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German Pages 121 [140] Year 1909
Prinz Emil von Schoenaich-Larolath
Ein Verzeichnis der Schriften des Prinzen Emil von Schoenaich-Carolath
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Prinz Emil von Schoenaich-Larolath als Mensch und Dichter Von
Gustav Schüler
Leipzig
G. I. Göschen'sche Verlagshandlung 1909
Alle Rechte von der Verlagshandlung vorbehalten
Q?n der holsteinischen Marsch, mit ihrem trüben, schwe.
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Zielen waren. So ist unser Zusammensein in Kalmar (es dauerte nur zwei bis drei Jahre) für den Aufgang
unseres Dichtertums bedeutsam geworden. Die Stim mung von Zeit und Ort war der Entfaltung auch günstig. Die Zeitstimmung! Ich sagte ja schon, daß sie einen hinreißenden Hochschwung aller Geister brachte. Und — der Ort!? Die Landschaft, diese wildklüftigen, etwas unwegsamen Vogesen hatten außer ihren sinnfälligen Linien und Reizen, ihren blumenvollen Talern und den waldwebenden Höhen noch einen feineren, heimlicheren
Reiz. Geschichte und Sage redeten stolze und träume rische Worte allüberall; für die, welche tiefhin zu horchen verstehen. Und — Prinz Emil und ich, wir hatten wohl das feinere Gehör der — Dichter. Obwohl wir damals
noch kaum wußten von unserer künstlerischen Berufung, und daß lyrische Kraft in uns schlummerte. Bald frisch und fröhlich, bald schwärmerisch und schmerzlich ward die neue Welt umher mit all ihren fremden Gestaltungen, ihren kräftigen Farben und drängenden Pulsen genossen. Es war mehr eine Zeit des Erschließens und Genießens. Die Gewitterschauer und die Ruhe der Reise waren noch fern. Es stand noch alles (so auch die Politik und das Leben im Elsaß) wie in einem feinen Morgenrot, von dem man nicht wußte, ob es einen klaren oder dunklen Tag bringen würde. „„Oft machten wir reizende Fahrten (der Prinz ritt, und ich fuhr im Wagen) auf die alten Burgen der Vo gesen. Gespräche über Literatur und Kunst brachten damals schon starke und reine Anregung in unsere Be-
Ziehungen. Wir waren beide leidenschaftlich dem Genius von Byron und Müsset zugeneigt. Seltsamerweise spielten damals Goethe, der mich späterhin so führend
beeinflußte, und Gottfried Keller, dessen „grüner Hein rich" später eines meiner Kunstevangelien wurde, noch gar keine Rolle in meinem Geistesleben.
„„Oft geschah es damals, daß wir uns, harmlos, fast wie Schüler, die einen gleichen Aufsatz bearbeiten, ein Thema gaben, das dann jeder auf seine besondere Weise zu Strophen dichtete. Beim nächsten Zusammensein im Walde lasen wir einander dann die Verse ... „Zi geuner" hieß ein Thema. Da wurde von uns beiden in glühenden Überschwenglichkeiten von Form und In
halt, die wir vielleicht für Genie hielten, geschwelgt! Vielleicht war in dem Wuchern schon manch zartes Blühen und würziges Duften.-------- Die Blätter sind leider verloren gegangen — ich konnte sie nie mehr finden ... Das waren brausende Jahre voll Kraft und Schaum und Duft! „„Da starb des Prinzen Vater, und Carolath, der nun
sehr jung in den Besitz eines ziemlich bedeutenden Ver mögens kam, nahm seinen Abschied als Offizier und ging auf Reisen. „„Das Leben trieb uns dann ganz verschiedene Pfade. In Briefen und Besuchen blieben wir uns gegenwärtig und behielten einer auf den andern großen Einfluß. Noch einmal kam ein längeres Zusammensein. Es war 1878 am Mittelländischen Meer. Die „Lieder an eine Verlorene" waren als erstes Buch des Prinzen er-
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schienen.
Sie waren auf die „unendliche Melodie"
eines Schmerzes gestimmt. Aber es war schon ein in
Kunst umgeformter Schmerz. „„Das waren wirklich unvergeßliche Tage: dies Wan dern in Olivenwäldern, an den Klippen von Mlllafranca, auf den Hellen Küstenwegen von Nizza, und hier und da in ganz verlorenen Dörfern der Alpes maritimes... „„Es gibt Stunden, für die der Raum, die Spanne
Zeit, in der man sie erlebt, viel zu enge ist. Ihr Inhalt wachst weit über den Rahmen. Ihr Lichtkern strahlt weit aus ins Zukünftige. Solche Stunden haben fort
zeugende Lebenskraft: man erlebt sie erst voll, nachdem
man sie gelebt hat. »„Ich erinnere mich besonders eines wundersamen
Märztages (es war dort unten schon sommerliches Glühen), als wir in Villafranca nach einer Wanderung Abendrast machten. Es war in einem höchst malerisch in der Bucht am Meer gelegenen kleinen Wirtshaus, wo das Nationalgericht Bouilla Baisse, eine Art Fisch ragout, in besonderer Güte bereitet wurde. Da waren Weltschmerz, Liebesleid, alle Sehnsüchte wie fortge weht aus Emil Carolaths Seele, und eine fast kindertolle Fröhlichkeit regierte die Stunde... Es mundete uns so köstlich, das Fischgericht, während die blauen Wasser
der Bucht zu unseren Füßen in Sonnenringeln spielten und wir den kräftigen Landwein tranken — den roh gezimmerten Tisch, mit dem nicht sehr fein gesponnenen Tuch bedeckt, hatten wir mit Büscheln von Blüten be worfen, die wir auf der Wanderung gepflückt — und
Carolath hate mir ein paar Zweige, zum Kranz ge
bogen, auf ds Haar gelegt... damals war er noch der feurige, Münzende Kavalier, der gern allen schönen Hingerissenheten seines Geistes folgte und sein Wesen noch nicht engedammt hatte in wohllöbliche Grenzen. Carolath gennhnte in seiner Erscheinung mit dem kos mopolitischen Wanderzug in seinem Wesen, in seiner vollblütigen Ritterlichkeit recht an das Bild, das ich mir von dem ferrichen Britenlord gemacht hatte ... Liebe war der Crurdzug seines Schaffens und Lebens. Zu
erst, und )as tun auch seine Dichtungen dar — die leidenschastich: Liebe zur Frau; — dann, wie sie von
drängender Egenwünschen mehr befreit war, die Liebe zur Schönleit im allgemeinen, zur Kunst, zur Mensch heit ... Uad dann trat plötzlich ein Wandel in diese allumfassende Sehnsucht und Liebe. Prinz Carolath, der Weltwmdrrer, ward seßhaft und — nahm ein Weib. Er ist sehr glücklich mit ihr geworden. Sie ist auch eine so sympathsche, prachtvolle Natur ... Er zog die Gren zen für fest Wirken und sein Lieben enger. Ruhevolles
Glück liebt die umhegte Stätte, wo es in heimlicher Geborgenhit holde Entfaltung sucht.
Herrlich ist in
dieser letzte' Liebesphase von Carolaths Leben der Zug großer Barnherzigkeit, milder Verzeihung und Demut. „„Carolahs starke Bücher reiften in jenen Werde- und Wanderjahen: „Lieder an eine Verlorene", „Tau wasser", „ßeschichten aus Moll", „Dichtungen". „„Für mch lebt Carolath einzig voll in jenem herrlichen Jugendleuoten; damals im Aufgang, im Morgenrot
seiner Dichtung war er mir verschwistert. Noch bis weit in die 80er Jahre hin steht er in stolzer und stürmender Jugendkraft, dann — ward er mir ein wenig fremder. „„Vielleicht weil ich selbst wacher, feuriger, lebens mächtiger blieb, fühlt sich mein Wesen nur einig mit ihm in seinen sehnsüchtig vorwärtsstrebenden Jugend
werken — und die werden ein unvergängliches Leben in der deutschen Dichtkunst haben. „„Neben mir liegt sein letztes Buch mit den Widmungs
worten: „Der großen Dichterin, der hochverehrten, treuen Freundin in bester Huldigung Emil Carolath..." DaS ist mir nun wie ein fortwirkendes Vermächtnis.
„„Durch die flammenden Johannisfeuer der Jugend sind wir mitsammen geschritten. In diesem Feuerzauber war er mein starker, reiner Wandergenosse, auf den besten Wegen der Lebensschönheit. „„Wir sind uns sehr viel gewesen—nicht in jener kurzen, schmerzlich seligen Liebe der Leidenschaft, sondern in
jener köstlicheren Einheit der Seelen, die wie eine höhere Offenbarung ist... Und auf sein Grab will ich nicht blasse Blumen des Abschieds legen, sondern mit warmen Händen will ich aus jedem Frühling rote, rote Rosen
brechen und sie über seine letzte Heimstätte breiten — eine blühende Mahnung an den unsterblichen Jugendtag seiner Kunst und — unserer Freundschaft."" —
Unabhängig, jung, mit schöpferisch belebter Phan tasie, ein werdender Dichter, dem'S in Kopf uni Herzen schäumte und brausete, so sagte Carolath dem Soldaten leben auf. Die Wanderzeit brach an. Italien lockte ihn
mächtig. Es ging nach Rom. Hier drang Wunderbares in mächtigster Fülle und in strahlenden Gesichten auf ihn ein. Eine glücklichste Freundschaft verband ihn mit
dem glühenden Farbenphantasten Hans Makart, der damals in Rom wirkte. Es ist mehr als verständlich, das sich Carolath zu diesem Maler, der schwelgerische Facbensymphonien träumte und dichtete, mächtig hin gezogen fühlte. Carolaths Kunst ist Prunk und Pathos, wenigstens im Anfang seiner dichterischen Laufbahn.
Erst nach und nach schlugen aus dem überreichen, ver gitternden Rankengewirr seiner Verskunst schlichte deut sche Veilchen die Augen auf und schmucklose Hecken röslein wagten sich ans Licht. Die Ausdrucksmittel der ersten Zeit waren selbstherrlich kühn und schwelgerisch überladen. Hamerling, der Meister des inbrünstig kochen den Wortprunks, wurde vielfach von Carolath überboten, dessen Bilder sinnenfälliger und blutvoller sind. Ebenso lernte er in Rom den kunstsinnigen Grafen Lanckoronski kennen, zu dem er ebenfalls in ein frucht bringendes Freundschaftsverhältnis trat. Mit beiden FkSUflden begann er (1876) ein mehrjähriges bunt bewegtes Wandern, das sich zunächst wieder nach Ägyp ten wandte. Die alten Eindrücke wurden verstärkt aus genommen. „Des bunten Ostens weltentfernte Pfade" erfüllten die drei schönheitsdurstigen Pilger mit tiefen
Wundern. Die deutungsschwere Symbolik des alten Theben tauchte späterhin wiederholt aus den Dich tungen Carolaths empor. Wie Byron mit zäher Be gierde in die Ferne trachtete, so lag unserm Dichter der
Zauber der Weite im Blute. Die schwelende Glut und die bleichen Horizonte der Wüste, die erhabene Kühnheit wilder Gebirge, die Majestät des Meeres und der macht voll starrende Tod schneeüberspreiteter nordischer Lande: alles das hatte er mit Auge und Seele umspannt und alles lebte mit funkelndem Leben und phantastisch heißen Gesichten in seinen Versen wieder auf.
Die folgenden Jahre wurden durch Reisen nach Klein asien, Griechenland und Spanien ausgefüllt. Jager fahrten nach Tunis und Montenegro, die voll bunter Abenteuer waren, schlossen sich an diese Bildungsreisen. So reifte Carolath allmählich zum Weltbürger, der viel herrliche Wunder und doch auch viel Elend und Niedrig keit sah und Vergeben und Mitleid lernte. Im Jahre 1878 erwarb er weit draußen am dänischen
Belt eine wundervoll einsam gelegene Besitzung, Palsgaard, wo er im Kreise von Freunden stimmungsvolle Tage verlebte. Es glitt viel von dem Schweren, Düsteren,
Gebundenen der Landschaft in seine Poesie, die in dieser Zeit an einem harten Pessimismus krankte. Aber die zarte Gesundheit des Prinzen machte einen dauernden Aufenthalt auf Palsgaard sowie auf dem Gute seines Onkels, Haseldorf (in der Nähe von Ham burg), unmöglich. Längere Kurreisen in die Schweiz unterbrachen die Ruhe der ländlichen Abgeschiedenheit; auch noch verschiedene andere Länder sahen den „fahren den Gesellen", dem die Sehnsucht Hort und Heil war. Doch des Pilgerns Ziel nahte. In den Frühlings
tagen des Jahres 1887 lernte Carolath zu Montreux
die Frau kennen, die sein Leben still und überreich
krönen sollte. Es war Katharina von Knorring. Bald wurde die Vermählung gefeiert. In dem stillen, in die breite Elbe hineingedeichten Haseldorf, das auf Carolath überging, gingen die Jahre golden und glück gesegnet dahin. Hier ist auch wohl der Ort, in schlichten Worten über
die Frau zu reden, die das von fast stetigem Krankheits leid gefährdete Poetenleben mit lieber Güte und Huld schirmte und hütete.
Jeden wird es befremden, daß
Carolath in hundert Tönen, schmerzgesattigt und nacht umstellt und doch tiefsüß und wundersam, das Lied von der verratenen Liebe sang, das scheue Sehnsuchts
lied, drin suchende Flammen reden. Carolath hatte offenbar keine künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten für sein Heimlichstes, für die weilende Liebe und für das köstlich umfriedete Glück. Die Gefährtin seines Lebens hatte aus innigem Verstehen und feinfühliger Seele teil an seinem Schaffen. Man müßte die schamhaftig zurück
gedämmte Seele Carolaths kennen, um das voll zu be greifen, was er mit der Widmung seines Gedichtzyklus „Heimkehr" zu Weihnacht 1903 sagen wollte. Es stehen keine pomphaften Worte dabei, sondern wahr, schlicht, groß und treu, wie der Sommer vor den Garben, steht die Widmung „Meiner Frau": „Ich hab' dich geliebt, ich hab' dich errungen
Und habe dich dennoch nie besungen,
Weil nicht in Worten noch in Bildern Dein Herzensreichtum wär' zu schildern."
26 Schlicht, groß im Verstehen, tief im Erfassen und Festhalten von Schönheit, wanklos zu dem, dessen Weg
in die Sterne ging, und voll reicher Weibesliebe: das war die Frau, die von der Vorsehung dem weltfremden Dichter Carolath an die Seite gegeben war. Es ist für die Entwicklung eines Künstlers durchaus nicht gleich
gültig, was für eine Frau ihm zur Seite steht. Das ungewollt Wegführende führt am stärksten. So war es vielleicht auch hier. Weithin an Carolaths Lebens weg standen die schwarzen Kreuzlein des Schmerzes: körperlicher Leiden, seelischer Beängstigungen, sorgfältig
gehegter Sehnsüchte, es war eine trübe Flucht von Kreuzen, zu denen sich Carolath im Schreiten mehr als genug hin- und zurückwandte. Da nahm ihn diese Frau bei der Hand und führte ihn und wußte von nichts zu reden als von den Blumen, die in köstlicher Fülle sich um die Hölzlein rankten, daß sie das stumpfe Schwarz mit ihrem lebendigen Leben schier ganz zerbrachen. Wer will hier aufstehen und sagen: Der Dichter hat das große Glück nicht gefunden, nach dem er wallfahrten ging. Ein stilles Gebettetsein in Herddämmerglück ist
das Köstlichste, was sich erstreben läßt; und wie ward's Carolath! Wer je hineinschauen durfte in das gastliche Herrenhaus zu Haseldorf, der nahm beide Hände voll Sonne und voll Liebe mit. Ein Herd, der seine Gäste so segnet, muß ganz auf Glück und Liebe gebaut sein. ES weiß ein jeder, der einmal Gast in der prinzlichen Familie sein durfte: es ging ein Strom von Sonne und Güte und Liebe von diesem Hause aus.
Vorderansicht deö Herrenhauses.
P rin z Georg, Prinzessin Elisabeth mib P rin z Gustav.
