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German Pages 345 [344] Year 2023
Philosophic & Kritik Herausgegeben von Julia Christ, Daniel Loick, Titus Stahl und Frieder Vogelmann Band 1
Paul Sörensen, Dr. habil., ist Politikwissenschaftler und derzeit Projektleiter am Innovationszentrum Bayern air Diversity und Demokratie.
Paul Sörensen
Präfiguration Zur Politizität einer transformativen Praxis
Campus Verlag Frankfurt/New York
Ut-i,'VERS'17.41 E:BLIOTHEK L
HEIDELBERG
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FSC
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FSC• 0089473
Klimaneutral Popler ornokoan....vern2Analool
ISBN 978-3-593-51694-3 Print ISBN 978-3-593-45404-7 E-Book (PDF) ISBN 978-3-593-45405-4 E-Book (EPUB) Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere far Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernehmen wir keine Haftung far die Inhalte externer Links. Für den Inhalt der verlinkten Seiten sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich. Copyright 0 2023. Alle Rechte bei Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main. Umschlaggestaltung: Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main. Umschlagmotiv: 0 Ralph Hosea Chaplin (1887-1961) (https://commons.wikimedia.org/wiki/File: Anarchist_back cat.jpg), »Anarchist Black Cats, Modifikation durch Lena Kroll und Magda Haug, unter den Bedingungen der https://creativecotnmons.org/publicdomain/zero/1.0/legalcode lizensiert. Satz: le-tex xerif Gesetzt aus der Megreya Druck und Bindung: Seitz Grafische Betriebe GmbH, Bad langensalza Beltz Grafische Betriebe ist ein klimaneutrales Unternehmen (ID 15985-2104-1001). Printed in Germany www.campus.de
Inhalt
Apolitizitätserklärungen — Eine Einleitung
9
1. »Etwas fehlt!« — Für eine auch utopistische kritische politische Theorie
23
1.1 Fünf Diskurse, vier Fragen: Ein Sortierungsversuch
24
1.2 Bildergebot: Kritische Theorie und Utopie
33
1.3 »Irgendwie anders« — Theorie der Zellen einer neuen Welt und Theorie als Zelle der neuen Welt 39
I. Verortungen präfigurativer Politik 2. Das Morgen im Heute — Ein Panorama des zeitgenössischen Begriffsgebrauchs
53
2.1 Die christlich-theologische Vorgeschichte des zeitgenössischen Diskurses 54 2.2 Die sozialwissenschaftliche Vorgeschichte des zeitgenössischen Diskurses 57 2.3 Der zeitgenössische Diskurs
73
3. Exodus als Stellungskrieg. Transformationstheorien im Widerstreit 97 3.1 Transformation: Drei idealtypische Modelle
101
3.2 Revolution als Widerfahrnis: 2iieks weltabgewandter Exodus
104
3.3 Zugleich außen und innen: Weltzugewandte Formen des Exodus
114
6
INHALT
3.4 Hegemonie der Hegemoniestrategie: Zur Fragwürdigkeit des
Apolitizitätsvorwurfs
128
3.5 Zur Politizität von Exoduspraktiken, oder: Weltzugewandter
Exodus als prä.figurative Politik 4. Präsentische Utopie — Eine ideengeschichtliche Spurensuche 4.1 Zum Verhältnis von Anarchismus und Utopie
131 141 144
4.2 Präsentische Utopie — Landauer, Gramsci und die Garküchen
der Zukunft
147
4.3 Hier und Jetzt auch jetzt und hier: Das zeitgenössische
Fortbestehen des präsentischen Utopismus 4.4 Now here! — Morus revisited
175 182
IL Politik der Analyse — Analyse der Politik Vorbemerkung
187
5. Privileging Argument — Eine demokratietheoretische
Apolitizitätserklärung und ihre praktischen Implikationen 5.1 Möglicherweise ideologisch verfasst: Judicial Review und Demokratie
189 195
5.2 Die weln/erschließende Macht der deliberativen
Demokratietheorie
205
6. Ist Schlafen politisch? — Eine juristische Apolitizitätserklärung und ihre theoretischen Grundlagen 215 6.1 Hannah Arendt: Politik und Revolution als Geburtsereignis 220 6.2 >Von diesem scheinbar so Geringen...< — Mit Buber Transformation
von der Zeugung her denken
223
6.3 Nicht stumm! Präfigurative Politik als Praxis, die für sich selbst
spricht
229
6.4 Die Praxis der Protestcamps: Welterschließung und
(Re-)Politisierung
233
INHALT
7
III. Ausweitungen und Auswege Vorbemerkung
241
7. Widerstand findet Stadt - Präfigurative Praxis als transnationale Politik rebellischer Städte
243
7.1 Die munizipalistische Hypothese, oder: Warum Stadt?
246
7.2 Raus aufs Land: Präfigurative Politik auf dem Holzweg?!
250
7.3 Statt Land: Gustav Landauer urbanisieren
253
7.4 Widerstand, transnational
258
8. Eine ‚Genossenschaft von Lernenden und Lehrendem - Pädagogik als Herausforderung des radikaldemokratischen politischen Denkens
267
8.1 Kontingenz und Kontingenzvermittlung - eine
radikaldemokratische Aporie
269
8.2 Radikaldemokratie und Pädagogik - zwei konträre Positionen
(Mouffe und Ranci&e)
275
8.3 Präfigurative Pädagogik - Umrisse einer >unreinen
radikaldemokratischen Bildung
284
IV. Resümee 9. Präfigurative Praxis - ihre Politizität und ihr politischer Erfolg
295
Dank
311
Literatur
313
Mr
_
Apolitizitätserklärungen - Eine Einleitung
EIMAZTE EIKONA AII0 TO MEAAON — so stand es in den Jahren 2011 und folgende, also den Jahren der griechischen und dann auch globalen Finanzkrise, an zahlreichen Hauswänden in ganz Griechenland geschrieben. Dieser Slogan — er kann übersetzt werden mit *Wir sind ein Bild aus der Zukunft« greift in gewisser Weise den Nachhall des legendären Schlachtrufs des Pariser Mai '68 auf, L'imagination au pouvoir, und wendet ihn praktisch — bzw. beansprucht er, ihn bereits praktisch gewendet zu haben. Zugleich erlaubt es der Slogan, sich einen ersten Reim auf Aktionsformen eines globalen Protestzyklus zu machen, von dessen scheinbar plötzlicher Entwicklung und Ausmaß sowohl die Sozialwissenschaften wie auch politische Kommentator*innen durchaus überrascht waren. Der Tahrir-Platz in Kairo, die Puerta del Sol in Madrid, der Zucotti-Park in New York, der Syntagma-Platz in Athen, der Rothschild-Boulevard in Tel Aviv, die Place de la Republique in Paris oder auch der Gezi-Park in Istanbul — sie alle und viele andere sind ab dem Frühjahr 2011 zu Orten und Chiffren dieses neuen Protestzyklus geworden. Trotz mitunter höchst unterschiedlicher Anlässe und Ursachen der jeweiligen Massenproteste war dabei auffällig, dass allerorten gleichartige Praktiken zu beobachten waren: die Besetzung und Aneignung zentraler öffentlicher Plätze und die Errichtung von Protestcamps und Zeltstädten, der Aufbau von Orten der Begegnung und des Austauschs oder auch die Einrichtung solidarischer Produktions- und Konsumnetzwerke. Zugleich war bemerkenswert, dass häufig die Formulierung von Forderungen, die Teilnahme an den verfassten politischen Prozeduren, Verfahren und Institutionen einer repräsentativen Demokratie sowie die Adressierung *klassischer« politischer Instanzen wie Parteien und Gewerkschaften verweigert wurde. Nicht They don't represent us! war im Zuge der US-amerikanischen OccupyBewegung oft zu hören, sondern die weit grundsätzlichere Formel They can't
1.0
APOLITIZITÄTSERKLÄRUNGEN - EINE EINLEITUNG
represent us! Löste dies bei Beobachter*innen aus Wissenschaft, Politik und
Zivilgesellschaft zunächst häufig irritierte Ratlosigkeit aus, so waren alsbald auch Stimmen zu vernehmen, die härter mit den Protestierenden ins Gericht gingen und ihnen attestierten, politisch wirkungslos und letztlich sogar gänzlich unpolitisch zu sein bzw. nicht politisch zu handeln. Vorgetragen wurden diese Kritiken sowohl von wirkmächtigen Politikwissenschaftler*innen wie Theda Skocpol (vgl. Tangel 2012), Chantal Mouffe (2014), Jodi Dean (2012) oder Nancy Fraser (2014), als auch von Aktivist*innen (z.B. Smucker 2014; siehe auch die Debatte in Blumenkranz u.a. 2011) und Politiker*innen. Besonders prägnant brachte dies etwa der spätere deutsche Bundespräsident Joachim Gauck zum Ausdruck, der die Occupy-Bewegung zunächst zwar nur als nicht »ernst zu nehmende politische Aktion« klassifizierte, sie sodann aber als eine der »Darstellung einer empörten Seele« gewidmete »Kunstform« kurzerhand ins Feld ästhetischer Praktiken einsortierte (zitiert nach Michelsen/Walter 2013, S. 24). Aus der Perspektive einer kritischen Politikwissenschaft sollten derartige Etikettierungen als unpolitisch hellhörig machen, ist doch, in den Worten des slowenischen Philosophen Slavoj 2iek, »[im n der menschlichen Gesellschaft das Politische das umfassende Strukturprinzip, so dass jegliche Neutralisierung eines Teilinhalts als >unpolitisch< eine politische Geste par excellence darstellt« (2iiek 2001, S. 259 f.). In einer der ursprünglichen Grundaussage vermutlich gar nicht widersprechenden Modifikation einer Sentenz Carl Schmitts aus dessen Begriffsschrift ließe sich sagen, dass es eine besonders intensive Art und Weise ist, Politik zu betreiben, wenn man sich selbst und den Gegner als unpolitisch hinstellt, wird dadurch doch, mit vermeintlich wissenschaftlichen, objektiven oder unparteiischen Weihen versehen, des Gegners Anliegen als nicht der politischen Behandlung würdig oder den politischen Ablauf unzulässig störend auszuweisen versucht.1 ist damit zum einen angedeutet, dass hinter (rhetorischen) Entpolitisierungsakten immer auch konkrete politische Interessen stehen, so verweist diese Aussage zum anderen auch darauf, dass die Sprachen und Begriffe zur Beschreibung von Welt niemals objektiv oder neutral, sondern stets je konkret machtvoll mit einem bestimmten Sinn versehen und damit auch umkämpft
1 1m Original heißt es bei Schmitt (1963, 21): *In Wahrheit ist es (...) eine typische und besonders intensive Art und Weise, Politik zu betreiben, daß man den Gegner als politisch, sich selbst als unpolitisch (d.h. hier: wissenschaftlich, gerecht, objektiv, unparteiisch usw.) hinstellt.4 Diesen Hinweis verdanke ich Max Klein.
