Priesterweihe auch für Frauen?: Überlegungen für die Beibehaltung der ausschließlichen Weihe von Männern in der katholischen Kirche 3402129493, 9783402129494

Der bekannte Theologe Klaus Berger schaltet sich mit diesem Buch in die aktuelle Debatte um die Priesterweihe von Frauen

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German Pages [225] Year 2012

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Table of contents :
Title
Inhalt
1. Zu Beginn
1.1 Mein persönliches Interesse
1.2 Religiöse Metaphern bilden einen Kosmos
2. Das Modell Jesu
2.1 Vollmacht hat, wer dient
2.2 Das Stärkere dient
2.3 Dienen, Beten, Prophezeien
2.4 Jesus selbst ist das Beispiel
2.5 Der sichere Weg zu Hoheit, Macht und Ehre
2.6 Wer betet, ist Großmacht
3. Christliche Prophetinnen
3.1 Prophetinnen als Schülerinnen des großen Meisters
3.2 Frauen streiten gegen Bischöfe
4 Das paulinische Modell
4.1 Es gilt die gestufte Abbildlichkeit
4.2 Autorität nach dem Abbild-Schema
4.3 Sind Frauen Abbild vom Abbild?
4.4 Nach 1 Kor 14 geht die Frauenregel auf ein Wort Jesu zurück
4.5 Lieber nicht öffentlich reden?
5. Gottesbild und Frauenbild
5.1 Verhindert Gottes Männlichkeit das Priestertum der Frauen?
5.2 Doch priesterlich?
6. Die Begründung des Amtes aus der Liturgie
6.1 Nicht wie die Engel
6.2 Engel als Gemeinde Gottes
6.3 Spannung zwischen Engeln und Frauen
6.4 Engel zwischen Leben und Tod
6.5 Engel und Gottesdienst im Tempel
6.6 Wie man Frauen sieht, so denkt man vom Menschen
6.7 Frauen als Exempel der Gnadenlehre
7. Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum?
7.1 Besprechung der Bibelstellen
7.2 Beobachtungen zu den Bibelstellen
7.3 Der priesterliche Charakter der Christen
7.4 Es geht im Ganzen um Metaphern
7.5 Worin besteht der priesterliche Charakter aller Getauften?
7.6 Der katholische Priester ist kein beamteter Kulttechnikerim vorchristlichen Sinn
7.7 Die Ältesten nach Num 11
7.8 Zwei Priestertümer, ein allgemeines und ein Amtspriestertum?
7.9 Die Zukunft der Rede vom allgemeinen Priestertum
8. Neue Schöpfung
8.1 Gilt nicht „weder Mann noch Frau“?
8.2 Zum Kontext in Gal 3 und Gal 6
8.3 „Weder männlich noch weiblich“
8.4 Verweigerung der Menschenrechte
8.5 Zur Frage der Menschenrechte generell
8.6 Die Ferngeltung der Bibel
8.7 Unterschiedliche Konzeptionen von Gottesdienst
9. AUSBLICK
9.1 Was für Frauen bleibt
9.2 Was getan werden kann
9.3 Diakonat der Frau?
10. Und andererseits ... Frauen als Amtsträgerinnen in einer vereinten Christenheit?
10.1 Ausschlusskriterien
10.2 Möglichkeit der Realisierung
10.3 Bedingungen
10.4 Theologische Denkbarkeit
10.5 Grunderfordernis
10.6 Zusatzargumente
11. Klartext
Literatur
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Priesterweihe auch für Frauen?: Überlegungen für die Beibehaltung der ausschließlichen Weihe von Männern in der katholischen Kirche
 3402129493, 9783402129494

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um die Priesterweihe von Frauen in der katholischen Kirche ein. In seinem Buch diskutiert er das Für und Wider und plädiert dafür, das

Priesteramt weiterhin von Männern ausüben zu lassen.

Der Band versteht sich als kritischer Beitrag

zu einer Diskussion, die nicht nur Theologen, sondern alle kirchlichen Ebenen, Verbände

und interessierten Kreise seit langen Jahren

beschäftigt und die überdies von großem Gewicht für die Ökumene ist. So führt die ökumenische Perspektive Klaus Berger am Ende

auch zu der Frage, ob und in welchen Grenzen weibliche Amtsträgerinnen in einer vereinten Christenheit womöglich doch akzeptiert werden können.

ISBN 978-402-12949-4

Priesterweihe auch für Frauen?

sich mit diesem Buch in die aktuelle Debatte

Klaus Berger

Der bekannte Theologe Klaus Berger schaltet

Klaus Berger

Priesterweihe auch

für

Frauen?

Klaus Berger Priesterweihe auch für Frauen?

Klaus Berger

Priesterweihe auch für Frauen?

Für Martin und Elisabeth Mosebach

Inhalt 1. Zu Beginn  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   11

1.1 Mein persönliches Interesse  . . . . . . . . . . . . . . . .  11 1.2 Religiöse Metaphern bilden einen Kosmos  . . .  13 2. Das Modell Jesu  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   16

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6

Vollmacht hat, wer dient  . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  16 Das Stärkere dient  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  21 Dienen, Beten, Prophezeien  . . . . . . . . . . . . . . . .  27 Jesus selbst ist das Beispiel   . . . . . . . . . . . . . . . .  28 Der sichere Weg zu Hoheit, Macht und Ehre  .  29 Wer betet, ist Großmacht  . . . . . . . . . . . . . . . . . .  30

3. Christliche Prophetinnen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   34



3.1 Prophetinnen als Schülerinnen des großen Meisters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  35

Der Fall der Prophetin nach Cyprian  39.

3.2 Frauen streiten gegen Bischöfe  . . . . . . . . . . . . .  46 4. Das paulinische Modell  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   54

4.1 Es gilt die gestufte Abbildlichkeit  . . . . . . . . . . .  54 4.2 Autorität nach dem Abbild-Schema  . . . . . . . . .  59

5

Inhalt

4.3 Sind Frauen Abbild vom Abbild?  . . . . . . . . . . .  60 Die paulinischen Aussagen 60. — Zu 1 Kor 11, 2–16  62. — Hintergrund der Logos-Christologie  67. — Gibt es eine aktuelle Bedeutung von 1 Kor 11?  70. — Menschen zweiter Klasse?  72.

4.4 Nach 1 Kor 14 geht die Frauenregel auf ein Wort Jesu zurück  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  77 1 Kor 14,34 in der Verkündigung Jesu  83. — Die Begründungen  85.

4.5 Lieber nicht öffentlich reden?  . . . . . . . . . . . . . .  87 Plutarch, Ehevorschriften  87. — O hättest du doch geschwiegen …   88. 5. Gottesbild und Frauenbild  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   89

5.1 Verhindert Gottes Männlichkeit das Priestertum der Frauen?  . . . . . . . . . . . . . . .  89 5.2 Doch priesterlich?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  93 Der außerchristliche Einfluß ist stetig gewachsen  93.

5.3 Weibliche Figuren zwischen Gott und Mensch  . . . . . . . . . . . . . . .  102 6. Die Begründung des Amtes aus der Liturgie  . . . . .   105

6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6

Nicht wie die Engel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  110 Engel als Gemeinde Gottes  . . . . . . . . . . . . . . . . .  111 Spannung zwischen Engeln und Frauen  . . . .  113 Engel zwischen Leben und Tod  . . . . . . . . . . . .  116 Engel und Gottesdienst im Tempel  . . . . . . . . .  119 Wie man Frauen sieht, so denkt man vom Menschen  . . . . . . . . . . . . .  120 Frauen als Exempel der Gnadenlehre  . . . . . . .  129

Inhalt

7. Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum?  . . .   132

7.1 7.2 7.3 7.4 7.5

Besprechung der Bibelstellen  . . . . . . . . . . . . . . Beobachtungen zu den Bibelstellen  . . . . . . . . Der priesterliche Charakter der Christen  . . . . Es geht im Ganzen um Metaphern  . . . . . . . . . Worin besteht der priesterliche Charakter aller Getauften?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 132  134  135  135  137

Nur metaphorische Sprache 137. — Unsinnige Folgen der Rede vom allgemeinen Priestertum  139. — Plädoyer für das Heilige   142. — Der priesterliche Charakter der Getauften hat nichts mit einem Amt zu tun 142. — Weder Amt noch Recht von Menschen  143.

7.6 7.7 7.8

Der katholische Priester ist kein beamteter Kulttechniker im vorchristlichen Sinn  . . . . . .  144 Die Ältesten nach Num 11  . . . . . . . . . . . . . . . . .  145 Zwei Priestertümer, ein allgemeines und ein Amtspriestertum  . . . . . . . . . . . . . . . . .  147 Jesus und Paulus als Priester im engeren Sinne des Wortes?  147. — Allgemeines Priestertum und Taufe?  148.

7.9 Die Zukunft der Rede vom allgemeinen Priestertum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  151 Liegt alle Gewalt bei der Gemeinde? 151. — Konsequenzen für die Frage des Frauenpriestertums  152. — Geweihte Älteste im Gegenüber zur Gemeinde  153. — Worin besteht der priesterliche Charakter aller Getauften? 153. — Allgemeines Priestertum: Zusammenfassung und Ausblick  159.  — Priesterliche Vollmacht durch Taufe  161. — Aufgeblähte Taufe­  161.

7

Inhalt

8. Neue Schöpfung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   165

8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7

Gilt nicht „weder Mann noch Frau“?  . . . . . . . Zum Kontext in Gal 3 und Gal 6  . . . . . . . . . . . „Weder männlich noch weiblich“  . . . . . . . . . . Verweigerung der Menschenrechte  . . . . . . . . Zur Frage der Menschenrechte generell  . . . . Die Ferngeltung der Bibel  . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschiedliche Konzeptionen von Gottesdienst  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 165   167  175  178  180  182  183

9. Ausblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   188

9.1 Was für Frauen bleibt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  188 9.2 Was getan werden kann  . . . . . . . . . . . . . . . . . .  189 9.3 Diakonat der Frau?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  191 Zur Spiritualität des Dienens  191. — Das jesuanische Modell des Dienens und die aktuelle Diskussion über den Diakonat der Frau  191. — Diakonie als Hilfe für die Apostel bzw. Bischöfe   194. — Paradoxien der Nachfolge 197. — Diakonissen als Spenderinnen der Taufe   202. — Zum Verlauf der Diskussion  205. — Vorschläge für die praktische Lösung  207. 10. Und andererseits … Frauen als Amtsträgerinnen in einer vereinten Christenheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   210

10.1 Auschlußkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Möglichkeiten der Realisierung  . . . . . . . . . . . . 10.3 Bedingungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Theologische Denkbarkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Grunderfordernis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8

 21o  210  211  211  212

Inhalt

10.6 Zusatzargumente  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  213 Frauen im Rahmen der Sukzession 213. — Kein Ausverkauf der Wahrheit 213. — Ein Parallelfall  214. — Ein Nebeneinander  215. 11. Klartext  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   217





Abschließende Thesen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  218

Literatur­  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   ­221

9

1.  Zu Beginn 1.1  Mein persönliches Interesse

Es ist einfach das neugierige Interesse an Begründungen, das mich leitet. Es ist eine Frage, die mich seit Jahrzehnten beschäftigt. Wie kann es sein, daß orthodoxe und römisch-katholische Christen Frauen die Ordination verweigern? Und wie war es umgekehrt möglich, nach dem 2. Weltkrieg das Herkommen zu durchbrechen und Frauen zu ordinieren? Mich ärgert besonders, daß die Begründungen, die man für das eine oder für das andere geliefert hat, oft ein wenig positivistisch sind. Wer die Ordination ablehnt, verweist darauf, Jesus habe nur mit männlichen Jüngern den Neuen Bund geschlossen. Wer sie bejaht, verweist zumeist auf Gal 2,26f, wonach „in Christus“ die Differenzen nicht mehr gelten, auch nicht die zwischen Mann und Frau. Die Spärlichkeit der Begründungen steht in umgekehrtem Verhältnis zur Heftigkeit der Emotionen, mit denen gestritten wird. Oft habe ich persönlich die Erfahrung gemacht, daß vor Ort hier kein Zureden hilft und keine Rücksicht auf den gefährdeten Frieden genommen wird. Ich will hier nicht wiederholen, was es allein zwischen Protestanten und Orthodoxen hier für Streit gegeben hat. Und ich erinnere mich nur sehr ungern an hitzige Attacken – von Diskussion konnte man dann nicht mehr reden – 11

1.  Zu Beginn

gegen Positionen, die sich nicht für eine Frauenordination aussprachen. Schließlich: Das vorletzte Kapitel dieses Buches heißt: „Und andererseits  …“ Ich war, das muß ich auch gestehen, über weite Strecken der Entstehung dieses Buches nicht so weit vorangeschritten, daß ich hätte sagen können, „was heraus kommt“. Und meine Neugier auf plausible Antworten hält bis jetzt, in die Schlußphase der Entstehung des Buches, an. Schließlich hatte ich in meinem Buch Glaubensspaltung ist Gottesverat all meinen Mut zusammengenommen und als äußerste Möglichkeit eine Tolerierung der Frauenordination durch die römisch-katholische Kirche wenigstens zart angedeutet. Als ‚äußerste‘ Möglichkeit heißt: Wenn in allen anderen Dissenspunkten passable Wege gefunden sind, sich zu treffen. Sollte, wenn alles andere einmal geklärt ist, die Einheit der Christenheit eben daran scheitern? Denn dieser Punkt ist einer der härtesten Fälle. Ein Gespräch mit Kardinal Meisner im Jahre 2007 zu diesem Thema glich an Heftigkeit allen übrigen Gesprächen auf dem Weg. Ich erbat Bedenkzeit und habe sie mir genommen. In der Wallfahrtskirche Am Perlach in Augsburg gibt es ein Madonnenbild Maria Knotenlöserin. Da ich selbst im Lösen von Knoten nicht sehr geschickt bin, war diese Erinnerung ein gewisser Trost. So bleibt am Schluß die brennende Frage des Anfangs: Warum in aller Welt gibt es dieses Problem? Es ist doch noch keine 400 Jahre alt, sondern erst 60. Oder spiegeln sich in ihm alle anderen Probleme auf ihre Weise, noch einmal und hier besonders hart und schmerzlich?

12

1.  Zu Beginn

1.2  Religiöse Metaphern bilden einen Kosmos

Die Frage nach der Rolle von Mann und Frau in der Liturgie (und daraus folgernd im kirchlichen Amt) ist nicht ein Problem von Anstand, Moral und Menschenrechten, auch nicht primär eine juristische Frage wie etwa die nach den kirchenjuristischen Folgen der Taufe. Folgende Bereiche fallen daher aus: Moral, Anstand, Menschenrechte, Kirchenrecht. Und durchgehend ist die hier erörterte Frage nicht die nach den Beziehungen zwischen Frau und Mann, sondern es handelt sich zumeist um einen besonderen Fall des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch. Vielmehr geht es um den sensiblen Bereich der theologischen Metapher, die eine Rolle spielen in der Liturgie, im Kirchbau und in der Kunstgeschichte, in der Sprache der Mystik in der Sprache der systematischen Theologie, in der Symbolik. Warnen möchte ich davor, diese Gebiete insgesamt der luftigen Ästhetik oder der sprichwörtlichen Willkür von bildender Kunst zuzuordnen. Vielmehr steht hier der Weg der Verkündigung in der Öffentlichkeit zur Diskussion. Auch von der Kirche des Wortes gilt, daß sie in der Welt der Bilder lebt (Horst Kasner, † 2.9.11). Die Texte der Liturgie, die Bilder der Kunstgeschichte, die symbolischen Riten zeigen immer, daß es hier weniger um Einzelobjekte geht, sondern daß ein ganzer Kosmos von mehr oder weniger zusammen passenden Bildern und stabil kontinuierlichen Motiven besteht. Die Bestandteile dieses Kosmos sind oft zueinander gefügt worden. Das Element des königlichen Hofes (daher: ba­ si­ leo­ morphe Mystik, inklusive Engeldarstellungen) sind oft mit älteren kultischen Motiven vermischt, 13

1.  Zu Beginn

dazu mit solchen aus der Berufswelt des Hirten (poi­ menistische Mystik). Je stärker diese Bildtradition auch die (liturgischen) Gesten bestimmt, um so gewaltsamer erscheinen und um so schwererer wiegen Änderungsversuche bzw. Maßnahmen des Abschaffens. Sie sind stets einschneidend, da sie stets ‚religiöse Heimat‘ zerstören. Wenn Ästhetik hier nicht gleich Willkür und gefährliche Spielerei ist, besteht dann die Alternative als Problem von Leben und Tod, von Wahrheit oder abscheulicher Häresie? Kann oder sollte man für oder gegen Frauenordination sterben wollen? Wie ernst ist hier das ungeschriebene Gesetz der Liturgie zu nehmen? Oder kommt man erst dann auf den Trichter, wenn man in phänomenologischer Beschreibung Liturgie zu erfassen sucht, liebevoll und in geduldiger Beobachtung.1 Zu den gravierenden und eingefleischten Metapherntraditionen im Bereich der biblischen Religion und darüber hinaus gehört die Metaphorik der Männlichkeit Gottes inklusive ihrer liturgischen Auswirkungen. Darum geht es in dieser Studie. Und am Ende jedes Kapitels müssen wir uns fragen, was die betreffende Tradition wert ist, was es kosten könnte, sie abzuschaffen. Eine Suche nach theologischen Gründen dafür, daß Frauen von Katholiken und Orthodoxen die Ordination verweigert wird, führt auf zwei klar unterscheidbare Spuren. Beide sind durchaus gegensätzlich, die eine ist 1 Die Quellen: Neues Testament Griechisch (25. Auflage); Apostolische

Konstitutionen; Papst Johannes Paul II: Ordinatio sacerdotalis. Apostolisches Schreiben über die nur Männern vorbehaltene Priesterweihe, 1. Aufl. 1994.

14

1.2  Religiöse Metaphern bilden einen Kosmos

jesuanisch, die andere eher paulinisch. Jesus und Paulus haben, das zeigen diese beiden Linien, ein potentiell unterschiedliches Amtsverständnis, ohne daß freilich in der Praxis daraus Gegensätze würden. Denn auch bei Jesus bereits geht es um eine Theorie und Praxis der Leitungsvollmacht. Zwei Modelle sind zur Einordnung der Rolle der Frau in Liturgie und Amt der frühen Kirche grundsätzliche hilfreich. Das Modell Jesu: Vollmacht für den, der dient. Das paulinische Modell: Vollmacht in abgestufter Ebenbildlichkeit.

15

2.  Das Modell Jesu 2.1  Vollmacht hat, wer dient 

Jesus formuliert sein Verständnis von Leitungsfunktion in der Belehrung der Jünger in Mk 9,35 und Mk 10,43– 45. Demnach qualifiziert allein das Dienen zum Anführen und Leiten. In der Bezeichnung Minister ist diese Auffassung bis heute erhalten, doch leider erkennbar oberflächlich. Zuhause ist dieser Ansatz im Umkreis dessen, was man theologisch Magnificat-Theologie nennt. Sie ist auch die Basis der Kreuzestheologie von 1 Kor 1. Denn Gott erwählt nur das Bescheidene, Niedrige, Unansehnliche, also diejenigen Menschen, die aus Liebe zum Realismus demütig sind. In Lk 1,46–55 findet diese Auffassung im Lobgesang Mariens ihren maßgeblichen Ausdruck. Jesus korrigiert an den genannten Stellen in Mk 9 und 10 das Verhalten seiner Jünger, das man in der Bibelauslegung Rangstreit nennt. Jesus trifft damit eine typisch männliche Verhaltensweise. Das wird auch an der Art der Darstellung durch die Evangelisten erkennbar. Aus dem Kontext von Mk 9 und 10 geht nämlich hervor, daß der Rangstreit unter den Jüngern genau das ist, was sie von Jesus auf seinem Weg zum Kreuz unterscheidet. Die Frauen in der Begleitung Jesu harren aus bis unter dem Kreuz (vgl. Mk 15), sie laufen auch nicht weg wie die opportunistischen männlichen Jünger, vor allem machen sie 16

2.1  Vollmacht hat, wer dient

keine großspurigen Versprechungen wie Petrus. Wo sie versagen, geschieht es eher aus Angst (Mk 16,8). Üblicherweise harren sie lange aus und werden häufiger auch als Dienende und damit der Gemeinde als Vorbild vor Augen gestellt. Diakonie wird in der frühen Gemeinde in Jerusalem von den Sieben geübt. In den heidenchristlichen Gemeinden der Frühzeit ist dieses eine immer wieder notwendig werdende Funktion. Der Weg Jesu nach (Mt 23,1–12) führt – gewissermaßen als Schlußwort Jesu zu den Jüngerparänesen – zwangsläufig zu der aporetischen Frage der Moralisierung des Autoritätsverständnisses. Der Text aus Mt 23 ist eine Anweisung über den Umgang mit geistlicher Autorität unter den Jüngern Jesu. Die Titel, die hier zur Diskussion stehen, sind „Rabbi“, „Vater“ und „Lehrer“. Alle diese Titel werden für Jünger Jesu abgelehnt. Die Schlüsselregel steht in 23,11: „Der Größte unter euch soll euer Diener sein. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht.“ Sätze wie Mt 23,11 (Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht) gehören direkt in das Zentrum der MenschensohnChristologie. Das zeigt besonders Mk 10,43f: „Wer groß sein will unter euch, der sei euer Diener. Und wer unter euch der erste sein will, der sei aller Sklave. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse …“ Denn der Menschensohn ist auf jeden Fall am Ende der höchste Hoheitsträger und Gottes Regent in der Welt. Seine Existenz hat allerdings zwei Phasen, eine der Niedrigkeit, des Sklavendienstes, des Ausgeliefertseins und des Leidens, und eine der Herrlichkeit und des Stehens zur Rechten Gottes (Mk 10,43–45; Apg 7,56). 17

2.  Das Modell Jesu

Die Begründung geistlicher Autorität ‚im Sinne Jesu‘ geschieht daher in Nachahmung der Zwei-Phasen-Existenz des Menschensohnes. Nachahmung und Nachfolge sind hier eine Einheit. Damit stehen sich in der Schilderung von Mt 23 zwei Entwürfe gegenüber, wie theoretisch geistliche Autorität zu begründen wäre. Der erste Entwurf ist der bis heute gesellschaftlich akzeptierte, daß man Autoritäten mit ihrem erworbenen und  /  oder verliehenen Titel („Vater“, „Lehrer“ etc.) anredet. Jesus lehnt dieses Konzept für seine Jünger rundweg ab. In 23,3b sagt er auch, warum: Diese Leute sagen, was sie nicht tun, und tun nicht, was sie anderen vorschreiben möchten. So wird nichts weiter als eine Schein-Autorität gehandelt. Für die Kirche war dieses Auseinanderfallen von titularer Autorität und moralischer Qualität zu Zeiten ein großes Problem, massiv im Donatistenstreit des 4. Jahrhunderts, dann in der Reformation und nicht zuletzt in der Gegenwart. Die Lösung des Donatistenstreits stellt allerdings einen dritten Weg dar zwischen moralischem Rigorismus und rein formaler Autorität, die innen hohl ist. Diese Lösung ist jedenfalls von der herrschenden Volksmeinung vergessen. Ich habe sie in der jüngeren Diskussion nicht gefunden. Diese Lösung heißt: sakramentale Begründung des kirchlichen Amtes. Das Problem der Donatisten war: Ist zum Beispiel die Taufe, die ein moralisch verkommener Priester spendet, überhaupt wirksam und verläßlich (gültig)? Modern formuliert: Kann ein Ehebrecher Postbote sein und insoweit Hoheitsfunktionen des Staates wahrnehmen? Und andererseits: Darf die Kirche nur moralisch rundum überwachten, insoweit zuverlässigen und 18

2.1  Vollmacht hat, wer dient

‚vollkommenen‘ Menschen Ämter anvertrauen? Antwort: Das geht nicht, weil die Kirche kein Gefängnis ist, auch kein ‚Pensionat‘ älterer Ordnung. Unter Rückgriff auf das Neue Testament (Amtseinsetzung durch Handauflegung und Mitteilung des Heiligen Geistes) kam man zu dem Schluß: Weder der Doktortitel (die Summe der Leistungen oder Ähnliches) noch die moralische Perfektion qualifizieren zum kirchlichen Amt und begründen die Gültigkeit seiner Maßnahmen, sondern es kann nur die sakramental vermittelte Amtsgnade selbst sein, die das bewirkt. Insofern ist es Gott selbst, der allein die Wirksamkeit der Gnade im Amt garantiert, die Verheißung seiner Begleitung, seine Gegenwart in dem Tun unter seinem Namen. Die kirchlichen Amtshandlungen geschehen damit im Rahmen dessen, was Paulus „Bund des heiligen Geistes“ nennt (2 Kor 3,6). Jeder biblische Bund aber ist eine unkündbare Selbstfestlegung Gottes. Insofern ist es gerade beim Amt, wo die menschlichen Schwächen so offenkundig sind, von entscheidender Bedeutung, daß Gott hier die unverrückbare Zusage seines Wirkens und Beistands gegeben hat. Mit diesen Überlegungen ist hier freilich für unser Thema nicht direkt etwas gewonnen. Denn wenn die Lösung durch die sakramentale Weihe gilt – warum ist diese dann Frauen verschlossen? Antwort:  Die sakramentale Weihe erübrigt den Weg der Niedrigkeit keineswegs, vielmehr wird sie ihn im besten Falle unterstützen. Sie beseitigt aber die Peinlichkeit, die entstehen kann, wenn ein Amt ein moralisches Show-down der Bewerber wird, wer denn die größte Demut habe. 19

2.  Das Modell Jesu

Man kann daher sagen: Was für kirchliche Autorität Jesus in Mt 23 im strikt christologischen Sinne entworfen hat (Verheißung des ersten Ranges für den, der jetzt allen als Sklave dient), wird zweifach aus der Sphäre menschlicher Fehlerhaftigkeit und Vergänglichkeit herausgehoben: einmal bei Jesus durch die Zusicherung der Geschicksgemeinschaft mit dem Menschensohn, zum anderen bei Paulus und Späteren durch die sakramental begründete Anteilhabe am Bund des Heiligen Geistes. Auf beide Weisen gelingt es, fehlbare Amtsträger unter göttliche Protektion zu stellen. Damit werden die Fehler der Menschen nicht ungeschehen gemacht, aber diese Fehler können nicht die Institution zerstören. Dabei verstehe ich unter Institution nicht den Apparat der katholischen Kirche, sondern die Zusicherung des Mitseins durch den Menschensohn (Geschicksgemeinschaft mit dem Menschensohn) und den Neuen Bund. Also Gottes eigene Ehe mit seinem Volk. Eine der Folgen der sakramentalen Begründung der Weihe war, daß die moralische Qualifikation an Ansehen verlor. Unter den Voraussetzungen zur Weihe spielt diese selbstverständlich weiterhin und zu allen Zeiten eine wichtige Rolle. Aber sie bekommt nicht den Charakter einer notwendigen Bedingung. Was gute und auch zweifelhafte Folgen hat. Und andererseits ersetzt die sakramentale Weihe die „Berufung durch den Heiligen Geist“, wenn man das einmal in der Sprache von Apg 13,2 ausdrücken darf. Das aktuelle charismatische Geschehen spielt z. B. bei der Wahl des hl. Ambrosius zum Bischof noch eine große Rolle. Doch es verblaßt. Fazit:  Jesu Amtsverständnis orientiert sich am Geschick des Menschensohnes selbst. Gerade als der Be20

2.2  Das Stärkere dient

vollmächtigte Gottes qualifiziert sich der Menschensohn durch Dienst in Demut und Niedrigkeit, johanneisch gesprochen: indem er den Jüngern die Füße wäscht. Dieses Kriterium war auf die Dauer nicht durchzuhalten, anders gesagt: Wo es praktiziert wird, handelt es sich um paradiesische Glücksfälle. Die Gemeinden verlangten offenbar für ihre Führungsaufgaben Kriterien, die über moralisch meßbares menschliches Verhalten hinausgingen. Bis zu einem gewissen Grad erfüllte die sakramentale Weihe diese Funktion. Das immense und in seiner Tragweite gar nicht abzuschätzende Wirken der Frauen im frühen Christentum entzog sich vielleicht auf Dauer der Bewertung oben  /  unten nach der MenschensohnTheologie. 2.2  Das Stärkere dient

Für das kirchliche Wirken von Frauen ohne jede Ordination wirkt das Modell Jesu vor allem in den Ostkirchen, und zwar in den für das Selbstverständnis aller Ostkirchen maßgeblichen Apostolischen Konstitutionen. Die besondere Bedeutung dieser Texte vom Anfang des 3.–4. Jh. für unser Thema ist, daß die uns beschäftigende Frage hier bereits kritisch erörtert wird. Denn Jesu Worte in Mk 9 und 10 gelten kritisch für die männlichen Jünger, aber ohne Zweifel werden sie in der Rolle der Frauen für Leitung der Kirche praktisch berücksichtigt. Das ist bereits bei allen alten Ostkirchen der Fall. Folgende Einsichten gestatten diese Texte: a) Die Qualifikation der Frauen ist das Dienen. b) Das Dienen gilt besonders vom Dienst der Frauen an anderen Frauen. 21

2.  Das Modell Jesu

c) Dieser Dienst gilt besonders schwächeren (kränkelnden) Frauen. d) Damit wird die Faustregel erfüllt: „Das Stärkere dient dem Schwächeren.“ Daraus folgt: Der Dienst ist für viele Frauen die Gelegenheit, sich als Stärkere zu erweisen. „Maria Magdalena hat bei der Mitteilung heiliger Geheimnisse gelacht“. Diese Auskunft gilt in den alten Ost­kirchen für Jahrhunderte als ein Grund für den Ausschluß von Frauen von der Weihe. Das Weitere ist dann klar: Wer bei heiligen Gelegenheiten lacht, muß für den Rest des Gottesdienstes demütig (wir würden sagen: zur Buße ‚betroffen‘) zu Boden gucken und darf nicht in Oran­ten­haltung aufrecht stehen. Oder so: Wer lacht, spielt den Überlegenen, und eine Wiedergutmachug kann er  /  sie nur durch Dienen leisten, eben durch das willent­liche Unterlegen-Sein. e) Der Protest der Jünger angesichts der eucharistischen Zumutung in Joh 6,60–61 ([Murren] „Wer kann dies hören?; das Wort ist „hart“) wird in dieser Tradition auf Maria und Martha übertragen, und zwar so, daß Maria mit Maria Magdalena identifiziert wird und daß sie lacht, wie einst Sara über Gottes Wort gelacht hatte (Gen 1,12–15; von Abraham Gen 17,17). Maria und Martha sind bekannt aus Joh 11 und Lk 10,38f. Nach Lk 10,40 ist Martha mit Dienen beschäftigt. Hier dagegen lacht Maria Magdalena, und folgerichtig erweist sie ihre Stärke durch Dienen. Gelacht wie hier Maria Magdalena hatte auch Jesus, der als der wahre Gnostiker nach dem Judasevangelium über den Glauben der Jünger lacht. Maria Magdalena ist auch nach den apokryphen Evangelien (z. B. nach dem Evangelium der Maria) die Frau, die die wahre Erkennt22

2.2  Das Stärkere dient

nis hat und deshalb mit den Bischöfen bzw. mit Petrus im Dauerstreit liegt. Doch nicht dieser Punkt wird hier betont, sondern die Stärke des Dienens. Vielleicht ist der Text bereits gegen die gnostische Deutung von Maria Magdalena gerichtet und betont gegenüber der Erkenntnis das Dienen, behält aber die positive Bedeutung des Lachens. Wer lacht, ist stark und überlegen. Wer lacht, kann daher auch etwas für die Schwachen tun. Dabei geht es hier nicht um die in Erkenntnis Schwachen, sondern um die Notleidenden. Noch in meiner Kindheit, also vor rund 65 Jahren, galt Lachen während der hl. Messe als Sünde, allerdings kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, daß die Mädchen mehr gekichert hätten als die Buben, obwohl letztere eher mit Faustkämpfen beschäftigt waren. Doch im Alten Christentum gilt das Lachen der Maria Magdalena als ungläubig bzw. gnostisch. Wer lacht, gehört nicht dazu. Oder hat man es hier nur mit einer gar nicht so witzigen Legende zu tun, die uns heute als lachhaft erscheint, Dinge begründet, die anderen und tieferen Ursprung hatten? Belegt ist dieser Zusammenhang zum Beispiel in den Konstitutionen der Apostel Johannes: „Habt ihr vergessen, liebe Brüder, wie unser Herr an dem Tag, da er Brot und Wein opferte, sagte: ‚Das ist mein Leib‘. Und: ‚Das ist mein Blut‘, denn er befahl ihnen, diese nicht für gewöhnliche Dinge zu halten. Doch Martha sagte über Maria M.: Seht, sie lacht. Doch Maria erwiderte: Nicht weil ich gelacht habe, hat der Herr zu uns gesagt: Es ist gut, wenn die Kranken durch die Gesunden geheilt werden.“ 2 Johannes: „Als der Herr sagte: Dies ist mein Leib und Blut, 2

(äth), 20 S. 137 (3. Jh. n. Chr.).

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2.  Das Modell Jesu

hat er nicht angeordnet, daß sie (sc. die Frauen) bei uns stünden. Martha sagte: (das ist geschehen) wegen Maria, weil er sah, daß sie lachte. Maria erwiderte: Nicht weil ich gelacht hätte, sondern schon vorher hat er uns in der Lehre gesagt: Das Schwache soll durch das Stärkere gerettet werden.“ 3 Fazit:  Wer in der Kirche nicht stehen darf, sondern das Gesicht zur Erde wenden muß, kann nicht den Kult leiten. Wer dagegen steht, richtet seine Augen zum Himmel, wie Jesus beim Abendmahl: „Und er erhob seine Augen zum Himmel, zu dir, dem allmächtigen Vater …“ So tut es auch der Zelebrant des Abendmahls. Es ist bezeichnend, daß diese Anordnung von Petrus, dem Dauer-Opponenten der Frauen (nach den frühchristlichen Texten), gegeben wird. „Da sagte Kephas. Es geziemt sich nicht für Frauen, während sie in der Kirche stehen, ihre Stimme zu erheben. Vielmehr sollen sie niederfallen und ihr Gesicht zur Erde wenden. Da erwiderte Jakob: Wie kann man im Rahmen einer Anordnung für den Dienst das Mysterium für Frauen nur diesen Dienst anordnen, (der darin bestehen soll), daß sie nämlich den Bedürftigen helfen sollen?“ 4 (Philippus: Männer erwerben sich mit Taten der Liebe einen himmlischen Schatz). Eine andere Variante bietet die lat. Tradition nach E. Tidner: „Als der Herr sagte: Das ist mein Leib und Blut, erlaubte er den Jüngern nicht, bei uns zu stehen. – Das Schwache soll durch das Starke gerettet werden. – Petrus: Nicht im Stehen beten, sondern auf der Erde sitzen (28): Zu dienen den bedürftigen Frauen … das ist für Frauen bestimmt.“ 5 3 4 5

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Vgl. die lat. Version der Apostol. Konstitutionen: Tidner S. 111–13. Vgl. Konstitutionen der Apostel (äth) 21, S. 137. E. Tidner, Didascaliae Apostolorum. Canonum ecclesiasticorum traditionis apostolicae versiones latinae (TU 76), Berlin 1963. Ebenso: F. X. Funk:

2.2  Das Stärkere dient

Beide Regelungen werden zusammengefaßt in den arab. Konstitutionen der Apostel: „Martha sagte über Maria. Schaut sie an, sie lacht. Maria erwiderte: Nicht deswegen (Das ist Mein Leib – das ist mein Blut) habe ich gelacht. – Der Lehrer sagte: „Es ist gut, daß die Kranken von den Gesunden (Starken) geheilt werden. Es ist nicht gut, wenn Frauen im Stehen beten. Für sie gibt es nur den Dienst an den Bedürftigen, Nächstenliebe und was dazu gehört. Kefas: Einzelne haben gesagt, daß es sich nicht geziemt, wenn Frauen im Stehen beten. Vielmehr sollten sie sich auf den Boden niederwerfen. Ebendort Jakobus: Für Frauen können wir nur diesen einen Dienst finden, außer dem einen, daß sie den Bedürftigen helfen sollen.6 In den Quellen des 8. Buches der Apost0lischen Konstitutionen heißt es: „Kephas sagte: Ihr werdet euch an einiges erinnern. Denn dieses hat er den Frauen befohlen, daß sie nicht aufrecht stehend beten sollten, sondern im Sitzen von der Erde her. Jakobus sagte: Wie können wir also für die Frauen einen Dienst beschließen, der nicht Diakonie ist, nämlich die zu stärken, die es nötig haben (gr. die es brauchen)?“ 7 Fazit:  Nach der Lehre und Praxis Jesu und der Ostkirche sowie der gesamten Kirche ab 2. Jh. liegt die höchste geistliche Autorität bei denen, die ihren Glauben durch die Praxis dienender Liebe zu den Geringsten unter Beweis gestellt haben. Was unsere Zeit betrifft: Wer die hl. Mutter Teresa von Kalkutta noch miterlebt hat, wurde Zeuge einer einzigartigen geistlichen Autorität. Ihr Zeitgenosse, der sel.

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Doctrina duodecim Apostolorum, Tübingen 1887, Kap.26–28, S. 71. (arab.) S.243f. – Vgl. ibid., sahid. Text S. 339. Nach G. Horner, The Statutes oft the Apostles or Canones Ecclesiastici (Die Quellen des 8. Buchs der Apostolischen Constitutionen), London 1904.

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2.  Das Modell Jesu

Papst Johannes Paul II., gewann seine Autorität wesentlich gegen Ende seines Lebens durch die gelebte Praxis eines Dienstes ohne Grenzen. In den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts hatte der Urwaldarzt Dr. Albert Schweitzer die Bedeutung eines Vorbilds für eine ganze Generation. Sein Dienst in Afrika stimmte mit seiner Theologie der „Ehrfurcht vor dem Leben“ überein. Ich habe hier Mutter Teresa zuerst genannt, weil sie in unserer Zeit dem Bild der christlichen Frau entsprach, das das Neue Testament und die Kirchenordnungen des 3. Jh. entwerfen. Man kann aufgrund der Charismen-Kataloge des Neuen Testaments das Dienen als ausgeprägtes Charisma bezeichnen. Dabei wird das Dienen überall vom Lehren als dem typischen Wort-Charisma unterschieden. Gleichzeitig mit dem Dienen wird das Beten als Aufgabe der Frauen genannt. Beides wird jedoch vom Lehren ausdrücklich unterschieden: „… Es ist also nicht nötig oder gar dringend erforderlich, daß Frauen Lehrerinnen sind … Denn nicht um zu belehren, seid ihr Frauen und besonders ihr Witwen angestellt, sondern um zu beten und Gott den Herrn zu bitten. Denn unser Gott der Herr, Jesus Christus, unser Lehrer, hat uns, die Zwölf, ausgesandt, das auserwählte Volk und die Heidenvölker zu lehren. Es waren aber mit uns Jüngerinnen: Maria von Magdala und Maria, die Tochter des Jakobus und die andere Maria; er hat sie jedoch nicht ausgesandt, mit uns das Volk zu belehren. Denn wenn es nötig gewesen wäre, daß die Frauen lehrten, so hätte unser Herr ihnen befohlen, mit uns zu unterweisen.“ 8 Das Verbot des Lehrens hängt an 1 Kor 14,34.9 8 9

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Syrische Didaskalie (Mitte 3. Jh. n. Chr.) Cap. XV, S. 77 (Übers. nach TU X,2 NF). – Zum Thema Lehren vgl. auch 1 Tim 2,11f. Vgl. das folgende Kapitel.

2.3  Dienen, Beten, Prophezeien

Gegenüber dem Lehren von Lehrern besteht wohl – mutmaßlich von Jesus an – im frühen Christentum eine gewisse Zurückhaltung. Mt 23,7(9)–12 bezeugt das bereits, und in 1 Tim 2,12 wird es speziell für Frauen formuliert. Doch es gilt generell für Männer und Frauen. Das Mat­ thäusevangelium wird als Komposition und Sammlung der Lehrworte Jesu gegen die Autorität der Lehrenden gestellt. Es ist nicht zufällig, daß in Mt 23,11 das „Dienen“ an die Stelle des mitmenschlichen Belehrens tritt. So meine ich, die Intention Jesu nicht zu verfehlen, wenn ich eben das „Dienen“ als jesuanisches Störmanöver gegenüber jeglichem egozentrischem Autoritätsstreben in der Gemeinde herausstelle. Daß das noch einmal besonders von Frauen gilt (1 Tim 2,12), hat rekonstruierbare besondere Gründe. Dennoch scheint aufs Ganze gesehen doch Paulus (wegen der besonderen Rolle des heiligen Geistes in seiner Theologie) derjenige zu sein, in dessen Umkreis weibliche Begabungen besonders erblühen konnten. Ein guter Beleg ist Tertullian.10 Er richtet sich zu Anfang des 3. Jh. gegen die Acta Pauli, weil darin Frauen predigen und taufen durften (z. B. die hl. Thekla). Dagegen berichten die Acta Xanthippae et Polyxenae, daß diese Frauen nebst Rebekka nicht gelehrt hätten. Doch um beten zu lernen braucht Xanthippe keine menschliche Autorität (Kap. 3). 2.3  Dienen, Beten, Prophezeien

Nicht betroffen vom Verbot des Lehrens ist das Prophezeien. Jedoch ist offenbar das Prophezeien für die Wahrnehmung der damaligen Menschen so weit vom Lehren 10 Vgl. Tertullian, Über die Taufe, Kap. 17.

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2.  Das Modell Jesu

entfernt, daß eine Überschneidung oder Verwechslung nicht zur Debatte stand. Wir fragen an dieser Stelle daher: Warum sind Dienen, Beten (insbesondere im Witwen-Amt) und Prophezeien für Frauen möglich, und zwar auch in der Öffentlichkeit des Gemeindegottesdienstes, Presbyterat, Episkopat und Lehren dagegen nicht? – Die Antwort kann nur sein: Beim Beten und Prophezeien, aber auch eben beim Dienen ist der geistliche Charakter (Himmelsbezug) weitaus stärker ausgeprägt als bei den stärker funktional geprägten Aktivitäten von Lehren, Presbyterat, Diakonat und Episkopat. Das ist nun unbedingt näher zu begründen. Denn auch die weitere Entwicklung der Rolle der Frauen in der Kirche folgt diesen Bahnen und dieser offenbar grundlegenden Unterscheidung. Das heißt: Beim Beten – und das wird besonders beim Witwenamt erkennbar – wie beim Prophezeien und Dienen (direkt im Anschluß an das Vorbild Jesu vgl. Lk 22; Joh 13,15f) wird der himmlische Ursprung dieser Gaben ohne weiteres wahrgenommen, und darüber herrscht offenbar auch für viele Jahrhunderte Konsens. Prophezeien und Beten sind vom heiligen Geist verliehene Gaben (vgl. Lk 1,67; 11,2.13; Röm 8,26f), auch die Worte des Beters sind inspiriert, und das Dienen ist eine vollständig jesuanische Aktivität. Die ‚jesuanische‘ Eigenschaft dieses Tuns ist so zu begründen: 2.4  Jesus selbst ist das Beispiel

Laut Mk 10,45 ist Jesus gekommen, nicht um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben einzusetzen für alle, und zwar als Lösegeld. Besondere 28

2.5  Der sichere Weg zu Hoheit, Macht und Ehre

Bedeutung hat diese Stelle, weil sie mit dem zentralen Stichwort „Menschensohn“ verbunden ist. Laut Lk 22,27 sagt Jesus beim letzten Mahl: „Ich bin mitten unter euch als derjenige, der dient.“ Die Anwendung auf die Jünger hatte Jesus in 22,26 gegeben: „Der Größte unter euch soll sein wie der Jüngste. Und der Leiter wie der, der dient.“ Hier stoßen wir wieder auf das paradoxe Autoritätsmodell Jesu, mit dem wir oben begonnen hatten. Schließlich wird die Fußwaschung in Joh 13 als Dienen Jesu an den Jüngern verstanden (13,16). In Vers 16 geht es wie in den Worten vom Rangstreit um den, der ‚größer‘ ist. Daher gilt: Das Dienen ist deshalb besonders jesuanisch, weil es nach allen Evangelien der Weg Jesu ist. Auch Phil 2,6–11 setzt noch diese Erkenntnis voraus. 2.5  Der sichere Weg zu Hoheit, Macht und Ehre

Für viele Menschen ist es ein gravierendes biographisches Problem, ob und wo es diesen Weg gibt. Es ist auch ein weg zum Glück. Und oft unterstellt man Frauen, die ein Weihe­amt anstreben, es gehe ihnen nur um den sicheren Weg zu Macht, Hoheit und Ehre. Jesus ist, weil er selbst so einen Weg gegangen ist, eine Art Lebensberater und Weisheitslehrer. Um diesen Weg geht es in Phil 2,6–11. Denn am Ende dieses Weges erreicht Jesus das Ziel: Die ganze Welt liegt ihm zu Füßen wie einem Superstar unserer Tage. Der Weg Jesu – das muß von Anfang an klar sein – funktioniert nur, weil es Gott gibt. Denn Jesus wagt das Extreme, als Bote Gottes gehorcht er, nimmt demütig den Tod in Kauf. Denn das ist der normale Weg für Menschen auf der Seite Gottes. Gäbe es Gott nicht, dann wäre dieser Weg frustrierend erfolglos. Es ist der Weg vom Skla29

2.  Das Modell Jesu

ven zum Weltherrscher. Jesus hat gezeigt, daß es so geht. Die Ehre, mit der er gekrönt wird, ist die des Gehorsamen und Erniedrigten. 2.6  Wer betet, ist Großmacht

Übrigens wird Jesus auch als der große Beter dargestellt.11 Man kann eben beides von ihm lernen: Dienen und Beten. Dagegen wird Jesus als Vorbild der Bischöfe nicht genannt. Im Blick auf die weitere Kirchengeschichte ist daher die These zu wagen: In allen grundlegend geistlichen Aktivitäten gab es für Frauen ein völlig ungehindertes Betätigungsfeld. Je stärker dagegen die technische, funktional-organisatorische oder mit Machtausübung und Verwaltung behaftete Tätigkeit in den Vordergrund trat, um so schwächer wurde die Anteilhabe der Frauen. Fast könnte man die „frommen“ Aktivitäten von den „eher weltlichen“ Aktivitäten unterscheiden und sagen: in den frommen Aktivitäten hatten und haben alle Frauen freie Bahn. Dagegen sind die Funktionen von Lehren, Diakonat, Presbyterat und Episkopat gleichzeitig auch stark funktional oder organisatorisch ausgerichtet. Kirche ‚geht‘ nicht ohne Machtausübung. Aber gerade diese ist der Botschaft Jesu entgegengesetzt. Man kann sagen: Das ist die Tragik zum Beispiel des Franziskaner-Ordens. Auflösbar wird diese Tragik vielleicht nur durch eine systematisch eingeübte und in der Biographie für jeden Tag größere Rolle der Kontemplation. Kann man nicht am Beispiel der Kartäuser sehen, daß eine kontemplative Kirche auch eine 11 Vgl. W. Ott, Gebet und Heil, 1965.

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2.6  Wer betet, ist Großmacht

numquam reformanda ist (keine Reform nötig hat)? Das vergangene Jahrtausend war von vorne bis hinten erfüllt von ungezählten Versuchen des Reformierens der Kirche. Oft wurde das zur reinen Beschäftigungstherapie. Zum Beispiel bei den Trappisten von Novy Dvur (bei Touzim) und bei den Unbeschuhten Karmeliterinnen (s. u.) kann man lernen, daß es diesen dritten Weg gibt (neben Verharren und Reformieren). Mein Kommentar zum Neuen Testament (2011) verdankt sich ganz diesem Weg. Ob sich von hier aus Wege zur dringend ersehnten neuen Theologie ergeben, muß die Geschichte zeigen. Das von Jesus in Lehre und Leben dargestellte Modell der Begründung von Autorität geht auf die Faktoren Dienen, Beten und Prophezeien. Es sind, wie schon ermittelt, genuin religiöse Lebensformen ohne den Hauch von Weltlichkeit. Im Neuen Testament selbst und dann weit darüber hinaus, ja bis in die Gegenwart waren und sind diese Formen Räume für weibliche Aktivität und Autorität. Der Beginn in der Verkündigung Jesu wird an dem Zweigespann Maria und Martha und an der Rolle der Witwen im Leben Jesu und in den Gleichnissen greifbar. Über das Dienen haben wir schon gesprochen, Beten und Prophezeien werden hier nachgeholt. Insbesondere 1 Tim 5 ist hier interessant. Die von der Gemeinde als solche anerkannten, registrierten und unterhaltenen Witwen sind ‚berufsmäßige‘ Beterinnen. Sie leben notgedrungen oder wie auch immer biographisch bedingt zölibatär; sonst können sie nicht als Witwen anerkannt und versorgt werden. Für die Menschen, die immer gern vom Zwangszölibat sprechen, wäre dann hier ein solcher Fall gegeben – jedenfalls hinsichtlich der Wiederver31

2.  Das Modell Jesu

heiratung. Wer als Witwe lebt, verzichtet auf das Recht der Wiederverheiratung bzw. auf die Freiheit dazu: (3) Halte die Witwen durch Unterstützung in Ehren wie Eltern, doch nur wenn sie mittellos sind. / (4) Wenn eine Witwe dagegen Kinder oder Enkel hat, dann sollen diese zunächst im eigenen Haus und in der eigenen Familie Ehrerbietigkeit lernen und ihrer Mutter oder Großmutter die Dankesschuld abstatten. So will es Gott. / (5) Wenn eine Witwe aber wirklich mittellos ist und ganz allein steht, dann ist ihre Hoffnung allein Gott, und sie kann nichts weiter tun, als Tag und Nacht zu ihm zu beten und zu flehen. / (6) Wenn sie dagegen allzu lebenslustig ist, dann ist sie lebendig tot. / (7) Schärfe es den Witwen ein, daß sie untadelig leben sollen. / (8) Doch wenn eine Witwe ihre eigenen Familienangehörigen, die vielleicht sogar im selben Haus wohnen, arg vernachlässigt, dann hat sie den Glauben verleugnet und ist schlimmer als eine Heidin. / (9) Wenn eine Witwe von der Gemeinde versorgt werden soll, darf sie nicht jünger als 60 Jahre sein und nur einen Mann gehabt haben, / (10) sie soll sich in guten Werken bewährt haben, etwa indem sie Kinder großgezogen, Freunde beherbergt oder fremden Christen auf der Durchreise den Dienst des Füßewaschens angeboten hat, indem sie Bedrängten Beistand geleistet oder andere gute Werke vollbracht hat. / (11) Jüngere Witwen weise ab! Bei ihnen kann es vorkommen, daß ihre sexuellen Gelüste sich so bemerkbar machen, daß sie sich als von der Gemeinde versorgte Witwen nicht ausschließlich an Christus binden können, sondern lieber wieder heiraten wollen. / (12) Dann kann man ihnen mit Recht vorwerfen, ihr früheres Treueversprechen gegenüber Jesus gebrochen zu haben. / (13) Andere nutzen den Vorteil, von der Gemeinde versorgt zu werden, dadurch aus, daß sie bei den Nachbarn herumlungern, die Hände in den Schoß legen und geschwätzig unschickliche Dinge weitertratschen. / (14) Ich finde es besser, wenn jüngere Witwen wieder 32

2.6  Wer betet, ist Großmacht

heiraten, Kinder bekommen, ihre Familien führen und den Widersachern keinen Grund zum Spott geben. / (15) Denn schon etliche sind de m Satan nachgelaufen. / (16) Wenn eine Christin eine Witwe in ihrer Familie hat, dann soll sie selbst sie versorgen und die Gemeinde nicht belasten, damit diese sich für die wirklich mittellosen Witwen einsetzen kann.12 Schon nach der Auffassung des Alten Testaments hört Gott auf das Gebet der Witwen deshalb besonders gern (Ex 22,22), weil er ihr Patron und sie seine Klientel sind (wie auch die Tagelöhner). Jesus teilt offenkundig diese Meinung, und so tun es auch die Evangelisten. Als Phänomen sind den Witwen der ältesten Zeit der Kirche die späteren Nonnen vergleichbar. Auch deren Macht beruht allein auf ihrem Gebet. Auch wenn Äbtissinnen und andere Vorsteherinnen von frommen Frauengemeinschaften später nicht nur Autorität genießen und sich öfter mit Bischöfen streiten, ist ihre Autorität ganz anders begründet. Von der Priorin eines modernen Kölner Karmeliterinnen-Klosters stammt der Satz: „Hierarchie ist für die Männer da, dort können sie sich austoben.“ Gemeint ist: Darin könnten sie versucht sein, die männliche Neigung zur Rangelei, die wir schon von Jesu Jüngern kennen, ‚auszuleben‘. Man kann sagen: An der Stelle, die unter Männern die geweihten Ältesten (Presbyter / Priester) einnehmen, stehen unter Frauen die ‚berufsmäßigen‘ Beterinnen. Die Ähnlichkeit in der Funktion wird durch den gemeinsamen Zölibat ausgedrückt. Das gilt auch, wenn bei den geweihten Ältesten der Zölibat nicht gleichmäßig galt oder durchgesetzt werden konnte. 12 Vgl. 1 Tim 5,10–17.

