3

19,1

20,9

6,2

9,1

1960

26,0

21,5

22,1

10,0

7,5

19,7

19,3

8,5 8,1

1965

32,1

25,2

23,3

27,6

25,6

11,9

1970

32,6

27,7

23,8

29,1**)

28,3*)

15,5*)

27,7

23,0

1975

Anmerkungen *) Geburtsjahrgang 1967, **) Geburtsjahrgang 1966 Quellen: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung auf Grundlage der Ergebnisse der natürlichen Bevölkerungsentwicklung und des Mikrozensus, Birg und Flöthmann (1996); Sobotka (2005)

Der Anstieg der Kinderlosigkeit in Westdeutschland wird von den Daten nur im Trend abgebildet. Für den Geburtsjahrgang 1960 liegen die Daten nach den Angaben von Sobotka und dem BiB in einem Bereich von 19,3 bis 22,1 Prozent. Birg und Flöthmann geben dagegen schon einen Wert von 26,0 Prozent an. Je jünger die Jahrgänge werden, desto weiter gehen die Angaben auseinander. Für den Geburtsjahrgang 1970 ermittelten Birg und Flöthmann einen Kinderlosenanteil von 32,6 Prozent. In der niedrigen Variante von Sobotka sind 23,8 Prozent angegeben. Die höhere Variante von Sobotka und die beiden BiB-Schätzungen (Bevölkerungsstatistik, Mikrozensus) zeigen Werte um 28 Prozent. Die Werte für West- und Ostdeutschland unterscheiden sich bereits im Geburtsjahrgang 1945 relativ deutlich und haben sich mit den jüngeren Geburtsjahrgängen immer weiter auseinander entwickelt. Im Osten ist die Kinderlosigkeit letztlich bis zum Geburtsjahrgang 1965 mit 10 Prozent niedrig geblieben. Hierin ist angezeigt, dass sich in West- und Ostdeutschland zwei divergierende Muster der Familienbildung etabliert hatten. Einer hohen Kinderlosigkeit im Westen steht eine stärkere Orientierung auf die Zwei-Kind-Familie im Osten gegenüber. Erst in den noch sehr jungen Jahrgängen beginnt sich die Situation auch in Ostdeutschland zu ändern. Die Mikrozensusauswertungen erbrachten für den Geburtsjahrgang 1967 einen Anteil kinderloser Frauen von 15,5 Prozent. Die Frauen dieses Jahrgangs sind im Jahr 2003 36 Jahre alt geworden, können

Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

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also nicht endgültig beurteilt werden. Es bleibt die Frage offen, ob man es mit einem Effekt der späteren Geburt der Kinder oder zu einem Übergang zum westdeutschen Muster mit höherer Kinderlosigkeit zu tun hat bzw. von beidem etwas in diesem Trend steckt. In Westdeutschland hat sich das einheitliche Muster des Geburtsjahrgangs 1940 ausdifferenziert. Zur Erklärung ist die so genannte Polarisierungsthese entwickelt worden (u. a. Strohmeier 1993: 11ff.; Huinink 2002: 49ff.; Dorbritz 2003: 403ff.). Die Polarisierungsthese besagt, dass sich die Bevölkerung im familienbildenden Alter grob in zwei Gruppen untergliedert: in diejenigen, die mit Kindern leben und diejenigen, die kinderlos bleiben. Entstanden ist diese Situation dadurch, dass der Anteil der Frauen mit einem Kind zugunsten des Anteils kinderloser Frauen gesunken ist. Als Ursache dafür wird die familienpolitische Situation in Deutschland angenommen. Nach Gauthier (1996: 203ff.) ist für Deutschland das so genannte ‚germanic model’ typisch, in dem die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit erschwert ist, aber relativ viel Geld in Ehe und Familie fließt. Entscheidend ist, dass Deutschland ein konservativer Wohlfahrtsstaat ist, in dem das traditionelle Rollenbild der Frau familienpolitisch gestützt wird. Diese Situation schafft bei gleichzeitig starken Frauenemanzipationsbestrebungen, insbesondere der Orientierung der Frauen auf Erwerbstätigkeit, massenhaft Entscheidungssituationen zwischen traditioneller Mutterrolle und Erwerbstätigkeit. Die Polarisierungssituation aufgrund der hohen Kinderlosigkeit ist Ergebnis der zunehmenden Entscheidungen von Frauen gegen Kinder und Ehe und für Erwerbstätigkeit (vgl. auch Huinink 2002: 71). In Ostdeutschland ist das Familienbildungsmuster mit niedriger Kinderlosigkeit dagegen konserviert worden, was für geschlossene Gesellschaften wie die ehemals sozialistischen Länder Mittel- und Osteuropas nicht untypisch ist. Dazu haben verschiedene Faktoren beigetragen (siehe auch Dorbritz und Philipov 2002: 455): Erstens haben die totalitären Regime die Tradition der Familienbildung aus den 1960er Jahren indirekt bewahrt. Ideelle Veränderungen, die ‚Europe’s Second Demographic Transition’ unterstützt haben, etwa individuelle Autonomie oder die Toleranz individualistischer Verhaltensmuster, sind in sozialistischen Gesellschaften mit einer Einheitsideologie, einer starken Subsumierung der Individuen unter die Gesellschaft und ausgeprägter Intoleranz gegenüber Abweichungen kaum möglich. Ein Wertewandel, wie er sich in Westeuropa vollzogen hatte, konnte unter solchen Umständen nicht eintreten. Zweitens ist eine ausgeprägt pronatalistische Bevölkerungspolitik betrieben worden, wobei Instrumente wie Kinderfreibeträge, Mutterschaftsurlaub, Ge-

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Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

burtenbeihilfen, Darlehen oder bevorzugte Wohnungsbeschaffung eingeführt wurden. Es sind damit positive Signale für Familiengründungen gesetzt worden, auf die die Menschen reagiert haben. Und wenn es auch keinen nachhaltigen Anstieg der Geburtenhäufigkeit gegeben hat, so ist doch die Kinderlosigkeit auf einem niedrigen Niveau begrenzt worden. Drittens unterstützte die wirtschaftliche und soziale Entwicklung die für Mittel- und Osteuropa typischen Muster der Familienbildung. Dazu gehörte die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit als eines der wesentlichen politischen Ziele. Die darin angelegten Rollenkonflikte für Frauen wurden vom Staat durch ein breit gefächertes und kostengünstiges Kinderbetreuungssystem entschärft. Die sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen haben insgesamt gesehen die frühe Gründung einer Familie mit begrenzter Kinderzahl, aber niedriger Kinderlosigkeit gefördert. Viertens werden aus soziologischer Sicht die starken Orientierungen auf Familie mit den eingeschränkten Alternativen bezüglich der Wahl des Lebensverlaufs erklärt, die zur Familienbildung in Konkurrenz stehen. Bei reduzierten Wahlmöglichkeiten wird die Auswahl der Biographieoption ‚Familiengründung’ wahrscheinlicher. Dies wurde in den sozialistischen Gesellschaften auch dadurch begünstigt, dass die Entscheidungen über den Biographieverlauf durch ein hohes Maß an sozialer Sicherheit (zugesicherte Ausbildung, Vollbeschäftigung, kostengünstige Grundversorgung) gestützt waren. Angesichts der hohen Sicherheit für das zukünftige Leben ist den Menschen die Entscheidung für unumkehrbare oder kaum rückgängig zu machende Ereignisse wie Heirat und die Geburt von Kindern erleichtert worden. Abschließend zur Beschreibung der Situation in Deutschland soll auf den Vergleich von Mikrozensusdaten und anderen Daten der amtlichen Statistik detaillierter eingegangen werden. Die Ergebnisse zur Kinderlosigkeit anhand der beiden BiB-Schätzungen für die Geburtsjahrgänge 1955 bis 1967, sowohl die tatsächlichen als auch die geglätteten Daten, stimmen im Trend und weitgehend auch in der Größenordnung überein (Abbildung 2 und Tabelle 1). Die bislang getroffenen Einschätzungen erfahren eine Bestätigung. Die Kinderlosigkeit in Westdeutschland hat ein hohes Niveau erreicht und ist auf dem Weg, die 30 Prozent Marke zu erreichen. Bezieht man noch die Daten von Sobotka ein, dann scheint aber bislang, trotz aller Unsicherheit, keiner der westdeutschen Geburtsjahrgänge bis 1967 eine endgültige Kinderlosigkeit von mehr als 30 Prozent aufzuweisen.

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Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

Abbildung 2: Kinderlosigkeit nach Schätzungen des BiB und Daten des Mikrozensus, tatsächliche und geglättete Daten, in West- und Ostdeutschland, Geburtsjahrgänge 1955-1967 (in Prozent) 30

25

Westdeutschland

20

15

Ostdeutschland 10

5

0 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 Mikrozensus

BiB

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 1991-2003, Berechnungen im BiB

Die Situation in Ostdeutschland bleibt unklar. Fest zu stehen scheint, dass die Kinderlosigkeit noch immer niedriger ist als im Westen. Sie dürfte aber ebenfalls ansteigen. Die Daten des Observatoire Démographique Européen (ODE) brechen für Ostdeutschland mit dem Geburtsjahrgang 1964 (Kinderlosigkeit 12,4 Prozent) ab. Dies ist darin begründet, dass die Daten für die jüngeren Jahrgänge nicht mehr nach der biologischen Rangfolge (wie in der ehemaligen DDR klassifiziert) vorliegen. Die Daten des Mikrozensus lassen für den Jahrgang 1967 einen Anteil kinderloser Frauen von 14,9 Prozent erwarten. Dieser Wert kann noch etwas sinken, der Anstiegstrend bleibt dennoch offensichtlich, auch wenn er nicht in die westdeutschen Dimensionen reicht.

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4

Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Kinderlosigkeit im europäischen Vergleich

Die Datenlage zur Kinderlosigkeit in Europa hat sich in jüngster Zeit enorm verbessert. Zu nennen sind hier die Analysen des ODE (Observatoire Démographique Européen) in Zusammenarbeit mit dem Europarat (2005) und die Arbeiten von Thomas Frejka und Jean-Paul Sardon (2004) sowie Tomas Sobotka (2005). Ein ausführlicher Überblick über die europäische Situation wird in einer Studie des Centre d’Estudis Demogràfics (2005) der Universität Barcelona gegeben. Nicht übersehen werden sollte, dass es eine Reihe von Ländern gibt, für die keine Daten vorliegen bzw. die Zeitreihen nicht vollständig sind. Dargestellt werden nachfolgend die Daten des ODE/Europarats, die den ausführlichsten Blick auf die Kinderlosigkeit in Europa gewähren. Für insgesamt 28 Länder in Europa sind Daten verfügbar. Berechnet wurde die Kinderlosigkeit nur für die Länder, in denen die Lebendgeborenenfolge nach der biologischen Rangordnung vorliegt. Zusätzlich in die Analyse aufgenommen wurden die Daten für die Schweiz und Westdeutschland. Die Daten sind nach Geburtsjahrgängen geordnet. Der Anteil der kinderlosen Frauen in den Geburtsjahrgängen, die das Ende des gebärfähigen Alters noch nicht erreicht haben, sind von Jean-Paul Sardon mit Hilfe des Calot-Verfahrens zu Ende geschätzt worden. Es liegt also auch bei den Geburtsjahrgängen, die das gebärfähige Alter noch nicht vollständig durchlebt haben, die zu erwartende endgültige Kinderlosigkeit vor. Bei vollständigen Zeitreihen sind die Daten für die zwischen 1930 und 1974 geborenen Frauen verfügbar, was allerdings nur für Bulgarien gegeben ist. Die deutschen Daten basieren auf den Schätzungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung. Aufgrund der bereits diskutierten Probleme wurden durch das ODE für Deutschland keine Daten veröffentlicht. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen ganz eindeutig: Kinderlosigkeit ist in Europa auf dem Vormarsch (Abbildung 2). Zwei Dinge sollten hinsichtlich dieser Feststellung aber beachtet werden: Erstens ist darauf aufmerksam zu machen, dass die in den letzten Jahren zu verzeichnenden Anstiege auf einem außerordentlich niedrigen Niveau begonnen haben. Im Trend haben in Europa die Geburtsjahrgänge die niedrigsten Anteile kinderloser Frauen, die ihr gebärfähiges Alter in der Zeit des Geburtenhochs in den 1960er Jahren durchlebt haben, also um 1940 geboren wurden. Früher geborene Jahrgänge sind aufgrund der beiden Weltkriege und anderer Krisensituation häufiger kinderlos geblieben. Die Geburtsjahrgänge 1901/05 in Deutschland waren z. B. zu 26 Prozent kinderlos und die Geburtsjahrgänge 1906/10 zu ca. 21 Prozent. Für Österreich gibt

Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

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Hanika (2003: 91) nach den Volkszählungsergebnissen von 2001 für den Geburtsjahrgang 1901/05 einen Anteil kinderloser Frauen von 28,8 Prozent an. Hier hat man es aber mit einer durch die äußeren Bedingungen erzwungene Kinderlosigkeit zu tun, die für die in der Nachkriegszeit Geborenen nicht mehr bestanden (Dorbritz und Schwarz 1996: 237f.). François Höpflinger (1991) sprach deshalb auch von einer „neuen Kinderlosigkeit“. Zweitens bestehen trotz des gemeinsamen Anstiegstrends große Unterschiede zwischen einzelnen Ländern und Regionen (für die Daten verfügbar sind). Generell gilt: Die Kinderlosigkeit im Geburtsjahrgang 1945 ist jeweils deutlich niedriger als im Geburtsjahrgang 1965, wobei Mazedonien eine Ausnahme darstellt (Abbildung 2). Damit ist die von Höpflinger (1991: 87) Anfang der 1990er Jahre noch zu Recht getroffene Feststellung, nach der Kinderlosigkeit ein auf die Schweiz und Westdeutschland beschränktes Phänomen ist, nicht mehr zutreffend. „Eine umfassende und globale Zunahme von Kinderlosigkeit lässt sich bisher kaum feststellen. Selbst im europäischen Vergleich zeigen nur einige Länder eine markante Zunahme des Anteils der endgültig kinderlosen Frauen“ (ebenda: 97). Es gilt aber nach wie vor, dass Westdeutschland und die Schweiz die Vorreiter hinsichtlich der Ausweitung der Kinderlosigkeit waren und auch heute noch die höchsten Werte in Europa verzeichnen. Nach wie vor gibt es aber auch Länder wie z. B. Portugal oder Mazedonien, in denen die Kinderlosigkeit sehr niedrig ist. Betrachtet man die Trends im Detail, lassen sich hinsichtlich des Beginns der Ausbreitung von Kinderlosigkeit und der Trendverläufe vier verschiedene Entwicklungspfade verfolgen:

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Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Abbildung 3: Anteile kinderloser Frauen in Westeuropa, Geburtsjahrgänge 1930-1974 (in Prozent) 35

30

Schweiz D.-West

25

Österreich 20

Niederlande 15

D.-Ost

10

5

0 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970

Quelle: Observatoire Démographique Européen

1. Generell hat in Westeuropa (Westdeutschland, Niederlande, Schweiz und Österreich) und in England/Wales sowie in Irland der Anstieg der Kinderlosigkeit sehr früh begonnen und insbesondere in der Schweiz und in Westdeutschland zu sehr hohen Werten geführt (Abbildung 3 und 4). In Westdeutschland besteht ein Anstieg der Kinderlosigkeit bereits seit dem Geburtsjahrgang 1935, in Österreich setzte dieser Trend mit dem Jahrgang 1939 ein, wurde aber in einigen nachfolgenden Geburtsjahrgängen wieder unterbrochen, in den Niederlanden mit dem Jahrgang 1943 und in England/Wales mit dem Jahrgang 1945. Mit den Ausnahmen von Westdeutschland und der Schweiz führte jedoch keiner der früh einsetzenden Trends zur Kinderlosigkeit zu sehr hohen Werten. Der Geburtsjahrgang 1966 in Westdeutschland wird voraussichtlich zu 29 Prozent und der Geburtsjahrgang 1963 in der Schweiz zu 28 Prozent kinderlos bleiben.

57

Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

Abbildung 4: Anteile kinderloser Frauen in Nordeuropa, Geburtsjahrgänge 1930-1974 (in Prozent) 25

Finnland 20

England/Wales Irland

15

Schweden Dänemark 10

Norwegen 5

0 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970

Quelle: Observatoire Démographique Européen

2. Das höhere Geburtenniveau in Nordeuropa ist in der Tendenz mit einer niedrigeren Kinderlosigkeit verknüpft. Die Kinderlosigkeit steigt zwar auch in Dänemark, Schweden und Norwegen an, die Anstiege verlaufen aber langsam und sind auf die jüngeren Geburtsjahrgänge begrenzt (Abbildung 4). Die in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre geborenen Frauen werden zu weniger als 15 Prozent kinderlos bleiben. Sieht man von Portugal, den neuen Bundesländern und Mazedonien (vielleicht auch Serbien-Montenegro, wobei aus Zweifeln an der Datenzuverlässigkeit die Angaben in diesem Artikel nicht berücksichtigt wurden) ab, findet man in Dänemark, Norwegen und Schweden die niedrigsten europäischen Anteile kinderloser Frauen. Eine Ausnahme unter den nordeuropäischen Ländern bildet Finnland. Für den Geburtsjahrgang 1969 wird ein Anteil kinderloser Frauen von 22,2 Prozent erwartet.

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Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Abbildung 5: Anteile kinderloser Frauen in Südeuropa, Geburtsjahrgänge 19301974 (in Prozent) 25

Italien 20

Griechenland

15

Spanien

10

Portugal

5

0 1930

1935

1940

1945

1950

1955

1960

1965

1970

Quelle: Observatoire Démographique Européen

3. In Südeuropa ist Kinderlosigkeit ein neueres Phänomen (Abbildung 5). Anstiege sind in Spanien, Griechenland und Italien erst ab den in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre geborenen Frauen zu verzeichnen. Bei den nach 1960 geborenen Frauen hat sich die Zunahme des Anteils Kinderloser allerdings stark beschleunigt. Werte von annähernd 20 Prozent werden hier erwartet. Die Kinderlosigkeit in Südeuropa ist damit höher als in Skandinavien. Eine südeuropäische Ausnahme bildet Portugal. Die Kinderlosigkeit im Geburtsjahrgang 1970 wird noch weniger als 10 Prozent betragen. Ein Anstiegstrend ist aber auch in Portugal zu beobachten.

59

Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

Abbildung 6: Anteile kinderloser Frauen in Mittel- und Osteuropa, Geburtsjahrgänge 1930-1974 (in Prozent) 30

Polen 25

20

15

Ungarn Rumänien Tschechien Bulgarien

10

5

0 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970

4. Auch für die ehemals sozialistischen Länder (Ausnahme: Bosnien-Herzegowina) ist wie in der ehemaligen DDR Kinderlosigkeit lange Zeit eine Ausnahmeerscheinung geblieben (Abbildung 6). Sie beginnt erst in den nach 1960 geborenen Frauenjahrgängen allmählich zu steigen. Diese Anstiege beschleunigen sich bei den nach 1970 Geborenen. Das sind diejenigen Geburtsjahrgänge, deren Beginn der Familiengründungsphase in die Zeit des Endes des Sozialismus und des dadurch ausgelösten gesellschaftlichen Wandels fielen (Philipov und Dorbritz 2003). Auf diesen Wandel, der in aller Regel mit Krisensituationen einherging, könnten die jungen Geburtsjahrgänge der ehemals sozialistischen Länder u. a. mit Kinderlosigkeit reagiert haben. Nach Deutschland-West und der Schweiz weist inzwischen in Polen der Geburtsjahrgang 1973 mit einem erwarteten Anteil kinderloser Frauen von 26 Prozent den dritthöchsten Wert auf. Der Geburtsjahrgang 1970 in Kroatien wird wahrscheinlich zu 24,8 Prozent kinderlos bleiben und für den Geburtsjahrgang 1973 in der Slowakei wird ein Anteil

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Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Abbildung 6 (Fortsetzung): Anteile kinderloser Frauen in Mittel- und Osteuropa, Geburtsjahrgänge 1930-1974 (in Prozent) 30

BosnienHerzegowina 25

20

15

Kroatien Slovenien SerbienMontenegro Mazedonien

10

5

0 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970

Quelle: Observatoire Démographique Européen

kinderloser Frauen auf 23,8 Prozent geschätzt. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Schätzanteile gerade bei den jüngeren Geburtsjahrgän-gen noch sehr hoch sind und die Etablierung des Verhaltensmusters ‚späte Geburt’ zu niedrigerer Kinderlosigkeit führen könnte. Kinderlosigkeit ist also zu einem europäischen Fertilitätsmuster geworden. Sobotka (2005) spricht bereits von „childless societies“. Höpflinger (1991: 97) hatte bereits die Frage nach der Kinderlosigkeit als Lebensstil gestellt, die Antwort aber negativ ausfallen lassen. „Soziologisch gesehen lässt sich kein klares und einheitliches Syndrom der ‚freiwilligen Kinderlosigkeit’ feststellen. (…), und Vermutungen, dass freiwillige Kinderlosigkeit als Ausdruck eines neuen, post-modernen Lebensstiles zu interpretieren ist, finden nur eine beschränkte Unterstützung.“ Heute, nur wenige Jahre später, ist eine eindeutig andere Antwort zu geben, auch wenn man (noch) nicht vom europäischen Lebensstil der Kinderlosigkeit sprechen kann. Das gilt für nur wenige Länder, in denen Kinderlosigkeit sehr früh aufgetreten ist und eine starke Verbreitung gefunden hat.

Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

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In erster Linie sind das Deutschland-West und die Schweiz, aber auch Österreich, England/Wales und Irland sind dieser Ländergruppe zuzurechnen. In Südeuropa und den ehemals sozialistischen Ländern Ost- und Mitteleuropas ist Kinderlosigkeit ebenfalls auf dem Vormarsch, allerdings sind davon bislang nur wenige Geburtsjahrgänge betroffen, sodass noch nicht von einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen gesprochen werden kann. Tatsächliche Polarisierungssituationen, wo sich in den Geburtsjahrgängen, die sich zur Zeit dem Ende des gebärfähigen Alters nähern, Kinderlose und Familien sich in einer ein Drittel-zwei Drittel-Größenordnung gegenüber stehen, findet man aber nur in der Schweiz und in Westdeutschland. In Deutschland spricht man inzwischen aufgrund der entstandenen Situation í niedrige Geburtenhäufigkeit, niedriger Kinderwunsch (Ruckdeschel 2004: 363ff.; Fahey und Speder 2004: 19f.), gewünschte Kinderlosigkeit und individualistisch orientierter Einstellungen als Ursachen für gewünschte Kinderlosigkeit í immer öfter von einer Kultur der niedrigen Fertilität bzw. einer kinderfernen Kultur (Lutz 2005). Schneider (1996: 128) hat darauf bereits mit dem Hinweis auf eine UNKritik an Deutschland aufmerksam gemacht: „Erst kürzlich hat der Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen die Situation der Kinder in Deutschland offiziell kritisiert und die Bundesrepublik als ,kinderunfreundlich’ bezeichnet.“ In eine ähnliche Richtung geht die Aussage von Mayer (2003): „Die Kinderfeindlichkeit hat unsere gesellschaftlichen Ordnungssysteme strukturiert, sie ist tief in unseren Lebensstil und unser Denken eingesickert.“ In den nachfolgenden Darstellungen werden, ausgehend von der Kinderlosigkeit, die europäischen Fertilitätsmuster differenzierter betrachtet. Es werden ein Zusammenhang zwischen Kinderlosigkeit und endgültiger Kinderzahl hergestellt und die Entwicklungspfade des Wandels in den Mustern der Familienbildung aufgezeigt. Betrachtet werden jeweils die Geburtsjahrgänge 1935, 1950 und 1965. Allerdings erlaubt die Datenlage keine durchgehende Betrachtung über alle Länder für die drei Geburtsjahrgänge. Insbesondere für den Jahrgang 1935 sind relativ wenige Daten verfügbar.

Kinderlosigkeit und endgültige Kinderzahl Im Geburtsjahrgang 1935 bildet die überwiegende Mehrheit der Länder in der graphischen Darstellung des Zusammenhangs Kinderlosigkeit-Kinderzahl noch einen Klumpen, was ein relativ einheitliches Familienbildungsmuster anzeigt

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Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Abbildung 7: Endgültige Kinderzahlen und Anteile kinderloser Frauen im Geburtsjahrgang 1935 in Europa (in Prozent) 2.8 Slow akei endgültige Kinderzahl

2.6 2.4 D.-West Tschechien

2.2 2

Bulgarien

SerbienMontenegro D.-Ost Ungarn

Niederlande Österreich Rumänien

Italien

Schw eiz

Slovenien England/Wales Kroatien

1.8 1.6 1.4 0

5

10

15

20

Anteil kinderloser Frauen (%)

Quelle: Council of Europe (2004); Observatoire Démographique Européen

(Abbildung 7). Die Geburtenhäufigkeit ist noch hoch. Mit Ausnahme Ungarns ist in allen betrachteten Ländern die endgültige Kinderzahl höher als zwei. In der Slowakei beträgt sie sogar 2,7. Gleichzeitig ist die Kinderlosigkeit noch sehr niedrig, ist mehrheitlich in einem Bereich zwischen 6,5 Prozent (Bulgarien) und 15,2 Prozent (Italien) angesiedelt. Lediglich in der Schweiz betrug der Anteil kinderloser Frauen bereits 18,9 Prozent. Abbildung 8 zeigt die Situation im Geburtsjahrgang 1950 (durch die bessere Datenlage hat sich die Zahl der einbeziehbaren Länder erhöht). Das Verhaltensmuster des Jahrgangs 1935 beginnt durch einen Rückgang der endgültigen Kinderzahl und einen teilweisen Rückgang der Kinderlosigkeit aufzubrechen. Mit Ausnahme Rumäniens erreicht in keinem Land die endgültige Kinderzahl Werte über 2,4. In etwa der Hälfte der Länder ist sie bereits unter 2 gesunken. Die niedrigsten endgültigen Kinderzahlen sind in Deutschland-West und -Ost sowie der Schweiz anzutreffen, die höchsten in Rumänien, Mazedonien und der Slowakei. Der Anteil kinderloser Frauen im Jahrgang 1950 hat sich in nur wenigen Ländern verändert. Auffälligere Anstiege sind in Deutschland-West und

63

Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

Abbildung 8: Endgültige Kinderzahlen und Anteile kinderloser Frauen im Geburtsjahrgang 1950 in Europa (in Prozent) 2.8

endgültige Kinderzahl

2.6 Rumänien Mazedonien

SerbienMontenegro

2.4 2.2

Slow akei

Polen

Bosn.-Herzeg. Griechenland England/Wales Spanien Schw eden Slovenien Ungarn Niederlande Kroatien Dänemark Italien Russland Österreich Schw eiz D.-Ost

Bulgarien

2 1.8

Tschechien

1.6

D.-West

1.4 0

5

10

15

20

Anteil kinderloser Frauen (%)

Quelle: Council of Europe (2004); Observatoire Démographique Européen

England/Wales zu verzeichnen. Wie auch im Jahrgang 1935 ist die Schweiz das Land mit dem höchsten Anteil kinderloser Frauen (18,8 Prozent). In den ehemals sozialistischen Ländern (z. B. Bulgarien, Slowenien, Kroatien) ist die Kinderlosigkeit unter 5 Prozent gesunken. Als Fazit des Vergleichs zwischen den europäischen Geburtsjahrgängen 1935 und 1950 sind zwei Punkte herauszustellen: Erstens hat eher ein Rückgang der endgültigen Kinderzahl als ein Anstieg der Kinderlosigkeit stattgefunden. Darin ist angezeigt, dass der Geburtenrückgang insbesondere auf einen Rückgangs der Geburten höherer Ordnungsfolge zurückzuführen ist. Zweitens ist eine Ausdifferenzierung in ein ‚westeuropäisches’ und ein ‚sozialistisches’ Muster bereits erkennbar. Beispiele für das so genannte westeuropäische Muster (nicht alle westeuropäischen Länder gehören zu dieser Gruppe) mit höherer Kinderlosigkeit und niedrigeren Geburtenzahlen sind die Schweiz, DeutschlandWest, die Niederlande, Italien und Österreich. Dagegen ist das Verhaltensmuster niedrige Kinderlosigkeit und hohe Geburtenhäufigkeit ausnahmslos in den ehe-

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Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Abbildung 9: Endgültige Kinderzahlen und Anteile kinderloser Frauen im Geburtsjahrgang 1965 in Europa (in Prozent) 2.8

endgültige Kinderzahl

2.6

2.4 Irland

Mazedonien 2.2

SerbienMontenegro

2

Slow akei

Norw egen Polen

Ungarn Tschechien Rumänien

1.8

Bulgarien

1.6

Schw eden Finnland Dänemark England/Wales Kroatien Bosn.-Herzeg. Portugal Schw eiz Niederlande Slovenien Griechenland Österreich Russland Spanien Italien D.-West D.-Ost

1.4 0

5

10

15

20

25

30

Anteil kinderloser Frauen (%)

Quelle: Council of Europe (2004); Observatoire Démographique Européen

mals sozialistischen Ländern anzutreffen. Repräsentanten dafür sind SerbienMontenegro (die sehr niedrige Kinderlosigkeit ist anzuzweifeln), Rumänien, Mazedonien, die Slowakei und Tschechien. Im Geburtsjahrgang 1965 ist das Verhaltensmuster des Jahrgangs 1935 deutlich ausdifferenziert (Abbildung 9). Der Geburtenrückgang hat sich fortgesetzt. Hinzu gekommen ist ein verstärkter Anstieg der Kinderlosigkeit. Die endgültige Kinderzahl ist nur in wenigen Ländern höher als 2, in keinem ist sie höher als 2,2. In der Mehrheit der west- und südeuropäischen Länder ist sie niedriger als 1,8, in Deutschland, Italien und Spanien sogar niedriger als 1,6. Es ist aber das Ausmaß der Kinderlosigkeit, das die Länder differenziert. Die Anteile kinderloser Frauen sind in einem Bereich zwischen 4,8 Prozent (Bulgarien) und 27,9 Prozent (Schweiz, Jahrgang 1963) angesiedelt.

Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

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Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Kinderlosigkeit und endgültiger Kinderzahl besteht nicht – das Einheitsmuster ist in verschiedene Cluster ausdifferenziert. Der am ehesten erwartete Zusammenhang – eine hohe Kinderlosigkeit ist mit einer sehr niedrigen Geburtenhäufigkeit verknüpft – trifft nur für wenige Länder zu (Deutschland-West, Schweiz, Italien, Österreich). Der umgekehrte Zusammenhang – niedrige Kinderlosigkeit führt zu hoher Geburtenhäufigkeit – gilt für einige der ehemals sozialistischen Länder. Vertreter dieses Clusters sind Serbien-Montenegro, Mazedonien, Ungarn und die Slowakei. Daneben existiert eine dritte größere Gruppe an Ländern, in denen ein mittleres Niveau der Kinderlosigkeit (Werte um 15 Prozent) mit einer durchschnittlichen Kinderzahl (Werte um 1,8) einhergeht. Dazu gehören skandinavische Länder (Dänemark, Schweden, Norwegen) ebenso wie osteuropäische Länder (Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Polen), aber auch Westeuropa ist mit den Niederlanden und Südeuropa mit Griechenland vertreten. Im Trend allerdings gilt, je höher die Kinderlosigkeit ist, desto niedriger ist die endgültige Kinderzahl. Einige der Länder können aber nicht den typischen Mustern zugeordnet werden. Einerseits ist in Russland und auch in DeutschlandOst oder Spanien eine niedrige Geburtenhäufigkeit mit niedriger Kinderlosigkeit verbunden. Dieses Muster der Familienbildung kann als Dominanz der EinKind-Familie beschrieben werden. Andererseits findet man Länder (Irland, Finnland, England/Wales, Niederlande), in denen eine hohe Kinderlosigkeit von einem relativ hohen Geburtenniveau begleitet wird. Eine solche Situation kann nur eintreten, wenn es neben den Kinderlosen einen relativ hohen Anteil an Familien gibt, die drei oder mehr Kinder haben. Eingangs (Abschnitt 2) ist anhand der deutschen Daten das Polarisierungsphänomen in Kinderlose und Familien diskutiert worden. Dies ist (noch) keine europäische Erscheinung. Letztlich ist es aufgrund der hohen Kinderlosigkeit auf die Schweiz und Deutschland-West begrenzt. Einige andere Länder scheinen auf dem Weg in die Polarisierungssituation. Dazu gehören Österreich, Finnland, England/Wales und Irland. Auch in den ehemals sozialistischen Ländern scheint in Zukunft eine Polarisierung möglich. Da sie aber die noch jüngeren nach 1970 Geborenen betreffen würde, ist aufgrund der noch hohen Schätzanteile Vorsicht bei der Bewertung geboten.

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Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Abbildung 10: Endgültige Kinderzahlen und Anteile kinderloser Frauen in Österreich, der Schweiz, Deutschland-West und Ungarn, Geburtsjahrgänge 19351965 (in Prozent) 2.6 endgültige Kinderzahl

1935 2.4 Österreich

1935

2.2

1935

2.0 Ungarn

1.8

Schw eiz 1963

1.6 Deutschland-West

1963

1.4 5

10

15

20

25

30

Anteil kinderloser Frauen (%) Quelle: Council of Europe (2004); Observatoire Démographique Européen

Ausdifferenzierung der Familienbildungsmuster – typische Pfade Die Analyse des Zusammenhangs von Kinderlosigkeit und endgültiger Kinderzahl in den Geburtsjahrgängen von 1935 bis 1965 zeigt, dass sich die Verlaufspfade von niedriger zu hoher Kinderlosigkeit bzw. von hohen endgültigen zu niedrigen endgültigen Kinderzahlen deutlich unterscheiden (Abbildung 10). Einen möglichen Pfadverlauf veranschaulicht das Beispiel der Schweiz. Dort begann zunächst auf einem hohen Niveau die Kinderlosigkeit zu sinken, während die endgültigen Kinderzahlen konstant blieben. In den Geburtsjahrgängen der 1940er Jahre ist dann vor allem die endgültige Kinderzahl gesunken, während die Kinderlosigkeit allmählich anstieg. In den Jahrgängen der 1950er und 1960er Jahre ist die endgültige Kinderzahl kaum noch gesunken, während der Trend zu einer steigenden Kinderlosigkeit fortbestand. Für Österreich lassen sich nur zwei Veränderungsphasen unterscheiden. Bei den in den 1930er und 1940er Jahren geborenen Frauen ist nahezu ausschließlich die endgültige Kinderzahl gesunken. In den 1950er und 1960er Jahrgängen ist die endgültige Kin-

Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

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derzahl zunächst leicht, später dann nicht mehr gesunken und es begann die Zunahme des Anteils Kinderloser. Ein dritter Pfadverlauf lässt sich am Beispiel von Deutschand-West beschreiben. Bei allen betrachteten Geburtsjahrgängen ist gleichzeitig die endgültige Kinderzahl zurückgegangen und die Kinderlosigkeit angewachsen. Abschließend sei auf diejenigen Länder hingewiesen, in denen solche Trends nicht ausgeprägt sind (in Abbildung 10 repräsentiert durch das Beispiel Ungarns). Dazu gehören Dänemark und Schweden und die ehemals sozialistischen Länder.

5

Der Kinderwunsch von Kinderlosen

Angesichts dieser Zahlen stellt sich die Frage, inwieweit Kinderlosigkeit gewollt ist und wie stark es sich um verhinderte oder aufgeschobene Kinderwünsche handelt, also ob und wie viele Kinder Kinderlose überhaupt wollen. Dazu wird der individuelle Kinderwunsch herangezogen, dessen prädiktive Aussagekraft zwar umstritten ist (vgl. zusammenfassend z. B. Ruckdeschel 2004), der jedoch auf alle Fälle Auskunft über die aktuelle Einstellung von Kinderlosen zu einer möglichen Elternschaft geben kann. Dafür wird sowohl der durchschnittliche Kinderwunsch, als auch dessen Differenzierung nach der gewünschten Parität analysiert. Es bleibt nochmals anzumerken, dass nur Kinderlose mit einer klaren Vorstellung über eine künftige Elternschaft in die Berechnungen einbezogen wurden, dass also für Durchschnitts- und Paritätsberechnungen der zum Teil erhebliche Anteil von ‚Unsicheren’ (vgl. Tabelle 2) ausgeschlossen wurde. Generell gilt bei Berücksichtigung der Unsicheren, dass in den meisten Ländern mindestens die Hälfte der Befragten den Kinderwunsch mit einem klaren ‚ja’ beantwortet. Dies gilt vor allem für die beiden südeuropäischen Länder Zypern und Italien sowie für fast alle osteuropäischen Staaten außer Polen, in denen meist weit über 60 Prozent der Befragten einen Kinderwunsch haben. Auffällig ist, dass dies auch die Staaten mit einer aktuell sehr niedrigen zusammengefassten Geburtenziffer sind. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass aufgrund der unsicheren ökonomischen Situation in den Transitionsstaaten mit der Realisierung von Kinderwünschen länger gewartet wird. Anders stellt sich die Lage in den südeuropäischen Staaten dar, in denen aufgrund einer sehr hohen Jugendarbeitslosigkeit der Übergang in den Beruf schwieriger geworden ist, was sich u. a. in einer verlängerten Postadoleszenz und damit ebenfalls in einer späteren Realisierung eines Kinderwunsches niederschlägt. Sollte zumindest ein Teil der

68

Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Tabelle 2: Kinderwunsch von Kinderlosen, 20- bis 49-jährige Befragte Kinderwunsch Ja

Nein

Bin mir unsicher

Ich bin/Partnerin ist schwanger

Gesundheitlich nicht möglich 1,1

Belgien (Flandern)

49,4

27,5

19,5

2,6

Deutschland-Ost

48,9

28,4

22,2

0,4

-

Deutschland-West

41,1

35,1

22,7

1,1

-

Estland

73,5

7,4

14,7

1,5

2,9

Finnland

48,2

14,4

34,7

2,7

-

Italien

75,4

13,9

7,1

2,2

1,4

Litauen

62,9

16,3

20,2

0,6

-

Niederlande

47,0

23,0

20,4

3,7

5,8

Österreich2

69,6

28,4

-

2,0

-

Polen

45,9

16,4

35,3

2,4

-

Slowenien

73,6

9,8

14,7

1,8

-

Tschechische Republik

61,1

15,7

20,7

2,5

-

Ungarn

81,3

13,0

2,4

2,3

1,2

Zypern

70,6

2,3

8,1

19,0

-

Quelle: IPPAS (2004)

geäußerten Kinderwünsche realisiert werden, ist ein Wiederanstieg der Geburtenziffern möglich. Polen und bis zu einem gewissen Grad auch die neuen Bundesländer weisen bei einer ebenfalls sehr niedrigen zusammengefassten Geburtenziffer einen geringeren Anteil an Kinderlosen mit Kinderwunsch auf, der aber immer noch bei der Hälfte der Befragten liegt. In dieser Größenordnung bewegen sich auch die entsprechenden Anteile in Finnland und den Niederlanden, allerdings bei einer wesentlich höheren Geburtenziffer. Den Gegenpol zu der Gruppe mit einem hohen Anteil an Kinderlosen mit Kinderwunsch stellt Westdeutschland dar, das nur einen Anteil von gut 40 Prozent von Befragten mit klarem Kinderwunsch aufweist. Der durchschnittliche Kinderwunsch in den IPPAS-Ländern reicht von 2,06 in Estland bis zu 1,13 in Westdeutschland (Tabelle 3). Damit erreicht nur Est-

2

In Österreich wurden den Befragten leicht andere Antwortvorgaben vorgelegt. ‚Ja’, ‚eher ja’, ‚eher nein’, ‚nein’ wurden jeweils zusammengefasst.

69

Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

Tabelle 3: Durchschnittlicher Kinderwunsch und Anzahl der gewünschten Kinder, Kinderlose im Alter von 20 bis 49 Jahren Durchschnittlicher Kinderwunsch Belgien (Flandern)

1,27

Kinderwunsch nach Parität 0

1

2

3+

35,7

18,0

34,2

12,1

Deutschland-Ost

1,19

36,7

15,9

41,4

6,0

Deutschland-West

1,13

46,0

8,3

36,7

9,0

Estland

2,06

9,1

20,6

57,6

12,7

Finnland

1,65

23,0

15,9

44,1

17,0

Italien

1,74

15,6

12,2

56,9

15,3

Litauen

1,69

20,6

8,5

56,0

14,9

Niederlande

1,46

32,9

3,5

50,7

12,9 11,4

Österreich

1,28

38,0

9,0

42,6

Polen

1,48

26,3

11,2

52,8

9,7

Slowenien

1,89

11,8

10,8

59,4

18,0

Tschechische Republik

1,62

20,5

15,5

50,3

13,7

Ungarn

1,67

13,7

19,6

53,7

13,0

Zypern

1,89

3,1

33,8

40,4

22,7

Anmerkung: ohne Unsichere Quelle: IPPAS (2004);

land einen Wert von zwei Kindern, der immer noch das vorherrschende Ideal in Europa darstellt (vgl. z. B. Bongaarts 2001).3 Nicht nur die tatsächlichen Geburtenziffern, sondern auch die durchschnittlichen Kinderwünsche4 liegen damit in den anderen Ländern unter dem jeweiligen Bestandserhaltungsniveau, was einen signifikanten Anstieg der Geburtenzahlen für die Gruppe der Kinderlosen eher unwahrscheinlich macht. Noch relativ hoch, d. h. über 1,7 liegt der durchschnittliche Kinderwunsch in Slowenien und Zypern mit jeweils 1,89 und in Italien mit 1,74 Kindern. Diese Länder, hier vor allem Zypern, zeichnen sich durch eine niedrige gewollte Kinderlosigkeit aus, verbunden mit einem relativ starken Wunsch nach drei und mehr Kindern. Am anderen Ende der Skala mit durchschnittlichen Kinderwünschen unter 1,3 liegen West- und Ostdeutschland, Österreich und Belgien. Im Gegensatz zu den Ländern mit hohen Kinderwünschen

3 4

Keine Beschränkung auf Kinderlose Wobei der Kinderwunsch von der idealen Kinderzahl zu unterscheiden ist, da er eine konkretere Absichtserklärung beinhaltet als letztere.

70

Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Tabelle 4: Kinderwunsch nach Anzahl der gewünschten Kinder nach Altersgruppen, Kinderlose im Alter von 20 bis 49 Jahren Kinderwunsch nach Parität 0 Altersgruppe

1

2

3+

20-29

30-49

20-29

30-49

20-29

30-49

20-29

Belgien (Flandern)

9,7

73,8

22,6

11,4

49,2

12,3

18,6

30-49 (2,5)

Deutschland-Ost

15,1

64,4

15,1

(16,9)

60,0

(17,5)

(9,8)

(1,3) (3,6)

Deutschland-West

25,3

66,5

(7,3)

(9,3)

53,1

20,6

14,3

Estland

(1,5)

(37,1)

(18,5)

(28,6)

63,8

(34,3)

(16,2)

-

Finnland

(6,5)

51,6

15,9

16,0

54,7

25,8

23,0

(6,7)

Italien

8,0

28,9

12,0

12,6

61,4

48,9

18,6

9,6

Litauen

(3,9)

(65,8)

(8,7)

(7,9)

69,9

(18,4)

(17,5)

(7,9)

Niederlande

(12,5)

59,2

(4,2)

(2,7)

66,3

30,7

17,0

(7,4)

22,5

60,4

(8,9)

(9,1)

55,7

23,5

12,9

(7,1)

Österreich Polen

13,6

68,1

11,7

(9,6)

63,4

(17,9)

11,3

(4,4)

Slowenien

(5,6)

(32,4)

(10,0)

(13,5)

65,5

(39,2)

18,9

(14,9)

Tschechische Republik

(9,7)

(67,3)

(15,9)

(13,4)

57,9

(17,1)

(16,4)

(2,2)

Ungarn

(6,7)

42,3

19,8

(18,5)

58,8

(32,7)

14,6

(6,5)

Zypern (3,3) (2,1) Anmerkung: ohne Unsichere, () n < 30 Quelle: IPPAS (2004);

36,4

(20,8)

36,8

(58,3)

23,4

(18,8)

ist hier der Anteil derjenigen, die angeben, keine Kinder zu wollen, sehr hoch, während relativ selten drei oder mehr Kinder gewünscht werden. Dieser Effekt ist in den beiden deutschen Regionen ausgeprägter als in Belgien und Österreich. In den restlichen Ländern liegen die durchschnittlichen Kinderwünsche zwischen 1,4 und 1,7. In den osteuropäischen Ländern Litauen, Polen, Tschechien und Ungarn sowie in den Niederlanden erklärt sich dieser Wert aus einem gemäßigten Anteil gewünschter Kinderlosigkeit, im Zusammenspiel mit einem hohen Anteil an gewünschten zwei Kindern. In Finnland dagegen ergibt sich der Durchschnitt aus einem relativ hohen Anteil gewollter Kinderlosigkeit und einem ebenfalls relativ hohem Anteil an gewünschten drei oder mehr Kindern. Insgesamt dominiert der Wunsch nach zwei Kindern, wobei sich in acht der vierzehn5 Länder mehr als die Hälfte der Befragten an diesem Ideal orientiert. Die einzige Ausnahme stellen Westdeutschland und Belgien dar, in denen je5

bei getrennter Betrachtung von Ost- und Westdeutschland

Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

71

weils der größte Anteil der Kinderlosen keine Kinder möchte. Die gewünschten Kinderzahlen von Kinderlosen sind jedoch in allen Ländern wesentlich niedriger als bei Mitberücksichtigung der Eltern der entsprechenden Altersgruppe (vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2005: 10f.). Eine weitere Ausdifferenzierung des Kinderwunsches nach Altersgruppen ist aufgrund von Fallzahlproblemen nur sehr eingeschränkt möglich. Deshalb sollen an dieser Stelle nur die wichtigsten Unterschiede zwischen der Altersgruppe der 20- bis 29-jährigen und den 30- bis 49-jährigen dargestellt werden. Zunächst zeigt sich in allen Ländern ein deutlicher Sprung zwischen der jüngeren und der höheren Altersgruppe, was die gewollte Kinderlosigkeit angeht (vgl. Tabelle 4). Von den 20- bis 29-jährigen wünscht sich in fast allen Ländern die überwiegende Mehrheit mindestens ein Kind, wobei die Dominanz des ZweiKinder-Ideals sehr deutlich wird. Nennenswerte Ausnahmen stellen nur Westdeutschland und Österreich dar, in denen der Anteil gewollter Kinderlosigkeit bereits in dieser Altersgruppe bei fast einem Viertel liegt. Die Älteren wollen zum überwiegenden Teil kein Kind (mehr). Interessant ist hier, dass der Anteil gewollter Kinderlosigkeit in Italien und Ungarn auch in der höheren Altersgruppe noch relativ gering ist, was auf einen Postponement-Effekt hindeutet, d. h. eine Verschiebung geplanter Geburten in ein höheres Alter (siehe oben). Allgemein lässt sich jedoch festhalten, dass das Thema ‚Familiengründung’ in allen untersuchten Staaten vor allem im Alter zwischen 20 und 29 virulent ist und für die höhere Altersgruppe schnell an Bedeutung verliert.

6

Gründe gegen Kinder im europäischen Vergleich

Die Gründe, die gegen Kinder genannt wurden, umfassen ein weites Spektrum von gesundheitlichen Problemen über finanzielle Kosten bis hin zu Einschränkungen des eigenen Lebensstandards. Um trotz des sehr unterschiedlichen nationalen Zustimmungsniveaus eine Vergleichbarkeit zu ermöglichen, wurden für jedes Land die beiden jeweils am häufigsten genannten Gründe untersucht. Aus Sicht der Kinderlosen sprechen vor allem Zukunftssorgen gegen Kinder, was in sieben von zehn gültigen6 Fällen als erster oder zweiter Grund genannt wurde (Tabelle 5). In den westeuropäischen Ländern (Ost- und Westdeutschland, Niederlande) und Slowenien wird als zweiter wichtiger Grund

6

‚gültig’: n >= 30

72

Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Tabelle 5: Gründe gegen Kinder, Kinderlose ohne bzw. mit unsicherem Kinderwunsch, Anteil derjenigen, die die genannten Items als ‚sehr wichtig’ einstufen, Befragte im Alter zwischen 20 und 49 Jahren Ich habe bereits so viele Kinder wie ich möchte

Ich möchte meinen jetzigen Lebensstandard beibehalten

Ich mache mir zu viele Sorgen darüber, welche Zukunft meine Kinder erwartet

Ich müsste Freizeitinteressen aufgeben

Ein Kind würde zu hohe Kosten verursachen

Ich könnte mein Leben nicht mehr so genießen wie bisher

22,8

35,5

Belgien (Flandern)

17,8

Deutschland/Ost

30,9

54,8

61,4

38,6

53,7

48,9

44,3

60,1

55,5

48,2

41,8

47,3

Deutschland/West Estland

29,6

75,0

(50,0)

81,8

(31,8)

86,4

Finnland

8,2

23,1

37,8

17,3

17,8

25,4

Litauen

(16,9)

(27,7)

(44,6)

(16,9)

(18,2)

(13,8)

Niederlande

(11,2)

36,7

39,2

24,7

18,6

24,8

Österreich

(4,8)

57,4

38,8

43,6

36,2

50,9

Polen

(13,2)

19,9

30,5

7,6

28,2

17,3

Slowenien Tschechische Republik Ungarn

(25,0)

46,7

45,6

(30,0)

(26,7)

34,4

(45,9)

(33,3)

60,9

(28,9)

(38,7)

(41,2)

Zypern

(33,3)

(11,4)

(3,2)

(6,3)

(13,3)

(9,7)

(6,7)

(40,0)

(46,7)

(33,3)

(26,7)

dann die Beibehaltung des aktuellen Lebensstandards angeführt, in osteuropäischen Ländern dagegen der Gesundheitszustand. Die Befürchtung, das eigene Leben mit Kindern weniger genießen zu können, wird in Finnland, Belgien und Österreich von relativ vielen genannt. Zu hohe Kosten scheinen dagegen nur in Estland eine besonders wichtige Rolle zu spielen, sie wurden aber auch in Ostund Westdeutschland vergleichsweise häufig genannt. In den neuen Bundesländern stimmten sogar über die Hälfte der Befragten diesem Grund gegen Kinder zu. Mangelnde Vereinbarkeit zählt wiederum nur in Belgien zu den beiden wichtigsten Gründen, spielt aber auch in Estland und in Deutschland (alte und neue Bundesländer) eine im internationalen Vergleich herausragende Rolle.

73

Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

Tabelle 5 (Fortsetzung): Gründe gegen Kinder, Kinderlose ohne bzw. mit unsicherem Kinderwunsch, Anteil derjenigen, die die genannten Items als ‚sehr wichtig’ einstufen, Befragte im Alter zwischen 20 und 49 Jahren Ich könnte es nicht mit meiner Berufstätigkeit vereinbaren

Mein Gesund heitszustand erlaubt es nicht

Ich bin/mein Partner ist zu alt

Ich lebe alleine und habe keinen festen Partner

Mein Partner ist dagegen

nur Personen ohne Partner

nur Personen mit Partner

alle

nur Frauen

Belgien (Flandern)

31,4

33,8

25,6

31,2

65,7

24,2

Deutschland/Ost

33,3

48,6

16,7

15,6

71,2

(24,7)

38,9

43,6

18,8

20,6

72,6

29,9

Deutschland/West Estland

61,4

(70,0)

93,0

75,0

(73,0)

(62,5)

Finnland

12,8

(16,7)

14,6

19,4

83,7

(22,4)

Litauen

(15,4)

(19,4)

47,7

(21,5)

67,4

(42,1)

15,6

(15,8)

19,1

26,7

69,2

37,9

Niederlande Österreich

25,4

(25,5)

(15,5)

33,8

72,8

(26,2)

Polen

14,4

(15,3)

28,6

16,6

52,5

(25,0)

Slowenien Tschechische Republik Ungarn

42,7

(36,1)

35,6

(38,8)

72,3

(32,0)

(17,8)

60,6

(9,3)

(13,0)

(14,6)

(13,1)

Zypern

(23,3)

(18,2)

(37,9)

(27,6)

(70,6)

(63,6)

72,0

(15,2)

Anmerkungen: () n < 30; ohne Italien, da dort nur drei wichtigste Gründe erhoben; Belgien (Flandern), Österreich, Polen, Ungarn: auch ‚trifft nicht zu’ als Antwortvorgabe möglich; für diese Länder wurde der Anteil an Personen, die ‚trifft nicht zu’ geantwortet haben, in die Berechnung der Basis für ausgewiesene Prozentangaben mit einbezogen Quelle: IPPAS 2004

Was die mangelnde Vereinbarkeit betrifft, muss berücksichtigt werden, dass Frauen und Männer hier nicht getrennt analysiert worden sind. Aufgrund der zu geringen Fallzahlen ist dies mit den vorliegenden Daten nur für Belgien und Ost- und Westdeutschland möglich und sinnvoll. Es zeigt sich, dass in Belgien 63 Prozent der Frauen dieser Aussage zustimmen, also doppelt so viele wie bei

74

Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Tabelle 6: Gründe gegen Kinder, Eltern im Alter von 20 bis 49 Jahren ohne bzw. mit unsicherem Kinderwunsch Ich habe bereits so viele Kinder wie ich möchte

Ich möchte meinen jetzigen Lebensstandard beibehalten

Ich mache mir zu viele Sorgen darüber, welche Zukunft meine Kinder erwartet

Ich müsste Freizeitinteressen aufgeben

Ein weiteres Kind würde zu hohe Kosten verursachen

Ich könnte mein Leben nicht mehr so genießen wie bisher

Belgien (Flandern)

78,6

-

47,0

-

28,0

25,4

Deutschland/Ost

76,2

45,7

70,9

16,0

54,3

27,4

Deutschland/West

79,9

59,3

49,3

17,1

39,8

22,1

Estland

84,7

31,6

79,0

13,9

84,4

-

Finnland

68,8

12,5

20,5

4,3

9,8

8,5

Litauen

67,4

39,9

82,8

9,7

48,6

17,7

Niederlande

75,2

26,8

28,5

6,1

22,0

13,6

Österreich

87,4

36,3

33,9

12,3

27,5

16,4

Polen

84,7

38,5

83,0

8,7

64,0

20,0

Slowenien Tschechische Republik Ungarn

75,2

33,5

45,7

11,3

26,5

11,5

75,8

20,4

50,7

13,1

35,1

14,6

79,7

22,8

63,6

(4,3)

41,6

(5,6)

Zypern

89,3

29,1

71,4

14,3

42,2

16,8

der Betrachtung von kinderlosen Männern und Frauen gemeinsam. In Deutschland liegt der Anteil der Zustimmenden bei alleiniger Betrachtung von Frauen zwar auch höher, aber im Vergleich zu Belgien wesentlich näher am gemeinsamen Wert (47,8 Prozent statt 33,3 für Ostdeutschland und 43,3 Prozent statt 38,9 Prozent für Westdeutschland). Insgesamt scheinen gesundheitliche und altersbedingte Gründe in den osteuropäischen Staaten eine wesentlich wichtigere Rolle zu spielen als in den westeuropäischen, in denen der Lebensstandard und der Lebensgenuss häufiger genannt werden. Übereinstimmend lässt sich für alle festhalten, dass Partner-

75

Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

Tabelle 6 (Fortsetzung): Gründe gegen Kinder, Eltern im Alter von 20 bis 49 Jahren ohne bzw. mit unsicherem Kinderwunsch Ich könnte es nicht mit meiner Berufstätigkeit vereinbaren

Mein Gesundheitszustand erlaubt es nicht

Ich bin/mein Partner ist zu alt

Ich lebe alleine und habe keinen festen Partner

alle

nur Frauen

alle

alle

nur Personen ohne Partner

Belgien (Flandern)

40,8

43,8

42,9

49,8

69,4

Deutschland/Ost

32,7

39,4

23,1

40,2

72,1

27,5

31,6

17,8

34,6

65,0

Deutschland/West Estland

47,2

45,8

93,6

81,2

73,7

Finnland

6,1

7,4

21,9

48,8

80,4

Litauen

14,7

14,5

32,3

21,7

58,5

Niederlande

9,4

(9,1)

28,6

48,2

(57,7)

Österreich

13,8

19,0

15,0

32,2

58,5

Polen

13,2

13,0

49,7

42,3

55,2

Slowenien Tschechische Republik Ungarn

42,7

26,3

37,6

-

(63,2)

25,9

27,1

57,5

47,6

(78,8)

11,8

11,9

28,1

38,2

74,1

Zypern

24,6

26,9

41,6

33,8

--

Anmerkungen: () n < 30 Quelle: IPPAS 2004

losigkeit für die meisten der Befragten ein großes Hindernis für die Realisierung eines Kinderwunsches darstellt. Die Ausnahme bildet hier Polen, wo nur die Hälfte der Befragten den fehlenden Partner bzw. die fehlende Partnerin als Grund für die gewünschte Kinderlosigkeit nennt. Ungefähr ein Viertel bis ein Drittel der Befragten in einer Partnerschaft nennt den mangelnden Wunsch des Partners als Grund für den eigenen fehlenden Kinderwunsch. Um entscheiden zu können, ob die genannten Gründe charakteristisch für die Gruppe der Kinderlosen sind oder allgemeine Einstellungen widerspiegeln, soll an dieser Stelle ein Vergleich mit den Gründen von Eltern, die keine weiteren Kinder mehr wollen, erfolgen. Dieser Vergleich zeigt durchaus Parallelen, denn auch Eltern geben überwiegend Sorgen über die Zukunft der Kinder als

76

Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Grund gegen weitere Kinder an (Tabelle 6). Wichtiger ist für Eltern nur noch der Grund, dass sie bereits so viele Kinder haben, wie sie wollen (in 11 von 14 Ländern der wichtigste Grund) und damit für familienpolitische Maßnahmen praktisch kaum noch erreichbar sind. Für die anderen Gründe gilt, dass die Beibehaltung des Lebensstandards weiterhin ein wichtiges Entscheidungskriterium darstellt (vor allem in den beiden Teilen Deutschlands und in Österreich), während die kindbedingte Veränderung von Freizeitinteressen erwartungsgemäß wesentlich seltener wird. Auch die Angst, das Leben nicht mehr wie bisher genießen zu können, wird viel unwichtiger. Den gleichen Effekt findet man bei der Frage der Vereinbarkeit. Außer in Belgien, der Tschechischen Republik und Zypern sind Mütter wesentlich seltener der Meinung, ein weiteres Kind nicht mit einer Berufstätigkeit vereinbaren zu können. Offenbar führt hier die Praxiserfahrung zu einer Umbewertung dieses Problems, sei es durch akzeptable Lösungen oder durch die Aufgabe des Wunsches nach einer Berufstätigkeit. Es muss allerdings angemerkt werden, dass trotzdem in Deutschland (alte und neue Bundesländer) und Estland jeweils mehr als ein Drittel der Frauen diesem Grund zustimmen. Im Vergleich zu Kinderlosen werden altersbedingte und gesundheitliche Gründe wichtiger. Ähnlich wie bei Kinderlosen ohne Partner nennen auch Alleinerziehende den fehlenden Partner als entscheidenden Grund gegen weitere Kinder, während die Weigerung des Partners häufiger als bei Kinderlosen genannt wird.

7

Diskussion der Ergebnisse

Der Erkenntnisstand zur Kinderlosigkeit hat sich in jüngster Zeit deutlich verbessert. Es liegen Vergleichsdaten für fast ganz Europa vor, was vor allem dem Europarat und Jean-Paul Sardon (OED) zu danken ist. Demgegenüber ist die Situation hinsichtlich der genauen Kenntnis über die Größenordnung von Kinderlosigkeit in Deutschland eher dürftig. Es gibt verschiedene Schätzungen, die auch im Trend übereinstimmen. Die Forderung nach einer verbesserten Datenlage ist ebenso wenig neu wie originell, ist aber dennoch zu stellen. Die für Deutschland vorliegenden Daten zeigen zwei unterschiedliche Muster der Familienbildung in West- und Ostdeutschland. Für den Westen ist ein deutlicher Anstieg der Kinderlosigkeit zu beobachten, was wir mit dem polarisierenden Charakter der traditionellen Familienpolitik in Deutschland erklären, die Frauen sehr häufig vor die Wahl Familie oder Beruf stellen. Im Kontext einer zunehmenden Ablehnung des traditionellen weiblichen Rollenbildes ist es

Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

77

daher nicht verwunderlich, dass zunehmend Entscheidungen gegen Kinder/Familie getroffen werden. Auch wenn die Größenordnungen der Schätzungen nicht gänzlich übereinstimmen, so ist doch zu vermuten, dass die nach 1965 geborenen Frauen zu deutlich mehr als 25 Prozent wenn nicht sogar zu 30 Prozent kinderlos bleiben werden. Setzt sich dieser Trend fort, könnte das negative Folgen für die ohnehin schon niedrige Geburtenhäufigkeit in Deutschland haben. Gleichfalls ist ein Anstieg der zusammengefassten Geburtenziffer bei hoher Kinderlosigkeit nahezu unmöglich, da die nicht gegebene Bereitschaft zur vermehrten Geburt dritter oder vierter Kinder die Bedingung wäre. In Ostdeutschland hat sich ein solcher Trend nicht vollzogen. Die Kinderlosigkeit ist unverändert niedrig geblieben; sie betrug weniger als 10 Prozent. Die Verhältnisse in der ehemaligen DDR, das Fördern der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit, die pronatalistisch konzipierte Bevölkerungspolitik, ein diktatorisches Gesellschaftssystem, das Individualisierungstrends nicht zugelassen hat, und mangelnde Alternativen zur Familiengründung haben zur Konservierung der Familienbildungsmuster aus den 1960er Jahren geführt. Ob diese Muster sich beginnen aufzulösen, kann gegenwärtig nur ungenügend beurteilt werden. Bei den nach 1965 geborenen Frauen nimmt Kinderlosigkeit zu, was nicht nur auf Entscheidungen gegen Kinder beruhen muss, sondern auch ein Effekt der inzwischen späteren Familiengründung sein kann. Sicher scheint auf jeden Fall zu sein, dass die Kinderlosigkeit in den neuen Bundesländern selbst in den jüngeren Geburtsjahrgängen nicht die westdeutschen Werte erreicht. Es gibt also auch noch unter den jüngeren Generationen in West- und Ostdeutschland unterschiedliche Muster der Familienbildung, von einer Angleichung kann also keine Rede sein. Es hat den Anschein, dass nach wie vor die Muster der DDR-Familienbildung nachwirken. Im internationalen Vergleich sind Deutschland und die Schweiz die Spitzenreiter bei der Kinderlosigkeit, auch wenn einschränkend anzumerken ist, dass die Daten nicht exakt zueinander passen. Für Deutschland und die Schweiz ist die Paritätsverteilung der Lebendgeborenen in der bestehenden Ehe der Ausgangspunkt der Berechnungen, während in den übrigen Ländern die biologische Rangfolge der Lebendgeborenen verwendet worden ist. Was für Deutschland gilt, ist auch für Europa zutreffend. Kinderlosigkeit ist im Begriff sich europaweit auszubreiten, auch wenn die Länder mit einem ansteigenden Trend nicht die deutschen Werte erreichen. Demgegenüber gibt es nur wenige Länder, in denen Kinderlosigkeit nicht im Anwachsen begriffen ist. Auffällig ist auch die Entwicklung in den ehemals sozialistischen Ländern in den jüngeren, um 1970 geborenen Jahrgängen. In diesen Jahrgängen werden sehr schnelle Anstiege der

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Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Kinderlosigkeit geschätzt. Natürlich sind diese Jahrgänge noch nicht am Ende ihrer Familienbildungsphase und die Daten daher noch unsicher, aber es könnte durchaus die Situation eintreten, dass mit der ‚Niedrig-Fertilitäts-Lage’ auch die Kinderlosigkeit zunimmt. Damit wäre das typische Muster der Familienbildung mit einer Universalität der Mutterschaft aufgelöst. Außerordentlich wichtig für die Beurteilung der Situation erscheinen den Autoren die Einstellungen derjenigen, die noch keine Kinder haben. Von denjenigen, die keine Kinder haben, wollen überdurchschnittlich viele auch keine Kinder. Der Kinderwunsch ist außerordentlich niedrig ausgeprägt und erreicht in den meisten der betrachteten Länder nicht einmal das Bestandserhaltungsniveau. Diese Situation ist in besonderem Maße in Westdeutschland, aber auch in Österreich, Belgien (Flandern), Ostdeutschland und den Niederlanden anzutreffen. Die besondere Situation Westdeutschlands bei der realen Kinderlosigkeit ist also bereits im Kinderwunsch angelegt. Es handelt sich hier nicht um die Gruppe der gewollt Kinderlosen, gewollte und ungewollte Kinderlosigkeit ist an dieser Stelle nicht unterscheidbar, es zeigt aber, dass es in einigen Ländern Europas eine Bevölkerungsgruppe gibt, die keine Kinder haben möchte. Für Deutschland könnten die überaus hohen Anteile von Personen ohne Kinderwunsch ein Indiz der sich ausbreitenden ‚Kultur der Kinderlosigkeit’ sein (vgl. Burkart, in diesem Band). Dies zeigt sich auch darin, dass Kinderlose neben Zukunftssorgen vor allem die Gefährdung ihres Lebensstils fürchten, insbesondere in westlichen Ländern. Mit der Erfahrung von Elternschaft werden diese Gründe wesentlich unwichtiger. Die Sonderstellung ehemals sozialistischer Staaten zeigt sich darin, dass hier vor allem gesundheitliche und altersbedingte Gründe genannt werden, also individuell kaum beeinflussbare Größen, während in westlichen Ländern eher lebensstilbedingte Hindernisse dominieren.

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Jürgen Dorbritz und Kerstin Ruckdeschel

Anhang Tabelle A1: Stichprobengröße und Erhebungsjahr Belgien (Flandern) Deutschland Estland Finnland Italien Litauen Niederlande Österreich Polen Rumänien Slowenien Tschechische Republik Ungarn Zypern Quelle: IPPAS (2004)

Erhebungsjahr 2003 2003 2003 2002 2002 2001 2002 2001 2001 2001 2000 2001 2000/01 2001

Stichprobengröße 3957 4110 1681 3821 3500 1400 1989 1995 4504 1556 1550 1094 3057 1163

Tabelle A2: Anteil Kinderloser im IPPAS, 20- bis 49-jährige Befragte Deutschland-West Italien Niederlande Finnland Belgien (Flandern) Deutschland-Ost Zypern Slowenien Österreich Ungarn Polen Tschechische Republik Estland Litauen Quelle: IPPAS (2004)

Kinderlose 49,4 47,4 45,2 41,9 40,4 38,1 36,1 35,0 33,7 29,8 29,4 29,3 28,9 20,9

Stichprobengröße 687 1569 497 914 1099 489 409 393 478 502 931 179 224 178

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Kinderlosigkeit in Deutschland – Ein europäischer Sonderweg?

Tabelle A3: Kinderwunsch von Kinderlosen, 20- bis 49-jährige Befragte Kinderwunsch Ja

Nein

Bin mir unsicher

Ich bin /Partnerin ist schwanger

Gesundheitlich nicht möglich

Belgien (Flandern) 49,4 27,5 19,5 2,6 1,1 Deutschland-Ost 48,9 28,4 22,2 0,4 Deutschland-West 41,1 35,1 22,7 1,1 Estland 73,5 7,4 14,7 1,5 2,9 Finnland 48,2 14,4 34,7 2,7 Italien 75,4 13,9 7,1 2,2 1,4 Litauen 62,9 16,3 20,2 0,6 Niederlande 47,0 23,0 20,4 3,7 5,8 Österreich 69,6 28,4 2,0 Polen 45,9 16,4 35,3 2,4 Slowenien 73,6 9,8 14,7 1,8 Tschechische Republik 61,1 15,7 20,7 2,5 Ungarn 81,3 13,0 2,4 2,3 1,2 Zypern 70,6 2,3 8,1 19,0 Anmerkungen: In denen mit ‚-’ gekennzeichneten Felder wurde keine Angaben zum Kinderwunsch erhoben. Quelle: IPPAS (2004)

Kinderlosigkeit in Frankreich Katja Köppen, Magali Mazuy und Laurent Toulemon

1

Einleitung

In der aktuellen Diskussion um sinkende Geburtenraten, hohe Kinderlosigkeit und reformbedürftige familienpolitische Rahmenbedingungen in Deutschland wird oftmals das Beispiel Frankreich herangezogen. Frankreich gilt als familienpolitisches Musterland, in dem nicht nur die Frauenerwerbsquote hoch ist, sondern gleichzeitig auch eine deutlich höhere Geburtenrate als in anderen europäischen Staaten beobachtet werden kann. Frankreich hatte 2003 nach Island und Irland mit durchschnittlich 1,9 Kindern pro Frau die dritthöchste Geburtenziffer in Westeuropa (Europarat 2004). Während in Deutschland rund ein Viertel der Frauen kinderlos bleiben, sind es in Frankreich lediglich elf Prozent. Der folgende Beitrag soll eine Antwort auf die Frage geben, warum französische Frauen und Männer selten kinderlos bleiben und wie sich Kinderlosigkeit in Frankreich historisch und sozialstrukturell darstellt. Angefangen mit einem Überblick über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die allgemeine Geburtenentwicklung liegt der Schwerpunkt dieses Artikels auf der Darstellung der wichtigsten demographischen Parameter der Kinderlosigkeit in Frankreich und deren Unterschieden zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen.

2

Institutionelle und familienpolitische Rahmenbedingungen

Die hohen Geburtenzahlen sowie die geringe Kinderlosigkeit in Frankreich werden in der Literatur fast immer durch das System der gut ausgebauten Kinderbetreuung und die verschiedenen familienpolitischen Förderungen – wie Steuervergünstigungen und großzügige finanzielle Unterstützungen für kinderreiche Familien – erklärt (Ehmann 1997; Becker 2000; Fagnani 2002; Letablier 2002; Köppen 2006). Staatliche Unterstützungen und Förderungen von Familien haben in Frankreich vor allem historische Gründe. Die Anfänge der Familienpolitik liegen zum einen in freiwilligen Leistungen der Arbeitgeber begründet, zum anderen in ei-

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Katja Köppen, Magali Mazuy und Laurent Toulemon

nem zunehmenden bevölkerungspolitischen Problembewusstsein. Frankreich erfuhr als erstes Land in Europa einen rapiden Rückgang an Geburten. Frauen, die Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich geboren wurden, bekamen im Durchschnitt 3,4 Kinder. In Deutschland dagegen lag diese Zahl um 1880 bei 5,4 und damit sogar über dem europäischen Mittel (Festy 1979: 49). Seit diesem Zeitpunkt wurden familienpolitische Ziele in Frankreich immer auch unter natalistischen Vorzeichen gesetzt. Bis heute ist dies in den Förderungen von Familien mit mindestens drei Kindern und der relativen Vernachlässigung von Familien mit Einzelkindern erkennbar (Schultheis 1988: 92). Im 19. Jahrhundert gaben auch katholische Unternehmen den Ausschlag für erste familienpolitische Maßnahmen. Auf deren private Wohltätigkeit sind familienpolitische Leistungen wie Kindergeld, die Förderung von Wohneigentum, Müttergehalt sowie der arbeitsfreie Familiensonntag zurückzuführen (Spieß 2004: 51). Ende des 19. Jahrhunderts wurden erstmals auf betrieblicher Ebene so genannte Kompensationskassen gegründet, um die Lasten der Lohnempfänger auszugleichen, die durch die Erziehung und Betreuung von Kindern entstanden. Nachdem die Arbeitnehmer diese zunächst freiwilligen Leistungen als Bestandteil des Arbeitsvertrages einforderten, entschieden die Gerichte, dass die betrieblichen Familienzuschläge Bestandteil des regulären Lohns seien. Daraufhin wurden die Familienleistungen der Kontrolle der Arbeitgeber entzogen und einer zunehmenden Kontrolle und staatlichen Regulierung unterworfen. 1920 erfolgten die Gründungen der ersten überbetrieblichen Familienausgleichskassen, die fortan die Auszahlung der familienpolitischen Leistungen der zugehörigen Unternehmen übernahmen. 1932 wurde ein Großteil der französischen Arbeitgeber verpflichtet, anerkannten Familienausgleichsfonds beizutreten. Auf Grund des anhaltenden Bevölkerungsrückgangs in den 1930er Jahren kam es 1939 mit dem Code de la Famille zu einer Vereinheitlichung und gesetzlichen Regulation der bis dato außerstaatlichen, von den Unternehmern entwickelten Familienpolitik. Heute werden familienpolitische Leistungen über die Caisse Nationale d’Allocation Familiale (CNAF), die französische Familienkasse, organisiert und finanziert. Sie finanziert sich zu einem Drittel aus Mitteln des Staates und zu zwei Dritteln aus Abgaben der Arbeitgeber sowie aus Tabaksteuererlösen (Spieß 2004: 50ff.). Kinderbetreuung als eine staatliche Aufgabe und Verantwortung ist bei den politischen und gesellschaftlichen Akteuren stark präsent. Betreuungseinrichtungen werden vom Staat auf vielerlei Art gefördert und bezuschusst. Dies ist ebenfalls historisch bedingt. Um den Einfluss der katholischen Kirche auf Familie und Erziehung zurückzudrängen, übernahm der französische Staat Ende des

Kinderlosigkeit in Frankreich

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19. Jahrhunderts die Kontrolle über das Bildungssystem. Im Jahr 1881 etablierte sich das französische republikanisch-laizistische Erziehungssystem als eine öffentliche Aufgabe (Veil 2002: 1). Die Kirche wurde aus dem staatlichen Schulwesen zurückgedrängt, um die Kinder zu loyalen republikanischen Bürgern zu erziehen. Kinder werden in Frankreich als „Zukunft der Nation“ (Letablier 2002: 171) angesehen und somit ist der Staat für ihr Wohlergehen, ihre Gesundheit und ihre Bildung verantwortlich. Die Chancengleichheit der Kinder soll unterstützt werden und deren Entwicklung sollte nicht abhängig vom Einkommen ihrer Eltern sein. Ein weiterer Grund für die Entwicklung staatlich geförderter Kinderbetreuung liegt in den unterschiedlichen Wertvorstellungen von Staat und Kirche begründet. Die Kirche setzte sich für katholische und konservative Werte ein, der Staat vertrat jedoch die republikanischen Werte – Prinzipien der Gleichheit und Freiheit. Frauen sollen einer Erwerbstätigkeit nachgehen können, wenn sie dies wünschen. Damit sie aber nicht auf die Realisierung eines Kinderwunsches verzichten müssen, unterstützt sie der Staat, indem er Kinderbetreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stellt. Die Geburt eines Kindes ist im Gegensatz zu Deutschland kein Grund, die Berufstätigkeit aufzugeben. Gegenwärtig besuchen fast alle Kinder zwischen drei und sechs Jahren eine Vorschule, obwohl der Besuch dieser Einrichtung nicht Pflicht ist. Somit ist die école maternelle zu einer fest verankerten Institution geworden. Die meisten Kinder werden zwischen 8.30 Uhr und 16.30 Uhr betreut, einige Vorschulen organisieren darüber hinaus weitere Betreuung (die so genannte garderie). Die meisten écoles maternelles sind staatlich und kostenlos; Eltern müssen lediglich einen kleinen Beitrag für das Mittagessen entrichten und je nach Einkommen für die Nutzung der garderie zahlen (Letablier 2002: 172). Neben diesen öffentlichen Dienstleistungen gibt es in Frankreich noch andere Formen der Kinderbetreuung. Vor allem bei der Betreuung von Kleinkindern bis zu drei Jahren wird oftmals auf eine private Form der Betreuung zurückgegriffen. Es gibt staatlich anerkannte Tagesmütter, die arbeits- und sozialrechtlich abgesichert sind. Damit die daraus entstehenden Kosten für die Eltern bezahlbar bleiben, haben sie die Möglichkeit, eine pauschale Beihilfe zu beziehen. Ferner erhalten sie einen finanziellen Zuschuss und Steuerermäßigungen. Die Beihilfe steht Eltern mit Kindern unter sechs Jahren zu Verfügung, die erwerbstätig sind und eine anerkannte Tagesmutter beschäftigen. Eltern können auch bei sich zuhause eine Kinderfrau beschäftigen, die im Haushalt mitarbeitet. Auch in diesem Fall kann man staatliche Unterstützung beantragen und Steuerermäßigungen in Anspruch nehmen (Becker 2000: 231f.). Für Schulkinder stehen in Frankreich Ganztagsschulen zur Verfügung. Der Unterricht beginnt um 8

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Katja Köppen, Magali Mazuy und Laurent Toulemon

Uhr und endet gewöhnlich um 16.30 Uhr, unterbrochen von einer Mittagspause zwischen 12 und 14 Uhr. Die Schulspeisung wird von den Eltern minimal mitfinanziert. Anschließend können die Kinder in der Vor- und Grundschule weiter betreut werden. Der Mittwoch ist schulfrei, Eltern müssen an diesem Tag für eine anderweitige Betreuung sorgen, Teilzeit arbeiten oder die 35-Stunden-Woche für einen arbeitsfreien Mittwoch nutzen. Doch nicht nur die besseren und günstigeren Betreuungseinrichtungen machen es französischen Frauen leichter, nach der Geburt wieder zu arbeiten. Auch finanzielle Zuwendungen fördern eine baldige Rückkehr in den Beruf. Monetäre Anreize, nach dem ersten Kind zuhause zu bleiben, sind in Frankreich geringer. Zuschüsse gab es – anders als in Deutschland – lange Zeit nur ab dem zweiten Kind, vor 1994 wurde sogar erst ab dem dritten Kind bezahlter Erziehungsurlaub angeboten. 2004 wurde schließlich auch für das erste Kind eine stärkere monetäre Unterstützung eingeführt. Das deutsche Steuersystem fördert mit dem so genannten Ehegatten-Splitting verheiratete Paare unabhängig davon, ob sie Kinder haben oder nicht. Besonders vorteilhaft ist das Modell, wenn nur einer der Partner erwerbstätig ist. Das französische Steuersystem basiert hingegen auf dem System des FamilienSplittings, d. h. es wird bei der Berechnung der Steuerlast nicht der Familienstand, sondern die Zahl der Kinder herangezogen. Die Steuerlast wird im Verhältnis zur Anzahl der Kinder reduziert, unabhängig von dem Erwerbsstatus der Partner. Am höchsten ist die steuerliche Entlastung für Familien mit mindestens drei Kindern sowie für sehr einkommensstarke Haushalte (Dingeldey 2000: 76). Dieses historisch gewachsene System von flächendeckender und kostengünstiger Kinderbetreuung, steuerlichen Vorteilen für kinderreiche Familien sowie einer starken gesellschaftlichen Anerkennung und Wertschätzung von Kindern und Kindererziehung ist ein wichtiger Grund für die hohen Geburtenraten, aber auch für eine hohe Erwerbsorientierung französischer Frauen und insbesondere Mütter. Das Entscheidungsdilemma ‚Beruf oder Familie’, vor dem deutsche Frauen oftmals stehen, ist in Frankreich weit weniger stark ausgeprägt.

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Kinderlosigkeit in Frankreich

3

Frauenerwerbstätigkeit

Ebenso wie in Deutschland stieg der Anteil der Frauen mit höheren Bildungsabschlüssen in den letzten Jahrzehnten in Frankreich an. Seit den 1960er Jahren ist auch ein kontinuierlicher Anstieg der Frauenerwerbsquote erfolgt. Vor allem die Erwerbsquoten der Mütter gehören heute zu den höchsten in Europa (Eurostat 2003). Tabelle 1 zeigt die Entwicklung der Müttererwerbstätigkeit in Frankreich für die Jahre 1990, 1995 und 2000. Die Erwerbsquoten stiegen während dieses Zeitraumes stetig an, selbst für Mütter mit drei und mehr Kindern. Erwähnenswert ist der Rückgang der Erwerbsquoten im Jahr 2000 für Mütter mit zwei Kindern, deren jüngstes Kind unter 3 Jahre alt ist. Ein wesentlicher Grund hierfür dürften die veränderten Regelungen zur Elternzeit sein, die es Frauen seit 1994 ermöglichen, ab dem zweiten Kind Erziehungsgeld zu beziehen – zuvor war dies nur ab dem dritten Kind möglich. Vor allem junge und gering qualifizierte Frauen nahmen dieses Angebot in Anspruch – ein Drittel der Antragsteller war arbeitslos (Reuter 2002: 19). Tabelle 1: Erwerbsquote von Müttern, die in einer Partnerschaft leben, nach Anzahl ihrer Kinder und Alter des jüngsten Kindes, 1990, 1995 und 2000 1990

1995

2000

unter 3

3 bis 5

unter 3

3 bis 5

unter 3

3 bis 5

1 Kind

76,6

83,2

79,8

82,9

81,3

85,5

2 Kinder

66,3

75,7

68,0

78,3

56,5

81,4

3 und mehr Kinder

31,7

43,8

32,6

56,2

36,1

60,2

Insgesamt

61,2

68,0

64,3

72,6

61,6

76,2

Anzahl der Kinder

Quelle: Avenel und Roth (2001)

Die Änderungen zum Erziehungsgeld im Jahr 1994 zogen offenbar die arbeitsmarktspezifische Konsequenz nach sich, Frauen zumindest kurzfristig aus dem Berufsleben auszugliedern. Ein in diesem Zusammenhang wichtiger Aspekt sind die hohen Arbeitslosenquoten der französischen Frauen. Deren Arbeitslosigkeit übersteigt die der Männer trotz der Tatsache, dass Frauen öfter im tertiären Sektor arbeiten, der strukturell weniger von Arbeitslosigkeit betroffen ist als andere Sektoren (Toulemon und Guibert-Lantoine 1998: 4). Vor allem junge Frauen sind überproportional häufig von Arbeitslosigkeit betroffen. Im Juni 2000 waren 21 Prozent aller jungen Frauen unter 25 Jahren arbeitslos (INSEE 2006b). In

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Katja Köppen, Magali Mazuy und Laurent Toulemon

Deutschland (Ost- und Westdeutschland zusammen) lag die Arbeitslosenquote dagegen im gleichen Zeitraum bei 12 Prozent (Statistisches Bundesamt 2006b). Eine französische Besonderheit ist zudem der hohe Anteil von Frauen in Vollzeiterwerbstätigkeit. Bis Anfang der 1990er Jahre waren weniger als 25 Prozent teilzeitbeschäftigt, und fast 30 Prozent dieser Frauen präferierten die Vollzeiterwerbstätigkeit. In jüngerer Zeit stiegen die Teilzeiterwerbsquoten in Frankreich leicht an, sie liegen aber immer noch unter denen in Deutschland (Eurostat 2001).

4

Allgemeine Geburtenentwicklung und ideale Familiengröße

Bis in die 1970er Jahre hinein dominierte auch in Frankreich die traditionelle Form des Familienlebens: Eine Familie bestand aus dem männlichen Ernährer (male breadwinner) und der Hausfrau und Mutter, die meistens drei Kinder oder sogar mehr versorgte. Seit Anfang der 1980er haben alternative Formen der Familie an Bedeutung gewonnen, vor allem nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern gehören heute in Frankreich mit zum Alltagsbild. Fast 48 Prozent der Kinder wurden im Jahr 2004 nichtehelich geboren (INSEE 2005). Für Erstgeburten liegt diese Zahl noch höher: 59 Prozent wurden 2005 außerhalb einer Ehe geboren (INSEE 2006a). Ebenso wie in Ostdeutschland ist die Geburt eines Kindes in Frankreich nicht mehr direkt mit der Heirat der Eltern verbunden. Der Hauptunterschied zu Deutschland besteht in den Kinderzahlen. Frankreich hat eine der höchsten Geburtenraten in Europa. Seit 1975 blieb die zusammengefasste Geburtenziffer mehr oder weniger stabil auf einem relativ hohen Niveau von 1,8 Kindern pro Frau. Neueste Zahlen deuten sogar auf einen leichten Anstieg hin (Abbildung 1). Auch aus der Kohortenperspektive bestehen große Unterschiede zwischen den beiden Nachbarländern. Während Frauen, die 1960 geboren wurden, in Frankreich noch das Generationenersatzniveau von 2,1 Kindern pro Frau erreichten, liegt die durchschnittliche Kinderzahl in Gesamtdeutschland bei 1,65 Kindern pro Frau (Europarat 2004).

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Kinderlosigkeit in Frankreich

Abbildung 1: Zusammengefasste Geburtenziffer, Frankreich 1960-2005, Westund Ostdeutschland 1960-2004 (Ostdeutschland ab 2001 ohne Berlin) 3.5 3.0 2.5 2.0 1.5 1.0 0.5 0.0 1960

1965

1970

Frankreich

1975

1980

1985

Westdeutschland

1990

1995

2000

2005

Ostdeutschland

Quelle: Europarat (2004); INSEE (2006a); Statistisches Bundesamt (2006a), die Daten für Westdeutschland 2004 und Ostdeutschland ab 2001 wurden uns auf Basis einer persönlichen Anfrage vom Statistischen Bundesamt bereitgestellt.

Nicht nur die realisierte Geburtenzahl, sondern auch der allgemeine Kinderwunsch ist in Frankreich hoch. Bei der Betrachtung der idealen Familiengröße, d. h. der Anzahl von Kindern, die man für sich persönlich als ideal ansieht, hatte Frankreich 2001 zusammen mit Irland, Finnland und Großbritannien die höchste durchschnittliche Kinderzahl in der Europäischen Union (Toulemon und Leridon 1999; Goldstein, Lutz und Testa 2003). Das Ideal für die meisten Franzosen sind noch immer zwei oder drei Kinder. Im Durchschnitt nannten die französischen Befragten 2,6 Kinder als die ideale Familiengröße. Weniger als 5 Prozent betrachten kinderlose Lebensformen als wünschenswert (Toulemon 2001b). Im Gegensatz dazu liegt die durchschnittlich gewünschte Kinderzahl in Deutschland unter 2 – so niedrig wie in keinem anderen europäischen Land (Dorbritz und Ruckdeschel, in diesem Band). Im Folgenden soll das Ausmaß der Kinderlosigkeit näher beleuchtet werden.

90

Katja Köppen, Magali Mazuy und Laurent Toulemon

5

Kinderlosigkeit

5.1

Wie wird Kinderlosigkeit in Frankreich gemessen?

Um die Kinderlosigkeit in Frankreich darzustellen, stehen drei verschiedene Quellen zur Verfügung: Die Volkszählung, das amtliche Meldewesen und verschiedene Umfragen. Ähnlich wie in Deutschland gibt es auch in Frankreich einige Probleme bei der Messung von Kinderlosigkeit. Das französische Einwohnermeldewesen registriert zwar die Reihenfolge der Geburten, allerdings wird ebenso wie in Deutschland die Kinderzahl einer Frau nicht nach der biologischen Reihenfolge, sondern nach der Anzahl der Kinder in der bestehenden Ehe registriert (Toulemon 2001a). Nichtehelich geborene Kinder können somit die tatsächliche Rangfolge der Geburten verzerren. Die Volkszählung enthielt 1946 zwar eine Frage nach der Anzahl aller biologischen Kinder einer Frau, diese wurde 1954 jedoch wieder entfernt. Trotzdem ist es möglich, relativ zuverlässige Aussagen über das Ausmaß der Kinderlosigkeit in Frankreich zu treffen. Seit 1982 führt das Nationale Institut für Statistik und Wirtschaftswissenschaften (INSEE) eine Befragung zum Thema Familie durch, bei der 2 Prozent aller Frauen befragt werden. Dort wird auch die Frage nach der tatsächlichen Reihenfolge der Geburten gestellt. Anhand der Umfragedaten sowie der Volkszählung von 1946 ist es möglich, die komplette Fertilitätsgeschichte der Frauen darzustellen, die im Laufe des 20. Jahrhunderts geboren wurden. Verlässliche Aussagen können jedoch nur für Frauen über 45 bzw. – mit leichten Unsicherheiten – für Frauen über 40 getroffen werden. Für die Geburtskohorten nach 1960 können nur Prognosen aufgestellt werden, da diese ihre Fertilität noch nicht endgültig abgeschlossen haben. Für die nachfolgenden Analysen wurde der enquête Etude de l'Histoire Familiale verwendet, eine repräsentative Befragung zur Familiengeschichte, die parallel zur Volkszählung 1999 durchgeführt wurde und die Lebensgeschichten von ca. 380.000 Männern und Frauen enthält.

5.2

Entwicklung der Kinderlosigkeit

Im Folgenden wird zuerst ein Vergleich des durchschnittlichen Alters bei der ersten Geburt in Deutschland und Frankreich erfolgen, um daran anschließend

91

Kinderlosigkeit in Frankreich

Tabelle 2: Mittleres Alter bei Geburt des ersten Kindes, Frankreich 1960-1998 und Ost- und Westdeutschland 1960-1995 Frankreich

Westdeutschland

Ostdeutschland

1960

24,1

24,9

23,9

1965

23,8

24,3

23,6

1970

24

23,8

23,3

1975

24,4

24,4

23,4

1980

24,9

25

23,5

1985

25,7

26,2

24,1

1990

26,6

26,6

24,6

1995

27,4

27,1

26,3

1998

27,7

k.a.

27,3

Quelle: INSEE, enquête Étude de l’Histoire Familiale 1999- Toulemon und Mazuy (2001) (für Frankreich); Schätzungen nach Birg et. al. (1990) und Schätzungen basierend auf Kreyenfeld (2002) (für Westdeutschland); Eurostat (2003) (für Ostdeutschland, Geburten innerhalb der bestehenden Ehe)

die Entwicklung der Kinderlosigkeit speziell in Frankreich zu erläutern. Ein Blick auf das durchschnittliche Alter der Frau bei der Geburt ihres ersten Kindes zeigt in beiden Ländern eine deutliche Verschiebung in Richtung der oberen Altersstufen. Bekamen westdeutsche Frauen ihr erstes Kind 1970 im Durchschnitt mit 23,8 Jahren, stieg dieser Wert 1995 auf 27,1 Jahre. Auch die französischen Frauen bekommen ihre Kinder immer später. Das Durchschnittsalter bei der ersten Geburt stieg von 24 Jahren in den frühen 1970ern auf 27,7 Jahre im Jahr 1998. Am jüngsten sind Frauen in Ostdeutschland, doch auch bei ihnen zeigt sich eine Erhöhung des Erstgeburtsalters (Tabelle 2). Obwohl eine Verschiebung der Familiengründung in beiden Ländern beobachtet werden kann, geht der Prozess des Aufschubes von Geburten nur in Deutschland mit einem Anstieg der lebenslangen Kinderlosigkeit einher. In Frankreich ist die Entwicklung des Anstiegs des Alters bei erster Mutterschaft nicht mit einer höheren Kinderlosigkeit verbunden. Frauen, die 1960 in Frankreich geboren wurden, blieben nur zu 11 Prozent kinderlos (Toulemon und Mazuy 2001). Damit nimmt Frankreich nicht nur in der Höhe der Geburtenraten,

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Katja Köppen, Magali Mazuy und Laurent Toulemon

Abbildung 2: Familiengröße nach Geburtsjahrgang, französische Frauen, Kohorten 1920-1960 %

45 40 35 4+

30

3 25

2

20

1 0

15 10 5 0 1920

1925

1930

1935

1940

1945

1950

1955

1960

Geburtsjahrgang

Quelle: INSEE, enquête Étude de l’Histoire Familiale 1999 ; Toulemon und Mazuy (2001)

sondern auch in dem geringen Ausmaß der Kinderlosigkeit eine Spitzenposition in Westeuropa ein. Nur in den osteuropäischen Ländern ist die Kinderlosigkeit momentan noch niedriger. Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der Familiengröße, also den Anteil der Frauen nach der Anzahl ihrer Kinder. Der Anteil der kinderlosen Frauen in Frankreich liegt seit dem Geburtsjahrgang 1935 relativ stabil zwischen 10 und 12 Prozent. Der Großteil der Frauen bekommt mindestens zwei Kinder. Für die Kohorten, die ab 1930 geboren wurden, lässt sich ein Rückgang der kinderreichen Familien (4 und mehr Kinder) zu Gunsten der Familien mit zwei Kindern beobachten. Dennoch haben auch die Frauen, die 1960 geboren worden sind, noch öfter drei Kinder als nur ein einziges Kind. Dieser hohe Anteil ist auch auf die französische ‚Drei-Kind-Politik’ zurückzuführen, die monetäre und fiskalische Anreize vor allem ab dem dritten Kind vorsieht. Abbildung 3 zeigt den Anteil kinderloser Frauen nach Geburtsjahrgang und Alter. Bemerkenswert ist der U-förmige Verlauf der Kurven. Von den zu An-

93

Kinderlosigkeit in Frankreich

Abbildung 3: Anteil kinderloser Frauen in Frankreich im Alter 25, 30, 35, 40 und 45, Kohorten 1893-1969 % 100 90 80 25 70

30

60

35

50

40 45

40 30 20 10 0 vor 1910- 1915- 1920- 1925- 1930- 1935- 1940- 1945- 1950- 1955- 1960- 19651910 1914 1919 1924 1929 1934 1939 1944 1949 1954 1959 1964 1969 Geburtsjahrgang

Quelle: INSEE, enquête Étude de l’Histoire Familiale (1999), eigene Berechnungen

fang des 20. Jahrhunderts in Frankreich geborenen Frauen blieb – vor allem aufgrund des Männermangels infolge der beiden Weltkriege (Onnen-Isemann 2003) – fast ein Viertel kinderlos. Für die folgenden Kohorten sank der Anteil der Kinderlosen, wobei für die jüngsten Kohorten wiederum ein leichter Anstieg zu erkennen ist. Allerdings lässt sich für die jüngeren Kohorten die endgültige Kinderlosigkeit noch nicht verlässlich abschätzen, da die Frauen der Kohorten, die ab 1960 geboren sind, noch nicht das Ende ihrer reproduktiven Phase erreicht haben (Toulemon und Mazuy 2001).

5.3

Unterschiede in der Kinderlosigkeit nach Bildungsabschluss und Beruf der Frau

Der Übergang in die Elternschaft stellt sich vollkommen unterschiedlich für die einzelnen Bildungsgruppen dar. Frauen mit einem niedrigen Abschluss bekommen ihr erstes Kind früher als höher gebildete Frauen und häufiger bald nach

94

Katja Köppen, Magali Mazuy und Laurent Toulemon

dem Beginn der ersten Partnerschaft. Allerdings sind sie beim ersten Kind auch öfter allein erziehend. Der Anteil allein erziehender Frauen ist geringer für Höhergebildete, welche ihr erstes Kind öfter in der zweiten oder sogar dritten Lebensgemeinschaft bekommen. Je höher die Bildung, umso länger die Dauer der Partnerschaft, bevor das erste Kind geboren wird (Mazuy 2006). Ähnlich wie in anderen Ländern ist der Anteil Kinderloser auch in Frankreich bei Frauen mit einem Universitätsabschluss am höchsten.1 Der überdurchschnittliche Anteil an Kinderlosen unter Akademikerinnen ist jedoch kein Novum, da Frauen, die vor dem 2. Weltkrieg geboren wurden, ebenfalls eine hohe Kinderlosigkeit aufweisen (Abbildung 4a). Der höhere Anteil kinderloser Frauen unter Akademikerinnen hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass höher qualifizierte Frauen älter bei Beginn der ersten Partnerschaft sind und häufiger ledig bleiben als geringer qualifizierte Frauen (Robert-Bobée und Mazuy 2005). Betrachtet man nur diejenigen Frauen, die in einer Partnerschaft leben bzw. schon jemals in einer Partnerschaft gelebt haben, sinkt der Anteil der Kinderlosigkeit in allen Bildungsgruppen. Allerdings ist auch unter denjenigen Frauen, die in einer Partnerschaft leben (gelebt haben), der Anteil der Kinderlosen in der Gruppe der hoch gebildeten Frauen am höchsten (Abbildung 4b). Auch ist nun der U-förmige Verlauf der Kurven, d. h. der hohe Anteil Kinderloser in den sehr alten und sehr jungen Kohorten kaum noch zu erkennen. Das bedeutet, dass die hohe Kinderlosigkeit der älteren Geburtsjahrgänge vor allem dadurch begründet ist, dass viele Frauen dieser Jahrgänge ledig geblieben sind. Die Kinderlosigkeit variiert nicht nur mit dem Bildungsabschluss, sondern auch mit dem beruflichen Status. Angestellte vor allem in leitenden Positionen (die so genannten cadres) bleiben öfter kinderlos als Arbeiterinnen, Selbstständige oder Frauen, die noch nie gearbeitet haben. Die niedrigste Kinderlosigkeit in Frankreich haben Frauen, die in der Landwirtschaft tätig sind (Abbildung 5a). Wiederum sinkt der Anteil kinderloser Frauen, wenn wir diejenigen Frauen ausschließen, die noch nie in einer Partnerschaft gelebt haben. Die relativen Unterschiede zwischen den Berufsgruppen bleiben jedoch erhalten (Abbildung 5b).

1

Die französischen Bildungsabschlüsse wurden wie folgt definiert: 1. Collège = Gesamtschule, Höchstalter 16 Jahre; 2. CAP-BEP = berufliche Schulen nach dem Collège, Dauer 2-3 Jahre; 3. Baccalauréat = Abitur, Zugangsvoraussetzung für die Universität; 4. Sup = alle weiterführenden Abschlüsse wie Universität oder technische Hochschulen.

95

Kinderlosigkeit in Frankreich

Abbildung 4a: Anteil kinderloser Frauen in Frankreich nach Bildungsabschluss, Kohorten 1893-1966 %

30 25 college

20

CAP-BEP

15

Bacc sup

10 5 0 -1926

1927-31 1932-36 1937-41 1942-46 1947-51 1952-56 1957-61 1962-66 Geburtsjahrgang

Quelle: INSEE, enquête Étude de l’Histoire Familiale (1999), eigene Berechnungen

Abbildung 4b: Anteil kinderloser Frauen, in Frankreich die jemals in einer Partnerschaft gelebt haben, nach Bildungsabschluss, Kohorten 1893-1966 %

30 25 college

20

CAP-BEP

15

Bacc

sup

10 5 0 -1926

1927-31 1932-36 1937-41 1942-46 1947-51 1952-56 1957-61 1962-66 Geburtsjahrgang

Quelle: INSEE, enquête Étude de l’Histoire Familiale (1999), eigene Berechnungen

96

Katja Köppen, Magali Mazuy und Laurent Toulemon

Abbildung 5a: Anteil kinderloser Frauen in Frankreich nach Beruf, Kohorten 1893-1966 %

Landwirte

40 Selbständige

35 höhere Angestellte

30 25

mittlere Angestellte

20

einfache Angestellte

15

Arbeiter

10 noch nie erwerbstäig

5 0 -1926

192731

193236

193741

194246

194751

195256

195761

196266

Geburtsjahrgang

Quelle : INSEE, enquête Étude de l’Histoire Familiale (1999), eigene Berechnungen

Abbildung 5b: Anteil kinderloser Frauen, die jemals in einer Partnerschaft gelebt haben, in Frankreich nach Beruf, Kohorten 1893-1966 %

Landwirte

30 Selbständige

25

höhere Angestellte mittlere Angestellte

20

einfache Angestellte

15

Arbeiter

10

noch nie erwerbstäig

5 0 -1926

192731

193236

193741

194246

194751

195256

195761

196266

Geburtsjahrgang

Quelle : INSEE, enquête Étude de l’Histoire Familiale (1999), eigene Berechnungen

Kinderlosigkeit in Frankreich

5.4

97

Kinderlosigkeit bei Männern

Die Interpretation von dauerhafter Kinderlosigkeit bei Männern bringt spezielle Probleme mit sich. Während Geburten einer Frau immer direkt zugeordnet werden können, gestaltet sich dies bei Männern schwieriger. Einige Männer wissen nichts von ihrer Vaterschaft. Für ungefähr zwei Prozent aller Kinder gilt, dass sie nicht von den Vätern anerkannt werden. Dies führt dazu, dass man die Kinderlosigkeit von Männern, die man auf Basis von Befragungsdaten ermittelt, tendenziell überschätzt (Toulemon und Lapierre-Adamcyk 2000). Hinzu kommt, dass das Ende einer reproduktiven Phase bei Männern schwerer abgrenzbar ist und Männer außerdem älter als Frauen bei der Geburt ihrer Kinder sind. Dies zeigt sich auch in unseren Analysen. Während fast 70 Prozent der Frauen der Geburtsjahrgänge 1940-44 mit 25 bereits Mutter waren, hatte etwas weniger als die Hälfte der Männer zu diesem Zeitpunkt ein Kind (Abbildung 6). Der Unterschied zwischen den Geschlechtern beträgt zum Beispiel für die Geburtsjahrgänge 1930-39 über fünf Prozentpunkte und für jüngere Kohorten bis zu 11 Prozentpunkte. Ein weiterer Grund für Unterschiede in der Kinderlosigkeit zwischen Männern und Frauen können Ungleichgewichte auf dem Heiratsmarkt sein, die durch Änderung in der relativen Verfügbarkeit eines Geschlechtes entstehen. Dies führt entweder zu besonders guten Heiratschancen für Frauen (damit zu besonders schlechten für Männer) oder umgekehrt. Dies trifft anscheinend auf die Kohorten, die nach 1940 geboren wurden, in Frankreich zu. Verheiratete Männer dieser Jahrgänge sind fast zum gleichen Teil kinderlos geblieben wie verheiratete Frauen, während allein stehende Männer eine deutliche höhere Kinderlosigkeit aufweisen. Der Hauptgrund hierfür sind geschlechtsspezifische Einwanderungsprozesse. Da mehr Männer als Frauen nach Frankreich immigrieren, gibt es einen Überschuss an potenziellen Heiratspartnern vor allem unter Männern im reproduktiven Alter. Männer bleiben demzufolge häufiger ledig und dies hat einen Einfluss auf den Anteil an Kinderlosen (Toulemon 1996: 8).

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Katja Köppen, Magali Mazuy und Laurent Toulemon

Abbildung 6: Anteil kinderloser Männer in Frankreich im Alter 25, 30, 35, 40, 45 und 60, Kohorten 1893-1969 % 100 90 80

25 70

30

60

35

50

40

40

45

60

30 20 10 0 vor 1910

19151919

19251929

19351939

19451949

19551959

19651969 Geburtsjahrgang

Quelle: INSEE, enquête Étude de l’Histoire Familiale (1999), eigene Berechnungen

Der Effekt der Bildung ist für Männer genau umgekehrt zu dem der Frauen. Es gibt kaum Unterschiede im Ausmaß der Kinderlosigkeit zwischen niedrig, mittel oder höher gebildeten Männern. Im Gegenteil, Männer mit einem niedrigeren Bildungsabschluss bleiben öfter kinderlos als andere Männer (Abbildung 7a). Diese Unterschiede verschwinden jedoch, wenn diejenigen Männer ausgeschlossen werden, die noch nie in einer festen Beziehung gelebt haben (Abbildung 7b). Die erhöhte Kinderlosigkeit niedrig qualifizierter Männer kann demnach vor allem durch den Partnerschaftsstatus erklärt werden. Sie sind häufiger aus dem Heiratsmarkt ausgeschlossen als niedrig gebildete Frauen (Toulemon and Lapierre-Adamcyk 2000; Mazuy 2002). Die Unterschiede im Ausmaß der Kinderlosigkeit sind für Männer zwischen den einzelnen Berufsgruppen größer als zwischen den verschiedenen Bildungsniveaus. Wir finden, wie schon bei der Bildung, einen umgekehrten Effekt zu dem der Frauen. Je höher ihr Berufsstatus, desto seltener bleiben sie kinderlos2

2

Männer, die niemals erwerbstätig waren, bleiben zu weit mehr als die Hälfte kinderlos. Diese Gruppe ist jedoch sehr klein, weshalb sie nicht in der Abbildung aufgeführt wird.

99

Kinderlosigkeit in Frankreich

Abbildung 7a: Anteil kinderloser Männer in Frankreich nach Bildungsabschluss, Kohorten 1893-1966 %

40 35 30 college 25

CAP-BEP

20

Bacc sup

15 10 5 0 -1926

1927-31

1932-36

1937-41

1942-46

1947-51

1952-56

1957-61

1962-66 Geburtsjahrgang

Quelle : INSEE, enquête Étude de l’Histoire Familiale (1999), eigene Berechnungen

Abbildung 7b: Anteil kinderloser Männer, die jemals in einer Partnerschaft gelebt haben, in Frankreich nach Bildungsabschluss, Kohorten 1893-1966 %

30

25 college 20

CAP-BEP Bacc

15

sup

10

5

0 -1926

1927-31 1932-36 1937-41 1942-46 1947-51 1952-56 1957-61 1962-66 Geburtsjahrgang

Quelle : INSEE, enquête Étude de l’Histoire Familiale (1999), eigene Berechnungen

100

Katja Köppen, Magali Mazuy und Laurent Toulemon

Abbildung 8a: Anteil kinderloser Männer in Frankreich nach Beruf, Kohorten 1893-1966 %

Landwirte

40 Selbständige

35 30

höhere Angestellte

25

mittlere Angestellte

20

einfache Angestellte Arbeiter

15 10 5 0 -1926 1927-31 1932-36 1937-41 1942-46 1947-51 1952-56 1957-61 1962-66 Geburtsjahrgang

Quelle : INSEE, enquête Étude de l’Histoire Familiale (1999), eigene Berechnungen

Abbildung 8b: Anteil kinderloser Männer, die jemals in einer Partnerschaft gelebt haben in Frankreich nach Beruf, Kohorten 1893-1966 % 40 Landwirte

35 Selbständige

30 25

höhere Angestellte

20

mittlere Angestellte

15

einfache Angestellte Arbeiter

10 5 0 -1926 1927-31 1932-36 1937-41 1942-46 1947-51 1952-56 1957-61 1962-66 Geburtsjahrgang

Quelle : INSEE, enquête Étude de l’Histoire Familiale (1999), eigene Berechnungen

Kinderlosigkeit in Frankreich

101

(Abbildung 8a). Landarbeiter, Arbeiter und einfache Angestellte bleiben öfter kinderlos als höhere Angestellte oder Selbständige. Das gleiche Bild ist erkennbar, wenn nur die Männer betrachtet werden, die jemals in einer Partnerschaft gelebt haben. Allerdings werden die Unterschiede zwischen den einzelnen Berufsgruppen kleiner, und auch der Anteil kinderloser Männer ist geringer (Abbildung 8b). Vor allem Männer, die in der Landwirtschaft arbeiten, sind nun seltener kinderlos. Demnach ist es wiederum der erhöhte Anteil lediger Männer, der zu einem Anstieg der Kinderlosigkeit in bestimmten Gruppen beiträgt.

6

Schlussfolgerungen

Das Ziel dieses Beitrags war es, einen Überblick über die Entwicklung der Kinderlosigkeit in Frankreich zu geben und die dahinter stehenden Rahmenbedingungen näher zu erläutern. Im westeuropäischen Durchschnitt hat Frankreich einen der niedrigsten Anteile zeitlebens kinderloser Frauen (und Männer). Gefragt nach ihrer idealen Kinderzahl, kann sich nur ein verschwindend geringer Teil der französischen Frauen und Männer ein Leben ohne Kinder vorstellen. Eine wichtige Voraussetzung dafür liegt im französischen System der staatlichen Zuschüsse für Familien, vor allem aber im gut ausgebauten Netz der Kinderbetreuung begründet. Die Vereinbarkeit von Familienarbeit und Erwerbstätigkeit wird in Frankreich von Staat und Gesellschaft aus den verschiedensten Gründen nachhaltig gefördert und unterstützt. Das Ausmaß der Kinderlosigkeit ist jedoch auch in Frankreich nicht für alle gesellschaftlichen Gruppen gleich groß – es gibt Unterschiede zwischen den Geburtsjahrgängen, den Geschlechtern sowie zwischen einzelnen Bildungs- und Berufsgruppen. Für Männer wie für Frauen lässt sich ein Anstieg der Kinderlosigkeit unter den jüngeren Geburtskohorten beobachten und dieser Anstieg ist unabhängig von Bildungsabschluss oder beruflichem Status. Jedoch ist für diese Kohorten noch nicht absehbar, ob es sich nur um einen Aufschub der Geburt des ersten Kindes oder um einen vollständigen Verzicht auf Kinder handelt. Da das Alter bei der ersten Geburt in Frankreich stark angestiegen und die Geburtenrate parallel dazu nicht gesunken ist, kann davon ausgegangen werden, dass ein Großteil der Männer und Frauen noch ihren Kinderwunsch realisieren wird. Die Kinderlosigkeit unter Männern ist in Frankreich höher als unter Frauen, was sich zum Teil auf Probleme bei der Erfassung der Kinderzahl von Männern zurückzuführen ist. Auch spielen für die Erklärung der höheren Anteile kinder-

102

Katja Köppen, Magali Mazuy und Laurent Toulemon

loser Männer Ungleichgewichte in der Geschlechterproportion eine Rolle. Verheiratete Männer bleiben jedoch ebenso häufig kinderlos wie verheiratete Frauen. Überhaupt ist der Partnerschaftsstatus ein entscheidender Parameter im Hinblick auf das Ausmaß von Kinderlosigkeit. Männer und Frauen, die noch nie in einer festen Partnerschaft gelebt haben – sei es in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft oder einer Ehe – bleiben zu einem viel höherem Anteil kinderlos als diejenigen, die in einer Paarbeziehung leben oder gelebt haben. Da mehr als 90 Prozent der Männer und Frauen in den untersuchten Geburtskohorten partnerschaftserfahren sind, kann ein Großteil der Kinderlosigkeit auf diejenigen 10 Prozent zurückgeführt werden, die lebenslang partnerlos geblieben sind bzw. bis zum Interviewzeitpunkt ledig waren. Trotz der guten Rahmenbedingungen, die es Frauen erleichtern, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren, bleiben auch in Frankreich Akademikerinnen häufiger kinderlos als Frauen mit einem niedrigeren Bildungsniveau. Während der Phase im Leben, in der der Großteil der Frauen eine Familie gründet, sind Akademikerinnen oftmals noch in der Ausbildung oder versuchen, sich im Berufsleben zu etablieren. Je älter sie werden, desto öfter kann ein vormals vorhandener Kinderwunsch ungewollt in medizinisch bedingte Kinderlosigkeit übergehen. Im Gegensatz dazu gibt es bei Männern nur geringe bildungsspezifische Unterschiede in der Kinderlosigkeit. Männer mit einem niedrigen Bildungsabschluss bleiben häufiger ohne Partnerin und damit öfter kinderlos als höher gebildete Männer. Dieses Muster spiegelt sich auch in den Berufsgruppen wider: Hier sind es die einfachen Arbeiter, Landwirte und Arbeiter, die öfter kinderlos bleiben. Häufig ist diese Gruppe Männer in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt und verdient weniger. Eine unsichere ökonomische Situation des Mannes führt auch in Frankreich dazu, dass die Ehe- und Familiengründung aufgeschoben bzw. ganz unterlassen wird (Mills und Blossfeld 2003; Oppenheimer 1988). Es wird interessant bleiben, die weitere Entwicklung der Kinderlosigkeit in Frankreich zu beobachten. Eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit sowie der Anstieg von Teilzeitjobs können für junge Erwachsene, vor allem für Männer die ökonomische Unsicherheit verstärken und zu einem Aufschub des Kinderwunsches führen. Gleichzeitig bieten die Einführung des Erziehungsgeldes für das erste Kind und der Ausbau öffentlicher Kinderbetreuung einen Anreiz, Kinder zu bekommen. Welche Faktoren stärker sein werden, wird sich erst in den kommenden Jahren abzeichnen, wenn das Ausmaß der endgültigen Kinderlosigkeit für Frauen und Männer der Geburtsjahrgänge 1960-1970 absehbar sein wird.

Kinderlosigkeit in Frankreich

103

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Kinderlosigkeit, Bildungsrichtung und Bildungsniveau. Ergebnisse einer Untersuchung schwedischer Frauen der Geburtenjahrgänge 1955-591 Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson

1

Einleitung

Der Zusammenhang zwischen Bildung und Kinderlosigkeit gehört seit langem zu den Kernthemen der demographischen Forschung. Studien zur Kinderlosigkeit in westlichen Ländern kommen im Allgemeinen zum gleichen Ergebnis: Je höher das erreichte Bildungsniveau, desto höher der Anteil kinderlos bleibender Frauen. Für diesen Befund werden verschiedene Erklärungen geboten: Aus ökonomischer Sicht wird argumentiert, dass Mutterschaft für Frauen mit höheren Bildungsabschlüssen höhere Opportunitätskosten mit sich bringe, weil die mutterschaftsbedingten Verluste an Einkommen und Humankapital für Frauen mit höheren Bildungsinvestitionen größer seien als für Frauen mit geringeren Bildungsinvestitionen (Becker 1960, 1981; Cigno 1991). Feministische Ansätze betonen demgegenüber, dass ein höherer Bildungsabschluss Frauen größere ökonomische Unabhängigkeit und Eigenständigkeit ermögliche und sie daher seltener eine Ehe eingingen (Oppenheimer 1994). Da unverheiratete Frauen häufiger kinderlos blieben als verheiratete Frauen, steige der Anteil der Kinderlosen unter den hoch qualifizierten Frauen (Grünheid 2004; Blossfeld und Jaenichen 1992; Blossfeld und Huinink 1991; Kiernan 1989; Hobcraft und Kiernan 1995). Auf den Wertewandel abstellende Erklärungen interpretieren Kinderlosigkeit als Folge einer Diversifikation von Lebensentwürfen (Lesthaeghe 1983; van de Kaa 1

Dieser Beitrag basiert auf dem Artikel ‚Education and childlessness: The relationship between educational field, educational level, and childlessness among Swedish women born in 1955-59’ (Hoem, Neyer und Andersson 2006a). Ein komplementärer Artikel, ‚Educational attainment and ultimate fertility among Swedish women born in 1955-59’ (Hoem, Neyer und Andersson 2006b), untersucht den Zusammenhang zwischen Bildungsrichtung, Bildungsniveau und Kinderzahl. Beide Artikel beinhalten zusätzliche Informationen, die wir aus Platzgründen in diesem Beitrag nicht präsentieren können. Wir danken dem schwedischen Statistiska centralbyrån (SCB) für die Bereitstellung der Daten und für Erklärungen zu den vielen Details des schwedischen Bildungsregisters, sowie Susann Backer und Anne Hornung für Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrags.