APOLITIZITÄTSERKLÄRUNGEN - EINE EINLEITUNG
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sind. Die wirkungsvolle Besetzung von Begriffen mit einem bestimmten Sinn ist dabei immer auch eine — mal mehr, mal weniger problematische — Herrschaftspraktik. Das gilt sowohl fir die (politische) Alltagssprache wie auch fir das begriffliche Besteck der wissenschaftlichen Analyse — und mithin far den im hiesigen Kontext relevanten Begriff der Politik bzw. des politischen Handelns selbst. In diesem Fall werden bestimmte Bereiche des Daseins, bestimmte Tätigkeitsformen oder bestimmte Subjekte als unpolitisch — also entweder als der politischen Verfügung nicht zugänglich oder als zu politischer Handlungsmächtigkeit nicht befähigt — ausgewiesen. Historisch lassen sich einige Beispiele für solcherart machtförmige Apolitizitätserklärungen konstatieren. Etwa wenn Frauen, als vermeintlich nicht zu Politik befähigte Menschen, der Zugang zur Sphäre der Politik verweigert wurde oder bestimmte Themen und Sachverhalte diskursiv als der Privatsphäre zugehörig und damit der politischen Behandlung unzugänglich dargestellt wurden. Derartige Apolitizitätserklä.rungen werden freilich keineswegs nur in der praktischen Politik im engeren Sinn vorgenommen, sondern auch oder gar vorrangig auf akademischem Terrain, wie etwa Claudia Honeggers Studien zur politisch höchst effektvollen »weiblichen Sonderanthropologie« in der Neuzeit belegen (vgl. Honegger 1991). Die akademische Theorie- und Wissensproduktion nimmt ApolitizitätserIdä.rungen vor oder trägt dazu bei, insofern sie — ob gewollt oder ungewollt spielt an dieser Stelle keine Rolle — durch autoritative Begriffsbestimmungen Instrumentarien zur Deutung der Welt bereitstellt, die bestimmte Interpretationen und Sichtweisen ermöglichen, andere wiederum verunmöglichen. Eine eindrückliche Explikation eines solchen Vorgangs mit Blick auf die hier konkret interessierenden Fragen der (A-)Politizität bestimmter Praktiken findet sich etwa in den Schriften des postkolonialen Historikers Ranajit Guha, der im Eröffnungsband der äußerst einflussreichen Subaltern Studies-Buchreihe britischen Vertretern der History from below vorwirft, bei ihren Analysen ein eurozentrisch-elitäres, weil staatszentriertes und topdown-orientiertes, ausschließlich auf Regierungs- und Verwaltungshandeln basierendes Politikverständnis zugrunde zulegen, das zahlreiche Praktiken invisibilisiere bzw. diskreditiere (siehe Guha 1999 [1983], S. 5 1.). Er hat dabei unter anderem den marxistischen Historiker Eric Hobsbawm vor Augen, dessen Arbeiten (insb. Hobsbawm 1962, dort v.a. S. 13-27) einer Deutung
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APOLITIZITÄTSERKLÄRUNGEN - EINE EINLEITUNG
der indischen Bauernaufstände zu Zeiten der britischen Kolonialherrschaft als präpolitisch Vorschub leisteten.z Guha schreibt: »In all writings of this kind the parameters of Indian politics are assumed to be or enunciated as exclusively or primarily those of the institutions introduced by the British for the government of the country and the corresponding sets of laws, policies, attitudes and other elements of the superstructure. Inevitably, therefore, a historiography hamstrung by such a definition can do no more than to equate politics with the aggregation of activities and ideas of those who were directly involved in operating these institutions, that is, the colonial rulers and [...] the dominant groups in native society.« (Guha 1982, S. 3 f.; siehe auch Chakrabarty 2010, insb. S. 25-30)
Guha bestreitet freilich nicht, dass es diese Form der Politik gab oder diese gar die dominante, vorherrschende gewesen sei, arbeitet aber heraus, dass es sich bei den aufständischen Praktiken der Landbevölkerung auch um politische Praktiken handele, die jedoch anders strukturiert gewesen und anderen politischen Logiken gefolgt seien. Guha bezeichnet sie als Politik des Volkes bzw. der Subalternen. In eine ähnliche Richtung weisen auch die — außerhalb der Politikwissenschaft — vielbeachteten Arbeiten von James Scott, der den in seinen Augen staats- und institutionenzentristischen politikwissenschaftlichen Modellen ein verengtes Politikverständnis und infolgedessen analytische Blindstellen beim Erfassen alltäglicher Protestpraktiken attestiert, die er als Infrapolitik zu beschreiben versucht (z.B. Scott 1989). Eine vergleichbar gelagerte begriffliche, oder auch: begriffspolitische, Verengung des Politikbegriffs liegt meines Erachtens auch dem verbreiteten Unverständnis und der gelegentlichen Herabwürdigung der eingangs erwähnten Platzbesetzungsbewegungen mit ihrer zentralen Aktionsform der Protestcamps zugrunde. Sie machte sich aber auch bei der Analyse anderer Praktiken jüngerer sozialer Bewegungen bemerkbar, wie sie in unterschiedlicher Ausprägung etwa im Rahmen des Altermundialismus der späten 1990er- und beginnenden 2000er-Jahre in Europa und Nordamerika, der (indigenen) Protestbewegungen Süd- und Mittelamerikas (z.B. Piqueteros, Zapatistas) oder unlängst in dem von Murray Bookchin inspirierten demokratischen Konföderalismus in Nord-Syrien und dem mutualistischen
2 In anderen Hinsichten hat sich Hobsbawm durchaus Meriten bei der Perspektiverweiterung bezüglich des vorherrschenden Politikverständnisses erworben, bspw. indem er die Aktionen der Maschinenstürmer als keineswegs irrationale, fortschritts- und maschinenfeindliche Gewaltmanifestationen dechiffrierte, sondern als Akte eines *collective bargaining by riot., und mithin als durch und durch politisch auswies (vgl. Hobsbawm 1952, insb. S. 59).