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3.  Christliche Prophetinnen Neben den Beterinnen stehen die Prophetinnen, und zwar im Neuen Testament, in der Alten Kirche und spurenweise auch später und bis heute. Zu beachten ist, daß in diesem Kontext die Ausdrücke Prophet / Prophetin / prophezeien sich oft überhaupt nicht oder jedenfalls nicht hauptsächlich auf die Verkündigung zukünftiger Ereignisse beziehen. Vielmehr bedeutet prophezeien allgemein religiöse Rede, die natürlich immer etwas Autorität für sich beanspruchen wird. Jedenfalls gilt das zur Zeit des Neuen Testaments im Judentum (auch im Griechisch sprechenden). Aber weibliche Propheten gab es schon zur Zeit des Alten Testaments (z. B. Deborah), und andererseits kennt auch das Neue Testament zeitgenössische christliche Propheten. Im Kontext unseres Themas ergibt sich: Griechisch profetis ist ein geistlicher Würdetitel. Neben diakonissa / diakonos ist es der einzige klerikale Titel, der auch für Frauen gilt.13 In 1 Kor 11,5ff diskutiert Paulus das Phänomen prophezeiender Frauen. Er lehnt das Phänomen nicht ab, läßt es aber unter Auflagen bestehen. Während Frauen der Gemeindeversammlung nicht Interview-Charakter geben sollten, dürfen sie doch als prophezeiende reden. Es ist nicht der Fall, daß Frauen überhaupt nur still sein müßten. Aller13 Bei „apostolos“ ist das umstritten. Vgl. Röm 16,7.

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3.1  Prophetinnen als Schülerinnen des großen Meisters

dings ist es, wenn sie denn reden, nicht Neugier noch Geltungssucht, sondern wenn sie prophezeien, sind das nicht menschliche Worte, sondern geistgewirkte göttliche Worte durch den Mund der Frauen. Wir haben uns das so vorzustellen wie das Magnificat im Munde Mariens oder die Begrüßung Mariens im Mund der Elisabeth. Weibliche Prophetie im frühen Christentum bezeugen die vier sog. Töchter des Philippus nach Apg 21,8f (in Wahrheit wohl Schülerinnen). Das heidnische Gegenbild ist die besessene Sklavin nach Apg 16,16–19. Darum geht es eigentlich auch bei den Sibyllen, nur werden diese wegen ihrer Bedeutung rechtzeitig vom Judentum und vom frühen Christentum eingemeindet. Auch die (heidnische ?) Frau des Pilatus (Mt 27,19 ) ist ein Gegenbild. 3.1  Prophetinnen als Schülerinnen des großen Meisters

Daß auf dem Feld der Prophetie andere Regeln gelten als bei Hierarchie und Sukzession, wird durch ein dort geltendes abweichendes Strukturprinzip erkennbar. Das charismatische Erbe des jeweiligen ‚großen‘ Propheten treten demnach jeweils seine ‚Jüngerinnen‘ oder ‚Schülerinnen‘ oder Töchter an. Das ist öfter belegt, und zwar für Hiob, Philippus, Montanus und Jesus. Das sieht dann so aus: Hiob nach Test Hiob: vier prophetische Töchter. Das Testament des Hiob ist eine jüdisch-hell. Schrift aus dem 1. Jh. v. bis n. Chr. Als Hiob stirbt, fangen seine Töchter an, in Sprachen der Engel zu reden. Sie hatten gesehen, wie Hiob gen Himmel fuhr. – Philippus: vier prophetische Töchter in Caesarea (Apg 21,9). Ihre Jungfräulichkeit weist möglicherweise auf die heidnische Vorgeschichte. – Montanus: zwei prophetische Schülerinnen, Prisca 35

3.  Christliche Prophetinnen

und Maximilla. – Simon Magus (Acta Petri): Zwei weibl. Anhängerinnen. – Jesus: Maria Magdalena, Salome und womöglich die Frauen, die Jesus bis ans Kreuz folgen und dann Zeuginnen des leeren Grabes werden („die Frauen“ nach Apg 1,14) und Maria, die Mutter Jesu (ebenfalls Apg 1,14) dabei ist in D der Zusatz „mit Kindern“ interessant. Denn für den, der den Geist des Entrückten „erbt“, ist seit Elia üblich und strikt erforderlich, daß er Augenzeuge des Hinweggehens oder -genommenwerdens ist. Die in 1 Kor 15,5.7 genannten Personen (Männer) hält man in der Regel nicht nur für wichtige Zeugen der Auferstehung, sondern Petrus, die Zwölf und die Apostel auch für wichtige Autoritäten der frühen Gemeinden (ohne daß das hier besonders erwähnt wird). Nur die relativ häufigen und relativ umfangreichen Kataloge der Frauen, die Jesus nach den vier Evangelien (und der Epistula Apostolorum) bis zur Kreuzigung folgten und die Zeuginnen des leeren Grabes wurden, hat man mit Autorität bisher nicht in Verbindung gebracht, doch diese Frauen erfüllen zwei Bedingungen von Prophetinnen: Sie sind Zeuginnen, und sie bezeugen das Gesehene / Erlebte für die Gemeinde. Im Blick auf den prophetischen Charakter dieser Frauen könnte man auch sagen, daß der Verfasser von 1 Joh laut 1 Joh 1,1–5 beansprucht, ein Prophet zu sein. Ich halte es mithin für möglich, daß die Frauen, die Jesus gefolgt sind, in der ältesten Kirche den besonderen Rang von Prophetinnen hatten. Von Maria Magdalena bezeugen es die späteren Evangelien, von Salome ebenfalls (ProtEv. des Jakobus und ThomasEv.). Und die Mutter der Zebedaiden war offensichtlich eine weithin bekannte Frau. Bei Jesus ist besonders an das Evangelium der Maria 36

3.1  Prophetinnen als Schülerinnen des großen Meisters

(sc. Magdalena) zu denken. Wie bei den Töchtern Hiobs ist auch Maria Magdalena besonders als Zeugin von Tod und Auferstehung bzw. für Ostern zuständig. Auch die Töchter Hiobs beginnen ihre Rolle erst nach dem irdischen Ende Hiobs zu spielen. Mk 15,40: Maria Magdalena, Maria, die Frau Jakobus’ des Kleinen, die Mutter des Joses und Salome. – Mt 27,56: Maria Magdalena und Maria die Mutter des Jakobus, die Mutter des Joseph und die Mutter der Zebedaiden. – Lk 22,49 (Verweis auf Lk 8,1–3): Maria Magdalena, Johanna, Frau des Chuza, Susanna. – Joh 19,25f: Maria, die Mutter Jesu, deren Schwester, Maria, des Klopas Frau und Maria Magdalena. – Mk 16,1: Maria Magdalena, Maria, die Mutter des Jakobus, Salome. – Mt 28,1: Maria Magdalena und die „andere“ Maria. – Joh 20,1: Maria Magdalena. – Epistula Apostolorum: Sara, Martha, Maria Magdalena (Maria und die Tochter Marthas). Daß Maria, Jesu Mutter, zumindest als Prophetin galt, kann leicht aus alten Quellen erkannt werden: Basilius von Caesarea (vor 379), Epiphanius, Nilus von Ankyra (vor 430), Theodoret von Ankyra (vor 446), Symeon (vor 460). Prophezeiende Frauen in Korinth (?). Wie es kommen konnte, daß es in der paulinischen Gemeinde in Korinth zumindest einige Prophetinnen gegeben hat, wie diese sich selbst verstanden haben und auf welchen gegebenenfalls männlichen Lehrer sie sich zurückführten, diese Frage wurde bisher weder gestellt noch beantwortet. In Caesarea gab es mutmaßlich Kontakte zum Propheten Agabus aus Judäa (Apg 21,10f). Wenn die Frauen der Passions- und Auferstehungstexte, wie dargestellt, nicht als belanglose historische Erin37

3.  Christliche Prophetinnen

nerungen genannt werden, sondern für die Gemeinden irgendeine Bedeutung hatten, dann könnte es sein, daß ihre prophetischen Zeugnisse maßgeblich beteiligt waren an der Entstehung der Evangelien. Zum religionsgeschichtlichen Verständnisrahmen: Das Phänomen der weiblichen Prophetenschülerin gibt es allerdings im Judentum nicht14 , auch nicht bei Elia / Elisa. Wohl aber gibt es zur Zeit des Neuen Testaments die weiblichen Philosophenschüler, wie z. B. bei Pythago­ras, besonders nach den Pythagoreerinnen-Briefen. Da die letztgenannten eine nicht geringe Rolle auch in der kynischstoischen Diatribe spielen, wäre es denkbar, daß Um­risse des Bildes Philosoph / Philosophenschülerin neben anderen Elementen aus dieser Tradition (z. B. Wander­apos­ tolat) auch in das frühchristliche Jünger- und Apostelbild aufgenommen wurden. Weibliche Prophetie kennt der Seher Johannes (Apk 2,20). Die Frau, die sich „Prophetin“ nennt, weicht aus der Sicht des Johannes das Christentum auf, indem sie den Genuß des Götzenopferfleisches gestattet und ebenso Mischehen mit Heiden („Unzucht“). Es geht daher bei dieser Prophetin laut Johannes um eine willfährige Anpassung an das Heidentum. Besonders gravierend ist in diesem Fall, daß der Seher Johannes sich auch Prophet nennt (Apk 22,9) und sein Buch als Prophetie versteht (Apk 22,7.18). Er tritt daher gegen die weibliche Konkurrenz an. Dazu greift er intensiv und extensiv auf das Alte Testament und das Judentum zurück. Das ist die gegenüber der Anpassung an das Heidnische bei der Prophetin 14 Vgl. A. M. Schwemer, Prophetenleben.

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3.1  Prophetinnen als Schülerinnen des großen Meisters

passende Alternative. Der Seher Johannes gehört nicht zur Hierarchie (schon öfter hat man sich darüber gewundert, daß er an Gemeinden schreibt, in denen doch um diese Zeit längst Bischöfe und Älteste wirkten), und bei der weiblichen Konkurrenz ist davon auch nicht die Rede. Zur Zeit des Neuen Testaments sind die Sibyllen die Prophetinnen schlechthin. Der Seher Johannes hat in der Apokalypse zwar Auswüchse weiblicher Prophetie bekämpft (Kap. 2), er hat sich aber im Ganzen nachweislich äußerst eng an die bestehenden Sibyllen gehalten. Eine Blüte erlebt die weibliche Prophetie im Christentum des 2. Jh., und zwar bei den Schülerinnen des Montanus. Mit dem Thema Prophetie bin ich vor allem auf prophetische Frauen gestoßen wie die Jungfrau von Orléans und die hl. Brigitta von Schweden, die in ihren Offenbarungen für Kirche, Papst und Kaiser eine ernsthafte Botschaft auszurichten hat (deutsche Übersetzung 1498 Nürnberg). Fazit:  Es gibt eine Art von weiblicher Radikalität, die dem Evangelium nicht fern ist. •  Der Fall der Prophetin nach Cyprian  Daß Prophetinnen zumindest im einem Fall die Eucharistie feierten, geht aus einem vereinzelten Zeugnis bei Cyprian in Brief 75 hervor. Der Brief zeigt auf jeden Fall, daß sich an den Prophetinnen-Titel Frauen angehängt haben, die auch Eucharistie feierten. Kritisch formuliert: Die Prophetinnen-Existenz war das trojanische Pferd, durch das die PriesterinnenWürde eingeschleppt wurde: [x]  … Serenianus war damals Statthalter in unserer Provinz, ein erbitterter und grausamer Verfolger. Als nun die Gläubigen in dieser Verwirrung aus Furcht vor 39

3.  Christliche Prophetinnen

der Verfolgung hierhin und dorthin flüchteten und ihre Heimat verließen, um in andere Landesteile sich zu begeben (das war nämlich möglich, weil jene Verfolgung nicht in der ganzen Welt tobte, sondern örtlich beschränkt war), da tauchte hier auf einmal ein Weib auf, das in Verzückung geriet und sich als Prophetin ausgab und sich gebärdete, als wäre sie des Heiligen Geistes voll. Von der Gewalt der Hauptdämonen aber wurde sie so gepackt, daß sie lange Zeit hindurch die Brüder in Aufregung hielt und irreführte, indem sie einige erstaunliche wunderbare Dinge vollbrachte und sich anheischig machte, die Erde in Bewegung zu setzen: nicht als ob ein Dämon solche Gewalt hätte, daß er die Erde zu bewegen oder ein Element durch seine Kraft zu erschüttern vermöchte, sondern weil der böse Geist bisweilen ein künftiges Erdbeben vorausahnt und vorhersieht und sich dann so stellt, als ob er das zuwege brächte, was er kommen sieht. Durch diese Lügen und Prahlereien hatte er die Gemüter einzelner Personen derart bezwungen, daß sie ihm gehorchten und ihm folgten, wohin er sie schickte und führte; auch setzte er jenes Weib in den Stand, im strengsten Winter barfuß durch den eisigen Schnee zu gehen, ohne bei diesen Gängen irgendwie Schaden zu nehmen oder sich zu verletzen; zudem erklärte er, er eile nach Judäa und Jerusalem, woher er auch gekommen zu sein vorgab. – Dieser Geist hat auch einen der Presbyter namens Rusticus, desgleichen noch einen anderen, einen Diakon, betrogen, so daß sie sich mit eben diesem Weib einließen. Dies wurde dann bald darauf entdeckt. Denn plötzlich erschien vor ihm einer der Geisterbeschwörer, ein bewährter Mann, der stets in frommer Zucht einen guten Wandel geführt hatte. Auch durch die Aufmunterung zahlreicher Brüder angespornt, die gleichfalls mutig und lobenswert ihm beistanden, erhob er sich gegen jenen bösen Geist, um ihn zu überwältigen. Mit durchtriebener Tücke hatte dieser kurz vorher auch das vorausgesagt: Es werde ein 40

3.1  Prophetinnen als Schülerinnen des großen Meisters

gewisser Gegner und ungläubiger Versucher kommen. Dennoch leistete jener Beschwörer, durch Gottes Gnade begeistert, tapferen Widerstand und wies nach, daß es ein ganz böser Geist war, den man bisher für heilig hielt. Nun hat aber jenes Weib, das ehedem durch die Blendwerke und trügerischen Künste des bösen Geistes alles mögliche zur Irreführung der Gläubigen unternahm, unter anderem, wodurch sie so viele betrogen hatte, sich auch häufig erdreistet, folgendes zu tun: Unter keineswegs verächtlicher Anrufung stellte sie sich, als ob sie Brot heilige und das Abendmahl feiere, und brachte dem Herrn ein Opfer dar, ohne das Geheimnis der sonst dabei üblichen feierlichen Worte; auch nahm sie viele Taufen vor unter Benützung der gewöhnlichen und rechtmäßigen Frageformel, so daß sie von der kirchlichen Regel gar nicht abzuweichen schien. [xi] Was sollen wir also von ihrer Taufe sagen, die der schlimmste Dämon durch ein Weib vollzogen hat? Billigen Stephanus und seine Anhänger etwa auch sie, zumal weder das Symbol der Dreieinigkeit noch die rechtmäßige kirchliche Fragestellung dabei fehlte? Kann man denn glauben, daß die Vergebung der Sünden erteilt oder die Wiedergeburt durch das heilbringende Bad richtig erfolgt ist, wo alles zwar nach dem Vorbild der echten Taufe vor sich ging, aber eben doch durch einen Dämon vollzogen wurde? ...15 Kommentar:  Die in diesem Text von Cyprian getadelte Frau ist eine Prophetin; jedenfalls bezeichnet sie sich selbst so. Dieses und alles Weitere in diesem Text Gesagte bestätigt die bisher hier eingeschlagene Richtung: Alles zum Thema gehörige Material ist unter Prophetinnen bzw. weibliche Prophetie zu diskutieren. Beanstandet wird nicht, 15 Cyprian von Karthago, 75. Brief § 10f (254–256 n. Chr.).

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3.  Christliche Prophetinnen

daß diese Frau nicht gültig geweiht sei, sondern vielmehr, daß ihre Prophezeiungen nicht eingetroffen seien und die Frau deshalb „gelogen“ habe. Was diese Frau im übrigen tut, ist liturgiegeschichtlich höchst interessant: Wenn sie Eucharistie feiert, dann tut sie das ‚auf die alte Art‘, die die Überschrift bzw. Unterschrift „Mysterium fidei“ noch nicht kennt und daher offenbar ohne die üblichen Einsetzungsworte auskommt. Ähnliches treffen wir auch in der Didache an sowie bis heute in einigen ostkirchlichen Liturgien, selbst in solchen, die mittlerweile mit Rom uniert sind. Demnach folgt diese Prophetin dem ‚alten Ritus‘. Die Diskussion über die Didache zeigt (bis zur Arbeit von M. Klinghardt ), wie schwer es westlichen Historikern fällt, sich überhaupt ein Abendmahl ohne die gewohnten Einsetzungsworte zu denken. Daß nächst dem schwierig zu datierenden Kanon des Hippolyt der Kirchenvater Ambrosius überhaupt der erste ist, der solches erwähnt (in De Mysteriis), fällt dabei kaum jemandem auf. Fazit:  Der Text bei Cyprian bezeugt eindeutig, daß es um die Mitte des 3. Jh. n. Chr. in Nordafrika Frauen gibt, die Eucharistie feiern. Allerdings geschieht es, was den Ritus betrifft, mit einem Auslaufmodell, das anderswo längst überholt ist. Gegenüber dem von dieser Frau praktizierten Ritus ist der von Cyprian und anderen vertretene durch Zitierung der Einsetzungsworte ‚bibelorientiert‘ oder ‚biblizistisch‘ zu nennen. Anders der mittelalterliche Prophetiebegriff. Er schließt an den neutestamentlichen an und ist weiter als der moderne: Nach dem Römerbrief des Wilhelm von St. Thierry ist es Aufgabe der Propheten: futura prae­nunti­ 42

3.1  Prophetinnen als Schülerinnen des großen Meisters

an­tes, secreta propalantes, absentia denuntiantes. „Sie weissagen Zukünftiges, enthüllen Geheimes, melden, was fehlt.“ 16 Und es gilt: Wer prophezeit, der redet für die Menschen zur Erbauung, Ermahnung und Tröstung. Propheten lehren Verachtung des Gegenwärtigen und predigen den Appetit auf Zukünftiges. Bei Wilhelm von St. Thierry findet sich – wie sachlich bereits im Neuen Testament – die Verbindung von Prophetie und Dienen. Es ist meines Erachtens berechtigt, analog dazu Aktivitäten christlicher Frauen heute als prophetisch zu bezeichnen, und zwar aus folgenden Gründen: • Wie Propheten legen auch prophetische Frauen den Finger in bestimmte Wunden und Defizite. • Wie bei Propheten betrifft diese Orientierung an Kritikpunkten immer auch soziales Unrecht. • Wie Propheten tun solche Frauen dieses in der außerliturgischen Öffentlichkeit, und zwar mit den medialen Mitteln, die in der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Dazu gehört auch besonders die Kunst. • Den Gebrauch der medialen Mittel erlernt man besonders in journalistischer Spezialausbildung. Von Frauen wird sie zu wenig wahrgenommen. • Wie Propheten nehmen solche Frauen für ihre oft undankbar aufgenommene Botschaft in Kauf, daß sie verfolgt werden und leiden müssen. • Zur Zeit des Neuen Testaments gelten besonders die ursprünglich heidnischen Sibyllen als den Propheten und Prophetinnen besonders verwandt. Deshalb entstehen im hellenistischen Judentum 14 Bücher der 16 Wilhelm v. St. Thierry, Römerbrief VII, S. 168f.

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3.  Christliche Prophetinnen

Sibyllen. Sie predigen über das kommende Gericht, über die Notwendigkeit der Umkehr und das kommende Reich Gottes. Frühe Christen greifen diese Vorlagen auf und reden zusätzlich über den bereits geborenen Heiland. Tatsächlich handelt es sich nur vorgeblich um heidnische Frauen, in Wirklichkeit aber bei diesen umfangreichen Schriften um jüdische Frauen und dann oft um christliche Sibyllen. Das ist noch im Mittelalter geläufig: Im Hymnus Dies irae heißt es gleich in Zeile 3: „teste David cum Sibylla“, „David bezeugt das, wie auch die Sibyllen“. Dabei gilt David als einer der Propheten. Es entspricht daher dem Verständnis mittelalterlicher Schriftauslegung und Zeitauffassung, wenn im Huldigungssaal des Goslarer Rathauses (Weihedatum der Kapelle 31.10.1506) an den Wänden Propheten und Sibyllen mit ihren (angeblichen) jeweiligen Weissagungen auf den Erlöser dargestellt sind.17 Denn es war schon die Funktion der etruskischen und dann der römischen Sibyllen, auf Defizite im Kult, speziell in der Verehrung bestimmter vernachlässigter Gottheiten, aufmerksam zu machen und ihre Zeitgenossen zu größerer kultischer Sorgfalt aufzurufen. Schon die Areopagrede des Apostels Paulus in Apg 17 bezeugt, daß dieses ein beliebter Einstiegspunkt (jüdischer und) christlicher Mission war. Es könnte sein, daß insbesondere christliche Prophetinnen die Werke der Sibyllen ergänzten bzw. neu schrieben, so wie sie jetzt im Resultat als Sib I–XIV vorliegen. 17 Zuletzt publiziert bei H. Gidion, Goslar 1948.

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3.1  Prophetinnen als Schülerinnen des großen Meisters

Daß der Seher Johannes in der ApkJoh sich vor allem an Sib V anschließt, ist bekannt. Die Umkehrrufe, die heftigen Gerichtsdrohungen und die Ausrichtung auf eine Stadt (hier: Rom) belegen die enge Verwandtschaft. Dieselbe Absicht verfolgen die unter den Namen heiliger Frauen überlieferten Apokalypsen der Alten Kirche.18 Die Forderung des Apostels Paulus, die Frauen müßten in der offiziellen sonntäglichen Gemeindeversammlung schweigen, oder sie müßten das Lehren überhaupt sein lassen (1 Tim 2) trifft sich ganz gut mit der Tatsache, daß wir nirgends vom liturgischen Auftreten christlicher Sibyllen hören, um so häufiger dagegen den ausnahmslos schriftlichen Charakter ihrer apokalyptischen Botschaften wahrnehmen. Die Anonymität der Sibyllen und der schriftliche Charakter sind der Preis, den die christlichen Prophetinnen der Alten Kirche dafür zahlen mußten, daß ihre Botschaften überhaupt weitergegeben wurden. Während sie in der Öffentlichkeit der Sonntagsgottesdienste und Predigten nicht zu Wort kamen, konnten ihre Botschaften in allen Sprachen der Alten Kirche schriftlich bewahrt werden.19 Eine bedeutsame Vorstufe im Judentum sind nicht nur die griechisch-jüdischen Sibyllen, sondern auch und vor al18 Vgl. Marien-Apokalypse (griech.), ed. M. Gidel 1871; Anastasia-Apokalyp-

se, ed. R.Homburg, 1903; weitere, Sibyllen zugeschriebene Apokryphen.

19 Griech. Ps.-Sibyllen, ed. J. Geffcken, 1902; griech.Tiburtina. „Tiburtina“ ist

die Sibylle von Tibur in Rom. Ed. P. J. Alexander, 1967; lat. Tiburtina, ed. E. Sackur, 1898; karschunische Tiburtina, ed. J. Schleifer, 1910; arab. Tiburtina, ed. J. Schleifer, 1910; äthiop. Tiburtina, ed. J. Schleifer, 1910; Anhang zur äth. Tiburtina, ed. R. Basset, 1900; rumänische Tiburtina, ed. M. Gaster, 1925–28; lat. Sibylle I, ed. B. Bischof 1951; lat. Sibylle II, ed. R. Usinger, 1870.

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3.  Christliche Prophetinnen

lem die testamentarischen Reden bedeutender Frauen des jüdischen Altertums im Liber Antiquitatum Biblicarum (Buch der biblischen Altertümer). Auf diesen herausragenden Reden (Rebekka, Ruth, Deborah) liegt das besondere Interesse des jüdischen Verfassers im 1. Jh. n. Chr. Auch heute wäre es die Aufgabe prophetischer Frauen, auf Ungerechtigkeiten und Mißstände aufmerksam zu machen, zu sagen, daß nur der Gott Israels hier drohende Katastrophen verhindern kann. Solche Frauen würden die Selbstcharakterisierung Jesu aufgreifen, er sei nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Durch christliche Frauen mit prophetischem Berufsverständnis könnte der investigative Journalismus von vielen Schattenseiten befreit werden. Die aktuelle Bedeutung des apokalyptischen Pro­ phe­ten­bildes ist damit gegeben. Man kann nachträglich wünschen, es hätte zur Zeit der Weimarer Republik mehr Frauen dieser Art gegeben, die vor dem Nationalsozialismus gewarnt hätten wie später dann Sophie Scholl; 50 Jahre später gab es dann einige mutige Frauen, über die zu urteilen es bei weitem zu früh is. In Erinnerung an die hl. Katharina und die hl. Brigitta von Schweden halte ich dafür, daß die Einheit der Christen dereinst durch eine Frau dieser Art zustande kommt. 3.2  Frauen streiten gegen Bischöfe

Ein Großteil des Problems, das in diesem Buch erörtert wird, ist übrigens schon im 2. und 3. Jh. n. Chr. in den apokryphen Evangelien diskutiert worden. Die aufgeschriebenen Diskussionen zeigen, daß der Streit nicht weniger heftig war als heute. Der Streit spielt zwischen Aposteln 46

3.2  Frauen streiten gegen Bischöfe

(mit Petrus an der Spitze) und den bekannten heiligen Frauen der Urkirche, deren Sprecherin Maria Magdalena zu sein scheint. Die Art, in der diese Evangelien darüber berichten, ist bemerkenswert. Denn weder wird der Führungsanspruch der Apostel bestritten noch wird die Wahrheit der Offenbarung für die Frauen geleugnet. Und immerhin sind diese Evangelien erhalten geblieben. Daß sie nicht in den Kanon des Neuen Testaments aufgenommen wurden, legt nicht an kirchlicher Antipathie gegen weibliche Offenbarung, sondern an ihrem zu geringen Alter. Daß Christen diese Schriften nicht hätten lesen dürfen, wird übrigens nirgends gesagt. Die männlichen Jünger (allen voran Petrus) sind eifersüchtige Gegner und vehemente Neider, wenn Jesus den weiblichen Jüngern besondere Zuwendung oder Offenbarung schenkt, allen voran Maria Magdalena. Diese Offenbarungen kommen oft darin zum Ausdruck, daß Jesus diese Frauen auf den Mund küßt, was in der Sache gleichbedeutend ist mit einer jeweils geschenkten Offen­barung durch den Heiligen Geist. Dabei stehen Petrus und seine Genossen aus dem Elferkreis für die männlichen Jünger. Frauen, besonders Maria Magdalena, haben oft direkt vom Herrn neue, oftmals gnostische Offen­barungen empfangen. In den gnostischen Frauen melden sich auf diese Weise die außerhalb der Hierarchie und der Sukzession stehenden Prophetinnen. Nach den Zeugnissen der Apokryphen gibt es verschiedene Bewertungen des Verhältnisses zwischen Petrus und Frauen: a) Petrus lehnt Frauen überhaupt ab („haßt das Geschlecht“). 47

3.  Christliche Prophetinnen

b) Frauen sind dem Leibe nach für den Himmel ungeeignet. Sie müssen ‚männlich‘ gemacht werden, d. h. ewiges, nicht sterbliches Leben erlangen. Denn sterbliches Leben zwischen Geburt und Tod ist ‚weiblich‘, weil Frauen gebären. c) sie stehen gleichrangig neben Petrus und andern Kernaposteln. d) Petrus protestiert gegen die Offenbarungsfunktion von Frauen, Jesus aber weist ihn zurecht und spricht zugunsten der Frauen. e) Frauen sind aber auch Petrus als Offenbarungsträger übergeordnet. f) Ein deutlicher Bezug zur Erstvision der Maria Magdalena ist bisweilen feststellbar.20 Ausweislich Logion 114 des Thomasevangeliums ist diese Tradition Petrus / Frauen schon sehr alt. Einer der Ansätze sind die Osterberichte der Evangelien, insbesondere die Rolle der Maria Magdalena als Erstzeugin. Darin spiegeln sich stets kirchengeschichtliche Gegebenheiten aus pro­phetisch-apokalyptischen wie aus gnostischen Kreisen. Hier wird der Kampf um die Lehrautorität von Frauen über­haupt ausgetragen, an dem auch schon Paulus und seine Schüler beteiligt waren. Lehrende Frauen finden sich besonders häufig in ‚häretischen‘ Kreisen, wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil sie in diese abgedrängt wurden. Die ‚gnostisierenden‘ Kreise sind stets wohlhabende, besonders gebildete Frauen, die Zeit genug für ‚Philosophie‘ hatten. 20 Vgl. zu den Quellen Berger: Unfehlbare Offenbarung. Petrus in der gno-

stischen und apokalyptischen Offenbarungsliteratur, in: Tradition und Offenbarung (2006), 308–370.

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3.2  Frauen streiten gegen Bischöfe

Petrus ist der geborene Widersacher dieses Anspruchs gebildeter Frauen, weil er als der erste Offenbarungsträger des traditionellen Christentums gilt. Darin steht Petrus nicht als Administrator der Kirche zur Diskussion, sondern als Offenbarungsempfänger schlechthin. Denn wenn jemand durch die charismatischen Ansprüche weiblicher Lehrer zu überbieten war, dann er. Nur durch diese lehrenden Frauen konnte die Autorität des Petrus gefährdet werden. Er soll nicht ausgeschaltet, wohl aber überboten werden. Dabei geht es nicht um die Gleichstellung im Heil und angesichts Jesu Christi. Petrus steht daher hier, wie auch sonst, für die Lehrtradition der ‚klerikalen‘ männlichen Kirchenführungen und für ihren charismatischen Anspruch. Die Frauen dagegen repräsentieren (wie im hellenistischen Judentum) die kulturelle und intellektuelle Oberschicht. Die Ordnung der hellenistischen Ekklesia (jüdisch oder heidnisch) ließ eine aktive Lehrfunktion von Frauen nicht zu. Typisch ist Evangelium der Maria 8–9: (8) (1) Als Maria das gesagt hatte, schwieg sie. Bis dahin hatte der Erlöser mit ihr gesprochen. / (2) Andreas sagte zu den Brüdern: „Sagt, was ihr zu Marias Worten denkt. / (3) Ich wenigstens glaube nicht, daß der Erlöser das gesagt hat. Denn dies sind doch fremde Lehren.“ / (4) Petrus äußerte sich dazu und fragte dann die Jünger, ob dem Erlöser so etwas zuzutrauen sei: / (5) „Sollte der Erlöser heimlich mit einer Frau gesprochen haben, sie bevorzugt haben vor uns und (das alles nicht) offen? Was sollen wir denn jetzt tun? Sollen wir umdenken und auf sie hören? Hat der Erlöser sie gegenüber uns bevorzugt?“ (9) (1) [18] Da weinte Maria Magdalena und sagte zu Petrus: „Mein Bruder Petrus, was glaubst du denn? / (2) Glaubst du, ich 49

3.  Christliche Prophetinnen

hätte mir das in meinem Herzen selbst ausgedacht oder ich lüge über den Erlöser?“ / (3) Levi beruhigte sie und sagte zu Petrus: „Petrus, du bist schon immer ein Hitzkopf gewesen. Und nun kanzelst du eine Frau ab, als wäre sie der Teufel persönlich. / (4) Doch wenn der Erlöser sie für ihre Aufgabe befähigt hat, wer bist du denn, daß du sie einfach für unglaubwürdig erklärst? / (5) Sicher kennt der Erlöser sie ganz genau. / (6) Deshalb hat er sie mehr als uns geliebt. / (7) Wir sollten uns vielmehr schämen und den vollkommenen Menschen wie ein Gewand anziehen ./ (8) Dann sollten wir Abschied nehmen, wie er es uns geboten hat, und das Evangelium verkünden.“ 21 Für das in diesem Buch erörterte Thema bedeutet das: Die frühchristlichen Frauen, die religiös etwas zu sagen haben, werden nicht einfach durch sie majorisierende Männer an die Seite gedrängt, untergebuttert oder zum Verschwinden gebracht. Der Konflikt ist vielmehr offen, und in dieser Literatur der apokryphen Evangelien wird er offen ausgetragen. Besonders delikat ist es, wenn gerade in apokryphen Petrus-Apokalypsen Petrus selbst hierarchiekritische Offenbarungen vom Herrn und Heiland empfängt, so etwa in der kopt. Apokalypse des Petrus von Nag Hammadi. Es handelt sich daher auch um einen religionssoziologischen Konflikt. Er spielt zwischen den reichen, gebildeten, zunehmend von er Volkskirche entfremdeten ‚Damen der höheren Gesellschaft‘ einerseits und den oft nicht sehr gebildeten volkskirchlichen Bischöfen andererseits. Es ist ein Streit darum, wer sich der Autorität des hl. Petrus bedienen darf. Es wäre sicher falsch, in diesen 21 Berger-Nord: Evangelium der Maria, 8–9.

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3.2  Frauen streiten gegen Bischöfe

Konflikten einseitig Partei zu ergreifen für die ‚intelligenten und progressiven‘ Frauen und gegen die ‚dummen und autoritären‘ Bischöfe. Man sollte den Streit um die Gnosis in der Kirche nicht noch einmal neu beginnen, er ist ausgestanden. Nicht so ganz ausgestanden ist hingegen das Problem der Frauen, die Verantwortung übernehmen möchten. Es wurde damals (3.–5. Jh.) nebenbei mit beantwortet, da sich bestimmte Kreise auf die Seite der Gnostiker schlugen, deren Materie- und Leibfeindlichkeit für eine Volkskirche ebensowenig erträglich waren wie ein elitäres Gehabe. Was unsere heutige Frage betrifft, so gilt: Keine der Gnostikerinnen hat damals nach der Frauenordination verlangt. Dergleichen hätte wohl auch deren innersten Überzeugungen widersprochen. Vielmehr wurden Eucharistie und Opfer, entsprechend auch der Sühnetod Jesu unter Gelächter abgewiesen (das ist alles zu irdisch), wie die Apostol. Konstitutionen es über Maria Magdalena berichten. Nun ist Maria Magdalena nicht irgendwer, sondern in dieser Literatur die Galionsfigur und Speerspitze der kritischen und gebildeten Frauen. Wenn gesagt wird, daß sie über die Eucharistie nur habe lachen können, dann sagt das nichts über die historische Maria Magdalena, wohl aber eine Menge über die Menschen, die sich durch sie repräsentiert sahen. Denn die Apostolischen Konstitutionen erörtern in diesem Kontext die Frage der Frauenordination. Das bedeutet auch wiederum nichts für heute (als ob nach wie vor Frauen, die eine Ordination anstrebten, die Eucharistie ablehnten). Es sagt nur etwas darüber, wie es zu der folgenreichen Praxis der Orthodoxen und Katholiken gekommen ist. 51

3.  Christliche Prophetinnen

Fazit: Was bedeutet also der Weg Jesu (Modell I) für die Frage der Frauenordination? Ordination begründet immer eine Ehrenstellung. Bis heute erhebt sich die Ge­mein­de von den Sitzen beim Einzug eines Geweihten / Ordinierten. Für Jesus gibt es jegliche Ehre nur im konse­quenten Verzicht auf jede Ehre. Sehr anschaulich finden wir das noch im 2. und 3. christlichen Jahrhundert in der liturgischen Ehrenstellung der Märtyrer, d. h. von Christen, die für ihren Glauben gelitten haben, z. B. durch Mißhandlung oder Haft. Martyrium ist, das läßt schon Phil 2 erkennen, unehrenhaft und die Zuspitzung einer sklavengleichen Existenz. Märtyrern wurden die bür­ger­lichen Rechte und Ehrenstellungen entzogen; sie mußten auf die bürgerlichen Rechte verzichten. Die liturgische Ehrung der Märtyrer noch zu Lebzeiten ist im 2. und 3. Jh. n.Chr. die geglückte Auslegung von Jesusworten über den Rang des Letzten und des Sklaven. Damit kann nach Modell I unter den Jüngern und Jüngerinnen Jesu nur der geehrt werden, der konsequent mit seinem ganzen Leib und Leben dient bzw. leidet (Die Ehre folgt dem, der sie flieht, und sie flieht den, der sie jagt.). Die sog. Peristasenkataloge (Kataloge über die erlittenen Strapazen und Leiden) bei Paulus sind daher zugleich Darstellung seiner Apostelwürde. Aber warum soll das der Weg für Frauen sein? Hat man den Frauen gesagt: Diene lieber, geweiht wirst du sowieso nicht? Oder wie ist hier die Logik? – Die Logik ist einfach die, daß jeder, der Jesus konsequent nachfolgt, automatisch jenseits aller Ehren landet. Das ist daher wesentlich eine Frage der Glaubwürdigkeit. Der aufgenötigte Verzicht auf Weihe birgt in sich die Chance, eine einzigartige Glaubwürdigkeit zu 52

3.2  Frauen streiten gegen Bischöfe

erlangen. Diese ist missionarisch überhaupt nicht zu unterschätzen. Man bedenke: Jude werden oder Christ(in) werden bedeutete am Anfang der Kirche den Verzicht auf familiäre und im weitesten Sinne soziale Geborgenheit.

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4  Das paulinische Modell 4.1  Es gilt die gestufte Abbildlichkeit

Paulus vertritt in 1 Kor 11 und anderswo eine besondere Eikon-Theologie mit christologischer Zuspitzung. Demnach ist Jesus Christus das Bild Gotts, und zwar er allein. Diese Auffassung teilt auch Kol 1,26 und sie liegt auch der Logos-Christologie in Joh 1 zugrunde. In 1 Kor 11 ist sie auch der maßgebliche Grund dafür, daß Frauen Jesus Christus nicht darstellen. Nach der Regel der Schöpfung ist die Frau Abbild des Mannes und nicht direkt Abbild Jesu Christi. Diese Abbildhaftigkeit begründet ein Verhältnis der Repräsentation. Denn in dem, der Abbild ist, begegnet man abgestuft dem Urbild. Der Grund ist, daß das Abbild etwas vom Urbild in sich trägt. Dieses Etwas nennt man Vollmacht oder (heiligen) Geist oder man formuliert es als stellvertretende Affiziertheit (wer euch sieht, der sieht mich). Das Verhältnis zwischen Urbild und Repräsentant nennt man Repräsentation oder Sendung / Gesandtsein. Hier liegt der religionsgeschichtliche Hintergrund des neu­testamentlichen Apostelbegriffs. Allein dieses Verhältnis der Repräsentation gilt eben nicht nur in der apostolischen Sendung durch Jesus, den Messias. Es gilt auch bereits zwischen Adam und Eva, es gilt auch zwischen Gott und Mensch nach Gen 1,26f. Dabei ist die Theologie dann darum bemüht, die Ähnlichkeit zwischen Gott 54

4.1  Es gilt die gestufte Abbildlichkeit

und Mensch (die durch den Sündenfall verlorenging) und die Abbildhaftigkeit des Menschen zu unterscheiden (die bleibend ist). Allerdings muß die Theologie hier in gewisser Hinsicht einen Bogen um das Neue Testament machen, ist doch dort Jesus Christus der einzige Mensch, der Gottes Bild ist. Schon in frühen Texten wird dieses Denkschema in einer einfachen Formel ‚angewandt‘, und zwar dann, wenn es heißt „wie den Herrn“ oder „wie dem Herrn“. Einige Beispiele: Paulus sagt, die Galater hätten ihn bereitwillig auf- und angenommen „wie den Herrn“(Gal 4,14), also: als wäre er (Paulus) der Herr selbst. Und in der Familie heißt es, Frauen und Kinder sollten dem Vater gehorchen bzw. sich ihm unterordnen „wie dem Herrn“. Obwohl diese Formel relativ häufig vorkommt, ist sie an keiner Stelle für das Verhältnis zu einer Frau belegt. Keiner Frau, und sei es die eigene Ehefrau, begegnet man oder gehorcht man „wie dem Herrn“. Das gilt, obwohl es nicht an Ermahnungen fehlt, die eigene Frau zu lieben wie sich selbst oder wie das eigene Fleisch. Aber man liebt sie nicht „wie den Herrn“. Interessanterweise gilt das „wie dem Herrn“ einmal in den ‚natürlichen‘ Sozialbeziehungen (Sklave  /  Herr, Frau  /  Mann, Kinder  /  Eltern), doch genauso in den ‚neuen‘ geistlichen Beziehungen in der Kirche (Gläubige / Apostel; Gläubige / Bischof). Denn Gott wirkt in zwei Bereichen, in der Schöpfung und in der Kirche. In beiden Bereichen geht es um Ordnung. Für den Bereich ‚Kirche‘ spricht Paulus diese Grundsätze am klarsten aus. Dazu einige neutestamentliche Beispiele: Gal 4,14: „… wie einen Engel Gottes habt ihr mich aufgenommen, wie Christus Jesus.“ Diese Stelle des Gal läßt 55

4.  Das paulinische Modell

sehr schön die enge Beziehung dieser Anschauung zum Boten- bzw. Apostelbegriff erkennen. H. D. Betz bemerkt zu Gal 4,14: „Paul … represents Christ“. Ähnliches zeigt auch der Apostelbegriff der Evangelien: Lk 10,16 (hören; mißachten); Mt 10,40.41 (aufnehmen); Didache 11,2 (aufnehmen, als wäre es der Herr selbst). 1 Thess 4,8 dagegen ist aufschlußreich, weil es hier der heilige Geist ist, der die enge Beziehung des Apostels zu dem ihn sendenden Herrn darstellt: Weil der Apostel den heiligen Geist hat, gilt die Unfolgsam­ keit, die man ihm an tut, nicht Menschen, sondern dem Herrn. – Kol 3,23: „(Sklaven), was ihr tut, das tut ihr sozusagen (wie) dem Herrn und nicht Menschen …, handelt als Sklaven Christi.“ – Eph 6,5: „Ihr Sklaven, gehorcht den Herren wie dem Christus.“ – Eph 6,7 : „(Sklaven) wie dem Herrn und nicht wie Menschen.“ Bei Ignatius von Antiochien († um 115 n. Chr.) gelten diese Relationen auch gegenüber dem Bischof. Er repräsentiert auf einmalige Weise „den Herrn“. Deshalb wird Gott auch Bischof (aller) genannt, und an mehreren Stellen faßt Ignatius seine Anschauungen zusammen. Es gilt auch in Phd 3,2: „Die zu Gott gehören, sind mit dem Bischof.“ – Smyrn 9,1: „Wer den Bischof ehrt, wird von Gott geehrt werden.“ Von Gott ist der menschliche Bischof als der sichtbare Bischof unterschieden. An die Magnesier 5,1: „An der Stelle Gottes führt der Bischof den Vorsitz“ 22 – Ignatius, an die Eph 6.1: „Jeden, den der Hausherr zu seinen Hausgenossen schickt, müssen wir aufnehmen wie den Hausherrn selbst. Man muß den Bischof nehmen wie den Herrn selbst.“ – 22 Vgl. Ignatius, Römer 9,1.

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4.1  Es gilt die gestufte Abbildlichkeit

Ignatius, Eph 5,3: „Wir wollen uns bemühen, daß wir uns dem Bischof nicht widersetzen, damit wir uns so dem Willen Gottes unterwerfen.“ – An die Magnesier 2,1: „Untergeordnet dem Bischof wie der Gnade Gottes und den Ältesten wie dem Gesetz Christi“. Ignatius, an die Trallianer 2,1: „Wenn ihr euch eurem Bischof unterwerft, als gälte es Jesus Christus …“ Und 3,1: „Ebenso sollen alle die Diakone achten, als gälte es Jesus Christus, und den Bischof, weil er Abbild des Vaters ist, und die Ältesten, als gälte es dem Rat der Apostel.“ – An Polykarp 13,2: „Unterwerft euch dem Bischof, als gälte es dem Gebot Gottes.“ Andererseits kann Ignatius sagen: „Folgt alle dem Bischof, wie Jesus Christus dem Vater folgt. Folgt dem Rat der Ältestem, als gälte es den Aposteln.“ – Im Brief an die Magnesier sagt er (13,2): „Unterwerft euch dem Bischof und den anderen, so wie Jesus als Mensch sich dem Vater unterwarf und wie die Apostel sich Christus, dem Vater und dem Heiligen Geist unterwarfen, damit ihr alle eins seid als Menschen und vor Gott.“ – Im Brief an die Magnesier 6,1 sagt er: „Der Bischof soll den Vorsitz führen an Gottes Stelle“. – Im Brief an die Epheser heißt es: „Jeden, den der Hausherr zu seinen Hausgenossen schickt, müssen diese aufnehmen wie den Hausherrn selbst. Den Bischof müssen wir daher für den Herrn selbst nehmen.“ Ähnlich gilt in der Syrischen Didaskalie den Frauen diese Mahnung: „Wisset aber, ihr Schwestern, daß in allem, was euch die Oberhirten mit den Diakonen befehlen und worin ihr ihnen gehorcht, das gehorcht ihr Gott.“ 23 Die Frauen gehorchen demnach Gott, wenn sie den Bischöfen oder Diakonen folgen. Das bedeutet gewiß nicht, daß die Bischöfe oder Diakone göttlich wären. Das ist ein 23 Syrische Didaskalie (Mitte 3. Jh. n. Chr.) Cap XV, S. 77 (übers. nach TU

X,2 NF), ibid., S. 80.

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4.  Das paulinische Modell

Mißverständnis, das gerade bei protestantischen Auslegern häufig auftritt, wobei man dann gleichzeitig in derartigen Formulierungen einen eklatanten Verstoß gegen die Rechtfertigungslehre erblickt, wonach die Menschen eben nicht göttlich sind. Aber dergleichen wird nun nicht in dieser Tradition behauptet, auch nicht von Paulus in Gal 2. Denn das „wie den Herrn“, vom Verhalten zu einem Menschen gesagt, impliziert in keinem Falle eine Aussage über seine Heiligkeit noch über sein Heil. Fazit:  Mit Sendung und Bevollmächtigung ergibt sich hier eine hoheitlich und „von oben“ orientierte Begrün­ dung von Vollmacht und Sendung in abgestufter Repräsentanz Gottes. Auf den Gehorsam gegenüber Frauen wird dieses Schema nicht angewandt. Es gibt, soweit ich sehe, nur eine einzige Textstelle, die von einer geweihten Presbyterin spricht, und zwar eine einzelne Handschrift des späten Martyrium Matthaei Kap. 28.24 Demnach setzt der Apostel Matthäus die ganze königliche Familie als Kleriker(innen) ein, den König als Ältesten, seinen Sohn als Diakon, seine Frau als Presbyterin, seine Schwiegertochter als Diakonisse. Die Weihe geschieht durch Handauflegung. Das Weihegebet ist in einer Handschrift erhalten: „Segen und Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei allezeit mit euch.“ Das Volk antwortet: „Alleluja, Amen.“ Nach der lateinischen Version wird die Königin Diakonisse. Die Eucharistie (mit eigenwilliger Konsekrationsformel) bleibt beim Bischof (frühmittelalterliche Datierung, 7. Jh.). Der Wechsel der Amtsbezeichnungen für die Königin legt den Schluß nahe, daß 24 M. Bonnet, AAA 2,1.