106

Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson

1987, 1996; Surkyn und Lesthaeghe 2004; Lappegård 2002). Frauen mit höheren Bildungsabschlüssen stehe ein breiteres Spektrum an Lebensgestaltungsmöglichkeiten offen, sodass Kinder zu haben gegenüber anderen Lebensentwürfen nachrangig werde (Rindfuss, Morgan und Offutt 1996). Aus einer Lebensverlaufsperspektive betrachtet wird schließlich darauf verwiesen, dass längere Ausbildungszeiten zu einem Aufschub der Elternschaft führen, möglicherweise bis in ein Alter, in dem die Empfängnisbereitschaft reduziert ist. Dies könne in einer höheren Kinderlosigkeit unter Frauen mit langer Ausbildungsdauer resultieren (Rindfuss und Bumpass 1976; Rindfuss, Bumpass und St. John 1980; Kravdal 2001; Gustafsson 2001). Insgesamt betrachtet richten Forscher und Forscherinnen, die den Zusammenhang zwischen Bildung und Kinderlosigkeit untersuchen, ihre Aufmerksamkeit vor allem auf zwei Dimensionen der formalen Bildung: Erstens konzentrieren sie sich überwiegend auf das Bildungsniveau und dessen Auswirkung auf das reproduktive Verhalten. Zweitens wird das erreichte Bildungsniveau primär als ein individuelles Attribut gesehen, als Maß für das Humankapital, das kulturelle Kapital und zu einem gewissen Grad auch das biologische Kapital einer Frau. Wir fügen diesem Bild zwei weitere Faktoren hinzu. Erstens erweitern wir das Konzept von Bildung um die Dimension der Bildungsrichtung.2 Die Ergebnisse zeigen, dass die Bildungsrichtung ein wesentlicherer Indikator für Kinderlosigkeit ist als das Bildungsniveau. Zweitens verdeutlichen wir auf der Basis dieser Ergebnisse, dass Bildung nicht allein als individuelles Attribut aufgefasst werden kann. Vielmehr scheinen Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Wohlfahrtssystem, also der institutionelle Kontext, in dem eine Ausbildung stattfindet, und der institutionelle Kontext, in dem eine Ausbildung materialisiert werden kann, maßgeblich zu sein für Entscheidungen für oder gegen Kinder. Ohne deren Berücksichtigung wird nicht nur der Zusammenhang zwischen Bildung und Kinderlosigkeit verzerrt, sondern es bleiben auch Einflussfaktoren verdeckt, die Kinderlosigkeit wesentlich mitbestimmen. Im folgenden Abschnitt präsentieren wir theoretische Ansätze, die eine Berücksichtigung der Bildungsrichtung und der institutionellen Verankerung von Bildung in Analysen des Zusammenhangs von Bildung und Kinderlosigkeit nahe legen. Die Darstellung vereint Ansätze aus der Geschlechterforschung, der Arbeitsmarktforschung und der Präferenzforschung und bildet somit ein Korre2

Unter Bildungsrichtung fassen wir auch Ausbildungsfelder oder Fachrichtungen zusammen. Wir verwenden in diesem Beitrag die Begriffe Ausbildungsrichtung, Ausbildungsfeld, Bildungsfach, Fachrichtung etc. synonym. Statt Bildungsniveau verwenden wir gelegentlich auch Bildungsebene oder Bildungsabschluss.

Kinderlosigkeit, Bildungsrichtung und Bildungsniveau in Schweden

107

lat zu den individualistischen (ökonomischen und kulturellen) Interpretationen von Bildung und Kinderlosigkeit. Daran schließt sich die Präsentation der Ergebnisse unserer empirischen Untersuchungen an (Abschnitt 3). Diese basieren auf kombinierten Auszügen aus schwedischen Registerdaten, die für alle ab 1945 geborenen Frauen individuelle geburten-, heirats- und bildungsbiographische Informationen bis 1998 (Bildungsregister) bzw. 2002 (Geburtenregister) enthalten. Aus Gründen der Datenqualität konzentrieren wir uns auf Frauen der Geburtenjahrgänge 1955-1959. Sie waren im Jahre 2002 zwischen 43 und 47 Jahre alt und hatten damit ihre reproduktive Phase weitgehend abgeschlossen.3 Im letzten Abschnitt des Beitrages versuchen wir eine Interpretation unserer Ergebnisse, die auf jene Ansätze zurückgreift, die wir in Abschnitt 2 dargelegt haben. Die Betrachtung zeigt, dass nur multidimensionale Ansätze, die institutionelle ebenso wie individuelle Aspekte berücksichtigen, Erklärungen für den diffizilen Zusammenhang zwischen Bildung und Kinderlosigkeit bieten können.

2

Bildungsrichtung, institutionelle Aspekte von Bildung und Kinderlosigkeit: Einige theoretische Überlegungen

Mit ihrer Konzentration auf das Bildungsniveau haben bisherige Forschungen zu Bildung und Fertilität nur die vertikalen Stufen des Bildungssystems berücksichtigt; die horizontalen Differenzierungen nach Schultypus oder nach Bildungsrichtung blieben ebenso unberücksichtigt wie Aufbau und Struktur von Bildungssystemen als solchen. Diese scheinen jedoch wesentlich für (spätere) Fertilitätsentscheidungen und damit für Kinderlosigkeit zu sein. Denn unterschiedliche Bildungssysteme und Bildungsrichtungen bieten unterschiedliche Kontexte der Sozialisation und der Vermittlung von Bildung im Lebensverlauf. Bildungsrichtungen bereiten zudem auf unterschiedliche Berufe und damit unterschiedliche Bereiche des Arbeitsmarktes und unterschiedliche soziale Kontexte im Berufsleben vor, die ihrerseits einen Einfluss auf Fertilitätsentscheidungen haben können. Im Folgenden präsentieren wir daher Ansätze, die den Zusammenhang zwischen Bildungssystemen und Kinderlosigkeit (2.1), die Verknüpfung von Bildung, Arbeitsmarkt und Kinderlosigkeit (2.2) und den Einfluss von Präferenzen und sozialen Normen auf Bildungswahl und Kinderlosigkeit (2.3) beleuchten. 3

Analysen zu früheren und späteren Kohorten erbrachten analoge Ergebnisse. Zu den Details der Daten und ihrer Aufbereitung siehe Hoem, Neyer und Andersson (2006a), insbesondere Anhang 1.

108 2.1

Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson

Bildungssysteme und Kinderlosigkeit

Aufbau und Struktur eines Bildungssystems sind für den Bildungsverlauf einer Person, die gewählte Bildungsrichtung und den erreichten Bildungsabschluss von nachhaltiger Bedeutung. Sie prägen im Allgemeinen den weiteren Lebensverlauf. Dies lässt vermuten, dass sie auch das reproduktive Verhalten einer Person beeinflussen, selbst wenn die definitive Entscheidung für oder gegen Kinder erst nach Verlassen des Bildungssystems getroffen wird. Bisher ist noch weitgehend unerforscht, ob etwa ein duales Ausbildungssystem wie das deutsche, bei dem Jugendliche ihre Berufsausbildung überwiegend in Betrieben machen und damit schon relativ früh mit der Berufswelt konfrontiert werden, andere Auswirkungen auf das Fertilitätsverhalten hat als Bildungssysteme wie das schwedische, in denen die berufliche Ausbildung integrierter Bestandteil der schulischen Bildung ist. Ebenso wenig wissen wir, ob Schulsysteme, in denen sich Schülerinnen schon in jungen Jahren für einen bestimmten Ausbildungsweg entscheiden müssen, andere Konsequenzen für das reproduktive Verhalten haben als ganzheitliche Schulsysteme, in denen eine Differenzierung nach Bildungswegen erst relativ spät stattfindet. Systemübergreifend lassen sich zumindest zwei Merkmale eines Bildungswesens ausmachen, die einen Einfluss auf das Reproduktionsverhalten haben können: die Flexibilität eines Bildungssystems und die Geschlechterverhältnisse im Bildungsbereich.

Die Flexibilität des Bildungssystems Bildungssysteme variieren in ihrer Flexibilität. Einige Länder haben nicht nur früh differenzierende Bildungssysteme, sondern auch relativ geschlossene, in denen nur eingeschränkte Optionen bestehen, einmal getroffene Ausbildungsentscheidungen zu revidieren. Andere Länder, wie Schweden, vermeiden nicht nur eine frühe Differenzierung, sondern haben auch weitgehend offene Bildungssysteme etabliert. So besuchen in Schweden alle Personen eine neunjährige integrierte Gesamtschule (fakultative Grundschulausbildung bis zum Alter von 16 Jahren). Daran schließt sich eine zwei- bzw. dreijährige Sekundarstufe, in die fast alle Schüler/-innen nach der Gesamtschule übertreten und in der sowohl berufliche Ausbildungen als auch rein theoretische Bildung vermittelt werden, an.4 Dreijährige Sekundarabschlüsse berechtigen zum Hochschulbe4

In der zweijährigen Sekundarstufe wurden vor allem berufliche Ausbildungen vermittelt; die dreijährige bot theoretische Bildung an. Die zweijährige Sekundarstufe wurde in den 1990er

Kinderlosigkeit, Bildungsrichtung und Bildungsniveau in Schweden

109

such. Der Hochschulbereich umfasst drei Ebenen: zwei- bis dreijährige Studiengänge, die vorwiegend berufsspezifische Ausbildungen bieten (Fachhochschulausbildung); mindestens drei- bis vierjährige Studiengänge, die mit einem Bachelor- oder Masterabschluss enden, sowie darüber hinausreichende Studiengänge mit einem Lizentiat oder einer Promotion als Abschluss, die im Allgemeinen auf eine wissenschaftliche Laufbahn vorbereiten. Auf jeder Bildungsebene sind (nach Erfüllung der gesetzlichen Schulpflicht)5 Aus- und (Wieder-) Eintritte ins Bildungssystem oder Wechsel von Ausbildungsrichtungen während des gesamten Lebensverlaufs möglich. Das Recht auf Berufsunterbrechungen zu Bildungszwecken und ein ausgebautes System der Erwachsenenbildung, der bildungsorientierten Berufs- und Arbeitsmarktförderung und der finanziellen Unterstützung bei Bildungsbeteiligung gewährleisten eine weitgehend flexible Nutzung der Bildungsangebote zur Neu-, Re- oder Weiterqualifikation. Solch offene Bildungssysteme erleichtern es einer Person, ihre Ausbildung dem Wandel ihrer Fähigkeiten und Interessen sowie den Veränderungen in ihren Lebensentwürfen und ihrem Lebensverlauf (Henz 2001) anzupassen. Dies betrifft auch die Möglichkeit, Bildungsverläufe reproduktiven Entscheidungen und Notwendigkeiten entsprechend zu gestalten, sei es durch Unterbrechung eines Bildungsweges oder durch Wechsel oder Umschulung zu kinderkompatibleren Ausbildungsbereichen. Dies sollte zu einer Verringerung der Kinderlosigkeit, etwa unter Frauen mit hohem Bildungsabschluss, beitragen, da Bildung und Kinder weder in einer eindeutigen Abfolge geplant werden müssen noch Mutterschaft unabänderliche Auswirkungen auf die ausbildungsbezogenen Aspekte des Lebensverlaufs hat.

Geschlechterverhältnisse im Bildungssystem Die meisten Bildungssysteme, auch das schwedische, weisen geschlechtsspezifische Differenzierungen auf. Zwar haben sich in den letzten drei Jahrzehnten die vertikalen Geschlechterdisparitäten, also die Geschlechterungleichheiten bei den Bildungsabschlüssen, verschoben. Der Anteil von Frauen mit einem höhe-

5

Jahren in eine dreijährige übergeführt. Da die von uns untersuchte Kohorte (Frauen der Geburtenjahrgänge 1955-1959) jedoch ihre Ausbildung weitgehend in einer Sekundarstufe mit zweiund dreijährigen Bildungsgängen absolvierte, differenzieren wir in diesem Beitrag stets zwischen diesen beiden Sekundarstufen. Für jene, die die gesetzliche Schulpflicht nicht erfüllt haben, gibt es nachholende Bildungsmöglichkeiten.

110

Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson

ren Bildungsniveau hat deutlich zugenommen.6 Doch die horizontalen Geschlechterdifferenzen, also die Geschlechtersegregationen nach Ausbildungsrichtungen, sind weitgehend unverändert geblieben (Bradley 2000; für Schweden siehe Stanfors 2003; Elgqvist-Saltzmann 1988). Auf allen Bildungsebenen sind Frauen in den Bereichen Pflege, Gesundheitswesen, Unterrichtswesen, persönliche Dienstleistungen, Kunst, Kultur und Geisteswissenschaften überproportional vertreten; Männer hingegen dominieren in den Ausbildungsbereichen Handwerk, Gewerbe, Industrie, Technik und Naturwissenschaften (Stanfors 2003; Elgqvist-Saltzman 1988; OECD 2001: 173; Melkas und Anker 1998; Smyth 2003: 61f.; Charles und Bradley 2002). In anderen Bildungsbereichen, etwa in Wirtschaft und Verwaltung, ändert sich das Geschlechterverhältnis mit dem Bildungsniveau. Bislang ist noch weitgehend unerforscht, welche Auswirkungen die vermehrte Bildungsbeteiligung von Frauen einerseits und die Konzentration von Frauen in spezifischen Bildungsbereichen andererseits auf Geburtenverhalten und Kinderlosigkeit haben. Soziologen und Soziologinnen weisen darauf hin, dass sich mit der zunehmenden Zahl von Frauen im Bildungssystem auch der soziale Kontext ändert, in dem Bildung vermittelt wird. Frauen sind nicht mehr die Ausnahme (‚token women’; Kanter 1977a) oder stellen eine so kleine Minderheit (‚skewed group’; Kanter 1977b) in einem ansonsten männlich dominierten Bildungsbetrieb dar, dass ihre bildungsvermittelte Sozialisation primär durch männliche Normen, Einstellungen oder Verhaltensweisen bestimmt wird. Ein Mehr an Frauen im Bildungssystem oder in einer Ausbildungsrichtung eröffnet ihnen mehr Möglichkeiten, sich mit anderen Frauen gleicher Bildungsebene und gleicher Bildungsrichtung über Lebensentwürfe mit oder ohne Kinder auszutauschen (Watkins 1995) und eine Identität zu entwickeln, die Bildung, Beruf und Mutterschaft einschließt (West und Zimmerman 1987; West und Fenstermaker 1995; Gildemeister und Wetterer 1992; Dausien 1999).7 Eine Ausbildung in einem frauendominierten oder geschlechteräquivalenten Bildungsbereich könnte somit ein Bildungsumfeld schaffen, das einer Familiengründung im weiteren Lebenslauf förderlich ist.8 Im Gegensatz zu einem rein ökonomischen Ansatz, der auf 6

7 8

In unserer Kohorte haben fast 30 Prozent aller Frauen einen Hochschulabschluss; rund die Hälfte verfügt über einen Sekundarschulabschluss (37 Prozent nach einem zweijährigen Schulprogramm, fast 16 Prozent nach einem dreijährigen), und nur 18 Prozent aller Frauen haben lediglich einen Grundschulabschluss. Wir sehen dies als ein Mehr an Möglichkeiten des ‚doing gender’ und ‚undoing gender’ an. Oft wird angenommen, dass frauendominierte Bildungsrichtungen (z. B. Hauswirtschaftslehre) eher Stereotypen über Weiblichkeit vermitteln als männerdominierte Bildungsrichtungen und daher Frauen mit einem Abschluss in einer frauendominierten Bildungsrichtung Frausein eher

Kinderlosigkeit, Bildungsrichtung und Bildungsniveau in Schweden

111

Grund der höheren Opportunitätskosten hoch qualifizierter Frauen einen Anstieg der Kinderlosigkeit bei steigender Qualifikation von Frauen annimmt, legt eine die geschlechtersozialen Bedingungen im Bildungssystem einschließende Betrachtung einen differenzierteren Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Kinderlosigkeit nahe: Die Kinderlosigkeit könnte je nach Anteil von Frauen in den einzelnen Bildungssektoren variieren. Frauen mit einem Bildungsabschluss in einem frauendominierten Bildungsbereich sollten seltener kinderlos bleiben als Frauen mit einem Abschluss in einem männerdominierten Bildungsbereich.

2.2

Bildung, Arbeitsmarkt und Kinderlosigkeit

Das Bildungsniveau wird in der demographischen Forschung häufig als Indikator für den Arbeitsmarktstatus einer Frau herangezogen und dieser wiederum als Indikator für potenzielle Kinderlosigkeit. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass alle Frauen mit einem bestimmten Bildungsniveau dieselben Möglichkeiten und Bedingungen am Arbeitsmarkt haben, ihre Bildung zu verwerten. Doch auch bei gleichem Bildungsniveau eröffnen die verschiedenen Ausbildungsrichtungen deutlich unterschiedliche Erwerbsoptionen, etwa hinsichtlich der Berufsmöglichkeiten im erlernten Bildungsfeld, der Beschäftigungsstabilität, der Arbeitsbedingungen oder der Verdienstchancen (siehe Beiträge in Müller und Gangl 2003). Diese Bedingungen beeinflussen Entscheidungen für oder gegen Kinder. Daher gilt es, bei bildungsspezifischen Betrachtungen von Kinderlosigkeit auch die Verknüpfungen zwischen Bildung und Arbeitsmarkt in den Blick zu nehmen. Vier Aspekte scheinen uns dabei von Bedeutung.

Arbeitsplatzsicherheit Einige Ausbildungsrichtungen bereiten auf Berufe mit relativ kalkulierbaren Karrieren und gesicherten Arbeitsverhältnissen vor. Zu diesen gehören Ausbildungen für Aufgabenbereiche, die primär vom öffentlichen Sektor wahrgenommen werden, wie Ausbildungen für das Gesundheitswesen, den Unterrichtsbemit Mutterschaft verbinden als Frauen mit einem Abschluss in anderen Bildungsrichtungen. Inwieweit sich diese Verknüpfung etwa durch Aufweichung geschlechterstereotyper Vermittlung von Weiblichkeit und Männlichkeit verschoben hat und welche Wirkungen dies auf Kinderlosigkeit und Mutterschaft hat, muss hier offen bleiben.

112

Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson

reich, Polizei, Rechtspflege oder andere staatliche bzw. halbstaatliche Tätigkeitsbereiche (z. B. das Postwesen oder in Schweden auch das Apothekenwesen). In vielen Ländern Europas, auch in Schweden, bietet der öffentliche Sektor größere Beschäftigungssicherheiten als der private Sektor. Der öffentliche Sektor war auch häufig Vorreiter bei der Gewährung und Gestaltung von Elternzeit und hat noch immer partiell bessere Elternzeit- und Elterngeldregelungen. Daher kann angenommen werden, dass Frauen mit einem Bildungsabschluss, der zu einer Beschäftigung im öffentlichen Sektor führt, eine geringere Kinderlosigkeit aufweisen als Frauen mit einer Ausbildung, die überwiegend im privaten Sektor nachgefragt wird.

Tätigkeitsinhalte und ausbildungsadäquate Berufschancen Die Möglichkeiten, eine der Ausbildung entsprechende Beschäftigung zu finden, variieren je nach Bildungsrichtung. Einige Bildungsfelder sind eng mit einer bestimmten Berufstätigkeit verknüpft (z. B. Textilarbeiterin, Lehrerin, Kosmetikerin), andere vermitteln breit gefächerte, wenig berufsspezifische Kenntnisse (z. B. allgemein bildende höhere Schulen ohne spezifische Fachausbildung; Studium der Philosophie, Geisteswissenschaften ohne Lehramt, Kunst und Kultur). Personen mit einem solchen Ausbildungshintergrund durchlaufen nach dem Bildungsabschluss oft einen längeren Prozess der Jobsuche. Ihre erste Beschäftigung ist häufig mit wenig attraktiven Tätigkeitsinhalten, niedrigerem Einkommen, geringerer beruflicher Sicherheit und höherem Arbeitslosenrisiko behaftet als der Berufseinstieg von Personen mit berufsspezifischer Ausbildung (Allmendinger 1989; Wolbers 2003; Konietzka 2002; Gangl 2003a, 2003b). Dies könnte zu einem Aufschub der Familiengründung und zu höherer Kinderlosigkeit unter Absolventinnen mit wenig berufsspezifischen Bildungsrichtungen führen.

Geschlechterverhältnisse am Arbeitsplatz Einige Bildungsrichtungen qualifizieren für Tätigkeiten in einem Arbeitsmarktsegment mit einem hohen Anteil an weiblichen Beschäftigten, während andere für Berufe in männerdominierten Bereichen ausbilden. Zu letzteren gehören etwa die Bereiche Technologie, Maschinenbau oder einige naturwissenschaftliche Fachrichtungen; demgegenüber gehören Unterricht, Pflege oder persönliche

Kinderlosigkeit, Bildungsrichtung und Bildungsniveau in Schweden

113

Dienstleistungen zu den stark feminisierten Berufsbereichen (Smyth 2005). Häufig wird angenommen, dass die Arbeitsbedingungen in Bereichen mit einem hohen Frauenanteil eher den Erfordernissen von Mutterschaft und Kinderbetreuung entsprechen als jene in männerdominierten Bereichen. Feminisierte Berufsbereiche weisen oft hohe Anteile an Teilzeiterwerbstätigen und an Beschäftigtenfluktuation auf, was Erwerbsunterbrechungen und Arbeitszeitreduktionen bei Elternschaft erleichtern sollte. Sie weisen jedoch auch ein niedriges Lohnprofil, geringe Aufstiegschancen und, insbesondere im privaten Sektor, destandardisierte Arbeitszeiten und Arbeitsverhältnisse auf. Sie bieten somit oft Arbeitsbedingungen, die Mutterschaft und Kinderbetreuung wenig zuträglich sind (Anker 2001; England 1982, 1984; Budig und England 2001; Hultin 2003). Männerdominierte Berufsbereiche weisen demgegenüber meist ein höheres Lohnniveau auf. Dies trifft auch auf Einkommen von Frauen in diesen Berufsbereichen zu. Allerdings haben diese Bereiche häufig längere Normarbeitszeiten, geringere Flexibilität und ein durch maskulines Verhalten geprägtes Arbeitsumfeld. Insgesamt betrachtet könnte Kinderlosigkeit bei Frauen mit einem Abschluss für frauenspezifische Berufsbereiche geringer sein als bei Frauen mit einem Abschluss für männerdominierte Berufsbereiche. In einigen frauendominierten Ausbildungsbereichen, die zu beruflichen Tätigkeiten mit wenig standardisierten Arbeitsverhältnissen führen, ist jedoch eine höhere Kinderlosigkeit zu erwarten.

Erwerbssituation, Einkommen und wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen Ökonomische Ansätze gehen meist davon aus, dass die Geburt eines Kindes mit erhöhten Erwerbsrisiken und Einkommensverlusten einhergeht. Dies trage zu höherer Kinderlosigkeit unter Frauen mit höheren Einkommen bei und müsste sich daher auch in unterschiedlichen Anteilen der Kinderlosigkeit je nach Erwerbssituation und Einkommen in einer Bildungsrichtung niederschlagen. Die Kinderlosigkeit könnte jedoch dann geringer sein, wenn wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen diese Risiken mindern. Schweden hat neben einem flexiblen, auf lebenslange Bildungschancen ausgerichteten Bildungssystem seit den 1970er Jahren auch wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen etabliert, die diesem Ziel dienen. Eltern haben ein Recht auf Elternzeit mit Einkommensersatzleistung und Rückkehr auf den vorherigen Arbeitsplatz. Das Elterngeld lag in den 1970er und 1980er Jahre bei 90 Prozent des vorangegangenen Einkommens für 9 bis 12 Monate; gegenwärtig beträgt es 80

114

Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson

Prozent des vorangegangenen Einkommens für 13 Monate.9 Die Elternzeit kann zwischen den Eltern geteilt und flexibel in Teilzeit, Vollzeit, durchgehend, in Abschnitten oder sogar tageweise bis zum 8. Lebensjahr des Kindes genommen werden. Sie kann auch mit Ausbildungen (in Vollzeit oder Teilzeit) kombiniert werden. Seit den späten 1960er Jahren wurde das institutionelle Angebot an Kinderbetreuungsplätzen für Kinder aller Altersgruppen ausgebaut, um eine ganztägige Betreuung aller Kinder zu gewährleisten. Eine aktive Arbeitsmarkt-, Gleichheits- und Geschlechterpolitik zielt darauf ab, mutterschaftsbedingte Nachteile am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zu reduzieren. Diese Maßnahmen sollten die ausbildungsspezifischen Erwerbs- und Einkommensrisiken bei Mutterschaft mindern und somit auch zu einer Reduktion der Kinderlosigkeit beitragen. Da Elterngeld an Erwerbstätigkeit und Einkommenshöhe gebunden ist, könnte jedoch die Kinderlosigkeit unter jenen Frauen höher sein, die über instabile Beschäftigungsverhältnisse und geringe Einkommen verfügen (Andersson 2000).

2.3

Präferenzen, Selbstselektion, soziale Normen und Adaption

Präferenztheoretiker/-innen argumentieren, dass Institutionen wie das Bildungswesen, das Geschlechtersystem oder der Arbeitsmarkt nur den Rahmen bilden, in dem Frauen sich für (oder gegen) Bildung und Kinder entscheiden und somit von sekundärer Bedeutung für Kinderlosigkeit sind. Institutionen könnten zwar die Entscheidung beeinflussen, doch letztlich sei die Wahl der Bildung(srichtung) oder der Zahl der Kinder Ausdruck der persönlichen Präferenzen einer Frau (Hakim 1998, 2003). Diese Sichtweise entspricht dem in der Demographie schon seit langem gängigen Konzept der Selbstselektion (Goldman 2001). Präferenztheorien und Selbstselektionsansätze nehmen an, dass Frauen, die Kinder haben wollen, spezifische Bildungsrichtungen bevorzugen (z. B. Unterricht, Pflege, soziale Berufe), da beide ihren Neigungen und Interessen (etwa an sozialen Beziehungen und Betreuung) entsprächen. Dies impliziert umgekehrt, dass jene Frauen, die keine Kinder haben wollen, zu anderen Bildungsrichtungen tendieren sollten. Präferenztheorien (und Selbstselektionsansätze) gehen (implizit oder explizit) davon aus, dass Präferenzen über den Lebensverlauf hinweg konstant blei-

9

Zu den Details der Regelungen siehe Hoem, Neyer und Andersson (2006b) für den für unsere Kohorte relevanten Zeitraum; zur aktuellen Regelung siehe: www.sweden.se.

Kinderlosigkeit, Bildungsrichtung und Bildungsniveau in Schweden

115

ben.10 Demnach entscheiden sich Frauen auf Grund ihrer Präferenzen schon sehr früh für bestimmte Ausbildungen und ihr (zukünftiges) reproduktives Verhalten und passen ihre Lebenspläne und Lebensgestaltung diesen Präferenzen an. Im Gegensatz dazu kann man auch annehmen, dass Präferenzen durch das soziale Umfeld und durch soziale Normen beeinflusst werden und sich somit im Laufe des Lebens ändern können. Soziale Normen werden nach Elster (1991: 113f.) durch Interaktionen mit Menschen, die zur gleichen Gruppe gehören, geformt, erhalten und verstärkt. In unterschiedlichen, in unserem Falle durch die Ausbildungsrichtung bestimmten sozialen Gruppen in einer Gesellschaft können daher unterschiedliche soziale Normen, auch in Bezug auf reproduktives Verhalten, vorherrschen. Ist keine Kinder zu haben die Norm im (bildungsbestimmten) sozialen Netz einer Frau, so wird sie eher kinderlos bleiben als eine Frau, die sich vorwiegend in einem Umfeld bewegt, in dem Kinder zu haben die Regel ist. Die Wirkung von bildungsspezifischen sozialen Normen in Bezug auf reproduktives Verhalten sollte sich in unterschiedlichen Anteilen von Kinderlosigkeit niederschlagen, wobei die Differenzen in diesen Anteilen nicht durch andere Faktoren wie Geschlechterverhältnisse im Bildungssystem, Arbeitsmarktchancen oder Arbeitsbedingungen erklärt werden können. Fassen wir die präsentierten Ansätze zusammen, so scheint es keineswegs zwingend, dass ein höherer Bildungsabschluss zu höherer Kinderlosigkeit führen muss. Vielmehr scheinen eine Vielzahl von bildungsbezogenen Faktoren, die sich aus den institutionellen Bedingungen von Bildung und Beruf und ihren Verknüpfungen mit bildungsspezifischen Normen und individuellen Präferenzen ergeben, Fertilitätsentscheidungen und damit das Ausmaß der bildungsspezifischen Kinderlosigkeit zu beeinflussen.

3

Kinderlosigkeit und Bildungsrichtung: Empirische Ergebnisse

3.1

Kinderlosigkeit, Bildungsniveau und Bildungsrichtung

Um den Zusammenhang zwischen Bildungsrichtung, Bildungsniveau und Kinderlosigkeit zu untersuchen, haben wir die in den schwedischen Registerdaten enthaltenen rund 2.900 Ausbildungsrichtungen zu etwa 60 Ausbildungsgruppen zusammengefasst (zu den Details siehe Hoem, Neyer und Andersson 2006a, 10

Dies gilt im Übrigen auch für ökonomische Ansätze (siehe z. B. Becker 1960, 1981).

116

Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson

Anhang 1). Diese entsprechen im Wesentlichen der ISCED-Klassifikation (Internationale Standardklassifikation im Bildungswesen 1997). Abbildung 1 zeigt den Anteil der Kinderlosen unter schwedischen Frauen11 der Geburtskohorten 1955 bis 1959 nach Bildungsniveau und Bildungsrichtung. Erfasst sind die Kinderlosigkeit zum Zeitpunkt der Erstellung des Datenauszugs aus den geburtenbezogenen Registerdaten (2002) und der bis zum Zeitpunkt der Erstellung des Datenauszugs aus den Bildungsregisterdaten (1998) erreichte Bildungsabschluss.12 Die Ergebnisse zeigen, dass die gängige Annahme, ein Mehr an Bildung gehe mit höherer Kinderlosigkeit einher, modifiziert werden muss. Denn, wie Abbildung 1 illustriert, bleiben zwar Frauen mit einem höheren Bildungsabschluss häufiger kinderlos als Frauen mit einem niedrigeren Bildungsabschluss; doch diese Feststellung gilt nur jeweils innerhalb einer Bildungsrichtung (siehe Trendlinien). Mehr noch, weitere Analysen ergaben, dass die Bildungsrichtung das ausschlaggebendere Merkmal für Kinderlosigkeit und Geburtenverhalten ist als das Bildungsniveau. So weisen Frauen, die lediglich die gesetzliche Schulpflicht erfüllt haben oder eine zweijährige Sekundarbildung (ohne spezifische Berufsausbildung) durchlaufen haben, eine ähnlich hohe Kinderlosigkeit (14,7 Prozent) auf wie Sonderschullehrerinnen (14,1 Prozent), Hauswirtschaftslehrerinnen (14,3 Prozent) oder Ärztinnen (15,9 Prozent), die alle eine Universitätsausbildung abgeschlossen haben. Das gleiche gilt für Frauen mit einem Abschluss als Raumpflegerinnen (15,5 Prozent), Postbedienstete oder Briefträgerinnen (14,7 Prozent), Schreibkräfte und Büroassistentinnen (14,7 Prozent) oder Mechanikerinnen und technische Assistentinnen für das Gewerbe, Handwerk oder die Industrie (15,2 Prozent). Frauen mit einer zweijährigen Sekundarausbildung für das Hotel- und Gastgewerbe oder für Hauswirtschafts- und Großküchenverwaltung weisen sogar eine höhere Kinderlosigkeit auf (21,6 bis 22,4 Prozent) als Ärztinnen (15,9 Prozent), Sekundarschullehrerinnen (17,3 Prozent) und Frauen, die in Medizin promoviert haben (18,9 Prozent). Der Anteil der Kinderlosen unter Frauen mit einer zweijährigen Sekundarausbildung im Dienstleistungs-, Hotel-, Gast- und Großküchengewerbe ebenso wie der Anteil der Kinderlosen unter Abiturientinnen ohne spezifische Berufsausbildung (drei-

11 12

Frauen, die nicht in Schweden geboren wurden, wurden aus der Analyse ausgeschlossen. Da Frauen der hier untersuchten Geburtenkohorte zu diesem Zeitpunkt zwischen 39 und 43 Jahre alt waren, haben wir auch den Bildungsabschluss und die Kinderlosigkeit der Frauen im Alter von 35 Jahren überprüft. Die Ergebnisse weichen nur geringfügig von jenen der 39- bis 43-jährigen ab. Abweichungen ergeben sich im Wesentlichen für Ausbildungsfelder, die nur von einer kleinen Zahl von Frauen gewählt wurden.

117

Kinderlosigkeit, Bildungsrichtung und Bildungsniveau in Schweden

Abbildung 1: Anteil dauerhaft Kinderloser nach Bildungsniveau, schwedische Frauen, Kohorten 1955-59 35 Dr. phil. Dr. sc. pol. Theologin Geisteswissenschaftlerin

30

‘

Bibliothekarin Diakonisse

25

Kunstgewerbe

+ +

Hotel-/ Gastgewerbeberufe

Prozent Kinderlose

20

Akad. Künstlerin

Dr. rer. nat Dr. tech.

‘

Rechtsanwältin

Sekundarabschl., 3-j. ohne Berufsausbildung

‘

Musik-/Kunstlehrerin

‘Sozialwissen‘schaftlerin Naturwissenschaftlerin

Dr.med.

Ingenieurin SekundarschulKrankenhaus-

15

Grundschule

10

+ Reinigungskraft ‘Sekretärin + Textilarbeiterin + Postbeamtin + +Kosmetikerin

+Polizistin

‘sekretärin

‘lehrerin Ärztin Sonderschullehrerin Zahnärztin

Horterzieherin Krankenpflegerin Zahnarzthelferin

Kindergärtnerin

Grundschullehrerin

Kindergartenhelferin Hebamme

5

0 Grundschule

Sekundarstufe 2-jährig

Sekundarstufe 3-jährig

Fachhochschule

Universität

Doktorat

Bildungsniveau

Allgemeinbildung ohne Berufsausbildung

+

‘ Verwaltung, Wirtschaft, Sozialwiss., Recht

Dienstleistungen

Industrie, Handwerk, Ingenieur-, Naturwiss.

Ästhet.-künstl., Geisteswiss., Religion

Bildung, Gesundheit

Quelle: eigene Darstellung

118

Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson

jährige allgemeine Sekundarausbildung) entspricht etwa jenem von Frauen mit einem Hochschulabschluss in den Sozialwissenschaften (22,1 Prozent), im Journalismus (22,2 Prozent), in Betriebswirtschaft (21,3 Prozent), Pharmazie (20,9 Prozent), Psychologie (20,7 Prozent), Naturwissenschaft und Technik (20,2 Prozent). Insgesamt betrachtet unterscheiden sich Frauen mit einem Abschluss, der sie für Berufe des Unterrichtswesens (z. B. Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen) oder des Gesundheitswesens (z. B. Pflegeberufe, medizinische Berufe) qualifiziert, deutlich von Frauen aller anderen Bildungsrichtungen. Auf jeder Bildungsstufe weisen sie eine weit geringere Kinderlosigkeit auf als Frauen mit Abschlüssen in anderen Bildungsrichtungen, und sie bleiben auch insgesamt seltener kinderlos als der Durchschnitt der Frauen (Anteil der Kinderlosen unter Frauen mit einer Ausbildung für den Gesundheitsbereich: 10,8 Prozent; Schulbereich: 12,5 Prozent; Durchschnitt aller Frauen: 15,7 Prozent). Frauen, die eine Qualifikation als Bibliothekarin, Geisteswissenschaftlerin, Diakonissin oder Theologin erlangt haben, weisen eine weitaus höhere Kinderlosigkeit auf (24,7 bis 30,9 Prozent) als jede andere Gruppe. Bemerkenswert ist, dass die Kinderlosigkeit unter Geisteswissenschaftlerinnen ohne Lehramtsqualifikation mit 30,4 Prozent deutlich höher ist als jene unter Geisteswissenschaftlerinnen mit einer zusätzlichen Lehramtsqualifikation (17,3 Prozent). Frauen mit einem Abschluss im Bereich Verwaltung, Betriebswirtschaft, Rechtswesen, Journalismus und den Sozialwissenschaften haben im Durchschnitt eine ähnliche Kinderlosigkeitsquote (16,9 Prozent) wie Frauen mit einer Qualifikation im Bereich Industrie, Handwerk, Naturwissenschaften und Technik (16,5 Prozent). Allerdings gibt es in den Bereichen Verwaltung, Betriebswirtschaft, Rechtswesen, Journalismus und Sozialwissenschaften eine deutlich größere Anzahl von spezifischen Bildungsrichtungen, in denen der Anteil an kinderlosen Frauen über 20 Prozent liegt, als in den Bereichen Industrie, Handwerk, Naturwissenschaften und Technik. Die auf jeder Bildungsebene zu verzeichnenden bildungsrichtungsspezifischen Differenzen in den Anteilen der Kinderlosigkeit offenbaren, dass die Höhe des Bildungsabschlusses alleine keine hinreichenden Rückschlüsse über die Zusammenhänge zwischen Bildung und Kinderlosigkeit zulässt. Betrachtet man nur die Bildungsebene, so könnte dies sogar zu falschen Schlussfolgerungen über die Beziehung zwischen Bildung und Kinderlosigkeit führen (siehe dazu später).

Kinderlosigkeit, Bildungsrichtung und Bildungsniveau in Schweden

3.2

119

Kinderlosigkeit und Bildungsdauer

Abbildung 1 lässt bereits vermuten, dass eine längere Dauer einer Ausbildung nicht notwendigerweise zu höherer Kinderlosigkeit führt. Eine genauere Betrachtung bestätigt dies. Abbildung 2 gibt die Anteile Kinderloser unter Frauen einer bestimmten Bildungsrichtung und Bildungsebene sowie das durchschnittliche Alter, in dem Frauen diese Ausbildung beendet haben, wieder. Zwei Dinge sind bemerkenswert: Zum einen verdeutlicht die Abbildung die Dominanz der Bildungsrichtung über die Bildungsdauer (und damit auch das Bildungsniveau). Zum anderen geht jedoch auch innerhalb einer Bildungsrichtung eine längere Ausbildungsdauer nicht immer mit einer höheren Kinderlosigkeit einher. So sind etwa Apothekerinnen zum Zeitpunkt des Abschlusses ihrer Ausbildung rund zwei Jahre älter als Architektinnen. Die Kinderlosigkeit ist unter Apothekerinnen (16,1 Prozent) jedoch niedriger als unter Architektinnen (18,1 Prozent). Sonderschulpädagoginnen beenden ihre Ausbildung im Durchschnitt im Alter von fast 35 Jahren und sind damit rund 10 Jahre älter als etwa Hauswirtschaftslehrerinnen, Dentistinnen oder Jugendbetreuerinnen. Doch die Kinderlosigkeit ist unter all diesen Frauen etwa gleich hoch (14 Prozent). Für das Fehlen eines klaren linearen Zusammenhangs zwischen der Dauer der Ausbildung und dem Anteil der Kinderlosigkeit lassen sich mehrere Erklärungen finden.13 Einige der Ausbildungen sind bereits zweite oder weitere Ausbildungen. Diese können Teil des vorgeschriebenen Bildungsweges sein. So setzt etwa die Ausbildung zur Hebamme in Schweden normalerweise eine Ausbildung und mehrjährige Berufserfahrung als Krankenpflegerin voraus. In anderen Fällen werden bestimmte Ausbildungen häufig nach einer vorangegangenen Ausbildung in einer ähnlichen Bildungsrichtung erworben (z. B. Sonderpädagogik nach einer Ausbildung für das allgemeine Unterrichtswesen) oder sie werden parallel zu ähnlichen Ausbildungen durchgeführt (z. B. Psychologie mit einer zusätzlichen Therapieausbildung). Schließlich lässt die Flexibilität des schwedischen Bildungssystems Umschulungen, Unterbrechungen von Ausbildungen und Weiterbildungen während des gesamten Erwachsenenalters zu. Dies kann zu einer Reduktion der Kinderlosigkeit auch bei Bildungsabschlüssen mit langer Ausbildungsdauer beitragen. Darauf deutet ein Vergleich zwischen dem durchschnittlichen Alter von Frauen zum Zeitpunkt des Endes ihrer Ausbildung und ihrem durchschnittlichen Alter bei einer Erstgeburt hin. Mütter, die ihre 13

In der vorliegenden Untersuchung haben wir die Dynamik der Ausbildungen unberücksichtigt gelassen. Daher ist die kausale Beziehung zwischen Ende der Ausbildung und Fertilität nicht eindeutig.

120

Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson

Abbildung 2: Anteil dauerhaft Kinderloser nach Durchschnittsalter bei Bildungsabschluss, schwedische Frauen, Kohorte 1955-59 35 Dr. phil. Dr. sc. pol.

‘

Theologin Geisteswissenschaftlerin

30

Bibliothekarin Diakonisse

25

Kunstgewerbe Hotel-/ Gastgewerbeberufe

+

Sekundarabschluss 3-jährig ohne Berufsausbildung

Dr. rer. nat. Dr. tech. Sozialwissenschaftlerin

‘ ‘

‘ ‘‘

+

20 Prozent Kinderlose

‘

Akad. Künstlerin

Dr. med.

Architektin

‘

‘

‘

+

+ + Kosmetikerin

Apothekenhelferin

‘

Sozialarbeiterin

+

10

+ + +

Sekundarabschluss 2-jährig ohne Berufsausbildung 15 Grundschule

Sonderschullehrerin

Grundschullehrerin Kindergartenhelferin

Zahnarzthelferin

Hebamme

5

0 18

20

22

24

26

28

30

32

34

36

Durchschnittsalter bei Abschluss

Allgemeinbildung ohne Berufsausbildung

+

‘ Verwaltung, Wirtschaft, Sozialwiss., Recht

Dienstleistungen

Industrie, Handwerk, Ingenieur-, Naturwiss.

Ästhet.-künstl., Geisteswiss., Religion

Bildung, Gesundheit

Quelle: eigene Darstellung

Kinderlosigkeit, Bildungsrichtung und Bildungsniveau in Schweden

121

Ausbildung nach dem 30. Lebensjahr beendeten, hatten im Schnitt ihr erstes Kind vor dem Ende dieser Ausbildung. Das bedeutet, dass nicht die Mutterschaft, sondern der Abschluss der Ausbildung aufgeschoben wird. Dieser Aufschub des Ausbildungsendes bietet eine partielle Erklärung dafür, dass der Anteil der Kinderlosigkeit unter Frauen mit einem Abschluss in Studiengängen mit langer Ausbildungsdauer (Promotion) nicht wesentlich höher liegt als der Anteil der Kinderlosigkeit in der jeweiligen Bildungsrichtung.

3.3

Kinderlosigkeit und Heirat

Der Anstieg der Kinderlosigkeit wird häufig mit dem Rückgang der Heiratsraten begründet. Dies kann eine plausible Erklärung sein, wenn die überwiegende Mehrzahl von Kindern innerhalb einer Ehe geboren wird und damit eine enge Beziehung zwischen Ehe und Fertilität besteht. Allerdings schwindet die Erklärungskraft sinkender Heiratsraten für steigende Kinderlosigkeit, wenn kaum Unterschiede in den Anteilen ehelicher und nichtehelicher Geburten zu verzeichnen sind und die Ehe somit ihre normative und faktische Kraft für Fertilitätsentscheidungen verloren hat. In Schweden sind schon seit den 1980er Jahren Eheund Geburtenverhalten weitgehend entkoppelt. 1980, als die hier untersuchten Geburtskohorten zwischen 21 und 25 Jahre alt waren, waren bereits fast 40 Prozent aller Geburten nichtehelich, 1985 schon die Hälfte. Dennoch haben wir überprüft, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Anteil der Unverheirateten und dem Anteil der Kinderlosen in einer bestimmten Bildungsgruppe gibt. Wie Abbildung 3 veranschaulicht, bleiben Frauen mit einem Abschluss für den Unterrichts- oder den Gesundheitsbereich sowie mit Ausbildungen, die überwiegend zu Beschäftigungen im öffentlichen Sektor führen (z. B. Apothekerinnen, Sozialarbeiterinnen, Polizistinnen, Postangestellte), in einem geringeren Maße unverheiratet und kinderlos als die meisten anderen Bildungsgruppen. Frauen mit einem Bildungsabschluss für Büro, Verwaltung, Verkauf, Betriebswirtschaft, Recht und Sozialwissenschaften weisen im Allgemeinen eine höhere Nichtehelichenquote und eine höhere Kinderlosigkeit auf. Bemerkenswert ist die deutliche Polarisierung in den Partnerschaftsformen zwischen Frauen mit einer Ausbildung für religiöse Berufe und jenen mit einer Ausbildung in Kunst, Kultur, Bibliothekswesen und Geisteswissenschaften. Frauen mit einer Ausbildung in Kunst, Kultur, Bibliothekswesen und Geisteswissenschaften bleiben häufig unverheiratet (38 bis 47 Prozent) und kinderlos (25 bis 31 Prozent).

122

Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson

Abbildung 3: Anteil dauerhaft Kinderloser versus nie Verheirateter, schwedische Frauen, Kohorte 1955-59 35 phil. ‘Dr. Dr. sc. pol.

Theologin

Geisteswissenschaftlerin

30 Bibliothekarin

Diakonisse Dr. rer. nat. Dr. techn.

25

Künstgewerbe

Akad. Künstlerin

Rechtsanwältin

‘

Apothekerin

20 Prozent Kinderlose

Journalistin

‘ Sekundarabschl.,‘ ‘ ‘ ohne Berufs‘3-j. abschluss

Musik-/Kunstlehrerin

Gastge+ Hotel-/ werbeberufe

+

Dr. med. Architektin

+

Ärztin

15

‘ ‘ ‘Krankenhaussekretärin +Raumpflegerin Grundschule Sonderschul‘ + + lehrerin

Zahnärztin

Textilarbeiterin

PostanKrankenpflegerin gestellte ZahnarztKosmetiKindergartenhelferin helferin kerin

+

Grundschullehrerin

+

10

+

Kindergärtnerin

Hebamme

5

0 15

20

25

30

35

40

45

Prozent nie Verheiratete

Allgemeinbildung ohne Berufsausbildung

+

‘ Verwaltung, Wirtschaft, Sozialwiss., Recht

Dienstleistungen

Industrie, Handwerk, Ingenieur-, Naturwiss.

Ästhet.-künstl., Geisteswiss., Religion

Bildung, Gesundheit

Quelle: eigene Darstellung

Kinderlosigkeit, Bildungsrichtung und Bildungsniveau in Schweden

123

Frauen mit einer Ausbildung für kirchliche Berufe haben eine gleich hohe Kinderlosigkeit (27 bis 31 Prozent), sind jedoch meist verheiratet (zu ca. 80 Prozent).

3.4

Kinderlosigkeit und Bildungsniveau

Die Bildungsrichtung, so haben wir in Abschnitt 3.1 festgehalten, stellt einen wichtigeren Faktor für Kinderlosigkeit dar als das Bildungsniveau. Eine nur das Bildungsniveau berücksichtigende Analyse bestätigt dies. Abbildung 4 zeigt, dass die Kinderlosigkeit unter Frauen mit einem Universitätsabschluss lediglich in jüngerem Alter (unter 35) deutlich höher ist als unter Frauen mit einem Grundschul- oder einem Sekundarschulabschluss. Denn auch in Schweden neigen Frauen, die sich in Ausbildung befinden, weniger zu Mutterschaft als Frauen, die an keiner Ausbildung teilnehmen. Doch ein bildungsbedingter Aufschub der Mutterschaft unter hoch qualifizierten Frauen resultiert nicht in höherer Kinderlosigkeit. Im Alter von 40 Jahren weisen Frauen aller Bildungsniveaus den gleichen Anteil Kinderloser auf.

4

Diskussion

Die beträchtlichen Unterschiede in der Kinderlosigkeit nach Bildungsrichtung bei gleichzeitigem Fehlen von Unterschieden in der dauerhaften Kinderlosigkeit nach dem Bildungsniveau stellen jene gängigen Annahmen und Erklärungen in Frage, die zwar auf Differenzen im Verhalten von Frauen unterschiedlicher Bildungsniveaus setzen, aber allen Frauen mit einem bestimmten Bildungsniveau gleiche Bildungs- und Arbeitsmarktbedingungen, gleiche Ziele und Orientierungen unterstellen. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Frauen unterschiedlicher Ausbildungsrichtungen unterschiedliche Bedingungen in Ausbildung und Beruf sowie unterschiedliche Ziele und Orientierungen haben – wobei die Kausalität, also ob die Bedingungen in Bildung und Arbeitsmarkt zu Entscheidungen gegen Mutterschaft führen oder Interessen und Präferenzen für oder gegen Kinder die Wahl der Ausbildungsrichtungen beeinflussen, ungeklärt bleiben muss. Auf der Basis unserer Daten und unseres gegenwärtigen Analysestandes können wir die Wechselwirkungen zwischen individuellen und institutionellen Faktoren und deren Einfluss auf die bildungsspezifische Kinderlosigkeit empirisch nicht über-

124

Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson

Abbildung 4: Anteil Kinderloser nach Alter und Bildungsniveau, schwedische Frauen (Kohorte 1955-59) Grundschulabschluss

40

Prozent Kinderlose

Sekundarschulabschluss FH-/Universitätsabschluss

30

20

10

0 30

35

40 Alter

Quelle: eigene Darstellung

prüfen. Dennoch wollen wir die in Abschnitt 2 dargelegten theoretischen Ansätze zu Kinderlosigkeit im Lichte unserer Ergebnisse betrachten, um daraus Hinweise auf die Richtung zukünftiger theoretischer wie empirischer Forschungsbemühungen zu gewinnen.

4.1

Kinderlosigkeit und Bildungssystem

Kinderlosigkeit und Flexibilität des Bildungssystems Aus dem in Abschnitt 3.2 dargestellten Verhältnis zwischen der Dauer der Ausbildung und dem Anteil der Kinderlosigkeit kann geschlossen werden, dass ein flexibles Bildungssystem das Ausmaß der Kinderlosigkeit reduziert. Denn die Ausbildungsverläufe und die Wahl der Ausbildungsrichtungen können den Fer-

Kinderlosigkeit, Bildungsrichtung und Bildungsniveau in Schweden

125

tilitätsentscheidungen angepasst werden. Von den Möglichkeiten eines Aufschubs des Ausbildungsendes, einer Weiterbildung oder einer Umschulung scheint ein beträchtlicher Teil von Frauen aller Bildungsniveaus Gebrauch zu machen: In fast einem Drittel unserer mehr als 60 Gruppen von Ausbildungsrichtungen schließen Frauen ihre Ausbildung im Schnitt erst nach Geburt eines ersten Kindes ab. Mehr als die Hälfte dieser Frauen hat eine Ausbildung für das Gesundheitswesen, das Unterrichtswesen oder für andere Bereiche des öffentlichen Sektors (z. B. Briefträgerin, Polizistin, Apothekenassistentin). Ob in diesen Ausbildungsbereichen eine Weiterbildung (für Mütter oder für alle) leichter möglich ist als in anderen oder ob Umschulungen aus anderen Ausbildungsrichtungen in diese Ausbildungsfelder zu diesen Allokationen führen, können wir nicht beantworten (zu Wechseln im Bildungsbereich siehe auch Breen und Jonsson 2000). In Bezug auf den Einfluss der Flexibilität des Bildungssystems auf Kinderlosigkeit offenbaren die Ergebnisse jedoch zweierlei: Zum einen scheint ein flexibles Bildungssystem die Anteile der Kinderlosen unter Frauen mit langen Ausbildungsgängen zu reduzieren und damit in jeder Bildungsrichtung die Differenzen in der Kinderlosigkeit zwischen Frauen mit niedrigem und Frauen mit hohem Bildungsniveau zu verringern. Zum anderen könnte der durch ein flexibles Bildungssystem erleichterte Wechsel in mutterschaftskompatible Bildungsrichtungen eine Konzentration von Müttern in bestimmten Bildungsrichtungen nach sich ziehen und somit zu den von uns aufgezeigten Differenzen in der Kinderlosigkeit nach Bildungsrichtung beitragen.

Kinderlosigkeit und Geschlechterverhältnisse im Bildungssystem Der geringe Anteil an Kinderlosen unter Frauen mit einem Abschluss im Gesundheits-, Pflege- und Unterrichtsbereich unterstützt die Annahme, dass Frauen mit einer Ausbildung in frauendominierten Bildungsbereichen seltener kinderlos bleiben als Frauen in geschlechteräquivalenten oder männerdominierten Bildungsfeldern. Denn in den Bereichen Gesundheit, Pflege und Unterricht stellen Frauen die überwiegende Mehrzahl (75 bis 90 Prozent) aller Schüler/-innen, Studenten/-innen und Absolventen/-innen, sowohl im sekundären als auch im tertiären Bildungssektor (Statistics Sweden 1997: 375f.). In mehreren anderen Fachgebieten findet sich eine ähnliche Beziehung zwischen einem hohen Frauenanteil unter den Auszubildenden bzw. Absolventen/-innen und einer geringen Kinderlosigkeit, etwa in Ausbildungsgängen für Textil und Bekleidung (ca. 95 Prozent Frauen) oder für Apothekenassistenten/-innen (ca. 91 Prozent).

126

Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson

Die Relation zwischen dem Frauenanteil im Bildungsbereich und dem Anteil der Kinderlosigkeit ist jedoch weniger überzeugend in Bildungsbereichen mit einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis (Frauenanteil 40 bis 66 Prozent) oder in Bildungsbereichen, in denen Frauen eine Minderheit bilden (Frauenanteil unter 40 Prozent). In manchen Fällen dreht sich in diesen Gruppen das Verhältnis sogar um. So sind 66 Prozent der Hochschulabsolventen/-innen in den Geisteswissenschaften Frauen; im Rechtswesen und den Sozialwissenschaften sind es 55 Prozent und in den bildenden Künsten und in Medizin 50 bis 52 Prozent. Geisteswissenschaftlerinnen weisen unter diesen Gruppen jedoch die höchste Kinderlosigkeit auf, Ärztinnen die geringste. Zudem besteht zwischen Frauen mit einer Ausbildung als Ärztin und jenen mit einer Ausbildung im Kunstbereich eine große Diskrepanz in den Anteilen der Kinderlosen, obwohl in beiden Studienrichtungen der Frauenanteil unter den Studenten/-innen und Absolventen/-innen etwa gleich hoch ist. Ähnliche Unterschiede gibt es auch in anderen Ausbildungsbereichen, in denen der Frauenanteil unter den Auszubildenden bzw. Absolventen/-innen unter zwei Dritteln liegt. Ungefähr die Hälfte aller Schulabgänger/-innen mit einer Ausbildung für die Lebensmittelverarbeitung oder für das Hotel- und Gastgewerbe sind Frauen, doch der Anteil der kinderlosen Frauen in diesen Bildungsgruppen differiert beträchtlich (Lebensmittelverarbeitung: 14,0 Prozent, Hotelund Gastgewerbe: 22,4 Prozent). Frauen mit einer Ausbildung in männerdominierten Bereichen wie Ingenieurwesen oder Technik (Frauenanteil unter Absolventen/-innen weniger als 25 Prozent) weisen eine ähnlich hohe Kinderlosigkeit auf wie Frauen mit einem Bildungsabschluss für Wirtschaft, Verkauf und Verwaltung, obwohl in diesen Bereichen Frauen rund die Hälfte bis zwei Drittel aller Schul- oder Studienabgänger/-innen stellen. Ein höherer Anteil von Frauen in einem Ausbildungsbereich führt somit nicht unbedingt zu einer geringeren Kinderlosigkeit, es sei denn, Frauen überwiegen gegenüber Männern mit einem Verhältnis von drei zu eins. Die Anteile der Kinderlosen unter Frauen mit einem Abschluss in einem Ausbildungsbereich mit einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis (Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften, Künste, Personaldienst, Geschäftswesen und Verwaltung, Rechtswesen) variiert beträchtlich. Frauen mit einem Hochschulabschluss in einem männerdominierten Studienzweig (d. h. weniger als 25 Prozent Frauen, wie z. B. in einigen Bereichen der Naturwissenschaften und der Technik) weisen zum Teil sogar eine geringere Kinderlosigkeit auf als Frauen mit einem Hochschulabschluss in einem Studienbereich mit ausgewogenem Geschlechterverhältnis (Geisteswissenschaften, Kunst und Kultur, Rechtswesen, Pharmazie).

Kinderlosigkeit, Bildungsrichtung und Bildungsniveau in Schweden

127

Die Annahme, ‚je höher der Anteil der Frauen in einem Bildungsbereich, desto geringer die Kinderlosigkeit’, gilt somit nicht generell. Dies deutet darauf hin, dass auch die Verknüpfung zwischen Bildungsrichtung und Arbeitsmarkt hier berücksichtigt werden muss.

4.2

Bildung und Arbeitsmarkt

Nach den Ergebnissen unserer Studie lassen sich fünf Gruppen ausmachen, die jeweils spezifischen Verschränkungen zwischen Bildung, Arbeitsmarkt- und Beschäftigungssituation entsprechen und mit unterschiedlichem Fertilitätsverhalten einhergehen. Jene in Abschnitt 2 skizzierten Faktoren kommen dabei in jeder dieser Gruppen in unterschiedlichem Maße zum Tragen. Dies deutet darauf hin, dass sich diese Faktoren in unterschiedlichen Arbeitsmarktsegmenten unterschiedlich auf Fertilitätsentscheidungen auswirken.

Ausbildungen, die zu einer sicheren Karriere im öffentlichen Sektor führen Frauen mit einem Abschluss im Bereich Gesundheit, Pflege und Unterricht haben Bildungsbereiche gewählt, die zu einem relativ kalkulierbaren und abgesicherten Berufsverlauf führen. Sie sind meist in jenem Gebiet beschäftigt, für das sie ausgebildet wurden; sie üben eine Tätigkeit in stark feminisierten Berufen und im öffentlichen Sektor aus (Melkas und Anker 1998: 14; Statistics Sweden 1997: 173f; Ahola 1999; Smyth 2003). Der öffentliche Sektor bietet eine höhere Beschäftigungssicherheit, ein sichereres Einkommen, flexiblere Arbeitszeiten und oft bessere Bedingungen, Elternzeit in Anspruch zu nehmen als der private Sektor. Beschäftigungen im öffentlichen Sektor reduzieren somit arbeitsmarktbezogene Risiken von Mutterschaft und können daher zu geringerer Kinderlosigkeit beitragen. Wie jedoch die höhere Kinderlosigkeit unter Frauen, die zwar im Allgemeinen ebenfalls einer Beschäftigung im öffentlichen Sektor nachgehen, jedoch als Musik- und Kunsterzieherinnen, Bibliothekarinnen oder Apothekerinnen ausgebildet sind, zeigt, führt eine Beschäftigung im öffentlichen Sektor oder eine Beschäftigung in frauendominierten Tätigkeitsfeldern nicht als solche zu einer niedrigeren Kinderlosigkeit.

128

Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson

Ausbildungen, die zu stark feminisierten Berufen im privaten Sektor führen Die Palette dieser Ausbildungen ist groß und umfasst z. B. Ausbildungen für die Lebensmittelverarbeitung, den Textilbereich, persönliche Dienste oder Dienstleistungen im Hotel- und Gastgewerbe. Frauen mit einer Ausbildung in diesen Bereichen arbeiten nach Abschluss ihrer Ausbildung häufiger in ausbildungsfremden Berufen als Frauen mit einer Ausbildung im Gesundheits-, Pflege- oder Unterrichtsbereich (Ahola 1999). Dies kann mit einem längeren Suchprozess, einem verzögerten Berufseinstieg, einem Aufschub der ersten Geburt14 und einem Anstieg der Kinderlosigkeit einhergehen. Die Berufsfelder dieser Ausbildungen sind zudem durch eine hohe Fluktuation und de-standardisierte Arbeitszeiten gekennzeichnet. Diese Beschäftigungsbedingungen scheinen einen Einfluss auf das Ausmaß der Kinderlosigkeit auszuüben. Frauen mit Ausbildungen für Berufsbereiche, die mit unregelmäßigen Arbeitszeiten, häufigen Arbeitszeiten außerhalb der Regelarbeitszeit oder hoher Beschäftigtenmobilität einhergehen (z. B. Hotel- und Gastgewerbe), weisen eine höhere Kinderlosigkeit auf als Frauen mit einer Ausbildung für Berufe mit Normalarbeitsverhältnissen.

Ausbildungsbereiche mit ausgewogenem Geschlechterverhältnis und geringer beruflicher Spezialisierung Zu dieser Gruppe gehören Frauen, die das Bildungssystem mit einem Grundschulabschluss oder mit einem Sekundarschulabschluss (zwei- oder dreijährig) ohne berufliche Zusatzqualifikation verlassen, aber auch Frauen mit einem Abschluss in den Geisteswissenschaften (z. B. Philosophie, Literatur), in der Kunst oder in den Sozialwissenschaften (z. B. Soziologie, Politikwissenschaft). Für Frauen mit einem solchen Bildungshintergrund gestaltet sich der Arbeitsmarkteinstieg häufig schwieriger als für Frauen mit berufsbezogenen Ausbildungen (Korpi, de Graaf, Hendrickx und Layte 2003). Ihre ersten (dauerhaften) Beschäftigungen sind in sehr verschiedenen Berufs- und Arbeitsmarktbereichen, wie z. B. in administrativen Tätigkeiten auf unterschiedlichen Hierarchieebenen im öffentlichen oder privaten Sektor angesiedelt (Ahola 1999: 27f.). Der Anteil an kinderlosen Frauen in dieser Gruppe entspricht etwa dem Durchschnitt oder liegt darüber. 14

Dafür spricht der oft große Abstand zwischen dem mittleren Alter, in dem Frauen dieser Ausbildungsbereiche ihren Bildungsabschluss erwerben und dem mittleren Alter bei der ersten Geburt (siehe Hoem, Neyer und Andersson 2006a, Anhang Tabelle A2).

Kinderlosigkeit, Bildungsrichtung und Bildungsniveau in Schweden

129

Ausbildungsbereiche mit ausgewogenem Geschlechterverhältnis und beruflicher Spezialisierung Frauen dieser Gruppe haben eine berufsspezifische Ausbildung in einem Bildungsbereich mit einem Frauenanteil von 40 bis 66 Prozent abgeschlossen. Ihre Ausbildung qualifiziert sie für Beschäftigungen mit unterschiedlichen Arbeitsmarktchancen und Einkommenserwartungen (z. B. Betriebswirtschaft, Recht, Journalismus). Wie in der vorangegangenen Gruppe entspricht der Anteil an kinderlosen Frauen etwa dem Durchschnitt oder liegt darüber. Die berufliche Qualifikation scheint somit in Bezug auf Kinderlosigkeit eine geringere Rolle zu spielen als andere ausbildungsbezogene Aspekte, wie z. B. die Verwertbarkeit der Ausbildung am Arbeitsmarkt oder die Beschäftigungsverhältnisse.

Männerdominierte Ausbildungsrichtungen Frauen mit einem Abschluss in einer männerdominierten Ausbildungsrichtung haben meist Qualifikationen für Beschäftigungsverhältnisse im privaten Sektor erworben, etwa in den Bereichen Technik oder Naturwissenschaften. Frauen mit diesen Ausbildungen sind im Allgemeinen mit erschwerten Arbeitsmarkteinstiegen konfrontiert. Ihre erste ausbildungsadäquate Beschäftigung bietet ihnen seltener berufliche Sicherheit und ist häufig von kürzerer Dauer als die erste Beschäftigung von Frauen mit Abschlüssen anderer Ausbildungsrichtungen (Smyth 2003: 66f.). Trotzdem bleiben diese Frauen seltener kinderlos als Frauen mit Ausbildungen in Bereichen mit ausgewogenerem Geschlechterverhältnis (z. B. Handel, Administration, Wirtschaft, Kunst oder Geisteswissenschaften). Dies widerspricht Annahmen eines Gegensatzes zwischen Mutterschaft und männerdominierten Ausbildungen ebenso wie jenen, die aufgrund eines höheren Dequalifizierungsrisikos in diesen Ausbildungsrichtungen höhere Kinderlosigkeit erwarten.

Kinderlosigkeit, Bildungsrichtung und wohlfahrtstaatliche Politik Dass die Anteile der Kinderlosigkeit unter Frauen mit hohen Bildungsabschlüssen jenen unter Frauen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen entsprechen, kann ein Beleg dafür sein, dass das schwedische Elterngeldsystem die Opportunitätskosten hoch qualifizierter Frauen verringert. Vergleicht man jedoch die Anteile

130

Gerda Neyer, Jan M. Hoem und Gunnar Andersson

der Kinderlosigkeit von Frauen verschiedener Bildungsrichtungen, aber gleichen Bildungsniveaus, mit der Erwerbs- und Einkommenssituation dieser Frauen, so ergibt sich eine andere Interpretation. Die Ergebnisse bestätigen Untersuchungen, dass in einem erwerbs- und einkommensabhängigen Elterngeldsystem wie dem schwedischen die Erwerbssituation und das Einkommen von Frauen wesentliche Faktoren in der Entscheidung für oder gegen ein Kind sind (Andersson 2000). Frauen mit Ausbildungen für Berufe, die mit diskontinuierlichen Erwerbseinkommen einhergehen (z. B. Kunst, Geisteswissenschaften, Hotelund Gastgewerbe) oder die im Schnitt ein niedrigeres Einkommen15 haben als Frauen mit einem äquivalenten Bildungsniveau (z. B. Geisteswissenschaftlerinnen, Bibliothekarinnen, Künstlerinnen), weisen eine hohe Kinderlosigkeit auf. Bemerkenswert ist, dass nicht die Einkommenshöhe als solche von Bedeutung zu sein scheint, sondern die Einkommensverhältnisse relativ zu jenen von Frauen desselben Bildungsniveaus. So haben etwa Reinigungskräfte oder Kosmetikerinnen ein ähnliches oder niedrigeres Einkommen als Bibliothekarinnen, Künstlerinnen und Geisteswissenschaftlerinnen (mit Universitätsabschluss) und bleiben dennoch deutlich seltener kinderlos. Die subjektive Wahrnehmung der eigenen ökonomischen Situation scheint hier von Bedeutung zu sein. Doch die hohen Anteile an nicht verheirateten Frauen unter Bibliothekarinnen, Geisteswissenschafterinnen und Künstlerinnen lassen vermuten, dass auch andere Faktoren, wie etwa spezifische individuelle Präferenzen oder Normen des sozialen Umfeldes, für die hohe Kinderlosigkeit in dieser Bildungsgruppe ausschlaggebend sind.

4.3

Präferenzen, Selektionseffekte, Anpassung und soziale Normen

Unsere Ergebnisse und das Spektrum der Möglichkeiten, sie zu interpretieren, offenbaren, dass der Anteil an dauerhafter Kinderlosigkeit in einer Bildungsgruppe das Resultat vieler miteinander verschränkter institutioneller und individueller Prozesse sein muss. Die Differenzen in der Kinderlosigkeit nach Bildungsfeldern weisen darauf hin, dass auf der Individualebene Selektionsprozesse stattfinden. Individuelle Interessen, Fähigkeiten und Präferenzen scheinen die Wahl von Bildungsrichtungen zu beeinflussen. Doch historische Untersuchungen zu den Veränderungen der Kinderlosigkeit unter Frauen einer spezifischen Bildungsrichtung, etwa Lehrerinnen, zeigen, dass individuelle Orientierungen 15

Berechnet wurden die durchschnittlichen Jahreseinkommen der Frauen. Sie werden in diesem Beitrag nicht gesondert dargestellt.

Kinderlosigkeit, Bildungsrichtung und Bildungsniveau in Schweden

131

sich in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich auf Fertilität auswirken (Cookingham 1984; Jensen 1973). Normative Einflüsse, geschlechtsspezifische Konventionen und die sozialen und ökonomischen Möglichkeiten, die sich Frauen im Laufe ihres Lebens bieten, beeinflussen das reproduktive Verhalten und das Ausmaß der Kinderlosigkeit nachhaltig (Jonsson 1987, 1999; Jonsson und Mills 1993a, 1993b). Es ist daher anzunehmen, dass Kinderlosigkeit das Ergebnis einer dynamischen Interaktion zwischen den Bildungsmöglichkeiten, dem Bildungsweg und den sich im Lebensverlauf entwickelnden Plänen und Präferenzen bezüglich Kinder und Beruf ist.

5

Forschungsimplikationen

Die Bedeutung, die der Bildungsrichtung als Indikator für Kinderlosigkeit zukommt, legt nahe, dass künftige Forschungen verstärkt das Bildungsfeld berücksichtigen sollten. Denn mehr als das Bildungsniveau lässt die Bildungsrichtung Rückschlüsse auf andere, kontextuelle Faktoren zu, die Fertilitätsentscheidungen maßgeblich beeinflussen können. Dies impliziert nicht nur, dass wir für eine adäquate Einschätzung der Wirkung von Bildung auf Fertilität einen institutionellen Interpretationsrahmen wählen müssen, sondern dass wir, idealiter, institutionelle Faktoren in die Analysen mit einbeziehen sollten. Forschungen dieser Art sind noch rar, nicht zuletzt aufgrund der Datenlage. Doch klar ist, dass individualistische Forschungsansätze, die institutionelle Faktoren unberücksichtigt lassen, die Dynamik und Komplexität der Zusammenhänge von Bildung und Kinderlosigkeit nicht zu erfassen vermögen.

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Sozialstruktur der Kinderlosigkeit in Ost- und Westdeutschland – Die Rolle von Bildung und Erwerbsverlauf

Familiengründung von Hochschulabsolventinnen. Eine empirische Untersuchung verschiedener Examenskohorten1 Hildegard Schaeper

1

Einleitung

Dieser Aufsatz untersucht den Prozess der Familiengründung, d. h. der Geburt des ersten Kindes, von Hochschulabsolventinnen verschiedener Examensjahrgänge. Mit dem Fokus auf diese besondere Population wird einem Phänomen näher nachgegangen, das schon länger bekannt ist, aber erst in der letzten Zeit große mediale und wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren hat: die rückläufige und niedrige Geburtenrate von Akademikerinnen. Verlässliche Zahlen über den Anteil dauerhaft kinderloser Akademikerinnen liegen für Deutschland nicht vor – die auf Basis unterschiedlicher Datenbestände vorgenommenen Schätzungen für westdeutsche Hochschulabsolventinnen bewegen sich zwischen unter 25 Prozent (BZgA 2005; Schmitt und Winkelmann 2005) und etwa 40 Prozent (Duschek und Wirth 2005). Doch ist unstrittig, dass er deutlich höher liegt als in anderen Qualifikationsgruppen. Auch deuten verschiedene empirische Analysen auf einen stärkeren Anstieg des Anteils kinderloser Akademikerinnen hin. Dafür, dass diese Entwicklung hauptsächlich auf einer Zunahme gewünschter Kinderlosigkeit beruht, gibt es kaum Indizien. Zwar gibt es Hinweise darauf, dass der Kinderwunsch insgesamt zurückgegangen ist (Dorbritz und Ruckdeschel, in diesem Band). Allerdings sind die Bildungsunterschiede bei der Frage des Kinderwunsches deutlich geringer als bei der realisierten Mutterschaft; Wunsch und Wirklichkeit klaffen bei hoch qualifizierten Frauen also besonders weit auseinander (Eckhard und Klein 2006). Zu der Frage, warum der Wunsch nach Kindern zunehmend seltener realisiert wird, findet sich in theoretischen Überlegungen wie auch empirischen Stu1

Bei dem vorliegenden Aufsatz handelt es sich um die überarbeitete und gekürzte Fassung einer Expertise für den 7. Familienbericht, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wurde.

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Hildegard Schaeper

dien immer wieder der Verweis auf die hohe Bedeutung der Erwerbsarbeitssphäre. War früher der Lebenslauf von Frauen vorwiegend um die Familie herum organisiert, gehören heute neben der Familie auch Arbeitsmarkt und Beruf zu den für weibliche Lebensläufe zentralen gesellschaftlichen Institutionen. Entscheidungen in dem einen Bereich werden nicht isoliert getroffen, sondern sind abhängig von Entwicklungen, Entscheidungen, Aspirationen und Strukturen in dem anderen Lebensbereich. Dementsprechend konzentriert sich der vorliegende Beitrag auf die Frage, inwieweit und wie Beruf und Arbeitsmarkt auf die Familiengründung von Hochschulabsolventinnen einwirken. Ausgehend von theoretischen Überlegungen, die in Abschnitt 2 dargelegt werden, wird diese Frage empirisch anhand der vom Hochschul-Informations-System durchgeführten Absolventenstudien untersucht. Nähere Informationen zu diesen Datensätzen, die vier Prüfungsjahrgänge (1989, 1993, 1997 und 2001) umfassen, zu den verwendeten statistischen Verfahren und Variablen finden sich in Abschnitt 3. In Abschnitt 4 werden die Ergebnisse der empirischen Analysen in zwei Schritten präsentiert. Im ersten Schritt wird der Familienbildungsprozess aller in die Untersuchungsreihe einbezogenen Prüfungsjahrgänge beleuchtet, um so Entwicklungen über einen längeren Zeitraum verfolgen und den Einfluss der Beteiligung am Bildungssystem auf den Übergang in die Mutterschaft herausarbeiten zu können. Der zweite Schritt widmet sich der Detailanalyse des Zusammenhangs zwischen Berufsverlauf und Familiengründung; er beschränkt sich auf die Zeit nach Abschluss des ersten Studiums und – aufgrund der Datenlage – auf Hochschulabsolventinnen der zwei jüngsten Examenskohorten.

2

Theoretische Fundierung

2.1

Allgemeine lebenslauftheoretische Annahmen

Für die Untersuchung des Übergangs in die Mutterschaft wird eine lebenslauftheoretische Perspektive eingenommen, nach der biographisch relevantes, mit Statusübergängen verbundenes Handeln wie jedes Handeln in den Lebenslauf eingebettet ist und einen mehrfachen zeitlichen Bezug aufweist: Es findet in der Gegenwart statt und wird durch den aktuellen Handlungskontext geprägt; es verweist auf die Vergangenheit, auf biographische Erfahrungen, akkumulierte Ressourcen, Entscheidungen und Bedingungen der vorausgegangenen Lebensgeschichte, die zu biographischen Festlegungen führen und das Handeln subjek-

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tiv motivieren („Weil-Motive“, Schütz 1971: 80); und es bezieht sich sowohl subjektiv („Um-zu-Motive“, ebenda) als auch objektiv (beabsichtigte und unintendierte Handlungsfolgen) auf die Zukunft. Der Vergangenheitsbezug lebensgeschichtlicher Ereignisse und biographischen Handelns, der mit der Bestimmung des Lebenslaufs als ein „selbstreferenzieller Prozess“ (Huinink 1995) bzw. „endogener Kausalzusammenhang“ (Mayer 1987) auf den Begriff gebracht wird, begründet die Berücksichtigung vergangener Ereignisse und Verläufe in den empirischen Analysen. In einer diachronen Perspektive erscheint der Lebenslauf als eine Abfolge von Ereignissen oder als eine Sequenz von Zuständen bzw. Statuspassagen. Will man aber der Multidimensionalität von Lebensläufen (Huinink 1995), der synchronen Einbindung in mehrere Lebensbereiche Rechnung tragen, dann ist es – René Levy (1996: 73) folgend – angemessener, den Lebenslauf als einen Konfigurationsverlauf, d. h. als „Sequenz von Partizipations-, Positions- und Rollenkonfigurationen“ zu konzeptualisieren. Dabei ist davon auszugehen, dass sich die Entwicklungen in verschiedenen Lebensbereichen wechselseitig beeinflussen (Huinink 1995: 154). So stellt sich die Familiengründung als ein Prozess dar, der mit dem Berufsverlauf, aber z. B. auch mit der Bildungsgeschichte und der Partnerschaftsentwicklung in einem Bedingungsverhältnis steht. Der Lebenslauf ist weiterhin Teil eines gesellschaftlichen Mehrebenenprozesses (ebenda: 154 f.). Auf der Mikroebene sind die Akteure verortet, die vor dem Hintergrund ihrer individuellen, gleichwohl kollektiv geformten Aspirationen und Präferenzen sowie der gegebenen Opportunitäten und Restriktionen handeln. Dass dieses Handeln rational, also von Nutzen-Kosten-Erwägungen und dem Bemühen um Nutzenmaximierung geleitet ist, avancierte bei der Analyse und Erklärung des generativen Verhaltens zum dominanten Paradigma. Dieser Auffassung ist zum Teil vehement widersprochen worden (Burkart 1994, 2002), doch lässt sich aus den Ergebnissen anderer Untersuchungen (z. B. Schaeper und Kühn 2000) ableiten, dass dem rationalen Handlungsmodell durchaus ein gewisses, wenn auch eingeschränktes Erklärungspotenzial zukommt. Insbesondere bei Akademikerinnen, so eine empirische Studie zum Phänomen der späten ersten Mutterschaft (Herlyn, Krüger und Heinzelmann 2002), ist davon auszugehen, dass die Familiengründung in höherem Maße Ergebnis eines bewussten Planungs-, Entscheidungs- und Abwägungsprozesses ist. In diesen Entscheidungsprozess gehen auf der einen Seite Überlegungen zu den Kosten eines Kindes ein: direkte ökonomische Kosten, psychische Kosten (Stress, emotionale Belastungen) und indirekte Kosten (Opportunitätskosten) der Kindererziehung, die sich aus dem entgangenen Nutzen einer alternativen

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Zeitverwendung, z. B. für Erwerbsarbeit, oder eines alternativen Konsums ergeben. Auf der anderen Seite, der Nutzenseite, stehen der – in modernen Gesellschaften fast bedeutungslose – Einkommens- und Versicherungsnutzen von Kindern, der soziale Nutzen (z. B. Statusgewinn, Anerkennung) und insbesondere der psychisch-emotionale Nutzen (persönliche Erfüllung, Bereicherung des Lebens, Zuneigung). In ihrem Handeln beziehen sich Akteure auf ihr engeres soziales Umfeld, auf Partner und Partnerinnen, auf Peers, auf Mitglieder der Herkunftsfamilie. Das soziale Umfeld ist für den Lebenslauf nicht nur wegen der Frage der verfügbaren Ressourcen (z. B. Möglichkeit der Kinderbetreuung durch Mitglieder des familiären Netzwerkes) von Bedeutung, sondern auch wegen der dort vorherrschenden Normen und Werte sowie aufgrund der Notwendigkeit, den Lebenslauf mit den Lebensläufen, Lebensplänen und Lebenslagen relevanter Anderer abzustimmen (‚linked lives’). Akteure sind darüber hinaus in einen regionalen Handlungskontext eingebunden, der unterschiedliche Opportunitätsstrukturen (z. B. Arbeitsmarktchancen, Ausstattung mit Kinderbetreuungsmöglichkeiten) und soziokulturelle Orientierungsmuster bereitstellt. Schließlich handeln Akteure unter den strukturellen und kulturellen Bedingungen der Gesamtgesellschaft, die über allgemeingültige Opportunitätsstrukturen, übergreifende Normen und Deutungsmuster sowie weithin verbindliche Institutionen wie Schule/Hochschule, Arbeitsmarkt/Beruf und Familie Lebensläufe in ihrem zeitlichen Ablauf und der Verbindung von Lebenssphären vorzeichnet.

2.2

Konkrete Annahmen zum Prozess der Familiengründung bei Hochschulabsolventinnen

Die skizzierte theoretische Orientierung impliziert ein anspruchsvolles empirisches Programm, das mit einer Sekundäranalyse von primär zu anderen Zwecken erhobenen Daten nicht annähernd abgedeckt werden kann. Die hier präsentierten empirischen Analysen werden deshalb viele der aufgeführten möglichen Einflussfaktoren nicht unmittelbar berücksichtigen können (z. B. die psychosozialen Dispositionen der befragten Frauen, Merkmale des engeren sozialen Umfeldes, Partnerschaftsentwicklung), sondern sich auf die im Folgenden beschriebenen beschränken. Die Auswirkungen des allgemeinen strukturellen und kulturellen Wandels auf das Timing der Familiengründung und das Ausmaß der Kinderlosigkeit können nur selten direkt untersucht werden. Approximiert werden diese gesamtge-

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sellschaftlichen Phänomene in der Regel über das Geburtsjahr, für das vorliegende Untersuchungen einen deutlichen Effekt auf das Alter bei der Familiengründung belegen: Studien, die ein langes Zeitintervall abdecken, konnten zeigen, dass bei den zwischen Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts geborenen Frauen die Geburt des ersten Kindes zunächst immer früher erfolgte, dass in jüngeren Geburtskohorten aber der Übergang in die Mutterschaft zunehmend später realisiert wurde (Blossfeld und Rohwer 1995; Brüderl und Klein 1991; Klein und Lauterbach 1994). Danach wäre auch bei Hochschulabsolventinnen eine steigende Tendenz zum Aufschub der Familiengründung zu erwarten. Allerdings wird mit den in die Untersuchung einbezogenen Prüfungsjahrgängen nur ein relativ kurzer historischer Zeitraum abgedeckt. Darüber hinaus haben die zitierten Untersuchungen ergeben, dass je nach Modellspezifikation der Kohorteneffekt vollständig verschwindet, wenn der ‚Institutioneneffekt’ kontrolliert wird; die zunehmende Verschiebung des Zeitpunkts der Erstgeburt wäre dann ausschließlich auf die ansteigende Bildungsbeteiligung zurückzuführen (so Blossfeld und Rohwer (1995), anders Brüderl und Klein (1991)). Aufgrund des kurzen historischen Beobachtungsfensters und der geringen Variabilität von Bildungsbeteiligung und Bildungsdauer in den untersuchten Examensjahrgängen ist deshalb auch die Erwartung geringer Kohortenunterschiede plausibel. Alle Studien, die den Einfluss der Bildungsbeteiligung (‚Institutioneneffekt’) auf die Familiengründung untersuchen, belegen übereinstimmend, dass der Übergang in die Mutterschaft (und auch in die Vaterschaft (Tölke 2006)) sehr unwahrscheinlich ist, solange sich die Frauen (und Männer) in einer Ausbildung befinden (z. B. Blossfeld und Rohwer 1995; Brüderl und Klein 1991; Hank 2003; Klein und Lauterbach 1994). Eine Familiengründung während einer Ausbildungsphase erscheint zum einen wegen mangelnder finanzieller Unabhängigkeit und fehlender materieller Mittel nicht opportun (direkte ökonomische Kosten; ‚Ressourcenproblem’ (Huinink 1995)). Zum anderen stehen in diesen biographischen Phasen, die zeitlich wenig disponibel sind und deshalb eine Konzentration auf die Bewältigung bildungsbiographischer Aufgaben erfordern, familienbezogene Fragen und Entscheidungen noch gar nicht auf der Agenda (‚Perspektivenproblem’ (ebenda)). Sollten sie Eingang in den gedanklichen Horizont finden, dann stehen einer Familiengründung die damit verbundenen hohen Opportunitätskosten und konkurrierende Zeitanforderungen entgegen. Die zeitlichen Erfordernisse einer Ausbildung sind so hoch, dass sie sich nur schwer mit einer Familie vereinbaren lassen (‚Vereinbarkeitsproblem’ (ebenda)). Eine Verlängerung der Ausbildungsdauer oder sogar ein Ausbildungsabbruch sind mögliche Folgen, die insbesondere Mütter zu tragen haben (Schaeper und Minks

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1997; Heublein, Spangenberg und Sommer 2003). Ein Ausbildungsabbruch aber hat weit reichende negative Konsequenzen für die zukünftigen Einkommensund Berufschancen und verursacht damit hohe indirekte Kosten. Diese Aussagen gelten unter den gesellschaftlichen Bedingungen der Bundesrepublik Deutschland, sodass für westdeutsche Studentinnen und Hochschulabsolventinnen sowie für ostdeutsche Studierende und Akademikerinnen jüngerer Examenskohorten eine deutlich reduzierte Geburtenneigung für die Zeit des Studiums zu erwarten ist. Diese Aussagen haben aber nicht unter allen gesellschaftlichen Umständen Bestand: So entschärften die sozial-, familien- und bildungspolitischen Regelungen der DDR das Ressourcen-, Vereinbarkeits- und Perspektivenproblem und schafften – so Johannes Huinink (2000: 216) – vielleicht sogar Anreize für eine frühzeitige Familiengründung. Gezielt auf die Förderung von Studentinnen mit Kindern war in DDR das Instrument des ‚individuellen Studienplans’ (ISP) oder der ‚individuellen Fördervereinbarung’, das Einzelkonsultationen mit Lehrenden, individuelle Prüfungszeit und Vorlesungsmitschriften durch Kommilitoninnen und Kommilitonen vorsah. An vielen Hochschulen existierten darüber hinaus niedrigschwellige und flexible Betreuungsangebote außerhalb der ohnehin umfassenden und kostengünstigen regulären Betreuungsmöglichkeiten, die im Rahmen des ‚rollenden Studenteneinsatzes’ – die Verpflichtung, insgesamt zwei Wochen im Jahr unentgeltlich in einer Einrichtung der Universität zu arbeiten – organisiert wurden. Schließlich waren auch aufgrund der geringen Lebenshaltungs- und Kinderbetreuungskosten, der günstigen Wohnraumversorgung sowie der materiellen Absicherung durch Stipendien, die durch einen Kinderzuschlag aufgestockt wurden (Leszczensky und Filaretow 1990), die finanziellen Belastungen durch ein Kind vernachlässigbar. Aus diesen Gründen ist zu erwarten, dass bei ostdeutschen Hochschulabsolventinnen älterer Prüfungsjahrgänge, die noch zu DDR-Zeiten oder kurz danach ihr Studium aufgenommen haben, der Institutioneneffekt deutlich geringer ausgeprägt ist als bei westdeutschen Akademikerinnen. Für die jüngeren ostdeutschen Examenskohorten ist dagegen davon auszugehen, dass sich das Familiengründungsverhalten an das der westdeutschen hoch qualifizierten Frauen angleicht, gleichwohl weiterhin deutlich davon unterschieden ist. Die Hypothese der Konvergenz kann damit begründet werden, dass nach dem Beitritt der neuen Länder zur Bundesrepublik Deutschland in Ostdeutschland eine neue ‚Geschlechterordnung’ (Pfau-Effinger 1998) eingeführt, ein neues institutionelles Umfeld für Lebenslaufentscheidungen geschaffen wurde, das sich eher durch eine ‚strukturelle Unvereinbarkeit’ (Dornseiff und Sackmann 2003) von Familie und Beruf bzw. durch eine nur sequenzielle Ver-

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einbarkeit dieser beiden Sphären auszeichnet. Für die Hypothese der weiter bestehenden Differenz spricht die Persistenz einer spezifisch ostdeutschen ‚Geschlechterkultur’. Kennzeichnend für die Geschlechterkultur der DDR waren das Leitbild der ‚werktätigen Hausfrau und Mutter’, das eine volle Integration der Frauen in die Erwerbsarbeit bei gleichzeitiger Beibehaltung ihrer traditionellen Zuständigkeit für den reproduktiven Bereich vorsah, eine kulturelle Konstruktion von Kindheit, die Kinderbetreuung und -erziehung als zum großen Teil öffentliche Aufgabe definierte, sowie das ‚Pendlermodell’ (Trappe 1995) der weiblichen Normalbiographie mit einer durchgängigen, nur durch kurze Familienphasen unterbrochenen Vollzeiterwerbstätigkeit. Infolge des Transfers der westdeutschen Geschlechterordnung entstand in Ostdeutschland ein ‚cultural lag’ – die Geschlechterkultur blieb zeitlich hinter der strukturellen Entwicklung zurück –2, und vorliegenden Untersuchungen zufolge (z. B. Dornseiff und Sackmann 2003; Spellerberg 2005) wurde dieser ‚Rückstand’ auch mehr als zehn Jahre nach der Wiedervereinigung noch nicht aufgeholt. Auch für Westdeutschland kann nicht von einer Parallelität der kulturellen und sozialstrukturellen Entwicklung ausgegangen werden. Hier sind die Organisationen und Institutionen des Wohlfahrtsstaates, des Arbeitsmarktes und der Familie hinter den modernisierten, auf Selbständigkeit, Berufstätigkeit und eine doppelte Lebensführung gerichteten Frauenleitbildern zurückgeblieben (Born 2001; Pfau-Effinger 1998). Man könnte von einem ‚structural lag’ reden, allerdings nur mit Einschränkungen. Denn das Leitbild der selbständigen, gleichermaßen auf Beruf und Familie orientierten Frau steht in Konkurrenz mit dem Leitbild der ‚guten Mutter’, nach dem die Mutter zum Kind gehört – zumindest zum kleinen Kind –, und der kulturellen Konstruktion von Kindheit als privater und familienbezogener Lebensform (Oechsle 1998; Pfau-Effinger 1998). Damit entspräche der ‚strukturellen Unvereinbarkeit’ von Familie und Beruf eine ‚ideologische Unvereinbarkeit’ (Dornseiff und Sackmann 2003: 317). Das sich unter Umständen mehrfach wiederholende Drei-Phasen-Modell, das es erlaubt, sich während der Kleinkindphase am Leitbild der guten Mutter, davor und danach aber am Leitbild der selbständigen, berufstätigen Frau zu orientieren, gründete auf einem kulturellen Fundament.

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Um Missverständnissen vorzubeugen, sei darauf hingewiesen, dass der Begriff des ‚cultural lag’ nicht im Sinne von Rückständigkeit zu verstehen ist. Soweit es die kulturellen Leitbilder zur Müttererwerbstätigkeit und Kinderbetreuung betrifft, ist in den neuen Ländern das Gegenteil der Fall.

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Eigene Sonderauswertungen des ALLBUS hinsichtlich der Einstellungen zur Müttererwerbstätigkeit3 zeigen allerdings, dass die These der ‚ideologischen Unvereinbarkeit’ schon Anfang der 1990er Jahre für höher gebildete westdeutsche Frauen nur in geringem Maße zutraf. Die Folgen sind ein größeres ‚structural lag’ und ein größeres ‚Vereinbarkeitsdilemma’, da für hoch qualifizierte Frauen mit hohen beruflichen Aspirationen die üblichen Vereinbarkeitsmodelle wie Berufsunterbrechung und Teilzeitarbeit unter den gegenwärtigen Bedingungen wenig mit den beruflichen Ambitionen kompatibel sind. Nicht nur aufgrund dieses Vereinbarkeitsproblems ist zu erwarten, dass familiale Entscheidungen so lange aufgeschoben werden, bis der zeitintensive, Flexibilität und Mobilität voraussetzende Prozess der beruflichen Etablierung und Konsolidierung abgeschlossen ist – ein Aufschub, der leicht zu ungewollter oder auch bewusster Kinderlosigkeit führen kann. Die Annahme, dass eine stabile und tragfähige berufliche Positionierung eine Voraussetzung für die Familiengründung hoch qualifizierter Frauen darstellt, lässt sich darüber hinaus mit zwei weiteren biographischen Problemen in Verbindung bringen: dem Ressourcenproblem, bei dem es um die gegenwärtige wie zukünftige materielle Absicherung lebenslaufrelevanter Entscheidungen geht (Huinink 1995: 186), und dem Perspektivenproblem (ebenda: 185), das die Klärung und Sicherheit biographischer Perspektiven betrifft. Demnach wäre zu erwarten, dass sich z. B. ein unbefristeter Arbeitsvertrag positiv auf die Neigung zur Familiengründung auswirkt. Eine Unsicherheit bezüglich biographischer Perspektiven kann allerdings der ‚Value-of-children’-Theorie von Friedman, Hechter und Kanazawa (1994) zufolge auch den gegenteiligen Effekt haben: Um Perspektivensicherheit zu schaffen, könnten gerade Frauen, deren Aussichten auf eine stabile berufliche Karriere schlecht sind, früher und häufiger den Übergang in die Mutterschaft realisieren – ein Zusammenhang, der in familienökonomischen Theorieansätzen damit begründet wird, dass bei geringeren Karriereressourcen die mit einer Mutterschaft verbundenen Opportunitätskosten in Form von kurzfristigen Verdienstausfällen und langfristigen Nachteilen für Beruf und soziale Sicherung sinken. Das Argument der Opportunitätskosten sowie der Unsicherheitsreduktion als Handlungsmotivation legt die Vermutung nahe, dass z. B. eine nicht ausbildungsadäquate berufliche Platzierung oder die Erfahrung beruflicher Abstie-

3

Analysiert wurden die Items „Ein Kleinkind wird sicherlich darunter leiden, wenn seine Mutter berufstätig ist“ und „Es ist für ein Kind sogar gut, wenn seine Mutter berufstätig ist und sich nicht nur auf den Haushalt konzentriert“.

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ge die Familiengründung beschleunigen, Vollzeiterwerbstätigkeit und eine hohe berufliche Position den Übergang in die Mutterschaft verzögern. Familienbezogene und berufliche Orientierungen werden in quantitativen Analysen zumeist nicht direkt einbezogen, da sie nur selten vor Beginn des untersuchten Prozesses und noch seltener zu verschiedenen Zeitpunkten erhoben werden. Stattdessen können häufig nur grobe Indikatoren, von denen bekannt ist, dass sie mit den eigentlich interessierenden Phänomenen zusammenhängen, verwendet werden, so z. B. die soziale Herkunft (s.u.), die Konfessionszugehörigkeit, das Qualifikationsniveau4 oder die Fachrichtung. So ist aus vielen Untersuchungen bekannt (z. B. Heine et al. 2005), dass Studierende medizinischer und Lehramtsstudiengänge eine ausgeprägte soziale Orientierung bei geringen Karriereambitionen aufweisen, während in den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften materialistische und Karriereorientierungen stark entwickelt sind. Gleichzeitig ist das Fachgebiet des abgeschlossenen Studiums mit unterschiedlichen Karrierechancen verbunden und in je spezifischer Weise mit dem Beschäftigungssystem verknüpft. Aufgrund dieser Überlegungen ist mit deutlich unterschiedlichen Familiengründungsraten von Absolventinnen verschiedener Fachrichtungen zu rechnen – Untersuchungen in anderen Ländern kamen sogar zu dem Schluss, dass die Fachrichtung das generative Verhalten besser erklärt als das Bildungsniveau (Hoem, Neyer und Andersson, in diesem Band). Die Richtung dieser Unterschiede lässt sich aufgrund der teilweise konkurrierenden theoretischen Argumente und der in einzelnen Fachrichtungen gegenläufigen Effekte von Orientierungen und Karriereressourcen allerdings nur schwer vorhersagen. Die Ressourcenausstattung des Elternhauses mit ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital spielt für die berufliche Platzierung der Kinder nach wie vor eine nicht zu vernachlässigende Rolle, und zwar unabhängig vom erreichten Qualifikationsniveau. Auch bei Akademikerinnen und Akademikern konnte nicht nur ein indirekter, über die herkunftsspezifische Studienfach- und Hochschulwahl vermittelter, sondern auch ein eigenständiger Effekt der sozialen oder Bildungsherkunft auf den Berufserfolg nachgewiesen werden (Hemsing 2001; Willich 2003). Die Ressourcen der Eltern werden damit in einer Form auf die Kinder vererbt, die über das testamentarische oder gesetzliche Erbe hinausgeht, und vermehren die durch eigene Humankapitalinvestitionen erlangten Karriereressourcen der Nachkommen. Darüber hinaus prägt die soziale Position der 4

Johannes Huinink (2000: 219) spricht in diesem Zusammenhang vom ‚Niveaueffekt 2’ und grenzt ihn vom ‚Niveaueffekt 1’ ab, der den Einfluss des Bildungsniveaus auf die Familiengründung aufgrund der mit ihm verbundenen unterschiedlichen Karriereressourcen misst.

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Herkunftsfamilie auch berufliche Orientierungen, Aspirationen und Erwartungshaltungen. Aufgrund der höheren Karriereressourcen und -orientierungen ist deshalb anzunehmen, dass eine hohe soziale Herkunft zu einem Aufschub der Familiengründung führt – eine Annahme, die in früheren Untersuchungen (z. B. Blossfeld und Rohwer 1995) durchaus bestätigt werden konnte.

3

Empirische Grundlagen und Verfahren

3.1

Daten

Die Analysen des Familiengründungsprozesses von Hochschulabsolventinnen basieren auf den als Panel angelegten Absolventenstudien, die das HIS Hochschul-Informations-System mit finanzieller Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durchführt. Die HIS-Absolventenstudien decken das gesamte Fächerspektrum ab und beziehen mit Ausnahme der Hochschulen der Bundeswehr, der Verwaltungsfachhochschulen und der Hochschulen, die ausschließlich Fernstudiengänge anbieten, alle staatlichen und staatlich anerkannten privaten Hochschulen ein. Die Untersuchungsreihe erstreckt sich bislang auf vier Abschlusskohorten mit bis zu zwei Befragungswellen. Für den Prüfungsjahrgang 1989 (Abschluss im Wintersemester 1988/1989 oder im Sommersemester 1989 an einer Hochschule des früheren Bundesgebietes) liegen Daten von 2.898 Frauen über einen Zeitraum von im Mittel 42 Monaten nach Studienabschluss vor; bei der Befragung der Abschlusskohorte 1993, in die erstmals die neuen Länder einbezogen wurden, konnten 2.617 Frauen über einen Zeitraum von durchschnittlich 66 Monaten nach dem Examen beobachtet werden; das Beobachtungsfenster der 2.739 befragten Hochschulabsolventinnen des Examensjahrgangs 1997 erstreckt sich auf durchschnittlich 70 Monate nach Hochschulabschluss; die erste und bislang einzige Befragung der 4.798 Frauen der Abschlusskohorte 2001 fand im Mittel 18 Monate nach dem Examen statt, sodass für diesen Zeitraum Angaben zu den Familien- und Berufsverläufen vorliegen.

3.2

Vorgehen und Methode

Für einen deskriptiven Überblick über den interessierenden Prozess wurden die Survivorfunktionen nach der Kaplan-Meier-Methode (Produkt-Limit-Verfahren)

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geschätzt. Die multivariaten Analysen bedienen sich ereignisanalytischer Verfahren. Geschätzt wurden Exponentialmodelle, die von einer konstanten Rate über die Zeit ausgehen. Diese Annahme ist in den vorliegenden Anwendungen zwar unrealistisch – die Familiengründung ist eindeutig altersabhängig –, doch wird der Zeitabhängigkeit der zu analysierenden Prozesse durch den Einbezug zahlreicher Kovariaten (u. a. Alter, Verbleib im Bildungssystem) Rechnung getragen. Für die alten und neuen Länder wurden zunächst getrennte Modelle geschätzt, um anschließend in einem gemeinsamen Modell den Ost-West-Effekt zu testen. Allen hier präsentierten Ergebnissen sind umfängliche Überprüfungen von theoretisch denkbaren Interaktionseffekten vorausgegangen. Zugunsten von sparsamen und einfachen Modellen werden diese aber nur dann berichtet, wenn sie sich als signifikant erwiesen haben. Da es sich bei den HIS-Absolventenpanels zum Teil um disproportional geschichtete Stichproben handelt, wurden die Analysen zum Familiengründungsprozess und zur Dauer der Erwerbsunterbrechung von Akademikerinnen unter Verwendung von Stichprobengewichten mit dem Statistikprogramm Stata durchgeführt.

3.3

Modellspezifikation

Wie eingangs erwähnt werden bei der Analyse des Familiengründungsprozesses von Hochschulabsolventinnen zwei Perspektiven eingenommen, die auf unterschiedliche Zeitfenster und Fragestellungen fokussieren. Der erste Analysestrang betrachtet alle Examenskohorten und untersucht den Übergang in die Mutterschaft ab dem Zeitpunkt, zu dem die Frauen 14 Jahre alt sind. Prozesszeit ist also das Alter. Wegen ihrer besonderen Biographie blieben Absolventinnen älterer Geburtsjahrgänge (im Westen: Jahrgänge vor 1960, im Osten: Jahrgänge vor 1965) sowie Befragte, die ihre Hochschulzugangsberechtigung im Ausland erworben haben, unberücksichtigt. Das Sample umfasst nach diesen Selektionen 10.249 westdeutsche und 1.769 ostdeutsche Frauen, für die Angaben zu allen Variablen vorliegen. In die Modelle wurden folgende Variablen aufgenommen: Examenskohorte mit dem Jahrgang 1993 als Referenzkategorie: Die Examenskohorten sind größtenteils mit bestimmten Geburtskohorten identisch: Die Frauen des Prüfungsjahrgangs 1989 wurden weit überwiegend in den Jahren 1960 bis 1964 geboren, die Absolventinnen des Abschlussjahres 1993 hauptsächlich in den Jahren 1965 bis 1969. Die Examensjahrgänge 1997 und 2001

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sind jedoch weniger altershomogen, und die Geburtskohorte 1970 bis 1974 ist in beiden Abschlussgruppen mit einer größeren Fallzahl vertreten. Um zu überprüfen, ob es sich bei den gefundenen Unterschieden zwischen den Prüfungsjahrgängen vorwiegend um Geburtskohorteneffekte oder Periodeneffekte handelt, wurde in weiteren – allerdings nicht tabellarisch ausgewiesenen – Modellen ein Interaktionsterm zwischen Examens- und Geburtskohorte aufgenommen. Einbindung in das Bildungssystem: Für die Schätzung des Institutionen- oder Bildungsbeteiligungseffekts wurden zwei Merkmale berücksichtigt: Zum einen die jährlich angepasste, zeitveränderliche Variable ‚im Erststudium’, die den Wert 1 annimmt, solange sich die Befragten in ihrem ersten Studium befinden, und nach Abschluss des Studiums mit dem Wert 0 kodiert ist; zum anderen die ebenfalls jährlich angepasste, zeitveränderliche Variable ‚in einer weiteren Bildungsphase’ (nach Studienabschluss), in der – weil die Effekte sich nicht unterscheiden – Promotionszeiten, zweite Ausbildungsphasen (Referendariat, Ärztin im Praktikum, Anerkennungsjahr u.Ä.) sowie Zweitstudien zusammengefasst sind. Zusätzlich wurden Interaktionen zwischen der Variablen ‚im Erststudium’ und weiteren Merkmalen aufgenommen, die sich als signifikant erwiesen und zu weiterführenden Einsichten verhelfen. Fach des abgeschlossenen Erststudiums und Abschlussart: Bei der Abschlussart werden universitäre Abschlüsse den Fachhochschulabschlüssen (Referenzkategorie) gegenübergestellt; bei den Studienfächern lassen sich drei Gruppen differenzieren: (1) Sozialwesen (FH), Lehramts- und humanmedizinische Studiengänge, (2) Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie (3) alle übrigen Fächer (Referenzkategorie). Diese Unterscheidung wurde aufgrund der Resultate differenzierter Analysen mit einer feineren Fächergliederung vorgenommen, die signifikante Unterschiede zwischen den Studienfächern der drei Gruppen, aber keine signifikanten Unterschiede zwischen den Studienfächern innerhalb der Aggregate ergaben. Bildungsherkunft, die als Bildungsabschluss des statushöheren Elternteils definiert wurde: Da abgesehen von der Frage, ob die Eltern ein Hochschulstudium abgeschlossen haben, nicht für alle Kohorten Angaben zum beruflichen Bildungsabschluss der Eltern erhoben wurden, können ansonsten nur schulische Abschlüsse berücksichtigt werden. Die Bildung der Eltern wird durch drei Dummy-Variablen repräsentiert: Hauptschulabschluss/kein Abschluss (Referenzkategorie), mittlere Reife/Hochschulreife und Hochschulabschluss. Regionale Herkunft, die über das Land des Erwerbs der Hochschulzugangsberechtigung definiert wurde und den Frauen aus den alten Ländern (Referenzkategorie) die Absolventinnen aus den neuen Ländern gegenüberstellt.

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Alter: Zur Kontrolle der bekannten nicht-monotonen, glockenförmigen Altersabhängigkeit der Erstgeburtsrate wurden zwei zeitveränderliche Altersvariablen der Form ln(aktuelles Alter – 13) und ln(45 – aktuelles Alter) einbezogen. Gegenüber einem linearen und quadrierten Altersterm, mit denen ebenfalls der glockenförmige Verlauf der Hazardrate modelliert werden kann, hat diese Parametrisierung den Vorteil, bei gleicher Anzahl zu schätzender Parameter weniger Annahmen über den Verlauf der Rate zu machen (Symmetrieannahme im Falle eines linearen und negativen quadrierten Altersterms). Noch weniger Restriktionen erlegen Modelle mit periodenspezifischen Konstanten (PCE-Modelle) auf. Allerdings wird dieser Vorteil mit einer geringeren Sparsamkeit erkauft, und Schätzungen von PCE-Modellen bestätigten den glockenförmigen Verlauf der Baseline-Hazardrate. Für die Berücksichtigung zeitveränderlicher Kovariaten wurde das Verfahren des Episodensplittings angewandt. Die Altersvariablen wurden jährlich angepasst. Da die klassischen Verfahren der Ereignisanalyse wie Cox- und Exponentialmodelle für stetige Zeitachsen formuliert sind, die Prozesszeit hier aber aufgrund der Ungenauigkeit der erhobenen Daten nur in Jahresintervalle eingeteilt werden kann, wurden zur Kontrolle zusätzliche zeitdiskrete Ratenmodelle geschätzt. Die Ergebnisse dieser Auswertungen gaben allerdings keinen Anlass, von dem Exponentialmodell Abstand zu nehmen. Der zweite Analysestrang betrachtet Hochschulabsolventinnen der Prüfungsjahre 1997 und 2001, die bis zum Examenszeitpunkt noch kein Kind bekommen haben und nach 1960 bzw. – bei ostdeutschen Frauen – nach 1965 geboren wurden (Fallzahl: 5.246 westdeutsche und 1.408 ostdeutsche Befragte mit Angaben zu allen Variablen). Untersucht wird hier der Übergang in die Mutterschaft nach dem Examen – die Prozesszeit beginnt also mit dem Hochschulabschluss –, insbesondere in Abhängigkeit von Berufsverlauf und beruflicher Situation. Berufsverlauf und berufliche Situation sind durch folgende Merkmale repräsentiert: Nichterwerbstätigkeit, die – zeitveränderlich – mit Erwerbstätigkeit (Referenzkategorie) kontrastiert wird und verschiedene Ausprägungen annimmt: (1) Phasen einer weiteren Qualifizierung (zweite Ausbildungsphasen, Promotion, Zweitstudium), (2) Phasen der Nichterwerbstätigkeit vor Aufnahme der ersten Erwerbstätigkeit bzw. Bildungsaktivität (Übergangsphase), (3) sonstige Phasen der Nichterwerbstätigkeit, die maximal drei Monate dauern (kurze Unterbrechung) und (4) sonstige Phasen der Nichterwerbstätigkeit mit einer Länge von mehr als drei Monaten (längere Unterbrechung). Frauen, die gleichzeitig erwerbstätig sind und sich in einer Bildungsphase befinden, gelten in dieser Zeit

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als nicht erwerbstätig; als nicht erwerbstätig wurden darüber hinaus auch diejenigen klassifiziert, die in einem Ausbildungsverhältnis (Lehre, Praktikum) stehen. Nicht adäquater Berufseinstieg (zeitkonstante Variable ‚Negativstart’), der dann vorliegt, wenn die berufliche Position der ersten Stelle eindeutig unter dem Qualifikationsniveau liegt (mithelfende Familienangehörige, un- und angelernte sowie Facharbeiterinnen, Beamtinnen im einfachen und mittleren Dienst, ausführende Angestellte). Zeitdauer zwischen Examen und dem ersten unbefristeten Arbeitsverhältnis (zeitkonstante Variable ‚unbefristeter Vertrag’), bei der vier Ausprägungen unterschieden werden: (1) im gesamten Beobachtungszeitraum kein unbefristeter Vertrag (Referenzkategorie), (2) unbefristeter Vertrag in den ersten zwölf Monaten nach Studienabschluss, (3) unbefristeter Vertrag frühestens im zweiten oder dritten Jahr nach Examen und (4) erster unbefristeter Vertrag später. Selbständige Erwerbstätigkeit (zeitkonstant) mit zwei Ausprägungen: niemals selbstständig erwerbstätig gewesen (Referenzkategorie), mindestens eine selbständige Tätigkeit. Vollzeiterwerbstätigkeit (zeitveränderlich) mit Teilzeitarbeit als Referenzkategorie. Karriereverlauf (zeitveränderlich), bei dem laterale Verläufe (Referenzkategorie), Aufwärtsmobilität, Abwärtsmobilität sowie diskontinuierliche Verläufe unterschieden wurden. Für die Rekonstruktion des Karriereverlaufs wurden die eingenommenen beruflichen Stellungen in die folgende Rangordnung gebracht: Stufe 1:

mithelfende Familienangehörige, un- und angelernte Arbeiterinnen;

Stufe 2:

Facharbeiterinnen, Beamtinnen im einfachen/mittleren Dienst, ausführende Angestellte; qualifizierte Angestellte, Selbständige mit Honorar-/Werkvertrag;

Stufe 3: Stufe 4:

wissenschaftlich qualifizierte Angestellte ohne Leitungsfunktion, Beamtinnen im gehobenen Dienst;

Stufe 5:

wissenschaftlich qualifizierte Angestellte mit mittlerer Leitungsfunktion, Selbständige in freien Berufen, Beamtinnen im höheren Dienst;

Stufe 6:

leitende Angestellte, selbständige Unternehmerinnen.

Familiengründung von Hochschulabsolventinnen

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Als Auf- bzw. Abstieg wurde definiert, wenn bei einem Stellungswechsel eine höhere bzw. niedrigere Position als zuvor eingenommen wird. Nicht als Aufstieg jedoch gilt das erstmalige Erreichen einer höheren Position nach einem nicht adäquaten Berufsstart. Die zeitveränderlichen Dummy-Variablen behalten den Wert 1, wenn nach dem ersten Aufstieg (Abstieg) ein weiterer Aufstieg (Abstieg) erfolgt oder sich die berufliche Position nicht mehr ändert. Wird nach einem Abstieg eine höhere Stufe der Karriereleiter erreicht oder folgt umgekehrt einem Aufstieg ein Abstieg, so gilt die Karriere ab diesem Zeitpunkt als wechselhaft; die Variablen ‚Auf-/Abstieg’ (Aufstieg gefolgt von einem Abstieg) bzw. ‚Ab-/Aufstieg’ (Aufstieg nach einem Abstieg) werden ab dann unabhängig von dem weiteren Karriereverlauf mit dem Wert 1 kodiert. Laterale Verläufe weisen demzufolge nur solche Frauen auf, die in ihrer bisherigen Erwerbsgeschichte weder Auf- noch Abstiege erfahren haben. Berufliche Position (zeitveränderlich): Aufgrund der Ergebnisse von Schätzungen mit der vielstufigen Skala beruflicher Stellungen wurden im Interesse einer übersichtlichen Ergebnisdarstellung nur zwei Positionen unterschieden: die extremen Hierarchiestufen 1, 2 und 6 (Referenzkategorie) sowie die mittleren Ränge der Karriereleiter 3, 4 und 5 (vgl. die oben aufgeführte Liste der Karrierestufen). Region der Erwerbstätigkeit (zeitveränderlich) als Merkmal des regionalen Kontextes mit der Unterscheidung alte Länder (Referenzkategorie), neue Länder und Ausland. Erwerbserfahrung: Diese musste als inhaltlich nicht weiter interessierende Kontrollvariable eingeführt werden, da bei allen zeitkonstanten Merkmalen der Erwerbsgeschichte sicherzustellen war, dass die Referenzkategorie nur aus Frauen gebildet wird, die im Beobachtungszeitraum mindestens einmal erwerbstätig geworden waren. Examenskohorte, Fachrichtung und Art des Studienabschlusses, Bildungsherkunft, Alter und regionale Herkunft: Mit Ausnahme der Examenskohorte (2001 vs. 1997) und des Alters (aufgrund der geringen Altersstreuung konnte der zweite logarithmierte Altersterm ln(45 – aktuelles Alter) nicht in die Schätzmodelle für ostdeutsche Absolventinnen aufgenommen werden) wurden diese Merkmale wie oben dargestellt berücksichtigt. Alle zeitveränderlich konstruierten Merkmale des Berufs- und Tätigkeitsverlaufs wurden auf monatlicher Basis angepasst. Da bei der Untersuchung des Übergangs in die Mutterschaft auf den Entscheidungszeitpunkt abgestellt werden sollte, wurde nicht die aktuelle berufliche Situation betrachtet, sondern diejenige neun Monate zuvor.