Die schwere, flache Marsch, die mit ihren nebelver schütteten Horizonten einem hart auf die Seele drückt,
wollte dem Prinzen, dem die Berge wie Hochaltäre Gottes waren, nur widerwillig zur Heimat werden. So blieb er denn bis zuletzt ein Mensch großer Sehn
süchte. Er mußte es bleiben. Sein Leben wollte groß zünden, seine Persönlichkeit sich in schöpferischen Wer
ken ausatmen.
Er war ein Held der Menschheit, der
zufällig ein Dichter war. Aug um Aug Lord Byron. Das phantastisch Erderobernde, das flammenzüngig Prophetische, das Fiebern und Glühen um das Weib, das von Zweifeln durchschütterte Schreien um Gott: alles das ist beiden Dichtern gemeinsam. Und der Er löserdrang, der den leidzerquälten Bruder an die Hand nimmt und der mit leidenschaftlicher Kühnheit ganze Völker und ganze Aeitenfluchten umspannt. Heines Formenzauber berauschte ihn unendlich. Aber auch die naturnahe, leise Seele Storms lebte in ihm. Ein glücklicheres Wort über die Kunst Carolaths ist vielleicht kaum geprägt worden als das des kürzlich verstorbenen geistvollen Essayisten Leo Berg: „Er ist ein Byron, der
durch Theodor Storm gegangen ist, bis auch er am Ende zu seiner Zeit gelangte und in der Mitleidsidee, die bei ihm aber noch ihre christliche Farbe rein behielt, von den Kämpfen seines trotzigen Herzens ausruhte."
Der Gutsherr und Dichter auf Haseldorf! Für wie viele bedeutet dieser Hinweis eine mehr als liebe Er innerung! Wie viele, Künstler, Poeten und Literaten, die sich für ein Stündlein Frieden trinken wollten von
der treibenden Hast der Großstädte.
Von Hamburg
und Berlin und von wo überall. Und alle wurden mit der gleichen treuen Herzlichkeit eingeladen und aus genommen. Das weiße Schloß, das sich in die wunder
sam quellende Wildnis des einzigschönen Parkes träu merisch hineinlegt, war für die Gäste ein liebliches Sorgenfrei, ein Märchenschloß, wo der Hausherr von
seinen Reisen erzählte, von mancher Fährnis, von den goldenen Wundern des Orients, und wie im Hauch hinüberstreifte nach den Gärten der Ewigkeit, dahin
seine Sehnsucht mit breiten Segeln trieb. Und die zartsorgende Herrin, der alle Gäste, ob hoch, ob niedrig, gleich lieb waren, und der liebliche Kranz der Kinder! Es war ein unsäglich tiefer Friede in dem weißen Schlosse im grünen Park, in den kein Ruf oder Schall von der
Straße drang. Als ich jüngst den Park sah, der hart an den Elbdeich stößt, war der Herr des Hauses schon dahin gegangen, wo alle Sehnsucht schweigt, „wo die Seele weder bangt noch irrt". Es war ein wundervoll gesättigter Früh lingstag. Die Vögel klammerten sich mit ihren Bein chen um die Zweige und schrieen vor Entzücken, die Fische in dem breiten Schloßgraben standen reglos oben auf dem Wasser und Blumen wehten, wo doch kaum ein Hauch zog. Duftwellen gingen von einer Blume zur andern, wie Körper so wesenhaft, daß davon die Blumen zitterten. Und die dichten Tarussträucher stan den wie leiderschlagen, weil der nicht mehr kam, der sonst die dunkle Flut ihrer Blätter wie kosend hatte
durch seine Finger gleiten lassen. Die Vögel und die Fische und die Blumen aber wußten es noch nicht, daß
der Herr des Gartens den ewigen Schlaf schlief. Sie alle hatte er gehütet. Die prinzlichen Kinder, weil sie es von andern Knaben gesehen hatten, wollten
für ihr Leben gern im Schloßgraben nach den schwarzen
Karpfen angeln, die so großspurig daherschwammen.
Lange wußte der Vater ihnen dies Beginnen auszu reden. Als sie ihn aber immer und immer wieder darum anbcttelten, da ließ er aus den Angelhaken die Wider haken herausfeilen, damit die fetten Karpfen, die sofort wieder befreit und ins Wasser getan wurden, sich nicht gar so qualvoll verwundeten. Das Erbarmen zur Krea tur, die mit stürmischer Sehnsucht aus ihrer Gebunden heit aufseufzt, war ihm mehr als Gebet. Ich wüßte überhaupt keinen hochragenden Menschen, der das Leid der Kreatur so zu seinem eigenen Leide gemacht hätte. Hier schweigt jeder Vergleich, hier ist eine königliche
Höhe im Menschentum, eine absolute, geniale Höhe. In dieser Mitleidsidee ist Carolath ein Priester und Pro phet. Und alle Stücke, in denen dieser Gedanke von ihm schöpferisch auögestaltet wurde, sind, getränkt mit seinem Herzblute, schlechthin Meisterwerke. Er, der früher abenteuerreiche Jägerfahrten in zwei Erdteilen gemacht hatte, entwöhnte sich, weil ihn die Jagdtiere jammerten, später ganz des Weidwerks. Es soll nun aber ja keiner kommen und sagen, halbverstörte alte Jungfern, die mit ihren Katzen aus einem Teller essen, hätten denselben Mitleidszug zum Tier. Bei Carolath
wuchs sich das Mitleid ins Weltumspannende, ins Heroi sche aus.
Es hatte den starr gespannten, genialischen
Jug. Ein junger Pastor aus einem der Nachbard-rfer,
der die Carolathschen Kinder unterrichtet hatte, war mir bei meiner Wanderung Führer durch Schloß und Park. Ein prächtiger Führer, der jeden Steig und jeden Stein kannte und der den Zusammenhängen zwischen dem toten Dichter und dem Geschaffenen mit stiller, schmiegsamer Bewunderung nachgespürt hatte. Auf einem breit sich erhebenden Rondell, wo vielleicht einst in der gefährlichen Schwedenzeit ein Ausguck gestanden haben mochte, weilte der Dichter sehr gern. Riesige
Birken erhoben sich rundum. Hier läßt sich für den, der mit der Natur und mit Gott allein sein will, köstliche Andacht halten. Und zudem, wenn man eine Seele hat wie Merlin, der da wußte, was die Vögel sangen und die raschberegten Quellen redeten. Und dann schritt er wieder die Parkwege ab, langsam, trübe, und ließ die weiten, erdfremden Blicke ins grüne Laub fallen. Vor bei an den Gräbern seiner Vorfahren, trutziglicher
Marschensöhne, deren Staub von mächtigen Festafeln
überdeckt war. (Auf eines dieser Gräber hat übrigens Liliencron ein prachtvolles Gedicht gemacht.) Dann schritt der Dichter auch wohl gelegentlich in das chlichte Kirchlein, in dessen Grabkapelle, zu ebener Sde, in einem prunklosen Eichensarge sein Leib der Wieder erweckung entgegenharrt. Carolath glaubte auf« Wort
an die Auferstehung des Fleisches.
Gartenseite des Herrenhauses.
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Und dann schritt ich durch das knarrende Parkpförtlein auf den Deich, der den gelben, züngelnden Wassern der Elbe wehrt. Noch ein kleiner Zug von dem Geiste des Schloßherrn sei hier angefügt. Der Park, dessen
wundervolle Schönheit weithin bekannt ist, wurde in früheren Jahren unleidlich laut und lärmend über laufen. Man mußte gegen die rücksichtslosen Besucher Front machen. Jeder andere hätte nun an die Parktür
in drohend großen Lettern geschrieben: „Der Eintritt ist Unbefugten bei Strafe verboten!" Der prinzliche
Gutsherr aber ließ anschreiben: „Fremde, die den Park zu sehen wünschen, wollen sich beim Gärtner melden." Dieser Deich, so erzählte mir mein Führer, war ein
bevorzugter Aufenthaltsort des Prinzen. Rechts und links die braunsatten Flächen, die von Knicks wie von
bunten Netzmaschen durchzogen sind, und vor sich die wogende, strömende Wasserfläche. Breit, drängend, eilig auf dem Wege in die Nordsee. An den Abenden phantastisch, groß und deutsam. „Zwischen farbigen Leuchtfeuern wälzt sich der breite Elbstrom dahin, über jagt von stark segelnden, im Nordwestwind herantrei
benden Wolkenmassen." Wie oft stand der Dichter wohl hier und knüpfte die Seile seiner Sehnsucht an die flimmernden Leuchtfeuer und mochte das Licht daraus
hervorzerren und große, breite Menschheitswege damit auslegen, daß keiner mehr in der Irre ginge. Und diese Wege gehen alle wie Bergstraßen hinauf ins Land der Ewigkeit. Alle Dichtung Carolaths hat den Sinn des Aufstiegs, des licht- und liebewirkenden Aufstiegs.
Aus der Marsch sehnte er sich hinaus mit unsäglich bitterer Sehnsucht. Sein brennender Haß gegen alles
Unreine, gegen Selbstsucht und gegen marktenden Krä mergeist ist im letzten Grunde Sehnsucht zur innersten Menschenhoheit. In wie vielen seiner Dichtungen kehrt nicht der Gedanke wieder, daß wirksam Hohes und edel Menschenherrliches durch wankhaften, niedern Kramer sinn zertreten und siech gemacht würde. Der in mehr
facher Beziehung höchst bemerkenswerte Gedichtkranz „Hans Habenichts", der deutungsreich in des Dichters innerstes Leben hineinwebt, ist eine hinreißende Pre digt gegen alles Kleingesinnte und Verlogene. Eine klirrende Leidenschaft zersprengt hier die absichtlich fremd und fern gehaltene Form, und heiß und wetternd stürzt ein Zorn und Haß über Jeitsünden. Seine große Seele, die nur in der Luft der Wahrheit und Gerechtig keit atmen konnte, redete sich in leidenschaftlichen Jörn, wo es galt, gegen Torheit und Bosheit zu Felde zu ziehen. Mit blutvoller Leidenschaftlichkeit erfüllte ihn der Ge danke von einem großen triumphierenden Deutschland. Seine schönsten Lieder sind mit dieser händefaltenden Sehnsucht vollgefüllt; sie sind aus des Dichters innerstem
Blute als unvergängliche Blüten emporgequollen. So lebte der Dichter seine Tage auf Haseldorf dahin. Ich habe in der Umgegend mehrfach Leute verschiedener Berufe angesprochen, um auf Umwegen etwas über den Prinzen zu erfahren. Es ist schwer, mit diesen Marschleuten zu reden. Es ist, als ob man an Steine
schlägt, um sie zum Klingen zu bringen. Aber unter mancher Mühseligkeit erreichte ich, was ich wollte. Und überall wußte ich aus dem schwerblütigen Gewirr des widerhaarigen Idioms das eine herauszuhören: Er war so gut. Man schämte sich ordentlich, so gut war er. Man
schämte sich. Hierin liegt eine wundervolle Bekenntnis höhe. Sein Menschentum ragte so hoch, daß es für manchen zum Erschrecken war. Besonders die letzten
zehn Jahre seines Lebens waren ein ununterbrochenes Opferfest des Erbarmens zu Mensch und Tier. Eine seiner besten Erzählungen, „Der Heiland der Tiere", ist mit diesem träumerischen Mitleid bis zum Rande ge füllt. Der Held der Geschichte, der sich zur Erlösung
der seufzenden Kreatur selbst kreuzigt, hoch an einer Felsenwand, ist so von rauschendem Dichterblute durch strömt, daß der Dichter selbst der hochgemute Schwärmer ist, der sich die linke Hand ans Holz nagelt, so daß ihm das niederstürzende Blut den Arm und die Seite rot färbt. Es liegt eine erschütternde Tragik in dieser Vor stellung. Und doch kann man es nicht anders ausdeuten: Carolath war von dem Gefühl schluchzenden Erbarmens und Mitleids für alles Bedrückte und Duldende so über füllt, daß fast nichts anderes in ihm Platz hatte. Er war wie ein Seher, wie ein Prophet. Daher das leiden
schaftlich Feierliche, das herb Gewaltige seiner Dar stellungen. Er hatte nicht das Lächeln des Humoristen, der seine leidenden und weinenden Menschen tröstet und mit schelmischem Wort hinwegweist aus den Niede rungen; e: keuchte mit in den Sielen zerschundener Schüler, Schoeiiaich-Earolath.
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Pferde, er hungerte mit seinen hungernden Menschen und litt geistige Not mit denen, die das Unglück stumpf
gemacht hatte. Dieses Mitdulden, das entschieden den
Aug des Genies trug, erstickte jeden individuellen oder Kastenegoismus in ihm. Er arbeitete als ein begeisterter Seher und hatte nur die ganze Menschheit im Auge.
Während sonst seine Darstellung zuweilen unter der Willkürlichkeit der Geschehnisse leidet, sind die Erzäh lungen, die vom Mitleid zur Kreatur handeln, von einer Wucht der Geschlossenheit und von einer dichte rischen Notwendigkeit, daß sie sich schlechthin zu dem
Range von Meisterwerken erheben. „Die Kiesgrube" ist wie ein Marmorwerk, an dem jeder Meißelschlag recht ist. Es dürfte schwer sein, in der Weltliteratur eine Geschichte zu finden, die einen ähnlichen Stoff mit der gleichen Meisterschaft behandelt. Nicht genug des Rühmens kann über Carolaths tiefe Bescheidenheit sein. Er wollte nichts sein als ein edler, großgeistiger Mensch, frei von allen Vorrechten der Ge burt. Ein solcher Strom von menschlich schöner, schlichter
Güte kann nur von einem sehr hohen Menschen aus gehen. In seinen Augen lag ein seltsam zwingendes Leuchten wie Glanz von einer inneren Sonne. Ich kann mir nicht versagen, einige Zeilen aus einem Briefe Carolaths anzuführen, den er an eine Dame schrieb, die ihn an einem Vortragsabend — wie er meinte —
weit über Gebühr gefeiert hatte. „Ich bitte Sie dringend, nie etwas anderes in mir zu sehen, als nur den geistes verwandten Künstler, und alle Titulaturen beiseite
I
östlicher Giebel der Haseldorfer Kirche mit dem Erbbegräbnis, in dem der Prinz beigesetzt ist.
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zu lassen. Wenngleich Sie, hochverehrte gnädige Frau, meine Leuchtkraft für spätere Zeiten allzu hoch bewerten,
so gebe ich dennoch zu, daß ich mich stets bestrebt habe, trotz aller Leidenschaft des Temperaments, die Linien, welche das Gesetz der ewigen Schönheit vorzeichnet, streng innezuhalten."
Und nun wollen wir Abschied nehmen von dem Schloßherrn auf Haseldorf, der dort in dem Kirchlein
den ewigen Dingen entgegenreift, die er glaubte: Auf erstehung des Fleisches und ein ewiges Leben. Und wir wollen, was an unserm Teil ist, dafür sorgen, daß Caro-
laths Werke eingehen ins deutsche Volk, das der Dichter so hingerissen liebte. Sein Deutschland, die Krone aller Länder und Völker, das einem brausenden Ostermorgen entgegen träumt In der Reihenfolge der im Verlage G. I. Göschen in Leipzig herausgegebenen „Gesammelten Werke" des Prinzen Emil von Schoenaich-Carolath (7 Bände 1907) sollen die einzelnen Werke durchgesehen und betrachtet werden. Die Saat des Großen, die der Dichter hinaus
gestreut hat mit edlen Händen, muß im deutschen Volke Frucht tragen. Der Dichter der spezifisch deutschen Sehnsucht wartet auf seine Zeit. Ich füge hier einige Verse an, die ich dem lieben Toten, an den mich eine tiefe Bewunderung band, auf die Bahre legte: Nun hast du eilends deinen Lauf gewandt Hinan zu Welten, die du groß gedichtet, Ins harterstrittene Vollenderland Hast du den erdenmatten Schritt gerichtet.