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4.2  Autorität nach dem Abbild-Schema

die Frau nur als Fürstin zu geistlichen Ehren kommt. Insoweit handelt es sich um eine Ausnahme. Nach den Regeln dieses Schemas ist die Nicht-Weihe von Frauen eigentlich nur konsequent. Denn bei – von oben nach unten – abnehmender Ähnlichkeit mit dem Urbild sind sie das letzte Glied in der Kette. Ein diesbezüglicher Versuch wird auch, soweit ich sehe, in der alten Kirche nie unternommen. Das ändert sich auch nicht, weil die Berufung ‚von oben her‘ gedacht wird. Es besteht ein klarer Gegensatz zwischen dieser Konzeption der Begründung des Amtes und der Berufungstheologie nach dem jesuanischen Modell und dem der Menschensohn-Theologie und der Kreuzestheologie von 1 Kor 1. Da man das jesuanische Modell ohnehin fast nie richtig streng anwenden wollte, blieb die Wahrnehmung des Kontrastes der Theologie und der Kirche erspart. Das jesuanische Modell hat man leider von der zweiten Generation an (die erste Generation waren die mit Diakonia befaßten Männer nach Apg 6, die zugleich Lehrer und Verkündiger waren wie Stephanus und Philippus) nur als moralischen ZusatzAppell betrachtet; darauf weist bis heute das kleine Tau (τ bzw. +), das jeder Bischof bei der Unterschrift vor seinen Namen setzt und das laut Auskunft „tapeinos“ „niedrig / demütig“ heißt. Biographisch muß das aber eben nicht verifiziert werden. In der urchristlichen Geschichte des Amtes spielt es aber auch für Frauen keine Rolle. 4.2  Autorität nach dem Abbild-Schema

Das paulinsche Prinzip der gestuften Abbildlichkeit wurde und wird bis heute dazu gebraucht, kirchliche Autorität zu begründen. Aus schöpfungstheologischen Gründen 59

4.  Das paulinische Modell

kommen deshalb bei Paulus Frauen für die Repräsentanz Gottes in der Liturgie nicht in Frage. Das ändert aber nichts daran, daß außerhalb dieses Problems das Prinzip der Abbildlichkeit für das Amtsverständnis bedeutsam ist. Natürlich kann man hier von einem platonisierenden Denken sprechen. Aus der Liste der Titel, die Jesus nennt, ist Jesu Satz: „Sagt auch zu keinem Menschen ‚unser Vater‘. Denn euer Vater ist nur einer: Gott im Himmel“ (Mt 23,9) besonders umkämpft. Wird nicht mit der Anrede von Papst und Abt Jesu Gebot fortwährend verletzt, und zwar von Leuten, die es wirklich wissen müßten, von Theologen? Nun ist „abinu“ unser Vater auch im Judentum übliche metaphorische Gottesanrede. Aber zu keiner Zeit wurden Papst oder Abt als „unser Vater“ angeredet. Wenn ich an den Papst schreibe, dann beginnt der Brief mit „Heiliger Vater!“ Und ich meine dann keinen Halbgott, sondern den Bischof von Rom, denn seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. ist Vater eine metaphorische katholische Bischofsbezeichnung. 4.3  Sind Frauen Abbild vom Abbild?

Sollte es zutreffen, daß im Rahmen der natürlichen Schöpfungsordnung das weibliche Geschlecht nicht in der Relation direkter Abbildlichkeit zu Jesus Christus steht, so ist dieses als seine direkte Repräsentanz im Rahmen der Liturgie nicht geeignet. •  Die paulinischen Aussagen  Im 1. Korintherbrief 11,2 bis 14,40 erörtert Paulus Themen des Gottesdienstes im weiteren Sinne des Wortes, also inklusive Gebet und Prophe­ zeien. Der Abschnitt wird eingerahmt durch Aussagen zur 60

4.3  Sind Frauen Abbild vom Abbild?

Rolle der Frauen25, überdies durch das Stichwort „pro­ phezeien“.26 In den beiden Texten über die Rolle der Frauen geht es um deren Schutz und deren Ansehen und Ehre. Denn nach 1 Kor 11,2–16 werden die Frauen durch Verhüllung des Hauptes vor (potentiell gefährlichen) Engeln geschützt, und wenn Frauen lange Haare tragen, ist das schicklich.27 – In 1 Kor 14,34–40 schützt Paulus Frauen, die Fragen stellen wollen, vor dem öffentlichen Gestöhne, das nur auf ihre Kosten ginge und wenig sachdienlich wäre, und schreibt vor, der Ort der Fragen sei das Haus. Ich kann in beiden Texten auch nicht die leiseste Diskriminierung sehen, es sei denn, man übertrüge sie eins zu eins in die Gegenwart, ohne sich um die Begründungen zu kümmern. Im gesamten Abschnitt 1 Kor 11–14 ist Paulus sehr um äußere Ordnung bemüht. Man muß bedenken, daß die Zeitgenossen dergleichen im Zusammenhang mit praktizierter Religion überhaupt nicht kannten. Der einzige Bereich, in dem das der Fall war, kann nur der synagogale Gottesdienst gewesen sein. Nach allem, was wir z. B. aus Lk 4 oder aus der Darstellung der Therapeuten bei Philo von Alexandrien wissen, war synagogaler Gottesdienst geregelt, und zwar ganz ähnlich, wie es Paulus hier vorschwebt.28 Zum Thema Gottesdienst werden in Kap. 11–14 folgende Themen nacheinander behandelt: Gebet und Prophe25 26 27 28

1 Kor 11,2–16; 14,34–40. 1 Kor 11,4; 14,39. 1 Kor 11,15. Vgl. dazu M. Klinghardt: Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft, Tübingen 1996.

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4.  Das paulinische Modell

zeien, Abendmahl, Einheit der Gemeinde trotz Vielfalt der Charismen (Kap. 12). Das Thema gehört hierher, weil es in Kap. 14 für den Gottesdienst entfaltet wird, Liebe als oberstes Charisma (Kap. 13) und wichtigstes Regulativ, schließlich folgen in Kap. 14 einzelne Beiträge zum Gottesdienst auf der Grundlage von Kap. 12 und 13. •  Zu 1 Kor 11,2–16  Paulus deutet hier an zwei Stellen in den Versen 3 und 7 eine eigenartige Seinshierarchie an, die er auch sonst in diesem Brief kennt: Vers 3,21: Gott – Christus – ihr – alle Dinge; Vers 8,6: Gott – Christus – wir – alle Dinge; Vers 11,3: Gott – Christus – Mann – Frau; Vers 11,7: Gott – Mann – Frau; Vers 15,28: Gott – Christus – alle Dinge. 1 Kor 11 ist daher nicht isolierter Rückfall, sondern hat System im Rahmen frühpaulinischer Theologie29. In Kap. 3 geht es um Besitz, in K .8 um Schöpfung und Erlösung, in Kap.11 um Haupt-Sein und Abglanz, in Kap. 15 um Unterwerfung. Von Mann und Frau ist nur die Rede in Kap. 11. Gleichzeitig fehlen nur in Kap. 11 „alle Dinge“. An 1 Kor 11,7 kann man erkennen, daß das Schema wohl aus Gen 1,27 kommt (der Mensch, Mann und Frau, als Gottes Ebenbild). Die Hierarchie ist demnach auch ein Repräsentationsverhältnis. In 1 Kor 11,7 fehlt das christologische Glied, und das weist auf vorchristlich-jüdischen Ursprung des Schemas. Der Sinn aller dieser ‚hierarchischen‘ Stellen ist es zweifellos, Orientierung für eine Ordnung zu bieten, in der die Schöpfung die Grundlage bildet. Dadurch, daß an der Mehrzahl der Stellen Christus eingefügt ist, werden Schöpfung und Erlösung einander 29 Vgl. unten zur Logoschristologie, S. 67–70.

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4.3  Sind Frauen Abbild vom Abbild?

zugeordnet30, denn „durch Christus“ ist ja auch alles geworden. Für die Heidenchristen in Korinth wird so ein plausibles Grundschema des Seins geliefert. Das Schema ist biblischen Ursprungs und daher auch für Paulus in seiner Gültigkeit unbestritten. Dennoch will Paulus schon in Kap. 11 auch nur den Anschein vermeiden, das Schema diskreditiere Frauen, und dem dienen die Verse 11,11–12, die die grundsätzliche Wechselseitigkeit des Verhältnisses Mann / Frau darstellen.31 Aber warum muß jede Frau wegen der Engel einen Schleier (oder dergleichen) zur Verhüllung des Hauptes tragen, wenn sie betet oder prophezeit? – Dafür sind folgende Gründe zu nennen: Das ist römische Sitte.   „Warum pflegt man beim Anrufen der Götter das Haupt zu verhüllen …?“ […] „Zu den Göttern aber betete man auf solche Weise, entweder sich demütigend durch die Verhüllung des Hauptes, oder vielmehr in der Absicht zu verhüten, daß während des Gebets eine unglückbringende, unheilvolle Stimme von außen vernommen werde, zieht man den Mantel bis zu den Ohren hinauf […] Der Dämon in uns bedarf der Götter außerhalb und steht vor ihnen mit verhülltem Haupt, um anzudeuten, wie die Seele vom Körper verhüllt und bedeckt ist.“ 32 Das ist übrigens derselbe Grund, aus dem Mönche bis heute eine Kapuze tragen und die, wenn sie beim Beten ungestört sein wollen, auch überziehen. Daß dahinter allgemeinere, auch nicht-religiöse Erfahrungen stehen, könnte folgender Text von Plutarch zeigen: „Es fragte ihn jemand, warum die Mädchen unverhüllt, die Frauen aber verhüllt sich öffentlich 30 Vgl. besonders zu 1 Kor 8,5f. 31 Vgl. schon 7,1–5. 32 Vgl. Plutarch, Römische Gebräuche, 10.

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4.  Das paulinische Modell

zeigten. Weil, antwortete er, die Mädchen Männer finden, die Frauen aber ihre Männer bewahren müssen.“ 33 (Daher stammt noch heute der Ausdruck ‚unter die Haube kommen‘). Für den ersten Text ist noch zu beachten, daß Korinth zur Zeit des Paulus eine römische Siedlung ist. Frauen sind besonders gefährdet:  Denn Frauen müssen / können die Kinder bekommen. Mißgünstige Engel (die das nicht können) stören die Frauen erfahrungsgemäß dabei (in jeder Hinsicht, auch durch Tod des Kindes im Mutterleib). Dagegen wird die Braut durch einen Schleier geschützt. Auch das ist ein römischer Brauch („nubere“, heiraten, heißt: sich für einen Mann verhüllen), und deshalb ist er bis heute auch bei uns lebendig. Der Brautschleier hat apotropäische Funktion. Störung durch Dämonen beim Beten:  Wenn eine Frau betet oder prophezeit, begibt sie sich in den Bereich zwischen Himmel und Erde, in dem Engel und Dämonen jeder Art umher schwirren. Sie ist durch ihren Mut, in diesen Bereich einzudringen, noch einmal zusätzlich gefährdet. Beten oder Prophezeien ist keine harmlose Sache, der Mensch begibt sich damit in Gefahr. Daher die Kapuze der Mönche und daher schon rabbinische Legenden über die Beter durch Ablenkbarkeit und krause Gedanken gefährdet ist, wissen nicht nur die Wüstenväter und -mütter, sondern auch jeder Beter. Geringere Ebenbildlichkeit der Frau:  Nach 1 Kor 11,7f.10 müssen Frauen, da sie nur Abglanz des Mannes sind, eine „Vollmacht“ / ein zusätzliches Hoheitszeichen und einen Schutz auf dem Haupt tragen. Jede Kopfbedeckung (Hut, 33 Plutarch, Moralia, Lakonische Denksprüche, 2.

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4.3  Sind Frauen Abbild vom Abbild?

Krone) ist ein Hoheitszeichen, und deshalb zieht man den Hut vor dem Höheren oder legt die Krone ab.34 Wenn Frauen daher ein zusätzliches Hoheitszeichen tragen, dann demonstrieren sie gegenüber den Engeln Macht. Die natürliche Macht, die ihnen teilweise abgeht, da sie nur schwaches Abbild Gottes sind, wird so künstlich vergrößert, so wie Pfarrer früher einen ‚Pfaffenhut‘ trugen und damit Hoheit demonstrierten; ähnlich auch Bischöfe. Denn Menschen, für die Christus gestorben ist, sind allemal mehr wert als Engel. Allerdings ist das Beten wie das Prophezeien keineswegs notwendig öffentlich; denn Beten ist nicht an die Gemeindeversammlung gebunden und Prophezeien meint jede Art religiöser Rede, zum Beispiel an die Kinder, an Nachbarn, vor Behörden usw. Noch der Hirt des Hermas 35 setzt Menschen voraus, die „im Winkel“ prophezeien, also nicht öffentlich. Hermas kritisiert das, aber er mahnt nicht, zum Prophezeien lieber in die Gemeindeversammlung zu gehen (diese würde nur in dem Hermas beschäftigenden vorliegenden Fall die Prophezeiungen als leer erweisen, aber prinzipiell besteht kein Einwand gegen die Nicht-Öffentlichkeit). Weil das so ist, steht das Beten und Prophezeien von Kap. 11, das Paulus selbstverständlich erlaubt, nicht im Gegensatz zum Verbot des Redens von Frauen in der Gemeindeversammlung. Denn vorausgesetzt ist: Frauen beten und reden prophetisch, das dürfen sie, wenn sie sich nur schützen. Kap. 14 dagegen nimmt Bezug auf die spezielle Situation des öffentlichen 34 Vgl. Apk 4,10. 35 mand. 11,13.

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4.  Das paulinische Modell

Gemeindegottesdienstes am Sonntag. Dort gilt das Redeverbot, freilich, wie gesagt, zum Schutz der Frau vor dem bekanntlich wenig schmeichelhaften Gerede, das sich an öffentliche Auftritte von Frauen damals (und manchmal leider bis in unsere Tage) knüpfte. Paulus verbindet in diesem Abschnitt das Argument bezüglich der Engel mit Hinweisen auf allgemeine Schicklichkeit (1 Kor 11,3–4.13–15). Die korinthischen ‚Starken‘ könnte das mehr beeindruckt haben. Denn eine wenig konforme neue Religion wie das Christentum mußte alles daran setzen, den bürgerlichen Maßstäben von Ordnung zu entsprechen, um nicht als Vereinigung von Chaoten ins Gerede zu kommen (diese Sorge hat Paulus auch in Kap. 5 und in Kap. 11). Denn wenn eine religiöse Minorität erst einmal verrufen ist, verliert sie allzu leicht ihren religiösen Charakter, da dieser dann als unglaubwürdig erscheint. Man hat früher öfter kritisch gefragt,36 ob nicht zwischen 1 Kor 11 und 14 eklatante Widersprüche bestünden, daher nur das eine oder das andere ‚wahr‘ sein könnte. Das diente dann dazu, 1 Kor 14 auszumanövrieren. Denn in 1 Kor 11,4–5 bejahe Paulus das Prophezeien von Frauen, in 1 Kor 14,34.37 verbiete er es de facto. Doch 1 Kor 14 ist nicht gegen das Prophezeien gerichtet, sondern gegen ‚lästige‘ Zwischenfragen, die man auch zu Hause diskutieren könnte. Es könnte sein, daß historisch gesehen die als lästig empfundene Praxis des Zwischenfragens ein Relikt aus der Zeit der Hausgemeinden ist. Denn wenn man bequem zu Hause zusammen sitzt, darf jeder sagen und fragen, 36 Etwa G. Dautzenberg, Urchristliche Prophetie, 1975.

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4.3  Sind Frauen Abbild vom Abbild?

was er will. Nur wenn der Kreis größer und gar so groß wird wie in Korinth, kommt plötzlich die öffentliche Ordnung ins Spiel.37 Wenn sich die Gemeinde über die Sozialstruktur der Familie hinaus vergrößert, könnten langsam andere Regeln eingeführt werden. Aus meiner Sicht besteht ein Widerspruch zwischen 1 Kor 11 und 1 Kor 14 gar nicht, denn prophetisch zu reden ist keine typische Frage der Gemeindeversammlungen. •  Hintergrund Logos-Christologie  Besonders in 1 Kor, aber auch in Kol finden sich im paulinischen Schrifttum ansehnliche Reste einer sog. Logos-Christologie. Außerhalb von Paulus ist diese Christologie aus Joh 1 geläufig. Gemeinsames Merkmal dieser Zeugnisse ist: Jesus Christus, und zwar er allein ist das wahre Abbild Gottes. Dem gewöhnlichen Menschen kommt dieses Attribut nicht zu, nur Jesus allein. Fast allen Diskussionspartnern ist dieser Umstand unbekannt: Das Neue Testament kennt nur eine (entlegene) Stelle, in Jak 3,9, die Auffassung, „der Mensch“ sei Bild bzw. Ebenbild Gottes. In Jak 3,9 gilt dieses unabhängig von der Erlösung durch Jesus Christus. Was Paulus dazu denkt, tritt in 1 Kor 11 und 1 Kor 15 klar hervor: Jesus Christus und niemand anders ist Gottes Bild. Vom Menschen allgemein, etwa von Adam und Eva, wie wir das üblicherweise denken, gilt das gar nicht. Allerdings kann in der Erlösung durch Jesus Christus, diese Qualität in der neuen Schöpfung (wieder-)hergestellt werden. Für Paulus sind die Aussagen über die Ebenbildlichkeit erst gültig, wenn und insofern als der Mensch durch Jesus 37

Zum Stichwort Ordnung vgl. 1 Kor 14,40.

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4.  Das paulinische Modell

Christus am Ende der Zeiten und in der neuen Schöpfung grundlegend erneuert ist. Bis dahin aber gilt die gestaffelte Ebenbildlichkeit Gott  /  Christus  /  Mann  /  Frau. So ist das in 1 Kor 11 vorausgesetzt. Bevor wir das im Einzelnen begründen, sind die praktischen Konsequenzen für die Rolle der Frau in paulinischen Gemeinden darzustellen. Die Frauen sind in der Kette der Abbildlichkeiten das letzte Glied. Die göttliche (Aus-)Strahlung ist damit bei ihnen relativ am geringsten. Deshalb brauchen sie nach 1 Kor 11 einen besonderen Schutz. Die Abstufung der Ähnlichkeit hat etwas mit Sendung zu tun.38 Das heißt: Der jeweils Untergeordnete kann den jeweils ihm Übergeordneten repräsentieren und in der Welt darstellen. Es gehört zur Logik der Staffelung, daß keine Stufe übersprungen werden kann. Eine Frau kann daher, insbesondere in einer amtlichen Funktion weder Jesus Christus noch Gott repräsentieren. Diese größere Distanz zu Gott ist in diesem Fall weder moralischer Mangel noch Mangel an Erlöstheit. Ohnehin gilt: Kein Mensch ist bislang perfekt gerettet. Paulus geht vielmehr von der natürlichen Ordnung aus, so wie er sie als hellenistischer Jude und als Christ des 1. Jahrhunderts sieht. Man dürfte kaum des Anachronismus beschuldigt werden müssen, wenn man davon ausgeht, daß auch im 1. Jh. n. Chr. schon der Grundsatz gilt: Die Gnade zerstört nicht die Natur, sondern sie vollendet sie. Mit den Argumenten des damaligen Judentums gefragt: Wie sollte Gott im Zeitalter (oder im Zusammenhang) der Erlösung seine eigene Schöpfung zerstören? Dennoch kann niemand verbieten zu hoffen, daß mit der 38 Wie schon in § 125f. 131 der „Theologiegeschichte“ angedeutet.

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4.3  Sind Frauen Abbild vom Abbild?

Neuen Schöpfung alle wirklich trennenden Differenzen ausgeglichen werden. Wieweit eine Hoffnung sinnvoll ist oder bereits jetzt fatale Folgen haben kann, ließe sich am Beispiel der Differenz Juden / Heiden illustrieren. Ich möchte nicht hoffen müssen, daß Judesein je überholt werden wird. Ebenso wenig möchte ich hoffen, daß es in der Neuen Schöpfung keine Frauen mehr gibt. Irgendein Unisex ist nicht vorstellbar. Die Texte sind Beispiele frühchristlicher Alles-Aussagen. Es fehlt eine destruktiv-kosmologische Eschatologie mit der Erschütterung der Welt oder gar deren Untergang. Umgekehrt erfüllt Gott Menschen oder Welt mit sich selbst bzw. mit Seinem Leben. Es besteht ein Zusammenhang mit Sendungsaussagen (klar erkennbar ist das u.  a. an den engen Analogien zwischen johanneischer Christologie und paulinischem Apostelbegriff). Da schon Paulus in 1 Kor aus dieser ‚Tradition‘ formelartig zitiert, handelt es sich wohl um einen sehr alten theologischen Ansatz. Vor allem Kol greift darauf zurück, und vieles findet sich schon im johanneischen Schrifttum, besonders Joh 1. Die Christologie ist ganz unvermittelt so hoch angesetzt. Jesus ist ein Himmelswesen direkt an Gottes Seite, als Schöpfungsmittler oder dann als Anwalt der Menschen. Die Christus-Enkomien am Anfang der Briefe (Phil 2,6–11; Hebr 1,1–4; Kol 1,15–20; Joh 1,1–3(18) verdanken dieser Tradition wichtige Elemente. Fazit, betreffend der gestuften Abbildlichkeit:  Wir sind den Vorschlägen des Apostels Paulus aus 1 Kor 11 gefolgt. In der christlichen Abendmahlsliturgie (und auch in anderen Sakramenten) handelt der Leiter der Liturgie (der Priester) in persona Christi, d. h. an Christi Stelle. Wenn Paulus 69

4.  Das paulinische Modell

Recht hat, ist das weibliche Geschlecht zur Repräsentation Jesu Christi nicht geeignet. Das gilt übrigens nicht aus sexistischen Gründen (weil Jesus Mann ist und die Frauen nicht), sondern es gilt wegen der Ordnung der Schöpfung nach Paulus (Gott – Christus – Mann – Frau). •  Gibt es eine aktuelle Bedeutung von 1 Kor 11?  Paulus selbst hat offensichtlich bereits mit einer weiblichen Hörerschaft gerechnet. Daher hat er die traditionell jüdischen Vorstellungen, mit denen er in 1 Kor 11 operiert, bereits vor Mißverständnissen geschützt. Denn schon in Kap. 7,1–5.11 hatte Paulus strikt auf Gerechtigkeit geachtet. In 1 Kor 11,8 sagt er: „(11) Doch in der Gemeinschaft mit Christus gibt es Mann und Frau nicht ohne einander, sondern nur zusammen.  /  (12) Denn Eva wurde aus Adam geschaffen, und jeder Mann kommt durch eine Frau auf die Welt. Beide aber kommen von Gott her.“ Das bedeutet: Die Abhängigkeit ist wechselseitig. Und so betrifft auch die Herkunft von Gott beide Partner. Damit nimmt Paulus seine praktische Anordnung nicht zurück (Kopfbedeckung beim Prophezeien und Beten). Gen 2,24 hat im ursprünglichen Kontext keineswegs die Funktion, in irgendeinem Sinne die Superiorität des Mannes zu begründen. Wenn etwas durch die ‚Geschichte mit der Rippe‘ erklärt wird, dann die grundsätzliche Verwandtschaft von Mann und Frau. Ferner geht es im Kontext eher darum, eine Art Matriarchat zu begründen (Adam hängt der Frau an und heiratet in die Sippe der Eva ein.). Gibt es also irgendeine aktuelle Bedeutung von 1 Kor 11? Es ist nicht Aufgabe des Exegeten, dergleichen Möglichkeiten grundsätzlich zu bestreiten. Es gibt Texte, die ihre 70

4.3  Sind Frauen Abbild vom Abbild?

Stunde haben (wie Mk 10,17–25 bei Franz von Assisi) und auch wieder erlangen können. Bis dahin darf man keinen Zwang ausüben, denn jede Art von Krampf diskreditiert das Gewerbe. Es ist wie mit der ruhig ausgestreckten Hand im Unterschied zum ängstlichen und krampfigen Gefuchtel. Nur wer die Hand geduldig offen hält, macht sie für die Taube, um die es geht, sympathisch. Um verantwortungsvoll hermeneutisch zu reden: Autorität besitzt ein Text oder eine Stelle nicht für sich, sondern nur dann, wenn der lebendige Glaube der Kirche diese Aussage im wahrsten Sinne des Wortes benötigt. Damit wird das umgedreht, was ich unter Inspiration verstehe: Inspiriert ist ein Text, wenn und weil er dem lebendigen Glauben der Kirche – freilich der ganzen Kirche – entpricht. Das gilt auch für seine spätere Verbindlichkeit: Wo dieser Glaube eher zerstört oder um seine Würde gebracht wird, besteht auch keine Notwendigkeit. Das letzte Kriterium ist das Lehramt der Kirche innerhalb einer Gemeinschaft lebendig Glaubender, d. h. die kritisch zur Geltung gebrachte Existenz der Kirche. Entscheidet also doch der Zeitgeist? Der Zeitgeist selbst ist weder heilig noch unheilig. Wenn die Kirche wirklich katholisch sein will, muß das Lehramt das, was es sagt, verantworten können vor der Gemeinschaft der Kirche in der Horizontalen (weltweit) und in der Vertikalen (seit jeher existierend). Würde das Lehramt der Kirche heute auf der Kopfbedeckung der Frauen nach 1 Kor 11 insistieren, dann würden leicht entscheidende Teile der Botschaft verdunkelt. Andererseits: In den Ostkirchen ist – soweit das Auge reicht – 1 Kor 11 als geltendes Kirchenrecht in Kraft. 71

4.  Das paulinische Modell

Aber ist es nicht mit der Verweigerung der Priesterweihe gegenüber Frauen ähnlich? In jedem einzelnen Kapitel dieses Buches wird dargestellt, daß dieses kein Randphänomen ist wie die Kopfbedeckung nach Kor 11, sondern daß es wesentliche Aussagen über die Rede von Gott und das Menschenbild betrifft. Menschen aus den Ostkirchen würden uns sagen, die Einschätzung ihrer Sitte als Randphänomen sei doch eben subjektiv. •  Menschen zweiter Klasse?  Wenn man 1 Kor 11 in irgendeiner Hinsicht gelten läßt, handelt man sich für Paulus und auch für die eigene Person des Auslegers den Vorwurf ein, Frauen würden hier für alle Zeiten als Menschen zweiter Klasse dargestellt. Paulus selbst scheint bereits gemerkt zu haben, daß man aus dem überkommenen Ansatz der Repräsentation durch Abbildlichkeit Konsequenzen der eben genannten Art hätte ziehen können. In 1 Kor 11,8–12 nennt Paulus sie und weist sie zurück: „Der Mann kommt nicht von der Frau, sondern die Frau vom Mann. Und der Mann ist nicht wegen der Frau erschaffen worden, sondern die Frau wegen des Mannes. (11) Doch in der Gemeinschaft mit Christus gibt es Mann und Frau nicht ohne einander, sondern nur zusammen. (12) Denn Eva wurde aus Adam erschaffen, und jeder Mann kommt durch eine Frau auf die Welt. Beide aber kommen von Gott her.“ So gilt hier einerseits die strenge und unumkehrbare Ordnung der Herkunft von Adam, dem erstgeschaffenen Menschen. Doch weil jeder Mensch, auch jeder Mann, von einer Frau geboren wird, kommen doch alle Menschen von „Eva“ her. In dieser, wenn auch nur in dieser Hinsicht, ist die ‚zweite‘, also nachrangige Position für jede Eva aufgehoben. Doch Schöpfung und Natur widersprechen sich 72

4.3  Sind Frauen Abbild vom Abbild?

nicht; es wird nur ein gewisser Ausgleich erreicht. Das spiegelt auch das Sein „in Christus“, ein ‚Raum‘, in dem Frauen und Männer zusammen sind. Und noch einmal betont Paulus am Ende auch die schöpfungsmäßige Herkunft beider von dem einen Gott. So wird für den allerersten Anfang wie für die Gemeinschaft in Christus die Gemeinsamkeit von Frauen und Männern betont. Laviert Paulus hier, windet er sich zwischen einer möglicherweise diskriminierenden Praxis und der theologischen Einheits- und Friedensdoktrin? Was geschieht hier wirklich in der Argumentation des Apostels? Ist Paulus bestrebt, wahrgenommene Peinlichkeiten zu relativieren? Und wenn das so ist, kann man dann nicht, da bestimmte Ritualzwänge nach 2000 Jahren nicht mehr bestehen, wie z. B. die Kopfbedeckung beim Beten, eben über diese Situation endlich hinwegsehen? Hat nicht Paulus selbst schon den Grundsatz „denn der Mann kommt nicht von der Frau, sondern die Frau vom Mann“ selbst durch den Hinweis darauf, daß alle von der Frau kommen, entscheidend relativiert? – Wir Heutigen meinen, hier zwei Strömungen zu erkennen, die eine erscheint sympathisch, sie betont die Gemeinsamkeiten am Anfang und am Ende. Die andere sieht unsympathisch und abergläubisch aus: sie betont die für Eva unvorteilhaften Züge. Aber hat es diese Strömungen hier wirklich gegeben? Oder ist das nur optische Täuschung? Doch was die Schöpfungsgeschichte sagt, kann durch den vergrößerten Abstand von noch einmal 2000 Jahren nicht geändert werden. Zudem redet die Schöpfungsgeschichte schon zur Zeit ihrer Entstehung durchaus von der damaligen Gegenwart. Sie meint das Verhältnis von 73

4.  Das paulinische Modell

Frau und Mann überhaupt, nicht nur die einmalige Entstehung. Doch in Wahrheit leistet schon die biblische Erzählung in Gen 2 sehr Ähnliches wie es Paulus dann in 1 Kor 11,11 und besonders in 11,12b tut: Die ur-anfängliche leibliche Einheit wird behauptet. Gottes Schöpfungsakt bedeutet eben erst in zweiter Linie die Trennung von Männlichem und Weiblichem. So wie auch sonst Trennung und Unter-Scheidung Merkmal der ersten Schöpfung ist. So wie die Schöpfungsgeschichte nach Gen 1 eine Teilungsgeschichte ist. Insofern hat Paulus mit der offenen Betonung der Gemeinsamkeiten durchaus etwas von Thematik und Zielsetzung von Gen 2 erkannt. Allerdings wird anders als im platonischen Mythos des Symposion die physische körperliche Einheit nicht durch praktizierte Sexualität wiederhergestellt. Die Rolle, die der Schöpfergott und Christus hier spielen, ist im Mythos nicht vorgesehen. Die beiden Punkte der Einheit sind der Ursprung in Gott (dem Schöpfer) und daß Mann und Frau in Christus mit- und nicht ohne einander sein können. Dabei ist das doppelte „nicht ohne“ vielleicht eine Widerspiegelung von Gen 2,18 (eine Hilfe). Zwei Dinge sind Paulus daher wichtig in 1 Kor 11: Die praktische Konsequenz und die Gemeinschaft in Christus. Das erstere setzt die Verschiedenheit voraus, das letztere dagegen hebt die Gemeinsamkeit hervor. Die Notwendigkeit der Kopfbedeckung ist durch das „im Herrn“ nicht entfallen. Das heißt: Die Schöpfungsordnung und ihre Konsequenz ist durch die Erlösung nicht aufgehoben. Sie ist durch das reziproke „nicht ohne“ von 11,11 ergänzt. Es besteht insofern ein Angewiesensein aufeinander, aber keine Gleichheit. 74

4.3  Sind Frauen Abbild vom Abbild?

Hier ist die Anfrage „Menschen zweiter Klasse ?“ noch einmal aufzunehmen. Der Schlüssel ist 11,4: Dadurch, daß das Haupt des Christus Gott ist, ist Christus nicht ein Gott zweiter Klasse! Die Abstufung Gott – Christus – Mann – Frau ist kein Weg in die Minderwertigkeit. Das kann weder moralisch noch soteriologisch (in der Frage nach dem Heil) sein. Die Abfolge bezieht sich auch nicht auf ein generelles oben – unten. Die Rede vom Haupt-Sein bedeutet auch nicht die Annahme eines Kausalverhältnisses. Vielmehr handelt es sich um eine gegliederte Ordnung, bei der aufgereihten Elemente oder Glieder auseinander hervorgehen. Die je vorgeordnete Instanz gibt dabei der nachgeordneten die Betriebsordnung, das Gesetz, den Funktionsplan. Es geht schon um Regiment, um Herrschaft, aber nicht um totale. Realisiert wird daher diese Ordnung im „Untertansein“ (gr. hypotassesthai). Die jeweils nachgeordnete Instanz wird so durchsichtig für die jeweils vorgeordnete. Daher ist die Anordnung ‚erster und zweiter Klasse‘ falsch. Denn es geht um Sichtbarwerden und Offenbarwerden. Denken wir noch einmal an das Verhältnis zwischen Gott und Christus. Christus repräsentiert und präsentiert Gott-Vater. Auch seine Bestimmung ist letztlich die Unterordnung (1 Kor 15,28). Aber diese Unterordnung ist nicht Vernichtung, sondern Bestätigung, nicht Absorbtion des Lichts der Lichtquelle, sondern von diesem Licht, von Gott, bestimmt zu werden (2 Kor 4,1–4). Wer Widerschein ist, wird dadurch nicht als zweite Klasse untergebuttert. „Christus selbst ist Gottes Ebenbild … Wo Finsternis war, soll Licht erstrahlen. Gott selbst ist das Licht in unserem Herzen geworden und hat uns seine strahlende Herrlichkeit spüren lassen, die im Widerschein auf dem Antlitz Jesu Christi leuchtet.“ 75

4.  Das paulinische Modell

Widerschein ist keine Schande, sondern Weitergabe und Weiterreichen von Gottes Licht. Gottes Arm wird so verlängert, nicht durch Gegenstände, sondern durch Menschen, nicht durch ihre Werkzeuge, sondern durch ihre Antlitze. Fazit: Jesus ist kein Gott zweiter Klasse, weil er den Vater repräsentiert und sich (nicht erst am Ende) dem Vater vollständig unterwirft (1 Kor 15). So ist eine Frau kein Mensch zweiter Klasse, wenn sie Christus nicht direkt repräsentiert, sondern sich dem Mann unterordnet. Es ist Merkmal neuzeitlichen westlichen Denkens, bei dem Stichwort Unterordnung bzw. sich unterwerfen mangelnde bürgerliche Emanzipation zu assoziieren. Daher kommt es, daß Unterordnung mit (Eingeständnis der) Minderwertigkeit verknüpft wird. Wenn wir bekennen, Jesus sei „Gott von Gott“ oder „Licht vom Lichte“, dann wird damit nicht seine geringere Qualität beschrieben. Sondern es geht um das Nacheinander in der Ordnung der Vermittlung bzw. des SichMitteilens Gottes in der Offenbarung. Die Verwechslung von Ordnung, Unterordnung und Minderwertigkeit gehört zu den folgenreichsten kulturellen Irrtümern der jüngeren Zeit. Dadurch sind die vermittelnden Berufe wenig angesehen. Angeblich gebührt der erste Rang immer dem Original und dem Erfinder (Geniekult des 19. Jahrhunderts). Daß in diesem Sinne die Nachordnung der Frauen laut 1 Kor 11 als Zeichen paulinischer Frauenfeindschaft gedeutet wird, ist mithin ein modernes Phänomen. Es ist ohne Berechtigung, ebenso wie man die legislative nicht gegen die exekutive Gewalt im Staat ausspielen darf. Denn eine andere Funktion bedeutet nicht eine geringere 76

4.4  Die Frauenregel geht auf ein Wort Jesu zurück

Funktion. Diese Beobachtungen sollen Verständnis dafür wecken, daß und wie es a) in den biblischen Konzeptionen der Vermittlung von Offenbarung weibliche Gestalten gibt, die zugleich kulturell bedingte Denkfiguren sind, die b) generell Wichtiges über die Rolle von Frauen in der biblischen Tradition sagen können.

4.4  Nach 1 Kor 14 geht die Frauenregel auf ein Wort Jesu zurück

Ich muß davon ausgehen, daß Paulus in 1 Kor 14,34 ein wirkliches Jesuswort zitiert. Dieses anzunehmen ist nicht der bequemste Weg, es geschieht auch angesichts großer Bedenken und heftigen Widerstreits in der eigenen Seele. Es geschieht auch gegen die gesamte kritische Forschung, der ich freilich auch hier höchst kritisch gegenüberstehe. Bevor ich mich dazu aufraffen kann, die Glaubwürdigkeit der paulinischen Äußerung hier zu verteidigen, muß geklärt werden, was dieser Satz im Kontext von 1 Kor 14, im Kontext der Verkündigung des Apostels Paulus und dann auch eben in der Botschaft und Verkündigung Jesu bedeuten könnte. Man muß generell mit einem Funktionswandel rechnen. In 1 Kor 14 hat Paulus den Satz 14,34 mehrfach abgesichert. Nach 14,33b gilt der Satz 14,34 „in allen Gemeinden“, also nicht nur in den paulinischen. Deshalb sollten sich auch die Korinther dem fügen. Das Gebot der Unterwerfung entspricht dem Gesetz39 („wie auch das Gesetz sagt“). 39 Sc. unter die Männer.

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4.  Das paulinische Modell

Gemeint ist wohl Gen 3,16: „Dein Mann … soll herrschen über dich.“ Irgendwelche Zweifel an der Gültigkeit des Gesetzes sind hier dem Wortlaut nach ausgeschlossen. In 14,35b wird eine Begründung für das Schweigegebot nachgeliefert: „Denn es ist eine Schande für eine Frau, in der (Gemeinde-)Versammlung zu reden.“ Die Gemeinde von Korinth soll in diesem Punkt nicht denken, sie selbst sei der Mittelpunkt der Welt und der Maßstab des Christlichen. 1 Kor 14,37 kanzelt mögliche konkurrierende Autoritäten vor Ort gehörig ab. Kein Prophet oder Geisterfüllter soll es wagen, Paulus hier zu widersprechen. Es ist leicht denkbar, daß es solche gab.40 Schließlich rückt Paulus mit dem seiner Ansicht nach wohl stärksten Argument heraus. Was er hier schriftlich anordnet, ist Gebot / Auftrag des Herrn. Die angefügte Sanktion in 14,38 bekräftigt 14,37b: Wer dieses Gebot ignoriert, den wird der Herr ignorieren. Die schlichte Tatsache, daß es sich um ein Gebot Jesu handelt, hat demnach die Bestrafung nach der Talio zur Folge, wenn es mißachtet wird. Dergleichen zu sagen ist stets üblich, wenn durch menschliches Fehlverhalten Gott selbst höchst persönlich getroffen wird. Ebenso in 1 Kor 31,7: „Wenn einer den Tempel Gottes zerstört, den wird Gott zerstören.“ Die Anwendung der Talio auf diesen Fall ist daher eine erneute Bekräftigung der Überzeugung des Paulus: Bei dieser Vorschrift geht es um ein Gebot des Herrn. Wer es ignoriert, dem wird der Herr genau Entsprechendes vergelten. Es ist nun wirklich erstaunlich, daß die Zunft der Exegeten ausnahmslos meint, es besser zu wissen als Paulus. 40 Vgl. dazu hier der Abschnitt über Prophetinnen.

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4.4  Die Frauenregel geht auf ein Wort Jesu zurück

Bis in den neuesten kritischen Kommentar zu 1 Kor hinein findet man immer neue Wege, um diesen Satz Jesus absprechen zu können – und darüber hinaus auch Paulus, weil er so ja nicht geredet haben darf. Positiv gesagt: Daß Paulus hier wirklich meint, es mit einem echten Jesuswort zu tun zu haben, geht aus einer Parallelstelle hervor, an der Paulus genauso argumentiert, wo aber die Echtheit feststeht: In demselben Brief, in 1 Kor 7,10 finden wir denselben Aufbau: Zitat der urchristlichen Norm die Ehescheidung betreffend; hier dann das Reden einer Frau. Paulus streitet ab, diese Norm könnte von ihm stammen, den „nicht ich, sondern der Herr“ – „was ich euch schreibe, ist ein Gebot des Herrn“. Paulus behauptet vielmehr positiv einen Ursprung der Norm vom Herrn her (der Herr) / „Gebot des Herrn“. Die Unterscheidung zwischen „ich“ (Paulus) und dem Herrn wird in 7,12 erneut vorgenommen. Ganz ähnlich verhält es sich auch in 1 Thess 4,8. Im Rahmen der Verkündigung des Apostels Paulus hat der Abschnitt 1 Kor 14,33b–38 folgende Funktion: Paulus vertritt in 1 Kor 10–14 ein ausgeprägtes Ordnungsdenken. Direkt im Kontext meldet sich dieses in 14,33, denn Gott liebt nicht das Chaos, sondern die Ordnung und den Frieden. In diesem Sinne ist das Wort „Schande“ in 14,35b zu verstehen. Schändlich ist alles, was die Ordnung in Frage stellt. Ebenso steht es in 14,40: „Alles soll anständig und ordentlich geschehen.“ Übrigens spricht Paulus – was in der Diskussion immer unterbleibt – noch an einer weiteren Stelle, nämlich in 1 Kor 14,28, davon, daß jemand „in der (Gemeinde-) Versammlung schweigen soll“ ; jedenfalls der Zungenredner, falls kein Übersetzer da ist. Über dieses Schweigege79

4.  Das paulinische Modell

bot regt sich denn auch niemand auf, keiner versucht, es auf textkritischem Weg für nicht-paulinisch zu erklären. Obwohl der frustrierte Zungenredner dieses als paulinischen Maulkorb betrachtet haben könnte. Neben das paulinische Ordnungsdenken tritt hier aber wohl noch eine andere Möglichkeit der Erklärung: Diese ergibt sich als wahrscheinlich, wenn man den konkreten Fall, den Paulus schildert, näher bedenkt. Zunächst ist sozialgeschichtlich folgendes zu sehen: Weder der klassisch-weisheitliche Rat der Weisen noch die jüdisch-hellenistische Volksversammlung sind in ihrem gewöhnlichen Vollzug ein Ort der Frauen; es gab Versammlungen mit Frauen und Kindern.41 Schon die Wortverbindung Frau plus Rat bzw. Volksversammlung ist nicht belegt. Das heißt: Diese Institution ist nicht der Ort der Frauen gewesen – und umgekehrt: Wenn Frauen hier zugelassen wurden, so war das neu. Im frühen Christentum ging es freilich um den gemeinsamen Gottesdienst der Christen, zu dem selbstverständlich auch Frauen und Kinder gehörten (Im Fall der Kinder scheint dieses übrigens noch mehr Probleme gemacht zu haben, weshalb in den synoptischen Evangelien Jesus als besonderer Freund der Kinder geschildert wird.). Die Synagoge war je länger desto weniger noch der Ort der christlichen (gottesdienstlichen) Zusammenkünfte. Eine Rolle der Frauen darin war weder üblich noch irgendwie geregelt. Ein Drehbuch für diese Rolle der Frauen hätte man sozusagen erst schreiben müssen. Dieser Bedarf aber hat bis zum 2. Weltkrieg 41 Vgl. Berger: Volksversammlung und Gemeinde Gottes, in: Tradition und

Offenbarung, 2006, 177, A. 29.

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4.4  Die Frauenregel geht auf ein Wort Jesu zurück

nicht bestanden. Daß Frauen überhaupt stets und grundsätzlich am Gemeindegottesdienst teilnehmen, ist schon die christliche Neuerung. Doch die in 1 Kor 14 geschilderte Situation geht über diese grundsätzliche christliche Neuerung hinaus. Paulus geht hier davon aus, daß heftiger Informationsbedarf seitens der Frauen bestand. Das Faktum des Informationsbedarfs ist niemandem übelzunehmen. Ein Problem kann nur daraus werden, wenn durch den Bedarf und seine Regelung der Gottesdienst ‚besetzt‘ wird. Durch seine Regelung in 1 Kor 14 will Paulus verhindern, daß der Gottesdienst zu einer Frage-und-Antwort-Stunde wird. 1 Kor 14 läßt erkennen, daß nicht die berechtigte Neugier der Menschen, sondern der Lobpreis Gottes im Zentrum des üblichen christlichen Gottesdienstes stand. (Analogien gab es in den 68er Jahren, als Gottesdienste zu Informations- und Diskussionsveranstaltungen hätten werden können, wenn nicht beherzte Theologen eingegriffen hätten; zu denken ist etwa an St. Peter in Heidelberg 1972). In dieser Situation aber bedeutete ein Gebot für die Frauen zu schweigen in Wahrheit auch einen Schutz der fragenden Frauen selbst. Denn auf Dauer wurden so Frauen vielfältig davor bewahrt, ihre diversen Unkenntnisse vor der Öffentlichkeit der Gemeinde zuzugeben. Man kann sich das Gestöhne durchaus vorstellen, daß mit zunehmender Lautstärke entstand, wenn manche Frauen tiefer nachfragen wollten. Daß solches Gestöhne in der Regel ungerecht ist, wird jedem klar sein. Paulus will es nur gar nicht erst entstehen lassen. Interessant ist vor allem, daß kurze Zeit später auch der Literat und Philosoph Plutarch von ähnlichen Problemen 81

4.  Das paulinische Modell

außerhalb der jüdischen oder christlichen Gemeinden berichtet. Die Weise, in der Plutarch sich Problem und Lösung denkt, deckt sich erstaunlicherweise fast ganz mit 1 Kor 14. Daß Plutarch hier Paulus benutzt habe, ist aus vielerlei Gründen auszuschließen; das gilt trotz der beachtlichen Tatsache, daß Plutarch weit und breit der einzige ist, der unkritisch von der notwendigen Unterwerfung der Frauen (unter die Männer) spricht. Dies ist auch der Hintergrund für Joh 16,25f. Denn die Zeit des „Fragens danach“ hat aufgehört. Joh 16,25 bezeugt daher zusätzlich die für Jesus typische Zweiphasigkeit der Offenbarung: Allgemeine, teils auch abstrakte Rede (Sonntagspredigt), dann zweitens offene Situation mit der Möglichkeit zum Nachfragen für Männer und Frauen. Fazit:  Durch seine Regelung verhindert Paulus nicht nur, daß der Gottesdienst aus den Fugen gerät, er verhindert auch eine mögliche Blamage der fragenden Frauen (oder jedenfalls das, was das weitere Publikum als Blamage hätte ansehen wollen). Zwei Stichworte aus 1 Kor 14 erinnern an die Praxis Jesu und können zugleich die paulinische Bemerkung über den Auftrag vom Herrn in 14,37 klären: Es wird von Markus, Matthäus und Lukas öfter berichtet, daß die Jünger „für sich“ oder „im Hause“ Jesus offene Fragen vorlegen. „Zu Hause“ oder privat erfolgt dann eine besondere Belehrung. Im Haus befragen die Jünger Jesus nach dem Sinn der „Parabel“ (Mk 7,17); „für sich“ fragten die Jünger Jesus: „Warum, … nicht …? (Mk 9,28); „für sich“ erklärte Jesus den Jüngern …“ (Mk 4,34); im Hause befragen die Jünger Jesus (Mk 10,10); „für sich“ auf dem Berg fragen die Jünger Jesus (Mk 13,3). Es läßt sich beobachten, daß es 82

4.4  Die Frauenregel geht auf ein Wort Jesu zurück

sich um eine für Jesus typische Form des Lehrens handelt. Nach meiner Auffassung orientiert sich Paulus in 1 Kor 14,34–37 eben daran und legt nahe, eben „zu Hause“ zu fragen. Und die Praxis Jesu sieht er als Auftrag vom Herrn. Das würde der religionsgeschichtlichen Einmaligkeit dieser Praxis entsprechen. Der Herkunft nach handelt es sich um einen Topos der Offenbarungsliteratur, in der auf die bildhafte Rede eine Äußerung des Nicht-Verstehens erfolgt, was dann eine weitere, eben besondere Belehrung provoziert42. Man beachte: Weder das Nicht-Verstehen noch die notwendige anschließende Belehrung disqualifiziert diese Jünger. Es handelt sich um eine ganz selbstverständliche Praxis des Lehrens. Nur wirklich unverständige Außenstehende könnten darin eine Benachteiligung der Frager sehen. So ist es auch in 1 Kor 14. Die Frauenregel ist eine Neuanwendung einer durchgehenden Praxis Jesu. Das Fragen disqualifiziert den Jünger nicht an sich, es sei denn, er müsse wie Mk 9,28 selbst etwas eingestehen. •  1 Kor 14,34 in der Verkündigung Jesu  Man muß vielleicht mit der Möglichkeit rechnen, daß von dem Satz 14,34 jedenfalls nur die ersten sechs griechischen Worte zum ursprünglichen Bestand gehörten. Aber jegliche Mutmaßungen verbieten sich hier wegen ihrer Unbeweisbarkeit. Doch ganz gleich, ob ein ursprünglicher Bestand des Wortes erweitert wurde oder nicht, es kann folgendes gelten: Die religionssoziologische Situation Jesu ist im Vergleich mit der des Apostels Paulus im Prinzip sehr ähn42 Vgl. Berger, Formen und Gattungen, 2005, S. 341f.