APOLITIZITÄTSERKLÄRUNGEN — EINE EINLEITUNG
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Netzwerk solidarity4all im krisengeplagten Griechenland der 2010er-Jahre zu beobachten waren. Insofern diese sich in der einen oder anderen Art und Weise staatlichen oder repräsentativdemokratischen Mechanismen verweigern, sich geradezu über die Abständigkeit zu politischen Arenen und deren Regelhaftigkeiten im hegemonialen Sinn definieren, fallen sie durch das Raster solcher Ansätze, die die Adressierung staatlicher Institutionen, die Nutzung verfasster und konventionalisierter Prozeduren und politischer Ausdrucksformen wie Wahlen oder Kundgebungen im landläufigen Sinn oder, anders ausgedrückt, die sprachlich-argumentative, >rationale< und forderungsbasierte Artikulation in einer auf Dialogizität zielenden Öffentlichkeit zum ausschließlichen Kriterium von Politik und (legitimen) politischen Handeln eridären.3 Diese und andere Protestpraktiken sind deshalb freilich mitnichten an sich unpolitisch. Will man sie nicht vorschnell als unpolitisch abtun — und damit nicht zuletzt auch aus dem Aufmerksamkeitsbereich der Politikwissenschaft auslagern —, sowie die Frage nach der Politizität nicht als schlichte Entweder-oder-Entscheidung auffassen, so gilt es, deren eigensinnigen Gehalt und Modus freizulegen und sie möglicherweise als eine andere Form von Politik auszuweisen. Denn die Frage nach der Politizität ist nicht oder nicht grundsätzlich mit Ja oder Nein zu beantworten. Auf eine Weise des deutenden Verstehens wäre somit zu erkunden, wie und warum eine solche Praxis von den Akteuren des Geschehens selbst, aber auch aus einer davon abstrahierenden Warte, als (genuin eigene) Form von Politik zu begreifen ist. Wenn ich mich im Folgendem zu diesem Zwecke immer wieder mit diesen Bewegungen und ihren Aktionsformen beschäftige, so tue ich es nicht primär aus einer bewegungsforscherischen Perspektive im klassischen Sinn, sondern zuvorderst aus einer politiktheoretischen. Ein politiktheoretischer Zugang bedeutet fir mich vor allem Begriffsarbeit und die Analyse von Ideen und ideengeleiteter Praktiken, die das politische Geschehen strukturieren, sowie von Deutungskämpfen, die immer auch im Feld der Theorie selbst ausgetragen werden. Im Hintergrund der vorliegenden Studie steht letztlich als überwölbender Problemzusammenhang der Deutungsstreit um den Begriff der Politik selbst, auf den für etwaige Urteile zu Politizität bzw. Apolitizität zwangsläufig zu rekurrieren ist. Diesen Problemzusammenhang auszuleuchten bedeutet, zu erkunden, in einem welcherart theoretisch struktu3 Mit Blick auf die Occupy-Bewegung und den Movimiento 15-M äußern diese Vermutung etwa
auch Jens Kastner (2012, insb. 65 f.) und Isabel! Lorey (2012a, insb. 29 f.).
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rierten, begriffspolitisch machtvoll gestalteten Raum sich die Frage nach der Politizität wie und mit welchen Implikationen beantworten lässt. Gerade dabei kann nun der einleitend aufgerufene Slogan des griechischen Protestgeschehens einen Fingerzeig geben, handelt es sich doch um eine aktivistische Selbstbeschreibung, die einen Zugang zum Verstehen dessen bietet, was die betreffenden Akteure selbst tun und wie sie sich selbst und ihr Tun verstehen - und was mit den von außen herangetragenen Malyseinstrumentarien womöglich übersehen oder missverstanden werden müsste. Will man das hier interessierende Geschehen - die beanspruchte praktisch-bildliche Vergegenwärtigung eines zukünftigen Zustands terminologisch auf den Begriff bringen, es phänomenal ausleuchten und in seiner womöglich eigensinnigen politischen Potenzialität erschließen, so erscheint mir der Begriff der Präfiguration bzw. der präfigurativen Politik geeignet und hilfreich. Insbesondere in englischsprachigen Zusammenhängen hat die Begrifflichkeit in den letzten Jahren enorm an Popularität gewonnen und das sowohl als Terminus aktivistischer Selbstbeschreibungen, wie aber auch in wissenschaftlichen Analysen aus zahlreichen verschiedenen Disziplinen.4 Die Gegenstandsbereiche der Analysen sind dabei äußert vielfältig, in den Fokus geraten beispielsweise alternative Ökonomien, aktivistische Protestpraktiken, Ökodörfer, Hausbesetzungen, Kommunalpolitik, feministische Selbstermächtigungspraktiken, urbane Gärten, neurechte Landnahmeprojekte, Übersetzungspraktiken, Schulen, Protestcamps, Organisationsstrukturen und Entscheidungsfindungsmechanismen. In der Regel wird Präfiguration dabei als transformationspolitisches Instrument verstanden, das - in unterschiedlichen Ausformungen und mit unterschiedlichen Erwartungen verknüpft - darauf zielt, im Hier und Jetzt, soziale Beziehungen, Praktiken und Institutionen zu etablieren, die einen Vorschein der jeweils angestrebten Gesellschaft darstellen sollen - unter anderem, um qua Exemplarität Motivationseffekte zu zeitigen und
4 Für aktivistische Selbstbeschreibungen siehe etwa die Interviews in Fiedlschuster (2013, insb. S. 261-263) und Ouziel (2021) sowie bei Boyd (2012). Exemplarisch für den wissenschaftlichen Gebrauch siehe Cooper (2016, Politilcwissenschaft), McCowan (2010, Pädagogik). Cornish u.a. (2016, Sozialpsychologie), Sancho (2014, Kommunikationswissenschaften), Williams (2017, Soziologie), Ince (2012, Humangeographie) und Heinonen (2019, Architektur). Die Übersetzung von «prefiguration« oder 'prefigurative politics« in die deutsche (Wissenschafts-)Sprache bereitet offenkundig immer wieder Kopfzerbrechen. Ich werde stets von Präfiguration bzw. präfigurativer Politik sprechen und an gebotener Stelle aufandere Übersetzungsversuche hinweisen, die mitunter durch die je spezifisch gewählte Übersetzung auch an einer Depolitisierung mitwirken.
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um posttransformatorische( Subjektivitä.ten zu erproben und einzuüben. Für eine übergreifende erste begriffliche Bestimmung kann an dieser Stelle die sparsame, äußerst formal gehaltene Definition von Paul Raekstad und Sofa Saio Gradin (2019,10) zur Orientierung dienen, die präfigurative Politik als »the deliberate experimental implementation of desired future social relations and practices in the here-and-now« ausweisen. Der Begriff ist wohlgemerkt keine Neuerfindung, sondern datiert in seiner sozialwissenschaftlichen Verwendung in das Jahr 1977 zurück, wo er vom US-amerikanischen Politikwissenschaftler Carl Boggs (1977a; 1977b) in zwei Aufsätzen zur Charakterisierung von linkskommunistischen, rätesozialistischen und anarchistischen Transformationstheorien und -praktiken um die Wende zum 20. Jahrhundert verwendet wurde, die er mit autoritärleninistischen bzw. sozialdemokratisch-parlamentarischen Ansätzen kontrastierte. Erfolgte dies im zeitlichen Zusammenhang und motiviert durch die Neue Linke und ihre neuen Aktionsformen in den USA der 1960er-Jahre, so wurde Boggs' Terminologie im Zuge diesbezüglicher Untersuchungen zunächst noch aufgegriffen, verschwand dann aber nahezu komplett von der akademischen Bildfläche, um im Kontext von bzw. in Bezug auf die altermundialistischen Proteste ab Beginn der 2000er vereinzelt wieder aufzutauchen, bevor er dann in der Gegenwart in bestimmten Kontexten sozialwissenschaftlicher Forschung geradezu inflationär Verwendung zu finden scheint. Die schiere Menge wissenschaftlicher Indienstnahmen in jüngerer Zeit darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass innerhalb der entsprechenden Publikationslandschaft alles andere als ein Konsens darüber besteht, was mit Präfiguration überhaupt grundsätzlich gemeint ist — und selbiges gilt im Grunde far die aktivistische Debattenlandschaft. Neben zahlreichen empirisch ausgerichteten, an Einzelphänomenen interessierten Studien, in denen oftmals unkommentiert knappe Definitionen eingefiihrt und operationalisiert werden, entstehen mittlerweile zwar zunehmend auch theoretisch elaborierte und historisch informierte Abhandlungen, die den Begriff und damit verbundene Praktiken selbst in den Mittelpunkt stellen, aber eine systematisierende Auseinandersetzung steht bisher noch aus. Vereinzelt hat die Begrifflichkeit inzwischen zwar Eingang in mehr (Leach 2013a) oder weniger (Scholl 2016) akademische Nachschlagewerke gefimden, aber auch hier erfolgt keine überzeugende Sortierung der zum Teil
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APOLITIZITÄTSERKLÄRUNGEN - EINE EINLEITUNG
stark divergierenden Konzepte und Praktiken, die unter der Begrifflichkeit gefasst werden.5 Trotz, oder vielleicht gerade wegen der immer weiteren Verbreitung und Indienstnahme droht die Begrifflichkeit an analytischer Schärfe und Kohärenz zu verlieren, sodass eine systematisierende Sortierung dringend geboten erscheint. Im Rahmen der vorliegenden Studie soll dazu ein Beitrag geleistet werden, indem aus politikwissenschaftlicher Perspektive 1. der zeitgenössische Gebrauch kartographiert, die ideengeschichtlichen Wurzeln ausgelotet und eine Verortung in gegenwärtigen Transformationstheoriedebatten vorgenommen wird 2. in Anknüpfung an obige Überlegungen geprüft wird, ob, inwiefern und mit welchen politischen Implikationen die akademische Theorieund Begriffsbildung die Wahrnehmbarkeit präfigurativer Praktiken (als politisch) ermöglicht oder behindert 3. erkundet wird, inwiefern ein (modifiziertes) Verständnis von präfigurativen Praktiken als politische Praktiken dazu beitragen kann, politikwissenschaftlich innovative Perspektiven einzunehmen bzw. festgefahrene Theoriekonstellationen produktiv zu bereichern. Der Begrifflichkeit der Präfiguration bzw. der präfigurativen Politik kommt damit eine doppelte Rolle zu. Sie soll mir zum einen als Untersuchungsgegenstand dienen, zum anderen aber auch als analytische bzw. analyseleitende Kategorie. In ersterem Fall geht es letztlich darum, der Frage nach der Politizität dieses Instruments nachzugehen. Präfigurativer Politik, so möchte ich zu plausibilisieren versuchen, liegt ein anderes Politikverständnis zugrunde als das in Politik und Politikwissenschaft hegemoniale. Die oben als Hintergrundproblemstellung identifizierte Frage lässt sich dahingehend wie folgt spezifizieren: Was ist »Präfigurative Politik« und in einem welcherart theoretisch strukturierten, begriffspolitisch machtvoll gestalteten Raum lässt sich die Frage nach ihrer Politizität wie und mit welchen (praktischen) Implikationen beantworten? Mit Blick auf Zweiteres geht es mir sodann darum, den analytischen Mehrwert der Kategorie unter Beweis zu stellen, der sich für die
Einen ersten, großen Schritt in diese Richtung haben nun Raekstad/Sofa Gradin (2019) unternommen, allerdings bleibt auch deren Studie, unter anderem in ideengeschichtlicher Hinsicht, unzureichend. Für die vorliegende Studie nicht mehr berücksichtigt werden konnte der air den Spätherbst 2022 angekündigte Sammelband von Monticelli (2022). Einen einführenden Oberblick versuche ich in Sörensen (LV.) zugeben.