Du bist zu Haus, du heißer Wandersmann,
Sehnsuchtentglühter, von der Schönheit Gilde,
Wir sahen dich mit Stolz und Jubel an: Du prunktest her mit deutschem Ritterschilde. Wahrheit und Güte, Stolz und Mannesmut
War flammenvoll auf dein Panier geschrieben,
Und immer edler wuchs aus deinem Blut Ein tief erbarmend gläubig Menschenlieben,
Was du uns warst! Du gabst dein klares Wort Den Jungen, Zagen, tastend Ungewissen, Zu goldnen Höhen hat uns fort und fort
Dein quellenkühnes Menschentum gerissen!
Wer so wie du des Edlen Saat gesät, Der hat sein Werk machwoll in Erz gegraben — Ob heut, ob morgen, sei es früh, sei's spät:
Dein deutsches Volk wird dich zu eigen haben!
Der Prinz an seinem Arbeitstisch.
(Das Gemälde stellt den Prinzen mit seiner Mutter dar.)
öftun zu den Werken des Dichters Carolath! Den ersten Band der genannten Gesammelten Werke
füllen die drei gedankenmächtigen Epen „Angelina", „Die
Sphinr" und „Don Juans Tod". Ich zähle die beiden letztgenannten Stücke zu dem Stärksten, was Carolath geschaffen hat. Wer hat gleich groß, mit gleich ver zweifelter Leidenschaftlichkeit an die goldenen Tore zur Stadt der Schönheit geschlagen, wer hat um die brennen den Rätsel, in denen das Weib lächelnd und lockend steht, gleich schmerzlich gebangt! Die fortstürmende Wucht dieser Dichtungen ist ganz und gar mächtig. Der Anschauungsgehalt ist riesig und die poetische Bewälti gung nahezu restlos. Hier hat Carolath auch seine eigene
große Sprache, ganz und gar seine eigene. Wie diese Stoffe blendend neu und unerhört kühn sind, so wird seine Ausdrucksgewalt hier schöpferisch. Diese lyrisch epischen Stücke haben gedankliche und sprachliche Höhe punkte, auf die die deutsche Literatur stolz sein muß. Nicht ganz dasselbe kann man von dem ersten Stück, „Angelina", sagen, dessen Werden auch zeitlich am weitesten zurückliegt. Schon 1875, in der Zeit des römischen Aufenthaltes, entstand der erste Entwurf. Hier war noch alles durcheinander: gefährliches Geröll, kantig und scharf, zerrendes Dornengerank und auf schießende Nesseln; aber leuchtend und licht brechen doch
schon aus dem Grunde wundervolle Blumen, Veilchen und Rosen. Das Gedicht wurde 1878 vollendet. Es ist in die Form eines Erlebnisses eingekleidet. Mit der
rasch treibenden Gewalt eines heißblütigen Dramas werden wir gepackt. Die Anschauungskraft ist stark und
der Wortprunk wirkt berauschend. Die Reime sind kühn
und neu. Das Ganze hat Sturm und Schwung und drängt mächtig vorwärts. Angelina — in dem Klange liegt schon Sonne und Schönheit — ist eine junge Blumenverkäuferin, die bei
den deutschen Künstlern in Rom ihrer wundervollen, kindlich süßen Schönheit willen hoch beliebt ist. Deutsche Künstler, voll Jugend und Sehnsucht nach dem Brausen deutscher Eichen im Herzen, haben sich bei einem Lands mann zu Gaste geladen. In die schwerblütige Besinnlich
keit all dieser heimwehmüden Gäste fällt mit einem Male das Wort: „Angelina wird Blumen bringen!"
Das Wort wirkt Wunder: Wenn eine Glut, die sich verlöschend quält,
Man einem Strome Schirasöl vermählt,
Loht neu sie auf zu stürmisch hellen Flammen.
So riß der Name, als ein Zauberwort, Das Tischgespräch in frischem Schwünge fort. Das brausend ward, denn alles sprach zusammen.
Umwilkte Züge schienen plötzlich jung, Ein Zug von Frohsinn, von Begeisterung
Kam neubelebend über alle Mienen, Und Beifall hob sich, als sein volles Glas
Der eine hob und kühn das rote Raß Hinuntergoß zum Wohl von Angelinen.
Es wird nun stürmisch gefragt und erzählt, daß Ange lina wie ein lächelnder Sonnenstrahl auftauche und ver schwinde. Tausend begehrliche Augen umwürben ihre Schönheit, aber noch keiner könne sich ihrer Gunst rühmen: »Die ihr mich seht, laßt alle Hoffnung fein',
— So fiel aufseufzend hier ein zweiter ein, — Das ist ihr Wahlspruch.
Beweisen es.
Viele Anekdoten
Zum Beispiel hat ein Lord
Erst kürzlich ihr mit manchem schönen Wort Für einen Kuß zwei Handvoll Gold geboten.
Sie nahm es an, dann keck und unverwandt Gab sie zum Kusse ihm — die kleine Hand,
Ließ den Verblüfften, dessen Jechgenossen Sich kirschrot lachten ob des kalten Schlags,
Und ging.
Man fand die Münzen andern Tags
Zn einer Kirche Opferstock geflossen.
Und dann tritt das liebliche Wunder ein in den Kreis der heißerregten Zechgenossen. Die verinnerlichte Schil-
dermngskraft des Dichters erschafft sie lieblich und reich: ... Die reizende Gestalt
Schien, von des Vorhangs Faltenwurf umwallt,
Ein lichtes Bild auf sammetfinstrem Grunde,
Des wunderfeines, sinnendes Profil Ein großer Künstler schuf in flüchtigem Stil Zu gottbegnadeter geweihter Stunde. Wie war sie schön! Ihr Haupt, halb abgewandt,
Erschien mir fremd und dennoch wohlbekannt,
Fast wie ein Klang aus lieber Kindersage. Zhr Aug' war dunkel, dabei wunderbar
Groß und betrübt, als ob es immerdar Nach etwas Süßem, ewig Fernem frage.
Das braune Haar umschmiegte voll und weich
Die schöne Stirn und die war seltsam bleich,
Doch wenn die Lippen sich zum Lächeln gaben, Umflog das Ktpfchen zarter Heil'genschein —
Den konnte nur ein totes Mütterlein In Angst und Schmerz darum gebetet haben.
Dann, nachdem sie ihr Blumenkörbchen geleert und dem einen bleichen, träumerischen Gaste ein Sträußchen
Frühnarzissen aus ihrem Haar gereicht hatte, bat sie um eine deutsche Melodie: „Sie sind so traurig, eure
deutschen Lieder." Schuberts „Am Meer" durchbrauste das Jimmer. Ein starres, eingegrabenes Sinnen über fällt das liebliche Kind, das selbst ins Leben hineinblüht wie eine süße, fremde Sehnsucht: Sie stand in tiefem, tiefem Selbstvergessen. DaS bleiche Ktpfchen wie aus Leidenschaft
Gemeißelt. Regungslos, statuenhaft Der schlanke Leib; von Tränen und von Flammen Der Blick durchschossen, während unruhvoll,
Ein de profundis reich an Schmerz und Groll, Die Prachtakkorde schwül vorüberschwammen.
Dann plötzlich, als erschrecke das Kind unter dem Mahnen eines Entschlusses, ein hastiges „Fejice notte“ und dann ist es verschlungen von der Straßenbrandung. Die Künstler bleiben zurück, „bei schwerem Trünke". Einer von ihnen, Gaston, genial, brausend, „vom Lebenszugwind zeitig überstaubt", spricht, weil ihm graut, das liebliche Kind versinken zu sehen, wunder bare Worte über die Schönheit, die an den Straßen aufblüht:
O Schönheit, Schönheit, Danaergeschenk!
Weh jedem, dem dein leuchtend Stimgehenk Als blihend Stigma ward ums Haupt geschlagen!
Weh ihm, dem Kind, das ausgesendet ward, Ein reiches Kleinod wunderseltner Art
Durch einen Wald, einsam bei Nacht, zu tragen! Wohl zieht es aus, singend im Abendrot;
Es kehrt nicht heim.
Am Morgen liegt es tot,
Erwürgt, beraubt, im fröstelnden Gehege.
Auf blassem Mund sein letztes Seufzen starb: Ihr gabt ein Gut mir, das mich früh verdarb —
So muß ich enden nun seitab vom Wege. O Schönheit, Schönheit, letzter Widerschein,
Abglanz des Edens! Der Erde treu!
Ach, du bliebst allein
Du konntest von dem Weibe,
Don Edens blauer Blume lassen nicht,
Du folgtest ihr und wardst das Tempellicht, Das ew'ge Licht im staubentkeimten Leibe.
Gaston schreit es dann hinein in den Aecherkreis: „Ange lina wird elend enden!" Er behauptet, daß sie jetzt schon verloren in die Nacht hinaustaumelt. Einem wider sprechenden Freunde will er's sofort beweisen. Sie fahren
beide in die Straßen Roms hinein und suchen Angelina. Endlich nach wildem Umherjagen sehen sie das Mädchen, wie es eben in eine dunkle, übelberüchtigte Gasse ein biegt. Dann hinein in ein Haus, wo sie von einem alten Weibe erwartet wird. „Madonna kommt!" Dann huscht sie ins Haus und eilt an das Bett eines tod kranken Kindes, das sich in Fieberangst hin und her wirft. Mit engelhafter Güte wartet sie des Kindes, dessen Stirn bald süßer Schlaf umschmiegt.
Gaston,
der Zweifler, starrt ins Fenster und kann nichts als weinen. Aus Glück und Angst. Der Dichter trium phiert: Es gibt noch Größe, Menschenherrlichkeit. Gott strahlt durch den Staub.
Dann kommt der zweite Teil des Gedichts.
Mit
brausender Energie sind die Verse gefüllt, die uns er zählen, wie Angelina, die süße Blume, auf den Kehricht
haufen des Lebens hingewirbelt wird. Sie ward wie kreiselnde Spreu. Nach wirr durchhetzten Jahren kommt sie zum Sterben. Die deutschen Künstler sehen sie in
einer Kirche im Sarge vor dem Altar. ... An dem Hochaltar
Stand breit, von Dämmrung unbestimmt umflossen,
Ein offner Sarg ... Erbarmend sah herab Der Jungfrau Bild aus goldgeschmücktem Rahmen, Mit Augen, die gar seltsam tief und schön,
Echt menschlich klagend. An die stille Brust Von Angelina schmiegte sich ein Strauß
Tiefbunter Blumen, und ein Schimmer lag Auf dem geschloßnen blütenroten Munde, Als hab' der Tod mitleidig fortgeküßt Das letzte Zucken und das letzte Weh,
Die letzten Schlacken. Doch das Antlitz war Entsetzlich fragend, so wie ein Gebet, Das glücklich anhub und geendet ward
Mit einem Aufschrei, — ein Gedankenstrich,
Ein Fragezeichen, angstvoll hingemalt Am Schluß eines gewaltigen Gedichts. Mich zwang es nieder, und die tote Stirn
Mit ihrem Zug von ungelöster Frage
Streifte mein Mund. Schlaf wohl in diesem Kuse,
Verblühtes Kind. Es müssen Blumen sein, Im Scharlachschmuck der Schönheit aufzuflammen Am Straßenrande. Dir wird Gott verzeih». — Uns andre doch, mög' er uns nicht verdammen.
So erlosch dieses Licht im Sumpfe. Aber der Dichter bricht hier nicht ab, indem er die Schönheit hoffnungslos, fatalistisch hoffnungslos, dem Henkerbeil ausliefert, son
dern er hebt seine Augen in die Sonne, sieht, wie die zuckenden Lichter sich wie helle Bänder um die steinernen Säulen der Kirche binden, er sieht weißgekleidete Kinder in die Kirche einströmen und hört die Glocken gehen. Aus den Tastengängen der Orgel aber bricht groß und zwingend das alte herrliche Osterlied „Christ ist er standen". Dieses Jugendwerk, das den ganzen Zauber hin reißender Jugendfrische atmet, ist noch voller Risse und
Lücken, die Sprache aber ist heiß und ungestüm, Byrons Geist waltet. Der Schluß ist von mächtiger Menschheits hoffnung angefüllt. Hier ist Carolath bereits der Künder der Erlösung aus der Tiefe des Lebens. Nun kommt das zweite, zeitlich weit spätere Werk,
„Die Sphinr". Ein schlechtweg geniales Werk, von stürmisch flatterndem Atem, von inbrünstiger Leiden schaft und von monumentaler Gedankenwucht. Sprachlich ist es von eherner Meisterschaft. Wie eine gewaltig brausende Fuge zermalmender Liebesleidenschaft geht das Werk einher. In „Angelina" stirbt das Weib am Manne, während hier der herrisch auffchäumende, mit
Gott und Welt ringende Mann durch die gleisnerische
Lüge und das feigherzige Versteckspiel des Weibes in den Tiefen seines Wesens erschüttert, bis in die brutale Tierheit geschleudert und endlich schmachvoll vernichtet
wird. DaS Epos ist ein flackernder Aufschrei. Der Held
ist der Dichter selbst. Die ganze tiefeingegrabene Sehn
suchtsangst seines
Lebens betet dämonisch inbrünstig
aus dem Werke heraus. Die erste Szene ist ein Liebesidyll zwischen Donna
Santa, einer
wunderschönen
knospenjungen
Grafen
tochter, und einem Offizier „aus dem Nordland". Ein Zypressenhain umschmiegt das Paar. Der blaue, selige
Himmel Italiens sättigt beide mit süßer, erschauernder Leidenschaft. Es ist Frühling. Donna Santa ist schön:
Ihr Ein Als Ein
Haupt war blond, um ihren Scheitel schmiegte Goldstrahl sich, den ihr herabgesandt Sonnengruß aus fernem, bessern: Land Liebesengel, der im Licht sich wiegte.
Eifervoll glückselig sucht sie, durch den Park rufend,
ihren Guy.
Endlich
... löste sich ein Schatten Vom lichten Grün, und aus dem Myrtenhaine Trat rasch ein Jüngling; seine Augen hatten Glückhellen Glanz. Aber noch heute muß der junge Offizier Abschied
nehmen, weil sein Vaterland ihn ruft.
Das Mädchen
zittert im Weh des Abschiednehmens. Der Schwur der
Treue, mit hartem Eifern gefordert, kommt wie das müde Zwitschern eines einschlummernden Vögelchens
von ihrem Munde. Dieses „Ewig treu sein" des Weibes
ist für Carolalh das von seichten Wassern überspülte Felsgeröll, das die zu Sieg und Glück hinausfahrenden Schiffe des Mannes kläglich stranden läßt. Es ist die ewige Lüge, die so viel Herrlichkeit im Manne erwürgt und zuschanden macht. Die Abschiedsszene zwischen den
beiden Liebenden ist von zauberhaftem Glanze. Wie ein leises ahnendes Träumen von Untreue und Verrat
kommt es über Guy: Er strich das Haar ihr endlich wie im Traume
Sanft aus der Stirn, sie schlug beglückt empor Die sehnsuchttiefen, blumenhaften Augen
Und lächelte.
Aus seinem Herzen rang
Sich wild ein Wort: Wirst du mir treu sein? — Ewig,
Sprach sie ganz ernst, und wunderseltsam klang Aus ihrem Kindermunde dieses Ewig. Sie schwiegen wieder.
Rötlich fiel ein Strahl
Der Spätnachmittagssonne durch die Hecken Auf ihre Stirnen.
Er schien aufzuschrecken:
Santina, bat er, sing zum letztenmal Mir noch ein Lied! Ich weiß eins, das du sagtest
Dor langer Zeit — es spricht von Glück die Weise
Und Wiedersehn — wie geht doch jenes Lied? Und fie, da rot die Abendsonne schied, Begann zu singen ...
Fern im Dufte schwammen Zarthelle Wolken; ihre Hände fanden Sich unbewußt und wie von selbst zusammen;
Der Abend sank, auf dämmerbraunen Landen
Ausblutend lag ein schattenhaftes Rot. Noch einmal hielt der Tag, der glückdurchsonnte,
Verzögernd Rast und strahlte letzten Frieden
Auf jene Kinder, deren Glück hinieden Versank am dunkeln Lebenshorizonte.