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4.  Das paulinische Modell

lich. Gegenüber dem Judentum wurde in neuer Typ von Versammlung der Jünger und Jüngerinnen (Christen) geschaffen. Frauen und Kinder gehören jetzt dazu. Beides löst von Anfang an und mit zahlreichen spannungsreichen Folgen eine Menge von Beben unter der Zuhörerschaft aus. Für die Zulassung der Kinder kämpft Jesus nachdrücklich in Worten wie Mk 10,13–15. Die Zulassung der Frauen hat Folgen, die sich bis hinein in die scharfen Streitgespräche der apokryphen Evangelien äußern: Die etablierten Jünger wie Petrus sind frustriert über die Zulassung von Frauen in den Jüngerkreis. Die beständige Rivalität Petrus / Frauen spiegelt das ebenso wie der offene Umgang Jesu mit der Samaritanerin in Joh 4. Es ist überhaupt nicht auszuschließen, daß Jesus an Jüngerversammlungen, wie sie in Mt 18 beschrieben sind, gedacht hat. Natürlich spricht Jesus nicht von Kirche, doch wenn er es hebräisch formuliert hat, hat er edah gesagt oder qahal, wenn er es griechisch gesagt hat, dann ekklesia wie Mt 16,16: Die Zeiten jedenfalls, in denen man jeden Gedanken daran, daß Jesus an eine Kirche oder dauerhafte Vereinigung seiner Jünger und Jüngerinnen gedacht haben könnte, weit von sich wies, haben sich geändert. Jesus war Jude und hat keine Privatreligion gestiftet, sondern auf dem Konzept des Volkes Gottes aufgebaut, wie schon die Berufung der Zwölf zeigt. Wenn Jesus den Frauen Schweigen geboten hat, dann aus denselben Gründen wie Paulus: Um der öffentlichen Ordnung willen und um die Frauen zu schonen. Beides hat mit Diskriminierung nichts zu tun. Vielmehr im Gegenteil: Was auch immer die Intention bei Jesu Anordnung war, sie setzt die eigentliche Revolution voraus, näm84

4.4  Die Frauenregel geht auf ein Wort Jesu zurück

lich die Zugehörigkeit von Frauen zur Gemeinde Jesu. Die Besonderheit dieser Gemeinde bestand ja eben darin, daß Versammlung zur Gruppenbezeichnung wurde. Eigentlich sind Christen dem Namen nach Versammlungsleute. Das ist die Voraussetzung dafür, daß das Verbot des Redens von Frauen auch ein Merkmal der Gruppe der Christen wurden, nämlich keine geweihten weiblichen Ältesten zu haben. Was bei den Versammlungen nicht erlaubt war, galt und gilt dann so auch für die ganze Gruppe. Ein Problem, ob oder wie Versammlung oder Gruppe zur Basileia, zum Reich Gottes in Beziehung zu setzen war, sehe ich nicht. Kirche bzw. ihr Gottesdienst sind Reich Gottes im Werden. •  Die Begründungen  Jesus sind Schweigegebote gegenüber seinen Jüngern und anderen Menschen nicht unbekannt. Das bekannteste ist das sog. Messiasgeheimnis, aber auch beim sog. Wundergeheimnis geht es um Ähnliches. Jesus will mit seinen Wundern, soweit es geht, kein Aufsehen erregen. Und noch wichtiger: er will, daß die Jünger seine Identität als Sohn Gottes (als Messias) geheim halten, jedenfalls bis zum Tag der Auferstehung. Eine der möglichen Deutungen ist diese, und sie hätte auch Bezug zum Schweigegebot für Frauen in der Öffentlichkeit der Volksversammlung. Bei dem einen wie bei dem anderen will Jesus vorzeitigen Ärger, unliebsame Auseinandersetzungen und jede Art von Streit vermeiden. Die Bekanntmachung seiner Messianität und Gottessohnschaft bedeutet, wie vor allem im ‚Prozeß‘ gegen Jesus erkennbar ist, akute Lebensgefahr wegen angeblicher Lästerung Gottes. Das heißt: Jesus ahnt den Konflikt mit dem Judentum und will ihn, solange es geht, nach Kräften hinauszögern, und zwar um 85

4.  Das paulinische Modell

seiner Botschaft willen, d. h. um wenigstens das Wichtigste sagen zu können. Das Gestatten bzw. Anregen öffentlicher Rede von Frauen bedeutet Ärgernis. Noch in Joh 4 kann man erkennen, welche Schwierigkeiten es der frühen Gemeinde macht, daß Jesus mit der samaritanischen Frau in der Öffentlichkeit gesprochen hat. Denn es gilt die rabbinische Regel: „Die Stimme der Frau ist Blöße (also: eine Entblößung / etwas Unzüchtiges)“. Jesus will also gegen die öffentliche Sitte nicht verstoßen, indem er das Reden der Frau dort verbietet, wo es am meisten öffentlich ist. Bei Paulus ist die Anordnung gegenüber der jesuanischen Fassung des Wortes eingeschränkt und spezialisiert, und zwar auf den Fall, daß eine Frau etwas nicht verstanden hat oder etwas nicht weiß und deshalb nachfragen muß. Üblicherweise deutet man das Verbot, diese Fragen öffentlich zu stellen, als anti-weibliche Äußerung des Apostels. Diese Einstufung ist jedoch keineswegs zwingend. Viel eher ist folgendes vorstellbar: Paulus hat derartige Fälle miterlebt, in denen die Reaktion auf die Anfrage der Frau war: „Sie hat es also immer noch nicht begriffen!“ – „Typisch weibliche Begriffsstutzigkeit“ – „Besser zuhören!“ und dergleichen. Paulus greift nun angesichts solcher deprimierender Erfahrungen auf die vulgärphilosophische Regel (Plutarch) zurück, daß Frauen lieber in der Öffentlichkeit jedenfalls keine Fragen stellen sollten. Denn jede Frage kann zum Anlaß von Hohn und Spott werden. Und jede zeitliche Verlängerung des Gottesdienstes wird damals wie heute den Menschen lästig gewesen sein (vor allem nach einem langen Arbeitstag und bei der ortsüblichen Hitze). Es ist daher davon auszugehen, daß Paulus die christlichen Frauen eher schützen wollte. 86

4.5  Lieber nicht öffentlich reden?

Angesichts der Äußerungen in Kap. 7 und 11 liegt jeder Verdacht völlig fern, Paulus habe hier Frauen mit Absicht diskreditieren wollen. 4.5  Lieber nicht öffentlich reden?

•  Plutarch, Ehevorschriften  „(30) Den Ägypterinnen verbot die Landessitte, Schuhe zu tragen, damit sie zu Hause blieben; die meisten Frauen aber bleiben zu Hause, wenn man ihnen die goldenen Schuhe, Armspangen, Kniebänder, Purpur und Perlen nimmt ...(31) Es soll aber nicht bloß der Arm, sondern auch die Rede der tugendhaften Frau nicht öffentlich sein, sondern sie soll bei Fremden hinsichtlich der Stimme wie einer Entblößung sich scheuen und in Acht nehmen. Denn in der Stimme läßt sich ihre Leidenschaft, ihr Charakter und ihre Stimmung erkennen. (32) Phidias machte die Venus der Eleer, wie sie auf eine Schildkröte tritt, als Zeichen für die Frauen, daß sie zu Hause bleiben und schweigen sollten. Denn die Frau soll nur mit ihrem Mann oder durch ihn reden und nicht ärgerlich sein, daß sie wie ein Flötenspieler durch eine fremde Zunge mit mehr Würde sich ausdrückt. (48) Und du, der du bereits das gehörige Alter zur Philosophie erreicht hast, schmücke dein Inneres durch die klare und herrliche Belehrung, die du empfangen; tritt herzu und mache dich mit dem bekannt, was dir nützen kann, sammle allerwärts her für deine Frau das Brauchbare, wie die Biene, und trage es mit nach Hause, teile es ihr in Gesprächen mit und mache sie so mit den vorzüglichsten Schriften bekannt und vertraut. Denn „ … du bist ihr Vater und Mutter, auch ihr Bruder allein …“ Nicht weniger ehrenvoll ist es, eine Frau reden zu hören: „O Mann, du bist mir ein Führer, Philosoph und Lehrer des Herrlichsten und Göttlichsten …“ Solche Belehrungen bringen die Frauen 87

4.  Das paulinische Modell

am meisten von einfältigen Dingen ab; denn eine Frau, welche die Geometrie erlernt, wird sich schämen zu tanzen; sie wird sich nicht mehr mit Zauberkünsten abgeben, wenn sie von den Schriften des Plato oder Xenophon bezaubert ist.“ •  O hättest du doch geschwiegen ...  „Zur rechten Zeit zu schweigen ist ein Zeichen von Weisheit und oft besser als jede Rede.“ Nicht nur in dem bekannten Ausspruch des Boethius (5. / 6. Jh.), sondern in der gesamten Weisheitsliteratur des Mittelmeerraumes und des Nahen Ostens gilt Schweigen als Merkmal des Weisen. Es bleibt der Sichtweise des 19. und 20. Jh. vorbehalten, in Ermahnungen zum Schweigen ausschließlich repressive Akte zu sehen.43

43 Plutarch, Über die Erziehung der Kinder, § 14.

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5.  Gottesbild und Frauenbild 5.1  Verhindert Gottes Männlichkeit das Priestertum der Frauen?

Gemeint ist mit dieser Frage: Gott hat zwar weibliche Attribute, aber keinen weiblichen Titel, er wird nicht als Mutter angeredet. Das gilt, obwohl die Mystik immer wieder betont, Gott sei weder männlich noch weiblich; das ist wahr und unvorstellbar wie Gott selbst. Es geht also nicht darum zu sagen, wie Gott ist, sondern wie er als Person anzureden ist, und zwar in grundsätzlicher Differenz zu anderen Göttern. Es könnte nun sein, daß die Wirkung dieses Brauchs, dieser ‚Gewohnheit‘ Folgen hatte, die heute beklagt werden, weil immer wieder (katholische) Frauen erklären, in einer Kirche ohne Priesterinnen könnten sie sich nicht wiedererkennen. Gott wird als der Spender des Lebens dargestellt. Und das meint nicht ein nur spirituelles Leben. Andererseits wird kein Zweifel daran zugelassen, daß das irdische Leben von der Frau kommt, ja zum Namen Eva wird in Gen 3,20 ausdrücklich die Etymologie geliefert, sie sei „Mutter aller, die da leben“. Die unübersehbare Tatsache des Ursprungs des menschlichen Lebens aus der Frau wird daher auch theologisch mühelos anerkannt. Dennoch wird in der Regel von Gott wie von einer männlichen Person geredet. Es hilft in diesem Zusammenhang überhaupt nichts, die wenigen Stellen der Schrift zu strapazieren, in denen weiblich ausgerichtete Metaphorik 89

5.  Gottesbild und Frauenbild

auf Gott angewandt wird. Das war, weil theologische Sprache sehr oft metaphorisch ist, zu erwarten, und es überrascht eher die Seltenheit der Belege. Eine Klärung des Problems ist sicher nicht in der Auskunft zu suchen, daß Jahwe nach älteren und jüngeren Texten etwas mit Krieg zu tun hat, so daß deswegen eine männliche Metaphorik in Frage käme. Denn am Ende sind diese Texte nicht repräsentativ, und die Antike konnte sich generell auch weibliche Krieger vorstellen. Das Problem besteht vielmehr darin, daß gerade angesichts des Begriffs Leben Gott dennoch männlich vorgestellt wird. Eine Lösung des Problems muß sich daran orientieren, daß von Gott als dem Ursprung des Lebens in anderer Weise als von der Frau die Rede ist. Meine These: Die Metaphorik der Männlichkeit Gottes bezieht sich nicht auf seine Geschlechtlichkeit (Sexualität), sondern auf seine Nicht-Weiblichkeit (insofern ist diese Rede apophatisch). Die männliche Metaphorik ist daher eher eine Hilfskonstruktion, um zu formulieren, daß Gott in nicht-menschlicher Weise Ursprung des Lebens ist. Nämlich als Schöpfer (und daher dann auch als Richter). Der Verlust der Vorstellung von Gott als dem Richter, der am Ende das Gericht vollzieht, hat damit zu tun, daß man sich Gott allzu gerne als ‚Super-Mama‘ vorstellt, als Urmutter und Alles-Gebärerin. Nein, Gott ist Schöpfer und Richter, und in beiden Fällen hat er eine gewisse Distanz zur Welt, wie sie eine Mutter zu den von ihr Geborenen nie haben kann. Von daher ist verständlich zu machen, weshalb Gott als ‚männlich‘ gedacht wird. Von Anfang an ist klar, daß dieses in der Religion Israels in anderem Sinne gedacht war als in den umliegenden Religionen. Einerseits finden sich 90

5.1  Verhindert Gottes Männlichkeit das Frauenpriestertum?

bei den Propheten die Bilder von Gott als dem Ehepartner Israels. Man könnte sagen: Das ist die eine Linie, auf der die Erfahrung der Verschiedenheit des Gottes Israels gegenüber anderen Göttern entfaltet wird; Gott erhält einen menschlichen kollektiven Partner, Israel, eine Partnerin, die er liebt. Andererseits ist weit über den Wirkungsbereich dieser Vorstellungen hinaus von Gott mit männlichen Attributen die Rede. Besonders äußert sich das in der Metaphorik von Vater und Kindern. Gerade diese Metaphern sind auch für das Neue Testament wichtig. Man kann sagen: Gerade die Vater-Metaphorik ist die andere Linie, auf der von der Männlichkeit Gottes die Rede ist. Im Unterschied zur Metaphorik des Lehrers oder des Gesetzgebers ist hier Erzeugung und Ursprung des Lebens entscheidend. Und das ist die Folge der Abgrenzung Israels von den Fuchtbarkeitskulten der Umgebung. Gott und der gesamte Bereich des Heiligen sind nie einfach eine Fortsetzung des menschlichen Erzeugens und Leben-Gebens. Statt von Fortsetzung ist vielmehr von einem Gegenüber zu sprechen. Gott steht diesem Bereich in einer gewissen Distanz gegenüber – als der, der Segen gibt und weil er einen überragenden Willen hat. Gott wird im Rahmen dieser Bilder als der Nicht-Weibliche gedacht. Die Vater-Metaphorik impliziert daher nicht die Vorstellung der männlichen Sexualität Gottes, die mit der weiblichen konkurrierte, sondern ist gewählt als Ausdruck einer Alternative zur menschlichen Weise, Leben zu schenken. Anders gesagt: Da es nach unserer Er­fahrung nur zwei Geschlechter gibt, greifen wir auf bestimmte menschliche Erfahrungen zurück. Daß die Bibel 91

5.  Gottesbild und Frauenbild

von Gott mit er redet, ist eine Art Verlegenheitslösung. Diese Verlegenheit war: Wie kann man von Gott als einer Person reden (Neutrum geht nicht), die doch nicht weiblich ist? Denn Gott gebiert nicht die Welt, er steht ihr als Schöpfer gegenüber. Gesucht wurde also eine Person, die doch nicht weiblich ist. Als weiblich gedacht würde Gott gerade als Ursprung des Lebens als zu menschlich erscheinen, als eine Art Urmutter. Und die weibliche Metaphorik taugt nicht zur Benennung für das, was Gott selbst vorbehalten ist. Doch auch über Gott als ein Neutrum können wir nicht reden, zu einem Neutrum kann man nicht beten. Denn der Gott der Bibel ist schließlich mindestens so etwas wie eine Person. Eine Person können wir uns aber nur als weiblich oder männlich vorstellen. So ist die Rede von Gott als Vater nicht leichtfertig durch Gott als Mutter zu ersetzen. Gott hat zwar manche „weibliche“ Eigenschaften, aber er ist nicht mit einem weiblichen Titel anzureden (J. Ratzinger) . Und die liturgische Auswirkung biblischer Metaphorik ist noch einmal etwas ganz Besonderes: Wir wagen es, von Gott und zu Gott in männlicher Metaphorik zu sprechen, weil er jedenfalls keine Frau ist. Er ist auch kein Mann, aber ihn als Frau anzureden, das weckte Assoziationen an Kulte, mit denen Juden und Christen nie etwas anfangen konnten (Vergöttlichung der Fruchtbarkeit, der Sexualität etc.). Da er aber doch Person ist und jedenfalls kein apersonales Neutrum, weil wir zu ihm beten und er uns kritisch anredet, bleibt als Not- und Verlegenheitslösung nur die männliche Form der Rede und Metaphorik. Das aber hat Folgen für den gesamten Bereich der Liturgie 92

5.2  Doch priesterlich?

und Hymnik inklusive Repräsentation durch das Kultpersonal. Denn so wenig wie Gretchen aus Goethes Faust durch einen Mann dargestellt werden kann, könnte der Schöpfer und Richter der Bibel durch eine Dame repräsentiert werden. Im Neuen Testament wird die Rolle Gottes als des (männlichen) Ehepartners Israels gewissermaßen neu definiert durch die Rolle Jesu Christi als des Bräutigams. Jesu eigene Ehelosigkeit findet darin ihre Erklärung, daß er auf die Braut und die Hochzeit noch wartet. 5.2  Doch priesterlich?

•  Der außerchristliche Einfluß ist stetig gewachsen  Es läßt sich kaum bestreiten, daß das christliche Amt des geweihten Ältesten im Laufe der Zeit priesterliche Elemente aus den umliegenden Religionen an sich zog. Dazu gehört z. B. besonders der Altar. Man hat dann gesagt: „Der Altar ist Christus“, aber Jesus hat sein letztes Mahl nicht an einem fest gemauerten Altar gefeiert, und mit Weihrauch ist er dabei sicher auch nicht umgegangen. Unter den ‚außerchristlichen Elementen‘, die angezogen wurden, verstehe ich besonders jüdische und heidnische. Deren Einfluß ist an sich kein Unglück, nur werden bestimmte Elemente dadurch schwächer betont (z. B. der Mahlcharakter der Eucharistie), andere stärker (z. B. der Opfercharakter des Mahles Jesu). Da es sich bei allem, das so verstärkt oder kommentiert wird, immer auch um theologische Wahrheiten handelt, ist die Gesamtvorgang mit Gelassenheit wahrzunehmen. Und der Stellenwert von Judentum und Heidentum, ja von umliegenden Religionen überhaupt, 93

5.  Gottesbild und Frauenbild

hat sich in den letzten Jahrzehnten geändert. Statt Teufelswerk nimmt man nun leichter praeparatio evangelii an. Mit „doch priesterlich?“ meine ich: Weder Jesus noch die geweihten Ältesten sind rituell orientierte Kulttechniker (Max Weber) . Schon aufgrund seiner Existenz in der Schrift Alten und Neuen Testaments hat die Institution des Priestertums in Elementen rituell-kultischer Art in gewissem Sinne überlebt. Es ist freilich zu erwarten, daß überall dort, wo das geschah, für ein weibliches Priestertum nicht der geringste Ansatzpunkt war. Das gilt auch für die Kategorie des Opfers, die im Übrigen auch im Neuen Testament und in der späteren Kirche unbeschadet der singulären Rolle des Opfers Christi fort lebt. Im gesamten Nahen Osten ist die Entsprechung zwischen Himmel und Erde ein gewichtiges Merkmal kultischen Denkens. Denn zwischen Himmel und Erde, zwischen dem himmlischen Heiligtum und dem irdischen steinernen Tempel besteht ein Verhältnis wie zwischen Urbild und Abbild. Die Konsequenzen dieser altbabylonischen Vorstellung lassen sich noch heute in den erhalten gebliebenen Stufentempeln nachprüfen. Der Tempel bildet den Himmel ab. In Ex 25,40 wird dieses Vorstellung auf den Tempel in Jerusalem übertragen: Moses soll diesen Tempel nach dem himmlischen Urbild anfertigen. Nach Hebr 8–10 hat Jesus Christus sein Opfer im himmlischen Heiligtum dargebracht. Nach Hebr 8,5 ist dieses auch für den Tempel von Jerusalem das Urbild. Aber dem himmlischen Heiligtum entspricht eine besondere Priesterschaft. Während nämlich die Priester des irdischen Abbildes sterblich sind, so wie das Opfer wiederholt werden muß, ist die himmlische Priesterschaft nicht sterb94

5.2  Doch priesterlich?

lich, und das Opfer ist einmalig. Erwähnt doch das Alte Testament selbst schon Melchisedek als ewigen und unsterblichen (Hohen-)Priester. Für die Fragestellung unserer Studie bedeutet der Ansatz des Hebr folgendes: Melchisedek ist vaterlos und mutterlos, mithin ewig. Er steht außerhalb der menschlichen Generationenfolge. Damit ist das Stichwort ewiges Leben gefallen. Weil Frauen gebären und damit den Zusammenhang von Geburt und Tod begründen, sind sie zur sinnenfälligen Darstellung des ewigen Lebens nicht geeignet. Eben dieses ist gemeint, wenn Maria Magdalena nach Thomasevangelium 100 aufgefordert wird, „männlich“ zu werden und wenn Jesus sagt: „Ich bin gekommen, die Werke des Weiblichen zu zerstören.“ Ein irdisches, auf einen steinernen Tempel bezogenes Priestertum der christlichen Gemeinde kennt Hebr selbstverständlich nicht. Denn weil Jesus nicht stirbt, ist und bleibt er für immer der einzige Hohepriester des neuen Gottesvolkes. Sein Ort ist der himmlische Tempel im himmlischen Jerusalem.44 Dennoch übernimmt die christliche Kirche im Laufe des 1. christlichen Jahrtausends das Urbild / Abbild-Schema für den Kirchbau und den Gottesdienst, ja auch teilweise für das Amtsverständnis, und diese Übernahme geschieht nach denselben Regeln, die auch im Hebr den theoretischen Hintergrund bilden. Das Gemeinte läßt sich an folgenden Beispielen verdeutlichen: Man muß damit rechnen, daß der Hebr eine Eucharistiefeier der christlichen Gemeinde noch nicht kennt, auch wegen 13,9f. Dennoch geht man bald dazu über, den 44 Vgl. Hebr 12,24.

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5.  Gottesbild und Frauenbild

Vorsteher der Eucharistiefeier in Analogie zum himmlischen Hohenpriester zu sehen. Denn wenn er in persona Christi die Eucharistiefeier leitet, dann hat er entsprechend auch Anteil am himmlischen Hohenpriester. Von daher wird der eucharistische Gottesdienst dann auch als Opfer (‚Meßopfer‘) verstanden, und in die urchristliche Konzeption der geweihten Ältesten dringen Elemente des alttestamentlichen und auch heidnischen Opferpriestertums (Etrusker!) ein. Das führt schließlich dazu, daß Ältester (presbyteros) zur Entsprechung von kohen oder hiereus oder sacerdos wird. Die liturgischen Formulare der Priesterweihe zeigen bis heute diesen Einfluß. Die Ursachen für diese Entwicklung liegen a) in der stetig wachsenden Bedeutung der platonischen Weltsicht (Urbild / Abbild) im 1. Jahrtausend: Der mlische Hohepriester ist das Urbild des irdischen him­ Ho­hen­priesters, also dann des christlichen Bischofs und Priesters. b) Schon im Judentum der Hymnen aus Qumran wird der irdische Gottesdienst in Gemeinschaft mit den Engeln gefeiert. Diese concelebratio und communio cum angelis setzt voraus, daß es zwischen der feiernden Gemeinde auf Erden und der himmlischen Gemeinschaft um Gottes Thron keine wirkliche Trennung gibt. Das kann man durch Hebr 12,22f eindrücklich bestätigt sehen: „Ihr dagegen steht vor einem ganz anderen Berg, dem Berg Sion. Hier ist die Stadt des lebendigen Gottes, das himmlische Jerusalem. Hier ist eine Festversammlung von Zehntausenden von Engeln. Hier ist die Kirche der Engel, der Erstgeborenen, deren Namen im Himmel aufgeschrieben sind. Hier ist Gott, der Richter aller. Hier sind die Gerechten, die das himmlische Ziel schon erreicht haben.“ 96

5.2  Doch priesterlich?

Ist nicht die Messe – nach katholischer Auffassung – sinnenfällige Darstellung des Opfers des himmlischen Hohenpriesters und gewinnt nicht wegen dieses Zusammenhangs der Vorsteher der Eucharistiefeier priesterlichen Charakter? Die Messe als Opfer: a) Sie ist Opfer des Lobes (Hebr 13,15) und „hoc sacrificium laudis“ nach dem Canon Missae, d. h. sie ist in ihrem Charakter als Lob zweifelsfrei biblisch gesehen Opfer, und zwar im Sinne von Hebr 13,15 und Ps 50,14. Und schon allein des Lobes wegen ist die Messe Opfer der Kirche. b) Sie ist sinnenfällig gewordene Gegenwart des Erhöhten. Denn der erhöhte Herr tritt mit seinem ganzen Selbst für uns bei Gott ein. Das Kreuz ist einmalig, aber die Pro-Existenz für uns ist in jeder Messe gegenwärtig. Insofern geht der Opfergestus weiter. Der Kerngedanke ist hier die Fürsprache des Erhöhten zu unseren Gunsten. c) Das heilige Mahl aus Brot und Wein wird von der Kirche gestellt und ist insofern ein Opfer, an dessen MahlTeil dann alle teilnehmen. Der Canon Missae sagt: „De donis tuis ac datis“ – „aus deinen Gaben und Geschenken, Gott, ist dieses genommen.“ Die Mitte der Kirche ist im Normalfall der Altar. Das entspricht noch immer dem Grundriß der Tempel, wie er seit Jahrtausenden in den Tempeln rund um das Mittelmeer zu finden ist. Der Altar hat zugleich seine Analogien im Thron des Herrschers am Kopfende der Audienzhalle. Die offiziellen Gestalter des Gottesdienstes (‚Priester‘) ziehen zumeist noch immer besonders in den Tempel ein. Sie sind besonders gewandet (und sei es in einen lutherischen Talar). 97

5.  Gottesbild und Frauenbild

Es gibt heilige Musik im Tempel. Da der Tempel ein geschlossenes Gebäude ist, muß er im Inneren besonders beleuchtet werden (Kerzen). Der Weihrauch, ursprünglich gedacht als Übertünchung des Gestanks verbrennender Opfertiere, wird selbst – gerade auch bei der Konkurrenz, den römischen Kaisern – zum Instrument der Gottesverehrung. Viele Tempel sind mit heiligen Waschungen verbunden. Das Weihwasserbecken in katholischen Kirchen ist ein letzter Rest davon. Besonderes, wenn auch nicht exklusives Kennzeichen von Sakralbauten sind Säulen. Nur so kann man die metaphorische Verwendung in Gal 2,9 und Apk 3 erklären. Im Tempel findet eine heilige Handlung statt, die eine Botschaft aus dem göttlichen Bereich unter die Menschen bringt. Die heilige Handlung findet zu besonderen Zeiten statt (religiöses Fest). Eine besondere Form heiliger Handlung ist das Opfer, im Kern ein Tauschgeschäft mit der Gottheit. In der biblischen Religion stellt Gott selbst bisweilen das Opfer (statt Isaak Jesus). Schon im Alten Testament ist Opfer keineswegs total an Priester gebunden. Auch nicht-priesterliche Israeliten können Gott im Opfer Anerkennung zollen. Das gilt dann auch von der metaphorischen Verwendung des Begriffs „Opfer“ ab Röm 12,1–3. Bei Wilhelm von St. Thierry im 7. Buch des Römerbriefes heißt es: (12,1–2) „ ‚Ich beschwöre euch daher, Brüder und Schwestern, bei Gottes Barmherzigkeit, daß ihr euch leibhaftig als lebendes Opfer betrachtet, das heilig ist und Gott gefällt, gehorsam, wie Gott es will.‘ Wahres Opfer ist jedes gute Werk, das getan wird, damit wir in eiliger Gemeinschaft Gott anhängen. Jedes gute Werk ist bezogen auf das Ziel des Guten, durch das wir wahrhaft selig 98

5.2  Doch priesterlich?

sein können. Daher ist auch die Barmherzigkeit selbst, wenn sie nicht wegen Gott geschieht, kein Opfer. Denn Opfer betrifft immer Gott. Daher ist auch ein Mensch, durch Gottes Namen geheiligt, Gott geweiht, selbst ein Opfer, sofern er für die Welt stirbt, um für Gott zu leben. – Auch unser Leib ist ein Opfer, wenn wir ihn durch Mäßigkeit im Zaum halten, wie wir müssen, wenn wir das um Gottes willen machen. Dazu mahnt uns hier der Apostel. Wenn also der Leib, den die Seele wie einen untergebenen Diener und wie ein Instrument gebraucht, ein Opfer ist, wenn sein richtiger und guter Gebrauch auf Gott bezogen wird, wieviel mehr wird dann die Seele selbst ein Opfer, wenn sie sich auf Gott bezieht. Und wenn sie, vom Feuer der Liebe zu Gott entzündet, die Gestalt der weltlichen Begierde abwirft und – von Gott wie der unveränderlichen Form geprägt – neu gestaltet wird. Sie gefällt von daher Gott, weil sie aus seiner Schönheit empfangen hat. Daher fügt der Apostel dieses hinzu: ‚Und seid ‘, sagt er, ‚fest entschlossen, euch dieser Welt nicht anzupassen, sondern laßt euch neu gestalten, in neuer Gesinnung, damit ihr erfahrt, was Gottes guter Wille ist, was ihm gefällt und was vollkommen ist.‘ Da aber die Werke der Barmherzigkeit die wahren Opfer sind, sei es, daß wir sie empfangen, indem wir gegenüber uns selbst barmherzig sind – ‚Erbarme dich‘, sagte er, ‚deiner Seele, indem du Gott gefällst ‘ (Sir 30,24) –, sei es, daß die Nächsten sie empfangen. – In jedem Fall beziehen sich diese Werke der Barmherzigkeit auf Gott. Denn Werke der Barmherzigkeit sollten aus keinem anderen Grund und mit keinem anderen Ziel getan werden, als daß wir aus Not befreit werden und dadurch selig sein sollen. Dies geschieht nur durch jenes Gute, über das gesagt wird: ‚Für mich aber ist es gut, Gott anzuhängen‘(Ps 72,28). Folglich geschieht es, daß der ganze Gottesstaat, die ganze Versammlung und Gesellschaft der Heiligen als universales Opfer Gott dargebracht wird durch 99

5.  Gottesbild und Frauenbild

den großen Hohenpriester, der auch sich selbst in der Passion für uns dargebracht hat, damit wir Leib eines solchen Hauptes sind, Dabei opferte Jesus in der Gestalt des Sklaven. Denn diese (Gestalt) hat er dargebracht, in ihr ist er geopfert worden, in ihr ist er Mittler, Priester und Opfer. ‚Damit ihr unterscheidet, was Gottes guter Wille ist, was ihm gefällt und vollkommen ist.‘ – Auf drei Wegen verdienen wir, Gottes Willen zu erkennen, indem wir frei werden und indem wir sehen, daß er Gott ist, indem wir fest glauben, daß alle Worte Gottes wahr sind – ‚wenn ihr nicht glaubt, werdet ihr nicht verstehen.‘ (Jes 7,9 LXX) und indem man das Wort selbst und Gottes Willen nach Kräften erfüllt. Gottes Wille aber ist ein anderer als der gute oder der wohlgefällige oder der vollkommene. Der Wille Gottes ist gut, wenn erfüllt wird, wie es heißt: ‚Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer! ‘ – Wenn wir uns also in den Werken der Barmherzigkeit fröhlich zeigen und bereitwillig in den körperlichen Strapazen, wenn sie um Gottes willen geschehen. Gottwohlgefällig ist die Reinheit des Herzens. ‚Vollkommen ‘ist Gottes Wille, wenn wir in Handeln und Gesinnung der Welt unähnlich werden und Gott ähnlich.“  45 Im Laufe der Kirchengeschichte hat sich der Einfluß der alten priesterlich-kultischen Tradition verstärkt. Nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahre 70 n. Chr. schien dieses auch gefahrlos. Weil das Alte Testament zum Kanon gehörte, war es überdies naheliegend, daß dieser Einfluß zunahm. Denn im Gebrauch der entsprechenden Texte des Alten Testaments bestand eine gewisse Unsicherheit. Man vergleiche nur z. B. den Kommentar des Hesychios zu Leviticus, später z. B. den des Alphonsus Abulensis. Es gilt aber: Je stärker der indirekte kultisch-priesterliche 45 Wilhelm von St. Thierry, Römerbrief, 7. Buch (Übers. Nord, Berger).

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5.2  Doch priesterlich?

Einfluß zunahm, um so schwächer wurden Aussichten von Frauen auf liturgische Funktionen. Selbst noch in dem Weihegebet für Diakonissen in den Apostolischen Konstitutionen VIII kann als alttestamentlich-kultische Analogie lediglich die Existenz von Türwärterinnen genannt werden. Trotz Weihe gehörte zwar der Diakon zur Hierarchie, nicht aber die Diakonisse.46 Und schon nach dem Decretum Gratiani aus dem 12. Jh. sind Frauen zum Diakonat nicht zugelassen; die Weihe wäre ungültig.47 Das entspricht der Ablehnung des weiblichen Diakonats in den gallischen Synoden des 4.– 6. Jh. Schließlich gibt es auch von Anfang an Apokalypsen, die den Himmel als Heiligtum und die darin plazierten Aktivitäten als kultisch-priesterlich ansehen.48 Da hier das Urbild / Abbild-Schema gilt, können Frauen im Horizont der Geltung dieser Himmelsvorstellungen mit kultisch-priesterlichen Funktionen auf Erden nicht rechnen. Dabei ist die Geltung der alttestamentlichen Bücher wie Lev, Nu und Ez in der christlichen Kirche keine Lappalie. Mit moralisch-allegorischer Deutung war es nicht getan. Die Unsicherheiten und Verlegenheiten in Bezug auf diese jüdischen Traditionen haben sich bis heute erhalten. So unterstützt ausgerechnet der bayerische Staat eine Initiative von Juden, Christen und Moslems zur Wieder­ errichtung des Tempels in Jerusalem.49 Weibliche priesterliche Funktionen wären auch hier undenkbar. Man hätte schon genug Mühen, sich über die Eindeutigkeit des Vergangenen zu einigen. 46 47 48 49

Epiphanius, † 403, Expositio fidei 21. Decretum Gratiani, Kap. 15,9.3. Vgl. Apk Joh; kopt. und arab.; Schenute-Apk. Postsendung vom 7.9.11

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5.  Gottesbild und Frauenbild

5.3  Weibliche Figuren zwischen Gott und Mensch

Über die Bedeutung der weiblichen Figuren wie z. B. der Weisheit Gottes für die Frage der Ordination von Frauen herrscht generell Unklarheit. Meine Beobachtungen zu diesem Punkt könnten zu folgenden Thesen führen: a) Keine dieser weiblichen Figuren ist eine konkrete Frau aus Fleisch und Blut. Daher spielen Geburt und Tod auf diesem Feld keine Rolle. b) In sehr vielen Fällen stellt diese weibliche Figur eine übersummative Ganzheit dar, d. h. sie verkörpert eine Vielheit. So werden die vielfältigen Weisheitsbücher, -worte und -traditionen als „Frau Weisheit“ zusammengefaßt. Das gilt nicht nur weithin für die biblische Weisheit, sondern auch dann, wenn Israel als Frau dargestellt wird (Apk 12), wenn Zion als Tochter Gottes gedacht ist (Altes Testament) oder wenn die vielen Menschen einer Stadt (Athene) oder einer Universität (Alma Mater) oder Synagoge oder Ekklesia als weibliche (Mutterfigur) dargestellt oder gedacht werden. Die vielen Gebote des Sabbat werden zum Sabbat als Königin und Gottes Tochter. Auch sonst kann die Frau Weisheit für die Gesamtheit der Gebote stehen. Nach Baruch 3,38–4,1 heißt es von der Weisheit Gottes: „Danach erschien sie auf Erden und wandelte unter den Menschen. Sie ist das Buch der Satzungen Gottes …“ Die weibliche Gestalt wird in diesen Fällen gewissermaßen ‚von unten her‘ gedacht, nämlich von der Vielzahl der Vertreter. Deren einheitlichen Nenner stellt sie dar. Es liegt nahe anzunehmen, daß die protestantische Pastorin Züge derartiger Figuren hat. Sie stellt die ‚Gemeinde‘ dar und repräsentiert deren Bekenntnis, sie ist, was völlig undespektierlich gemeint ist, im besten Fall ‚die Mutter der 102

5.3  Weibliche Figuren zwischen Gott und Mensch

Kompanie‘. Hier wird der Unterschied zum katholischen Priester klar erkennbar. Der Priester handelt in persona Christi (d.h. so ähnlich wie es überhaupt menschenmöglich ist, denn es reicht nicht die juristische Korrektheit, wenn die Glaubwürdigkeit fehlt; das bezieht sich m.E. auch auf das Mindestalter und das Geschlecht). Er stellt Jesus Christus dar und ist nicht Repräsentant einer weiblich vorgestellten Kollektivgröße, auch nicht der Kirche. c) Auch dort, wo Jesus oder Johannes der Täufer als Gesandte bzw. Kinder der Weisheit betrachtet werden, geht es um eine Gestalt, in der Aktivitäten Gottes ‚übersummativ‘ zusammengefaßt werden. Die Weisheit, die Boten aussendet, ist eine Art Generalbevollmächtigte Gottes. Daher nimmt sie auch die Rolle der Außenministerin wahr. In diesem Außenministerium laufen viele Fäden der gesamten Heilsgeschichte zusammen (gerade in diesem Sinne kann auch Jesus als Weisheit Gottes bezeichnet werden bzw. deren Rolle einnehmen, so Joh 1,1f; 1 Kor 1,24). Doch hier ist die Aktionsrichtung von oben nach unten. Aber hier sind gerade nicht konkrete Frauen die Akteurinnen, sondern Männer. Man kann einwenden und fragen: Was ist an diesen Beobachtungen und Überlegungen zwingend? Besagt dieser literarisch-ästhetische Symbolismus etwas über die Frau­en­ordination? Antwort: Wie überall in diesem Buch, so geht es auch hier um die Welt der Zeichen. So möchte dieses Buch dazu anregen, gerade mit diesem Bereich der christlichen Religion bedachter umzugehen, zum Beispiel mit Repräsentation oder sichtbare Darstellung Jesu Christi oder (Re-)Inszenierung des Abendmahles. Denn an solchen Signa103

5.  Gottesbild und Frauenbild

len hängt dann plötzlich und wider Erwarten das gesamte Amtsverständnis. Ein Geistlicher hat dabei nichts in der Hand außer sich selbst und die eigene Glaubwürdigkeit. d) Wo im Schema oben-unten die vergleichsweise himmlische Größe weiblich ist, sind deren Agenten auf Erden männlich. Das gilt schon für die klassische Weisheit des Alten Testaments: Als Hörer werden exklusiv junge aufstrebende Männer vorgestellt. Das gilt für die Weisheit und ihre Gesandten Johannes und Jesus nach Lk 7, 35; 11,49. Im Sinne einer alten biblischen Entsprechung von Weisheit und heiligem Geist kann das Hebräer-Evangelium sagen, der Heilige Geist sei die Mutter Jesu.50 Umgekehrt ist es bei den Propheten. Wenn der prophetische Lehrer männlich ist, sind seine Schüler weiblich, so bei Hiob, Montanus, Philippus und ansatzweise auch bei Jesus. Aber das sind dann Prophetinnen, nicht Pastorinnen, schon gar nicht Priesterinnen. Für weibliche Prophetie entfalte ich in diesem Buch grundlegende Sympathien. e) Nach dem hier entfalteten Schema sind dann, wenn Jesus als Weisheit vorgestellt wird (1 Kor 1,24; theologisch in Joh 1), seine Schüler männlich. Auch in Mt 11,25–28 etc. tritt Jesus wie die Weisheit Gottes auf – mit männlichen Jüngern. In ihrer Gastfreundlichkeit schenkt die Weisheit denen, die sie einlädt, sich selbst. Ihre Früchte sind sie selbst. Hier liegt eine der Wurzeln der Deuteworte beim letzten Mahl Jesu. f) Es ist, als sei man bei der Formung der Bilder ausge­ gangen von einer sich abwechselnden Einordnung als männlich oder weiblich. So verleiht der Wechsel von männ­ lich und weiblich dem Gesamtbild eine gewisse Plausibilität. 50 Vgl. Berger; Nord, Das Neue Testament, S. 980.

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6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie Unter dem Einfluß der römisch-rechtlichen Tradition in der Kanonistik hat man lange das kirchliche Amt vom römischen Recht her gesehen, nämlich als öffentlichen Posten, den die Allgemeinheit zum Zwecke der Selbstorganisation und Selbsterhaltung schafft oder übernimmt. Das Juristische hat dabei ebenso dominiert wie das Finanzielle und der Aspekt der Öffentlichkeit. Jesus selbst indes würde wohl das kirchliche Amt von der Eschatologie her sehen. Die Zwölf werden eingesetzt, weil sie die künftigen Begleiter des Menschensohnes sein werden. Mit ihm zusammen werden sie die zwölf Stämme „regieren“. Petrus erhält seine Rolle, weil Jesus auf ihn seine Kirche bauen will, sachlich nichts anderes das künftige neue Jerusalem. Und eben deshalb stehen die Namen der zwölf Apostel auf den Grundsteinen der künftigen Himmelsstadt. Selbst die „Donnersöhne“ Jakobus und Johannes tragen ihren Beinamen, weil Donner Merkmal der (endzeitlichen) Theophanie ist. Und überhaupt bilden die zwölf Apostel jetzt schon die Engel ab, die zum Weltgericht die Auserwählten aus den Völkern der Welt heraus befreien werden. Das heißt: Alle Funktionen der kirchlichen Autoritäten werden vom Ende her gewonnen; so sehen es auch Kirchenväter wie Clemens von Alexandrien. Dargestellt aber hat sich diese kirchliche Autorität je und je im Gottesdienst. Denn der Gottesdienst der Kir105

6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

che, vor allem der sonntägliche, ist Abbildung des 8. Tages, und wer in dieser Volksversammlung (gr. ekklesia) etwas zu sagen hat, der tut dieses mit Wirkung für das kommende Ende der Welt. Ebendeshalb wird Petrus versichert, was er binde oder löse, werde auch im Himmel gebunden oder gelöst sein. Im Kontext des Matthäusevangeliums ist die Zulassung zum sündenvergebenden Abendmahl gemeint. Und wer von der Ekklesia in Korinth dem Satan übergeben wird, wird es für immer, jedenfalls bis zum Ende. Daher gelten zwei Thesen: • Das kirchliche Amt gilt von den letzten Dingen her. • Die Bedeutung des Amtes zeigt auch auf dem Feld der Liturgie. Liturgie ist das gemeinsame Agieren der als Ekklesia versammelten Gemeinde. Daher gibt es keine verbindliche Liturgie – wie z. B. Eucha­ ristiefeier oder z. B. Spendung des Sakraments der Firmung – ohne Amt. Man erkennt das bis heute: Wenn z. B. der Leiter eines katholischen Gottesdienstes die Gemeinde begrüßt mit „Der Friede sei mit euch“ statt mit „Der Herr sei mit euch“, dann weist ihn das als Bischof aus. Im Neuen Testament zeigt besonders die Offenbarung des Johannes die Koinzidenz von himmlischem und irdischem Gottesdienst. Die Antiphonen der Gemeinde sind wie die Worte der Engel im himmlischen Gottesdienst. Nach Hebr 12,22f ist die Gemeinde hinzugetreten zur Kirche der Erstgeborenen (seien dieses nun Engel oder frühe Christen). Und von der Gesangsgemeinschaft der irdischen Kirche mit den Engeln zeugt jede Präfation. Für die Fragestellung dieser Studie besagt das: Ob es katholische Priesterinnen und Bischöfinnen 106

6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

etc. geben kann, das ist keine Frage der Vergabe von (lukrativen) Posten oder der Verteilung von Macht in der Administration. Vielmehr ist diese Frage allein abhängig von der möglichen liturgischen Rolle von Frauen. Da Liturgie ein höchst suggestives symbolisches dramatisches Spiel ist, entscheidet sich die Frage an der symbolischen Rolle der Frauen. Nun könnte man darauf verweisen, daß mit der Existenz von Ministrantinnen die Würfel gefallen seien. Das ist nicht der Fall; auch für die ministrierenden Buben galt vor Zeiten das Erfordernis beträchtlicher Jugendlichkeit. Das Krasse an dieser Art Probleme anzugehen, ist, daß Fragen und Argumente aus dem Bereich der Symbolik, also im weiteren Sinne Ästhetik, hier am Ende auch rechtliche Konsequenzen haben. Umgekehrt sind wir es gewohnt. Die Ästhetik gilt als weich und sogar als Feld der Willkür, das Juristische dagegen wird als das Harte und Objektive angesehen. Vielleicht wird das Verständnis dadurch erleichtert, daß ich darauf hinweise, daß es hier um eine andere, fremde, aber in sich schlüssige Kultur geht, die man byzantinisch oder (im weitesten Sinne des Wortes) platonisierend nennen könnte, und die in ihrer Anwendung unentwirrbar mit dem biblischen Denken verbunden ist. Daß man Benedikt XVI. eben dieses Denken nachsagt, spricht für sich und – wie ich meine – für ihn. An der Rolle des Urbild / Abbild-Schemas nach Ex 25,40 und Hebr 8,5; 12,22f kann man erkennen, daß es sich hier und oft auch sonst um eine Europa und Vorderasien bestimmende Kulturgemeinschaft handelt. Deren Wahrnehmung wird in Zukunft von einschneidender kultureller und politischer Bedeutung sein. 107

6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

Damit sich niemand täusche: Mit dem Vorrecht des himmlischen Urbildes und der Gemeinschaft mit den Engeln zu rechnen, ist eine kleine Kulturrevolution. Vorgänger sind Hugo Ball († 14.9.1927) mit seinem Buch Byzantinisches Christentum (1923) und Erik Peterson († 1960) mit seinem Traktat Von den Engeln (1935), das eigentlich ein Apokalypse-Kommentar ist. Fazit für das Verhältnis von Liturgie und Amt:  Die Liturgie, also der Gottesdienst der Kirche, ist in allen christlichen Konfessionen die Brunnenstube des Amtes, selbst wenn man den Ausdruck Amt vermeidet. Denn aus der Rolle im Gottesdienst ergibt sich das Amt und umgekehrt. Dabei ist jede Liturgie ein Drama mit mindestens zwei Rollen, und daher geht es hier wie in jedem Drama um ein Geschehen mit den Konstanten Vorgabe (Rede oder Tat) und Antwort (Wort oder Tat). Ich habe keine Scheu, hier von Rollen zu sprechen, da es – noch stärker als in der Geschichte des Dramas – konstante Strukturen gibt. Zu diesen Strukturen kann die Polarität von gut und böse gehören (wie im Kasperletheater) oder auch die von Not und Rettung. Liturgie ist sichtbar in Raum und Zeit, und die Behauptung, daß es sich dabei um ein heiliges Spiel handelt und daß andererseits das Theater überhaupt seinen Ursprung im Geschehen am Tempel hat, ist keineswegs neu. Ein besonderes Rollenspiel ist das Gebet, auch wenn es seinen Ort im Alltag und nicht in geformter Liturgie hat. So ist in der jüdisch-christlichen Religion das Gebet eine dramatische Begegnung mit Gott. Die Rollenverteilung ist klar: Der Mensch lobt oder dankt Gott, er bittet Gott um etwas, zumindest um Gehör. Von Gott wird erbeten 108

6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

Würdigung durch Zuhören bzw. Annahme des Lobes, Erhörung, Verzeihung, Gnade oder Segen. Daß es keine katholischen Priesterinnen geben kann, hängt daher maßgeblich auch mit dem Gottesbild der Bibel zusammen. Diese Anschauung von Gott aber steht in en­ger Beziehung zur Liturgie. Allerdings gilt der mystische Vorbehalt, daß Gott weder männlich noch weiblich ist. Denn die Unähnlichkeit zwischen Gott und unserer Zeichenwelt ist immer größer als die Ähnlichkeit. Dennoch ist das mystische Schweigen nicht die Form der Offenbarung geworden. Man kann sagen, daß im Horizont Israels und der nach­ barlichen Religionen Jhwh weder in weiblicher noch in männlicher Hinsicht ein Sexualgott ist. Davon ist Gott weit weg. Da Kult in Israel aber immer eine ganzheitliche Darstellung / Inszenierung des Wirkens Gottes durch eine Person ist, bleibt nur eine Darstellung durch einen männlichen Priester realistisch. Denn durch eine Frau kann Gott jedenfalls nicht dargestellt werden.51 Da Gott aber eine Person ist – besser gesagt: mindestens so etwas wie eine Person – läuft die Darstellung Gottes im Kult auf das Problem hinaus, ob es jemanden gibt, der Person ist und nicht Frau. Da bleibt nur der Mann, und die Darstellung dieser geschlechtlichen Aspekte im Kult ist keine inszenatorische Glanzleistung. Aber die Verhältnisse sind nun einmal nicht anders. Und überhaupt zu schweigen, geht nicht. Angesichts dieser dürftigen Ausgangslage ist jeder einzelne Schritt, den wir gegangen sind, wie der vorletzte Strohhalm. In dieser hermeneutischen Verlegenheit sieht sich der Autor dieses Büchleins. 51 Vgl. oben.