152

Hildegard Schaeper

4

Empirische Befunde zur Familiengründung von Hochschulabsolventinnen

4.1

Familiengründung im Kohortenvergleich

Die grafische Darstellung der Survivorfunktionen, die für verschiedene Examenskohorten die Wahrscheinlichkeit angeben, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die Familiengründung nicht realisiert (im Zustand der Kinderlosigkeit ‚überlebt’) zu haben, zeigt für westdeutsche Akademikerinnen relativ geringe, doch ab dem Examensjahrgang 1997 signifikante Kohortenunterschiede (Abbildung 1). Von den ‚schnellsten’ Kohorten, den Prüfungsjahrgängen 1989 und 1993, für die sich die Survivorfunktionen nicht signifikant unterscheiden, haben im Alter von 30 Jahren fast 25 Prozent und im Alter von 32 Jahren fast 40 Prozent (Jahrgang 1993) den Schritt in die Mutterschaft getan. In den nachfolgenden Abschlusskohorten wird die Familiengründung zunehmend aufgeschoben (die Unterschiede sind mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 0,05 signifikant). Besonders ins Auge sticht die stark verzögerte Familiengründung derjenigen westdeutschen Frauen, die im Jahre 2001 ihren ersten Hochschulabschluss erreicht haben: Im Alter von 32 Jahren sind schätzungsweise noch 80 Prozent von ihnen kinderlos, beim Examensjahrgang 1997 beläuft sich dieser Anteil zum gleichen Zeitpunkt auf unter 70 Prozent und bei der Abschlusskohorte 1993, wie erwähnt, auf unter 60 Prozent. Es ist möglich, dass sich die Unterschiede verringern, wenn für die Abschlusskohorte 2001 ein ähnlich großer Beobachtungszeitraum zur Verfügung steht wie für die älteren Jahrgänge. Alle Analysen (siehe auch Abschnitt 4.2) deuten aber auf eine weitere Verzögerung der Familiengründung hin. Bei Hochschulabsolventinnen aus den neuen Bundesländern ist der Trend zum Aufschub der Familiengründung noch stärker ausgeprägt als bei westdeutschen Akademikerinnen (alle Survivorfunktionen unterscheiden sich auf dem 1Prozent-Niveau signifikant voneinander) – mit der Folge, dass sich, wie vermutet, die Erstgeburtsraten zwischen Ost und West angenähert haben. Auffällig sind die Veränderungen zwischen den Abschlusskohorten 1993 und 1997: Die Wahrscheinlichkeit, bis zum Alter von 27 Jahren das erste Kind bekommen zu haben, ist zwischen diesen Prüfungsjahrgängen von über 30 Prozent auf 20 Prozent gesunken. Zwischen den Examenskohorten 1997 und 2001 ist eine Reduzierung um weitere acht Prozentpunkte zu beobachten. Die Ost-West-Unterschiede der Survivorkurven sind aber für alle Kohorten hoch signifikant.

153

Familiengründung von Hochschulabsolventinnen

Abbildung 1: Der Übergang in die Mutterschaft von Hochschulabsolventinnen nach Examenskohorte und regionaler Herkunft (Produkt-Limit-Schätzung der Survivorfunktionen) 100%

90%

80%

70%

60%

50% 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 1989 West

1993 West 1993 Ost

1997 West 1997 Ost

2001 West 2001 Ost

Quelle: HIS-Hochschulabsolventenpanel 1989-2001

Im multivariaten Modell (Tabelle 1, Modell I) zeigen sich für westdeutsche Absolventinnen die Kohortenunterschiede in ähnlicher Weise wie in den Survivalkurven (nur der Unterschied zwischen dem 1989er und dem 1997er Jahrgang ist nicht signifikant). Die bemerkenswerten Differenzen zwischen den ostdeutschen Absolventinnen der Prüfungsjahre 1993 und 1997 verschwinden aber (Tabelle 1, Modell II). Dieses Ergebnis ist auf die je nach Examenskohorte unterschiedliche Wirkung des Studiums zurückzuführen. Während im Westen dieser Institutioneneffekt hoch signifikant ist und das erwartete Vorzeichen aufweist – im Studium ist die Neigung zur Familiengründung deutlich reduziert –, trifft dieses im Osten nur für jüngere Absolventinnenkohorten zu. Wie dem stark positiven und die negative Wirkung des Studiums aufhebenden Interaktionseffekt ‚im Erststudium u Examenskohorte 1993’ zu entnehmen ist, spielt der Institutioneneffekt bei der Examenskohorte 1993, die ihr Studium überwiegend zu DDRZeiten begonnen hat, keine Rolle. Der zweite, für das Absolvieren einer weiteren Bildungsphase nach Abschluss des Erststudiums geschätzte Institutionenef-

154

Hildegard Schaeper

fekt weist für alle Akademikerinnen aus den neuen Ländern das erwartete negative Vorzeichen auf, ist aber schwächer als im Westen ausgeprägt und nicht signifikant von null verschieden. Die Frauen des Prüfungsjahres 2001 sind unter sehr günstigen Arbeitsmarktbedingungen in das Beschäftigungssystem eingetreten. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die unterschiedlichen Familiengründungsraten zwischen den Examenskohorten 1997 und 2001, die im Westen wie im Osten zu beobachten sind, einem Periodeneffekt geschuldet oder auf Veränderungen zwischen Geburtskohorten zurückzuführen sind. Eine Möglichkeit, dies zu prüfen, besteht darin, für die weniger altershomogenen Abschlussjährgänge 1997 und 2001 einen Interaktionsterm mit der Geburtskohorte 1970 bis 1974 in die Schätzung einzuführen. Dabei zeigt sich, dass die Geburtskohortenunterschiede innerhalb der Prüfungsjahrgänge nicht signifikant, die Examenskohortenunterschiede innerhalb einer Geburtskohorte jedoch hoch signifikant sind. Das Ergebnis hat auch Bestand, wenn weitere Merkmale, hinsichtlich derer sich die Geburtskohorte 1970 bis 1974 aus den beiden Examensjahrgängen unterscheiden, kontrolliert werden (Berufsausbildung vor dem Studium, Studiendauer). Sollte die Differenz in der Familiengründungsrate der 1997er und 2001er Absolventinnen tatsächlich auf die günstigen Berufschancen der Abschlusskohorte 2001 zurückzuführen sein – und nicht auf unbeobachtete Unterschiede z. B. in den Karriereambitionen –, dann ließe sich dieser Befund im Einklang mit familienökonomischen Annahmen dahingehend deuten, dass Frauen mit geringeren Karrierechancen schneller eine Familie gründen als Frauen mit höheren Arbeitsmarktressourcen. Erwartungsgemäß weisen Absolventinnen verschiedener Studiengänge zum Teil deutlich unterschiedliche Familiengründungsraten auf. Absolventinnen aus den alten wie den neuen Ländern, die einen Lehramts- oder humanmedizinischen Studiengang bzw. ein sozialpädagogisches Fachhochschulstudium abgeschlossen haben, neigen zu einer deutlich früheren Familiengründung als Absolventinnen anderer Fächer. Dieses Ergebnis, das in ähnlicher Weise auch für Schweden (Hoem, Neyer und Andersson, in diesem Band) und Norwegen (Lappegård und Rønsen 2005) gefunden wurde, hat auch dann Bestand, wenn der die Geburt eines Kindes verzögernde Effekt der Beteiligung an einer weiteren Ausbildungsphase nicht kontrolliert wird. Ebenso erwartungsgemäß weisen die westdeutschen Akademikerinnen mit Universitätsabschluss sowie Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlerinnen eine signifikant niedrigere Übergangsrate auf. Die geringere Bereitschaft zur Familiengründung der letztgenannten Absolventinnen ist allerdings – das lässt sich an dem negativen und signifikanten Interak-

Familiengründung von Hochschulabsolventinnen

155

tionseffekt ‚im Erststudium u Rechts-/Wirtschaftswissenschaften’ ablesen – nur für die Zeit des Erststudiums zu verzeichnen. Nach Studienabschluss bekommen Juristinnen und Ökonominnen ihr erstes Kind kaum später als Absolventinnen derjenigen Studiengänge, die in der Referenzkategorie zusammengefasst sind; der Unterschied zu den sozialen Fächern ist aber nach wie vor signifikant. Die beschriebenen Einflüsse von Studienfach und -abschluss auf die Familiengründung westdeutscher Hochschulabsolventinnen lassen sich in dieser Form für Akademikerinnen, die in den neuen Ländern ihre Studienberechtigung erworben haben, nicht finden. Hier sind die Effekte zumeist schwächer ausgeprägt, selten signifikant und teilweise mit einem anderen Vorzeichen versehen. Möglicherweise spiegelt sich in diesem Ergebnis die größere Selbstverständlichkeit wider, mit der Beruf und Familie im Leben ostdeutscher Frauen Platz haben. Entgegen der Annahme, dass aufgrund der höheren Karriereressourcen und -orientierungen Frauen höherer sozialer Herkunft die Familiengründung stärker hinauszögern, zeitigt in der Gruppe der hier betrachteten Hochschulabsolventinnen das Qualifikationsniveau der Eltern keine Wirkung. Bei den befragten ostdeutschen Frauen weist eine höhere Bildungsherkunft sogar ein positives Vorzeichen auf, doch sind die Effekte nicht signifikant. In Übereinstimmung mit allen anderen bekannten Untersuchungen hat das Alter der befragten Hochschulabsolventinnen den erwarteten nicht-monotonen Effekt auf die Familiengründungsrate (der zum zweiten Altersterm geschätzte Parameter ist kleiner als der zum ersten Altersterm ermittelte; der Verlauf der Rate ist daher rechtssteil). Diese Altersabhängigkeit bündelt ein Konglomerat verschiedenster Faktoren für das Timing der Familiengründung: Neben den biologischen Grenzen der Fruchtbarkeit sind dies gesellschaftliche und milieuspezifische Altersnormen, der Stand der beruflichen Entwicklung (dazu unten mehr) und schließlich psychologische Voraussetzungen. Die persönliche Reife stellt eine wichtige Vorbedingung für die Mutterschaft dar. Darauf weisen u. a. Äußerungen von Studierenden hin, die auf eine offen gestellte Frage nach den Problemen eines Studiums mit Kindern begründeten, warum für sie eine Familiengründung während des Studiums nicht in Frage kommt: Sie seien „zu jung, zu unerfahren und noch in der Ausprägung der eigenen Persönlichkeit bzw. auf der Suche nach ihrem Weg befindlich“, sodass sie noch nicht „bereit oder in der Lage wären, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen“ (Middendorff 2003: 22). Die steigende Bildungsbeteiligung könnte somit nicht nur deshalb zu einem

156

Hildegard Schaeper

Tabelle 1: Der Übergang zur ersten Mutterschaft von Hochschulabsolventinnen im Kohortenvergleich (Exponential-Ratenmodelle) alte Länder Modell I

neue Länder Modell II

Modell III Modell IV

1989

-0,11

--

-0,04

1997

-0,15*

-0,05

-0,12*

insgesamt

Examenskohorte (Ref.kat.: 1993)

2001

-0,51

**

-0,54

*

im Erststudium1) (Ref.kat.: nein)

-0,49**

-0,81**

im Erststudium1) u Examenskohorte 1993

-0,13

0,99**

-0,67

-0,09 **

-0,50** -0,57**

im Erststudium1) u neue Länder u Examenskohorte 1993 1)

-0,12*

0,99** *

**

im Erststudium u Rechts-/Wirtschaftswissenschaft

-0,60

0,22

in einer weiteren Bildungsphase1) (Ref.kat.: nein)

-0,43**

-0,28

-0,41 -0,42**

Fach des abgeschlossenen Erststudiums (Ref.kat.: übrige Fächer) Lehramt/Humanmedizin/Sozialwesen (FH)

0,43**

0,33*

0,41**

Rechts-/Wirtschaftswissenschaften

-0,13

-0,28

-0,16*

-0,13*

0,22

-0,13*

Universitätsabschluss (Ref.kat.: FH-Abschluss)

0,34*

Universitätsabschluss u neue Länder Bildungsherkunft (Ref.kat.: Hauptschul-/kein Abschluss) mittlere Reife/Hochschulreife

-0,03

0,23

Hochschulabschluss

0,01

0,29

ln(Alter–13)1)

5,17**

4,42**

4,97**

4,96**

ln(45–Alter)1)

2,53**

2,34*

2,04**

2,38**

0,76

**

0,53**

0,35

*

-0,01

regionale Herkunft neue Länder (Ref.kat.: alte Länder) neue Länder u Examenskohorte 1993

-0,01 0,03

Konstante

-24,13**

-21,32**

-22,43**

-23,17**

Fälle

10.249

1.769

12.066

12.018

Ereignisse

2.373

419

2.800

2.792

Log-Likelihood Startmodell

-4381,02

-753,36

-5139,38

-5119,90

Log-Likelihood Endmodell

-2207,71

-315,78

-2692,68

-2515,93

Anmerkungen: 1) zeitveränderlich 2) * p < 0,05; ** p < 0,01 Quelle: HIS-Hochschulabsolventenpanel 1989-2001

zunehmenden Aufschub der Familiengründung geführt haben, weil es schwierig bzw. wenig opportun ist, während einer Ausbildung ein Kind zu bekommen, sondern auch, weil sie zu einer Verlängerung der Adoleszenz beigetragen hat. Die Survivalkurven haben gezeigt, dass auch bei Akademikerinnen ein OstWest-Unterschied in der Familiengründung besteht, dass es aber im Zeitverlauf

Familiengründung von Hochschulabsolventinnen

157

zu einer partiellen Angleichung gekommen ist. Dieses Ergebnis bestätigt sich auch in den multivariaten Analysen: Hochschulabsolventinnen aus den neuen Ländern bekommen nach wie vor, d. h. auch wenn sie jüngeren Examenskohorten (ab 1997) angehören, früher ihr erstes Kind als westdeutsche Absolventinnen (Tabelle 1, Modell III). Doch hat sich das generative Verhalten ost- und westdeutscher Akademikerinnen angenähert: Die Ost-West-Differenz der Übergangsrate ist, das lässt sich dem positiven Interaktionseffekt ‚neue Länder u Examenskohorte 1993’ entnehmen, bei älteren Examenskohorten signifikant größer als bei jüngeren Prüfungsjahrgängen. Diese Konvergenz resultiert aber zum großen Teil aus der stark zurückgehenden Neigung, schon während des Studiums den Schritt in die Mutterschaft zu tun. Das ist das Ergebnis des vierten Schätzmodells, in dem berücksichtigt ist, dass der Institutioneneffekt im Osten je nach Abschlussjahrgang sehr unterschiedlich ausfällt (Interaktion ‚im Erststudium u neue Länder u Examenskohorte 1993’) und in dem dann der Interaktionseffekt ‚neue Länder u Examenskohorte 1993’ nicht mehr signifikant ist. Nach Beendigung des Studiums realisieren ostdeutsche Absolventinnen jüngerer Abschlussjahrgänge den Übergang in die Mutterschaft nicht später als solche älterer Kohorten. Der Ost-West-Effekt selbst ist in dem vollen Modell unter Einbezug aller Variablen (Tabelle 1, Modell IV) kleiner, aber nach wie vor auf dem 1-Prozent-Niveau signifikant.

4.2

Familiengründung von Hochschulabsolventinnen und Berufsverlauf

Theoretische Ansätze, die auf eines der Handlungsmodelle rationaler Wahl rekurrieren, und die These von der Elternschaft als Strategie der Unsicherheitsreduktion postulieren, dass Frauen mit geringen Karriereressourcen und -chancen wegen der geringeren Opportunitätskosten einer Familiengründung bzw. der ökonomischen Unsicherheit früher ihr erstes Kind bekommen als Frauen mit guten Berufs- und Einkommenschancen. Für diese Hypothese spricht das Ergebnis, dass im Sample der westdeutschen Akademikerinnen nach einem beruflichen Abstieg und bei sehr instabilen Erwerbskarrieren, in denen es nicht gelungen ist, einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu erhalten, eine erhöhte Bereitschaft zur Familiengründung besteht (Tabelle 2, Modell I). Auch verzögert sich in Übereinstimmung mit diesen Vorhersagen der Übergang in die Mutterschaft, wenn Frauen eine sehr hohe berufliche Position (Stufe 6 der Karriereleiter) bekleiden. Auf der anderen Seite weisen Frauen, die einen beruflichen Aufstieg er-

158

Hildegard Schaeper

fahren haben, gegenüber Hochschulabsolventinnen mit lateralen Erwerbsverläufen keine niedrigere Übergangsrate auf; Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit sowie ein Berufseinstieg unterhalb des Qualifikationsniveaus forcieren nicht die Familiengründung, und auch bei einer niedrigen beruflichen Stellung erfolgt die Geburt des ersten Kindes nicht früher als wenn höhere Positionen eingenommen werden. Diese Befunde stützen eher die Hypothese, dass berufliche und ökonomische Perspektivensicherheit für hoch qualifizierte Frauen eine Voraussetzung für die Mutterschaft ist (ähnlich auch Kreyenfeld (2005), die je nach Bildungsniveau unterschiedliche Einflüsse ökonomischer Unsicherheit auf das Timing der Familiengründung ermittelt hat). Auch wenn Merkmale des Berufsverlaufs und der beruflichen Situation kontrolliert werden, bleibt der starke Effekt der Abschlusskohorte sowohl im west- wie im ostdeutschen Sample erhalten: Frauen, die im Prüfungsjahr 2001 das Studium abgeschlossen haben, zögern – unabhängig von der Geburtskohorte – den Übergang in die Mutterschaft deutlich stärker hinaus als die Vergleichskohorte. Der Einfluss von Phasen der Nichterwerbstätigkeit auf den Zeitpunkt der Erstgeburt ist insgesamt negativ: Erwerbstätige Frauen realisieren den Übergang in die Mutterschaft am frühesten. Unterscheidet man nach Gründen einer Erwerbsunterbrechung, erweist sich im Westen die Bildungsbeteiligung als die bedeutendste Größe. Bei Hochschulabsolventinnen aus den neuen Ländern ist dieser ‚Institutioneneffekt’ aber deutlich und signifikant schwächer ausgeprägt. Das zeigt der im gemeinsamen Modell geschätzte Interaktionseffekt ‚weitere Bildungsphase u neue Länder’ (Tabelle 2, Modell III). Eine Bildungsbeteiligung zögert bei ostdeutschen Absolventinnen eine Familiengründung nicht in dem Maße hinaus wie bei westdeutschen Frauen. Auch in der Übergangsphase zwischen Hochschulabschluss und der Aufnahme der ersten Erwerbstätigkeit bzw. dem Beginn einer weiteren Bildungsphase ist eine Familiengründung wenig wahrscheinlich; Nichterwerbstätigkeit aus sonstigen Gründen vermindert aber die Bereitschaft zu einer Familiengründung nicht wesentlich. Wie erwähnt hat bei westdeutschen Akademikerinnen ein Berufseinstieg unter dem Qualifikationsniveau (‚Negativstart’) keine Auswirkungen auf die Geburtenneigung; in den neuen Ländern erweist er sich aber als ein Faktor, der die Erstgeburt verzögert (vgl. den signifikanten und negativen Interaktionseffekt ‚Negativstart u neue Länder’ in Modell III). Dahinter steht ein unterschiedliches Erwerbsverhalten ost- und westdeutscher Hochschulabsolventinnen in der Übergangsphase zwischen Hochschule und Beruf: In den alten Ländern wird in der Suchphase der Lebensunterhalt häufig mit Übergangsjobs bestritten; ein nicht-

Familiengründung von Hochschulabsolventinnen

159

adäquater Berufseinstieg, wie er hier definiert wurde, ist normal; er wird von den Befragten nicht als eigentlicher Berufsstart verstanden und ist deshalb auch nicht negativ konnotiert. In den neuen Ländern sind Übergangsjobs, aufgrund mangelnden Angebots oder mangelnder Akzeptanz, weniger verbreitet; der eigentliche Berufseinstieg wird häufiger durch die erste aufgenommene Erwerbstätigkeit markiert und hat infolgedessen größere Auswirkungen auf familiale Prozesse. Während berufsbiographische Unsicherheiten, die sich aus befristeten Arbeitsverhältnissen ergeben, für die Realisierung einer Vaterschaft nicht folgenreich sind (Tölke 2006), stellt sich das Bild bei hoch qualifizierten Frauen anders dar: Eine Familiengründung wird hier zum einen durch eine sehr unsichere Beschäftigungslage (im gesamten Beobachtungszeitraum keine unbefristete Stelle), zum anderen aber auch durch eine frühzeitige Stabilisierung des Beschäftigungsverhältnisses begünstigt. Je schneller es den Absolventinnen aus den alten wie den neuen Ländern gelingt, einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu erhalten, desto höher ist die Übergangsrate in die Mutterschaft. Ebenfalls positiv beeinflusst wird die Familiengründung durch das Erreichen einer mittleren beruflichen Position, während sich eine selbständige Erwerbstätigkeit, mit der zumeist hohe zeitliche Belastungen und – zumindest in der ersten Zeit nach der Existenzgründung – biographische Unsicherheiten einhergehen, negativ auswirkt. Im Einklang mit den Ergebnissen, die Gert Hullen (2003) mit den Daten des ‚Fertility and Familiy Survey’ ermittelt hat, ist bei westdeutschen Frauen – möglicherweise wegen der hohen Opportunitätskosten – eine geringe Geburtenneigung zu beobachten, wenn neun Monate zuvor eine Vollzeiterwerbstätigkeit ausgeübt wurde. In den neuen Ländern spielt der Erwerbsumfang der Hochschulabsolventinnen dagegen keine Rolle – wie auch insgesamt der Familiengründungsprozess ostdeutscher Frauen in geringerem Maße von dem Berufsund Tätigkeitsverlauf abhängt als familiale Entscheidungen westdeutscher Akademikerinnen. Denn der in dem gemeinsamen Modell (Modell III) geschätzte Ost-West-Effekt ist auch nach Kontrolle aller einbezogenen beruflichen Merkmale signifikant. Die Familiengründung ist bei Frauen aus den neuen Bundesländern nach wie vor selbstverständlicher und weniger voraussetzungsvoll. Auch im Hinblick auf die Karriereentwicklung zeigt sich nur im Westen ein signifikanter Effekt: Gegenüber anderen Erwerbsverläufen wird der Übergang in die Mutterschaft deutlich schneller realisiert, wenn die Erfahrung eines beruflichen Abstieges ohne anschließenden oder vorhergehenden Aufstieg gemacht

160

Hildegard Schaeper

Tabelle 2: Übergang zur ersten Mutterschaft, Hochschulabsolventinnen 1997 und 2001, nach Examen und Berufsverlauf (Exponential-Ratenmodelle) alte Länder Modell I

neue Länder Modell II

insgesamt Modell III

Examenskohorte 2001 (Ref.kat.:1997) Nichterwerbstätigkeit1) (Ref.kat.: erwerbstätig) Übergangsphase Weitere Bildungsphase Unterbrechung bis zu 3 Monaten Unterbrechung von mehr als 3 Monaten

-1,42**

-1,32**

-1,43**

-1,34** -2,09** -0,49 -0,84

-1,17* -1,21 -0,74 -1,94

weitere Bildungsphase u neue Länder Negativstart (Ref.kat.: nein)

-1,36** -2,12** -0,54 -0,89* 0,67*

0,04

-0,68

0,07 -1,07*

-0,37** -0,53** -1,33** -0,74** -0,60** 0,53**

-0,47 -0,48 -1,79* -0,15 0,04 0,36

-0,40** -0,55** -1,36** -0,64** -0,51** 0,52**

-0,03 0,74** -1,14 0,08

-0,78 0,19 -0,85 1,06

-0,06 0,64** -1,08 0,17

0,46

0,59*

0,35*

-0,16

-0,73*

0,27** 0,03 -0,34**

0,09 -0,20 0,07

0,22* -0,05 -0,27**

0,07 0,11 7,53** 4,26** 2,55**

-0,03 -0,11 1,75** --2) 2,75**

-37,35** 5.246 (686) -2217,68 -1772,06

-9,53 1.408 (189) -557,60 -428,13

0,07 0,08 6,11** 3,32** 2,60** 0,61** -30,84** 6.654 (875) -2729,13 -2175,70

Negativstart u neue Länder unbefristeter Arbeitsvertrag (Ref.kat.: nie) innerhalb von 12 Monaten nach Examen nach 2 bis 3 Jahren nach Examen später selbständige Erwerbstätigkeit (Ref.kat.: nein) Vollzeiterwerbstätigkeit1) (Ref.kat.: Teilzeit) mittlere berufliche Position1) (Ref.kat.: Stufen 1, 2, 6) Karriereverlauf1) (Ref.kat.: keine Veränderung) Aufstieg Abstieg Auf-/Abstieg Ab-/Aufstieg Region der Erwerbstätigkeit 1) (Ref.kat.: alte Länder) neue Länder Ausland Fach des abgeschloss. Erststudiums (Ref.kat.: übrige Fächer) Lehramt/Humanmedizin/Sozialwesen (FH) Rechts-/Wirtschaftswissenschaften Universitätsabschluss (Ref.kat.: FH-Abschluss) Bildungsherkunft (Ref.kat.: Hauptschul-/kein Abschluss) mittlere Reife/Hochschulreife Hochschulabschluss ln(Alter–13)1) ln(45–Alter)1) keine Erwerbserfahrung (Ref.kat.: Erwerbserfahrung) regionale Herkunft neue Länder (Ref.kat.: alte Länder) Konstante Fälle (Ereignisse) Log-Likelihood Startmodell Log-Likelihood Endmodell

-0,83

*

Anmerkungen: 1) zeitveränderlich 2) wegen des kurzen beobachtbaren Altersintervalls nicht sinnvoll zu schätzen 3) * p < 0,05; ** p < 0,01 Quelle: HIS-Hochschulabsolventenpanel 1997, 2001

Familiengründung von Hochschulabsolventinnen

161

wurde. Zwar ist auch der Effekt eines Aufstiegs nach einem Abstieg positiv und im Osten sogar recht groß, doch ist er – ebenso wie der hohe negative Effekt des von einem Abstieg gefolgten Aufstieges – wegen des geringen Vorkommens wechselhafter Karrieren statistisch nicht signifikant. Als Letztes zur Region der Erwerbstätigkeit: Bei westdeutschen Frauen senkt eine Erwerbstätigkeit im Ausland deutlich und signifikant die Übergangsrate; sowohl bei ostdeutschen als auch bei westdeutschen Hochschulabsolventinnen (hier aber nicht signifikant) erhöht eine Erwerbstätigkeit in den neuen Ländern die Neigung zur Familiengründung. Es ist nicht unplausibel, diesen Befund mit den besseren Opportunitätsstrukturen im Osten Deutschlands, sprich: mit dem besseren Angebot an öffentlichen Einrichtungen der Kinderbetreuung, in Verbindung zu bringen. Die für Hochschulabsolventinnen ermittelten empirischen Ergebnisse zum Zusammenhang von generativem Verhalten und Berufsverlauf sowie beruflicher Situation lassen sich konsistent weder mit familienökonomischen Überlegungen und der These der Unsicherheitsreduktion durch Familiengründung noch mit dem Argument der Abhängigkeit der Familiengründung von beruflicher und ökonomischer Perspektivensicherheit in Einklang bringen, sondern legen eine differenzierte Erklärung nahe: In den ersten Jahren nach dem Hochschulabschluss stehen Aspekte der beruflichen Konsolidierung und damit der Schaffung beruflicher und ökonomischer Perspektivensicherheit im Vordergrund. Erwerbsorientierte Frauen, um die es sich bei Akademikerinnen in der Regel handelt, müssten unter den gegebenen Bedingungen langfristige Einbußen ihrer Erwerbschancen hinnehmen, würden sie vor Berufseintritt oder vor Aufnahme eines unbefristeten Beschäftigungsverhältnisses ein Kind bekommen. Um die Anschlussfähigkeit der beruflichen Entwicklung nach einer Familiengründung zu sichern, wird mit der Geburt des ersten Kindes so lange gewartet, bis ein solider Beschäftigungsstatus erreicht ist. Erst wenn eine Konsolidierung und Stabilisierung der Erwerbssituation aussichtslos erscheint, wenn nicht zu erwarten ist, dass ein weiteres Abwarten die erstrebte Beschäftigungssicherheit bringt, wird eine Familiengründung wieder häufiger und schneller realisiert.

162

5

Hildegard Schaeper

Zusammenfassende Diskussion

Der Beitrag ging – auf der Folie eines lebenslauftheoretischen Mehrebenenansatzes – mit quantitativen Analysen der Frage nach, in welcher Weise das generative Handeln von Frauen mit der vorhergehenden Bildungs- und Erwerbsgeschichte sowie mit Erwerbsstatus und beruflicher Situation zusammenhängt. Entsprechend dem allgemeinen Trend zögern auch die Hochschulabsolventinnen der befragten Examensjahrgänge 1989, 1993, 1997 und 2001 die Geburt ihres ersten Kindes zunehmend hinaus. Besonders auffällig ist das Verhalten der Prüfungskohorte 2001, die nur eine sehr geringe Neigung zeigt, im Beobachtungszeitraum den Übergang in die Mutterschaft zu realisieren. Zu beobachten ist auch eine Konvergenz des Familiengründungsprozesses ostdeutscher und westdeutscher Frauen, allerdings bei weiter bestehender Differenz. Doch ist diese Annäherung ausschließlich darauf zurückzuführen, dass Akademikerinnen aus den neuen Ländern, die nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten ihr Studium aufgenommen haben, nun deutlich seltener ihr erstes Kind während der Hochschulausbildung bekommen. Während dieser Institutioneneffekt bei ostdeutschen Hochschulabsolventinnen, die ihr Studium noch zu Zeiten der DDR begonnen haben, nur eine geringe Rolle spielt, beginnt er in nachfolgenden Studierendengenerationen in ähnlicher Weise zu greifen wie bei westdeutschen Akademikerinnen. Dieses Bedingungs- bzw. Ausschließlichkeitsverhältnis von Bildungsbeteiligung und Familiengründung führt dazu, dass bei hoch qualifizierten Frauen Kinder erst in einem Alter Eingang in den Planungshorizont finden, wenn die biologisch (aber auch unter dem Gesichtspunkt der größeren Zeitdisponibilität) günstigste Phase der Familiengründung schon abgeschlossen ist. Für den starken Rückgang der Geburtenneigung ostdeutscher Studierender können zum Teil die erhöhten Opportunitätskosten einer Familiengründung während des Studiums verantwortlich gemacht werden. Angesichts der ersatzlosen Streichung von Fördermaßnahmen, die in der DDR speziell auf Studierende mit Kindern zugeschnitten waren, und der unsicherer gewordenen Studienfinanzierung bedeutet nun auch in den neuen Ländern ein Studium mit Kind nicht nur eine riskante, den Studienerfolg gefährdende Doppelbelastung, sondern häufig eine Dreifachbelastung (Studium, Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit). Eine Rolle für die Zurückhaltung ostdeutscher Studierender bei der Familiengründung während ihres Studiums dürfte aber auch die gestiegene Perspektivenunsicherheit spielen: Statt von einer garantierten Beschäftigung nach Hochschulabschluss ausgehen zu können, müssen sie nun mit einem erhöhten

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Arbeitslosigkeitsrisiko und damit auch mit einer Verschärfung des Ressourcenproblems, mit einer labilen materiellen Grundlage der Familie rechnen. Trotz der größeren Perspektivenunsicherheit von Akademikerinnen aus den neuen Ländern realisieren diese den Übergang in die Mutterschaft nach wie vor schneller und häufiger als westdeutsche Hochschulabsolventinnen – ein Befund, der sich zum einen mit der Persistenz der ostdeutschen Geschlechterkultur, in der Müttererwerbstätigkeit und institutionelle Kinderbetreuung selbstverständlicher sind, erklären lässt, zum anderen aber auch mit den besseren Kinderbetreuungsmöglichkeiten in den neuen Ländern, die die Verbindung von Erwerbstätigkeit und Elternschaft erleichtern. Qualitative Analysen haben gezeigt, in welch starkem Maße Überlegungen zur Familiengründung von dieser Vereinbarkeitsfrage geprägt sind, wie das Problem der Kompatibilität von Beruf und Familie bei berufsorientierten Frauen zu ambivalenten Haltungen und schließlich zum Aufschub der Familiengründung führt (Kühn 2004). Der Lösung dieser Vereinbarkeitsfrage stehen nicht nur unzureichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten und die an Akademikerinnen gestellten hohen Anforderungen an zeitliche Flexibilität und räumliche Mobilität entgegen, die schon den Aufbau einer stabilen Partnerschaft und damit die Schaffung einer wesentlichen Grundlage der Familiengründung erschweren, sondern auch die betrieblichen Bedingungen der beruflichen Karriereentwicklung. Teilzeiterwerbstätigkeit wird negativ attribuiert und mit mangelndem Engagement, mangelnder Verfügbarkeit, fehlender Motivation sowie geringer beruflicher oder Karriereorientierung in Zusammenhang gebracht. So nimmt es nicht Wunder, dass Frauen mit hohen beruflichen Aspirationen bzw. hohen Karriereressourcen eine Familiengründung aufschieben oder sogar ganz auf Kinder verzichten oder dass – andersherum – Frauen in Antizipation der Familiengründung berufliche Karrierebemühungen einschränken. Dieser Zusammenhang zwischen dem Übergang in die Mutterschaft auf der einen Seite und beruflichen Ambitionen, beruflichem Verlauf sowie Karriereressourcen auf der anderen Seite ist ansatzweise auch in den Ergebnissen zum generativen Handeln von Hochschulabsolventinnen zu finden. Allerdings verweisen die für Akademikerinnen ermittelten Befunde zusätzlich auf einen anderen Aspekt, der für das Timing der Familiengründung von größerer Bedeutung ist: die Frage der beruflichen Konsolidierung und Stabilität beruflicher Perspektiven. Der Übergang in die Mutterschaft hängt in starkem Maße davon ab, ob ein solider Beschäftigungsstatus (unbefristetes Arbeitsverhältnis, mittlere berufliche Position, nichtselbständige Beschäftigung) erreicht worden ist und ausreichende Berufserfahrungen gesammelt werden konnten. Erst dann scheint subjektiv wie objektiv die Aussicht

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zu bestehen, auch nach der Geburt eines Kindes berufliche Ambitionen verfolgen zu können. Auf der anderen Seite wird eine Familiengründung ins Auge gefasst, wenn über einen längeren Zeitraum gemachte negative Erfahrungen im Beschäftigungssystem gezeigt haben, dass die Chancen auf eine tragfähige Erwerbssituation schlecht stehen, dass aufgrund beruflicher Abstiegserfahrungen und mehrfacher befristeter Arbeitsverträge eine sichere und anspruchsvolle Berufstätigkeit nicht zu erwarten ist. Sofern hoch qualifizierte Frauen nicht eindeutig eine Priorität auf die Familie legen, führen diese Tendenzen zusammen mit weiteren Qualifikationsphasen dazu, dass sich die Frage der Familiengründung erst einige Jahre nach dem Studienabschluss in den Vordergrund der biographischen Überlegungen schiebt. Mit den analysierten Merkmalen der beruflichen Situation und Erfahrungen konnte nicht erklärt werden, warum die Hochschulabsolventinnen des Prüfungsjahrgangs 2001 ihr erstes Kind später bekommen als Akademikerinnen aus früheren Examenskohorten. Doch möglicherweise kann dieser Aufschub der Familiengründung gerade auf das erwähnte Bedürfnis nach beruflicher Konsolidierung und die größere Chance, diese zu erreichen, zurückgeführt werden. Denn auf der einen Seite ist der Beobachtungszeitraum, der etwa 18 Monate nach dem Examen umfasst, zu kurz, um eine für die Verbindung von Familie und Beruf günstige Ausgangsposition zu schaffen; auf der anderen Seite gab die gute Arbeitsmarktlage, die die Hochschulabsolventinnen des Jahres 2001 vorfanden, keinen Anlass, ihre beruflichen Aspirationen zurückzuschrauben.

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Kinderlosigkeit von hoch qualifizierten Frauen und Männern im Paarkontext – Eine Folge von Bildungshomogamie?1 Heike Wirth

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Problemstellung

Das Untersuchungsinteresse der meisten bislang vorliegenden Studien zu dem Ausmaß, den Ursachen und den Konsequenzen der Kinderlosigkeit in (West-) Deutschland ist entweder auf Frauen (Dorbritz und Schwarz 1996; Grünheid 2003) oder – allerdings wesentlich seltener – auf Männer gerichtet (Tölke und Hank 2005). Im Unterschied hierzu gibt es bislang kaum Untersuchungen, die den Paarkontext explizit berücksichtigen (Klein 2003; Onnen-Isemann 2003; Kurz 2005). Dies steht in einem gewissen Kontrast zu der aktuellen sozialpolitischen Diskussion, die das Phänomen der Kinderlosigkeit primär im Paarkontext ansiedelt und den Fokus vor allem auf Paare richtet, bei welchen beide Partner hochqualifiziert sind. Für diese Paare wird mehr oder weniger implizit eine deutlich erhöhte Tendenz zur Kinderlosigkeit postuliert. Theoretisch lässt sich diese These über die Annahme eines Zusammenwirkens zweier sozialer Verhaltensmuster begründen: Zum einen ist es die im Vergleich zu anderen Bildungsgruppen wesentlich geringere Neigung zur Familiengründung von Frauen mit Fachhochschul- oder Universitätsabschluss. Zum anderen wird die ausgeprägte Homogamietendenz bei der Partnerwahl, d. h. die Neigung von Männern und Frauen bildungs- bzw. statusgleiche Partner zu präferieren (Wirth und Lüttinger 1998; Teckenberg 2000; Wirth 2000; Blossfeld und Timm 2003), als Ursache angenommen. Insofern hochqualifizierte Frauen – auf der Individualebene gemessen – überdurchschnittlich häufig kinderlos sind und – sofern sie in einer Paargemeinschaft leben – ihre Partner meist ebenfalls über ein hohes Ausbildungsniveau verfügen, ist es nahe liegend für diese hochqualifizierten Paare, eine gleichfalls überdurchschnittlich hohe Kinderlosigkeit anzunehmen. Gesellschaftspolitisch ist diese These insofern relevant, als vielfach angenommen wird, dass sich die Homogamietendenz mit der Bildungsangleichung von Männern und Frauen sowie mit der Integration von Frauen in die außer1

Ich danke Klaus-Jürgen Duschek für Anregungen zu einer früheren Version dieses Beitrags.

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häusliche Erwerbsarbeit im Zeitverlauf verstärkt, da der „Partnermarkt“ durch Bildungsinstitutionen und Arbeitsumfeld eine Vorstrukturierung erfährt, die ein Zusammentreffen von bildungs- und statusähnlichen Frauen und Männern begünstigt. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass Homogamie bei einer hohen Qualifikation und entsprechenden guten Arbeitsmarkt- und Einkommenschancen beider Partner zu einer Akkumulation von ökonomischen, sozialen sowie kulturellen Ressourcen führt und entsprechend eine stärkere soziale Differenzierung zwischen Haushalten bewirkt (Blossfeld und Drobniþ 2001; Esping-Andersen 2002). Dieser Differenzierungseffekt sollte noch stärker ausfallen, wenn bei hochqualifizierten Paaren nicht nur beide Partner (vollzeit-)erwerbstätig sind, sondern zugleich eine erhöhte Tendenz zur Kinderlosigkeit besteht. Eine empirische Überprüfung dieser Thesen steht bislang allerdings noch aus. Im Folgenden soll ein kleiner Beitrag zur Schließung dieser Lücke geleistet werden. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob und in welchem Ausmaß für hochqualifizierte Paare im Vergleich zu jenen Paaren, bei welchen nur einer der Partner eine hohe Ausbildung aufweist, eine verringerte Neigung zur Familiengründung beobachtbar ist. Der Fokus ist hierbei auf Paargemeinschaften gerichtet, bei welchen die Frau Mitte der 1950er bis Mitte der 1960er Jahre geboren ist, d. h. auf jene Geburtskohorten, die als erste in vollem Umfang von der Bildungsexpansion profitierten. Ein weiterer Interessenschwerpunkt liegt auf dem Zusammenhang zwischen dem formalen Status der Paargemeinschaft (Ehe versus nichteheliche Lebensgemeinschaft) und der Familiengründung. Wenngleich die Zahl der nichtehelichen Geburten in Deutschland seit Jahren steigt, ist die Familiengründung in Westdeutschland nach wie vor stark auf die Ehegemeinschaft konzentriert (Huinink 1999; Konietzka und Kreyenfeld 2005). Es ist daher nicht auszuschließen, dass hochqualifizierte Paare mit einer im Zeitverlauf zunehmenden Tendenz die nichteheliche Lebensgemeinschaft als eine überwiegend kinderlose Form des Zusammenlebens präferieren. Die hier vorgestellten Analysen konzentrieren sich auf Westdeutschland. In Ostdeutschland ist nicht nur die Entkoppelung von Elternschaft und Eheschließung erheblich stärker ausgeprägt als in Westdeutschland (Huinink und Konietzka 2003), auch der für Westdeutschland wesentliche Bedingungsfaktor für Kinderlosigkeit in Form der strukturell ungünstigen Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, trifft auf die in der DDR geborenen und sozialisierten Frauen der hier interessierenden Geburtskohorten nicht zu. Vielmehr waren die institutionellen, sozialpolitischen und soziokulturellen Rahmenbedingungen in der DDR durchaus erfolgreich auf die umfassende Integration von Müttern in die Erwerbstätigkeit ausgerichtet (Trappe 1996). In-

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wieweit es bei den jüngeren ostdeutschen Geburtskohorten infolge der inzwischen deutlich ungünstigeren infrastrukturellen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen zu einer Anpassung des Familiengründungsverhaltens an die westdeutsche Situation kommen wird, erweist sich erst in einigen Jahren und bedarf einer gesonderten Betrachtung. Im Weiteren werden zunächst theoretische Überlegungen und hieraus abgeleitete Thesen zur Kinderlosigkeit im Paarkontext dargestellt. Im Wesentlichen handelt es sich um die aus der einschlägigen Literatur bekannten Argumente, da die für die Individualebene wirksamen Mechanismen auch auf die Paarebene übertragbar sind. Eine knappe Beschreibung der Datenbasis sowie der in den Analysen herangezogenen Konzepte und Variablen erfolgt im dritten Abschnitt. Die Deskription zentraler Befunde zur zeitlichen Entwicklung der Bildungshomogamie im Paarkontext sowie der Verteilung von ehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist Gegenstand des vierten Abschnitts. Im fünften Abschnitt werden ausgewählte Bestimmungsfaktoren der Kinderlosigkeit im Paarzusammenhang multivariat analysiert.

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Theoretische Überlegungen

Nicht zuletzt angeregt durch die familienökonomische Theorie von Gary S. Becker (1982, 1991) wird in den Sozialwissenschaften seit den 1980er Jahren eine lebhafte Diskussion darüber geführt, ob und in welchem Ausmaß die Höherqualifizierung von Frauen infolge ihrer hierdurch verbesserten Berufs- und Einkommenschancen Familiengründungsprozesse beeinflusst (Oppenheimer 1988; Mayer, Allmendinger und Huinink 1991; Diekmann und Weick 1993).2 Ein wesentlicher Aspekt bei dieser Diskussion war die Frage, inwieweit ein höheres Qualifikationsniveau generell zu einer verringerten Neigung zur Familiengründung (Bildungseffekt) führt oder aber auf Grund der längeren Verweildauer in Bildungsinstitutionen und langwierigen Berufsetablierungsprozessen lediglich eine Verschiebung der Familiengründung in ein höheres Lebensalter bedingt (Institutioneneffekt) (Huinink 2000). Inzwischen haben die Mitte der 1950er bis Mitte der 1960er Jahre geborenen Frauen ein Alter erreicht, in welchem die Fertilitätsphase als überwiegend abgeschlossen betrachtet werden kann. Entspre2

Wobei die Diskussion über den Einfluss des Bildungsniveaus bzw. der Erwerbstätigkeit von Frauen auf Familiengründungsprozesse historisch sehr viel weiter zurückreicht. Für eine ausführliche ideengeschichtliche Darstellung von Erklärungsansätzen zum generativen Verhalten vgl. Herter-Eschweiler (1998).

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chend ist nun auch – soweit die Datenlage dies zulässt – eine empirisch fundierte Beurteilung der Familiengründungsprozesse dieser Frauen möglich. Auf der Basis neuerer Studien kristallisiert sich heraus, dass in Westdeutschland sowohl ein Institutioneneffekt als auch ein Bildungseffekt beobachtbar ist.3 Demnach setzen Familiengründungsprozesse bei hochqualifizierten Frauen nicht nur später ein als bei weniger qualifizierten Frauen, sie weisen zugleich eine überdurchschnittlich hohe Kinderlosigkeit4 auf (Wirth und Dümmler 2004).5 In der klassischen Familienökonomie wird ein solches Verhaltensmuster im Wesentlichen auf die bei einem höheren Ausbildungsniveau auch höheren potenziellen Einkommenseinbußen, d. h. die höheren Opportunitätskosten im Falle einer Berufsunterbrechung oder eines vollständigen Verzicht auf Erwerbstätigkeit zugunsten der Familienarbeit, zurückgeführt. Allerdings bleibt dieses Erklärungsmodell unvollständig, wenn nicht auch der gesellschaftliche Kontext in Form von infrastrukturellen Randbedingungen (z. B. Verfügbarkeit von Krippen- und Hortplätzen, Angebot an Ganztags- versus Halbtagsschulen), soziokulturellen Rahmenbedingungen (z. B. geschlechtsspezifische Rollenleitbilder hinsichtlich der Verteilung von Familien-, Haus- und Erwerbsarbeit) und arbeitsmarktspezifischen Randbedingungen (z. B. Arbeitszeitflexibilität, Toleranz und Akzeptanz von familienbedingten Ausfallzeiten) als wesentliche Bedingungsfaktoren der Opportunitätskosten berücksichtigt wird. Die Entscheidung für oder gegen Kinder ist daher – wie international vergleichende Studien, aber auch der Vergleich von Ost- und Westdeutschland zeigen – keinesfalls eine direkte Folge eines hohen Ausbildungsniveaus bzw. Einkommenspotenzials von Frauen. Sie spiegelt vielmehr wider, inwieweit die Rahmenbedingungen und Anreizstrukturen in3

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Inwieweit die erhöhte Kinderlosigkeit letztendlich eine nicht-intendierte Folge einer im Lebenslauf immer weiter verschobenen Familiengründung darstellt, lässt sich auf Basis der vorliegenden Studien nicht beurteilen. In diesem Zusammenhang ist es irrelevant, ob der Anteil der lebenslang kinderlosen Frauen bei den Hochqualifizierten in Westdeutschland über oder unter 40 Prozent liegt. Abgesehen davon, dass bei derartigen Populationsschätzungen der Zufallsfehler nicht vernachlässigt werden sollte, ist hier lediglich von Interesse, dass in Bezug auf das Phänomen der Kinderlosigkeit in Westdeutschland ein deutliches Bildungsgefälle zu beobachten ist und ein hohes Bildungsniveau der Frau mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Kinderlosigkeit einhergeht. Auch in anderen Ländern, wie z. B. England, scheint ein hoher sozialer Status mit einer Verschiebung von Familiengründungsprozessen einherzugehen (Ruddock, Wood und Quinn 1998). Aus Australien wiederum wird eine mit dem Bildungsniveau der Frau ansteigende Kinderlosenquote berichtet. Diese liegt für hochqualifizierte Frauen bei etwa 34 Prozent, für Frauen mit einem Bachelorabschluss bei etwa 22 Prozent, für Frauen ohne Berufsausbildung bei etwa 11 Prozent (Franklin und Tueno 2004). Ähnliche Befunde liegen für die USA vor, hier ist die Kinderlosenquote von 40- bis 44-jährigen Frauen, die mindestens einen Bachelorabschluss aufweisen, zwischen 1980 und 1998 von 25 auf knapp 29 Prozent gestiegen (Bachu 1999).

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nerhalb einer Gesellschaft eine gleichzeitige Realisierung von Familie und Beruf eher unterstützen oder ihr eher entgegen wirken (Huinink 2002). Für Westdeutschland ist festzustellen, dass die ausgeprägte Fixierung der Sozial- und Familienpolitik auf das traditionelle Familienmodell des männlichen Hauptverdieners und der weiblichen Zuständigkeit für die Haus- und Familienarbeit lange Zeit den Blick dafür getrübt hat, dass die Erwerbsorientierung von Frauen erheblich an Intensität gewonnen hat und die Berufstätigkeit zu einem festen Bestandteil des weiblichen Lebenslaufs geworden ist. Entsprechend sind die Möglichkeiten der außerfamiliären Kleinkinderbetreuung, sowohl bezüglich des Platzangebots als auch der Öffnungszeiten, noch immer stark auf den Typus der nicht- oder teilzeiterwerbstätigen Frau ausgerichtet. Ähnliches gilt für die Betreuung von Kindern im Schulalter, auch hier dominieren Halbtags- bzw. Vormittagsschulen, die implizit voraussetzen, dass ein Elternteil (in der Regel die Frau) maximal teilzeittätig ist. Steuertechnisch wird das klassische Modell eines (männlichen) Hauptverdieners – unabhängig davon, ob Kinder vorhanden sind oder nicht – bis in die Gegenwart durch das Ehegattensplitting gefördert. Auch hinsichtlich der arbeitsmarktspezifischen Randbedingungen ist bislang von einer wenig familienfreundlichen Situation auszugehen. Zwar wurde das Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen in den letzten Jahrzehnten deutlich ausgebaut, hierbei handelt es sich jedoch überwiegend um weniger gut entlohnte Tätigkeiten mit geringen Aufstiegschancen. Weiterreichende Maßnahmen zur Verbesserung der Familienfreundlichkeit sind in den Betrieben bislang kaum verbreitet. Nach eigenen Angaben berücksichtigt etwa ein Viertel der Betriebe elternspezifische Bedürfnisse, faktisch weisen aber nur 12 Prozent ein Angebot für Personen in Elternzeit auf; fünf Prozent stellen Beratungs- und Informationsangebote zur Verfügung und vier Prozent leisten sich Kinderbetreuungsangebote (Beblo und Wolf 2004). Im Vergleich zu Anfang der 1990er Jahre werden Stellenausschreibungen inzwischen geschlechtsneutral formuliert und bei Bewerbungsgesprächen darf Frauen nicht mehr die Frage nach einer aktuellen oder geplanten Schwangerschaft gestellt werden. Unabhängig hiervon werden Arbeitgeber jedoch nach wie vor – zumindest implizit – die Kosten antizipieren, die durch eine familienbedingte Freistellung oder Reduzierung der Arbeitszeit entstehen. Darüber hinaus können Arbeitgeber davon ausgehen, dass im Falle einer Elternschaft Frauen mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit als Männer ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen und bei einem Wiedereinstieg eher die Arbeitszeit reduzieren. Aus Arbeitgeberperspektive ist es daher konsequent, jene Positionen, die sich nur schwer mit Berufsunterbrechungen oder Teilzeit vereinbaren lassen, vorwiegend mit Männern zu besetzen, Frauen hingegen

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überwiegend solche Positionen anzubieten, in welchen sie relativ einfach ersetzbar sind (Hemström 1998; Vaskovics und Rost 1999). Familienfreundliche Programme, die primär auf eine Frauenförderung abzielen, wirken demnach insofern kontraproduktiv auf die weiblichen Arbeitsmarktchancen, als sie für Arbeitgeber die Beschäftigungskosten spezifisch für Frauen erhöhen. Diesem Risiko lässt sich nur durch eine geschlechtsspezifisch neutrale Familienförderung entgegenwirken, in Form einer zwischen Frauen und Männern gleichermaßen verteilten Belastung durch Familien- und Erwerbsarbeit (Esping-Andersen 2002). Auf der soziokulturellen Ebene finden diese Randbedingungen ihre Entsprechung. Familie und berufliche Erfüllung werden in Westdeutschland noch immer als zwei alternative Lebensziele wahrgenommen, deren gleichzeitige Realisierung mit einer Beeinträchtigung des Kindeswohls assoziiert wird. So sind im Jahre 2004 rund 62 Prozent der westdeutschen Bevölkerung der Ansicht, dass ein Kleinkind unter der Erwerbstätigkeit der Mutter leiden wird, in Ostdeutschland liegt dieser Anteil nur bei 29 Prozent (Kreyenfeld und Geisler 2006). Die in Westdeutschland objektiv gegebene Problematik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erfährt durch diese subjektive Komponente demnach eine weitere negative Verstärkung, indem die erwerbstätige Mutter in der gesellschaftlichen Wahrnehmung implizit als weniger gute Mutter gilt. Unter den hier skizzierten Randbedingungen ist die mehr oder weniger bewusste Entscheidung von Frauen für den Beruf und gegen eine Familiengründung eine mögliche Verhaltensstrategie, dieses Dilemma zu lösen. Ein indirekter Indikator hierfür ist, dass kinderlose Frauen auf die Frage, „warum Frauen heutzutage ganz allgemein keine Kinder bekommen“ an erster Stelle die Schwierigkeit nennen, Beruf und Mutterschaft zu vereinbaren. Allerdings scheint zwischen der Wahrnehmung der allgemeinen Problemlage und der individuellen Lebenslage eine gewisse Diskrepanz zu bestehen. Denn gefragt nach den persönlichen Gründen für die eigene Kinderlosigkeit, wird vorrangig die Partnersituation bzw. das Fehlen eines geeigneten Partners angeführt und werden erst an zweiter Stelle berufliche Gründe genannt (Dorbritz und Schwarz 1996). Diese Einschätzung der individuellen Problemlage als ein Gemenge von Partnerschaftskontext und der antizipierten Inkompatibilität von Beruf und Familie findet Unterstützung durch aktuelle empirische Befunde. Der Anteil der ledigen, nicht in einer Paargemeinschaft lebenden 37- bis 40-jährigen Frauen hat sich zwischen 1987 und 2004 von 7 auf 14 Prozent verdoppelt, hiervon ist die

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überwiegende Mehrheit (82 Prozent) kinderlos.6 Ein noch stärkerer Partnerschaftseffekt zeigt sich für die gleichaltrigen Fachhochschul- und Universitätsabsolventinnen. Zwischen 1987 und 2004 hat sich der Anteil der ledigen, nicht mit einem Partner zusammenlebenden hochqualifizierten Frauen von 15 Prozent auf fast 25 Prozent erhöht, hiervon sind im Schnitt etwa 87 Prozent kinderlos (Duschek und Wirth 2005). Der Singularisierung von Männern und Frauen bzw. der rückläufigen Tendenz, in einer Paargemeinschaft zu leben, kommt daher als Erklärungsfaktor für das Phänomen der Kinderlosigkeit in Westdeutschland eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Im vorliegenden Beitrag ist der Fokus jedoch auf Paare gerichtet. Im Paarkontext ist die Kinderlosenquote im Durchschnitt nicht angestiegen, sondern sie liegt seit Ende der 1980er Jahre relativ konstant bei etwa einem Fünftel. Allerdings trifft dieses Muster nicht für jene Paare zu, bei welchen die Frau mindestens über einen Fachhochschulabschluss verfügt: In dieser Gruppe erhöhte sich die Kinderlosenquote zwischen 1987 und 2004 von 21 auf 29 Prozent (Duschek und Wirth 2005: 818). Ein Erklärungsmodell für die überdurchschnittlich hohe Kinderlosigkeit von Paaren, bei welchen die Frau der höchsten Bildungsgruppe angehört, ist, dass hier zwei soziale Mechanismen zusammenwirken: Erstens besteht die eingangs erwähnte Tendenz zur Bildungshomogamie, d. h. die sowohl über Norm- und Wertsysteme als auch sozial vorstrukturierte Gelegenheitsstrukturen vermittelte Neigung, bildungsgleiche Partner zu präferieren, die am oberen Ende der Bildungsskala besonders ausgeprägt ist. Zweitens bestehen bei einer Familiengründung relativ höher anzusetzende Opportunitätskosten, wenn beide Partner hochqualifiziert sind und beide zugleich ihre Berufskarriere realisieren wollen. Die von Frauen typischerweise ins Kalkül zu ziehenden Opportunitätskosten wurden oben skizziert. Bei einem hohen Einkommenspotenzial ihrer Partnerinnen sind aber auch für Männer steigende Opportunitätskosten im Falle einer Elternschaft wahrscheinlich, da nicht nur höhere Erwartungen bezüglich einer partnerschaftlichen Aufteilung von Familien- und Hausarbeit anzunehmen sind, sondern das höhere Einkommenspotenzial auch die Verhandlungsposition von Frauen innerhalb einer Partnerschaft stärkt.7 Entsprechend müssen Männer bei einer Familiengründung höhere Opportunitätskosten, z. B. in Form einer Einschränkung ihrer räumlichen und zeitlichen Flexibilität, antizipieren. Darüber hinaus wird eine eventuell vorhandene Bereitschaft von Männern, sich stärker in Familien- und Hausarbeit zu engagieren, konterkariert, wenn diese nega6 7

Für die Definition der Kinderlosenquote siehe Abschnitt 3. Für eine ausführliche Diskussion und Verknüpfung unterschiedlicher Theoriestränge zur Erklärung der Arbeitsteilung in Partnerschaften siehe Röhler, Steinbach und Huinink (2000).

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tive Auswirkungen auf die weitere berufliche Karriere erwarten lässt (Vaskovics und Rost 1999). Bei einer hohen Qualifikation beider Partner können Frauen jedoch ähnlich ‚gewichtige’ Argumente wie ihre Partner gegen eine familiär bedingte Berufsunterbrechung vorbringen. Basierend auf diesen Überlegungen lässt sich die These formulieren, dass Paare, bei welchen beide Partner ein hohes Ausbildungsniveau aufweisen, die Familiengründung mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit vermeiden (Homogamiethese). Bei den bisherigen Ausführungen wurde nicht zwischen ehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften differenziert. In Hinsicht auf die Befriedigung von emotionalen und affektiven Bedürfnissen ist auch kein Unterschied zwischen diesen beiden Lebensformen anzunehmen. Wesentliche Unterschiede bestehen jedoch in Bezug auf die formale Verbindlichkeit der Paarbeziehung und den hieraus abgeleiteten materiellen Absicherungs- und Versorgungsfunktionen insbesondere bei einer Familiengründung. In Deutschland wird der Ehe als einer rechtlich verbindlichen und (zumindest idealtypisch) auf Dauer angelegten Paarbeziehung vor allem eine Versorgungsfunktion zugewiesen, die sich nicht nur auf gemeinsame Kinder erstreckt, sondern ebenso greift, wenn einer der Partner die eigene Erwerbstätigkeit zugunsten von Familien- und Hausarbeit zurückstellt. Charakteristisch für letztere sind sozialpolitische Transferleistungen, wie etwa die beitragsfreie Absicherung nicht-erwerbstätiger Ehepartner im Sozialversicherungssystem ebenso wie die Möglichkeit der Nutzung des ‚ Ehegattensplitting’. Vom ‚Ehegattensplitting’ profitieren vor allem jene Ehepaare, bei welchen ein Partner kaum oder nicht erwerbstätig ist bzw. bei welchen sich die Einkommen der Partner deutlich unterscheiden (Dingeldey 2002). Umgekehrt bietet das ‚Ehegattensplitting’ verheirateten Paaren im Vergleich zu unverheirateten Paaren kaum Vorteile, wenn keine oder nur geringe Einkommensunterschiede bestehen. Spezifische Anreize zur Eheschließung sind demnach bei einem starkem Einkommensgefälle zwischen den Partnern anzunehmen und insbesondere dann, wenn eine Elternschaft geplant bzw. realisiert wird. Letzteres ist vor allem dadurch begründet, dass – bezogen auf Westdeutschland – eine Familiengründung für Frauen mit einem relativ hohen materiellen Risiko einhergeht, da sie in aller Regel die Erwerbstätigkeit unterbrechen oder reduzieren und damit eine Entwertung ihres berufsspezifischen Kapitals wie auch niedrige Einkommen in späteren Lebensphasen in Kauf nehmen. Dieses Risiko wird durch die Eheschließung zwar nicht beseitigt, aber doch abgeschwächt. Im Vergleich zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft wird die Ehe nicht nur als eine stärkere Form der Selbstbindung beider Partner hinsichtlich der gegenseitigen Verpflichtungen wahrgenommen, sondern die aus einer Ehe – insbesondere im

Kinderlosigkeit von hoch qualifizierten Frauen und Männern im Paarkontext

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Falle einer Trennung – erwachsenden Versorgungsansprüche sind auch de facto höher, d. h. die in die Familien- und Hausarbeit investierten Ressourcen sind materiell besser abgesichert als bei einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft (Hill und Kopp 1999; Huinink 1999; Huinink und Konietzka 2003). Aus der männlichen Perspektive beinhaltet die Eheschließung unter der Randbedingung ‚Familiengründung’ insofern einen gewissen Anreiz, als die Ehe bis zur Kindschaftsrechtsreform von 1998 für Männer nahezu die einzige Möglichkeit war, das elterliche Sorgerecht für ein gemeinsames Kind zu erlangen. Mit dem neuen Kindschaftsrecht können nun zwar auch nicht verheiratete Eltern das Sorgerecht gemeinsam ausüben, allerdings nur, wenn die Mutter dies nicht ablehnt (Limbach und Willutzki 2002). Sofern hoch qualifizierte Paare – wie oben argumentiert – eine verringerte Neigung zur Familiengründung aufweisen und zugleich auf Grund der wechselseitigen ökonomischen Unabhängigkeit dem materiellen Versicherungscharakter der Ehe eine eher untergeordnete Bedeutung zukommt, ist zu erwarten, dass diese Paare mit höherer Wahrscheinlichkeit die nichteheliche Form des Zusammenlebens wählen (Lebensgemeinschaftsthese). Wenngleich die Wahl von bildungsgleichen Partnern als dominierendes Verhaltensmuster angenommen werden kann, ist nicht zu vernachlässigen, dass bei einem gewissen Anteil der Partnerschaften Bildungsunterschiede bestehen. Soweit ein Bildungsgefälle zugunsten des männlichen Partners vorliegt, kann mit einiger Plausibilität argumentiert werden, dass überwiegend die Frau ihre Berufstätigkeit zugunsten der Familiengründung zurückstellt. Für diese Paarkonstellation ist daher relativ zu hoch qualifizierten Paaren eine höhere Wahrscheinlichkeit zur Elternschaft anzunehmen. Bei einem Bildungsgefälle zugunsten der Partnerin sind die Schlussfolgerungen weniger eindeutig. Ist eine geschlechtsneutrale Arbeitsteilung von Erwerbs- und Familienarbeit gegeben, würde sich nach der familienökonomischen Theorie der Partner mit dem höheren arbeitsmarktrelevanten Humankapital auf die Erwerbsarbeit spezialisieren, in diesem Fall die Frau. Der Partner mit den geringeren Einkommenschancen, also der Mann, würde entsprechend verstärkt in Haushaltsaktivitäten investieren. Bei dieser Annahme wird jedoch der Einfluss von soziokulturellen Normen unterschätzt. Das Dasein als (Teilzeit erwerbstätiger) Hausmann ist kein selbstverständlicher Bestandteil des allgemeinen männlichen Rollenverständnisses und wird in der subjektiven Situationswahrnehmung häufig mit einem Prestigeverlust assoziiert (Vaskovics und Rost 1999). Dementsprechend ist es wenig wahrscheinlich, dass geringer qualifizierte Männer bei einer Familiengründung in nennenswertem Umfang die eigene Berufstätigkeit zugunsten ihrer hoch qualifizierten Partnerin zurückstellen und vermehrt Haus- und Familienarbeit über-

176

Heike Wirth

nehmen. Umgekehrt wird eine reduzierte Erwerbstätigkeit von Seiten der Frau auf Grund ihres höheren Einkommenspotenzials das Haushaltseinkommen des Paares spürbar reduzieren. In der Konsequenz ist daher zu erwarten, dass Paare mit der Bildungskonstellation ‚hoch qualifizierte Frau/geringer qualifizierter Mann’ in ähnlicher Weise wie hoch qualifizierte Paare eine verringerte Neigung zur Familiengründung aufweisen (Hypogamiethese).

3

Datenbasis und Merkmale

Als Datenbasis für die folgenden Analysen dienen die Mikrozensen 1991, 1995, 1999 und 2003 (Scientific Use Files). Die Betrachtungen beschränken sich auf die deutsche Bevölkerung und hier auf Westdeutschland. Der Vorteil des Mikrozensus liegt zweifellos in dem großen Stichprobenumfang, der auch eine Betrachtung von kleinen Subpopulationen, z. B. nichteheliche Lebensgemeinschaften, differenziert nach dem Bildungsniveau der Partner, erlaubt. Bei der Operationalisierung von Kinderlosigkeit mit Mikrozensusdaten ist zu beachten, dass keine Angaben zu den von einer Frau insgesamt geborenen Kindern vorliegen. Erfasst werden nur die zum Erhebungszeitpunkt im Haushalt lebenden Kinder (Koresidenzprinzip). Zu den als kinderlos definierten Frauen zählen daher nicht nur Frauen, die keine Kinder haben, sondern auch solche, deren Kinder nicht (mehr) im elterlichen Haushalt leben. Nur im ersten Fall handelt es sich de facto um Kinderlosigkeit, während der zweite Fall „falsch positive“ bzw. „statistische“ Kinderlosigkeit abbildet.8 Eine Unterscheidung zwischen echter und statistischer Kinderlosigkeit ist mit Mikrozensusdaten nicht möglich. Allerdings leben minderjährige Kinder mehrheitlich noch im elterlichen Haushalt. Als Proxy für Kinderlosigkeit wird daher in den meisten mikrozensusbasierten Studien überprüft, ob Kinder unter 18 Jahren im Haushalt leben. Dieser Indikator alleine ist noch wenig aussagekräftig, da das 8

Im Unterschied hierzu wird in wissenschaftsbasierten Bevölkerungserhebungen die Frage nach den insgesamt vorhandenen Kindern inzwischen meist gestellt. Diese Erhebungen weisen jedoch einen zum Teil beträchtlichen Unit-Nonresponse auf, da die Teilnahme auf freiwilliger Basis erfolgt. Ein wesentlicher Aspekt hierbei ist die Erreichbarkeit von Haushalten. So berichtet Klein (2003) von einem Frauenüberschuss im Familiensurvey als Folge der besseren Erreichbarkeit von Frauen mit Kindern im Haushalt. Dies legt umgekehrt die Schlussfolgerung nahe, dass kinderlose Frauen, da sie in der Regel erwerbstätig sind, schlechter erreichbar und deshalb in sozialwissenschaftlichen Erhebungen eher unterrepräsentiert sind. Bezogen auf die zu erklärende Variable Kinderlosigkeit wären solche Stichprobenausfälle nicht zufällig und können zu verzerrten Schätzungen führen. Allerdings stehen Analysen, die sich mit dieser Frage beschäftigen, bislang noch aus.

Kinderlosigkeit von hoch qualifizierten Frauen und Männern im Paarkontext

177

Alter der Kinder mit dem Alter der Mutter korreliert. Insbesondere ältere Frauen, deren Kinder den Haushalt bereits verlassen haben, haben eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, der Gruppe der ‚falsch positiven’ Kinderlosen zugeordnet zu werden. In der Regel wird daher zusätzlich eine Altersrestriktion bei den Frauen eingeführt, wobei man typischerweise die Gruppe der 35- bis 39Jährigen betrachtet. Sind Frauen in diesem Alter kinderlos, galt dies bis vor kurzem als hinreichend guter Indikator für eine tatsächliche Kinderlosigkeit: Für diese Alterskohorte wird einerseits der Fertilitätsprozess als weitestgehend abgeschlossen betrachtet, andererseits sind vorhandene Kinder in der Regel minderjährig und leben mit hoher Wahrscheinlichkeit noch bei den Eltern (Engstler 1998). Neueren Untersuchungen zufolge ist diese Annahme im Durchschnitt der Frauen durchaus angemessen, jedoch für bildungsspezifische Betrachtungen weniger geeignet, da die alterspezifischen Familiengründungsprozesse zwischen den einzelnen Bildungsgruppen variieren (Wirth und Dümmler 2004). Für die Abbildung eines solchen bildungsspezifischen Alterseffekts werden in den multivariaten Analysen dieser Studie die zwei Altersgruppen 33 bis 36 und 37 bis 40 Jahre9 einbezogen. Die Untersuchungseinheiten sind Paare, bei welchen die Frau zwischen 1955 und 1966 geboren wurde. Die deskriptiven Analysen beschränken sich auf die 37- bis 40-Jährigen der Geburtskohorten 1951 bis 1966. Die konkrete Abgrenzung der Alters- und Geburtskohorten, jeweils bezogen auf die weibliche Partnerin, ist in Tabelle 1 dargestellt.10 Das Alter des männlichen Partners wird indirekt über das Merkmal Altersdifferenz der Partner mit folgenden Ausprägungen berücksichtigt: (1) Beide Partner sind gleich alt; (2) die Frau ist bis zu 5 Jahre jünger als ihr Partner; (3) die Frau ist mehr als 5 Jahre jünger als ihr Partner; (4) der Mann ist bis zu 5 Jahre jünger als seine Partnerin; (5) der Mann ist mehr als 5 Jahre jünger als seine Partnerin.

9 10

Auf die Einbeziehung der über 40-jährigen Frauen wird verzichtet, da in dieser Altersgruppe bislang keine massiven Nachholprozesse in der Familiengründung zu beobachten sind. Die Kohorten werden auf der Basis von Querschnittsdaten generiert. Aufeinanderfolgende Altersgruppen des gleichen Geburtsjahrgangs repräsentieren daher nicht dieselben Personen. Vielmehr handelt es sich um synthetische Kohorten bzw. um eine Aggregatkohortenanalyse. Gleichfalls wird vereinfachend unterstellt, dass keine Periodeneffekte wirksam sind.

178

Heike Wirth

Tabelle 1: Alters- und Geburtskohortenabgrenzung Geburtskohorte 1951-1954 1955-1958 1959-1962 1963-1966

1991 37-40 33-36 -

Erhebungszeitpunkt Mikrozensus 1995 1999 Altersgruppe 37-40 33-36 37-40 33-36

2003 37-40

Die Operationalisierung des Bildungsniveaus erfolgt über die Kombination der allgemeinen und der beruflichen Bildungsabschlüsse in Anlehnung an die CASMIN-Klassifikation (Brauns und Steinmann 1999) mit sieben Kategorien: Hauptschulabschluss ohne Berufsausbildung (HSO) bzw. mit Berufsausbildung (HSM); Mittlere Reife ohne Berufsausbildung (MRO) bzw. mit Berufsausbildung (MRM); Abitur ohne Berufsausbildung (ABIO) bzw. mit Berufsausbildung (ABIM) sowie Fachhochschulabschluss oder Universitätsabschluss (FH/UNI). Personen, die sich zum Erhebungszeitpunkt noch in einer Ausbildung befanden, werden von der Analyse ausgeschlossen, da während der Ausbildungsphase normative und vor allem ökonomische Randbedingungen einer Familiengründung typischerweise entgegenwirken (Thornton et al. 1995; Blossfeld und Rohwer 1995).11 Auf Basis dieser sieben Bildungsgruppen wird das Merkmal Bildungsstruktur des Paares mit drei Ausprägungen generiert: (1) Beide Partner weisen das gleiche Ausbildungsniveau auf (Homogamie); (2) der Mann ist formal höher qualifiziert als seine Partnerin (Hypergamie); (3) die Frau ist formal höher qualifiziert als ihr Mann (Hypogamie). Als Paargemeinschaft werden Frauen und Männer definiert, die zum Erhebungszeitpunkt mit dem Partner bzw. der Partnerin in einem gemeinsamen Haushalt leben. Diese werden weiter danach differenziert, ob es sich um eine Ehegemeinschaft (EP) oder eine nichteheliche Lebensgemeinschaft (NEL) han-

11

Wobei derartige Verhaltensmuster stark von sozial- und familienpolitischen Rahmenbedingungen beeinflusst sind. In der DDR wurde die frühe – auch in die Ausbildungsphase fallende – Familiengründung durch eine Reihe von Anreizen aktiv und durchaus erfolgreich gefördert (Huinink 2000).

Kinderlosigkeit von hoch qualifizierten Frauen und Männern im Paarkontext

179

delt. In getrennten Haushalten lebende Paare (z. B. living-apart-together-Beziehungen) können mit dem Mikrozensus nicht abgebildet werden.12 Als weitere Erklärungs- bzw. Kontrollfaktoren werden folgende Merkmale herangezogen: Der Erwerbsstatus der Frau, differenziert nach Vollzeit- oder Teilzeiterwerbstätigkeit, geringfügiger Beschäftigung, Erwerbslosigkeit und Nichterwerbstätigkeit. Die Beschäftigungssituation von Frauen und ihren Partnern: Als Indikator für die Beschäftigungssituation wird zwischen abhängig und selbstständig Beschäftigten differenziert. Bei den abhängig Beschäftigten wird weiterhin nach dem sozialversicherungsrechtlichen Status und dem Wirtschaftssektor (Privatwirtschaft versus Öffentlicher Dienst) unterschieden. Für – zum Befragungszeitpunkt – nicht erwerbstätige Personen werden die Angaben zur letzten Erwerbstätigkeit herangezogen. Bei der Interpretation dieses Indikators ist zu berücksichtigen, dass hier die Beschäftigungssituation für die aktuelle Erwerbstätigkeit bzw. die letzte Berufstätigkeit abgebildet wird. Diese muss nicht deckungsgleich mit der Situation während der Familiengründungsphase sein.

4

Bildungsstruktur und Lebensform im Paarkontext – Ein deskriptiver Überblick

Bevor die Effekte der verschiedenen Faktoren auf die Kinderlosigkeit im Paarkontext diskutiert werden, wird im Folgenden ein deskriptiver Überblick der Bildungsstruktur und Lebensform von Paaren gegeben. Im Fokus steht die Entwicklung im Kohortenvergleich. Betrachtet werden Paare, bei welchen die Frau den Jahrgängen 1951 bis 1966 angehört und zum Zeitpunkt der Erhebung zwischen 37 und 40 Jahre alt war.

4.1

Die Bildungsstruktur von Paaren im Kohortenvergleich

Wie oben erwähnt, legt die geschlechtsspezifische Bildungsangleichung sowie die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen die Annahme nahe, dass über Bildungsinstitutionen und Arbeitsumfeld eine stärkere soziale Vorstrukturierung

12

Nichteheliche Lebensgemeinschaften werden zwar erst seit 1996 explizit erhoben, können aber über ein Schätzverfahren auch für die vorhergehenden Jahre relativ gut bestimmt werden.

180

Heike Wirth

Tabelle 2a: Bildungsstruktur in Paargemeinschaften im Kohortenverlauf (bezogen auf Paare, bei welchen die Frau zwischen 37 und 40 Jahre alt ist), Westdeutschland, Paare insgesamt (Zeilenprozente) Geburts-

Bildungsstruktur Paar

kohorte

Homogamie

Hypergamie

Hypogamie

Jahr

(Frau)

Mann = Frau

Mann > Frau

Mann < Frau

n

1991

1951-54

50

34

16

7263

1995

1955-58

49

30

21

7945

1999

1959-62

46

29

25

8411

2003

1963-66

46

29

25

8707

Tabelle 2b: Paare – Frau mit FH/UNI-Abschluss (Zeilenprozente) Geburts-

Bildungsstruktur Paar

kohorte

Homogamie

Hypergamie

Hypogamie

Jahr

(Frau)

Mann = Frau

Mann > Frau

Mann < Frau

n

1991

1951-54

76

-

24

752

1995

1955-58

72

-

28

965

1999

1959-62

69

-

31

911

2003

1963-66

71

-

29

1086

Tabelle 2c: Paare – Mann mit FH/UNI-Abschluss (Zeilenprozente) GeburtsJahr

Bildungsstruktur Paar

kohorte

Homogamie

Hypergamie

Hypogamie

(Frau)

Mann = Frau

Mann > Frau

Mann < Frau

n

1991

1951-54

42

58

-

1377

1995

1955-58

42

58

-

1660

1999

1959-62

41

59

-

1514

2003

1963-66

42

58

-

1832

Quelle: MZ 1991; 1995; 1999; 2003 (Scientific Use Files); Deutsche Bevölkerung in Privathaushalten am Ort der Hauptwohnung; Westdeutschland

des Partnermarktes erfolgt und als indirekte Folge hiervon die Bildungshomogamie im Paarkontext zunimmt. Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, lässt sich – zumindest für Westdeutschland – die These einer zunehmenden Bildungshomogamie empirisch nicht bestätigen. Tabelle 2 zeigt die Bildungsstruktur von Paaren im Durchschnitt aller Bildungsgruppen (Tabelle 2a) sowie für jene Paare,

Kinderlosigkeit von hoch qualifizierten Frauen und Männern im Paarkontext

181

bei welchen die Frau über einen Fachhochschul- oder Universitätsabschluss verfügt (Tabelle 2b) oder der männliche Partner der höchsten Bildungsgruppe angehört (Tabelle 2c). Betrachtet man zunächst Paare insgesamt, zeigt sich eine klare Dominanz der bildungsgleichen13 Partnerschaften. Allerdings verstärkt sich dieses Muster im Kohortenverlauf nicht, sondern schwächt sich eher ab: Bezogen auf die Jahrgänge 1951 bis 1958 sind rund 50 Prozent der Paargemeinschaften bildungshomogam, bei den Ende 1950 und später Geborenen hingegen nur noch 46 Prozent. Zugleich deutet sich bei bildungsungleichen Partnerschaften ein Modernisierungsprozess an. Das tradierte geschlechtsspezifische Verhaltensmuster, nach welchem eine Bildungsungleichheit der Partner typischerweise eine formale Bildungsüberlegenheit des Mannes (Hypergamie) impliziert, verliert an Bedeutung. Sind bei den 1951 bis 1953 Geborenen im Durchschnitt noch über ein Drittel der Partnerschaften bildungshypergam, sind es in den jüngeren Kohorten unter 30 Prozent. Umgekehrt ist der Anteil der Partnerschaften, bei welchen die Frau formal höher qualifiziert ist als ihr Partner, von 16 auf 25 Prozent angestiegen und erreicht in den jüngeren Kohorten fast das Niveau der bildungshypergamen Paargemeinschaften. Konzentriert man sich im Weiteren auf jene Paare, bei welchen mindestens einer der Partner über einen Fachhochschul- oder Universitätsabschluss verfügt, ist zwischen der weiblichen und männlichen Perspektive zu unterscheiden. Die weibliche Perspektive zeigt den Anteil der hochqualifizierten Frauen, deren Partner das gleiche oder ein geringeres Bildungsniveau aufweist (Tabelle 2b). Die männliche Perspektive bildet die entsprechenden Verteilungen für hochqualifizierte Männer ab (Tabelle 2c). Aus der weiblichen Perspektive fällt zunächst die enorm hohe Homogamiequote auf. Bezogen auf die Anfang der 1950er Jahre geborenen Frauen sind mehr als drei Viertel der Partnerschaften bildungshomogam. Die in der Literatur gelegentlich anzutreffende, wenn auch selten belegte Aussage, dass Frauen mit einer hohen Ausbildung überwiegend Partnerschaften mit gleichfalls hoch qualifizierten Männern eingehen, erfährt somit empirische Evidenz. Aber wiederum ist im Kohortenverlauf keine Intensivierung dieses Verhaltensmusters zu beobachten. Vielmehr zeichnet sich bei den jüngeren Jahrgängen ein leichter Rückgang ab. Gleichwohl erweist sich die Homogamie-

13

Bei der folgenden Interpretation ist zu beachten, dass die Homogamie-, Hypergamie- und Hypogamiequoten in hohem Maße von der Operationalisierung des Bildungsniveaus abhängen. Die hier gewählte Differenzierung nach sieben Bildungsgruppen führt zu geringeren Homogamiequoten als bspw. eine Klassifikation, die zwischen gering-, mittel- und hoch qualifizierten Bildungsgruppen unterscheidet.

182

Heike Wirth

quote auch bei den Anfang der 1960er Jahre geborenen Frauen mit circa 70 Prozent noch immer als außerordentlich hoch. Spiegelbildlich hat sich der Anteil der hoch qualifizierten Frauen, deren Partner ein geringeres Ausbildungsniveau aufweist, von knapp einem Viertel auf circa 30 Prozent erhöht. Eine Erklärung für die relative Konstanz bzw. den leichten Rückgang der Homogamiequote bei den hoch qualifizierten Frauen wäre, dass die jüngeren Geburtskohorten auf dem ‚Partnermarkt’ einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt sind, da die Zahl der bildungsgleichen ‚Mitbewerberinnen’ deutlich zugenommen hat. Die geschlechtsspezifische Bildungsangleichung hat die Chancen für hoch qualifizierte Frauen, einen gleich qualifizierten Partner zu finden, demnach nicht verbessert, sondern eher verschlechtert. Allerdings ist diese strukturelle Erklärung nicht allzu überzeugend, denn umgekehrt hat sich der Partnermarkt für hoch qualifizierte Männer im Sinne einer größeren Auswahl an bildungsgleichen Partnerinnen verbessert. Wären vorwiegend Struktureffekte wirksam, sollte für Männer der hohen Bildungsgruppen die Homogamietendenz zunehmen. Wie aus Tabelle 2c hervorgeht, gibt es hierfür jedoch keine empirische Evidenz. Der Anteil der hochqualifizierten Männer, die mit einer gleich qualifizierten Partnerin zusammenleben, ist mit etwas über 40 Prozent deutlich niedriger als aus der weiblichen Perspektive und verharrt im Kohortenvergleich relativ stabil bei dieser Quote. Vice versa leben etwas weniger als 60 Prozent dieser Männer mit geringer qualifizierten Frauen zusammen. Zusammenfassend deuten diese Befunde einerseits eine gewisse ‚Sättigungsgrenze’ hinsichtlich der Homogamieneigung von hoch qualifizierten Männern und Frauen an. Insbesondere zeigen sie auf, dass dem Bildungsniveau zwar eine stark strukturierende Wirkung auf die Paarbildung zukommt, aber für mehr als die Hälfte der in einer Partnerschaft lebenden Männer und knapp 30 Prozent der Frauen formale Bildungsunterschiede offensichtlich ein nachrangiges Entscheidungskriterium der Partnerwahl darstellen. Andererseits implizieren diese Befunde, dass der Anstieg der Kinderlosigkeit von in einer Paargemeinschaft lebenden hoch qualifizierten Frauen nicht das Resultat einer zunehmenden Homogamieneigung sein kann, sondern andere Ursachen haben muss.

4.2

Bildungsstruktur und Lebensform

In Folgenden wird wiederum auf deskriptiver Ebene überprüft, inwieweit hoch qualifizierte Paare verstärkt die nichteheliche Form des partnerschaftlichen Zu-

183

Kinderlosigkeit von hoch qualifizierten Frauen und Männern im Paarkontext

Tabelle 3a: Verteilung von ehelichen und nichtehelichen Paargemeinschaften nach Bildungsstruktur des Paares (bezogen auf Paare, bei welchen die Frau zwischen 37 und 40 Jahre alt ist) im Kohortenverlauf, Westdeutschland, Paare insgesamt (Zeilenprozente) Paargemeinschaft

Bildungsstruktur Paar

Geburtskohorte Frau

ehelich

nichtehelich

Fallzahlen

Mann = Frau

1951-54

96

4

3640

(Homogamie)

1955-58

95

5

3928

1959-62

92

8

3904

1963-66

89

11

4023

Mann > Frau

1951-54

96

4

2466

(Hypergamie)

1955-58

94

6

2360

1959-62

92

8

2439

1963-66

90

10

2499

Mann < Frau

1951-54

94

6

1157

(Hypogamie)

1955-58

92

8

1657

1959-62

92

8

2068

1963-66

88

12

2185

Quelle: MZ 1991; 1995; 1999; 2003 (Scientific Use Files); Deutsche Bevölkerung in Privathaushalten am Ort der Hauptwohnung; Westdeutschland.

sammenlebens präferieren. In Tabelle 3 ist zu diesem Zweck die Verteilung von ehelichen und nichtehelichen Paargemeinschaften in Abhängigkeit von der Bildungsstruktur der Paare für die Geburtskohorten 1951 bis 1966 abgebildet. Betrachtet man zunächst die Paare insgesamt (Tabelle 3a), zeichnet sich das bekannte Muster ab, nach welchem die Ehe nach wie vor der dominante Typus des partnerschaftlichen Zusammenlebens darstellt. Allerdings zeigt sich eine über die Kohorten hinweg rückläufige Tendenz. Während der Anteil der Ehen an allen Paargemeinschaften bei den Anfang der 1950er Jahre geborenen Frauen weit über 90 Prozent beträgt, liegt er bei den in den frühen 1960er Jahren Geborenen ‚nur’ noch bei knapp 90 Prozent. Bei gut einem Zehntel der Paare handelt es sich hingegen um nichteheliche Lebensgemeinschaften. Hierbei macht es kaum einen Unterschied, ob die Partner gleich oder unterschiedlich qualifiziert sind.

184

Heike Wirth

Tabelle 3b: Verteilung von ehelichen und nichtehelichen Paargemeinschaften nach Bildungsstruktur des Paares (bezogen auf Paare, bei welchen die Frau zwischen 37 und 40 Jahre alt ist) im Kohortenverlauf, Westdeutschland, Frau oder Mann mit Fachhochschul-/Universitätsabschluss (Zeilenprozente) Paargemeinschaft

Bildungsstruktur Paar

Geburtskohorte Frau

ehelich

nichtehelich

Fallzahlen

Mann = Frau

1951-54

94

6

573

(Homogamie)

1955-58

94

6

699

1959-62

88

12

624

1963-66

87

13

773

Mann > Frau

1951-54

97

3

804

(Hypergamie)

1955-58

93

7

961

1959-62

92

8

890

1963-66

91

9

1059

Mann < Frau

1951-54

91

9

179

(Hypogamie)

1955-58

88

12

266

1959-62

85

15

287

1963-66

79

21

313

Quelle: MZ 1991; 1995; 1999; 2003 (Scientific Use Files); Deutsche Bevölkerung in Privathaushalten am Ort der Hauptwohnung; Westdeutschland.

Konzentriert man sich im nächsten Schritt auf jene Paare, bei welchen einer oder beide Partner mindestens über eine Fachhochschulausbildung verfügt bzw. verfügen (Tabelle 3b), ist gleichfalls eine Verschiebung zugunsten der nichtehelichen Lebensgemeinschaften ersichtlich. Allerdings variiert diese Entwicklung deutlich in Abhängigkeit von der Bildungsstruktur der Paare. Der geringste Anteil nichtehelicher Lebensgemeinschaften bzw. die stärkste Tendenz zur formalen Absicherung der Partnerschaft findet sich erwartungsgemäß bei Paaren mit einer traditionellen Bildungsstruktur, im Sinne einer formalen Bildungsüberlegenheit des Mannes (Hypergamie). Die stärkste Neigung zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist jedoch í entgegen der oben formulierten Hypothese í nicht bei hoch qualifizierten Paaren (Homogamie) zu beobachten, sondern bei hypogamen Partnerschaften, d. h. bei einer formalen Bildungsüberlegenheit der

Kinderlosigkeit von hoch qualifizierten Frauen und Männern im Paarkontext

185

Frau. Bezogen auf die Geburtskohorte 1963 bis 1966 beträgt der Anteil der nichtehelichen Lebensgemeinschaften hier 21 Prozent, bei homogamen Paaren 13 Prozent und bei hypergamen Paaren neun Prozent (Tabelle 3b). Der relativ hohe Anteil nichtehelicher Lebensgemeinschaften in hypogamen Paarbeziehungen legt die Vermutung nahe, dass monetäre Anreize, etwa in Form des ‚Ehegattensplittings’, für diese Paare ein eher nachgeordnetes Entscheidungskriterium für eine Eheschließung sind. Dieses Argument trifft natürlich ebenso auf hoch qualifizierte Paare zu. Eine andere Interpretation wäre, dass die hinsichtlich des geschlechtsspezifischen Bildungsgefälles ‚atypischen’ hypogamen Paarbeziehungen in der Wahrnehmung der Partner mit einem größeren Unsicherheitsfaktor bezüglich der längerfristigen Stabilität der Beziehung behaftet sein könnten und deshalb die nichteheliche Lebensform überdurchschnittlich häufig bevorzugt wird, zumal die Auflösung einer nichtehelichen Bindung weniger kostenträchtig ist als die einer Ehe.

5

Kinderlosigkeit im Paarkontext hoch qualifizierter Frauen und Männer: Empirische Befunde

Im Folgenden wird die Wirkung ausgewählter Einflussfaktoren auf das Risiko der Kinderlosigkeit14 im Paarkontext untersucht. Im Zentrum des Interesses stehen die Bildungsstruktur des Paares, der Lebensformtyp sowie das Alter und die Geburtskohorte der Frau. Als Kontrollfaktoren werden sukzessive der Altersunterschied zwischen den Partnern, der Erwerbsstatus der Frau sowie als grober Indikator für die ‚Familienfreundlichkeit’ der Beschäftigungssituation eine aus dem Sozialversicherungsstatus und dem Wirtschaftssektor (Privatwirtschaft/Öffentlicher Dienst) generierte Variable für jeweils beide Partner berücksichtigt. Alle Analysen beziehen sich auf Paare, bei welchen mindestens einer der Partner hoch qualifiziert ist, d. h. über einen Fachhochschul- oder Universitätsabschluss verfügt. Als bildungshomogam werden Paare bezeichnet, wenn beide Partner der höchsten Bildungsgruppe angehören. Bildungshypergamie umfasst alle Paare, bei welchen der Mann hoch qualifiziert ist, die Frau hingegen maximal über Abitur mit Berufsausbildung verfügt. Vice versa indiziert Bildungshypogamie jene Paare, bei welchen die Frau hoch qualifiziert ist, während ihr Partner höchstens Abitur mit Berufsausbildung aufweist. Die Ergebnisse der Modellschätzungen sind in Tabelle 4 dargestellt. 14

Im logistischen Regressionsmodell ist die abhängige Variable das Chancenverhältnis. Im Folgenden wird vereinfacht der Begriff ‚Risiko’ verwendet.

186

Heike Wirth

Tabelle 4: Determinanten der Kinderlosigkeit im Paarkontext (bezogen auf Paare, bei welchen die Frau zwischen 33 und 40 Jahre alt und mindestens einer der Partner hoch qualifiziert (Fachhochschule/Universität) ist), Ergebnisse binärer logistischer Modellschätzungen(a) Merkmale

M1

M2

M3

M4

Alter 33-36 (RK) 37-40 Kohorte 1955-58 (RK) 1959-62 1963-66 Bildungsstruktur des Paares Bild Mann = Frau (RK) Bild Mann > Frau Bild Mann < Frau Bildungsniveau Mann Mann-FH/UNI (RK) Mann-HSO Mann-HSM Mann-MRO Mann-MRM Mann-ABIO Mann-ABIM Bildungsniveau Frau Frau-FH/UNI (RK) Frau-HSO Frau-HSM Frau-MRO Frau-MRM Frau-ABIO Frau-ABIM Lebensform Ehepaar (RK) Nichteheliche Lebensgemeinschaft Konstante Fallzahlen Pseudo-r2 (McFadden)

1

1

1

1

0,81 ***

0,80 ***

0,81 ***

0,79 ***

1 1,17 ** 1,55 ***

1 1,17 * 1,54 ***

1 1,17 ** 1,55 ***

1 1,04 1,26 ***

1 0,62 *** 1,11

1 0,62 ***

1

1 0,65 *** 0,94

1,11 1 1,10 1,05 1,74 0,95 1,43 1,24 1 0,60 0,67 0,37 0,59 0,91 0,67

0,35 *** 9824 0,018

0,35 *** 9824 0,019

*** *** *** ***

0,35 *** 9824 0,019

1 15,65*** 0,27 *** 9824 0,156

187

Kinderlosigkeit von hoch qualifizierten Frauen und Männern im Paarkontext

Tabelle 4 (Fortsetzung) Alter

33-36 (RK) 37-40 Kohorte 1955-58 (RK) 1959-62 1963-66 BildungsBild Mann = Frau (RK) struktur Bild Mann > Frau Paar Bild Mann < Frau Ehepaar (RK) NEL AltersM-F gleich alt (RK) differenz Frau: 1-5 älter Paar Frau > 5 älter Mann: 1-5 älter Mann > 5 älter ErwerbsFrau nicht erwerbst. (RK) status Frau Frau geringfügig erwerbst. Frau Teilzeit erwerbst. Frau Vollzeit erwerbstätig Frau Erwerbslos erwerbst. ArbeitsFrau: Beamte (RK) marktpositi- Frau: Selbständig on Frau Frau: Ang.-Öff. Dienst Frau: Ang.-Privatwirtsch. Frau: Arbeiter (ÖD/PW) ArbeitsMann: Beamte (RK) marktpositi- Mann: Selbständig on Mann Mann: Ang-Öff. Dienst Mann: Ang-Privatwirtsch. Mann: Arbeiter (ÖD/PW) Konstante Fallzahlen Pseudo-r2 (McFadden)

M5

M6

M7

1 0,77 1 1,03 1,25 1 0,64 0,92 1 14,72 1 1,37 2,25 0,96 1,40

1 0,79 1 0,90 0,96 1 0,90 0,76 1 11,98 1 1,25 1,52 1,03 1,40 1 1,14 3,85 22,56 5,50

1 0,79 1 0,90 0,93 1 0,84 0,76 1 11,86 1 1,25 1,47 1,04 1,42 1 1,13 3,89 22,72 5,40 1 1,26 1,15 1,53 0,92

***

*** ***

*** ** *** ***

0,25 *** 9824 0,160

***

** *** *

**

*** *** ***

M8 1 *** 0,80 *** 1 0,90 0,94 1 * 0,90 ** 0,82 * 1 *** 12,01 *** 1 1,27 * 1,49 1,04 ** 1,43 ** 1 1,16 *** 3,91 *** *** 22,98 *** *** 5,60 *** * ***

1 0,96 1,02 1,11 0,73 * 0,04 *** 0,03 *** 0,03 *** 9824 9824 9824 0,315 0,318 0,316

Anmerkungen: (a) Die univariaten Randverteilungen der hier verwendeten Merkmale sind in Tabelle A1 im Anhang abgebildet.

188

Heike Wirth

Betrachtet man zunächst ganz allgemein die Alters- und Kohorteneffekte, lässt sich sowohl eine Tendenz zur späten Elternschaft als auch eine im Kohortenvergleich zurückgehende Neigung zur Familiengründung erkennen. Die Tendenz zur späten Elternschaft kommt darin zum Ausdruck, dass – unter Kontrolle der Kohortenzugehörigkeit – das relative Risiko, in einer kinderlosen Partnerschaft zu leben, für Frauen im Alter von 37 bis 40 in allen Modellen um etwa 20 Prozent niedriger ist als für die 33- bis 36-Jährigen. Unabhängig hiervon erhöht sich für die jüngeren Kohorten jedoch zugleich die Wahrscheinlichkeit, in einer kinderlosen Paarbeziehung zu leben. Relativ zu Paaren, bei welchen die Frau zwischen 1955 und 1958 geboren ist, liegt das Kinderlosigkeitsrisiko bei den Kohorten 1959 bis 1962 um 17 Prozent und bei den Kohorten 1963 bis 1966 um über 50 Prozent höher (Modelle 1 bis 3). Erwartungsgemäß steht dieser Kohorteneffekt in einem engen Zusammenhang sowohl mit dem Wandel der Lebensformen als auch mit der weiblichen Erwerbsbeteiligung: Werden der Paartyp (ehelich versus nichtehelich) (Modell 4ff.) sowie der weibliche Erwerbsstatus (Modell 6ff.) kontrolliert, unterscheiden sich die Geburtskohorten hinsichtlich ihres Kinderlosenrisikos nicht mehr. Der Anstieg der Kinderlosigkeit im Paarkontext spiegelt demnach vorwiegend Struktureffekte wider. Eine inhaltliche Interpretation dieser Effekte erfolgt bei der Diskussion der einzelnen Modelle. Oben wurde die These formuliert, dass eine hohe Qualifikation beider Partner, aber auch die Bildungskonstellation ‚hoch qualifizierte Frau/geringer qualifizierter Mann’, eine verringerte Bereitschaft zur Familiengründung erwarten lässt. Empirische Evidenz für diese These findet sich in den Modellen 1 bis 3. Bei einer traditionellen Bildungsstruktur, d. h. einem Bildungsgefälle zugunsten des männlichen Partners, erweist sich das Kinderlosenrisiko von Paargemeinschaften als signifikant niedriger als unter der Randbedingung ‚Homogamie’ oder ‚Hypogamie’. Die geringste Neigung zur Familiengründung zeigt sich hierbei allerdings nicht bei den in der Literatur häufig erwähnten hoch qualifizierten Paaren, sondern bei einem formalen Bildungsvorsprung der Partnerin, d. h. den hypogamen Paaren. Differenziert man bei Letzteren explizit nach dem Bildungsniveau des männlichen Partners15 (Modell 2), wird ersichtlich, dass Hypogamie nicht per se ein erhöhtes Risiko der Kinderlosigkeit birgt. Vielmehr ist dieses vor allem dann zu beobachten, wenn der Partner zwar einen allgemein bildenden Schulabschluss, aber keinen beruflichen Ausbildungsabschluss (HSO, MRO, ABIO) aufweist. Hoch qualifizierte Frauen, deren Partner über einen Hauptschulabschluss oder einen mittleren Bildungsabschluss mit abgeschlosse-

15

Das Bildungsniveau der Frau ist hierbei immer Fachhochschul- oder Universitätsabschluss.

Kinderlosigkeit von hoch qualifizierten Frauen und Männern im Paarkontext

189

ner Berufsausbildung (HSM, MRM) verfügen, unterscheiden sich in ihrem Kinderlosenrisiko hingegen nicht von hoch qualifizierten Paaren (FH/UNI). Die detaillierten Bildungseffekte für hypergame Paare16 (Modell 3) zeigen ein anderes Muster. Ein niedriges bis mittleres Bildungsniveau der Frau beinhaltet beim Fehlen einer beruflichen Qualifikation (HSO, MRO) ein tendenziell geringeres Kinderlosenrisiko als ein entsprechendes Bildungsniveau mit Berufsqualifikation (HSM; MRM). Bei der Interpretation dieser detaillierten Bildungseffekte ist sowohl zu berücksichtigen, dass Partner ohne Berufsausbildung insgesamt eine sehr kleine Population darstellen (vgl. Tabelle A1 im Anhang), als auch, dass die Erklärungskraft des Merkmals Bildungsstruktur für Kinderlosigkeit im Paarkontext – gemessen am Pseudo-r2 – minimal ist. Unter Beachtung dieser Vorbehalte deuten die Befunde auf eine geschlechtsspezifisch unterschiedliche Wirkung des berufsqualifizierenden Abschlusses auf die Familiengründung hin. Männer ohne berufliche Ausbildung sind bereits auf dem Partnermarkt stark benachteiligt (Huinink 2000). Das Fehlen einer Berufsausbildung wirkt sich darüber hinaus aber auch bei den in einer Paarbeziehung lebenden Männern negativ auf die Chancen einer Elternschaft aus. Für Frauen hingegen wirkt eine fehlende Berufsqualifikation nicht nachteilig, sondern begünstigt die Familiengründung. Als Ursache für beide Effekte sind die bei fehlender Berufsqualifikation äußerst ungünstigen Arbeitsmarkt- und Einkommenschancen anzusehen. Für Frauen scheint sich bei einer ungünstigen beruflichen Perspektive der Rückgriff auf die Mutterrolle noch immer als Handlungsoption anzubieten, insbesondere wenn der Partner über ein hohes Einkommenspotenzial verfügt. Für Männer scheint ein vergleichbarer Rückgriff auf die Vaterrolle – selbst wenn ihre Partnerin ein hohes Ausbildungsniveau aufweist und die Ernährerrolle theoretisch übernehmen könnte – als Handlungsoption nicht zur Verfügung zu stehen bzw. von dem Paar nicht als eine optimale Alternative wahrgenommen zu werden. Das in (West-)Deutschland stark ausgeprägte Bedürfnis, die Elternschaft über eine Ehebeziehung rechtlich, ökonomisch und institutionell abzusichern, zeigt sich in Modell 4. Nichteheliche Lebensgemeinschaften haben ein mehr als 15-fach höheres Risiko kinderlos zu sein als Ehegemeinschaften. Die nichteheliche Lebensform repräsentiert demnach in Westdeutschland noch immer eine überwiegend kinderlose Form der Paargemeinschaft. Die im Vergleich zur Bildungsstruktur wesentlich höhere Erklärungskraft der Lebensform für die Kin16

In diesem Fall ist das Bildungsniveau des männlichen Partners immer Fachhochschul- oder Universitätsabschluss, das Bildungsniveau der Frau variiert. Die Referenzkategorie bilden Frauen mit Fachhochschul- oder Universitätsabschluss, bzw. die bildungshomogamen Paare.

190

Heike Wirth

derlosigkeit im Paarkontext spiegelt sich in dem beträchtlichen Anstieg des Pseudo-r2 wider, welches sich von Modell 3 zu Modell 4 um etwa 0.14 erhöht. Gleichfalls bemerkenswert ist, dass sich die Kohorteneffekte unter Kontrolle der Lebensform erheblich verringern (Modell 4). Die zunehmende Kinderlosigkeit im Paarkontext ist demnach ein Kompositionseffekt, also ein Effekt des rückläufigen Anteils von ehelichen zugunsten nichtehelicher Lebensgemeinschaften. Substanziell lässt sich dies als ein Indikator für veränderte Verhaltensmuster interpretieren. Bislang galten nichteheliche Lebensgemeinschaften primär als eine voreheliche Phase des Zusammenlebens, die in jungen Lebensjahren bzw. während der Ausbildungsphase präferiert wird. Die vorliegenden Befunde sprechen dafür, dass diese Lebensform auch in einem höheren Lebensalter als eine Alternative zur Ehe wahrgenommen wird, solange das Paar keine Elternschaft anstrebt bzw. realisiert hat. In der Literatur wird das Ausmaß und die Richtung des Altersunterschieds zwischen Partnern – sieht man von soziobiologischen Erklärungen ab – gelegentlich als Hinweis auf ein potenzielles Machtgefälle in einer Beziehung interpretiert, da ein Altersvorsprung häufig nicht nur mit einem Mehr an Lebenserfahrung, sondern auch an Berufserfahrung und materiellen Ressourcen einhergeht. In diesem Sinne kann die traditionelle geschlechtsspezifische Altersstruktur, nach welcher der Mann typischerweise älter als seine Partnerin ist, als ein – wenn auch nur sehr indirekter – Indikator für eine Orientierung an traditionellen Geschlechtsrollenleitbildern verwendet werden. Vice versa würde Gleichaltrigkeit bzw. ein Altersvorsprung der Frau auf eine stärker egalitäre und eher an modernisierten Leitbildern orientierte Partnerschaftsbeziehung hindeuten (Tölke 1991; Heß-Meining und Tölke 2005). Entsprechend wäre zu erwarten, dass sich ein Altersunterschied zugunsten des Mannes positiv auf die Familiengründung auswirkt, Gleichaltrigkeit oder ein Altersunterschied zugunsten der Frau dagegen mit einer erhöhten Kinderlosigkeit im Paarkontext einhergeht. Nach Modell 5 lassen sich diese Annahmen allenfalls partiell bestätigen. Ist die Frau ein bis fünf Jahre älter als ihr Partner, hat das Paar in der Tat ein erheblich höheres Risiko kinderlos zu sein als bei einem entsprechenden Altersvorsprung des Mannes. Ist der Mann hingegen mehr als 5 Jahre älter als seine Partnerin, ist das Paar gleichfalls mit stark erhöhter Wahrscheinlichkeit kinderlos. In einem nächsten Schritt wird der Erwerbsstatus der Frau in die Analyse einbezogen (Modell 6). Im Allgemeinen gilt eine hohe Erwerbsorientierung von Frauen als die maßgebliche Ursache von Kinderlosigkeit. Allerdings kann diese These mit den vorliegenden Daten nicht überprüft werden, da sie keine Verlaufsinformationen enthalten. Stattdessen wird der Erwerbsstatus hier als Kon-

Kinderlosigkeit von hoch qualifizierten Frauen und Männern im Paarkontext

191

trollvariable genutzt, da das Erwerbsverhalten von Frauen in Westdeutschland in einem äußerst engen Zusammenhang mit der Elternschaft steht.17 Die Befunde zeigen erwartungsgemäß, dass jegliche Form der weiblichen Erwerbsbeteiligung die Wahrscheinlichkeit erhöht, in einer kinderlosen Paarbeziehung zu leben. Wesentlich aufschlussreicher ist, wie sich die Berücksichtigung des Erwerbsstatus auf die interessierenden Erklärungsfaktoren auswirkt. Betrachtet man zunächst die Bildungsstruktureffekte, zeigt sich bei den Koeffizienten eine Verschiebung der Rangordnung: Zum einen steigt das Kinderlosenrisiko für hypergame Paare erheblich an und erreicht nahezu das Niveau von homogamen Paaren. Zum anderen verringert sich das Risiko bei hypogamen Paaren beträchtlich und ist nun wesentlich niedriger als bei homogamen und hypergamen Paargemeinschaften. Inhaltlich deutet diese veränderte Rangordnung darauf hin, dass die Erwerbsorientierung von Frauen nicht nur durch das eigene Bildungsniveau, sondern auch über Bildungsunterschiede zwischen den Partnern vermittelt wird. Das – unter Kontrolle des Erwerbsstatus – geringere Kinderlosenrisiko von hoch qualifizierten Frauen, deren Partner geringer qualifiziert ist, besagt letztendlich, dass diese Frauen unter der Randbedingung ‚Elternschaft’ in einem höheren Maße erwerbstätig sind als hoch qualifizierte Frauen, die in einer homogamen Paarbeziehung leben. Als Ursache hierfür sind ökonomische Notwendigkeiten anzunehmen, d. h. der Verdienstausfall des weiblichen Einkommens kann bei einer niedrigen Qualifikation des Partners weniger stark aufgefangen werden als bei einer hohen Qualifikation des Partners und erfordert deshalb eher eine kontinuierliche Erwerbstätigkeit der Partnerin. Die Angleichung der Koeffizienten von homogamen und hypergamen Paaren lässt wiederum erkennen, dass das Kinderlosenrisiko bei diesen Bildungskonstellationen im Wesentlichen durch die differierende Erwerbsorientierung von hoch qualifizierten und geringer qualifizierten Frauen vermittelt ist. Mit anderen Worten, bei vergleichbarem Erwerbsverhalten der Bildungsgruppen würde sich die Kinderlosigkeit von homogamen und hypergamen Paaren allenfalls geringfügig unterscheiden. Da der männliche Partner bei beiden Paartypen jeweils der höchsten Bildungsgruppe angehört, können unterschiedliche ökonomische Sachzwänge hier kaum als Erklärung für eine unterschiedliche Erwerbsorientierung dienen. Stattdessen entspricht dieses Muster überraschend gut den Überlegungen der familienökonomischen Theorie, nach welchen höher gebildete Frauen ihr marktrelevantes Humankapital nutzen und ihre Aktivitäten auf 17

Der beachtliche Anstieg des Pseudo-r2 von 11,5 (Modell 5) auf fast 32 Prozent (Modell 6) zeigt relativ deutlich, dass die Erwerbsbeteiligung von Frauen auch im Paarkontext ein maßgebliches Differenzierungskriterium zwischen Familien und kinderlosen Paaren darstellt.

192

Heike Wirth

dem Arbeitsmarkt zu Lasten der Familiengründung intensivieren, und dies offensichtlich auch dann, wenn sie in einer Partnerschaftsbeziehung leben. Gleichfalls ist bemerkenswert, dass sich der Effekt der Lebensform auf das Kinderlosenrisiko unter Kontrolle des weiblichen Erwerbsstatus zwar verringert, die nichteheliche Lebensform aber im Vergleich zur Ehe ein immer noch circa 12-fach höheres Risiko aufweist, keine Kinder zu haben. Die hohe Kinderlosigkeit in nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist demnach nur zu einem geringen Teil durch eine höhere Erwerbsorientierung der in dieser Partnerschaftsform lebenden Frauen vermittelt. Vielmehr scheint diese Lebensform – wie schon oben vermutet – de facto als eine kinderlose Alternative zur Ehegemeinschaft gewählt zu werden. Abschließend wird in Modell 7 und 8 der Wirtschaftssektor (Privatwirtschaft versus Öffentlicher Dienst) in Kombination mit der sozialversicherungsrechtlichen Position18 als indirekter Indikator für das Ausmaß ‚familienfreundlicher Beschäftigungsbedingungen’ beider Partner in die Analyse einbezogen.19 Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich dieses Merkmal auf die Erwerbstätigkeit zum Befragungszeitpunkt bzw. für Nichterwerbstätige auf die letzte Erwerbstätigkeit bezieht und daher nicht notwendigerweise die Beschäftigungssituation zum Zeitpunkt der Familiengründung abbildet. Dennoch bildet dieser Indikator zumindest grob Unterschiede in der Beschäftigungssituation ab. Eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst und insbesondere der Beamtenstatus sollte sich positiv auf die Familiengründung auswirken, da die Arbeitsbedingungen sowohl hinsichtlich Arbeitsplatzsicherheit als auch der Flexibilität (z. B. Beurlaubungsregelungen, Teilzeit, Jobsharing etc.) als familienfreundlicher anzusehen sind als in der Privatwirtschaft.20 Auch wirken sich familienbedingte Erwerbsunterbrechungen im öffentlichen Dienst im Vergleich zur Privatwirtschaft weniger negativ auf die Einkommensentwicklung von Frauen im Berufsverlauf aus (Becker 1991). Demnach sollten in der Privatwirtschaft tätige Frauen im Falle einer 18 19

20

Die sozialversicherungsrechtliche Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten wurde zum 01.01.2005 aufgehoben. Für die Gruppe der Arbeiter und Arbeiterinnen erfolgt keine Trennung zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst, da bei der hier betrachteten Subpopulation die Zahl der im öffentlichen Dienst als Arbeiter tätigen Personen für eine gesonderte Betrachtung zu gering ist. Auf diesen Sachverhalt wird auch in internationalen Studien hingewiesen: „Certain sectors, often the public sector, have more progressive schemes and are better placed to facilitate the combining of family and work roles. For example, in Sweden women are more likely to transfer from private to public sector employment after they become mothers, as the climate in the latter tends to be more family friendly than in the former, where the companies may be smaller, have less flexibility and fewer substitution possibilities than public sector employers” (Hobcraft und Kiernan 1995: 31).

Kinderlosigkeit von hoch qualifizierten Frauen und Männern im Paarkontext

193

Familiengründung eher negative Sanktionen im Sinne von potenziellen Karrierebrüchen mit Einkommensverlusten antizipieren und als Konsequenz hiervon die Familiengründung stärker vermeiden. Modell 7, in welchem der Beschäftigungsstatus der Frauen kontrolliert wird, bestätigt diese Erwartungen weitestgehend. Beamtinnen sind vor allem im Vergleich zu den in der Privatwirtschaft tätigen Frauen mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit kinderlos, aber auch im Vergleich zu den Angestellten des öffentlichen Dienstes. Ein relativ zu den Beamtinnen signifikant erhöhtes Risiko kinderlos zu sein findet sich auch für die Gruppe der selbstständig beschäftigten Frauen. Dies ist insofern ein unerwartetes Ergebnis, als die zeitliche und räumliche Flexibilität bei einer selbstständigen Tätigkeit und die damit postulierte bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Vergleich zu anderen Beschäftigungsformen einer Reihe von Studien als ein für Frauen wichtiger Anreiz für eine selbstständige Erwerbstätigkeit angesehen wird (Lohmann 2001; Lauxen-Ulbrich und Leicht 2005). Die hier vorliegenden Befunde deuten auf die Relevanz der jeweiligen Bezugsgruppe hin. Im Vergleich zu einer abhängigen Beschäftigung in der Privatwirtschaft mag die ‚Flexibilitäts’-These zutreffen, im Vergleich zum Beamtenstatus bzw. einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst erscheint sie eher fraglich. Im Hinblick auf die Beschäftigungssituation des männlichen Partners zeigen sich keine nennenswerten Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen (Modell 8). Dies ist nicht wirklich überraschend, weil das männliche Erwerbsverhalten im Allgemeinen von einer Familiengründung bislang kaum beeinflusst wird. Ein unerwarteter Effekt findet sich für die in einer Arbeiterposition tätigen Männer, die im Vergleich zu den anderen Sozialgruppen mit signifikant geringerer Wahrscheinlichkeit in einer kinderlosen Paargemeinschaft leben. Da dieser Effekt schwerlich über eine ökonomisch vorteilhaftere Ressourcenlage der Arbeiter zu erklären ist, sind andere Erklärungsfaktoren – wie etwa eine stärker ausgeprägte Familienorientierung im Arbeitermilieu – in Erwägung zu ziehen. Inwieweit eine solche These tragfähig ist, kann mit den vorliegenden Daten allerdings nicht überprüft werden.