Eine schattenhafte Schwermut rinnt in das junghelle Glück der beiden Liebenden. Sie gehen auseinander. Er stürmt hinein in Krieg und Kriegesnöte mit der stachelnden Sehnsucht nach dem Sonnenkinde Santa im
Herzen. Wir finden unsern Helden wieder am Lager feuer, im Feindesland. Die Halfterketten der Pferde klirren. Am Lagerfeuer sitzen Offiziere. Einer von ihnen nestelt aus dem Kollette einen Brief hervor, in
den er sich vertieft; einem Kameraden, der ihn um den Inhalt fragt, bedeutet er, daß das schönste Kind in seiner Vaterstadt „durch Trug gewann des Ehstands Perlen
haube". Sie habe die Treue dem gebrochen, dem sie sich angelobt habe, um auf besonderen Wunsch des Papstes einen reichen alten Oberkammerherrn zu heiraten. „Ein jedes Weib hat ihren Preis, am Ende — selbst — Donna Santa!" Da bäumt sich vom Stroh ein Offizier auf — Guy ist es — und will dem Lügner an die Kehle. Der Brief überzeugt ihn von der häßlichen Wirklichkeit. Ein tolles Zechgelage soll dem todesfahlen Guy die Farbe wiedergeben. Mit rasendem, verrücktem Gelachter galop piert er hinaus in die Nacht. Hinan an den Feind!
Der im Herzen todwunde Guy wird von der Qual seiner Leidenschaft umhergehetzt wie das von Hunden verfolgte Wild. Der Blutdunst des Krieges kann den Schmerz nicht betäuben, der in ihm wühlt. Seine Seele schreit nach dem ungetreuen Weibe. Er geht zu einem greifen Rabbiner, der weithin im Lande seiner Weisheit wegen bekannt ist. Er will die Seele des WeibeS ent schleiert wissen, der Tigerin Weib will er in die Zähne
greifen. Bei dem Rabbi, dessen Zimmer von phan tastisch wirrem Aaubertande erfüllt ist, fragt der Mann
mit Gier nach dem Wesen des Weibes, das ihn ver nichtet hat. Aus sturmerregter Seele hervor flattern seine gierigen Worte wie schwarze Raben, die von Leichenfeldern kommen. Gib mir die Wahrheit über das
Weib! Ich will es wissen! Und so schildert er die schlan gengleißende Santa: Es hat die Frau, die meine Treu' besessen, Um Gold und Perlen ihres Schwurs vergessen,
Ob sie auch war die holdeste von allen, Ob mir auch galt ihr erstes Liebeslallen, Obwohl die Glut, die lodernd uns umflammt,
Ein Liebesfeuer, echt und gottentstammt.
Ich sah zu früh, daß Weib und Liebe narrten ... Nun sage mir: was sendet Gott ein Kind, Das durstig ist, in einen weilen Garten, Darin die Brunnen rings vergiftet sind?
Der alte Jude spricht nun tiefe Wahrheitsworte, die wohl öfter mit Ironie untermischt sind, sonst aber hart und grabend an die Wurzeln des Lebens rühren.
Er sagt es dem trostsuchenden Manne gerade heraus: „Dich foltert Selbstverachtung, denn du liebst noch jenes Weib, das dich verraten hat. Du liebst sie dennoch!" Und eifrig antwortet Guy: „Ich liebe sie!" Und nun bricht der Seelenarzt in die bitter schweren Worte aus: ... Wohl, so laß ab vom Kampfe,
Der aussichtslos.
Ein Menschenherz.
Nicht kämpft sein Lieben nieder Man ist nicht Herr im Haus.
Und wie vermöchte wohl das Fünkchen Ehre,
Das Körnchen Mut, die Dosis Mannesstolz Den Kampf, die Liebeszuckung zu bezähmen, Der Menschheit Veitstanz? Gegen Tod und Liebe
Gibt es kein Mittel. Nenn mir die Gewalt, Die mächt'ger als das Weib? Denk an Judith Und Delila, denk an Herodias
Und Helena! Noch keiner hat erschlossen Des Weibes Wesen.
Guy unterbricht die nun noch folgenden Auslassungen mit dem ungeduldigen Ausruf: „Jur Sache, Meister!"
Und weiter: ... An einem Sterbebette Stehst du als Arzt; gib dein« Tropfen her, Die besten Tropfen: warum ist die Frau
Urfalsch und treulos?
Wie leidenschaftlich hat der Dichter dieses Wort hinauSgeschrien! Diese Frage, die schon jahrtausendelang die Menschheit bewegte, wird hier unerhört kühn formuliert, und es flammt in der Frage schon wie eine drohende, gefährliche Antwort. Nie und nirgends hat Carolath seinen Pessimismus so hart und klirrend ausgesprochen. Wie ein aufpeitschender Sturm der Sinnengier rast es
hin durch diese Dichtung. Die Unterjocherschritte des Mannes dröhnen über Wege und Stege und blumen bunte Beete, achtlos, was an buntem Tande und an blitzender Schönheit dabei zertreten wird. Es geht hinweg über den Leib des Weibes, weil man zu der Seele deS Weibes keine Tür finden kann. Und der Leib des Weibes, der brutal enttäuscht, wird niedergetreten, und fiebernd geht die Jagd der Menschheit weiter nach der Seele des
Weibes. Der Rabbi findet wundervolle Worte für die
große Weisheit und Güte dessen, der das Weib so und nicht anders schaffen mußte: ... Wenn sein lechzend Roß Mit Wassern tränkt der kluge Beduine, Wirft ins Gefäß er eine Handvoll Sand, Das Naß zu trüben. Allzu tiefer Trunk Schadet dem Tiere. Sieh, dasselbe tat Der weise Schöpfer. In den klarsten Quell Der Lebenswüste tat er emsig Schlamm Mit vollen Händen; in den schönen Leib, Den süßen, sinnbetörenden des Weibes Goß er Gemeinheit. Ja, der Schöpfer ist Ein guter Hirte: allzu tiefer Trunk Schadet dem Tiere...
Aber auf alle die weisheitsvollen Einwendungen des Rabbi, die zur Entsagung mahnen, hat Guy nichts als das eine rasend hinausgeschrieene: „Mich dürstet, dürstet!" Und so stürmt er denn hinaus in die Nacht, mit der Gier nach Santa. Er bricht ein in das Schloß, wo sie an der Seite des alten Gatten ein innerlich leeres Prunkdasein führt. Mit wilden, gefährlichen Worten höhnt er die
Ungetreue, die ihm zuerst mit Lüge und dann mit blitzendem, herausforderndem Hohn antwortet. Bis in ihrem begehrenden, jugendheißen Leibe eine Flamme sich aufreißt, die in ihre Augen flackert und dem Jugend geliebten kündet: Es ist Zeit! Auf die Frage Guys: Warum warst du untreu? hat das Weib, das von den Schauern des Blutes geschüttelt wird, keine andere Ant wort als die alte, vielgegebene: Ich weiß es nicht! Schüler, Schoenaich-Carolath.
4
Dieses Bekenntnis des rein animalischen Wesens greift der Mann auf und ruft nun dem Weibe entgegen: Santa, ich glaube dir und sprech' dich frei. Ich sprech' die Frau von jedem Fehle los, Weil Gott mit Stein ihr leuchtend Herz umschloß, Weil um das Licht, das in ihr loht, sein Neid Als Hülle schlug ein kaltes Marmorkleid, Damit die Menschheit vor der Tempelhalle In Staub gebückt Entsagungsworte lalle.
Die beiden Menschen reißen sich aneinander in schranken
losem Genießen. Aber souverän waltet die Dichterkraft Carolaths. Die wildesten Schauer werden klar und golden
übertönt von hohen Worten, die sich Stärke und Schön heit an den großen, ewigen Quellen der Menschheit ge trunken haben. Es ist überhaupt das einzige Mal, daß
der Dichter die Sinnenstürme bis zur brutalen Sättigung
schildert. Während bei anderen Dichtern derartige Schil
derungen zumeist Selbstzweck sind, ist diese grellrote Glut durch eine leidenschaftliche Angst vor der brutalen Lüge
des Genießens am Weibe so abgedämpft, daß kein un reiner Gedanke aufkommen kann. Der wuchtig wie in Erz schreitende Pessimismus ist konsequent zu Ende ge dacht. Der Dichter bringt hier Bilder, die mit lapidarer
Anschauungsgewalt geschaut und gestaltet sind: ... Es war Morgenzeit, Um ihren Mund, den schönen, vielgeküßten, Lag stumpfes Lächeln satter Seligkeit. Sein Haupt, drin der Begierde Sturm verbraust, Sah trohig-fahl; es ruhte seine Faust, Im Schlaf geballt, auf ihren heißen Brüsten.
So läßt der Löwe wohl, den in Gedanken
Der Schlaf befiel an einer Beutestelle, Schwergriffig liegen seine mächtigen Pranken Auf der erwürgten, röchelnden Gazelle. — .. - Meiner Seele Schwingen
Lähmt Ekel, stöhnte Guy, es bricht mein Herz
Dor schalem Abscheu: nun, da Stillung hätte Der wilde Wunsch, verlor ich meinen Schmerz,
Das Diadem.
Santa, deren vom satten Überdruß des Mannes be
leidigter Leib sich jäh aus den Kissen hebt, wird zur erhabenen Priesterin: In jeder Frau liegt der tiefsüße Zug, Der unbeschreibliche, ein ewiges Sehnen
In uns zu wecken, daß wir aufwärts dehnen Zu Gott empor des Lebens Probeflug... Heil dem, der Glück beim Weibe nie gefunden
Und aus der Tiefe dafür segnen mag.
Das ewig Weibliche ist Schmerz ohn' Ende: Wer allsogroß, daß ohne Groll und Spott Er schweigend sich von Erdensonnen wende,
Steht freilich einsam da — doch eins mit Gott. — Und große Schmerzen müssen heilig sein.
Unselig, wer das Saisbild von Stein Nach einer Seele ungestüm befrägt, Nach Lust schreit — und die schöne Form zerschlägt.
Ihm wird aus Trümmern, aus verstreuten, grauen, Die leere Nacht lichtlos entgegenschauen.
Ein Todesgrauen überfröstelt Guy an der Seite der schönen Sphinr, die er auf ihre Nichtigkeit hin geprüft hat. Da das Weib, nach dem alles in ihm sich verzehrte, ein Nichts ist, so ist auch die Welt nichts, und so ist auch 4*
sein Leben nicht den Hauch wert, mit dem man melan
cholische Lieder aus einer Flöte weckt. Empört vor Ekel und Selbstverachtung, streicht er sich aus dem Buche des
Lebens aus. So ist hier der Pessimismus unerbittlich bis ans Ende der Dinge geschritten. Guy endet so: Zur Seite warf er Santas Haar, das blonde, Und führte tastend, ohne Laut noch Wort, Den Dolch ins Herz; so senkt sich eine Sonde Langsam und still in einen leeren Ort. Es stürmt eine herrliche Leidenschaft durch diese Dich tung, eine inbrünstig suchende Wahrheitsgewalt. Das Stück ist eine der grandiosesten Beichten in der deutschen
Literatur. Das Weib war die Feindin des Mannes, die sinnen gierige, seelenlose Feindin. Erlösung gab es nicht, als das türenzerbrechende Gelüst und nach brutaler Sätti gung das folternde Ungenügen und das wahnwitzige Hineinspringen in den Tod. Eine Skala zum Ver zweifeln. Da dichtete Carolath „Don Juans Tod". Er erlöste sich damit vom Weibe. Er hebt einen alten Stoff kühn und schöpferisch in das pulsierende Leben
und durchwirkt ihn mit unerhört neuen Gedanken. Die Dichtung ist ganz ausgereift, wahrend „Die Sphinr"
noch von prachtvoll wilden Frühlingsstürmen durch braust ist. Zwischen dem Vollendungsjahr der „Sphinr" (1883) und dem Beginn der Arbeiten „Don Juens Tod" (1890) liegt eine Reihe bedeutungsschwerer Jahre. Der Dichter hatte das Weib gefunden, das mit ihm die Wege
ruhigen Friedens ging.
Sein einsam suchend Leben
wurde erdensicherer im Jusammenwandern mit einem Wesen, das so recht bestimmt war, diesen sehnsuchtzerglühten Geist zu kühlen und zu stillen. Er hatte wohl kaum ein Organ für die Freude, sonst hätte er seinen wunderbar
ausklingenden
Lebensspruch
doch
anders
formulieren müssen: Auf Wanderschaft von trüber Art Zwang auch ich durchs Leben Ein büßend Herz, des Wahlspruch ward:
Geben und vergeben.
„Don Juans Tod" ist ein überaus herrliches Ver söhnungsfest zwischen Mann und Weib. So voller
Trunkenheiten, so voller Größe und Gewalt! Das Weib besiegt den Mann, den sturmrennenden und unersätt lichen, der nur ihren Leib besitzen will, mit ihrer Seele. Gegen das unreine, an der Erde hin qualmende Feuer seiner Sinnengier erhebt sich die Flamme ihrer Liebe und ihres großen mütterlichen Mitleids in freier, kühner Majestät. Hier erkämpft die Seele des Weibes einen unsäglich feierlichen Sieg. Die Sprache, von zwingender Wucht und lebendigstem Leben, ist von klassischer Voll
endung. Die Mythe von der Abstammung Don Juans ist von einer derartigen Kühnheit und phantastisch zwingenden Gewalt, daß ich nichts anzuführen wüßte,
was an nachgoethischer Poesie den, an die Seite zu stellen wäre. Diava, die Grusenfürstin — sie beherrscht ein paradiesisches Land im Kaukasus — sehnt sich nach dem Manne, der ihr im Traume erschienen ist. Frech und schön — aber todbleich und mit so seltsam tiefen.
flammenversehrten Augen. Ihr Volk drängt, daß sie dem Lande einen König geben solle. Aber sie muß die ungestümen Mahner immer wieder vertrösten. Sie
weiß nur von dem einen, nach dem ihr dunkles Auge brennt wie Lampen, „die durch Alabaster brennen". Da tost ein Tumult durch den Schloßhof. Ein Reiter ist mit rasendem Sprunge über die Brücke gesetzt, hat die bestürzten Wachen überrannt und steht wie ein über
höhter Mensch, der die Gesetze der Natur zerbrechen
kann, vor Diava, die ihn mit dem wilden Ruf empfängt: „Er ist es!" Don Juan, der spanische Tiger, hat von dem
Reiz der jungen Fürstin gehört und meldet sich so an, wie ein Raubtier in eine Hürde einbricht. Er ist da. Die Fürstin sucht in dem schönen Teufel eine Seele. Aber sie sieht nur Gier und Sturm in ihm. Sie dringt in ihn mit eifervollen Worten, um sein Wesen und Tun zu ergründen. Er höhnt es ihr ins Gesicht, waö er tun
und wollen muß: Im Lebenslenz, in Lebensungewittern,
Ob Sonnen stächen, ob mich Sturm umnachtet, Ist eines nur, danach mein Wesen wachtet
In ew'gem Durst, in Bangnis und in Zittern,
Ein Erdenziel erkenn' ich nur: das Weib — Am Weibe nur ein Göttliches: den Leib.
Diava fragt ihn erstaunt, ob er nie der Mutter Liebes hände kühlend auf seiner Stirn gefühlt hätte und ob er nie ein Weib „süß und groß" geliebt habe. Aber nichts hat ihr der glühende Gast am Lebensbacchanal darauf zu antworten, als: „Mich dürstet!" Da klafft die Türe
auf und die Vornehmen des Volkes kommen, um dein frechen Eindringling das Todesurteil jn verkünden. Diava erhebt sich, die Stirn von Glück und Hochsinn bekrönt und im Auge eine leuchtende Liebeswelt, und kündet, daß sie den Fremdling, ihr seit langem bekannt,
zum Fürsten und Gemahl erhebe. Ein Jubelsturm durch braust die draußen harrende Menge. Aber Don Juan
wirft der hochherzigen Fürstin flammende Hohnworte ins Gesicht. Er will lieber den Tod, als sich von der Ehe
Eisengattern langsam die Brust zerstechen zu lassen. Nun kann nichts seinen Tod mehr hemmen. Selbst die be schwörenden Bitten der Fürstin nicht, die mit ihrn, dem Geliebten, lausend schmähliche Tode mitstirbt. Da sie sieht, daß ihn nichts retten kann, bittet sie, daß sie diese letzte Nacht allein mit ihm bleiben dürfe. Es wird ihr gewahrt. In einer prächtigen Kirchenhalle will das Weib mit ihm um seine Seele ringen. Dieser Teil der Dichtung ist von einer so monumentalen Größe und so unerhört neu und kühn, daß ich den ganzen Teil hier folgen lasse, weil nichts geeigneter ist, Carolaths große Dichterkraft zu zeigen: Wie sinnbetörend deine Lippe brennt, Süße Diava, sprach mit heißem Schimmern Der Tigeraugen Don Juan entzückt.