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6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

6.1  Nicht wie die Engel

Bei der Diskussion unseres Themas stoßen wir auf der Seite der Kirche immer wieder auf dasselbe Argument: Maßgeblich für die Position der Frauen ist die Tatsache, daß sie Kinder gebären und überhaupt das Leben weitergeben können. Diese Fähigkeit wird als so grundlegend angesehen, daß sie erstens den entscheidenden Unterschied zu Gott als dem Schöpfer begründet. Aber diese Tatsache macht zweitens auch die Differenz zu den Engeln aus. Denn den Engeln sind Schwangerschaft und Gebären unbekannt. Und schließlich sind drittens Frauen dadurch, daß sie gebären, Ursache nicht nur kreatürlichen Lebens, sondern sterblichen Lebens. Daher sind die von einer Frau Geborenen stets sterbliche Menschen. Insofern ist der gewöhnliche Schlußpunkt des von Frauen initiierten Lebens der Tod. Das ist jedenfalls der Normalfall, es sei denn, daß das zwangsläufige Ende im Tod vom Schöpfer her durch eine besondere Aktion (Taufe) aufgehoben wird. Im Umkehrschluß folgt daraus: Wo die Rolle der Frau als Mutter oder Gebärerin in dem Maße zurücktritt, wie es in unserer gegenwärtigen Gesellschaft der Fall ist, entfällt die allgemeinste und generelle Voraussetzung für biblisches Denken und Argumentieren über die Rolle der Frau. Mir ist völlig klar, daß in unserer Gesellschaft die Rolle der Frau nicht als Mutter und Gebärerin und somit als Ursache kreatürlichen Lebens (und Sterbens) gesehen wird. Sichtlich entsetzt fragte mich daher kürzlich nach einem Gespräch ein evangelischer Pfarrer: Sie vertreten also noch das biblische Frauen- und Männerbild? Sind Sie da nicht auf der Seite der Fundamentalisten? – In der Tat: 110

6.2  Engel als Gemeinde Gottes

Solange nicht die Herkunft der Kinder aus der Retorte der übliche Weg geworden ist, Nachwuchs zu erstellen, halte ich an der zweifellos archaischen Vorstellung fest, daß Kinder von Frauen geboren werden. Mir ist schon klar, daß die Diskussion darauf zielt, Frauen nicht auf diese Rolle zu beschränken. Das tut nun in der Tat auch keiner der mir bekannten neutestamentlichen Texte. Das wäre auch weder jüdisch noch christlich noch katholisch. Daß aber in der genannten Befähigung der Unterschied von Mann und Frau zum Ausdruck kommt, ist aus meiner Sicht schlechthin unbestreitbar. Aber auch das Gegenteil ist klar: Über die Rolle der Frauen zu diskutieren und die genannte Fähigkeit grundsätzlich auszuschließen oder für marginal zu erklären, wäre blind und töricht und in der Praxis die Ursache für „Generationen-Ungerechtigkeit“ und Überalterung, schließlich Aussterben weiter Teile der Menschheit. Dabei war die Praxis der heute unter 50jährigen massiv durch die geschilderte Ideologie bestimmt. 6.2  Engel als Gemeinde Gottes

Zunächst ist zu reden über die Bedeutung von Himmelsund Engelvorstellungen für die Liturgie und die Rolle der Frauen darin. Generelle Grundvoraussetzung ist: Der Gott der Bibel hat – im Unterschied zu den Gottheiten der Umwelt – keine weibliche Partnerin (Göttin) an seiner Seite. Daher ist der Himmel keine Fortsetzung irdischer familiärer Verhältnisse. Partnerin Gottes ist lediglich sein heiliges Volk. Die Beziehung ist keine sexuelle, sondern eine hochgradig metaphorische. Weil beides durchgehend gilt, ist auch der Bereich des Kultischen und Rituel111

6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

len als Unterbrechung der Sexualität vorgestellt. Das, was sich bis heute in den Besucherregeln großer Kirchen vom Kölner Dom bis hin zu St. Peter äußert, gibt es im Judentum und in de Alten Kirche immer wieder: Nähe zu Gott bedeutet Unterbrechung der Sexualität; übrigens nicht deren Abschaffung. Zum Stichwort Unterbrechung: Verbot des Geschlechtsverkehrs am Ort des Heiligtums (Damaskusschrift 12,1); Verbot des Geschlechtsverkehrs am Sabbat (Jubiläen 50,8;b Jebamoth 90b). Sexuelle Beschränkungen für den Dienst des Hohenpriesters finden sich in Lev 21,13: Er muß sich zur Frau eine Jungfrau nehmen. Lev 21,14: Eine Witwe, eine Verstoßene, eine Entehrte oder eine Buhlerin darf er nicht heiraten. Vielmehr soll er sich eine Jungfrau aus seinen Volksgenossen zur Frau nehmen. – Unreinheit der Frau nach Geburt eines Kindes (Lev 12, 2–5; entfaltet Jubiläenbuch 3,9–14): Ein zeitlicher Tabugürtel schützt Gefährdetes durch Signale der Unterbrechung. Die Entstehung von Leben ist eine Zeit, in der man es direkt mit Gott zu tun hat. Sie ist daher ein Bereich von Furcht und Schrecken. Nach Ansicht des Judentums ist der Himmel ein heiliger Bereich, ein Tempel. Gott wohnt in diesem heiligen Bereich, und zwar nicht allein, sondern inmitten der himmlischen Bürgerschaft. Diese wird als Engel vorgestellt. Der Gott Jesu Christi und der frühen Gemeinde ist also ein Gott inmitten von Engeln. Das Christentum steht (mit Jesus!) den Pharisäern in der Annahme von Engeln nahe, und hier verläuft auch die Trennlinie zwischen Pharisäern und Sadduzäern (Apg 23,8f). Stephanus ist laut Apg 7,42 eher auf der Seite der Sadduzäer. 112

6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

6.3  Spannung zwischen Engeln und Frauen

Nach biblischem Verständnis gibt es eine natürliche Spannung zwischen Frauen und Engeln. Denn beide sind physisch von Natur aus verschieden. Engel sind nicht gezeugt, sondern geschaffen, sie zeugen nicht und gebären nicht, sie sterben auch nicht. Frauen dagegen entstehen durch Zeugung und Gebären; so sind die mittelbare Ursache von Sterblichkeit und Tod. Denn nur das, was geboren ist, muß auch sterben. Überdies werden Engel militärisch und dualistisch vorgestellt. Sie treten sozusagen in Kompanien in die Welt, nicht als Einzelfiguren. Sie bilden zusammen die himmlischen Heerscharen, an ihrer Spitze steht der Erzfeldherr Michael. Als Heerscharen sind sie die Streitmacht zur Bekämpfung der bösen Geister, d. h. des engelhaften Anhangs des Teufels. Im Kampf Michaels gegen Satan nach Sach 3 und Apk 12 treffen die Spitzen der dualistisch verstandenen Geisterwelt aufeinander. Sowohl der Geisterkampf ist dem entgegengesetzt als auch der übliche Ort. Frauen bilden nicht Kompanien, ihr Lebensraum ist nicht das Heer, sondern das Haus in Stadt und Land, inklusive Nachbarschaft und Bibliothek.52 Ihr Beruf ist nicht die Geisterschlacht, sondern der Familienfriede. Für Engel ist es daher ein wesentlicher Mangel der Menschen, daß sie von Frauen geboren sind, und ebenso, daß sie harmoniesüchtig sind (Frieden / Schwert in Mt 10,34; vgl. Lk 12,52f). Solche Texte zeugen von einem dualistischen Erbe im Christentum, und das hat immer mit Engeln zu tun. Denn Engel kennen nur das Entweder / Oder und sind Feinde jeder falschen Harmonie. Im 52 Vgl. die weiblichen Philosophenschüler zur Zeit Jesu!

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6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

Übrigen wird sich beides in der Geschichte der Verkündigug durchhalten, das Bemühen um Frieden und Harmonie einerseits und die Aufforderung zur klaren, verletzenden Entscheidung andererseits. Die Spaltung und Aufspaltung der Welt ist bis zum Gericht das Wasserzeichen der Schöpfung, und andererseits ist jedes Stückchen Frieden ein Hoffnungsschimmer auf eine neue Schöpfung hin. Das erste ist hier generell die Voraussetzung für das zweite. Wenn nach 1 Kor 11 sich Frauen beim Beten und Prophezeien „wegen der Engel“ durch eine „Vollmacht auf dem Kopf“ besonders schützen müssen (1 Kor 11), dann kann das Verhältnis zwischen Engeln und Frauen von Natur aus nicht das allerbeste sein. Die wahrscheinlichste Erklärung ist: Wer betet oder prophezeit, begibt sich in den Raum der Engel. Als Frau setzt man sich ihrer möglichen Aggression aus (Störung oder Zerstörung der Fruchtbarkeit). Das scheint ähnlich auch schon die Sicht der vorchristlichen Römer zu sein, denn die Braut muß sich durch einen Schleier verhüllen; daher der Ausdruck nubere (sich verhüllen für einen Mann – gegen den Einfluß böser Geister?). Weil die Engel im kosmischen Dualismus auf der Seite Gottes und des neuen Lebens stehen, sind sie auch diejenigen, die den Frauen das Trauern verbieten und ihnen die Botschaft von der Auferstehung bringen (Mk 16). Dadurch wird das nur sterbliche Leben überwunden. Typisch ist das Verhältnis von Engel und Frauen gestaltet in Petrusevangelium XII.XIII: Die Frauen kommen zum Grab, um zu weinen und über Jesus zu klagen. Darauf begegnen sie nach XIII (35) dem Engel, der ihnen die Auferstehungsbotschaft mitteilt: „Da erfaßte die Frauen 114

6.3  Spannung zwischen Engeln und Frauen

Entsetzen, und sie ergriffen die Flucht.“(37). Im Kontrast zum Engel herrscht bei den Frauen daher nicht Freude, sondern auf die Theophanie hin Entsetzen (Von einer Beauftragung mit der Botschaft und dem Nicht-Befolgen dieses Auftrags ist nicht die Rede.). Wie so oft, geht es auch hier nicht um die Relation Mann und Frau, sondern um Gott und Mensch, dargestellt im Engelsschrecken. Denn es handelt sich in Wirklichkeit um eine Theophanie. Die Engel, vor denen die Frauen beim Prophezeien nach 1 Kor 11,2–16 zu schützen sind, könnten zumindest durch den theophanen Schrecken gefährlich werden, mit dem sie den Frauen erscheinen. Die Gesamtsituation des Menschen (conditio humana) wird nirgends so kraß einsichtig wie im Falle von biologischer Unfruchtbarkeit oder am offenen Grab. Für den Fall der Heilung biologischer Unfruchtbarkeit („Der Mutterleib ist gestorben“) gibt es schon im Alten Testament den Erzählungstypus Gefährdung der Ahnfrau, im Alten wie Neuen Testament ergänzt um den Erzähltypus die Gefährdung des Retterkindes (z. B. Mt 2). Das Herzstück dieser Geschichten ist jeweils die Begegnung der betroffenen Frau mit dem Engel Gottes. Das ist, recht betrachtet, jeweils eine Konfrontation von Verschiedenheit: Tod auf der Seite des Menschen, und sei es der Tod des Mutterschoßes und Lebensverheißung auf der Seite Gottes, der durch den Engel eingreift und die Geschichte wendet. Man kann sagen: Engel und Frauen passen nicht zusammen. Aber das ist gerade die Pointe dieser Geschichten: Durch den Engel, der Leben oder Fruchtbarkeit verkündet, greift Gott als der ganz andere in die jämmerliche Geschichte der Menschen ein. 115

6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

Auf unser Thema angewandt heißt das: Der Ausschluß der Frauen vom Weihesakrament erinnert uns auf drastische und gewiß oft schmerzhafte Weise daran, daß wir von Natur aus nicht zu Gott passen. Und das betrifft ausgerechnet die Stellen, an denen wir immer meinen, Gott besonders nahe zu stehen und ihm fast auf die Schulter klopfen könnten. Denn ist weibliche Schönheit nicht oft geradezu unüberbietbar und nahezu göttlich? Ist es nicht wunderbar, Kinder zu empfangen, zu gebären und mit eigener Milch stillen zu können? Ist nicht Kinderkriegen eine annähernd göttliche Fähigkeit des Menschen? Da, wo vorher ganz buchstäblich nichts war, gibt es plötzlich einen Menschen, „künstlich und fein bereitet“. Ist nicht die Weise, in der Frauen lieben können, erstaunlich und Himmel und Erde bewegend? So ist das alles herrlich und oft für göttlich gehalten. Aber es reicht nicht, Gott im Munde führen zu dürfen oder in die Hand nehmen zu können. Bei Männern sowieso nicht und selbst bei Frauen eben auch nicht. Das Gegenüber von Frauen und Engeln ist eine Konfrontation von Gott und Mensch. Aber Gott läßt sie gut enden. 6.4  Engel zwischen Leben und Tod

Engel sind dem Bereich von Zeugung, Geburt und Tod enthoben. Daher gibt es nichts Weibliches im himmlischen Tempel. Es kann daher auch keine Engel mit weiblichem Namen geben. Weil das Weibliche dem Himmel fehlt, kann es dort auch nicht Heiraten und Geheiratet werden geben (Mk 12,25). Der Himmel erlaubt daher keine Fortsetzung menschlicher Sexualität, und das gilt nicht nur für sexuelles Handeln, es gilt bereits für die 116

6.4  Engel zwischen Leben und Tod

nicht-sexuelle Ausrichtung der Himmelsbewohner. Wenn trotz dieser Grundsätze Engel oder verwandte Wesen in den Bereich der Sexualität rücken, dann werden sie als männlich vorgestellt. Das gilt von den Gottessöhnen nach Gen 6,1–3; hier ragt eine mythische Tradition in das Alte Testament hinein. Es bleibt aber vorausgesetzt, daß es „im Himmel“ keine Frauen gibt. Daher wird nach Gen 6 und der daran anknüpfenden breiten jüdischen Henochtradition die Verbindung von Himmel und Erde die Ehe zwischen den mythisch-männlichen und Engeln und den weiblichen Menschenfrauen als skandalöse Störung der Ordnung dargestellt. Während Engel durchgehend nicht sexuell sind, ist dieses bei den Gottessöhnen von Gen 6 anders. Gemeinsam mit der Engelvorstellung ist freilich in den mythischen Texten zu diesem Thema, daß es hier wie dort eine chronischen, symptomatischen und grundsätzlichen Frauenmangel gab. Die Vorstellung vom Engelfall und von dem hier vorausgesetzten sexuellen Appetit der Gottessöhne auf menschliche Frauen ist zur Zeit des Neuen Testaments im Judentum weit verbreitet. Das Verhältnis Engel / Frauen ist nicht lediglich durch Abwesenheiten (Negativ-Aussagen) bestimmt, vielmehr heißt die positive Version „ewiges Leben“. Denn das ist ein Leben ohne Anfang und ohne Ende, also auch ohne Geburt, Zeugung und Tod. Dieser Punkt ist für die gesamte Argumentation um das weibliche Amt von Bedeutung. Deswegen tragen alle biblischen Engel männliche Namen und erscheinen in Visionen als „Jünglinge“. Merkmale der Jünglinge sind leuchtende Gewänder; allerdings können wegen des Lichtglanzes, der dann auf 117

6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

die weißen Haare bezogen wird, auch alte Männer als Engel vorgestellt werden (Henoch; Propheten). Engel gelten als Personen mit Namen. Aber im Vergleich mit den Menschen fehlen ihnen zentrale Elemente wie Sexualität und Tod. Dieser Unterschied begründet eine dauerhafte Spannung zwischen Engeln und (menschlichen) Frauen. Wo immer Engel Einwände erheben gegen Gottes Handeln, immer gilt dieses als stärkstes Argument gegen die Menschen, d. h. dagegen, daß Gott sich überhaupt mit den Menschen abgibt: Die Menschen sind von Frauen geboren.53 Nun kann man fragen, und das wird auch geschehen, warum ‚völlig überholte‘ Vorstellungen über Himmelsbewohner der Maßstab sein sollen für einschneidende, viele Menschen verletzende Maßnahmen der Kirchen in der Gegenwart. Nun sind die Aussagen der Bibel über Engel uns zwar fremd, sie sagen aber stets etwas über das Verhältnis von Gott und Mensch und sind deshalb nicht einfach nach Belieben abzuschaffen. Die Existenzbedingungen, die Frauen besonders zu spüren bekommen, sind noch immer vollständig die der alten, ersten Schöpfung, und von der neuen, verheißenen Schöpfung, die mit der Auferstehung Jesu begann, ist da noch nicht viel zu spüren. Wenn man, wie wir es taten, sich auf die Blickrichtung einstellt, in der Geburt und Tod zusammen gehören, dann wird das, was für Menschen allgemein gilt, an Frauen besonders greifbar. Der Mensch ist nicht göttlich und verletzlich.

53 Vgl. dazu P. Schäfer, Die Rivalität zwischen Menschen und Engeln, 1975.

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6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

6.5  Engel und Gottesdienst im Tempel

Der irdische Gottesdienst (im Tempel, dann auch in der Gemeinde) bezieht sich auf denselben einen und einzigen Gott wie der himmlische. Das ist bereits die Ansicht der Hymnen von Qumran, aber ebenso auch die Perspektive der ApkJoh im Neuen Testament und schließlich der byzantinischen und anderer ostkirchlicher Liturgien. Sowohl in den Hymnen des Frühjudentums aus den Höhlen von Qumran als auch aus der römischen Meßliturgie geht hervor, daß die menschliche Gemeinde mit den Engeln zusammen singt, zumindest das Sanctus.54 Das kommt zum Ausdruck, wenn es heißt, daß Menschen „gemeinsam mit“ oder „mit einer Stimme“ (una voce) eben mit den Engeln singen.55 Die Kultgemeinschaft mit den Engeln ist liturgiegeschichtlich von immenser Bedeutung. Anschaulich greifbar wird das z. B. an den neun Engels-Emporen der Michaeliskirche des hl. Bernward in Hildesheim, deren tausendjähriges Bestehen 2022 (2033 Weihejubiläum) gefeiert werden soll. Die menschlichen Männer sind – im Vergleich mit den Engeln – auch nur Menschen. Aber da sie weder schwanger werden noch gebären können, stehen sie den Engeln um eine Hauch näher. Das gilt indes nicht für alle primären und sekundären Geschlechtsmerkmale. Die Nähe der Männer zu Engeln bedeutet weder etwas Moralisches noch etwas über größere oder geringere Heiligkeit. Betrachtet man das Thema dieses Buches von die54 „cum angelis et archangelis, cum thronis et dominationibus cumque

omni militia caelestis exercitus hymnum gloriae tuae canimus.“

55 Zur bibeltheologischen Bedeutung der Mächte und Herrschaften vgl.

meinen Aufsatz in: Signum in Bonum (FS W. Imkamp), 2011, 33–40.

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6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

sen Punkten her, dann werden für die christliche Liturgie deshalb nur Männer geweiht, weil sie menschliche Personen sind und gleichzeitig aber nicht Frauen. Als sterbliche Menschen sind auch die Männer allerdings auch den Engeln suspekt. Denn beide sind physisch von Natur aus verschieden. Engel sind nicht gezeugt, sondern geschaffen, sie zeugen nicht und gebären nicht, sie sterben auch nicht. 6.6  Wie man Frauen sieht, so denkt man vom Menschen

Hier möchte ich zeigen, daß in der ganzen Bibel die Wahrheit über den Menschen am ehesten im jeweiligen Bild der Frau zugänglich ist. Das gilt von Bedrohung und Sterblichkeit, Gefährdung und Freude. In der dramatischen Begegnung von Gott und Mensch in Liturgie und Gebet liegt – wie immer – alles daran, daß man sich an eindeutigen Zeichen orientieren kann. Im Kasperletheater muß der Räuber einfach verdächtig aussehen. Das eindeutige Zeichen für die Rolle des Menschen im Lebensdrama zwischen Mensch und Gott ist in der biblischen Religion die weibliche Existenz. Die Situation des Menschen in Sterblichkeit und Not, im Angewiesensein auf Hilfe und in zäher Hoffnung wird immer wieder anschaubar in der Rolle der Frau. Die Menschen, die den Gottesdienst besuchen, die Beter aller Jahrhunderte können sich am ehesten in der Rolle der Frau wiedererkennen. Deshalb war und ist auch Maria in der Volksfrömmigkeit die Identifikationsfigur, und zwar nicht nur für andere Frauen. Obwohl das Magnificat Mariens Lied ist, besteht auch für ein Männerkloster kein Problem darin, in jeder Vesper, das heißt an jedem Abend, sich im Magnificat wie120

6.6  Wie man Frauen sieht, so denkt man vom Menschen

derzuerkennen. Man kann sagen: Das ist biblisches Menschenbild. Erinnert man sich an die bekannten Szenen mit Frauen gerade auch im Neuen Testament, dann kann man sich überhaupt nicht vorstellen, diese Geschichten könnten über Männer erzählt worden sein. Als Beispiele sind diese Texte zu nennen: Als Jesus sich von seiner Familie entfernt, fragt Maria: „Was hast du uns angetan?“ (Lk 2,48f); die kranke Schwiegermutter Petri (Mk 1,29–31 parr); die Tochter Petri (ntl. Apokryphen); die Tochter des Jairus und die blutflüssige Frau (Mk 5,21–43); die dienenden Frauen (Lk 8,1–3); die Kanaanäerin und ihre kranke Tochter (Mk 7,24–30); die verkrümmte Frau (Lk 13,10–17); der verlorene Groschen (Lk 15,1–10); das Gleichnis von der Witwe und dem gottlosen Richter (Lk 18,12–8); das Scherflein der Witwe (Mk 12,41–44); das Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Mt 25,14–30); die Salbung in Bethanien (Mk 14,3–9); Maria Magdalena, von sieben Dämonen befreit (Mk 16,9); Maria Magdalena stößt als Osterbotin auf Unglauben (Mk 16,9f.; Mt 24,19; Lk 21,23; „Wehe aber den Schwangeren / Stillenden in jenen Tagen.“ (Mk 13,17; Lk 21,23); „Töchter Jerusalems, weint nicht über mich …, sondern über eure Kinder.“ (Lk 23,28); Jesus zur Mutter des Jünglings von Nain „Weine nicht …!“ (Lk 7,13 ); die Frau läßt ihre Tränen über Jesu Füße rinnen (Lk 7,38); Die Frauen, die Jesus von Galiläa her als Jüngerinnen begleitet hatten, gehörten zu den Augenzeugen (Lk 23,49); „Maria geht zum Grabe, um dort zu weinen.“ (Joh 11,31); „Jesus sah, wie sehr sie … trauerte.“ (Joh 11,33); „Maria Magdalena aber blieb vor dem Grab und weinte bitterlich, von Kummer und Schmerz gebeugt …“ (Joh 20,11); „Warum 121

6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

weinst du, gute Frau?“ (Joh 20,13); „Petrus ging sofort mit ihnen. Als er in Joppe ankam, führte man ihn unverzüglich in das Gemach, wo alle Witwen des Ortes sich weinend zu ihm drängten  …“ (Apg 9,39); Frauen erhalten ihre Toten zurück als Bild besserer Auferstehung (Hebr 11,35). Fazit:  In den Texten dieser recht zufälligen Sammlung sind stets Frauen diejenigen, die arm oder krank sind, die Härte des Daseins ertragen müssen oder jedenfalls des Wunders bedürfen. Sie sind bei allen Totenerweckungen beteiligt. Für die sprachliche und gedankliche Erfassung einer korporativen Gesamtheit ist daher die weibliche Symbolfigur von großer, auch politischer Bedeutung. Sichtbar wird das in der Kunstgeschichte an den Gestalten von Ekklesia und Synagoge. Im Mittelalter kommt der ‚demokratische‘ Repräsentationsgedanke hinzu, so daß dann auch eine reale einzelne Frau eine Gesamtheit repräsentieren kann, bzw. ‚für sie alle‘ handelt (wie die evangelische Pastorin im Verhältnis zu ihrer Gemeinde), eben auch gerade ohne Weihe. „Du hast mir das Angesicht erleuchtet. Aber sie bedrängen mich wie die Wellen das Schiff auf hoher See und belagern mich wie der Feind die befestigte Stadt. Ich war in Nöten wie eine Frau, die ihr erstes Kind gebiert, denn Wehen überfallen sie, und wahnsinniger Schmerz leitet ihre Wehen ein und durchzuckt den Leib der Gebärenden. Denn Stoß gesellt sich zu Stoß, bis vor Wehen Todesangst sie überfällt. Und die einen Sohn bekommen soll, wird durch ihr Kreißen gepeinigt. Denn mit ihren Wehen in Todesangst bringt sie einen Sohn hervor. Und unter höllischem Kreißen bricht hervor aus dem Leib der Gebärenden ein wunderbarer Ratgeber, ganz kräftig ist das Kind. Denn ein Sohn kommt hervor aus den Wehen. Im Leib seiner Mutter zucken alle Wehen immer heftiger, 122

6.6  Wie man Frauen sieht, so denkt man vom Menschen

und sie leidet wahnsinnige Schmerzen, wenn sie gebiert. Stöße überfallen die Gebärende, und wenn das Kind geboren wird, brechen alle Geburtsschmerzen los im Leib der Gebärenden. Doch auch die schwanger ist mit Irrwitz, kommt in wahnsinnige Schmerzen. Auch die Wehen, die Unheil bringen, lassen sie schmerzvoll erbeben. Und Mauerfundamente bersten wie ein Schiff auf dem Meer, und Wolken krachen mit lautem Dröhnen. Und die auf dem Lande wohnen, sind wie solche, die übers Meer fahren, sie erschrecken vor dem Tosen des Meeres, und ihre weisen Männer sind wie Seeleute inmitten hoher See. Denn verschlungen wird all ihre Weisheit vom Tosen des Meeres. Wenn Fluten heranstürzen aus den Quellen und sich zu hohen Wellen auftürmen und Wassermassen mit mächtigem Tosen heranstürzen, öffnen sich Hölle und Unterwelt. Und mit ihnen schwirren die Pfeilgeschosse, die Unheil tragen und deren Geräusch zu hören ist bis in den letzten Winkel des Meeres. Und es öffnen sich die Pforten der Hölle, daß aller Irrwitz herauskommt. Und wenn die Frau, die das Verderben gebiert, hervortritt, schließen sich hinter ihr die Tore des Abgrunds. Und wenn alle Geister des Irrwitzes hervortreten, schließen sich hinter ihnen die ewigen Riegel des Schattenreiches.“  56 Das Bild der zerstörten Stadt: Wie einsam liegt die Stadt da! „Die Prinzessin aller Völker ist verlassen wie eine im Stich gelassene Frau, wie eine Frau, die verletzt ist und verlassen von ihrem Mann. Alle ihre Plätze und Mauern sind wie eine unfruchtbare Frau, und wie eine schutzsuchende Frau sind alle ihre Gassen. Alles ist voll Bitterkeit wie bei einer Frau, und alle ihre Töchter sind wie Frauen, die um ihre Männer trauern. Alles bei 56 1 QH 3,1–8, hebr. Text nach Lohse, Texte, S. 120.

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6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

ihr ist wie bei Frauen, denen man ihr einziges Kind genommen. Weine, weine, Jerusalem. Tränen fließen über ihre Wangen wegen ihrer Kinder.“ 57 Die Aufforderung zum Weinen erinnert direkt an Lk 23. Ganz ähnlich in einem modernen syrischen Gedicht über das zerstörte Beirut. Die Gattung Klage über die zerstörte Stadt im Bild der Klage einer Frau ist daher nach wie vor lebendig: „Beirut, du sehnsüchtige Baumwolle, durch traurige Winde zerstört, die Zedern wie Schiffe ohne Segel. Beirut, Beirut, wo bist du, ich habe dich nicht gesehen. Ich habe dich angeschaut im Lande der Winde, dicht am schäumenden Meer. Ihr blondes Haar, wie Gersten im Felde, alle ihre Körperteile sind veschwunden; Beirut, eine Jungfrau, die zerstückelt wird. Beirut, Stern, den man erwürgt, oh, meine Geliebte, wo sind deine Augen? Bis du mir wieder zulächelst, werde ich die Kerzen entzünden. In der Nacht, oh, du, Geliebte, sehne ich mich nach dir, ich sehne mich nach deinen Liedern, die herumirrend in den Ruinen wohnen. Beirut, getötet! Beirut, enthauptet! Ihr Fleisch zerfetzt, hinter ihr zwei Beerdigungen.“  58 Fazit:  Wenn Glück und Unglück der Menschen im Bild einer Frau dargestellt werden (Glück: Madonna und Jesuskind auf dem Arm; Unglück: Pietà, bei der Maria den toten Jesus auf dem Schoß hält), dann geht es um existenzielles Wiedererkennen oder um Kunstgeschichte, in der lateinischen Kirche früher oft um Hymnen der Liturgie. Aber es geht nicht um eins zu eins in Kirchenrecht Umsetzbares. Doch eines ist festzuhalten: Wenn die menschlichen Grundsituationen von der Geburt bis zum Tod immer wieder im Bild der Frau dargestellt werden, 57 4 Q 179, hebr. Text nach DJD 5, 75–77. 58 Text von Masik al Malaìka, in: DIE ZEIT 32, 6.8.1982.

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6.6  Wie man Frauen sieht, so denkt man vom Menschen

dann kann im liturgischen Rollenspiel eine Frau nicht die Rolle Gottes, des Retters oder Jesu, des Erlösers darstellen. Der erlösungsbedürftige Mensch sieht sich im Bild einer Frau (in Nöten), und daher kann den, der die Erlösung bringt, nicht gleichzeitig eine Frau darstellen. Wie man an der Pietà sieht, auch und gerade nicht Maria. Aus dieser Konstellation ergibt es sich, daß in persona Christi jedenfalls eine Frau nicht agieren darf. Denn es ist der Stil der biblischen Erfassung des Menschen, daß er am leichtesten im Bild einer Frau dargestellt wird. Was dem Menschen hier entgegenleuchtet, ist die Wahrheit über seine Situation. Diese Wahrheit ist noch kein Kirchenrecht. Aber kein Recht kann es sich auf Dauer leisten, diese Situation des Menschen zu ignorieren oder darüber hinwegzugehen. Daß die Situation des Menschen im Bild der Frau anschaulich und bewußt wird, ist der Stil biblischer Wahrnehmung der Wirklichkeit. Gegen diesen Stil kann ich nicht verstoßen, weil dann ein Teil meiner geistlichen Heimat verloren ginge, deren Bilder mich geprägt haben wie die Sprache, in der ich rede. Aber sind es am Ende solche Stilfragen, weswegen man Frauen die Ordination verweigert? Nun sollte man den geschilderten Stil nicht mit beliebigem oder willkürlichem oder zufälligem Geschmack verwechseln. Frauenordination ist nicht einfach Geschmacksache. Und Geschmack ist keine ästhetische Spielerei. Die Sache liegt etwas tiefer. Denn entsprechend zur Darstellung der Situation des Menschen im Bild der Frau gehört in die Metaphorik der Bibel auch eine Darstellung Gottes im Bild des (männlichen) Vaters oder Königs.59 – 59 Vgl. den folgenden Abschnitt zur „Männlichkeit Gottes“.

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6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

Das ist der wahre Grund dafür, weshalb in der Liturgie Gott oder Jesus Christus jedenfalls nicht durch eine Frau darstellbar sind. Zwei Bemerkungen sollen diese Aussage vor den gröbsten Mißverständnissen bewahren: a) Das hier angedeutete Bild der Frau im Urchristentum bestätigt sich auf eindrucksvolle Weise darin, daß keine der gar nicht wenigen Frauen jemals als Wundertäterin auftritt, auch nicht Thekla nach den Acta Pauli et Theclae, auch im ersten Jahrtausend nicht Maria, die Mutter Gottes. Denn Frauen empfangen oder erbitten Wunder (Maria in Joh 2). Insofern stehen sie den männlichen Wundertätern gegenüber (Jesus, Petrus, Paulus etc.). Im Zusammenhang dieses Buches halte ich das nicht für zufällig. Charismatische Vollmacht dieser Art fehlt allen dargestellten Frauen. Öfter wird in der konfessionellen Polemik unterstellt, in der katholischen Kirche stehe Maria kurz vor der Vergottung (‚Quaternität‘ statt Trinität). In der Umwelt der Bibel wird weibliche Sexualität – insbesondere die Gebärfähigkeit – ständig für göttlich erklärt. Deshalb gehört es auch zur göttlichen Vollkommenheit, daß Götter verheiratet sind. Die Bibel ist in ihrem Grundanschauungen dem schroff entgegengesetzt: Weibliches ist nicht göttlich, sondern kreatürlich. Deshalb ist keine Frau Gott oder Göttin. Und auch Maria ist eben ‚nur‘ Mensch und ist das immer geblieben. Alles andere wäre pures Heidentum. Deshalb ist in der Konstellation Gott – Mensch keine Frau Repräsentantin Gottes. Es hat schon seine Gründe, weshalb es im Alten Testament keine Priesterinnen gibt, sondern nur bei den Heiden. Das gilt auch dann, wenn – wie gezeigt – es im Christentum nicht um 126

6.6  Wie man Frauen sieht, so denkt man vom Menschen

Priester und daher auch nicht um Priesterinnen im Sinne der Religionsgeschichte geht. Denn es bleibt ja die Frage, weshalb das weibliche Geschlecht zur liturgischen Darstellung Gottes ungeeignet ist. Die Furcht vor der heidnischen Vergötzung der Sexualität und damit auch die Furcht vor weiblichen Gottheiten sitzt uns tief in den Knochen. Nun wird jede Frau antworten, die sich betroffen und benachteiligt fühlt, daß sie und ihre Kolleginnen nicht auf ewig dafür bestraft sein möchten, daß es vor 2500 Jahren einmal weibliche Götzen gegeben hat und die Bibel davor tief sitzende Ängste hegt. Doch die Vergötzung von Sexualität liegt unserer Zeit genauso nahe wie allen anderen Jahrhunderten. Ob die Nicht-Zulassung der Frauen zur Ordination eine Strafe ist, wäre noch zu diskutieren. Ich würde es gegenteilig beurteilen. Übrigens ist das ‚kurz vor der Vergottung‘, wenn man unbedingt will, eine Aussage schon von Ps 8. Denn Gott hat den Menschen nur wenig unter die Engel gestellt. Und die schon in der Romanik übliche Darstellung der Krönung Mariens ist Beschreibung des Ziels des Menschen (Im übrigen gilt: Im Himmel gibt es keine Konkurrenz.), und es bleibt sonnenklar, von wem die Krone kommt und wem der Mensch sie ihm wahrsten Sinne des Wortes zu verdanken hat. b) Wieso ist davon auszugehen, daß in der Liturgie ‚jemand dargestellt‘ wird, also z. B. Gott oder Jesus Christus? Kommen wir nicht einfach alle zusammen vor Gott und dem Geheimnis seiner Liebe? Bei der Verkündigung des Wortes und dessen Auslegung, bei der Verkündigung von Vergebung und Segen kann es nicht ausbleiben und ist es 127

6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

auch sehr hilfreich, wenn die Botschaft dramatisch dargestellt wird und es dabei auch zu einer Rollenverteilung kommt, zum Beispiel und zumindest jener zwischen Gott und Mensch. Nun ist es einfach wahr und es war jeder Art von Mystik auch jederzeit vollständig klar, daß Gott weder männlich noch weiblich ist und über Unterschiede solcher Art vollständig erhaben. Das ist schlicht die Wahrheit, und darin besteht hier auch die Angemessenheit apophatischer (verneinender) Theologie, die in der Ostkirche sehr viel mehr gilt als hier und von der man stets viel lernen kann. Gott ist nicht männlich oder weiblich. Und wer ihn durch einen Mann oder eine Frau darstellen will, liegt immer irgendwie falsch. Und wird nicht an dieser Stelle deutlich, wie falsch es ist, an dieser Stelle Streit anzufangen und also Abhandlungen über dieses Thema zu schreiben? – Doch jeder, der etwas von Kunst- oder Musikgeschichte oder Medien weiß, kann bezeugen, daß Bilder pädagogisch und jedenfalls auf Dauer notwendig sind und daß der stets eine große Verantwortung trägt, der Bilder auswählt. Wer mit Gott zu tun hat, muß wissen, daß alle Bilder ein Wagnis sind und daß in der Regel ein Kosmos, eine zusammenhängende Welt der Bilder entsteht, die in sich stimmig sein muß. Auch wenn man zugesteht, daß die geschilderten Erfahrungen von Frauen, die man Frauen auch ansehen konnte, der Wahrheit entsprechen, bleibt doch die Frage, ob man daraus ein ewiges Gesetz herleiten kann. Kritisch gefragt: Folgt aus den Leiden der Frauen von vor 2000 Jahren und über Jahrhunderte hin ihr mangelndes oder minderes Recht? Inwiefern folgt aus den alten Leiden die 128

6.7  Frauen als Exempel der Gnadenlehre

neue Minderwertigkeit? Inwiefern ist das so rekonstruierte Menschenbild der Bibel normativ? Und werden hier nicht allzu leicht Erfahrungen menschlichen Unglücks Teile des Gottesbildes? Man kann einfach fragen: wo liegt denn die Wahrheit der neutestamentlichen Texte? Aber das wäre gleichbedeutend mit der Scheidung zwischen dem Ewigen und dem Zeitbedingten in den Texten. Damit wären wir seit R. Bultmann nicht weiter gekommen. Die Antwort kann nicht darin bestehen, daß ein einzelner Professor einige Dinge für ewig, andere dagegen für situationsbedingt und dem Wesen nach vergänglich hält. Sollte nicht der Maßstab der Auslegung das sein, was in der jeweiligen, Situation „Christum treibet“, d. h. was über alle inhaltliche Besonderung hinweg seine zentrale Funktion stützen kann? Das wäre eine funktional-christologische Hermeneutik. Ihr Vorteil besteht darin, daß sie sich nicht auf eine abstrakte Botschaft, sondern auf eine lebendige Person bezieht. 6.7  Frauen als Exempel der Gnadenlehre

Für Martin Luther ist Maria immer wieder das Beispiel der biblisch-paulinischen Auffassung von Gnade, und hier legt die mariologische Wurzel der Rechtfertigungslehre. Es liegt nun nahe und ist gewiß Luthers Ansatz nicht fern, den Bogen zu schlagen von der Rolle der Gottesmutter zur Rolle der Frau schlechthin. Luther tut eben dieses in seiner Auslegung des Magnificat. Es mag moderne Leser befremden, wenn hier gleich zweimal von Rolle die Rede ist. Denn das neueste Menschenbild kämpft mit ganzem Einsatz gegen Stereotypen der Rollenerwartung. Doch mir 129

6.  Die Begründung des Amtes aus der Liturgie

geht es nicht um bürgerliche Klischees, sondern um eine Weise der Schriftauslegung, deren schlechtester Vertreter Luther bekanntlich nicht ist. Was also von Maria gesagt ist, gilt irgendwie von jeder Frau, und was die Schrift über Petrus und andere Apostel sagt, von jedem Mann. Dabei ist eine überzeugende Präzisierung dieses irgendwie je und je Sache der Auslegungskunst. Im konkreten Fall: Im Rollenspiel zwischen Gott und Mensch ist die Frau das Exempel der Gnadenlehre. Denn sie demonstriert radikal, daß alles Gute, Wichtige und Richtige vom Menschen nur empfangen werden kann: Existenz, Begabung, Schönheit, Charme, Humor, Charismen, die große Liebe, Nachwuchs, Zuneigung der Kinder, Gesundheit und langes Leben. Im Leben einer Frau gruppieren sich diese guten Gaben um wenige Kristallisationspunkte. Wenn so alles Wichtige sichtbarlich Gnade Gottes ist – darf deswegen eine Frau nicht Priesterin werden? Und wie stellt sich dann die Priesterweihe dar angesichts dieser rundherum begnadeten und beschenkten Menschen? Oder anders und ‚katholisch‘ gefragt: Warum wird Maria nie als Priesterin, geschweige denn als Inbegriff des Priesterlichen bezeichnet? Und keine Madonnendarstellung erweckt auch nur von ferne diese Assoziation. Auch Mitarbeiterin Christi heißt Maria nicht, priesterliche Apostel dagegen können sich dagegen sehr wohl so nennen (2 Kor 6,1). Maria dagegen ist die Begnadete schlechthin, und jede Frau hat ein Stück davon. Im übrigen geht es nicht um Scheingegensätze wie ‚aktiv‘  –  ‚passiv‘. Weder Maria noch sonst eine Frau ist ‚passiv‘. Aber im Rollenspiel Gott – Mensch stellt Maria wie jede Frau die radikal Begnadete dar. Der Mann und Prie130

6.7  Frauen als Exempel der Gnadenlehre

ster ist auch nicht schlechthin ‚aktiv‘ wie Gott Vater und Jesus Christus. Jede moderne Frau würde es entrüstet von sich weisen, in Differenz zum Mann als ‚passives Wesen‘ dargestellt zu werden, und das mit Recht. In Wirklichkeit gehörte es zu den Verirrungen der Gnadendiskussion in vergangenen Jahrhunderten, den Gegensatz von aktiv und passiv zu pflegen. Denn Begnadetsein bedeutet gerade nicht Passivität. Und die Gnadengaben Gottes auszuteilen bedeutet gerade nicht Aktivität im Unterschied zu dem, was Frauen tun. Priester sind Verteiler, nicht Ursprung; Austeilende (dispensatores), nicht Mittler (1 Kor 4,2) der Gaben Gottes. Auch wenn also auch die Priester alles, was sie haben und sind, Gott verdanken, sind sie doch in dem Rollenspiel, das dieses Büchlein beschreibt, ebenso die Austeilenden wie die Empfangenden. Im Übrigen aber war Empfang reicher Gnade seit dem Apostel Paulus immer Anlaß zu verstärkter Aktivität im Sinne der Erfüllung der Forderung Gottes nach Gerechtigkeit. Die Rollenverteilumg in der Liturgie der Kirche läßt dieses theologische Geschehen klar erkennen. An einer kleinen liturgischen Handlung wird dieses schlaglichtartig klar: Wenn eine Mutter ihr Neugeborenes dem Priester entgegenhält, daß er das Kind und sie selbst segne.60 Fazit:  Der Geweihte ist bei Predigt und Sakrament Mitarbeiter Christi und Verteiler der Gnade Gottes. Frauen sind in jeder Hinsicht die Adressatinnen dieses Tuns, damit wird ihre ‚Rolle‘ indes nicht weniger wert- und sinnvoll. 60 Benedictio puerorum seu infantium cum primum in Ecclesia praesentan-

tur a parentibus; G. di Cilia, Thesaurus 1744.

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7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum? Zur Orientierung sei der Gedankengang kurz skizziert: Nach dem Alten wie nach dem Neuen Testament hat das Volk Gottes als solches priesterlichen Charakter, und zwar im Sinne des gemein-antiken rituellen Kultpriestertums. Doch weder läßt sich im Alten Testament dieser generelle Charakter des Volkes ausspielen gegen das spezielle Priestertum nach Aaron oder nach Melchisedek, noch läßt sich im Neuen Testament der priesterliche Charakter der Getauften ausspielen gegen das Amt der geweihten Ältesten, woher auch der Bezeichnung nach katholisches Priestertum stammt. Ein beliebtes Argument zugunsten der Ordination (‚Priesterweihe‘) von Frauen ist der Hinweis auf das „allgemeine Priestertum“ der Gläubigen. Dieses, so sagt man, sei die wichtigste biblische Grundlage. Denn als getaufte Christin sei jede Frau eben schon Priesterin, und in einer Ordination könne das nur feierlich bestätigt und sozusagen ‚amtlich‘ werden. 7.1  Besprechung der Bibelstellen

Die Belegstellen sollen 1 Petr 2,9 und Apk 1,6; 5,10 und 20,6.sein. Die alttestamentliche Grundlage steht in Ex 19,6 und 23,22 LXX. Im Judentum zur Zeit Jesu wird diese Stelle gerne zitiert im Jubiläenbuch, das auch in Qumran gelesen wurde. 132

7.1  Besprechung der Bibelstellen

Ex 19,5f: „Wenn ihr nun getreu auf meine Stimme hört, ... so werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein; denn mein ist die ganze Erde. (6) Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.“ Ex 23,22 LXX: „ … werdet ihr mir ein Eigentumsvolk aus allen Volksstämmen sein; mein ist nämlich die Erde! Ihr aber sollt für mich ein königliches Priestergemeinwesen und ein heiliger Volksstamm sein.“ Ex 19,5f hat „ein kostbares Volk von allen Volksstämmen …“ (nach der Übersetzung von KrausKarrer ). Das Wort „Priestergemeinwesen“ steht für griechisch hierateuma. Das Wort bedeutet im hellenistischen Griechisch soviel wie Priesterstaat. Jubiläenbuch 15,30: „Aber Israel hat er erwählt, daß sie ihm zum Volk seien (31) und er hat es geheiligt und gesammelt aus allen Menschenkindern. Denn es gibt viele Völker und viel Volk, und alle sind sein. Und über alle läßt er Geister herrschen, damit sie sie weg von ihm verführen. (32) Aber über Israel läßt er sie nicht herrschen, niemand, weder Engel noch Geist. Denn er allein ist ihr Herrscher.“ Jubiläenbuch 16,17f: „Und aller Same seiner Söhne werde zu Völkern werden, und mit allen Völkern würden sie gezählt werden. Und aus den Söhnen Isaaks werde einer heiliger Same sein und werde nicht unter die Völker gerechnet werden. (18) Denn er werde Anteil des Höchsten sein, und unter das, was Gott besitze, falle all sein Same, damit er für den Herrn ein Volk der Kindschaft sei vor allen Völkern und daß er ein Königtum sei und ein Priestertum und ein heiliges Volk.“ Die Handschrift F hat: „sein Königtum von Priestern und ein heiliges Volk“, ähnlich lateinisch: „regnum sacerdotale et populus sanctus“ (ein priesterliches Reich und ein heiliges Volk). 1 Petr 2,9: „Ihr aber seid die Auserwählten, eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk, Gottes Eigentum. Denn ihr sollt 133

7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

die großen Taten Gottes verkünden, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat. (10) Einst wart ihr nicht Volk Gottes, jetzt aber seid ihr es …“ Apk 1,5f: „… er hat uns geliebt und mit seinem Blut freigekauft aus unseren Sünden. Er hat uns zu einem Königsvolk gemacht und zu heiligen Priestern vor Gott, seinem Vater …“ Apk 5,10: „… du hast mit deinem Blut für Gott aus allen Geschlechtern, Sprachgemeinschaften, Völkern und Nationen ein Volk erkauft. Für unseren Gott hast du sie zum Königsvolk und zu Priestern gemacht, und sie werden Könige sein auf der Erde.“ Apk 20,6: „im Himmel dienen sie (sc. die Märtyrer) Gott und Jesus, dem Messias, als Priester und herrschen (sc. als Könige) mit ihm tausend Jahre lang.“ 7.2  Beobachtungen zu den Bibelstellen

Es handelt sich überall um eine Betrachtung Israels bzw. des neuen Gottesvolkes (NT) von außen her und im Kontrast zu den Völkern, die nicht ausdrücklich als Gottes Eigentum deklariert sind. Bei allen alttestamentlichen und jüdischen Stellen ist selbstverständlich vorausgesetzt, daß es im Volk Hohepriester und Priester gibt, und zwar als eigene Gruppe. Die Gesamtbezeichnung des Volkes als priesterlich hebt die Abgrenzung dieser Gruppen oder gar sie selbst nicht auf. Weil es um eine Gesamtbezeichnung geht, ist eben eine Binnendifferenzierung nicht im Blick. Die metaphorische Beziehung auf das ganze Volk verbietet keine Weihe oder Ordination einzelner – auch dann nicht, wenn man von Ex 19,6 etc. ausgehen möchte.

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7.4  Es geht im Ganzen um Metaphern

7.3  Der priesterliche Charakter der Christen

Im gesamten biblischen Sprachraum gibt es weder Begriff noch Sache eines allgemeinen Priestertums. Vielmehr ist allgemeines Priestertum ein Widerspruch in sich selbst. Denn Priestertum ist stets etwas Besonderes. Daher ist in diesen Texten auch Auserwählung sachlich benachbart. Der Ausdruck Priestertum gilt für die Christen erstens nur metaphorisch und zweitens unbeschadet der Existenz und Aktivität geweihter Ältester und drittens grundsätzlich kollektiv und eben nicht als Berufs- oder Funktionsbezeichnung Mensch für Mensch. Metaphorisch heißt: Das Volk gehört Gott als sein Eigentum, und es ist als dieses Eigentum heilig. Das heißt: Es ist kostbar, von ihm geht Segen aus (wie Gen 12,3), und vor allem steht es unter Gottes besonderem Schutz. Denn Gott wird für sein Eigentum sorgen. Metaphorisch heißt aber nicht: Das Volk lebt nur am / im Tempel und ist (jeder einzelne) jederzeit im Status kultischer Reinheit, für das Alte Testament heißt das eben auch nicht, daß jeder blutige Opfer bringt. Es gelten auch nicht die Bestimmungen von Lev 21. Der Ausdruck bezieht sich vielmehr immer nur auf Vergleichspunkte (einen oder mehrere). 7.4  Es geht im Ganzen um Metaphern

Für den metaphorischen Charakter von Ex 19,6f etc. spricht vor allem, daß aus dem priesterlichen Charakter des Volkes an keiner einzigen Stelle kultische oder gar li­ tur­gische Tätigkeiten abgeleitet werden. Denn das wäre bei einer nicht nur metaphorischen, sondern am „durchschnittlichen Gesamtsinn“ des Wortes orientierten Bedeutung doch das Mindeste, was man von Priestern erwartet. 135

7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

Im frühen Christentum gibt es außer dem Hohenpriestertum Jesu nach Hebr kein Priestertum in der Gemeinde oder über ihr. Auch Jesu Hohepriestertum nach Hebr 4–10 ist nicht anders als metaphorisch zu verstehen. Allerdings führt der Verfasser des Hebr mehrere Gründe dafür an, daß es sich um ein Hohepriestertum handelt; diese (Blut, Tempel, Reinigung, Analogie zu Melchisedek) sind hier nicht zu behandeln, da kein Bezug zu einem priesterlichen Charakter der Gemeinde oder in der Gemeinde besteht. Es gibt (geweihte) Älteste, aber dieser Ausdruck findet sich nirgends in der biblischen Bedeutung oder Auslegung von Ex 19,6. Die (geweihten) Ältesten der Christen hießen als Älteste griechisch presbyteroi, lateinisch presbyteri, und aus diesen Wörtern ist unser deutsches Wort Priester entstanden. Diese Ältesten sind weder alttestamentlichen noch jüdischen noch heidnischen Priestern vergleichbar. So gibt es Älteste (!) durch den heiligen Geist in Nu 11, aber diese sind eben nicht Priester.61 Das alttestamentliche hebräische Wort für den beamteten Kulttechniker heißt kohen, das griechische Wort für das Personal an den heidnischen Tempeln heißt griechisch hiereus, lateinisch sacerdos. Die Priester der Alten Kirche (und bis heute der Orthodoxen und Katholiken) sind demnach etwas von Priestern im Judentum oder von paganen Religionen ganz Verschiedenes. Es ist daher nicht möglich, mit Hilfe von Ex 19,6 (etc.) Störfeuer gegen die Praxis der geweihten Ältesten zu eröffnen. Denn das priesterlich-königliche Volk ist mit geweihten Ältesten nicht vergleichbar. Das heißt praktisch: 61 Siehe unten.

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7.5  Worin besteht der priesterliche Charakter aller Getauften?

Es gibt auch keine allgemeine Ordination der Christen. Die Taufe ist das nicht. Sie wurde auch nie so verstanden. 7.5  Worin besteht der priesterliche Charakter aller Getauften?