6

Resümee

Als wesentliche Erkenntnis der vorliegenden Analysen lässt sich festhalten, dass – bezogen auf Westdeutschland – ein hohes Ausbildungsniveau von Frauen auch im Paarkontext mit einer reduzierten Neigung zur Familiengründung einhergeht, die sich im Kohortenvergleich verstärkt. Dem Bildungsniveau des Part-

194

Heike Wirth

ners kommt als Erklärungsfaktor hierbei eine nachrangige Bedeutung zu, wobei jedoch Paare mit einem Bildungsgefälle zugunsten der Frau mit einer etwas höheren Wahrscheinlichkeit kinderlos sind als bei einer hohen Qualifikation beider Partner. Die Unterschiede zwischen diesen beiden Paartypen sind zwar bislang gering, aber der Anteil der hoch qualifizierten Frauen, die mit einem geringer qualifizierten Partner zusammenleben, ist im hier betrachteten Kohortenvergleich auf circa 30 Prozent angestiegen und damit durchaus nennenswert. Es erscheint daher lohnenswert, diesen beiden Paartypen in zukünftigen Analysen stärkere Beachtung zu schenken. Über einen solchen Vergleich könnten weitergehende Erkenntnisse hinsichtlich der relativen Wichtigkeit von ökonomischen und soziokulturellen Einflussfaktoren auf die Familiengründung gewonnen werden. Von Interesse wäre dabei auch zu überprüfen, ob die zwischen homogamen und hypogamen Paaren beobachteten Unterschiede bei der Familiengründung nur im Paarkontext von hoch qualifizierten Frauen auftreten oder aber ein generelles Muster darstellen. Eine weitere Erkenntnis der Analysen ist, dass die im Kohortenvergleich ansteigende Kinderlosigkeit der in einer Partnerschaft lebenden Frauen mit hoher Ausbildung keinesfalls durch eine zunehmende Homogamietendenz der hohen Bildungsgruppen bedingt ist. De facto hat sich die Homogamietendenz weder im Durchschnitt aller Bildungsgruppen noch spezifisch für hoch qualifizierte Männer und Frauen verstärkt, stattdessen ist ein – allerdings auf hohem Niveau – Verharren bzw. eine leicht rückläufige Neigung zur bildungsgleichen Partnerschaft festzustellen. Als stärkste Differenzierungskriterien zwischen Paaren mit Kindern und kinderlosen Paaren erweisen sich vielmehr einerseits der formale Institutionalisierungsgrad der Paarbeziehung, anderseits die Erwerbsbeteiligung der weiblichen Partnerin. Die rückläufige Neigung zur Familiengründung im Paarkontext ist demnach primär über den steigenden Anteil der nichtehelichen Lebensgemeinschaften und die verstärkte Erwerbsbeteiligung der in einer Partnerschaft lebenden Frauen vermittelt. Natürlich sind weder der Paartyp noch der weibliche Erwerbsstatus hier als Kausalfaktoren zu interpretieren: Weder die Ehe noch die Nichterwerbstätigkeit bedingen eine Familiengründung. Eher umgekehrt führt die Familiengründung in Westdeutschland zur Eheschließung und einer eingeschränkten weiblichen Erwerbstätigkeit. Unabhängig hiervon sind die Befunde ein Indikator für eine sich offensichtlich auch im Paarkontext verringernde Bereitschaft, die bekannte Vereinbarkeitsproblematik zwischen familialen und nichtfamilialen Handlungsräumen in ‚klassischer’ Weise zugunsten einer kindzentrierten Lebensform zu lösen. Ein gleichfalls wichtiger Aspekt der vorliegenden Befunde ist, dass ein Beamtenstatus bzw. eine Tätigkeit im öffent-

Kinderlosigkeit von hoch qualifizierten Frauen und Männern im Paarkontext

195

lichen Dienst in einem positiven Zusammenhang mit einer Familiengründung steht. Auch unter dem Vorbehalt, dass die Kausalrichtung hierbei offen bleibt, da nicht notwendigerweise die Situation zum Zeitpunkt der Familiengründung abgebildet wird, ist es sinnvoll, der Beschäftigungssituation als potenziellem Einflussfaktor für die Familienplanung in zukünftigen Studien erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen.

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198

Heike Wirth

Anhang Tabelle A1a: Univariate Randverteilung der Erklärungs- und Kontrollvariablen n

Spaltenprozente

Altersgruppe

33-36

4741

48,3

der Frau

37-40

5083

51,7

Geburtskohorte

1955-58

3324

33,8

der Frau

1959-62

3235

32,9

1963-66

3265

33,2

Bildungsniveau

gleich

3539

36,0

Paar

Mann höher Frau

4806

48,9

Mann niedriger Frau

1479

15,1

Bildungsniveau

Hauptschule ohne Berufsausbildung

98

1,0

Frau

Hauptschule mit Berufsausbildung HSM

696

7,1

Mittlere Reife ohne Berufsausbildung

146

1,5

Mittlere Reife mit Berufsausbildung

2365

24,1

Abitur ohne Berufsausbildung

132

1,3

Abitur mit Berufsausbildung

1369

13,9

Fachhochschul-/Universitätsabschluss

5018

51,1

Bildungsniveau

Hauptschule ohne Berufsausbildung

28

0,3

Mann

Hauptschule mit Berufsausbildung HSM

412

4,2

Mittlere Reife ohne Berufsausbildung

32

0,3

Mittlere Reife mit Berufsausbildung

486

4,9

Abitur ohne Berufsausbildung

105

1,1

Abitur mit Berufsausbildung

416

4,2

Fachhochschul-/Universitätsabschluss

8345

84,9

Lebens-

Eheliche

8757

89,1

gemeinschaft

Nichteheliche

1067

10,9

Altersunterschied

keiner

1080

11,0

Paar

Frau 1-5 Jahre älter

1412

14,4

Frau > 5 Jahre älter

123

1,3

Mann 1-5 Jahre älter

5163

52,6

Mann > 5 Jahre älter

2046

20,8

Quelle: Mikrozensen 1991, 1995, 1999, 2003 (Scientific Use Files)

199

Kinderlosigkeit von hoch qualifizierten Frauen und Männern im Paarkontext

Tabelle A1b: Univariate Randverteilung der Erklärungs- und Kontrollvariablen n

Spaltenprozente

Erwerbsstatus

Geringfügig beschäftigt

1175

12,0

Frau

Teilzeit

2930

29,8

Vollzeit

3265

33,2

Erwerbslos

294

3,0

Sozialversichers.-

Nichterwerbstätig

2160

22,0

Selbstständige

1064

10,8

position und

Beamte

1380

14,0

Sektor

Angest. Öffentl. Dienst

2088

21,3

Frau

Angest. Privatwirtschaft

4879

49,7

Sozialversichers.-

Arbeiter

413

4,2

Selbstständige

1761

17,9

position und

Beamte

1777

18,1

Sektor

Angest. Öffentl. Dienst

1154

11,7

Mann

Angest. Privatwirtschaft

4673

47,6

Arbeiter

459

4,7

Quelle: Mikrozensen 1991, 1995, 1999, 2003 (Scientific Use Files)

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen in der Bundesrepublik und der DDR und ihre Auswirkungen auf das Alterseinkommen Michael Stegmann und Tatjana Mika

1

Einleitung

Die Debatte über den Zusammenhang zwischen Erwerbstätigkeit und Kinderlosigkeit von Frauen wird vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen demographischen Situation und der damit in Verbindung stehenden Diskussion um die zukünftige Lage der sozialen Sicherung und der befürchteten Überalterung der Gesellschaft geführt. Mit den Daten der Rentenversicherung soll in diesem Beitrag gezeigt werden, wie sich der Zusammenhang zwischen Kinderlosigkeit und abhängiger Erwerbstätigkeit für die Geburtsjahrgänge 1928 bis 1955 darstellt. Diese Jahrgänge bekamen ihre Kinder nach dem Zweiten Weltkrieg und vor der Wiedervereinigung. Eine Analyse ermöglicht es daher, das Verhalten von Frauen im Systemvergleich zwischen der Bundesrepublik und der DDR zu beleuchten. Wir untersuchen, wie hoch der Anteil der Kinderlosigkeit bei Frauen dieser Jahrgänge war und wie sich die durchschnittliche Kinderzahl im Trend darstellt. Im Zentrum der empirischen Analyse steht die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Kindererziehung und Erwerbsbeteiligung und den Auswirkungen dieser Faktoren auf die Altervorsorge von Frauen. Welchen Einfluss einerseits Unterbrechungen der Erwerbsverläufe und welche Auswirkungen andererseits unterdurchschnittlicher Verdienst haben, wird dabei getrennt untersucht. In der rentenpolitischen Diskussion werden häufig das Vorhandensein von Kindern bzw. die Kindererziehung und die damit verbundene Unterbrechung, Reduzierung oder gar endgültige Beendigung der Erwerbstätigkeit als wesentliche Merkmale für deutlich geringere Rentenanwartschaften genannt (Pabel 1998). Die eigenständige Sicherung von Frauen im Alter ist jedoch nicht allein auf Grund fehlender Versicherungszeiten, sondern auch wegen der durchschnittlich niedrigeren Entgeltposition problematisch (Prinz 1997). Diese Differenzierung

202

Michael Stegmann und Tatjana Mika

ist vor allem für Frauen, die in der ehemaligen DDR erwerbstätig waren, von erheblicher Bedeutung. Die Analysen basieren auf dem Scientific Use File ‚Rentenbestand 2003’ des Forschungsdatenzentrums der gesetzlichen Rentenversicherung und Daten der Studie ‚Altersvorsorge in Deutschland 1996’ (AVID 1996), die ihrerseits auf Längsschnittdaten der gesetzlichen Rentenversicherung aufbaut (siehe Anhang). Die Ergebnisse sind damit repräsentativ für den Anteil der Bevölkerung, der eine GRV-Rente erhält. In Ostdeutschland sind dies 99 Prozent der Bevölkerung, in Westdeutschland etwa 90 Prozent, weil hier Beamte und einige besondere Berufsgruppen wie Ärzte, Rechtanwälte und andere Freiberufler und Selbständige keine gesetzliche Rente beziehen. Mit den Daten des Rentenbestands 2003 wird untersucht, wie sich die Erwerbstätigkeit und die Kinderzahl bei Frauen darstellen, die bereits in Altersrente sind und damit sowohl die Phase der Kindererziehung, als auch ihre Erwerbstätigkeit abgeschlossen haben, sodass für diese Frauen sowohl die Kinderzahl als auch Dauer und Umfang der Erwerbstätigkeit feststehen. In die Untersuchung einbezogen wurden Frauen, die 2003 zwischen 65 und 75 Jahren alt waren und eine gesetzliche Rente bezogen. Mit den Daten der AVID 1996 werden die gefundenen Muster dann mit den jüngeren Kohorten der Jahrgänge 1936 bis 1955 verglichen. Zum Vergleich werden die Erwerbsbiographien kinderloser Frauen untersucht. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung 1996 hatten die befragten Frauen der Jahrgänge 1936 bis 1956 ihre Erwerbskarriere noch nicht abgeschlossen, im Rahmen der AVID-Studie wurden allerdings ihre weiteren Versicherungsverläufe simuliert. Der Beitrag stellt im zweiten Teil zunächst dar, in welcher Form Erwerbstätigkeit und Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung registriert werden und welche Analysemöglichkeiten die für die Untersuchung verwendeten Datensätze damit bieten (vgl. dazu Rahn und Becker 1997; Ruland 2001; Krauthausen 2002). Im dritten Teil wird für die Jahrgänge 1928 bis 1938, also für bereits abgeschlossene Erwerbsbiographien von Frauen in Altersrente, untersucht, wie sich die Zusammenhänge zwischen Kinderzahl und Erwerbstätigkeit im Vergleich von West- und Ostdeutschland darstellen. Im vierten, fünften und sechsten Teil werden vergleichbare Analysen mit den Längsschnittdaten für Frauen der Jahrgänge 1936 bis 1955 durchgeführt. Bei diesen Jahrgängen ist zwar die Erwerbstätigkeit noch nicht abgeschlossen, aber mit einem Alter von mindestens 40 Jahren zum Zeitpunkt der Befragung kann die Anzahl der Kinder nahezu vollständig ermittelt werden.

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

2

203

Erwerbstätigkeit und Kindererziehung in den Daten der gesetzlichen Rentenversicherung

Die für diesen Beitrag ausgewerteten Daten der gesetzlichen Rentenversicherung spiegeln die Informationen wider, die über die Versicherten und die Begünstigten der Kindererziehungsleistungen im Laufe ihres Lebens gesammelt werden. Die gesetzliche Rentenversicherung berechnet die Leistungen der Altersrenten im Wesentlichen auf der Grundlage von Beiträgen und Beitragszeiten (vgl. Polster 1998). Diese werden vor allem durch die Höhe des Einkommens und die Dauer der Erwerbstätigkeit determiniert. Hinzu kommen vollwertige Beiträge für besondere Umstände, vor allem für Kindererziehung oder Pflege. Die Rentenversicherung hat daher Daten sowohl über die Dauer und die Einkommenshöhe von Zeiten der Erwerbstätigkeit als auch über die Anzahl der erzogenen Kinder. In den Querschnittdatensätzen des Rentenbestands finden sich die Daten als Summen, die in dieser Form eine Bilanz der Biographie erlauben. In den Längsschnittdatensätzen, die auch der Studie ‚Altersvorsorge in Deutschland’ zu Grunde liegen, ist dagegen die gesamte Versicherungsbiographie mit exakten Datumsangaben abgebildet. Mit diesen Datensätzen können daher Ereignisse wie die Geburt eines Kindes in ihrem biographischen Kontext, etwa vorausgehende Erwerbstätigkeit oder Ausbildung und nachfolgende Arbeitslosigkeit oder Erwerbstätigkeit, betrachtet werden.

2.1

Erwerbstätigkeit in den Daten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Studie ‚Alterssicherung in Deutschland’

Die gesetzliche Rente orientiert sich in Deutschland vor allem an der Höhe der Beiträge und der Dauer der versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit: Wer viel einzahlt, soll auch verhältnismäßig mehr Rente bekommen als der, der vergleichsweise wenig einzahlt. Dies bezeichnet man als Teilhabeäquivalenz. Versicherungspflichtig war für die betrachteten Jahrgänge jede abhängige Beschäftigung, deren Bezahlung die Geringfügigkeit überschreitet. Darüber hinaus sind einige freie Berufe versicherungspflichtig, beispielsweise Hebammen oder Lehrende an Privatschulen. Keine Beiträge leisten Beamtinnen und Beamte, weil die staatliche Pension bei ihnen an die Stelle einer gesetzlichen Renten tritt, ferner Ärztinnen und Ärzte sowie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte als Angehörige von Berufen, die einem berufständischen Versorgungswerk für ihren spe-

204

Michael Stegmann und Tatjana Mika

ziellen Berufsstand angehören. Zum Kreis der versicherungspflichtigen Selbstständigen gehören dagegen beispielsweise Handwerker/-innen (Ausstieg frühestens nach 18 Beitragsjahren), die sich damit auch in den Daten der gesetzlichen Rentenversicherung finden. Für jeden Monat einer versicherungspflichtigen Beschäftigung wird ermittelt, wie hoch das Einkommen im Verhältnis zum Durchschnitt aller sozialversicherungspflichtigen Einkommen in der Bevölkerung ist. 1 Erzielt eine Person ein Jahr lang ein durchschnittliches Einkommen, dann wird ihr ein Entgeltpunkt auf ihrem Rentenversicherungskonto gutgeschrieben. Die Daten der Rentenversicherung zeigen damit die Höhe des Einkommens der Vergangenheit im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen des jeweiligen Bezugsjahres. Die Entgeltpunkte ermöglichen damit eine sehr einfache Interpretation der relativen Einkommensposition der untersuchten Personen. Allerdings bilden die Entgeltpunkte das Einkommen nur bis zu der Grenze ab, bis zu der Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung zu entrichten sind, der Beitragsbemessungsgrenze. Damit sind Analysen der Spitzeneinkommensbezieher/-innen mit den Daten nicht möglich. Weil Frauen nur sehr selten Einkommen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze beziehen, ist dies für die nachfolgende Analyse nur von geringer Bedeutung. Da verschiedene rentenrechtliche Regelungen auch auf die Dauer der Erwerbstätigkeit Bezug nehmen, werden auch die Beschäftigungszeiten im Rentenkonto vermerkt. Mit Hilfe dieser Angaben lässt sich damit die Dauer der Erwerbstätigkeit messen. Wird die Anzahl der Entgeltpunkte der Person durch die Summe der Monate geteilt, dann zeigt sich, wie hoch das Einkommen der Person im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen in der Bilanz des Erwerbslebens war. Stark schwankende Einkommenshöhen werden mit dieser Durchschnittsangabe allerdings nicht zutreffend wiedergegeben. Deutliche Schwankungen in der Einkommenshöhe sind nur in den Längsschnittdatensätzen der gesetzlichen Renteversicherung, der Versicherungskontenstichprobe (VKST) und den vollendeten Versichertenleben (VVL), die datumsgenau die Einkommenshöhen verzeichnen, nachvollziehbar. Die Studie ‚Alterssicherung in Deutschland’ (AVID) baut auf dem Längsschnittdatensatz der Versicherungskontenstichprobe auf und ergänzt diesen um Befragungsdaten. Damit lassen sich mit diesem Datensatz auch die nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtigen Arten der Erwerbstätigkeit, wie eine nicht versicherungspflichtige Selbstständigkeit, analysieren. 1

Das Durchschnittseinkommen wird vom Statistischen Bundesamt errechnet und der Rentenversicherung mitgeteilt, die es ihren Berechnungen zu Grund legt.

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

205

Für die Höhe der Altersrente spielt es keine Rolle, ob die Entgeltpunkte durch Erwerbstätigkeit mit stark schwankendem oder gleichmäßigem Einkommen erzielt wurden. Grundsätzlich ist auch nicht wichtig, ob die Einzahlungen in einem langen, eher unterdurchschnittlich bezahlten oder in einem kurzen, hoch bezahlten Erwerbsleben erworben wurden. Für Frauen, die mindestens 35 Jahre lang einer unterdurchschnittlich bezahlten Erwerbstätigkeit nachgingen, gab es allerdings bis 1992 eine Aufwertung der Entgeltpunktzahl, die zu einer höheren Rente führt.2 Diese Aufwertung lässt sich in den Daten nachvollziehen; das ursprünglich erzielte niedrige Einkommen ist in den Daten weiterhin erkennbar und kann ebenfalls für Analysen benutzt werden. Die Summe der für eine Person ermittelten Entgeltpunkte ergibt, mit dem jeweils aktuellen Rentenwert3, dem Zugangfaktor und dem Rentenartfaktor multipliziert, die ausgezahlte Rente. Bis 1967 konnten sich Frauen bei Heirat ihre Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung auszahlen lassen. Nach 1967 war es ihnen dann möglich, die so genannten Heiratserstattungen wieder in die Rentenversicherung einzuzahlen. Die Konditionen waren sehr günstig, weshalb viele Frauen diese Einzahlungen vornahmen.4 Dennoch ist zu beachten, dass die Erwerbstätigkeit von Frauen vor 1967 tendenziell unterschätzt wird, weil einige Frauen die Heiratserstattung in Anspruch nahmen und später nicht wieder einzahlten.

2

3

4

Die Rente nach Mindesteinkommen wurde gewährt, wenn in mindestens 35 Jahren Beschäftigung nur 75 Prozent des durchschnittlichen Einkommens erreicht wurde. Empirisch betrachtet kam diese Regelung vornehmlich Frauen zu Gute, obwohl sie geschlechtsneutral formuliert war. Der aktuelle Rentenwert ist der Betrag, der einer monatlichen Altersrente eines Durchschnittsverdieners in der gesetzlichen Rentenversicherung entspricht. Seit dem 01.07.2003 beträgt er bislang unverändert 26,13 EUR für Rentenanwartschaften, die in den alten Bundesländern erworben wurden. Er wird jeweils zum 01.07. eines Jahres im Rahmen der Rentenanpassung neu bestimmt. Bei Zeiten, für die aufgrund einer Tätigkeit in den neuen Bundesländern oder der ehemaligen DDR Entgeltpunkte (Ost) ermittelt wurden, tritt anstelle des aktuellen Rentenwertes der aktuelle Rentenwert (Ost). Dieser beträgt seit 01.07.2003 22,97 EUR. Der aktuelle Rentenwert (Ost) steht zu dem aktuellen Rentenwert in dem Verhältnis, in dem die Nettolöhne und Gehälter in den neuen Bundesländern zu denen in den alten Bundesländern stehen. In der Rentenversicherung der Angestellten waren weibliche Versicherte í mit Unterbrechungen, die sich aus dem bis 1957 fort geltenden Besatzungsrecht ergaben (vgl. zu den Einzelheiten Klöpfer 1954: 340) í bis Ende 1967 berechtigt, sich aus Anlass ihrer Heirat den Arbeitnehmeranteil bestimmter Rentenversicherungsbeiträge erstatten zu lassen (§ 83 Angestelltenversicherungsgesetz in der bis zum 31. Dezember 1967 geltenden Fassung í AVG). Im Rentenzugang des Jahres 2004 finden sich immerhin noch 12 Prozent der Frauen mit Heiratserstattung, die von der Nachzahlung der Beiträge Gebrauch gemacht haben. Die Anzahl der Frauen, die insgesamt diese Regelung genutzt hat, lässt sich nicht quantifizieren.

206 2.2

Michael Stegmann und Tatjana Mika

Kinder und Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung

Die Rentenversicherung erkennt für Frauen aller Geburtsjahrgänge ab 1921 in Westdeutschland und 1927 in Ostdeutschland die Erziehung eigener Kinder und außerdem die Erziehung von Adoptiv- und Pflegekindern an. Wenn die Kinder allerdings bei der leiblichen Mutter im Rentenkonto bereits berücksichtigt wurden, dann werden der späteren Adoptivmutter keine Erziehungsleistungen in der Rentenversicherung mehr gutgeschrieben. Die Kindererziehungsleistung kann immer nur einem Elternteil zugeordnet werden, dies kann allerdings auch der Vater sein. Keine Kindererziehungszeiten bekommen Beamtinnen, denn bei ihnen werden die Kinder im Rahmen der späteren Pension berücksichtigt. Auch berufständisch Gesicherte erhalten keine Kindererziehungszeiten. Weil der Nachweis von Kindererziehungszeiten die Rente steigert, kann von einer fast vollständigen Meldung der Kinder ausgegangen werden. Ziel der Aufnahme von Zeiten der Kindererziehung in die Rentenberechnung war, den Einkommensausfall, der durch Kindererziehung entsteht, teilweise zu kompensieren.

2.3

Rentenbestand 2003 und AVID 1996 als Datenbasis der Untersuchung

Für die Analyse der Geburtsjahrgänge 1928 bis 1938 wurde der Rentenbestand 2003 verwendet. Darin sind alle Renten enthalten, die im Jahr 2003 von der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden. Weil sich in diesem Datensatz nicht erkennen lässt, ob eine Person mehrere Renten bezieht, wurden nur Renten auf Grund eigener Anwartschaften untersucht, nicht jedoch die Hinterbliebenenrenten. Da die Kindererziehungszeiten dem eigenen Rentenkonto der Frau gutgeschrieben werden, ermöglichen die eigenen Altersrenten eine Analyse des Zusammenhangs zwischen Kindererziehungszeiten und versicherungspflichtiger Erwerbstätigkeit und daraus resultierenden eigenen Anwartschaften auf eine Altersrente. Das gesamte Alterseinkommen aus der gesetzlichen Rente lässt sich dagegen nicht darstellen, denn zur eigenen Altersrente käme in einigen Fällen eine gesetzliche Hinterbliebenenrente hinzu. Um eine Verzerrung auf Grund unterschiedlicher Mortalität auszuschließen, wurde die Analyse auf Frauen im Alter von 65 bis 75 Jahren begrenzt. Frauen der betrachteten Jahrgänge, die bis 2003 bereits verstorben waren, bleiben dadurch unberücksichtigt. In der Lebens-

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

207

spanne bis 75 Jahren ist die Sterblichkeit bei Frauen, die bereits das 65. Lebensjahr erreicht haben, relativ gering. Die Erhebung AVID 1996 zielt auf eine Verbesserung der empirischen Informationslage der GRV zu einer Reihe von Tatbeständen, vor allem zum Aufbau der Altersvorsorge. Die dargestellten Ergebnisse zu längsschnittbezogenen Biographiedaten basieren auf einer (hochgerechneten) Stichprobe und für die Zeiten nach dem Befragungsjahr 1996 bis zum jeweils 65. Lebensjahr auf einer statistischen Fortschreibung.5 Wie alle Stichproben und auf die Zukunft gerichteten Angaben unterliegen diese einem statistischen Schätzfehler. Auf die weiteren Restriktionen wird ausführlich im Methodenband zur Untersuchung hingewiesen (Kortmann, Kneißl und Schatz 2000). Einige wesentliche Rahmenbedingungen und methodische Besonderheiten des behandelten Themas werden im Folgenden in Kürze zusammengefasst. Die Untersuchung AVID 1996 basiert auf einer repräsentativen Befragung und den Informationen aus dem Rentenversicherungskonto. Aus den zusammengeführten Daten erfolgte eine Fortschreibung der Lebens- und Erwerbsverläufe bis zum jeweiligen 65. Lebensjahr auf Basis eines von Infratest Sozialforschung entwickelten Mikrosimulationsmodells. Der abschließende Schritt bestand in der Berechnung der Art und Höhe von Anwartschaften auf Versichertenrenten der GRV und Leistungen aller wichtigen Alterssicherungssysteme. Die Grundgesamtheit der AVID 1996 besteht aus den in Deutschland wohnenden deutschen Versicherten der GRV der Geburtsjahrgänge 1936 bis 1955 und deren Ehepartner, letztere unabhängig von Nationalität, Alter oder Zugehörigkeit zur GRV.6 Sie schließt in den neuen Bundesländern nahezu die gesamte Bevölkerung dieser Jahrgänge ein. In den alten Bundesländern entfallen etwa 12 Prozent der Bevölkerung auf nicht durch die Untersuchung repräsentierte Personen ohne GRV-Konto sowie auf Ausländer/-innen ohne deutschen Ehepartner (Kortmann und Schatz 1999: 34). Personen ohne Beteiligung an der GRV und damit auch ohne jeglichen Rentenanspruch sind damit in den folgenden Analysen nicht vertreten.

5 6

Dies gilt in der Regel dann, wenn über die Höhe der Anwartschaften bzw. den gesamten Biographieverlauf berichtet wird. Zu den Versicherten der GRV zählen hier auch jene, für die zwar auf Grund vergangener Versicherungszeiten ein Rentenversicherungskonto eingerichtet wurde, die aber z. B. weil sie zum Erhebungszeitpunkt Hausfrauen oder Beamten sind, keine aktive Versicherungszeit aufweisen, so genannte passiv Versicherte (VDR 1998).

208

3

Michael Stegmann und Tatjana Mika

Erwerbstätigkeit und Kinderzahl bei Frauen der Geburtsjahrgänge 1928 bis 1938

Die Geburtsjahrgänge 1928 bis 1938 wurden in der Nachkriegszeit erwachsen und ihre Familiengründung fiel in die Jahre des wirtschaftlichen Aufschwungs der fünfziger und sechziger Jahre. Bei diesen Jahrgängen können die Unterschiede zwischen der Bundesrepublik und der DDR in dieser Aufbauphase beobachtet werden, denn die Frauen dieser Jahrgänge bekamen ihre Kinder hauptsächlich in der Zeit nach der Teilung Deutschlands und vor der Wiedervereinigung.

3.1

Anzahl der Kinder und Umfang der Kinderlosigkeit

Für die demographische Frage, wie viele Kinder von einer Generation von Frauen geboren werden, spielen zwei Faktoren eine Rolle, nämlich die Jahrgangsstärke der Frauen und die durchschnittliche Anzahl der Kinder pro Frau. Die Mittelwerte können allerdings eine Struktur verdecken, die genauere Untersuchung verdient, nämlich die Verbreitung unterschiedlicher Familiengrößen. Ein gleich hoher Mittelwert kann entweder durch eine weitgehend verbreitete Familiengröße in Höhe des Mittelwerts oder durch eine stärkere Verbreitung sehr kleiner und sehr großer Familien zu Stande kommen. Daher soll nach der Darstellung des Mittelwerts auch die Verteilung der Kinderzahl betrachtet werden. Schließlich soll dann die Größe der Jahrgänge in die Analyse eingezogen werden. Ein zahlenmäßig großer Jahrgang von Frauen in gebärfähigem Alter ist die Grundlage einer potenziell zahlreich nachkommenden Generation und beeinflusst damit die Anzahl geborener Kinder in entscheidendem Maß.

Kinderzahl nach Geburtsjahrgängen Die Kinderzahl, die zur Reproduktion der Bevölkerung notwendig ist, liegt bei etwa 2,1 Kindern pro Frau (ohne Zuwanderung). Diesen Wert erreichte, wie Tabelle 1 zeigt, nur die westdeutschen Frauen das Jahrgangs 1932. In Ostdeutschland wurde dieser Wert von dem Jahrgang 1932 nahezu und auch von dem Jahrgang 1935 fast erreicht. Die Geburtenzahl der Frauen sank in den übrigen Jahren allerdings nicht unter 1,8 Kinder, lag also im Vergleich zu den aktuellen Werten

209

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

Tabelle 1: Durchschnittliche Kinderzahl nach Geburtsjahrgang der Frau Geburtsjahr

Gesamt

Fallzahlen

1928

Westdeutschland Ostdeutschland 1,80

1,96

1,91

464

1929

1,97

1,96

1,96

443

1930

1,83

1,93

1,89

436

1931

1,92

2,05

2,00

470

1932

2,13

2,05

2,08

434

1933

1,99

2,00

2,00

414

1934

1,95

1,99

1,97

514

1935

1,85

2,07

2,00

551

1936

1,82

2,04

1,96

620

1937

1,91

2,01

1,98

596

1938

1,83

1,86

1,85

600

Insgesamt 1,90 1,99 1,96 5542 Anmerkungen: Die Tabelle umfasst nur deutsche Staatsangehörige mit Wohnort in Deutschland mit 7 eigenem Anspruch auf Altersrente. Quelle: 1% Stichprobe des Rentenbestands 2003, FDZ-RV

höher. Die Kinderzahl lag im Durchschnitt in Ostdeutschland höher als in Westdeutschland und sank erst im Geburtsjahrgang 1938 stark ab. Die Entwicklung der Kinderzahl der Jahrgänge 1928 bis 1938 lässt keine kontinuierliche Entwicklung erkennen. Die durchschnittliche Kinderzahl nach Jahrgang der Frau stieg in Westdeutschland bis zum Jahrgang 1932 an und erreichte hier den Maximalwert. In Ostdeutschland zeigt sich dagegen ein nahezu konstantes Niveau, das im Jahr 1935 seinen letzten Höhepunkt erreicht.

Verteilung der Kinderzahl Durch die Analyse der Verteilung der Kinderzahl lässt sich erkennen, ob die durchschnittliche Kinderzahl a) eher mit einem Anstieg der Kinderlosigkeit oder b) mit einer insgesamt gesunkenen Kinderzahl beziehungsweise c) mit einer

7

Ausgeschlossen wurden auch Personen, die als Aussiedler oder Spätaussiedler aus einem anderen Land als der DDR kamen und in den Daten auf Grund der Anerkennung von Zeiten nach dem Fremdrentengesetz fiktive Rentenversicherungsverläufe haben.

210

Michael Stegmann und Tatjana Mika

Abbildung 1a: Verteilung der Kinderzahl, Geburtsjahrgänge 1928-1938, Westdeutschland 100%

75%

50%

25%

0% 1928

1929

1930

1931

0

1932

1

2

1933

3

4

1934

1935

1936

1937

1938

5 und mehr

Anmerkung: Siehe Tabelle 1 Quelle: Scientific Use File Rentenbestand 2003, FDZ-RV

Verminderung der großen Familien in Beziehung steht. Abbildung 1a stellt die Anzahl der Kinder für die Frauen der jeweiligen Geburtsjahrgänge in Westdeutschland dar. Demnach gibt es für die betrachteten Jahrgänge einen leichten Rückgang des Anteils kinderloser Frauen. Dieser Anteil sinkt bei der Betrachtung aller Frauen kontinuierlich. Man kann spekulieren, ob für diese Entwicklung verantwortlich ist, dass es den Frauen ab Jahrgang 1935 leichter fiel einen Partner zu finden, während es bei den Jahrgängen bis 1934 noch zu Ausfällen bei den Männern auf Grund des Zweiten Weltkriegs kam. Hierbei ist zu bedenken, dass Männer bei der Heirat in der Regel einige Jahre älter sind. Ob die Jahrgänge bis 1934 auf Grund des Krieges in ungewöhnlich großem Umfang kinderlos blieben, ließe sich am Besten im Vergleich zu vorangehenden Geburtskohorten untersuchen. Die bis zum Jahrgang 1938 deutlich gesunkene durchschnittliche Kinderzahl ist jedenfalls eindeutig nicht auf gestiegene Kinderlosigkeit zurückzuführen.

211

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

Abbildung 1b: Verteilung der Kinderzahl, Geburtsjahrgänge 1928-1938, Ostdeutschland 100%

75%

50%

25%

0% 1928

1929

1930

1931

0

1932

1

2

1933

3

4

1934

1935

1936

1937

1938

5 und mehr

Anmerkung: Siehe Tabelle 1 Quelle: Scientific Use File Rentenbestand 2003, FDZ-RV

Der Anteil der Frauen mit einem Kind ist konstant hoch im Vergleich der Kohorten in Westdeutschland, vermehrt hat sich dagegen der Anteil der Frauen mit zwei Kindern. Im Verlauf dieses Trends ist also festzustellen, dass Kinderlosigkeit gesunken ist, Ein-Kindfamilien gleich häufig geblieben und die ZweiKindfamilie in den jüngeren Kohorten von einem Anteil von 25 Prozent auf circa 30 Prozent gestiegen ist. Dieser Trend, der zu einem Anstieg der durchschnittlichen Kinderzahl führen müsste, wird allerdings von einem zweiten Trend konterkariert, der sich am oberen Ende der Abbildung bei den Familien mit vielen Kindern zeigt. Bei den Kohorten bis 1932 weitet sich der Anteil der Familien mit vier oder fünf und mehr Kindern aus, um dann in den Geburtsjahrgängen ab 1933 stark abzunehmen. Dafür nimmt der Anteil von Familien mit drei Kindern ab dem Geburtsjahrgang 1933 leicht zu. Es gibt demnach in Westdeutschland zwei Tendenzen bei den betrachteten Geburtskohorten, die eine un-

212

Michael Stegmann und Tatjana Mika

terschiedliche zeitliche Dynamik haben. Während die Kinderlosigkeit seit dem Jahrgang 1928 kontinuierlich sinkt, verringert sich der Anteil von Frauen mit sehr vielen Kindern erst ab dem Jahr 1933. Aus diesem Grund weist der Jahrgang 1932 in Westdeutschland die höchste durchschnittliche Kinderzahl auf. Die Dynamik der Entwicklung der Familiengröße ist in Bezug auf die Kinderlosigkeit in Ostdeutschland ähnlich wie in Westdeutschland. Auch bei den Frauen in Ostdeutschland sinkt, wie Abbildung 1b zeigt, der Anteil der Kinderlosen kontinuierlich. Unterschiede zwischen den beiden Landesteilen werden jedoch bei den Frauen mit vielen Kindern deutlich. Die leicht erhöhte durschnittliche Kinderzahl in Tabelle 1 in den Geburtsjahrgängen 1931, 1932 und 1935 ergibt sich auf Grund eines relativ großen Anteils der Frauen mit fünf und mehr Kindern bei gleichzeitig geringem Anteil der Frauen mit nur einem Kind. Im Unterschied zu Westdeutschland sinkt der Anteil der großen Familien also nicht so stark. In Ostdeutschland gab es für die Frauen der untersuchten Jahrgänge offenbar weniger Anreize, die Anzahl der Kinder zu begrenzen. Jedenfalls entschloss sich ein größerer Anteil der Jahrgänge ab 1925 eine große Familie mit vier und mehr Kindern zu gründen. Auf die möglichen Gründe für diese Unterschiede in den beiden Teilen Deutschlands wird für die späteren Jahrgänge 1936 bis 1955 bei der Untersuchung der Längsschnittdaten der AVID eingegangen.

Auswirkungen der veränderten Familienstrukturen auf die Größe der Kindergeneration Starke Schwankungen in der demographischen Zusammensetzung der Bevölkerung erzeugen auf vielen Ebenen Schwierigkeiten für Institutionen wie für die gesetzliche Rentenversicherung oder auch für Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten. Die Planung und Finanzierung wird durch stark sinkende oder ansteigende Anteile bestimmter Kohorten erschwert. Die gesetzliche Rente wird deutlich schwerer finanzierbar, wenn geringer besetzte Kohorten sehr viel stärkeren vorangehenden Kohorten folgen. Stark sinkende oder steigende Kinderzahlen können dabei sowohl auf das Gebärverhalten als auch auf die Stärke der Müttergeneration zurückgeführt werden. Wie die bisherigen Analysen gezeigt haben, tendierten die Kohorten in Westdeutschland ab dem Geburtsjahrgang 1933 und in Ostdeutschland ab dem Geburtsjahrgang 1935 dazu pro Kopf

213

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

Abbildung 2: Absolute Zahl der Kinder, Geburtsjahrgänge 1928-1938, Westund Ostdeutschland 220.000 200.000 180.000 160.000 140.000 120.000 100.000 80.000 60.000 40.000 20.000 0

1928

1929

1930

1931

Kohortenstärke der Frauen

1932

1933

1934

1935

1936

1937

1938

Anzahl Kinder (unter Anrechnung der M uttergeneration)

Anmerkungen: Siehe Tabelle 1; Für diese Darstellung wurden die Werte mit 100 multipliziert Quelle: 1% Stichprobe des Rentenbestands 2003, FDZ-RV.

weniger Kinder zu bekommen. Abbildung 2 zeigt nun, wie sich dies auf die absolute Zahl der von diesen Müttergenerationen geborenen Kinder ausgewirkt hat. Die Stärke der Müttergeneration erweist sich als ausschlaggebender Faktor für die Stärke der nachfolgenden Kindergeneration. Das veränderte Geburtenverhalten zeigt nur beim Geburtsjahrgang 1933 Auswirkungen. Dieser relativ schwach besetze Jahrgang von Müttern bekam sowohl in West- als auch in Ostdeutschland weniger Kinder als der vorangehende Geburtsjahrgang 1932. Dies übersetzt sich in eine auch absolut geringere Anzahl von Kindern. Im Übrigen verursachte die starke Besetzung der Mütterjahrgänge ab 1934, dass sehr viele Kinder geboren wurden, obwohl diese Kohorten im Durchschnitt schon weniger Kinder bekamen. Auch für die aktuelle Debatte des Rückgangs der Geburtenzahlen sollte deshalb beachtet werden, wie stark diese auch von der Stärke der Kohorte der Müttergeneration beeinflusst wird.

214 3.2

Michael Stegmann und Tatjana Mika

Kindererziehung und Umfang der versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit

Kindererziehung kann zur vorübergehenden Unterbrechung, zur Reduzierung oder zur Aufgabe von Erwerbstätigkeit bei Müttern führen. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die durchschnittliche Lebensarbeitzeit nach der Kinderzahl. Wenn für jedes Kind die Erwerbstätigkeit für ein bis zwei Jahre unterbrochen wird, dann bietet sich ein Bild, wie wir es bei den Frauen in Ostdeutschland beobachten können. Hier verkürzt sich (nahezu linear) mit jedem Kind die Dauer der Erwerbstätigkeit um den Zeitraum von etwa einem Jahr. Zwar vergrößert sich der Abstand mit der Anzahl der Kinder etwas, aber es wird erkennbar, dass selbst mehr als drei Kinder die Erwerbstätigkeit der Mütter in der DDR nicht beendet haben. Anders stellt sich dies in Westdeutschland dar. Erstens ist dort bei allen Frauen die Erwerbskarriere deutlich kürzer. Auch kinderlose Frauen erreichen dort lediglich 28 Jahre mit vollwertigen Beiträgen. Mit jedem Kind fällt dann die Länge der Erwerbskarriere deutlich ab und erreicht bereits bei Frauen mit drei Kindern nur noch knapp 16 Jahre. Es ist aber auch deutlich erkennbar, dass bereits mit dem ersten Kind die Erwerbstätigkeit sehr deutlich verkürzt ist, nämlich um mehr als fünf Jahre im Vergleich zu kinderlosen Frauen. Tabelle 2: Durchschnittliche Jahre der Erwerbstätigkeit nach Anzahl der Kinder in Ost- und Westdeutschland, Frauen der Geburtsjahrgänge 1928-1938 Westdeutschland Anzahl der Kinder

Mittelwert der Erwerbstätigkeit

Ostdeutschland

Fallzahlen

Mittelwert der Erwerbstätigkeit

Fallzahlen

Keine Kinder

27 Jahre, 1 Monat

3.125

34 Jahre, 0 Monate

452

1 Kind

22 Jahre, 0 Monate

4.965

33 Jahre, 2 Monate

1.168

2 Kinder

18 Jahre, 5 Monate

7.803

32 Jahre, 2 Monate

1.417

3 Kinder

15 Jahre, 11 Monate

4.943

30 Jahre, 8 Monate

790

4 Kinder

15 Jahre, 1 Monat

2.291

29 Jahre, 7 Monate

348

5 und mehr Kinder

13 Jahre, 3 Monate

1.887

28 Jahre, 0 Monate

323

19 Jahre

25.014

32 Jahre, 0 Monate

4.498

Gesamt

Anmerkungen: Ausgewiesen sind die vollwertigen Beitragszeiten zur Rentenversicherung. Dazu gehören auch die Kindererziehungszeiten und teilweise Zeiten der Arbeitslosigkeit und Krankheit. Für Kindererziehungszeiten können bis zu 12 Monate pro Kind angesetzt werden. Den Hauptanteil machen aber Zeiten der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aus. siehe auch Tabelle 1. Quelle: Scientific Use File Rentenbestand 2003 (SUFRTBN03XVSBB), FDZ-RV

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

215

Die Tabelle weist damit auf zwei unterschiedliche Phänomene hin: Die Frauen der Geburtskohorten 1928 bis 1938 hatten in der Bundesrepublik und in der DDR eine andere Position auf dem Arbeitmarkt, und Kindererziehung hatte darüber hinaus andere Auswirkungen auf die Frauenerwerbskarrieren. Die unterschiedliche Position auf dem Arbeitsmarkt lässt sich an der vergleichsweise geringen Anzahl an Jahren messen, die auch kinderlose Frauen in den alten Bundesländern versicherungspflichtig beschäftigt waren. Es gab neben der Kindererziehung also weitere Faktoren, die Frauen dieser Geburtsjahrgänge veranlassten, sich aus der Erwerbstätigkeit zurückzuziehen oder sie für viele Jahre zu unterbrechen. Für das Alterseinkommen ist neben der Dauer der Erwerbstätigkeit die Höhe des versicherungspflichtigen Einkommens entscheidend. Das Produkt aus Dauer und Höhe ergibt die Entgeltpunkte. Aus der folgenden Tabelle 3 ergeben sich die Entgeltpunkte aus versicherungspflichtiger Beschäftigung. Damit zeigt sich, ob neben der Einbuße in der Länge der Erwerbstätigkeit durch die Kindererziehung auch ein Absinken in der Höhe des Einkommens verursacht wurde. Dabei ist zu beachten, dass ein solches Absinken des Einkommens sowohl durch Teilzeitarbeit als auch durch niedrigere Bezahlung verursacht werden kann. Schließlich können der Verteilung auch Selektionseffekte zu Grunde liegen, wenn die Frauen mehr Kinder bekommen, die eine schlechtere Einkommensposition haben. Auch Unterschiede in der Dauer der Ausbildung können Unterschiede in der durchschnittlichen Summe der Entgeltpunkte verursachen. In beiden Landesteilen zeigt sich, dass mit steigender Kinderzahl die Anzahl der Entgeltpunkte aus eigener Erwerbstätigkeit noch stärker sinkt als die Dauer der Erwerbstätigkeit in Tabelle 2. Dies drückt sich in der durchschnittlichen Lebenseinkommensposition aus, die zeigt, wie hoch im Mittelwert das Einkommen im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen im jeweiligen Landesteil war. Die kinderlosen Frauen erreichten in den alten Bundesländern 84 Prozent des Durchschnittseinkommens, in den neuen Bundesländern 88 Prozent. Von diesem Spitzenwert fällt die relative Einkommensposition mit steigender Kinderzahl gleichmäßig ab, wobei sich das Phänomen in beiden Teilen Deutschlands sehr ähnlich darstellt. Mit dem ersten Kind ergibt sich ein Abfallen der relativen Einkommensposition um 10 Prozent, mit jedem weiteren Kind sinkt die Einkommensposition um einige zusätzliche Prozentpunkte. Die einzige Ausnahme sind die Frauen mit 5 und mehr Kindern in Westdeutschland, die trotz ihrer sehr wenigen Erwerbsjahre nicht die schlechteste Erwerbsposition einnehmen.

216

Michael Stegmann und Tatjana Mika

Tabelle 3: Durchschnittliche Summe der Entgeltpunkte auf Grund von Erwerbstätigkeit (inklusive anerkannte Kindererziehungszeiten) und durchschnittliche Lebenseinkommensposition nach Anzahl der Kinder in den alten und neuen Bundesländern, Frauen der Geburtsjahrgänge 1928 bis 1938 Westdeutschland

Ostdeutschland

Mittelwert der Summe der Entgeltpunkte

Durchschnittliche Lebenseinkommensposition

Fallzahlen

Keine Kinder

23,6

0,84

3.125

30,5

0,88

452

1 Kind

15,5

0,74

4.965

25,0

0,78

1.168

2 Kinder

11,4

0,72

7.803

22,7

0,76

1.417

3 Kinder

8,4

0,70

4.943

20,0

0,74

790

4 Kinder

6,2

0,66

2.291

17,8

0,73

348

5 u. m. Kinder

4,7

0,72

Anzahl der Kinder

Mittelwert der Summe der Entgeltpunkte

Durchschnittliche Lebenseinkommensposition

Fallzahlen

1.887 14,3 0,68 323 25.01 22,6 0,77 4.498 Gesamt 12,2 0,74 4 Anmerkungen: Ausgewiesen sind die Entgeltpunkte auf Grund vollwertiger Beitragszeiten. Dazu gehören teilweise auch Zeiten der Arbeitslosigkeit, Krankheit und Kindererziehung. Den Hauptanteil machen aber Zeiten der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aus, siehe auch Tabelle 1. Quelle: 1% Stichprobe des Rentenbestands 2003, FDZ-RV

Es zeigt sich also im Vergleich beider Landesteile, dass in den alten Bundesländern mit jedem Kind die Dauer der Erwerbstätigkeit stark abnimmt und auch die relative Einkommensposition sinkt. Damit erreichten in Westdeutschland Mütter der Geburtskohorten 1928 bis 1938 im Durchschnitt aus eigener versicherungspflichtiger Beschäftigung auch bei Anerkennung der Kindererziehung in Höhe von ca. einem Entgeltpunkt pro Kind keine gesetzliche Rente, die nur annähernd in Höhe der Grundsicherung im Alter (Sozialhilfe) liegt.8 Anders stellt sich dies in den neuen Bundesländern dar, wo die Dauer der Erwerbstätigkeit in geringerem Umfang mit jedem Kind verkürzt wurde. Auch hier findet sich allerdings eine sinkende relative Einkommensposition von Frauen mit steigender Kinder8

Die durchschnittlichen Rentenzahlbeträge ausschließlich aus eigener Erwerbstätigkeit lägen in Westdeutschland zwischen 426 € (Frauen mit einem Kind) und 251 € (Frauen mit fünf und mehr Kindern). In Ostdeutschland betrüge dieser (hypothetische) Rentenzahlbetrag zwischen 595 € (Frauen mit einem Kind) und 436 € (Frauen mit fünf und mehr Kindern). Die Leistung der Grundsicherung im Alter kann mit circa 630 € als Vergleichswert angesetzt werden, die Höhe des tatsächlichen Anspruchs hängt vor allem von den Wohnkosten ab.

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

217

zahl, weshalb die Rente der Frauen mit sehr vielen Kindern die Höhe von Grundsicherung im Alter (Sozialhilfe) ebenfalls nicht erreicht. Ein Teil der Frauen erhält zusätzlich Entgeltpunkte für Zeiten vor 1992, in denen sie unter 75 Prozent des Durchschnitteinkommens verdienten.9 Solche Aufwertungen erhielten allerdings nur Versicherte, die mehr als 35 Jahre Versicherungsjahre in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert waren. Alle Frauen, bei denen sich diese Aufwertung findet, haben also vergleichsweise lange gearbeitet10 oder Kinder erzogen und (vor 1992) deutlich unterdurchschnittlich verdient. Kinderlose und Frauen mit einem oder mehreren Kindern haben in Westdeutschland in etwa gleichem Umfang profitiert; die Regelung kam also Frauen mit Kindern nicht besonders zu Gute. In Ostdeutschland kamen dagegen eindeutig Frauen mit mehr Kindern verstärkt zu einer höheren eigenen Rente durch diese Aufbesserung der erworbenen Anwartschaften aus eigener Erwerbstätigkeit. Mit steigender Kinderzahl steigt in den neuen Bundesländern nicht nur der Anteil der Entgeltpunkte auf Grund der Kindererziehung, sondern auch der Anteil wegen geringem Arbeitsentgelt nimmt zu. Beide Regelungen zusammen genommen, die Anerkennung der Kindererziehung und die Mindestentgeltpunkte bei geringem Arbeitsentgelt, haben somit bei Frauen in Ostdeutschland die Einkommensdiskriminierung von Müttern durch kürzere und geringer entlohnte Erwerbstätigkeit teilweise kompensiert. Eine vergleichbare Kompensation der weitaus stärkeren Einbußen, vor allem auf Grund der durchschnittlich geringen Dauer der Erwerbstätigkeit, findet sich bei den Frauen in Westdeutschland nicht. Ihre Altersvorsorge wird wesentlich durch das Alterseinkommen ihres Ehemanns sichergestellt. Allein stehende ältere Frauen haben deshalb in den alten Bundesländern ein höheres Armutsrisiko im Alter (Mika und Bieber 2006).

9

10

§ 262 SGB VI regelt diese Aufwertung der Rente für Geringverdienerinnen für Zeiten vor 1992, die Rente nach Mindesteinkommen. Die eigenen vollwertigen Entgeltpunkte werden dann maximal um das 1,5fache aufgewertet. In Tabelle 3 zeigt sich, dass sehr viele Frauen weniger als 75 Prozent des Durchschnittseinkommens verdient haben, denn die Durchschnitte aller Frauen mit einem oder mehr Kindern liegen in der Nähe dieses Wertes (durchschnittliche Lebenseinkommensposition von 0,75 oder geringer). Allerdings haben nicht viele Frauen in Westdeutschland 35 Jahre gearbeitet, die durchschnittliche Beschäftigungsdauer liegt deutlich unter diesem Wert. Vgl. durchschnittliche Jahre der Erwerbstätigkeit in Tabelle 2

218

4

Michael Stegmann und Tatjana Mika

Erwerbstätigkeit und Kinderzahl in Jahrgängen 1936 bis 1955 in Biographie-Daten in der AVID 1996

Während die bisherigen Analysen sich auf die Daten des ‚Rentenbestands 2003’ bezogen und nur Frauen der Jahrgänge 1928 bis 1938 berücksichtigten, werden in den folgenden Analysen die AVID-Biographiedaten 1996 verwendet. Diese Daten erlauben es, die Jahrgänge 1936 bis 1955 in die Untersuchung einzubeziehen. Darüber hinaus ist es möglich, anstelle der reinen Querschnittsbetrachtung, Längsschnittanalysen durchzuführen. Das Fortschreibungsmodell der AVID simuliert die Erwerbs- und Nichterwerbsverläufe von Männern und Frauen bis zum 65. Lebensjahr. Einbezogen werden Ereignisse, die außerhalb der Entscheidungsfreiheit der GRV-Versicherten liegen, wie z. B. Altersarbeitslosigkeit und länger andauernde Krankheiten nach Auslaufen der Lohnfortzahlung. Ebenfalls berücksichtigt werden individuelle Entscheidungen zur Unterbrechung oder Beendigung der Erwerbstätigkeit, etwa zur Haushaltsführung oder Pflege eines Angehörigen, die nicht zu einem gleichzeitigen Bezug von Alterseinkommen führen. Übergänge in den Ruhestand vor oder nach Vollendung des 65. Lebensjahres aus eigener Entscheidung und die damit verbundenen Abschläge wurden nicht simuliert. Rentenzugänge vor dem 65. Lebensjahr finden lediglich im Fall von Erwerbsunfähigkeit statt (Kortmann und Schatz 1999: 577). Die Schwankungen der Durchschnitte und der ausgewiesenen (Erwerbs-)Quoten insbesondere ab dem 60. Lebensjahr sind auch als statistische Schwankungen der Simulation zu interpretieren. Ab diesem Zeitpunkt handelt es sich bei sämtlichen Biographien um simulierte Ereignisse mit einer zum vorherigen Biographieverlauf vergleichsweise geringen Anzahl von Erwerbstätigkeitsereignissen.

5

Erwerbsbeteiligung und Einkommensposition im Zusammenhang mit Kindererziehung

5.1

Erwerbsbeteiligung von Frauen mit Kindern

Zunächst wird die altersbezogene Erwerbsquote analysiert. Die Abbildungen 3a und 3b illustrieren die Erwerbsquoten11 für Frauen nach Anzahl der Kinder und 11

Die Erwerbsquoten sind auf die Erwerbstätigkeit in den jeweiligen Phasen der Biographie bezogen. Sie werden für jedes Kalenderjahr berechnet. Unter Erwerbsbeteiligte werden Personen gezählt, die mindestens sechs Monate in einem Kalenderjahr erwerbstätig waren. Die Erwerbs-

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

219

Lebensjahr. In Westdeutschland zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen kinderlosen Frauen und Müttern. Die Erwerbsquote der kinderlosen Frauen steigt kontinuierlich bis zum 26. Lebensjahr an und erreicht dort im Maximum 90 Prozent. Bis ca. zum 40. Lebensjahr wird dieses Niveau gehalten, um anschließend kontinuierlich wieder abzusinken. Bei den Frauen mit Kindern zeigt sich früh ein erziehungsbedingter kinderbezogener Rückgang der Erwerbsquote, der in Abhängigkeit von der Anzahl der Kinder gravierender und nachhaltiger ausfällt. Ein Bezug zur Kindererziehung lässt sich in der Abbildung durch das abgetragene durchschnittliche Alter bei Geburt der Kinder herstellen. In Westdeutschland ist allen Frauen mit Kindern gemeinsam, dass nach einem anfänglichen Anstieg der Erwerbsquoten bereits ab bzw. kurz nach dem 20. Lebensjahr die Erwerbsquoten wieder absinken, was jeweils vor dem durchschnittlichen Zeitpunkt der Geburt des ersten Kindes liegt. Dabei ist festzustellen, dass das erste Maximum der Erwerbsquoten umso niedriger ausfällt, je mehr Kinder die Frauen haben. Durch Kindererziehung bedingt, kommt es bei den Frauen mit einem Kind zu einem Absinken der Erwerbsquote auf ein Minimum von ca. 58 Prozent, das im 33. Lebensjahr erreicht wird. In den folgenden Lebensjahren steigt die Erwerbsquote wieder an und erreicht nochmals fast 70 Prozent. Den wesentlich prägnanteren Unterschied zu den Frauen ohne Kinder weisen jedoch die Frauen mit zwei Kindern und die Frauen mit drei und mehr Kindern auf. In Folge der Kindererziehung kommt es bei ihnen zu einem regelrechten Einbruch der Erwerbsquote. Im 33. Lebensjahr sind von den Frauen mit zwei Kindern nur noch 35 Prozent erwerbstätig. Bei den Frauen mit drei und mehr Kindern liegt das Minimum der berufstätigen Frauen bereit im 30. Lebensjahr und erreicht nur noch 28 Prozent. Ab Mitte bis Ende 30 beginnen die Erwerbsquoten wieder anzusteigen, erreichen aber bei den Frauen mit zwei Kindern nur noch maximal 60 Prozent und bei den Frauen mit drei und mehr Kindern 50 Prozent. Ein deutlich anderes Bild vermittelt die Situation der Jahrgänge 1936 bis 1955 in Ostdeutschland. Es muss an dieser Stelle aber betont werden, dass auf Grund der Umbruchsituation im Osten durch die Wiedervereinigung nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich dieses Bild für jüngere Jahrgänge in gleicher Weise darstellt. Unabhängig von der Anzahl der Kinder zeigt sich bei den betrachteten Geburtskohorten bis zum 19. Lebensjahr ein deckungsgleicher Verlauf der Erwerbsquoten; knapp 80 Prozent der Frauen sind in diesem Alter

quote stellt das Verhältnis von allen Erwerbstätigen (sozialversicherungspflichtig Erwerbstätige, Beamte, Selbständige) zur gesamten Population dar.

220

Michael Stegmann und Tatjana Mika

Abbildung 3a: Lebensalterbezogene Erwerbsquoten nach Anzahl der Kinder, Frauen in Westdeutschland, Geburtsjahrgänge 1936-1955 mit eigener projizierter GRV-Rente Durchschnittlicher Zeitpunkt der Geburt des

1. Kindes 2. Kindes 3. Kindes

1 0.9 0.8 0.7 0.6 0.5 0.4 0.3 maximaler maximaler Fortschreibungszeitraum Fortschreibungszeitraum

0.2 0.1 0

14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 Lebensjahr keine Kinder

ein Kind

zwei Kinder

drei Kinder u.m.

Anmerkungen: Maximaler Fortschreibungszeitraum beschreibt den maximalen Zeitraum, der durch die Mikrosimulation mit statistisch ermittelten Werten gefüllt ist. Quelle: Altersvorsorge in Deutschland 1996 (AVID 1996)

erwerbstätig. Danach differieren die Erwerbsquoten in Abhängigkeit von der Anzahl der Kinder. Die Erwerbsquote der kinderlosen Frauen steigt weiter an bis auf nahezu 100 Prozent. Auf diesem Niveau, das im 22. Lebensjahr erreicht wird, verharrt die Erwerbsquote bis Mitte 40. Ab diesem Alter sinkt die Quote stetig und deutlich ab. Dieser letzte Befund gilt unabhängig von der Anzahl der Kinder und steht in deutlichem Zusammenhang mit dem Geschehen auf dem Arbeitsmarkt nach der Wende (Hauschild 2002). Bei den Frauen mit Kindern kommt es im Zusammenhang mit der Geburt der Kinder zu einem Absinken der Erwerbsquoten.

221

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

Abbildung 3b: Lebensalterbezogene Erwerbsquoten nach Anzahl der Kinder, Frauen in Ostdeutschland, Geburtsjahrgänge 1936-1955 mit eigener projizierter GRV-Rente Durchschnittlicher Zeitpunkt der Geburt des

1. Kindes 2. Kindes 3. Kindes

1 0.9 0.8 0.7 0.6 0.5 0.4 0.3 maximaler Fortschreibungszeitraum

0.2 0.1 0

14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 Lebensjahr keine Kinder

ein Kind

zwei Kinder

drei Kinder u.m.

Anmerkungen: Maximaler Fortschreibungszeitraum beschreibt den maximalen Zeitraum, der durch die Mikrosimulation mit statistisch ermittelten Werten gefüllt ist. Quelle: Altersvorsorge in Deutschland 1996 (AVID 1996)

Ähnlich wie im Westen fällt im Osten dieser Effekt umso deutlicher aus, je mehr Kinder erzogen werden. Der wesentliche Unterschied zum Ergebnis in den alten Bundesländern liegt darin, dass es aber relativ schnell wieder zu einem Anstieg der Erwerbsquoten kommt. Auch die Frauen mit einem und zwei Kindern erreichen dann wieder Werte von über 90 Prozent. Gleiches gilt selbst für Frauen mit drei und mehr Kindern, die sich ebenfalls dieser Marke annähern. Anders als in Westdeutschland kommt es zu einem deutlich geringeren kinderbedingten Abfall der Werte. Die geringste Erwerbsquote bei den Frauen mit mehreren Kindern liegt bei 55 Prozent.

222 5.2

Michael Stegmann und Tatjana Mika

Einkommen von Frauen mit Kindern

Aber nicht nur bezogen auf die Erwerbsbeteiligung lässt sich der Einfluss von Kindererziehung nachzeichnen, sondern auch hinsichtlich des durchschnittlich erzielten Einkommens. Besonders deutlich wird dies wiederum in den alten Bundesländern. Es sei jedoch vorab angemerkt, dass bei der Schilderung der nachfolgenden Befunde nicht abschließend geklärt werden kann, auf welche Einflussfaktoren dieser Einkommensunterschied zurückzuführen ist. Eine wichtige Erklärung liegt in der kind- bzw. familienbedingten Teilzeitbeschäftigung, die zu einer geringeren Entlohnung und damit zur Senkung des Durchschnitts führt. Die Ergebnisse, die weiter unten präsentiert werden, untermauern diesen Befund. In den beiden Abbildungen 4a und 4b ist jeweils das durchschnittliche Einkommen aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung abgebildet. Zum Zeitpunkt der Untersuchung existierten die nun sozialversicherungsrelevanten so genannten Mini- und Midijobs noch nicht, sodass diese nicht in die Werte mit eingehen. Das Einkommen wird in Entgeltpunkten dargestellt, da die Modellierung des Einkommens in der AVID 1996 auf deren Basis durchgeführt wurde. Zu Beginn der Berufsbiographie nimmt das durchschnittliche Erwerbseinkommen zuerst einen von der Anzahl der Kinder unabhängigen Verlauf. Ab dem 20. Lebensjahr beginnt eine Differenzierung zwischen den Frauen mit Kindern und den Frauen, die keine Kinder haben. Die kinderlosen Frauen zeigen eine ansteigende Entwicklung bis ca. zum Alter von 37 Jahren, wo im Mittel ein Entgeltpunkt, also ein im Sinne der Rentenversicherung durchschnittliches Einkommen erzielt wird. Bei den Frauen mit Kindern zeigt sich kein weiterer Anstieg, bei Frauen mit zwei bzw. drei Kindern sinkt das durchschnittliche sozialversicherungspflichtige Einkommen sogar. Bei einem Kind wird langfristig ein durchschnittliches Einkommensniveau von 0,7 Entgeltpunkten erreicht. Bei zwei Kindern sinken die durchschnittlichen Entgeltpunkte, nachdem zunächst ebenfalls annähernd ein Wert von 0,7 erreicht wird, auf 0,55 ab und verharren auch hier auf einem vergleichbaren Niveau. Frauen mit drei und mehr Kindern erreichen zuerst das vergleichsweise geringste durchschnittliche Entgelt von ca. 0,6 Entgeltpunkten, im nachfolgenden Verlauf sinkt dieser Wert auf 0,45 ab und steigt erst wieder ab den 40. Lebensjahr leicht an.

223

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

Abbildung 4a: Durchschnittliches Einkommen aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung (in Entgeltpunkten) bezogen auf die Lebensjahre, Frauen in Westdeutschland, Geburtsjahrgänge 1936-1955 mit eigener projizierter GRVRente Durchschnittlicher Zeitpunkt der Geburt des

1. Kindes 2. Kindes 3. Kindes

1 0.9 0.8 Entgeltpunkte

0.7 0.6 0.5 0.4 0.3 0.2

maximaler Fortschreibungszeitraum

0.1 0

14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 Lebensjahr keine Kinder

ein Kind

zwei Kinder

drei Kinder u.m.

Quelle: Altersvorsorge in Deutschland 1996 (AVID 1996)

Die Situation in Ostdeutschland stellt sich auch hier wiederum anders dar. Auch dort zeigt sich ein kinderbedingter Effekt für die Jahrgänge 1936 bis 1955, dieser ist jedoch temporär. Die durch Kindererziehung verursachte Ausdifferenzierung der Durchschnitte beginnt zwischen dem 19. und 20. Lebensjahr. Bei den kinderlosen Frauen steigt das Einkommen im Mittel bis zum 25. Lebensjahr auf 0,8 Entgeltpunkte an und stabilisiert sich auf diesem Niveau bis etwa zum 40. Lebensjahr, in dem ein stetiges Absinken beginnt, das sich ab dem 50. Lebensjahr nochmals in einen Anstieg umkehrt. Bei Frauen mit Kindern bricht der Anstieg der durchschnittlichen Einkommen früher ab und es kommt zu einer mittelfristigen Stagnation der Werte. Der Anstieg bricht umso früher ab, je mehr

224

Michael Stegmann und Tatjana Mika

Abbildung 4b: Durchschnittliches Einkommen aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung (in Entgeltpunkten) bezogen auf die Lebensjahre, Frauen in Ostdeutschland, Geburtsjahrgänge 1936-1955 mit eigener projizierter GRVRente Durchschnittlicher Zeitpunkt der Geburt des

1. Kindes 2. Kindes 3. Kindes

1 maximaler Fortschreibungszeitraum

0.9 0.8 Entgeltpunkte

0.7 0.6 0.5 0.4 0.3 0.2 0.1 0 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 Lebensjahr keine Kinder

ein Kind

zwei Kinder

drei Kinder u.m.

Quelle: Altersvorsorge in Deutschland 1996 (AVID 1996)

Kinder zu erziehen sind. Bemerkenswert ist jedoch, dass es im folgenden Verlauf wieder zu einer Angleichung der Werte kommt, in dem die Frauen mit mehr Kindern aufholen; im 40. Lebensjahr sind alle Werte dann nahezu gleich. Zu bemerken ist aber auch, dass der durch die Kindererziehung bedingte temporäre Einbruch im Mittel nicht kompensiert werden kann. Das generelle Absinken der durchschnittlichen Entgelte mit einem anschließenden Anstieg in älteren Lebensjahren wird deutlich durch die besondere Situation in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung geprägt und ist im Wesentlichen auf die Arbeitsmarktsituation zurückzuführen. Sowohl die empirischen Werte der älteren Kohorten als auch die Simulationsgrößen der jüngeren Jahrgänge für die späten Versicherungsjahre, die in die Nachwendezeit fallen, sind

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

225

von hoher Arbeitslosigkeit bzw. arbeitsmarktbedingter Teilzeitarbeit geprägt. Die ansteigenden Durchschnitte in den Jahren vor dem 60. Lebensjahr sind dabei auch davon beeinflusst, dass besonders besser Qualifizierte (und damit in der Regel auch besser Entlohnte) deutlich eher in Beschäftigung verbleiben. Ein ‚Kindereffekt’ spielt hier keine direkte Rolle.

5.3

Muster des beruflichen Wiedereinstiegs

In den folgenden Betrachtungen soll der berufliche Wiedereinstieg von Frauen mit Kindern noch etwas differenzierter betrachtet werden. Analysiert wird der Zeitraum bis 240 Monate (also 20 Jahre) nach der Geburt des ersten Kindes. Wie auf der Basis der bereits vorgestellten Ergebnisse nicht anders zu erwarten, muss auch hier zwischen den Frauen in West- und Ostdeutschland unterschieden werden. Zu bemerken ist, dass hier ausschließlich die Zustände ‚Haushalt’ und ‚Erwerbstätigkeit’ betrachtet werden. Fehlende Prozentwerte bis 100 Prozent sind durch andere Ereignisse erklärbar, z. B. durch Arbeitslosigkeit oder Krankheit. Ferner ist zu betonen, dass auch Teilzeitarbeit als Erwerbstätigkeit gewertet wird, nicht gezählt wird jedoch die geringfügige Beschäftigung im Rahmen der zum Erhebungszeitpunkt gültigen ‚630 DM-Gesetzes-Regelung’. In Westdeutschland unterscheiden sich vor allem die Frauen mit einem Kind von denen mit zwei und mehr Kindern (Tabelle 4). Für alle Frauen mit Kindern gilt, dass im ersten Jahr nach der Geburt des ersten Kindes die Mütter in der Regel zuhause sind, jeweils 95 Prozent sind in dieser Zeit ausschließlich in der Familie tätig. 18 Monate nach der Geburt ihres Kindes sind 38 Prozent der Frauen mit einem Kind wieder berufstätig, nach 48 Monaten trifft dies auf die Hälfte zu, und nach 240 Monaten sind fast zwei Drittel wieder erwerbstätig. Anders stellt sich die Situation bei den Frauen mit zwei Kindern dar: Nach 18 Monaten sind zwar 30 Prozent wieder berufstätig, doch dies ändert sich bis acht Jahre nach der Geburt des ersten Kindes nicht deutlich. Erst danach kommt es im Saldo zu einem nennenswerten Wiedereinstieg; 20 Jahre nach der Geburt des ersten Kindes sind etwa 58 Prozent im Berufsleben. Relativ dauerhaft sind niedrige Erwerbsquoten bei der Gruppe der Frauen mit drei und mehr Kindern: Zwei Jahre nach Geburt des ersten Kindes sind ein Fünftel wieder berufstätig. In der Folge ist kein weiterer Zuwachs zu verzeichnen. Erst spät, 15 Jahre nach Geburt des ersten Kindes, ergibt sich nochmals ein gestiegener Anteil Berufstätiger, und nach 20 Jahren, dem Ende des gewählten Beobachtungszeitraums, sind 40 Prozent wieder berufstätig.

226

Michael Stegmann und Tatjana Mika

Tabelle 4: Wiedereinstiegsmuster: Anteil Frauen in Prozent, der ,...’ Monate nach Geburt des ersten Kindes erwerbstätig oder ausschließlich im Haushalt tätig ist, Frauen mit Kindern in Ost- und Westdeutschland, Geburtsjahrgänge 1936-1955 mit eigener projizierter GRV-Rente Westdeutschland

Monate nach Geburt 6 Monate 12 Monate 18 Monate 24 Monate 30 Monate 36 Monate 48 Monate 60 Monate 72 Monate 96 Monate 132 Monate 180 Monate 240 Monate

1 Kind

Ostdeutschland

2 Kinder 3 Kinder+ 1 Kind 2 Kinder 3 Kinder+

Haushalt

95

95

94

98

99

95

Erwerbstätig

4

4

6

2

1

5

Haushalt

95

94

94

98

99

95

Erwerbstätig

4

4

6

2

1

4

Haushalt

57

66

72

28

36

47

Erwerbstätig

36

29

25

69

62

52

Haushalt

58

71

78

26

39

59

Erwerbstätig

37

26

21

71

60

40

Haushalt

56

70

77

22

38

56

Erwerbstätig

40

27

21

76

61

43

Haushalt

53

71

76

16

38

54

Erwerbstätig

42

27

21

82

61

44

Haushalt

46

70

78

9

34

50

Erwerbstätig

50

27

19

91

65

49

Haushalt

43

68

76

7

30

51

Erwerbstätig

52

29

21

91

69

51

Haushalt

42

67

76

6

26

47

Erwerbstätig

53

30

22

92

74

51

Haushalt

42

64

77

6

18

38

Erwerbstätig

52

32

21

93

82

61

Haushalt

29

57

73

1

10

25

Erwerbstätig

58

37

23

95

90

73

Haushalt

24

40

60

0

4

12

Erwerbstätig

62

49

32

94

94

86

Haushalt

21

30

44

0

1

5

41

90

94

90

Erwerbstätig 64 57 Quelle: Altersvorsorge in Deutschland 1996 (AVID 1996)

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

227

In Ostdeutschland zeigt sich für die betrachteten Jahrgänge eine Babypause im ersten Jahr. Auch hier sind nach der Geburt des ersten Kindes die Mütter im ersten Jahr fast ausschließlich in der Familie tätig. Ein beruflicher Wiedereinstieg ist die Regel, auch bei kinderreichen Frauen. Dieser gelingt Frauen mit einem Kind im Allgemeinen schneller, was daran liegt, dass bei Frauen mit zwei und mehr Kindern weitere Babypausen folgen können. 132 Monate (11 Jahre) nach Geburt des Kindes sind fast alle Frauen mit einem Kind berufstätig (90 Prozent), keine ist ausschließlich Hausfrau. Auch bei drei Kindern sind 18 Monate nach Geburt des ersten Kindes über 50 Prozent der Frauen wieder berufstätig. Der folgende Wechsel von höheren Haushalts- und Berufstätigkeitsquoten hängt mit der Geburt weiterer Kinder zusammen, die im weiteren Lebensverlauf für einen Wechsel zwischen Haushalt und Beruf sorgen. Dies wird ersichtlich, wenn man die Zeitpunkte der Geburten und die Übergange aus dem Beruf in die Haushaltstätigkeit betrachtet und vice versa. Ab 3 Jahre nach der ersten Geburt entwickelt sich nochmals eine Dynamik und nach 20 Monaten sind ebenfalls 90 Prozent der kinderreichen Frauen berufstätig und nur noch 5 Prozent ausschließlich im Haushalt tätig.

6

Kindererziehung, Teilzeitbeschäftigung und Alterseinkommen

6.1

Teilzeitarbeit und Kindererziehung

Im Folgenden wird ein besonderes Augenmerk auf die Teilzeiterwerbstätigkeit gerichtet, die eine wichtige Erwerbsform für Mütter darstellt. Untersucht man die Struktur der Teilzeitbeschäftigung nach Verbreitung, Dauer, Lage und den Zusammenhang mit sozialversicherungspflichtiger Vollzeitbeschäftigung, dann zeigt sich, dass Teilzeitbeschäftigung eine wichtige Scharnierfunktion zwischen Vollzeiterwerbstätigkeit und Familienphase einnimmt oder die Erwerbstätigkeit während längerer Phasen der Haushaltsführung ermöglicht. Die Gesamtdauer sozialversicherungspflichtiger Teilzeitbeschäftigungen kann sich aus einer unterschiedlichen Anzahl von einzelnen Episoden zusammensetzen, die in unterschiedlichen Lebensabschnitten und aus verschiedenen Gründen ausgeübt werden. Aus methodischen Gründen muss sich die Analyse hier auf die empirischen Werte beschränken, die bis 1996 vorliegen. Zudem konnten teilweise nur die Teilzeitphasen untersucht werden, die sich bis zum 41. Lebensjahr ergeben. Letzteres war notwendig, um einen Kohortenvergleich vor-

228

Michael Stegmann und Tatjana Mika

nehmen zu können, denn bis zum 41. Lebensjahr liegen die empirischen Werte aller untersuchten Kohorten vor. In Tabelle 5 sind nach Geburtskohorten unterschieden eine Reihe an Ergebnissen zur Lage von Teilzeitbeschäftigungsphasen in der Versicherungsbiographie zusammengetragen (siehe auch Bieber und Stegmann 2000; Klammer und Tillmann 2001; Stegmann 2003).12 Die Befunde aus Tabelle 5a und 5b lassen sich folgendermaßen zusammenfassen. • Eine Teilzeitbeschäftigung vor dem 41. Lebensjahr wird am häufigsten von einer Phase der Haushaltsführung abgelöst. Die Ausnahme bildet die jüngste Kohorte, die nach Teilzeitarbeit zu 50 Prozent in Vollzeit wechselt. • Betrachtet man die Phasen vor und nach einer Teilzeitbeschäftigung bis zum 41. Lebensjahr als Kombination, zeigt dies für die alten Bundesländer, dass Teilzeitarbeit in allen Kohorten am häufigsten zwischen Phasen der Haushaltsführung ausgeübt wird. In den neuen Bundesländern weist die Verteilung der Kombinationen zwischen den Kohorten größere Unterschiede auf. So gilt für die älteste Kohorte, dass Phasen mit Teilzeitbeschäftigung am häufigsten Perioden der Haushaltsführung unterbrechen. Für die jüngste Kohorte gilt, dass diese Teilzeitphasen am häufigsten aus Phasen der Haushaltsführung herausführen und dann in Vollzeiterwerbstätigkeit münden. Ausgewiesen sind alle Kombinationen, die für eine Kohorte mindestens einen Anteil von 10 Prozent erreichen. • Schließt man zusätzlich die Altersgruppen in die Betrachtung mit ein und betrachtet die Modalzustände vor und nach Teilzeittätigkeit, zeigt sich auch hier die Kategorie Haushaltsführung mit oder ohne Kinder als dominierend. In den höheren Altersgruppen ab 40 Jahren gewinnen weitere Erwerbssituationen an Bedeutung. In den alten Bundesländern sind dies Arbeitslosigkeit, Vollzeitbeschäftigung und Krankheit nach Lohnfortzahlung und in den neuen Bundesländern nur Vollzeiterwerbstätigkeit.13

12

13

Der Begriff Soziale Erwerbssituation (SES) dient im Rahmen der AVID 1996 dazu, eine in Episoden gegliederte (Erwerbs-)Biographie zu beschreiben und einen (wahrscheinlichen) weiteren Verlauf bis zum 65. Lebensjahr simulieren zu können. Die Erwerbsbiographie einer Person der Stichprobe besteht nach Transformation in die SES-Zustände aus Zeitabschnitten, in denen die Person einen bestimmten Zustand hat. Dabei wurden folgende Zustände unterschieden: Ausbildung, Pflege, Haushalt, Kindererziehungszeit, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Altersrente, mithelfender Familienangehöriger, geringfügige Beschäftigung, Beamter, Selbständiger, eingeschränkt Erwerbsfähiger und sozialversicherungspflichtig Beschäftigter. Zu beachten ist an dieser Stelle noch, dass es in der DDR offiziell keine Arbeitslosigkeit gab. Dieser Zustand kann in den neuen Bundesländern folglich erst in Biographieabschnitten auftreten, die in die Zeit nach der Vereinigung fallen.

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen



229

Die in der Befragung der AVID 1996 angegebenen Gründe für die Aufnahme einer Teilzeitarbeit werden klar angeführt von der Kindererziehung. Dies gilt vor allen Dingen für die alten Bundesländer und steigt dort von Kohorte zu Kohorte deutlich an. Betriebsbedingte Gründe sind in den neuen Bundesländern der zweit häufigst genannte Grund. Der Anteil der Nennungen steigt zudem von Kohorte zu Kohorte auf bis zu einem Viertel in der jüngsten Kohorte an. In den alten Bundesländern schlägt sich dies deutlich weniger nieder. Bei der Interpretation ist zu beachten, dass die Erhebung im Jahr 1996 statt gefunden hat und die Befragten je nach Geburtsjahrgang unterschiedlich weit in ihrer Biographie fortgeschritten waren. Im Ergebnis kommen in Westdeutschland kinderlose Frauen im Vergleich zu Frauen mit Kindern auf erheblich mehr Jahre mit sozialversicherungspflichtiger Erwerbstätigkeit. Mit steigender Kinderzahl sinkt die Anzahl der Jahre mit Erwerbstätigkeit. Die mit der Zahl der Kinder sinkenden durchschnittlichen Erwerbsjahre deuten aber auf einen besonderen Effekt hin: Viele Frauen aus den alten Bundesländern mit drei oder mehr Kindern brechen ihre Erwerbskarriere auf Grund der Familienarbeit endgültig ab oder müssen den Versuch einer Reintegration vorzeitig aufgeben. Über alle Kohorten hinweg ergibt sich für diese Personengruppe bis zum 65. Geburtstag eine projizierte Dauer sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung von 18 Jahren, fünf Jahre davon entfallen auf Teilzeitarbeit. Allerdings verbessert sich die Position der Frauen mit drei oder mehr Kindern im Kohortenvergleich. Die Erwerbsbeteiligung steigt von durchschnittlich 16 auf 21 sozialversicherungspflichtige Jahre und geht mit einer Verdopplung der durchschnittlichen Teilzeitbeschäftigung von 4 auf 8 Jahre einher. Im Vergleich zu den Frauen mit Kindern aus dem Westen erreichen die Frauen mit Kindern in Ostdeutschland im Durchschnitt deutlich mehr Erwerbsjahre. Auch dort zeigt sich ein Unterschied in der Anzahl der durchschnittlichen Jahre mit Erwerbstätigkeit. Dieser fällt mit sieben Jahren Differenz zwischen kinderlosen Frauen (40 Jahre) und kinderreichen Frauen (33 Jahre) vergleichsweise gering aus. Die Differenz zwischen Ost und West steigt dabei mit der Anzahl der Kinder. Es zeigt sich jedoch eine Annäherung; in der jüngsten Altersgruppe ist dieser Unterschied weniger ausgeprägt: Frauen mit mindestens drei Kindern kommen in der Geburtskohorte 1936 bis 1940 in Westdeutschland im Durchschnitt auf 16 Jahre sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit, in Ostdeutschland ergibt sich ein Wert von 34 Jahren. In der Geburtskohorte 1950 bis 1955 beträgt der Wert im Westen bereits 21 Jahre und im Osten 30 Jahre.

230

Michael Stegmann und Tatjana Mika

Tabelle 5a: Indikatoren zur Lage von Phasen sozialversicherungspflichtiger Teilzeitbeschäftigung, Frauen der Geburtsjahrgänge 1936-1955 mit Anwartschaft auf/Bezug einer Versichertenrente der GRV, Westdeutschland Kohorte 1951-1955 1946-1950 1941-1945 1936-1940 Alter im Jahr 1996 40- u. 45 44- u. 50 51- u. 55 55- u. 60 SES vor Teilzeit*) Anteil des jeweiligen Zustands Haushaltsführ./Kindererziehung 62% 53% 72% 57% Krankheit 5% 10% 5% 11% Arbeitslosigkeit 11% 16% 9% 18% Vollzeit 19% 17% 11% 12% Sonstiges 3% 4% 3% 2% Anteil des jeweiligen Zustands SES nach Teilzeit*) Haushaltsf./Kindererziehung 67% 40% 72% 52% Krankheit 6% 12% 3% 1% Arbeitslosigkeit 11% 24% 11% 24% Vollzeit 14% 23% 12% 12% Sonstiges 2% 1% 2% 1% **) Anteil der jeweiligen Kombination SES vor/nach Teilzeit Haushalfsführung– Haushalfsf. 33% 22% 25% 22% Haushalfsführung – Vollzeit 12% 17% 17% 11% Vollzeit – Haushalfsführung 14% 10% 5% 5% Vollzeit – Vollzeit 9% 10% 10% 6% Andere Kombinationen 32% 42% 42% 57% Häufigste SES vor Teilzeit Altersgruppen**) Unter 30 Jahre HH HH HH HH 30 bis unter 40 Jahre HH HH HH HH 40 bis unter 50 Jahre I ALOS HH ALOS Über 50 Jahre I I I KRANK Häufigste SES nach Teilzeit Altersgruppen**) Unter 30 Jahre HH HH HH HH 30 bis unter 40 Jahre HH HH HH HH 40 bis unter 50 Jahre I KRANK VZ ALOS Über 50 Jahre I I I KRANK Anteil der Nennungen (Mehrfachnennungen möglich) Gründe***) Schule oder Studium 2% 0% --Pflege 1% 3% 4% 7% Haushaltsf. ohne Kindererz. 3% 9% 11% 11% Kindererziehung 62% 52% 43% 41% Gesundheitliche Probleme 4% 5% 8% 6% Betriebliche Gründe 9% 9% 9% 9% Fand keine Vollzeitstelle 7% 6% 6% 10% Wollte nicht länger arbeiten 12% 16% 19% 16% Anmerkungen: *) Aus methodischen Gründen nur bis zum 41. Lebensjahr; **) Aus methodischen Gründen bis zum Alter der Erhebung; ***) Zum Erhebungszeitpunkt erhoben Quelle: Frage 44; Abkürzungen: SES = soziale Erwerbssituation; HH= Haushaltsführung mit und ohne Kindererziehung; VZ = sozialversicherungspflichtige Vollzeiterwerbstätigkeit; I = nicht auswertbar Quelle: Altersvorsorge in Deutschland 1996 (AVID 1996)

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

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Tabelle 5b: Indikatoren zur Lage von Phasen sozialversicherungspflichtiger Teilzeitbeschäftigung, Frauen der Geburtsjahrgänge 1936-1955 mit Anwartschaft auf/Bezug einer Versichertenrente der GRV, Ostdeutschland Kohorte 1951-1955 1946-1950 1941-1945 1936-1940 Alter im Jahr 1996 40- u. 45 44- u. 50 51- u. 55 55- u. 60 SES vor Teilzeit*) Anteil des jeweiligen Zustands Haushaltsführ./Kindererziehung 51% 61% 57% 73% Krankheit 4% 19% 23% 13% Arbeitslosigkeit 2% 1% 1% 1% Vollzeit 42% 16% 17% 12% Sonstiges 1% 3% 2% 1% Anteil des jeweiligen Zustands SES nach Teilzeit*) Haushaltsf./Kindererziehung 43% 50% 39% 61% Krankheit 2% 26% 29% 17% Arbeitslosigkeit 4% 1% 1% 2% Vollzeit 50% 23% 31% 19% Sonstiges 1% 0% 0% 1% Anteil der jeweiligen Kombination SES vor/nach Teilzeit**) Haushalfsführung– Haushalfsf. 20% 25% 19% 27% Haushalfsführung – Vollzeit 29% 18% 24% 26% Vollzeit – Haushalfsführung 15% 7% 6% 7% Vollzeit – Vollzeit 25% 25% 22% 13% Andere Kombinationen 11% 24% 28% 27% Häufigste SES vor Teilzeit Altersgruppen**) Unter 30 Jahre HH HH HH HH 30 bis unter 40 Jahre VZ HH HH HH 40 bis unter 50 Jahre I HH VZ HH Über 50 Jahre I I I HH Häufigste SES nach Teilzeit Altersgruppen**) Unter 30 Jahre HH HH HH HH 30 bis unter 40 Jahre HH HH HH HH 40 bis unter 50 Jahre I VZ VZ HH Über 50 Jahre I I I VZ Anteil der Nennungen (Mehrfachnennungen möglich) Gründe***) Schule oder Studium 0% --0% Pflege 3% 5% 8% 10% Haushaltsf. ohne Kindererz. 1% 0% 0% 3% Kindererziehung 48% 49% 49% 52% Gesundheitliche Probleme 5% 8% 12% 15% Betriebliche Gründe 25% 19% 17% 12% Fand keine Vollzeitstelle 16% 11% 8% 5% Wollte nicht länger arbeiten 3% 8% 6% 3% Anmerkungen: *) Aus methodischen Gründen nur bis zum 41. Lebensjahr; **) Aus methodischen Gründen bis zum Alter der Erhebung; ***) Zum Erhebungszeitpunkt erhoben Quelle: Frage 44; Abkürzungen: SES = soziale Erwerbssituation; HH= Haushaltsführung mit und ohne Kindererziehung; VZ = sozialversicherungspflichtige Vollzeiterwerbstätigkeit; I = nicht auswertbar Quelle: Altersvorsorge in Deutschland 1996 (AVID 1996)

232 6.2

Michael Stegmann und Tatjana Mika

Auswirkungen auf das Alterseinkommen

Die durch Kindererziehung mehr oder weniger stark geprägten Erwerbsmuster zeigen Konsequenzen für die erwartete Höhe der Anwartschaften zur GRVRente und das gesamte Alterseinkommen. Zunächst kann betrachtet werden, wie viele Entgeltpunkte sich direkt aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ergeben und wie viele Entgeltpunkte für die Berechnung der GRV-Rente maßgeblich sind.14 Die Differenz spiegelt im Wesentlichen alle Regelungen wider, die besondere Lebenssituationen und -umstände anerkennen, welche direkt oder indirekt leistungssteigernd in die Bewertung der Rente einfließen (Bieber und Stegmann 2002). In Tabelle 6 sind die Entgeltpunkte für verschiedene Personengruppen dargestellt. In den alten Bundesländern zeigt sich eine deutliche Differenzierung nach Anzahl der Kinder. Frauen mit drei und mehr Kindern erreichen im Durchschnitt 10,7 Entgeltpunkte aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, der Wert für die kinderlosen Frauen liegt dagegen bei 35,7 Entgeltpunkten. Nimmt man alle Entgeltpunkte, die für die Rentenberechnung maßgeblich sind, dann kommen die Frauen mit drei Kindern auf 17,2 Entgeltpunkte, während die kinderlosen Frauen im Mittel auf einen Wert von 39,2 kommen. Die Kindererziehung und die damit verbundene geringe Beteiligung am Erwerbsleben sowie die daran gekoppelte spezifische Situation hinsichtlich der Entlohnung können durch zusätzliche Leistungen der GRV nur teilweise ausgeglichen werden. In den neuen Bundesländern verhält es sich für die betrachteten Geburtsjahrgänge anders. Der kinderbedingte Unterschied in den durchschnittlichen Entgeltpunktsummen aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung fällt deutlich geringer aus; er beträgt zwischen den kinderreichen Frauen und den kinderlosen Frauen acht Punkte und nur 4,5 Entgeltpunkte bezogen auf die retenmaßgeblichen Anwartschaften. Im Vergleich zum Westen liegt dies am un-

14

Kernstück der Rentenberechnung ist die Ermittlung von Entgeltpunkten für Beitragszeiten und beitragsfreie Zeiten. Die Summe der Entgeltpunkte wird dann um Zuschläge erhöht oder um Abschläge vermindert, die sich aus besonderen rentenrechtlichen Sachverhalten ergeben (z. B. Zuschläge für beitragsgeminderte Zeiten oder Ausgleichszahlungen, Zu- oder Abschläge aus einem Versorgungsausgleich oder Ehegattensplitting). Nachdem aus dem gesamten Versicherungsleben Entgeltpunkte ermittelt werden, wird die Summe aller Entgeltpunkte in persönliche Entgeltpunkte umgerechnet. Durch diese Umrechnung werden die Rentenabschläge bei einer vorzeitigen Inanspruchnahme gesteuert. Für einen persönlichen Entgeltpunkt erhält man die monatliche Rente, die ein Durchschnittsverdiener in einem Kalenderjahr erwirtschaftet hat. Im Jahre 2005 sind das 26,13 € in den alten und 22,97 € in den neuen Bundesländern.

233

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

Tabelle 6: Durchschnittliche Entgeltpunktsummen aus sozialversicherungspflichtiger Erwerbstätigkeit und Summe der für die eigene GRV-Rente maßgeblichen Entgeltpunkte (EGPT), Frauen in Ost- und Westdeutschland, Geburtsjahrgänge 1936-1955 mit eigener projizierter GRV-Rente Durchschnittliche Summe der Entgeltpunkte aus sozialversicherungspflichtiger Erwerbstätigkeit

Durchschnittliche Summe der für die eigene GRV-Rente maßgeblichen Entgeltpunkte

Insgesamt Männer í alte Bundesländer Männer í neue Bundesländer Frauen í alte Bundesländer Frauen í neue Bundesländer Insgesamt

42,4 37,3 17,9 26,3 30,7

45,7 40,3 22,8 31,9 34,8

Frauen nach Anzahl der Kinder í alte Bundesländer keine Kinder 1 Kind 2 Kinder 3 Kinder und mehr

35,7 20,6 15,3 10,7

39,2 24,8 20,1 17,2

Frauen nach Anzahl der Kinder í neue Bundesländer keine Kinder 30,6 1 Kind 28,1 2 Kinder 26,7 3 Kinder und mehr 22,3

34,1 32,9 32,1 29,6

Frauen nach Voll- und Teilzeit í alte Bundesländer nur Vollzeit Voll- und Teilzeit nur Teilzeit weder noch

10,6 28,6 14,6 4,4

AVID 1996: Geburtsjahrgänge 1936-1955 (nach RRG 99 ohne Übergangsregelungen)

7,2 23,0 10,2 0,6

Frauen nach Voll- und Teilzeit í neue Bundesländer nur Vollzeit 18,1 Voll- und Teilzeit 27,4 Quelle: Altersvorsorge in Deutschland 1996 (AVID 1996)

24,6 32,8

234

Michael Stegmann und Tatjana Mika

Tabelle 7: Projizierte eigene Beteiligungen an Alterssicherungssystemen1), projizierte Höhe der Anwartschaften auf Versichertenrenten der GRV und Nettoalterseinkommen in DM nach Zahl der Kinder2) (in Werten von 1996), Geburtskohorten 1936-1955 mit eigener projizierter GRV-Rente Keine Kinder

1 Kind

2 Kinder

3 und mehr Kinder

Westdeutschland Alleinstehende Frauen Zahl der projizierten Beteiligungen Projizierte GRV-Anwartschaft im 65. Lebensjahr (DM) 3) Projiziertes persönliches Netto-Alterseinkommen (DM) 4)

2,1 1.820 2.440

2,0 1.295 1.876

1,8 1.149 1.809

1,7 918 1.478

Verheiratete Frauen Zahl der projizierten Beteiligungen Projizierte GRV-Anwartschaft im 65. Lebensjahr (DM) 3) Projiziertes persönliches Netto-Alterseinkommen (DM) 4)

1,9 1.503 1.806

1,7 971 1.156

1,6 788 968

1,5 669 807

Ehepaare5) Zahl der projizierten Beteiligungen Summe der projizierten GRV-Anwartschaft beider Ehepartner (DM) 4) Summe des projizierten Netto-Alterseinkommens beider Ehepartner (DM) 5)

4,0

4,0

3,8

3,6

3.282

2.955

2.763

2.490

4.332

3.935

3.800

3.261

Ostdeutschland Alleinstehende Frauen Zahl der projizierten Beteiligungen Projizierte GRV-Anwartschaft im 65. Lebensjahr (DM) 3) Projiziertes persönliches Netto-Alterseinkommen (DM) 4)

1,6 1.210 1.396

1,7 1.220 1.795

1,9 1.155 1.487

1,8 1.001 1.316

Verheiratete Frauen Zahl der projizierten Beteiligungen Projizierte GRV-Anwartschaft im 65. Lebensjahr (DM) 3) Projiziertes persönliches Netto-Alterseinkommen (DM) 4)

1,7 1.160 1.310

1,8 1.124 1.280

1,9 1.119 1.310

1,6 1.041 1.162

3,6

3,6

3,7

3,4

2.345

2.560

2.555

2.396

2.776

2.973

3.029

2.822

Ehepaare5) Zahl der projizierten Beteiligungen Summe der projizierten GRV-Anwartschaft beider Ehepartner (DM) 4) Summe des projizierten Netto-Alterseinkommens beider Ehepartner (DM) 5)

Anmerkungen: 1) Einbezogene Systeme: GRV, BAV, ZÖD, BV, AdL, BSV und PV (LV/PRV); 2) Familienstand gemäß der Situation im Jahr 1996; 3) Zahlbetrag vor Einkommenssteuer und nach Abzug des Eigenanteils zur Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner; 4) Zahlbetrag nach Abzug der Einkommenssteuer und des Eigenanteils zur Kranken- und Pflegeversicherung; 5) Ehemann der Geburtskohorten 19361955 mir projizierter Anwartschaft auf Versichertenrente der GRV Quelle : Altersvorsorge in Deutschland 1996 (AVID 1996)

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

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terschiedlichen Muster der Erwerbsbeteiligung, aber auch an dem vergleichsweise viel geringeren Unterschied hinsichtlich der Höhe der Entlohnung. Dieses Ergebnis findet sich auch in den Befunden zum gesamten Nettoalterseinkommen (Tabelle 7), bei dem neben der gesetzlichen Rente auch Betriebsrenten und private Vorsorgen berücksichtigt werden. Dabei muss hervorgehoben werden, dass es sich bei den vorgestellten Beträgen um Werte des Jahres 1996 handelt, dem Bezugsjahr der AVID 1996. In den alten Ländern besteht ein inverser Zusammenhang zwischen der Zahl der Kinder und der Anzahl der Beteiligungen an Alterssicherungssystemen sowie der Höhe der GRV-Anwartschaften. Sowohl bei allein stehenden Frauen als auch bei verheirateten Frauen sinken das projizierte Renteneinkommen und das persönliche Nettoalterseinkommen in Abhängigkeit von der Kinderzahl. Dies zeigt auch Auswirkungen auf die Situation im Ehepaarbezug. Auf Ebene der Netto-Alterseinkommen verstärken sich diese Unterschiede, da kinderlose Frauen bzw. Ehepaare eher in der Lage waren und sind, (größere) finanzielle Mittel für zusätzliche Altersvorsorge aufzubringen. So erreichen Ehepaare ohne Kinder ein deutlich höheres Alterseinkommen als Kinderreiche. Für die neuen Bundesländer lässt sich ein solch eindeutiger Zusammenhang nicht nachvollziehen, eher besteht eine gegenteilige Tendenz. Auch auf der individuellen Ebene erreichen Frauen mit Kindern kein geringeres persönliches Netto-Alterseinkommen, im Gegenteil erzielen Frauen mit Kindern sogar höhere Werte.

7

Fazit

Bei den Geburtsjahrgängen 1928 bis 1938 zeigte sich, dass die durchschnittlich gesunkene Kinderzahl pro Frau nicht auf Kinderlosigkeit, sondern auf einen sinkenden Anteil von Frauen mit vier und mehr Kindern zurückging. Obwohl die Untererfassung der Kinderlosigkeit in den Daten der gesetzlichen Rentenversicherung nicht ausgeschlossen werden kann, weil nicht-abhängig erwerbstätige Frauen ohne Kinder in den Daten der Rentenversicherung nicht auftauchen, ist der Anteil der Kinderlosigkeit in den Jahrgängen von 1928 bis 1935 nicht unerheblich. Kinderlosigkeit ist insofern kein neues Phänomen. Beachtenswert ist, dass in Ostdeutschland die Anzahl der Frauen mit vier und mehr Kindern nicht vergleichbar zurückging wie in Westdeutschland, weshalb auch die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau höher ausfiel. Dabei zeigt die Untersuchung der Zeiten und durchschnittlichen Einkommen aus versicherungspflichtiger Be-

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Michael Stegmann und Tatjana Mika

schäftigung, dass in der DDR die Einbußen in der Erwerbskarriere bei Frauen mit mehreren Kindern geringer ausfielen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kinder bei den meisten Müttern der untersuchten Geburtskohorten zu einem zumindest zeitweiligen Ausstieg aus dem Erwerbsleben führen. Je mehr Kinder eine Frau hat, desto eher ist dies der Fall und umso länger ist die Dauer der Kinderpause bzw. die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem dauerhaften Ausstieg kommt. Diese Befunde zeigen sich vor allem in Westdeutschland, in Ostdeutschland treten sie nur deutlich abgemildert hervor. Dort gelang auch kinderreichen Frauen zu einem hohen Anteil ein beruflicher Wiedereinstieg. Als weiteres Ergebnis lässt sich festhalten, dass im Zusammenhang mit der Kindererziehung das durchschnittlich erzielte Einkommen der berufstätigen Mütter hinter dem der kinderlosen Frauen zurückbleibt, und zwar umso stärker, je mehr Kinder die Frauen haben. In Westdeutschland wird dieser durchschnittliche Abstand langfristig nicht wieder aufgeholt. Ein Grund dafür ist, dass Teilzeitarbeit als Arrangement zwischen Beruf und Familie eine große und nach wie vor wachsende Rolle spielt. In Ostdeutschland ist der Einkommensunterschied für die betrachteten Jahrgänge nur auf den Zeitraum der Kindererziehung bezogen und es kommt relativ schnell wieder zu einer Angleichung der Verhältnisse. Allerdings zeigt sich auch eine Annäherung zwischen West und Ost, weil Teilzeitbeschäftigung auch im Osten eine wachsende Rolle spielt, wenngleich hier auch Zwänge des Arbeitsmarktes nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Die kinderspezifischen Erwerbsmuster schlagen sich in den alten Bundesländern deutlich in den Anwartschaften auf die GRV-Rente nieder und können auch durch besondere Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung, insbesondere kinderbezogene Leistungen, nicht ausgeglichen werden. Auch bezogen auf das Gesamtalterseinkommen erreichen Frauen mit Kindern bzw. Ehepaare mit Kindern ein geringeres Niveau als Kinderlose. Dies wird umso deutlicher, je mehr Kinder vorhanden sind. In den neuen Bundesländern ergibt sich kein kinderbezogener Nachteil in der GRV-Rente und im Alterseinkommen insgesamt, im Gegenteil kommt es im Vergleich zu Kinderlosen zu höheren Beträgen bei Frauen mit einem oder zwei Kindern. Die durch das Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG) geschaffene Höherbewertung von Beschäftigungszeiten während Kindererziehung bzw. von Zeiten der Erziehung mehrerer Kinder, die sich an der Rente für Mindesteinkommen orientiert, greift somit bei den Frauen in den alten Bundesländern in eine Phase ein, in der bei vielen Kinder erziehenden Frauen, insbesondere mit mehr als einem Kind, ein Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit zu verzeichnen ist.

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

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Durch diese Regelung wird einerseits der bisherige durchschnittliche Versicherungsverlauf von Frauen mit Kindern aufgewertet, andererseits könnte hierin ein Anreiz für zunehmende (Teilzeit-)Erwerbsarbeit während der Phase der Kinderziehung gesetzt werden, was im weiteren Verlauf auch die Erwerbsbeteilung positiv beeinflussen und Effekte auf die Anwartschaften im zweiten Abschnitt der Biographie nach der Kindererziehung mit sich bringen könnte. Inwiefern diese Maßnahme im Rahmen der Rentenversicherung tatsächlich in der Lage ist, zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen beizutragen, muss an dieser Stelle offen bleiben. Die betriebliche und private Vorsorge spielt bei den betrachteten Geburtsjahrgängen in Westdeutschland eine deutlich größere Rolle als in Ostdeutschland. Dabei zeigt sich, dass es hier ebenfalls zu deutlichen Einflüssen der Kindererziehung kommt. Im Ehepaarkontext ergibt sich in der Folge ein deutlich niedrigeres durchschnittliches projiziertes Gesamtalterseinkommen von kinderreichen Ehepaaren im Vergleich zu Kinderlosen. Auch hier wird die Notwendigkeit deutlich, besonders bei Frauen mit mehreren Kindern die zusätzliche Vorsorge zu unterstützen. Als wesentliches Ergebnis lässt sich festhalten, dass die durch Kinder stark beeinflusste Erwerbsbeteiligung und auch die Entlohnung in den Phasen vor, während und nach der Kindererziehung deutliche Auswirkungen auf das Alterseinkommen der Mütter zeigen. Dies wird durch kinderbezogene Leistungen der grundsätzlich nach den Löhnen und dem Äquivalenzprinzip ausgerichteten gesetzlichen Rentenversicherung zwar gemildert, jedoch nicht gänzlich ausgeglichen. Ferner bestätigen die vorgelegten Analysen wiederum, dass Teilzeitbeschäftigung eine wichtige Rolle im Erwerbsleben von Müttern spielt. Dabei gibt es zwischen den Frauen in den alten Bundesländern und denen in den neuen Bundesländern deutliche Unterschiede. Insgesamt wird erkennbar, dass zur Gleichstellung von Erziehungspersonen und Nichterziehenden eine Teilhabe am Arbeitsleben unverzichtbar ist.

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Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

239

Anhang Interpretation der Ergebnisse der Studie AVID ’96 Die Ergebnisse der Studie beruhen auf Daten aus den GRV-Versicherungskonten, auf Befragungsdaten, auf Fortschreibungsrechnungen zur Vervollständigung der Versicherungsbiographien und auf den Programmen zur Berechnung von Anwartschaften. Ziel ist es, das Alterseinkommen im 65. Lebensjahr abzubilden. Hierzu sind entsprechende Annahmen und Rahmenbedingungen erforderlich, die hier dokumentiert sind. Bei der inhaltlichen Interpretation der vorgelegten Ergebnisse zur Art und Höhe projizierter Alterseinkommen der (1996) 40- bis unter 60-jährigen GRV-Versicherten sind diese Bedingungen zwingend zu berücksichtigen. • Grundsätzlich wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen des Jahres 1996 angenommen. Die Berechnung der Anwartschaften auf GRV-Versichertenrenten erfolgte mit dem Rechtsstand 2. Halbjahr 1996, unter zusätzlicher Berücksichtigung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes und der Neuregelungen gemäß Rentenreformgesetz 1999, soweit sie für die Untersuchung relevant sind (Erweiterung der Anerkennung von Kindererziehung, Renten wegen Erwerbsminderung mit Abschlägen). Übergangsregelungen wurden nicht berücksichtigt. Die im Rentenreformgesetz 1999 vorgesehene und derzeit ausgesetzte Senkung des Rentenniveaus wurde ebenfalls nicht berücksichtigt. Eine zukünftige Angleichung der aktuellen Rentenwerte von Ost- und Westdeutschland wurde nicht einbezogen. • Sofern gesetzliche Grundlagen erst seit kurzem geändert wurden und sich bisher nicht abschätzen lässt, ob und, wenn ja, welche Verhaltensänderungen daraus langfristig resultieren, wurde ein künftig unverändertes Verhalten unterstellt. Dies betrifft insbesondere die rentenrechtliche Anrechnung von Pflegezeiten und die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege durch Angehörige seit dem 1. April 1995. Ebenfalls nicht berücksichtigt sind mögliche Auswirkungen auf Grund der Inanspruchnahme von Altersteilzeit. • Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie die für Entscheidungen der GRV-Versicherten und anderer Akteure relevanten gesetzlichen Grundlagen bleiben gegenüber 1996 unverändert. • Für den gesamten Fortschreibungszeitraum werden alle monetären Größen in Werten des Jahres 1996 ausgewiesen. Soweit sie sich im Laufe dieses Referenzjahres geändert haben, beruhen sie auf dem Stand im 2. Halbjahr.

240









Michael Stegmann und Tatjana Mika

Die den Berechnungen zu Grunde liegenden aktuellen Rentenwerte belaufen sich somit auf 46,67 DM für die alten und 38,38 DM für die neuen Länder. Ein Anpassungsprozess, der bei unterschiedlicher Dynamisierung in Ost und West zu einer Angleichung der Werte für Ost und West im Untersuchungszeitraum führen würde, erfolgt nicht. Dies bedeutet zum Beispiel, dass die sich aus einem Wandel der Biographien oder deren rentenrechtlicher Bewertung ergebenden Veränderungen in der Erhebung abgebildet sind. Dagegen sind z. B. die Ergebnisse erwarteter allgemeiner Rentenerhöhungen oder andere zukünftige Rechtsänderungen nicht einbezogen. Das Fortschreibungsmodell simuliert die Erwerbs- und Nichterwerbsverläufe bei Männern wie Frauen bis zum jeweiligen 65. Lebensjahr. Einbezogen werden Ereignisse, die außerhalb der Entscheidungsfreiheit der GRV-Versicherten liegen, wie z. B. (Alters-)Arbeitslosigkeit und länger andauernde Krankheiten nach Auslaufen der Lohnfortzahlung. Ebenfalls berücksichtigt werden individuelle Entscheidungen zur Unterbrechung oder Beendigung der Erwerbstätigkeit, etwa zur Haushaltsführung oder Pflege von Angehörigen, die nicht zu einem gleichzeitigen Bezug von Alterseinkommen führen. Datengrundlage für die Schätzung der künftigen Entwicklung ist in der Regel die Situation in den Jahren 1992 bis 1996. Übergänge in den Ruhestand vor oder nach Vollendung des 65. Lebensjahrs aus eigener Entscheidung (und die damit verbundenen Ab- oder Zuschläge) wurden nicht simuliert. Rentenzugänge finden nur mit dem 65. Lebensjahr statt. Lediglich im Fall von Erwerbsunfähigkeit werden frühere Rentenzugänge simuliert und nach dem Rentenreformgesetz 1999 bewertet. Das Simulationsmodell berücksichtigt keine soziodemographischen Prozesse, da eine Einbeziehung dieser Tatbestände die für eine Vergleichbarkeit von Ergebnissen unterschiedlicher Geburtskohorten notwendige Normierung aller 1996 Befragten auf den fiktiven Rentenzugang zum 65. Lebensjahr erschweren würde. So beruht z. B. der ausgewiesene Familienstand auf der Situation im Basisjahr 1996, es werden keine Geburten, Sterbefälle und Scheidungen simuliert. Die ausgewiesenen DM-Beträge sind durchschnittliche projizierte Größen für die jeweils dargestellte Bevölkerungsgruppe, in der Regel DM/Monat je Bezieher zum vollendeten 65. Lebensjahr in Werten von 1996. Sie können nicht als Querschnittsdaten für ein bestimmtes kalendarisches Jahr interpretiert werden. Aufgrund dieser Restriktionen sind die sich aus den Modellrechnungen ergebenden projizierten Werte für die Höhe von Anwartschaften auf spätere

Kinderlosigkeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen

241

Versichertenrenten der GRV nicht unmittelbar mit den in der Rentenstatistik nachgewiesenen Beträgen für Zugangs- oder Bestandsrenten zu vergleichen. • Die ausgewiesenen Anteile, DM-Beträge und anderen Größen beruhen auf einer Stichprobe und – soweit sie künftige Jahre betreffen – auf dem von Infratest entwickelten Fortschreibungsmodell. Sie unterliegen den solchen Verfahren immanenten statistischen Fehlern, die sich im Einzelfall nicht genau spezifizieren lassen. Kleinere Unterschiede zwischen einzelnen Werten sind daher als ‚keine wesentliche Änderung’ zu interpretieren. Desgleichen sind DM-Beträge Näherungswerte. Die Ergebnisse repräsentieren die Effekte der projizierten Veränderungen in den (Erwerbs-)Biographien und die rentenrechtliche Bewertung dieser Biographien mit dem geltenden Rentenrecht. Zukünftige Rechtsänderungen, zukünftige Rentenerhöhungen und Angleichungen der aktuellen Rentenwerte werden hier nicht abgebildet.

Kinderwunsch und Familienorientierung von Männern und Frauen

Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle Jan H. Marbach und Angelika Tölke

1

Einleitung

Der Mangel an Kindern in vielen modernen Gesellschaften wird häufig damit begründet, dass Kinder für die Existenzsicherung der Eltern nicht mehr notwendig seien, sondern überwiegend gewünscht würden, um das Leben der Eltern zu bereichern. Wenn die Aufwendungen für Kinder in Gestalt direkter Kosten und Opportunitätskosten sehr hoch sind und auch in anderen Lebensbereichen Benachteiligungen befürchtet werden, dann werden nur wenige Kinder geboren (Bertram 2005: 4). Ökonomisch begründete Strategien der Familienpolitik zur Erhöhung der Geburtenzahl setzen auf die Senkung der Opportunitätskosten für Kinder durch eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie für Frauen, z. B. durch den Ausbau der Infrastruktur für Kinder, verlängerte Öffnungszeiten und flexiblere Arbeitszeitmodelle. Bei dieser Sicht bleiben kulturelle, emotionale und moralische Einstellungen potenzieller Eltern außer Acht (Rürup und Gruescu 2003: 51). Außerdem wird häufig angenommen, der Geburtenrückgang sei vornehmlich durch Kinderlosigkeit verursacht, und nicht etwa durch das Verschwinden der Mehrkinderfamilie. Des Weiteren wird unterstellt, Kinderwünsche seien eine anthropologische Konstante und die Gründe, die Eltern an der Realisierung ihrer Kinderwünsche hindern, würden von allen Eltern in ähnlicher Weise wahrgenommen. Sollte sich aber zeigen, dass Kinderwünsche sich aus anderen und stärker individuellen Quellen speisen, dann stieße eine Strategie, die ausschließlich auf die Senkung von Opportunitätskosten setzt, ins Leere. Unberücksichtigt blieben die Präferenzen und Einstellungen derjenigen Generation, die vor der Frage steht, ob sie eine Familie gründen soll oder nicht. Gegenstand unseres Beitrags sind Präferenzen im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die wir als Lebensorientierung bezeichnen. Wir greifen dabei auf das Modell der ‚lifestyle preferences’ von Hakim (2003) zurück. Untersucht werden zum einen die Lebensorientierungen von Männern und Frauen und deren Wandel. Haben Lebensorientierungen Einfluss auf generative

246

Jan H. Marbach und Angelika Tölke

Wünsche, also den Kinderwunsch und die Familiengröße? Bei der Prüfung der Bedeutung der Lebensorientierungen für den Kinderwunsch vergleichen wir das Modell der ‚lifestyle preferences’ mit dem theoretischen Erklärungsansatz der ‚Values of Children’ (Kagitcibasi und Esmer 1980). Wovon werden zum anderen Lebensorientierungen selbst beeinflusst? Bei dieser Frage konzentrieren wir uns auf die Präferenzen zum Arrangement von Beruf und Familie bei Männern in Westdeutschland. Hier beschränkte sich die bisherige Diskussion fast ausschließlich auf Frauen. Die Einstellungen westdeutscher Männer zur Verknüpfung von Familie und Erwerbstätigkeit erfahren erst in neuerer Zeit Aufmerksamkeit (Fthenakis 1999; Bosse und King 2000; Walter 2002; Zulehner 2003; vgl. auch den Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung 2005). Wir gehen davon aus, dass die Lebensorientierungen der Männer im Osten vor dem Hintergrund der Verhältnisse in der DDR eine andere Bedeutung haben als im Westen und deshalb einer separaten Analyse bedürften. Aufgrund der stark ausgebauten Infrastruktur der Kinderbetreuung war in der DDR eine Vollzeiterwerbstätigkeit von Vätern und Müttern politisch gewünscht und ohne große Probleme lebbar. Da auch in den neuen Bundesländern die institutionelle Kinderbetreuung stärker ausgebaut ist als in den alten (BMFSFJ und Statistisches Landesamt Baden Württemberg 2005: 16ff.), besteht die Grundlage für eine andersartige Lebensorientierung von (potenziellen) Vätern und Müttern fort. In einem ersten Schritt beschreiben wir das Modell der ‚lifestyle preferences’ und das ‚Values of Children’-Konzept. Die Operationalisierung der theoretischen Ansätze für unsere Fragestellung stellen wir auf der Basis der von uns verwendeten Datensätze des Familiensurvey vor. In einem zweiten Schritt untersuchen wir den Wandel der Wünsche zu Elternschaft und Familiengröße sowohl deskriptiv als auch mit multivariaten Analyseverfahren. Diese Analysen werden für Frauen und Männer sowie vergleichend für die neuen und alten Bundesländer mit den Daten der drei Erhebungen des Familiensurveys des Deutschen Jugendinstituts durchgeführt. Die Lebensorientierung, wie die Rolle als Vater mit der Erwerbsarbeit verknüpft werden sollte, schließt sich aus der Sicht von westdeutschen Männern in einem dritten Schritt an.

Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle

2

247

Fragestellung, bisherige Befunde und Operationalisierungen

Im Folgenden werden die beiden theoretischen Modelle der ‚lifestyle preferences’ und des ‚Values of Children’-Ansatzes zur Erklärung von Kinderwünschen näher betrachtet. Beide Modelle nehmen individuelle Entscheidungssituationen im Vorfeld einer möglichen Familiengründung oder -erweiterung in den Blick. Die Modelle unterscheiden sich in der Art ihrer Fokussierung auf Elternschaft. Das Konzept der Lebensorientierung beschreibt grundlegende Präferenzen realer und potenzieller Eltern im Spannungsfeld zwischen Erwerbstätigkeit und Familie. Zu politischer Relevanz gelangte das Modell in einem von Bertram (2005) für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erarbeiteten Gutachten über ‚Nachhaltige Familienpolitik’ im Vorfeld des 7. Familienberichts (2005). Im Zentrum der Argumentation steht eine auf die Wünsche potenzieller und realer Eltern, insbesondere Frauen ausgerichtete Familienpolitik. Das Konzept der Lebensorientierung beruht auf Untersuchungen der Demographin Catherine Hakim (2003) von der London School of Economics. In einem Ländervergleich zwischen England, Deutschland und Spanien stellte die Autorin einen Zusammenhang zwischen der Geburtenentwicklung und grundlegenden Präferenzen zu Familie und Beruf fest. Während sich bei Männern eine dominante und über Zeit stabile Berufsorientierung zeigt, ist die Mehrheit der Frauen in Hakims Ländervergleich adaptiv orientiert. Sie unterscheidet drei Präferenzprofile: x

Dominante Berufsorientierung bzw. genauer: Eine Orientierung, die Elternschaft und Familie nicht die oberste Priorität einräumt

x

Dominante Orientierung an Familie und Haushalt

x

Eine als ‚adaptiv’ bezeichnete Orientierung, die eine Kombination der Vorteile von Familie und Berufsarbeit und damit eine Balance zwischen beiden Lebensbereiche anstrebt. Das Konzept der ‚Values of Children’ (VOC) rückt den Wert von (möglichen) Kindern für ihre Eltern in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die grundlegenden Gedanken des Konzepts sind schon in den frühen 1980er Jahren formuliert worden (Kagitcibasi und Esmer 1980, Hoffmann und Manis 1982). Kagitcibasi und Esmer (1980) unterscheiden drei Dimensionen elterlicher Nutzenerwartungen an ihre Kinder: x

Ökonomischer Nutzen: Mithilfe im Haushalt, Unterstützung im Alter

x

Psychischer Nutzen: Stärkung der Partnerbeziehung, expressive Stimulation

x

Sozial-normativer Nutzen: Sozialer Status, Erhalt des Familiennamens.

248

Jan H. Marbach und Angelika Tölke

Spätere VOC-Studien (Hoffmann 1987; Nauck 1988, 2001, 2005; Klein und Eckhard 2004) haben gezeigt, dass ökonomische Nutzenerwartungen in Eltern den Wunsch nach vielen Kindern wecken, psychische Nutzenerwartungen dagegen nach wenigen Kindern. Im Fall ökonomischer Nutzenerwartungen wünschen sich Eltern eher Söhne, weil diese später mit größerer Wahrscheinlichkeit erwerbstätig sind und mehr verdienen als Töchter. Im Fall psychischer Nutzenerwartungen gibt es eine leichte Präferenz für Mädchen, weil sie eher als Jungen dazu neigen, Familienbeziehungen aufrecht zu erhalten und daher eine zuverlässigere Quelle psychischen Nutzens sind. Je höher die Bildung einer Frau, desto mehr dominieren psychische über ökonomische Nutzenerwartungen. Die Nutzenerwartungen an Kinder werden darüber hinaus vom sozioökonomischen Kontext beeinflusst. Zum Beispiel senkt das Verbot von Kinderarbeit oder das Vorhandensein eines Rentenversicherungssystems ökonomische Nutzenerwartungen. Eine fehlende oder rudimentäre Infrastruktur für die Kinderbetreuung steigert die psychischen Kosten von Kindern, weil ihre Eltern in der Kindererziehung und -betreuung weniger entlastet werden. Schließlich variieren Nutzenerwartungen an Kinder mit individuellen Alternativen der Eltern. Eine hoch entwickelte Haushaltstechnik etwa mindert die Erwartungen von Eltern an die Mitarbeit der Kinder und damit ihren ökonomischen Nutzen.

2.1

Datengrundlage und Analyseverfahren

Die folgenden Analysen stützen sich auf drei Erhebungen des vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderten und vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) durchgeführten Familiensurveys. Die erste Erhebung konnte auf Grund der politischen Rahmenbedingungen in den alten und neuen Bundesländern nur zeitversetzt – 1988 in den alten, 1990 in den neuen Bundesländern – durchgeführt werden. Die Grundgesamtheit bildeten jeweils 18- bis 55-Jährige mit deutscher Staatsangehörigkeit. Die Zufallsstichprobe in den alten Bundesländern umfasst 10.043, in den neuen Bundesländern 1.951 Personen. Die zweite Erhebung von 1994 besteht in den alten Bundesländern aus einer Panelbefragung (n=4.997) von 24- bis 61-Jährigen sowie aus einer Zufallsstichprobe 18- bis 30-jähriger Deutscher (n=2.002). In den neuen Bundesländern wurde eine Zufallsstichprobe 18- bis 55-Jähriger mit deutscher Staatszugehörigkeit neu gezogen und befragt (n=3.995). Die dritte Erhebung aus dem Jahr 2000 umfasst eine weitere Panelwelle mit 30- bis 67-jährigen Deutschen (n=2.002) und einen replikativen Survey, der wie die früheren Befragun-

Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle

249

gen auf 18- bis 55-Jährige zugriff (n=8.091). Auf die alten Bundesländer entfielen 6.613, auf die neuen 1.478 Interviews. In diese Erhebung wurden auch deutschsprachige Ausländer aufgenommen. Für unsere Auswertungen verwenden wir in Fällen, in denen die abhängige Variable metrisch ist, Varianzanalysen (ANOVA) mit daran anschließender multipler Klassifikation (MCA). Varianzanalysen dienen der Prüfung, ob Mittelwertsunterschiede der Zielvariablen in Teilstichproben statistisch bedeutsam sind oder nicht (F-Statistik). Die multiple Klassifikation beziffert die Effekte, welche die Ausprägungen der unabhängigen Variablen jeweils auf die Zielvariable ausüben. Logistische Regressionen verwenden wir in den Analysen, in denen die Zielvariable nur zwei Ausprägungen hat. Bei diesem Verfahren lassen sich die Effekte der unabhängigen Variablen auf die Zielvariable nicht deterministisch bestimmen, sondern nur als ceteris-paribus-Wahrscheinlichkeiten angeben, dass die Zielvariable eine ihrer beiden Ausprägungen annimmt. Da die Koeffizienten multiplikativ wirken, sind die Effekte umso geringer, je näher sie bei 1 liegen. Exponentialkoeffizienten größer als 1 bedeuten, dass sich bei einer Zunahme der unabhängigen Variablen um eine Einheit gegenüber der Referenzkategorie die Wahrscheinlichkeit für die Zielvariable, zum Beispiel ein ‚aktiver Vater’ sein zu wollen, erhöht. Werte kleiner als 1 bedeuten eine Verringerung des Effekts.

2.2

Operationalisierung des Kinderwunsches

In allen drei Erhebungen des Familiensurveys wurden Kinderwünsche im Wesentlichen auf zweierlei Weise erhoben. Zum einen wurden Mütter und Väter von eigenen, Stief-, Pflege-, Adoptiv- oder Partnerkindern nach der Zahl der vorhandenen Kinder (inklusive der nicht mehr im Haushalt lebenden und gestorbenen) sowie nach der gewünschten Zahl von Kindern1 gefragt. Zum anderen wurden kinderlose Frauen und Männer gefragt, ob sie Kinder haben möchten oder nicht; wenn ja, wurde die gewünschte Anzahl erfragt. Zwischen den Erhebungszeitpunkten traten in den Frageformulierungen und in der Filterführung nach dem Alter der befragten Frauen geringfügige Veränderungen auf. So wurden in der ersten und zweiten Erhebung Frauen ohne jede Altersbegrenzung nach ihrem Kinderwunsch und der Anzahl der gewünschten Kinder gefragt, in

1

Die Frage lautete: „Wie viele Kinder möchten Sie insgesamt bzw. hätten Sie insgesamt gewollt?“

250

Jan H. Marbach und Angelika Tölke

der dritten Surveyerhebung dagegen wurden diese Fragen nur Frauen bis zum Alter von 45 Jahren gestellt. 2.3

Operationalisierung der Lebensorientierung

Grundlage für die Konstruktion eines Modells zur Lebensorientierung, das sich an der Systematik von Hakim (2003) orientiert, waren Aussagen der Befragten zur ‚richtigen Lösung’ zur Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern in ausgewählten partnerschaftlichen und familialen Lebenssituationen.2 In den Analysen wurde zwischen folgenden privaten Lebenssituationen unterschieden: ‚In einer Partnerschaft (einschließlich Ehe) lebend’ sowie ‚Mindestens ein Kind im Haushalt’, wobei nach dem Alter des jüngsten Kindes (unter 3 Jahre, im Kindergartenalter, geht zur Schule) differenziert wurde. Die Items sind nach dem Grad der Bereitschaft, für eine Partnerschaft bzw. für ein Kind die Berufsarbeit zeitlich einzuschränken, den drei Lebensorientierungen ‚berufsorientiert’, ‚familienorientiert’ und ‚adaptiv’ zugeordnet (Tabelle 1). Aus der Gesamtschau der von einer befragten Person gegebenen Antworten wurde anschließend die am häufigsten aufgetretene Präferenz als persönliche Lebensorientierung zugewiesen. Ergab sich bei der Beantwortung der Items eine Gleichverteilung für zwei Lebensorientierungen, wurde diejenige gewählt, die beim jeweiligen Geschlecht weniger traditionell ist. So wurde zum Beispiel ein Mann bei zwei berufsorientierten und zwei adaptiven Antworten als adaptiv eingestuft. Bei dem Begriff der Lebensorientierung handelt es sich somit um ein Konstrukt und nicht um eine von den Personen direkt erfragte Einstellung.

2

Die Frage lautete: „Wie ist Ihre Meinung zur Berufstätigkeit in einer Partnerschaft bzw. Ehe? Auf dieser Liste stehen verschiedene Möglichkeiten. Welche halten Sie persönlich für die richtige Lösung?“ Diese Frage wurde für unterschiedliche Lebenssituationen gestellt. Die Antwortvorgaben stehen in Tabelle 1 unter ‚Erwerbskonstellationen’.

251

Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle

Tabelle 1: Persönlich für wünschenswert gehaltene Erwerbskonstellation in ausgewählten privaten Lebenssituationen und ihre Zuordnung zu einer der drei Lebensorientierungen Private Lebenssituation In Partnerschaft/ Ehe ohne Kinder

Kind unter 3

im Kindergartenalter

Kind geht zur Schule

Beide Vollzeit

Mann B Frau B

Mann B Frau B

Mann B Frau B

Mann B Frau B

Beide berufstätig – Frau Teilzeit

Mann B Frau A

Mann B Frau A

Mann B Frau A

Mann B Frau A

Beide berufstätig – Mann Teilzeit

Mann A Frau B

Mann A Frau B

Mann A Frau B

Mann A Frau B

Beide berufstätig – eine/r TZ, offen wer

Mann A Frau A

Mann A Frau A

Mann A Frau A

Mann A Frau A

Beide Teilzeit

Mann A Frau A

Mann A Frau A

Mann A Frau A

Mann A Frau A

Frau nicht berufstätig

Mann B Frau F

Mann B Frau F

Mann B Frau F

Mann B Frau F

Mann nicht berufstätig

Mann F Frau B

Mann F Frau B

Mann F Frau B

Mann F Frau B

Eine/r nicht berufstätig – offen wer

Mann A Frau A

Mann A Frau A

Mann A Frau A

Mann A Frau A

Erwerbskonstellation

Anmerkungen: A: adaptiv; B: berufsorientiert; F: familienorientiert Quelle: eigene Darstellung

2.4

Operationalisierung der ‚Values of Children’

Die Aussagen zur Bewertung von Kindern durch Eltern und Kinderlose wurden wie folgt den unterschiedlichen Nutzenkategorien zugeordnet. Um den psychologischen Nutzen von Kinder abzubilden, wurde das Item ‚Kinder im Haushalt zu haben und aufwachsen zu sehen, macht Spaß’ gewählt. Um den ökonomischen Nutzen von Kindern abzubilden, wurde das Item: ‚Kinder sind gut um jemanden zu haben, der einem im Alter hilft’, herangezogen. ‚Kinder sind eine finanzielle Belastung, die den Lebensstandard einschränkt’ wurde verwendet, um zu operationalisieren, inwiefern Kinder als Last wahrgenommen werden. Um abzubilden, inwiefern Kinder als Zwang für Frauen, sich zwischen Familie und

252

Jan H. Marbach und Angelika Tölke

Karriere zu entscheiden, wahrgenommen werden, haben wir das Item ‚Wenn Frauen berufliche Karriere machen wollen, sollten sie auf Kinder verzichten’ herangezogen. Um den sozial-normativen Nutzen von Kindern abzubilden, erschien uns keines der im Familiensurvey erhobenen Items sinnvoll.

3

Kinderwunsch und Kinderzahl

3.1

Deskriptionen

Betrachtet man die Lebensorientierungen von Frauen und Männern im Alter zwischen 18 und 45 Jahren über alle drei Erhebungen des Familiensurvey hinweg, dann bilden, wie nach Hakim (2003) zu erwarten, adaptiv orientierte Frauen die Mehrheit (Tabelle 2, oberer Abschnitt). Über die Hälfte der Frauen dieser Altersspanne in Ost- und Westdeutschland wollen sowohl Beruf als auch Familie leben und sind bereit, hierfür ihre Arbeitszeit einzuschränken. In den alten Bundesländern sind es anteilig noch etwas mehr Frauen als in den neuen Bundesländern (58,4 Prozent gegenüber 55,6 Prozent). Klare Ost-West-Unterschiede bei Frauen werden in den beiden anderen Orientierungsmustern sichtbar. Im Westen äußert sich gut ein Drittel der Frauen (34,2 Prozent) familienorientiert, im Osten liegt dieser Anteil nur bei 7,7 Prozent. Fast spiegelbildlich verhält es sich mit der Berufsorientierung. Im Westen sind es nur 7,4 Prozent aller Frauen, im Osten dagegen mehr als ein Drittel (36,7 Prozent). Bei den Männern zeigen sich keine Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern in der Familienorientierung, und sie spielt im Westen wie im Osten so gut wie keine Rolle. Erwartungsgemäß dominiert die Berufsorientierung bei Männern. Sie ist bei Männern in den neuen Bundesländern noch häufiger als in den alten Bundesländern (81 Prozent gegenüber 68,6 Prozent), während sich Männer im Westen mit 30,7 Prozent deutlich häufiger adaptiv äußern als im Osten (18,4 Prozent). Allerdings könnte die Berufsorientierung in Ostdeutschland vor dem Hintergrund der Verhältnisse in der DDR eine etwas andere Bedeutung als im Westen haben. Der untere Abschnitt der Tabelle 2 beschreibt die Veränderungen der Lebensorientierungen 18- bis unter 45-jähriger Frauen und Männer über die drei Erhebungszeitpunkte. Während die Berufsorientierung westdeutscher Frauen über die Erhebungen des Familiensurveys konstant niedrig bei Werten unter 10 Prozent bleibt, offenbaren die beiden anderen Orientierungen deutliche Verschiebungen. Der Anteil adaptiv orientierter Frauen in den alten Bundesländern

253

Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle

Tabelle 2: Lebensorientierung 18- bis unter 45-jähriger deutscher Frauen und Männer in den alten und neuen Bundesländern (Zeilenprozente) Berufsorientiert

Adaptiv

Familienorientiert

n

Alte Bundesländer Frauen

7,4

58,4

34,2

9.487

Männer

68,6

30,7

0,7

7.928

Frauen

36,7

55,6

7,7

3.415

Männer

81,0

18,4

0,5

2.588

1988

7,3

52,8

40,0

4.505

1994

8,0

60,3

31,7

2.254

2000

7,3

65,9

26,8

2.728

1988

71,7

27,5

0,8

3.866

1994

62,9

36,1

1,0

1.833

2000

68,1

31,6

0,3

2.179

1990

34,9

60,4

4,7

859

1994

35,6

55,0

9,4

1.883

2000

42,3

51,0

6,7

673

Neue Bundesländer

Frauen, alte Bundesländer

Männer, alte Bundesländer

Frauen, neue Bundesländer

Männer, neue Bundesländer 1990

83,4

16,4

0,1

754

1994

79,0

20,5

0,6

1261

2000

82,4

16,6

1,0

573

Quelle: DJI-Familiensurvey – 3 Wellen, eigene Berechnungen

wächst im Beobachtungszeitraum von gut der Hälfte der Frauen (52,8 Prozent) auf zwei Drittel (65,9 Prozent). Im gleichen Ausmaß fällt die Familienorientierung von zwei Fünftel (40 Prozent) auf ein gutes Viertel (26,8 Prozent) am Ende des Zeitraums. Die adaptive Orientierung überwiegt somit nicht nur bei den westdeutschen Frauen, sondern hat innerhalb eines Jahrzehnts zudem zuge-

254

Jan H. Marbach und Angelika Tölke

nommen. Das gilt aber nicht für die neuen Bundesländer. Hier sinkt der Anteil adaptiv orientierter Frauen stetig von 60,4 Prozent im Jahr 1990 auf 51 Prozent im Jahr 2000. Dagegen wächst der Anteil berufsorientierter Frauen im gleichen Zeitraum von 34,9 Prozent auf 42,3 Prozent. Ein Anstieg der Familienorientierung im Jahr 1994 auf einen Wert nahe 10 Prozent bleibt vorübergehend. Die immer schon starke Berufsorientierung ostdeutscher Frauen verfestigt sich also noch und mag den hohen Anteil junger Frauen unter den Abwanderern aus den neuen in die alten Bundesländer miterklären (Marbach 2003: 166). Die Verhältnisse bei den Männern lassen sich in der Weise zusammenfassen, dass sich ihre Lebensorientierung weder in den alten noch in den neuen Bundesländern in nennenswertem Umfang über die Zeit verschoben hat. Tabelle 3 beschreibt die Verteilung der ‚Values-of-Children’ (Nutzen von Kindern) und deren Wandel. Über die drei Erhebungszeitpunkte haben zwei VOC-Indikatoren leicht, aber stetig nachgelassen, nämlich ‚Kinder als Lebenssinn’ und ‚Kinder als Entscheidungszwang für Frauen’. Der Indikator ‚Kinder als Nutzen’ erreichte 1994 einen Scheitelpunkt, um danach noch unter das Niveau von 1988/90 zu fallen. Der Indikator ‚Kinder als Last’ stieg dagegen leicht und stetig über den Beobachtungszeitraum. Ansonsten überragt die Bewertung von ‚Kindern als Lebenssinn’ die drei anderen Indikatoren deutlich in der Höhe der Zustimmung. Geschlechtsspezifische Einflüsse treten in allen VOC-Indikatoren zu Tage. Frauen verbinden mit Kindern eher einen ‚Lebenssinn’ als Männer, empfinden sie aber auch häufiger als Zwang, sich zwischen Beruf und Familie entscheiden zu müssen. Dies war zu erwarten, weil die Aussage allen Befragten vorgelegt wurde, aber inhaltlich nur die Situation von Frauen anspricht. Männer betonen stärker als Frauen den ökonomischen ‚Nutzen’ von Kindern, betrachten sie aber auch häufiger als ‚Last’.3 Mit höherer Schulbildung sinkt die Neigung, Kinder als ‚Lebenssinn’, ‚Nutzen’ oder Zwang zur Entscheidung zwischen Beruf und Familie zu bewerten. Als ‚Last’ werden Kinder eher von Hauptschulabsolventen, aber auch von Befragten mit (Fach-)Hochschulreife bezeichnet, während Befragte mit Mittlerer Reife Kinder am wenigsten als ‚Last’ einstufen. Ostdeutsche verbinden mit Kindern häufiger als Westdeutsche einen ‚Lebenssinn’ oder eine ‚Quelle ökonomischen Nutzens’. Westdeutsche hingegen bewerten stärker als Ostdeutsche Kinder als ‚Last’ und als ‚Entscheidungszwang’ (vgl. Eckhard und Klein in diesem Band).

3

Die Rundungen in Tabelle 3 verdecken den Unterschied. Der mittlere Wert beträgt bei Männern 2,53, bei Frauen 2,46. Der Unterschied ist zwar gering, aber statistisch signifikant.

255

Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle

Tabelle 3: ‚Values of Children’ 18- bis unter 45-jähriger Deutscher: Kinder als Lebenssinn, Nutzen, Last oder Entscheidungszwang, Mittelwerte*) Lebenssinn

Nutzen

Last

Entscheidungszwang

n

Erhebungszeitpunkt 1988/90

3,8*

2,5*

2,4*

2,8*

10.148

1994

3,8*

2,7*

2,5*

2,6*

8.106

2000

3,7*

2,2*

2,5*

2,5*

7.829

Frauen

3,8*

2,4*

2,5*

2,7*

11.471

Männer

3,7*

2,5*

2,5*

2,6*

14.587

8.292

Geschlecht

Schulabschluss Hauptschule/8 Jahre

3,8*

2,6*

2,5*

2,8*

Mittlere Reife/10 Jahre

3,8*

2,5*

2,4*

2,6*

9.654

(Fach-)Hochschule

3,7*

2,3*

2,5*

2,4*

6.934

Region Alte Bundesländer

3,7*

2,4*

2,6*

2,7*

17.633

Neue Bundesländer

3,8*

2,8*

2,2*

2,4*

6.052

berufsorientiert

3,8*

2,6*

2,3*

2,3*

2.059

adaptiv

3,8*

2,4*

2,5*

2,6*

8.227

familienorientiert

3,8*

2,5*

2,5*

3,0*

3.848

Lebensorientierung í Frauen

Lebensorientierung í Männer berufsorientiert

3.7*

2,6*

2,5

2,7*

8.158

adaptiv

3.7*

2,4*

2,6

2,3*

3.173

familienorientiert

3.7*

2,7*

2,5

2,5*

77

Ja

3,8*

2,5*

2,4*

2,7*

21.559

Nein

3,6*

2,4*

2,6*

2,6*

10.015

Kinder vorhanden

*)

Anmerkungen: Mittelwerte aus 1: ‚stimme überhaupt nicht zu’ 2: ‚Stimme kaum zu’‚ 3: ‚Stimme überwiegend zu’, 4: ‚stimme voll und ganz zu’; Bivariate Mittelwertdifferenz (Spalten) signifikant auf 1%-Niveau Quelle: DJI-Familiensurvey – 3 Wellen, eigene Berechnungen

256

Jan H. Marbach und Angelika Tölke

Tabelle 3 gliedert die Bewertung von Kindern auch nach den Lebensorientierungen berufsorientiert, adaptiv und familienorientiert. Bei Frauen gibt es keinen nennenswerten Zusammenhang zwischen ihrer Lebensorientierung und der Bewertung von Kindern als ‚Lebenssinn’. Berufsorientierte, adaptive und familienorientierte Frauen schreiben Kindern somit in gleichem Umfang ‚Lebenssinn’ zu. Überraschend mag sein, dass berufsorientierte Frauen Kinder seltener als ‚Last’ bewerten als andere Frauen. Noch deutlicher ist der Abstand zwischen berufsorientierten und adaptiv- oder familienorientierten Frauen, wenn es um die Frage geht, ob Kinder einen Zwang darstellen, sich zwischen Beruf und Familie entscheiden zu müssen. Ein Grund hierfür könnte der hohe Anteil ostdeutscher Frauen unter den berufsorientierten Frauen sein. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der DDR stellten Vollzeiterwerbstätigkeit und Familie für sie keinen Widerspruch dar. Bei der Bewertung des ökonomischen ‚Nutzens’ von Kindern liegen dagegen berufs- und familienorientierte Frauen fast gleichauf, während adaptiv orientierte Frauen den Nutzen geringer einschätzen. Auch die Lebensorientierung von Männern hat keinen Einfluss auf die Zuschreibung von ‚Nutzen’ oder ‚Lebenssinn’ an Kinder. Im Unterschied zu Frauen hat die Lebensorientierung von Männern aber keinen Einfluss darauf, ob sie Kinder als ‚Last’ einstufen. Der auffälligste Unterschied zwischen den Geschlechtern zeigt sich bei der Wahrnehmung von Kindern als Zwang, sich zwischen Beruf und Familie entscheiden zu müssen. Da dieses VOC-Statement auf die Situation erwerbstätiger Mütter zugeschnitten ist und berufsorientierte Männer weniger als adaptive oder familienorientierte Männer bereit sind, ihren Partnerinnen diese Entscheidung zu ersparen, erscheint es plausibel, wenn berufsorientierte Männer den Entscheidungszwang auf Seiten ihrer Frauen deutlicher wahrnehmen. Bei familienorientierten Männern könnte umgekehrt die Bereitschaft, gegebenenfalls auf eigene Erwerbstätigkeit zu verzichten, die Sensibilität für die Entscheidungssituation ihrer Partnerinnen erhöhen. Im Vergleich zu Kinderlosen sehen Eltern in Kindern eher einen ‚Lebenssinn’, aber auch eher einen ökonomischen ‚Nutzen’. Eltern empfinden stärker den Zwang für Frauen, sich zwischen Beruf und Familie entscheiden zu müssen. Hingegen nehmen kinderlose Befragte Kinder häufiger als finanzielle ‚Last’ wahr.

3.2

Multivariate Analysen der Determinanten des Kinderwunsches

Ziel der folgenden Modellanalysen ist es zu prüfen, ob und in welchem Ausmaß sich ‚Lebensorientierung’ und ‚Values of Children’ in einem Kontext konkurrie-

Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle

257

render Erklärungsvariablen behaupten. Es wurden hierzu drei Modelle berechnet. Im Fall des binär erhobenen Kinderwunschs (ja/nein) handelt es sich um eine logistische Regression, bei der Zahl der gewünschten Kinder um Varianzanalysen (Tabelle 4). Letztere wurden getrennt für Kinderlose und Eltern gerechnet. Kontrollvariablen, die in alle drei Modelle einbezogen wurden, in diesem Beitrag aber nicht diskutiert werden, sind Geschlecht, Schulabschluss (drei Niveaus), Erwerbstätigkeit (ja/nein), Region (alte/neue Bundesländer), regelmäßige Teilnahme an Gottesdiensten (ja/nein), Erhebungszeitpunkt (1988/90, 1994, 2000) sowie ein Index für Sozialkapital im Sinne von Coleman (1988, 1990) und die Dauer der Berufssausbildung (Jahre). Die Variablen Altersgruppe (18 bis unter 25, 25 bis unter 35, 35 bis unter 45 Jahre), Gemeindegröße (Ballungsraum, Großstadt, mittlere Stadt, Kleinstadt, Land) und Kinderzahl wurden nicht in allen drei Modellen verwendet (siehe Tabelle 4). In Tabelle 4 (Modell 2 und Modell 3) sind für die Varianzanalyse nur die Nettoeffekte der beiden Haupterklärungsvariablen aufgeführt. Im Fall der logistischen Regression sind es unstandardisierte4 Exponentialkoeffizienten (Tabelle 5), bei den ANOVAS handelt es sich um die F-Statistiken. Die Erklärungskraft des jeweiligen Gesamtmodells wird in der logistischen Regression durch Nagelkerkes (Pseudo-)r2, bei den Varianzanalysen durch den klassischen Determinationskoeffizienten r2 wiedergegeben. Die Lebenseinstellung nach Hakim (2003) erweist sich weder in der logistischen Regression des Kinderwunsches von bislang Kinderlosen (Tabelle 4, Modell 1) noch in den Varianzanalysen der gewünschten Kinderzahl Kinderloser bzw. Eltern (Tabelle 4, Modell 2 und Modell 3) als statistisch bedeutsam. Frauen und Männer haben demzufolge trotz unterschiedlicher Lebensorientierungen gleich hohe bzw. niedrige Kinderwünsche und ähnliche Vorstellungen von der Kinderzahl. Zum Beispiel wünschen sich berufsorientierte Kinderlose im Durchschnitt 1,99 Kinder, adaptiv orientierte 2,07 Kinder und familienorientierte 2,01 Kinder. Diese Zahlen beziffern den nicht signifikanten Nettoeffekt der Lebenseinstellung bei Kontrolle aller übrigen Einflüsse. Familie steht also nicht im Widerspruch zu einer starken Berufsorientierung. Das gilt für Kinderlose und Eltern.

4

Auf eine Standardisierung der Effektkoeffizienten konnte verzichtet werden, weil die relevanten Prädiktoren (Lebensorientierung und VOC) die gleiche Skalenstruktur aufweisen und somit ihre Koeffizienten vergleichbar sind.

258

Jan H. Marbach und Angelika Tölke

Bei den ‚Values of Children’ ergibt sich ein differenziertes Bild. Alle vier Indikatoren üben signifikante Einflüsse auf den Kinderwunsch Kinderloser aus (Tabelle 4, Modell 1). x

Betrachten Frauen und Männer, die bislang noch kinderlos sind, Kinder als Lebenssinn mit psychologischem Nutzen, dann steigt die relative Chance eines Kinderwunsches um den Faktor 18,4 gegenüber kinderlosen Befragten, die in Kindern keinen Lebenssinn sehen.

x

Betrachten kinderlose Befragte Kinder als ökonomischen Nutzen, dann ist die relative Chance eines Kinderwunsches knapp doppelt so hoch wie für Kinderlose, die Kindern keinen ökonomischen Nutzen beimessen.

x

Werden Kinder als finanzielle Belastung wahrgenommen, dann halbiert sich die relative Chance des Kinderwunsches.

x

Werden Kinder als Zwang für Frauen, sich zwischen Erwerbstätigkeit und Familie entscheiden zu müssen, wahrgenommen, dann sinkt die relative Chance für einen Kinderwunsch um etwa 30 Prozent. Das Ergebnis bestätigt die These, dass Kinder in erster Linie gewünscht werden, um das Leben ihrer zukünftigen Eltern ideell zu bereichern. Ökonomische Motive der Existenzsicherung treten dahinter zurück, sind aber entgegen einer verbreiteten Annahme nicht gänzlich verschwunden. Auch die Kostenseite potenzieller Kinder beeinflusst den Kinderwunsch Kinderloser und unterstreicht damit die Virulenz ökonomischer Motive. Ebenso erweist sich der in der politischen Debatte vorherrschende Topos der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen als signifikant, wenngleich dieser Effekt der vergleichsweise schwächste der untersuchten Items auf den Kinderwunsch ist. Unser Befund zu Kinderlosen erfährt durch die Ergebnisse von Ruckdeschel (2004: 374) eine Bestätigung, auch wenn diese nicht vollständig vergleichbar sind, da die Autorin andere Konstrukte und Altersgruppen verwendet. Auch bei ihr dominiert die ‚persönliche Bedeutung von Familie und Partnerschaft’ als ideelles Motiv deutlich über das ökonomische Ziel ‚Wohlstand’. Geht es um die Frage, wie viele Kinder gewünscht werden, dann ergibt sich ein teilweise anderes Bild als im Fall des bloßen Kinderwunsches. Interpretiert werden hier die signifikanten Haupteffekte einer multiplen Klassifikation (MCA).5 Zu unterscheiden sind die Analysen nach kinderlosen Befragten, die prinzipiell Kinder möchten, und solchen, die als Eltern eventuell weitere Kinder möchten. 5

Wir verzichten hier darauf, die Effekte der Kontrollvariablen zu beschreiben, sondern konzentrieren uns hier ganz auf die Nettoeffekte der beiden verglichenen Modelle.

Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle

259

Wenn Kinderlose, die grundsätzlich Kinder haben möchten, mit diesen einen Lebenssinn verbinden, dann steigt die gewünschte Kinderzahl auf 2,04 (Tabelle 4, Modell 2). Fehlt diese Einstellung, dann fällt die gewünschte Kinderzahl auf 1,42. Werden Kinder von Kinderlosen als finanzielle Last eingestuft, dann sinkt die gewünschte Kinderzahl auf 1,97, andernfalls steigt die gewünschte Kinderzahl auf 2,10. Wird Kindern durch Kinderlose ein ökonomischer Nutzen zugeschrieben oder betrachtet man sie als ein Moment, das Frauen eine Entscheidung zwischen Karriere und Familie aufzwingt, hat dies keinen statistisch relevanten Einfluss auf die gewünschte Kinderzahl. Auch wenn es um die Anzahl gewünschter Kinder bisher Kinderloser geht, treten demnach ideelle Motive in den Vordergrund. Dass ökonomische Gesichtspunkte dennoch bei Kinderlosen mit Kinderwunsch wirksam sind, zeigt der negative (d. h. den Kinderwunsch dämpfende) Effekt der finanziellen Belastungserwartung. Eltern, die ihre Kinder als Lebenssinn betrachten, wünschen sich im Durchschnitt insgesamt 2,20 Kinder, Eltern ohne diese Einstellung 1,82 Kinder. Anders als bei Kinderlosen spielt der Gesichtspunkt, dass Kinder eine finanzielle Last sein können, für die gewünschte Kinderzahl von Eltern keine Rolle. Der Effekt wird absorbiert durch einen starken Einfluss der vorhandenen Kinderzahl. Je größer die faktische Kinderzahl, desto gedämpfter ist der Wunsch nach weiteren Kindern. Eltern von einem Kind geben eine durchschnittlich gewünschte Kinderzahl von 1,78 Kindern an, in einer Zwei-Kind-Familie liegt die gewünschte Kinderzahl bei 2,19. Der Vorsprung der gewünschten Kinderzahl ist also bei zwei vorhandenen Kindern geschrumpft. Ab drei Kindern hinkt die gewünschte Kinderzahl mit wachsendem Abstand sogar hinter der faktischen her: Bei drei vorhandenen Kindern liegt die gewünschte Kinderzahl bei 2,84, also um 0,16 Kinder niedriger als die reale, bei vier Kindern liegt sie sogar um 0,58 Kinder niedriger. Zwischen zwei und drei Kindern scheint demnach ein Punkt erreicht, an dem Eltern weitere Kinder eher als Last empfinden. Im Gegensatz zu Kinderlosen wird die Anzahl gewünschter Kinder von Eltern auch durch die Erwägung beeinflusst, dass Mütter sich zwischen Beruf und Familie entscheiden müssen. Wird ein solcher Entscheidungszwang wahrgenommen, dann verharrt die Zahl der gewünschten Kinder bei 2,19, andernfalls liegt sie bei 2,24. Das Motiv, Kinder wegen ihres ideellen Nutzens haben zu wollen, steht folglich auch bei Personen im Vordergrund, die bereits Eltern sind. Ökonomische Überlegungen wie eine Nutzenerwartung oder eine mögliche finanzielle Belastung sind zwar bei Eltern statistisch ohne Belang, gleichwohl deutet sich im Verhältnis zwischen der Anzahl vorhandener und zusätzlich ge-

260

Jan H. Marbach und Angelika Tölke

Tabelle 4: Kinderwünsche in Abhängigkeit von der Lebensorientierung und den ‚Values of Children’ bei 18- bis unter 45-jährigen Deutschen Kinderwunsch Kinderlose Modell 1: Log. Reg. Exp(b) Sig. Lebensorientierung berufsorientiert adaptive familienorientiert ‚Values of Children’ Lebenssinn Nutzen Last Enscheidungszwang Modellgüte Pseudo r2 (Nagelkerke) r2

Ref. 0,87 0,84

0,395 0,493

18,38 1,93 0,50 0,71

0,000 0,000 0,000 0,000

Zahl gewünschter Kinder Kinderlose Eltern Modell 2: ANOVA Modell 3: ANOVA F Sig. F Sig. 2,44 0,088 1,87 0,154

28,83 2,98 18,7 0,38

0,000 0,085 0,000 0,536

5,76 0,15 26,85 1,71

0,016 0,702 0,000 0,194

0,322 0,111

0,115

Anmerkungen: Kontrolliert wird in allen Modellen für Geschlecht, Schulabschluss, Erwerbstätigkeit, alte/neue Bundesländer, Kirchenbesuch, Erhebungszeitpunkt, Umfang Sozialkapital und Dauer der Berufsausbildung. In Modell 1 und 3 wird zusätzlich für die Altersklasse kontrolliert, in Modell 1 und 2 für das Vorhandensein einer Partner(in), in Modell 2 für die Gemeindegröße und in Modell 3 für die Kinderzahl. Ref.= Referenzkategorie Quelle: DJI-Familiensurvey – 3 Wellen, eigene Berechnungen

wünschter Kinder eine Balance bei zwei Kindern an. Zwei Kinder scheinen eine Grenze der durchschnittlich tolerablen Belastung zu markieren. Nachvollziehbar erscheint, dass der Zwang für Mütter, sich zwischen Familie und Beruf entscheiden zu müssen, in Familien mit Kindern spürbar ist und den Wunsch nach weiteren Kindern dämpft. Auch bei diesem Ergebnis gibt es eine Parallele zu den Befunden von Ruckdeschel (2004: 374). Im Gegensatz zu Kinderlosen wird die Anzahl gewünschter Kinder von Eltern auch durch die Erwägung beeinflusst, dass Mütter sich zwischen Beruf und Familie entscheiden müssen. Wird ein solcher Entscheidungszwang wahrgenommen, dann verharrt die Zahl der gewünschten Kinder bei 2,19, andernfalls liegt sie bei 2,24. Das Motiv, Kinder wegen ihres ideellen Nutzens haben zu wollen, steht folglich auch bei Personen im Vordergrund, die bereits Eltern sind. Ökonomische Überlegungen wie eine Nutzenerwartung oder eine mögliche finanzielle Belastung sind zwar bei Eltern statistisch ohne Belang, gleichwohl deutet sich im Verhältnis zwischen der Anzahl vorhandener und zusätzlich ge-

Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle

261

wünschter Kinder eine Balance bei zwei Kindern an. Zwei Kinder scheinen eine Grenze der durchschnittlich tolerablen Belastung zu markieren. Nachvollziehbar erscheint, dass der Zwang für Mütter, sich zwischen Familie und Beruf entscheiden zu müssen, in Familien mit Kindern spürbar ist und den Wunsch nach weiteren Kindern dämpft. Auch bei diesem Ergebnis gibt es eine Parallele zu den Befunden von Ruckdeschel (2004: 374).

4

Vorstellungen zur Verknüpfung von Vaterschaft und Beruf: Adaptive versus berufsorientierte Einstellungen bei Männern

Wurden oben der Wandel in den Lebensorientierungen und die Bedeutung der Lebensorientierung für den Kinderwunsch aufgezeigt, so soll im Folgenden die Lebensorientierung selbst untersucht werden. Welche soziodemographischen Merkmale, Lebensumstände und -erfahrungen nehmen Einfluss auf die persönlichen Präferenzen zum Zusammenspiel von Beruf und Familie? Wir beschränken uns hier aus den eingangs genannten Gründen auf in Westdeutschland lebende Männer.6 Zudem wurden die statistischen Modellanalysen ausschließlich mit den Daten des Familiensurvey 2000 durchgeführt. Unter inhaltlichen Gesichtspunkten und aus Gründen der Fallzahl haben wir die Lebensorientierung von den ursprünglich drei Ausprägungen auf zwei reduziert. Die Kategorie ‚familienorientiert’ ist bei den Männern zahlenmäßig nur sehr gering besetzt (siehe oben), sie wurde den ‚Adaptiven’ zugeordnet. Die folgenden Analysen wurden mit dem statistischen Verfahren der logistischen Regression durchgeführt. Abhängige Variable ist die Lebensorientierung mit den Ausprägungen ‚adaptiv’ versus ‚berufsorientiert’. Die Erklärungsfaktoren, die wir zur Beantwortung der Frage nach den bestimmenden Faktoren für die Lebensorientierung heranziehen, lassen sich grob zu drei inhaltlichen Dimensionen zusammenfassen: (1) Das vergangene und gegenwärtige Lebensumfeld. Hierzu gehören allgemeine Tendenzen des Wandels, die Urbanität des gegenwärtigen Wohnortes und der Migrationshintergrund. (2) Soziodemographische Merkmale des Befragten, vor allem seine bildungs- und 6

Wie bei den deskriptiven Ergebnissen bereits erwähnt (siehe oben), äußern sich ostdeutsche Männer kaum adaptiv, sondern stark berufsorientiert. Dies geschieht vermutlich vor dem Erfahrungshintergrund aus der DDR, dass eine Reduktion der Arbeitszeit für die Ausübung der Elternrolle für Frauen und Männer weder notwendig noch gewünscht war und Kinderbetreuung gesellschaftlich geregelt war.

262

Jan H. Marbach und Angelika Tölke

berufsbezogene Entwicklung sowie persönlich erlebte Familienkonstellationen in der Kindheit und Jugend. (3) Private Lebensform (Partner- und Vaterschaft) sowie soziodemographische Merkmale der gegenwärtigen Partnerin (Bildungsniveau und Erwerbstatus) und Differenzierungen im Hinblick auf das Alter des (jüngsten) Kindes í jeweils soweit vorhanden. Diese drei Dimensionen wurden nacheinander in die Modellberechnungen einbezogen.

4.1

Vergangenes und gegenwärtiges Lebensumfeld

Zwischen den hier ausgewählten fünf Kohorten7 (zwischen 1951 und 1970 geboren) sowie in Abhängigkeit vom Migrationshintergrund und der Urbanität des gegenwärtigen Wohnortes zeichnen sich signifikante Unterschiede in der Lebensorientierung ab. Bei Männern in jüngerem und mittlerem Lebensalter sind in Westdeutschland adaptive Vorstellungen, also eine eher aktive und präsente Vaterrolle, die die Bereitschaft beinhaltet, hierfür die Arbeitszeit zu reduzieren, signifikant häufiger anzutreffen als bei älteren (Tabelle 5, Modell 1 bis Modell 4). Bei den unter 45-Jährigen nimmt diese Neigung signifikant mit jeder jüngeren Altersgruppe im Vergleich zu den über 50-jährigen zu. Bei den im Jahr 2000 35 bis 39-Jährigen liegt die Wahrscheinlichkeit für eine Befürwortung der aktiven und präsenten Vaterrolle in Relation zur Wahrscheinlichkeit für eine NichtBefürwortung um das 1,8-fache höher als bei denjenigen, die Anfang 50 sind. Bei den 30-34-jährigen Männern liegt sie um das 2,1-fache höher. Diese Veränderung war auf Grund des allgemeinen Einstellungswandels hin zu säkularen, unkonventionellen und egalitären Werten zu erwarten, wie sie z. B. von Inglehart (1977) als Ergebnis postmaterialistischer Werte und von Lesthaeghe und van de Kaa (1986) im Kontext des ‚Zweiten demographischen Übergangs’ postuliert und u. a. von Surkyn und Lesthaeghe (2004) für mehrere europäische Länder empirisch nachgewiesen wurde. Der altersabhängige Einstellungswandel zu einer stärker adaptiven Lebensorientierung bleibt auch bestehen, wenn weitergehende soziodemographische Informationen zum Befragten sowie zu seiner partnerschaftlichen Lebenssituation in die Modellanalysen einbezogen werden (Tabelle 5, Modell 1 bis Modell 4). Der Ruf nach den ‚neuen Vätern’, die sich

7

Während sich die Analysen in Teil 3 auf Personen im Alter von 18 bis 45 Jahren bezog, haben wir für die folgenden Analysen Männer im Alter von 30 bis 54 Jahren ausgewählt. Wir haben bei dieser separaten Analyse der Männer eine etwas höhere Altersgruppe gewählt, da für viele Männer gerade im Alter zwischen 30 und 54 Jahren die Fragen der Vaterschaft sowie der Vereinbarkeit von Beruf und Familie relevant werden.

Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle

263

nicht mehr nur als Ernährer verstehen, sondern auch aktiv an der Erziehung der Kinder teilhaben wollen, scheint somit von jüngeren Generationen zunehmend als normatives Ziel übernommen zu werden. Der Anteil der diese Sicht vertretenden Männer und Väter liegt je nach Frageformulierung und Stichprobenselektion in vorliegenden Studien bei etwa 65 Prozent bis über 80 Prozent (Fthenakis 1999; Meuser 1998; Zulehner 2003). Die in diesen Studien erfassten Vorstellungen gehen jedoch nicht so weit wie die auf dem Konzept von Hakim basierende adaptive Lebensorientierung, also der normativen Forderung für Kinder die Arbeitszeit zu reduzieren. Im Familiensurvey beträgt der Anteil adaptiver Männer in Westdeutschland 30,7 Prozent. Auch dem Migrationshintergrund, der hier nur mit der Unterscheidung eingegangen ist, ob der Befragte in Deutschland bzw. außerhalb Deutschlands geboren wurde, kommt signifikante Bedeutung für die Vorstellung vom Arrangement von Beruf und Familie zu. Männer, die in Deutschland geboren und, so kann man annehmen, auch hier kulturell sozialisiert wurden, befürworten signifikant häufiger die Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit für eine aktive und präsente Vaterschaft als im Ausland geborene Männer; bei letzteren liegt die relative Chance einer adaptiven Lebensorientierung um etwa die Hälfte niedriger. Bei ihnen könnten frühere kulturelle Muster nachwirken, und häufig leben diese Befragten auch in Deutschland in Kontakt mit Mitgliedern ihres Kulturkreises. Damit verbunden ist zumeist ein traditionelles Frauen- und Familienbild, wonach die Fürsorge für Kinder hauptsächlich in der Verantwortlichkeit der Frau liegt. Darüber hinaus wurde in dieser Modellrechnung die Konfession erfasst, wobei jedoch die Zugehörigkeit zum Christentum bzw. zum muslimischen Glauben in enger Beziehung zum Migrationshintergrund steht. Sind beide Variablen gleichzeitig im Modell, so ergibt sich durch die Konfession keine zusätzliche Erklärungskraft. Nur Männer, die keiner Glaubensgemeinschaft angehören, äußern sich stärker zustimmend zu einer adaptiven Lebensorientierung. Jedoch wird das Signifikanzniveau in allen Modellanalysen zwischen Atheisten und der Referenzgruppe der Protestanten knapp verfehlt (Tabelle 5, Modell 1 bis Modell 4). Neuere Lebensformen und nicht-traditionelle Einstellungen haben zumeist in Großstädten ihren Ursprung und werden hier auch nachdrücklicher vertreten

264

Jan H. Marbach und Angelika Tölke

Tabelle 5: Exponentialkoeffizienten der logistischen Regressionsanalysen. Determinanten adaptiver Lebensorientierung, westdeutsche Männer zwischen 30 und 54 Jahren Alter (Kohorte) 50-54 (1946-1950) 45-49 (1951-1955) 40-44 (1956-1960) 35-39 (1961-1965) 30-34 (1966-1970) Schulabschluss (Hauptschule) Mittlere Reife Abitur Ausbildung (keine) Lehre Studium Mutter (keine Ausbildung) Lehre Studium Migration Konfession (evangelisch) Katholisch Islam/nichtchristliche Religion Atheist/keine Angaben Geschwister (keine) 1 Geschwister 2 Geschwister Zeitweise 1 Elternteil Stadt (mittlere Größe) Kleinstadt Großstadt Erwerb (erwerbstätig) In Ausbildung Arbeitslos Hausmann Rentner/Pensionär Karriere (gleich) Aufstieg Abstieg Wechselhaft Karriere nicht einzuordnen Partnerschaft Kind Konstante Pseudo r2 (Nagelkerke) Fallzahlen Anmerkungen: Signifikanz (Wald-Statistik): * p < 0.05; ** p < 0.01 Quelle: Familiensurvey 2000, eigene Berechnungen

Modell 1

Modell 2

1,31 1,52* 1,83** 2,12**

1,31 1,52* 1,84** 2,16**

1,49** 2,38**

1,49** 2,38**

0,84 1,63*

0,84 1,64*

1,05 1,81 0,48**

1,05 1,84 0,48**

0,92 0,71 1,32

0,92 0,71 1,33

1,21 1,45* 1,94**

1,21 1,45* 1,94**

1,55* 1,64**

1,55* 1,64**

0,90 0,63 7,46** 2,54**

0,89 0,62 7,53** 2,57**

1,62** 1,03 2,12** 0,86

1,63** 1,03 2,12** 0,86 0,91 0,91 0,15 0,16 1.863

0,12 0,16 1.863

Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle

265

und gelebt (Fischer 1982; Burkart und Kohli 1989). Insofern ist auch für die Lebensorientierung zu erwarten, dass Männer, die in einer größeren Stadt leben, stärker für eine aktive und zeitlich präsente Vaterschaft plädieren als Männer in kleineren Städten. Diese Annahme bestätigt sich für Großstädte und deren Peripherie.8 Überraschenderweise äußern sich aber auch Männer in kleinen Ortschaften ähnlich zustimmend, wohingegen Männer, die im Jahr 2000 in einer Stadt mittlerer Größe lebten, signifikant seltener eine adaptive Lebensorientierung äußern. Für Männer, die im Zentrum oder am Rand einer Großstadt wohnen, erhöht sich die relative Chance einer adaptiven Lebensorientierung um das 1,6-fache im Vergleich zu Männern in einer mittelgroßen Stadt. Ganz ähnlich sieht es bei Männern in Kleinstädten aus, hier ist die Wahrscheinlichkeit für eine adaptive Einstellung um das 1,5-fache höher in Relation zur Wahrscheinlichkeit für eine eher traditionelle Einstellung als in Städten mittlerer Größe. Es ergibt sich somit ein U-förmiger Zusammenhang zwischen Gemeindegröße und adaptiver Lebensorientierung. Inwieweit eine kleinräumliche, milieuspezifische Differenzierung, die mit den Daten des Familiensurvey möglich ist, diesen Zusammenhang im Hinblick auf die Bewohner von Kleinstädten besser erklären kann, bleibt einer späteren Analyse vorbehalten.

4.2

Soziodemographische Merkmale des Befragten

Die zweite hier in die Analyse einbezogene Dimension umfasst unmittelbar mit der befragten Person verknüpfte Merkmale. Es ist davon auszugehen, dass Erfahrungen aus der Zeit des Aufwachsens in der Herkunftsfamilie starken Einfluss auf die persönlichen Präferenzen im Hinblick auf die Verknüpfung von Beruf und Familie nehmen und dass auch Bildungs- und Berufserfahrungen in enger Beziehung hierzu stehen. In der Herkunftsfamilie werden Werte, Einstellungen und Denkweisen vermittelt und durch das Verhalten der Eltern Rollenmuster erlebt sowie Lösungsstrategien für Alltags- und Lebensaufgaben erfahren. Diese werden nicht ungebrochen tradiert, sondern durch andere, außerfamiliale Kontakte und Erfahrungen erweitert oder relativiert. Doch kommt der Zeit des Aufwachsens und der Herkunftsfamilie als Sozialisationsinstanz sowie als

8

Als Großstadt sind Städte definiert, deren Einwohnerzahl mindestens 100.000 Einwohner beträgt; die unmittelbare Peripherie einer Großstadt wurde ihr zugerechnet. Städte mit 20.000 bis unter 100.000 Einwohner wurden als Städte mittlere Größe eingeordnet. Entsprechend sind Ortschaften unter 20.000 als kleinste Einheit abgegrenzt. Diese Einteilung wurde auf der Basis deskriptiver Auswertungen von Lebensorientierung und Gemeindegröße vorgenommen.

266

Jan H. Marbach und Angelika Tölke

Leitbild für ein (potenzielles) eigenes Familienleben ein besonderer Stellenwert zu. Ihre Bedeutung für eigene Lebensentscheidungen ist im sozialökologischen Modell von Bronfenbrenner (1981) und den Bindungstheorien (z. B. Bowlby 1988; Grossmann und Grossmann 2003) theoretisch hergeleitet und für unterschiedliche Fragestellungen empirisch nachgewiesen worden.9 Bezogen auf unsere Fragestellung ist anzunehmen, dass der Familienzusammensetzung, der Bildung und Arbeitsteilung der Eltern sowie dem Familienklima herausgehobene Bedeutung für die Entwicklung der eigenen Lebensorientierung zukommt. Ein Teil dieser Informationen steht im DJI-Familiensurvey 2000 zur Verfügung, nämlich Angaben zur Zusammensetzung der Herkunftsfamilie zu möglicher Trennungserfahrungen sowie zur Bildung der Eltern. Unsere Ergebnisse sowie bereits vorliegende Ergebnisse anderer Studien bestätigen die Annahme, dass Erfahrungen aus der Zeit des Aufwachsens in der Herkunftsfamilie auch noch langfristig Einfluss im Erwachsenenalter haben. Wenn ein Mann (zeitweise oder auch länger) in der Kindheit und Jugend nicht mit beiden Eltern zusammengelebt hat, so erhöht sich für ihn die Wahrscheinlichkeit signifikant, eine adaptive Lebensorientierung zu befürworten (Tabelle 5, Modell 1). Die relative Chance liegt fast doppelt so hoch wie bei den Männern, die in einer so genannten vollständigen Familie aufgewachsen sind. Die Erfahrung, zumindest vorübergehend (vermutlich) nur mit der Mutter aufgewachsen zu sein, erhöht die relative Chance um fast das Doppelte, die eigene reale oder potenzielle Rolle als Vater durch Präsenz und aktiv ausfüllen zu wollen. Die Erfahrung dagegen, in der Kindheit und Jugend mit beiden Elternteilen aufgewachsen zu sein, bestärkt das Beibehalten einer eher traditionellen, also vorwiegend berufsorientierten Lebensorientierung. Man hat das Funktionieren des vermutlich noch geschlechtsspezifisch geprägten Arbeitsteilungsmodells der Eltern erlebt und orientiert sich an diesem Vorbild. Auch die Erfahrung, als Einzelkind oder nur mit einem Geschwister aufgewachsen zu sein, unterstützt bei Männern das Beibehalten des traditionellen Familienmodells geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung als Lebensorientierung. Mindestens zwei Geschwister zu haben befördert dagegen eine adaptive Lebensorientierung. Das relative Risiko der Befürwortung einer engagierten Vaterrolle liegt bei ihnen um das 1,45-fache höher als bei Einzelkindern. Das Auf-

9

So z. B. im Hinblick auf Heirats-, Fertilitäts- und Scheidungsverhalten, aber auch für den Schulerfolg (Huinink 1995; Tölke und Diewald 2003b; Hillmert 2002)

Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle

267

wachsen mit mehreren Geschwistern10 kann Kompetenzen für Aushandlungsprozesse fördern und hierdurch Vorstellungen für partnerschaftliches Verhalten, wie z. B. Rücksichtnahme, wechselseitige Hilfe und aktive Beteiligung im Alltag, stärken. Hiervon könnte eine adaptive Lebensorientierung profitieren. Höher ausgebildete Frauen und Männer hatten in den letzten Jahrzehnten häufig eine Vorreiterfunktion bei unkonventionellen Denk- und Verhaltensweisen inne, man denke z. B. an nichteheliche Lebensgemeinschaften. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass vom Bildungsniveau ein starker Effekt auf die Lebensorientierung ausgeht. Dies bestätigt sich. Ein über den Hauptschulabschluss hinausgehendes schulisches Bildungsniveau, also der erfolgreiche Abschluss der Realschule oder des Gymnasiums, geht mit signifikant höheren Ansprüchen an eine engagierte Vaterschaft, also adaptive Lebensorientierung einher (Tabelle 5, Modell 1 bis Modell 4). Ein abgeschlossenes Studium verstärkt zusätzlich zum Schulabschluss diese Orientierung. Hingegen unterscheiden sich Männer, die eine Berufsausbildung (umfasst Lehre, Berufsfachschule, Laufbahnprüfung oder eine äquivalente Ausbildung) abgeschlossen haben, in ihren Orientierungen nicht signifikant von Männern ohne Berufsausbildung. Es sind also die Abiturienten und Akademiker, die sich mit einer adaptiven Lebensorientierung deutlich von den anderen Bildungsgruppen absetzen. Es ist evident, dass Männer, die zum Befragungszeitpunkt ‚Hausmann’ sind, sich auch vehement für eine adaptive Lebensorientierung einsetzen. Die real gelebte Lebenssituation geht hier einher mit der entsprechenden Einstellung. Dieser Effekt der Erwerbspartizipation ist der stärkste in allen Modellanalysen und die relative Chance, sich in dieser Lebenssituation für eine aktive und präsente Vaterrolle stark zu machen, ist rund sieben mal höher als bei Männern, die zum Zeitpunkt der Erhebung voll- oder teilzeiterwerbstätig sind. Wenig untersucht und eher überraschend ist die Einschätzung von Männern, die ihr Erwerbsleben bereits beendet haben. Männer, die früh verrentet wurden (die ältesten hier einbezogenen Männer waren zum Interviewzeitpunkt 54 Jahre alt), plädieren ebenfalls signifikant häufiger für eine aktive Ausübung der Vaterrolle als erwerbstätige Männer. Eine Interpretation könnte hier nur spekulativen Charakter haben. Für eine tragfähige Antwort müsste diese Gruppe in ihrer Zusammensetzung und im Hinblick auf die Gründe für den frühen Renteneintritt weiter differenziert werden.

10

Die Bedeutung von Geschwistern für den Kinderwunsch sowie für Partnerschafts- und Fertilitätsentscheidungen wurde in mehreren Studien belegt (Borchard und Stöbel-Richter 2004; Kemkes-Grottenthaler 2004; Tölke 2005).

268

Jan H. Marbach und Angelika Tölke

Auch der Verlauf der bisherigen beruflichen Karriere11 steht in einer signifikanten Beziehung zur Lebensorientierung. Männer mit wechselhaftem Karriereverlauf, die also berufliche Auf- und Abstiege erfahren haben, befürworten häufiger eine adaptive Lebensorientierung im Vergleich zu Männern, die auf derselben Karrierestufe verblieben sind. Die Erfahrung der Unberechenbarkeit im eigenen Berufsverlauf könnte im Sinne einer Kompensation dazu beitragen, den Lebensschwerpunkt nicht ausschließlich im Beruf zu sehen und stattdessen die Vaterrolle höher zu gewichten und eventuell auch die Absicherung einer Familie durch Erwerbsarbeit auf zwei Schultern verteilen zu wollen. Männer, die beruflich erfolgreich sind (mindestens einen Aufstieg und keinen Abstieg hatten), befürworten ebenfalls signifikant häufiger eine Beteiligung an der Fürsorge für Kinder als Männer, deren Karriere monoton verlief. Die beruflich erfolgreichen Männer haben hohe Ziele im Beruf bereits realisiert und formulieren gleichzeitig auch für den Lebensbereich Familie hohe Ansprüche. Diese Effekte bleiben auch erhalten, wenn Informationen zur partnerschaftlichen und familialen Lebenssituation einbezogen werden.

4.3

Private Lebensform und soziodemographische Merkmale der Partnerin

Welchen Stellenwert hat die private Lebensform für die Lebensorientierung und inwieweit kann die private Lebenssituation zuvor festgestellte Effekte relativieren? Zunächst wird nur die Information einbezogen, ob der Befragte im Erhebungsjahr 2000 eine Partnerin hat oder nicht und ob er Vater ist oder kinderlos. Danach wird weitergehend differenziert, in welchem Alter das jüngste Kind des Befragten ist, und bildungs- und erwerbsbezogene Merkmale der Partnerin werden einbezogen. Wird in den Modellanalysen nur der Sachverhalt berücksichtigt, ob der Befragte in einer Partnerschaft oder als Single lebt sowie, ob er

11

Grundlage für die Konstruktion eines Karrierestufenmodells war die ‚Liste der beruflichen Stellungen’, mit der im Interview alle beruflichen Veränderungen im bisherigen Lebenslauf erhoben worden waren. Zur Transformation dieser Liste in ein achtstufiges, ordinales Karrierestufenmodell wurde auf Arbeiten von Hoffmeyer-Zlotnik (1993) zurückgegriffen. Ausbildungsbezogene Zugangsvoraussetzungen, der Umfang der Verantwortlichkeit, der Anweisungs- und Managementbefugnisse gingen í neben der bereits in der ursprünglichen Liste angelegten hierarchischen Abstufung í als wesentliche Determinanten in die Konstruktion ein. Zu detaillierteren Angaben siehe Tölke und Diewald (2003a).

Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle

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(mindestens) ein Kind12 hat oder kinderlos ist, so geht von beiden Lebenssituationen kein signifikanter Effekt aus (Tabelle 5, Modell 2). Aber auch eine weitergehende Differenzierung nach dem Alter des jüngsten Kindes erhöht die Erklärungskraft für eine adaptive Lebensorientierung nicht (Tabelle 5, Modell 3), ebenso wenig ergeben sich aus dem Familienstand signifikante Unterschiede für die Lebensorientierung (in der Tabelle nicht gezeigt). Surkyn und Lesthaeghe (2004) hatten im europäischen Vergleich einen starken statistischen Zusammenhang zwischen der privaten Lebensform und der allgemeinen Wertorientierung konstatiert, Aussagen zur Gestaltung der Vaterrolle waren in diese Analysen jedoch nicht einbezogen. Ob das von uns gefundene Ergebnis, dass die Einstellung zur (realen bzw. möglichen) Vaterrolle im Kontext des Zusammenspiels von Familie und Beruf unabhängig von der aktuellen Lebensform ist, gilt es in weiteren Studien im Auge zu behalten. Hatte der einfache Sachverhalt, ob ein Befragter in einer Partnerbeziehung lebt oder nicht, keinen signifikanten Einfluss auf die Lebensorientierung, so geht von der Partnerin mit ihren spezifischen Merkmalen jedoch ein entscheidender Einfluss aus. Eine hohe Schulbildung der Partnerin und ebenso eine Vollzeiterwerbsarbeit geht mit einer stärkeren Präferenz des Mannes für eine aktive Vaterschaft einher (Tabelle 5, Modell 4). Ob bereits die Partnerwahl an gemeinsamen Werten ausgerichtet war oder die Partnerin im Verlauf der Beziehung (verstärkenden) Einfluss auf die Einstellung des Mannes nimmt, kann auf dieser Datenbasis nicht entschieden werden. Ergebnisse anderer Studien deuten auf die Wirksamkeit beider Effekte, also sowohl eines Selektions- als auch eines Adaptionseffekts hin (Moors 2000; Surkyn und Lesthaeghe 2004). Aus dem Interaktionseffekt von Partnerschaft und Schulbildung der Partnerin geht hervor, dass Männer, deren Partnerin Abitur hat, signifikant stärker zu einer adaptiven Lebensorientierung neigen als wenn die Partnerin nur eine schulische Grundausbildung (Hauptschule) absolviert hat. Die relative Chance steigt um rund das 1,8-fache. Der Effekt, der mit einem Realschulabschluss der Partnerin einhergeht, zeigt ebenfalls in die gleiche Richtung und ist erhöht, verfehlt aber knapp die Signifikanzschwelle gegenüber den Männern mit einer ‚Hauptschul-Partnerin’. Bezieht man noch die Männer ohne Partnerinnen in den Vergleich ein, zeigt sich, dass diese ‚Singles’ signifikant stärker für eine aktive Vaterschaft plädieren als Männer mit einer Hauptschul-Partnerin. Letztere neigen

12

In diese Modellanalyse wurden biologische und soziale Väter einbezogen, unabhängig davon, ob der Befragte mit dem Kind zurzeit in einem gemeinsamen Haushalt lebt und wie alt das Kind ist.

270

Jan H. Marbach und Angelika Tölke

Tabelle 5 (Fortsetzung): Interaktionseffekte der logistischen Regressionsanalysen bei Kontrolle der in Modell 1 und 2 angeführten Kovariaten (Koeffizienten aus Platzgründen nicht ausgewiesen) Partnerschaft

Modell 3

Modell 4

0,66*

1,17

Partnerschaft u Teilzeit

0,78

Partnerschaft u Hausfrau/Elternzeit/Arbeitslos

0,60**

Partnerschaft u Sonstiges

1,30

Partnerschaft u Mittlere Reife

1,36

Partnerschaft u Abitur

1,78**

Kind

0,82

Kind u 0-3 Jahre

1,07

Kind u 4-6 Jahre

0,89

Kind u 7-16 Jahre

0,79

Konstante

0,23

0,13

0,17

0,17

1.863

1.863

Modellgüte Pseudo r2 (Nagelkerke) Fallzahlen Anmerkungen: Signifikanz (Wald-Statistik): * p < 0.05; ** p < 0.01 Quelle: Familiensurvey 2000, eigene Berechnugen

somit am wenigsten dazu, für Kinder eine Reduktion der eigenen Erwerbszeit ins Auge zu fassen, gefolgt von Männern mit einer Realschulabsolventin als Partnerin. Männer mit einer hoch gebildeten Partnerin und Single-Männer präferieren für sich persönlich somit am stärksten eine adaptive Lebensorientierung. Im Hinblick auf die Erwerbspartizipation der Partnerin ergibt sich das erwartete Muster. Männer, deren Partnerin nicht erwerbstätig (Hausfrau, Elternzeit, arbeitslos) ist, befürworten eine adaptive Lebensorientierung am geringsten. Zwischen Männern, deren Partnerin Teilzeit und denjenigen, deren Partnerin Vollzeit arbeitet, zeigen sich keine signifikanten Unterschiede. Hier, wie auch schon bei der Erwerbsbeteiligung des Mannes selbst (siehe oben), gehen Vorstellungen und praktiziertes Verhalten einher.

Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle

5

271

Resümee

Ob sich Menschen Kinder wünschen oder nicht und wenn ja, wie viele sie sich wünschen, hängt von vielen Faktoren ab und ist daher auch in hohem Ausmaß individuell bestimmt. Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Wunsch nach einem Kind í oder weiteren Kindern í weitgehend unabhängig davon ist, in welcher Form sich Frauen und Männer zwischen Beruf und Familie orientieren, d. h. sowohl Berufs- und Familienorientierte als auch Adaptive unterscheiden sich nicht signifikant in ihrem Wunsch nach einer Familie. Inwieweit dieses Ergebnis durch die gemeinsame Betrachtung von alten und neuen Bundesländern verstärkt wurde, muss in einem nächsten Schritt untersucht werden. Es ist möglich, dass eine uniforme Anwendung des Konstrukts der Lebensorientierung für die neuen und alten Bundesländer wegen des unterschiedlichen kulturellen Hintergrundes zu nicht vergleichbaren Ergebnissen führt. So war eine starke Berufsorientierung in der DDR durchaus vereinbar mit einem Leben mit Kindern. Dies könnte den Effekt des Konstrukts auf den Kinderwunsch beeinflusst haben. Kinderwünsche werden jedoch von den ‚Values of Children’ beeinflusst. Dabei treten Unterschiede auf, je nachdem, ob Kinderlose überhaupt einen Kinderwunsch haben und wie viele Kinder sich Kinderlose bzw. Eltern insgesamt wünschen. Kinderlose wünschen sich Kinder, wenn sie mit ihnen einen ökonomischen, vor allem aber einen psychologischen Nutzen verbinden. Erwarten sie eher finanzielle Belastungen oder schwierige Entscheidungen zwischen Beruf und Familie für Mütter, dann bleiben sie eher kinderlos. Besteht ein Kinderwunsch und schreibt man Kindern einen psychologischen Gewinn zu, dann liegt die gewünschte Anzahl bei etwas über zwei Kindern. Befürchtet man aber finanzielle Belastungen, dann beschränkt sich der Kinderwunsch auf etwas weniger als zwei Kinder. Ökonomischer Nutzen und Entscheidungsängste spielen bei bestehendem Kinderwunsch dann keine Rolle mehr für die gewünschte Kinderzahl. Genauso wie bei den Kinderlosen wünschen sich Eltern insgesamt mehr als zwei Kinder, wenn sie einen psychologischen Nutzen erwarten, andernfalls weniger als zwei Kinder. Je mehr Kinder die Eltern bereits haben, desto größer ist auch die Zahl der gewünschten Kinder, doch fällt bei mehr als zwei vorhandenen Kindern der numerische Kinderwunsch hinter die Zahl der vorhandenen zurück. Zwischen zwei und drei Kindern scheint ein Punkt erreicht, an dem Eltern weitere Kinder implizit als Last empfinden. Sehen sich Eltern zur Wahl der Mutter zwischen Beruf und Familie gezwungen, schränken sie die Zahl der gewünschten Kinder leicht ein.

272

Jan H. Marbach und Angelika Tölke

In Westdeutschland stellt sich nach wie vor das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, was bislang aber nur als Problem für Frauen thematisiert wurde. Erst seit einigen Jahren wird die Vereinbarkeitsfrage, die bei uns im Konstrukt der Lebensorientierung operationalisiert ist, auch für Männer gestellt. Dies geschieht vor dem Hintergrund sich verändernder Vorstellungen von Vaterschaft und eines sich verändernden Arbeitsmarktes und Berufslebens. Eine adaptive Lebensorientierung, die die Bereitschaft beinhaltet für die Familie die Erwerbsarbeitszeit einzuschränken, stellt der bisherigen, durch extensive Berufsarbeit gekennzeichneten traditionellen Ernährerrolle eine alternative Männer- und Vaterrolle entgegen. Trendsetter – was die Orientierung an einem solchen neueren Lebensmodell angeht – sind vor allem hoch gebildete und beruflich erfolgreiche jüngere Männer, sowie in einer Großstadt lebende und in Deutschland geborene Männer. Solche Männer dürften sich gleichwohl schwer tun, ihre adaptive Orientierung im Alltag zu realisieren. Denn gerade die mit diesen Merkmalen verbundenen Lebenssituationen, Lebensstile und Lebensanforderungen bieten stark konkurrierende Optionen, wie z. B. Karriereperspektiven und vielfältige Freizeitmöglichkeiten. Diese können zum einen die Verwirklichung eines Kinderwunsches und zum anderen die Umsetzung einer adaptiven Lebensorientierung in einer realen Familiensituation erschweren oder gar behindern. Hat die Partnerin einen hohen schulischen bzw. beruflichen Ausbildungstand, so verstärkt dies zusätzlich eine Abkehr des Mannes vom traditionellen, arbeitsteiligen Familienmodell als Lebensorientierung. In diesem Fall können sich auf der Paarebene Probleme bei der Umsetzung des Wunschs nach einer Familie kumulieren. Deshalb erscheint es dringlich, dass Familienpolitik den Wunsch von einem knappen Drittel der Männer nach einer aktiven Partner- und Vaterrolle, die auch die Reduzierung der Arbeitszeit einschließt, aufgreift. Hochgebildete Männer nehmen hier die Vorreiterrolle ein. Was Kinderwünsche anbelangt, ist es traditionell das Bestreben der Familienpolitik gewesen, Kinderlose und Eltern darin zu unterstützen, sich ihre (als ausreichend vorhanden angenommenen) Kinderwünsche erfüllen zu können. Kinderwünsche als solche geraten erst neuerdings ins Blickfeld der Familienpolitik, nachdem auch sie unter den für den Bestand der Bevölkerung kritischen Grenzwert von zwei Kindern pro Person im reproduktionsfähigen Alter abgesunken sind. Unter solchen Auspizien scheint es nicht mehr auszureichen, nur auf die Realisierbarkeit vorhandener Kinderwünsche zu setzen. Der Wunsch nach Kindern selbst bedarf der Stabilisierung. Familienpolitisch lassen sich aus der Dominanz des ideellen Werts von Kindern zwei Folgerungen ableiten: Zum einen erscheint es sinnvoll, die Bedeutung von

Frauen, Männer und Familie: Lebensorientierung, Kinderwunsch und Vaterrolle

273

Kindern für das psychische Wohlbefinden von (potenziellen) Eltern herauszustellen. Zum anderen können Verbesserungen der finanziellen Absicherung von Elternschaft sowie der Infrastruktur zur Betreuung von Kindern möglichen Ängsten vor den Belastungen durch eine Elternschaft vorbeugen.

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Jan H. Marbach und Angelika Tölke

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Die Motivation zur Elternschaft. Unterschiede zwischen Männern und Frauen Jan Eckhard und Thomas Klein

1

Einleitung

Obwohl sich sozialwissenschaftliche Theorien generativen Handelns von Beginn an auf Entscheidungsrationalitäten mit Paar- oder Haushaltsbezug beziehen, wurde das Geburtenverhalten nur selten im Kontext von Partnerschaften untersucht. Zudem führte die traditionelle Fokussierung der demographischen Fertilitätsforschung auf Frauen dazu, dass vor allem die Motivation zur Elternschaft von Frauen thematisiert und erforscht wurde, während hingegen nur wenige Anhaltspunkte über die relevanten Motive der Männer existieren. Ebenfalls sind deskriptive Erkenntnisse über die Fertilitätsentwicklung von Männern sehr spärlich und die Rolle von Männern im generativen Entscheidungsprozess wird in den Studien meist nur am Rande erkennbar, nämlich als Einflussgröße des generativen Verhaltens der Frau.1 Die Gründe, die für die Vernachlässigung von Männern in der Fertilitätsforschung verantwortlich gemacht werden, sind bei näherer Betrachtung allerdings wenig triftig (dazu ausführlich Klein 2005: 7677): Die biologische Begrenztheit der weiblichen Reproduktionsphase dient oft als Argument dafür, dass die endgültigen Kinderzahlen der Frauen zuverlässiger zu bestimmen sind als die der Männer. Für das (traditionelle) Periodendesign in der Demographie, welches auf altersspezifische Kinderzahlen zurückgreift, ist dies jedoch ohne Bedeutung.2 Und natürlich ist das Wissen über biologische Elternschaft für Männer voraussetzungsvoller als für Frauen, aber ganze soziologische Forschungsgebiete sind auf weit unzuverlässigeren Daten aufgebaut als es Angaben über die Vaterschaft sind.

1

2

So beziehen sich demographische Kennziffern zur Geburtenentwicklung seit jeher ausschließlich auf Frauen. Und auch die moderneren Lebenslaufanalysen des generativen Verhaltens haben bislang noch vorwiegend den Lebensverlauf von Frauen im Visier. Außerdem hängt die Fertilität des Mannes auch vom Alter seiner Partnerin ab. Und dadurch, dass z. B. nur 15 Prozent der Männer über 45 Jahre mit einer Partnerin bis 45 Jahre zusammen sind (eigene Berechnung auf Basis des Familiensurvey 2000), erscheint das reproduktive Zeitfenster auch für Männer nach oben doch sehr begrenzt.

276

Jan Eckhard und Thomas Klein

Der vorliegende Beitrag zeigt, dass für Männer zum Teil andere Bewegund Hinderungsgründe des generativen Verhaltens von Bedeutung sind als für Frauen und dass sich diese gleichfalls auf die Chance auswirken, dass ein Kind geboren wird. Die Analyse ist dabei durch die separate Betrachtung von einerseits der Verbreitung von Motiven und andererseits der Verhaltensrelevanz der Motive gekennzeichnet: Zum einen geht es darum, dass Elternschaft für Männer und Frauen mit einer unterschiedlichen Motivstruktur verbunden ist (Unterschiede in der Verbreitung der Motive). Zum anderen ist damit, dass ein Motiv mehr oder minder verbreitet ist, noch nichts darüber ausgesagt, ob das Motiv auch relevant für die Entscheidung zur Geburt eines Kindes ist. Daher ist gesondert auch nach geschlechtsspezifischen Zusammenhängen zwischen den Motiven und dem faktischen Geburtenverhalten zu fragen (Unterschiede in der Verhaltensrelevanz der Motive). Dementsprechend werden in der vorliegenden Studie – nach einigen datentechnischen und methodischen Vorbemerkungen (Abschnitt 2) und einer Zuordnung der Motive zur Elternschaft zu verschiedenen Dimensionen (Abschnitt 3) – Beweggründe (Abschnitt 4) und Hinderungsgründe (Abschnitt 5) zur Elternschaft von Männern und Frauen sowohl hinsichtlich der Verbreitung als auch hinsichtlich ihrer Relevanz für das faktische Geburtenverhalten analysiert. Zusätzlich werden einige Forschungsbefunde über geschlechtsspezifische Einflussfaktoren der Motivation zur Elternschaft besprochen (Abschnitt 6).

2

Daten und Methode

Die Auswertungen beruhen auf verschiedenen Erhebungen im Rahmen des Familiensurvey des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Bien und Marbach 2003; Brislinger 2003). Im Zentrum der Auswertungen steht ein Set von Variablen aus dem Familiensurvey 1988, welche die Zustimmung der Befragten zu einer Reihe von Aussagen über verschiedene positive oder negative Aspekte von Kindern und Elternschaft dokumentieren und welche im Folgenden als mögliche Beweg- oder Hinderungsgründe der Entscheidung zur Elternschaft interpretiert werden.3 Der genaue Wortlaut dieser Items ist in Ta3

Beim Familiensurvey 1988 handelt es sich um eine für die Bevölkerung der damaligen Bundesrepublik Deutschland repräsentative Erhebung der 18- bis 55-Jährigen mit 10.043 realisierten Interviews, darunter 5.489 Frauen. Hinzu kommen 225 Zusatzinterviews mit Jugendlichen im Alter von 16 und 17 Jahren, welche jedoch in den Analysen des vorliegenden Beitrags (und in allen hier wiedergegebenen Fallzahlen) nicht berücksichtigt sind. Die Verwendung dieser nun schon relativ alten Erhebung begründet sich dadurch, dass keine vergleichbaren aktuelle-

Die Motivation zur Elternschaft. Unterschiede zwischen Männern und Frauen

277

belle 1 wiedergegeben. Die Zustimmung zu den Aussagen ist mittels einer vierstufigen Skala erfasst, die in Werte von 0 bis 3 übersetzt wurde. Die Auswertungen zur geschlechtspezifischen Verbreitung der Motive zur Elternschaft basieren auf dem Familiensurvey 1988. Voraussetzung der Analysen zur Verhaltensrelevanz der Motive hingegen sind Paneldaten, die es erlauben, die Motive mit dem faktischen Verhalten im Folgezeitraum (d. h. im Zeitraum nach der Dokumentation der Wahrnehmung) in Beziehung zu setzen. Datengrundlage der Panel-Auswertungen ist der Familiensurvey von 1988 (1. Welle), sowie die hierauf aufsetzenden Wiederholungsbefragungen von 1994 (2. Welle) und 2000 (3. Welle).4 Die Ergebnisse zur geschlechtsspezifischen Verbreitung der Motive beruhen auf regressionsanalytischen Berechnungen, wobei die Zustimmung zu den jeweiligen Indikatoraussagen als abhängige Variablen verwendet werden (Tabelle 1). Konstant gehalten werden dabei die Kinderzahl sowie die Voraussetzung einer bestehenden Paarbeziehung.5 Neben dem Einfluss des Geschlechts werden das Alter, das Alter des Partners sowie das Alter des ersten Kindes kontrolliert. Als weitere unabhängige Variablen kommen in Punkt 6 partnerschafts-, bildungs- und einkommensbezogene Variablen hinzu. Tabelle 1 informiert über die Verteilung der abhängigen Variablen in der Stichprobe des Familiensurvey von 1988.

4

5

ren Daten vorliegen. In der aktuelleren, im Jahr 2000 durchgeführten Erhebung des Familiensurvey kam das hier verwendete Variablenset nur teilweise (4 von ursprünglich 12 Items) zur Anwendung. Auf eine Verwendung der zeitnäheren Erhebung von 1994 wurde aufgrund der besseren Repräsentativität der 1988er Erhebung verzichtet. Die Familiensurvey-Erhebung von 1994 ist zu 45,5 Prozent eine Wiederholungsbefragung. Gegenüber einer reinen Zufallsstichprobe ist daher mit vergleichsweise großen Verzerrungen zu rechnen. Der Panel-Teil des Familiensurvey umfasst insgesamt 4.997 Personen, darunter 2.788 Frauen, die im Rahmen der 2. Welle ein zweites Mal befragt wurden, wovon 2.002 (darunter 1. 144 Frauen) im Rahmen der 3. Welle auch ein drittes Mal erfasst sind. Die Wiederholungsbefragungen beziehen sich auf den Westen der Bundesrepublik, inklusive West-Berlin. Als Partnerschaft beziehungsweise Paarbeziehung sind im Familiensurvey neben den Ehen alle Beziehungen erfasst, welche der Befragte selbst als Partnerschaft einstuft und welche aktuell bestehen. Ein gemeinsamer Haushalt ist kein Definitionskriterium. Bei zurückliegenden Paarbeziehungen muss zusätzlich die Bedingung erfüllt sein, dass die Beziehung mindestens ein Jahr lang gedauert hat oder die Partner verheiratet waren. In der 1. und 2. Welle des Familiensurvey umfassen die retrospektiven Partnerschaftsbiographien maximal 4 Paarbeziehungen.

278

Jan Eckhard und Thomas Klein

Tabelle 1: Beschreibung der Stichproben, Variablenmittelwerte Kinderlose Frauen FS

Panel

Kinderlose Männer FS

Panel

Frauen mit mind. einem leibl. Kind

Männer mit mind. einem leibl. Kind

FS

FS

Panel

Panel

Zustimmung zu ... Kinder machen das Leben in2,3 2,4 2,3 2,4 2,8 2,8 2,7 2,7 tensiver und erfüllter Kinder lassen zu wenig Zeit 1,4 1,4 1,5 1,4 1,4 1,4 1,2 1,2 für eigene Interessen Kinder sind gut, um jemanden zu haben, der einem im Alter 1,1 1,1 1,2 1,3 1,1 1,0 1,2 1,6 hilft Kinder schaffen Probleme mit den Nachbarn, auf Reisen und 1,0 1,0 1,2 1,1 0,9 0,9 1,0 0,9 in der Öffentlichkeit Kinder belasten die Partner0,6 0,6 0,7 0,6 0,6 0,6 0,5 0,5 schaft Kinder geben einem das Ge2,4 2,4 2,3 2,4 2,6 2,6 2,5 2,5 fühl, gebraucht zu werden Kinder sind eine finanzielle Belastung, die den Lebens1,5 1,5 1,6 1,6 1,5 1,5 1,5 1,5 standard einschränkt Kinder bringen Sorgen und 1,9 1,8 1,9 1,7 2,0 1,9 1,9 1,9 Probleme mit sich Kinder im Haus zu haben und sie aufwachsen zu sehen, 2,7 2,7 2,6 2,7 2,9 2,9 2,8 2,8 macht Spaß Kinder machen eine Einschränkung der Berufsarbeit 2,3 2,3 1,8 1,8 2,4 2,4 1,4 1,4 notwendig Kinder sind gut, um jemanden zu haben, auf den man sich 1,4 1,4 1,5 1,6 1,5 1,5 1,5 1,5 im Notfall verlassen kann Kinder bringen die Partner 1,7 1,8 1,8 1,9 1,9 1,9 2,1 2,1 einander näher Wenn Frauen eine berufliche Karriere machen wollen, 1,8 1,8 1,7 1,7 2,0 2,0 1,9 1,9 müssen sie auf Kinder verzichten Kinderzahl 1,9 1,9 1,9 1,9 Alter 28,4 28,5 28,9 29,5 39,7 39,0 41,8 41,6 Fallzahl (Insgesamt) 1621 737 2040 930 3868 2051 2513 1279 Fallzahl (in Paarbeziehung) 1071 464 1126 491 3468 1954 2370 1289 Anmerkungen: Alle Variablenausprägungen beziehen sich auf das Jahr 1988. Alle Variablen (bis auf das Alter und die Kinderzahl) wurden durch eine vierstufige Skala mit den Ausprägungen 0=‚stimme überhaupt nicht zu’, 1=‚stimme wenig zu’, 2=‚stimme überwiegend zu’, 3=‚stimme voll und ganz zu’ gemessen. FS= Familiensurvey Quelle: Familiensurvey 1988 und Panel, eigene Berechnungen

Die Motivation zur Elternschaft. Unterschiede zwischen Männern und Frauen

279

Die ereignisanalytischen Berechnungen zur Ermittlung der Verhaltensrelevanz verschiedener Motive des generativen Verhaltens beruhen auf dem Paneldatensatz des Familiensurvey, womit die 1988 erhobenen Motive mit dem Geburtenverhalten der Folgejahre in Beziehung gesetzt wurden. Wichtig dabei ist, dass die Erhebung der Motive zum Beginn des Beobachtungszeitraumes, also vor dem beobachteten Geburtenverhalten, stattfand. Nur so ist auszuschließen, dass die Motive nicht Folge des beobachteten Geburtenverhaltens ist, sondern für dieses unter Umständen verantwortlich gemacht werden können. Das Verfahren der Ereignisanalyse (Blossfeld, Hamerle und Mayer 1986; Diekmann und Mitter 1984) bietet hierbei die Möglichkeit, auch die Unterschiedlichkeit der verfügbaren Beobachtungsdauer (für die 2fach Befragten 6 Jahre, für die 3fach Befragten 12 Jahre) angemessen zu behandeln.6 Die ereignisanalytischen Modelle beziehen sich auf den Übergang zu einem ersten beziehungsweise einem weiteren Kind, wobei das Jahr 1988 (das Erhebungsjahr zu den Motivationsfragen) als Ausgangspunkt des Beobachtungszeitraums festgelegt wurde. Anwendung findet im Folgenden ein Modell, bei dem unter Verwendung der Methode des Episodensplittings (Blossfeld, Hamerle und Mayer 1986) von einjährigen Zeitintervallen und von einer Abhängigkeit der Geburtenrate nicht nur vom Alter a, sondern auch von einem Altersterm ln a ausgegangen wird, wodurch der für die Geburtenneigung typische erst ansteigende und schließlich wieder abfallende Verlauf über das Lebensalter modelliert wird. Der Altersabhängigkeit vor allem der Erstgeburtenraten kann damit Rechnung getragen werden. Mit Eintritt des 46. Lebensjahres wurde der Beobachtungszeitraum als zensiert angesehen. Die Indikatorvariablen der Motive wurden zeitveränderlich modelliert, d. h., da die Ausprägung über die Panelwellen hinweg variieren können, wurden sie für die bis zur 3. Welle im Panel verbleibenden Fälle aktualisiert gemäß der Informationen aus der 2. Welle (für die letzten 6 Jahre des Beobachtungszeitraumes). Tabelle 1 informiert auch über den für die ereignisanalytischen Berechnungen relevanten Ausgangsdatensatz der Panelstichprobe.

3

Dimensionen der Motivstruktur generativen Handelns

Die vorliegende Studie analysiert die Motivation zur Elternschaft im Spannungsfeld von Beweg- und Hinderungsgründen zur Geburt eines Kindes. Be6

Die variierende Beobachtungsdauer kommt dabei dem Problem der Linkszensierung gleich, was eine Verwendung ereignisanalytischer Methoden notwendig macht.

280

Jan Eckhard und Thomas Klein

weggründe zur Elternschaft lassen sich weitergehend in ‚immaterielle’ und ‚instrumentelle’ Beweggründe unterscheiden.7 Mit immateriellen Beweggründen soll hier die Befriedigung der Eltern angesprochen werden, welche unmittelbar der Existenz eigener Kinder entspringt – wie etwa die Freude am Aufwachsen der Kinder oder auch die Sinnstiftungsfunktion der Familie. Instrumentelle Beweggründe hingegen zielen darauf ab, dass durch die Existenz eigener Kinder weitere Ziele erreicht werden können: Beispielsweise können Kinder eine Stütze im Alter und in Notsituationen sein oder sie können die Beziehung der Eltern stabilisieren. Zu den Hinderungsgründen (bzw. den Kosten der Elternschaft) zählen zum einen verschiedene Belastungen für die Eltern – z. B. finanzielle Kosten und psychische Belastungen – und zum anderen auch die indirekten bzw. Opportunitätskosten – insbesondere in Bezug auf den Arbeitsverdienst, aber beispielsweise auch in Bezug auf Partnerschaft und Freizeitgestaltung. Die im Familiensurvey erfassten Motive sind sicher unzureichend, um das gesamte Spektrum der Motivstruktur des generativen Handelns aufzuspannen. Dennoch finden sich die genannten Beweg- und Hinderungsgründe in den dort enthaltenen Fragen wieder (vgl. Tabelle 1). Unter Zugrundelegung dieser Fragen lässt sich mittels einer Faktorenanalyse zeigen, dass sich die Unterscheidung in immaterielle Beweggründe, instrumentelle Beweggründe, Hinderungsgründe und Opportunitätskosten auch in den empirischen Daten widerspiegelt (dazu ausführlich Klein und Eckhard 2005: 157-158, 168-169).

4

Beweggründe zur Elternschaft bei Männern und Frauen

Tabelle 2 vergleicht die Bedeutung immaterieller und instrumenteller Beweggründe zur Elternschaft zwischen Männern und Frauen. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern ergeben sich hier aus den – jeweils unter Kontrolle des Lebensalters geltenden – Effekten für Männer auf die Zustimmung zu den jeweiligen Indikatoraussagen. Die Spalten 1 bis 4 der Tabelle beziehen sich auf bis dato kinderlose Personen, die Spalten 5 bis 8 hingegen auf Männer und Frauen mit Elternschaftserfahrung. Spalte 1 analysiert die Motive der Kinderlosen unabhängig davon, ob eine Paarbeziehung existiert oder nicht. Zu erken-

7

Eine entsprechende Kategorisierung der Motive des Geburtenverhaltens findet sich in der klassischen Unterscheidung zwischen dem ‚Konsum’-, dem ‚Einkommens’- und dem ‚Sicherheitsnutzen’ von Kindern bei Leibenstein (1957, 1974). Ähnliche Unterscheidungen – z. B. zwischen einer ‚psychisch-affektiven’ und einer ‚ökonomisch-utilitaristischen’ Nutzendimension (Nauck und Kohlmann 1999) – sind nach wie vor aktuell.

Die Motivation zur Elternschaft. Unterschiede zwischen Männern und Frauen

281

nen ist, dass immaterielle Beweggründe bei Männern weniger stark verbreitet sind als bei Frauen, während hingegen die instrumentellen Beweggründe bei Männern stärker ausgeprägt sind. Wie in Spalte 2 wiedergegeben, ist hierbei jedoch zu berücksichtigen, dass insbesondere die Motivation von Männern in verschiedener Hinsicht von der Existenz einer Paarbeziehung abhängig ist: Die immateriellen Beweggründe sind bei Männern stärker ausgeprägt, wenn sie in einer Paarbeziehung leben. Instrumentelle Beweggründe spielen hingegen bei Männern eine geringere Rolle, wenn sie in einer Paarbeziehung leben. Bei Frauen ist der Einfluss der Existenz einer Paarbeziehung demgegenüber vergleichsweise unbedeutsam (Spalte 3).8 Da generative Entscheidungen in der Regel vor dem Hintergrund konkreter Paarbeziehungen getroffen werden, ist somit von Interesse, ob die unterschiedliche Motivation von Männern und Frauen auch unter der Voraussetzung bestehender Paarbeziehungen existiert. In der Tat fällt der Unterschied zwischen den Geschlechtern geringer aus, wenn für die Existenz einer Paarbeziehung kontrolliert wird (Spalte 4). Bei den immateriellen Beweggründen lässt sich eine signifikant stärkere Verbreitung bei Frauen nur noch in Bezug auf die Freude am Zusammenleben mit Kindern feststellen. Die Verbreitung der instrumentellen Beweggründe hingegen ist bei Männern gegenüber Frauen unter der Voraussetzung bestehender Paarbeziehungen generell immer noch stärker ausgeprägt, wenn auch die entsprechenden Geschlechtereffekte in Spalte 4 gegenüber Spalte 1 schwächer ausfallen. Die Tendenz, dass Männer gegenüber Frauen instrumentelle Beweggründe stärker und immaterielle Beweggründe zur Elternschaft hingegen weniger betonen, lässt sich auch in Bezug auf die Gruppe mit Elternschaftserfahrung feststellen (Spalte 5). Dabei zeigen sich hinsichtlich aller immateriellen Beweggründe signifikante negative Effekte für Männer auch unter der Voraussetzung bestehender Paarbeziehungen (Spalte 8). Im Vergleich zu den Kinderlosen ist auffällig, dass die Existenz einer Paarbeziehung bei den Männern nicht nur die immateriellen, sondern auch die instrumentellen Beweggründe begünstigt (Spalte 6).

8

Lediglich das Motiv, dass es Freude macht Kinder aufwachsen zu sehen, wird auch bei Frauen von der Existenz einer Paarbeziehung signifikant begünstigt.

282

Jan Eckhard und Thomas Klein

Tabelle 2: Geschlechtsunterschiede der Beweggründe zur Elternschaft (lineare Regressionsanalyse, ȕ-Koeffizienten)

Instrumentelle Beweggründe zur Elternschaft

Immaterielle Beweggründe zur Elternschaft

Bis dato kinderlose Personen (1) (2) (3)

Personen mit mindestens einem Kind (4) (5) (6) (7) (8) In PaarFrauen In PaarMänner Männer Frauen Gesamt Gesamt (gebeziebezie(gesamt) (gesamt) (gesamt) samt) hung hung Zustimmung zu ‚Kinder machen das Leben intensiver und erfüllter’ 1 Männer Paarbez.

-0,073***

-0,027 0,106**

-0,083***

0,012

-0,082*** 0,160***

0,087***

Zustimmung zu ‚Kinder im Haus zu haben und sie aufwachsen zu sehen, macht Spaß’ 1 Männer

-0,099***

Paarbez.

-0,085*** 0,087**

-0,044***

0,076**

-0,038*** 0,161***

0,030

Zustimmung zu ‚Kinder geben einem das Gefühl, gebraucht zu werden’ 1 Männer

-0,049*

Paarbez.

-0,048 0,038

-0,097***

0,036

-0,097*** 0,052

0,032

Zustimmung zu ‚Kinder sind gut, um jemanden zu haben, der einem im Alter hilft’ 1 Männer

0,200***

Paarbez.

0,174*** -0,095*

0,116***

-0,025

0,130*** -0,020

-0,116*

Zustimmung zu ‚Kinder sind gut, um jemanden zu haben, auf den man sich im Notfall verlassen kann’ 1 Männer Paarbez.

0,182***

0,156*** -0,060

-0,024

0,012

-0,005 0,210*

-0,046

Zustimmung zu ‚Kinder bringen die Partner einander näher’ 1 Männer Paarbez.

0,106***

0,078* -0,039

0,044

0,123***

0,101* 0,473***

0,507***

Anmerkungen: Es wurde für Alter kontrolliert. *, **, *** signifikant mit einem Niveau von max. 5%, 1%, 0,1% Irrtumswahrscheinlichkeit. Das r2 für die Modellanpassung variiert je nach Modell zwischen 0,0065 und 0,0421 und ist jeweils statistisch signifikant. 1 Vierstufige Skala mit den Ausprägungen 0=‚stimme überhaupt nicht zu’, 1=‚stimme wenig zu’, 2=‚stimme überwiegend zu’, 3=‚stimme voll und ganz zu’, zeitpunktbezogen auf 1988 mit Aktualisierung ab 1994 Quelle: Familiensurvey 1988 (Westdeutschland), eigene Berechnugen

Das Zusammenleben mit dem anderen Elternteil, das für Väter in der Regel zusammenfällt mit dem Zusammenleben mit den Kindern, ist offensichtlich für Männer eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die immateriellen Nutzen-

Die Motivation zur Elternschaft. Unterschiede zwischen Männern und Frauen

283

aspekte (insbesondere die Freude an Kindern und die ‚Intensivierung und Erfüllung des Lebens’ durch Kinder), aber auch die Sicherheitsfunktion (Hilfe in Notfällen) eigener Kinder wahrgenommen beziehungsweise erwartet werden können. Da Kinder nach einer Trennung der Eltern in der Regel bei den Müttern verbleiben, trifft dies auf Frauen nicht zu (Spalte 7). Lediglich die Paarbindungsfunktion von Kindern wird – trivialerweise – auch bei Müttern weniger wahrgenommen, wenn keine Paarbeziehung (mehr) existiert. Inwiefern ist jedoch überhaupt davon auszugehen, dass die hier betrachteten Beweggründe tatsächlich einen Einfluss auf die Entscheidung zur Geburt eines Kindes haben, also verhaltensrelevant sind? Und inwiefern gibt es auch diesbezüglich Unterschiede zwischen den Geschlechtern? Die Tabelle 3 betrachtet hierzu die Effekte der Motivation auf die Übergangsrate zum ersten und zu weiteren Kindern. Der linke Teil der Tabelle bezieht sich dabei auf erste Geburten (=Familiengründung), der rechte Teil auf den Übergang zur Geburt eines Kindes höherer Ordnungszahl (=Familienerweiterung). Für jedes Motiv wurde dabei ein Modell zur Bestimmung des Einflusses auf die Übergangsraten berechnet, wobei die Kovariaten (Alter, Alter des Partners, Alter des jüngsten Kindes, Kinderzahl) jeweils in gleicher Weise enthalten sind. Die Effekte gelten – da sich die Tabelle nur auf Personen in Paarbeziehungen bezieht – unter der Voraussetzung einer bestehenden Paarbeziehung zum Ausgangszeitpunkt (1988) und zudem unter Kontrolle der Kinderzahl sowie des Alters der Bezugsperson, des Partners oder der Partnerin und des jüngsten Kindes. Immaterielle Beweggründe, wie die Freude an Kindern oder die Erfüllung und Intensivierung des Lebens durch Kinder, erweisen sich für beide Geschlechter als verhaltensrelevante Motive der Familiengründung (Spalten 1 und 2). Bei Männern wie bei Frauen hat die Zustimmung sowohl zur Aussage, dass Kinder das Leben intensiver und erfüllter machen, als auch zur Aussage, dass Kinder im Haushalt Freude bereiten, einen deutlichen positiven Effekt auf die Familiengründungsrate.9 Der immaterielle Beweggrund, dass Kinder das Gefühl vermitteln gebraucht zu werden, hat hingegen keinen signifikanten positiven Effekt auf die Familiengründungsrate und ist somit als weniger verhaltensrelevant sowohl für Männer als auch für Frauen einzustufen.

9

Der betreffende Koeffizient in Spalte 1 für das Motiv der Erfüllung und Intensivierung des Lebens durch Kinder (Zustimmung zu ‚Kinder machen das Leben intensiver und erfüllter’) beispielsweise besagt, dass sich die Familiengründungsrate der Männer je Grad der Zustimmung zur Indikatoraussage um das 1,422fache erhöht.

284

Jan Eckhard und Thomas Klein

Tabelle 3: Verhaltensrelevanz der Beweggründe zur Elternschaft bei Männern und Frauen in Paarbeziehungen (ereignisanalytische Regressionsanalyse, relative Risiken) Effekte auf die

Immaterielle Beweggründe

Effekte auf die Übergangsrate zu einem weiteren Kind

Männer 3

Frauen 4

Männer 5

Frauen 6

(1)

(2)

(3)

(4)

0,850

0,723***

0,926

0,680***

ln (Alter -13) 1

21,58

80,753***

5,609

137,882***

Alter des Partners/ der Partnerin - 13 1

1,509***

0,730***

0,760*

0,946

ln (Alter des Partners/ der Partnerin – 13) 1

277,025***

208,408***

23,994

1,943

0,441***

0,458***

Alter - 13

Instrumentelle Beweggründe

1

Erstgeburtenrate

Kinderzahl Alter d. jüngsten Kindes 1

0,785***

0,860***

Zustimmung zu „Kinder machen das Leben 1,422*** intensiver und erfüllter“ 2

2,153***

0,896

1,815***

Zustimmung zu „Kinder im Haus zu haben 1,326* und sie aufwachsen zu sehen, macht Spaß“ 2

1,870***

1,016

0,886

Zustimmung zu „Kinder geben einem das 1,136 Gefühl, gebraucht zu werden“ 2 7

1,150

1,088

1,091

Zustimmung zu „Kinder sind gut, um jemanden zu haben, der einem im Alter hilft“ 2 7

1,009

1,259**

1,220*

0,959

Zustimmung zu „Kinder sind gut, um jemanden zu haben, auf den man sich im Notfall 1,085 verlassen kann“ 2 7

1,208**

1,182

0,891

Zustimmung zu „Kinder bringen die Partner 1,358*** einander näher“ 2 7

1,332***

1,018

1,122

7

Anmerkungen: *, **, *** mit einem Signifikanzniveau mit max. 5%, 1%, 0,1% Irrtumswahrscheinlichkeit; 1 zeitabhängig, in Jahren 2 Vierstufige Skala mit den Ausprägungen 0=‚stimme überhaupt nicht zu’, 1=‚stimme wenig zu’, 2=‚stimme überwiegend zu’, 3=‚stimme voll und ganz zu’, zeitpunktbezogen auf 1988 mit Aktualisierung ab 1994 3 N=473, Beobachtungsjahre (Spells)=2381, Ereignisse (Geburten)=205, Log-Likelihood-Wert für die Modellanpassung > 800 4 N=467, Beobachtungsjahre (Spells)=2144, Ereignisse (Geburten)=219, Log-Likelihood-Wert für die Modellanpassung j> 800 5 N=1140, Beobachtungsjahre (Spells)=5862, Ereignisse (Geburten)=149, Log-Likelihood-Wert für die Modellanpassung > 800 6 N=1756, Beobachtungsjahre (Spells)=7800, Ereignisse (Geburten)=251, Log-Likelihood-Wert für die Modellanpassung > 1200 7 Kontrollvariablen wie im oberen Teil der Tabelle Quelle: Familiensurvey-Panel 1988-2000 (Westdeutschland)

Die Motivation zur Elternschaft. Unterschiede zwischen Männern und Frauen

285

Das Motiv der Sicherheitsfunktion von Kindern (als Hilfe im Alter beziehungsweise in Notfällen) ist zwar bei Männern stärker verbreitet (siehe oben) als bei Frauen, verhaltensrelevant für die Familiengründung ist diese Motivation jedoch nur bei den Frauen: Nur auf die Familiengründungsrate der Frauen hat die Zustimmung zu den entsprechenden Indikatoraussagen einen signifikanten positiven Effekt. Ein für beide Geschlechter sehr bedeutsames Motiv der Familiengründung hingegen ist die Paarbindungsfunktion gemeinsamer Kinder. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen ist die Erstgeburtenrate höher, wenn die Paarbindungswirkung erwartet wird. Deutlichere Unterschiede zwischen den Geschlechtern lassen sich hinsichtlich der Verhaltensrelevanz der Beweggründe für die Familienerweiterung feststellen (Spalten 3 und 4). Während die Geburt eines weiteren Kindes für Frauen eher durch immaterielle Beweggründe, insbesondere durch das Motiv der Erfüllung und Intensivierung des Lebens durch Kinder, begünstigt wird, spielen immaterielle Beweggründe bei den Männern keine bedeutsame Rolle für die Geburt weiterer Kinder. Hingegen deuten die vergleichsweise starken und teilweise signifikanten positiven Effekte für die Indikatoraussagen des Motivs der Sicherheitsfunktion von Kindern darauf hin, dass die Familienerweiterung bei Männern eher durch dieses instrumentelle Motiv geprägt ist. Bei den Frauen wirkt sich das Motiv der Sicherheitsfunktion von Kindern hingegen nicht begünstigend auf die Familienerweiterung aus.

5

Hinderungsgründe zur Elternschaft bei Männern und Frauen

Analog zu Tabelle 2 gibt Tabelle 4 einen Überblick über Geschlechterunterschiede hinsichtlich verschiedener Hinderungsgründe zur Elternschaft. Auch hinsichtlich der Hinderungsgründe lassen sich Unterschiede zwischen Männern und Frauen aufzeigen. Unabhängig davon, ob eine Paarbeziehung besteht oder eigene Kinder bereits geboren sind, spielen vor allem die beruflichen Opportunitätskosten bei Frauen eine deutlich größere Rolle als bei Männern (Spalten 1, 4, 5 und 8). Dies gilt nicht nur für die berufsbezogenen Kosten der Bezugsperson, sondern auch für den Kostenaspekt des Karriereverzichts speziell von Müttern, der ebenfalls von den Frauen selbst weitaus häufiger als notwendig empfunden wird als von Männern. Inwiefern sonstige Hinderungsgründe zur Elternschaft eine geschlechtspezifische Bedeutung haben, ist davon abhängig, ob bereits Erfahrungen mit eigenen Kindern vorliegen oder nicht. Unter den Kinder-

286

Jan Eckhard und Thomas Klein

losen ist beispielsweise der Hinderungsgrund, dass Kinder Probleme ‚mit den Nachbarn, auf Reisen und in der Öffentlichkeit’ verursachen können, bei Männern verbreiteter als bei Frauen (Spalte 1 und 4). Auch die Hinderungsgründe der Paarbelastung durch Kinder und der Reduktion von Freizeit sind bei kinderlosen Männern von größerer Bedeutung als bei kinderlosen Frauen (Spalte 1). Dies gilt allerdings nicht mehr, wenn man die Existenz einer Paarbeziehung voraussetzt (Spalte 4), denn diese Kostenaspekte spielen unter der Voraus setzung einer bestehenden Paarbeziehung eine geringere Rolle (Spalte 2). Bei kinderlosen Frauen lassen sich keine bedeutsamen Unterschiede zwischen Personen mit und ohne Paarbeziehung feststellen (Spalte 3). Deutlich anders stellt sich die geschlechtsspezifische Verbreitung der Hinderungsgründe – mit Ausnahme der berufsbezogenen Opportunitätskosten – bei Personen mit Kindern dar: Sowohl die Freizeitreduktion als auch die mit ‚Sorgen und Probleme’ angesprochenen psychischen Belastungen erweisen sich als mütterspezifische Belastungen (Spalten 5 und 8). In Bezug auf die finanziellen Kosten, auf die Probleme mit Kindern in der Öffentlichkeit sowie auf die Paarbelastung lässt sich kein Geschlechterunterschied erkennen, sofern man die Existenz einer Paarbeziehung voraussetzt (Spalte 8). Des Weiteren ist der Tabelle zu entnehmen, dass das Fehlen einer Paarbeziehung bei Personen mit Kindern mit einer höheren Verbreitung der negativen Aspekte von Kindern einhergeht. Die entsprechenden Effekte sind allerdings meist schwer zu interpretieren, da die Motivstruktur hierbei sowohl Ursache als auch Folge der fehlenden Paarbeziehung beziehungsweise einer Trennung sein kann.10 Die Verhaltensrelevanz der Hinderungsgründe bei Männern und Frauen mit Paarbeziehungen ist der Tabelle 5 zu entnehmen.11 Sowohl für die Entscheidung zur Familiengründung (Spalten 1 und 2) als auch für die Entscheidung über Familienerweiterungen (Spalte 3 und 4) sind für Männer und Frauen unterschiedliche Hinderungsgründe ausschlaggebend. Im Hinblick auf Familiengründungen sind die Reduktion von Freizeit sowie die ‚Furcht’ vor Sorgen und Problemen eher für Frauen ausschlaggebende Hinderungsgründe. Für Männer hingegen

10

11

Eine Ausnahme ist sicherlich die Erwartung finanzieller Kosten, die bei den Vätern durch das Fehlen einer Paarbeziehung begünstigt wird. Im Gegensatz zu anderen Belastungen der Elternschaft fallen finanzielle Kosten mit einer Trennung der Eltern für die Männer nicht weg, sondern verstärken sich eher noch. Analog zu Tabelle 3 wurde dabei für jedes Motiv ein Modell zur Bestimmung des Einflusses auf die Geburtenraten berechnet, wobei die Kovariaten (Alter, Alter des Partners, Alter des jüngsten Kindes, Kinderzahl) in allen Modellen in gleicher Weise enthalten sind und mit den im oberen Teil der Tabelle 3 aufgeführten Kovariaten übereinstimmen.

287

Die Motivation zur Elternschaft. Unterschiede zwischen Männern und Frauen

Tabelle 4: Geschlechterunterschiede der Hinderungsgründe zur Elternschaft (lineare Regressionsanalyse, ȕ-Effekte) Bis dato kinderlose Personen (1) (2) (3)

Männer Paarbez.

Personen mit mindestens einem Kind (4) (5) (6) (7) (8) In PaarIn PaarMänner Frauen Männer Frauen Gesamt bezieGesamt bezie(gesamt) (gesamt) (gesamt) (gesamt) hung hung Zustimmung zu „Kinder sind eine finanzielle Belastung, die den Lebensstandard ein1 schränkt“ 0,034 0,027 -0,010 -0,015 0,014 0,018 -0,227** -0,082 Zustimmung zu ‚Kinder bringen Sorgen und Probleme mit sich’ 1

Männer

0,019

Paarbez.

0,006 -0,036

-0,048*

-0,006

-0,046* -0,083

-0,060

Zust. zu ‚Kinder bringen Probleme auf Reisen, mit den Nachbarn u. in der Öffentlichkeit’ 1 Männer Paarbez.

0,082* 0,014 0,019 0,148*** Zustimmung zu ‚Kinder belasten die Partnerschaft 1

Männer

0,058*

Paarbez.

Männer

Berufsbezogene Opportunitätskosten

Paarbez.

Männer Paarbez.

Männer Paarbez.

0,157***

0,017 0,249***

-0,001 -0,040* 0,014 0,121*** 0,364*** Zustimmung zu ‚Kinder lassen zu wenig Zeit für eigene Interessen’ 1 0,055* 0,010 0,160*** -0,084* 0,018 -0,143*

0,155*** -0,028 0,304*** 0,160*** -0,072

Zustimmung zu ‚Kinder machen eine Einschränkung der Berufsarbeit notwendig’ 1 0,488*** 0,488*** 0,963*** 0,978*** 0,051 0,029 -0,200* 0,046 Zust. zu ‚Wenn Frauen eine berufliche Karriere machen wollen, müssen sie auf Kinder verzichten’ 1 0,129*** 0,165*** 0,153*** 0,167*** -0,009 0,100 0,043 0,163**

Anmerkungen: Es wurde für Alter kontrolliert. *, **, *** signifikant mit einem Niveau von max. 5%, 1%, 0,1% Irrtumswahrscheinlichkeit Das r2 für die Modellanpassung variiert je nach Modell zwischen 0,0022 und 0,2242 und ist jeweils statistisch signifikant. 1 Vierstufige Skala mit den Ausprägungen 0=‚stimme überhaupt nicht zu’, 1=‚stimme wenig zu’, 2=‚stimme überwiegend zu’, 3=‚stimme voll und ganz zu’, zeitpunktbezogen auf 1988 mit Aktualisierung ab 1994 Quelle: Familiensurvey 1988 (Westdeutschland), eigene Berechnungen

288

Jan Eckhard und Thomas Klein

sind diese Hinderungsgründe nicht für die Familiengründung, stattdessen aber für die Familienerweiterung von Bedeutung. Wenn Männer, die bereits ein oder mehrere Kinder haben, die Reduktion von freier Zeit oder ‚Sorgen und Probleme’ durch Kinder in hohem Maße wahrnehmen, ist es demnach wahrscheinlich, dass kein weiteres Kind mehr geboren wird. Die Erwartung von Partnerschaftsproblemen durch Kinder ist im Hinblick auf Familiengründungen ein Hinderungsgrund, der eher für Männer bedeutsam ist. Während sich bei den Männern für diesen Aspekt ein negativer Effekt auf die Erstgeburtenrate zeigt, ist der entsprechende Effekt bei den Frauen nur sehr schwach und nicht statistisch signifikant. Gleiches gilt für die Erwartung von Problemen mit Kindern in der Öffentlichkeit. Während dieser Hinderungsgrund jedoch für die Familienerweiterungen keine Rolle spielt, sind Partnerschaftsprobleme durch Kinder auch für Geburten höherer Ordnung relevant – und zwar sowohl für Männer als auch für Frauen. Die Erwartung finanzieller Belastungen wirkt bei beiden Geschlechtern negativ auf die Erstgeburtenneigung. Familienerweiterungen hingegen werden hiervon nicht in bedeutsamem Ausmaß negativ beeinflusst. Dies entspricht letztlich der These abnehmender finanzieller Grenzkosten bei steigender Kinderzahl (vgl. dazu die Ausführungen in Klein und Eckhard 2004). In Bezug auf berufsbezogene Opportunitätskosten zeigt sich ein negativer Effekt auf die Familiengründungsneigung – dies mag auf den ersten Blick überraschend sein – nur bei Männern. Wenn also ein Mann davon ausgeht, dass sich die Geburt eines Kindes negativ auf seine berufliche Tätigkeit auswirkt, kann dies durchaus entscheidungsrelevant sein. Bei den Frauen hingegen ergibt sich für die Erwartung berufsbezogener Opportunitätskosten kein nennenswerter Effekt auf die Familiengründungrate. Die Auffassung, dass Mutterschaft mit der Notwendigkeit berufsbezogener Einschränkungen oder eines Karriereverzichts verbunden ist, ist demnach bei Frauen, die sich gegen die Geburt eines Kindes entscheiden, nicht wesentlich höher als bei Frauen, die eine Familie gründen werden (vgl. auch Klein und Eckhard 2005). Hierbei ist allerdings zu bedenken, dass die beiden im Familiensurvey enthaltenen Aussagen zu diesem Themenkomplex nur die Vereinbarkeit (von Erwerbstätigkeit und Mutterschaft) betreffen, während die Höhe der mit Unvereinbarkeit verbundenen Opportunitätskosten hierin nicht zum Ausdruck kommt.12 Für die Familienerweiterung, also

12

Die in der Fertilitätsforschung vieldiskutierte ‚Opportunitätskostenhypothese’ stellt jedoch genau dies als das ausschlaggebende Moment heraus: Nicht die Unvereinbarkeit an sich, sondern der ‚Wert’ dessen, was mit der Mutterschaft aufgegeben werden müsste, bestimmt die Entscheidung von Frauen zur Kinderlosigkeit.