Doch sie, zur Stirn die Hände wild gedrückt: Laß ab, erbarm dich! Hörst du nichts? Sie zimmern Bei Fackelschein im Burghof dein Schafott! Eh' dich der Tod von meiner Seite reißt, Enthülle mir, beim dreimal heil'gen Gott,
Wes deine Herkunft und wes Art du seist
Don Juan stieß der Kirchenfenster Flügel Wildblickend auf. Die Nacht war schwarz und heiß,
Ein Wetter stand am fernen Kamm der Hügel, Die Steppe lag blitzüberflackert, weiß. Die Bäume murrten bange, schwül durchhaucht, Am Himmel schimmerten verstörte Sterne.
Zuweilen hob sich Südwind in der Ferne Gleich einem Tier, das klagend, zornig faucht. Der Burghof flammte; rötlich angeglLnzt
Hob sich Gebälk aus Fackeln, pechbekränzt,
Die Säge schrie, dumpf scholl der Bretter Dröhnen. Don Juan warf vom Fenster sich mit Stöhnen.
Vernimm es denn, sprach Heisern Tones er, Es zeugte mich in Qualen Ahasver. Irrend ohn' Rast durch Länder, unbekannte, Sah er ein Weib. Sie schritt im Sommerwind
Am Rain der Felder, stolz, ein Götterkind; Staub zog am Weg, Gewittersonne brannte. Ihr Blondkopf sich auf edlem Nacken hob
Gebräunt und herrisch, ihren Mund, den roten,
Ihr starkes Haar, geschürzt zu straffem Knoten, Des Spätnachmittags Flimmergold umstob. Dies fremde Weib, gleich einer Königin Lüftend den Staub mit leichten Goldsandalen,
Trug göttlich Zeichen auf der Stirn, der schmalen, Venus war es, die holde Lesbierin.
Von Christenzorn aus ihrem Reich vertrieben,
War ihr kein Heim, kein Tempeldach geblieben. Nun schritt sie hin, verstoßen, sorgenschwer, In Götteraugen unerfüllte Träume, Im Haar den feinen frischen Ambrahauch Attischer Luft und weißer Meeresschäume. £)b war der Weg, die Heide heiß und leer. Und plötzlich hob, am Weg, aus Schutt und Sttauch
Sich Ahasver. Er sprach: Ich möchte ruhn,
57 Mich einmal noch am Weibe gütlich tun,
Vom Fluch gehetzt in allen Erdenwinden
Mag ich vielleicht am Herzen einer Frau Erbarmen, Labung, kurze Ruhe finden.
So zwang der Bettler ungefüg' und rauh Mit wilder Lust die marmorkühlen Glieder Des weißen schlanken Götterleibes nieder Am Straßenrain auf einem Nesselbette.
Kein Auge sah den jäh vollbrachten Raub, Von fern nur krochen, über Hügelländern,
Gewitterwolken, schwere, violette, Mit dunstgeballten, gelbgezackten Rändern. Und als die Göttin aus Gestrüpp und Ranken Entsetzt sich hob, sah fernhin sie durch Staub
Im Abendrot den Bettler weiter schwanken.
Sie selbst, auf irrem Wanderzug, gebar, Als es die Zeit, ein starkes Zwillingspaar, Das ward von ihr, im Kampf mit Weh und Hassen, An eines Grabens braunem Rand verlassen. Ein Wandersmann, des Saumtier Waren trug,
In Linnen mild die früh Verwaisten schlug,
Und nahm sie mit sich für ein Gottvergelt. Bald zogen sie, zwei Herrscher, in die Welt. Das Priestertum der Lust, des Sangs, der Dirnen
Schuf Don Juan, sein Jwillingsbruder Faust Als Fürst weltferner Hochgedanken haust In deutschen Herzen, deutschen Dichterstirnen... Dies, Königin, ist meine Lebenssage.
Dann packt die Angst des Sterbens den Lebenssatan Don Juan. Wie der Prinz von Homburg wimmert er vor den wirren, grausen Schatten, die über die Fenster
brüstung steigen und ihm den Hals zuschnüren wollen. Ein wundersam inbrünstiges Zwiegespräch zwischen dem
vom Sterben gerüttelten Manne und dem jungen Weibe, in dem das mütterliche Erbarmen aufstehl, fügt sich an. Dann aber funkelt wieder der Trotz in dem Manne auf.
Lieber einem Tiger in den Rachen springen, als sich
wehrlos von Schlangen umringeln lassen. Er zerbricht mit einem tobenden Faustschlage des Chorwerks Eichen truhe, reißt daraus die schweren Meßgewänder hervor und häuft alles aufeinander. Dann will er Feuer hinein schütten und so mit Diava ein Hochzeitsfest ohnegleichen
halten: Ha, stöhnt er dumpf, zur Brautnacht welches Pfühl! Ins Schloß das Tor, kein Fremder soll uns stören, Der Südwind singt im Turm das Hochzeitsamt.
Doch sie, bang forschend, zitternd, glutdurchflammt: Begehrst du mich, soll dir mein Leib gehören?
Jetzt wäge wohl.
Leib oder Seele. Sprich —
Die Seele, rief er, denn ich liebe dich Und will dir folgen durch die Seligkeiten.
Hier ist der sittliche Höhepunkt der Dichtung. Ein Sieg, der von der hellen Sonne des Christentums über strahlt wird. Die Flamme in den Gewändern wütet auf, auf wildem Roß reitet der Sturm an, die Lohe rennt um die Burg und frißt die Burg und die Stadt. Der Dichter schließt mit dem wundervollen Wort: Wen Liebesmacht auf feurigem Gefährt,
Auf Flammenspeichen rettet vom Gemeinen,
Dem werden Sonnen der Vergebung scheinen Im Heimatland, des Frühling ewig wähtt.
Über die Gewalt dieser Dichtung kann wohl nur eine Stimme sein. Nach Goethe ist nichts Derartiges gemacht
worden. Hamerling hat in seinem „Ahasver in Rom"
auch ganz hinreißende Schönheiten, aber es fehlt ihm die sittliche Wucht, die erhabene Prophetengebärde
Carolaths. An diese drei großen episch-lyrischen Gedichte schließt
sich „Judas in Gethsemane".
Diese Dichtung ist
völlig im Christentum begründet.
Die Fabel ist frei
erfunden und mit modernem Ideengehalte angefüllt. Die Sprache ist wundervoll ziseliert, gedankengesättigt und blutvoll. Christus ringt im Garten Gethsemane seinen Abschieds
kampf. Die harten Nöte des Sterbens tasten an seine Seele, die von allem Licht verlassen scheint. Die ganze Lebens- und Liebestätigkeit Jesu gleitet in raschen, be wegten Bildern an uns vorüber. Aber nichts bleibt, als schwere, peitschende Schauer des Todes. Da tritt plötzlich Judas Jschariot vor Jesus. Mit wilden, zer schneidenden Worten zeigt er das unstillbare, nach Er
lösung schreiende Lied der Welt: Der Menschheit Straße, die kein Glück erhellt, Die Pendelwandrung von Begier zum Leide.
Der Dichter legt dem rasenden Ankläger hier Worte in den Mund, die von Haß und Rache triefen. Carolath hat im Erbarmen und Mitleid eine wunderbare, nach Quellen grabende Tiefe, während sein Haß gegen das Schlechte wie ein blanker, funkelnder Eisberg in die Luft steigt. Ich finde, daß er im Haß noch elementarer, noch mächtiger ist. Die Rede Judas', der Jesus ein
starres Schweigen gegenüberstellt, schlägt wie mit Keulen
auf Blumenbeete. Es sind so Haßgischende Verse in der Dichtung, wie sie in der deutschen Literatur kaum stärker gehört sein dürften. Nun du gesandt hast in der Menschen Mitte, Wo nur der Tod verbürgt und sicher haust, Den eignen Sohn, soll helfen meine Faust, Daß er den Riß mit seinem Blute kitte. Weil ich in ihm, in seines Mantels Falten Gott selbst zur Erde niederreißen kann, So will ich greifen ihn und klammernd halten, Daß Rache mir sein Martertod gewähre.
Durch den Sturm läuft nun der Verfluchte und schreit nach Knechten, daß sie Jesum bänden.
Bewaffnete
treten auf den Plan, und der, der Jesum um dreißig Silberlinge verschachert hatte, schlich durch die Büsche zur Pforte. Jesus aber hat keine Entgegnung auf alles das, auf die entsetzlichen Anklagen des Judas und auf seine Gefangennahme, als tiefes Schweigen: Doch Jesus schwieg, von seinem Auge brach Ein Leidensblick, es folgten in die Ferne Dem irrenden, verlornen Kinde nach Des Heilands dunkle, stille Augensterne.
Carolath drückt seinem Stoff einen durchaus christlichen Stempel auf. An dem Werke entzücken uns die Neuheit der Ideen und die Kraft und Schönheit der Ausführung.
*
*
*
Wir treten jetzt an die kleineren Stücke, die teils der
Gedanken-, teils der reinen Stimmungslyrik zuzurechnen sind. Gleich das erste Stück des zweiten Bandes „Re-
guiem" ist sehr stark.
Die Sprache, von Platenscher
Struktur, wälzt gigantische Gedankenblöcke. Vielleicht die Überfracht der Gedanken schreckt naive Leser nicht
selten hinweg von all diesen Kostbarkeiten. Die Gedichte setzen viel voraus. Wer aber in ihre Schönheit hinein zutauchen vermag, der wird köstlich belohnt. Das deutsche Volk muß sich zu diesem Dichter noch hinaufleben. Ich will in der Folge auf die Gedichte Hinweisen, die auf
mich immer wieder mit neuem Zauber wirken. „Albumblatt":
So
Hab nicht zu lieb die knospende Rose: Es flöge gar bald
Ohn' Heimat und Halt Ihr Duft dir vorüber ins Uferlose. Unsterblich ist Schmerz allein.
Was nie du besessen,
Ersehnt, nie vergessen,
Wird deines Himmels Grundbau sein.
Manch einer, der mein Büchlein liest, auf dessen Blätter ich weiter nichts hinschreiben möchte als treue Liebe und innigtiefe Dankbarkeit für den Dichter, wird bedauernd eine geistreiche Stellungnahme zu den Werken Carolaths vermissen. Auch das Geschnatter der kriti schen Hackemaschine wird wahrscheinlich bitter vermißt
werden. Ich bin durchaus nicht blind gegen Carolaths dichterische Fehler, aber ich will nur im edelsten Sinne werben für das Reich dieses Hohen, das nicht von dieser Welt ist. Wenn ich nur einige herzubringe zu der Ge meinde derer, die mit ihm wandern gehen, in Sehnsucht
zur Schönheit, so ist meine Aufgabe erfüllt.
Solche,
wie sie der Dichter mit folgenden Versen kennzeichnet: Ein tiefes Leuchten zuckt im Edelstein.
So bricht aus Herzen, die von edlem Stamme,
Rastlos der Liebe gottgeborne Flamme,
Der finstern Welt ihr Strahlengut zu leihn.
In seinem „Aus alter Zeit" findet er wundervolle Worte für die Herrlichkeit deutscher Märchen. Wenn ich an Carolath und zusammen mit ihm an unser großes Deutschland denke, so überkommt mich eine heiße Freude. Wer hat wie er immer und immer wieder mit so herr
lichen
Worten
von
seinem Deutschland geredet, so
spornend, blitzend und hoffnungsherrlich! In dem eben
bezeichneten Gedicht sagt er: Gesegnet seist du, Liederpracht, Du tiefe, du deutsche, du holde,
Du Schatz, der unserm Volke lacht In unvergänglichem Golde, Dich werden hüten und lassen nicht
Die Herzen von deutschem Schlage, Auf daß ihr Leben bei ernster Pflicht
Stets lachende Rosen trage ...
Gleich füge ich hier an den „Gruß an Deutschland", den er um die Jahrhundertwende dichtete. Die schönsten
Verse daraus sollen hier wiedergegeben sein: Mein Deutschland, du bist stark und groß, Und doch ist eigen deinen Söhnen Ein weicher Kern, ein Sehnsuchtslos Nach allem Fernen, allem Schönen ...
Im schwarzen Schachte gleißt das Erz,
Der Hammer dröhnt, die Funken springen,
Doch heimlich hört das deutsche Herz Im Hörselberg die Geigen klingen; Dom Zug der Esse scharf umbraust,
Der Meister läßt kein Säumen merken,
Doch immer lebt als Sohn des Faust Er über seinen Erdenwerken. ... Heil unserm Volke, das mit Wucht
Die Scholle pflügt, der wir entstammen,
Und dennoch Lebensgipfel sucht, Drauf ew'ge Wachefeuer flammen. O Deutschland, was dich herrlich macht, Sind deines Herzens starke Triebe
Zu Dichtung, Frauen, Liederpracht; Dein bestes Teil ist deine Liebe.
Und wie um trotz'ger Eichen Schaft Sich wilde Rosen blühend ranken, So schlingt um deutsche Reckenkraft Die Schönheit ihre Lenzgedanken.
Die deutsche Mannestreue hoch! Wohl hat sie herrlich Gut erkoren, Doch höher steht ihr, heil'ger noch
Das Vaterland, dem sie geboren ... Solang' noch unsre Wange brennt Beim holden Gruße schöner Frauen, Solang' man Arbeit heilig nennt
Und Treue gilt in deutschen Gauen,
Solang' vom Wasgau bis zum Belt Wir treu zu Gott und Kaiser halten, So lang' wird keine Macht der Welt
Der deutschen Marken Grundwerk spalten.
Des hohen Erbteils walte frei, Mein Volk, daß deinem Schwert, dem scharfen,
Geeint des Friedens Pflugschar sei, Und Liederfrühling deinen Harfen;
Ein tiefes Lied, ein heller Schlag Und ein Gebet, voran den beiden —
So darfst du, grüßend neuen Tag, Dom stürzenden Jahrhundert scheiden.
Wie wunderbar von Abendfeier gesättigt ist sein „Abendlied". Eichendorffsches Klingen und Sprießen und Goethescher Gedankenadel einen sich hier, ohne daß irgend eins dieser Vorbilder wegeweisend gewesen wäre. Auch die klare, sinnenfällige Schlichtheit des alten Wands becker Boten liegt über diesem dichterischen Gebilde, das zugleich einen kühn gezimmerten Rhythmus aufweist. In den Schlußstrophen liegt mächtige Gebetskraft: Ach, Herr, nimm hin mein Lebensgut,
Zerbrich mir Ehre, Stolz und Mut,
Doch neig dich meinem Bangen, Vergönne, daß mein letzter Schrei Ein „Dennoch, Herr, dir glaub' ich" sei; Mehr will ich nicht verlangen. Komm, Hirt, allew'ger, führe du Dein Kind der großen Heimat zu,
Durch Kreuz und Sterbestunden;
Halt über allen Sündern Wacht, Bis sie sich dir zurückgebracht Und selig heimgefunden.
Ich weiß, daß des Prinzen hoher Wunsch war, dem deutschen Volke, das er mehr liebte, als je einer ahnt, kräftige neue Gebete zu geben, aus denen sich Stärke
Handschrift
andschritt des Prinzen.
in zerbrechende Seelen beten ließ. Sind die eben wieder gegebenen Verse nicht erhaben, schlicht und gewaltig, nicht des Tröstens und geweihter Fülle voll? Je mehr Carolath reift, um so kühner und vor allem bestimmter formuliert er seine Gedanken, um so hin
gegebener arbeitet er an seiner Sprache, die klassisches Gepräge tragt. Vor allem aber wird sein Rhythmus mit den Jahren immer sieghafter und souveräner. Im Rhythmus ist Carolath genial. Er schafft selbstverständlich, er ist gesetzgeberisch. Die kurzen, wie absplitternden Schlußverse haben sehr starke rhythmische Wirkung. Das Gedicht „Letzter Sonnentag" bricht, nachdem es bis dahin ordnungsgemäß gebaut ist, so ab: Dein müdes Haupt neig meinem zu, Im fröstelnden Sonnenschein
An meiner Brust in tiefer Ruh'
Schlaf ein.