Wir fragen hier nach dem praktischen Wert der biblischen Aussagen über das königliche Priestertum der Getauften. Den Punkt einer Konkurrenz zum Weihepriestertum haben wir bereits ausgeschlossen. Und mit Nachdruck habe ich betont, daß man darauf achten muß, den Begriff Priester eindeutig zu verwenden. Er bezeichnet entweder ‚beamtete‘ Kulttechniker (außerbibl. Antike; Altes Testament) oder ist metaphorisch zu verstehen. •  Nur metaphorische Sprache  Eine Metapher umfaßt zumindest drei Glieder: Einen Gegenstand (das erste Glied), einen anderen Gegenstand (das zweite Glied) und das gemeinsame Element (das dritte Glied). Dieses dritte Glied (tertium comparationis) erstellt die Ähnlichkeit zwischen dem ersten und dem zweiten Glied. Wenn also Israel „priesterlich“ genannt wird, so ist das erste Glied das Volk Israel, das zweite Glied das Priestertum (mit Tempel, Kult etc.) und das dritte besteht aus eben jenen Elementen, die an Israel priesterlich sind. Dabei geht es stets nur um wenige Elemente. Zwischen Israel und einer Priesterschaft gibt es die gemeinsamen Elemente der Heiligkeit (Abgrenzung von allem, was nicht heilig ist), der Gruppenhaftigkeit (Pluralität), und schließlich der Zugehörigkeit zu (einem) Gott (Eigentum). Viele Merkmale der Priester gibt es aber bei Gottes Eigentumsvolk nicht: Es sind nicht alle Israeliten am Tempel beschäftigt, sie bringen nicht alle blutige Opfer, für 137

7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

nicht alle gelten die priesterlichen Reinheitsgesetze von Lev 21. Und vor allem stammen nicht alle Israeliten von Aaron ab. Der priesterliche Charakter ist dann nur metaphorisch, wenn er sich auf wenige Elemente bezieht und nicht auf ein ganzes Bündel notwendiger Merkmale. Das bedeutet: Auch heilig ist bei Gottes Volk eine Eigenschaft, aber kein Amt. Überdies gilt bei der Metapher heilige Priesterschaft für Israel: Hier wird Gottes Volk von außen her betrachtet, und der Ausdruck in Ex 19,6 hat nie die Binnenperspektive betroffen. Denn Hohepriester und diverse Priestergruppen hat es in Israel trotz der Gesamtcharakterisierung als „heilige Priesterschaft“ immer gegeben. Die Eigenschaft des Ganzen hat Ämter im einzelnen nie ausgeschlossen. Der priesterliche Charakter der Getauften besteht darin, daß die Getauften unterschieden sind und sich wissentlich unterscheiden von allen Nicht-Getauften, und zwar durch klare Konturen. Hier ist nichts egal, und der allgemeine und höchst unverbindliche Brei des allgemeinen ‚guten Willens‘ oder ‚Gutmenschentums‘ hat noch bei jeder Klippe versagt. Die Getauften haben priesterlichen Charakter als Menschen, die zum Bürgersein in der himmlischen Stadt berufen sind. Jedenfalls nach der ApkJoh ist diese Stadt Tempel, und daher sind ihre Bewohner priesterlich. Sie haben gemeinsame Wertvorstellungen über das, was heilig ist. „Heilig“ bezeichnet beim Gottesvolk eine Eigenschaft unter anderen. Das buchstäbliche Vorbild und damit der metaphernspendende Bereich ist die Abgegrenztheit von Kultpriestern. Das Attribut „priesterlich“ oder „heilig“ gilt beim Gottesvolk daher nur metaphorisch. 138

7.5  Worin besteht der priesterliche Charakter aller Getauften?

Der Sachverhalt ist ähnlich wie bei der Rede über Gott. Gott hat manche weibliche Eigenschaften (z. B. zärtliche Fürsorge vom Mutterleib an), aber er wird nicht so angeredet, Frau ist kein Titel Gottes (Mutter Gott, Mutter unser). Gott kann man mütterlich nennen, das ist dann metaphorisch zu verstehen, aber deswegen kann man nicht den Sonntag als Muttertag bezeichnen. Das gilt trotz des obengenannten mystischen Vorbehalts: Gott ist weder männlich noch weiblich, die Unähnlichkeit ist stets größer als die Ähnlichkeit, wir sprechen hier nicht über das, was Gott in Wahrheit ist (Ontologie), sondern über die Frage, wie man über Gott (z. B. in der Liturgie) reden soll, und das betrifft dann metaphorische Redeweise in Gestalt allgemeinerer Zeichen (Kultpersonal) und speziellere Zeichen (Worte). •  Unsinnige Folgen der Rede vom allgemeinen Priestertum  Wo Heiligkeit allgemein geworden ist, dort kann nichts mehr heilig im besonderen Sinne sein. So kann man leider oft feststellen, daß gerade die (irrtümliche und falsch verstandene) Rede vom allgemeinen Priestertum Menschen dazu geführt hat, die Heiligkeit des Heiligsten nicht mehr zu achten und zu profanieren. Besonders auffällig werden diese Folgen, wenn beliebige Laien bei sorglosem Umgang mit dem Allerheiligsten geradezu triumphieren. So lautet dann die Schlußfolgerung: Weil alle Priester sind, erübrigt sich eine Kniebeuge vor den gewandelten (konsekrierten) Elementen. Oder: Weil alle Priester sind, kann man im Straßenanzug bzw. in Alltagskleidung an den Tabernakel gehen und ohne Zeichen der Ehrfurcht die konsekrierten Elemente herausholen und austeilen, als wären es Kartof139

7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

felchips oder Käsehäppchen. Weil alle Priester sind, ist auch Gott nicht mehr heilig. Wir dagegen hätten, so sind wir erzogen, unter keinen Umständen einen geweihten Kelch oder eine Monstranz auch nur mit den Händen berührt. Und das war gut so, weil klar war, was heilig ist. Wo die Ideologie herrscht, daß das allgemeine Priestertum angesagt sei (auch bei Katholiken neuerdings in der Praxis), werden als Folge nicht die vergleichsweise prägnanten Forderungen an die Priester zum Maßstab auch für die Laien, vielmehr ist es umgekehrt: Das für ermäßigt gehaltene Christentum der Laien wird de facto auch zum Maßstab für den priesterlichen Lebensstil, bis hin zur antizölibatären Tendenz. Das Umgekehrte war noch in Apk 14,4 der Fall: Priesterliche Sexualvorschriften werden hier auch auf alle christlichen Laien ausgedehnt. Daher erfreut sich Apk 14,4 bei neueren Auslegern keiner Beliebtheit. Heilig oder priesterlich als Prädikat aller Christen ist mithin ein metaphorischer Ausdruck. Er orientiert sich an der sakralrechtlichen Vorstellung vom Eigentum Gottes. Das ist der springende Punkt. Hier im Kontext heißt das: Der priesterliche Charakter aller Getauften besteht nach dem Maßstab der Schrift darin, ebenso konkret wie bewußt heilig leben zu können und zu dürfen, weil zum Beispiel die Ehe oder der Sonntag (inklusive Kirchenbesuch) heilig sind. „Heilig“ ist das von der Allgemeinheit Unterscheidende; daher lautet auch der Gegenbegriff zu „heilig“ im Griechischen „koinos“ (allgemein, gemein, vermischt). Die Frage nach dem Priestertum der Christen ist daher die nach dem Unterscheidungsmerkmal im Meer des Undifferenzierten. 140

7.5  Worin besteht der priesterliche Charakter aller Getauften?

Nun ist freilich im Gegensatz dazu die Mehrzahl der Zeitgenossen davon beseelt, daß durch das Eigengut der Christen tunlichst „niemand ausgeschlossen“ sei. Dann versteht man auch nicht mehr, was „auserwählt“ ist und meint, es sei jüdischer Dünkel, so zu denken. Dabei steht „auserwähltes Geschlecht“ im Alten Testament und im Judentum direkt neben dem „königlichen Priestertum“. Ja, man hängt heute oft der irrtümlichen Meinung an, der Begriff „heilig“ schließe andere und anderes aus, der Begriff „auserwählt“ ebenso. Freilich übersieht die vulgärmoralische Argumentation, daß auch eben im Alten Testament selbst seit Abraham heilig, priesterlich, auserwählt, nicht gegen andere (zu deren Verderben) gerichtet ist, sondern zu ihren Gunsten besteht und nicht als moralische Vollkommenheit zu denken ist. Wo dagegen alle Schranken gefallen sind (vielerorts war der Wegfall der Chorschranken das Startsymbol), ist sehr bald nichts mehr heilig. Wo alles heilig ist, ist nichts mehr heilig, wo alle Priester sind, ist es niemand mehr. Das ist der konsequente Unsinn der Rede vom allgemeinen Priestertum. Die geweihten Ältesten hatten zum Allerheiligsten freien Zugang. Aber nichts und niemand hätte in früheren Zeiten auch einen Geweihten davon dispensiert, vor dem konsekrierten Brot und Wein das Knie zu beugen. Gerade die Alltäglichkeit des Umgangs mit dem Heiligen hätte ihn doch nie dazu gebracht, das Heilige selbst wie alltägliches Zeug zu behandeln. Noch der späte Martin Luther fordert eindrücklich die Kniebeuge vor den konsekrierten Elementen. Luther fordert das, weil gerade der Gläubige und Getaufte den Unterschied zwischen Gott und Mensch stets vor Augen hat. Der Mensch ist nie in dem Sinne hei141

7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

lig, daß er die Heiligkeit Gottes vergäße. Wer das Heilige so verdünnt, daß es automatisch für alle gilt, kann nicht erwarten, daß die Metapher „heilige Priester“ noch verstanden wird. Es ist klar, man wollte den Menschen Gott nahebringen, man wollte keinen mehr ausschließen. Aber eben die Differenz von Nähe und Ferne, die Tatsache, daß es Schranken gibt, macht den Charakter des Heiligen aus. •  Plädoyer für das Heilige  Solange es noch den Gauben an einen Gott gibt, darf es dabei auch etwas geben, was diesem Gott heilig ist. Das heißt: Man darf es nicht verletzen, sonst schadet man sich selbst. Dieses ist eine Grundansicht aller Religionen. Sie ist mit einer gewissen Angst verbunden, das Heilige zu verletzen. Es ist dieses die berechtigte Angst vor dem, was passiert, wenn man schrankenlos alles darf, was man will, wenn es keine Stop-Schilder mehr gibt, keine Grenzen. Nun haben wir (in meiner Generation) etwas dagegen, daß man uns diese Grenzen einfach jenseits aller Erfahrung diktiert, und zwar oft nur deshalb, weil man diese Grenzen auch früher schon hatte. Viele haben daraufhin diese Erfahrungen neu gemacht, nicht zuletzt die des Grauens, das übrig bleibt, wenn man alle Grenzen überschritten hat. Daß es Maß und Grenze und Heiliges gibt, will man seit geraumer Zeit nicht mehr einfach glauben müssen. •  Der priesterliche Charakter der Getauften hat nichts mit einem Amt zu tun

Wenn der Charakter des Volkes insgesamt priesterlich ist, dann hätte jede und jeder durch die Taufe Anteil an dem metaphorisch verstandenen Charakter des priesterlichen Gottesvolkes. Außerdem wird, wenn man daraus weitere 142

7.5  Worin besteht der priesterliche Charakter aller Getauften?

Konsequenzen ziehen möchte, vergessen, daß die geweihten Ältesten, mit denen wir es in der orthodoxen und katholischen Kirche zu tun haben, mit dem Priestertum von Ex 19,6 und überhaupt mit jeder Art von antikem Priestertum nichts zu tun haben. Man kann sich daher nicht auf das allgemeine Priestertum berufen, um gleiche Stellung wie die geweihten Ältesten zu erlangen. Diese Art von Schriftbenutzung würde Äpfel mit Birnen vergleichen. Denn „geweihte Älteste“ meint eine Binnendifferenzierung, „priesterliches Volk“ dagegen überhaupt nicht. Das Priestertum von Ex 19,6 meint eine Eigenschaft aller Israeliten, nicht aber die nach wie vor spezielle Erlaubnis zum Zelebrieren. Diese kann nicht aus Ex 19,6 hergeleitet werden. Nun kann man beobachten, daß die lutherische Auffassung von Ordination und Ordinationsgnade etc. in den letzten Jahren ausgehöhlt wurde, und zwar auf Druck aus der Ökumene hin. Man berief sich dafür auch auf Martin Luther, der davon spricht, die Christen seien insgesamt Royals. Die Ordination diene nur dazu, daß die Royals sich nicht gegenseitig ins Gehege kommen. Das heißt: alle haben zwar gleiches Recht, aber sie sollen dank Ordination sich nicht gegenseitig mit dem Gebrauch dieses Rechts Konkurrenz bereiten. Fazit:  Ein priesterlicher Charakter kommt (metaphorisch) allen Getauften zu. Ein Priesteramt jedoch nicht (und schon gar nicht, wenn man mit der Weihe von Ältesten verwechselt). •  Weder Amt noch Recht von Menschen  Doch niemals geht es beim allgemeinen Priestertum (eigentlich: „königliches Priestertum“! ) der Gläubigen um eine Berechtigung von Men143

7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

schen (wenn etwa evangelische Christen vom „Recht der Ordination“ sprechen), sondern immer und ausschließlich meint dieser Ausdruck auch im Neuen Testament Gottes Recht (Eigentum) und Pflicht (Schutz) gegenüber den Menschen. Es ist von keinerlei liturgischer oder im weiteren Sinne kultischer Aktivität oder Funktion die Rede. Es geht einzig und allein um den Status des ganzen Volkes in Differenz zu anderen. In Vers 23,22 der griechischen Übersetzung des Buches Exodus wird das wiederholt. Bevor die Stelle christlich ausgelegt wird, erwähnt sie das um 200–150 v. Chr. entstandene jüdische Buch der Jubiläen. Beide Belege (19,18 und 33,20) nennen mit Nachdruck die Trennung Israels von den übrigen Völkern, denn es ist heiliger Same, fern von sexueller Unreinheit („Unzucht“). Genau dieser Sinn, nämlich die Außenperspektive, beherrscht die Verwendung des Ausdrucks auch im Neuen Testament. 7.6  Der katholische Priester ist kein beamteter Kulttechniker im vorchristlichen Sinn

Nun spielt uns die deutsche Sprache hier einen Streich, der verhängnisvolle Folgen hat. Unser Wort Priester kommt nämlich von dem griechischen Wort presbyteros, Ältester. Wo wir im Sinne des Neuen Testaments von katholischen Priestern in Gemeinden reden, meint das Neue Testament Älteste. In diesem Sinne kennt die katholische Kirchenverfassung seit jeher Bischöfe, Älteste (Presbyter) und Diakone. So weit, so gut. Gleichzeitig wird das deutsche Wort Priester aber auch zur Übersetzung des hebräischen kohen, des griechischen hiereus und des lateinischen sacerdos verwendet, Titel, die insgesamt dem Ursprung nach nicht-christliche Kultprie144

7.7  Die Ältesten nach Num 11

ster bezeichnen. Mit diesen hatte die Verfassung der Gemeinden im Neuen Testament nichts zu tun. So wird der Unterschied noch größer: Wenn der Erste Petrusbrief die Gemeindeverfassung anspricht, sagt er „Älteste“ (5,1.5), wenn er die kollektive Heiligkeit nennt, sagt er „Priester“. Für die aktuelle Diskussion bedeutet das: Hier liegen in der Wurzel völlig verschiedene Dinge vor. Keine einzige frühchristliche Gemeinde bezeichnet ihre Amtsträger mit dem heidnischen Wort für Priester. Das katholische Priestertum kommt der Sache nach und der deutschen Bezeichnung nach aus dem Presbyterat, und diese Herkunft bricht ihm keinen Zacken aus der Krone. Zugespitzt gesagt: Der christliche Priester ist ein Presbyter, aber kein Priester im jüdischen oder heidnischen Sinne.62 Das ist er vielmehr überhaupt nicht. 7.7  Die Ältesten nach Num 11

Einen biblischen Anhaltspunkt für das Verständnis der geweihten Ältesten im Neuen Testament und in der katholischen Kirche gibt die Erzählung vom ‚mosaischen Pfingsten‘ nach Nu 11, 24–29. Gott nimmt von dem Heiligen Geist, der auf Mose lag, und gab davon den 70 Ältesten Israels, so daß diese prophetisch begabt wurden. Wichtig für unsere Fragestellung ist an diesem Bericht: a) Diese Ältesten heißen genau so „Älteste“ (LXX. presbyteroi) wie die urchristlichen und späteren christlichen Presbyter. b) Sie sind in gar keiner Hinsicht Kultpriester. 62 Über kirchengeschichtliche und eben keineswegs neutestamentliche As-

simlierungsprozesse vgl. unten.

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7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

c) Weil es der Geist Gottes ist, der auf Mose lag und nun verteilt wird, gibt es hier eine prophetische oder pneumatologische Sukzession. d) Die Zahl 70 ist nach dem sogenannten ‚Aussendungsbericht‘ in Lk 10,1–11 dem Neuen Testament geläufig. Nu 11 kann zumindest als biblische Analogie dazu gelten, wenn nicht gar als Vorlage. Denn auch die Siebzig, die Jesus aussendet, setzen sein Wirken fort. e) Entsprechend beobachten wir, daß auch nach der urchristlichen Bestellung zum Amt (des Presbyters) der Heilige Geist die entscheidende Größe ist (vgl. 2 Tim 1,4; 1 Tim 4,14). Alle erhaltenen Texte sprechen nur von Männern, und so ist es auch in der Alten Kirche, wenn die 70 von Jesus Bevollmächtigten mit Namen genannt werden (freilich in apokrypher Überlieferung). Die These ist daher: Neben den zwölf Aposteln stehen die 70 Ältesten, so wie unübersehbar in der späteren Kirche die Presbyter neben den Bischöfen. Lk 10 ist daher so etwas wie ein Einsetzungsbericht für die Institution der geweihten Ältesten. Für die Frage des allgemeinen Priestertums ist daher wichtig, daß die geweihten (d. h. geistbegabten) Presbyteroi (daher dann Priester) nicht priesterlich im kulttechnischen Sinne sind, sondern vom Prophetenamt her zu verstehen. Das gilt vom orthodoxen wie vom katholischen Priestertum insgesamt vor jeder kulttheologischen Herleitung. Und die offensichtliche und ganz unbestreitbare Bedeutung von Nu 11 und seiner Rezeption ist aus meiner Sicht ein weiteres Argument dafür, daß das katholische Priestertum seine Ursprung nicht im alttestamentlichen Kultpriestertum hat, sondern im Ältestenamt. Damit aber ist 146

7.8  Ein allgemeines und ein Amtspriestertum?

es nach Ursprung und Charakter auch unabhängig vom (Kult-)Priestertum des ganzen Volkes Israel, in dem das Priestertum der Getauften (bei Protestanten: das allgemeine Priestertum) seinen metaphorischen Ursprung hat. Die mangelnde Bedeutung von Nu 11 in der christlichen Theologie demonstriert zum wiederholten Male, wie intensiv die westlichen Großkirchen den Heiligen Geist vergessen haben. 7.8  Zwei Priestertümer, ein allgemeines und ein Amtspriestertum?

Sowohl Luther als auch das Zweite Vaticanum legen freilich durch den Wortgebrauch sacerdotium bzw. Priester nahe, daß diese Differenz zumindest vom Leser überspielt wird. Denn Luther spielt das katholische WeihePresbyterat aus gegen das allgemeine Priestertum, und das Zweite Vaticanum spricht vom hierarchischen Priestertum (sacerdotium) im Unterschied zum allgemeinen (sacerdotium) und versucht eine Aufgabenverteilung (Lumen gentium 2,10). Doch in beiden Fällen werden Äpfel zu Birnen addiert. Man kann das tun, aber man muß sich dann über Konfusion nicht wundern. Berufen sich doch auch Laien (inklusive Frauen) in der deutschen Szene, die sich priesterliche Rechte zulegen, auf das allgemeine Priestertum aller Getauften. •  Jesus und Paulus als Priester im engeren Sinne des Wortes?  Nun gibt es freilich bereits an zwei Stellen schon im Neuen Testament Überschneidungen: Einmal wird Jesus selbst Hohepriester genannt, und zwar im Hebräerbrief, aber hier doch in der vergleichenden Gegenüberstellung der jüdi147

7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

schen Tempelordnung mit der neuen, himmlischen. Das Gemeindeamt in diesem Brief wird daraus eben gar nicht hergeleitet. Sofern eine Begründung des Weihe-Presbyterats im Hohenpriestertum Jesu Christi in katholischer Erbauungsliteratur dennoch versucht wird, auch in Form der Anteilhabe des einen am anderen, ist es Anlaß zu Mißverständnissen. Und zum anderen beschreibt Paulus sein eigenes Tun als priesterlich, ohne daß freilich der alttestamentliche oder pagane Ausdruck fällt: In Röm 15,16 sagt er, er walte als Liturge und bringe in priesterlichem Tun die neubekehrten Heiden (!) als Opfer dar. Das ist freilich erkennbar metaphorisch. Paulus will den Heidenchristen in Rom seine Funktion verständlich machen. Denn selbstverständlich lautet seine korrekte Amtsbezeichnung „Apostel“. •  Allgemeines Priestertum und Taufe?  Harald Goertz hat kürzlich folgendes dargestellt: Nach Luthers Meinung ist die prinzipielle Befähigung und Vollmacht allen Christen mit der Taufe gegeben, in der Berufung (vocatio) wird der (Predigtamts-)Kandidat lediglich mit der stellvertretenden Ausübung dieser Vollmacht beauftragt, mehr nicht.63 Biblisch gesehen scheint mir diese Herleitung wenig sinnvoll. Der Grundansatz, in der Bestellung zum Amt werde nur eine Konsequenz aus der Taufe gezogen, ist als Denkund Argumentationsfigur dem Neuen Testament fremd. So ist zu fragen: In welchem Verhältnis steht die Taufe zur besonderen Amtsgnade bzw. zur Priesterweihe? 63 Harald Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt bei Luther,

1997.

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7.8  Ein allgemeines und ein Amtspriestertum?

Die protestantische Auffassung:  Mit der Taufe sind alle priesterlichen Rechte gegeben, und zwar für alle. Auch die Frauenordination leitet man daraus her. Reicht die Taufe zur Herleitung aller möglichen geistlichen Kompetenzen eines Christenmenschen? Hat die Ordination eine eigene und selbständige theologische Begründung gegenüber der Taufe? Oder ist es so, wie Goertz im Anschluß an Luther sagt: Priester sind wir alle durch Taufe, Pfarrer aber erst durch Beauftragung? Ist die Ordination eines Getauften nur ein Verwaltungsakt oder hat sie einen heiligen Charakter? Gibt es eine „Ordinationsgabe“, eine „Ordinationsgnade“ (Ernst Käsemann )? Diese Frage ist auch unter Lutheranern umstritten, denn auch der Befund bei Luther ist heiß umkämpft: Die ‚liberale‘ Linie sieht die Ordination nur als Beauf­ tragung, denn nach Luthers Bild können alle Königskinder regieren, doch nur einer werde beauftragt. Sonst kämen sich die Royals gegenseitig in die Quere. Die Vermeidung dieses Gerangels sieht man als Hauptgrund für eine rein pragmatische und überhaupt nicht ‚heilige‘ Berufung. Eine konservative ältere Linie plädiert für Ordination als eine besondere göttliche Einrichtung. Goertz nimmt mit Gründen an, daß bei Luther zu unterscheiden ist zwischen Diensten göttliche Stiftung (Confessio Augustana 5), der Beauftragung zur Wortverkündigung („Berufung“, Confessio Augustana 14) und dem Pfarrerstand (nach Gottes Willen), zu dem aber auch der Küster gehört. Sollte sich diese Sicht der Dreiteilung durchsetzen, so wäre das in der Tat ein ganz anderes Amtsverständnis als das katholische. Das letztere geht aus von einer eigenständigen hierarchisch vermittelten Weihe, die nicht al149

7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

len Getauften zukommt, sondern die sakramental zusätzlich verliehen wird, etwa im Sinne der Handauflegung nach den Pastoralbriefen. Neuerdings verteidigt A. Sanders OSB dagegen wieder die ältere Auffassung, nach der es bei Luther eine besondere Amtsgnade gibt. Damit versucht er eine Wiederannäherung an das katholische Verständnis. Die Amtsgnade auf den Kandidaten des Predigtamtes herabzurufen bedeute dann doch etwas, was der katholischen Priesterweihe ähnlich ist. Die Differenz liege beim Spender. Die katholische Auffassung:  Durch die Taufe sind alle heilig und Gottes Eigentum und sein Volk, sie haben königlichen und priesterlichen Charakter (lat. sacerdotes), sind aber eben nicht schon Älteste (lat. presbyteri, davon Priester) durch Handauflegung. Diese ist eine von der Taufe zu unterscheidende besondere Gnade. Innerhalb der Gesamtheit der Getauften gibt es eine besondere Linie der Amtsnachfolge (Sukzession) durch Handauflegung. Entgegen landläufiger Unterstellung ist damit nicht gesagt, katholische Priester stünden näher bei Gott als andere Getaufte. Dieses Argument stammt aus der Mottenkiste der Polemik. Die Bestimmung zum Presbyterat bedeutet lediglich die Einsetzung zu einer besonderen Funktion innerhalb des heiligen Volkes Gottes. Nach der Meinung des Apostels Paulus in 1 Kor 12 gehören die Apostel als besondere ‚Funktionäre‘ mit anderen Amtsträgern sogar zu den verachteten und geringsten Gliedern des Leibes Christi, der Gemeinde. Sie bedeutet also eben nicht ‚im ganzen größere Nähe zu Gott‘ noch größere Heiligkeit noch gar bessere Moral.

150

7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

7.9  Die Zukunft der Rede vom allgemeinen Priestertum

Man täte daher gut daran, den Hinweis auf das allgemeine Priestertum aus der ökumenischen Diskussion genauso zu entfernen wie aus der Frage der Laienrechte gegenüber den geweihten Presbytern. Man kann sagen, das schere einen nicht; der biblische Befund sei weiterentwickelt worden. Das kann man tun, nur ein Teil der Konfusion (seit Luther) rührt eben daher, daß man hier ohne die nötige Klarheit verfährt. Man hat im Blick auf die mittelalterliche Assimilierung von Presbytern und vorchristlichen Kultpriestern versucht, den katholischen Weihe-Presbyterat aus dem Hohepriestertum Jesu abzuleiten, und zwar über die Eucharistie. Einen Anhalt in der Theologie des Hebräerbriefes hat das jedenfalls nicht (der Hebräerbrief kennt kein Herrenmahl). Und wo bleibt das Bischofsamt dabei? Der Neutestamentler darf kein Verbot späterer Theologieversuche aussprechen. Aber er ist es gewohnt, auf Stringenz der Denkangebote zu achten. Die Sachfrage im Hintergrund ist – unabhängig von dem oben diskutierten Ausdruck allgemeines Priestertum – bezüglich des Amtsverständnisses diese: •  Liegt alle Gewalt bei der Gemeinde?  Nach lutherischer Auffassung beauftragt in jedem Fall die Gemeinde den Pfarrer, nicht der Bischof. Denn alles Recht und alle Vollmacht, die Gnade herabzurufen, liegt bei der Gemeinde. Abgesehen davon, daß man sich damit, wie ich meine, irr­ tümlich auf das allgemeine Priestertum beruft, ist der aktu­ elle Hintergrund für diese Meinung weniger die fromme Bibellektüre, als die sehr von außen hineinspielende Lehre von der Volkssouveränität, die sich zusammen mit 151

7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

dem so genannten Konziliarismus sich ab 14. Jahrhundert durchzusetzen beginnt. Sie hat ihren Ursprung in griechisch-philosophischen Staatstheorien (Marsilius von Padua ) und nicht im Neuen Testament. •  Konsequenzen für die Frage des Frauenpriestertums  Ich halte es für nicht möglich, aus dem metaphorisch zu verstehenden kollektiven priesterlichen Charakter der Getauften mehr oder weniger direkt auf das priesterliche Amt von Einzelpersonen zu schließen. Da würde nicht nur die Sprache mißverstanden, vor allem aber würden Einzelpersonen auf merkwürdige Weise automatisch berechtigt. So leitet man in der evangelische Theologie aus dem priesterlichen kollektiven Charakter der Gemeinde die Möglichkeit ab, priesterliche Rechte einzelner Laien (ganz gleich ob Mann oder Frau) zu begründen. Das innerprotestantische Problem ist dann in der Tat der Übergang vom allgemeinen Priestertum zur real ausgeführten Einsetzung als Pfarrer( -in). Früher geschah das per Ordination, neuerdings auch per E-Mail oder per Telefonanruf. Dieser aus katholischer Sicht entscheidende Vorgang (wie aus einem Getauften ein Pfarrer wird), wird dabei vernebelt und zusehends ungreifbarer. So gilt an der theologischen Fakultät in Heidelberg (resp. in der Badischen Landeskirche) der Grundsatz, daß die Anstellung an der Fakultät das Recht der Ordination verleiht. Die Nebulosität dieses Vorgangs konnte man dann je nach polemischem Bedarf zu ungunsten des bezogenen Hochschullehrers (‚Köpenickiade‘) auslegen. Aber es ist natürlich zu fragen: In welchem Verhältnis steht die Taufe zur besonderen Amtsgnade bzw. zur Prie152

7.9  Die Zukunft der Rede vom allgemeinen Priestertum

sterweihe? Die protestantische Auffassung: Mit der Taufe sind alle priesterlichen Rechte gegeben, und zwar für alle. Für die katholische Auffassung gilt dagegen: Durch die Taufe sind alle heilig und Gottes Eigentum und sein Volk, sie haben könglichen und priesterlichen Charakter (lat. sacerdotes), aber sind nicht schon Älteste (lat. presbyteri, davon Priester) durch Handauflegung. Diese ist eine von der Taufe zu unterscheidende besondere Gnade. Daher die besondere Bevollmächtigung der Zwölf bzw. der Siebzig schon nach den Evangelien. •  Geweihte Älteste im Gegenüber zur Gemeinde  In seiner Funktion steht der zum Presbyterat Geweihte allerdings der Gemeinde gegenüber, wie es seit alters her die Rolle derer war, die tauften, das Evangelium verkündeten und dem Mahl vorstanden. Dieses Gegenüber ist funktional notwendig und insinuiert keineswegs den Sprung in eine andere (höhere) Qualität. Es bedeutet lediglich besonderen Dienst. In der Erfüllung dieses Dienstes ist es allerdings verheerend, wenn der Betreffende ein unglaubwürdiger Christ ist. Allein schon deshalb kann die Beauftragung mit dieser Funktion nicht vorübergehend und vorläufig sein, sondern erfordert einen auf Dauer etablierten Lebensstil. Ob dieser zu größerer Vollkommenheit führt, kann kein Mensch beurteilen. Übrigens geht es nicht um eine christliche Neuigkeit. Schon seit den Zeiten der Propheten steht der von Gott Berufene dem Volk gegenüber und gehört gleichzeitig zu ihm. •  Worin besteht der priesterliche Charakter aller Getauften?  Wir fragen hier nach dem praktischen Wert der biblischen 153

7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

Aussagen über das königliche Priestertum der Getauften. Den Punkt einer Konkurrenz zum Weihepriestertum haben wir bereits ausgeschlossen. Und mit Nachdruck habe ich betont, daß man darauf achten muß, den Begriff Priester eindeutig zu verwenden. Noch einmal: Ein allgemeines Priestertum aller Gläubigen (oder: Getauften) gibt es insofern nicht, als es kein allgemeines Amt gibt. Und schon gar nicht teilt Jesus Christus seine Rolle als Hohepriester mit irgendwelchen anderen. Es gibt Attribute aller Getauften, zu denen heilig oder priesterlich gehören, und beide Attribute sind im Rahmen der Auslegung von Ex 19 miteinander verflochten. Man darf und soll aber im positiven Sinne danach fragen. Die Frage war auch stets, ob der priesterliche Charakter des Volkes über die Heiligkeit aller Israeliten hinaus bestimmte kultisch-liturgische Aktivitäten („am Tempel“) aller voraussetzte oder erforderte. Ich kann das an keiner Stelle erkennen. Ich kann aber verstehen, daß manche Volksliturgiker das aus dieser biblischen Metaphorik gerne ableiten möchten. Eine andere Fehlauslegung ist es meines Erachtens, wenn man aus dem allgemeinen Priestertum dann ableitet, es dürfe also bestimmte Priesterkleidung nicht geben, es sei denn für alle Getauften. Warum also wird in Ex 19,6f Israel als priesterlich bezeichnet? Der Wortlaut der Stelle gibt die Ähnlichkeiten an: Das Volk ist heilig (Gottes Eigentum), so wie Priester heilig sind, es ist „erwählt“, so wie Priester erwählt sind. Eine Fülle von Merkmalen der Priester gilt dabei nicht von Gottes Eigentumsvolk: Es sind nicht alle Israeliten am Tempel beschäftigt, sie bringen nicht alle blutige Opfer, für nicht alle gelten die priesterlichen Reinheitsge154

7.9  Die Zukunft der Rede vom allgemeinen Priestertum

setze von Lev 21. Und vor allem stammen nicht alle Israeliten von Aaron ab. Das bedeutet: Heilig ist eine Eigenschaft, aber kein Amt. Heilig bei Priestern ist eine Eigenschaft unter anderen. Der Sachverhalt ist ähnlich wie bei der Rede über Gott. Gott hat manche weibliche Eigenschaften (z. B. zärtliche Fürsorge vom Mutterleib an), aber er wird nicht so angeredet, Frau ist kein Titel Gottes (Mutter Gott, Mutter unser). Gott kann man mütterlich nennen, aber deswegen kann man nicht den Sonntag als Muttertag bezeichnen. Das gilt trotz des obengenannten mystischen Vorbehalts: Gott ist weder männlich noch weiblich, die Unähnlichkeit ist stets größer als die Ähnlichkeit, wir sprechen hier nicht über das, was Gott in Wahrheit ist (Ontologie), sondern über die Frage, wie man über Gott (z. B. in der Liturgie) reden soll, und das betrifft dann allgemeinere Zeichen (Kultpersonal) und speziellere Zeichen (Worte). Überdies gilt bei der Metapher „heilige Priesterschaft“ für Israel: Hier wird Gottes Volk von außen her betrachtet, und der Ausdruck in Ex 19,6 hat nie die Binnenperspektive betroffen. Denn Hohepriester und diverse Priestergruppen hat es in Israel trotz der Gesamtcharakterisierung als „heilige Priesterschaft“ immer gegeben. Die Eigenschaft des Ganzen hat Ämter im einzelnen nie ausgeschlossen. Der priesterliche Charakter der Getauften besteht darin, daß die Getauften unterschieden sind und sich wissentlich unterscheiden von allen Nicht-Getauften, und zwar durch klare Konturen. Hier ist nichts egal, und der allgemeine und höchst unverbindliche Brei des allgemeinen ‚guten Willens‘ oder ‚Gutmenschentums‘ hat noch 155

7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

bei jeder Klippe versagt. Die Getauften haben priesterlichen Charakter als Menschen, die zum Bürgersein in der himmlischen Stadt berufen sind. Doch niemals geht es beim allgemeinen Priestertum (eigentlich: „königliches Priestertum“) der Gläubigen um eine Berechtigung von Menschen (wenn etwa evangelische Christen vom „Recht der Ordination“ sprechen), sondern immer und ausschließlich meint dieser Ausdruck auch im Neuen Testament Gottes Recht (Eigentum) und Pflicht (Schutz) gegenüber den Menschen. Es ist von keinerlei liturgischer oder im weiteren Sinne kultischer Aktivität oder Funktion die Rede. Es geht einzig und allein um den Status des ganzen Volkes in Differenz zu anderen. Die Ergebnisse unseres kurzen Durchgangs:  Mit dem Hinweis auf das allgemeine Priestertum kann man gegen den katholischen Weihe-Presbyterat nichts ausrichten. Königliche Priester sind alle Getauften, Weihe-Presbyter nur manche – durch Weihe. Insofern kann man die Aufgaben nicht zwischen zwei Sorten von Priestern aufteilen! Vielmehr meint das sogenannte allgemeine Priestertum nichts anderes als heiliges Volk. Mehr geben die Quellen nicht her. Das königliche Priestertum sagt daher nichts über Vollmacht von einzelnen, Verkündigung des Wortes, Absingen von Liedern, aktive Teilhabe am Meßopfer, Beten oder Sakramentenempfang – und was auch immer fromme Autoren (wie schon Luther) damit verbunden haben. Es besagt auch nichts über irgendwelche Rechte von Laien gegenüber dem geweihten Presbyter, bedeutet auch keine „prinzipielle Berechtigung zum Evangeliumsdienst“. Es meint wirklich nur die kollektive Identität des Volkes Gottes in der Abgrenzung nach außen hin. 156

7.9  Die Zukunft der Rede vom allgemeinen Priestertum

Um Mißverständnise zu vemeiden: Unsere Diskussion des allgemeinen Priestertums bezieht sich nicht nur auf die Ordination von Frauen, sondern genauso auf die von Männern. Es geht um die schwierige exegetische Grundlage einer meines Erachtens labilen Praxis. Immer wieder versucht man dennoch in der neueren Debatte, das königliche Priestertum der Bibel mit ‚Laienrechten‘ aufzufüllen. Man inszeniert eine sehr weit gehende Übernahme der Funktionen des geistlichen Amtes, eben bis hin zur Kernkompetenz. Nichts gegen die Verantwortung des Laien – auch und gerade für das Zeugnis vor anderen. Sie ist mit Taufe und Geistesgabe hinreichend begründet. Aber sie ist keine Anteilhabe an den spezifischen Funktionen des geistlichen Amtes. Und sie läßt sich eben nicht mit dem königlichen Priestertum begründen. Denn dieses ist kein allgemeines, sondern ein königliches. Der deutsche Ausdruck „allgemein“ ist durch keinerlei biblische Grundlage gedeckt. Für meine Deutung, daß die Gemeinde durch ihre bloße Existenz Gottes erwählendes und heiligendes Handeln verkündet und nicht durch missionarische oder gar gottesdienstliche zusätzliche Aktivitäten, spricht folgendes: Im Kontext des Ersten Petrusbriefes geht es nirgends um derartige Aktivitäten, vielmehr wird die Gemeinde dazu ermahnt, an ihrer Identität als Fremdlinge festzuhalten und ihr nicht durch Anpassung zu entfliehen (vgl. 1 Petr 2,5 mit 2,9b und 2,11–12). Die Gemeinde selbst ist das Zeichen Gottes in der Welt; zusätzliche Einzelfunktionen sind daraus nicht ableitbar. Eine konservative ältere Linie plädiert für Ordination als eine besondere göttliche Einrichtung. Goertz nimmt 157

7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

mit Gründen an, daß bei Luther zu unterscheiden ist zwischen Diensten göttlicher Stiftung (Confessio Augustana 5), der Beauftragung zur Wortverkündigung („Berufung“, Confessio Augustana 14) und dem Pfarrerstand (nach Gottes Willen), zu dem aber auch der Küster gehört. Sollte sich diese Sicht der Dreiteilung durchsetzen, so wäre das in der Tat ein ganz anderes Amtsverständnis als das katholische. Das letztere geht aus von einer eigenständigen hierarchisch vermittelten Weihe, die nicht allen Getauften zukommt, sondern die sakramental zusätzlich verliehen wird, etwa im Sinne der Handauflegung nach den Pastoralbriefen. Daß ich damit freilich meinen könnte, das Sakrament der Priesterweihe gebe es schon im Neuen Testament, wäre eine wohl berechnete Unterstellung. Die Handauflegung der Ältesten mit Priesterweihe als Sakrament im römischen Vollsinn des Wortes gleichzusetzen, ist nichts weiter als ein Anachronismus. Diese Handauflegung ist Kern und Vorläufer, mehr nicht – aber auch nicht weniger. Bei aller ökumenischen Diskussion um das hierarchische Weiheamt sollte man fragen, welche Bedeutung die Hierarchie für das Leben eines Durchschnittschristen wirklich hat. Denn es besteht ein ziemlicher Kontrast zwischen dem, was theologisch hochgespielt wird und dem, was von alltäglicher Bedeutung ist. Die Hierarchie ist es nicht. In den alten Liturgien wird nach meiner Kenntnis 1 Petr 2,9 etc. nur zitiert in der griechisch-koptischen Gregorius-Liturgie Alexandriens: „Du bist der große Hohepriester …, dieses Opfer (sc. Eucharistie) … Befreier deiner Kirche ... Mach uns zum Eigentum, Herr, uns unwürdige Diener, mach 158

7.9  Die Zukunft der Rede vom allgemeinen Priestertum

uns zum Volk, das du erwirbst, zur königlichen Priesterschaft, zum heiligen Volk …“  64 Man beachte: Zu Jesus als dem Hohenpriester gehört das priesterliche Volk. Da es sich um den himmlischen Kult handelt, wird das Wort Priester für Jesus und die Gemeinde gleichsinnig gebraucht. Vom kirchlichen Amt ist nicht die Rede, schon gar nicht von den Presbytern der Gemeinde. Und umgekehrt wird die Eucharistie im Neuen Testament nicht Opfer genannt. Außerhalb der Liturgien wird das „Reich“ einfach mit der Kirche gleichgesetzt.65 •  Allgemeines Priestertum: Zusammenfassung und Ausblick a) Ein Priestertum im Sinne von Ex 19,6 etc. wäre – wörtlich verstanden – ein vorchristliches Priestertum im Sinne von beamteten Kulttechnikern. Priester in diesem Sinne aber gibt es in der christlichen Kirche im Neuen Testament überhaupt nicht. b) Schon in Ex 19,6 ist der Ausdruck metaphorisch gemeint und bezieht sich auf den Status der Heiligkeit, und zwar im Sinne von Gottes Eigentum. Das heißt: Wie bei allen Metaphern geht es hier nur um diesen Vergleichspunkt. Ex 19,6 etc. besagt: So wie Priester Gottes heiliges Eigentum sind, ist es das ganze Volk Israel. c) Damit ist jedoch ein genereller Status gemeint und keine besondere liturgische Aufgabe oder gar Berechtigung. 64 Ed. E. Renaudot I, 1726, S .118 – Gebet zum Brotbrechen. Vgl. auch Melito

von Sardes (2. Jh., Passahhomilie) § 68: „Er hat uns zur neuen Priesterschaft gemacht und zum Volk, das für immer sein eigen ist.“ Auch hier ist allein die Außenperspektive bestimmend. 65 Vgl. Victorin von Pettau; Melito von Sardes; Passah-H., 68.

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7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

d) Was die Reformatoren meinten, war der Charakter als geweihte Älteste. Diese werden in der deutschen Sprache irrtümlich als Priester bezeichnet. Wenn das, was die Reformatoren (und ähnlich Denkende) mit dem allgemeinen Priestertum meinten, eine biblische Grundlage hätte, müßten im Neuen Testament irgendwo alle Gemeindemitglieder „geweihte Älteste“ heißen. Das ist jedoch nicht der Fall. (Geweihte) Älteste heißen vielmehr höchstens jeweils die führenden Mitglieder der Gemeinde, zum Beispiel in 1 Petr 5,1. Die ganze Gemeinde so zu nennen, wäre widersinnig, weil der Ausdruck eine Statusdifferenz zwischen Laien und Führenden signalisiert. Ebensowenig gibt es ein allgemeines Bischofsamt, weil eben nicht alle „Bischöfe“ genannt werden. Bei manchen Reformatoren, auch bei Martin Luther, gibt es allerdings Äußerungen, die in diese Richtung weisen bzw. einen solchen Tatbestand als wünschenswert erscheinen lassen. Das müßte dann heißen: Jedermann ist jedermanns Bischof oder Papst, ganz im Sinne von Bild : „Wir sind Papst.“ 66 e) Das ändert nichts daran, daß auch geweihte Älteste, Bischöfe und Päpste christliche „Brüder“ sind, wie Katrin Göring -Eckardt am 23.9.11 in Erfurt sagte: „Lieber Bruder Papst Benedikt.“ f) Das Ziel der Aussagen über das königliche Priestersein ist in jedem Falle eine Stärkung des religiösen Selbstverständnisses der Gemeinde(n),und zwar vom IsraelKonzept des Alten Testaments und des Frühjudentums her. Diese Stärkung geschieht im Blick auf die Heiden. Das Ziel ist eindeutig nicht Schutz oder Aufwertung der 66 Bild vom 4.5.2005.

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7.9  Die Zukunft der Rede vom allgemeinen Priestertum

Laien in der Gemeinde gegenüber christlichen Autoritäten oder gegenüber beginnender Hierarchisierung (vgl. 1 Petr 1,9 gegenüber 1 Petr 5,1f). Völlig anders als in der reformatorischen Anwendung dieses Topos geht es um den Kontrast zwischen Gottesvolk und Heiden, nicht um ein innergemeindliches (innerchristliches) Problem. Der aktuelle Sinn der Texte läge heute nicht in antikatholischer Zielrichtung, sondern in der Stärkung des Selbstverständnisses aller Getauften gegenüber der allgemeinen Nivellierung (genannt Toleranz), und in solcher Situation war der explizite Bezug auf Israel stets sehr hilfreich. •  Priesterliche Vollmacht durch die Taufe?  Eine der Folgen der protestantischen Lehre vom allgemeinen Priestertum der Glaubenden ist die kontinuierliche Abwertung der Ordination. Sie führte zu der vielfach vertretenen Position, Ordination sei ein reiner Verwaltungsakt. Die theologische Theorie, die man zur Begründung anführt, besagt: Die Vollmacht, und zwar die priesterliche zur Verwaltung von Wort und Sakrament werde allen Christen in der Taufe verliehen. Davon zu unterscheiden sei die (formelle) Beauftragung, die später und je nach Bedarf der Gemeinden erfolge. Diese bringe keinen irgendwie nennenswerten geistlichen Zugewinn. Ich kann diese Theorie nur ablehnen: •  Aufgeblähte Taufe  Ihr Hintergrund ist eine theologisch und praktisch-kirchlich völlig aufgeblähte Taufe. Aus meiner Sicht ist das die Spätfolge der Reduzierung der Sakramente auf zwei. Auch schon im Neuen Testament ist die Taufe keineswegs Summe oder Endpunkt der Berührung zwischen Gott und den Menschen. Wenn mit der Taufe 161

7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

schon alles gegeben ist, wozu bittet Paulus dann um den Heiligen Geist für die Gemeinden, an die er schreibt (vgl. z. B. 2 Kor 13,13)? Die Taufe verleiht zwar z. B. den Heiligen Geist. Das bedeutet aber keineswegs, daß ein Christ später nicht darum bitten sollte und mehr davon empfangen könnte. Der Heilige Geist ist in den Getauften mehrungsfähig und -bedürftig. Man könnte sich zwar auf Röm 6 berufen und fragen, ob Paulus denn eine noch weiter gehende Verähnlichung mit Christus habe denken können. Denn in Röm 6 ist der Mensch mit Christus gestorben, und danach empfängt er durch Glauben und Taufe „auf den Namen Jesu“ alles, was nötig ist. War denn z. B. die Handauflegung nach Apg 13,3, der sich Paulus und Barnabas unterwarfen, ein reiner Verwaltungsakt? Fastet und betet man tagelang vorher für eine rein administrative Maßnahme? Das neutestamentliche Griechisch kann zwischen Vollmacht und Beauftragung nicht unterscheiden, und das Neue Testament gibt dazu auch keine Handhabe. Denn das griechische Wort Exousia bedeutet Vollmacht und Spendeerlaubnis zugleich. Vielmehr ist die Unterscheidung zwischen Vollmacht und Beauftragung unbiblisch und in einer Weise super-kanonistisch, d. h. an formalem Recht interessiert, die man sonst nicht ganz ohne Grund Katholiken vorwirft. D. h. wer Vollmacht und Beauftragung unterscheidet, orientiert sich auf merkwürdige Weise an haarscharfen Unterscheidungen. Eine ‚Heilung‘ dieses Konflikts könnte zumindest dadurch in die Wege geleitet werden, daß man auch die Taufe auf eine bestimmte Gemeinde hin ausrichtet. Das bedeutet folgendes: 162

7.9  Die Zukunft der Rede vom allgemeinen Priestertum

a) Auf dem 2. Vaticanum haben gerade die Katholiken darauf gedrungen, etwa die Bischofsweihe nachdrücklich an eine bestimmte Diözese zu binden. Man sprach sich daher, was in der Kirchengeschichte schon öfter, etwa im Blick auf clerici vagantes geschah, keine freischwebenden Vollmachten auszuteilen. Bei der Priesterweihe nennt man das auch titulus. Das hat letztlich auch den praktischen Grund, daß die im titulus genannte Teilkirche auch für den Lebensunterhalt des betreffenden sorgen muß. Das heißt: Solange wir noch auf Erden leben, kann und darf es keine abstrakte Vollmacht geben. Sie kann nur im Zusammenhang mit einer konkreten Beauftragung verliehen werden. So ist es auch schon in Apg 13,2. Der Heilige Geist, also Gott selbst, hat Paulus und Barnabas zu einem bestimmten Werk berufen. Dafür werden sie bevollmächtigt. Ein Hinweis auf die Taufe der beiden erfolgt auch schon deshalb nicht, weil das hier keinen zusätzlichen Gewinn bedeuten würde. b) Ein Teil des Problems, das eine im luftleeren Raum gespendete Taufe verursacht, besteht darin, daß eine konkrete Bindung an eine Gemeinde darin nicht vorkommt. In keiner Taufbescheinigung irgendeiner Konfession ist das vorgesehen. Es könnte aber die allfällige Anbindung der Getauften an bestehende Gemeinden erleichtern bzw. als Hinweis verstärken. Auch wenn dieses an der Funktion der Taufe und ihre Gültigkeit kirchenrechtlich nichts ändert, so wäre es doch seelsorgerlich ein großer Gewinn, wenn man dem Getauften sagen könnte: Du bist auf eine Gemeinde hin getauft. Diese hat dich ‚ko-optiert‘. Dort bist du zu Hause. Man könnte also gewisse Einsichten aus der Theologie des Weihesakraments auch generell für die Taufe anwenden und könnte dadurch bestimmte Mißver163

7.  Herleitung aus dem allgemeinen Priestertum

ständnisse ausschließen, wie zum Beispiel die Meinung, Taufe ‚funktioniere‘ auch ohne Gemeinde. Fazit:  Weder gibt es eine losgelöste Taufgnade noch gibt es eine Vollmacht ‚an sich‘. Das gilt für Taufe und Weihe / Ordination. c) Man könnte mit dem paulinischen kanon-Begriff argumentieren, der von 2 Kor her bekannt ist. Mit Kanon meint Paulus, daß die Gemeinde von Korinth sein ‚Sprengel‘ ist, denn er hat sie gegründet. Daher betrachtet sich Paulus als hier exklusiv zuständig. Mit der Unterscheidung zwischen Vollmacht und Beauftragung ist hier nichts zu gewinnen. Denn mit der Berufung zum Apostel ist auch die Beauftragung gegeben, so 1 Kor 9,1: „Bin ich nicht Apostel? Die Beglaubigung [das Siegel] für mein Apostelamt seid ihr, so will es der Herr.“ Zuerst wird die Zielbindung des Apostels auf dem sog. Apostelkonvent vollzogen, denn Gal 2,9 sagt, für wen Petrus bzw. Paulus Apostel sind (Paulus für die Heiden, Petrus für die Beschnittenen). Ihr Apostelamt wird nur zugleich mit ihrer Beauftragung anerkannt. Das ist die besondere Lösung des Apostelkonvents und für Paulus die Bestätigung, daß er „nicht ins Leere gelaufen ist“ (Gal 2,2). Fazit:  Die These, mit der Taufe sei für alle Christen priesterliche (und überhaupt also jede denkbare geistlichamtliche) Vollmacht gegeben, ist eine Fiktion, die alle speziellen Beauftragungen, von denen die Texte berichten, profaniert. Überdies beruft sich für solche Fälle de facto niemand auf die Taufe. Vielmehr zeigt sich durchgehend eine enge Verquickung von Bevollmächtigung und Beauftragung. Diese gilt aber außerhalb der Taufe bzw. auf ihrer Grundlage. Und umgekehrt könnte diese Einsicht hilfreiche Folgen für die Taufpraxis haben. 164

8.  Neue Schöpfung 8.1  Gilt nicht „weder Mann noch Frau“?

Nicht gerade selten wird in der Diskussion zugunsten der Frauenordination verwiesen auf Gal 3,27–29: „(27) Da ihr auf Jesus Christus getauft seid, habt ihr ihn wie ein Kleid angezogen und seid mit ihm eins. Daher gilt alles, was für ihn gilt, auch für euch. / (28) Damit sind die trennenden Unterschiede zwischen Juden und Griechen, Sklaven und Freien, Männern und Frauen verschwunden. Weil ihr Jesus Christus gehört, seid ihr alle einer geworden. / (29) Und weil ihr ihn wie ein Kleid angezogen habt, seid ihr ein und derselbe wie er und damit das Kind Abrahams und also auch Erbe und Träger der Verheißung.“ Und so wird argumentiert: Diese Sätze können sich nicht nur darauf beziehen, daß alle Menschen ohne Unterschied gleichmäßig zur Taufe eingeladen werden, sondern müssen auch die Gemeindewirklichkeit betreffen. Die Sätze beziehen sich nicht nur auf das Heil. Sind sie nicht völlig abstrakt ohne konkrete Folgerungen? Oder bestehen die konkreten Auswirkungen nur darin, daß etwas weggefallen ist, das früher da war, nämlich bestimmte Hemmnisse und Dämme, Barrieren und zumindest lästige Grenzen? Und wenn keine Unterschiede zwischen Mann und Frau bestehen, dann können, so argumentiert man, auch Frauen am Altar stehen und die Rolle Jesu Christi beim Abendmahl einnehmen. 165

8.  Neue Schöpfung

Oft wirken bestehende Unterschiede wie Tabus, an die man nicht rühren darf, die dann aber wegen der Angst, daß diese Wunden aufbrechen könnten, sorgsam umschifft. Es ist immer die Vergangenheit in irgendeiner Gestalt, die Dämme und Grenzen schafft. Die Aussagen über die Aufhebung der Unterschiede dagegen blicken auf die Zukunft; daher der Ausdruck „neue Schöpfung“. Was von der neuen Schöpfung erwartet wird, ist aber viel umfassender als Aufhebung liturgie- und kirchenrechtlicher Einschränkungen. Neue Schöpfung besteht darin, daß das eschatologisch Neue und jetzt Gemeinsame so durchdringend stark ist, daß die bisherigen Unterschiede einfach verblassen und gar keine Aufmerksamkeit mehr erheischen. Wie wenn z. B. der Papst eines Tages einen so kräftigen ökumenischen Impuls gäbe, daß dieser Impuls die Menschen einfach überrennen würde. Dabei ist die Verwandlung des männlichen und weiblichen Geschlechts in Engelgleichheit bei der Auferstehung (Mk 12,25) wohl nur die Ausnahme. Vielmehr könnte die Aufhebung der Unterschiede zwischen Mann und Frau darin bestehen, daß a) die Freude an gelebter Sexualität stärker wirken kann als die Angst, Verbote zu übertreten, daß b) Vergehen des einen oder anderen Teils so vergeben werden können, daß Schuld- und Rachegefühle vergessen werden können, daß c) der sexuelle Leistungsdruck wie der Leistungsdruck hinsichtlich Streßfreiheit verschwinden könnte. An folgenden Stellen wird die Aufhebung der Unterschiede propagiert: Gal 6,15 (Beschneidung – Unbeschnittensein); 1 Kor 7,19 (Beschneidung – Unbeschnittensein); 1 Kor 12,13 166

8.2  Zum Kontext in Gal 3 und Gal 6

(Juden – Griechen; Sklaven – Freie); Gal 3,28 (Jude – Grieche; Sklave – Freier; Mann – Frau); Kol 3,11 (Juden – Griechen; Sklaven – Freie; Beschneidung – Unbeschnittensein; Barbar – Skythe); Thomasevangelium 22 (Zwei – einer; In­ neres – Äußeres; Oberes – Unteres; Männliches – Weibliches; alte Glieder – neue Glieder). Auffällig ist, daß die Aufhebung der Unterschiede (Indifferenzierung) zwischen Mann und Frau in der Bibel direkt nur im Galaterbrief zum Thema wird. Das hängt wohl damit zusammen, daß nur in Gal das Thema Beschneidung aktuell ist. Beschneidung ist ein Aspekt der Unterschiede zwischen Mann und Frau. In Kol kommt freilich gerade in 3,11 das Thema Beschneidung zur Sprache. Aber das – und das ist eine Art Gegenprobe – hängt in Kol mit dem Thema Mensch – Engel zusammen, sind doch die Engel schon beschnitten erschaffen. 8.2  Zum Kontext in Gal 3 und Gal 6

Von neuer Schöpfung kann man hier reden, weil Paulus in verwandten Stücken die radikale Neuheit hervorhebt und zugleich mit der Aufhebung der Unterschiede betont, wie Gal 6,15 „weder Beschneidung noch Unbeschnittenheit, sondern neue Schöpfung“. Dabei ist diese neue Schöpfung nicht Produkt moralischer Anstrengung noch menschlichen Bemühens. Diese neue Schöpfung gibt es schon „in Christus“, und zwar als Einssein. Was also ändert sich durch die Taufe? Die Frage wird von extrem links bis nach rechts außen beantwortet. Bei ‚extrem links‘ ändert sich alles, weil Sklaverei aufgehoben ist und völlige Gleichheit zwischen Männern und Frauen besteht. 167

8.  Neue Schöpfung

Die Aufhebung dieser dualistisch formulierten Gegensatzpaare geschieht jeweils in eine bestimmte Richtung. In keinem Falle besteht das Resultat in einem faden, farblosen Gemengsel oder in einer Profil- und Eigenschaftslosigkeit. Vielmehr wird oft eine dritte Größe genannt, die nun den Maßstab für die neue Gemeinschaft abgibt: In 1 Kor das Halten der Gebote, in 1 Kor 12 das eine Pneuma, in Gal 3: Christus, in Gal 6 neue Schöpfung und in Kol 3 alles und in allen Christus. So gelingt es jedenfalls, diese Aussagen über das Verblassen der Gegensätze Paulus auch theologisch zuzuordnen. So ist bei der Aufhebung des Gegensatzes zwischen Mann und Frau bei Paulus das Ziel nicht ein neutraler ‚Intersex‘ oder ein eunuchoides Neutrum. Sicher ist nur, daß Paulus für Mann und Frau weder finanzielle Interessen verfolgt (gleicher Arbeitslohn, gleiche Rente) noch eine allgemeine Gleichstellung vor dem (bürgerlichen) Recht noch gleichen Rang in der Kirchenverfassung. So sehr Paulus sich für mehr Gerechtigkeit unter Eheleuten einsetzt,67 so fern liegt ihm andererseits eine rein formale juristische Gleichschaltung. Man kann im übrigen die jeweils genannte dritte Größe sozialgeschichtlich konkretisieren: In Gal 6 sowie in Kol 3 ist diese Größe „die Kirche“, in 1 Kor 12 die Gemeinde vor Ort als Leib Christi. Da sich die Aufhebung der Differenzen Mann – Frau biblisch nur in Gal 3 findet, kann man überlegen, ob hier nicht über die Einheit der Gemeinde hinaus vor allem die Familie im Vordergrund steht. Sie ist jedenfalls in Gal wie in 1 Kor 7, also zumindest in den älteren Paulusschriften der Ort, an dem die neue Gerechtigkeit 67 Vgl. 1 Kor 7, besonders Vers 1–10 mit inklusivem Sprachgebrauch.