289

Die Motivation zur Elternschaft. Unterschiede zwischen Männern und Frauen

Tabelle 5: Verhaltensrelevanz der Hinderungsgründe zur Elternschaft bei Männern und Frauen in Paarbeziehungen (ereignisanalytische Regressionsanalyse, relative Risiken) Effekte auf die Erstgeburtenrate

Effekte auf die Übergangsrate zu einem weiteren Kind

Männer 3

Frauen 4

Männer 5

Frauen 6

(1)

(2)

(3)

(4)

Zustimmung zu „Kinder sind eine finanzielle Belastung, 0,801** die den Lebensstandard einschränkt“ 1 2

0,777***

0,938

1,051

Zustimmung zu „Kinder bringen Sorgen und Probleme mit sich“ 1 2

0,892

0,753***

0,805*

0,863

Zustimmung zu „Kinder bringen Probleme auf Reisen, mit den Nachbarn und in der Öffentlichkeit“ 1 2

0,826*

0,930

1,079

0,968

Zustimmung zu „Kinder belasten die Partnerschaft“ 1

0,776*

0,879

0,734*

0,812*

Zustimmung zu „Kinder lassen zu wenig Zeit für eigene 0,878 Interessen“ 1 2

0,785**

0,652***

1,066

Zustimmung zu „Kinder machen eine Einschränkung der Berufsarbeit notwendig“ 1 2

0,816*

0,887

0,886

1,101

Zustimmung zu „Wenn Frauen eine berufliche Karriere machen wollen, müssen sie auf Kinder verzichten“ 1 2

1,018

1,023

0,949

1,003

2

Anmerkungen: *, **, *** mit einem Signifikanzniveau mit max. 5%, 1%, 0,1% Irrtumswahrscheinlichkeit 1 Vierstufige Skala mit den Ausprägungen 0=‚stimme überhaupt nicht zu’, 1=‚stimme wenig zu’, 2=‚stimme überwiegend zu’, 3=‚stimme voll und ganz zu’, zeitpunktbezogen auf 1988 mit Aktualisierung ab 1994 2 Kontrollvariablen wie im oberen Teil der Tabelle 3 3 N=473, Beobachtungsjahre (Spells)=2381, Ereignisse (Geburten)=205, Log-Likelihood-Wert für die Modellanpassung > 800 4 N=467, Beobachtungsjahre (Spells)=2144, Ereignisse (Geburten)=219, Log-Likelihood-Wert für die Modellanpassung > 800 5 N=1140, Beobachtungsjahre (Spells)=5862, Ereignisse (Geburten)=149, Log-Likelihood-Wert für die Modellanpassung > 800 6 N=1756, Beobachtungsjahre (Spells)=7800, Ereignisse (Geburten)=251, Log-Likelihood-Wert für die Modellanpassung > 1200 Quelle: Familiensurvey-Panel 1988-2000 (Westdeutschland), eigene Berechnungen

290

Jan Eckhard und Thomas Klein

unter der Bedingung eines bereits erfolgten Übergangs zur Familiengründung, spielt die Wahrnehmung berufsbezogener Opportunitätskosten weder für Frauen noch für Männer eine nennenswerte Rolle.13

6

Geschlechtsspezifische Einflussfaktoren der Motivation zur Elternschaft

Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden einige Untersuchungen über Einflussfaktoren der Motivation zur Elternschaft durchgeführt. Im Wesentlichen wurden dabei die in den Tabellen 2 und 4 dargestellten Regressionsanalysen um weitere unabhängige Variablen ergänzt. Dabei wurde ersichtlich, dass neben der Existenz einer Paarbeziehung auch einige weitere Einflussfaktoren der Motivation zur Elternschaft bei Männern und Frauen von unterschiedlicher Bedeutsamkeit sind. Darüber hinaus wurden die betreffenden Einflussfaktoren als weitere unabhängige Variablen in die ereignisanalytischen Berechungen zur Ermittlung der Motiveffekte auf die Geburtenraten einbezogen. Dabei hat sich gezeigt, dass verschiedene Motiveffekte geschlechtsspezifisch mit anderen Einflussfaktoren des Geburtenverhaltens interagieren. Die betreffenden Befunde können an dieser Stelle nicht ausführlich dargestellt werden, auf eine Kurzzusammenfassung wesentlicher Ergebnisse soll jedoch nicht verzichtet werden. Die Zusammenfassung konzentriert sich zunächst auf den Einfluss von Bildung und Einkommen, also auf zwei vieldiskutierte Determinanten des generativen Verhaltens.14 Zudem wird auf die geschlechtsspezifische Bedeutung der Beziehungsstabilität eingegangen. Das Niveau der formalen Bildung wirkt sich bei Frauen negativ auf die Motivation durch immaterielle Beweggründe aus: Zum Beispiel sehen Frauen mit niedrigeren Schulabschlüssen in der Elternschaft deutlich häufiger eine ‚Erfüllung im Leben’ als Frauen mit höheren Schulabschlüssen. Bei den Männern hingegen ist ein derartiger Zusammenhang nicht zu erkennen. Ein höheres Bildungsniveau kann demnach vor allem für Frauen mit einer reduzierten Wert13

14

Für Frauen ergibt sich hier sogar ein (allerdings nicht statistisch signifikanter) positiver Effekt auf die Neigung zur Familienerweiterung: Bei bereits erfolgter Festlegung auf Mutterschaft wirkt das Bewusstsein der Unvereinbarkeit mit Berufstätigkeit verstärkend auf die Geburtenneigung. Zu einer theoretischen Begründung dieser Tendenz mittels einer verhandlungstheoretischen Modellierung vgl. Ott (1989) sowie die Studie von Kohlmann und Kopp (1997). Hinweise auf die Bedeutung von Einkommen und Bildung enthalten auch zahlreiche Studien zum Zusammenhang zwischen Geburtenverhalten von Männern und Erwerbsbiographie (z. B. Tölke und Diewald 2003; Tölke 2004; Kreyenfeld 2000, 2001).

Die Motivation zur Elternschaft. Unterschiede zwischen Männern und Frauen

291

schätzung der Elternschaft einhergehen und die Vermutung liegt nahe, dass dies daraus resultiert, dass eine Vereinbarkeit von Familie und anderen Lebenszielen, deren Erreichen durch Bildung begünstigt wird, für Frauen schwieriger ist als für Männer. Allerdings lässt sich diese Vermutung nicht auf die Unvereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit verengen, denn höher gebildete Frauen gehen keineswegs häufiger als Frauen mit niedrigem Schulabschluss davon aus, dass mit dem Übergang zur Mutterschaft ein Verzicht auf Erwerbstätigkeit notwendig wird. Bildungsunterschiede im generativen Verhalten von Frauen sind demnach eher durch differierende Wertorientierungen, weniger jedoch – wie oft vermutet – alleine durch die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie zu erklären. Hiermit haben wir uns in einer separaten Veröffentlichung (Klein und Eckhard 2005) ausführlich befasst. Tendenziell unterschiedlich wirkt sich auch das Einkommen bei Männern und Frauen auf die Motivation zur Elternschaft aus. Mit zunehmendem Einkommen tendieren Männer dazu, Elternschaft mit immateriellen Werten zu assoziieren. Bei Frauen hingegen reduziert ein hohes Einkommen eher die Verbreitung der immateriellen Motivation zur Elternschaft. Zudem wirkt sich ein hohes Einkommen von Frauen stark darauf aus, dass der Hinderungsgrund der Unvereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf verhaltensrelevant wird: Die Auffassung, dass Kinder einen Verzicht auf eine Berufskarriere notwendig machen, wirkt sich mit steigendem Einkommen zunehmend negativ auf die Geburtenneigung aus. Die Bedeutsamkeit der Unvereinbarkeit von Beruf und Familie für das generative Verhalten ist demnach von der Höhe des im Falle einer Erwerbsunterbrechung ausfallenden Einkommens der Frauen abhängig. Da soziale Elternschaft für Männer mehr als für Frauen vom Bestand der Paarbeziehung zwischen den Elternteilen abhängig ist, ist für die subjektiv wahrgenommene Beziehungsstabilität eine für Männer und Frauen unterschiedliche Bedeutung für generative Entscheidungen zu erwarten. Ergebnisse unserer Analysen deuten darauf hin, dass die Verhaltensrelevanz der Beweggründe zur Elternschaft vor allem bei Männern – weniger jedoch bei Frauen – an die Stabilität der Paarbeziehung gekoppelt ist: Bei Männern, die angaben, dass es aktuell Probleme in der Paarbeziehung gab, zeigten sich deutlich geringere Effekte der Beweggründe auf die Erstgeburtenrate als bei Männern, die keine Partnerschaftsprobleme hatten. Ebenso ist das Motiv der Paarbindungsfunktion gemeinsamer Kinder für Männer nur dann als ein positiver Entscheidungsfaktor zur Familiengründung wirksam, wenn keine Beziehungsprobleme wahrgenommen werden. Für Frauen zeigt sich kein entsprechender Zusammenhang. Dies kann verschiedene Gründe haben, über die sich hier jedoch nur spekulieren lässt. Ein

292

Jan Eckhard und Thomas Klein

möglicher Grund besteht darin, dass Kinder nach einer Trennung zumeist bei den Müttern verbleiben. Somit stellt eine dauerhafte, stabile Paarbeziehung vor allem für Männer, weniger jedoch für Frauen, eine wesentliche Voraussetzung für die Wirksamkeit vor allem der immateriellen Anreize zur Elternschaft dar.

7

Schlussbetrachtung

Hinsichtlich verschiedener Beweg- und Hinderungsgründe des generativen Verhaltens konnten im Rahmen der hier dargestellten Analysen Unterschiede zwischen Männern und Frauen festgestellt werden. Immaterielle Beweggründe zur Elternschaft sind für Frauen von etwas größerer Bedeutung als für Männer. Insbesondere bei Männern, die keine (stabile) Paarbeziehung haben, sind diese Motive vergleichsweise gering ausgeprägt. Das Motiv der Paarbindungsfunktion gemeinsamer Kinder ist hingegen bei Männern stärker vorhanden als bei Frauen. Und auch das Motiv der Sicherheitsfunktion von Kindern ist unter Männern stärker verbreitet (wobei dieses Motiv allerdings generell nur eine geringe Verhaltensrelevanz für das faktische Geburtenverhalten hat). Berufsbezogene Opportunitätskosten der Elternschaft wiederum sind als Hinderungsgrund zur Elternschaft vor allem bei Frauen stark ausgeprägt. Wie weiterführende Ergebnisse zu den geschlechtsspezifischen Einflussfaktoren der Elternschaftsmotivation (Punkt 6) gezeigt haben, sind die berufsbezogenen Opportunitätskosten bei Frauen jedoch nur in Verbindung mit einem höherem Einkommen verhaltensrelevant für das faktische Geburtenverhalten. Verschiedene weitere Hinderungsgründe zur Elternschaft sind ebenfalls bei Männern und Frauen unterschiedlich ausgeprägt. Beispielsweise wird die Familiengründungsneigung bei Männern vermindert, wenn negative Konsequenzen für die Paarbeziehung oder „Probleme mit Nachbarn, auf Reisen oder in der Öffentlichkeit“ erwartet werden. Für Frauen haben diese Hinderungsgründe jedoch keine nennenswerte Relevanz für das Geburtenverhalten. Die Familiengründungsneigung von Frauen hingegen reduziert sich, wenn psychische Belastungen (‚Sorgen und Probleme’) oder ein zu hoher Verlust an Freizeit erwartet werden. Männer und Frauen unterscheiden sich also durchaus in der Art der Motivation zur Elternschaft. Zudem hat sich gezeigt, dass sich verschiedene ‚äußere Faktoren’ bei Männern und Frauen unterschiedlich auf die Elternschaftsmotivation auswirken. So wirken sich ein hoher Schulabschluss und/oder ein hohes Einkommen bei Frauen negativ auf die Motivation durch immaterielle Beweggründe zur Elternschaft aus, während bei Männern kein negativer Zusammen-

Die Motivation zur Elternschaft. Unterschiede zwischen Männern und Frauen

293

hang zwischen Bildung und immaterieller Motivation zur Elternschaft besteht und sich das Einkommen bei Männern sogar positiv auf die immaterielle Motivation auswirkt. Als ein eher männerspezifischer Einflussfaktor der Motivation zur Elternschaft muss die Stabilität der Paarbeziehung angesehen werden. Eine subjektive Einschätzung der Paarbeziehung als instabil führt bei Männern dazu, dass sich immaterielle wie auch instrumentelle Motive zur Elternschaft seltener positiv auf die Geburtenneigung auswirken. Sicher ist nicht das ganze Spektrum der im Kontext generativer Entscheidungen relevanten Motive in den Analysen dieser Studie erfasst. Weitere Geschlechterunterschiede in der Motivation zu generativen Entscheidungen, die über die untersuchten Beweg- und Hinderungsgründe hinausgehen, sind also durchaus denkbar. Um zu weiteren Erkenntnissen vor allem auch über die Motive der Männer zu kommen, ist die Forschung u. E. daher auf eine Verbesserung der Datenlage angewiesen: Die Hintergründe generativer Entscheidungen müssen verstärkt unter Einbezug der Männer erforscht werden, und dies ist schon im Zusammenhang der Datenerhebung zu berücksichtigen. Ferner konnte die Motivation zur Elternschaft im Rahmen der hier präsentierten Studie immer nur unter Unkenntnis der Motivlage des Beziehungspartners analysiert werden. Sehr zu begrüßen ist daher die sich abzeichnende Ausweitung von Umfragen auf beide Partner einer Paarbeziehung. Neben den partnerbezogenen ‚äußeren Faktoren’ generativer Entscheidungen sollte die ‚innere Seite’ der Motive dabei nicht vernachlässigt werden. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die subjektive, ‚innere’ Motivlage nicht immer in einer theoretisch oder intuitiv erwartbaren Weise mit den objektiven, ‚äußeren’ Bedingungen zusammenfällt oder interagiert. Eine Ausweitung der Fertilitätsforschung sowohl auf die Paarebene mit stärkerem Einbezug der Männer als auch auf die Interdependenz von objektiven Bedingungen und subjektiven Motivlagen ist daher versprechend im Hinblick auf weitergehende Erkenntnisse über die Hintergründe der Geburtenentwicklung.

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294

Jan Eckhard und Thomas Klein

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Hochschulbildung und Kinderlosigkeit: Deutsch-deutsche Unterschiede Mandy Boehnke

1

Einleitung

Kaum ein Thema erfreut sich in jüngster Zeit so großer Aufmerksamkeit wie die demographischen Veränderungen in der deutschen Gesellschaft und deren mögliche Folgen. Unter Überschriften wie „Das kinderlose Land“ oder „Jung, gebildet, allein“ (‚Die Zeit’ vom 15.1.04 bzw. 29.1.04), „Land ohne Kinder – wie geht’s der deutschen Familie?“ Tagesspiegel vom 12.12.04) oder „Alles gleichzeitig geht nicht“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.1.05), „Kontinent ohne Kinder” (Süddeutsche Zeitung vom 12./13.2.05) oder auch „Generation kinderlos“ (der SPIEGEL vom 12.9.05) wird dabei auf den Aspekt der Kinderlosigkeit fokussiert. Mittlerweile gesellen sich zu dieser teilweise alarmistischen, oft Akademikerinnen ein nicht unerhebliches Maß an Schuld zuweisenden Berichterstattung auch Gegenstimmen, die etwa fragen: „Kinderschwund – na und?“ (DIE ZEIT vom 23.3.06). Interessant wäre, den Einfluss der Medien in diesem Zusammenhang systematisch zu untersuchen, wie es etwa in Arbeiten von Barber und Axinn (2004) versucht wurde. Kürzlich erschien zwar eine vom BMFSFJ beauftragte und vom Adolf-Grimme-Institut durchgeführte Studie zum Bild der Familie im deutschen Fernsehen, die sich aber ausschließlich deskriptiven Zielen verschrieben hat (Hannover und Birkenstock 2005). Bei aller Schwierigkeit der gegenwärtigen Datenlage1 zur Kinderlosigkeit liegt die Einschätzung nah, dass Kinderlosigkeit in Deutschland im internationalen Vergleich ein relativ hohes Niveau hat (Dorbritz und Ruckdeschel, in diesem Band). Das Phänomen der Kinderlosigkeit findet sich dabei in besonderem

1

Exakte bevölkerungsstatistische Angaben zur Kinderlosigkeit sind derzeit nicht möglich (siehe die Beiträge von Kreyenfeld und Konietzka sowie Dorbritz und Ruckdeschel, in diesem Band). Die häufig verwendeten Daten des Mikrozensus, der wichtigsten amtlichen Befragung, umfassen nur die Anzahl der Kinder im Haushalt; Kinder, die den Haushalt bereits verlassen haben oder außerhalb des Haushalts leben, werden nicht erfasst. Sozialwissenschaftliche Datensätze als Alternative zur amtlichen Statistik wiederum können aufgrund des schwer abzuschätzenden Stichprobenfehlers problematisch sein.

296

Mandy Boehnke

Maße bei westdeutschen Akademikerinnen. Zwar überschätzen Untersuchungen, die sich auf Frauen im Alter von 35 bis 39 Jahren beschränken und implizit annehmen, dass diese Frauen ihren Fertilitätsprozess weitestgehend abgeschlossen haben, in der Regel den Anteil der Kinderlosen unter westdeutschen Frauen mit Hochschulbildung, wenn sie von einem Anteil von über 40 Prozent ausgehen, da westdeutsche Akademikerinnen ihren Kinderwunsch oft erst sehr spät realisieren (Grünheid 2003; Wirth und Dümmler 2004). Als gesichert kann jedoch gelten, dass Akademikerinnen im Hinblick auf Kinderlosigkeit eine Extremgruppe darstellen. Kreyenfeld (2004), die anhand des Mikrozensus 2000 Frauen mit Hochschulabschluss untersucht, findet, dass Akademikerinnen des Geburtsjahrgangs 1960 in Westdeutschland zu etwa 32 Prozent kinderlos bleiben, während dies auf etwa 24 Prozent aller westdeutschen Frauen zutrifft (Tabelle 1). Eine Untersuchung von Scharein und Unger (2005) vergleicht die Anteile kinderloser Akademikerinnen, wie sie im Mikrozensus und im Soziooekonomischen Panel (SOEP) ausgewiesen sind. Ergebnis ist, dass die Anteilsschätzungen kinderloser Akademikerinnen (Fachhochschul- und Universitätsabschluss) von 38 bis 43 Jahren im Jahre 2003 für beide Datensätze relativ ähnlich sind und (für Deutschland insgesamt) bei etwa 30 Prozent liegen. Tabelle 1: Kinderlosigkeit von Frauen in West- und Ostdeutschland im Jahr 2000 Alle

Akademikerinnen

West

Ost

West

Ost

Alter 30

46 %

27 %

73 %

49 %

Alter 35

29 %

13 %

45 %

19 %

Alter 40

24 %

12 %

36 %

8%

Alter 45

32 %

26 %

32 %

15 %

Anmerkungen: Die bei den im Jahr 2000 45-jährigen Frauen vermeintlich höhere Kinderlosigkeit entspringt nicht einer kohortenspezifisch stärkeren Tendenz, keine Kinder zu bekommen, sondern ist der Fragestrategie des Mikrozensus geschuldet, in dem nur nach im Haushalt lebenden Kindern gefragt wird, was dazu führt, dass unter den 45-Jährigen auch solche Frauen als kinderlos klassifiziert werden, die Kinder geboren haben, die aber bereits aus dem elterlichen Haushalt ausgezogen sind. Quelle: Scientific Use File des Mikrozensus 2000, Kreyenfeld (2004)

Die hohe Kinderlosigkeit von westdeutschen Akademikerinnen wie auch ihre verzögerte Fertilität ist kein per se neues Phänomen. Bereits 1970 waren Frauen mit Hochschulabschluss zu mehr als 30 Prozent kinderlos. Die prozentuale wie auch gesellschaftspolitische Bedeutung dieser Gruppe hat sich seitdem aller-

Hochschulbildung und Kinderlosigkeit: Deutsch-deutsche Unterschiede

297

dings deutlich erhöht. Hatten 1970 2 Prozent der 35- bis 39-jährigen westdeutschen Frauen eine Fachhochschul- oder Hochschulbildung, waren es 2000 (gesamtdeutsch) 13 Prozent (Wirth und Dümmler 2004). In Bezug auf die Kinderlosigkeit von Akademikerinnen konstatieren nahezu alle zu diesem Thema durchgeführten Untersuchungen einen Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland, der allerdings nur vereinzelt explizit thematisiert wird. Bei ostdeutschen Frauen lässt sich Kinderlosigkeit bislang generell seltener finden. Christian Schmitt (2004) belegt für 2001 auf der Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) einen Anteil von 9,3 Prozent kinderlosen Frauen im Alter von 35 bis 40 Jahren in Ostdeutschland (im Vergleich zu 21,4 Prozent in Westdeutschland). Bei 40- bis 45-jährigen Frauen beträgt der entsprechende Anteil für Ostdeutschland 9,8 Prozent (für Westdeutschland 23,4 Prozent). Bezieht man nur Akademikerinnen ein und konzentriert sich hier wieder auf die 1960 geborenen Frauen, erhält man einen Kinderlosenanteil von etwa 8 Prozent in Ostdeutschland (Kreyenfeld 2004). Erklärungen für diesen Ost-West-Unterschied werden bisher allerdings eher selten angeboten. Im Folgenden wird ein Ansatz vorgestellt, der zum einen strukturelle, zum anderen kulturelle Faktoren zur Erklärung der unterschiedlichen Prävalenz von Kinderlosigkeit einbezieht. In einem zweiten Schritt wird der kulturelle Einfluss für die Erklärung der Unterschiede im Ausmaß der Kinderlosigkeit zwischen Akademikerinnen und Nicht-Akademikerinnen beleuchtet. Dazu wird eine Auseinandersetzung mit der Geschichte beider deutscher Staaten vorgenommen. Weiterhin wird eine Prognose zur zukünftigen Entwicklung der deutsch-deutschen Kinderlosigkeit abgegeben. Darüber hinaus soll analysiert werden, ob der aktuell konstatierte Ost-West-Unterschied seinerseits einem (historischen) Wandel unterliegt: Es werden nicht nur aktuelle, sondern auch frühere und mutmaßliche zukünftige Entwicklungen berücksichtigt. Es geht dabei nicht um rein demographische Unterschiede (in diesem Sinne wird auch nicht auf die Anzahl der Kinder abgehoben), vielmehr sollen soziale Prozesse erklärt und die dahinter stehenden Mechanismen gedeutet werden. Der Ansatz wird dem erwähnten Unterschied also inhaltlich folgen und theoretisch auf den Zusammenhang von Struktur und Kultur abheben. Im Folgenden soll zunächst auf die Erklärung des zuvor beschriebenen aktuellen Unterschiedes abgehoben werden. Es wird ein möglicher Erklärungsansatz skizziert, dessen Hauptthese – differenzielle Bedeutung struktureller und kultureller Kontexte in Ost und West – zu Anfang vorgestellt wird. Im weiteren Verlauf werden die verwendeten Konstrukte näher erläutert und in ihrer Wirkungsweise illustriert. Im Anschluss daran werden frühere Entwicklungen the-

298

Mandy Boehnke

matisiert, die die zweite Hauptthese der Arbeit – differenzielle Bedeutung von Bildung in Ost und West – stützen. Zukünftige Entwicklungen werden am Ende des Hauptteils einbezogen. Zur Plausibilisierung der Hypothesen werden Daten aus dem European Value Survey (EVS) 1999/2000, der Population and Policy Acceptance Study (PPAS) 2003, dem Mikrozensus 2001 sowie dem DJIFamiliensurvey 2000 verwendet.

2

Theoretische Überlegungen und empirische Belege

2.1

Das Konzept des Familialismus in seiner strukturellen und kulturellen Dimension

Es gibt in Ostdeutschland unter Akademikerinnen – so die Annahme – eine deutlich geringere Kinderlosigkeit, weil zum einen in Ostdeutschland durch einen höheren strukturellen Defamilialismus (Hypothese 1a) und durch einen höheren kulturellen Familialismus (Hypothese 1b) bessere Bedingungen für generatives Verhalten bestehen und weil zum anderen Bildungsunterschiede in Ostdeutschland einen andersartigen Einfluss auf die Entscheidung zur Generativität haben als in Westdeutschland (Hypothese 2). Formalisiert lautet die erste These (nachfolgend in Abbildung 1 auch graphisch dargestellt): Höherer struktureller Defamilialismus (H1a) und kultureller Familialismus (H1b) im Osten führen zu niedrigerer Kinderlosigkeit. Das Konzept des Familialismus, Kernbestandteil der hier verfolgten Thesen, ist Gøsta Esping-Andersen (1999) entlehnt und wird dort in seiner strukturellen Ausprägung zur Beschreibung des Mischungsverhältnisses von Staat, Markt und Familie als einer Dimension zur Klassifikation von Wohlfahrtsstaaten benutzt. Familialismus steht für eine – im Sinne Esping-Andersens überholte – Politik, die die Familie als in erster Linie für die Wohlfahrtsproduktion ihrer Mitglieder verpflichtet sieht. Betreuung, Pflege und Absicherung von jüngeren und älteren Familienmitgliedern sollen innerhalb der Familie erbracht werden, während DeFamilialisierung eine Politik beschreibt, die die Familien von ihren Aufgaben entlastet, indem ihnen staatliche und institutionelle Unterstützungen an die Hand gegeben werden. „A familialistic welfare regime is therefore one that assigns a maximum of welfare obligations to the household. And I shall use ‘de-familialization’, yet another admittedly awkward word, to capture policies that lessen individuals’ reliance on the family; that maximize individuals’ command of economic resources independently of familial or conjugal reciprocities” (EspingAndersen 1999: 45).

Hochschulbildung und Kinderlosigkeit: Deutsch-deutsche Unterschiede

299

Abbildung 1: Zusammenhang von strukturellem Defamilialismus und kulturellem Familialismus mit Kinderlosigkeit in West- und Ostdeutschland Westdeutschland versus Ostdeutschland

-

-

Struktureller Defamilialismus

Kultureller Familialismus

-

Ausmaß der Kinderlosigkeit

Quelle: eigene Darstellung

Huinink (2002) unterscheidet – das Konzept Esping-Andersens weiterführend – zwischen einer strukturellen und einer kulturellen Dimension des Familialismus. An diese Unterscheidung lehnt sich diese Arbeit an. In der Definition der strukturellen Dimension des Familialismus folgt Huinink im Wesentlichen der Definition von Esping-Andersen. Unter kulturellem Familialismus versteht er eine Ordnung, „wonach das Leben in der Familie (Herkunfts- und/oder Prokreationsfamilie) als die allein legitimierte Lebensform“ (Huinink 2002: 51) gesehen wird. Die Literatur kennt Familialismus in seiner kulturellen Dimension in vielen Facetten. Zu nennen wären hier z. B. Lesthaeghe und Meekers (1986), die mehrere Komponenten in ihre Bestimmung von Familialismus einbeziehen: (hoher) Wert der Ehe, (geringe) Toleranz gegenüber neuen Familienformen, (geringe) Toleranz gegenüber Schwangerschaftsabbruch und (hohe) Bereitschaft von Eltern, sich für Kinder aufzuopfern. Georgas et al. (2004) finden in einer breit angelegten explorativen Faktorenanalyse mit 51 Items des European Value Survey

300

Mandy Boehnke

(EVS) über 33 Länder sieben Faktoren von Werten und Einstellungen zur Familie (Religiosity and Family Life; Companionship in Marriage; Abortion, Divorce, and Adultery; Children Family Life, and Marriage; Family Security; Importance of Living Conditions of Family and the Elderly; Working Wife and Mother). In einer Analyse von Daten des US National Survey of Families and Households (NSFH) von 1987 bis 88 und 1992 bis 94 findet Thomson (2002) für junge Paare (bis zu einem Alter von 39 Jahren) vier Dimensionen von traditionalen Wertorientierungen. Beim Familialismus unterscheidet sie dabei conjugal familism und extended familism.2 Vor dem Hintergrund dieser angedeuteten Vielfalt gilt es, eine Konzeptbestimmung für die hier vorgelegte Arbeit vorzunehmen. Es werden daher im Folgenden kurz die Gründe für die Wahl des hier verwandten Konzepts von Familialismus dargelegt. Familie als Basis des Konzepts wird hier nicht wie lange Zeit in der Familiensoziologie üblich mit Ehe verknüpft. Notwendig macht dies schon allein die Tatsache, dass in der (ehemaligen) DDR eine Familienorientierung herrschte, die im allgemeinen traditionelle Familienwerte betonte, aber – zumindest ab den 1970er Jahren – weder die Festlegung auf die rechtliche Institution der Ehe noch eine Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen umfasste. Die Institution Ehe hatte „unter den gesellschaftlichen Verhältnissen der DDR eine nicht annähernd so hohe Verbindlichkeit (…) wie in der Alt-Bundesrepublik“ (Menning 1995: 138). Gefolgt wird hier einer Definition von Nave-Herz (1994), die neben den eine Familie konstituierenden Merkmalen der biologisch-sozialen Doppelnatur (Reproduktions- und Sozialisationsfunktion) und des Kooperations- und Solidaritätsverhältnisses die Generationenbeziehung hervorhebt. „Es darf insofern hier nur die Generationsdifferenzierung (also das Eltern- bzw. Mutter- oder Vater-Kind-Verhältnis) und nicht auch die Geschlechtsdifferenzierung, also nicht das Ehesubsystem, als essenzielles Kriterium gewählt werden, weil es zu allen Zeiten und in allen Kulturen auch Familien gab (und gibt), die nie auf einem Ehesubsystem beruht haben oder deren Ehesubsystem im Laufe der Familienbiographie durch Rollenausfall, infolge von Tod, Trennung oder Scheidung entfallen ist“ (Nave-Herz 2002).

Darauf aufbauend soll hier allgemein unter kulturellem Familialismus eine Lebenssicht verstanden werden, in der die Wohlfahrtsproduktion innerhalb der Familie (im oben dargestellten Sinne) positiv gesehen wird. Kultureller Familia-

2

Conjugal familism (ehelicher Familialismus) umfasst dabei neben Einstellungen zur Ehe auch solche zu alternativen Lebensformen sowie einem Leben ohne Kinder. Extended familism (erweiterter Familialismus) hebt in erster Linie auf die intergenerationalen Hilfeleistungen ab.

301

Hochschulbildung und Kinderlosigkeit: Deutsch-deutsche Unterschiede

Tabelle 2: Kultureller Familialismus in Ost- und Westdeutschland ‚Eine Frau braucht Kinder, um erfüllt zu sein’

‚Ein Mann braucht Kinder, um erfüllt zu sein’

Westdeutschland

Ostdeutschland

Westdeutschland

Ostdeutschland

Zustimmung Neutral

51,4 % ---

73,6 % ---

37,0 % 18,8 %

54,4 % 26,4 %

Ablehnung

48,6 %

26,4 %

44,2 %

19,2 %

Anmerkungen: Für das Item ‚Eine Frau braucht Kinder, um erfüllt zu sein’ waren nur die beiden aufgeführten Antwortkategorien möglich, bei dem Item ‚Ein Mann braucht Kinder, um erfüllt zu sein’ wurden jeweils die beiden Antwortkategorien ‚stimme voll und ganz zu’ und ‚stimme zu’, bzw. ‚lehne voll und ganz ab’ und ‚lehne ab’ zusammengefasst, die neutrale Kategorie ‚stimme weder zu, noch lehne ab’ ist separat ausgewiesen. Die ‚weiß nicht’- Kategorie fand keine Berücksichtigung. Quelle: European Value Survey 1999/2000 (eigene Berechnungen)

lismus wird als Konzept verstanden, in dem das Leben in (unterschiedlichen) Familien(-formen) mehrheitlich anerkannt und präferiert und ein Leben mit Kindern angestrebt wird. Diese Sichtweise ähnelt dem Verständnis von Bernhardt (2000), die in ihre Familialismus3-Skala in erster Linie die Wichtigkeit Kinder zu haben einbezieht.4 Sicherlich ist ein anderes, auch breiteres Verständnis von Familialismus denkbar, deutet sich doch bereits in dieser kurzen Auseinandersetzung mit dem Konzept an, dass es mehrere Aspekte beinhaltet – neben den bereits erwähnten etwa auch die Akzeptanz der Unterstützung bei Kindererziehung und -betreuung. Eigene Auswertungen der Daten des European Value Survey 1999/2000 belegen, dass die einzelnen Teilaspekte von Familialismus in Ostdeutschland stärker ausgeprägt sind als in Westdeutschland (Tabelle 2 gibt zwei Beispiele; zum einen wurde danach gefragt, ob eine Frau Kinder braucht, um erfüllt zu sein oder nicht, zum anderen, ob Kinder für einen Mann eine notwendige Bedingung für ein erfülltes Leben sind).

3 4

Die Begriffe familialism and familism sowie Familialismus und Familismus werden der angegebenen Literatur entsprechend verwendet, sind in ihrer Bedeutung aber gleich. Die Skala umfasst insgesamt vier Items: ‚Kinder zu haben, ist ein Teil des Sinn des Lebens’, ‚Etwas fehlt, wenn ein Paar keine Kinder bekommt’, ‚Wichtigkeit für den Befragten, Kinder zu haben’, ‚Wichtigkeit für den Befragten, in einer guten (partnerschaftlichen oder ehelichen) Beziehung zu leben’.

302

Mandy Boehnke

Abbildung 2: Kultureller Familialismus nach Bundesländern

Anmerkungen: Familialismus-Index: Durchschnittliche prozentuale Anteile höchster Zustimmung zu den Items ‚Wichtigkeit von Kindern’ und ‚Kinder machen Spaß’ (vgl. Fußnote 5); RheinlandPfalz und Saarland sind im Datensatz zusammengefasst. Quelle: DJI-Familiensurvey 2000, 18-55-jährige Neubefragte (eigene Berechnungen)

Während man in Ostdeutschland zu über 70 Prozent der Meinung ist, eine Frau brauche Kinder, um ein erfülltes Leben zu führen, stimmt in Westdeutschland nur knapp die Hälfte der Bevölkerung dieser Aussage zu. Hinsichtlich der Notwendigkeit von Kindern für Männer zeigen sich in der Richtung ähnliche Tendenzen; in Ostdeutschland lehnen etwa ein Fünftel dies ab, in Westdeutschland knapp die Hälfte. Das auf Elternschaft bezogene generelle Meinungsklima kann dabei als Maß für den Grad des kulturellen Familialismus aufgefasst werden. Detailliertere, nach Bundesländern getrennte Analysen mit dem DJIFamiliensurvey 2000 zeigen ein ähnliches Bild (Abbildung 2). In allen ostdeutschen Bundesländern wählen über 60 Prozent der Befragten die höchstmögli-

303

Hochschulbildung und Kinderlosigkeit: Deutsch-deutsche Unterschiede

chen Werte, die den Aussagen zustimmen5, dass Kinder wichtig sind und es Spaß macht, sie um sich zu haben. Nur zwei westdeutsche Bundesländer (Niedersachsen und Bremen) erreichen ähnlich hohe Anteile der Familienorientierung wie die ostdeutschen Länder. Bezogen auf den strukturellen Defamilialismus ergibt sich ein ähnliches Bild. Es wurde oben postuliert, dass der generativitätsrelevante gesellschaftliche Kontext neben dem generellen Meinungsklima bezogen auf Elternschaft durch das Angebot an außerfamilialen Kinderbetreuungsmöglichkeiten bestimmt ist. Aus soziologischer Perspektive kann das Angebot an außerfamilialen Kinderbetreuungsplätzen als Maß für den Grad des strukturellen Defamilialismus6 eines gesellschaftlichen Kontextes verstanden werden (Tabelle 2). Tabelle 3: Platz-Kind-Relationen bei Krippen-, Kindergarten- und Hortplätzen am 31.12.2002 in West- und Ostdeutschland Westdeutschland insgesamt ganztags

Ostdeutschland insgesamt ganztags

Krippe Kindergarten

3% 88 %

2% 21 %

37 % 105 %

36 % 103 %

Hort

5%

4%

41 %

29 %

Quelle: Statistisches Bundesamt (2004)

Aus Tabelle 3 lässt sich schließen, dass es besonders bei den Krippen- und Hortplätzen nach wie vor deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland gibt. Während in Ostdeutschland für 37 Prozent der Kinder bis zum vollendeten 3. Lebensjahr ein Betreuungsplatz vorhanden ist, gibt es für nur 3 Prozent der Kinder im gleichen Alter in Westdeutschland einen Platz. Ein Hortangebot 5

6

Zum einen wurde auf einer Skala von 1 (‚überhaupt nicht wichtig’) bis 10 (‚sehr wichtig’) gefragt, wie bedeutsam ‚Eigene Familie und Kinder’ sind, zum anderen wurde auf einer Skala von 1 (‚stimme überhaupt nicht zu’) bis 4 (‚stimme voll und ganz zu’) die Zustimmung zur Aussage ‚Kinder im Haus zu haben und sie aufwachsen zu sehen, macht Spaß’ erfasst. In die Darstellung eingegangen sind nur die Anteile höchstmöglicher Zustimmung, also die Anteile der Ausprägungen ‚10’ bzw. ‚4’. Esping-Andersen (1999) spricht sich für einen eklektischen Ansatz der Messung von Familialismus und Defamilialisierung aus. Das Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung für unter 3Jährige wäre für ihn neben anderen ein staatlicher Indikator. Das Ausmaß der Verpflichtungen durch die Familien/Haushalte könnten durch die wöchentliche Anzahl an Stunden unbezahlter Arbeit von Frauen erfasst werden. Für die Erfassung der Defamilialisierung durch den Markt käme das Einbeziehen der Kosten für private Kinderbetreuung in Betracht, wobei hier jedoch selten geeignete Vergleichsdaten vorliegen.

304

Mandy Boehnke

besteht in Ostdeutschland für 41 Prozent der Kinder im Alter von 6,5 bis 11 Jahren, in Westdeutschland für 5 Prozent. Bezogen auf Kindergärten fällt besonders der Unterschied in der Anzahl der angebotenen Ganztagsplätze auf. Für 103 Prozent der Kinder im Alter von 3 bis 6,5 Jahren ist in Ostdeutschland ein Betreuungsangebot vorhanden, in Westdeutschland besteht nur für 21 Prozent der Kinder eine Möglichkeit der Ganztagsbetreuung. Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle festhalten: Es wurden bisher zwei Teilthesen vorgestellt und versucht, diese anhand verschiedener Daten zu plausibilisieren. Der – verkürzte – Inhalt der Thesen ließe sich in folgenden Worten wiedergeben: Das Zusammenspiel von kulturellem Familialismus und strukturellem Defamilialismus, von einem Klima, in dem Kinder wichtig und willkommen sind und einem Umfeld, das institutionelle Unterstützung bietet, soll die bestehenden Unterschiede in der Prävalenz von Kinderlosigkeit zwischen Ost- und Westdeutschland erklären.

2.2

Bildungsniveau und Familialismus

Die bisherigen Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf den Ost-WestUnterschied im Gesamtausmaß der Kinderlosigkeit. Zentrales Explanandum ist in diesem Beitrag jedoch die unterschiedlich ausgeprägte Kinderlosigkeit bei Akademikerinnen in Ost und West. Warum unterscheidet sich die Prävalenz von Kinderlosigkeit zwischen ostdeutschen und westdeutschen Akademikerinnen? Vergleicht man die Bildungseliten beider Teile Deutschlands, so lässt sich eine Vielzahl von Unterschieden konstatieren, die noch zu diskutieren sind. Zweite zentrale Annahme ist, dass es – jenseits der bereits geschilderten Ost-West-Differenzen in strukturellem Defamilialismus und kulturellem Familialismus – spezifische Unterschiede (im Sinne eines Moderatoreffekts) zwischen ostdeutschen und westdeutschen Akademikerinnen gibt, die auf einer je spezifischen Bedeutung von Bildung in Ost und West in Bezug auf kulturellen Familialismus beruhen: Im Westen – so die hier vertretene Annahme – ist kultureller Familialismus bildungsgradiert: Er sinkt mit steigender Bildung; im Osten hingegen gibt es eine derartige Bildungsgradierung nicht. Es scheint zunächst wenig plausibel anzunehmen, dass ostdeutsche und westdeutsche Akademikerinnen die Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsplätzen – als Determinante von Fertilitätsentscheidungen – differenziell wahrnehmen. Hier wird jedenfalls die These vertreten, dass ostdeutsche und westdeutsche Akademikerinnen die Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsplätzen in gleicher

Hochschulbildung und Kinderlosigkeit: Deutsch-deutsche Unterschiede

305

Weise realitätsadäquat identifizieren, dass sich die Bedeutung von strukturellem Defamilialismus jedenfalls nicht zwischen Ost und West nach Bildungsgrad unterscheidet. Anzumerken ist allerdings, dass die tatsächliche Nutzung von Kinderbetreuungseinrichtungen bildungsgradiert ist. Büchel und Spieß (2002) fanden, dass Mütter von Kindern, die eine Krippe, einen Kindergartenganztagsplatz oder einen Hort besuchen, überdurchschnittlich häufig Akademikerinnen sind. In erster Linie ist jedoch davon auszugehen, dass sich Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Akademikerinnen auf der kulturellen Ebene finden lassen. Zu fragen ist, welche Rolle die Hochschulbildung in Bezug auf kulturelle Prägung spielte und aktuell spielt. Historisch haben deutsche Bildungseliten in Ost und West die gleichen kulturellen Wurzeln. Die Entwicklung in der DDR mit ihren Arbeiter- und Bauernfakultäten der 1950er und 1960er Jahre hat jedoch zu erheblichen sozialstrukturellen Umwälzungen geführt (Häder und Tenorth 1997). Es kamen Menschen in den Genuss einer Hochschulbildung, die zuvor von akademischer Bildung ausgeschlossen waren. Lechner (2002) führt diese Bildungspolitik in seiner Replikation der Erlebnisgesellschaftsstudie von Gerhard Schulze für die neuen Bundesländer als Begründung dafür an, dass der Lebensstil bei den älteren Befragten in Ostdeutschland nicht vom formalen Bildungsgrad abhängt. Auch die Bildungsaufträge ost- und westdeutscher Universitäten unterschieden sich vor der Vereinigung erheblich. DDR-Universitäten hatten einen sehr viel klarer umrissenen Bildungsauftrag zur Wertebildung der Studierenden als BRD-Universitäten. In der DDR sollten Universitäten und Hochschulen Kader für Staat, Wissenschaft und Wirtschaft heranbilden, denen man – laut DDR-Handbuch (1979) – sozialistische Werteerziehung (die auch die Überwindung von Klassen beinhaltete) angedeihen ließ. Die Hochschulbildung in der BRD dagegen war weit weniger wertegeleitet, die Universität vielmehr ein Ort, an dem traditionelle Werte hinterfragt wurden und eine eigene, individuelle Meinung ausgebildet werden sollte. In der DDR hat, so mag man dies zusammenfassen, eine gewisse kulturelle ‚Durchmischung’ stattgefunden, die allerdings ab Mitte der 1970er Jahre zunehmend blockiert war. Nach der Öffnung des Bildungssystems in den 1950er und 1960er Jahren fand ab den 1970er Jahren eine Schließung der Klassen zu Gunsten der sozialistischen Dienstklasse statt (Solga 1995). Obendrein war die sozialistische Hochschule ein Ort der ideologischen Formung, einschließlich einer Festlegung auf die hohe Bedeutung von Kindern für den sozialistischen Staat. Beides zusammen (zunächst Durchmischung, später Schließung) dürfte dazu geführt haben, dass die Bildungsvererbung der sozialistischen Dienstklasse nicht mit der Bildungsbürgertumsvererbung in der BRD zu vergleichen ist.

306

Mandy Boehnke

Abbildung 3: Bildungsgradierung von kulturellem Familialismus in Ost- und Westdeutschland Ostdeutschland

Bildungsgrad

Westdeutschland

Bildungsgrad í

Kultureller Familialismus

í Ausmaß der Kinderlosigkeit

Kultureller Familialismus

í Ausmaß der Kinderlosigkeit

Quelle: eigene Darstellung

Wie unterscheidet sich nun das generelle Meinungsklima bezogen auf Kinder bei Akademikerinnen in Ost- und Westdeutschland? Wie etwa Begenau und Helfferich (1997) in einem Vergleich von reproduktivem Verhalten in Ost- und Westdeutschland konstatieren, hat Bildung im Westen einen deutlicheren Einfluss auf das kontrazeptive Verhalten als in Ostdeutschland. Dieses Ergebnis wird von Helfferich (2000) später anhand der frauen leben-Studie (1997-1999) bestätigt. Der von ihr verwandte Begriff der ‚reproduktiven Kulturen’, die sich in Westdeutschland, nicht jedoch in Ostdeutschland, nach Bildung unterscheiden, umfasst „die Summe der Überzeugungen, was der angemessene Umgang mit dem eigenen Körper, dem anderen Geschlecht, mit der Kinderfrage, mit dem privaten Leben, etc. sei“ (ebenda: 23). Die zweite zentrale Hypothese wäre dementsprechend: Generatives Verhalten wird im Osten nicht durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bil-

307

Hochschulbildung und Kinderlosigkeit: Deutsch-deutsche Unterschiede

dungsmilieu bestimmt, während dies im Westen in starkem Maße der Fall ist. Kultureller Familialismus ist dort bildungsgradiert. Die Bildungsgradierung von kulturellem Familialismus unterscheidet sich zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland. Sie ist in Ostdeutschland deutlich geringer (Abbildung 3). Es wird vermutet, dass sich bei westdeutschen Akademikerinnen im Vergleich zu Nicht-Akademikerinnen eine deutlich niedrigere familienorientierte Einstellung zeigt, während dieser Bildungsunterschied in Ostdeutschland nicht zu finden sein sollte. Tabelle 4 plausibilisiert diese These anhand von Daten der Population Policy Acceptance Study. Tabelle 4: Familialismus und Bildungsniveau im Ost-West-Vergleich ‚Ohne Kinder kann man nicht wirklich glücklich sein’ Akademikerinnen

Nichtakademikerinnen

Westdeutschland

Ostdeutschland

Westdeutschland

Ostdeutschland

Zustimmung

28,5%

52,8%

39,3%

55,5 %

Neutral

23,6%

22,8%

24,9%

23,1 %

Ablehnung

47,8%

24,4%

35,7%

21,5 %

Anmerkungen: In die Gruppe der Akademikerinnen fallen auch Frauen, die mindestens einen Fachhochschulabschluss haben. Frauen ohne Abschluss oder in Ausbildung wurden nicht einbezogen. Die beiden zustimmenden Antwortkategorien ‚stimme voll zu’ und ‚stimme eher zu’ sowie die beiden ablehnenden Antwortmöglichkeiten ‚stimme überhaupt nicht zu’ und ‚stimme eher nicht zu’ wurden zusammengefasst, die neutrale Kategorie ‚weder noch’ ist separat ausgewiesen. Die ‚weiß nicht’- Kategorie fand keine Berücksichtigung. Quelle: Population Policy Acceptance Study 2003 (eigene Berechnungen)

Die Tabelle belegt anhand bivariater Auswertungen die differenzielle Bildungsgradierung von kulturellem Familialismus in Ost- und Westdeutschland und stützt damit die Grundplausibilität der aufgestellten Hypothese. Im Osten Deutschlands weisen Akademikerinnen im Vergleich zum Westen eine deutlich geringere Differenz im Familialismus zu Nicht-Akademikerinnen auf. Während etwas mehr als ein Viertel westdeutscher Frauen mit Fach- oder Hochschulabschluss (28,5 Prozent) meint, dass man ohne Kinder nicht wirklich glücklich sein kann, stimmen 39,3 Prozent der Frauen anderer Bildungshintergründe in Westdeutschland dieser Aussage zu. Dagegen stimmen sowohl die ostdeutschen Frauen mit Hochschulbildung als auch die Frauen ohne eine solche Bildung dieser Aussage zu über der Hälfte (52,8 bzw. 55,9 Prozent) zu. Zu Ende dieses Abschnitts sei erwähnt, dass hier nicht davon ausgegangen wird, dass sich der deutsch-deutsche Unterschied im Ausmaß von Kinderlosig-

308

Mandy Boehnke

keit in Gänze auf Unterschiede in strukturellem Defamilialismus, kulturellem Familialismus und geringerer Bildungsgradierung des kulturellen Familialismus in Ostdeutschland zurückführen lässt. Mögliche weitere Faktoren (wie etwa ökonomische Ressourcen, Partner bezogene Faktoren, Vereinbarkeitsvorstellungen) sind denkbar, wenngleich sie hier nicht im Zentrum der Überlegungen und Analysen stehen. In der Literatur liegen hierzu – explizit bezogen auf den OstWest-Unterschied in der Prävalenz von Kinderlosigkeit – nur wenige Thesen vor. Zu erwähnen ist an dieser Stelle Kreyenfeld (2001), die vor allem den Einfluss der Erwerbstätigkeit von Frauen auf Fertilitätsentscheidungen in Ost- und Westdeutschland vergleicht. Eines ihrer Ergebnisse ist, dass die in der Nachwendezeit aufgetretenen ökonomischen Unsicherheiten bei ostdeutschen Frauen nicht den erwartbaren Einfluss einer Verschiebung von Fertilität haben, sondern sich im Gegenteil für Frauen mit unsicheren Arbeitsmarktchancen eine höhere Wahrscheinlichkeit einer Mutterschaft belegen lässt.

2.3

Angleichung oder Persistenz von Unterschieden?

Von zentralem Interesse ist bei einer Beschäftigung mit dem Thema Kinderlosigkeit und Hochschulbildung die Prüfung der Persistenz des Befundes massiver Ost-West-Unterschiede in der Kinderlosigkeit von Akademikerinnen. Die Frage steht im Raum, ob sich das generative Verhalten von ostdeutschen Akademikerinnen im Sinne der von Habermas (1990) geprägten und von Zapf aufgegriffenen These von der nachholenden Modernisierung (Zapf 1994) dem der westdeutschen Akademikerinnen anpassen wird oder ob in diesem Bereich nachhaltige, womöglich Generationen überdauernde Unterschiede zu erwarten sind, wie es Arbeiten etwa von Konietzka und Kreyenfeld (2004) fast 15 Jahre nach der Wende feststellen. Bei einer Annäherung an die Beantwortung dieser Frage ist zunächst noch einmal auf die Schwierigkeit der Datenlage zu verweisen. Wie weiter oben schon ausgeführt, erhebt der Mikrozensus nur im Haushalt lebende Kinder, stellt aber nicht die Frage, wie viele Kinder jemand insgesamt hat. Diese Tatsache ist für einen Ost-West-Vergleich von nachhaltiger Bedeutung, da das Erstgeburtsal-

309

Hochschulbildung und Kinderlosigkeit: Deutsch-deutsche Unterschiede

Abbildung 4: Anteile kinderloser Haushalte (deutscher) Akademikerinnen nach Geburtskohorten 60

55

50

41

39 in Prozent

40

35

33

30

21

20

12

10 0

1955-1958

1959-1962

1963-1966

1967-1970

Westdeutschland Ostdeutschland Anmerkungen: Dargestellt sind die jeweils niedrigsten Kinderlosenanteile der Kohorten; für die Kohorte 1955-1958 liegen sinnvoll auswertbare Daten für ostdeutsche Akademikerinnen nicht vor. Quelle: Mikrozensus 1991-2003 nach Duschek und Wirth (2005)

ter in der DDR vor der Wende deutlich niedriger war als in der BRD, es also dort auch wahrscheinlicher ist, dass Haushalte als kinderlos klassifiziert werden, weil ein vorhandenes Kind bereits den elterlichen Haushalt verlassen hat. Darüber hinaus ist ein Ost-West-Vergleich aufgrund des unterschiedlichen Erstgeburtsalters auch im Hinblick auf die Frage, wann Kinderlosigkeit endgültig ist, problematisch. Betrachtet man die Prozentsätze kinderloser Haushalte deutscher Akademikerinnen der Geburtsjahrgänge 1955 bis 1970, fällt auf, dass man auf den ersten Blick in der Tat eine Tendenz der Annäherung der Kinderlosenanteile ostdeutscher Akademikerinnen an westdeutsche Anteile verzeichnen kann (Abbildung 4), ohne jedoch genau quantifizieren zu können, inwieweit die geschilderte Datenproblematik die Ergebnisse verfälscht. Lag der Anteil kinderloser ostdeutscher Akademikerinnen der Geburtskohorten 1959 bis 1962 noch bei 12 Prozent, weisen die nachfolgenden Geburtsjahrgänge 1963 bis 1966 bereits einen Anteil von 21 Prozent auf. Für die 1967

310

Mandy Boehnke

Abbildung 5: Anteile kinderloser Haushalte (deutscher) Akademikerinnen nach Kohorten und Bundesländern mit den jeweils niedrigsten und höchsten Anteilen

Alter (bzw. Kohorten)

58 80

31-34 (1967-70)

27

47 35 59

35-38 (1963-66)

10

24 33 47

39-42 (1959-62)

13

23 0

20

40

60

80

100

in Prozent

Ostdeutschand höchster Anteil

Ostdeutschland niedrigster Anteil

Westdeutschland höchster Anteil

Westdeutschland niedrigster Anteil

Quelle: Scientific-Use-File des Mikrozensus 2001 (eigene Berechnungen)

bis 1970 geborenen ostdeutschen Akademikerinnen weist der hier aufgeführte Anteil von 33 Prozent zwar noch nicht endgültige Kinderlosigkeit aus, könnte aber ein Indikator für einen Anstieg von Kinderlosigkeit sein.7 Allerdings legen detailliertere, hier nur kursorisch berichtete, nach Bundesländern getrennte Analysen die Vermutung nahe, dass Ost- und Westdeutschland keine in sich homogenen Regionen sind (Abbildung 5). Gleichwohl zeigen Auswertungen des Mikrozensus, dass auch im Jahr 2001 das westdeutsche Bun-

7

Während ostdeutsche Akademikerinnen der Geburtsjahrgänge 1959 bis 1962 und 1963 bis 1966 ihren niedrigsten (Haushalts-)Kinderlosigkeitsanteil jeweils im Alter von 33 bis 36 Jahren erreichten, dürfte sich das bei den 1967 bis 1970 Geborenen bereits verändert haben. Es ist hier im Zuge des gestiegenen Erstgeburtsalters auch in Ostdeutschland davon auszugehen, dass in späteren Jahren noch erste Kinder geboren werden.

311

Hochschulbildung und Kinderlosigkeit: Deutsch-deutsche Unterschiede

Abbildung 6: Familialismus und Bildungsniveau im Kohortenvergleich 80 69

70

63

60

60

58

in Prozent

60 49

50

46

43

40 30

28

27 17

20 10

5

0

1949-1960

1961-1970

1971-1981

Abiturienten-West

Nicht-Abiturienten-West

Abiturienten-Ost

Nicht-Abiturienten-Ost

Anmerkungen: Familialismus-Index: Durchschnittliche prozentuale Anteile höchster Zustimmung zu ‚Eine Frau bzw. ein Mann braucht Kinder, um erfüllt zu sein’ gemessen. Quelle: European Value Survey (EVS) 1999/2000 (eigene Berechnungen)

desland mit dem jeweils geringsten Kinderlosigkeitsanteil bei deutschen Akademikerinnen in keiner der aufgeführten Altersgruppen (31-34-Jährige, 34-38Jährige, 39-42-Jährige8) einen niedrigeren Kinderlosenanteil hat als das jeweilige ostdeutsche Bundesland9 mit der höchsten Kinderlosenquote. Aus Abbildung 6 wird deutlich, dass sich die Familienorientierung bei ostdeutschen Höhergebildeten (aufgrund der Einbeziehung jüngerer Kohorten wurde hier anstatt der Fachhochschul- und Hochschulbildung die Klassifikation schon ab dem Abitur vorgenommen) in der Tat verringert. Gleichzeitig schwächt sich der Familialismus im Westen von einem ohnehin geringen Stand stärker als im Osten ab. Das gilt sowohl für Personen mit Abitur oder höherer

8 9

Bayern, Schleswig-Holstein und Baden Württemberg in der Reihenfolge der aufgeführten Altersgruppen Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern in der gleichen Reihenfolge

312

Mandy Boehnke

Bildung wie auch für Personen ohne Abitur. Die Ost-West-Differenz verringert sich, wenn überhaupt, nur marginal. Es gibt allerdings – im Kontrast zu der gerade formulierten These – auch Indizien für einen – doch – schnelleren Wandel von Fertilitätsentscheidungen, nämlich im Bereich der Familiengründung während des Studiums. Die Zahl der Frauen, die während ihres Studiums ihr erstes Kind bekamen, war in der DDR (im Vergleich zur Alt-Bundesrepublik) deutlich höher. Etwa ein Drittel der um 1960 in der DDR geborenen Akademikerinnen bekamen während des Studiums ihr erstes Kind, bei den in der BRD geborenen Akademikerinnen waren das nur etwa 10 Prozent (Huinink 1997). Sackmann (1999) belegt, dass sich der Prozentsatz der ostdeutschen Hochschulabsolventinnen mit Kind im Jahre 1995 bereits in etwa auf gleichem Niveau bewegt. Dieser Befund könnte im Sinne einer Verhaltensveränderung als Anpassung an strukturelle Zwänge (Wegfall von staatlichen Unterstützungen) zu interpretieren sein. Die dahinter liegenden Werte bleiben vermutlich zunächst unverändert. Eine Frage, die in diesem Zusammenhang unmittelbar auftaucht, ist, ob diese Verhaltensänderung sich auch in Bezug auf Kinderlosigkeit bemerkbar macht bzw. machen wird oder ob es sich in erster Linie um eine Verschiebung der Erstgeburt handelt, die evtl. eine Verminderung der Gesamtkinderanzahl mit sich bringt, auf Kinderlosigkeit per se aber keinen Einfluss hat; eine Frage, die zu Beginn der 1990er Jahre in der Soziologie nicht unumstritten war (siehe Debatte um Institutionen- versus Niveaueffekt, z. B. Blossfeld und Jaenichen 1990; Brüderl und Klein 1991: Blossfeld, Huinink und Rohwer 1991).

3

Zusammenfassung

Es wurde im vorliegenden Beitrag ein Ansatz vorgestellt, der die Prävalenz von Kinderlosigkeit bei Akademikerinnen in Ost- und Westdeutschland in den Blickpunkt rückt. Mit dem skizzierten Ansatz sollte erklärt werden, warum Kinderlosigkeit bei ostdeutschen ein deutlich selteneres Phänomen ist als bei westdeutschen Akademikerinnen. Die zentrale These lautet, dass die niedrigere Kinderlosigkeit bei ostdeutschen Frauen mit Hochschulabschluss auf einen höheren strukturellen Defamilialismus im Osten (bessere außerfamiliale Kinderbetreuungsangebote) bei gleichzeitig höherem kulturellem Familialismus (ausgeprägtere Familienwerte), der zudem eine geringere Bildungsgradierung als im Westen aufweist, zurückzuführen ist.

Hochschulbildung und Kinderlosigkeit: Deutsch-deutsche Unterschiede

313

Bei den empirischen Analysen war es notwendig, auf unterschiedliche Datensätze zurückzugreifen. Datensätze, in denen sich kultureller Familialismus sinnvoll operationalisieren lässt, bieten typischerweise keine hinreichenden Fallzahlen, um die Entwicklung der Kinderlosigkeit unter Akademikerinnen abzubilden. In Datensätzen, die über hinreichend hohe Fallzahlen verfügen, um die Entwicklung der Kinderlosigkeit darzustellen, sind regelmäßig keine Indikatoren enthalten, mit denen man kulturellen Familialismus messen kann. Um die Entwicklung der Kinderlosigkeit abzubilden, wurde hier auf die Daten des Mikrozensus zurückgegriffen. Die Analysen deuten darauf hin, dass Kinderlosigkeit unter den ostdeutschen Akademikerinnen bislang in der Tat seltener ist als unter westdeutschen. Analysen auf Basis des Population Policy Acceptance Surveys zeigten eine höhere Familienorientierung unter ostdeutschen Frauen mit Hochschulabschluss. Auch finden ostdeutsche Akademikerinnen bislang noch bessere Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Kind und Beruf vor. Insgesamt bestätigen diese Analysen damit die aufgestellte Hypothese. Viele Aspekte mussten jedoch in diesem Beitrag unbeachtet bleiben. Insbesondere stellt sich die Frage, wie persistent die gefundenen Ost-West-Unterschiede sind und welche Aspekte möglicherweise zur Erodierung dieser Unterscheide beitragen werden. Nicht zuletzt stellt sich auch die Frage, ob die durch Analysen separater Datensätze gewonnenen Ergebnisse sich auch an einem entsprechend aufbereiteten einheitlichen Datensatz replizieren lassen.

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314

Mandy Boehnke

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Anfang dreißig und noch kinderlos? Lebenswege und Familienmodelle berufstätiger Frauen aus Ost- und Westdeutschland1 Laura Bernardi und Sylvia Keim

1

Einleitung

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist vor dem Hintergrund der niedrigen Geburtenzahlen in Deutschland ein viel diskutiertes Thema. Die Familienministerin Ursula von der Leyen beispielsweise beklagt, dass „Kinderlosigkeit in Deutschland inzwischen fast zur Voraussetzung für Karriere und Erfolg im Beruf geworden“ ist (so z. B. in der ‚Welt’ vom 28.04.06). Entsprechend gelten berufliche Ambitionen, insbesondere von Frauen, als eine Ursache für den Aufschub oder den Verzicht auf eine Familiengründung. Wie genau jedoch das Zusammenspiel von Erwerbsverlauf und generativem Verhalten funktioniert, wie „Arbeitserfahrungen und Erwerbsverläufe in ihrer subjektiven Bedeutung mit Überlegungen und Entscheidungen zur Familiengründung verbunden werden und in die Gestaltung weiblicher und männlicher Lebensverläufe einfließen“, ist wenig erforscht (Witzel und Kühn 2001: 56). Weitestgehend unberücksichtigt bleibt auch die Frage, ob es in diesen subjektiven Bedeutungszuschreibungen Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen jungen Erwachsenen gibt.2 Es ist bekannt, dass sich sowohl die Erwerbsverläufe als auch die Muster der Familiengründung í insbesondere von Frauen í in der DDR und der BRD deutlich unterschieden. Junge Frauen, die derzeit vor einer Familiengründung stehen, sind in diesen unterschiedlichen Systemen mit ihren unterschiedlichen Famili-

1 2

Die Autorinnen danken Holger von der Lippe, Andreas Klärner, Christin Schröder und Tina Hannemann für wertvolle Kommentare zu diesem Aufsatz. Andreas Witzel und Thomas Kühn beispielsweise untersuchen die Lebensverläufe junger Erwachsener aus zwei westdeutschen Regionen mit unterschiedlichen Arbeitsmarktbedingungen. Sie finden u. a., dass für Frauen insbesondere beim Erreichen einer subjektiven Altersgrenze um die 30 ein erhöhter subjektiver Druck entsteht, eine Familiengründung zu realisieren. Karriereambitionierte Frauen nehmen dann zunehmend Familie und Beruf als grundsätzlich unvereinbar wahr und „suchen nach familienverträglichen Lösungen durch ‚gebremste’ Karrieren“ (Witzel und Kühn 2001: 78).

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Laura Bernardi und Sylvia Keim

enmodellen aufgewachsen. Welche Bedeutung hat das für die Gestaltung ihres Lebensverlaufes? Wie versuchen sie Familiengründung und Erwerbsarbeit zu verbinden? Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit der Lebensgestaltung junger berufstätiger Frauen, die um die 30 Jahre alt sind. In vier qualitativen Fallstudien kontrastieren wir Frauen aus den alten und neuen Bundesländern, die, obwohl sie sich Kinder wünschen, noch kinderlos sind. Wir fragen, welchen Weg der Familiengründung diese jungen Frauen einschlagen möchten, warum sie bisher kinderlos geblieben sind und welche Rolle die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf spielt. Zunächst beschreiben wir im folgenden Abschnitt kurz einige institutionelle und demographische Besonderheiten der beiden deutschen Staaten vor und nach ihrer Vereinigung. Anschließend verdeutlichen wir im zweiten Abschnitt den theoretischen Hintergrund unserer Untersuchung und stellen unser empirisches Material vor. Im dritten Teil präsentieren wir dann vier Fallgeschichten kinderloser Frauen aus Ost- und Westdeutschland. Abschließend diskutieren wir unsere Ergebnisse und benennen Forschungsdesiderate.

2

Die Hinterlassenschaft unterschiedlicher sozialpolitischer Systeme – Familiengründung in West- und Ostdeutschland

Vergleicht man das generative Verhalten der DDR-Bürger mit dem der Bundesbürger vor der Wende, zeigen sich tief greifende Unterschiede, sodass man von zwei distinkten demographischen Regimen sprechen kann. Wie der Begriff Regime schon nahe legt, standen hinter diesen Unterschieden in der Bevölkerungsentwicklung wichtige Unterschiede auf der Ebene der Institutionen, die in beiden Kontexten Fragen der Familie, des Erwerbslebens und der staatlichen Unterstützung regelten. Wir möchten hier nur einige wesentliche Unterschiede nennen: In der DDR wurde die Erwerbstätigkeit von Frauen und insbesondere von Müttern von staatlicher Seite u. a. durch die Bereitstellung von umfassenden Kinderbetreuungseinrichtungen und anderen Hilfen besonders gefördert. Das staatlich kontrollierte Wirtschaftssystem garantierte sowohl Männern als auch Frauen eine sichere und dauerhafte Beschäftigung. Die typische DDRFamilie bestand bei ihrer Gründung aus Eltern, die größtenteils um die Zwanzig und beide Vollzeit erwerbstätig waren. Mütter unterbrachen ihre Erwerbstätigkeit meist nur für ein Jahr, längere Erwerbsunterbrechungen und Hausfrauenphasen waren selten, Teilzeitarbeit kaum möglich (Falk und Schaeper 2001:

Lebenswege und Familienmodelle berufstätiger Frauen aus Ost- und Westdeutschland

319

188). In der BRD hingegen förderte der institutionelle und steuerpolitische Rahmen des Sozialstaates das Modell des verheirateten Paares mit klarer Rollenverteilung: Der Ehemann als Hauptverdiener, seine Frau als Hausfrau und Mutter, allenfalls teilzeiterwerbstätig. Das typische westdeutsche Ehepaar war zum Zeitpunkt der Familiengründung deutlich älter als das DDR-Pendant. Kinderlos blieben in der BRD etwa 25 bis 30 Prozent, in der DDR hingegen nur etwa 10 Prozent der Frauen (Kreyenfeld 2004: 287). Mit der Vereinigung übernahm der Osten Deutschlands das westdeutsche Wirtschafts- und Sozialsystem. Von dem Gefüge, das die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Erwerbstätigkeit im Osten ermöglichte, ist lediglich das größere Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen übrig geblieben (Kreyenfeld 2003). Aus demographischer Sicht war die erste Reaktion auf die Vereinigung ein drastisches Einbrechen der jährlichen Geburtenrate (Eberstadt 1994; Witte und Wagner 1995). Während sich die ostdeutsche zusammengefasste Geburtenziffer nach einigen Jahren der westdeutschen anglich, blieben die Unterschiede in Art und Zeitpunkt der Familiengründung bestehen. Frauen in den neuen Bundesländern sind noch immer seltener kinderlos, sie sind jünger, wenn sie das erste Kind bekommen und leben dabei häufiger in nichtehelichen Partnerschaften (Konietzka und Kreyenfeld 2004, 2005). Westdeutsche Frauen sind deutlich seltener vollzeiterwerbstätig und beurteilen die Erwerbstätigkeit von Müttern negativer in ihrer Auswirkung auf die Kinder als ostdeutsche Frauen (Kreyenfeld 2004). Daraus lässt sich folgern, dass trotz der Schaffung eines einheitlichen politisch-institutionellen Systems noch immer zwei demographische Regime existieren. Zwar wird davon ausgegangen, dass sich nach einer krisenhaften Zeit des Übergangs Anpassungen an das neue System ergeben und sich Verhaltensweisen in den alten und neuen Bundesländern angleichen (Witte und Wagner 1995; Beck-Gernsheim 1997), jedoch ist nicht nur unklar, wann und wie es zu dieser Angleichung kommen wird, die Hypothese der Angleichung selbst bietet keine Erklärung für das Fortdauern und die Verstärkung bestimmter Unterschiede (wie z. B. die hohen Anteile nichteehelicher Geburten). Wir möchten der These der Angleichung deshalb folgende Hypothese entgegenstellen: Die Sozialisation der jüngeren Generationen (also der jungen Erwachsenen, die heute vor der Frage der Familiengründung stehen) in Familien und Lebenszusammenhängen, die sich innerhalb der unterschiedlichen vierzigjährigen Regime herausgebildet haben, führt dazu, dass die unterschiedlichen Vorlieben und Verhaltensweisen, wie sie vor der Wende üblich waren, auch unter den neuen Bedingungen nach der Vereinigung noch fortbestehen. Existiert ein solcher ‚Trägheitseffekt’, gibt

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Laura Bernardi und Sylvia Keim

es keinen Grund zu erwarten, dass diese Generationen heute in gleicher Weise auf eine ähnliche institutionelle Struktur im vereinigten Deutschland reagieren.

3

Theoretischer und empirischer Hintergrund

Die Vorstellung eines solchen ‚Trägheitseffekts’ lässt sich beispielsweise mit dem Begriff des Habitus von Pierre Bourdieu (1982) fassen. Als Habitus bezeichnet Bourdieu eine dauerhafte Verhaltensdisposition, die durch die Sozialisation in einem bestimmten sozialen Feld oder Milieu entsteht. Das Individuum inkorporiert im Habitus die sozialen Normen seines Umfelds, bildet seine Präferenzen entsprechend aus und handelt entsprechend. Dabei begrenzen nicht nur die materiellen feldspezifischen Lebensbedingungen die Handlungsmöglichkeiten, auch die verinnerlichten Normen sorgen dafür, dass nur bestimmte Handlungsalternativen in Betracht gezogen werden oder als angemessen empfunden werden. Der Habitus gilt als sehr stabil, da die Wahrnehmungskategorien und individuellen Präferenzen über einen langen Zeitraum hinweg und meist unbewusst durch Sozialisation ausgebildet wurden. In die gleiche Richtung weist auch das Konzept der Ideologie von Göran Therborn. Er stellt heraus, dass Verhalten nicht nur durch äußere Umstände, sondern auch durch die Vorstellung dessen, „was ist“, „was gut ist“, „was möglich und unmöglich ist“ begrenzt ist (Therborn 1980: 18) und dass mehrere Ideologien gemeinsam innerhalb einer Kultur existieren können. Der ‚Trägheitseffekt’ lässt sich auch im Begriff der Schemata von Roy D’Andrade fassen, mit dessen Hilfe erklärt werden soll, wie der Sozialisationsprozess (bzw. die Akkulturation) innerhalb einer bestimmten sozialen (oder kulturellen) Gruppe in Wünsche, Motivationen und Handlungsstrategien übersetzt wird. Auch D’Andrade betont die Resistenz gegen Veränderungen: Ein Schema ist „in der Erinnerung verfestigt“ und „erhebt den Anspruch prototypisch zu sein“ (D’Andrade 1997: 29). Wie beim Habitus-Begriff werden auch hier sozial bestimmte Dispositionen vom Individuum als ausschließlich individuell wahrgenommen. Gemeinsam ist all diesen Konzepten, dass das Verhaltensrepertoire des Individuums als begrenzt angesehen wird und zwar durch (a) die Verfügbarkeit materieller Ressourcen und (b) die subjektive Wahrnehmung von möglichem und angemessenem Verhalten, die ihre Ursache in der Sozialisation und den in einem bestimmten Milieu gesammelten Erfahrungen hat. Empirisch kann die Verfügbarkeit von materiellen Ressourcen mittels Indikatoren, wie etwa sozioökonomischer Charakteristika der Individuen und der

Lebenswege und Familienmodelle berufstätiger Frauen aus Ost- und Westdeutschland

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Infrastruktur, die ihnen zur Verfügung steht, analysiert werden. Im Gegensatz dazu ist das komplexe Zusammenspiel von bewusst gewählten und internalisierten Verhaltensweisen, wie es im Begriff des Habitus ausgedrückt wird, besser zu erfassen durch eine interpretative Analyse nicht strukturierter Daten, in denen der Einzelne die eigene biographische Erfahrung rekonstruiert und daraus seine zukünftige Entwicklung ableitet. Im Rahmen unseres Forschungsprojektes zu sozialem Einfluss und Familiengründung in Ost- und Westdeutschland haben wir mit über 100 jungen Frauen und Männern qualitative Interviews durchgeführt. Die Befragten sind in Lübeck bzw. Rostock aufgewachsen und verfügen über eine mittlere bis hohe Bildung. Wir haben diese beiden Städte ausgewählt, da sie sich – abgesehen von ihrer Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Systemen in den 40 Jahren der deutschen Teilung í in vielerlei Hinsicht ähnlich sind: Beide Städte sind norddeutsche Hafenstädte, alte Hansestädte mit protestantischem Hintergrund, die Einwohnerzahl in beiden Städten beträgt etwa 200.000 Personen und die Arbeitslosenquote ist relativ hoch (13,8 Prozent in Lübeck im Vergleich zu 7,6 Prozent in Westdeutschland; 18,2 Prozent in Rostock im Vergleich zu 17,7 Prozent im Osten Deutschlands). Die Interviews sind so konzipiert, dass sie zum einen Fragen enthalten, mit deren Hilfe die Befragten dazu angeregt werden, den bisherigen Verlauf ihres Lebens zu erzählen und ausführlich von ihren Vorstellungen hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen zu berichten. Zum anderen wurden aber auch systematisch Fragen zum Thema Familiengründung gestellt.3 Unsere bisherigen Analysen zeigen, dass sich die Vorstellungen von einer zufrieden stellenden Beschäftigungssituation und ökonomischer Sicherheit in Rostock und Lübeck deutlich unterscheiden, mit jeweils unterschiedlichen Auswirkungen auf die Entscheidung zur Elternschaft (Bernardi, von der Lippe und Klärner 2006). Im Mittelpunkt dieses Aufsatzes steht nun die Frage, welche Vorstellungen sich kinderlose Frauen mit Kinderwunsch,4 die hoch qualifiziert und vollzeiterwerbstätig sind, von einer Familiengründung und der Vereinbarung von Familie und Beruf machen. Wie erwähnt, können sozioökonomische Charakteristika wie Bildungsstand und Einkommen einen großen Einfluss auf die Art der verfügbaren materiellen Ressourcen und auf die Wahrnehmungsperspektiven des Einzelnen haben. Daher stellen wir hier nur Fälle gegenüber, die

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Näheres zur Auswahl der Befragten und der Erhebungsmethode findet sich in Bernardi, Keim und von der Lippe (2005). Nur wenige unserer Befragten äußerten, dass sie mit Sicherheit keine Kinder bekommen möchten. Diese wollen wir in einer gesonderten Analyse untersuchen und haben sie für diesen Aufsatz ausgeschlossen.

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unter sozioökonomischen Gesichtspunkten vergleichbar sind. Eine derart ausgewählte Stichprobe erlaubt es, Unterschiede in den Narrationen – insbesondere jene, die auf materielle Lebensbedingungen zurückgehen – auf unterschiedliche Wahrnehmungsperspektiven zurückzuführen, die sich auf Entscheidungen hinsichtlich einer Familiengründung auswirken.

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Kinderlose Frauen aus Ost- und Westdeutschland – eine Gegenüberstellung

Betrachten wir nun also, wie kinderlose Frauen an der Schwelle des dritten Lebensjahrzehnts von ihren bisherigen Lebenserfahrungen berichten und welche Vorstellungen sie von ihrem weiteren Lebensweg haben. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede finden wir in den Interviews der Frauen aus Ost- und Westdeutschland? Lassen sich – entsprechend unserer These vom ‚Trägheitseffekt’ – diese Unterschiede auf die unterschiedliche Sozialisation in der DDR oder BRD zurückführen? Um das Augenmerk auf die Erzählung eines vollständigen Lebensweges und seiner Entwicklung zu legen, statt auf einzelne, bruchstückhafte Aspekte dessen, beschränken wir uns hier auf vier Fallgeschichten und stellen jeweils zwei Frauen aus Rostock und Lübeck vor. Wir haben für diese Gegenüberstellung aus jeder Stadt zwei Frauen ausgewählt, die sich in vielerlei Hinsicht ähneln, um sicherzustellen, dass gefundene Unterschiede sich nicht nur aus den individuell unterschiedlichen Lebensbedingungen erklären lassen: Die beiden Frauen der ersten Ost-West-Gegenüberstellung haben derzeit eine sichere Anstellung und nur mäßige Karrierewünsche, sie haben beide zum Zeitpunkt des Interviews keine Partnerschaft, aus der heraus sich eine Perspektive für eine Familiengründung hätte ergeben können (die Lübecker Befragte ist allein stehend, während die Rostockerin in einer von ihr als instabil erlebten Beziehung lebt). Die beiden Frauen der zweiten Ost-West-Gegenüberstellung ähneln sich in ihren Mobilitätserfahrungen und Karriereambitionen, sie leben zum Zeitpunkt des Interviews seit mehreren Jahren in einer festen Beziehung zusammen mit ihrem Partner und möchten mit ihm Kinder haben. Zwar erzählt jede Frau ihre eigene Geschichte, die Fallstudien verdeutlichen jedoch exemplarisch die von uns auch in den anderen Interviews gefundenen Unterschiede zwischen den Lübecker und Rostocker Befragten.

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Antje aus Rostock: Weigerung eine Familie zu planen („Ich hasse es zu planen”) Antje ist 29 Jahre alt. Sie ist in Rostock aufgewachsen, hat dort ihren Schulabschluss gemacht und studiert. Gerne wäre sie dort geblieben, sie zog aber – wie so viele Frauen ihres Alters í vor fünf Jahren in den nahen Westen Deutschlands, wo sie eine Arbeitsstelle fand. Das Unternehmen, in dem sie angestellt war, ging nach zwei Jahren in Konkurs und sie suchte und fand problemlos eine neue Anstellung. Sie geht derzeit einer Vollzeitbeschäftigung nach und verfügt über ein relativ hohes Einkommen. Zwar ist ihre derzeitige Tätigkeit nicht besonders spannend („sehr viel Papierkram“), aber da die Stelle sicher ist und das Gehalt stimmt, schaut sie nur halbherzig nach Stellenangeboten und will zumindest in den nächsten Jahren dort bleiben: „Das ist eher ’n sicherer Laden, womit ich aber nicht unbedingt sagen will, dass ich da alt werden will. Da fühl’ ich mich einfach noch bisschen zu jung, als mich da irgendwie so Jahre in so ’nem Verwaltungsbereich da zu finden.“

Antje hat seit drei Jahren einen festen Partner, wohnt aber nicht mit ihm zusammen, obwohl er das gerne möchte. Sie beschreibt ihre Beziehung als „schwebendes Verfahren“ und ist sich nicht sicher, wie sie sich weiter entwickeln wird: „Ich hab da auch wirklich keinen Plan, muss ich ganz ehrlich sagen. Vielleicht ist es auch so, dass die Beziehung doch im Moment nicht so stimmt, oder vielleicht hab’ ich doch einfach so ’n kleinen Tick, dass ich das [zusammenziehen] nicht möchte. Andererseits gefällt mir das so [wie es ist] auch ganz gut.“

Eine eigene Familie ist für Antje „sicherlich auch irgendwann mal“ ein Thema, aber derzeit noch nicht: „Ich bin ja erst 29“. Trotzdem berichtet sie von einem gesteigerten Interesse an Kindern: „Ich finde Kinder auch sehr, sehr schön (...) und wenn, entweder liegt’s an meinem Hormonhaushalt, man guckt einfach auch schon [nach kleinen Kindern]. Frag’ nicht warum, das ist so.“

Es ist für sie selbstverständlich, dass sie auch als Mutter berufstätig sein wird. Sie beklagt die schlechten „Kinderbetreuung[sangebote] im Westen“ und hofft, dass in Zukunft auch Firmen mehr dafür tun, um Mütter bei der Vereinbarung von Familie und Beruf zu unterstützen. Antjes Familienbild entspricht dem traditionellen DDR-Familienmodell, das eine vollzeiterwerbstätige Mutter vorsah. Auch Antjes Forderung nach einem ausreichenden staatlichen Kinderbetreu-

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ungsangebot und größerer Familienfreundlichkeit von Firmen orientiert sich daran. Ein Thema, das sich durch Antjes gesamte Erzählung zieht, ist die Weigerung langfristige Zukunftspläne zu entwerfen. Das systematische Ablehnen langfristiger Lebensplanung zeigt sich in den meisten Interviewpassagen, in denen sie über ihr Berufsleben und ihre Partnerschaft spricht: „Um Gottes Willen, ich hasse das, zu planen. Würde ich ja Panik kriegen, wenn das nicht so laufen würde [lacht]. (…) Na, weil die Leute dann, wenn sie planen, werden sie natürlich irgendwann mal frustig, wenn’s nicht so passiert, wie es kommt. Und dann gehen die Lebenskrisen los [lacht].“

Auch angesprochen auf einen möglichen Zeitrahmen für eine Familiengründung lehnt sie jede genaue Planung ab: „Ich möchte nicht irgendwie jetzt ’ne Zeit mir vorgeben, aber als alte Jungfer irgendwann, das möchte ich auch nicht.“

Als Hauptgrund für ihre derzeitige Kinderlosigkeit trotz Kinderwunsch nennt sie ihr Alter und die Vorstellung, dass sie für die Entscheidung ein Kind zu bekommen noch ein paar Jahre Zeit hat. Aber auch ihre instabile Partnerschaft scheint eine Rolle zu spielen, wie das folgende Zitat verdeutlicht: „Ich denke, wenn die Umstände passen würden, würde ich vielleicht gar nicht so genau planen. Aber momentan gibt es, oder würde ich’s [das Kind] allein jetzt auch nicht haben wollen. (...) Der Partner sollte zumindest schon stimmen, ich brauch’ ja nicht einfach nur so’n Samenspender (…) und ich denke schon, dass man dann auch zusammen leben sollte. Ja, ich denke, die Beziehung sollte schon stimmen.“

Hauptbestandteil der „passenden Umstände“ für eine Mutterschaft scheint also eine stimmige Partnerschaft zu sein. Mit dem richtigen Partner sei es nicht nötig, eine Familiengründung genau zu planen. Dabei wird deutlich, dass sie ihren derzeitigen Partner nicht als den „richtigen“ betrachtet. Was sie jedoch genau an ihrem aktuellen Partner stört oder was sie unter einem passenden Partner versteht, welche Eigenschaften dieser mitbringen sollte, beschreibt sie nicht näher. Als eine weitere mögliche Bedingung für eine Familiengründung spricht sie ihren Beruf an: „Was meinen Beruf jetzt angeht, denke ich, da könnte ich da jederzeit ’ne gewisse Zeit aussetzen und dann wieder einsteigen. Also da würde ich mir jetzt nicht so Gedanken machen.“

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Da ihre derzeitige Anstellung es ihr ermöglicht, nach einer Elternzeit wieder einzusteigen, ist das Kriterium für einen „passenden“ Beruf bereits erfüllt und eine Familiengründung vor diesem Hintergrund jederzeit möglich. Eine darüber hinaus gehende Planung, wie Familie und Beruf vereinbart werden können, erscheint ihr nicht nötig. Als Gegenpart zu Antjes Geschichte möchten wir nun im Anschluss die Fallgeschichte einer jungen Lübeckerin präsentieren. Sie vertritt ein gänzlich anderes Familienbild und hat sehr genaue Vorstellungen davon, auf welche Weise und unter welchen Umständen sie eine Familie gründen möchte.

Miriam aus Lübeck: Familienplanung nach dem Haupternährermodell („Ich stell’ mir das so vor, dass ich auf jeden Fall zu Hause bleibe“) Miriam ist Single, dreißig Jahre alt und geht einer zeitlich unbefristeten Vollzeitbeschäftigung nach. Sie ist einerseits stolz darauf, was sie bisher beruflich erreicht hat, sieht diesen Erfolg aber andererseits eher im Zufall oder Druck von außen begründet und weniger als eigene Leistung. Sie betrachtet sich selbst als faul und nicht an Karriere interessiert. Eine mögliche Weiterbildung bezeichnet sie zwar als interessant, aber auch als mühsam, weshalb sie diese bisher immer wieder aufgeschoben hat. Mit ihrem derzeitigen Arbeitsplatz ist sie sehr zufrieden und unterhält freundschaftliche Kontakte zu ihrem Chef und einigen Kolleginnen. Sie hält ihre Anstellung für derzeit relativ sicher, ist sich aber angesichts der relativ hohen Arbeitslosigkeit in Lübeck bewusst, dass sich das auch schnell ändern kann. Miriam wünscht sich schon seit einiger Zeit eigene Kinder und das dominierende Thema in diesem Interview ist das Fehlen eines Partners, mit dem sie eine Familie gründen kann. Wenn Miriam von Familie spricht, hat sie das klassische westdeutsche Familienmodell im Blick: Die Frau ist Hausfrau oder arbeitet Teilzeit, der Mann ist der Hauptverdiener. „Wenn alles ganz toll ist und die Voraussetzungen alle gegeben sind, stell’ ich mir eigentlich vor, dass ich auf jeden Fall zuhause bleibe und solange Mama spiele, bis ich nicht mehr will. Und dann wieder arbeiten gehen kann. Ich glaub’ nicht, dass mir die drei Jahre genügen würden. Ich glaub’, ich würd’s noch länger sogar durchhalten.“

Mit diesem Entwurf scheint sie dem Beispiel der eigenen Mutter zu folgen, die – während der Vater beruflich viel unterwegs war – als Hausfrau die vier Kinder

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aufzog und erst, als die Kleinste ins jugendliche Alter kam, einen Job annahm. Miriam macht deutlich, dass die Versorgung der Kinder Sache der Mutter ist, eine Beteiligung des Partners daran, z. B. durch Vaterschaftsurlaub oder die frühe Unterbringung der Kinder in einer Tagesbetreuung, lehnt sie ab: „Wenn ich schon so’n Kind auf die Welt bringe, dann möchte ich das auch irgendwie genießen.“

Grundlage dafür, dass sie zu Hause bleiben kann, ist der Verdienst ihres Partners, denn eine sichere finanzielle Basis ist Miriam sehr wichtig: „Auf jeden Fall, wenn ich schon so was plane, wenn ich Kinder plane, dann möchte ich auch wirklich, so finanziell abgesichert sein, dass man nicht auf so viel verzichten muss.“

Hier wird deutlich, dass sie eine Familiengründung planen möchte. Ihre Planung erstreckt sich dabei auch auf den Lebensweg ihres Partners: Er soll Karriereambitionen haben und über eine Arbeitsstelle verfügen (bzw. in Aussicht haben), die finanzielle Sicherheit und einen guten Verdienst verspricht. Ihre bisherigen Partner waren wenig an Karriere orientiert und wollten entweder keine Kinder oder lehnten die Rolle als Hauptverdiener ab. Ihren letzten Partner hat sie verlassen, weil sie sich mit ihm unter diesen Umständen keine Familiengründung vorstellen konnte: „Ich hätte ihm alle Möglichkeiten offen gelassen, dass wir in ’ne kleinere Wohnung ziehen und er studieren kann. Wollte er aber nicht. (...) Ich hab mich immer nur, also wir haben auch drüber gesprochen, wie wollen wir das machen, wenn wir jetzt Kinder bekommen, wie wollen wir das finanzieren. Ich müsste eigentlich sofort wieder anfangen zu arbeiten. (...) Das war auch so ’n Punkt, der mich richtig gestört hat, weil nie klar war, was wird dann. (...) Und ja, in dem Alter, mit 30 kommt man ja schon ins Grübeln. Da denkt man darüber nach, Familie, Kinder und ist es wirklich der, mit dem ich das alles haben möchte. Nee. Wollt’ ich nicht.“

Den Hauptgrund für ihre derzeitige Kinderlosigkeit trotz Kinderwunsch sieht Miriam darin, dass ihr ein passender Partner fehlt, der ihre Vorstellungen über die Rollenverteilung innerhalb der Familie sowie über die Voraussetzungen für eine Familiengründung teilt und auch in der Lage ist, die gewünschte finanzielle Sicherheit zu bieten. Am Beispiel von Antje und Miriam haben wir gesehen, wie die alten DDR/BRD-Familienmodelle fortbestehen und dass es auch deutliche Unterschiede in den Vorstellungen über eine langfristige Planung des Lebensweges gibt. Ein ähnliches Bild zeigen auch die beiden folgenden Fallstudien von zwei Frauen, die seit Jahren in einer festen Partnerschaft leben. Auch bei ihnen finden

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sich die alten Familienmodelle und die unterschiedlichen Auffassungen bezüglich einer langfristigen Lebensplanung. Beide Frauen sind hoch qualifiziert, haben hoch motiviert ihr Studium absolviert und beste Karriereaussichten. Nun stehen sie vor der Frage, wie sie Familie und Beruf vereinbaren können.

Kristin aus Rostock: Egalitäre Geschlechterrollen und die Unmöglichkeit Beruf und Familie zu vereinbaren („Ein toller Job und Familie í wie soll denn das funktionieren?“) Kristin ist 29 Jahre alt und in Rostock aufgewachsen. Nach dem Schulabschluss ist ihre Lebensgeschichte durch viele Wohnortwechsel geprägt: Zum Studium zog sie in eine andere ostdeutsche Universitätsstadt, nach zwei Jahren wechselte sie den Studienort und zog in eine westdeutsche Stadt. Nach Abschluss des Studiums wechselte sie für die Promotion erneut ihren Wohnort. Seit einigen Monaten arbeitet sie nun Vollzeit und lebt wieder in einer ostdeutschen Stadt. Seit sieben Jahren hat sie einen festen Partner, zeitweise lebte sie mit ihm zusammen, zeitweise hatten sie eine Wochenendbeziehung. Seit einem dreiviertel Jahr wohnt sie nun wieder mit ihm zusammen: „Ich hab’ die Zeit erreicht, wo wir länger zusammenleben als wir gependelt [haben], wenn ich nicht wieder wegziehe [lacht].“

Hauptthema in ihrem Interview ist die Schwierigkeit, berufliche Ambitionen und Mobilitätsanforderungen mit einer Beziehung und dem Wunsch, mit ihrem Partner zusammen zu leben, zu vereinen: „Auf der einen Seite hätt’ ich gern ’n tollen Job, auf der anderen Seite möchte ich gern zusammenwohnen.“

Stets ist sie gezwungen Kompromisse zu machen. Zwar lebt sie derzeit mit ihrem Partner zusammen, aber ihr Arbeitsplatz ist relativ weit (70 km) von ihrem Wohnort entfernt, und sie ist mit der Arbeit nicht besonders zufrieden: „War mir von vornherein klar, dass das nicht meine Traumstelle ist, sondern dass es halt ’n Versuch sein wird, das möglichst irgendwie unter einen Hut zu kriegen (...) Da wir zur Zeit zusammen wohnen, verharre ich erstmal dabei. Auf der anderen Seite, wenn einen der Job doch nur frustriert, überwiegt dann irgendwann mal wieder der Gedanke, vielleicht doch getrennt (...).“

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Da sie derzeit nicht weiß, wie sie ein Zusammenleben mit ihrem Partner und eine ansprechende Arbeitsstelle miteinander vereinbaren soll, erscheint ihr eine Familiengründung erst recht unmöglich: „Und wenn man mal so was wie Familie will, [sollen die Eltern dann] pendeln? Wie soll denn das funktionieren? Eine freiwillig allein erziehende Mutter oder wie? (...) Ich finde das sehr, ich kann mich da, also, ich finde das sehr, sehr schwierig im Moment. (...) [Die Kinderfrage wird von uns] eigentlich bejaht. (...) Es ist halt schwierig, da hinzukommen, wie gesagt, bis Anfang des Jahres haben wir noch getrennt gelebt. Und ’ne Pendelbeziehung, wie gesagt: wer nimmt die Kinder? Ich oder Du oder vielleicht in der Mitte? Wie organisiert man so was?“

Für Kristin ist es ebenso wie für die Rostockerin Antje selbstverständlich, dass sie auch als Mutter berufstätig sein wird und ihren beruflichen Ambitionen folgen kann. Ähnlich wie Antje liegt es auch ihr fern, eine Familiengründung zu planen und sie hat keine genauen Vorstellungen davon, wann und wie eine Elternschaft verwirklicht werden soll. Zwar sieht sie, dass die Zeit, in der sie Kinder bekommen kann, begrenzt ist, aber auch das führt nicht zu einer genaueren Planung: „Bis jetzt habe ich mich immer jung genug gefühlt, dass diese Grenze noch so weit weg ist.“

Auch die junge Lübeckerin, die wir in der folgenden Fallstudie vorstellen wollen, stand vor dem Problem, wie sie Karriereambitionen und Elternschaft vereinbaren soll. Anders als Kristin hat sie dafür beizeiten einen Plan entwickelt, der das typisch westdeutsche Familienmodell einbezieht.

Karen aus Lübeck: Familienplanung mit geschlechtsspezifischer Rollenverteilung („Es wird eine dieser modernen Beziehungen, wo der Mann die Woche über woanders arbeitet und zum Wochenende nach Hause kommt“) Karen ist 30 Jahre alt und lebt in einer westdeutschen Stadt unweit von Lübeck. Sie hat seit sieben Jahren einen festen Partner und wohnt nach einer jahrelangen Wochenendbeziehung seit drei Jahren mit ihm zusammen. Zum Zeitpunkt des Interviews steht fest, dass er bald eine neue Stelle antreten wird und sie sich erneut nur am Wochenende sehen werden. Nach dem Abitur hat Karen zunächst in Lübeck eine Wirtschaftsschule besucht, nach ihrem Abschluss dort begann sie ein Studium in einer anderen westdeutschen Stadt. Da sie sich nicht für einen Studienschwerpunkt entscheiden

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konnte, verfolgte sie mit großem Ehrgeiz mehrere angebotene Schwerpunkte. Derart breit qualifiziert, fiel es ihr nach Abschluss des Studiums nicht schwer, eine Stelle zu finden. Diese bot zwar nur einen geringen Verdienst, aber dafür mit der Möglichkeit, sich in den nächsten Jahren eine Zusatzausbildung zu erwerben, eine gute Karrierechance. Diese Stelle brach sie nach drei Monaten ab: „Ich hab das dann drei Monate gemacht, fand das auch toll (...) und hab denn aber gedacht, nee, der Weg ist mir irgendwie zu lang, noch mal drei, vier Jahre diese Zusatzausbildung, so wenig Geld die ganze Zeit (...) es war einfach so ’n langer Weg und langsam kam dann auch so die Überlegung, irgendwann möchte ich Familie habe. Wenn ich solange jetzt noch brauche, um überhaupt starten zu können, bin ich irgendwann 35 und dann will ich Kinder haben, dann will ich endlich anfangen mit Kindern.“

Karen fand daraufhin eine weitere (befristete) Anstellung, die einen Start in eine akademische Karriere versprach. Auch diese verließ sie jedoch nach kurzer Zeit wieder, da sie ihr auch nicht mit ihrem baldigen Kinderwunsch kompatibel erschien. Zum Zeitpunkt des Interviews hatte sie eine (unbefristete) Arbeit angetreten, die zwar keine großen Karrieremöglichkeiten bot, von der sie aber glaubte, sie sei der Idealzustand, um Kinder zu haben: „Ein Grund für diese Stelle war die Sache, dass sie unbefristet ist, dass ich da so ’ne gewisse Sicherheit habe und dass ich jederzeit auch auf Teilzeit gehen kann, wenn ich will und in [der Stadt in der ich derzeit lebe] fest bin, sodass schon, so das Nächste, was ansteht, irgendwie auch Kinder, Familienplanung ist. Und das könnte ich mir so auch in dem nächsten Jahr gut vorstellen, irgendwie. Die nächste Frist, weil’s mit 29 nicht geklappt hat, ist jetzt so spätestens bis 32 das erste Kind.“

Diese Idealvorstellung entspricht stark dem klassischen westdeutschen Familienbild von einer (höchstens) Teilzeit arbeitenden Mutter. Ähnlich wie die Lübeckerin Miriam hat auch Karen einen deutlichen Plan zur Verwirklichung einer Elternschaft vor Augen, den sie schon seit längerer Zeit mit großer Energie verfolgt. Zunächst muss die Abfolge Studium, dann eine sichere Arbeitsstelle und dann eine Elternschaft eingehalten werden. Das gilt nicht nur für sie, sondern auch für ihren Partner. Aus dem Interview mit ihm wissen wir, dass er zunächst überhaupt keinen Wunsch verspürte, eine Familie zu gründen und sich auch beruflich nicht darauf einrichtete, eine Familie versorgen zu können. Allmählich und auch durch die Überzeugungsarbeit seiner Freundin änderte er seine Einstellung und mit dem erwachenden Kinderwunsch orientierte er sich beruflich neu, um seiner Rolle als Familienernährer gerecht werden zu können. So erzählt er:

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„Es ist wirklich so, dass ich so zumindest implizit erzogen als auch explizit erzogen wurde, das Wichtigste ist, ’n Beruf zu haben und Geld zu haben. Und ich hab’ mich gegen diesen Entwurf dann in den 90er Jahren eigentlich gesetzt; vorher hatte ich Angst, dass ich arbeitslos werde, während der Schulzeit, weil ich mich für solche Dinge wie Geschichte interessierte, die ja nicht wirklich arbeitsrelevant sind, jetzt mal ironisch gesprochen, sodass ich immer der potenzielle Kandidat für Arbeitslosigkeit war. Und das hat mich doch stark geprägt, sodass ich sehr stark dann Pendelbewegungen hatte.“

Diese Pendelbewegungen führten ihn von einer erfolgreich abgeschlossenen Berufsausbildung zu der freien Tätigkeit als Künstler: „Und da war’s mir eigentlich wichtig, als Künstler zu leben, also viel rumzukommen, hab’ aber nicht daran gedacht, dass ich ’ne Familie ernähren kann, weil, das war klar, dass ich da, wenn dann nur für mich selber sorgen kann. Das hat sich jetzt aber geändert, seitdem ich mit Karen zusammen bin. Ja, anfänglich hab ich auch noch bisschen so, aber seitdem ich mit ihr zusammen bin, ist für mich das Modell Familie da. Das heißt, Verantwortung für andere, dass heißt dann auch, dass man Geld verdienen muss. (...) Jetzt ist es für mich wichtiger, dass ich auch Geld verdiene und dass ich als Familienvater in die Pflicht genommen werde. Das ist für mich gerade jetzt die Perspektive. Das ist für mich auch das Allerwichtigste. Wir wollen ’ne Familie gründen und das ist das Schöne.“

Dieser Interviewausschnitt macht deutlich, wie für Karens Partner die Rolle des Hauptverdieners (eine Rolle, mit der er aufwuchs und die er jahrelang für sich ablehnte) im Moment des Gedankens an eine Vaterschaft mit aller Macht zurückkehrte. Er glaubt nun in einer Karriere als Wissenschaftler eine Möglichkeit gefunden zu haben, seinen Wunsch nach einer interessanten abwechslungsreichen Tätigkeit mit seiner Rolle als Familienernährer zu verbinden. Die langfristige Familienplanung der beiden sieht vor, dass Karen mit dem Kind in Lübeck wohnt oder in der Stadt, in der sie derzeit leben, während ihr Mann zur Verfolgung seiner Karriere am Wochenende pendelt. Den Mittelpunkt ihrer Planung bildet die Einheit Mutter-Kinder-Heim, die dauerhaft an einem Ort angesiedelt sein soll; Karen spricht davon als ‚Lebenshauptwohnsitz’. Die Aussicht, unter der Woche faktisch allein erziehende Mutter zu sein, schreckt Karen im Gegensatz zur Rostockerin Kristin nicht. Karen hat mit Eltern und Freunden schon über ihre Familienpläne gesprochen und weiß, dass sie von ihnen Unterstützung erhält. Des weiteren sind ihr die Karriere und der stabile Verdienst ihres Ehemannes wichtiger als ein Zusammenleben mit ihm. Auf diese Weise gelingt es Karen, das klassische westdeutsche Familienmodell auf Zeiten, in denen Flexibilität und Mobilität auf dem Arbeitsmarkt verlangt werden, zu übertragen. Im Gegensatz zur Rostockerin Kristin, die durch ihr egalitäres Rollenbild auf der Suche nach einem Kompromiss zwischen wissenschaftlicher Karriere und Elternschaft blockiert ist, hat Karen in einer Abwandlung des traditionellen west-

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deutschen Familienmodells eine Lösung gefunden. Sie ist bereit, auf ein Zusammenleben mit ihrem Partner und ihre eigene akademische Karriere zu verzichten, und hat stattdessen ihrem Mann geraten, eine solche aufzunehmen. Bestandteil dieses Modells ist es auch, dass ihr Mann im Gegenzug Einbußen in der Zeit macht, die er mit seinem Kind verbringt, um seine Karriere zu verfolgen und seine Rolle als Familienernährer auszufüllen.

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Gemeinsame Lebensbedingungen í unterschiedliche Vorstellungen und Verhaltensweisen

Zwar sind für die befragten Frauen aus Ost- und Westdeutschland ihre Ausgangslagen, ihre aktuellen materiellen Lebensbedingungen ähnlich: Sie beschreiben Schwierigkeiten, die sich aus der unsicheren Beschäftigungslage, befristeten Arbeitsverträgen oder Mobilitätsanforderungen ergeben. Auch beklagen viele Frauen, dass es für sie nicht einfach ist, ein Familienleben mit einem aktiven und zufrieden stellenden Arbeitsleben zu vereinbaren. Dennoch sind es in beiden Kontexten ganz unterschiedliche Verhaltensweisen und Vorstellungen, die vor dem Hintergrund dieser Lebensbedingungen zur Kinderlosigkeit führen. Die Gegenüberstellung der vier individuellen Fallgeschichten zeigt einige Folgen unterschiedlicher Sozialisation in den beiden deutschen Staaten vor der Wende. So konnten wir zeigen, dass die traditionellen Familienmodelle der DDR bzw. BRD in den Narrationen der in Ost- bzw. Westdeutschland aufgewachsenen Frauen noch deutlich präsent sind. Während die ostdeutschen Frauen mit großer Selbstverständlichkeit davon ausgehen, dass beide Eltern berufstätig sind, zeichnen die westdeutschen Frauen das Bild einer asymmetrischen Rollenverteilung: Der Mann ist der Hauptverdiener und die Frau übernimmt hauptsächlich die Familienarbeit. Dabei fällt auf, dass die beiden ostdeutschen Frauen tendenziell das eigene Arbeits- und Familienleben als zwei unabhängige, parallele Wege betrachten und es ihnen deshalb nicht möglich ist und sie es nicht als notwendig erachten, einem der Bereiche eine Priorität zuzuweisen. Das Westmodell scheint von den Rostocker Frauen gar nicht erst in Erwägung gezogen zu werden. Angesichts der oben skizzierten Lebensbedingungen, die von ökonomischer Unsicherheit und Forderungen nach individueller Flexibilität und Mobilität geprägt sind, kann demnach das Ost-Familienmodell in die Kinderlosigkeit führen, wenn es nicht gelingt, die Berufe beider Partner mit einer Elternschaft zu vereinbaren – das erscheint schwieriger als im Falle des West-Modells, bei

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dem nur der Beruf des Mannes im Mittelpunkt steht. Andererseits kann das West-Familienmodell in die Kinderlosigkeit führen, wenn der Partner angesichts der angespannten Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht in der Lage ist, als Haupternährer zu fungieren – hier scheint das egalitäre Ost-Modell vorteilhafter, da hier beide Partner zum Familieneinkommen beitragen. Der Grad der Planung der Familienbildung ist ein weiterer kennzeichnender Unterschied zwischen den Interviewpartnern aus Ost- und Westdeutschland. Wir haben gezeigt, dass unsere westdeutschen Befragten klare Vorstellungen davon entwickeln, wie sie Beruf und Familie vereinbaren möchten und welche Rolle ihr Partner spielen soll. Hingegen sehen unsere ostdeutschen Befragten das Projekt Familie eher als unabhängig von ihrem Arbeitsleben und haben keine spezielle Planung dafür entwickelt. Die Ausweitung der Planung auf die Berufswahl und den Karriereweg des Partners (dies ist der Fall bei den Lübeckerinnen Miriam und Karen) fehlt bei den Interviewten aus Ostdeutschland oder ist zumindest weniger ausgeprägt. Im Einklang mit dem Konzept des Habitus argumentieren wir, dass dieser Unterschied zum Teil auf die kaum vorhandene Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer langfristigen Planung der eigenen beruflichen Karriere und der Vereinbarung von Erwerbsarbeit und Familienleben in der ehemaligen DDR zurückgeht. Die jungen Frauen aus Rostock finden in der vorangegangenen Generation weder den Erfahrungsschatz noch den sozialen Druck, der sie zur Formulierung langfristiger Planungen drängt, schon bevor sie konkreter über Familie nachdenken (Antje), und damit sind sie, wenn sie dann eine Familie gründen möchten, nicht darauf vorbereitet, wie es ihnen gelingen kann, Familie und Beruf zu vereinbaren (Kristin). Es ist aber auch denkbar, dass diese Abwesenheit von langfristiger Planung in den Interviews mit ostdeutschen Frauen eine Reaktion auf die Wende und ihre Folgen ist. Dieses unerwartete (und von dem Einzelnen nicht zu kontrollierende) Ereignis und die mit ihm einhergehenden grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen haben nicht nur die Lebensgestaltung vieler Ostdeutscher, sondern auch ihre Erwartungen über ihren zukünftigen Lebensweg durcheinander gebracht. Wer so hautnah erlebt hat, wie schnell die erlebte Kontinuität zerstört werden kann, verzichtet möglicherweise fortan auf langfristige Planungen. Vor dem Hintergrund der derzeit in Gesamtdeutschland unsicheren Situation auf dem Arbeitsmarkt und der geforderten Flexibilität und Mobilität erscheint es schwierig, langfristige Pläne zu verfolgen, und allzu rigide Pläne z. B. über bestimmte Voraussetzungen, die vor der Familiengründung erfüllt sein müssen, können zum Verschieben einer Elternschaft und schließlich zu endgültiger Kinderlosigkeit führen. Andererseits kann auch die völlige Abwesenheit langfristiger Planung dazu führen, dass es

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schwierig wird, den Kinderwunsch spontan zu verwirklichen. Eine Elternschaft wird dann immer weiter verschoben, in der Hoffnung, irgendwann werde es von selbst schon besser ‚passen’. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit unserer Hypothese eines ‚Trägheitseffektes’ und verweisen auf die Bedeutung der unterschiedlichen Sozialisation für die Lebenswege dieser Generation. Zwar sind ihre aktuellen Lebensbedingungen ähnlich, die unterschiedliche Sozialisation führt jedoch dazu, dass die jungen Frauen auch unterschiedlich mit diesen Bedingungen umgehen. Wir plädieren daher zum besseren Verständnis von Kinderlosigkeit dafür, die auch heute noch unterschiedlichen Perspektiven und Verhaltensweisen in Ost- und Westdeutschland nicht zu vernachlässigen. Wir haben uns in diesem Aufsatz auf kinderlose Frauen konzentriert, selbstverständlich ist eine Familiengründung aber nicht nur Sache der Frauen, auch die Perspektive der Männer muss näher betrachtet werden. Ein besonderes Augenmerk ist auch auf die Interaktionen auf Paarebene zu richten. Weiterhin ist auch eine Untersuchung von Paaren aufschlussreich, welche die Vereinbarungsschwierigkeiten überwunden und Kinder bekommen haben. All dies hoffen wir auf Grundlage unserer Daten noch analysieren zu können. Unsere Untersuchung konzentriert sich auf hoch qualifizierte Befragte, zukünftige Analysen müssen aber auch Paare mit anderem sozialen Hintergrund einbeziehen.

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Erklärungsansätze der Kinderlosigkeit

Die Kinderfrage und der halbierte Wandel in den Geschlechterverhältnissen Heike Kahlert

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Die Kinderfrage als Kristallisationspunkt von Stabilität und Wandel in den Geschlechterverhältnissen – strukturierungstheoretisch betrachtet

Die Kinderfrage steht im Zentrum der breiten und aufgeregten Diskussionen über den Geburtenrückgang. Sie ist zugleich ein Kristallisationspunkt, an dem die paradoxe Gleichzeitigkeit von Stabilität und Wandel der Geschlechterverhältnisse offensichtlich wird. Erst in der Betrachtung dieser paradoxen Gleichzeitigkeit wird, so die im Folgenden vertretene These, deutlich, dass das eigentliche, dem Geburtenrückgang zu Grunde liegende Problem in einer geschlechtlich spezifischen Halbierung der Stabilität und des Wandels der Geschlechterverhältnisse besteht: einer weitgehenden Stabilität der Geschlechterverhältnisse im privaten und einem weitgehenden Wandel der Geschlechterverhältnisse im öffentlichen Bereich. Dabei soll hier, so die zweite These, die Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse als Chance zur Lösung des demographischen Problems verstanden werden. Demokratisierung meint in diesem Zusammenhang die Verwirklichung von faktischer Gleichheit und Gerechtigkeit beider Geschlechter als Weg zu einer Gesellschaft, in der ein Leben mit Kindern möglich ist, ohne herrschaftliche Geschlechterverhältnisse zu reproduzieren. Die Lösung des demographischen Problems bestünde demnach in einer zukunftsorientierten Ermöglichung egalitärer Geschlechterkonstruktionen und einer demokratischen Arbeitsteilung, in der beide Geschlechter erwerbstätig und zuständig für die Haus- und Sorgearbeit sein können (vgl. Kröhnert, Olst und Klingholz 2004; Kahlert 2006a; Beiträge in: Berger und Kahlert 2006; Stiegler 2006). In diesem Beitrag sollen der Geburtenrückgang und der Verzicht auf Kinder im Zusammenhang mit der Entwicklung der geschlechtlichen Arbeitsteilung diskutiert werden. Für die methodologische Grundlegung dieser Diskussion greife ich auf die Sozialtheorie der Strukturierung von Anthony Giddens (1995) zurück, wobei diese für die geschlechtskategoriale Betrachtung der Kinderfrage en passant ‚passfähig’ gemacht werden muss (vgl. als Vorschläge dazu Kahlert

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2005, 2006b). Mit der strukturierungstheoretisch inspirierten Analyse, die auf Grund der gebotenen Kürze dieses Beitrags kaum über den Status einer ersten groben Skizze hinauskommen kann, wird versucht, die Komplexität der Kinderfrage in einem theoretisch kohärenten Rahmen zu erfassen, der eine Verknüpfung von (subjektivem) Handeln und (objektiver) Struktur ermöglicht. In der aktuellen Diskussion wird oft verkürzend auf ‚die emanzipierten Frauen’, ‚die zeugungsunwilligen Männer’ oder auf die unzulängliche Kompatibilität von Beruf und Familie verwiesen, um die niedrigen Geburtenraten in Deutschland zu erklären. Diese Betrachtungen sind je für sich genommen nicht falsch, aber sie bilden die Zusammenhänge nur unvollständig und die komplexe soziale Realität verzerrend ab, denn sie nehmen nur je eine Dimension dieser Komplexität in den Blick – entweder das individuell sich verändernde generative Handeln oder einzelne Aspekte der strukturellen oder institutionellen Bedingungen, unter denen Individuen generativ handeln. Versuche, den Geburtenrückgang in der komplexen Verschränkung von Handeln und Struktur zu erfassen, fehlen. Mein Beitrag folgt in seinen drei Argumentationsschritten der von Giddens vorgeschlagenen Vorgehensweise einer „institutionellen Analyse“ (vgl. Giddens 1995: 342, 430). Diese geht von der Strukturebene aus, hier verstanden als die Betrachtung der grundlegenden Struktur des Geschlechterverhältnisses in modernen Gesellschaften in Bezug auf die Kinderfrage (Teil 2). Im zweiten Schritt legt die institutionelle Analyse den Schwerpunkt auf die Ebene der Institutionen, hier auf die Institutionen, die besondere Bedeutung für die Kinderfrage haben. Dabei lehne ich mich an den lebenslaufbezogenen Institutionenansatz der Bremer Sozialwissenschaftlerin Helga Krüger an, die vorschlägt, für die Bearbeitung dieser Frage das ‚Dreieck: Erwerbsarbeit – Familie – Staat’ (Krüger 2003: 95) ins Zentrum der Betrachtung zu stellen. In forschungsmethodologischer Hinsicht hat Krüger darauf hingewiesen, dass „in der Gestaltung und Betrachtung der Verbindungslinien“ zwischen den Spitzen des Dreiecks der genannten Institutionen „die größte Herausforderung und die größten Forschungsaufgaben“ liegen (Krüger 2003: 103). Folglich werden in diesem Abschnitt die genannten drei Institutionen und ihre Verbindungslinien im Hinblick auf die Kinderfrage im Licht der geschlechtlichen Arbeitsteilung in den Blick genommen (Teil 3). Diese Betrachtung verdeutlicht, dass diese drei Institutionen in ihrer Differenzierung und Vernetzung und in ihren Verbindungslinien die paradoxe Gleichzeitigkeit des Wandels und der Stabilität der Geschlechterverhältnisse widerspiegeln und erheblichen Einfluss darauf haben, ob Frauen Mütter und Männer Väter werden oder ob sie kinderlos bleiben. In ihrem Zusammenspiel beeinflussen sie das generative Handeln von Frauen und Männern, das wiederum – verän-

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dernde und stabilisierende – Rückwirkungen auf diese Institutionen hat. Damit steht das individuelle Handeln, hier also das generative Handeln von Frauen und Männern, im dritten Schritt der institutionellen Analyse im Mittelpunkt. Der Verzicht auf Kinder erscheint in dieser Sichtweise als eine Möglichkeit bzw. ein Ergebnis sozialer Praxis, um die institutionenstrukturierten Widersprüche moderner Lebensentwürfe und -läufe zu bewältigen (Teil 4). Den Abschluss dieses Beitrags bilden eine Reflexion der hier verfolgten Vorgehensweise und ein Ausblick auf Vertiefungsmöglichkeiten des vorgeschlagenen forschungsmethodologischen Vorgehens (Teil 5).