APOLITIZITÄTSERKLÄRUNGEN - EINE EINLEITUNG
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politikwissenschaftliche Forschung aus ihrem Gebrauch ergeben könnte. Die vorliegende Studie kann dabei als zusammenhängendes Gesamtwerk gelesen werden, die mehrere Beiträge versammelt, die diesem Anliegen in je eigener Weise dienen, in dem aufeinander aufbauende und ineinander verzahnte Elemente eine fortlaufende, gerichtete Auseinandersetzung mit dem Topos prä.figurativer Politik darstellen. Die einzelnen, kapitelförmigen Bestandteile können jedoch problemlos auch losgelöst voneinander und je für sich zur Hand genommen werden. Den Auftakt bildet ein Kapitel, in dem die Programmatik einer kritischen politischen Theorie skizziert wird. Wenngleich vorgelagert, so ist die dabei umrissene, auch utopistische kritische politische Theorie vom Untersuchungsgegenstand der Arbeit keineswegs losgelöst, sondern nimmt das Präfigurative in dreifacher Weise in sich auf sie hat präfigurative Praktiken zum Gegenstand, wirkt ihrerseits prä.figurativ und ist zudem in ihrer Form präfigurativ verfasst. Um diese Programmatik zu umreißen, werde ich mich sowohl auf Spurensuche bei Vertretern der sogenannten >ersten Generation< der Kritischen Theorie begeben, zugleich aber auch aus anderen Kontexten, wie etwa der Utopie- und Bewegungsforschung, schöpfen. Obwohl einzelne Elemente eines solchen kritisch-politischen Theoretisierens in der vorliegenden Studie zur Anwendung kommen, so unterliegt es den Ausführungen nicht in ihrer Gesamtheit, sondern soll vielmehr künftigen Forschungsprojekten in untersuchungsleitender und orientierender Hinsicht dienen (I.). Der daran anschließende erste, mit Verortungen betitelte Hauptteil der Studie ist einer Lokalisierung des Begriffs der Präfiguration in dreifacher Weise gewidmet. Im ersten Kapitel dieses Blocks soll ein Panorama des zeitgenössischen Begriffsgebrauchs und der sich um den Begriff entspinnenden Debatten geboten werden. Nach einem sehr kurzen Seitenblick auf die theologische Begriffssemantik gilt es zunächst anhand von vier zentralen Referenzautor*innen (André Gorz, Carl Boggs, Sheila Rowbotham und Wini Breines) das Aufkommen des sozialwissenschaftlichen Gebrauchs der Begrifflichkeit in den späten1960ern darzulegen und deren — mitunter umstrittenen — Gehalt herauszuarbeiten, um sodann vor diesem Hintergrund entlang einiger wesentlicher Aspekte und Themenfelder Charakteristika und Ambivalenzen der jüngsten — akademischen wie aktivistischen — Indienstnahmen zu diskutieren und auf dieser Grundlage abschließend auch die Frage nach der Politizität zu adressieren (2.). Im darauffolgenden Kapitel, Exodus als Stellungskrieg, tritt die Vokabel der Präfiguration zunächst etwas in den Hintergrund. Auf der Grundlage von und in kriti-
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APOLITIZITÄTSERKLÄRUNGEN - EINE EINLEITUNG
scher Auseinandersetzung mit Chantal Mouffes theoriepolitisch äußerst wirkmächtiger Differenzierung von Exodus und Stellungskrieg als zwei Versuchen, politische Transformation zu denken, werden eine Sortierung des Feldes >linker< Transformationstheorien der vergangenen Jahre unternommen und Blindstellen des Mouffeschen Deutungsschemas aufgewiesen. In Auseinandersetzung mit den transformationstheoretischen Modellen von Slavoj 2iiek, Antonio Negri und Michael Hardt, Paolo Virno, Isabell Lorey sowie Richard Day und Saul Newman werde ich zwei Formen des Exodus unterscheiden: den weltabgewandten und den weltzugewandten Exodus. Entgegen Mouffes generalisierendem Apolitizitätsvorwurf gegenüber ExodusPraktiken soll Letzterer als dezidiert politische Praxis ausgewiesen werden. Indem ich schließlich präfigurative Praktiken innerhalb des so umrissenen Feldes situiere, können sodann auch Argumente fir deren Ausweis als politische Praktiken gewonnen werden bzw. können aus der Identifikation eines verengten Politikbegriffs bei Mouffe Rückschlüsse auf die theoretisch-begrifflichen Voraussetzung ihrer Diskreditierung als unpolitisch gezogen werden (3.). Ist damit einerseits dem Begriff selbst nachgespürt worden, sowie andererseits eine Einbettung in eine weitere Landschaft zeitgenössischer politischer Transformationstheorien erfolgt, so widmet sich das dritte Kapitel dieses Blocks einer ideen- bzw. praxisgeschichtlichen Spurensuche, mit der die in der gegenwärtigen Debatte in aller Regel unterschlagene Vorgeschichte, der Theorie und Praxis einer präfigurativen Politik avant la lettre, freigelegt werden soll. Dargestellt wird diese Ideengeschichte der präfigurativen Politik avant la lettre als ein spezifischer, vor allem anarchistisch geprägter Strang des Diskurses der politischen Utopie und des Utopismus, den ich als präsentischen Utopismus klassifizieren werde. Das Herzstück der Darstellung bildet eine Auseinandersetzung mit dem politischen Denken Gustav Landauers, dem geradezu paradigmatischen Vordenker einer weltzugewandten, präfigurativen Politik. Insofern präfigurative Politik in der gegenwärtigen Debattenlandschaft vorrangig zu empirisch-analytischen Zwecken Verwendung findet und als u.ntertheoretisiert zu gelten hat, kann sie von den praxisgesättigten theoretischen Überlegungen Landauers durchaus profitieren — was sich erneut etwa hinsichtlich der Frage der Politizität von präfigurativen Praktiken bemerkbar macht. Ein zweites Hauptaugenmerk gilt dem jungen Antonio Gramsci, den ich, pace Mouffe, als Verfechter eines präfigurationspolitischen Ansatzes einführen werde, womit das Konzept der Präfiguration als auch jenseits orthodox-anarchistischer Prämissen anschlussfahig ausgewiesen und die
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Deutung als politische Praxis noch weiter plausibilisiert werden kann. Sehr kursorisch und nur mit knappen Verweisen auf einige zentrale Merkmale wird das Kapitel beschließend das Fortleben der Idee des präsentischen Utopismus auch in zeitgenössischen Bewegungspraktiken aufgewiesen. Gerät dabei in zeitlicher und phänomenaler Hinsicht der bereits in Kapitel 2. behandelte Kontext erneut in den Blick, so wird der Fokus dorr nun auf einen anderen Aspekt gerichtet, nämlich die aktivistische Selbstinterpretation und die Theoretisierung dieser Praktiken als dezidiert utopisch bzw. als utopistische Praxis (4.). Die Beschäftigung mit Landauer ist auch insofern interessant, als sich dabei zumindest zwei Forschungsperspektiven eröffnen, die auf gewichtige Reibungspunkte des präfigurationspolitischen Ansatzes verweisen, von Landauer selbst aber nicht weiterverfolgt wurden. Für die gegenwärtige Forschung zu präfigurativer bzw. transformatorischer Politik sind beide äußerst relevant: die Frage nach (Un-)Arten politischer Vermittlung und diejenige nach den adäquaten territorialen Bezugsgrößen transformatorischer Politik. Beiden Aspekten werde ich mich im weiteren Verlauf zuwenden und ersterer, die Frage der Vermittlung, steht am Anfang des zweiten Hauptteils der Studie. In diesem mit Politik der Analyse —Analyse der Politik betitelten Teil der Arbeit soll vor dem Hintergrund des zuvor dargelegten Konzepts präfigurativer Politik an konkreten Fallkonstellationen analysiert werden, inwiefern politische Theorien und Analysen selbst ('Theorie-) Politik betreiben bzw. politisch wirksam werden. Zunächst wird in Auseinandersetzung mit dem derzeit in Theorie und Praxis äußerst wirkmächtigen Ansatz deliberativer Demokratie herausgearbeitet, inwiefern dieser zu einer — analytischen und normativen — Verengung des Politikbegriffs beiträgt, die einerseits zur Invisibilisierung bestimmter Praktiken fart, sowie andererseits, gleichwohl aber damit zusammenhängend, aufgrund deren normativer Diskreditierung Gefahr läuft, ideologische Effekte zu zeitigen, Herrschaftsverhältnisse zu verschleiern und diese damit zu festigen. Exemplarisch soll anhand der äußerst anspruchsvollen deliberativ-demokratischen Modellierung Cristina Lafonts (2019) dargelegt werden, in welcher Weise solch idealtheoretische Weltbeschreibungen vermittels eines verengten Politikbegriffs implizit wie explizit die Normierung des politischen Geschehens betreiben. Von besonderem Interesse im hiesigen Zusammenhang ist dabei die Frage, inwieweit und mit welchen Konsequenzen spezifischen Handlungsformen eine Politizität bzw. Legitimität zu- oder abgesprochen wird. Präfigurative, konstituierend-welt-