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8.2  Zum Kontext in Gal 3 und Gal 6

konkrete Formen annimmt. Weil in allen Fällen die dritte Größe mit Jesus Christus, seinem Leib (Kirche) oder den heiligen Geist zusammenhängt, halte ich es hier wie auch in allen anderen Fällen für nicht möglich, daß es sich um Durchsetzung der Rechtspositionen von bisher scheinbar oder wirklich benachteiligten Gruppen handelt. Denn nach Gal 3,27 bleiben die natürlichen Eigenschaften von Mann, Frau, Jude und Heide erhalten. Das gilt auch für Sklaven. Was Paulus hier verkündet, ist die Äquidistanz zu Christus: Für alle gleich ist Nähe oder Ferne zu Christus. So ist er hier die allen nahe Mitte des Heils und der einzige Mittler. Von der Aufhebung männlicher oder weiblicher Eigenschaften hören wir hier nichts. Auch an eine Aufhebung des Judentums oder jüdischer Gesetze ist nicht gedacht. Daß die veränderte, überraschend möglich gewordene Beziehung der Menschen zu Christus auch Folgen für das Verhältnis der Menschen zueinander hat und gehabt hat, ist im Text nicht genau festgelegt, jedoch der Freiheit der in der Geschichte Handelnden anheim gestellt. Die Kraft, durch die das Neue zustande kommt, ist jedenfalls die Liebe (Gal 5,6: Weder Beschneidung noch Unbeschnittensein, sondern vielmehr Glaube, der durch Liebe wirklich wird, also durch qualifizierte Gerechtigkeit mit familiärem Antlitz). Die für die Auslegung dieser Texte entscheidende Frage ist immer: Wieweit geht die Aufhebung der Unterschiede und ab wann wird sie aktuell? Von der Aufhebung der Unterschiede zwischen Männlich und Weiblich ist im Neuen Testament nur in Gal 3 die Rede. Die nächste Stelle ist dann schon Thomasevangelium 22: „Wenn ihr … das Männliche und das Weibliche zu einem ein169

8.  Neue Schöpfung

zigen macht, so daß das Männliche nicht weiterhin männlich und das Weibliche nicht weiterhin weiblich ist, (wenn also euer ganzer Leib verwandelt ist), dann werdet ihr eingehen in Gottes Herrschaft.“ 68 In 2 Clem 12,5 heißt es: „Die Aufhebung von Männlich und Weiblich bei der Begegnung von Männern und Frauen, das heißt: Wenn ein Bruder eine Schwester sieht, dann denkt er nicht zuerst daran, daß sie eine Frau ist, und umgekehrt denkt die Schwester nicht zuerst daran, daß es sich bei dem Bruder um einen Mann handelt. Wenn ihr euch so verhaltet, sagt der Herr, wird die Herrschaft meines Vaters offenbar werden.“  69. Jude zu sein ist für Paulus eine bleibende Eigenschaft; an den Epispasmos (Überziehen der dezimierten Vorhaut) wird er keineswegs gedacht haben. Und selbst noch für spätere Judenchristen kann dann die Beschneidung sinnvoll werden (Röm 4,21). Sklaven sollten, sagt er, die Menschen im Zweifelsfall bleiben. Die Unterschiede zwischen Mann und Frau wird Paulus auch nicht beseitigt haben wollen. Und was heißt das überhaupt, da Männer keine Kinder bekommen können? Zur Wirkung von Gal 3: Die mittelalterlichen Brüder und Schwestern vom freien Geist oder des freien Geistes, (vgl. 2 Kor 3,17) haben dann gesagt, der heilige Geist hebe die Unterschiede zwischen Klerus und Laien auf, so daß es auch Laienpredigten gab, unter Umständen auch keine Ehe mehr, jedenfalls keine Sünde, keine Gesetze und keine Moral, keine Sakramente. 70 Für die „neue Schöpfung“ 68 Datierung: um 70 n. Chr. 69 Datierung: um 75 n. Chr. 70 2. Hälfte 13. Jh.; über sie: Albertus Magnus (um 1270).

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8.2  Zum Kontext in Gal 3 und Gal 6

ist Kol 3,9–14 wichtig: „Zieht den alten Menschen mit seinen Taten wie ein altes Kleid aus, / (10) zieht den neuen Menschen an. Denn dieser wird ganz neu geschaffen als Gottes Ebenbild, auf daß ihr euren Schöpfer immer tiefer erkennt. / (11) Hier zählt es nicht, ob jemand Grieche oder Jude, beschnitten oder unbeschnitten, Barbar oder Skythe, Sklave oder Freier ist, sondern Christus ist alles in ihnen, und in ihnen allen ist nur er. (12) Zieht nun ein neues Kleid an, ihr Auserwählten Gottes, ihr Heiligen und Geliebten. Und dieses neue Kleid heißt, daß ihr euch von Herzen erbarmt, daß ihr freundlich seid und Demut übt, daß ihr friedfertig, voll Langmut / (13) und geduldig miteinander seid. Vergebt einander, wenn jemand gegen den anderen einen Groll hegt. Wie der Herr euch vergeben hat, so sollt auch ihr einander vergeben. / (14) Über all dies zieht als Überkleid die Liebe an. Sie erst näht die Einzelstücke zu einem hübschen Gewand zusammen.“ Da Kol in zeitlicher und räumlicher Nähe zum Gal entstanden sein dürfte, gibt diese Stelle wohl auch etwas her zum Verständnis von Gal 3,26–28. Das heißt: Die neue Schöpfung, in der die Unterschiede keine ernsthafte Rolle mehr spielen, bedeutet nicht eine umfassende Zerstörung der alten, bestehenden Schöpfung. Vielmehr wächst die neue Schöpfung von innen her, vom Herzen. Das erneuerte Herz und der erneuerte Geist ist der Anfang. Daher beginnt das Neue nicht durch Dekrete, auch nicht durch irgendwelche äußere Gewalt. Nach Kol 3,10 ist der erneuerte Mensch der neuen Schöpfung „nach dem Bild seines Schöpfers“ gestaltet, hier also – in Christus – gilt die durch den Sündenfall aufgetretene Unähnlichkeit als prinzipiell überwunden (Bernhard von Clairvaux ), denn der Mensch ist aus der regio dissimilitudinis in die similitudo zurückgekehrt bzw. er kann dieses tun. 171

8.  Neue Schöpfung

Daß auch bei Paulus dieser Zustand nicht punktuell durch die Taufe der bestehenden Wirklichkeit aufoktroyiert wird, darauf weist bei Paulus selbst in 1 Kor 11 die Anordnung hin, daß Frauen beim Beten / Prophezeien zum Schutz ihrer defektuösen Abbildlichkeit eine Kopfbedeckung tragen müssen. Sie sind also weiterhin Frauen. Man darf aber auch den Spieß nicht einfach umdrehen und sagen: Wo den Frauen völlige Gleichheit verweigert wird, herrscht einfach Lieblosigkeit. Bei den Stichworten „weder männlich noch weiblich“ im Zusammenhang mit der „neuen Schöpfung“ dürfte es sich um die Aufhebung schmerzlich trennender Unterschiede handeln, die immer wieder Anlaß zu Streit und Unfrieden sind. Es könnte sein – sicher ist das nicht (!) –, daß damit gemeint ist, was Gen 3,16 sagt (Schmerz des Gebärens, Schmerz des Verschiedenseins, Beherrschtwerden durch den Mann). Jede Auslegung im Sinne völliger Gleichmacherei würde nur zu peinlichen Platitüden führen und den Ausleger blamieren. Aus Gen 3,16 geht sowieso nichts hervor über eine Möglichkeit der Änderung. Und daß Gal 3 vor allem im Sinne der kirchenrechtlichen Gleichstellung, der finanziellen Gleichbehandlung oder der Zulassung der Frauen zum Pastorinnendienst gemeint sei, halte ich für prinzipiell unwahrscheinlich. Da ist die Auslegung, die wir in 2 Clem fanden, wesentlich realitätsnäher. Denn auch zum Beispiel die Sehnsucht / das Verlangen nach Gen 3,16 will doch niemand aufheben. Zu Gen 3,16 sagt C. Westermann : „Gerade dort, wo die Frau die Erfüllung ihres Lebens, ihre Ehre und ihre Freude hat, in ihrem Verhältnis zu ihrem Mann und als Mutter ihrer Kinder, gerade dort ist nicht eitel Seligkeit, sondern Schmerz, Last, Sich-Beugen 172

8.2  Zum Kontext in Gal 3 und Gal 6

und Unterordnung.“  71 Es aber ist damit nicht die „gedrückte Lage des Weibes im Alterthum“ (A. Dillmann ) gemeint, sondern ein menschheitliches Phänomen, das mit der körperlichen Beschaffenheit von Mann und Frau zusammenhängt.72 Was bedeutet dann „weder männlich noch weiblich“? Es bedeutet: Das Gemeinsame ist jeweils erheblich und grundsätzlich stärker als das Trennende. Die Situation der Menschen bringt es (im Gefolge der Erbsünde) immer mit sich, daß man nicht das Gemeinsame, sondern das, was nur der eine hat, verabsolutiert und für ‚besser‘ erklärt. Kein Geschlecht hat das Recht, sich für das bessere und das andere für das minderwertige zu erklären. Es geht damit um etwas, das in jedem Streit vorkommen kann: um die Wertung von generischen Eigenschaften des oder der anderen. Entscheidend für Frieden oder Unfrieden ist das, was mit den Eigenschaften des anderen geschieht, die jenseits der starken Gemeinsamkeiten liegen. Werden sie aufgehoben, beseitigt oder für gleichgültig erklärt? Sind die Gemeinsamkeiten zwischen Männern und Frauen – und dazu gehört seit Gal 3 auch ihre gemeinsame Bezogenheit auf Jesus Christus – so stark, daß alles andere egal ist? Sind die Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Heidenchristen so stark, daß die Juden ihr Judentum und die Heiden ihre Herkunft vergessen können oder müssen? Die Scholastik gab eine Antwort: „Gratia non destruit, sed perficit naturam.“ (Die Gnade zerstört nicht die Na71 C. Westermann, Gen S. 358. 72 ibid., 357.

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8.  Neue Schöpfung

tur, sondern vollendet sie). Die natürliche Beschaffenheit (z. B. als Frau) oder die historische Herkunft (z. B. als Christ aus Yucatan) wird durch das Christsein nicht für egal erklärt, sondern in ihrem potentiellen Reichtum, der nun auch für andere attraktiv sein kann, entfaltet. Der Reichtum eines jeden einzelnen wird von den Giftpfeilen gereinigt, die er haben kann, auch von einer ewigen Neigung, die andere Kultur auszumanövrieren. Insofern wird das Beherrschen von Gen 3,16 durch ein Geben und Nehmen ersetzt, aber nicht durch eine Beseitigung der Unterschiede. Insofern müßte ein Christentum damit leben können, daß in Bezug auf den Dienst am Altar nicht Gleichmacherei und Egalität herrscht, sondern im Glücksfalle ein Miteinander. Wenn aber die Gemeinsamkeit fraglich wird oder wackelig, wenn also über das Zentrum Unsicherheit entsteht, dann kann es sein, daß man die Gelassenheit verliert, die dazu befähigen könnte, die Unterschiede bestehen zu lassen. Wenn die Hauptsache und damit der gemeinsame Glaube an Jesus Christus stark genug ist, kann man auch damit leben, daß der Dienst am Altar Männern vorbehalten ist. Dieser kleine Unterschied wird erst dann zum großen Unterschied, wenn die Mitte verblaßt und man meint, der sich ausbreitenden Panik nur durch Zwang zur Uniformität begegnen zu können. Die Reaktion ist dann jene Wut, die aus den Verschiedenheiten Anlässe zu Streit macht, indem sie diese aufbläht. Daraus wird die eigentliche Intention von Gal 3,26–28 erkennbar. Sie besteht darin, die Ursachen für Streit und Unfrieden aufzuheben. 174

8.  Neue Schöpfung

8.3  „Weder männlich noch weiblich“

Wie Paulus das konkret verstanden haben könnte, sagt er selbst mit dem Bild des Kleides genau in Gal 3,27: „Ihr habt Christus angezogen“. Denn die Gruppen von Menschen, die er dabei nennt, unterscheiden sich gewöhnlich durch verschiedene Kleidung: Männer und Frauen, Sklaven und Freie, Juden und Griechen. Die verschiedene Kleidung verrät, wo die jeweiligen Menschen hingehören. Was aber ist jetzt? Natürlich sehen sie genauso aus wie früher. Paulus entwirft keine Unisex-Kleidung für Männer und Frauen gemeinsam. Vielmehr sagt er: Ungeachtet der verschiedenen Kleidung, die ihr hattet und auch weiterhin habt, gibt es jetzt ein gemeinsames Merkmal, das sagt und zeigt, wohin ihr alle gehört. Daß ihr nämlich getauft seid. Christus angezogen zu haben in der Taufe ist daher ein unsichtbares Merkmal. Ihr habt es gemeinsam. Es verrät, wer ihr in Wahrheit seid. Ihr habt Christus angezogen, und es gilt der Satz: Zeige mir, was du anhast, und ich sage dir, wo du hingehörst. Aber eine neue Kleiderordnung ist das nicht, auch keine Verkleidung wie zu Fasching. Das Gewand, das man trägt, sitzt nahe auf der Haut und läßt kein Sich-Verstellen zu. Jesus Christus angezogen zu haben, bedeutet daher eine starke, weitgehende Ähnlichkeit unter- und miteinander. Aber es bedeutet nicht Identität im Äußeren. Gewiss ist: Der Zugang zu Gott ist für alle gleich. Männer, die Priester sind, sind nicht heiliger, frömmer, näher bei Gott, sicherer gerettet als Frauen. Sollten Männer, besonders Priester, das je von sich geglaubt haben, es würde mit diesem Satz als Irrtum erwiesen. Aber Paulus meint nicht, daß Männer und Frauen nun in allem gleich wer175

8.  Neue Schöpfung

den, sondern nur, daß sie in einem, im entscheidenden Punkt einander ähnlich sind – geworden sind. Damit soll nicht gesagt werden, ob einer oder eine nun Priester ist, das ist nicht so wichtig. Die Unterschiede, so setzt Paulus voraus, sind doch allen geläufig. Das gilt auch für Sklaven und Freie oder Juden und Heiden. Doch Christus angezogen zu haben, bedeutet keine Uniformierung. Christen sind nicht uniformiert. Aber in Christus gibt es zwei Dinge nicht mehr: Ein Ansehen der Person, als wären Juden als Juden Gott ähnlicher als andere, Männer Gott ähnlicher als Frauen, und eine Revolution, als wären alle kleinen Unterschiede aufgehoben. Es gibt hier keine Revolution, die das alles beseitigte, das Judentum und die weibliche Denk- und Schreibweise gegenüber der Einheitskultur. Positiv formuliert: Christus hat die stärkste Bindekraft, alle übrigen Bindungen sind schwächer. Aber sie sind nicht alle gestorben. Deshalb geht es nicht um ein Recht, das alle anderen Regeln aushebeln könnte, sondern Jesus will alle einzelnen, verschiedenen in ihrer Verschiedenheit; und das ist nicht nur individuelle Verschiedenheit, sondern am stärksten ist die Prägung durch Geschlecht, Sprache, Mode, Bildung, auch durch den alltäglichen Beruf. Anders formuliert: Nicht alle sind einfach total nackt, sondern wie bei einem Fest ist jeder in seiner Nationaltracht dabei. Es ist also ähnlich wie bei einem Neujahrsempfang von Diplomaten. Die Botschafter aller bei dieser Regierung vertretenen Länder kommen, jeder darf in seiner Nationaltracht dabei sein. Und es wird Wert darauf gelegt, daß sie echt und in sich konsequent gehandhabt ist. Aber der Blick aller ist auf den alle Einladenden gerichtet, und daß die Unterschiede miteinander oder ge176

8.  Neue Schöpfung

geneinander ins Gehege kämen, ist nicht der Sinn solcher Empfänge. Um es mit dem Cusaner zu sagen: Die unitas in diversitate (Gemeinsamkeit bei bestehender Verschiedenheit) ist entscheidend. Fazit:  Eben weil Gal 3,27 Ähnlichkeit und Frieden im Entscheidenden, aber nicht Gleichmacherei bedeutet, kann aus der Stelle nicht die liturgische Gleichheit von Mann und Frau hergeleitet werden. Die Ähnlichkeit im Entscheidenden ist in ihrer Verschiedenheit nicht willkürlich, sondern im biblischen Gottesbild begründet. – Doch in Gal 3,27 geht es um den starken, sehr starken Willen des Herrn zur Ko-optierung aller in ihrer Verschiedenheit. Daß die Verschiedenheiten bestehen, ist geradezu die Voraussetzung für die in Gal 3,27 behauptete Indifferenzierung (Aufhebung der trennenden Unterschiede). Es ist kaum ein Zufall, daß die traditionsgeschichtlich vielleicht älteste Fassung dieser Erwartung in einer äthiopischen Apokalypse steht, im äthiopischen Esra: „Alle werden sich erheben, nackt wie Adam, und es wird nicht Mann noch Frau geben. Alle haben den gleichen Körper und die gleiche Gestalt.“  73 . Der Grund: Vor dem Richter sind alle gleich, er kennt kein Ansehen der Person (1 Petr 1,17). Daher gilt dann die Aufhebung der sexuellen Differenzen. Das dürfte auch hinter der Erwartung Jesu nach Mk 12,25 stehen, wonach einfach alle wie die Engel sein werden und daher weder heiraten noch geheiratet werden (12,25). Daß Gott kein Ansehen der Person kennt, gilt freilich auch schon für 73 ed. Halévy, frz. Übers., S. 179. Der Rahmentext dieser Apokalypse, aus

dem ich hier zitiere, ist sehr altertümlich und möglicherweise auf das 2.–3. Jh. n. Chr. zu datieren.

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8.  Neue Schöpfung

die urchristliche Völkermission, und in diesem Rahmen sind die paulinischen Stellen inklusive Gal 3 zu verstehen. Denn Mission und Weltgericht sind gleichermaßen Begegnung mit dem einen Gott, angesichts dessen alle irdischen Unterschiede belanglos sind. Für Gal 3 besagt das lediglich, daß hier Geist vom Geiste früher Heidenmission weht. Man muß unterscheiden zwischen Dingen, die unwichtig geworden sind, weil sie verblassen und den Zugang zum Entscheidenden nicht mehr blockieren – so ist das mit der Geschlechterdifferenz und dem Zugang zu Jesus Christus. Und andererseits könnte man versuchen, diese Dinge per Dekret auszurotten. Aber das Verblassen der Gegensätze genügt, und in Gal 3,26 geht es um diesen Zugang zu Gott, nicht aber um kirchliche Rechte zu predigen. 8.4  Verweigerung der Menschenrechte

Im Streit um die Frauenordination wird der Kirche oft vorgeworfen, bei Verweigerung der Ordination leugne sie de facto die Menschenwürde der Frau. Denn sie verletze das Menschenrecht auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung. Dieser Vorwurf ist in aller Regel außerordentlich emotional besetzt. Im Sinne der Bibel und ihres Gottesbildes ist zu unterscheiden zwischen Menschenwürde und Menschenrechten. Die Menschenwürde wird öfter eindrucksvoll beschrieben, und zwar im Kontrast zu anderen Lebewesen, seien es Tiere oder Engel. In Psalm 8 wird beides beschrieben: „Wenn ich deinen Himmel schaue … (5) was ist dann der Mensch, daß du seiner gedenkst, das Menschenkind, daß du seiner dich annimmst? Nur wenig geringer als ein Gottwesen hast du ihn 178

8.4  Verweigerung der Menschenrechte

gemacht, mit Glanz und Herrlichkeit ihn gekrönt. Du gabst ihm die Herrschaft über die Werke deiner Hände, alles legtest du ihm zu Füße; Schafe und Rinder insgesamt sowie die Tiere des Feldes.“ Dazu gehört auch Gen 1,26f, weil der Mensch Bild Gottes im Gegensatz zu den Tieren ist. Es ist konsequent, wenn die Vulgata Ps 8 übersetzt: „paulo minus ab angelis …“ Unter Menschenrechten dagegen müßte man mögliche Ansprüche verstehen, die der Mensch von Natur aus hat. Diese Berechtigungen müssen von allen Partnern (Mitmenschen, Gott, Engel) beachtet werden. Nun ist aber von so etwas wie Menschenrechten weder im Alten noch im Neuen Testament die Rede. Wenn Menschen gegenüber Mitmenschen verpflichtet werden, zum Beispiel durch den Aufruf zur Gerechtigkeit, dann stellt Gott der Herr diese Forderung auf. Daher heißt es auch am Schluß des bekannten Abschnittes über die Nächstenliebe in Lev 19,18: „… Sei nicht rachsüchtig … Ich bin der Herr!“ Es gibt also keine Menschenrechte, die dem Menschen ‚an sich‘ zukämen, sondern nur Gottes Rechte. Entsprechend erfahren wir aus Jak 3,9, daß man den Nächsten nicht verfluchen darf, weil er Gottes Bild ist: „… mit der Zunge können wir auch die Menschen verfluchen, obwohl Gott sie nach seinem Bild erschaffen hat.“ Wenn der Nächste Gottes Bild ist, dann darf man ihn nicht verfluchen, weil damit Gott verletzt würde. Die biblischen Autoren denken daher theonomisch (Gott und sein Gesetz sind maßgeblich), nicht von Menschenrechten her. Ähnlich kraß in Mt 20: Vom Menschenrecht gleicher Lohn für gleiche Arbeit weicht Jesus hier provozierend ab: Es ist allein Sache des Besitzers des Weinbergs, über den Lohn zu bestimmen: Er hat beschlossen, allen (!) nur 179

8.  Neue Schöpfung

den Mindestlohn zu zahlen. Und das Menschenrecht auf adäquate Vergeltung darf ein Jünger Jesu nach der Bergpredigt auch nicht mehr wahrnehmen. Die Bibel betrachtet den Menschen nicht als autonom. Der Mensch besitzt auch keine natürliche oder zu reparierende Freiheit der Selbstbestimmung. Paulus führt in Röm 6f überzeugend aus, daß der Mensch entweder Sklave der Sünde ist oder Sklave Gottes (der Gerechtigkeit, die Gott verlangt). In keinem Falle ist er isoliert und ortlos frei. Eine empfehlenswerte Freiheit gibt es nur als Freiheit von (sc. von Sünde, Tod und Teufel). Deswegen erfährt man die Wahrheit über den Menschen nicht durch Aufklärung über seine Rechte, die er gegenüber Gott und anderen Menschen hätte, sondern diese Wahrheit besteht exklusiv in der Art, in der Abhängigkeit und Gehorsam gegenüber Gott und Sünde bzw. Teufel bestehen. 8.5  Zur Frage der Menschenrechte generell

Einmal besteht eine große Unsicherheit darin, wer bzw. welche Instanz zur Feststellung und dann zur authentischen Auslegung der sog. Menschenrechte befugt und in der Lage ist. Darüber gibt es unterschiedliche Theorien. Zu diesen gehört auch der Hinweis auf die international bestehende vernünftige civitas anerkannter Rechtsgelehrter. Wichtig ist der (zeitweilige oder dauernde) Rechtsverzicht. Denn wer immer die Bindung an eine menschliche Gemeinschaft bejaht, verzichtet auf den Gebrauch von Rechten. Schon Paulus ordnet in 1 Kor 6,1–10 für Christen an, daß sie auf das Recht, öffentlich Recht zu suchen (Prozesse zu führen) verzichten. Wer heiratet, verzichtet für die Dauer der Ehe auf das Recht der freien Partner180

8.5  Zur Frage der Menschenrechte generell

wahl. Wer in einen Bettelorden eintritt, verzichtet auf das Recht, Eigentum zu besitzen. Der Verzicht auf Menschenrechte bedeutet stets den Verzicht auf deren ‚Gebrauch‘, nicht deren Abschaffung. Rechtsverzicht in einer Gemeinschaft bedeutet stets auch, daß man als Mensch diese Gemeinschaft auch verlassen darf. Thomas von Aquin hat unter dem Einfluß der Philosophie des Aristoteles auch Christen zugestanden, aus Gewissensgründen die Kirche zu verlassen. Das ist wie bei einem Spiel: Wenn einer die Spielregeln ablehnt oder sich sicher ist, bessere Regeln zu haben, darf er das Mitspielen aufgeben. ‚Spiel‘ ist deshalb eine geeignete Metapher, weil die Mitspieler eine gemeinsame Ordnung respektieren, die strikt oder gar nicht gilt. Konkret heißt das: Wer die Beschränkung der Weihe auf Männer ablehnt, kann aus der Kirche austreten und darf sich eine andere Gemeinschaft suchen. Die Ungleichbehandlung von Mann und Frau im Sakramentenrecht ist aus meiner Sicht kein Verstoß gegen das Menschenrecht der Gleichheit aller Menschen. Denn die Äqualität der Geschlechter („free and equal“) bedeutet nicht völlige Gleichheit (so aber manche Kommunen in deutschen Universitätsstädten zwischen 1970 und 1985), auch nicht Aufhebung aller Unterschiede innen und außen, auch nicht Pflichtengleichheit, auch nicht Aufhebung des privaten Bereichs jedes einzelnen Menschen. Vielmehr gehört es meines Erachtens zu den Menschenrechten, daß bei einem Zusammenleben die natürlichen Verschiedenheiten zu respektieren sind. Dies sind in der Regel auch sexuelle Verschiedenheiten zwischen Mann und Frau. Hier gilt das scholastische Prinzip: „gratia non 181

8.  Neue Schöpfung

destruit, sed perficit naturam“ (Die Gnade zerstört nicht die Natur, sondern vollendet sie). Im übrigen scheint mir die Diskussion seit langem an einem hypertrophierten Gewissensbegriff zu leiden. Doch das ist hier nicht zu diskutieren. Zum Thema Verletzung der Menschenrechte auch dieses: „Es wäre Zeichen eines seltsamen Klerikalismus, die Würde der Frau von ihrer Weihe zur Diakonin oder Priesterin abhängig zu machen“ und: „Nicht die Amtsträger sind die großen Gestalten der Kirche, sondern die Heiligen.“ (M. Hauke ). 8.6  Die Ferngeltung der Bibel

Können die neutestamentlichen Texte heute überhaupt noch wahr sein? Kritisch gefragt: Inwiefern ist das so rekonstruierte Gottes- und Menschenbild der Bibel normativ? Bedeutet das, was wir bei näherer Betrachtung des Neuen Testaments meinten feststellen zu können, etwa ein ewiges Gesetz? Und werden hier nicht allzu leicht Erfahrungen menschlichen Unglücks Teile des Gottesbildes? Man kann einfach fragen: Wo liegt denn die Wahrheit der neutestamentlichen Texte? Doch nicht in Frage kommt eine (Unter-)Scheidung zwischen dem Ewigen und dem Zeitbedingten in den Texten. Damit wären wir seit R. Bultmann nicht weiter gekommen. Die Antwort kann nicht darin bestehen, daß ein einzelner Professor einige Dinge für ewig, andere dagegen für situationsbedingt und dem Wesen nach vergänglich erklärt. Sollte aber vielleicht der Maßstab der Auslegung das sein, was in der jeweiligen, Situation „Christum treibet“, d. h. was über alle inhaltliche Besonderung hinweg Jesu zentrale Funktion stützen kann? Das wäre eine funktional-christologische 182

8.7  Unterschiedliche Konzeptionen von Gottesdienst

Hermeneutik. Ihr Vorteil besteht darin, daß sie sich nicht auf eine abstrakte Botschaft oder theologische Prinzipien, sondern auf eine lebendige Person bezieht. Viele Ausleger der Heiligen Schrift erinnern leider an Schrotthändler, denen man ein morbides Auto vorführt. Sie schauen nach dem, was man noch gebrauchen kann den Rest werfen sie weg. Bei Theologen heißt das dann, der Rest ist unbrauchbar, unzeitgemäß, veraltet. Alles Se­zieren der Bibel dient dann einem strengen richterlichen Amt. Ich meine, daß es dagegen darauf ankäme, der Schrift überhaupt eine Wirkungschance einzuräumen, damit sie über alle Details hinweg mit ihrer innersten Glut „Christum treiben“ kann. Und dann kann es nicht darum gehen, Brauchbares gegen Unbrauchbares auszuspielen. Weil man diese Christozentrik von den Westfenstern der gotischen Kathedralen lernen kann, spielt das Alter einer Schrift bzw. die Kollisionen mit dem Zeitgeist der Gegenwart keine Rolle. 8.7  Unterschiedliche Konzeptionen von Gottesdienst

Obwohl es nirgendwo dogmatisch definiert, ja noch nicht einmal ausgesprochen ist, ist die Streitfrage, ob es katholische Priesterinnen geben kann oder nicht, abhängig von einem bestimmten Verständnis von Gottesdienst, das sich von dem entsprechenden protestantischen Konzept grundlegend unterscheidet. Im katholischen Sinne ist der Leiter des Gottesdienstes der Repräsentant Christi bzw. Gottes. Daher handelt er, wenn er bei der Messe die Worte spricht „Das ist mein Leib“, wie man sagt, in persona Christi. Er repräsentiert Christus / Gott gegenüber der Gemeinde. Wenn man sagt, er sei für die Menschen 183

8.  Neue Schöpfung

bestellt, dann nicht anstelle der Menschen (aus seiner Gemeinde), sondern anstelle Gottes. In seiner Funktion steht der zum Presbyterat Geweihte allerdings der Gemeinde gegenüber, wie es seit alters her die Rolle derer war, die tauften, das Evangelium verkündeten und dem Mahl vorstanden. Dieses Gegenüber ist funktional notwendig und insinuiert keineswegs den Sprung in eine andere (höhere) Qualität. Es bedeutet lediglich besonderen Dienst. In der Erfüllung dieses Dienstes ist es allerdings verheerend, wenn der Betreffende ein unglaubwürdiger Christ ist. Allein schon deshalb kann die Beauftragung mit dieser Funktion nicht vorübergehend und vorläufig sein, sondern erfordert einen auf Dauer etablierten Lebensstil. Ob dieser zu größerer Vollkommenheit führt, kann kein Mensch beurteilen. Übrigens geht es nicht um eine christliche Neuigkeit. Schon seit den Zeiten der Propheten steht der von Gott Berufene dem Volk gegenüber und gehört gleichzeitig zu ihm. Das kommt im Übrigen auch in seiner Priesterkleidung zum Ausdruck, die keineswegs die Alltagskleidung normaler Gemeindemitglieder ist. Diese Auffassung verstößt auch nicht gegen die Rechtfertigungslehre, die ja seit Jahrzehnten Katholiken und Protestanten gemeinsam ist. Denn der Priester steht durch seine Funktion als Repräsentant nicht ‚näher bei Gott‘, so daß er heiliger oder in höherem Maße als Laien gerettet wäre. Dem steht die evangelische Auffassung entgegen. Nach dieser Auffassung ist der Leiter des Gottesdienstes Repräsentant der Gemeinde. Diese beiden gegenläufigen Auffassungen sind auch im Verständnis von Weihe bzw. Ordination begründet. 184

8.7  Unterschiedliche Konzeptionen von Gottesdienst

Nach katholischer Auffassung tritt die Weihe zur Taufe hinzu Es gibt eine besondere Amtsgnade und zum Beispiel die Absolutionsvollmacht. Die besonderen priesterlichen Vollmachten werden im Rahmen apostolischer Sukzession vermittelt. Sie gelten nicht für jeden Christen. Nach evangelischer Auffassung haben alle Christen dank der Taufe priesterliche Vollmacht. Jeder Christ kann nach protestantischer Meinung sowohl Sünden vergeben wie das Abendmahl leiten, also alle Sakramente spenden, wie viele es auch jeweils seien, und den Schlußsegen im Gottesdienst sprechen. Ob er tun darf, was er tun kann, entscheidet lediglich eine administrative Maßnahme, die entweder von der Gemeinde, den Ältesten (reformiert) oder von der Kirchenleitung (lutherisch) ausgesprochen wird. Die früher übliche Rede von der Amtsgnade ist angesichts des Entfallens der feierlichen Ordination außer Gebrauch gekommen. Der Grund ist deutlich; denn die Vollmacht oder Gnade haben alle. Der Zusammenhang von gottesdienstlicher Funktion und Bestellung zum Amt wird damit klar. Nach evangelischer Auffassung kann jeder Christ  /  jede Christin Repräsentant der Gemeinde und damit Pastor sein. Die Vollmacht besitzt er seit der Taufe. Nach katholischem Verständnis bedarf es für den Pastor / Pfarrer der zusätzlichen sakramentalen Installation, durch die auch die entsprechende Vollmacht apostolischen Ursprungs vermittelt wird. Wenn man sagt: Der evangelische Amtsträger repräsentiert die Gemeinde, wie sie vor Gott steht, nicht aber repräsentiert er Jesus Christus selbst, so erinnert das genau an die alttestamentliche, jüdische, orthodoxe und ka185

8.  Neue Schöpfung

tholische Auffassung von der Rolle der Frau. Denn Aussagen über Frauen in genere sind regelmäßig Aussagen über die Menschen überhaupt. Denn die Rolle der Frau, eben Menschen als Menschen darzustellen, ist auch ihre Funktion im Gottesdienst. Nichts geht über die Situation oder Vollmacht des Normalchristen, des üblicherweise Getauften, hinaus. Insofern entsprechen Frauen als Pastorinnen genau der protestantischen Auffassung von Gottesdienst. Um ihn zu feiern, bedarf es nach evangelischer Auffassung keiner besonderen apostolischen Vollmacht für irgend jemanden. Die Zulassung der Frauenordination nach dem 2. Weltkrieg war daher kein Betriebsunfall, sondern die Konsequenz aus dem Verständnis von Gottesdienst überhaupt. Man muß schon einigermaßen alt-lutherisch denken, wenn man, wie es die evangelische Kirche Lettlands „wegen der Orthodoxen“ tat, die Frauenordination wieder abschafft. Die tiefer gehende theologische Frage richtet sich hier an die Katholiken. Sie lautet: Warum ist die Weihevollmacht (z. B. zur Konsekration, zur Absolution usw.) über die Taufe hinaus notwendig? Wie verhält sich der Gnadenstand der Christen zu diesen besonderen Zusatz-Vollmachten? Anders gefragt: Warum darf der schlichte Meßdiener nicht einfach ein paar Stufen höher steigen und konzelebrieren? 74 Warum reicht die Taufe dazu nie und nimmer? Die Antwort lautet: Das schon neutestamentliche Gegenüber von Apostel (oder Bischof) und Gemeinde setzt 74 PS.: Ich durfte im normalen Gottesdienst nie Meßdiener sein, weil ich zu

lang war und das Bild gestört hätte. Ich habe also selbst die Vorstufen der Vorstufen nie erreicht.

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8.7  Unterschiedliche Konzeptionen von Gottesdienst

sich fort im Gegenüber von Priester und Gemeinde. Aus diesem Grund habe ich den Kursgenossen zu ihrer Priesterweihe am 24.2.1966 einst eine Abhandlung über den „theologischen Apostelbegriff des hl. Paulus“ gewidmet.

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9. 

AUSBLICK

9.1  Was für Frauen bleibt

Für die Frauen, die nicht Priesterinnen werden können, bleibt das Streben nach Charismen, darunter besonders die Diakonie, das Gebet, das Charisma der Prophetie, das Charisma der Weitergabe des Christentums an die Kinder und Enkel, und schließlich die visionären Charismen. Zum letztgenannten Punkt schrieb mir eine seit langem befreundete Karmeliterin vom Orden der Unbeschuhten Karmeliterinnen: „Die Rolle der Frau in der Kirche ist Beten, Dienen, Prophezeien. Oder mit anderen Worten: ‚Im Herzen der Kirche die Liebe zu sein‘ (Kl. Therese von Lisieux), das Auge sein, das ständig auf Gott schaut und alles von Ihm abliest; Mutter sein … Heißt es nicht: Ein Volk steht und fällt mit seinen Frauen? Und die rein kontemplative Berufung, die heute in Europa, besonders in Deutschland und Holland, kaum mehr verstanden wird, ist ja doch besonders Frauen eigen, weil wir eben dieses intuitive, sich einfühlende innere Auge und Gehör am meisten von Gott geschenkt bekommen zum Dienst an Kirche und Gesellschaft. Wo das kontemplative Ordensleben nicht mehr blüht, da ist Kirche krank, ausgehöhlt. Da braucht es viel Gebet und Opfer, um dieses Liebesideal wieder aufzurichten, damit die Welt wieder glauben kann.“

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9. Ausblick

9.2  Was getan werden kann

Ein katholischer Pfarrer hat mir kürzlich erzählt, in einer Versammlung der Gemeinde sei einer der Frauen aufgestanden und habe gesagt: „Ich fühle mich zum Priesteramt berufen.“ Ich würde antworten: „Die gemeinsame Berufung ist die zur Heiligkeit, und da sind keine Grenzen gesetzt. Und wenn es Sie in die (auch kircheninterne) Öffentlichkeit drängt: Das Amt der Prophetinnen ist nie abgeschafft worden, und es gibt hervorragende weibliche Heilige, wie zum Beispiel die hl. Brigitta von Schweden, deren Offenbarungen direkt mir gegenüber aus dem Regal leuchten. Die hl. Hildegard von Bingen ist eine typische Prophetin. Ähnlich wie bei prophezeienden Frauen in früherer Zeit hat man der Versuchung oft nicht widerstanden, in die Schiene des pneumatologischen Dualismus abzugleiten und solche Frauen dann ‚Hexen‘ genannt. Auch die hl. Jeanne d’ Arc habe ich stets verehrt. Und wenn Sie auf den gravierenden Priestermangel verweisen und sagen, Sie möchten gar keine berühmte Heilige werden, sondern eine schlichte Priesterin, dann möchte ich antworten: Halten sie sich an die starke gemeinsame Kraft des Glaubens an Jesus Christus und die riesige gemeinsame Aufgabe, die daraus erwächst, den Glauben überhaupt weiterzugeben. So war es doch in der Kirche des 2. und 3. Jahrhunderts auch schon. Die Primärmission besorgten die Frauen des jeweiligen Stadtviertels in Nachbarschaftshilfe. Sie können auch als Laien in Menschen die Lust wecken, Priester zu werden. Ich habe als Laie, dreißig Jahre tätig an einer protestantischen Fakultät, fast absichtslos immerhin fünf Priester ‚hervorgebracht‘, vielleicht mehr als mancher Bischof. Ich war da 189

9. Ausblick

in einer ähnlichen Situation wie Sie. Die jungen Männer studierten erst Exegese bei mir, wurden katholisch und ließen sich weihen. Und wenn Sie darauf beharren und sagen: Ich fühle mich gerade als Frau zum Priesteramt berufen. Dann muß ich antworten: Manche Menschen fühlen sich zu manchem berufen. Die Frage ist, ob das dann jeweils geht und die betreffende Gemeinschaft Sie erträgt. Kein Mensch kann gegen die Kirche (die Bischöfe) Priester werden, sondern nur mit und in ihr. Wir sehen häufig unsere Berufung viel zu subjektiv und individualistisch (Was ich will, weil ich es mir in den Kopf gesetzt habe). Und wenn Sie sagen: Es ist Unrecht, daß Frauen nicht Priester werden können, wo doch so ein Mangel besteht. Dann würde ich antworten: Der Betrieb, aus dem ich komme, die deutsche Universität, strotzt auch nur so von Unrecht. Der Tübinger katholische Neutestamentler Karl Hermann Schelkle hatte gegen Ende seines Lebens Kontakt mit mir und erzählte, er habe sein letztes Buch ‚all denen gewidmet, denen an deutschen theologischen Fakultäten Unrecht geschehen ist‘. Es gibt zwei Möglichkeiten zu reagieren, entweder man wird mit dem Alter gelassener oder man versucht, die Wirklichkeit durch Erhellung der Begründungsstrukturen zu verändern, so daß sich nachher alles anders darstellt und man noch einmal neu anfangen muß, jenseits der verhärteten Strukturen über die Sache nachzudenken. Insofern verstehe ich dieses Buch als engagierten Beitrag in dem von den deutschen Bischöfen geforderten und versprochenen Dialog über die Zukunft der Kirche in Deutschland. 190

9. Ausblick

9.3  Diakonat der Frau?

•  Zur Spiritualität des Dienens  Folgende Lösung schwebt mir vor: Es gab für ein paar Jahrzehnte oder Jahrhunderte das Diakonissenamt für Frauen, insofern als Frauen an der Salbung von Taufkandidatinnen bei der Taufe beteiligt waren. Das war ordentliche Sakramentenspendung (daß es bei der Taufe auch die außerordentliche Form gibt, in der jeder taufen darf, der im Notfall tut, was die Kirche tut, setze ich als bekannt voraus). Diese ordentliche Sakramentenspendung erfolgte nur für relativ kurze eine Zeit vor 1500 Jahren. Im Übrigen aber ist das Dienen vor allem ein Charisma. Es hat mit der Sakramentenspendung nichts zu tun. Es gilt auch nicht für die Diakonie des Wortes. Charismen gibt es in der Kirche gottlob immer wieder, allein man sollte sie nicht verwechseln mit dem Anspruch auf oder der Berechtigung des Zutritts zu einem Amt. Die Fixierung der westlichen Wünsche auf den Diakonat als Weiheamt ist eine Folge der Mißachtung von charismatischen Begabungen in der Kirche. •  Das jesuanische Modell des Dienens und die aktuelle Diskussion über den Diakonat der Frau  Über die gegenwärtige innerkatholische Diskussion kann man sagen: „Implizit ist damit klar, daß hiermit (Forderung des Diakonats für Frauen) nur der erste Schritt zu einer Öffnung auch weiterer Weiheforderungen verknüpft ist, denn (sc. nimmt man den Diakonat) als einen Teil des dreigliedrigen Weiheamtes, so ist ordentlich theologisch nicht begründbar und einsehbar, warum nach dem Diakonat der Frau nicht auch das Frauenpriestertum und die Bischöfinnenweihe folgen sollte, wie es der Weg der anglikanischen Kirche eindrücklich 191

9. Ausblick

vorgewiesen hat. Verwunderlich ist dabei das Argument, daß der Diakonat „schnell zu akzeptieren“ sei, als ob es bei der Zulassung zu den Weiheämtern nur um die Akzeptanz der öffentlichen Meinung ginge.“ (F. H. Maier ) Es ist wahr, daß aus der Sicht Jesu derjenige der Größte ist, der zu dienen versteht (Mk 10,45). Ohne irgendeinen Hintergedanken an versteckte oder endlich zur Geltung zu bringende Ambitionen zu inner- oder außerkirchlicher Macht geht es Jesus um das reine Dienen. Für ausgesprochen fatal halte ich, daß das sich selbst vergessende Dienen ausgerechnet in einer Situation der Maßstab sein soll, in der Frauen ihre Rechte einklagen und dieses unverkennbar darauf beziehen, endlich an der Macht beteiligt zu werden. Denn selbstloses Dienen ist noch nie verboten gewesen, aber es behält nur dann seine innerlich paradoxe Struktur, wenn dabei Machtansprüche keine Rolle spielen. Vielleicht wollte man in der Tat die Machtspielchen den Männern überlassen. Natürlich kann man immer fragen, warum Jesu Forderung nach reinem und selbstlosem Dienen uneingeschränkt nur oder hauptsächlich für Frauen gelten soll. Meint man, einem Mann so etwas nicht zumuten zu können? Kann man von männlichem Dienen nicht reden, ohne offen oder heimlich an Entlohnung für ehrenamtliche Tätigkeit zu denken? Ich habe es selbst erlebt, wie auf einem Kirchentag ein Vorschlag zur Erneuerung der Kirche lautete, man solle den ehrenamtlichen Dienst bezahlen. Das ist dieselbe Unart des Denkens, die fordert, Dienst solle mit Teilhabe an der Macht bezahlt werden. Wenn also eine Frau im Sinne Jesu dient, dann tut sie es ohne Aussicht auf Entgelt (Geld) oder Ehre (Prestige). 192

9.3  Diakonat der Frau

Natürlich klingt es fatal, wenn dies ein Professor im Ruhestand formuliert; es ändert aber an der Wahrheit nichts. Diese beiden Dinge aber sind es, die die Welt der Menschen (und besonders der Männer) am stärksten bewegen. Jesus fordert zu etwas auf, das in dieser Welt keine Zukunft hat. Denn er erwartet alle Zukunft von der Zeit des Reiches Gottes. Vor der Größe dieser kommenden Gnade kann der Mensch nichts geltend machen. Das Gerangele um die ersten Plätze im Jüngerkreis, von dem die Evangelien berichten, zeigt nur, daß die männlichen Jünger Jesu nichts oder fast nichts von dem wirklich verstanden haben, was Jesus wollte. Die Auffassung des hl. Augustinus, daß alles überhaupt Nennenswerte Gnade sei, hat daher ihre stärkste Wirkkraft in den augustinisch konzipierten Orden gewonnen (OESA, OCist und OCSO), weil sie sich in der monastischen Demut widerspiegeln konnte. Sind daher außer den genannten Gemeinschaften Frauen die wahren Erben Jesu, auch und gerade in dem, was ihnen im jesuanischen Sinne des Dienens ‚zugemutet‘ wurde? Wenn man das bedenkt, könnte es sein, daß die Folgen der Emanzipation, brachial angewandt, eine neuerliche und nun für Frauen spezifische Versuchung darstellt, die Sache Jesu zu verraten. Nein, man muß im Licht des Evangeliums nichts ‚werden‘ im Sinne des Ergatterns eines Postens. Recht besehen ist das eine totale Überforderung des Menschen, wie die Bergpredigt auch sonst. Überforderung läßt als Reaktion nur die Ehrlichkeit und das Eingeständnis zu. 193

9. Ausblick

•  Diakonie als Hilfe für die Apostel bzw. Bischöfe  Wurden in Apg 6 nicht sieben „Diakone“ durch Gebet und Handauflegung als Teil der Hierarchie eingesetzt? Dieses ist ein verbreiteter Irrtum. Denn einmal fällt der Ausdruck „Diakone“ in Apg 6 überhaupt nicht (auch wenn Stephanus in der späteren Kunstgeschichte immer im Gewand des Diakons dargestellt wird), sondern nur der Ausdruck „Diakonia“. Zweitens gibt es unter den sieben, die für die Diakonie bestimmt werden, keine Frau, und drittens sind „Gebet und Handauflegung“ für das 1. Jh. n. Chr. hier keine Einfügung in die Weihehierarchie – was sowieso ein Anachronismus wäre. Durch Gebet und Handauflegung wird hier vielmehr die offizielle Beauftragung festgeschrieben, mehr nicht, aber weniger auch nicht. Zum Thema Diakonatsweihe für Frauen gibt es vielmehr in Apg 6 keinen Beitrag. Auch in späterer Zeit muß man sich das Haus des Bischofs eher wie ein Zentrum für caritative Dienstleistungen denken. Für so etwas benötigt man schlicht Mitarbeiter, und zwar technischer, medizinischer und psychologischer Art. Der Begriff diakonos für Helfer ist hier nicht theologisch oder kirchlich vorbelastet. Die Kirchenordnungen sprechen selbstverständlich von solchen Hilfskräften. So war es auch an theologischen Fakultäten Deutschlands. Solche Hilfskräfte waren zuständig für technische Hilfe. Insoweit entsprach ihr Dienst für die Allgemeinheit dem Bedeutungsspektrum des griechischen Diakonos bzw. des lateinischen minister. Ein Hiwi bei den Theologen mußte nicht dafür ordiniert sein. Die Hilfe, die er leistete, war auch nicht sakramental-theologisch, es genügte der Händedruck des Dekans oder noch weniger. Die Materie sei194

9.3  Diakonat der Frau

nes Berufs waren weder die Sünden der Menschen noch die Nuancen des Evangeliums. So bestand denn zum Beispiel, da in meiner Jugend deutsche Bischöfe noch mit der Bahn fuhren, meine erste ‚diakonische‘ Tätigkeit für meinen Bischof darin, geeignete Zugverbindungen aus dem gedruckten Fahrplan herauszusuchen. Der griechische Begriff diakonos hat zur Zeit des Neuen Testaments noch die allgemeine Bedeutung, den zu bezeichnen, der technisch notwendige Funktionen für eine Gemeinschaft erfüllt. Es geht hier erkennbar noch nicht um einen Fachterminus wie diakonissa, es ist auch von einer Weihe nichts berichtet, da es offensichtlich nicht um eine Teilnahme an irgendeiner Sakramentenspende geht. Dieser Sprachgebrauch ist auch für Heiden verständlich, da diakonos wie minister (auch heute noch) eben oft den bezeichnet, der für eine Gemeinschaft (z. B. eine Polis oder einen Verein) notwendige Verrichtungen leistet. In diesem Sinne berichtet schon Plinius d. J . um 110 n. Chr. sehr früh von ministrae der Christen: Angeblich bietet Plinius einen Beleg für frühe Tätigkeit von Frauen in der Leitung oder im Gottesdienst christlicher Gemeinden.75 Plinius berichtet über seine Versuche, die Zusammenkünfte der Christen zu erkunden: Die Christen hatten nur gewöhnliche, harmlose Speise zu sich genommen. „Für um so notwendiger hielt ich es, von zwei Mägden, die Dienerinnen genannt wurden (ministrae), unter Folter ein Geständnis zu erzwingen, was denn wahr sei. Ich fand nichts anderes als einen wüsten, maßlosen Aberglauben (superstitio).“ 75 Plinius, Briefe an Kaiser Trajan, 10. Buch, Brief 96,8.