Als wäre der letzte Vers plötzlich zerbrochen, ab geköpft, wie wohl die Mutter im Singen plötzlich inne hält, wenn sie merkt: das Kind ist schon von Träumen umgaukelt, ist eingeschlummert und atmet ftiedevoll und tief. Ich füge wahllos die Gedichte hier an, ganz gleich, welcher Art sie sind, wie sie mir beim Durchblättern der Bände kommen. Da ist das „Spielmannslied", das in volksliedartiger Schlichtheit von drei Rosen und drei Küssen redet, die die Liebste dem hinauswandernden Burschen gibt. Die Schwüre von Lieb' und ewiger Treue, die sie obenein gibt, verblassen aber sehr schnell. Die Schüler, Schoeaaich-Earolath.
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Liebste wird an einen reichen Mann verfreit und der
arme Bursche wird ein Spielmann, Der fiedeln geht, bald ernst, bald heiter,
Von Tür zu Tür, von Land zu Land.
Dasselbe Thema von verratener Liebe zugunsten eines reichen Dritten durchzieht in den mannigfachsten Abwandlungen den Kreis der Carolathschen Dichtungen. So „Böse Heimkehr", „Lied des Gefangenen", „Vom Scheiden". Einige Strophen aus der zuletzt
genannten: Wenn dir ein Mägdlein recht gefällt Und sie nimmt einen andern,
Dann heißt es, in die weite Welt
Zu wandern.
Dann führt der Dichter an, was man alles draußen in der Welt tun könne, uni das süße, marternde Ge dächtnis der Ungetreuen aus der Seele zu löschen. Es wird gewüstet, gezecht, es geht hinein in Gefahren und Schlachten, alles kann nicht helfen und heilen. Das Ge dicht schließt: Wenn dir ein Mägdlein recht gefällt Und sie nimmt einen andern, Dann ist's am besten, aus der Welt
Zu wandern.
Hier könnten noch viele Gedichte Platz finden, die alle von auffälliger Schönheit und Stärke sind. Ich füge eins an, das auf mich stets einen sehr starken Eindruck machte, das, wie man sagt, meine Jugendliebe war und
von unverlöschlichem Aauber für mich ist. Es ist eine
kurze, schluchzende Geschichte, gefüllt mit allen Feuern
und allen Tranen zweier Menschenherzen. sich „Künstlerroman".
Sie nennt
Als tot auf schlechtem Gasthofbette lag
Sein junges Weib bei Unschlittkerzenflammen,
Da schob Papier, verstreutes, er zusammen, Und schrieb darauf bis an den grauen Tag.
Es ward an Inhalt und an süßem Schalle
Ein also großes ewiges Gedicht,
Daß die Genossen es verstanden nicht — Und schweigend wichen, tiefergriffen alle. Er aber blieb allein mit einem Sarg,
Darin begrub er seine Jugendliebe, Und jenes Buch, das ew'gen Ruhm verbarg, Und das kein Denker leichthin nach ihm schriebe,
Er schob es unters fahle Goldgelock Als Ruhekissen für die schöne Tote Und riß sich aus den Hecken einen Stock Und schritt hinaus ins Morgenlicht, das rote.
Dann, im Weiterblättern, stoße ich auf das wundervoll edle, sinnige und innige „O Deutschland", das dem ewigen Bestände der deutschen Lyrik eingereiht ist: Mondschein und Giebeldächer In einer deutschen Stadt — Ich weiß nicht, warum der Anblick Mich stets ergriffen hat. Dort drüben beim Lampenscheine
Ein Jüngling starrt ins Licht, Und schwärmt und schluchzt und empfindet Sein erstes und bestes Gedicht.
Dort sitzt eine junge Mutter, Die wiegt ihr Kind zur Ruh', Sie lächelt und sinnt und betet Und singt ein Lied dazu.
Cs blickt auf die mondhellen Giebel Tiefsinnend ein Greis hinaus, Er hält in der Hand die Bibel, Drin liegt ein welker Strauß. Die Bäume rauschen, es funkeln Die Sterne ab und zu; Dort unten liegen die dunkeln Häuser in tiefet Ruh'.
Es plätschert in alter Weise Am Simonsplatze der Born, Von weitem tutet leise Der Wächter in sein Horn ... O Deutschland, mir tat's gefallen In manchem fremden Land, Dir aber hat Gott vor allen Das beste Teil erkannt. Du lebst und schwebst und dämmerst In tiefer Seelenruh', Wenn du dein Eisen hämmerst, Erklingt ein Lied dazu.
O lasse dir niemals rauben Die alte Schwärmerei Für Frauen, Freiheit und Glauben — Bleib unentwegt dabei!
Daß du vom Born der Sage Mögst schöpfen Frömmigkeit Und Kraft zu wuchtigem Schlage Nun und in Ewigkeit!
An die Herrlichkeit dieses Liedes reicht kaum etwas anderes heran, was das gleiche Thema behandelt. Der
deutsche Geist blüht und blitzt uns hier entgegen und deutsches Wesen feiert seine tiefergriffenen Feste. Weiter
komme
ich
zu
einem Liebesliede, „Letzter Tanz".
Eine brausende Leidenschaft schreitet in den Rhythmen
dieses Gedichtes, das ich für eine der bedeutendsten Hervorbringungen der nachgoethischen Lyrik halte. Eine unendliche Erhabenheit liegt hier in Wort und Gedanke.
Aus dem Zufälligen herausgehoben, wächst das Gedicht
in riesige, einsame Höhen des Allgemein-Menschlichen hinauf.
Dergleichen gelingt selbst großen Dichtern nur
in „Sonntagsstunden".
Wohl seins der Carolathschen
Gedichte dieser Gattung ist von gleicher Vollendung.
Das Gedicht hat alles: äußerst spannenden Vorgang, emi nente Stimmung, geniale Steigerung und hinreißende
Wort- und Verskraft. Ich habe es von Leuten gehört, die durchaus literarisches Urteil haben, daß sie dieses Gedicht
für das Vollendetste erklären, was Carolath je geschaffen hat.
Und doch liegt's zeitlich so weit zurück.
Aber es
atmet den stürmischen Schwung der Jugend, ist von heißestem Atem und wie in einem Zuge hingeschrieben.
Wohl alle Anthologien haben sich seiner bemächtigt. Es soll hier folgen für Leser, die eS noch nicht kennen:
Es glüht im Fieber das graue Haus, Lichtstreifen fallen breit hinaus Auf sommertrübe Gassen; Es flammt der Saal von Kerzen ganz, Und wir beide tanzen den letzten Tanz, CH' wir uns müssen lassen.
Ich bin gezogen von Meer zu Meer, Und als ich heimkam, die Taschen schwer, Warst du die Braut eines andern; Die Spatzen riefen's von jedem Dach, Die Basen zischten und sprachen's nach:
Das kommt vom Wandern, vom Wandem.
Wir tanzen, als habe der Tod dich gepackt, Es fegt deine Schleppe spitzengezackt In welken Orangenzweigen,
Schon geht der Zeiger auf Mitternacht,
Dein junger Gemahl, er sieht's und lacht — Es schluchzen so wild die Geigen ...
Ich wollte, wir irrten im nordischen Land, Von keinem geliebt, von keinem gekannt,
Im Schneesturm über die Heide, Und daß du ruhtest unbewußt In meinem Mantel, an meiner Brust,
Und daß wir stürben beide.
Wohl noch weiter zurück als das eben angeführte
liegt ein anderes Gedicht, „Aus der Jugendzeit", das volksliedartig ein Lied vom verlorenen Glück singt. Der Pessimismus, der aus diesem Liede aufflattert, wie der graue Vogel über der Heide, weiß von keiner Sonne und von keiner Erlösung. Grauer Himmel, weglose, unendliche Heide, ein mattes, sehnsüchtiges Flügel schlagen und kein Ziel und keine Heimat. Eine dunkle Not kriecht über das Heidekraut. Der Dichter sieht den Vogel flattern und ruft ihm zu: Waldvogel über der Heide,
Der klagend die Heimat mied,
Ich glaube, wir beide, wir beide Haben dasselbe Lied.
Der Dichter hört aus beni lang hinausgestoßenen, kläglichen Schreien des Vogels seine Klage um das ihm v)m Norbsturm zerstoßene Nest. Aber er tröstet ben flrgelschlagenben Gesellen: Tröste bich mit mir, bem
auch bas zertrümmert würbe, was er so fest wähnte. Was er hie!t unb ewig zu Hallen glaubte, bas ist ihm weg gerissen worben. Wir beibe haben eine Heimat unb in ihr bas Köstlichste verloren, was wir hatten. Die Heimat ist
bahin, jetzt heißt es. Neues zu suchen. Verzweiflungsvoll rebet ter Dichter weiter mit bem grauen Unheilsgefährten: Wir Das Und Und
wollen zusammen singen Lied vom verlornen Glück, wollen uns weiter schwingen nimmer kehren zurück.
Dieses Gebicht stammt aus Carolaths frühester Samm
lung ,Lieber an eine Verlorene" (1878). Ein ungestüner Schmerz rebet aus ben Versen. Der Schmerz um bie Verlorene seiner Jugenb konnte in ihm nicht zur Ruhe kommen. Byron unb Heine waren bamals bie Leitsterne bes jungen Poeten mit ber stürmischen Hingerisscnheit ber Seele. Der Gebankenbann ber beiben
Rageiben im Lanbe ber Poesie war unverkennbar, aber Die eigenen Töne klingen schon burch. De: Zyklus „Westwärts" enthält leibenschaftlich be lebte Gebichte, bie einen schönen Beweis für bie starke Phantasie unb Vergegenwärtigungskraft Carolaths geben. Der Dichter war nie in Amerika, obwohl man es nach dieser Gedichten annehmen müßte. Wie Schiller seinen Teil schuf, ohne je die Schweiz gesehen zu haben, so
hat Carolath die amerikanische Landschaft und den Odem der Dinge gefühlt und erfaßt. Für sehr stark halte ich
das Gedicht „Sulamith", das den Gedanken des Er barmens wundervoll herausspinnt. Der Stoff ist höchst eigenartig.
Satan, auf seinem Wanderwege über die
Erde, rastet auf einem Felsen im Judäerlande. Ole anderbäume umblühen ihn. Um den Felsen brandet das Meer.
Den weißen Ufersand überrieseln wie at
mend in Träumen ringelnde Schaumblitze. Es war um die Osterzeit. Scharen von Pilgern zogen die Straße.
Der Klang der Glocken und die inbrünstigen Pilger lieder flössen in eins. Da plötzlich, „wo die Straße scharf sich wendet, stockte der Festzug". ... Quer im Wege lag Erschöpft ein Bettler. Hingestreckt im Sand, Rief jammernd er: Laßt mich nicht Durstes sterben, Erbarmt euch meiner, reicht den Wasserschlauch Um Jesu willen. Zitternd schleppte sich Der Greis, kniefällig, mit gerungnen Händen Hin zu den Priestern. Die doch riefen laut: Auf nach Jerusalem! Den Kleidersaum Aufschürzten sie, des Bettlers hagern Leib Hvchüberschreitend.
Satan lachte. Aus seinen Augen „brach ein Blitz wilden Triumphes, sein Lachen war so satt von Hohn, satt von Verachtung". Ein einziger großer Jubelschrei kam von seinen Lippen: Welt, du bist mein! Der Bettler lag hinsterbend auf dem Wege. Da kam ein Maroniten-
weib daher, arm, auf dem Kopfe trug sie eine Last Brennholz und im Arme ein schlafendes Kind.
Da sah am Grabenrand Den Greis sie liegen. Ihre Bürde tat Sie von der Schulter, kniend sank sie hin Und nahm das Haupt des Kranken in den Schoß. Der Bettler sprach: Hilf, ich verdurste, Weib. Und rings kein Quell! ... Da überlief ein Rot, Ein tiefes Rot des Weibes schöne Züge, Erbebend löste, sacht, sie das Gewand Und bettete das wüste Greisenhaupt An ihre keusche, sanft geschwellte Brust. So blieb sie lang. Dann endlich griff zum Stabe, Gestärkt, der Bettler. Abgewandt und stumm Wies sie den Weg ihm, und er taumelte Hin an den Hecken. Sie doch wandte sich Zu ihrem Kind und weinte.
Das ist mehr als Barmherzigkeit. Und es ist wohl Carolalhs schönster Dichter- und Lebenskranz, daß er mit so erhabener Leidenschaft für die Gebückten und Gedrückten eintrat. Zu welcher Höhe hatte sich sein Menschentum hinaufgehoben! Er war ein Erfüller der Lehre vom Mitleid zu denen, die unserer Hilfe bedürfen. Das Maronitenweib überwindet das schamhastigste
Weibtum und tränkt den Greis, einen fremden Mann, an ihren Brüsten und errettet ihn so vor dem Ver schmachten. Diese Szene könnte wohl einen großen Maler verlocken, all den Herrlichkeiten, die in diesem Stoff liegen, nachzugehen. Satan, der vorher so höhnend frohlockt hatte, sah diesen Vorgang, der sein Siegertum
in Scherben schlug, wie man ein Glas in Scherben schlägt, worin Gifttropfen aufbewahrt wurden. Satan sah es und schwieg still vor Grauen und Angst um sein Reich.
Doch Satan blickte regungslos ihr nach Aus götterleeren, abgrundtiefen Augen.
Ich komme jetzt zu dem Zyklus „Hans Habenichts". Hier steht das unumwundenste Selbstbekenntnis, das Carolath hinterlassen hat. Er ist der stürmische Held Hans Habenichts, der sein blondes Edelkind zurücklassen
mufj, mit dem er „süßheimliche Liebe" gehabt. Er scheidet mit ahnender Angst im Herzen, weil „der Kauf
herr gern Edelblut" freit und weil er der Ritter ist,
der nicht Hab und Gut zu bieten hat. Er geht in die Welt und ihm bleiben drei Dinge, auf die er seine Zu kunft baut: das im kargen Vaterhause geglühte Schwert, das die Armen und Unbeschützten schützen soll, sein Vaterland, das Deutsche Reich, dem er Leib und Blut
verschreibt, und der starke Fels seiner Liebe, an dem alles zerschellt, was bedrohlich anschaumt. So ist sein ein schönster Reichtum und eine schimmernde Rüstung. Aber was er ahnte, geschieht: Sein blondes Lieb wird verkuppelt
an einen der reichen Ratsgesellen. „Sie hob den Zunft pokal zum Mund — Fahr wohl, mein Vielgetreuer." Das Lied ist aus. Vorher, in seiner ahnenden Verzagtheit um sein Lieb, das von lockendem Reichtum umgirrt wird,
singt er das wundervolle Lied von den Frauen, die ein Ringlein aus früh zersprungenem Golde im Herzen haben.
Dies „Frageliedlein" zerqualt ihm den Sinn, immer wieder muß er's singen, und immer wieder muß er fragen: Was müssen Frauen auf Erdenplan, Und seien sie noch so holde, Im Herzen ein heimlich Ringlein han, Ein Ringlein von falschem Golde?
Die Liebste ist verloren. Hans Habenichts betet mit glühenden Worten Rache vom Himmel hernieder: Schicksal, daran mein Glück verbraust, Leg mir ein Schwert in die Bettlerfaust. Gib mir, statt Weib und Kind, zum Lehn Alle, die herdlos und einsam stehn. Wirf mir das hungernde Herz in den Sand, Rette mein stürzendes Vaterland ... Heilige Jungfrau, durch Schmach und Spott Hilf uns zur Rache, hilf uns zu Gott.