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erschließende Praktiken, so die These, können im Rahmen dieses Ansatzes nicht (als politische Praktiken) erfasst werden (5.). Behandelt das erste Kapitel des zweiten Teils damit exemplarisch die Frage, inwiefern wissenschaftliche Analyse und Theoriebildung selbst politisch agieren, so widmet sich das zweite Kapitel ebenfalls exemplarisch dem Problem, inwiefern und mit welchen Implikationen solcherart verengte Politikverständnisse im alltäglichen politischen Geschehen wirksam werden. Haben wir es im ersten Kapitel mit einer theoretischen Apolitizitätserklärung zu tun, so gerät nun mit einer gerichtlichen Apolitizitätserklärung der machtvolle Deutungsakt eines gewichtigen institutionellen politischen Akteurs in den Blick, der sich üblicherweise selbst als unpolitisch beschreibt. Im Vorfeld des Hamburger G20-Gipfels von 2017 entbrannte ein Streit um die Genehmigung von Protestcamps als politische Versammlung, der letztlich bis vor das deutsche Bundesverfassungsgericht getragen und dort per Eilentscheid bis auf weiteres beendet wurde. Ausgehend von der Annahme, dass dem CampStreit verschiedene Verständnisse von Politik zugrunde liegen, nimmt das Kapitel entlang der Metaphern »Zeugung« und »Geburt« eine Kontrastierung der Politikverständnisse Hannah Arendts und Martin Bubers vor, die als Prüffolie des verhandelten Sachverhalts dienen können. Insofern damit je unterschiedliche Zeitlichkeiten bzw. Zeitpunkte von Politik und politischem Handeln definitorisch gesetzt werden, geraten auch unterschiedliche Phänomene als politisch in den Blick. Nur wenn Politik und Transformation von der >Zeugung< her gedacht werden, so die Argumentation, können auch Protestcamps als politisch in den Blick genommen und im »Geburts«-Verständnis von Politik gründende Verkürzungen vermieden werden. Insofern aber das Gericht ohne weitere Problematisierung einen eher an Arendt orientierten Politikbegriff zugrunde legt, trägt es zur Entpolitisierung gerade auch prä.figurativer Praktiken bei (6.). Der letzte Teil der Studie ist mit Ausweitung und Auswege betitelt und einem etwas anders gelagerten Erkenntnisinteresse gewidmet als die voranstehenden Ausführungen. Präfiguration und präfigurative Politik stehen dabei nun nicht mehr als Untersuchungsgegenstände im engeren Sinn im Fokus, sondern mithilfe der Begrifflichkeit der Prä.figuration soll in zwei ausgewählten Bereichen vor Augen geführt werden, dass sie fir die politikwissenschaftliche Forschung einerseits neue Perspektiven zu erschließen, also mehr zu sehen erlaubt, sowie anderseits Auswege aus theoretisch wie praktisch verfahrenen Konstellationen zu weisen vermag. Im ersten Teilkapitel soll gezeigt werden, dass die Präfigurationsbegrifflichkeit die
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politikwissenschaftliche Forschung im Bereich der Widerstandsforschung zu einer innovativen Interpretation politischer Phänomene in die Lage versetzt. Herrscht in der sozialwissenschaftlichen Forschung bis dato ein defensives Widerstandsverständnis vor, so soll diesem ein proaktives, welterschließendes Konzept von Widerständigkeit entgegenstellt werden. Expliziert wird dies in Form einer Auseinandersetzung mit dem in den letzten Jahren global zu beobachtenden Erstarken munizipalistischer Bewegungen, die von mir als »munizipalistische Präfiguration« gedeutet werden. Diesen Manifestationen proaktiven Widerstands, so soll zudem gezeigt werden, liegt ein zweifacher transnationaler Charakter zugrunde, der im Bestreben globaler Vernetzung sowie dem Anspruch auf »Transzendierung des Nationalen« zu Tage tritt und seinerseits ohne Einbeziehung des präfigurativen Elements nicht vollkommen zu erfassen bzw. zu durchdringen wire. Im Rahmen dieses Kapitels wird sodann auch die oben angedeutete, zweite Problematik des sich aus Gustav Landauers Überlegungen ergebenden Ansatzes der Transformation, die Frage nach den adäquaten territorialen Bezugsgrößen transformatorischer Politik, virulent (7.). Nochmals gänzlich anders gelagert ist sodann das letzte Kapitel, das sich der Frage nach den Möglichkeiten einer radikaldemokratietheoretischen Modellierung politischer Bildung widmet. Zunächst attestiere ich den gegenwärtig viel diskutierten Theorien radikaler Demokratie eine erziehungstheoretische Leerstelle und werde in Auseinandersetzung mit Chantal Mouffe und Jacques Ranci&e zeigen, dass diese Nichtthematisierung in erster Linie in der theoriearchitektonischen Zentralstellung einer als absolut postulierten Kontingenzannahme wurzelt. Infolgedessen sind radikaldemokratische Theorien entweder gezwungen, Fragen der Erziehung unbeachtet bzw. dem Zufall zu (über)lassen, oder aber eine radikaldemokratische Bildung zu propagieren, die ihrem Anspruch auf Abbildung von Grundlosigkeit nicht gerecht werden kann. Ausgehend von dieser dilemmatischen, scheinbar ausweglosen Konstellation werde ich zu skizzieren versuchen, inwiefern mithilfe des Konzepts der Präfiguration eine zumindest radikaldemokratisch inspirierte Antwort auf diese Problemstellung aussehen könnte (8.). Im Schlusskapitel schließlich sollen neben einigen knappen, resiimierenden Bemerkungen zur leitenden Frage nach der theoretischen und begrifflichen Strukturiertheit eines Analyseraums, in dem präfigurative Praktiken (nicht) als politische Praxis in Erscheinung treten können, auch einige tastende Überlegungen zur ihrerseits politisch höchst umkämpften
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Frage nach politischem Erfolg unterbreitet werden. Weit entfernt davon, dort einen erschöpfenden Beitrag zur Problematik leisten zu können, drängt sich diese Fragestellung insofern auf, als — wie im Laufe der Arbeit wiederholt zu sehen sein wird — sie oftmals, wenn auch kategorial unzulässig, mit der Frage nach der Politizität vermengt wird (9.).
1. »Etwas fehlt!« — Für eine auch utopistische kritische politische Theorie «[D]ie kritische Theorie, die wir im Gegensatz zur Skepsis vertreten, [macht] aus der Einsicht in die Schlechtigkeit des Bestehenden und in die Vergänglichkeit der Erkenntnis keinen antitheoretischen Absolutismus, sondern [lässt sichj auch bei pessimistischen Feststellungen von dem unbeirrten Interesse an einer besseren Zukunft leiten.« Max Horkheirner (1938, 52)
Es ist sattsam bekannt: Wie politische Theorie zu betreiben ist, was ihr Gegenstandsbereich ist und was ihre Methoden, Konzepte und Ansätze sind, hat als umstritten zu gelten.1 Bevor ich mich in den nachfolgenden Kapiteln in vielfältiger Weise mit der Theorie, Praxis und Geschichte präfigurativer Politik befassen werde, soll an dieser Stelle auf Grundlage eines idealtypisierenden Sortierungsversuchs politischen Theoretisierens eine zumindest rudimentäre Programmatik einer kritischen politischen Theorie skizziert werden. Diese theorieprogrammatischen Einlassungen sind dabei mit dem Gegenstandsbereich der Arbeit wohlgemerkt in ganz direkter, inhaltlich-substanzieller Weise verbunden: wie zu sehen sein wird, ist das Preifigurative in die im Folgenden zu umreißende Modellierung einer kritischen politischen Theorie in dreifacher Weise integriert. Wenn auch das Verhältnis von Kritischer Theorie und Politik ganz grundsätzlich als ambivalent zu bezeichnen ist (vgl. Bohmann/Sörensen 2019), so verstehen sich die folgenden Ausfiihrungen explizit von dem von Max Horkheimer, Herbert Marcuse und anderen am Frankfurter Institut für Sozialforschung projektierten interdisziplinären Materialismus (vgl. Bonß/Schindler 1982) inspiriert und versuchen, ihm eine spezifische Stoßrichtung zu geben. Nach Spuren im klassischen Textkorpus der Kritischen Theorie suchend, aber auch aus anderen Kontexten schöpfend, möchte ich das spezifische Erkenntnisinteresse und die mögli1 Eine leicht modifizierte Version dieses Kapitels, ist mit etwas anderer Stoßrichtung unter dem Titel Kritische politische Theorie der Priifiguration im Herbst 2022 in der Politischen Vierteljahresschrift erschienen (vgl. Sorensen 2022).