2

Die Struktur des modernen Geschlechterverhältnisses

In der Frauen- und Geschlechterforschung herrscht weitgehende Einmütigkeit bezüglich der Struktur des modernen Geschlechterverhältnisses – und zwar unabhängig davon, mit welchem theoretischen Konzept bzw. aus welchem disziplinären Blickwinkel1 argumentiert wird: Das mit der Industriegesellschaft entstandene bürgerliche Geschlechterverhältnis basiert auf einer strukturellen Ungleichheit der Geschlechter, die sich in der Vergeschlechtlichung der Regeln, nach denen Akteure in der sozialen Praxis handeln, und der Ressourcen, auf die sie sich dabei beziehen, ausdrückt. Es ist eng verbunden mit der Trennung der bürgerlichen Gesellschaft in einen öffentlichen Raum von Staat, Ökonomie und Zivilgesellschaft, der hohe gesellschaftliche Anerkennung erfährt und männlich codiert ist, und in einen privaten Raum von Familie und Haus, der eine niedrige gesellschaftliche Anerkennung erfährt und weiblich codiert ist. Öffentlichkeit und Privatheit sind in dieser Ordnung eng miteinander verknüpft, denn Staat, Ökonomie und Zivilgesellschaft basieren auf den familiär-häuslichen Versorgungsleistungen und sind ohne diese nicht überlebensfähig. Diese Verknüpfung ist aber keine egalitäre, die Differenz der verschiedenen Tätigkeiten demokratisch wertschätzende, sondern eine hierarchische Verknüpfung von Über- und Unterordnung, von Auf- und Abwertung. Das moderne bürgerliche Geschlechterverhältnis ist folglich ein asymmetrisches, Frauen gelten darin als von Männern ökonomisch abhängig und diesen untergeordnet. Auch die moderne geschlechtliche Arbeitsteilung ist eine asym1

Vgl. hierzu etwa die marxistisch vorgehende Analyse der Soziologin Ursula Beer (1990), die vertragstheoretisch argumentierende Analyse der Politikwissenschaftlerin Carol Pateman (1988) oder die ideengeschichtlich-kulturalistisch angelegte Studie der Historikerin Karin Hausen (1976).

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metrische, Frauen und Männern werden je klare Aufgaben und Zuständigkeiten zugeschrieben: den Männern die entgeltliche Erwerbsarbeit, den Frauen die unentgeltliche Haus- und Sorgearbeit. Unberücksichtigt bleibt in dieser Struktur des Geschlechterverhältnisses, dass die Verrichtung von Erwerbsarbeit ohne ihre Reproduktion durch die Haus- und Sorgearbeit nicht möglich ist. Unberücksichtigt bleibt aber auch – auch in weiten Teilen der Frauen- und Geschlechterforschung –, dass der Ort der Reproduktionsarbeit – die Familie – nur möglich wird durch die Existenz eines anderen Orts der Erwerbsarbeit, der die monetäre Absicherung der Reproduktionsarbeit ermöglicht (vgl. Krüger 1995: 203). Neben der Erfindung des ‚Heims’, die Frauen die Rolle der Kindererziehung übertrug, gehörten auch die Veränderung der Beziehungen zwischen Eltern und Kindern mit der Entdeckung der Kindheit als eigener Lebensphase und die „Erfindung der Mutterschaft“ zu den Einflüssen, die „den neuen Status der Frau [in der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft; H.K.] entscheidend“ (Giddens 1993: 53) beeinflussten (vgl. Beck-Gernsheim 1997: 29-49). Männer hingegen wurden vom modernen Wandel der Intimität kaum erfasst (vgl. Giddens 1993). Das moderne bürgerliche Geschlechterverhältnis sieht auch nicht vor, dass sie außer zu Erwerbsarbeiten noch zu anderen Arbeitsleistungen verpflichtet sind, etwa in der Haus- und Sorgearbeit bzw. Kindererziehung. Eine vergleichbare ‚Beschränkung’ der Arbeitsleistungen galt bzw. gilt nicht für Frauen: So waren etwa ledige Frauen aus der Unterschicht bereits in den Anfängen der modernen Gesellschaft gezwungen, Erwerbsarbeit zu leisten, als bürgerliche Frauen durften sie es zunächst nicht. Erst die technologische Entwicklung, das Entstehen neuer Dienstleistungsberufe und politische Kämpfe um die Zulassung von Frauen zu den Berufen der (männlichen) Mittelschichten ermöglichten es auch bürgerlichen Frauen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen (Beer 1990: 225). Dabei umfasste die Frauenerwerbsarbeit über lange Zeit hinweg lediglich die Erwerbsmöglichkeiten, die Männer nicht für sich reklamierten, und erstreckte sich auf ein eingeschränktes Tätigkeitsspektrum, das haus- und sorgearbeitsnah ausgerichtet war, eine entsprechend geringe Wertigkeit hatte und in der Regel schlecht bezahlt wurde. Die Rekrutierung weiblicher Arbeitskraft für Versorgungsleistungen war eine Antwort der modernen Gesellschaft, um die generative Reproduktion in geregelte Bahnen zu lenken (Beer 1990: 227). Die Minderbewertung der Frauen überantworteten und von ihnen erbrachten reproduktiven Versorgungsleistungen für Kleinkinder und Verwandte war eine weitere Antwort. Eine geschlechtergerechte und gleichberechtigte Arbeitsteilung, insbesondere im Privaten, war bzw. ist jedoch im modernen Gesellschafts- und Ge-

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schlechtervertrag (vgl. Pateman 1988) und in der modernen Polarisierung der Geschlechtscharaktere mit je spezifischen Eigenschafts- und Zuständigkeitszuschreibungen (vgl. Hausen 1976) nicht vorgesehen. Wenngleich sich das Geschlechterverhältnis im Laufe der Jahrhunderte geringfügig in seiner Form gewandelt hat, ist seine Grundstruktur und die darin angelegte ‚Schieflage’ bis heute im kapitalistischen (Erwerbsarbeits-)Markt und im Wohlfahrtsstaat erhalten geblieben (vgl. Teil 3). Es liegt auf der Hand, dass diese ‚Schieflage’ nicht kompatibel mit einer gesellschaftlichen Grundordnung ist, die sich selbst als demokratisch bezeichnet und dabei Werte wie Freiheit und Gleichheit für alle postuliert, diese aber zugleich strukturell ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt, nämlich Frauen die Freiheit und Gleichheit in der Öffentlichkeit und in der Privatheit und Männern die Freiheit und Gleichheit im privaten Raum der Familie vorenthält.2 Das damit verbundene Gerechtigkeitsproblem in den Geschlechterverhältnissen, das Nancy Fraser (2005) als Verteilungs-, Anerkennungs- und Partizipationsproblem beschreibt, ist bis heute nicht gänzlich gelöst: Die gesellschaftliche Arbeit ist zwischen den Geschlechtern nach wie vor nicht gleich verteilt – weder auf dem Erwerbsarbeitsmarkt, auf dem es freilich verglichen mit dem Kapitalismus in den Anfängen der Moderne erhebliche Fortschritte in Richtung auf mehr Geschlechteregalität gibt, noch in der Haus- und Sorgearbeit, die nach wie vor Frauensache ist. Die gesellschaftlich zu leistende Erwerbsarbeit und die Haus- und Sorgearbeit sind nach wie vor ungleich anerkannt und werden entsprechend ungleich entgolten – in zweifacher Hinsicht: Die von Frauen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt geleistete Arbeit wird immer noch überwiegend schlechter bezahlt als die dort von Männern geleistete Arbeit, im Privaten ist sie gar unentgeltlich. Die zwischen den Geschlechtern ungleiche Verteilung und Anerkennung der gesellschaftlichen Arbeit drückt sich schließlich auch in einem erheblichen und weitgehend stabilen Partizipationsdefizit der Frauen in hoch qualifizierten Berufen und Führungspositionen und der Männer in der Haus- und Sorgearbeit aus. Wenn hier von Haus- und Sorgearbeit die Rede ist, so ist darin auch die Erziehung der Kinder enthalten, die im modernen bürgerlichen Geschlechterverhältnis dem Zuständigkeitsbereich von Frauen zugeordnet wird. Die gesellschaftlich organisierte Arbeit und Zuständigkeit für Kinder ist folglich im herrschenden Gesellschafts- und Geschlechtervertrag durch eine strukturelle Ungleichheit und Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern geprägt. In dieser 2

Dabei muss freilich auch darauf hingewiesen werden, dass die Ordnung ebenfalls die soziale Gleichheit vernachlässigt, der hier aber nicht weiter nachgegangen wird.

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Gestalt bildet sie nahezu ungebrochen die Grundlage moderner Gesellschaften, ungeachtet einer steigenden Frauen- bzw. Müttererwerbstätigkeit, denn die Erwerbsarbeit wurde zur Reproduktionsarbeit als Arbeitsverpflichtung von Frauen einfach hinzuaddiert, unabhängig davon, ob es sich um kapitalistische oder sozialistische Gesellschaften handelt. Für kapitalistische Gesellschaften sollte dies unmittelbar einleuchten; für sozialistische Gesellschaften mag dies auf den ersten Blick erstaunen, schienen diese doch die Frauenfrage gelöst zu haben. Jedoch war die Geschlechter-ungleichheit und -ungerechtigkeit auch in den sozialistischen Gesellschaften Osteuropas, entgegen einer anders lautenden politischen Rhetorik, nicht gänzlich aufgehoben. Das Beispiel der DDR zeigt, dass die SED zwar 1971 die Gleichberechtigung der Frau sowohl gesetzlich als auch im Leben weitgehend für verwirklicht erklärt hatte. In der Tat waren Frauen hier in einem historisch bisher beispiellosen Ausmaß in die Erwerbsarbeit integriert. Die private Haus- und Sorgearbeit wurde aber auch unter realsozialistischen Bedingungen keineswegs partnerschaftlich geteilt, sondern oblag den Frauen – einmal abgesehen davon, dass der Staat während der Zeit der mütterlichen Erwerbstätigkeit die Kinderbetreuung übernahm (vgl. Gysi und Meyer 1993). Das stellte faktisch eine Erleichterung im Alltag dar, änderte aber nichts an der grundlegend ungleichen Struktur der geschlechtlichen Arbeitsteilung. Angesichts der fortbestehenden Ungleichheit und Ungerechtigkeit in der geschlechtlichen Arbeitsteilung haben Marianne Rodenstein, Stephanie Bock und Susanne Heeg die These aufgestellt, dass die Vermehrung der Arbeitsbelastungen von Frauen durch die Aufnahme von Erwerbsarbeit in der Konsequenz zu einer Veränderung im Bereich der Reproduktionsarbeit bzw. der Reproduktionsbedingungen führe und eine ‚Reproduktionsarbeitskrise’ auslöse: „Die Krise der Reproduktionsarbeit ist ein strukturelles, unsere Gesellschaft grundlegend berührendes Phänomen. Sie ergibt sich aus dem erheblichen Wandel der weiblichen Geschlechtsrolle, zu deren Selbstverständnis heute Erwerbstätigkeit und gleichberechtigte Partnerschaft gehören. Die männliche Geschlechtsrolle sowie die Berufsrollen folgten dieser Entwicklung nicht in gleichem Maß. Während für Frauen gilt, daß ihre traditionellen Arbeitsverpflichtungen in Form der Reproduktionsarbeit durch die Erwerbstätigkeit ergänzt werden und damit vom Umfang her zunehmen, bleiben die Anforderungen an die männlichen Arbeitsverpflichtungen weitgehend unverändert. Die dadurch entstehende Asymmetrie der Rollenerwartungen führt auf der individuellen Ebene vor allem dort zur Krise, d. h. zu Auseinandersetzungen und Konflikten um unvereinbare Erwartungen, wo es aus der Sicht der Frauen um gemeinsam mit Männern zu bewältigende Aufgaben wie die Arbeitsteilung in der Familie bzw. die Reproduktionsarbeit geht“ (Rodenstein et al. 1996: 31).

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So betrachtet, spiegelt sich in der in allen hoch industrialisierten Gesellschaften, wenn auch mit verschiedenen Ausprägungen, problematisch gewordenen Kinderfrage ein Konflikt wider, der in den Grundlagen der modernen Gesellschaftsund Geschlechterordnung mit ihrer spezifischen geschlechtlichen Codierung von Privatheit und Öffentlichkeit und der an dieser anschließenden Arbeitsteilung angelegt ist. Dabei drücken sich in der gewachsenen Erwerbsbeteiligung von Frauen ein Wandel und in der kaum steigenden Beteiligung von Männern an der Haus- und Sorgearbeit eine Stabilität aus, die beide strukturell in den Grundlagen des modernen bürgerlichen Geschlechterverhältnisses verankert sind. Der damit verbundene strukturelle Konflikt in den Geschlechterverhältnissen ist also eigentlich nicht neu. Seine demographischen Folgen erwecken aber erst jetzt Aufmerksamkeit – und das, obwohl der Geburtenrückgang sich eigentlich als rational erwartbare, wenn auch lange Zeit übersehene Begleiterscheinung der Arbeitsteilung mit der Teilung in den privaten Raum der bürgerlichpatriarchalen Familie und den öffentlichen Raum des (Erwerbsarbeits-)Markts und des ihn regulierend begleitenden modernen (Wohlfahrts-)Staats erweist. Die strukturelle Ungleichheit in den Geschlechterverhältnissen scheint wesentlich dazu beizutragen, dass sich diese modernen Institutionen möglicherweise unbeabsichtigt sukzessive selbst abschaffen. In der hier vorgeschlagenen Argumentation liegt die Lösung der in den modernen Gesellschaften problematisch gewordenen Kinderfrage in der Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse und der Schaffung einer anderen, geschlechteregalitären Gesellschaft(sstruktur): Dabei müsste nicht nur die geschlechtliche Arbeitsteilung im privaten Raum der Familie umstrukturiert, sondern auch die (Geschlechter-)Struktur der Institutionen (Erwerbsarbeits-) Markt und (Wohlfahrts-)Staat verändert werden.

3

Die Institutionenstrukturiertheit des Geschlechterverhältnisses im Dreieck von Familie, Staat und Markt

Giddens (1995) fasst Institutionen als dauerhafte, am weitesten in Raum und Zeit ausgedehnte soziale Praktiken auf. Er unterscheidet drei strukturelle Dimensionen zur Klassifikation institutioneller Ordnungen: die Signifikation, also Zeichen und Codes zur Kommunikation von Sinn und Bedeutung, die Herrschaft, also allokative Ressourcen in Bezug auf Fähigkeiten zur Umgestaltung von Objekten, Gütern oder materiellen Phänomenen und autoritative Ressourcen

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Heike Kahlert

in Bezug auf die Umgestaltung von Personen oder Akteuren, und die Legitimation, also Normen zur Regulierung von Beziehungen zwischen Rechten und Pflichten. Diese strukturellen Dimensionen stehen je verschieden zueinander in wechselseitigen Abhängigkeitsbeziehungen, deren spezifische Formationen je eine institutionelle Ordnung klassifizieren (vgl. Giddens 1995: 81-88; Kahlert 2005: 159-163). Für den hier interessierenden Kontext sind die von Giddens unterschiedenen institutionellen Ordnungen der politischen und der ökonomischen Institutionen von besonderem Interesse: Familie und Staat sind nach seiner Klassifikation politische Institutionen, die der autoritativen Herrschaft über Personen oder Akteure dienen, und der Markt ist nach dieser Klassifikation eine ökonomische Institution, die der allokativen Herrschaft über Objekte, Güter oder materielle Phänomene dient (vgl. Giddens 1995: 87). Gemeinsam ist Familie, Staat und Markt, dass sie durch Zeichen und Codes strukturiert und normativ legitimiert sind. Zu beachten ist im Folgenden, dass Institutionen auf zwei Ebenen wirken: Sie bieten auf der individuellen Ebene den Hintergrund für die Sinnbezüge und das Handeln, d. h. in der einzelnen Biographie; und sie reproduzieren durch die Form ihrer organisatorischen Verfasstheit die (Sozial-)Struktur einer Gesellschaft (vgl. Krüger 1995: 197). Damit verknüpfen Institutionen das individuelle Handeln mit der (Sozial-)Struktur. Sie müssen folglich nicht nur in der „Dualität von Struktur und Handlung“ (Giddens 1995) betrachtet werden, sondern im hier interessierenden Kontext auch hinsichtlich der „Dualität von Geschlecht“ (Kahlert 2006) untersucht werden. Institutionen sind jeweils durch das moderne Geschlechterverhältnis strukturiert, wobei dem Geschlecht nach Krüger dabei ein „Masterstatus“ zukommt (Krüger 1995: 204; Krüger und Levy 2000: 379), sie wirken zugleich aber auch strukturierend auf das moderne Geschlechterverhältnis und das individuelle Handeln. Strukturierungstheoretisch betrachtet stellen sie also die ‚Brücken’ zwischen Struktur und Handlung dar, sodass ihnen für die hier vorgeschlagene institutionelle Analyse erhebliche Bedeutung zukommt. Institutionen sind in dieser Perspektive auch bedeutsam für die Analyse von Stabilität und Wandel in den Geschlechterverhältnissen (vgl. Krüger 1995: 197): Stabilität und Wandel in den Geschlechterverhältnissen entschlüsseln sich in dieser Perspektive weniger als Stabilität und Wandel der strukturellen Dimensionen Signifikation, Herrschaft und Legitimation, sondern vielmehr in der Auseinandersetzung mit konkret erfahrbaren, aber in der Gesellschaftsstruktur institutionell verfestigten Handlungschancen und -bedingungen, die Lebensentwürfe und -läufe von Frauen und Männern je unterschiedlich sozial standardisieren. Bevor die Analyseperspektive auf das individuelle Handeln und dessen Bedeu-

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345

tung für Stabilität und Wandel der Geschlechterverhältnisse gelegt wird (vgl. Teil 4), soll zunächst die „Institutionenstrukturiertheit geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung“ (Krüger 1995: 200) im Dreieck von Familie, Staat und Markt und in den Verbindungslinien dieser drei Institutionen erörtert werden.

3.1

Verbindungslinien zwischen den Institutionen Familie und Staat

Die erste Spitze des nun interessierenden Institutionen-Dreiecks bildet die Familie. In fast allen begrifflichen Bestimmungsversuchen gilt sie als ein Arrangement der „Differenz – zwischen Generationen und zwischen Geschlechtern“, wobei in modernen westlichen Gesellschaften die Kinder das „natürliche Zentrum“ der bürgerlichen Familienkonstruktion sind (Kreisky o. J., Herv. i. O.). In der Entwicklung der konventionellen Familie als moderner Institution unterscheidet Kreisky (o. J.) grob drei Phasen der Modernisierung: das seit dem 18. Jahrhundert als „eigenständige Sozialform“ ausdifferenzierte bürgerlich-patriarchale Familienmodell, das schließlich familiale Lebensstile aller gesellschaftlichen Klassen und Schichten bestimmen sollte; eine „schleichende Dekomposition“ des relativ homogenen bürgerlich-patriarchalen Familienmodells als Effekt sozialer und ökonomischer Modernisierung durch Wohlfahrts- und Wirtschaftsentwicklung seit den 1960er Jahren; sowie schließlich im Laufe des momentanen Modernisierungsschubs eine Expansion der „Bandbreite“ familialer Formen bei gleichzeitiger Intensivierung der Widersprüche zwischen ihnen (Kreisky o. J.). Dabei drückt sich in sozialer Hinsicht in der Dekomposition des bürgerlichen Familienmodells und der Expansion der Familienformen auch eine Kritik am autoritativ-herrschaftlichen Charakter der bürgerlich-patriarchalen Familie aus, an dessen Stelle verstärkte Ansprüche an die Demokratisierung der Familie treten (vgl. Giddens z. B. 1993: 203-207). Ausgehend von einem allgemeinen Wertewandel und Ansprüchen auf eine generelle Demokratisierung der privaten Lebensführung sollen sich demnach seit den späten 1960er Jahren Beziehungen zwischen den Geschlechtern und den Generationen an den Werten Gleichheit und Gerechtigkeit ausrichten. Frauen und Männer scheinen, bedingt durch ihre geschlechtstypisch unterschiedliche Positionierung im Geschlechterverhältnis, diesen Demokratisierungsprozess im Privaten unterschiedlich intensiv voranzutreiben, aber auch unterschiedlich zu verwerten: Seit den 1970er Jahren planen Frauen die Erwerbstätigkeit selbstverständlich in ihren Lebensentwurf ein und lehnen es zugleich ab,

346

Heike Kahlert

allein für Kinder und Hausarbeit zuständig zu sein, aber: „Die Realität des Geschlechterverhältnisses spricht eine andere Sprache als das Ideal der partnerschaftlichen Beziehung“ (Rodenstein, Bock und Heeg 1996: 30). Für Frauen geht die (angestrebte) Demokratisierung der Familie vor allem mit dem Anspruch auf eine Entlastung von der Reproduktionsarbeit, einem Zugewinn an Handlungsmöglichkeiten in der öffentlichen Sphäre und damit mit erweiterten Optionen für die (weibliche) Identitätsbildung einher, für Männer scheint sie sich überwiegend mit der Befürchtung eines Macht- und Bedeutungsverlusts zu verbinden und die traditionelle (männliche) Identität als Familienernährer in Frage zu stellen oder gar zu bedrohen. Noch überwiegt die Stabilität der traditionellen familialen geschlechtlichen Arbeitsteilung mit einer weitgehenden Abwesenheit der Männer einerseits als Folge dieses Auseinanderklaffens von antizipiertem Gewinn auf Seiten der Frauen und antizipiertem Verlust auf Seiten der Männer, aber sie beginnt ihre Fraglosigkeit zu verlieren und zum Gegenstand von Verhandlungen zwischen den Beteiligten zu werden. Andererseits ist die Stabilität der familialen geschlechtlichen Arbeitsteilung aber auch in der institutionellen Verfasstheit der Familie und deren Verknüpfung mit anderen Institutionen (wie Staat und Arbeitsmarkt) begründet, denn die generative Dimension und die damit erforderlich werdende kontinuierliche Sorge für die nachfolgende Generation gehen mit einem vermehrten Aufwand an Reproduktionsarbeit einher. Während die Arbeit in kinderlosen Partnerschaften halbwegs egalitär geteilt wird, stellt sich bei Familiengründung zumeist das traditionelle Muster der geschlechtlichen Arbeitsteilung wieder ein (vgl. zusammenfassend Rüling 2006: 105-108). Die Erweiterung der bei der Familiengründung anstehenden Reproduktionsarbeit um den Sorgeaspekt für die nachfolgende Generation scheint folglich retraditionalisierend zu wirken und einen Rückfall in traditionelle Rollenmuster mit sich zu bringen. Entsprechend wird die Tatsache, dass sich mit der Familiengründung in vielen vormals in Bezug auf die Arbeitsteilung egalitär organisierten Paarbeziehungen wieder die traditionelle geschlechtliche Arbeitsteilung einstellt, in der Literatur als „Traditionalisierungseffekt“ (Reichle 1996: 70) beschrieben oder jüngst, mit Blick auf „egalitäre [partnerschaftliche; H.K.] Arrangements von Arbeit und Leben“, im Bild der sich aufstellenden „Traditionalisierungsfallen“ (Rüling 2006: 1) gefasst. Die Familie ist aber nicht nur eine soziale, generationenübergreifende Lebensform, sondern auch eine staatlich gesetzte Institution, die dazu erst durch staatliches Handeln wird; sie ist somit ein politisches Konstrukt (Kreisky und Löffler 2003: 375f.). Dass das bürgerlich-patriarchale Familienmodell in der

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347

modernen Gesellschaft hegemonial wurde, ist nach Kreisky und Löffler (2003) einem längeren und komplexen Vorgang zu verdanken, „der nicht ausschließlich auf Veränderungen ökonomischer Rahmenbedingungen beruhte, sondern (auch) aus umsichtigen politischen Vorgehensweisen resultierte, die Familie auch für den Staat ‚funktional‘ machen sollten. Familie wurde als ‚Rückzugsort‘ popularisiert, sie sollte als Stätte der Erholung und des emotionalen Ausgleichs zum ‚harten‘ Erwerbsleben wie zur feindseligen (Außen-)Welt fungieren“ (Kreisky und Löffler 2003: 377). Zu diesem politischen Konstrukt gehört auch die im 18. Jahrhundert erfolgte Polarisierung der Geschlechtscharaktere, die real mit der Institutionalisierung polarisierter Lebensläufe von Frauen und Männern einherging (vgl. Teil 2). Zugleich legitimiert die bürgerlich-patriarchale Familie den Staat und bildet somit eine seiner kulturellen Voraussetzungen wie ideologischen Stützen; sie hat also „Support-Charakter für staatliches Handeln“ (Krüger 2001: 281) und das Sozialsystem. Dafür ist Kreisky und Löffler (2003) zufolge zentral gewesen, dass sich die Familie als „(quasi-)natürliche“ Form sozialen (geschlechtshierarchischen) Zusammenlebens von der „un-natürlichen“, künstlich geschaffenen Form politischen Zusammenlebens vermeintlich abzuheben schien. Der künstliche „Leviathan“-Staat habe seine Existenz nur rechtfertigen können, wenn auch er auf „natürlichen“ Fundamenten ruhte. Diese sollte die Familie bereitstellen, die sozialen und politischen Interessen folgend als „natürliche“ und private Institution konstruiert wurde. Dafür wird sie politisch in ihrem Bestand gesichert und dient bis heute als zentrale ordnungs- und verteilungspolitische Institution der Aufrechterhaltung vielfältiger, vor allem geschlechtsspezifischer, Hierarchisierungen, ohne die der (National-)Staat einiges an Legitimation einbüßen würde. Die Stabilität der Institution Familie wird zum Maß für die Stabilität der politischen Ordnung des Staats stilisiert (Kreisky und Löffler 2003: 375-379) – und folglich politisch konserviert, nicht zuletzt durch das eigens geschaffene Politikfeld der Familienpolitik.

3.2

Verbindungslinien zwischen den Institutionen Staat und Markt

Damit gelangt mit dem Staat die zweite Spitze des Institutionen-Dreiecks in den Blick. Dabei ist für die institutionelle Analyse der Kinderfrage insbesondere die Entstehung und Entwicklung des modernen Wohlfahrtsstaats von Interesse. Dieser kann nämlich keineswegs nur als widersprüchliche Reaktion auf die soziale (Klassen-)Frage der industriekapitalistischen Moderne interpretiert werden,

348

Heike Kahlert

sondern muss ebenfalls als politische Institution der modernen Geschlechterordnung begriffen werden, die die über alle Klassen und Milieus hinweg reichende verbindliche Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern auf Dauer stellt: hier der männliche Familienernährer, dort die weibliche Zuständigkeit für Haus- und Sorgearbeit sowie Kindererziehung. Die durch Ideologie und Normen legitimierte Verteilung der Verantwortung für die Produktion von Sicherheit und Wohlfahrt zwischen Staat, Markt und Familie stellt nämlich auch ein geschlechterspezifisches Arrangement dar, das sich symbolisch in spezifischen Familienund Geschlechterleitbildern und materiell in einer entsprechenden Ordnungsund Verteilungspolitik niederschlägt und ergänzend rechtlich legitimiert wird. Dabei ist der Wohlfahrtsstaat zugleich mit öffentlichen, also entpersonalisierten, Sozialleistungen an die Stelle getreten, die in den Anfängen des Kapitalismus dem Kind bzw. den Kindern zukam: der sachlich-ökonomischen Zwecken folgenden Regelung der sozialen Sicherung durch die Produktion von Nachkommen in einem personalisierten Generationenvertrag. Der Wohlfahrtsstaat fördert zugleich die Stabilität der geschlechtlichen Arbeitsteilung und ihren Wandel: „Der ermöglichende und unterstützende Wohlfahrtsstaat blieb auch der repressive Staat – in der Abtreibungsfrage ebenso wie beim Abdichten seiner politischen Institutionen gegenüber Frauen“ (Sauer 1999: 234). Die staatliche Förderung des Wandels der geschlechtlichen Arbeitsteilung erfolgt durch die Frauen- und Gleichstellungspolitik, die in westlichen Gesellschaften wie beispielsweise der BRD auf Druck von starken Frauenbewegungen unter Berufung auf demokratische Grundwerte in den 1980er und 1990er Jahren als „Verstaatlichung der Frauenfrage“ (Krautkrämer-Wagner 1989) politisch institutionalisiert wurde. In östlichen Gesellschaften wie beispielsweise der DDR wurde sie hingegen angesichts des ökonomischen Drucks, die gesellschaftliche Produktivität zu erhöhen, von der sozialistischen Staatsführung eingerichtet. Die Wirkung der Frauen- und Gleichstellungspolitik ist paradox, stellt sie doch ein Instrumentarium bereit, um die Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse staatlich zu kontrollieren. Die Paradoxie besteht dabei darin, dass nur politisch reguliert wird, was letztlich dem Staat dient. Die Reichweite der Frauen- und Gleichstellungspolitik erstreckt sich bisher wesentlich auf den öffentlichen Bereich, genauer noch auf den Staat und seine nachgeordneten öffentlichen Institutionen, die in den Geltungsbereich entsprechender Gleichstellungsgesetze fallen. Den Bereich der Privatwirtschaft konnte die staatliche Gleichstellungspolitik hingegen bisher nur unzulänglich erreichen. Und eine konsequent gleichstellungsorientierte Familienpolitik, die Umsetzung des Gender-Mainstreaming-Prinzips also, im Einklang mit einer autonomen

Die Kinderfrage und der halbierte Wandel in den Geschlechterverhältnissen

349

Frauen- und Gleichstellungspolitik ist nach wie vor nicht auf der politischen Agenda, denn die konsequente Umsetzung der Geschlechtergleichstellung scheint zumindest im konservativen deutschen Wohlfahrtsstaatsregime noch immer unvereinbar mit der Förderung der bürgerlich-patriarchalen Familie zu sein (vgl. Kahlert 2006a). Zwar nimmt die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine hohe Priorität in der aktuellen Familienpolitik ein, doch wird deutlich, dass sich die politisch gewollte Ermöglichung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie nach wie vor in erster Linie an die Frauen richtet und damit deren ebenfalls politisch gewollte Erwerbsbeteiligung im Sinne eines modernisierten Ernährermodells unterstützt. Die politische Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützt die Erwerbswünsche von (potenziellen) Müttern und sie folgt einem staatlich-politischen Eigennutz, denn Staat und Ökonomie können und wollen nicht mehr länger auf das weibliche Humanpotenzial auf dem Arbeitsmarkt verzichten, soll dieses doch dazu beitragen, die nationale wirtschaftliche Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit im globalen Kapitalismus zu erhalten bzw. auszubauen. Die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit gilt nämlich als ein wesentlicher und notwendiger Beitrag zur Förderung des Wirtschaftswachstums (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2005: 14; vgl. für den nationalen Kontext: Deutscher Bundestag 2002: 87f.). Unter ökonomischen Vorzeichen sollen gegenwärtig Erwerbs- und Familien(gründungs)förderung Hand in Hand gehen, um politisch den demographischen Wandel in Europa und seinen Mitgliedstaaten bewältigen zu können: Frauen interessieren angesichts der wachsenden Konkurrenz auf dem sich globalisierenden Weltmarkt als qualifizierte Arbeitskräfte und als (potenzielle) Mütter. Der Politik kommt dabei im sich globalisierenden Kapitalismus die Rolle zu, regulierend in die Markt- und (seine) Geschlechterverhältnisse einzugreifen: „Allein politische Regulierungen bieten die Möglichkeit, Marktverhältnisse demokratischer und geschlechtergerechter zu gestalten“ (Sauer 1999: 221). Die generelle Veränderung der geschlechtlichen Arbeitsteilung als solche, also die demokratische Teilung der Hausund Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern, steht nicht auf der politischen Agenda.3

3

Daran ändert auch die Einführung des Elterngelds zum 1. Januar 2007 nichts.

350 3.3

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Verbindungslinien zwischen den Institutionen Markt und Familie

Damit ist nun mit dem Markt die dritte Spitze des Institutionen-Dreiecks in den Blick gerückt. Auch Märkte tragen zur Re-Produktion des modernen Geschlechterverhältnisses bei: „Marktverhältnisse sind ungleiche Geschlechterverhältnisse“ (Sauer 1999: 221). Märkte sind keineswegs geschlechtsneutrale und prinzipiell für Frauen offene Institutionen, sondern „geschlechtsspezifisch desintegrativ, weil Frauen auf Grund der Zuständigkeit für Reproduktionsarbeit nicht zu denselben Bedingungen in den Markt eintreten wie Männer“ (Sauer 1999: 221) und weil sie auch nicht zu denselben Bedingungen auf diesem agieren. So ist etwa der Arbeitsmarkt geschlechtsspezifisch segmentiert und die Bezahlung von geleisteter Arbeit noch immer nicht in allen Bereichen für Frauen und Männer gleich: Die mehrheitlich von Frauen geleistete Arbeit ist in der Regel schlechter bezahlt als die mehrheitlich von Männern geleistete Arbeit. Damit strukturieren Marktverhältnisse, welches Geschlecht im Fall einer Familiengründung die Erwerbsarbeit unterbricht, sofern ein Elternteil die Erwerbsarbeit unterbrechen muss: Es sind zumeist die Frauen. Darüber hinaus gründen Märkte auf der geschlechtlich ungleichen Arbeitsteilung. Das wird am Konstrukt des Normalerwerbsverhältnisses deutlich, das auf dem Erwerbsarbeitsmarkt lange Zeit normative Gültigkeit beanspruchte. Dieses Konstrukt basiert auf der Vollzeit und lebenslang verfügbaren, in der Regel männlichen, Arbeitskraft, für die es jenseits des Markts einen unentgeltlichen Ort der Reproduktion durch die in der Regel weibliche Arbeitskraft gibt. Diese Ermöglichung von Produktionsarbeit durch Reproduktionsarbeit wird im Bild des „Anderthalb-Personen-Berufs“ (Beck-Gernsheim 1980: 68) nachvollziehbar, einem Konstrukt, das verdeutlicht, dass die Reproduktion der (männlichen) Vollzeitarbeitskraft für den Arbeitsmarkt in Zeiten hoch technisierter Haushalte eine halbe (weibliche) Arbeitskraft im Hintergrund erfordert, während die andere halbe Kraft dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Beck-Gernsheim (1980) thematisiert damit aber nur die eine Seite der Medaille, denn: „Auch die Struktur der Familie setzt ihrerseits mehr als eine Person für ihre Belange voraus (...). Die Verfügbarkeit für familiale Aufgaben verlangt nämlich das familienernährende Einkommen einer weiteren Person – und zwar im Prinzip für die gesamte Dauer des Bestehens der Familie: Neben die Kleinkindphase mit zeitlich verdichtetem Versorgungsanspruch an die Mutter treten andere Anwesenheitsverpflichtungen hinzu, wie etwa durch Unterrichtsausfall in der Schule, Krankheit eines Familienmitgliedes, v.a. Versorgung der alten Generation, die sich durch die Eheschließung für Frauen zahlenmäßig verdoppelt“ (Krüger 1995: 203).

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Die im Bild von Beck-Gernsheim übrig bleibende halbe Person der Teilzeit arbeitenden Frau könne sich also nicht zeitlich gesichert auf dem Arbeitsmarkt verankern, denn ihre Arbeitskraft ruhe auf der des Mannes auf. Unter Bedingungen eines sich radikalisierenden Kapitalismus steigen die Anforderungen an die vollständige Verfügbarkeit der Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt. Vom Markt gefordert wird eine unbegrenzte Flexibilisierung der Arbeitskraft beider Geschlechter. Gestiegene Ansprüche an die Flexibilität der Arbeitskräfte gehen gleichzeitig mit einem Rückbau sozialer Sicherheit einher, die lange Zeit durch das normative Gültigkeit beanspruchende (mit dem männlichen Lebenslauf verbundene) Normalarbeitsverhältnis geboten wurde. Gefordert ist in erster Linie das in jeder Hinsicht voll mobile, jederzeit und überall einsetzbare autonome Individuum, das daneben unter erschwerten Marktbedingungen seine privaten Bindungen bzw. Bindungswünsche an einen Partner bzw. eine Partnerin und ggf. ein Kind oder gar mehrere Kinder realisieren (können) soll. Diese verschiedenen institutionellen Anforderungen sind nicht miteinander kompatibel: „Kinderhaben heute bedeutet, vor allem für Frauen, Verzicht auf genau das, was das Leitbild der Moderne ausmacht: die aktive Lebensplanung, die die eigene Person in den Mittelpunkt stellt und deren Gebote Mobilität, Unabhängigkeit, Selbständigkeit heißen. Je mehr die moderne Gesellschaft die Zwänge, Ansprüche, Erwartungen in Bezug auf ein ‚eigenes Leben‘ erzeugt und vorantreibt, auf vielen Ebenen von Bildungssystem bis Konsum, von Familienrecht bis zur Altersversorgung – desto unausweichlicher müssen diese kollidieren mit dem, was die Bindung und Verantwortung für Kinder beinhaltet“ (Beck-Gernsheim 1997: 177).

Noch drastischer formuliert: „Nachwuchs und Korsettstangen der Erwerbsarbeit sind inkompatibel – es sei denn, auf der Basis eines Geschlechterverhältnisses, das Frauen benachteiligt“ (Krüger 2003: 96). Diese Inkompatibilität wirkt sich häufig zugunsten des Marktes aus, denn die Bedingungen des Arbeitsmarktes haben Vorrang vor denen anderer Institutionen (vgl. Krüger 2001: 287), die bürgerlichen Rechte von Freiheit und Gleichheit sind in modernen Industriegesellschaften an die individuelle Durchsetzung am Markt gebunden (vgl. BeckGernsheim 1997: 35). Anders ausgedrückt: In der „vollmobile(n) Single-Gesellschaft [ist; H.K.] die Grundfigur der durchgesetzten Moderne (...) – zu Ende gedacht – der oder die Alleinstehende. In den Erfordernissen des Arbeitsmarktes wird von den Erfordernissen der Familie, Ehe, Elternschaft, Partnerschaft usw. abgesehen. Wer in diesem Sinne die Mobilität am Arbeitsmarkt ohne Rücksicht auf private Belange einklagt, betreibt – gerade als Apostel des Marktes – die Auflösung der Familie“ (Beck 1986: 198f., Herv. i. O.).

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Vereinzelt beginnt der familienunfreundliche Markt auf die demographischen Herausforderungen zu reagieren, etwa durch politisch geförderte Anstrengungen zur Schaffung familienfreundlicher Unternehmen; die Unternehmen haben erkannt, dass die für sie entstehenden Kosten bei der Verwirklichung von Familienfreundlichkeit durch einen erhöhten Output der Beschäftigten wettgemacht werden. Daneben beginnt die normative Kraft und faktische Bedeutung des Normalerwerbsverhältnisses auf dem Arbeitsmarkt zu schwinden, was Folgen für das Verhältnis von ‚(Erwerbs-)Arbeit’ und ‚(Privat-)Leben’ und auch für das Verhältnis der Geschlechter hat: „Das geschützte Segment männlicher Vollerwerbstätigkeit wird ebenso entgrenzt wie die festgefügten Familien- und Reproduktionsverhältnisse. Mit diesen Transformationen geraten auch überkommene Geschlechteridentitäten und das stabilisierende zweigeschlechtliche System ins Wanken. Männlichkeit kann sich nicht mehr vornehmlich über Vollerwerbstätigkeit bestimmen, Weiblichkeit nicht mehr allein aus der Zuständigkeit für Reproduktion“ (Sauer 1999: 230).

Es kommt unter den gegenwärtigen wohlfahrtskapitalistischen Bedingungen nicht nur zu einem Anstieg der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Müttern, sondern auch zu einer Prekarisierung und Informalisierung von Arbeitsverhältnissen, wesentlich in Segmenten von Frauenarbeit, einer Absenkung des Lohnniveaus auch von Männern auf das Lohnniveau von Frauenarbeit und zu neuen „geschlechtlich kodierte(n) Arbeitsplatzpositionen“ (Sauer 1999: 232), in denen sich Geschlechtergrenzen weniger über die Trennung zwischen bezahlter Erwerbs- und unbezahlter Reproduktionsarbeit als über formale, gut bezahlte und informalisierte, schlecht bezahlte und ungeschützte Arbeit definieren. Beide Tendenzen, die Feminisierung von Erwerbsarbeit (vgl. Scheele 2006) und die Desintegration von Familien, tragen zu einer widersprüchlichen Neubestimmung des Verhältnisses von produktiver und reproduktiver Arbeit bei: „Die Entgrenzung von Erwerbsarbeit ist nämlich von einer Reprivatisierung einst staatlich organisierter Bereiche der Reproduktion der Gattung sowie einer Privatisierung sozialstaatlicher Leistung begleitet“, bei der traditionelle Formen sozialer Sicherung und Wohlfahrt wie die Familie – und mithin die unbezahlte Arbeit von Frauen ebenso wie schlecht bezahlte Frauenerwerbsarbeit – mobilisiert werden (Sauer 1999: 232). Die Folge dieser im schlanken Staat wieder eingeführten privaten Wohltätigkeit und Fürsorge sind nach Sauer (1999) neue Geschlechterverhältnisse in der Privatheit, da die soziale Verantwortung für die kommenden ebenso wie die Reproduktion gegenwärtiger Generationen fester an das weibliche Geschlecht

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gebunden würden, ohne dass eine gerechtere Verteilung dieser Arbeit politisch intendiert sei. Die wieder eingeführte private Wohltätigkeit und Fürsorge basieren jedoch auf einer Vorstellung der bürgerlich-patriarchalen Familie und der geschlechtlichen Arbeitsteilung des männlichen Ernährermodells, die es in der sozialen Wirklichkeit kaum mehr gibt. Anders ausgedrückt: „Die Tendenz der Privatisierung und Deregulierung der Ökonomie, die Desartikulation geschlechterpolitischer Regulationen impliziert (...) eine Verfestigung geschlechtsspezifischer Ungerechtigkeiten des Marktgeschehens und ein Fortschreiben frauendiskriminierender Strukturen“ (Sauer 1999: 221) – auf dem (Erwerbsarbeits-)Markt und in der Familie. Die global stattfindende Restrukturierung lässt letztendlich die generative Reproduktion nahezu völlig außer Acht, und unter sich radikalisierenden Marktbedingungen wird die Reproduktionsarbeit zum Verschwinden gebracht, indem sie desartikuliert wird. Die neue Normalität im Privaten liegt nach Sauer folglich in einer „Refamilialisierung ‚ohne‘ Familie, eine(r) Reprivatisierung ‚ohne‘ Privatheit, weil einst familiarisierte Personen – d. h. Frauen – aus der Familie entlassen werden, entfamiliarisierte Personen – d. h. Männer – aber keinen Weg in die Familie finden können“ (Sauer 1999: 233).

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Geschlecht als Masterstatus in der Institutionenstrukturiertheit von Lebensläufen

Mit Blick auf das individuelle generative Handeln von Frauen und Männern sollte deutlich geworden sein, dass jede der hier skizzierten Institutionen für die eigenen Belange Geschlechter und eine geschlechtstypische Lebensführung voraussetzt. Krüger spricht in diesem Zusammenhang vom „Institutionenregime des Lebenslaufs als Regime der Geschlechterdifferenz“ (Krüger 2001: 268) und argumentiert überzeugend, dass Institutionen als Basis des eigenen Funktionierens einen männlichen und einen weiblichen Masterstatus unterstellen, einen Status also, der alle im Lebenslauf erwerbbaren Statuspositionen überlagert – und zwar für Frauen und Männer unterschiedlich: „(...) die Analyse des relationalen Verhältnisses der lebenslaufgestaltenden Institutionen zeigt, daß ‚Geschlecht‘ als Masterstatus zum Organisationsprinzip verfestigt ist, zur ‚geronnenen Gewalt der Geschichte‘ gegenüber den Freiheitsgraden individueller Gestaltung. Nicht nur Sozialisationsprozesse, nicht nur Verhaltenserwartungen und Zuschreibungsprozesse in der Interaktion zwischen Frauen und Männern reproduzieren und perpetuieren Geschlechtsstereotypien, sondern die organisatorische Verfaßtheit der Institutionen und ihr Verhältnis zueinander geben dem Lebenslauf seine geschlechtsspezifisch standardisierte Gestalt. (...) Institutionen produzieren nicht nur die Sozialstruktur eines männlichen und eines weiblichen Lebenslaufs, sondern sie konstituieren ihn als relationalen, indem sie Geschlecht als Masterstatus mit privat vermit-

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telter Geschlechterbeziehung für jedes der Geschlechter voraussetzen und hierüber das je andere Geschlecht in die eigenen Organisationsprinzipien inkorporieren“ (Krüger 1995: 204).

Die Institutionenstrukturiertheit des Lebenslaufs basiert auf der Tatsache, dass Organisationen ihm ein bestimmtes, biographisches Abfolgeprogramm aufdrücken. Dabei sind die Lebensläufe beider Geschlechter doppelstrukturiert, und die „Tandem-Institutionen Familie und Arbeitsmarkt sind in ihrem Verhältnis zueinander nichts desto weniger sowohl für die weibliche als auch für die männliche Lebensführung konstitutiv“ (Krüger 2001: 279), denn nicht nur Frauen partizipieren an Arbeitsmarkt und Familie in relativ unvorhersehbarer Verknüpfung, sondern auch Männer haben beides, Familie und Beruf. „Aber: Die interne Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern in der Familie bringt dies in ihrer faktischen Bedeutung für das männliche, marktvermittelte Kontinuitätsmuster der Lebensführung zum Vergessen“ (Krüger 1995: 201). Unter der Verzeitlichungsperspektive des Lebenslaufs erscheint Familie für die männliche Planungssicherheit bzw. -risiken in der Tat irrelevant: „Ob verheiratet oder nicht, ob Vater geworden, oder nicht, Familie ist unter der Verzeitlichungsperspektive des männlichen Lebenslaufs realiter keine Gefährdung des Erwerbsverlaufs, – und dennoch lebenslaufstrukturiert“ (Krüger 2001: 278f.). Unter dem hier interessierenden Primat der geschlechtlichen Arbeitsteilung betrachtet wird sie hingegen zur „Support-Institution männlicher Arbeitsmarktkontinuität“ (Krüger 1995: 201, Herv. i. O.), denn die männliche familiale Rolle des Ernährers verknüpft sich mit der Erwerbsarbeitsrolle, sodass Arbeitsmarkt und Familie für die männliche Lebensführung strukturell deckungsgleich werden. Der weibliche Lebenslauf hingegen balanciert nach Krüger zwischen zwei Strukturgebern in der Lebensführung, mit zwei Planungsperspektiven und zwei für die Phasengestaltung relevanten Partizipationsmustern. Und auch dieses kann mit dem Primat der geschlechtlichen Arbeitsteilung in der Familie erklärt werden: „Für Frauen stellt sich die Partizipation an der Institution Familie in ihrer Rolle als Familienerhalterin zugleich als Widerpart zu ihrer Partizipation am Arbeitsmarkt dar, da beide nicht, wie im männlichen Lebenslauf, monetär, d. h. per Geldleistung, miteinander verknüpft sind, sondern wechselseitig Kosten einfordern und die Leistung in einem Bereich nicht gleichzeitig die im anderen mitträgt. Familie und Arbeitsmarkt machen sich den Zugriff auf den weiblichen Lebenslauf streitig“ (Krüger 1995: 201, Herv.i.O).

Dem Staat kommt, wie deutlich geworden sein sollte, im Dreieck der die Lebensläufe strukturierenden Institutionen ebenfalls eine erhebliche Bedeutung zu: Als politisch-institutionelle Steuerungsinstanz des öffentlichen und privaten Ge-

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schlechterverhältnisses kann er durch politische Interventionen die Weichen so für die Gestaltung von Lebensläufen stellen, dass ein Leben mit Kind(ern) für Frauen und Männer möglich wird, ohne dass das Geschlechterverhältnis traditionelle Formen annehmen muss. Der derzeit unter dem Eindruck des Geburtenrückgangs stattfindende „Paradigmenwechsel in der (west)deutschen Familienpolitik“ (vgl. Ostner 2006) vom modernisierten Ernährermodell zur ZweiVerdiener-Familie und einer lebenslaufbezogenen Familien- und Sozialpolitik (vgl. Sachverständigenkommission Siebter Familienbericht 2005) beginnt die Weichen anders zu stellen, jedoch ohne bisher die ebenfalls notwendige Veränderung der geschlechtlichen Arbeitsteilung im Privaten systematisch in den Blick zu nehmen. Die bisherigen Ausführungen haben den Eindruck einer Struktur- und Institutionendominanz gegenüber dem individuellen generativen Handeln vermittelt. Betont wurde darin die Perspektive, dass Institutionen das individuelle Handeln strukturieren; diese Perspektive wird durch die Vorgehensweise der institutionellen Analyse, beginnend mit Schwerpunktlegung auf der Struktur und fortgeführt mit den Institutionen, untersetzt. Sie rückt vor allem die dauerhaften Aspekte sozialer Praktiken, ihren fraglosen, stabilisierenden Charakter in den Fokus der Aufmerksamkeit. Neben der Rekonstruktion der Stabilität der Geschlechterverhältnisse schienen in den Ausführungen aber auch Aspekte des Wandels der institutionenstrukturierten Geschlechterverhältnisse und damit der Institutionen selbst auf, die ebenfalls in den sozialen Praktiken angelegt sind. Institutioneller Wandel wird insbesondere in den Schnittmengen, an den Grenzen und Überschneidungen der Institutionen möglich, dort also, wo diese in Widerspruch mit anderen Institutionen zu geraten beginnen. Giddens schreibt zu Recht, dass man keine institutionelle Analyse erfolgreich durchführen oder deren Ergebnisse interpretieren könnte, ohne den Bezug auf die Bewusstheit der Handelnden herzustellen (Giddens 1995: 385). Dabei strukturieren Institutionen die Interaktionen der Handelnden ebenso wie diese durch ihre Interaktionen Institutionen zum Ausdruck bringen. Institutionen sind so betrachtet die Bedingungen des Handelns genauso wie ihr Produkt. Stabilität und Wandel von Institutionen sind somit Re-Produktionen des Handelns. Für eine strukturierungstheoretische Betrachtung, die die Waage zwischen strukturund handlungsbezogenen Einflüssen im Gleichgewicht hält und weder das eine noch das andere priorisiert, muss ebenfalls die individuelle Ebene berücksichtigt werden.

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Reproduktives Handeln und die Kinderfrage

Der Geburtenrückgang ist ein Produkt individuell veränderten Handelns von Frauen und Männern in Bezug auf die generative Reproduktion, wobei dieses Handeln institutionenstrukturiert ist und -strukturierend wirkt. Zur Beschreibung dieses Handelns hat Regina-Maria Dackweiler (2006: 81) jüngst, in kritischer Auseinandersetzung mit dem in der Familiendemographie verwendeten Fachterminus des „Fertilitätsverhaltens“, vorgeschlagen, von „reproduktivem Handeln“ zu sprechen. Dackweiler (2006) bezieht den Begriff „Reproduktion“ auf die generative Dimension der Fortpflanzung und der damit verbundenen Sorgearbeit. Dabei geht sie „von der Prämisse aus, dass Empfängnis und Zeugung, Schwangerschaft und Geburt sowie das Aufziehen von Kindern jeweils individuell gestaltete und erfahrene Praktiken von Frauen und Männern sind, die im Kontext ökonomischer sozialer, politischer und historisch-kultureller Bedingungen vollzogen werden“ (Dackweiler 2006: 83).4 Mit diesem Begriff will die Sozialwissenschaftlerin den Blick richten „auf die soziale Praxis von Frauen und Männern als prokreative und generative AkteurInnen, auf die Frage nach Absichten und Motiven, Lebensorientierungen und -zielen sowie auf die Ressourcen und Strategien, die ihnen zur Verfügung stehen oder auch vorenthalten werden, um ihr Leben zu gestalten“ (Dackweiler 2006: 90). Ein Aspekt dieser Gestaltung des eigenen Lebens ist die Frage, ob Frauen Mütter bzw. ob Männer Väter werden (wollen). Dabei ist die Frage, ob Frauen Mütter bzw. ob Männer Väter werden wollen, in gewisser Weise eine moderne Frage, die sich in dieser Form historisch noch gar nicht so lange stellt. Die Geschichte des Kinderwunsches zeigt, dass dieser ein viel diskutiertes und viel beschriebenes Thema zu werden begann, als die Geburtenzahlen zu fallen anfingen, nämlich in den 1970er Jahren (vgl. Beck-Gernsheim 1997: 116f.). Dass die Frage des Kinderwollens und -habens zu einer individuellen Entscheidung geworden ist, die mit der Freiheit und dem Zwang einhergeht, sich diesbezüglich entscheiden zu können und zu müssen, durch und durch vergesellschaftet ist, also ihrer ‚Natürlichkeit’ komplett entle4

Auch wenn der Begriff im Folgenden zunächst einmal übernommen wird, so ist perspektivisch zu diskutieren, ob Dackweilers Verständnis von ‚Reproduktion’ möglicherweise besser im Begriff des generativen Handelns aufgehoben wäre, denn Reproduktion umfasst mehr als nur die generative Dimension. Generativität meint hier im Übrigen die Tatsache der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung – in ihrer biologischen und in ihrer sozialen Dimension, nämlich dem Gewicht und der kulturspezifischen Bedeutung, die ihr in einer Gesellschaft zukommt (vgl. Landweer 1994: 151f.). Generativität ist damit immer vergesellschaftet (vgl. Aulenbacher 1994: 153, Anmerkung 6).

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digt wurde, ist wesentlich auf zwei eng miteinander verknüpfte Aspekte sozialen Wandels zurückzuführen, die erheblichen Einfluss auf das reproduktive Handeln von Individuen haben. Der erste Aspekt ist der wissenschaftlich-medizinische Fortschritt im Bereich der Reproduktionskontrolle und -steuerung: Seit der Einführung der Anti-Baby-Pille ist ein hoch wirksames Empfängnisverhütungsmittel verfügbar, das die vergleichsweise bequeme, sichere und die Gesundheit von Frauen nicht allzu sehr belastende individuelle Steuerung über das Ob und Wann der Fortpflanzung ermöglicht. Hinzu kommen im Gegenzug neue Reproduktionstechnologien, die eine Zeugung und Empfängnis von Kindern auch in vielen Fällen ermöglichen können, in denen dies auf ‚natürlichem’ Weg nicht möglich ist. Beide Seiten des wissenschaftlich-medizinischen Fortschritts haben eine Folge: die technologische Ermöglichung, individuell auf die Zeugung und Empfängnis von Nachkommen Einfluss nehmen zu können. Diese Einflussnahme greift zwar generativ steuernd in den weiblichen Körper ein und ihre technologische Ermöglichung kann zu neuen Zwängen führen, sie erhöht aber auch das Selbstbestimmungsrecht von Frauen über ihre generative Potenz. Ein zweiter, von Giddens (1993) benannter Aspekt, der eng mit dem ersten Aspekt verknüpft ist, ist der in den 1970er Jahren einsetzende Wandel in der gesellschaftlichen Akzeptanz und Bedeutung von Sexualität. Durch die Einführung von Techniken der Geburtenkontrolle und durch die neuen Reproduktionstechnologien ist nämlich die Ablösung der Sexualität von ihrer Fortpflanzungsfunktion möglich geworden: Sexualität ist ohne Bezug auf die Fortpflanzung denkund lebbar geworden, sie wird befreit, und sie wird demokratisiert: „In einer Welt zunehmender sexueller Gleichberechtigung – auch wenn eine solche Gleichberechtigung noch lange nicht vollkommen ist – müssen beide Geschlechter fundamentale Änderungen in ihren Standpunkten und in ihrem Verhalten zueinander hinnehmen“ (Giddens 1993: 16). Nach Giddens kommt das Geschlechter- und Generationenverhältnis also massiv durch den Wandel der Sexualität in Bewegung, wesentlich bedingt durch die technologische Ermöglichung der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen. Zum ersten Mal in der Geschichte könnte die Sexualität individuell gestaltet und verändert werden. Eine logische Folge davon ist nach Giddens die zunehmende Akzeptanz der Homosexualität, denn eine von Zwecken der Fortpflanzung befreite Sexualität müsse per definitionem nicht mehr unbedingt Heterosexualität sein (Giddens 2001: 75; vgl. Giddens 1993: insbesondere 22-26). „Fortpflanzung war einmal Teil der Natur, und die Heterosexualität war unvermeidlicherweise ihr wesentlicher Bestandteil. Nachdem die Sexualität dann (...) zur integralen Komponente sozialer Beziehungen geworden war, konnte die Heterosexualität nicht länger als Maß für alles

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andere herangezogen werden. Wir sind noch nicht in dem Stadium, in dem Heterosexualität wie jede andere Vorliebe betrachtet wird, aber dies wird eine Folge der Vergesellschaftung der Reproduktion sein“ (Giddens 1993: 45).

Relevant im hier interessierenden Kontext ist, dass das Kinderzeugen, -empfangen, -gebären und -haben nicht mehr länger an die ‚Natur’ und allein an die biologische Funktion der Körper gebunden ist, sondern durch und durch der individuellen Entscheidung und gesellschaftlichen Einflüssen auf diese obliegt. Es hat seine Fraglosigkeit verloren, ist nicht mehr länger Bestandteil von Tradition und individuellem Routinehandeln im Lebenslauf. Was aber entscheidbar und also verhandelbar ist, erfordert Bewusstheit bzw. bewusstes Handeln, rationales Abwägen mit Pro- und Kontraargumenten und damit die Konstruktion von optimalen institutionellen wie individuellen Bedingungen, Zeitpunkten und Situationen, um eine Entscheidung zu realisieren bzw. realisieren zu können. Hier soll nicht behauptet werden, dass Kinder immer bewusst geplant werden; das ist mitnichten so. Mein Argument zielt vielmehr auf etwas anderes: Es könnte nämlich sein, dass angesichts vielfältiger Identitätsangebote etwa in Bezug auf die Ausgestaltung der eigenen Geschlechtlichkeit, die Gestaltung der Sexualität und der Lebensform die Generativität an Bedeutung für die Identitätsbildung zu verlieren beginnt, zumindest für eine bestimmte Gruppe von Frauen und Männern. Zwar zeigen empirische Studien zu den Lebensentwürfen von jungen Frauen, dass die meisten von ihnen nach wie vor Kinder haben möchten und die Familiengründung in ihre Lebensplanung integrieren. Schaut man sich diese Lebensentwürfe aber genauer an, so wird deutlich, dass die Möglichkeit der Mutterschaft zwar noch immer für die weibliche Identitätsbildung relevant ist, längst aber nicht mehr von allen jungen Frauen gleichermaßen intensiv und prioritär verfolgt wird. Das belegt etwa die individualisierungstheoretisch begründete Studie von Birgit Geissler und Mechtild Oechsle (1996), die vier Typen der Lebensplanung unterscheiden: die doppelte Lebensplanung, die familienzentrierte Lebensplanung, die berufszentrierte Lebensplanung und die individualisierte Lebensplanung. Vergleichsweise ähnlich unterscheidet Catherine Hakim in ihrem an die Rational-Choice-Theorie angelehnten Präferenzmodell für Frauen drei verschiedene Lebensstile: die berufsorientierten Frauen, die familien- und haushaltsorientierten Frauen sowie die so genannten adaptiven Frauen, die eine Balance zwischen Beruf und Familie wünschen (vgl. Bertram, Rösler und Ehlert 2005: 27-40). Hier werden Wert- und Einstellungsdifferenzen von Frauen bezüglich der Kinderfrage deutlich, die in der bisherigen Debatte über den Geburtenrückgang vernachlässigt wurden (vgl. jedoch Bertram, Rösler und Ehlert 2005). In-

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wiefern die potenzielle Vaterschaft für die Lebensentwürfe junger Männer identitätsstiftenden Charakter hat, möglicherweise jenseits der zuvor behaupteten strukturellen Deckungsgleichheit zwischen Familien- und Erwerbsarbeitsorientierung, ob hier etwa ähnliche Typen von Lebensentwürfen wie bei den Frauen unterschieden werden können und wie diese Typen gegebenenfalls mit den verschiedenen Männlichkeiten korrespondieren, wurde erstaunlicherweise bisher nicht wissenschaftlich untersucht (siehe aber Marbach und Tölke, in diesem Band).5 Dabei könnten diese Typen auch Hinweise darauf geben, mit welcher Intensität ein bei Männern vorhandener Kinderwunsch verfolgt und realisiert wird. Unter den Vorzeichen von Individualisierung wird die Entscheidung zur Elternschaft zu einer Entscheidung für einen Identitäts- bzw. „Biographiewechsel“, zu einem „Sprung in ein anderes Leben“ (Beck-Gernsheim 1997: 177). Dieser Identitäts- bzw. Biographiewechsel betrifft in der Regel zwei Handelnde, deren Lebensentwürfe bei der Familiengründung zueinander „passfähig“ sein bzw. gemacht werden müssen, denn Familie ist eine „Verknüpfungsinstitution zwischen Lebensläufen“ (Krüger 2001: 271, Herv. i. O.). Diese Verknüpfung hat unter Bedingungen der herrschenden institutionengestützten, strukturell ungleichen geschlechtlichen Arbeitsteilung nach wie vor unterschiedliche Auswirkungen für Frauen und Männer insbesondere bei der Familiengründung. Die Entscheidung für die Mutter- bzw. Vaterschaft reaktiviert nämlich auf der individuellen Ebene die strukturellen Konflikte im privaten Geschlechterverhältnis: Zumindest die primär berufsorientierten und die vereinbarkeitsorientierten Frauen wollen heute zumeist nicht mehr die nicht-entlohnte Arbeit für die Reproduktion, also die Hausarbeit und die Kindererziehung, im gesamten bisherigen Umfang übernehmen. Männer bzw. Väter, aber auch Staat und Markt können oder wollen diese Arbeit ebenfalls nicht übernehmen, da sie sie unter Rückgriff auf die bisherige Tradition dem Zuständigkeitsbereich von Frauen zuordnen. Rodenstein, Bock und Heeg (1996: 31) beschreiben die Folgen aus Sicht der Frauen: „Immer mehr Frauen reagieren mit einer Veränderung der Reproduktionsformen auf die weiterhin an sie gestellten Reproduktionsarbeitsverpflichtungen, die dadurch zurückgewiesen bzw. reduziert werden sollen.“ Veränderte Formen der Bewältigung der Reproduktionsarbeit sind den Autorinnen zufolge unter anderem die Verringerung der Kinderzahl von Ehepaaren bzw. in Partnerschaften, der Rückgang der Heiratszahlen, der Anstieg allein erziehender Frau5

Die Bedeutung der Familienplanung in den Lebensläufen von Männern wird zwar in der Studie ‚Männer Leben’ (Helfferich, Klindworth und Kruse 2005) in den Blick genommen, jedoch nicht in den Kontext verschiedener Männlichkeitsentwürfe eingebettet.

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en. Der gänzliche Verzicht auf Kinder ist folglich eine Möglichkeit, den Umfang der Reproduktionsarbeit bewusst zu reduzieren bzw. die Krise, die durch die bei Familiengründung steigende Reproduktionsarbeit aktualisiert wird, zu vermeiden (Rodenstein, Bock und Heeg 1996: 32-34). Der Wandel der Familie und des reproduktiven Handelns bis hin zum individuellen Verzicht auf Kinder könnte sich aus dieser Perspektive betrachtet als Folge des halbierten Wandels der Geschlechterverhältnisse erweisen, in dem für Frauen die Erwerbstätigkeit zur gesellschaftlich zu leistenden Arbeit hinzu gekommen ist, für Männer das Arbeitsaufkommen und die Arbeitsteilung im privaten Geschlechterverhältnis aber weitgehend stabil geblieben sind.

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Forschungsmethodologische Reflexionen zur strukturierungstheoretischen Annäherung an die Kinderfrage

Ziel dieses Beitrags war, den Geburtenrückgang und den Verzicht auf Kinder im Zusammenhang mit der Entwicklung der geschlechtlichen Arbeitsteilung zu diskutieren. Die methodologische Grundlegung stellte Giddens’ Strukturierungstheorie (Giddens 1995) dar, die für die geschlechtskategoriale Betrachtung passfähig gemacht wurde. In der institutionellen Analyse wurden drei Ebenen skizziert: die Strukturebene, auf der das moderne Geschlechterverhältnis als nach wie vor ungleich, insbesondere in Bezug auf die geschlechtliche Arbeitsteilung im Privaten, charakterisiert wurde; die Institutionenebene, für die in Anlehnung an Helga Krüger (2003) die Institutionen Familie, Staat und (Erwerbsarbeits-)Markt in ihren Verbindungslinien und in ihrer geschlechtlichen Strukturierung kursorisch in den Blick genommen wurden; und schließlich die Handlungsebene, auf der sich die Kinderfrage als ein zwischen Routinehandeln und bewusstem Handeln angesiedeltes Problem der Kompatibilität von zwei individuellen, aber institutionenstrukturierten Lebensentwürfen und -läufen darstellt. Wenngleich das mit der Strukturierungstheorie bereit stehende forschungsmethodologische und begrifflich-konzeptionelle Instrumentarium angesichts der gebotenen Kürze dieses Beitrags bestenfalls in Ansätzen ausgeschöpft werden konnte, so sollte doch deutlich geworden sein, dass diese Theorie und Methodologie, wenn auch in modifizierter Form, und die von ihm vorgeschlagene institutionelle Analyse zielführend sind, um die Kinderfrage in der darin angelegten komplexen Verknüpfung von (Gesellschafts-)Struktur, Institutionen und individuellem Handeln analytisch auf den Begriff zu bringen.

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Dabei liegt der Nutzen des Giddens’schen Theorieansatzes nicht nur in der Ermöglichung einer Mehrebenenanalyse, die eben nicht nur die Struktur- oder die Institutionen- oder die Handlungsebene, sondern alle Ebenen gleichzeitig in ihren komplexen Verschränkungen zu erfassen ermöglicht. Hinzu kommt, dass mit dem strukturierungstheoretischen Instrumentarium auch die Gleichzeitigkeit von Stabilität und Wandel, hier in ihrer geschlechtlichen Halbierung verstanden, begreifbar wird. Die gesellschaftlich problematisch gewordene Kinderfrage erscheint aus dieser Perspektive betrachtet als Produkt von veränderten Identitätsentwürfen, die durch den Modernisierungsprozess ermöglicht werden. In diesen veränderten Identitätsentwürfen zeigt sich die individuelle Bewusstheit bezüglich der Gleichzeitigkeit der Stabilität in der geschlechtlichen Arbeitsteilung im Privaten und des Wandels in den Ansprüchen an die Umgestaltung und Veränderung derselben. Diese Gleichzeitigkeit drückt sich auch als Widersprüchlichkeit in den Institutionen aus, die die Lebensentwürfe und -läufe von Frauen und Männern nach wie vor unterschiedlich strukturieren, durch deren Wandel jedoch unter Druck geraten. Der in diesem Beitrag skizzierten Analyse zufolge kann die Lösung der problematisch gewordenen Kinderfrage nur in einer konsequenten Demokratisierung der geschlechtlichen Arbeitsteilung bestehen – auch wenn in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit derzeit neokonservative Positionen um sich greifen, die ein Zurück zu traditionellen Geschlechterverhältnissen fordern (vgl. Herman 2006; Bolz 2006; Longman 2004, 2006). Das Phänomen, dass in Zeiten demographischen Drucks angesichts eines tief greifenden Wandels in den Geschlechter- und Reproduktionsverhältnissen derartige Positionen erstarken können und Gehör finden, verdeutlicht die Ernsthaftigkeit und den elementaren Charakter des zur Diskussion und Lösung stehenden Problems. Das in hohem Ausmaß individuell veränderte reproduktive Handeln spricht jedoch eine deutliche Sprache, die nicht spurlos an den Institutionen vorbei gehen wird.

Literatur Aulenbacher, B. (1994): Das Geschlechterverhältnis als Gegenstand von Ungleichheitsforschung. In: Görg, C. (Hg.): Gesellschaft im Übergang. Perspektiven kritischer Soziologie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft: 141-156 Beck, U. (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt/Main: Suhrkamp. Beck-Gernsheim, E. (1980): Das halbierte Leben. Männerwelt Beruf, Frauenwelt Familie. Frankfurt/Main: Fischer. Beck-Gernsheim, E. (1997): Die Kinderfrage. Frauen zwischen Kinderwunsch und Unabhängigkeit. 3. durchgesehene und erweiterte Auflage. München: Beck.

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Heike Kahlert

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Geplante Kinderlosigkeit? Ein lebensverlaufstheoretisches Entscheidungsmodell1 Torsten Schröder

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Einleitung

Als wichtige Ursache für den Geburtenrückgang der letzten Dekaden wird zumeist die zunehmend zentraler werdende Rolle des Arbeitsmarktes genannt. Die damit einhergehenden strukturellen Veränderungen der sozioökonomischen Rahmenbedingungen eröffnen insbesondere Frauen aufgrund der gestiegenen Nachfrage nach gut ausgebildeten Arbeitkräften berufliche Karrieremöglichkeiten, die ihnen früher weitgehend verwehrt waren. Die haushaltstheoretischen Modelle argumentieren in diesem Zusammenhang, dass eine höher qualifizierende schulische und berufliche Ausbildung gegenüber einer frühen Elternschaft attraktiver ist, da das auf diesem Wege erworbene Humankapital in späteren Jahren bessere berufliche Karrieremöglichkeiten bietet. Die Karrieremöglichkeiten stehen dann wiederum in Konkurrenz zu einer Elternschaft. Ausbildung und berufliche Karriere werden zu einer attraktiven Handlungsalternative, welche für Frauen die Entscheidung, eine Familie zu gründen unattraktiv macht (Blossfeld und Huinink 1989; Brüderl und Diekmann 1994). Auch die individualisierungstheoretischen Beiträge, welche eher die strukturell-kulturellen Veränderungen betonen (Beck-Gernsheim 1994), beziehen sich auf die institutionalisierenden Effekte des Arbeitsmarktes (Kohli 1985; 1994), betrachten die Kinderlosigkeit allerdings in einem normativen, auf den Lebensentwurf abhebenden Zusammenhang. Durch die neuen Erwerbsmöglichkeiten verliert die traditionelle (weibliche) Normalbiographie ihre normierende Wirkung, Frauen können ökonomisch unabhängig von einem Partner wirtschaften und dadurch alternative, nichtfamilienorientierte Lebenspläne entwerfen und realisieren. Es kommt zu einer Pluralisierung von Lebensentwürfen (Beck und 1

Das hier vorgestellte Entscheidungsmodell wurde von mir im Rahmen eines zusammen mit Johannes Huinink durchgeführten Projektes zum ‚Timing der Familienentwicklung’ (welches im DFG-Schwerpunkt ‚Beziehungs- und Familienentwicklung’ gefördert wird) formuliert. Ich möchte in diesem Zusammenhang Johannes Huinink für beharrliches Nachfragen, Kritikpunkte und Anregungen danken.

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Beck-Gernsheim 1994), deren Verfolgung nun auch akzeptierter Teil der kulturell geteilten Werte und Vorstellungen zur Lebensführung ist und die entsprechende Planung bestimmt. Diese ‚neue Vielfalt’ zusätzlicher Lebensziele aus den Bereichen Freizeit und Berufskarriere birgt aber auch neue Probleme: Es wird schwieriger, die ausgewählten Lebensziele mit den Anforderungen des Arbeitsmarktes zu koordinieren und angesichts knapper zeitlicher und finanzieller Mittel zu entscheiden, welche Ziele in welcher Lebensphase und mit welchem Einsatz verfolgt werden. Nicht nur die Lebensplanung, sondern auch deren Realisierung ist komplexer geworden. Dabei hat die Verwirklichung einzelner Ziele (etwa der Elternschaft) auch (langfristige) Implikationen für die anderen Ziele, die immer schwieriger abzuschätzen sind (Huinink 2001, 2002). Besonders Frauen stehen hierbei vor dem Dilemma, dass der Zeitrahmen zur Realisierung einer Mutterschaft biologisch begrenzt ist und in jene Lebensphase fällt, in der auch die beruflichen Pläne realisiert werden müssen (Geissler und Oechsle 1994: 152f.). Es ist also damit zu rechnen, dass eine Mutterschaft später als geplant realisiert wird, weniger Kinder als beabsichtigt geboren werden oder letztlich sogar ganz auf eine Elternschaft verzichtet wird (Herlyn, Krüger und Heinzelmann 2002). Obwohl nach diesen Überlegungen Elternschaftsentscheidungen von Anpassungen und Kompromissen geprägt zu sein scheinen, werden in den hier skizzierten haushalts- und individualisierungstheoretischen Erklärungen hauptsächlich die ‚statischen’ Effekte der aktuellen strukturellen Rahmenbedingungen auf die individuelle Entscheidung diskutiert. Zwar wird in den haushaltstheoretischen Überlegungen zum Institutionen- und Humankapitaleffekt von einem späteren ‚Nachholen’ der geplanten Elternschaft gesprochen (Brüderl und Diekmann 1994). Allerdings wird diese spätere Entscheidung dann wieder ausschließlich von den äußeren Rahmenbedingungen – und eben nicht von Faktoren der individuellen Lebensplanung – abhängig gemacht. Auch Beck und Beck-Gernsheim (1994) implizieren mit dem Konzept einer ‚Lebensplanung’ eine zeitliche Dimension, die aber ebenfalls lediglich auf statische Wertvorstellungen im kulturellen System zurückgeführt wird (Beck und Beck-Gernsheim 1990). Andererseits implizieren beide Theorien, dass die eigentliche Entscheidung – etwa über die Gründung einer Familie – schon in der Lebensplanung getroffen wurde und es im Lebensverlauf nur um eine inhaltliche oder zeitliche Anpassung (bzw. Präzisierung) bezüglich der Umsetzung dieser Pläne geht. Die Entscheidung über den ‚Aufschub’ einer geplanten Elternschaft hängt demnach nicht nur von den äußeren Rahmenbedingungen ab, sondern auch von ‚inneren’ Aspekten í der Wichtigkeit, die eine Elternschaft im Vergleich zu den konkur-

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rierenden Zielen besitzt, der Bereitschaft, sich flexibel ‚ungünstigen’ Rahmenbedingungen für die Realisierung eines Ziels anzupassen oder es weiterhin hartnäckig zu verfolgen (bzw. der Fähigkeit mit den Kosten eines Scheiterns der plangerechten Zielrealisierung umgehen zu können). Der ‚Aufschub’ einer Elternschaft meint nach dieser Lesart, dass es in Abhängigkeit von den Rahmenbedingungen zu einer Änderung der Präferenzen kommt, d. h. zu einem Anpassungsprozess, der in vielen ökonomischen Modellen von vornherein explizit ausgeschlossen wird (Becker 1991). Im Folgenden werde ich auf Grundlage aktueller Forschungsergebnisse zunächst ein Entscheidungsmodell skizzieren, das die in die Lebensplanung eingebundene zeitliche Dimension von Entscheidungen einbezieht und unter Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Annahmen, spezifische Aussagen dazu ermöglicht, unter welchen Bedingungen Ziele (wie eine Elternschaft) realisiert, aufgeschoben oder endgültig aufgegeben werden. Auf Basis der Daten des Sozio-oekonomischen Panels wird anschließend gezeigt, dass sich die abgeleiteten Anpassungsprozesse auch tatsächlich beobachten lassen.

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Kinderlosigkeit als Ergebnis von Anpassungsprozessen í Aktuelle Forschungsergebnisse

Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die geltende Altersnorm bezüglich einer Erstmutterschaft immer noch zwischen Anfang 20 und Anfang 30 liegt, das Durchschnittsalter einer Mutter bei der ersten Geburt aber kontinuierlich steigt (Institut für Demoskopie Allensbach 2005). Die Studie zeigt erstens eine starke Veränderung des Kinderwunsches in Abhängigkeit vom Alter (ebenda: 25f.). Während die überwältigende Mehrheit der 16- bis 26-jährigen Männer und Frauen bestimmt oder vielleicht ein Kind haben will (Frauen 94 Prozent, Männer 86 Prozent), sinkt dieser Anteil bei den 35- bis 44-Jährigen auf 30 Prozent (Frauen) bzw. 45 Prozent (Männer). Gleichzeitig wird gezeigt, dass die Befragten trotz geäußertem Kinderwunsch in dem genannten Altersbereich noch keine Kinder planen, da zunächst berufliche Ziele – auch als Vorbedingung einer Elternschaft – verwirklicht werden müssen. Der dadurch ausgelöste Aufschubeffekt führt nicht nur zu einer höheren Kinderlosigkeit, auch die Zahl der ‚realisierten’ Kinder verringert sich (bzw. wird nach unten korrigiert). Ob es sich hierbei um eine bewusste Entscheidung gegen Elternschaft bzw. für eine Ein-Kind Familie handelt, um einen Selektionsprozess, bei der nur Personen übrig bleiben, die von vornherein keinen Kinderwunsch haben oder um

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das Ergebnis immer wiederkehrender Anpassungs- und Aufschubseffekte, die in der Kinderlosigkeit enden, lässt sich anhand von Querschnittsbefragungen nur bedingt analysieren. Gegen die Vorstellung einer genau geplanten Elternschaft, die mit den anderen Plänen abgestimmt ist, spricht der Befund, dass 34 Prozent der Befragten mit Kinderwunsch angeben, dass man Kinder nicht so genau planen muss (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2004: 22). Um mehr über die verschiedenen Ursachen für die letztendliche Kinderlosigkeit zu erfahren, scheinen qualitative – möglichst im Längsschnitt erhobene – Untersuchungen geeigneter (für eine Übersicht siehe Kühn 2003: 138ff.). Gerade bezüglich der Planbarkeit von Elternschaftsentscheidungen zeigen qualitative Studien übereinstimmend, dass Schwangerschaften – trotz der mittlerweile recht effizienten Verhütungsmethoden – von den Befragen sehr viel häufiger als ungewollte, emotionale oder passiv erlebte Ereignisse denn als ‚geplante Entscheidung’ im Sinne eines rationalen Abwägens wahrgenommen werden. Burkart (2002) unterscheidet anhand einer Meta-Analyse verschiedener qualitativer Studien vier verschiedene Entscheidungsmodi, bei denen ein rationales Abwägen der Vor- und Nachteile von Elternschaft eher selten genannt wurde. Insgesamt deuten auch die qualitativen Ergebnisse darauf hin, dass sich der Kinderwunsch inhaltlich im Lebensverlauf verändern kann: So zeigt Helfferich (2002: 245f.) in ihrer Studie ‚frauen leben’ anhand einer ausführlichen Untersuchung zum Verhältnis von Wunsch, Wollen und Planung einer Elternschaft, dass lediglich 61 Prozent der ersten Kinder gewollt waren. Darüber hinaus gaben 38 Prozent aller befragten Frauen rückblickend an, auch Phasen der Unentscheidbarkeit erlebt zu haben (Helfferich 2002: 195f.). Der Wunsch nach einer Elternschaft hat sich dabei im Zeitverlauf verändert: Werden die Frauen gegen Ende der Fertilitätsphase (zwischen 35 und 45 Jahren) nach dem aktuellen und dem mit 17 Jahren geäußerten Kinderwunsch gefragt, so zeigt sich, dass lediglich 23 Prozent der westdeutschen Frauen jene Kinderzahl realisiert haben, die sie sich mit 17 Jahren gewünscht haben (Helfferich 2002: 177f.). In Ostdeutschland liegt dieser Anteil mit 36 Prozent etwas höher, was wahrscheinlich auf die günstigeren Realisierungsmöglichkeiten der Elternschaft in der DDR zurückzuführen ist. Insgesamt ist der Anteil von Frauen, die aktuell weniger Kinder haben als sie es sich mit 17 Jahren gewünscht haben, mit 46 Prozent im Westen und 36 Prozent im Osten sehr hoch (Helfferich 2002: 179).2 2

Diese Ergebnisse werden auch durch die ergänzenden qualitativen Befragungen bestätigt: Hiernach veränderte sich der Kinderwunsch situationsabhängig; er wird beispielsweise angesichts einer neuen Partnerschaft oder aufgrund anderer einschneidender Erfahrungen neu überdacht (Helfferich 2002: 180f.). Matthias-Bleck (1996) berichtet, dass sich Paare angesichts

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Obwohl qualitative und quantitative Studien bestätigen, dass der Geburtenrückgang mit einem Anpassungsprozess der individuellen Ziele und Ansprüche an eine Elternschaft einhergeht, existieren bisher nur wenige Theorien, die sich mit Ursachen dieser Anpassungsprozesse beschäftigten bzw. diese erklären. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht eignet sich hierfür am ehesten die Frame-Selection-Theorie von Hartmut Esser (2001). Elternschaft kann demnach als ‚mentales Modell’ verstanden werden, welches ein Ziel (oder Zielbündel) im eigenen Lebensentwurf repräsentiert und durch dessen Erfüllung bestimmte Bedürfnisse befriedigt werden. Der Lebensplan sowie die inhaltliche Ausgestaltung der enthaltenen Ziele, etwa zur Kinderzahl oder den Altersnormen, sind durch den kulturellen Hintergrund des Akteurs geprägt. Ändert sich das soziale Umfeld (etwa durch Arbeitsplatzwechsel), ändert sich gegebenenfalls auch der Lebensplan des Akteurs. Für eine Elternschaft würde man sich nach dem Modell dann entscheiden, wenn diese unter den geltenden Rahmenbedingungen am besten zur Situation ‚passt’.3 Dabei wird die Situation nicht nur unter den monetären Rahmenbedingungen, sondern auch unter den kulturell geprägten Vorstellungen – etwa zu den Voraussetzungen einer Elternschaft – interpretiert. Die beobachteten Anpassungsprozesse können als Ergebnis einer ‚Frame-Selection’ verstanden werden, bei der besser zur Situation passende mentale Modelle einer Elternschaft vorgezogen werden. Allerdings lässt sich dass Modell nur anwenden, wenn ein zur Situation passendes mentales Modell gefunden wird. Ist die Entscheidungssituation ambivalent í passen etwa die Verfolgung beruflicher und familiärer Ziele in gleicher Weise zur Situation oder widersprechen sich kulturell geprägte Lebensplanung und Rahmenbedingungen í wird auf eine Nutzenabwägung zurückgegriffen. Es wird kritisiert, dass der Übergang von der Definition der Situation zum eigentlichen Handeln unklar bleibt (Rohwer 2003: 351; Kron 2004: 195). Aus Perspektive des Lebensverlaufs ist außerdem problematisch, dass das Modell einseitig von einer passiven Anpassung der Lebenspläne an die äußeren Rahmenbedingungen ausgeht, die Möglichkeit einer aktiven Gestaltung der Rahmenbedingungen mit dem Ziel einer kontrollierten Umsetzung der eigenen

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ambivalent wirkender Normen zur Elternschaft eher schrittweise an eine Entscheidung herantasten. Als ‚Frame’ wird der Rahmen bezeichnet, unter welchem die Situation beurteilt wird. Er zeichnet sich dadurch aus, dass bestimmte Anreize (oder Lebensziele) ausgeblendet werden. Stattdessen ist die Passung verschiedener mentaler Modelle mit der Situation das Entscheidungskriterium, wodurch sich die Entscheidung erheblich vereinfacht. Genau genommen muss die Frame-Selection als Kombination dreier aufeinander folgender Selektionen begriffen werden: Zunächst wird ein Frame gewählt, dann ein dafür passendes Handlungsskript und im Rahmen dieses Skripts wird die konkrete Handlung gewählt (Esser 2001).

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Lebenspläne aber weitgehend unberücksichtigt lässt. Auch die sich aus dem Framing ergebenden Implikationen zum ‚zeitlichen Fenster’ für die Realisierung eines Zieles werden nicht thematisiert (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2005). Die Idee einer kontrollierten, zeitlich verschiebbaren Umsetzung der eigenen Lebenspläne (bzw. von Entwicklungszielen) wird seit einiger Zeit in der Entwicklungs- und Motivationspsychologie verfolgt (vgl. Heckhausen 1987; Brandtstädter und Greve 1994). Statt unter bestehenden komplexen Zielbündeln eines herauszusuchen, welches zur Situation passt, wird angenommen, dass (wenige) Entwicklungsziele schrittweise vorangetrieben und dabei den sich im Lebensverlauf wandelnden Rahmenbedingungen angepasst werden. Diese konkreten, projektartigen Ziele können konkret angestrebte Charaktereigenschaften, aber auch biographische Lebensziele wie die Gründung einer Familie sein, deren hierarchische Beziehung zueinander über die relative Wichtigkeit zueinander (Salienz) bestimmt ist. Erklärt wird dabei nicht die Auswahl eines Entwicklungszieles (bzw. eines Frames), sondern die Wahl eines geeigneten Anpassungsprozesses, welcher die Wahrnehmung der aktiven Kontrolle über die Realisierung der eigenen Ziele – insbesondere unter ungünstigen Rahmenbedingungen – maximiert. Dabei greift Brandtstädter (2001: 188f.) explizit auf nutzentheoretische Argumente zurück und betont die ‚rahmende’ Bedeutung des kulturellen Systems für die Handlungsentscheidungen und Entwicklung des Akteurs im Lebensverlauf (ebenda: 25ff.). Vor der eigentlichen Nutzenabwägung (bzw. Zielauswahl) findet in seinem Modell jedoch eine Anpassung der Salienz der Ziele sowie der Zielansprüche statt, durch welche gezielt der Nutzen der Handlungsalternativen beeinflusst wird. Mit anderen Worten: Das Ergebnis der Nutzenabwägung wird durch die Anpassungsprozesse (welche durch die zielspezifischen Hartnäckigkeitsund Flexibilitätsvorstellungen geprägt sind) vorweg genommen. Mit einem ähnlichen Modell zeigen Heckhausen, Wrosch und Fleeson (2001) am Beispiel kinderloser Frauen kurz vor dem Ende ihrer Fertilitätsphase, dass die Bedeutung (d. h. die Salienz) einer Elternschaft im Vergleich zu anderen Entwicklungszielen mit der ‚Dringlichkeit’ des Ziels deutlich zunimmt, um dann í nach Überschreiten dieser Phase í auf einen sehr geringen Wert zu fallen. In beiden Modellen dienen die Anpassungsprozesse dazu, die psychischen Kosten eines Misserfolges bei der Zielverfolgung – wie etwa der (endgültigen) Kinderlosigkeit – zu vermeiden. Aus einer vereinfachenden entscheidungstheoretischen Sicht kann der Geburtenrückgang als ungewolltes Resultat permanenter Anpassungen an für eine Elternschaft ungünstige Rahmenbedingungen ver-

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standen werden. Neu gegenüber den bestehenden Modellen ist, dass die Handlungsmöglichkeiten um eine zeitliche und eine intrinsische Dimension erweitert werden: Ob und wann eine Elternschaft realisiert wird, hängt nicht nur von den äußeren Rahmenbedingungen ab, sondern auch davon, wie ‚dringlich’ sie im Lichte der eigenen Lebensplanung realisiert werden muss und wie hartnäckig oder flexibel der Akteur eine Elternschaft im Vergleich zu den anderen Zielen verfolgt. Mit Berücksichtigung dieser einfachen Annahmen können die Wechselwirkungen zwischen den akteursspezifischen Zielen einerseits und den situationsspezifischen Realisierungsmöglichkeiten andererseits im Sinne von (vorübergehenden) Anpassungsprozessen aus einer Lebensverlaufsperspektive besser als bisher modelliert und verstanden werden.

3

Das Referenznutzenmodell

Kernidee des im Folgenden vorgestellten Entscheidungsmodells ist die Annahme, dass sich der Akteur nicht immer für die unter den äußeren Rahmenbedingungen der Situation optimale Handlungsalternative entscheidet, sondern es aufgrund von Anpassungsprozessen zu Wechselwirkungen mit den eigenen Zielen kommt, welche unter bestimmten Bedingungen zur Wahl einer ‚suboptimalen’ Handlungsalternative führen können. Aus entscheidungstheoretischer Sicht spezifizieren die im Folgenden verwendeten entwicklungspsychologischen Annahmen, wie die Wahrnehmung der objektiven äußeren Rahmenbedingungen verzerrt und auf diese Weise die subjektive Handlungsentscheidung beeinflusst wird. Ausgangspunkt ist dabei die auch von Esser verwendete, auf Lindenberg (1990) zurückgehende Idee einer sozialen Produktionsfunktion, welche die ‚objektiven’ Handlungsmöglichkeiten und Erträge der Bedürfnisbefriedigung zusammenfasst. Sie gibt also an, welche Ziele unter den gegebenen äußeren Rahmenbedingungen verfolgt werden müssen, um die Grundbedürfnisse maximal zu befriedigen.4 Neben den individuellen Ressourcen spielen dabei auch die op-

4

Lindenberg (1990) versteht unter den Grundbedürfnissen physisches Wohlbefinden und soziale Anerkennung, die sich in einer Hierarchie von Ober- und Zwischenzielen widerspiegeln. Handlungen sind in diesem Sinne zielgerichtet, da sie der Befriedigung dieser Grundbedürfnisse dienen. Die soziale Produktionsfunktion gibt jene Handlung an, die unter den gegebenen Rahmenbedingungen und Ressourcenaufwendungen die Grundbedürfnisse am besten befriedigt. In Auseinandersetzung mit Lindenberg (1996) weisen Opp und Friedrich (1996) darauf hin, dass sich die Auswahl der genannten Grundbedürfnisse sowie die Hierarchie und Auswahl der zugehörigen Ziele nicht theoretisch begründen lassen.

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portunen Handlungsmöglichkeiten sowie die allgemeine Anreizstruktur (im sozialen Umfeld) eine Rolle. Aus entwicklungspsychologischer Sicht (bzw. aus Perspektive des Lebensverlaufs) besteht nun das Problem, dass die ‚günstigste’ Handlungsalternative nicht unbedingt mit den aktuellen Zielen der eigenen Lebenspläne übereinstimmen muss. Um nun die Lebensplanung – etwa zur Elternschaft – unter den gegebenen Umständen nicht scheitern zu lassen, sind Anpassungen notwendig, welche die Salienz der Ziele oder die an sie gestellten Ansprüche verändern. Die Mechanismen der Zielauswahl und -regulierung bestimmen also, ob es angesichts ungünstiger Rahmenbedingungen zu einem Aufschub der geplanten Elternschaft oder einer Verringerung der beanspruchten Kinderzahl kommt, oder ob die Ziele trotz der ungünstigen Rahmenbedingungen realisiert werden. Genauer: Die Mechanismen bestimmen, in welchem Maße die wahrgenommene individuelle von der sozialen Produktionsfunktion abweicht; durch diese Mechanismen kann das Ergebnis der individuellen Nutzenabwägung soweit beeinflusst werden, dass gegebenenfalls eine suboptimale Handlungsalternative gewählt wird, die besser zu den individuellen Vorstellungen bzw. Lebensplänen passt. Wie die graphische Darstellung der Zusammenhänge in Abbildung 1 zeigt, verändern die Ergebnisse biographisch relevanter Handlungen die zukünftigen Rahmenbedingungen. Hierzu zählen nicht nur äußere Handlungen, wie etwa der Wechsel des Arbeitsplatzes, sondern auch innere Handlungen, wie beispielsweise die Anpassung der Ansprüche an die gewünschte Kinderzahl als Ergebnis eines Evaluationsprozesses im Rahmen der Zielregulation. Die Abbildung zeigt auch, dass das Ergebnis des Abwägens der verschiedenen Anreize einer Situation in gewisser Weise durch die Mechanismen der Zielauswahl und -regulierung vorweggenommen wird.

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Abbildung 1: Darstellung des Referenznutzenmodells

Quelle: eigene Darstellung

3.1

Der Referenznutzen

Wie könnte ein Entscheidungsmodell, welches die entwicklungspsychologischen Annahmen zur Zielauswahl berücksichtigt, aussehen? Zunächst einmal lässt sich Lindenberg (1990) folgend der Nutzen einer Handlung als das Ausmaß definieren, in welchem sie bestimmte grundlegende Bedürfnisse befriedigt. Die dabei verfolgten Ziele werden gesellschaftlich geteilt und sind vergleichsweise stabil. Die Überlegungen von Beck und Beck-Gernsheim (1993) aufgreifend nehme ich an, dass die Ziele in ihrer subjektiven Bedeutung aber entsprechend des individuellen Lebensplans (bzw. der Phase, die in der Planung gerade durchlaufen wird) variieren. Der Akteur folgt dabei auch keiner komplexen, hierarchischen Struktur aus Ober- und Zwischenzielen, deren situationsspezifische Explikation nicht unproblematisch ist. Um das Modell zu vereinfachen, übernehme ich die entwicklungspsychologische Idee, dass der Akteur jeweils nur wenige, durch die Situation betroffene Entwicklungsziele berücksichtigt. Ihr Betrag zum Handlungsnutzen wird nicht anhand einer komplexen hierarchischen

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Struktur, sondern über die sich im Lebensverlauf ändernde Salienz definiert (d. h. seine aktuelle Wichtigkeit verglichen mit den anderen Zielen).5 Entsprechend Sloan (1987: 144ff.) lassen sich diese Ziele als langfristig zu entwickelnde Projekte (‚Lebensprojekte’) beschreiben, welche das Leben der Akteure entsprechend ihrer Lebensplanung längerfristig strukturieren (bzw. begleiten). Gesellschaftlich anerkannte Entwicklungsziele der Lebensplanung wären neben der Elternschaft beispielsweise auch der berufliche Erfolg oder eine erfüllte Freizeit. In den konkreten Entscheidungssituationen werden nur kontextspezifisch relevante Projekte berücksichtigt, deren Realisierung bereits im Vorfeld beschlossen wurde. Es wird angenommen, dass Planung und Realisierung verschiedene, zeitlich auseinander fallende Phasen derselben Handlung sind. Dies vereinfacht die konkrete Entscheidung für den Akteur erheblich, da in Situationen, in denen man sich zwischen den beruflichen und familiären Zielen entscheiden muss, es nicht mehr darum geht, ob man überhaupt Kinder oder eine bestimmte berufliche Position will, sondern nur darum, ob man sie jetzt will.6 Folglich werden auch nicht die vielfältigen, den Handlungsalternativen zugrunde liegenden Anreize gegeneinander abgewogen, sondern es wird lediglich geprüft, welche in der Lebensplanung gerade salienten ‚Projekte’ sich in der Situation voranbringen lassen, ob das Ausmaß, in dem man sie voranbringen kann, den eigenen Ansprüchen genügt und wie groß der dafür notwendige Ressourcenaufwand ist. Mit anderen Worten: Es wird nur über den Realisierungszeitpunkt bereits beschlossener Projekte entschieden, die den Projekten zugrunde liegenden Anreize werden dabei – anders als in den entscheidungstheoretischen Modellen – nicht mehr berücksichtigt. Analog zur ökonomischen Betrachtung wird hier zwischen den direkten Kosten der unmittelbaren Realisierung eines Ziels (etwa den Aufwendungen für

5

6

Wie komplex die Aufgliederung nach lang-, mittel- und kurzfristigen Ober- und Zwischenzielen sein kann, zeigt die Ausarbeitung zu den ‚Value of Children’ von Nauck (2001). Die Bedeutung der einzelnen Entwicklungsziele – verstanden als ‚weiche’ Anreize – lässt sich etwa mit einer Werterwartungstheorie erfassen (Opp 1999). Eine Übersicht der verschiedenen Zielkonzepte, die im entwicklungspsychologischen Kontext der Persönlichkeitsentwicklung verwendet werden, diskutieren Brunnstein und Maier (1996). Die Idee, dass eine Handlung aus verschiedenen, zeitlich aufeinander folgenden Phasen der Planung, Realisierung und Evaluation (bzw. Überarbeitung der Planung) besteht, wurde unter anderem von Heckhausen (1987) entwickelt. Mit seinem Konzept der ‚current concerns’ zeigte bereits Klinger (1977: 22-24; 1987: 329-220), dass Erwartungswertmodelle durch die Einschränkung auf den Prozess des ‚Zielsetzens’ nur sehr unbefriedigende Vorhersagen zur Zielrealisierung machen können. Die Annahmen dieses Modells wurde insbesondere von Heckhausen und Schulz (1995) weiterentwickelt und stellen einen Kern des hier vorgestellten Entscheidungsmodells dar.

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Kinderkleidung oder der Beaufsichtigung der Kinder) und den indirekten Kosten (etwa der entgangene Nutzen, da die Zeit nicht zur Realisierung der beruflichen Ziele eingesetzt werden konnte) unterschieden. Das ‚objektive’ Ausmaß, in welchem durch eine Handlungsalternative Ziele gefördert oder behindert werden, wird als instrumenteller Nutzen einer Handlung bezeichnet (Vroom 1964: 200). Beispielsweise mag die Entscheidung, im Beruf viele Überstunden zu machen, in einem ‚instrumentellen’ Sinne förderlich für die Realisierung der beruflichen Ziele sein, sie behindert aber gleichzeitig die Realisierung der freizeitoder familienspezifischen Ziele, da Überstunden im Beruf und die Betreuung eines Kindes nicht gleichzeitig realisiert werden können. D. h. die Überstunden wirken sich negativ auf die Realisierung des Zieles einer Elternschaft aus, da möglicherweise die eigenen Ansprüche an die Kinderbetreuung nicht erfüllt werden können (man spricht von einem negativen instrumentellen Nutzen).7 Das auf Lewin, Festinger und Sears (1944) zurückgehende Konzept des ‚Anspruchsniveaus’ berücksichtigt, dass Akteure zielspezifische Ansprüche an das Handlungsergebnis stellen, welche durch die eigenen Erfahrungen (bzw. die Sozialisation) und insbesondere durch ‚soziale Vergleiche’ bestimmt werden.8 Unterschreitet der (erwartete) instrumentelle Beitrag einer Handlung die an ein Ziel gestellten Ansprüche, wird das als Misserfolg, überschreitet er sie, als Erfolg bewertet. Entsprechend diesem Konzept wird beispielsweise auch dann von einer Elternschaft Abstand genommen, wenn diese als zu voraussetzungsvoll erlebt wird; so lassen sich die Ansprüche an eine ‚sichere’ Partnerschaft und einen ‚sicheren’ Arbeitsplatz angesichts der in den letzten Jahren stattgefundenen Wandlungsprozesse immer schwieriger verwirklichen. 7

8

In einer viel beachteten Arbeit zur Arbeitsmotivation schreibt Vroom (1964: 200), „die Valenz [also Salienz, TS] eines Ergebnisses für eine Person ist eine monoton steigende Funktion der algebraischen Summe der Produkte der Valenzen aller anderen Ergebnisse und seinen Vorstellungen über die Instrumentalität für das Erreichen dieser anderen Ergebnisse.” Analog zur nutzentheoretischen Definition werden also auch die (opportunen) Effekte einer Handlung auf die Realisierung anderer Ziele berücksichtigt. Da die ursprüngliche Operationalisierung der Instrumentalität vielfach als zu unpräzise kritisiert wurde (vgl. zusammenfassend Eerde und Thierry 1996), werden hier nur jene Elemente verwendet, die auch in späteren Arbeiten – etwa von Brandtstädter (2001) – aufgegriffen wurden. Das Anspruchsniveau wurde von Hoppe (1930: 10) im Sinne von Erwartungen, Zielsetzungen oder Ansprüchen an die eigene Leistung definiert. Zum Konzept des ‚Anspruchsniveaus’ siehe Lewin, Festinger und Sears (1944) und insbesondere Atkinson und Birch (1981). Eine aktuelle Zusammenfassung zum Forschungsstand gibt Keller (1996). Die weiter unten behandelte Bedeutung der Anspruchsregulierung für die Zielauswahl findet sich auch bei Brandtstädter (2001: 158f.). Die Rolle der in diesem Zusammenhang für uns sehr wichtigen sozialen Vergleichsprozesse für die Anspruchsformulierung werden ausführlich von Heckhausen und Schulz (1998: 157) diskutiert (vgl. auch Brandtstädter 2001: 160f.).

376

Torsten Schröder

Dieses Beispiel verdeutlicht, wie die in der Entwicklungspsychologie angenommenen Anpassungsprozesse einen direkten Effekt auf die Nutzenwahrnehmung und damit auf den Ressourceneinsatz für eine Handlung haben: Im Lichte der bestehenden Ansprüche kann derselbe (mit einem bestimmten Ressourceneinsatz erreichbare) instrumentelle Nutzen als Erfolgs- oder als Misserfolgserlebnis wahrgenommen werden. Liegt der instrumentelle Nutzen unter den Ansprüchen, entstehen zusätzliche ‚psychische’ Kosten, da erstens das positive Selbstbild und die Zielmotivation gefährdet werden und zweitens – ebenfalls kostenintensive – Bewältigungsprozesse zum Schutze selbiger notwendig werden (Brandtstädter und Greve 1994; Heckhausen und Schulz 1998: 63f.). Die Vermeidung dieser zusätzlichen Kosten – und damit die Optimierung der wahrgenommenen Handlungskontrolle – können aus entscheidungstheoretischer Sicht als eine entwicklungspsychologische Strategie der Nutzenmaximierung interpretiert werden, die auf eine Misserfolgsvermeidung hinausläuft: Da die Gesamtkosten einer Unterschreitung der Ansprüche (Misserfolg) höher sind als der Nutzen einer gleichgroßen Überschreitung (Erfolg), ist es eine Nutzen maximierende Strategie, die Ressourcen zunächst so zu verteilen, dass Misserfolgswahrnehmungen bei möglichst vielen salienten Zielen vermieden werden. Gelingt dies nicht bei allen salienten Zielen, werden die Ansprüche an das Ziel oder die Salienz der Ziele entsprechend angepasst. Formal ergibt sich der Referenznutzen (U(H)) einer Handlung H aus dem Produkt aus der Salienz eines Ziels (S(Z)) und einer Funktion (f(Z)), welche die instrumentellen Handlungsergebnisse (I) zu den gestellten Ansprüchen für jedes Ziel in Bezug setzt; dabei wird f(Z) negativ, wenn gilt A>I. Ergänzt man die von der Selbstwirksamkeit des Akteurs abhängige Eintrittserwartung des Handlungsergebnisses P(Z), und summiert über alle Ziele, folgt: (1)

U(H )

n

¦ S i 1

f ( A, I )P( Z )

(Z ) (Z )

Die formale Darstellung verdeutlicht, dass der instrumentelle Nutzen eines Zieles – und damit sein Beitrag zum Referenznutzen – negativ wird, wenn die Ansprüche (A) den erzielten instrumentellen Nutzen (I) übersteigen; durch Senken der Ansprüche können diese Kosten des Misserfolges vermieden werden. Denselben Effekt hätte auch eine Verringerung der Salienz des Ziels. Beispielsweise wird eine junge Frau in ihrer Entscheidung zum Zigarettenkonsum dessen nega-

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377

tiven instrumentellen Nutzen auf eine Mutterschaft nicht einbeziehen, solange die Mutterschaft nicht salient ist. Die Handlungsentscheidung kann im Sinne einer Effizienzmaximierung modelliert werden (vgl. Brandtstädter 2001: 22). Hierbei wird angenommen, dass der Akteur den Referenznutzen einer Handlung zu den dafür notwendigen Ressourcen in Beziehung setzt und die einzelnen Handlungsalternativen auf diese Weise miteinander vergleicht (ebenda: 148ff., 190). Unter den Alternativen wird dann jene Handlung gewählt, deren erwarteter Referenznutzen (U(H)) im Vergleich zu den dafür eingesetzten Ressourcen (R(H)) am größten ist.9 Die Effizienz (E(H)) einer Handlung bestimmt sich dabei auf folgende Weise: n

(2)

E(H )

¦ (S i 1

f ( A, I )P( z ) )

(Z ) (Z )

R( H )

o max .

Gleichung (2) zeigt, dass die Effizienz einer Handlung neben den investierten Ressourcen (R(H)) auch vom damit erzielten Referenznutzen abhängt und durch die Auswahl bzw. Regulierung der Salienz (S) und der Ansprüche (A) einzelner Ziele verändert werden kann. Durch Prozesse der Zielregulierung kann demzufolge das Ergebnis der Nutzenabwägung vorab bewusst im Sinne der Lebensplanung beeinflusst werden, wobei nicht über die Ziele selbst, sondern lediglich über ihren Realisierungszeitpunkt entschieden wird. Abbildung 2 zeigt auf Grundlage von (1) den Effekt der beiden Anpassungsprozesse auf den wahrgenommenen Grenznutzenverlauf des Referenznutzens: Beansprucht man, sein Kind acht Stunden pro Tag zu beaufsichtigen, kann jedoch aufgrund äußerer Rahmenbedingungen (etwa durch Erwerbstätigkeit) nur sechs Stunden erübrigen, wird dies als Misserfolg wahrgenommen (durchgezogene Line). Senkt man sein Anspruchsniveau von acht auf sechs

9

Brandtstädter (2001: 22, 116) betont in diesem Zusammenhang, dass neben der Selbsteffizienz auch die Selbstkultivierung als übergreifendes Thema intentionaler Selbstentwicklung gesehen werden muss. Während Annahmen zur Optimierung der Handlungswahl unter dem Effizienzkriterium sich relativ eindeutig aus dem Modell von Brandtstädter ableiten lassen, ist es meines Erachtens unklar, was unter dem Aspekt der ‚Selbstkultivierung’ optimiert werden soll; auch ist unklar, wann welches der beiden Entwicklungsthemen im Zentrum der Optimierungsbemühungen des Akteurs steht.

378

Torsten Schröder

Abbildung 2: Regulierungsmöglichkeiten des Referenznutzens für das Ziel ‚Zeit mit Familie verbringen’

Quelle: eigene Darstellung

Stunden, wandert die Grenznutzenkurve entlang der x-Achse (gestrichelte Linie). Derselbe Ressourceneinsatz von sechs Stunden wird nun nicht mehr als Misserfolg, sondern als gerade den Ansprüchen entsprechend wahrgenommen. Verringert man stattdessen die Salienz des Ziels, bleibt die Misserfolgswahrnehmung zwar erhalten, ist aber weniger kostenintensiv (gepunktete Linie). Theoretisch wäre es also am günstigsten, im Falle eines drohenden Misserfolges entweder die Zielansprüche soweit zu reduzieren, dass auch kleinste Ergebnisse schon als Erfolg wahrgenommen werden, oder die Salienz entsprechend zu senken. Da sich der Akteur bei der Formulierung der Ansprüche an den Referenzen orientiert, die durch das soziale Umfeld gesetzt werden, wäre demzufolge mit negativen Sanktionen zu rechnen. Hinzu kommen die psychischen Kosten, die mit einer entsprechenden Anpassung verbunden sind. Erst wenn andauernde Misserfolgserlebnisse nicht vermieden werden können, kommt es durch gezielte Aufwärts- oder Abwärtsvergleiche zu einer Veränderung der zielspezifischen Ansprüche oder Salienz í oft im Zusammenhang mit

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379

einem Wechsel der Bezugsgruppe.10 Im folgenden Abschnitt werde ich mich mit den verschiedenen Bestimmungsfaktoren zur Spezifizierung der Zielauswahl und -regulierung im Sinne einer Entscheidung genauer beschäftigen.

3.2

Zielauswahl und Zielregulierung

Neben dem Befriedigungsnutzen der einzelnen Handlungsalternativen zur Realisierung der verschiedenen Lebensziele wird der Nutzen einer Entscheidung vom Akteur auch unter dem Gesichtspunkt einer ‚erfolgreichen’ Realisierung der eigenen Lebensentwürfe innerhalb der daran geknüpften ‚Timing-Vorstellungen’ bewertet. Genauer: Wenn die Pläne bezüglich einer Elternschaft aufgegeben oder zurückgestellt werden, ist dies mit kostenintensiven Misserfolgswahrnehmungen verbunden, die zielspezifisch unterschiedlich gut bewältigt oder vermieden werden können. Ein Misserfolg wird wahrgenommen, wenn die Realisierung eines salienten Zieles nicht wie geplant begonnen (bzw. fortgeführt) werden kann oder die inhaltlich gestellten Ansprüche nicht erreicht werden. Die in den entwicklungspsychologischen Theorien formulierten Annahmen über die Reduzierung von Misserfolgwahrnehmungen sind auch für ein entscheidungstheoretisches Modell interessant, da sie spezifizieren, auf welche Weise der drohende Misserfolg (im Lichte der Lebensplanung) bewältigt wird. Die entwicklungspsychologischen Lebensverlaufstheorien von Heckhausen und Schulz (1998) sowie Brandtstädter (2001) erklären, welche Strategien ein Akteur (etwa im Alterungsprozess) verwendet, um die Wahrnehmung der Entscheidungssituation und der eigenen Ziele gezielt so zu verändern, dass die Wahrnehmung einer aktiven Kontrolle über die Realisierung der eigenen Lebenspläne gewahrt bleibt. Es wird also die Auswahl von Kontrollstrategien und deren Auswirkung auf die Kontrollwahrnehmung erklärt; die Handlungswahl spielt nur eine untergeordnete Rolle.11 10

11

Die auch in der Soziologie geläufigen Effekte sozialer Vergleichsprozesse (vgl. Festinger 1954) werden in ihren Auswirkungen auf die Zielansprüche und Präferenzen von Brandtstädter (2001: 102) und Heckhausen (1999: 157ff.) thematisiert. Wie die eigenen Ansprüche bzgl. einer Elternschaft insbesondere durch das persönliche Freundschaftsnetzwerk beeinflusst werden, zeigt Bernardi (2003). Das auf Baltes (1989) zurückgehende Modell von Heckhausen und Schultz (1995) wird von ihnen als Modell der Optimierung der primären und sekundären Kontrolle (OPS-Modell) bezeichnet. Dabei steht die Optimierung der primären Kontrollwahrnehmung im Zentrum: In Abgrenzung zu Baltes und Baltes (1989) schreibt Heckhausen „the main process involved in optimization is making decisions about which domain or goal to invest in, so that the long-term, that is, life-span encompassing potential for primary control, is optimized. These decisions are

380

Torsten Schröder

Es wird zunächst zwischen zwei (miteinander kombinierbaren) Kontrollstrategien unterschieden: Heckhausen und Schulz (1998) sprechen zunächst von einer ‚primären’ Kontrolle, wenn die Akteure zusätzlich eigene oder fremde Ressourcen einsetzen, um ein Ziel zu erreichen und auf diese Weise einen drohenden Misserfolg abzuwenden. Dabei werden zur Optimierung der Kontrollwahrnehmung ergänzend ‚sekundäre’ Kontrollstrategien zur Wahrnehmungsveränderung (innere Kontrolle) eingesetzt, welche einerseits den Nutzen der aktuell verfolgten Ziele betonen, andererseits den (entgangenen) Nutzen konkurrierender Ziele – oder genauer: Handlungen, die diese Ziele befriedigen – unterbewerten. Da Brandtstädter (2001: 144f.) die Ressourcenallokation als Folge ausgeübter Handlungskontrolle betrachtet (und nicht, wie Heckhausen und Schulz, als eigenständige Kontrollstrategie), weist sein Modell eine größere Nähe zum entscheidungstheoretischen Kalkül auf. Analog zu den sekundären Strategien von Heckhausen und Schulz kann angesichts knapper Ressourcen die Attraktivität eines Zieles durch ‚assimilative’ Prozesse erhöht werden (Brandtstädter 2001: 154), während man sich ergänzend von den anderen (blockierten) Zielen löst (‚Akkomodation’). Nach Brandtstädter (ebenda: 156f.) geschieht die Zielauswahl in Abhängigkeit davon, wie ‚hartnäckig’ oder ‚flexibel’ der Akteur bei der Zielverfolgung ist (ebenda: 203f.). Abweichend von Brandtstädter, der diese Eigenschaften als allgemeine Persönlichkeitseigenschaften sieht, nehme ich an, dass es sich hier um zielspezifische Merkmale handelt: Man kann also hartnäckig die beruflichen Ziele verfolgen und gleichzeitig die Pläne bezüglich einer Elternschaft flexibel anpassen: Während bei einer hartnäckigen Zielverfolgung die Salienz des Zieles erhöht wird und (weitere) Aspekte des instrumentellen Nutzens betont werden, um auf diese Weise den Nutzen der Zielverfolgung zu steigern, können bei einer flexiblen Zielanpassung die Salienz von Zielen bzw. die Ansprüche an Ziele in beide Richtungen verändert werden, um so die hartnäckige Verfolgung eines anderen Zieles zu unterstützen.12 Beide Strategien der Anpassung haben einen unterschiedlichen Effekt auf das Ausmaß des wahrgenommenen Misserfolges: Kon-

12

based on age-normative conceptions, perceived challenges, personal preferences, and longterm developmental planning” (Heckhausen 1999: 88f., Fußnote). Die Ziele werden also (durch sekundäre Kontrollstrategien) so spezifiziert, dass sie durch Einsatz knapper Ressourcen (primäre Kontrolle) erfolgreich – d. h. mit optimaler Kontrollwahrnehmung – realisiert werden können. Die hartnäckige Anpassungsstrategie ähnelt damit sehr dem Konzept der ‚Zielbindung’ (‚Commitment’), welches in der entwicklungspsychologischen Diskussion zur Handlungskontrolle schon seit längerem verwendet wird (Brunnstein 1995). Eine Übersicht der verschiedenen Konzepte zur Handlungskontrolle gibt Skinner (1996).