Er schickt sich an zum Rachewerke an dem tiesverhaßten Krämervolke. Mir nahmen die Reichen das letzte Gedeihn, Das einzige Schäflein vom Bache, Nun leg* ich das gleißende Schlachtschwert ein Für der Enterbten Sache. Bald reit' ich, ein Rächer, ins Land hinaus, Dor Heeressäulen jagend, Gestorbener Liebe schwarzen Strauß Am raubenden Schilde tragend.
Hans Habenichts, dessen Schwert in einem Kriege um das große heilige Deutsche Reich immer voran ist,
wird zum Ritter geschlagen. Die Rache laßt ihn aber nicht schlafen. Er sammelt einen Haufen Kriegsvolk und nimmt, als der Rat eben zecht, mit stürmender Hand die Stadt, darin sein treuloses Lieb zu finden ist. Ein wüstes Rauben und Morden gellt durch die Stadt.
Der Rächer sucht sein Lieb, das Ratsherrnweib. Durch Würgewerk und Gassenbrand Reitet zum Rathaus Hans Fahrinsland,
Breit glänzt sein Schlachtschwert in der Faust, Bleich schaut er, daß dem Volk es graust. Dort knien, das Festgewand am Leib, Der Ratsherr und sein weinend Weib.
Aber er will weiter keine Rache nehmen. Die beiden sollen leben, weil das Weib den Mann schützt, der in Todesscheu sich duckt. Er heißt die beiden weiterleben: Zieht hin im Strahl des ew'gen Lichts, Teilt Herz, teilt Gut der Armen, Und kommt der Tag des letzten Gerichts, Dann betet für Hans Habenichts, Des Gott sich mög' erbarmen.
Sich selbst gibt er folgenden Wegweiser für das Leben, das er nach der genommenen Rache als abgeschlossen
erachtet: Ich habe Hoffart, hab' Verrat Gestraft mit Feuerruten; Nun hilf mir, Herr, zur letzten Tat, Laß mich als Büßer, als Soldat Fürs Deutsche Reich verbluten.
So geht er hin, hinein in ein funkelnd ritterlich Ster ben. Das Herrlichste an diesem Gedicht, das ohne straffes
Ausammenfassen dahinstürzt wie ein Frühlingswasser, ist der Traum des Hans Fahrinsland von einem Frie denskaiser. Das Bild, das er hier gibt, ist visionär ge schaut, mit verzauberndem Klang ergreift uns die herr liche Lockung: Dann über die Walstatt mög' reiten, gefaßt, Ein Kaiser, den still wir loben, Kein Krieger, von rotem Standartendamast Und Tubaruf umstoben.
Ein Friedenskaiser, sonnengroß
An Demut und Erbarmen,
Der mit Sankt Martins Mantelschoß Bedeckte die Not der Armen,
Der segne den friedlichen Meilerbrand,
Das Kornfeld, die wogenden Eichen, Der schreibe weit über sein herrliches Land Aufjubelnd des Kreuzes Zeichen —
Dann ist erfüllt der große Traum, Komm, heilige Sonnenwende;
Ich hinge mein Schwert an den Eschenbaum, Mein Lied nährn' fröhliches Ende.
Der letzte Teil der Gedichte, Weihnacht 1903 seiner Frau gewidmet, enthält wahre Perlen lyrischer Kunst. Ich habe diese Gedichte sehr lieb. Sie offenbaren mir immer wieder neue Schönheiten. Ein feierliches, großes Ahnen und eine erdeerlöste Weihe ist in ihnen, wie
lebendiger Atem in einem Leibe. „Lenzfahrt" ist seherisch groß und peitscht wie mit Ruten. „März abend" ist voll tiefster Stimmungsgewalt. Ebenso „Über dem Moore". Das zuletztgenannte Gedicht ist von erstaunlicher Schilderungskraft.
Ein eigenwilliger,
zuckender Rhythmus trägt das sattfarbige Bild aus der Marsch, das feierlich groß endet. Eines der wunder barsten Gedichte, die Carolath geschrieben hat, heißt „Über dem Leben". Hier ist das menschlich Große,
das in Gott taucht, ganz ohne kirchlichen Zierat ans Licht gebracht. Ein feines, prächtiges Gedicht folgt: „Vermächtnis". Des Dichters Töchterlein, Prinzeß Elisabeth, hat einen leisen Strahl von der Dichtersonne
ihres Vaters aufgefangen. Der spinnt ein feines, klin gendes Gewebe goldener Fäden. Des so ganz eigene Gedicht sei hier teilweise angeführt: Komm, braune Laute, zierlich, schlank,
Leg schlafen dich tief in den Schrark. Dereinst bricht Helle Sonnenflut Ins Dunkel, drin du lang geruht,
Dann wisse, daß mein Töchterlein Dir aufgetan den alten Schrein ...
Die Laute, Kind, leg still zurück;
Dies Saitenspiel bringt Schmerz, ncht Glück. Den Fürsten scholl zu schrill sein Kling,
Dem Volk zu hoch der Singesang,
Den einen schien er golden, echt,
Den andern schien er kupferschlecht, Und ob das Lied von Gott auch kan, Dem Sänger schuf es Erdengram. Die braune Laute, zierlich, schlank,
Laß schlafen, Kind, in ihrem Schrark. Beginnt in deines Herzens Raum
Ein Lied den Wandervogeltraum, So danke Gott, doch laß zum Licht Dein Lied, die Taube, fliegen nicht. Das Lied hat große Himmelseil',
Doch jeder Taube harrt ein Pfeil;
Sie hebt die Schwingen himmelan, Doch Herzblut haftet stets daran.
Dieses Gedicht ist zugleich eine fest klare, mutige Selbstbeichte. In der Tat schreckte de schrille Klang der Carolathschen Verse voller Zorn md Not um die
ans Kreuz geschlagene Menschheit woh manchen auf, der hatte ändern und bessern können.
Ein überaus liebliches Friedensbild mitten im Kriege
entrollt das
Gedicht
Gewittern".
„Neben
Awei
Heere im Vernichtungskampfe ringen vor Metz. Da steht ein blonder Junge aus Ost- oder Westpreußen auf Posten. Er hat dafür zu sorgen, daß ein bestimmter
Weg nicht überschritten wird.
Ein französisches Mäd
chen^ noch halb ein Kind, sammelt ganz in der Nahe Beeren in einen Krug. Plötzlich schrie sie auf. Eine Kupfernatter, die zusammengeringelt dalag, hatte sie gebissen. Der Soldat sah e$, stürzte herzu, kniete nieder, sog das Gift aus und rettete so das Mädchen. Der Dichter schließt das feine, mit seinen herben Gegensätzen äußerst
wirksame Stück mit den Worten:
Ein Völkerkampf brach dort sich Bahn, Hier ward ein Liebeswerk getan, Und welches der Werke größtes war, Macht einst das Jenseits offenbar. Denn nur die Liebe kann erlösen Don Haß, von Krieg, vom Fluch des Bösen. Das Liebesgedicht „Tiefblaue Veilchen" ist von tiefem Schmerz durchzittert. Es hat eine leidenschaft
liche Belebtheit ur.d ist von feinstem Stimmungszauber. Es handelt auch wieder von zwei jungen Menschen. Das Mädchen, untreu, wankelhaft und von elterlichen Einflüssen bestürmt, nimmt „den andern, den reichen Mann". Dieses Thema behandelt Carolath mit nim mermüder Abwardelungsfähigkeit. Hier in diesem Ge dicht ist der Schlrß besonders eindrucksvoll. „Der be trübte Landsknecht" eröffnet den wundervollen
Reigen der Carolathschen Landsknechtslieder, in denen er hinreißend originell, bildkräftig und von volkslied
artiger Schlichtheit ist. In bangem Heimweh denkt ein Landsknecht seiner fernen Liebsten. Der Regen durch strömt das Land. Wie ein schwarzer Schleier liegt die Ahnung des nahen Todes auf seinem Herzen. Er will,
um das geängstete Herz stille zu machen, ein Sträußchen Rosmarin darauf decken. Das haben zwei Hände, zwei schmale, Durchflochten mit schwarzem Band, Drauf haben zum lehten Male Zwei Mädchenlippen gebrannt.
Von großem Glanze und hoher dichterischer An schauung ist das „Hugenottenlied". Es zeigt alle Vorzüge Carolathscher Art in seltenstem Maße. Mit knappsten Worten macht es die Situation blitzschnell lebendig. Alle Vorgänge sind wie von buntem benga lischen Feuer überfunkelt. Hier ist das Gedicht: Der Staub bedeckt die Hügel, Antraben Heeresflügel, Bataille ward heut angesagt. In großer Morgenkühle Steht brennend eine Mühle; Ihr Funkenschopf zum Himmel ragt. Es rückt beim Trommelstreiche Das Heer zum Scheldedeiche, Der Feind im Rottenfeuer steht; Der Brände Schwaden schmauchen, Und durch den Wind ein Rauchen Verkohlter Keherknochen geht.
Handschrift des Prinzen.
Drei Sünden tun mich brennen, Die will ich frei bekennen,
Sind Würfel, Wein, sind Weib genannt. Auf, Feldchoral, ertöne, Die Drachenbrut, o Herr, gewöhne, Zu fressen zahm aus deiner Hand. Am Brückenkopf der Schelde Ballt sich zuhauf im Felde Feindlich gesinnte Reiterei.
Stückknecht, greif frisch zur Lunte Und triff ins Herz die bunte Hispanisch-röm'sche Kumpanei.
Nun fällen wir die Speere, In unsre blanke Wehre
Einlaufe Welscher und Papist. Heut lernen Knecht wie Fürsten, Daß es um Ruhm und Länderdürsten
Ein böses Kegelschieben ist. Jetzt schmettern die Kartaunen, Im Stoße der Posaunen Derschläng' uns gern der Fürst der Welt;
Ein Dunstgewölk voll Panzerblitzen, Ein Wettersturm voll Pallaschspitzen An unsrer Lanzenfront zerschellt. Die Seidenfahnen schweben,
Gar vielen jungen Leben Ist bittres Sterben nah.
Fahr, Welt, fahr, Gut, von hinnen,
Herr Christ, hilf uns gewinnen Die Schlacht in Ehr' und Gloria.
Ebenso
ist
„Der
Gernegroß"
eine
heißblütige,
frische, schöne Dichtung. Ein lustiger Bursche, ein BruGchüler, Schoenaich-Carolath.
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der Tunichtgut, geht aufs Wandern. Am Marienbilde vorbei, „das segnen will mit sieben Schwertern im
Herzen". Er klagt der wundertätigen Magd Gottes seine Not und daß er nun auf Abenteuer ginge. Er meint, daß ihn bald Landsknechtswind einfangen würde. Und dann käme die Schlacht heraufgeflackert. Die Trommeln rasen und rufen und die „Rottensalven rollen". Er weiß, daß im Sturm des Glückes heute
manch Krönlein wanken und niederfallen wird. „Möcht' eines mir fallen wollen", betet er voll abenteuernden Glücksdurstes. Und weiter: Ich bin ein armer Gernegroß, O Jungfrau, wirf geschwinde Ein blitzend Sternlein aus deinem Schoß, Daß ich groß Wegglück finde.
Maria aber, die Erdenfremde, versteht nichts von
solchem Glücksbegehren. Sie will die eigenwilligen Wege des jungen heißblütigen Menschen wieder zu andern Zielen wenden: Maria spricht im Sonnnenbrand: Bitt, daß am letzten Wege Der Heiland dermaleinst die Hand Aufs Haupt dir tröstend lege.
„Die Ketzertaufe" ist eine straffgeschürzte Ballade, die äußerst glückliches Zeitkolorit trägt. Fanatischer Haß lodert in der Dichtung. In Prag ist's. Von der Moldau
brücke wird ein junges „fürnehm Mägdlein" herabge stürzt, weil es nicht vor der Monstranz gekniet hat. Man nannte das in jenen von Religionswirren zerquälten
Zeiten „die Ketzertaufe". Da bricht sich ein Ritter mit seinen Knappen ungestüm Bahn. Er sieht das Grause. Mit hartem Sporenstoß zwingt er sein Roß über die
Brücke. Es springt. Ein HufbliH auf der Brüstung, Um Mann, um Roß und Rüstung Austlatschend brach der Moldaustrom.
Dem Ritter gelingt das Retterwerk. Das starke Schlachtroß stampft und schwimmt. Mit dem blassen Mägdlein im Arme gewinnt er das Ufer, wo schon die Knappen seiner harren. Er führt das Kind auf sein Schloß in Franken und macht es zu seinem Weibe. DaS Gedicht schließt mit dem erhabenen Ausblick: Der Ritter schirmt sein Krönlem, Er hebt gar bald ein Söhnlein Dem greisen Roß zum Widerrist. Schwarz streicht der Haß durch Böhmen, Laß Kraft und Treue strömen Aufs Deutsche Reich, Herr Jesus Christ.
Auch das Gedicht „Der grübelnde Landsknecht" rechnet zu den vorzüglichsten Landsknechtsliedern. Sie bilden eine ganz neue Art in der deutschen Lyrik. Carolath ist auf diesem Gebiete unbestrittener Meister. „Der letzte Gang", ebenfalls zu dieser Gattung gehörend, ist von schwerblütiger Art und von bangen Todes
schauern durchweht. Ein Landsknecht ersticht im Zorn seinen „Leutnant", der die Frauen höhnt, und muß dafür^sterben. Er wird hinausgeführt.
Drei große Trommeljane Gehn vor umflorter Fahne; Das Volk die Schiebefenster lüpft, Will schauen, wie zur Schande Auf einem Haufen Sande Der Blondkopf mir vom Rumpfe schlüpft.
Schon winken fromm und heiter Don goldner Jakobsleiter Mel Cnglein mir voll Zuversicht. Bitt, Kapuzinerpater, Für mich zum ew'gen Vater; Ein schlimmer Landsknecht war ich nicht.
Die Landsknechtslieder soll das wundervoll stim mungsinnige „Der säumige Landsknecht" abschlie ßen. Es redet von Marschieren, von Staub und Müh sal des Weges. Das Herz des von Heimweh erdrückten Landsknechts ist weit ab von allem Heer- und Kriegs getümmel. Nur widerwillig marschiert er mit „auf Glück und Gnade". Das ergreifende Gedicht schließt mit den Worten: Mir lebt ein Lieb zu Hause, DaS weinte, wenn ich stürb'.
Es sollen nun noch einige besonders markante Ge
dichte behandelt werden, um dann zu Carolaths Prosa werken überzugehen. Von tiefster Fülle der Gedanken und großer geweihter Schlichtheit des Ausdrucks und der Gestaltung ist „Valet". Der Dichter läßt hier sein
Leben an sich vorübergehen. Alle Liebe ist ausgeliebt, alle Freunde sind verstoben, alle Pfade, die rosenum
schlungen ins Land leuchteten, sind verstaubt.
Bald über den Feuerherden
Don Lust und Lebensspiel Singt Sturm den Abschied auf Erden. Ach wieder ein Kind zu werden
Ist tiefes heiliges Ziel.
Ich hab' einen schlichten Psalter, Voll leisem Lavendelduft, Das ist ein Lebenserhalter;
Aus ihm, trotz Staub und trotz Alter Steigt Auferstehungsluft.