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chen Verfahrensweisen einer auch utopistischen kritischen politischen Theorie herausarbeiten. Eine derartige Modellierung kann künftigen Forschungsvorhaben in untersuchungsleitender und orientierender Hinsicht zugrunde gelegt werden und erlaubt es, einen Schritt über die oft negativistischen Formen kritischen Theoretisierens hinaus zutun, ohne dadurch auf bloß idealtheoretische Bahnen zu geraten.
1.1 Fünf Diskurse, vier Fragen: Ein Sortierungsversuch »Theorie wirft genauso Scheiben ein wie die unsublimierte Aggression. Theorie ist nicht eine Sammlung von Erklärungen, sondern etwas, das die Welt verändern soll und aus diesem Willen geboren ist.« Max Horkheimer (1988, 224)
Ich werde mich zunächst mit einem grundlegenden Bestimmungsversuch und Sortierungsangebot politischer Theorien beginnen. Als ganz grundlegende, meines Erachtens unstrittige Prämisse kann gelten: politische Theorien, ganz gleich, ob sie einem akademischen oder nicht-akademischen Kontext entstammen, geben und/oder analysieren »Antworten auf das Problem überindividueller Ordnung«. Damit ist wohlgemerkt keine Vorentscheidung darüber getroffen, dass Ordnung per se gutzuheißen wäre und der Begriff der Ordnung selbst hat zudem als politisch umkämpfter Begriff zu gelten. Wenn man so möchte, zielen selbst individualanarchistische Ansätze letztlich auf eine, wie auch immer geartete, Ordnung des gelingenden Aneinander-vorbei von zahlreichen Einzigen und deren Eigentum. Eine weitere Grundlage der folgenden Sortierungsbemühungen bildet eine Binsenweisheit — oder zumindest ein Umstand, der als Binsenweisheit gelten sollte: Politische Theorien sind nie einfach nur Theorien über Politik oder das Politische, sondern stets — wenn auch zum Teil uneingestanden — politische Theorien, insofern sie in der Absicht verfasst sind, politisch zu intervenieren. Hatte etwa Charles Taylor in seinen frühen wissenschaftstheoretischen Schriften auf die unhintergehbare Politizitä.t und den ideologischen Charakter einer vorgeblich wertfreien Politikwissenschaft insgesamt aufmerksam gemacht und dabei sowohl auf ihre normativen wie auch >nun erklärenden Spielarten Bezug genommen (z. B. Taylor 1975; dazu auch Rosa 1998, 240-260), so dürfte eine entsprechende Wahrneh-
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mung speziell auch fir den Bereich politischer Theorien spätestens seit den historisch-kontextualistischen Studien der sogenannten Cambridge School of Intellectual History als Gemeinplatz gelten.2 Quentin Skinner, einer der zentralen Köpfe der Cambridge School, dessen bahnbrechender Einfluss Kari Palonen (2003) gar von einer Skinnerian Revolution sprechen ließ, brachte dies im Rahmen seiner Frankfurter Adorno-Vorlesung von 2005 mit Blick auf die ideengeschichtliche Forschung treffend zum Ausdruck: »Meine leitende Annahme ist, daß selbst die abstraktesten Werke der politischen Theorie nie über dem Kampfgeschehen stehen; sie sind stets Teil des Kampfes selbst«, bzw. eine *polemische0 Einmischung in die ideologischen Konflikte« ihrer jeweiligen Zeit (Skinner 2008, 15; dazu auch Honneth 2014). Stark vereinfacht und eine ganz elementare Einteilung Samuel Salzborns aufgreifend ließe sich sagen, dass politische Theorien entweder in der Absicht verfasst sind, »politische Ordnungen zu verändern — oder sie vor Veränderungen zu bewahren« (Salzborn 2017, 11). Als eine den Interventionscharakter politischer Theorien betonende Feindifferenzierung dieser fundamentalen Unterteilung kann die von Oliver Flügel-Martinsen 2008 vorgelegte Studie zu Grundfragen politischer Philosophie gewertet werden, in der er das Feld neuzeitlicher und moderner >westlichen politischer Theorien durch den Ausweis von vier zentralen Diskursen über das Politische kartographiert, welchen jeweils eine Art idealtypisches Kernanliegen und diverse Referenzautor*innen zugeordnet werden: unterschieden werden der begründende, der befestigende, der begrenzende und der befragende Diskurs (vgl. Flügel-Martinsen 2008). Flügel-Martinsen selbst, das wird in zahlreichen späteren Schriften deutlich, votiert dabei für einen befragenden Zugang der politischen Theorie, den er mit einem Modus negativer Kritik verbindet und als zentrale Referenzfiguren der zeitgenössischen Theorielandschaft Michel Foucault, Jacques Derrida und Jacques Rancire benennt, sowie Friedrich Nietzsche als deren intellektuellen *Ziehvater« (vgl. Flügel-Martinsen 2017a, 2010). Abgesehen von einer später noch zu benennenden Leerstelle erscheint mir Flügel-Martinsens Diskursheuristik des Politischen äußerst tragfähig und auch dazu geeignet, meine weiteren Ausfiihrungen begrifflich zu grundieren. Bevor ich sie auf dem Weg zu meiner programmatischen Bestimmung des >Aufgabenspektrums< einer kritischen politischen Theorie 2 Der Sache nach und auf Theorien des Sozialen im Allgemeinen gerichtet, findet sich das bereits
In Horkheimer Aufsatz Traditionelle und kritische Theorie von 1937 (vgl. Horkheimer 1937, 275)
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wieder aufgreife, ist jedoch noch ein anderer Schritt nötig. Dabei möchte ich vorschlagen, die Horkheimer'sche Begrifflichkeit seines >schulbildenden( Aufsatzes Traditionelle und kritische Theorie von 1937 in eine ftir Politikwissenschaftler*innen anschlussfähigere Sprache zu transformieren und infolgedessen statt von traditioneller und kritischer Theorie von legitimatorischer und delegitimatorischer Theorie zu sprechen. Kritische politische Theorien zielen dabei dann auf die Delegitimation bestehender politischer Institutionen und Rechtfertigungsmuster. Dieser Übersetzungsvorschlag versteht sich keineswegs von selbst, handelte es sich bei Horkheimers theoriepolitischen Vorstoß doch zunächst und vor allem um eine erkenntnis- und wissenschaftskritische Intervention gegen solche Wissenschaftsparadigmen, die in seinen Augen in den bestehenden Herrschaftsverhältnissen verstrickt bleiben und diese dabei explizit oder implizit auch affirmieren. Der Aspekt der Herrschaft bzw. ihrer Kritik kann jedoch einen Übertrag auf die theoretische Behandlung der Frage nach der Legitimation bzw. Delegitimation politischer Ordnungen plausibilisieren. Eine Parallele kann insofern gezogen werden, als die von Horkheimer ins Visier genommenen, vorgeblich transzendenten Wahrheits- und Objektivitätsansprüche traditioneller Theorien eine Entsprechung in vorgeblich transzendenten Begründungen politischer Herrschaftsordnungen finden, die es — analog zu traditionellen Theorien — in ihrer machtvollen Partikularität und von Interessen geprägten Gestalt offenzulegen und abzuwenden gilt. Idealtypisierend formuliert sind legitimatorische Ansätze dabei durch den ausschließlichen Anspruch gekennzeichnet, eine Grundlage von Ordnung und/oder Herrschaft auszuweisen, die in aller Regel einen überzeitlichen Status zugesprochen bekommt. Anthropologische Grundlegungen kommen dabei ebenso in Betracht wie >rationalistische< und abstrakt-gerechtigkeitstheoretische oder Mischformen aus diesen und anderen Komponenten. Delegitimatorische Theorie zielt hingegen auf die Aufhebung von Herrschaft in all ihren — mitunter und immer wieder aufs Neue erst zu dechiffrierenden — Facetten, auf die *Emanzipation des Menschen aus versklavenden Verhältnissen« (Horkheimer/Marcuse 1937, 626), und ist damit als theoretische Praxis stets *Politik der Herrschaftskritik« (Buckel/Martin 2019, 244). Als politiktheoretisches Äquivalent zu Horkheimers Vorstellung kritischer Theorie verstanden, verzichtet sie streng genommen auf jegliche positive Aussage über die Verfasstheit politischer Ordnung. Die Unterscheidung von legitimatorischer und delegitimatorischer Theorie bewegt sich wohlgemerkt nicht auf derselben Ebene wie die zu-
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vor unter Verweis auf Salzborn aufgerufene Unterscheidung von ordnungserhaltenden bzw. ordnungsverändernden Zielrichtlingen politischer Theorien. Während delegitimatorische Theorien stets und beständig auf Befragung, Veränderung und die Abschaffung von Herrschaft dringen, kann legitimatorische Theorie in verändernder wie auch konservierender Absicht formuliert werden, je nachdem, ob sie einen bestehenden oder einen anzustrebenden Zustand legitimiert.3 Eine Theorie einer gerechten Idealgesellschaft A la John Rawls wäre so etwa als eine legitimatorische Theorie in verändernder Absicht zu begreifen, wenngleich nicht ganz zu Unrecht immer wieder auch auf die zumindest impliziten konservierenden Anteile verwiesen wurde (schon früh z.B. Fisk 1975). Greift man nun nochmals auf Flügel-Martinsens zuvor aufgerufene diskursive Vierteilung des Raums moderner politischer Theorien zurück, so kann diese als eine feiner ausdifferenzierte Darstellung des von mir unterbreiteten Zweierschemas gelten. Flügel-Martinsen selbst legt das explizit nahe, insofern er darauf verweist, dass der befestigende und der begrenzende Diskurs des Politischen im Grunde nur Varianten des begründungstheoretischen Denkens darstellen (vgl. Flügel-Martinsen 2008, 27). Beide Schematisierungen zusammenführend, ergibt sich folgende Einteilung:
legitimatorische Theorie ,
begriinden
befragen
• befestigen • begrenzen Abb. 1:Theorietypen Quelle: eigene Darstellung auf Grundlage von Flügel-Martinsen 2003
3 Damit gerät mein übersetzungsvorschlag wohlgemerkt in einen gewissen Gegensatz zu Horkheimers programmatischer Bestimmung von 1937, der die Leistung traditioneller Theorie ausschließlich in ihrem Beitrag zur »fortwährenden Reproduktion des Bestehenden« (Horkheimer 1937, 252) sieht.