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9. Ausblick

In der Forschung hat man in diesen beiden „ministrae“ Diakonissen sehen wollen und ihnen zugleich die Leitung des Gottesdienstes unterstellt. Doch weder das eine noch das andere kann aufgrund des Textes behauptet werden. Es ist auch kaum vorstellbar, wie die zwei (!) Diakonissen sich die Leitung des Gottesdienstes geteilt hätten. Das ganze ist für heutige Leser so wenig durchsichtig wie es für Kaiser Trajan gewesen sein mag. Die beiden Frauen waren nicht mehr und nicht weniger als auskunftsfreudige christliche Funktionsträgerinnen (das kann reichen von der ‚Sprecherin‘ der Gemeinde bis zur Organisatorin von Gemeindemahlzeiten, wozu dann auch das Beschaffen von Brot und Wein gehört haben könnte). Wenn man im Griechischen den Ausdruck diakonos im Hintergrund annimmt, so gilt, daß der Ausdruck nicht auf Dienste bei Tisch spezialisiert ist. Wahr ist vielmehr, daß wir Funktionsträger mit dem Namen diakonos in der ganzen Kirchengeschichte nirgends als Leiter(-innen) des eucharistischen Mahls finden. So war denn auch die Vorgeschichte von diakonos oder diakonia im Sinne der Dienstleitung für einen einzelnen (z. B. Bischof) oder eine Gruppe (z. B. Gehörlose) oder die Allgemeinheit zu sehen. In diesem Sinne sind in der Alten Kirche und im Mittelalter Diakone besonders den Bischöfen zugeordnet, so wie z. B. der Herr Abt von Heiligenkreuz bis heute einen hauptberuflichen Chauffeur hat, auch wenn dieser heute weder Diakon ist noch so heißt. Doch in diesem Sinne wird schon im Neuen Testament das Hilfspersonal mit dem Titularattribut diakonos versehen. Und in Apg 7 ist „diakonia“ die öffentliche Armenpflege der Gemeinde. Apg 7 zeigt, daß man zwar die 196

9.3  Diakonat der Frau

Sache „Diakonia“ nennen konnte, daß aber trotz Gebet und Handauflegung der einzelne nicht Diakon hieß. Frauen im Dienst der Allgemeinheit kannte auch die antike jüdische Synagoge. Zum Beispiel ist aus einer jüdischen Inschrift eine Frau Jael als „Vorsteherin“ (gr. prostatis) überliefert,76 und eine Jüdin namens Rufina gibt es sogar mit dem griechischen Titel „archisynagogos“.77 Auch wenn es solche Funktionen in christlichen Gemeinden analog zu den jüdischen immer wieder gibt (z. B. im Entstehungsbereich der Paulusakten und der Acta Xanthippae et Polyxenae), ist doch für das Christentum und gar nicht für das Judentum und später den Islam die sakramentale Form charismatischer Vollmacht typisch; wie denn auch dem Judentum wie dem Islam etwas mit ‚Kirche‘ Vergleichbares abgeht. Für die Kirche ist eben die Zusammengehörigkeit von Amt und Sakrament typisch. Daher gibt es hier – religionsgeschichtlich vergleichsweise neu – eben das „Sakrament der Priesterweihe“. •  Paradoxien der Nachfolge  Bedeutet diese Feststellung etwas für die Spendung des Sakraments der Ordination nur für Männer? – Ich versuche, eine halbwegs plausible Antwort zu geben im Rahmen der Inkarnationstheologie, wie sie z. B. besonders bei den frühen Zisterziensern entfaltet ist. Aus der Theologie des Neuen Testaments bringe ich dafür mit die Erkenntnis, daß der Sinn der Offenbarung in Jesus Christus vor allem dieser ist, daß Gott die Menschen sich ähnlich machen will (imago- und similitudo76 Vgl. dazu B. Brooten: Women Leaders in the ancient Synagogue, Chicago

1982, S. 151.

77 E. Schüssler-Fiorenza, In the Memory of Her, 1983, S. 250.

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9. Ausblick

Theologie beim hl. Bernhard). In der Menschwerdung Jesu Christi eröffnet Gott dieses damit, daß er bis in die letzte Faser des Menscheins hinein und mit äußerster Konsequenz das Schicksal eines sterblichen und leidenden Menschen übernimmt. Das bedeutet eine besondere theologische Nähe zu den Kindheits- und Leidensgeschichten, denn hier ist Jesus ungeschützt Mensch und den Heimsuchungen eines schwachen Erdenlebens ganz ausgesetzt. Alle Sakramente setzen nun gerade beim menschgewordenen, irdischen Jesus ein und nehmen die Ähnlichkeit mit ihm zum Ausgangspunkt. Die Taufe orientiert sich daran, daß Jesus nackt und bloß im Jordanwasser untertauchte. Die Firmung geht davon aus, daß Jesus zum Beispiel bei der Taufe den Heiligen Geist empfing und hier öffentlich als Gottes Kind angeredet wurde. Die Eucharistie bezieht sich auf Jesu Dahingabe am Kreuz – nackt und bloß wie in der Krippe und bei der Taufe. Im Sakrament der Versöhnung / Buße liegt der Ausgang da, daß Jesus als Mensch wie wir unser Hoherpriester wurde zur Vergebung der Sünden. Das Sakrament der Krankensalbung nimmt seinen Ausgangspunkt darin, daß Jesus gesalbt hat und gesalbt wurde. Die Priesterweihe läßt den Priester zu dem werden, der in Nachahmung der Person Jesu dem Mahl der Eucharistie vorsteht und der in der Vergebung die Rolle Jesu Christ als des die Sünden Vergebenden einnimmt (Dominus Iesus Christus te absolvat …, et deinde ego te absolvo …). Im Sakrament der Ehe ist die Hingabe Jesu für die Kirche der christliche Rahmen. Überall geht es ganz wesentlich um das, was Jesus aufgrund seiner menschlichen Natur tun und leiden konnte. 198

9.3  Diakonat der Frau

Die Beschneidung, die Taufe und den Tod am Kreuz erleidet Jesus nackt und damit in seiner Männlichkeit klar erkennbar. Betrachten wir kurz besonders die Kreuzigung: Die Schändlichkeit der Hinrichtung am Kreuz besteht vor allem darin, daß sie am völlig Entkleideten vollzogen wurde. (Der Lendenschurz wurde mit Rücksicht auf fromme Betrachterinnen eingeführt und ist insoweit ein Produkt der Kunstgeschichte, und zwar zunächst als eine Art langer Unterrock). Noch heute heißen die männlichen Geschlechtsorgane im Jiddischen „Schmuck“. Durch das Kreuz wird aus dem Schmuck die Schande. Auf den Stolz des Mannes zeigt man mit dem Finger, wenn er gekreuzigt ist. Und darauf setzen sich die Fliegen und daran schnüffeln die Hunde. Und durch die Beschneidung wurde Jesus auch sichtbar (außer durch seine jüdische Mutter) zum Glied des verhaßten und geschmähten Volkes, denn es gibt eine lange vorchristliche Geschichte des Antijudaismus in der Antike, die sich nicht zuletzt an der Beschneidung festmachte,78 weil man diese als Kastration belachte. In der Kreuzesszene addiert sich dieses mit der Jämmerlichkeit des Aufgehängten. Diese Eindrücke ergänzen das, was wir aus dem Leben Jesu sonst wissen: Besitz- und erwerbslos durch die Lande zu ziehen, das ist eine Schande für einen gesunden jungen Mann. Und nicht verheiratet zu sein, das trägt einem das Schimpfwort „Eunuch“ ein (Mt 19,12). Noch die Nazis haben auf der unmännlichen Schande des Zölibats insistiert, und als ein älterer Schulkamerad 78 Vgl. dazu A. Blaschke, Beschneidung, 1998.

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9. Ausblick

gar Jesuit wurde, war das eine Schande für die Familie, die Schule und die ganze Stadt (Prof. P. Dr. Ulrich Niemann SJ, † 2008), wie die absolute Mehrheit glaubte. Oft geht es in der Diskussion um Frauenordination um Ehre, Würde, Anerkennung und den Wunsch, von den Machtspielchen der Großen nicht einfach ausgeschlossen zu sein. Und es ist ja wahr, daß in unserer Gesellschaft sehr oft alles Ansehen bei den wichtigen Männern lag (Manager, Parteiführer, Präsidenten). Doch der Blick auf die Geschichte der Nachfolge Jesu zeigt überdeutlich: Hier wird alles das total ins Gegenteil verkehrt, was sonst Männer groß macht. Die Kirchengeschichte zeigt freilich, daß trotz Priesterweihe die Ideale der Nachfolge Jesu oft genug verraten und hintergangen wurden. Dank Zölibat sind die Folgen dann wenigstens nicht auch noch vererbbar. Wer genauer hinschaut, wird bemerken, daß gerade deshalb, weil der Mann in unserer Gesellschaft so mächtig ist, die christliche totale Umwertung der männlichen Prestigeordnung um so auffälliger und um so wichtiger ist. Der männliche Star ist die Galionsfigur der Gesellschaft. Wer sie stürzt, bricht ihr das ideologisch-psychologische Rückgrat. Die Priesterweihe für Männer trifft daher die Gesellschaft an der Achillesferse. Das gilt, wenn, ja wenn ihre Zeichenhaftigkeit gelingt. Gerade wegen des Kontrastes zu den herrschenden Machtverhältnissen ist daher die Weihe von Männern zu Priestern beabsichtigter Hohn und Spott für das, was den meisten das Wichtigste ist. Und da wir in einer Stimmungsdemokratie leben, ist es gut erklärbar, weshalb bei dieser Stimmung fast niemand Priester werden will. Die Christus200

9.3  Diakonat der Frau träger von triefenstein , eine evangelische Bruderschaft, die z. B. die Leprakranken in Kabul versorgt, ist wohl eine der wenigen Einrichtungen, bei denen man Verständnis für das finden kann, was im Sakrament der Priesterweihe Verähnlichung mit Christus ist. Wer diese konsequent zu leben versucht, ist als Person eine Dauerprovokation der Gesellschaft. Es ist gut, wenn das ausgerechnet Männer sind, die auf der Gegenseite so hervorragenden Erfolg zu haben pflegen. Gerade dort, wo der Stolz am stolzesten ist, sollte er eingeknickt werden. Ein ähnlicher Gedanke kommt mir bisweilen beim Anblick weiblicher Ministranten. Im Ministrantenalter sind Mädchen Musterwesen von Pünktlichkeit, Genauigkeit, Ordnungsliebe und strenger Frömmigkeit. Buben sind in diesem Alter das alles gerade nicht. Wenn ein halbwilder Rotzbube knien und beten lernt, ist das vielleicht doch bewegender als der Anblick ohnehin musterhafter Mädchen, die gerade in dem angesprochenen Alter den Buben so überlegen sind, daß man sich kaum noch in ihre Gesellschaft traut. Wenn dieses eine Ministrantin lesen sollte, möge sie die Bitte nicht ignorieren, öfter mal den Mut zu haben, Schwächen zu zeigen. Aus der Bibel könnten wir wissen, daß Gott öfter mal nicht auf dem Christentum der Braven, Lieben und Frommen steht, sondern wider Erwarten auf den verdrückten Tränen der Männer, was freilich etwas anderes ist als männliche Tränen. Deshalb also keine Frauen, weil Männer den im Gelingensfalle eindrücklicheren zeichenhaften Kontrast abgeben, jedenfalls angesichts der seit ca. 3000 Jahren herrschenden Umstände (vielleicht auch schon seit Adam und Eva). Denn der Kontrast bei

201

9. Ausblick

Männern ist der zwischen herrschenden Macht- und Ansehensverhältnissen einerseits und Nachfolge Jesu in freiwillig ertragener Schande andererseits. Wie wenn der Formel-1-Rennfahrer plötzlich umsteigt auf Pole Poppenspäler mit Wanderbühne und zwei Vorstellungen täglich. Allein der Kontrast stellt öffentlich dar, welche Zumutung Christentum bedeutet. Damit wird niemals bestritten, wie notwendig die intensive Zuwendung an die Menschen seitens der Frauen sein sollte, wie dankbar man dafür sein kann und wie sehr dieses dem Willen Gottes entspricht. Unsere Bemerkungen zur Orientierung der Sakramente am Mensch gewordenen, irdischen Jesus kommen hier zu ihrem Ende: Der männliche Nachfolger Jesu Christi kann seinen Herrn besonders gut darstellen. Das gilt unabhängig von dem, was dabei über die Rolle der Frauen impliziert sein könnte. Die dargestellte Dialektik von Ehre und Schande gilt von Christus wie von jedem Mann, der durch die Weihe in ihn ‚implantiert‘ ist. •  Diakonissen als Spenderinnen der Taufe  Hier stoßen wir nur auf Frauen als geweihte Diakonissen, die unter allen Umständen eben auch so heißen. Dieser Beruf war notwendig, da zur Taufe erwachsener Frauen auch die Ganzkörpersalbung mit Öl gehörte. Das ist noch heute bei diversen ostkirchlichen Liturgien auch bei der Kindertaufe der Fall. Daß man diese delikate Tätigkeit Männern nicht anvertrauen konnte, liegt auf der Hand. Das heißt: Es gibt Diakonissen und sogar eine Weihe von Diakonissen wegen der Ganztaufe erwachsener Frauen. Dafür wurde sogar ein eigenes Weiheformular für Diakonissen entwickelt. Da es heute die Ganztaufe von Frauen zumindest als Salbung 202

9.3  Diakonat der Frau

nicht mehr gibt, entfällt jede Notwendigkeit. Das Weiheformular für Diakonissen kennt die Syrische Didaskalie Cap die Weiheformel: „Über die Diakonisse ordne ich, Bartholomäus, an: Lieber Bischof, lege ihr die Hände auf, in Gegenwart des Presbyteriums, der Diakone und der Diakonissen und sage:‚Ewiger Gott, du Vater unseres Herrn Jesus Christus, du Schöpfer von Mann und Frau. Du hast mit (heiligem) Geist erfüllt Mirjam und Debora und Anna und Hulda. Du hast es nicht verschmäht, daß dein eingeborener Sohn aus einer Frau geboren wurde. Du hast im Zelt des Zeugnisses und im Tempel bestellt die Wachposten deiner heiligen Pforten. Blicke nun du selbst auf deine Sklavin, die bestellt ist zur Diakonie und schenke ihr heiligen Geist und reinige sie von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes. So möge sie würdig das ihr aufgetragene Werk vollbringen, für das sie bestimmt ist, zu deiner Ehre und zum Lob deines Christus, durch den dir Herrlichkeit zuteil wird und Anbetung im Heiligen Geist in Ewigkeit Amen.‘ 79 Im übrigen zeigt gerade die Syrische Didaskalie den Übergang von der Taufe durch Frauen zu deren Verbot: Daß es einer Frau nicht erlaubt ist, zu taufen. Was nun die Frau betrifft, so raten wir (ihr) nicht, zu taufen oder sich von einer Frau taufen zu lassen, denn das ist eine Übertretung des Gebotes und sehr gefährlich für die, welche tauft, und den, welcher getauft wird. Denn, wenn es erlaubt wäre, von einer Frau getauft zu werden, so wäre unser Herr und Meister von seiner Mutter Maria getauft worden; nun aber ist er von Johannes getauft worden, wie auch die anderen aus dem Volke. Bringet also keine Gefahr über euch, ihr Brüder und Schwestern, indem ihr euch wie außerhalb des Gesetzes des Evangeliums stehend betragt.80 79 Entstanden Mitte des 3. Jh. n. Chr. – Apostolische Constitutionen VIII M.

Metzger, iii, 1986, c. 218–222 (19f).

80 XV, S. 81 (Übers. nach TU X,2 NF).

203

9. Ausblick

Den früheren Zustand zeigt die Syrische Didaskalie Mitte 3. Jh. n. Chr. Zum Dienst der Frauen kann der Bischof Frauen schicken. Zum Beispiel bei der Taufe von Frauen zum Dienst der Salbung. Auch nach der Taufe sollen Diakoninnen von Frauen belehrt werden. „Darum sagen wir, daß besonders der Dienst einer dienenden Frau nötig und erforderlich ist, denn auch unser Herr und Heiland ist von dienenden Frauen bedient worden, nämlich von der Maria von Magdala und von Maria der Tochter des Jakobus und von der Mutter des Jose und der Mutter der Söhne Zebedäi mit noch anderen Frauen. Auch du bedarfst des Dienstes der Diakonisse in vielen Dingen, denn in die Häuser der Heiden, wo gläubige Frauen sind, muß die Diakonisse gehen, die Kranken besuchen und sie bedienen mit dem, was sie brauchen; und die, welche anfangen, von ihrer Krankheit zu genesen, soll sie waschen.“ 81 „Wisset aber, ihr Schwestern, daß in allem, was euch die Oberhirten mit den Diakonen befehlen und worin ihr ihnen gehorcht, das gehorcht ihr Gott.“ 82 Fazit für den historischen Befund:  Es gab geweihte Diakonissen für den besonderen Bedarf der Taufbegleitung. Erstaunlich ist eher, daß diese Frauen nicht anstrebten, über diesen Bereich hinaus tätig zu werden. Weil hier Moral und Sakramentenrecht kollidierten (wie man meinte), gab es für eine Zeit diese Institution. Als sie verblaßte, hat keiner deswegen einen Aufstand gewagt oder gar gewonnen. Gewiß kann man einwenden, daß die schlichte Existenz von Diakonissen schon seinerzeit die Theorie von 81 Cap XVI, S. 85 (Übers. nach TU X,2 NF). 82 Ibid., S. 80.

204

9.3  Diakonat der Frau

der Einheit des Weihesakraments hätte widerlegen müssen, wenn es denn diese Auffassung (Theorie) schon gegeben hätte. •  Zum Verlauf der Diskussion  Gerade auch beim Stichwort Diakonat der Frau entsteht nicht nur der Eindruck, sondern wird auch öfter gesagt, daß es sich eigentlich um ein moralisches Problem bei verknöcherten Junggesellen in der Hierarchie handele, die die geistliche Macht für sich behalten und keineswegs einer Frau daran Anteil geben wollten. Im Grunde gehe es darum, daß insbesondere die Päpste den Frauen elementare Menschenrechte verweigerten. Denn ein Menschenrecht sei die Chancengleichheit, denn niemand dürfe aufgrund seines Geschlechts z. B. von der Diakonatsweihe ausgeschlossen werden. Bestehende von Männern begründete Machtverhältnisse führten also im Rahmen niederer Beweggründe dazu, Frauen zu benachteiligen und ihnen in diesem Falle geistliche Macht vorzuenthalten. Diese Vorenthaltung sei eine rechtswidrige Benachteiligung. Die Privilegierten wollten also die Macht nicht teilen. Zusätzlich wird dann auch hier damit argumentiert, die Frauen forderten doch hier nur das Priestertum aller Getauften ein.83 Die Gegenreaktion zeigt dann nur die tiefe Verwurzelung beider Diskussionspartner in derselben gewohnheitsmäßigen moralischen Korruption: Es handelt sich, so sagt man gegen das gehörte Argument, nur um einen Machtkampf der Frauen gegen die Männer. Und da die83 Zu dieser Rede vom allgemeinen Priestertum aller Getauften vgl. beson-

ders unten.

205

9. Ausblick

ser Machtkampf in den letzten Jahrzehnten auf allen Ebenen zugunsten der Frauen verlaufen sei, bestehe auch hier die Gefahr der vollständigen Machtübernahme durch Frauen, bis hin zum weiblichen Papsttum. (Ich entsinne mich, daß es in dem protestantisch ausgerichteten Geschichtsunterricht in meiner Gymnasialzeit zu den ärgsten Vorwürfen gegen die katholische Kirche gehörte, daß man genüßlich von der Päpstin Johanna berichten konnte, und das sei der eigentlich unüberbietbare Skandal gewesen [nebenbei: erwiesenermaßen eine Fiktion]). Kann man die Diskussion damit gewinnen, daß man sich wechselseitig Machtstreben vorwirft? Und für die konservative Gegenseite gilt: Was man bei Männern toleriert, wird bei Frauen im Ansatz geahndet. Allerdings hilft es auch nichts, überhaupt moralisch zu argumentieren. Denn bei den bestehenden Strukturen wird sich männliches Machtstreben immer auszahlen. Und die Kirchengeschichte besteht diesbezüglich, wenn man sie so sehen will, in kaum etwas anderem. Die Frage ist, ob die Strukturen selbst nicht immer wieder zum allgemeinen Kampf aller gegen alle verlocken. Wer unbedingt gerne daran Anteil haben möchte und ständig von Macht redet, die vorenthalten würde, disqualifiziert sich selbst. Ich habe aus diesem Grund das Modell an den Anfang gestellt, das Jesus von geistlicher Autorität entwickelt und vorgelebt hat. Es kann sein, daß den Frauen nichts anderes übrig bleibt, als dem Modell Jesu zu folgen, aber das sollte man dann nicht lauthals beklagen. Denn wer dem Modell Jesu folgt, ist dann nicht in schlechter Gesellschaft. Man wird nicht Mönch, um Abt zu werden (das gerade nicht), und man wird nicht Theologe, um Bischof oder Kirchenleh206

9.3  Diakonat der Frau

rer zu werden, man läßt sich nicht als Frau taufen oder firmen, um Priesterin zu werden. Wie gesagt: Man muß überhaupt nichts werden. •  Vorschläge für die praktische Lösung  Nach dem Gesagten ist klar, daß es kein sakramenthaftes Gegenstück zur Priesterweihe oder Diakonatsweihe für Frauen geben kann, die man Diakoninnenweihe nennen müßte. Keiner der Texte aus den Anfangszeiten der Kirche gibt die Möglichkeit, Frauen in der Dreiheit von Bischof – Priester – Diakon unterzubringen. Dagegen besteht kein Zweifel daran, daß Diakonie von Anfang an zu den Charismen gehört, die Gott durch den heiligen Geist in der Kirche Männern wie Frauen schenken kann. Neben dem Charisma des sozialkaritativen Dienens gibt es das Charisma des Wortes. Bei christlichen Prophetinnen ist es am Anfang reichlich bezeugt. Paulus hat wiederholt dargestellt, daß sich dieses nicht auf den Gottesdienst beziehen kann; im Laufe der Zeit hat man in den großen Volkskirchen das Verbot des Prophezeiens im Gemeindegottesdienst auch auf Männer ausgedehnt. In der katholischen Kirche der Gegenwart darf kein Laie, sei es Mann oder Frau, im Gottesdienst das Wort zu selbständiger geistlicher Rede erheben.84 Eine Lösung ergibt sich jedoch, wenn man die Sache auf dem Feld der Charismen diskutiert. Und hier gibt es auch eine Form der amtlichen Anerkennung. Hier ist zunächst hinzuweisen auf den grundlegenden Unterschied zwischen sakramentaler Weihe und nichtsakramenthafter Segnung. Die Weihe (z. B. bei Bischof 84 Zur Begründung s. oben.

207

9. Ausblick

oder Priester) stiftet den Anfang (für eine Wahrnehmung des Amtes) durch bischöfliche Weitergabe der Vollmacht. Bei der Segnung (Benediktion) handelt es sich eher um eine kirchliche Anerkennung charismatischer Tätigkeit. Sie erfolgt z. B. bei Abt oder Äbtissin auf die Wahl durch den Konvent hin; seit dieser Wahl darf auch die / der Betreffende das Abtskreuz tragen. Auch der Äbtissin werden bei der Segnung Ring und Stab verliehen (die Pontifikalien), auch wenn es sich eben nicht um ein Sakrament handelt. Ein Ring wurde mir auch bei der Segnung nach der Promotion zum Dr. der Theologie verliehen (anulus doctoralis). Konkret auf unsere Fragestelung bezogen heißt das: Es könnte nach Bedarf eine besondere Feier der Anerkennung des von qualifizierten Laien für die Gemeinde / Kirche Geleistete und zu Leistende geben. Den Vorsitz dieser Feier führt der Bischof oder einer seiner üblichen Stellvertreter. Die bei der Feier zu Segnenden sind in der Regel Frauen und Männer. In dieser Feier wird das Wirken der Charismen bei diesen Laien anerkannt. Die Feiernden danken Gott dafür und bitten um nachhaltigen Segen. Die Segensgebete sind dem reichen Schatz der Kirche an derartigen Gebeten zu entnehmen. (Zu nennen: Collectio rituum et benedictionum; Corpus orationum mit den benedictiones pontificum.) Eine Orientierung an Texten der Abtsweihe ist möglich, und zwar besonders deshalb, weil in diesen Gebeten die Charismen, besonders das Charisma der Liebe, eine große Rolle spielen. In einer kurzen Ansprache sollte der Vorsteher der Segnung die Vielfalt der Charismen und ihre Einheit betonen – einfach ein Stück paulinischer 208

9.3  Diakonat der Frau

Charismenlehre. Die so Gesegneten dürfen fortan ein kleines Kreuz um den Hals oder am Revers tragen. In der evangelischen Kirche Badens z. B. bekommt man solche Kreuzchen ‚in Silber‘ oder ‚in Gold‘ vom Landesbischof verliehen bei besonderer Bewährung z. B. als Kirchenvorsteher. Am Ende kann der Vorsteher der Segnung jedem Gesegneten eine brennende Kerze überreichen. Dieser Ritus ist nicht im Sinne des Anspruchs auf ein Amt mißzuverstehen; das Kreuz sollte einheitliche Gestalt haben. Den Ritus der Handauflegung würde ich hier vermeiden, damit über das Verhältnis zur Firmung keine Mißverständnisse entstehen. Wie nennt man das Ganze? – Vorschlag: Mitarbeitersegnung oder ‚Segnung der Dienste‘. Konkrete Vorschläge:  Es besteht meines Erachtens keine Chance, eine Frauenordination theologisch zu rechtfertigen. Aus diesem Buch wurde deutlich, daß eine Frau, die sich zu besonderer Verantwortung berufen fühlt, den Weg des Betens (mit oder ohne 1 Tim 5 oder Schwesterngelübde) oder des Dienens nach dem Bild Jesu oder der Prophetie gehen sollte. Warum also keine geweihten Diakoninnen? Das Dienen ist einerseits eher technische Hilfe, ist Ausdruck von Liebe und eher ohne geistliche Zeichenfunktion; es ist Kreuzesdienst, daher der Vorschlag des Ansteck-Kreuzchens. Dienen ist andererseits Teil der Sakramentenspendung (früher Taufe, jetzt Eucharistie, dazu auch Predigt), und dann Teil des Gottesdienstes und seiner Zeichenfunktion. Dieses liturgisch sichtbare Diakonenamt sollte weiterhin nur Männern anvertraut sein.

209

10.   Und andererseits ... Frauen als Amtsträgerinnen in einer vereinten Christenheit? Zur Lage:  Durch die Einführung der Frauenordination haben protestantische Gruppierungen ein neues ökumenisches Problem geschaffen, das weitaus schwerwiegender ist als die meisten vorangehenden. Keineswegs plädiere ich für die Frauen-Ordination ‚für alle Christen‘. Es geht lediglich in dem, was ich hier anzudenken versuche, um die zugegebenermaßen höchst problematische Tolerierung weiblicher Amtsträger duch einen besonderen Ritus. 10.1 Ausschlusskriterien

Es geht nicht um Priesterweihe für Frauen. Dergleichen wird auch von Protestanten gar nicht gewollt. Die Akzeptanz von Frauen als Amtsträgerinnen in der Weihehierarchie ist mit der Bibel nicht vereinbar. Desgleichen ist sie nicht katholisch und nicht orthodox. Gleichwohl halte ich sie im Rahmen einer geeinten Christenheit für denkmöglich. Es geht mir dabei um die Erprobung der Möglichkeit, sich auch Widerstrebendes und Widerstreitendes vorzustellen. 10.2  Möglichkeit der Realisierung

Die einzige Möglichkeit der Realisierung läge beim Papst. Analogiefall:  Eine Eucharistiefeier, in der nicht die 210

10.3 Bedingungen

Abendmahlsworte Jesu zitiert werden, gilt als ungültig, und zwar auch bei allen reformatorischen Christen. Dennoch hat Rom dieser Gestalt der Eucharistie zugestimmt für den Ritus der Addai- und Mari-Liturgie. Ähnliches gälte auch für die Didache (Zwölfapostellehre) aus dem 1. Jh., denn auch hier werden beim Abendmahl Jesu Worte nicht (re-)zitiert. Soll man alle Messen, die so gefeiert wurden, nachträglich für ungültig erklären? Auch bei der Frage, ob in einem besonderen Ritus Frauen die Eucharistiefeiern leiten dürfen, geht es um die Frage, ob etwas bisher von Katholiken und Orthodoxen für ungültig Gehaltenes unter Umständen irgendwie gültig werden kann. Diese Umstände sind sorgfältig zu prüfen. 10.3 Bedingungen

Wie in dem genannten Analogiefall mit der Eucharistie müßten dafür folgende Kriterien gelten: Die betreffenden christlichen Gemeinschaften akzeptieren die Einheit unter dem Bischof von Rom und die Gemeinschaft der Bischofskirchen weltweit. Sie akzeptieren das einheitliche Lehramt. Sie akzeptieren, daß die Gesamtkirche, vertreten durch den Papst, ihre jeweilige Amtsträgerin bestätigen muß. Die beschriebene Wirksamkeit von Frauen könnte auf einen einzigen Ritus begrenzt bleiben, zum Beispiel den lutherisch-reformierten nach den deutschen Evangelischen Gesangbüchern. 10.4  Theologische Denkbarkeit

Die Eucharistie ist das Sakrament der Einheit der Kirche schlechthin. Sie setzt die Einheit nicht nur voraus (daher 211

10.  Und andererseits ...

keine eucharistische Gastfreundschaft jetzt), sondern bildet sie auch ihren konkreten Bedingungen nach ab. Das Erfordernis der apostolischen Sukzession ist nach katholischem Verständnis eine direkte Antwort auf diese Notwendigkeit der Einheit. Nur von dieser Sachnotwendigkeit her ist Sukzession überhaupt zu verstehen. Die Frage ist, ob die absolut erforderliche Einheit nebst Beziehung zu den Aposteln exklusiv nur auf dem Wege der Priesterweihe an Männern realisiert werden kann. Durch Erfüllung der oben genannten Bedingungen kann – nach meiner These – Einheit ersatzweise auch anders (vielleicht in einem anderen Modell, das neben das erste tritt) dargestellt werden. Dieses Modell ist die Komplementarität von Gemeinderepräsentation und Bestätigung durch den Papst. Die Gemeinde bestimmt ihre Leiterin, der Papst bestätigt sie. Aber was könnte zu diesem ‚anderen Modell der Einheit‘ neben dem dominierend römisch-katholischen zwingen? 10.5 Grunderfordernis

Der Einheit der Kirche ist nichts vorzuziehen:  Wegen des christlichen Gottesbildes und der Summe der christlichen Botschaft ist sie konkurrenzlos das oberste Kriterium. Aber die Wahrheit darf der Einheit nicht geopfert werden. Inwiefern ist die Sukzession nur von Männern die einzige mögliche christliche Wahrheit neben dem katholischen Modell? Wenn die Einheit der Kirche auch anders darstellbar ist als durch Sukzession von Männern (oder z. B. durch Traditio des Sauerteiges), dann sollte man – wenn der Papst zustimmt – diese Möglichkeit ergreifen. Die Zu212

10.6 Zusatzargumente

stimmung des Papstes und die realisierte Gemeinschaft mit den Bischöfen könnte die fehlende Weihe (Sukzession durch Handauflegung) ersetzen. Falls Zweifel an der Gültigkeit des Sakraments bestehen, könnte man sich auf das Prinzip supplet ecclesia berufen, d. h. die Gesamtkirche ersetzt durch ihre Vollmacht und durch das, was man den Schatz der Gnaden nennt, das, was im Einzelfall oder gar in einer Teilkirche vielleicht fehlt. 10.6 Zusatzargumente

•  Frauen im Rahmen der Sukzession  Auch Äbtissinnen und Kanonistinnen im bischöflichen Offizialat erhalten ihre Vollmacht im Rahmen apostolischer Sukzession, wenn es auch nicht um ‚Weihe‘ im Sinne der Weihehierarchie geht. Tolerierbarkeit:  Die hier vorgestellte Akzeptanz von Frauen als Leiterinnen der Eucharistiefeier ist nicht katholisch; ein diesbezüglicher Anspruch wird nicht erhoben. Es werden aber im Falle einer Akzeptanz katholische Grundprinzipien verwendet, so daß diese Lösung zwar dadurch nicht katholischer, aber für Katholiken tolerabel wird. Diese katholischen Prinzipien werden hier auf äußerste strapaziert. Dabei gilt hier wie auch sonst: Je weniger die Substanz des Vorgangs ökumenefähig ist, um so stärker muß die formale Autorität des Papstes in Anspruch genommen werden. •  Kein Ausverkauf der Wahrheit  Denn aus meiner Sicht ist die Einheit der Christenheit so sehr zwingendes Gebot, daß dieses Erfordernis es mit sich bringen könnte, sich auf Wege einzulassen, die äußerste Möglichkeiten darstellen. Davon freilich, daß hier Katholisches über den Haufen ge213

10.  Und andererseits ...

worfen oder ‚ausverkauft‘ würde, kann nicht die Rede sein. Es geht um ein denkbares Nebeneinander. Das Modell dieses Nebeneinanders beziehe ich von dem deutschen Kardinal Nikolaus Cusanus († 1464), besonders seinen kirchenpolitischen Ambitionen (Concordantia catholica). Liturgien sind menschliche Produkte. Und Jesu Wort „Dies tut zu meinem Gedächtnis“ ist zwar eindeutiger Auftrag, aber in seiner Deutung erwiesenermaßen umstritten. Den Spielraum, der sich darin ergibt, kann die Kirche selbstverständlich nutzen. Maßstab ist die glaubwürdige Darstellung von Einheit und Liebe. •  Ein Parallelfall?  Zufällig erhalten ist ein Brief Cyprians von Karthago, der für die Alte Kirche das Zusammentreffen der beiden hier behandelten Probleme beschreibt. Im Brief 75,10 (um 256) beschäftigt er sich mit einer Frau, die Eucharistie feiert, und zwar nicht mit den zur Zeit Cyprians allgemein üblichen Worten (sc. den Einsetzungsberichten). D. h. diese Frau ist in doppelter Hinsicht ein Relikt: einmal ist sie ein Zeugnis für Leitung der Eucharistie durch Frauen, zum anderen für die noch nicht standardisierte Formel bei der Eucharistie: „Unter keineswegs verächtlicher Anrufung stellte sie sich, als ob sie das Brot heilige und das Abendmahl feiere und brachte dem Herrn ein Opfer dar ohne das Geheimnis der sonst dabei üblichen feierlichen Worte.“ Getauft habe diese Frau auch. Daß Cyprian diese Frau ablehnt, hat nicht seinen Grund in den beiden genannten Merkmalen, vielmehr darin, daß sie sich als Prophetin, in Wirklichkeit aber als dämonische Betrügerin betätigt. Der Hinweis auf diesen Fall soll nichts rechtfertigen oder legitimieren. Er besagt lediglich, daß derartige Probleme 214

10.6 Zusatzargumente

der Kirche seit längerem bekannt sind und daß sie unterschiedliche Lösungen gefunden hat. •  Ein Nebeneinander?  In meinem Buch Glaubensspaltung  nehme ich breit Stellung zum katholischen Ernstnehmen der Metaphern. Das Modell der Sukzession ist eine sehr ernst genommene Metapher für die kirchliche Einheit über die Zeiten hin. Metaphern sind weder beliebig noch zu entmythologisieren, schon gar nicht zu streichen oder zu ersetzen. Aber neben sie können andere treten. Die Legitimität dieses Nebenstehens entscheidet sich am Ziel. Ist dieses die Einheit der Kirche in Christus – oder nicht? Kann etwas dieser Einheit dienen oder nicht? Ich meine beobachtet zu haben, daß das Liturgieverständnis bei reformatorischen Gruppen sich weitgehend vom katholischen und orthodoxen unterscheidet.85 Hier liegen die Gründe dafür, warum für Katholiken und Orthodoxe eine Frauenordination nicht möglich ist. Die Frage ist, ob ein abweichendes Liturgieverständnis eine Trennung der Christenheit begründen muß. Diese Frage möchte ich – ganz vorsichtig – mit Nein beantworten. Das bedeutet nicht, daß Katholiken und Orthodoxe ihr Verständnis von Liturgie nicht behalten müßten. Sie haben es in diesem Punkte, wie gesehen, bisher nur unzureichend begründet. Denn schlicht darauf zu verweisen, daß Jesus sein letztes Mahl nur mit Männern gefeiert hat, ist zu wenig Begründung. Fazit:  Wenn Frauen einen Gemeindegottesdienst (Eucharistie) leiten, so ist das die denkbar stärkste Belastung 85 Vgl. Berger, Glaubensspaltung, S. 211–217.

215

10.  Und andererseits ...

der kirchlichen Einheit. Denn diese Belastung betrifft nicht nur das Menschenbild der Bibel, sondern auch Züge des Gottesbildes und das Grundverständnis von Liturgie. In der hier vorgelegten Studie wurde erkennbar, wie stark der christliche Glaube jeweils an traditionelle Metaphern gebunden ist. Niemand wird sie abschaffen oder von heute auf morgen umstellen und verändern können, auch nicht zum Zweck einer Modernisierung. Wer das am Ende doch für zweitrangig hält, muß ein schlechthin überragendes Ziel haben: die Einheit in Christus. Freilich betreten diese Überlegungen Neuland und leben auf dünnem Eis.

216

11. Klartext Einerseits kennen wir die Schönheit der göttlichen Liturgie, andererseits die kreatürliche Schönheit einer Frau. Wer Glück hat, bekommt beides geschenkt, ist aber glücklicherweise auch in der Lage, beides zu unterscheiden. Für Frauen auf dem Weg nach Ansehen, die geachtet werden wollen, bleiben nach diesem Buch: Gebet, Diakonie, fast alle Charismen und Prophetie. Diakonie ist der Weg Jesu, Dienen ‚ganz unten‘. Nach Jesus ist das die höchste Ehre. Der Ausschluß der Frauen vom Sakrament der Priesterweihe erinnert uns an die bisweilen schmerzliche Wahrheit, daß Gott und Mensch keine Kumpels sind. Denn gerade dort, im Falle der Frau, wo wir Menschen meinen, Gott besonders nahe zu sein, nahe an ihn heranzureichen, werden wir darauf aufmerksam gemacht, daß Gott den Menschen fremd ist, weil er so groß und heilig ist. Bei den Männern ahnt man das sowieso, bei Frauen wird es uns aufs Auge gedrückt. Es ist neuerdings üblich geworden, jeden Unterschied zwischen Gott und Mensch, jeden Abstand und besonders jeden kritischen Abstand mit Hinweis auf die ‚Liebe Gottes‘ zuzudecken. Eine Theologie der Zukunft kann nur eine sein, die diesen schmerzlich gefühlten Abstand zwischen Gott und Mensch nicht verniedlicht und nicht verkitscht. Davon, daß dieser Abstand ‚auf Kosten‘ der Frauen durch ihre Nicht-Ordination deutlich gemacht wird, 217

11. Klartext

kann nicht die Rede sein. Auch bei den Passionsspielen sind nicht diejenigen ‚benachteiligt‘ oder ‚um ihre Menschenwürde betrogen‘, die nicht Jesus darstellen dürfen. Entscheidend ist allein, daß das Passionsspiel im Ganzen gelingt. Abschließende Thesen

• Frauenordination ist weder biblisch noch katholisch. Nur für den Extremfall gibt es die Möglichkeit einer theologischen Begründung (non obstante papa). • Das Amt kommt aus der Liturgie. Die Liturgie aus der Eschatologie. • Liturgie ist eine dramatische Abbildung des Verhältnisses Gott –  Mensch. Dieses ist nur in Bildern zu denken. • Gott ist vor allem keine Frau (Vergötzung der Sexualität) • Männliche Priester, weil Gott Person und nicht Frau ist • ‚Männer als Priester‘ kippt die Vorrangstellung der männlichen Stars im Sinne der Kreuzestheologie • Gleiches gilt für die Rolle der Sexualität • Gerade dort, wo Menschen Gott nahe zu sein meinen, im Falle einer schönen Frau oder bei der Erzeugung eines Kindes, sagt das Christentum Nein zur ‚gefühlten‘ Nähe zu Gott. • Geweihte Älteste (presbyteroi) kann man aus Frauen nicht machen; ihr Ort aber ist die Prophetie. • Schöne Frau oder schöne Liturgie. Glücklich, wer beides ‚hat‘. Man muß sie nur zu unterscheiden wissen. • Unterordnung oder Unterwerfung (im Sinne des Paulus und der Amtstheologie der Alten Kirche) ist nicht 218

Abschließende Thesen





• •



Unfreiheit oder mangelnde Emanzipation, sondern durchsichtige und vermittelte Ordnung. Abwechslung der Prädikate männlich und weiblich bei übersummativen Ganzheiten (= notwendige Unterscheidung des Gegensätzlichen) Modell Jesus: Glaubwürdigkeit statt Macht. Die Logik ist einfach die, daß jeder, der Jesus konsequent nachfolgt, automatisch jenseits aller Ehren landet. Das ist daher wesentlich eine Frage der Glaubwürdigkeit. Der aufgenötigte Verzicht auf Weihe birgt in sich die Chance, eine einzigartige Glaubwürdigkeit zu erlangen. In der liturgischen Ehrung der Märtyrer werden Jesu Worte vom Ersten als dem Letzten gut ausgelegt. Das Phänomen der Unterordnung gibt es auch in Gott selbst. So wie Jesus nach 1 Kor 11 kein Gott 2. Klasse ist, weil er sich dem Vater unterordnet, sind auch Frauen nicht Menschen zweiter Klasse, weil sie ‚nur‘ Abbild des Abbilds sind. Eine Gemeinschaft von Menschen kann leicht durch eine Frau dargestellt oder repräsentiert werden (Ekklesia, Maria); das gilt auch für die evangelische Gemeinde und die Frau Pastorin.

Am Ende fragte ich, welches die eigenen Denkvoraussetzungen und ‚Konstanten‘ auf dem Weg der Argumentation waren und welche wohl die der vielen kontrovesen Gesprächspartner. Da kam heraus, daß mein eigenes Denken eher auf den klassischen Gegensätzen aufbaut, wie wir sie bei Paulus und Augustinus finden. Daraus wurde hier vor allem wichtig der Gegensatz zwischen Leben (Creator) und Tod (Creatur), ferner der zwischen Gott 219

11. Klartext

und Mensch (erschaffen und zeugen), zwischen ewig (Engel) und sterblich (Mensch). – Freilich waren wir nicht so einfach gestrickt, den Gegensatz von Mann und Frau hier absorbieren zu lasssen. Eher ist es der Gegensatz von Gott und Mensch. Die Gegenseite vertrat häufig in letzter Konsequenz eine Sicht, die nach der Aufhebung der Unterschiede spielt. Demnach ist der Gegensatz von Gott und Mensch gar nicht mehr wichtig, weil alle Menschen ja längst Gottes Kinder sind. Der Gegensatz zwischen Kirche und Welt ist nicht mehr wichtig, weil ja Christus „für alle“ gestorben ist. Oft dachte ich an die Gedankenwelt der Brüder und Schwestern vom freien Geist, die Gebote und Institutionen wie Ehe abschaffen wollten, auch weder Sünde noch Amt akzeptierten. Die Auslegung des „weder Mann noch Frau“ von Gal 3,27 auf Frauen am Altar suggerierte, wir lebten schon nach der Auferstehung der Toten. Alle derartig ungeduldig vorweggenommenen Revolutionen haben Menschen immer mit Haß, Tränen und Blut bezahlt. Gott hat seine eigenen Geschwindigkeiten; mal ist sie wie ein Blitz (Wunder), mal wie das Wachstum von Stalagtiten. – Das Peinliche ist nur, daß diese Art von ‚realisierter Eschatologie‘ sich auf kirchenpolitisch brisante Felder konzentrieren soll, während der Rest des Lebens davon offensichtlich unberührt bleibt (Soziales, Künste, Verhältnis zum Judentum).

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