Das Bibelbuch ist ihm Heil und Hort, es „kennt nicht Zeit noch Tod". Eine große Hoffnung durchströmt den
Dichter, der das Leben allezeit so grabesschwer nahm, die Hoffnung, daß der Tag bald gedeihen werde, wo auch sein Mund „Jubelmelodien singen lernt". Dieser Tag ist nun über ihn gekommen, rascher, als er's denken mochte. Seine großgeahnte Erlösung zur Freude ist vollendet. Ein gigantischer Gedankenpalast ist das Gedicht „Kraft und Sehnsucht". Tiefes Erbarmen mit den Schwachen durchläutet die Verse wie Glocken, die durch schwere, finsterste Nacht rufen und vermatteten Wanderern gar
lieblich von Herberg und Heimat reden. Zuerst wird der starke, robuste Arbeitsmensch vorgeführt, der mit Wucht und Lust das Eisen glüht und kernhaste Werte schafft. Der hört „den Spruch mit Lachen: Ium Kehricht mit den Schwachen!" Für diesen mit der Schwielen
hand hat nur das Wert, was Erfolg hat. Sein gehal tenes Auge weiß nichts von den Kräften, die der Ieit geheimnisvoll entrückt sind. Auf den berußten Arbeits-
mann, der nur im Augenblick wurzelt, redet der Dichter mit herrlicher Eindringlichkeit ein: Mein Freund, es gibt ein Lebensgrün, Das wächst nicht bei der Esse Sprühn; Es walten über dem Arbeitstag
Viel Kräfte, davon dir kaum träumen mag -.. Es zog für deinen Lebenssieg
Vielleicht ein andrer in den Krieg, Ein andrer, der nicht wiederkam
Und dessen Weib verstarb in Gram. Um deinen Hammer, der gleißt und vollbringt,
Ein feiner Lebenszugwind singt Das leise mahnende Vermerken
Von fremden, zersprungenen Lebenswerken;
Es halfen dir Siegendem zum Vollbrachten
Oft fremde, verlorene Lebensschlachten, Den Hammerkeil, den Eisenklopfer,
Hebt nur des Holzscheits Funkenopfer; Es kann kein Werk durch Kraft bestehn,
Die Sehnsucht muß im Bunde gehn ... Gilt nur die Kraft als Jukunftswert
Und sinken der Sehnsucht Flammen, Bricht unrettbar am Arbeitsherd
Das stärkste Volk zusammen.
Wie K. F. Meyers „Chor der Toten" zieht das Ge dicht weltferne Gleise. Erhabenster Schwung kreist um das Geschaffene, das Ewige blitzt aus den tönernen Formen, die dahinsinken müssen, ohne dem gedient zu haben, wozu sie gebaut wurden. Manches Leben, das sich tastend durch schmerzliche Dämmerungen fragte, ist weiter nichts als ein scheuer Sehnsuchtsruf, der wie eines Wasservogels Schrei im Schilfe erstirbt.
Aber
zu einem Schrei reichte dies Leben dennoch aus. Und dieser Schrei wirbt und zeugt Kraft zum Schaffen.
Der Dichter findet hier wunderbare Worte: Um uns nach Gottes Ratschluß ruht Des Unerfüllten Segensgut,
Das Walten ist's des Ungebornen, Des Unerreichten, früh Verlornen ... Es banden unsre goldnen Garben
Getreue Helfer, die früh verstürben, Fern über den Sttömen, darauf wir schwimmen, Viel bunte, zitternde Lichtlein glimmen.
Das sind die sehnenden Heimatsgedanken
Der Herzen, die früh im Sttom erttanken... Um unsrer Kinder Haupt und Leben
Beschirmend gute Geister schweben Von Menschen, die einst in fremden Landen
Gestorben sind und das Glück nicht fanden.
So nimmt an unsern Gütern teil Ein hütendes, ein fremdes Heil.
Es eilt ein Glück, das sich verlor,
Das unerfüllt, zu Gott empor, Und neugeboren steigt es nieder
Ans Herz, im heiligen Kehrwieder. So schließt der Sehnsucht Sttahlenschwinge Um Gott und uns die goldnen Ringe,
Hoch über dem Leben sollst du hören Ein fernes Brausen von Cngelchören.
Das ist Gewalt, das ist Sturm. Hier ist Carolath umgürtet mit dem Mantel des Propheten, der Gottes Mantel gestreift hat. Eine Erhabenheit, die bewußt bis ins Unfaßbare hinaufgesteigert ist. Es ist, als ob der
Dichter sein Leben lang nach Gott und den göttlichen
Dingen gehungert und gedürstet hätte; als ob er ein Teil aller Sehnsüchte wäre, die das Leben bis ins innerste
Mark erfüllen. Abschied nehmen von dem Lyriker Carolath will ich
mit dem Gedicht „Trost", in dem die ganze Summe der Liebe und Sehnsucht zusammengefaßt ist, die dem
deutschen Volke in diesem Dichter gegeben war. Das Trauern gib auf Um verfehlten, verlorenen Lebenslauf, Cs bleibt kein Suchen vergebens. Dereinst kommt Kraft; Das Wollen schafft Vollendung ewigen Lebens. Was sehnend erdacht, Ob nie vollbracht, Nicht sinkt es zum Unerfüllten. Im Marmorblock Schläft das Goldgelock Der Schönheit, der sacht verhüllten.
Ein Meißelschlag, ein durchfieberter Tag Kann deinen Tempel bauen. Der Nebel weicht, Noch heut vielleicht Wirst Gott du schauen.
Der Lyriker Carolath hat dem deutschen Volke un endlich Herrliches gegeben.
ÖQQir kommen nun zu dem Erzähler Carolath. Es ist
ein langer Weg, den seine Entwickelung hier durch messen mußte, um von den „Geschichten aus Moll" bis zur „Kiesgrube" zu kommen, die ich als eins der Meisterwerke deutscher Prosa bezeichne und dicht neben
Storm und Liliencron stelle. Die „Geschichten aus Moll" stellen zehn Novellen dar, die in den Jahren 1874—83 entstanden sind. Die Erzählung „Schön Lenchen" ver faßte er schon mit 22 Jahren, als er noch Kolmarer Offizier war. Die Erzählungen haben insgesamt leid volle Liebe als Grundakkord. Aber jede von ihnen zeigt eine neue Seite, eine Vertiefung, ein Wachsen und Erlösen. Ich halte die Erzählung „Die Rache ist mein" für die stärkste. Hier ist eine Wucht von Lieben und Hassen, ein Sturm der Leidenschaften und eine eisern zupackende Künstlerhand am Werke. Hier sind Menschen gezeichnet; die Leidenschaften sind ganz ohne
jedes Bedenken hinausgeschrieen. Der Schauplatz dieser Novelle ist ein geschlagenes, langsam zurückweichendes Heer, eine russische Armee. In der höchsten Gefahr war für sie ein neuer Heerführer vom Zaren gesandt, den noch niemand kannte: General Graf Wassil Barinski. Er hatte sein Leben wie einen Sturm über sich hinbrausen lassen. Eine ungeheure Schuld lag hinter ihm.
Er war über die Ehre seines Vetters Trekuroff
hinweggegangen wie ein rohes Tier über Blumenbeete.
Ein Knabe war aus dem ehebrecherischen Begegnen zwischen Raissa, der Frau des genannten Vetters, und
Barinski hervorgegangen. Im Feldlager ging eben ein Kriegsrat zu Ende. Als das Zelt leer geworden, rückte Barinski, der Ober befehlshaber, den Sessel ans Feuer und las einen Brief,
den er schon
einige Tage bei sich führte. Der kurze
Brief lautete:
„Soeben erfahre ich, daß Wassil in Ihre nächste Um gebung kommandiert ward. Wenn ich als Russin auch stolz sein muß, ihn vor dem Feinde und unter Ihrem Befehle zu wissen, so blutet doch das Herz der Mutter
in namenlosem Bangen. Er ist mehr als mein Sohn — er ist die Verkörperung meiner und Ihrer unermeßlichen
Schuld. Kehrt er heim, dann will ich an Vergebung glauben. Wachen Sie über dem Heile, über dem Leben meines Kindes. Raissa." Barinski war einst mit Raissa verlobt gewesen, hatte ihr dann aber kurz erklärt, daß er eine andere liebe.
Sie hieß Vera und stammte auö einer verarmten Fürsten familie. Barinski wurde von ihr ausgesogen, enttäuscht und fortgeworfen. Dann kam die furchtbare Sünde zwischen ihm und Raissa, die inzwischen Trekuroff geheiratet hatte. Leutnant Trekuroff trat bei dem General ein, das
Abbild seiner Mutter. In einem von stolzer, wahrer Vaterliebe und jugendlicher Begeisterung erfüllten Zwie
gespräche will Barinski den ungestüm nach Ehre ver-
langenden Jüngling nach Petersburg zurücksenden, um ihn zu retten. Er soll seine Mutter und sein „Liebchen"
wiedersehen. Er werde doch wohl eins haben. Der junge Mensch flammt auf. Ja, er hätte eine Liebste,
die er mehr liebte, als alles auf der Welt. Es ist dieselbe Vera, die einst seinen Vater vernichtet hat. Der General ist wie von Sinnen. Diese Teufelin, die sich mit tausend Künsten jung erhalten hat, will seinen Sohn verderben. „Ihr Bild," schrie der General, „du mußt es bei dir haben, leugne nicht, ich weiß es ... her mit dem Bilde, ich befehle es dir!"
„Ihr Bild -"
ES lag in einer flachen Goldkapsel; die fliegenden Finger des Generals schlossen sich darum mit so wildem Griffe, daß die Hülle aufbarst.
War es ein Spuk? Ihm entgegen zuckte ein fein geschnittenes, elegantes Gesicht, etwas müde vielleicht, etwas welk, aber mit dem alten, sieghaften Zuge dämo
nischer Urmacht, dem grausamen Lächeln der Russalka, der Teichnire, die aus Torfmooren höhnt und den Ge
foppten mit ihren unabwendbaren Augen in die schwarze Lache hinabzieht ... Das knisternde sattrote Haar kräu selte sich um die schmale Stirn wie ein Streifen Lohe; wo es über der Brust zusammenschlug, am Rande des Bildes, stand in langen, feinen Schriftzügen der alte kühne Lockruf: „Je t’adore“. Wie der General nun mit erschütterndem Schrei den
Namen des Weibes nennt, meint der junge Mensch, der
General habe auch von ihrer Schönheit gehört und wäre
eifersüchtig. Maßlose Wut erfüllt den bis zum Wahn
sinn Verblendeten. Mit wilden Worten schmäht er Barinski, in dem ein entsetzlicher Entschluß kämpft. Er stellt eine Frage auf Tod und Leben: „Wenn du zur Wahl gezwungen wärst zwischen deiner Mutter und
jener Frau — wenn eine von ihnen sterben müßte, um der andern Platz zu lassen auf Erden ..." „So würde ich meine Mutter beklagen," sprach Trekuroff rasch, „über ihre Bahre aber die Frau zur Hoch zeit führen, die ich liebe." Der General schreit ihm ent gegen: „Das wirst du nicht tun, sie ist eine Ehrlose!"
Da fliegt der Degen aus der Scheide und der Sohn stürzt sich mit furchtbarem Fluch auf den Vater, um ihn niederzuschlagen. Offiziere treten unvermutet ein. Man will den Rebellen festnehmen. Der General ver bietet es. Er kommandiert seinen Sohn nicht zur Mel
dung nach Petersburg, nicht zum Stabe, sondern zum ersten Bataillon der ersten Angriffsstaffel ... Der nächste Tag brachte einen schwer erkämpften Sieg. „Vom ersten Bataillon der ersten Angriffsstaffel kam keiner wieder, auch nicht der Leutnant Trekuroff." Diese Erzählung ist in Wurf und leidenschaftlicher Ausgestaltung des Stoffes wahrhaft groß und erschüt ternd. Es soll dabei auch nicht gar zu lebhaft bedauert werden, daß der Zufall so willkürlich spielt. Vera, das
reife Weib, kann nach zwanzig Jahren wohl noch ebenso verderblich wirken, wie sie es als vielleicht Siebzehn jährige getan hat. Alles andere aber stürmt an wie Gewitter, das alles Leben unter Hagellasten begräbt.
Sehr bedeutsam in der Idee unter den Geschichten aus Moll ist die Novelle „Vom Könige, der sich totgelacht hat". Überraschend gefügt und glanzvoll sicher in allen Teilen ist „Lia".
Ich kann aber die „Geschichten aus Moll" nicht ver lassen, ohne auf „Die Königin von Thule" näher einzugehen. Diese Novelle ist von entzückender Grazie,
sonnige Phantasie spinnt ihre Fäden und die Idee ist hochpoetisch. Aus einer Salonplauderei heraus bricht wie ein Quell ein Märchen von unsäglich feinem Stimmungs- und Sprachzauber. Ein kleiner Kreis guter Bekannter, Männer und Frauen. Frau Regina, die Herrin des Hauses, ist die schönste und geistreichste der Frauen. Alles beugt sich neidlos ihrer Überlegenheit. Nach längerem Ge plauder bat einer: „Singen Sie uns etwas, gnädige Frau." Frau Regina setzte sich ans Klavier und sang: „CS war ein König in Thule —" Es war, als litte sie unter der Macht des eigenen Liedes, das die Zuhörer bezwang. Sie sah so fremd
artig aus, so durch fernste Zeiten herbeigelockt, als passe sie ganz in den Rahmen der Ballade. „Die Königin von Thule —" sagte eine Stimme; man wußte nicht, woher sie gekommen. Dieses Wort schlug alle in den Bann. „Die Königin von Thule! Seltsam. Alle Welt nennt den alten
König, aber an die Königin hat keiner je gedacht, kein Dichter hat sie besungen."
Ein hitziger Streit um die Königin von Thule ent brennt. War sie jung oder alt? War sie treu oder un treu? Eine Märchenstimmung atmet durch den Kreis der Gäste. Da steht einer aus dem Kreise auf, Gunther Stormeck, und sagt: „Ich kenne die Königin von Thule,
ich will ihre Geschichte erzählen, obgleich es nur ein Märchen ist."
Alle lauschten gespannt. Und er begann — Das nun folgende Märchen ist so duftig, so leiden schaftlich süß und strahlend, so schwermutsvoll und sonnig, daß es abgedruckt werden soll. Die Sprache zeigt
feinste Verinnerlichung und durchschimmerndes Leben. Und Gunther Stormeck begann: „Bor tausend Jahren war alles anders als heute, man hatte den schwarzen Frack noch nicht erfunden und es gab keine Eisenbahnen. So kam es, daß ich eines Tags, als Ritter gewappnet, auf schnaubendem Rosse vor einem Schlosse hielt. Es war ein Schloß hoch am Meer, von blühenden Gärten umschmiegt; es war von weißem Marmor und hatte zahlreiche Türme und Zinnen. Das Gatter war geschlossen, die Löwen am Tor tagend drohend
und starr, als habe sie im Aufrecken der Schlaf gepackt. Die Leute von damals hatten keine Visitenkarten und besuchten einander selten — denken Sie, Contessina, wie schrecklich —, es blieb mir also nichts übrig, als zur Harfe zu greifen und ein Lied zu singen. Die Töne flatterten wie Schwalben um die spitzen weißen Dachfirste, und
wie durch einen Zauber hob sich das Gatter. Ich ritt über die silberbeschlagene Brücke, durch zwei, drei Höfe,
in denen Brunnen sprangen, und hielt vor der großen Freitreppe, die Zügel locker, das Visier hoch aufgeschlagen. „Da erblickte ich die Königin von Thule, sie stand auf hohem Söller im Kreise ihrer Frauen. Sie trug ein Gewand von weißem Stoff, hellschimmernd in der Sonne, im dunklen Haar ein Kränzlein weißer Früh lingsblumen. Zu beiden Seiten der Treppe drängten sich Ritter und Mannen, reckenhafte Gestalten in gleißen dem Waffenschmuck; Mohren trugen ein samtenes Kissen,
das legten sie zu Füßen der Königin. Ich kniete darauf und entbot ritterlichen Gruß, sie reichte mir sanft die Hand und forderte mich auf, mich zu erheben. Sie hatte ein sehr süßes Reden, ich aber war befangen und senkte
den Blick. Sie war schön, wie niemals ich ein Wesen erschaut. „Nun bliesen die Herolde hell und schmetternd einen Hornruf, und die Königin reichte mir die Hand, daß ich sie zum Festmahl geleite. Das war in einer hohen Halle,
darein die Sonne fiel, prächtiges Gerät deckte die Tische; auf einem derselben stand nach altem Brauch ein ehern Becken, darin ein Stierkopf in roter Lache, den Kranz
von Buchsbaum darum. Hohe gehenkelte Krüge warteten des Durstes der Helden. Die Königin brach weißes Brot, gab mir davon und reichte es den anderen; zuzeiten nahm sie auch eine Schale voll goldhellem Wein, die war also schwer, daß ihre Hand zitterte. Sie trank davon
und gab sie mir, ich aber suchte die Stelle, wo ihre Lippen
d