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Wenn man Horkheimers Begrifflichkeit also derart substituiert bzw. solchermaßen politikwissenschaftlich spezifiziert, so würde meine erste Bestimmung lauten, dass eine kritische Theorie der Politik nicht legitimatorisch verfahren, sondern einen delegitimatorischen Anspruch verfolgen sollte. Hinter diese basale delegitimatorische Bestimmung sollte eine kritische politische Theorie m.E. nicht zurückfallen. In dieser Hinsicht entsprechen sich auch meine und Flügel-Martinsens radikaldemokratietheoretisch informierte Verortung kritischer Theorie(n), deren zentrales Charakteristikum er in einer »grundlegenden Befragung gegebener Ordnungen, Strukturen und Semantiken« sieht, die »vor einem Hintergrund komplexer Machtbeziehungen« (Flügel-Martinsen 2019a, 450) zuverorten sind. Hatte die kritische Theorie Frankfurter Provenienz zwar in den Grundfragen politischer Philosophie noch keine Berücksichtigung gefunden,4 so hat Flügel-Martinsen jüngst in Auseinandersetzung mit Theodor Adornos Denken eine explizite Zuordnung der (frühen) Kritischen Theorie zum befragenden Diskurs des Politischen vorgenommen (ebd.). Dieses Urteil kann aufgrund der Betonung des begründungsskeptischen Wesenszugs trotz der personellen Fokussierung auf Adorno durchaus auch für den breiteren Forschungszusammenhang der Kritischen Theorie eine weitreichende Plausibilität beanspruchen. Paradigmatisch zum Ausdruck gebracht findet sich diese theoretische Grundhaltung etwa bei dem nach wie vor zu wenig beachteten Leo Löwenthal, der die von Herbert Marcuse in den 1960er Jahren der Studierenden- und Bürgerrechtsbewegung anempfohlene Große Weigerung rückblickend einmal als Grunddefiniens der Kritischen Theorie identifizierte: »Genau das Negative war das Positive, dieses Bewußtsein des Nichtmitmachens, des Verweigerns; die unerbittliche Analyse des BeWir stehenden, [...] das ist eigentlich das Wesen der kritischen Theorie. sind die beteiligten Mitarbeiter an der negativen Phase des dialektischen Prozesses.« (Löwenthal 1980, 80) Es ist dies die im ersten Eingangszitat dieses Kapitels angesprochene kritische Theorie, die nicht nur beschreiben und schon gar nicht rechtfertigen möchte, sondern — auch durch Beschrei4 Mit
Jürgen Habermas und Axel Honneth tauchen dort zwar Vertreter der sogenannten zweiten bzw. dritten Generation der Frankfurter Schule auf, allerdings als Protagonisten einer 'Gandanischen bzw. hegelianischen Spielart des Begründungsdiskurses (vgl. Flagel-Martinsen 2008, !Cap. 4 und 5). Das Generationermarrativ, soviel sollte erwähnt sein, ist durchaus um stritten - SIC-
he
Demirovie (2012) oder Claussen (2004). Die Rede von einer *zweiten Generation. stammt ursprünglich wohl von Willem van Reijen (1984), der ihr Jürgen Habermas, Oskar Negt, Alfred Schmidt, Claus Otte und Albrecht Wellmer zuordnete.
ri
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bung — Herrschaft befragen, entlarven und kritisieren, kurzum: theoretisch Scheiben zertrümmern will. Wie Sonja Buckel und Dirk Martin unlängst nochmal hervorgehoben haben, ist sie als kritische Theorie der Politik aufgrund des stets politischen Charakters politischer Theorien immer zugleich »Kritik der Politik und Kritik der hegemonialen Paradigmen politischer Wissenschaft« (Buckel/Martin 2019, 243). Zu diesem Zweck kommen dabei genealogische Verfahren ebenso in Betracht wie dekonstruktivistische oder negativ-dialektisch-gesellschaftstheoretische Zugänge. Keineswegs aber, so denke ich, muss kritische Theorie sich per se darauf beschränken. Wenngleich ich mich der von Fliigel-Martinsen und zahlreichen anderen vorgenommenen negativistischen Bestimmung anschließe, so möchte ich an einer Stelle über dieses solcherart begrenzte Portfolio hinausgehen und far eine nicht nur negativistische Delegitimationsstrategie plädieren. Um diese delegitimationsinterne Differenzierung deutlicher zu markieren, ist zunächst erneut ein Schritt zurückzutreten und die Differenzierung von legitimatorischer und delegitimatorischer Theorie nochmals anders zu adressieren. Um die Unterscheidung von legitimatorischen und delegitimatorischen Theorien noch deutlicher zu konturieren, könnte es sich als gewinnbringend erweisen, sich damit auseinanderzusetzen, welche Fragen eine politische Theorie im Rahmen ihrer Auseinandersetzung mit dem »Problem überindividueller Ordnung« beantwortet bzw. sich zur Beantwortung vorlegt. Mein Vorschlag hierzu ist, zunächst zwischen drei Fragen zu unterscheiden, wovon legitimatorische Theorien die ersten beiden Fragen beantworten und die dritte aus diversen Gründen zurückweisen bzw. unberücksichtigt lassen. Delegitimatorische Theorien hingegen beantworten alle drei Fragen. Bei den Fragen handelt es sich um die folgenden:
— Frage 1: Was ist der Fall? — Frage 2: Was steckt dahinter? — Frage 3: Warum ist das nicht notwendigerweise so? Dabei will ich die ersten beiden Fragen wohlgemerkt nicht im luhmannschen Sinne verstanden wissen. Gerichtet gegen Marx und die kritische Gesellschaftstheorie aus Frankfurt — kulminierend in dem provokanten Schlachtruf »Keine elfte These mehr!« (Luhmann 1993, 249) —, verband Luhmann in seiner Bielefelder Abschiedsvorlesung die erste Frage mit positivistischer Beobachtung und Beschreibung, die zweitere hingegen mit dem kritisch-theoretischen Anspruch auf das Offenlegen tieferlie-
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gender Machtverhältnisse und -dynamiken. Dem deglegitimatorischen Charakter politischer Theorien entsprechend, möchte ich diese Bestimmung dahingehend modifizieren, dass ich die beschreibende oder konstatierende Komponente von Theorien nur der ersten Frage zuordne, wohingegen die zweite Frage auf Erklärung bzw. Rechtfertigung zielt, also der (normativen) Begründung dessen, was der Fall ist (mitunter auch: sein sollte). Die dritte Frage erst führt eine kritisch-befragende Komponente in eine politische Theorie ein, insofern sie explizit darum bemüht ist, die in Antwort 2 gegebene Begründung des in Antwort 1 konstatierten Zustands als fragwürdig und/oder kontingent, d.h. — in den Worten Horkheimers — ihren »Stempel der Bearbeitung« (Horkheimer 1937, 255) aufzuweisen und damit zu denaturalisieren.5 Verknüpft man diese Leitfragen nun mit der basalen Zweiteilung in legitimatorische bzw. delegitimatorische Theorien und der Diskursheuristik nach Flügel-Martinsen, so ergibt sich folgende Übersicht: Leitfrage(n) Was ist der Fall?
' kiirs(e) des Politischen Dis
l
begründen .-befestigen begrenzen
legitimatorisch
Was steckt dahinter?
delegitImatorisch
fragen
Warum ist das nicht notwendigerweise so?