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381

kurrieren etwa Elternschaft und Berufskarriere um knappe Ressourcen, erleichtert eine hohe Flexibilität die Anpassung des entsprechenden Ziels in beide Richtungen: Die Realisierung kann vorgezogen oder aufgeschoben werden und gleichzeitig können die inhaltlichen Ansprüche an die Elternschaft verändert werden. Bei einer hartnäckigen Zielverfolgung wird der Akteur im Konfliktfall hingegen die Salienz und die positiven Aspekte des Ziels (also seinen instrumentellen Nutzen) betonen, um auf diese Weise den Einsatz weiterer Ressourcen zu rechtfertigen– die hartnäckige Verfolgung eines Ziels wird dabei mit der Verringerung der Salienz konkurrierender Ziele (oder der Zielansprüche) unterstützt. Tabelle 1 fasst die Folgen verschiedener Kombinationen aus Flexibilität und Hartnäckigkeit für die Entscheidung zwischen Beruf und Elternschaft beispielhaft zusammen. Tabelle 1: Effekte verschiedener Anpassungsstrategien auf die Handlungsentscheidung Beruf

Hartnäckigkeit

Hartnäckigkeit Beruf und Elternschaft werden gemäß der Effizienz unter Berücksichtigung der Misserfolgskosten optimiert

Flexibilität

Beruf wird tendenziell bevorzugt, Ansprüche an Elternschaft werden angepasst

Elternschaft

Flexibilität Elternschaft wird tendenziell bevorzugt, berufliche Ansprüche tendenziell angepasst Beruf und Elternschaft werden gemeinsam entsprechend der Effizienz durch Anpassung der Ansprüche optimiert

Quelle: eigene Darstellung

Überwiegt jeweils die Hartnäckigkeit, können keine Anpassungsprozesse stattfinden; es kommt zu kostenträchtigen Misserfolgswahrnehmungen, welche durch protektive bzw. immunisierende Strategien abgemildert werden müssen (vgl. Brandtstädter und Greve 1994). Herrscht bezüglich beider Ziele Flexibilität vor, ist eine Vereinbarung von Elternschaft und Beruf – mit verringerten Ansprüchen – am wahrscheinlichsten. Weiter ist anzunehmen, dass beide Anpassungsstrategien zielspezifisch und im Lebensverlauf variieren. Neben den eben beschriebenen Prozessen verändert sich die Salienz eines Ziels auch mit der Dringlichkeit, die ein Ziel in der Lebensplanung des Menschen hat. Hinter dieser Dringlichkeit verbergen sich die in der Lebensplanung verankerten Vorstellungen dazu, ‚wann’ bestimmte Ziele (in welchem Umfang) erreicht werden sollen (z. B. wann man sein erstes Kind haben sollte). Während

382

Torsten Schröder

einige dieser Vorstellungen (etwa zur Erwerbstätigkeit) ‚extern’ vorgegeben sind und sich somit nur sehr begrenzt verschieben lassen, können andere Timing-Vorstellungen deutlich stärker individuell beeinflusst werden. Beispielsweise sind einer Elternschaft für Frauen biologische Grenzen gesetzt. Heckhausen, Wrosch und Fleeson (2001) sprechen in diesem Zusammenhang von ‚Deadlines’ und zeigen, dass mit zunehmender Dringlichkeit auch die Salienz eines Zieles steigt.13 Im Zusammenhang mit den assimilativen Prozessen spielt auch die wahrgenommene Selbstwirksamkeit des Akteurs eine zentrale Rolle für die Zielregulierung (vgl. Brandtstädter 2001: 154). Gerade bei der Verfolgung nur langfristig zu realisierender Ziele ist der Akteur mit zielspezifisch unterschiedlichen Unwägbarkeiten konfrontiert, die sich oft nur schwer abschätzen lassen: Aufgrund abnehmender Erfahrungen mit Kindern (vgl. hierzu Institut für Demoskopie Allensbach 2004: 82) lassen sich die Folgen einer Familiengründung oft nur schwer abschätzen, und auch Partnerschaften werden angesichts der zunehmenden Pluralität der Lebensformen instabiler (Wagner, Franzmann und Stauder 2001). Diese Unwägbarkeiten sind zu einem großen Teil durch die strukturellen Rahmenbedingungen bedingt und fließen als ‚Eintrittserwartung’ in die individuelle Nutzenwahrnehmung ein. Einen Vorschlag von Ajzen (2002) aufgreifend, möchte ich die Eintrittserwartung mit der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle (‚perceived behavioral control’) gleichsetzen, welche sich ihrerseits aus der Selbstwirksamkeit (‚self-efficacy’) und der Kontrollierbarkeit (‚controllability’) zusammensetzt.14 Leider macht Ajzen (2002) nur wenige Angaben über Ursachen personenspezifischer Unterschiede in der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle; es scheint aber nahe liegend, dass – wie Brandtstädter (2001: 154) es schreibt – große Hartnäckigkeit mit hoher Selbstwirksamkeit einhergeht. Das sich im Lebensverlauf durch biographisch relevante Ereignisse immer wieder ändernde soziale Umfeld bzw. die hier stattfindenden Prozesse der Ori13

14

Heckhausen, Wrosch und Fleeson (2001) können anhand eigener Untersuchungen zeigen, dass bei kinderlosen Frauen die Salienz von Elternschaft steigt, wenn sie sich dem Ende der Fertilitätsphase nähern. Leider werden die Determinanten, welche in dieser Situation über die Realisierung einer Elternschaft entscheiden, nicht weiter untersucht. So ist unklar, ob und in welcher Weise die Dringlichkeit einer Elternschaft Effekte auf die Anwendung weiterer Kontrollstrategien hat. Ajzens (2002) Vorschlag geht auf Banduras (1977) ‚actions-outcome-expectation’ zurück. Die Verhaltenskontrolle wird hier nach der Einschätzung, eine Handlung erfolgreich ausführen zu können (self-efficacy) sowie der Wahrscheinlichkeit, dass sich die Handlungsfolgen erwartungsgemäß einstellen (controllability) unterteilt. Es wird also zwischen der Wirksamkeits- und der Ergebniserwartung unterschieden, welche allerdings nicht unabhängig voneinander sind (Ajzen 2002).

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383

entierung und des sozialen Vergleichs spielen eine zentrale Rolle für die Formulierung – oder auch die Veränderung – zielspezifischer Merkmale. Vorstellungen zum Lebensentwurf, zur Salienz der verschiedenen Ziele und die an sie gestellten Ansprüche werden genau so geprägt wie die Vorstellungen zur Beeinflussbarkeit von Handlungsergebnissen. Bewegt man sich beispielsweise in einem sozialen Umfeld, das viel Wert auf den beruflichen Erfolg legt, werden die entsprechenden Ziele mit einer höheren Salienz und höheren Ansprüchen versehen als in einem Umfeld, das eher familiäre Werte betont (Heckhausen 1999). Bernardi (2003) zeigt in einer qualitativen Untersuchung, wie sich durch neue Elternschaften im Freundeskreis die entsprechenden Ansprüche und Einstellungen (im Sinne einer Erhöhung des instrumentellen Nutzens) verändern oder wie durch das ebenfalls stattfindende ‚soziale Lernen’ die wahrgenommene Verhaltenskontrolle bezüglich einer eigenen Elternschaft wächst.15 Zusammenfassend muss aus der Perspektive des Lebensverlaufs – und unter Einbeziehung entwicklungspsychologischer Annahmen – die Bedeutung der Kosten-Nutzenabwägung für die Entscheidung relativiert werden: Das Ergebnis der Effizienzüberlegungen zu den verschiedenen Handlungsalternativen ist durch die eben spezifizierten Anpassungsprozesse vorgeprägt. Die Bedeutung verschiedener Lebensziele – und damit der Nutzen ihrer Realisierung – ist nicht stabil, sondern ändert sich in Abhängigkeit von ihrer Realisierungsmöglichkeit und ihrer Dringlichkeit im Lichte der Lebensplanung. Durch eine gezielte Anpassung der Ziele lassen sich Lebenspläne, wie etwa eine Elternschaft, auch angesichts ungünstiger äußerer Rahmenbedingungen effizient realisieren – oder eben zugunsten passenderer Ziele zurückstellen. Allerdings lassen sich das individuelle Ausmaß an zielspezifischer Hartnäckigkeit bzw. Flexibilität oder der Selbstwirksamkeit mit der Orientierung am sozialen Umfeld nur sehr unvollkommen erklären. Unter Bezug auf die oben diskutierten Befunde oftmals ungeplanter Elternschaftsentscheidungen kann argumentiert werden, dass sich Akteure aufgrund von ‚Bauchentscheidungen’ über widrige Rahmenbedingungen hinwegsetzen, die in ihrer Komplexität kaum absehbar sind; die Entscheidung wird also nicht bewusst kalkuliert, sondern auf einer ‚vorbewussten’ oder ‚reflexhaften’ Ebene getroffen. Hier bietet sich eine interessante, bislang aber unerforschte Schnittstelle zur Einbindung neuer Ergebnisse der Gehirnforschung, welche ebenfalls von einer vorab stattfindenden

15

Auch Heckhausen (1999) widmet den ‚strategischen’ Auf- und Abwärtsvergleichen mit dem Ziel einer Anpassung der zielspezifischen Ansprüche bzw. der Salienz einen eigenen Abschnitt.

384

Torsten Schröder

Beeinflussung des eigentlichen Kalkulationsprozesses – wenn nicht sogar von einer Vorwegnahme – ausgehen (Roth 2003).

4

Der SOEP-Datensatz: Messtheoretische Vorüberlegungen zur Salienz von Lebenszielen

Die folgenden Analysen basieren auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Das SOEP ist eine seit 1984 jährlich stattfindende Wiederholungsbefragung von Deutschen, Ausländern und Zuwanderern, die seit 1991 auch in Ostdeutschland durchgeführt wird. Durch den Umfang und den Panel-Charakter eignet sich der Datensatz in besonderer Weise, um die diskutierten, sich dynamisch wandelnden Wirkungszusammenhänge empirisch zu überprüfen. Im Folgenden wird untersucht, inwieweit eine lebenslaufsabhängige Veränderung der Salienz überhaupt beobachtbar ist, durch welche Faktoren sie sich verändert und welchen Einfluss sie (im Vergleich mit den äußeren Rahmenbedingungen) auf die Realisierungswahrscheinlichkeit des Zieles einer Elternschaft hat. Da im Folgenden der Test der Modellaussagen und nicht die Präsentation aktueller repräsentativer Befunde zur Kinderlosigkeit im Vordergrund steht, wurden für die nachfolgenden Untersuchungen die ungewichteten Individualdaten West- und Ostdeutscher (Stichproben A und C) der Befragungen von 1994, 1998 und 1999 zusammengespielt. Zwar wurde dadurch eine relativ große Fallzahl von 8620 Personen realisiert, durch die schwerpunktmäßige Betrachtung kinderloser Frauen (und Männer) bis 45 Jahren verkleinert sich die nutzbare Stichprobe jedoch erheblich: So waren 1999 lediglich 568 der bis 45-jährigen Frauen kinderlos und nur 64 (11 Prozent) von ihnen haben in den folgenden zwei Jahren ein Kind bekommen. 1994 waren die Zahlen mit 859 kinderlosen Frauen bis 45, von denen 128 (15 Prozent) in den folgenden zwei Jahren ein Kind bekommen haben, zwar etwas höher, insgesamt verdeutlichen die geringen Fallzahlen jedoch, dass der Nachweis signifikanter Zusammenhänge – insbesondere in der Kohortenperspektive – auch mit einem so umfangreichen Datensatz wie dem SOEP schwierig ist. Die ausgewählten Wellen des SOEP fragen in einer gemeinsamen Skala wie folgt nach der Wichtigkeit verschiedener (Lebens-)Bereiche für das Wohlbefinden: „Welche der nachfolgenden Bereiche sind für Ihr Wohlbefinden und Ihre Zufriedenheit?“ Die Antwortvorgaben sind: sehr wichtig, wichtig, weniger wichtig und ganz unwichtig. In der zugehörigen Likertskala konnte dann für jeden der 13 Bereiche auf einem 4-stufigen Antwortmodell geantwortet werden.

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385

Da die abgefragten Bereichen nur zum Teil als Ziele der Lebensplanung gesehen werden können und der Akteur durch das Antwortmodell auch nicht – entsprechend der Definition von Salienz – dazu gezwungen wird, für die Betonung eines bestimmten Zieles Abstriche bei einem anderen Ziel zu machen, wurde die Skala wie folgt modifiziert: Erstens beschränken sich die nachfolgenden Analysen auf die Wichtigkeit der Bereiche ‚Arbeit’, ‚Familie’, ‚Gesundheit’ und ‚Freizeit’ und zweitens wurde die Salienz eines bestimmten Bereiches als Differenz der Wichtigkeit eines Bereiches zur durchschnittlichen Wichtigkeit aller vier Bereiche modelliert.16 Leider wird nur die Wichtigkeit der ‚Familie’ erhoben, welche auch andere verwandtschaftliche Beziehungen als die Eltern-KindBeziehung umfasst. Problematisch ist auch, dass die verwendete Frageformulierung zur Erhebung der Wichtigkeit keinen zeitlichen Bezug beinhaltet: Der Akteur kann angeben, wie wichtig ihm die verschiedenen Bereiche sind, jedoch kann er keine Angaben darüber machen, ob verschiedene Lebensbereiche ihm aktuell oder generell wichtig sind. Beispielsweise kann ‚Gesundheit’ generell immer wichtig sein, auch wenn man aktuell vielleicht nicht besonders auf sie achtet. Diese Effekte des zeitweiligen ‚Zurückstellens’ von Zielen werden aufgrund des fehlenden Zeitbezugs also nur sehr ungenügend erfasst. Abschließend zeigt Tabelle 2 die durchschnittliche Wichtigkeit der einzelnen Bereiche, den Prozentanteil der Befragten, die mit ‚sehr wichtig’ geantwortet haben sowie die durchschnittliche Salienz der Bereiche für Frauen und Männer unter 45 Jahren. Die hohen, sehr dicht beieinander liegenden Durchschnittswerte für die bereichsspezifischen Angaben zur Wichtigkeit sowie die geringen Standardabweichungen zeigen, dass alle genannten Bereiche von den meisten Befragten für ‚wichtig’ (3) oder sogar ‚sehr wichtig’ (4) gehalten werden; Gesundheit und Familie werden sogar von jeweils über 80 Prozent der Befragten als ‚sehr wichtig’ bezeichnet. Die geringe Differenz in den Angaben zur Wichtigkeit schlägt sich in einer entsprechend geringen Salienz nieder. Zusammenfassend legt die empirisch erkennbare Tendenz, alle Bereiche für wichtig zu halten, den Schluss nahe, dass aufgrund des fehlenden Zeitbezugs eher Angaben zur generellen Wichtigkeit gemacht worden sind, d. h. die von mir untersuchten zeitlichen Aufschubeffekte eher unterschätzt werden. Die em-

16

Die Skala der Antworten zur Wichtigkeit wurden für die vorliegenden Analysen kodiert mit: 1 ‚ganz unwichtig’ bis 4 ‚sehr wichtig’. Höhere Werte bedeuten also eine stärkere Salienz, negative Werte eine geringere Salienz. Konstruktionsbedingt ergibt sich für die Salienz eines Bereiches ein Wertebereich von ± 2,25 (wenn ein Bereich mit 4, und alle anderen Bereiche mit 1 beantwortet wurden).

386

Torsten Schröder

Tabelle 2: Vergleich der durchschnittlichen Wichtigkeit und Salienz verschiedener Bereiche 1999 Bereich Gesundheit

Durchschnittliche Wichtigkeit 3,79 (0,42)

Anteil ‚sehr wichtig’ 80%

Salienz (‚relative Wichtigkeit’) 0,24 (0,35)

Arbeit

3,36 (0,64)

44%

- 0,19 (0,51)

Familie

3,81 (0,43)

82%

0,26 (0,38)

Freizeit 3,25 (0,61) 34% - 0,30 (0,48) Anmerkungen: (1) Der Wertebereich umfasst die Ausprägungen ‚sehr wichtig’, ‚wichtig’, ‚weniger wichtig’ und ‚ganz unwichtig’. Diese Ausprägungen wurden wie folgt kodiert: sehr wichtig=4, wichtig=3, weniger wichtig=2 und ganz unwichtig=1. (2) Die Salienz eines Bereiches ergibt sich aus der Differenz der angegebenen Wichtigkeit zur durchschnittlichen Wichtigkeit aller vier Bereiche. (3) Standardabweichung jeweils in Klammern Quelle: SOEP (1999), eigene Berechnungen

pirisch deutlich erkennbare Tendenz, ‚alle’ Bereiche für wichtig zu halten, hat dabei auch zur Folge, dass die Unterschiede in der Salienz entsprechend niedrig sind.

5

Empirische Ergebnisse

Im Folgenden wird zunächst untersucht, ob sich die Salienz der verschiedenen Bereiche überhaupt verändert oder ob es sich eher um stabile Präferenzen handelt. In einem zweiten Schritt wird geprüft, ob die Veränderungen im Sinne der hier vorgestellten Lebensverlaufstheorie als Reaktion auf ‚ungünstige’ Rahmenbedingungen und aktive Umsetzung des eigenen Lebensentwurfes verstanden werden können. Schließlich wird anhand einer logistischen Regression der Effekt der Salienz von Familie auf die Übergangswahrscheinlichkeit zur Elternschaft mit den Effekten anderer Faktoren verglichen. Zunächst wird untersucht, wie stabil die Wichtigkeit der verschiedenen Bereiche für das Wohlbefinden im zeitlichen Verlauf geblieben ist; d. h. in welchem Maße die Angaben zur Wichtigkeit von 1999 mit den Angaben von 1994 bzw. 1998 erklärt werden können. Geht man davon aus, dass Präferenzen über den Lebensverlauf recht stabil sind und nicht durch die äußeren Rahmenbedingungen oder die Lebenspläne verändert werden, ist zu erwarten, dass die entsprechenden Korrelationen recht hoch sind. Tabelle 3 zeigt für Personen bis 45 Jahre, wie sehr die Wichtigkeit der vier Bereiche zum Zeitpunkt 1999 durch die

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Geplante Kinderlosigkeit? Ein lebensverlaufstheoretisches Entscheidungsmodell

Tabelle 3: Stabilität der Wichtigkeit und Salienz verschiedener Bereiche (Korrelationskoeffizient nach Pearson) Wichtigkeit 1998-1999*)

Salienz

1994-1999**)

1988-1999*)

1994-1999**)

Gesundheit

0,397

0,261

0,348

0,223

Arbeit

0,463

0,320

0,445

0,317

Familie

0,465

0,320

0,470

0,318

Freizeit 0,452 0,326 0,465 0,310 Anmerkungen: *) korreliert wurde die Einschätzung zur Wichtigkeit der Lebensbereiche im Jahr 1998 mit der Einschätzung zur Wichtigkeit der Lebensbereiche im Jahr 1999; **) korreliert wurde die Einschätzung zur Wichtigkeit der Lebensbereiche im Jahr 1994 mit der Einschätzung zur Wichtigkeit der Lebensbereiche im Jahr 1999; alle Ergebnisse sind signifikant auf dem 1 Prozent-Niveau Quelle: SOEP (1994, 1998, 1999), eigene Berechnungen

Angabe zu den Zeitpunkten 1998 und 1994 erklärt wird, und vergleicht dies mit der Stabilität der Salienzen. Wie die lebensverlaufstheoretischen Überlegungen vermuten lassen, zeigt sich nicht nur im Fünfjahresabstand, sondern auch über den relativ kurzen einjährigen Zeitabstand eine überraschend geringe Stabilität der Wichtigkeitseinschätzungen bzw. der Salienz. Da die Verkürzung des Vergleichzeitraumes von fünf auf ein Jahr die Vorhersage kaum verbessert, stellt sich die Frage, ob mit dem verwendeten Instrument überhaupt systematische Veränderungen der Wichtigkeit gemessen werden können oder ob die geringen Zusammenhänge Resultat zufälliger Angaben sind. Wenn, wie unser Modell annimmt, die Salienz systematisch in Abhängigkeit von der Lebensplanung beeinflusst wird, müssten sich im Altersverlauf ‚typische’ Veränderungen beobachten lassen: Dazu gehört etwa eine zunehmende Salienz von Arbeit und Elternschaft (insbesondere in jungen Jahren), während gleichzeitig die Salienz von Freizeit – als Anpassung an die dafür ungünstiger werdenden Rahmenbedingungen – sinkt. Während Abbildung 3 die altersspezifischen Unterschiede in der Salienz verschiedener Lebensbereiche zeigt, stellt Abbildung 4 ergänzend dar, wie sich die Salienz eines Bereichs zwischen 1994 und 1999 im Durchschnitt verändert hat. Abbildung 3 zeigt deutlich eine systematische Ausdifferenzierung der Salienzen, wie es bei einer Anpassung an die sich im Lebensverlauf wandelnden strukturellen Rahmenbedingungen zu erwarten wäre. Der starke Rückgang der Salienz von Freizeit mit steigendem Alter kann gut als Anpassungseffekt ver-

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Torsten Schröder

Abbildung 3: Mittlere Salienzen für verschiedene Altersgruppen im Jahr 1999

Quelle: eigene Darstellung

standen werden, da mit der voranschreitenden Einbindung in die Erwerbstätigkeit und die eigene Familie weniger Ressourcen für Freizeit verfügbar sind. Dabei überrascht zunächst der lediglich leichte Anstieg des Bereichs ‚Arbeit’ mit zunehmenden Lebensalter. Die in Abbildung 4 dargestellte mittlere Veränderung der Salienzen zwischen 1994 und 1999 zeigt, dass die Arbeit schon mit Eintritt in das Erwerbsleben – also insbesondere für Personen, die 1999 jünger als 25 Jahre alt waren –

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Abbildung 4: Mittlere Veränderung der Salienzen (1994/99) nach Alter

Quelle: eigene Darstellung

stark an Bedeutung gewonnen hat. Auch zeigt sich, dass trotz der Erwerbstätigkeit die Salienz von Familie nicht (wie bei der Freizeit) reduziert wurde, sondern mit zunehmendem Alter ebenfalls ein Zuwachs zu erkennen ist. Dies deutet auf ein Vereinbarkeitsproblem hin, wie es im theoretischen Teil dieser Arbeit thematisiert wurde. Den Überlegungen von Heckhausen, Wrosch und Fleeson (2001) folgend, wurde im Referenznutzenmodell angenommen, dass sich bei (noch) kinderlosen Frauen gegen Ende der Fertilitätsphase (also kurz vor dem vierzigsten Lebensjahr) ein kurzzeitiger Anstieg in der Salienz von Familie (im Vergleich zum

390

Torsten Schröder

Vorjahr) zeigen sollte. Dabei handelt es sich aus Modellsicht um eine Ziel regulierende Maßnahme, die dazu dient, eine geplante, und aus ‚biologischer’ Sicht nun absolut dringlich gewordene, Elternschaft nützlicher erscheinen zu lassen, um sie auch unter ungünstigen Rahmenbedingungen realisieren zu können. Gelingt es nicht, die Elternschaft zu realisieren, wird außerdem angenommen, dass die Salienz wieder sinkt. Die folgende Tabelle 4 zeigt für verschiedene Altersgruppen (zum Zeitpunkt 1999), wie stark sich die Salienz von Familie 1999 gegenüber dem Vorjahr durchschnittlich verändert hat. Dabei werden kinderlose Frauen mit jenen verglichen, die mit spätestens 30 Jahren ihr erstes Kind hatten. Mittels eines T-Tests wird geprüft, ob sich die Veränderungen bei Frauen ohne Kind von denen mit Kind unterscheiden. Tabelle 4: Mittlere Veränderung der Salienz von Familie 1999 gegenüber 1998 für Frauen verschiedener Altersgruppen

35 bis 36 Jahren

Mittlere Veränderung der Salienz von Familie bei (...) Frauen bis 30 Jahre Signifikanz mit erstem Kind entsprechend T-Test -0,11 (n = 25) 0,03 (n = 202) 0,304

37 bis 38 Jahren

-0, 01(n = 28)

0,01 (n= 196)

0,971

39 bis 40 Jahren

0,21 (n = 14)

0,02 (n= 190)

0,015

41 bis 42 Jahren

-0,11 (n = 22)

-0,03 (n = 194)

0,326

43 bis 45 Jahren

-0,05 (n = 28)

0,00 (n = 259)

0,560

Frauen im Alter von

Frauen ohne Kind

Anmerkungen: In den Zellen sind jeweils die Mittelwerte angegeben (Fallzahl in Klammern). Quelle: SOEP (1998, 1999), eigene Berechnungen

Die Übersicht bestätigt die Vorhersage, dass bei den kinderlosen Frauen die Salienz von Familie kurzzeitig vor dem Ende der Fertilitätsphase ansteigt, um danach wieder zu sinken (dieselben Effekte zeigen sich, wenn die Veränderung gegenüber 1994 betrachtet wird). Im Vergleich dazu verändert sich die Salienz von Familie nicht, wenn die Frauen bereits ein Kind haben í es handelt sich also um einen durch die Lebensplanung ausgelösten Effekt. Aufgrund der äußerst geringen Fallzahlen von Frauen, die noch kein Kind haben, ist laut T-Test nur der Anstieg der Salienz von 39 bis 40-jährigen kinderlosen Frauen gegenüber gleichaltrigen Frauen mit Kind signifikant, nicht aber der darauf folgende Rückgang. Die vermuteten Zusammenhänge können also zumindest dem Trend nach bestätigt werden.

Geplante Kinderlosigkeit? Ein lebensverlaufstheoretisches Entscheidungsmodell

391

Nachdem eine ‚aktive’ Beeinflussung der Präferenzen im Sinne des Modells bestätigt werden konnte, bleibt noch zu klären, ob sich auch ‚flexible’ Anpassungsprozesse – als Reaktion auf ein Ereignis wie eine realisierte Elternschaft – beobachten lassen. Aufgrund der immer noch vorherrschenden geschlechtsspezifischen Spezialisierung im Falle einer Elternschaft ist zu erwarten, dass Frauen mit der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit und der Konzentration auf die Familie ihre bereichsspezifische Salienz von Familie erhöhen, während sie in den Bereichen Arbeit und Freizeit sinkt. Da die Männer neben den neuen familiären Verpflichtungen die Erwerbstätigkeit in der Regel beibehalten, ist hier lediglich mit einer Verringerung der Salienz im Bereich Freizeit und einem Anstieg der Salienz des familiären Bereichs zu rechnen. Tabelle 5 zeigt die durchschnittliche Salienz der Bereiche Arbeit Familie und Freizeit für die bis 45-jährigen Frauen und Männer sowie das Ausmaß der Veränderung dieser Salienz gegenüber 1998. Es werden jeweils kinderlos gebliebene Frauen und Männer mit jenen verglichen, die 1999 ein erstes sowie ein weiteres Kind bekommen haben. Die Analysen bestätigen, dass Arbeit für Frauen, die im Jahr 1999 ein erstes oder ein weiteres Kind geboren haben, eine deutlich geringere Salienz besitzt als kinderlose Frauen. Insbesondere beim ersten Kind verringert sich die Salienz von Arbeit gegenüber dem Vorjahr durchschnittlich um -0,17. Demnach könnte man argumentieren, dass nach dem ersten Kind bei Frauen ein starker Anpassungseffekt zu beobachten ist. Allerdings zeigt ein Signifikanztest, dass die Werte für Mütter und Kinderlose sich nicht signifikant unterscheiden.17 Bei den Männern, die Väter geworden sind, lässt sich erwartungsgemäß keine derartige Veränderung beobachten. Auch im Bereich Familie kann die vorhergesagte Steigerung der Salienz bei Männern und Frauen mit einem ersten bzw. einem weiteren Kind gegenüber den Kinderlosen beobachtet werden. Die T-Tests zeigen, dass auch die Veränderungen signifikant sind (Frauen T=3,11/0,00 und Männer T=-2,18/0,03). Dabei fällt auf, dass mit einem weiteren Kind der Bereich Familie für Frauen nochmals salienter wird (0,54 statt 0,48), während er für die Männer sinkt (von 0,40 auf 0,34).18 Der Bereich Freizeit wird

17

18

T-Tests zeigen, dass sich die Salienz von Arbeit sowohl zwischen kinderlosen Frauen und Frauen mit einem ersten Kind signifikant voneinander unterscheiden (T=2,5/Sig.=0,02) als auch zwischen Männern und Frauen mit einem ersten Kind (T=-2,6/Sig.=0,02). Die Veränderung der Salienz von 1998 auf 1999 ist hingegen nicht signifikant. Ein T-Test bestätigt, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede der Salienz von Familie nach der Geburt eines weiteren Kindes signifikant sind (T=3,97/0,00); auch die Veränderung gegenüber 1998 ist signifikant (T=2,86/0,00).

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Torsten Schröder

Tabelle 5: Mittlere Veränderung der Wichtigkeit von 1998 nach 1999 durch das Ereignis ‚Geburt eines Kindes’ Durchschnitt 1999

Veränderung zum Vorjahr

Frau

-0,17 (78)

-0,02(77)

Mann

-0,10 (93)

0,02 (92)

Salienz von Arbeit kinderlos geblieben erstes Kind weiteres Kind

Frau

-0,51 (33)

-0,17(33)

Mann

-0,07 (32)

-0,02 (32)

Frau

-0,41 (63)

-0,05 (62)

Mann

-0,07 (63)

0,09 (63)

Salienz von Familie kinderlos geblieben erstes Kind weiteres Kind

Frau

0,15 (781)

0,00 (77)

Mann

0,05 (929)

0,02 (92)

Frau

0,48 (33)

0,22 (33)

Mann

0,40 (32)

0,20 (32)

Frau

0,54 (63)

0,10 (62)

Mann

0,34 (63)

-0,06 (63)

Salienz von Freizeit kinderlos geblieben erstes Kind weiteres Kind

Frau

-0,20 (78)

0,03 (77)

Mann

-0,15 (93)

-0,00 (92)

Frau

-0,30 (33)

-0,20 (33)

Mann

-0,41 (32)

-0,14 (32)

Frau

-0,51 (63)

-0,09 (62)

Mann

-0,37 (63)

0,02 (63)

Anmerkungen: (1) In den Zellen sind die Mittelwerte angegeben (Fallzahlen in Klammern). (2) Die Salienz eines Bereiches ergibt sich aus der Differenz der angegebenen Wichtigkeit zur durchschnittlichen Wichtigkeit von Arbeit, Familie, Gesundheit und Freizeit. Quelle: SOEP (1998, 1999), eigene Berechnungen

zwar auch von den kinderlos gebliebenen Frauen und Männern nur mit einer geringen Salienz versehen (-0,20/-0,15), allerdings verstärkt sich diese Unterbetonung deutlich, wenn ein erstes (-0,30/-0,41) bzw. ein weiteres Kind (-0,51/0,37) geboren wird. Auch hier ist der Anpassungseffekt bei den Müttern deutlich stärker als bei den Männern, da sie nach der Geburt einen höheren Anteil an

Geplante Kinderlosigkeit? Ein lebensverlaufstheoretisches Entscheidungsmodell

393

der Kinderbetreuung haben.19 Insgesamt konnten also auch die vorhergesagten flexiblen Anpassungsprozesse in den Bereichen Arbeit, Familie und Freizeit als Folge der Geburt eines ersten bzw. weiteren Kindes bestätigt werden – auch wenn aufgrund der geringen Fallzahlen (und der dadurch fehlenden Signifikanz) einige der Anpassungseffekte nur vorsichtig als Trend interpretiert werden können. Abschließend wird untersucht, ob die Salienz von Familie einen Effekt auf die Elternschaftsentscheidung hat und wie stark dieser im Vergleich zu den strukturierenden äußeren Rahmenbedingungen ist. Es wurde argumentiert, dass jüngere erwerbstätige Frauen unter ungünstigen äußeren Rahmenbedingungen eine Elternschaft lediglich auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Dieser ‚Aufschub’ kommt aber nur zustande, wenn er nicht in Konflikt mit der Lebensplanung steht; d. h. der Aufschub aufgrund einer ‚hartnäckigen’ Verfolgung des Ziels ‚Elternschaft’ nicht als Misserfolg wahrgenommen wird. Eine hohe Salienz für Elternschaft – als Ausdruck einer hartnäckig gegen Widerstände verfolgten Elternschaft – müsste insbesondere bei jüngeren Frauen, in denen die Elternschaft aufgrund der Bildungsbeteiligung eher aufgeschoben wird (d. h. ungünstige Randbedingungen vorliegen), einen positiven Effekt haben. Bei älteren Frauen entfallen die durch die Bildungsbeteiligung hervorgerufenen Widerstände; und damit ist auch eine ‚bewusste’ Anhebung der Salienz nicht notwendig – auch wenn dies durch im Einzelfall bestehende Widrigkeiten durchaus der Fall sein kann. Angesichts der hier wirkenden Aufholeffekte ist davon auszugehen, dass der positive Effekt einer bewusst erhöhten Salienz entsprechend geringer ist. Anhand einer logistischen Regression zeigt Tabelle 6 für kinderlose Frauen bis 45, wie sehr sich die Wahrscheinlichkeit einer Elternschaft in den folgenden zwei Jahren, in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren, verändert. Aufgrund des in Abschnitt 4 thematisierten Problems der geringen Fallzahlen wird in der folgenden Analyse der Zeitraum zwischen 1994 bis 1996 für die Realisierung einer Elternschaft betrachtet, da im Vergleich zu 1999 die Zahl der Geburten höher war; die hier gefundenen Ergebnisse lassen sich in der Tendenz auch für den Zeitraum von 1999 bis 2001 bestätigen, sind dort aufgrund der geringeren Zahl von Geburten aber nicht signifikant. Die ‚Grenze’ zwischen jungen und alten Frauen richtet sich nach dem mittleren Alter bei der Erstmutterschaft von

19

Die T-Tests zeigen, dass die geringere Salienz von Freizeit bei Frauen mit einem ersten Kind gegenüber den kinderlos gebliebenen Frauen zwar nicht signifikant ist (t=1,23/0,22), die stattgefundene Veränderung (Anpassung) gegenüber dem Vorjahr hingegen schon (t=2,59/0,01).

394

Torsten Schröder

Tabelle 6: Logistisches Regressionsmodell, Effektkoeffizienten des Übergangs zur Erstelternschaft bis 1996, Frauen bis zum Alter 45, die bis 1994 kinderlos waren

Salienz Familie

Alle kinderlosen Frauen bis 45 Jahre 1,54 (0,131)

Erwerbstätige Frauen bis 28 Jahre 3,97 (0,002)

Erwerbstätige Frauen von 28 bis 45 Jahre 1,02 (0,970)

Partner lebt im Haushalt

4,46 (0,000)

2,46 (0,004)

3,23 (0,073)

Bildungsniveau

1,21 (0,214)

0,66 (0,080)

3,11 (0,009)

Erwerbslos/ Erwerbstätig

0,87 (0,669)

--

--

--

1,00 (0,054)

1,00 (0,523)

Alter

0,942 (0,002)

1,13 (0,072)

0,77 (0,003)

Konstante

0,32 (0,052)

0,01 (0,001)

17,93 (0,325)

Pers. Bruttoeinkommen

Fallzahlen insgesamt davon Mutter bis 1996 r2 (Cox und Snell)

698

366

165

17%

14%

11%

0,07

0,14

0,15

Anmerkungen: (1) In der Tabelle sind die Effektkoeffizienten und das Signifikanzniveaus (in Klammern) angegeben (2) Die Salienz eines Bereiches ergibt sich aus der Differenz der angegebenen Wichtigkeit zur durchschnittlichen Wichtigkeit von Arbeit, Familie, Gesundheit und Freizeit. Quelle: SOEP 1994, 1996 (eigene Berechnungen)

Frauen, die 1994 noch kinderlos waren, und lag bei etwa 28 Jahren. Um die durch Bildung und Erwerbstätigkeit verursachten Effekte eines Aufschubs mit denen der Salienz vergleichen zu können, werden neben einem Gesamtmodell auch zwei Teilmodelle für erwerbstätige Frauen verschiedener Altersgruppen gerechnet.20 Die Übersicht zeigt zunächst einmal, dass die Vorhersageverbesserung aller drei Modelle nicht besonders hoch ist. Das bedeutet auch, dass die genannten Faktoren nur eine vergleichsweise geringe Rolle bei der Elternschaftsentscheidung spielen í bezüglich der Salienz können hierfür aber die genannten messtheoretischen Einschränkungen verantwortlich sein. Betrachtet man alle kinderlosen Frauen bis 45 Jahre, hat (neben dem Alter) lediglich die Tatsache, ob man mit einem Partner in einem gemeinsamen Haushalt lebt, einen signifikanten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Elternschaft. Bestätigt wird auch die Annahme, dass die Effekte von Bildung, Ein20

Das persönliche Bruttoeinkommen und das Alter wurden direkt abgefragt. Der Erwerbsstatus unterscheidet zwischen erwerbslos und erwerbstätig, die Lebensform trennt danach, ob der Partner mit im Hausahlt lebt. Das Bildungsniveau unterscheidet zwischen Hauptschul-, Realschul- und Hochschulabschluss.

Geplante Kinderlosigkeit? Ein lebensverlaufstheoretisches Entscheidungsmodell

395

kommen und der Salienz von Familie im Lebensverlauf variieren bzw. von der Lebensplanung abhängen. In der Gruppe der erwerbstätigen bis 28-jährigen Frauen zeigt sich erwartungsgemäß, dass sich mit steigendem Bildungsniveau die Wahrscheinlichkeit einer Elternschaft deutlich verringert. Auch die Salienz hat einen durchgreifenden Einfluss auf die Elternschaft. Der Effektkoeffizient liegt hier bei 3,97. Wenig überraschend ist der Einfluss des Partnerschaftsstatus. Lebt eine Person mit einem Partner im selben Haushalt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eine Familie zu gründen. Es ist nahe liegend anzunehmen, dass eine Partnerschaft Voraussetzung dafür ist, eine geplante Elternschaft auch ‚hartnäckig’ umzusetzen.21 In der Altersgruppe der 28- bis 45-jährigen Frauen dominieren erwartungsgemäß die mit dem Bildungsniveau einhergehenden Aufholeffekte. Auch der Partnerschaftsstatus hat einen starken Einfluss auf die Realisierung einer Elternschaft. Der auch hier erwartete – wenn auch geringere – positive Effekt der Salienz von Elternschaft konnte für die älteren Frauen aber nicht bestätigt werden. Da es möglicherweise altersbedingt eine zunehmende Selbstselektion von Frauen gibt, die den Bereich ‚Familie’ immer weniger (nur) auf eigene Kinder beziehen, wirkt sich hier die problembehaftete Operationalisierung der Salienz von Familie stärker aus. In keinem der Teilmodelle konnte ein Einkommenseffekt nachgewiesen werden – obwohl ein entsprechend positiver Effekt mittels bivariater Varianzanalyse bestätigt werden konnte. Offensichtlich sind hier – wie vermutet – komplexere bzw. gegenläufige Zusammenhänge wirksam.

6

Fazit

Insgesamt wurden die zentralen Modellaussagen des Referenznutzenmodells zu einer bewussten Zielregulierung über die Salienz von Familie und der Verhaltensrelevanz dieses Faktors durch die empirischen Ergebnisse bestätigt: So haben die Analysen klar gezeigt, dass die Akteure nicht nur auf sich verändernde äußere Rahmenbedingungen im Sinne einer flexiblen Anpassung reagieren, sondern die Wahrnehmung dieser Bedingungen (bzw. des Nutzens der sich bietenden Handlungsalternativen) systematisch verändern, um etwa eine altersbedingt dringlich gewordene Elternschaft trotz ungünstiger Rahmenbedingungen realisieren zu können, oder um mit bei einer Elternschaft eintretenden Verände21

Diese Vermutung wird durch einen T-Test bestätigt: in der hier untersuchten Teilgruppe ist die Salienz von Familie mit durchschnittlich 0,19 im Falle eines gemeinsamen Haushaltes mit einem Partner signifikant höher, als wenn man einen eigenen Haushalt hat (0,06).

396

Torsten Schröder

rungen (in den Bereichen Arbeit und Freizeit) besser fertig zu werden. Auch wurde bestätigt, dass Elternschaftsentscheidungen nicht nur durch die äußeren Rahmenbedingungen – etwa die hinlänglich bekannten Institutionen- und Humankapitaleffekte – geprägt sind, sondern auch die sich in der Salienz von Elternschaft ausdrückende Lebensplanung einen starken Effekt hat – insbesondere im jüngeren Alter, wenn aufgrund wirkender Aufschubeffekte die äußeren Rahmenbedingen für eine Elternschaft ungünstig sind. Leider ermöglichten die geringe Fallzahl und die Datenlage es nicht, die verschiedenen Effekte von Flexibilität und Hartnäckigkeit auf die Salienz von Elternschaft oder gar der inhaltlichen Veränderungen der Ansprüche direkt zu überprüfen. So musste beispielsweise unbeantwortet bleiben, wie sich bei jungen Müttern die zeitweilige Verringerung der Salienz von Arbeit auf die diesbezüglichen inhaltlichen Ansprüche bzw. die Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Wiedereintritts in die Erwerbstätigkeit auswirkt. Auch wäre es interessant gewesen zu untersuchen, ob der Wechsel in ein soziales Umfeld, welches familiäre Werte statt der Berufskarriere unterstützt, auch dazu führt, dass die entsprechenden Ansprüche angepasst werden. Zu untersuchen wäre auch, ob die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Gewichtung von Familie und Freizeit nach der Geburt eines (weiteren) Kindes partnerschaftsintern zu Konflikten führt, die dann mit dem Modell erklärt werden könnten. Für eine gegenwärtig im DFGSchwerpunkt ‚Beziehungs- und Familienentwicklung’ laufende Befragung wurden einige Instrumente entwickelt, die es ermöglichen zumindest einige der hier gestellten Fragen weiter zu bearbeiten (vgl. Fußnote 1). Inhaltlich haben die Analysen gezeigt, dass die aktuelle Kinderlosigkeit nicht gewollt, sondern das Resultat eines immer wiederkehrenden ‚flexiblen’ Aufschiebens des Kinderwunsches ist. Wenn über die gesamte Fertilitätsphase hinweg ungünstige Rahmenbedingungen für eine Elternschaft herrschen, führt dies unbeabsichtigt dazu, dass das Zeitfenster zur Realisierung einer Elternschaft in der individuellen Lebensplanung Schritt für Schritt immer kleiner wird, bis – angesichts des Alters – die eigentlich gewünschte Elternschaft aufgegeben werden muss. Diese Vermutung wird auch durch die zentrale Bedeutung der strukturellen Faktoren für die Wahrscheinlichkeit einer Elternschaft in der Altersgruppe der 28- bis 45-Jährigen bestätigt. Andererseits haben die Untersuchungen auch gezeigt, dass eine ‚früh’ gewollte Elternschaft einen sehr positiven Effekt auf deren Realisierungswahrscheinlichkeit hat.

Geplante Kinderlosigkeit? Ein lebensverlaufstheoretisches Entscheidungsmodell

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Eine Kultur des Zweifels: Kinderlosigkeit und die Zukunft der Familie Günter Burkart

1

Ausgangssituation und These

Ausgangspunkt ist die Annahme, dass in der westlichen Welt, und in Deutschland ganz besonders ausgeprägt, in den letzten Jahrzehnten eine Kultur der Kinderlosigkeit entstanden ist. Wenn dieser Ausdruck mehr sein soll als eine wohlfeile Provokation, dann heißt das: Kinderlosigkeit hat eine gewisse Attraktivität erlangt, sie wird nicht mehr als Problem oder Defizit von Paaren und Individuen gesehen, sondern als kultureller Wert. Für immer mehr Paare und Individuen wäre sie sogar ein neues Ideal und die Kinderlosen würden zunehmend beneidet. Diese Behauptung mag erst einmal weit überzogen wirken, insbesondere, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Kinderwunsch und Familienorientierung immer noch stark ausgeprägt sind. Dazu eine Illustration: Die Südtiroler Skiläuferin Isolde Kostner, eine der Medaillenhoffnungen Italiens für die Olympischen Winterspiele in Turin 2006, gab kurz vor deren Beginn ihren Rücktritt bekannt. Warum? „Ich erwarte ein Kind“, schrieb sie in einem offenen Brief, und sie sei dabei „überglücklich“ gewesen, wie die Journalisten anmerkten. Und der Präsident des italienischen Skiverbandes wird zitiert mit dem Satz: „Jetzt kriegt sie den wahrscheinlich schönsten Preis, den eine Frau bekommen kann.“1 Also: keine Goldmedaille, sondern ein Kind! In dieser Darstellung ist nicht Kinderlosigkeit der positive Wert, sondern Mutterschaft. Ob eine solche Äußerung in dieser Form auch in Deutschland gemacht worden wäre, erscheint zwar fraglich, aber ohne Zweifel kommt hier eine Position zum Ausdruck, die auch hierzulande noch stark verbreitet ist. Immer noch will die große Mehrheit der Jugendlichen Kinder bekommen und Elternschaft ist immer noch positiv bewertet.2

1 2

Der Tagesspiegel vom 12.1.2006: 22 (Sportteil). Zum Beispiel ist Familie (Ehe mit Kindern) immer noch in vielen europäischen Ländern die mit Abstand bevorzugte Lebensform (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2005: 8); und die steigende Zahl kinderloser Paare wird noch immer negativ bewertet (ebenda: 6).

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Aber es gibt seit längerem deutliche Anzeichen eines Wandels. Der Kinderwunsch ist inzwischen rückläufig, die Kinderlosigkeit steigt an und der Anteil jener, die keine Kinder wollen, ist heute höher als der Anteil jener, die mehr als zwei Kinder wollen Rost (2005: 9f.).3 Die Anzeichen mehren sich, dass der Kinderwunsch nicht mehr uneingeschränkt als Basis der Lebensperspektive gilt, dass eine gute Beziehung, Selbstverwirklichung oder ein erfülltes Berufsleben wichtiger sein können. „Ich war mir vor allem bewusst, dass Kinder meine Ehe grundlegend verändern würden. Bis sie aufs College gingen, hätten wir nicht mehr viel Zeit für ungestörte Zweisamkeit, die mein Leben wie kaum etwas anderes bereicherte. Wann würde Rick mir das nächste Mal ein Buch vorlesen oder mit mir essen gehen? Wie oft würden wir einen Nachmittag im Bett verbringen können?“

So äußert sich eine Psychoanalytikerin in ihrem Buch ‚Kinderlos glücklich’, für das sie zahlreiche Frauen interviewte, die in ähnlicher Weise gegen Kinder argumentierten (Safer 1998, zitiert bei Müller-Lissner 2002: 41). Im Folgenden versuche ich die These zu begründen, dass Kinderlosigkeit ein neues Element des individualistischen Wertsystems geworden ist, spezifischer: ein Element einer Kultur der Selbstreflexion und Selbstthematisierung, die sich in Bezug auf Elternschaft als eine Kultur des Zweifels darstellt. Wenn dies zutrifft, haben wir es mit einer historisch völlig neuartigen Situation zu tun. Ein Leben ohne Kinder war bisher überall die Ausnahme und war im Normalfall nicht freiwillig; wenn doch, dann war dies ein klarer Fall von Abweichung, ein Ausdruck von Verantwortungslosigkeit oder eines anderen Charakterfehlers. In manchen politischen Kommentaren ist dies auch heute noch – oder wieder – so: Kinderlosigkeit wird etwa als Egoismus kritisiert. Besonders im demographischpolitischen Diskurs wird die Tonlage seit einigen Jahren wieder schärfer. Mindestens höhere Steuern für Kinderlose, so wird gefordert (Borchert 2003). Aber beim Großteil der Diskutanten steht doch erkennbar die demographische Sorge im Vordergrund und weniger eine moralische Kritik gegenüber verantwortungslosen Hedonisten. Man zeigt ein gewisses Verständnis für die kinderlos Bleibenden, weist auf Fehler in der Gesellschaftsorganisation hin, die das so genannte Vereinbarkeitsproblem verschärfen. Im Großen und Ganzen ist die kulturelle Bewertung von Kinderlosigkeit heute nicht mehr negativ. Auch das ist ein Indiz für eine Kultur der Kinderlosigkeit. Es scheint aber, dass unter dem Ein3

Die Daten der ‚Population Policy and Acceptance Study’ zeigen, dass gerade in Deutschland ein hoher Anteil der Befragten kinderlos bleiben wollen: 15,4 Prozent der Frauen, 22,8 Prozent der Männer (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2005: 10).

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druck der demographischen Krise zurzeit nicht offen diskutiert wird, welche Aspekte der kulturellen Entwicklung für das hohe Maß an Kinderlosigkeit verantwortlich sind. Immer noch dominiert die Unterstellung, dass die Menschen im Prinzip Kinder wollen, und dass man lediglich die Infrastruktur verbessern oder die finanziellen Anreize erhöhen müsse. Aber diese Unterstellung ist fraglich geworden. Kulturelle Entwicklungen dieser Art sind tief greifend und deshalb für politische Steuerungsversuche schwer greifbar.

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Individualismus und Selbstthematisierung

Ich möchte also versuchen, den Anstieg der Kinderlosigkeit auf bestimmte Elemente der Kultur des Individualismus zurückzuführen. Bei deren Charakterisierung stehen aber weniger Aspekte wie Entscheidungsautonomie oder Pluralisierung im Vordergrund, von denen die Individualisierungsdebatte lange Zeit beherrscht war, sondern Selbstthematisierung und Selbstreflexion und deren Konsequenzen. Dieser Versuch stützt sich in allgemeiner Hinsicht stärker auf Autoren wie Luhmann, Foucault und Alois Hahn.4 Von Michel Foucault stammt der Gedanke, dass Selbstbeobachtung und Selbstoffenbarungen, aber auch biographische Problematisierungen, wichtige Mittel der Subjektivierung und Identitätsfindung sind. Die Konzentration auf sich selbst: sich als Subjekt erkennen und anerkennen, wäre dann der Kern von Individualisierung. Das moderne Individuum hat die Kompetenz entwickelt, über sich selbst zu reflektieren und über sich zu reden, Bekenntnisse und Geständnisse abzuliefern – nicht zuletzt, um zu einer besseren Lebenspraxis fähig zu sein. Niklas Luhmann hat die Analyse der funktionalen Differenzierung zum Hintergrund seiner Theorie-Entscheidung gemacht, soziale und psychische Systeme zu trennen. Mit dem Übergang zur Moderne, also mit der zunehmenden Ausdifferenzierung von gesellschaftlichen Funktionssystemen, so sein Argument, muss sich die gesellschaftliche Verortung der Individuen ändern. Die bisherige Form der Inklusion der Individuen durch Klassen und Schichten ist nicht mehr angemessen, sie wird auf die Funktionssysteme verlagert. Dort allerdings ist sie nicht mehr stabil, das Problem der sozialen Ortlosigkeit entsteht. Es muss daher ein Ort für das Individuum geschaffen werden, an dem es noch als ganze Person, als ‚unteilbares’ Individuum, Geltung hat. Dieser Ort ist das Intimsys4

Vgl. Schroer (2000) zu dem Versuch, die Theorie des Individualismus und der Individualisierung stärker mit Autoren wie Parsons und Luhmann, aber auch Foucault zu begründen.

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tem (Luhmann 1982, 1989).5 Über diese strukturelle Seite hinaus ist auf Seiten der Kultur eine neue Semantik der Individualität erforderlich, eine Rhetorik vom Subjekt und vom Selbst. Der Individualismus ist eine neue Form der Zuschreibung von sozialen Ereignissen auf individuelle Motivlagen und Handlungen, und die Individuen übernehmen diese Zuschreibung in ihre Selbstbeobachtungen und Selbstbeschreibungen. Man erlebt und erfährt sich als Individuum, das sein Schicksal selbst in der Hand hat, das sich letztlich selbst erschafft.6 Alois Hahn hat bei seinen Überlegungen zur Selbstthematisierung stark auf Foucault und Luhmann zurückgegriffen. Hahn verknüpft die Ideen von Selbstbeschreibung und Selbstproblematisierung mit dem Konzept der Kommunikationsmedien. So kommt er zu den Institutionen der Selbstthematisierung, nach dem Motto: „Menschen neigen nicht von Natur aus dazu, sich über ihr Leben Rechenschaft abzulegen“ (Hahn 1987: 18). Die Kultur muss ihnen Mittel zur Verfügung stellen, institutionelle Möglichkeiten und Verfeinerungen der Semantik, um die eigene Biographie besser verstehen und interpretieren zu können. Die Palette reicht von der Beichte über Autobiographie und Tagebuch, die Psychoanalyse, das biographische Interview bis zu Selbsterfahrungs- und Selbstverwirklichungsgruppen. Manche Beobachter sehen im Internet neue Formen entstehen, mit der eigenen Identität reflexiv umzugehen (Willems und Pranz 2006; Schroer 2006). Selbstthematisierung wird damit zu einer wichtigen Dimension von Individualisierungsprozessen. Ich unterscheide drei Dimensionen der Individualisierung bzw. des Individualismus. Erstens Unabhängigkeit, Handlungsautonomie und Selbstbestimmung durch Freisetzungsprozesse, zweitens Besonderheit (Individualität im Sinne von Einzigartigkeit) durch Distinktionsprozesse und drittens Selbstreflexion durch Institutionen der Selbstthematisierung.7 Freisetzung/Autonomie: Weitgehend Übereinstimmung herrscht in der Soziologie darüber, dass der Übergang zur modernen Gesellschaft gekennzeichnet ist durch Individualisierung im Sinne der Auflösung traditionaler Gemeinschaftsformen und Bindungen, als Herauslösung der Individuen aus größeren Kollektiven und festen Strukturen. Die Freisetzung erhöht die individuelle Autonomie, erweitert Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsspielräume,

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Das schließt auch die Familie mit ein, auch wenn es hier Unklarheiten bei Luhmann gibt (Luhmann 1990, vgl. dazu Burkart 2005). Wohlrab-Sahr (1997: 28) betont im Anschluss an Luhmann den Aspekt von Individualisierung als Veränderung des gesellschaftlichen Zurechnungsmodus in Richtung auf Autonomie und Subjektivierung. Ausführlicher dazu und zu ähnlichen Unterscheidungen vgl. Burkart (1998, 2004)

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zwingt aber auch zu Eigeninitiative und Selbstbehauptung (im Sinne von selfreliance). Als allgemeines Kennzeichen der Entwicklung der modernen Gesellschaft unbestritten, gab es aber Zweifel an der Diagnose eines neuen Individualisierungsschubes im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, insbesondere wenn etwa von Freisetzung in Bezug auf Geschlechtsrollen und Familie die Rede war. Distinktion/Singularität: Die strukturelle Freisetzung begünstigt weitere Differenzierung, die Klassenstruktur wird durchlässiger, die individuelle Mobilität steigt. Das macht feinere Unterscheidungen notwendig: An die Stelle großer, homogener Blöcke (Klassen) kommen immer mehr Milieus, Subkulturen, Lebensstilgruppen. Schließlich setzen die Unterscheidungen direkt am Individuum an, die Individualität im Sinne von Einzigartigkeit rückt in den Vordergrund, begleitet von wachsenden Distinktionsbestrebungen. Institutionell entwickeln sich immer raffiniertere Systeme der Distinktion und Klassifikation (Bourdieu 1982). Feine Statusabstufungen und ‚ranking’-Systeme breiten sich in allen Lebensbereichen aus, vom Bildungssystem über das berufliche Statussystem bis zum Kulturbetrieb, zur Freizeitindustrie, zum Sport. Die Unterschiede werden individualisiert, indem sie psychologisch, biologisch (Genforschung) oder körperlich (gesunde Lebensweise, Ernährung, body work) begründet werden. Sie tragen so auch zur Individualisierung und Naturalisierung von Ungleichheit bei (Neckel 1991). Selbstthematisierung/Selbstreflexion: Freisetzung und Distinktion ziehen verstärkte Reflexivität nach sich, die Selbstwahrnehmung der Individuen als Subjekte wird intensiviert. Man macht die eigene Autonomie und Besonderheit zum Thema, man fragt nach der eigenen Identität. Die Lebensgeschichte wird zum Reflexionsgegenstand und erscheint dadurch zunehmend als machbar und planbar. Man ist bestrebt, die Wahrheit über sich selbst zu finden, man ist auf der Suche nach seinem Selbst, das zunehmend als autonom, aus sozialen Bezügen gelöst wahrgenommen wird. Manche möchten den inneren Kern finden und vielleicht das wahre Ich (‚Authentizität’) zur Darstellung bringen. Man schreibt sich das, was mit einem geschieht, selber zu: Erfolge und Misserfolge, Krankheit und Gesundheit, die Intensität von Erlebnissen. Die Unterscheidung der beiden ersten Dimensionen (Unabhängigkeit versus Einzigartigkeit) geht auf Georg Simmel (1913) zurück, der vom quantitativen und qualitativen Individualismus sprach oder vom Individualismus der Einzelheit bzw. Einzigkeit. Sie findet sich in Varianten häufiger in der Literatur, etwa als Unterscheidung zwischen dem liberalen oder aufgeklärten (‚moralischen’) Individualismus und dem romantischen Individualismus. Beim moralischen Individualismus der Aufklärung (Kant) stehen Freiheit und Gleichheit im Vorder-

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grund, beim romantischen Individualismus die Besonderheit, die Differenz und Distinktion fördert. Insbesondere das Konzept der Einzigartigkeit, das in der romantischen Tradition der Originalität und des Geniekultes steht, hat seit den 1960er Jahren wieder an Bedeutung gewonnen, in Gestalt von Selbstverwirklichung, Selbstfindung und schließlich Selbsterfindung. Auch die Rede von der ‚Bastelexistenz’ oder ‚Bastelbiographie’ steht in dieser Traditionslinie (Eberlein 2000). Im Folgenden geht es primär um diese dritte Dimension, die historisch an Bedeutung gewonnen hat, insbesondere seit den 1960er Jahren, abzulesen an Phänomenen wie dem ‚Psycho-Boom’ und der Ausbreitung von Diskursen über Selbsterfahrung, Narzissmus oder Authentizität. Man könnte von einer historischen Stufenfolge ausgehen: dem moralischen Individualismus der Aufklärung folgte seit der Romantik zusätzlich der expressive Individualismus. Beide Formen wurden schließlich seit der Erfindung der Psychoanalyse durch den reflexiven Individualismus ergänzt. Selbstreflexion wird, wie schon erwähnt, ermutigt und erleichtert – vielleicht sogar: erst möglich – durch kulturelle Muster und Institutionen der Selbstthematisierung. Die moderne Kultur hat offenbar solche Techniken und Institutionen der Selbstthematisierung entwickelt, die als komplexe Beschreibungsmuster den Individuen zur Verfügung stehen, als Angebote für Identitätskonstruktionen, als ‚Biographiegeneratoren’ (Hahn 1982). Zu den Grundlagen der institutionalisierten Formen der Selbstthematisierung gehören auch, wie Foucault herausgearbeitet hat, die modernen Wissenschaften vom Menschen (Rechtswissenschaft, Pädagogik, Psychologie, Psychiatrie), die alle am Subjekt ansetzen und somit die Beschäftigung mit der Subjektivität und den Glauben an Autonomie und Individualität fördern. (In gewisser Weise tut dies auch die Statistik, wenn sie von der Einzelperson als Zähleinheit ausgeht.) Kinderlosigkeit wird deshalb in den Alltagsdiskursen als Handlung und Entscheidung der Individuen betrachtet und kaum als Strukturmuster der Kultur.

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Eine neue Kultur der Selbstthematisierung?

Das zeitgeschichtliche Argument ist also, dass diese dritte Dimension von Individualisierung im letzten halben Jahrhundert wichtiger geworden ist, dass Selbstreflexion und Selbstthematisierung weiter an Bedeutung gewonnen haben. Während ich nach wie vor Zweifel habe, ob es richtig ist, von einem Individualisierungsschub im Sinne eines höheren Grades an Entscheidungsautonomie zu sprechen, habe ich keinen Zweifel, dass die Selbst-Thematisierungen zugenommen haben. Dieser Bedeutungszuwachs der Kultur der Selbstthematisierung lässt sich an einer Reihe von Entwicklungen ablesen. (1) Zunächst einmal hat sich in dieser Zeit eine historisch einzigartige Therapie- und Beratungs-Kultur etabliert. Die inzwischen weit ausgefächerte ‚Psychoszene’ hat seit den 1960er Jahren einen Diskurs der Selbstthematisierung hervorgebracht und intensiviert, den es in diesem Umfang wohl noch nie gab. Immer mehr Menschen nehmen Psychotherapie-, Beratungs-, Selbsterfahrungsoder Selbstmanagementangebote in Anspruch (Furedi 2004; Ehrenberg 2004; Michel und Spengler 1985; Bellah et al. 1985; Lasch 1980). (2) Eine andere Entwicklung ist die zunehmende Bedeutung des Interviews, zunächst in den Sozialwissenschaften, wo das narrative Interview zu einer der erfolgreichsten Methoden der qualitativen Sozialforschung wurde. Es hat die biographische Selbstreflexion von immer mehr Menschen in Gang gebracht und eine Fülle von Lebensgeschichten produziert. Die Maxime ‚Erzähle dein Leben’ oder ‚Erzähle dich selbst’ (Thomä 1998) hat sich in der Alltagskultur verbreitet. Die Wissenschaft wiederum begleitet diese Bewegung durch das Aufkommen narrativer Theorien über Identität und Biographie. (3) Auch in den Medien gibt es neue Formen des öffentlichen Bekenntnisses, in Fernseh-Interviews und Talk-Shows. Es gibt Medienwissenschaftler, die von einem neuen Persönlichkeitstypus sprechen: dem Histrio, der histrionischen Persönlichkeit (Schauspieler). Im Januar 2006 wurde in der ARD ein Interview mit Susanne Osthoff gesendet, die im Irak entführt worden war und danach mit starker Kritik, besonders von der Boulevard-Presse, konfrontiert war. Sie wurde vom Interviewer Beckmann immer wieder aufgefordert, Bekenntnisse abzugeben: zu ihrem Glauben, ihren persönlichen Beziehungen, ihren Gefühlen, ihrer kulturellen Identität, ihrer Dankbarkeit für Deutschland. Dies scheint typisch für eine neue TV-Kultur, wo ‚Menschen’ sich offenbaren und bekennen („Sind Sie dankbar, Frau Osthoff?“, fragte Beckmann immer wieder, während er ihr Feuer gab – eine seltsam antiquierte Höflichkeitsformel angesichts der heute fast skandalösen

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Praxis, im Fernsehen zu rauchen und in Kontrast zur unhöflichen Insistenz des bohrenden Fragens). (4) Auch in der Arbeitswelt gibt es einen wachsenden Bedarf nach Selbstreflexion, einen Bedarf, eine Balance zu finden zwischen Selbstanalyse und Selbstpräsentation. Strategien kontrollierter Selbstpräsentation erfordern intensivierte Selbstreflexion. Es gibt Berufsgruppen, in denen es notwendig wird, die ganze Persönlichkeit einzubringen, wo Kreativität und Selbstreflexion zu zentralen Werten geworden sind, etwa in Werbeagenturen oder in der Beratungsbranche (Koppetsch 2005). (5) Schließlich ist die Kultur der Selbstthematisierung unmittelbar relevant für Paarbeziehungen und Familien, für Fertilitätsentscheidungen und Kinderlosigkeit. Der Diskurs der Selbstverwirklichung hat sich tief in die Alltagskultur eingegraben, vor allem in den mittleren und höheren Bildungsschichten. Daher gibt es auch in der Privatsphäre ein wachsendes Bedürfnis nach Selbstreflexion. So ist etwa der Partnerschaftlichkeits-Diskurs mit Authentizitätsansprüchen heute sehr einflussreich, es gibt eine Fülle von Ratgebern für Partner, für Eltern, für potenzielle Eltern. Man kann durchaus von einer Beratungsindustrie sprechen. Für das kinderlose Paar, für die gute und kinderfreie Ehe/Paarbeziehung gibt es zumindest ideologische Unterstützung durch entsprechende Bücher. Der strukturelle Hintergrund für diese Entwicklungen kann hier nur angedeutet werden, er ist auch in den Grundzügen allgemein bekannt. Zweifellos sehr wichtig war die Bildungsexpansion seit den 1960er Jahren. Durch die Intensivierung und Ausdehnung der Bildungsphase im Lebensverlauf bekamen immer mehr Menschen die Möglichkeit zur biographischen Problematisierung und Selbstthematisierung – die Studienphase war zumindest bisher eine solche Möglichkeit, besonders in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Auch der durch die Frauenbewegung ausgelöste Diskurs über den Geschlechtsrollenwandel und das Modell der Partnerschaftlichkeit haben zur Kultur der Selbstthematisierung beigetragen. Ein Großteil der einflussreichen Schriften zur Geschlechterdiskussion seit den späten sechziger Jahren war ‚Betroffenheitsliteratur’ von Frauen, in der radikale Selbstanalysen vorgenommen wurden. Gleichzeitig wurde die männliche Geschlechtsidentität zunehmend in Frage gestellt, mehr oder weniger freiwillig auch von Männern selbst. Inzwischen hat sich auf diesem Gebiet, jedenfalls auf diskursiver Ebene, manches geändert. Männer dürfen nicht nur – sie sollen über ihre Gefühle sprechen. Man sollte sich im Übrigen nicht täuschen lassen von der allgemeinen intellektuellen Arroganz gegenüber dieser Betroffenheitsliteratur, die sich seit Beginn der 1980er Jahre verbreitet hat. Der langfristige Erfolg dieser Literatur – im Sinne

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der Diffusion in die Gesprächskultur des Alltags – ist vermutlich größer als diese Kritik glaubt. Bildungsexpansion und Geschlechtsrollenwandel gehören in einen weiteren Kontext der allgemeinen Veränderung von Sozialisationsbedingungen, die sich als Konzentration auf Individualität und Subjektivität des Kindes in der Familie darstellt. Manche Beobachter sprechen gar von der Selbstfindung des Kindes als „Erziehungsprogramm der europäischen Moderne“ (Gestrich 2001). Dazu gehören auch die bekannten Veränderungen des vorherrschenden Erziehungsstils hin zu mehr Liberalität und Permissivität. Auch das fördert Selbstreflexion. Immer häufiger werden die Medien für die skizzierten Phänomene verantwortlich gemacht. Man wird sie aber weniger als Ursache, eher als Ausdruck und zugleich auch Verstärker dieser Entwicklungen ansehen können. Einige der älteren, eher privaten Formen der Selbstthematisierung – wie Tagebuch und persönliche Briefe – wurden zurückgedrängt zugunsten öffentlicher Formen, wie in autobiographischen Erzählungen, in Talkshows, in Internet-Foren und so weiter. ‚Tyrannei der Intimität’, Öffentlichmachung des Privaten oder Publizität der Intimität sind die entsprechenden Schlagworte der Medienbeobachter.8 Allerdings wird man hier genau unterscheiden müssen zwischen öffentlichen Formen der Selbstdarstellung, die bestimmten Regeln der Dramatisierung und Inszenierung folgen (vgl. Hahn 2002), und den ‚authentischen’ Formen der Selbstthematisierung in privaten Gesprächen. Der Anspruch auf Authentizität und Transparenz, der sich seit den 1960er Jahren gesteigert und der den Psycho-Boom begleitet hat, ist vor allem in persönlichen Beziehungen wirksam. Dagegen geht es bei der medialen Inszenierung nur vordergründig um ein authentisches Selbst, Aufrichtigkeit oder ehrliche Selbstdarstellung. Es geht dabei viel mehr um eine öffentliche Inszenierung im Sinne des Theaterspielens (ganz wie Sennett (1986) es sich zurückwünschte), also gerade nicht um Echtheit, sondern um das raffinierte – echt wirkende – Spiel mit einer Rolle. Aber auch dies will gelernt sein, man muss sich dazu selbst gut kennen und sich gut kontrollieren können. Und, wie schon erwähnt, sind auch in der Arbeitswelt immer stärker flexible und reflexive Individuen gefragt – Individuen, die sich coachen lassen, die deshalb wissen, wie man sich selbst präsentiert, und gleichzeitig authentisch bleiben können, die nicht einfach ihre Pflicht erfüllen, sondern über die eigene Selbstverwirklichung auch zum wirtschaftlichen Fortschritt beitragen. Anknüpfend an Studien wie jene von Boltanski und Chiapello (2003) über den Neuen Geist des Kapitalismus – und analog zur Protestantismusthese Webers – lässt 8

Zur Kritik an der ‚inszenierten Schamlosigkeit’ und öffentlichen ‚Selbstentblößung’ vgl. etwa Winterhoff-Spurk und Hilpert (1999).

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sich die These formulieren, dass es dem neuen Kapitalismus gelungen ist, sich das Selbstverwirklichungspotenzial zu Nutze zu machen. Und schließlich haben wir uns auf der Ebene der Sozialstruktur seit den 1980er Jahren an den Gedanken gewöhnt, dass es ein Milieu der Selbstverwirklichung gibt oder ein individualisiertes Milieu – und der Streit innerhalb der Individualisierungs-Diskussion ging lediglich noch um die Frage, ob es sich hier um ein Vorreiter-Milieu handelt, das die gesamte Entwicklung vorwegnimmt oder um ein Außenseiter-Milieu.

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Das Ende der Selbstverständlichkeit – Eine Kultur des Zweifels

Welche Rolle spielt nun die Kultur der Selbstthematisierung bei der Familienbzw. Fertilitätsentwicklung? Es ist natürlich keine neue These, dass Individualisierung ein Hauptfaktor für den Geburtenrückgang ist, insbesondere, wenn man dabei an das steigende Bildungsniveau der Frauen denkt. Der Zusammenhang von Bildung und Geburtenrückgang ist hinlänglich bekannt. Im historischen und im Kulturvergleich gilt: Je höher der Bildungsgrad der Frauen, desto geringer die Fertilität (Caldwell 1982). Aber warum sollten Selbstreflexion und Selbstthematisierung Kinderlosigkeit erleichtern, fördern – oder gar: Kinderlosigkeit zu etwas Wertvollem machen, wie mit der Rede von der Kultur der Kinderlosigkeit in einem strengen Sinn ja behauptet wird? Es ist sinnvoll, hier zwei Ebenen zu unterscheiden: Kinderlosigkeit als Element des individualistischen Wertsystems und Kinderlosigkeit als Folge einer Kultur des Zweifels. Die Behauptung, dass Kinderlosigkeit zu einem Element des individualistischen Wertsystems geworden sei, findet sich seit längerem in bestimmten (eher schlichten) Versionen der postmodernen Theorie: Selbstverwirklichung der Erwachsenen stünde nun im Vordergrund, die Orientierung an Kindern sei zurückgedrängt. Kinderlosigkeit sei also etwas Wertvolles, nicht gerade wertvoller als Familie, aber doch ein ernsthafter Werte-Konkurrent zur Familie. Das trifft für einen Teil der Kinderlosigkeit heute sicher zu, reicht aber als Erklärung für das hohe Ausmaß an Kinderlosigkeit nicht aus. Dazu kommt der Aspekt, dass Kinderlosigkeit eben auch eine Folge des Zweifels ist, der zur Kultur der Selbstthematisierung gehört. Während die postmoderne These vom Wert der Kinderlosigkeit, wäre sie richtig, tief greifende Folgen hätte, lässt sich die Kultur des Zweifels vielleicht als ein Übergangsphänomen betrachten, weil der Zweifel und die Problematisierung nicht notwendigerweise zu Kinderlosigkeit führen, sondern nur unter bestimm-

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ten historischen Bedingungen. Der Diskurs der Selbstverwirklichung ist nicht grundsätzlich gegen Familie und Gemeinschaft gerichtet, aber er fordert zur Reflexion und Problematisierung dieses Verhältnisses auf. Die Kultur der Selbstreflexion ist also eine Kultur des Zweifels. Man reflektiert über Risiken von Lebensentscheidungen, man problematisiert den Selbstverständlichkeitscharakter der Elternschaft und des Familienlebens und der eigenen Position in diesem Gefüge. Es gibt eine systematische Problematisierung der Paarbeziehung; Zweifel hinsichtlich der Stabilität der Paarbeziehung und des Zusammenhangs zwischen Paarbeziehung und Elternschaft sind normal geworden. Die Problematisierung der Paarbeziehung wurde durch das Partnerschaftskonzept gefördert, das, als normatives Regulativ für Paarbeziehungen, alte Regulative wie das Komplementaritätsmodell der Versorgungsehe, patriarchalische Eheverhältnisse oder auch das Prinzip der Liebesehe weitgehend verdrängt hat – so jedenfalls die Ansicht vieler Beobachter (Leupold 1983; Beck und Beck-Gernsheim 1990; Giddens 1993). Das Partnerschaftskonzept ist ein anspruchsvolles Konzept, es verlangt von den Partnern eine Reihe von Kompetenzen wie Authentizität und Aufrichtigkeit, Offenheit und kommunikative Kompetenz. Die Ratgeberliteratur für Paare setzt ganz auf den Partnerschaftsgedanken. Die meisten Ratgeber empfehlen das Gespräch und die Offenheit, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit: Man findet eher zum Paarglück, wenn man offen miteinander umgeht, wenn man sich gegenseitig sagt, was man vom anderen wünscht, wenn man deutlich sagt, was einen stört. Die Ratschläge gleichen sich: Zuhören statt Recht haben wollen, Offenheit statt Rückzug, Raum für eigene Entfaltung lassen, Verantwortung für die Beziehung übernehmen, nicht immer den Partner ändern wollen und so weiter. Dieses Modell setzt offenbar voraus, dass beide Partner einen gewissen Grad an Virtuosität der Selbstthematisierung mitbringen. In der Partnerschaft verständigen sich zwei vernünftige, reflektierte Subjekte, die sich selbst gut kennen und dadurch besser auf den Partner eingehen können. Wir haben an anderer Stelle das Modell der Partnerschaft problematisiert und seine Grenzen für die praktische Alltagsgestaltung von Paarbeziehung thematisiert, die sich vor allem aus den starken Gerechtigkeits- und Rationalitätsidealen des Modells ergeben (Burkart und Koppetsch 2001, 2004).9 Partnerschaftlichkeit wird dort problematisch, wo sie zu rationalistisch verstanden wird, etwa im Anspruch an eine strikt egalitäre Arbeitsteilung oder eine genaue wechselseitige Begründung von häuslichen Routinen. Im Kontext der vorliegenden 9

Auch Hochschild (2003) ist skeptisch gegenüber der ‚Rationalisierung’ der Intimität durch Vertragsgedanken und Marktförmigkeit.

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Überlegungen geht es mehr um die mit dem Partnerschaftskonzept verbundenen systematischen Zweifel, die Skepsis gegenüber Ritualen, die Problematisierung der Selbstverständlichkeiten. Unter dem Zeichen der Partnerschaftlichkeit wird die lebenslange Festlegung zum Problem und damit der Übergang zur Elternschaft. Wie werden Kinder die Partnerschaft verändern – zum Guten oder zum Schlechten? Wenn die Paarbeziehung nicht mehr als lebenslange Festlegung angesehen werden kann, wird auch der Kinderwunsch problematisch. Hauptgründe für Kinderlosigkeit sind offenbar die fehlende Stabilität der Paarbeziehung (oder überhaupt eine fehlende Beziehung) und die Unsicherheit, ob man einen Partner findet, auf den man sich verlassen kann (Rupp 2005). Das gilt für beide Geschlechter wechselseitig. Wenn die Paarbeziehung als potenziell instabil wahrgenommen wird, dann ergeben sich, angesichts des inzwischen weit verbreiteten Wissens um hohe Scheidungsraten, für Männer und Frauen unterschiedliche Perspektiven. Für Frauen stellt sich oft die Alternative: Entweder Karriere und Kinderlosigkeit oder Familiengründung mit dem Risiko, allein erziehende Mutter zu werden. Für die Männer ist das Risiko der Familiengründung meist ein anderes: unsichere Vaterschaft. Aber selbst wenn alles, was die Vereinbarkeitsproblematik und die Paarbeziehung betrifft, in bester Ordnung ist und man sich daher im Prinzip für Kinder entscheiden könnte: Es bleibt dann immer noch das Problem der hohen Ansprüche für eine gute Erziehung, und mit ihnen kommen Zweifel, ob man die Kompetenz zur Elternschaft besitzt (Apple 2006).10 Die Behauptung von hohen Erziehungsansprüchen scheint im Widerspruch zu stehen zur Kultur der Kinderlosigkeit, wenn man an die zahlreichen Stellungnahmen zum „Verschwinden der Kindheit“, der „Kinderfeindlichkeit“ oder dem Rückgang der Zuwendung zum Kind zugunsten der Selbstverwirklichung der Erwachsenen denkt (Shorter 1989). „König Kind“ wurde entthront, wie es Philippe Ariès (1980) ausdrückte. In der Tat haben wir auf der einen Seite einen wachsenden Anteil Kinderloser, für die die eigene Selbstverwirklichung im Vordergrund steht. Aber diejenigen, die sich für Kinder entscheiden, sehen sich viel größeren Anforderungen und ausgefeilten Erziehungsidealen ausgesetzt (Cyprian und Franger 1995; Sclafani 2004). Im Rahmen der Selbstreflexions-Kultur hat sich das Image der Mutterschaft drastisch verschlechtert. In vielen qualitativen Studien über kinderlose Frauen kommt immer wieder zum Ausdruck, dass Mutterschaft ein negativer Status ist, 10

Das Thema bietet auch Möglichkeiten für Wissenschaftler, ihre Erkenntnisse über die Fachkreise hinaus zu verbreiten (vgl. zum Beispiel Hurrelmann 2005).

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harte Arbeit, ermüdend, langweilig, nicht anerkannt, eine Aufopferung. Wie eine 29-Jährige in einer australischen Studie sagte: „It's a full-time job, 24 hours a day, seven days a week, 20 years, no break” (Wheeler 2004). Viele Frauen, die heute zwischen 30 und 35 sind, also im kritischen Alter für die Entscheidungsfrage, wurden in den 1970er Jahren von Müttern (und Vätern) aufgezogen, die stark von ‚Achtundsechzig’ und der neuen Frauenbewegung beeinflusst waren. Sie wuchsen also in einem Klima auf, in dem allmählich selbstverständlich wurde, dass Frau-Sein sich nicht auf Mutter und Hausfrau beschränken kann. Sie genossen nicht nur eine permissive Erziehung, sondern wurden auch mit einem neuen Bild der Frau vertraut. Wenn diese Frauen sich nun selbst vorstellen Mütter zu sein – ein wichtiger Aspekt der Entscheidung zur Elternschaft – könnte ihnen eine Reihe von Problemen in den Sinn kommen. Sie könnten befürchten, dass ihre potenziellen Kinder nicht nur die selbe Freiheit und Selbstbestimmung (permissive Erziehung), sondern zugleich auch ein hohes Maß an Zuwendung fordern werden und darüber hinaus den Anspruch haben, ein gewisses Maß an Führung und Lenkung zu erhalten (denn sie hätten gelernt, dass manches an der Erziehung, die ihre Mütter erfahren hatten, allzu liberal war). Mutterschaft könnte dadurch, so jedenfalls die Befürchtung, noch mehr unter den Druck geraten, auf die eigene Selbstverwirklichung doch zu verzichten.11 Jedenfalls gilt Mutterschaft heute als ziemlich anspruchsvolle und zugleich undankbare Aufgabe. Mit Abstrichen gilt das auch für die Vaterschaft: Die Männer dieser Generation sind, wie wir aus Studien über Arbeitsteilung im Haushalt wissen, durchaus noch geneigt, das alte Modell – passive Vaterschaft, hauptsächlich Familienernährer – zu akzeptieren. Aber sie können oder wollen das zumindest nicht mehr aktiv fordern und forcieren – und sie akzeptieren deshalb, wenn ihre Frauen eine Neuregelung wollen. Sie haben den Geschlechtsrollenwandel wenigstens soweit vollzogen. All das erzeugt Zweifel, Skepsis, Zögern. Und das wiederum fördert den Aufschub der Elternschaft. Der Aufschub ist aber längst als einer der wichtigsten Gründe für Kinderlosigkeit erkannt. Denn die Zweifel werden ja im Verlauf der Biographie kaum geringer. Neben diesen allgemeinen Entwicklungen könnte die Kultur der Selbstthematisierung noch spezielle Trends gefördert haben, die eine Neigung zur Kinderlosigkeit implizieren. Die Stichworte dazu sind Hedonismus, Narzissmus und Depressivität. Hedonismus ist eine verbreitete Klage. Soweit ich sehe, bezieht 11

Inzwischen scheint es zunehmend Erfolgsfrauen in den Medien und im Journalismus zu geben, die mit der Provokation Erfolg haben, dem Feminismus die Schuld an der ganzen Misere zu geben (Gaschke 2005).

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sich immer noch eine Mehrheit der qualitativen Studien über Kinderlosigkeit darauf als einen Hauptfaktor. Auf der einen Seite wurde der Hedonismus häufig kritisiert – die jungen Leute würden Konsum und Vergnügen der elterlichen Verantwortungsübernahme vorziehen. Feministisch orientierte Studien auf der anderen Seite feierten die Unabhängigkeit und das neue Selbstbewusstsein der Frauen und bezogen sich positiv auf bestimmte Werte, die mehr oder weniger mit Hedonismus verbunden sind – zum Beispiel: „a childfree lifestyle includes spontaneity, freedom, and enjoyment“ (Wheeler 2004). Hedonismus ist hier eine Spielart der Selbstverwirklichung. Die bereits zitierte Australierin ergänzt ihre Erläuterungen zum harten Mutterberuf so: „I’m far too selfish for that full-time job“ (Wheeler 2004: 7). Der frühere Feminismus war noch geprägt von der Absicht, die Gleichsetzung von Frau mit Mutter und den damit verbundenen Verzicht auf eine Berufskarriere zurückzuweisen. Allerdings gibt es im gegenwärtigen Feminismus immer häufiger Stimmen, die sich von kämpferischen ‚Childfree’-Bewegungen distanzieren und nach weniger einfachen Lösungen des Vereinbarkeitsproblems suchen.12 Auch der Narzissmus wurde schon häufiger als eine Ursache des Zerfalls der Familie und damit auch der Zunahme von Kinderlosigkeit beklagt, und im populären Diskurs werden Narzissmus, Hedonismus und Egoismus gern gleichgesetzt.13 Es sei erinnert an eine Diskussion, die in den 1970er Jahren in der Sozialisationsforschung um den so genannten Neuen Sozialisationstypus geführt wurde, den man mit Narzissmus in Verbindung brachte (Ziehe 1975). Sie entstand vor der neuen deutschen Individualisierungsdebatte, aber bei manchen Autoren (Lasch 1980; Bellah et al. 1985) wurden diese Elemente verquickt: Die Diagnose des Zerfalls der Familie, der Narzissmus, die Individualisierung. Der Narzissmus im engeren Sinn ist eine psychische Erkrankung mit einer starken psycho-sozialen Komponente, weil sie eine Beziehungsstörung ist. Auch das Borderline-Syndrom und bestimmte Formen von Depressivität gehören zu diesen Störungen der Beziehungskompetenz. Der französische Soziologe Alain Ehrenberg hat die Beobachtung, dass die Depression die Neurose inzwischen als zeittypische psychische Erkrankung abgelöst habe, mit dem Individualisierungs12

13

Vgl. das Themenheft der ‚Feministischen Studien’ zur Kinderlosigkeit (Heft 1/2005). Die Herausgeberinnen distanzieren sich dort von Tendenzen, Kinderlosigkeit zu glorifizieren (Benninghaus 2005), und der einleitende Hauptartikel ist demographisch-analytisch (Schmitt und Winkelmann 2005). Im populären Diskurs wird neuerdings wieder der ‚Egoismus’ der Kinderlosen beklagt (vgl. die Titelgeschichte in ‚der SPIEGEL’, Nr. 10, 2006. Dieser Text, der voller Vorurteile, konservativer Bekenntnisse und ideologischer Plattitüden ist, zeigt, dass mit Bezug auf ‚Egoismus’ keine wissenschaftlich haltbare Analyse möglich ist.)

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trend verknüpft. Er betont dabei den Aspekt, dass in spätmodernen kapitalistischen Gesellschaften der Druck auf die Individuen zugenommen habe, das was mit ihnen passiert auf sich selbst zuzurechnen und die Verantwortung dafür zu übernehmen. Diese Anforderungen an Selbstverantwortung und Selbstmanagement führen zu einem Überforderungsdruck, dem immer mehr Individuen nicht gewachsen sind und deshalb in Depressionen verfallen (Ehrenberg 2004). Aus all dem könnte man folgern, dass heute ein größerer Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen so stark von dem Problem der Selbstfindung und Selbstproblematisierung okkupiert ist, dass das Leben sehr lange in einem provisorischen Zustand bleibt. Arbeit, Partnerschaft, Wohnform, Lebensmittelpunkt: alles steht ständig in Frage. In einer solchen Situation ist Familienplanung natürlich nicht sehr wahrscheinlich. Überforderung, Unsicherheit und Zweifel sind keine guten Voraussetzungen für Elternschaft. An dieser Stelle wäre vielleicht eine Überlegung angebracht, welche Reichweite solche Thesen haben. Ist die ‚Kultur der Selbstthematisierung’ ein Aspekt der Moderne, der Spät- oder der Postmoderne? Ist sie eine unmittelbare Folge der sozialen Bewegungen und Umwälzungen, die mit dem Stichwort ‚Achtundsechzig’ umschrieben werden? Ist sie ein Element der westlichen Kultur insgesamt oder eher auf Deutschland beschränkt? Sicher wird man mit einer so allgemeinen These kaum kulturelle Unterschiede – zumindest nicht: Unterschiede in den Geburtenraten und Anteilen Kinderloser in verschiedenen Ländern – begründen können. Für solche Unterschiede sind viele andere Faktoren verantwortlich – wie die Infrastruktur für Kinderbetreuung, die Arbeitszeitmodelle für Frauen und Männer, die staatliche Unterstützung von Elternschaft, die gesamte Familien- und Sozialpolitik. Die Vermutung, in Deutschland sei die Kultur des Zweifels vielleicht besonders ausgeprägt und deshalb hier die Kinderlosigkeit so hoch, wäre also überzogen.14 Dennoch könnte es sich lohnen, in einer gründlichen historischen Analyse den spezifisch deutschen Wurzeln dieser ‚Kultur des Zweifels’ nachzugehen, in allgemein-historischer Perspektive, wo man ja ‚den Deutschen’ manchmal etwas Grüblerisches nachsagt, zum anderen bezogen auf die Familienentwicklung und den sie begleitenden ideologischideellen Diskurs. Es könnte sein, dass in Deutschland die Konzentration auf die Paarbeziehung – unter Zurückstellung der Familienorientierung – besonders früh oder stark forciert wurde und demgegenüber die staatliche Familienpolitik unterentwickelt blieb, anders als zum Beispiel in Frankreich (Singly 1994). Die These von einer Kultur der Kinderlosigkeit im Kontext einer Kultur der Selbst14

Ein bei der Rostocker Tagung anwesender Journalist allerdings hat genau dieses versucht (vgl. Berth 2005).

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thematisierung bezieht sich auf einen allgemeinen Rahmen. Eine Kultur des Zweifels fördert noch nicht an sich die Kinderlosigkeit, sondern nur unter bestimmten historischen Bedingungen. Sie stellt einen Dispositionsrahmen für Kinderlosigkeit dar. Eine ungünstige Infrastruktur, ökonomische Krisen und eine fehlende oder schwache Familienpolitik können dann zur Aktualisierung der Disposition beitragen. In Deutschland scheinen diese Bedingungen zurzeit gegeben. Gerade die Familienpolitik wird inzwischen häufig kritisiert, im Vergleich zu Ländern wie Schweden oder Frankreich (Kaufmann 2003). Wenn sich eine Kultur der Kinderlosigkeit, wie sie in der Vorstellung vom ‚childfree lifestyle’ und in der ‚Childfree’-Bewegung in den USA besonders deutlich zum Ausdruck kommt, in der Tiefenstruktur der Kultur einlagern würde, wäre sie mit politischen Maßnahmen kaum noch zu beeinflussen. Dagegen hängen die Auswirkungen der Kultur des Zweifels stärker von den sozialen und politischen Rahmenbedingungen ab. Problematisierung und Selbstreflexion sind an sich noch keine Prädiktoren für eine Abkehr von der Familiengründung. Wenn aber große strukturelle Unsicherheit herrscht, kann die Problematisierung in Zweifeln, Zögern und Vermeiden umschlagen.

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Professionalisierung der Elternschaft als Problemlösung?

Steigende Kinderlosigkeit ist ein ernsthaftes Problem für jede Gesellschaft – gravierender als der Geburtenrückgang im Allgemeinen, der ja im globalen Rahmen ohnehin eher positiv zu bewerten ist. Und auch für das ungünstige Zusammenfallen von Geburtenrückgang und steigender Lebenserwartung in westlichen Kulturen könnte mit dem Hinweis, es sei ein Übergangsproblem, Entwarnung gegeben werden: In wenigen Jahrzehnten wird die Altersstruktur der Bevölkerungen wieder günstiger sein. Steigende Kinderlosigkeit aber führt zu einem ganz anderen Problem. Sie erzeugt eine neue Spaltung der Gesellschaft, in der es bisher zur Normalbiographie gehörte, Kinder zu bekommen. Es taucht dann die Frage auf, wie sich Eltern und Kinderlose in sozialer Hinsicht unterscheiden. Bekanntlich ist Kinderlosigkeit vor allem ein Phänomen unter Hochschulabsolventinnen und am Rand der wissenschaftlichen Diskussion taucht die Warnung auf, dass es nicht gerade ‚die Besten’ sind, die noch Kinder bekommen. Jedenfalls wird das Problem in den Medien zurzeit viel diskutiert, die Poli-

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tik wird kritisiert. Viele Kommentatoren glauben, die Politik müsse jetzt endlich etwas tun (aber eigentlich sei es schon zu spät).15 Sehen wir uns kurz mögliche Lösungen an. Ein wachsender Anteil später Elternschaft könnte ein Teil der Lösung des Problems sein. Eine vielleicht noch bessere Lösung wäre, frühe Elternschaft zu ermutigen und zu unterstützen, insbesondere bei Studierenden, denn das Problem für viele von ihnen ist doch gerade: Ein Kind passt nie in das Basteln an der Karriere, je älter man wird, umso schlechter. Man könnte zum Beispiel ein Programm für ‚familienfreundliche Hochschulen’ auflegen, vielleicht in Zusammenhang mit dem ‚Girl’s Day’, der Studentinnen ermutigen soll, Spitzenpositionen anzustreben. Aber vielleicht ist das alles illusorisch, und der Anteil der kinderlos Bleibenden wird weiter wachsen, vor allem unter Akademikerinnen. Dann bliebe als Lösung des Problems vielleicht nur noch die Professionalisierung der Elternschaft. In der Logik funktionaler Differenzierung ist Arbeitsteilung und Spezialisierung, also Professionalisierung ein vertrauter Weg, Probleme wachsender Komplexität zu lösen. Und das ‚Vereinbarkeitsproblem’ ist nicht zuletzt ein Komplexitätsproblem. Was aber könnte Professionalisierung der Elternschaft heißen? In einem starken Sinn wäre damit gemeint: Elternschaft wird nicht mehr von allen Mitgliedern der Gesellschaft praktiziert, sondern von einer speziellen Gruppe, einer neuen Berufsgruppe. Schon bei Platon findet sich eine solche Utopie (vgl. Hahn 2005). Die Spezialisierung könnte sich auf verschiedene Bereiche erstrecken: Spezialistinnen fürs Gebären, andere für Pflege und Aufzucht, für Ernährung und Entwicklung, wieder andere für eine gute Erziehung. Dies ist erst einmal nur eine Utopie – und eine unbehagliche dazu, besonders wenn sie – wie schon bei Platon – und vor einigen Jahren bei Sloterdijk im Anschluss an Nietzsche – auch noch mit dem Gedanken an ‚Zuchtwahl’ verknüpft wird. Aber der Gedanke passt durchaus in die Logik von Professionalisierungsprozessen, bei denen immer darauf geachtet wird, dass die am besten Geeigneten den Vorzug des Zugangs erhalten. Und im Zeitalter der Biotechnologie wäre es nicht abwegig, dass die Gesellschaft zu dem Schluss kommt: Nicht jeder beliebige Mann soll als Samenspender fungieren können, sondern nur nach sorgfältiger Prüfung seiner Samenqualität und seines Erbgutes. Entsprechende Prüfungen der Qualität der Mütter wären natürlich auch vorgesehen. Diese Utopie ist, abgesehen von den ethischen Turbulenzen, die sie auslöst, für die nächsten Jahrzehnte zwar nicht realistisch. Aber es gibt bereits Tendenzen, die zumindest in Richtung Professionalisierung gehen. Eine Tendenz 15

So zum Beispiel ein Kommentar von Kloepfer (2006) in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.

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lässt sich als systematische Schulung der Eltern, die andere als Auslagerung von Elternfunktionen an professionelle Helfer umschreiben. Mit der Leihmutterschaft kommen wir der gerade skizzierten Utopie schon näher, besonders wenn sie nicht aus medizinischen, sondern aus sozialen Gründen praktiziert würde. Bis vor wenigen Jahrzehnten bekamen fast alle Frauen irgendwann Kinder und sie erwarben sich die Kompetenz für die Aufgabe, diese Kinder großzuziehen, nach dem Modell der Kunstlehre: Man macht es so, wie es ‚die Meister’, also in diesem Fall die eigene Mutter und andere Frauen, gemacht haben. Man benötigte keine spezielle Ausbildung, die nötigen Techniken lernten die werdenden Mütter von anderen Müttern. Heute, so scheint es, ist die Erziehungskompetenz ohne wissenschaftliche Anleitung nicht mehr erlernbar. Eltern müssen sich schulen und beraten lassen. Eltern-Zeitschriften und Ratgeberbücher sind das Mindeste, besser sind entwicklungspsychologische Bücher, ergänzt um Kompendien für richtige Ernährung und gesunde Lebensweise. Je älter das Kind wird, desto wichtiger werden Gesprächskompetenzen und Kenntnisse über die Entwicklung des Moralbewusstseins. Elternberatungsstellen helfen bei Problemen, Familientherapien können sich anschließen. Auch die Väter sollten sich heute an der Wissenschaft orientieren. Das neueste Angebot sind Evaluationsagenturen für Eltern (Hochschild 2005). Doch bei aller Anstrengung in dieser Richtung: Mit einem bestimmten Teil ihrer Erziehungsaufgaben sind moderne Eltern dennoch überfordert – zumindest, wenn sie berufstätig sind. Deshalb hat sich eine Tendenz entwickelt, einzelne Elemente der Erziehungsaufgaben abzugeben. Man könnte von der Auslagerung (outsourcing) von elterlichen Praktiken sprechen. Das fängt damit an, dass man zum Beispiel die Nahrung nicht mehr selbst zubereitet (weil es sehr aufwendig wäre, sich so gut zu informieren und beraten zu lassen, dass die selbst gemachte Nahrung auch wirklich gesund und altersadäquat ist). Das geht weiter mit Babysittern, Kindermädchen und Haushaltshilfen. Auch Kindergarten, Vorschule und Tagesmütter gehören in dieses Programm. Überhaupt ist die Professionalisierung der häuslichen Pflege, die Kommerzialisierung des intimen Lebens insgesamt, wie Hochschild (2003) gezeigt hat, längst im Gang. Mit den Fortschritten der Reproduktionsmedizin wurde die Möglichkeit von Leihmutterschaft realistisch. Zwar ist das in den wenigsten Ländern schon erlaubt oder nur bei medizinischer Indikation, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass sich eine Tendenz zur sozialen Leihmutterschaft entwickelt, das heißt die Übernahme der Schwangerschaft durch Spezialistinnen fürs Gebären. Die Globalisierung verschärft diese Problematik. Arlie Hochschild hat bereits das Bild einer Kombination von Professionalisierung und Globalisierung von Eltern-

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schaft entworfen. Sie spricht von einer global ‚chain of caring’. Hochschild (2003) berichtet zum Beispiel folgenden Fall. Die älteste Tochter einer armen Familie auf den Philippinnen kümmert sich um ihre jüngeren Geschwister, weil ihre Mutter in den USA lebt, wo sie als Babysitterin für eine andere philippinische Mutter arbeitet. Diese Frau wiederum arbeitet ‚full-time’ bei einem wohlhabenden amerikanischen Akademiker-Paar als Haushaltshilfe.

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Selbstthematisierung und die Familie der Zukunft

Das alles sind eher düstere Aussichten. Ich möchte deshalb etwas freundlicher abschließen und Argumente für die These vorbringen, dass Individualismus, Selbstreflexion und Selbstthematisierung keineswegs der Familie schaden müssen, sondern im Gegenteil gut oder sogar notwendig für die zukunftsfähige Familie sind. Das erste Argument dafür ist, dass Individualismus nicht notwendigerweise Kinderlosigkeit impliziert. Die Kultur des Zweifels fördert nur unter bestimmten Randbedingungen die Tendenz zur Kinderlosigkeit. Das zweite Argument ist, dass Familien heute selbstreflexive Individuen benötigen. Warum sollte Selbstverwirklichung nicht gerade durch Elternschaft zu erreichen sein? Ein verantwortungsvoller Vater sein, eine gute Mutter – man muss dazu zumindest ein Kind großziehen, das man zu einem autonomen und selbstreflexiven Individuum machen kann. Reife Individualität – wenn man so sagen darf – könnte doch den Wunsch einschließen, Kinder zu bekommen und aus ihnen einzigartige und autonome Individuen zu machen.16 An dieser Stelle lässt sich auch ein positiveres Bild des Hedonismus zeichnen, als es in den oben skizzierten Diskussionen üblich ist. Der britische Soziologe Colin Campbell (1987) hat das Schicksal der Protestantischen Ethik untersucht. In seiner Sichtweise hat sie sich in eine Romantische Ethik transformiert, die mit einer bestimmten Spielart des Hedonismus verbunden ist. Einen Hedonismus, den er „autonomous, self-illusory hedonism“ nennt, der eine gewisse moralische Basis hat und der mit dem deferred gratification pattern, der aufgeschobenen Bedürfnisbefriedigung, kompatibel ist. Ein hedonistisches Individuum in diesem Sinn ist nicht einfach am unmittelbaren Konsum und Vergnügen hier und jetzt und sofort interessiert, sondern mehr an der Zukunft, und sein Hedonismus ist verknüpft mit der Vorstellung eines anspruchsvollen, moralischen Selbst. Das kann

16

Vgl. auch Shorter (1989) oder van de Kaa (2004) für die These, dass Elternschaft mit Selbstverwirklichung kompatibel sein kann.

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Elternschaft einschließen, weil das Selbst hier immer auch in einer Kontinuitätslinie des familialen Abstammungszusammenhangs gesehen wird. Das zweite Argument für die These, dass die Kultur der Selbstthematisierung nicht notwendigerweise Kinderlosigkeit fördert, sondern im Gegenteil sogar Familiengründung ermutigt, lässt sich aus der Annahme ableiten, dass die moderne Gesellschaft – und deshalb auch die Familie – Menschen mit der Fähigkeit zur Selbstreflexion benötigt (Schimank 2002). Die Fähigkeit zu Selbstbeobachtung und Selbstanalyse ist heute vermutlich wichtiger als früher für soziale Partizipation, für Erfolg und Anerkennung. Wenn das richtig ist, dann ist auch klar, dass die zukunftsfähige Familie solche reflexionsfähigen Individuen erzeugen muss. Allerdings müssen die pathologischen Formen der Selbstreflexion vermieden werden. Es geht ja nicht um möglichst viel Authentizität und Selbstenthüllung und Selbstbekenntnisse, sondern darum, eine Balance zu finden zwischen Selbstoffenbarung und rituellem Verhalten, zwischen Authentizität und Rollenförmigkeit, oder allgemein: zwischen Selbstverwirklichung und gesellschaftlich verantwortungsbewusster Individualität. Es geht darum, eine Balance zwischen reflexivem Zweifel und lebensweltlichen Selbstverständlichkeiten zu finden. Hier könnte ein Problem liegen, das sich besonders bei den sozialen Aufsteigern im Zuge der Bildungsexpansion zeigte. Manche von ihnen haben vielleicht in ihren Familien nicht gelernt, eine solche Balance zu finden; ihre Orientierung an Selbstreflexion und Selbstverwirklichung ist sozusagen zu sehr angelerntes Programm – angelernt an den Universitäten, in politischen Zirkeln, in Wohngemeinschaften, in Selbsterfahrungsgruppen usw. Aus diesem Milieu rekrutierten sich wahrscheinlich besonders viele ‚Zweifler’ – und vielleicht auch Kinderlose? Das soziale Milieu, in der die Kultur des Zweifels sich ausbreiten konnte, ist möglicherweise stark von der Generation der ‚Achtundsechziger’ und den Aussteigergruppen im Zuge der Bildungsexpansion geprägt. Vielleicht – und das wäre eine Hoffnung hinsichtlich der Entwicklung der Kinderlosigkeit – reduzieren sich diese Zweifel wieder bei den jüngeren Generationen, bei denen die erwähnte Balance zwischen Selbst-Offenbarung und Orientierung an Regeln und Ritualen wieder besser gelingt.

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

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Trends und gesellschaftliche Strukturen. In: Scherpe, J./ Yassari, N. (Hg.): Rechtsstellung nichtehelicher Lebensgemeinschaften. Tübingen, 2005: 45-75 (mit Michaela Kreyenfeld). Familiensoziologie. Frankfurt/Main, New York (mit Johannes Huinink). Köppen, Katja, 1979, Dipl.-Demogr., Doktrandin am Max-Planck-Institut für demografische Forschung Rostock. Forschungsschwerpunkte: Familiensoziologie, Lebensverlaufsanalyse. Neuere Veröffentlichung: Second births in France and western Germany. Demographic Research 14, 2006: 295-330. Kreyenfeld, Michaela, 1969, Jun.-Prof. Dr., Universität Rostock, Institut für Soziologie und Demographie, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für demografische Forschung Rostock. Forschungsschwerpunkte: Lebensverlaufsanalyse, Familiensoziologie. Neuere Veröffentlichungen: Müttererwerbstätigkeit in Ost- und Westdeutschland. Eine Analyse mit den Mikrozensen 1991-2002. Zeitschrift für Familienforschung, 18, 2006: 333-357 (mit Esther Geisler). Nichteheliche Mutterschaft und soziale Ungleichheit. Zur sozioökonomischen Differenzierung der Familienformen in Ost- und Westdeutschland. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 57, 2005: 3162 (mit Dirk Konietzka). Marbach, Jan H., 1943, Dipl.-Soz., Deutsches Jugendinstitut München, Forschungsschwerpunkte: Verwandtschaftssysteme, Generationenbeziehungen, soziale Netzwerke. Neuere Publikationen: Sozialkapital und Integration im Kindesalter í Soziale Netzwerke von türkischen und russlanddeutschen Kindern. In: Alt, C. (Hg.): Kinderleben í Integration durch Sprache? Schriften des Deutschen Jugendinstituts: Kinderpanel. Band 4: Bedingungen des Aufwachsens von türkischen, russlanddeutschen und deutschen Kindern. Wiesbaden, 2006: 71-116. Der Aktionsraum im höheren Lebensalter und Optionen der Netzwerkhilfe: Theoretische Konzepte und empirische Befunde. In: Otto, U./ Bauer, P. (Hg.): Mit Netzwerken professionell zusammenarbeiten. Band I: Soziale Netzwerke in Lebenslauf- und Lebenslagenperspektive. Tübingen, 2005: 515-551.

Mazuy, Magali, 1974, PhD Student, University of Paris 1, Panthéon-Sorbonne. Forschungsschwerpunkte: Familiendemographie, Übergang zur Elternschaft, Soziale Unterschiede im Fertilitätsverhalten. Neuere Veröffentlichungen: Calendriers de constitution des familles et âge de fin des études. In: dans Lefevre, C./ Filhon, A. (Hg.): Histoires de familles, histoires familiales, Les Cahiers de l’Ined, 2005, 175-200 (mit Robert-Bobée I.). Mesurer la fécondité des imigrants. Un indice tenant compte de l’âge à l’arrivée en France et de la durée de séjour. dans Lefevre, C./ Filhon, A. (Hg.): Histoires de familles, histoires familiales, Les Cahiers de l’Ined, 2005. 123-147 (mit Toulemon Laurent). Mika, Tatjana, 1968, Dipl.-Soz., Ass. jur., Deutsche Rentenversicherung Bund, Forschungsdatenzentrum der Rentenversicherung. Forschungsschwerpunkte: Alterssicherung, Armut, Einstellungnen zum Sozialstaat. Veröffentlichungen: Alterseinkommen bei Zuwanderern í Gesetzliche Renten und Haushaltseinkommen bei Aussiedlern und Zuwanderern aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien im Vergleich zur deutschen Bevölkerung (mit Ingrid Tucci), Deutsche Rentenversicherung 61, 2006. Informationsdefizite und Schonung Angehöriger. Hauptgründe für Verzich auf Sozialhilfe. Dunkelzifferstudie erhellt Ursachen verdeckter Armut, Informationsdienst Soziale Indikatoren 35, 2006: 7-10.

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Neyer, Gerda, Dr., Max-Planck-Institut für demografische Forschung Rostock, stellvertretende Leiterin der Abteilung Fertilität und Familiendynamik im heutigen Europa. Forschungsschwerpunkte: Fertilität und Familienpolitik in europäischen Wohlfahrtsstaaten. Neuere Veröffentlichungen: Contemporary research on European fertility: Perspectives and developments. Demographic Research Special Collection 3, 2004 (Hg. mit Gunnar Andersson). Family Policies and fertility in Europe: Fertility policies at the intersection of gender policies, employment policies and care policies. MPIDR Working Paper WP-2006-010. Fertilität, Familiengründung und Familienerweiterung in den nordischen Ländern. MPIDR Working Papers WP-2006-22. (mit Gunnar Andersson, Jan M. Hoem, Marit Rønsen und Andres Vikat) Ruckdeschel, Kerstin, 1970, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Wiesbaden. Forschungsschwerpunkte: Familiensoziologie, Familiendemographie. Neuere Veröffentlichungen: Determinanten des Kinderwunsches in Deutschland. Zeitschrift für Bevölkerungsforschung 29, 2004: 363-386. Einstellungen zu demographischen Trends und zu bevölkerungsrelevanten Politiken. Ergebnisse der Population Policy Acceptance Study in Deutschland. Wiesbaden: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2005 (mit Jürgen Dorbritz und Andrea Lengerer). Schaeper, Hildegard, 1956, wissenschaftliche Mitarbeiterin, HIS Hochschul-Informationssystem, Hannover. Forschungsschwerpunkte: Bildungs- und Berufssoziologie, Hochschulforschung, Lebenslaufforschung. Neuere Veröffentlichung: Hochschulbildung und Schlüsselkompetenzen – Der Beitrag der Hochschulforschung zur Evaluation der Qualifizierungsfunktionen und -leistungen von Hochschulen. In: Teichler, U./ Tippelt, R. (Hg.): Hochschullandschaften im Wandel. Zeitschrift für Pädagogik, 50. Beiheft. Weinheim, Basel 2006: 20-220. Schröder, Torsten, 1966, Dr., Universität Bremen, EMPAS, Forschungsschwerpunkte: Methoden und Theorienentwicklung, Lebensverlaufsanalyse, Familiensoziologie. Stegmann, Michael, 1969, Dr., Forschungsdatenzentrum der Rentenversicherung. Forschungsschwerpunkte: Soziale Sicherung von Frauen und Familien, empirische Sozialforschung. Neuere Veröffentlichungen: Der Einfluss der Kindererziehung auf Erwerbstätigkeitsmuster von Frauen und die Auswirkungen auf das Alterseinkommen. Deutsche Rentenversicherung 60, 2005: 675-692. Beruflicher Status und Rentenanwartschaften: Auswertungen des Rentenzugangs 2004. Deutsche Rentenversicherung 61, 2006: 156-184. Fakten und Trends zum Alterseinkommen von Frauen, Ergebnisse der Studie Alterssicherung in Deutschland (ASID) 1986/1992 und 2003. Deutsche Rentenversicherung 61, 2006: 438-455. Tölke, Angelika, 1953, wissenschaftliche Referentin, Deutschen Jugendinstitut, München. Forschungsschwerpunkte: Familiensoziologie, Lebensformen, Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Neuere Veröffentlichungen: Die Bedeutung von Herkunftsfamilie, Berufsbiographie und Partnerschaften für den Übergang zur Ehe und Vaterschaft. In: Tölke, A./ Hank, K. (2005): Männer í Das ‚vernachlässigte’ Geschlecht in der Familienforschung. Wiesbaden, 2005: 98-126. Männer das ‚vernachlässigte’ Geschlecht in der Familienforschung: Untersuchungen zu Partnerschaft und Elternschaft bei Männern. Wiesbaden, 2005. (Hg. mit Karsten Hank).

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Toulemon, Laurent, 1961, Directeur de recherches, Institut national d’études démographiques (Paris, France). Forschungsschwerpunkte: Familiendemographie, Demographische Analysemethoden. Neuere Veröffentlichungen: Who are the late mothers? Epidemiology and Public Healths 53. Special issue on Late parenthood 2, 2005: 13-24. Does postponement explain the trend to later childbearing in France? Vienna Yearbook of Population Research. 2005: 83-107 (mit Máire Ní. Bhrolcháin). Multidimensional Exploratory Analysis. In: Caselli, G./ Vallin, J./ Wunsch, G. (Hg.): Demography. Analysis and Synthesis. New York 2006: 671-686. Regression Analysis. In: Caselli, G./ Vallin, J./ Wunsch, G. (Hg.): Demography. Analysis and Synthesis. New York 2006: 687-694. Wirth, Heike, Dr., Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA), Mannheim. Forschungsschwerpunkte: Sozialstrukturanalyse; Soziale Differenzierung zwischen Familien und Haushalten. Neuere Veröffentlichungen: Mikrodaten der amtlichen Statistik í Ihr Potenzial in der empirischen Sozialforschung. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 44. 2004: 93-127 (mit Walter Müller). Kinderlosigkeit von Frauen im Spiegel des Mikrozensus. Eine Kohortenanalyse der Mikrozensen 1987 bis 2003. Wirtschaft und Statistik Heft 8, 2005: 800-820 (mit Klaus-Jürgen Duschek).