Abb. 2: Leitfragen, Theorietypen, Diskurse Quelle: eigene Darstellung
Anhand einer sehr verkürzten Explikation am Beispiel politischer Eigentumstheorien kann andeutungsweise ersichtlich gemacht werden, wie diese Sortierung in einem konkreten Phänomenbereich wirksam werden würde. Mit Blick auf die erste Frage ist streng genommen noch gar nicht von Theorie zusprechen, insofern es hierbei um rein objektiv beschreibendes Konstatie-
5 Theodor Adorno rügt sich in ein solches Frageschema gewissermaßen selbst explizit ein. In seiner Einleitung in die Soziologie vermerkt er: »Wenn sie mich fragen, was Soziologie eigentlich sein soil, dann würde ich sagen, es muss die Einsicht in die Gesellschaft sein, in das Wesentliche der Gesellschaft, Einsicht in das, was ist, aber in einem solchen Sinn, dass diese Einsicht kritisch ist, indem sie das, was gesellschaftlich >der Fall istFaktizität< geht.6 Mit Blick auf Fragen des Eigentums geben Antworten auf Frage 1 also Auskunft über Arten und Verteilung von Eigentum bzw. dessen Aneignung und finden ihren Ausdruck bspw. im Liegenschaftskataster oder einem Verfassungstext. Wird zudem auch die Frage 2 beantwortet, so wird nicht nur eine dahingehende Aussage getroffen, dass etwas so und so ist, sondern auch erklärt, warum das so ist — oder warum es legitimerweise so ist, wie es ist bzw. so sein sollte. Somit sind dazu einerseits sogenannte deskriptiv-analytische Theorien zu zählen, die nicht nur festhalten sollen, »was der Fall ist, sondern auch erklären oder zu verstehen geben, warum es der Fall ist« (Ladwig 2008, 25). Es sind darunter aber auch jene Theorien zu rubrizieren, die (normativ) rechtfertigen, dass ein bestimmter Zustand gut ist, wie er ist oder dass es gut bzw. besser ware, wenn der Zustand so und nicht anders verfasst wire. Hinter einer Privateigentumsordnung, so könnte man mit Locke und seinen Epigonen sagen, steckt die (bzw. der Anspruch auf) Gewährleistung individueller Freiheit, oder, mit David Hume, die durch die Institution des Privateigentums gewährleistete gesellschaftliche Stabilität. Alle bisher genannten >Artikulationen( sind legitimatorisch: die bloße Antwort auf Frage 1 durch explizite delegitimatorische Enthaltsamkeit; die deskriptiv-analytische Spielart der Beantwortung von Frage I und 2 durch das Selbst(miss)verständnis als — erneut in Horldieimers Worten — »unabhängiges, >suprasozialesreal existierenden Sozialismus< der Sowjetunion stehenden Überlegungen sind gerade auch angesichts des von Karl Popper und anderen nachdrücklich und wirkungsvoll erhobenen Totalitarismusvorwurfs gegenüber utopischen Theorieambitionen interessant. Folgendes hält er in diesem Zusammenhang fest: »[E]s ist ganz sicher so, dass das Grauen, das wir im Ostbereich heute erleben, zum Teil
damit zusammenhängt, dass im Gefolge dessen, was Marx seinerzeit als Kritik an den französischen Utopisten und an Owen vollzogen hat, eigentlich der Gedanke an die Utopie überhaupt aus der Konzeption des Sozialismus verschwunden ist, dass dadurch die Apparatur, das Wu, die Mittel einer sozialistischen Gesellschaft gegenüber jedem möglichen Inhalt den Vorrang gewinnen, denn den möglichen Inhalt kann man ja nicht sagen und soll man nicht sagen.« (ebd.; Hervorh.: PS)
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Entscheidend ist dabei der Verweis auf die Verselbstständigung, die absolute Vorrangstellung der — in ihrer Anwendung potenziell gewaltförmigen — Mittel, die bar einer jeglichen orientierenden oder mäßigenden Zielbestimmung nur noch um ihrer selbst willen angewendet werden (müssen). Die Option einer mit antiemanzipatorischen Mitteln erzwungenen Emanzipation steht in diesem Fall gar nicht mehr zur Verfügung, da der Zweck, die emanzipierte Gesellschaft, im besten Fall noch eine leere Worthülse ist, die aber keinerlei ethische Leitplanken mehr bietet.'2 Eine fehlende fortlaufende Verständigung über Zielvorstellungen, wozu auch das »)Auspinseln< der Utopie« (ebd., 361) gehört, so könnte man Adornos Befürchtung zusammenfassen, mündet in einen potenziell totalitären Autoritarismus der Mittelanwendung um ihrer selbst willen. Andersherum wirdUtopismus damit eine delegitimatorische Potenzialität hinsichtlich einer jeglicher (emanzipatorischen) Ziele beraubten Politik der reinen Mittel zugebilligt, die ob ihrer selbstverordneten substanziellen Indifferenz zumindest latent gewaltförmig ist. Adorno halt sich freilich bedeckt, in welcher Weise und Gestalt ein »Auspinseln der Utopie< in ein kritisches Theorieprojekt einzubeziehen ware, sieht man einmal von dem Hinweis ab, dass eine solchermaßen erweiterte kritische Theorie zu sagen hätte, »was bei dem gegenwärtigen Stand der Produktivkräfte der Menschheit möglich wäre« (ebd., 363).13 Fraglos aber ist damit eine gewisse Öffnung far und Hinwendungsbereitschaft zu utopischen Elementen vollzoge n ,14 die jene Leistung von Utopien anerkennt, 12 Eine spezifische Verquickung von Zweck und Mittel wird als Charakteristikum präfigurativer Politik in den nächsten Kapiteln immer wieder begegnen (vgl. 2.3.4), Vielleicht wenig überraschend, entstehen derartige Überlegungen und Praktiken — wie noch gezeigt wird — in aller Regel als Reaktion auf autoritäre Tendenzen, wobei in der Kritik der xneuen« an der »alten« Linken gerade die vermeintliche ausschließliche Betonung der Ziele Aufmerksamkeit erfuhr. 13 Die nämliche Formulierung findet sich der Sache nach bereits in Horkheimers Aufsatz Traditionelle und kritische Theorie von 1937, wo er diese Aufgabe jedoch dezidiert vom Topos der Utopie abgrenzt. Bezüglich der Idee der »Assoziation freier Menschen«, auf die Kritische Theorie letztlich hinzuwirken habe, schreibt er: »Von der Utopie unterscheidet sich diese Idee durch den Nachweis ihrer realen Möglichkeit aufGrund der gewachsenen Produktivkräfte der Menschen.« (Horkheimer 1937, 272) Diesen Nachweis zu liefern, gehört Horkheimer zufolge durchaus zum Portfolio einer kritischen Theorie. Interessant ist in diesem Zusammenhang die für die Buchpublikation 1968 vorgenommene Einfügung des Adjektivs abstrukt vor Utopie, was für eine explizite Anerkennung und Würdigung der Bloch'schen Differenzierung sprechen dürfte und nur kurz nach Adornos Öffnung für konkret-utopische Überlegungen erfolgt (vgl. Horkheimer 1992,236). 14 Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass Adorno einige Jahre später erneut und vehement die »äußerste Treue zum Bilderverbot« propagierte, »weit über das hinaus, was es einmal an Ort und Stelle meinte« (siehe Adorno 2003c, 616).
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die Bini Adamczak in ihrer zentral um das Thema der Utopie kreisenden Studie Beziehungsweise Revolution pointiert formuliert: Utopien »dienen der Konstruktion temporärer Objekte eines revolutionären Begehrens oder fungieren im politischen Prozess als normativer Maßstab. Sie dienen der demokratischen Verständigung einer Bewegung über ihre Ziele und sind notwendige Konsequenz aus dem Scheitern vorhergegangener Realisierungsversuche von Utopien.« (Adamczak 2017, 47) So verstanden haben Utopien und Utopismus durchaus (oder besser: insbesondere) als relevante Objekte und als Formeigenschaft von kritischen Theorien zu zählen, die sich als »die intellektuelle Seite« (Horkheimer 1937, 268) historischer Emanzipationsprozesse verstehen wollen. Entsprechende Interessensbekundungen an einer utopischen Komponente lassen sich tatsächlich auch in einigen Stimmen der jüngeren Selbstverständigungsdiskurse der K/kritischen Theorie vernehmen, etwa bei Maeve Cooke (2004, 2009), Nikolas Kompridis (2006), Michael Hirsch (2019) oder Hubertus Buchstein, der einer an Kirchheimer orientierten kritischen Theorie als Kritischem Institutionalismus dezidiert die »Beteiligung an der Suche nach [...] institutionellen Alternativen« (Buchstein 2019, 142) anempfiehlt. Zu erwähnen ware in diesem Zusammenhang auch Hartmut Rosa, der seiner schon früh zur Aufgabenbeschreibung einer kritischen Sozialwissenschaft vorgetragenen »politischen Ornithologie«15 von Eule der Minerva und kapitolinischer Gans (vgl. Rosa/Willems 1999, 466) unlängst die Figur des Phoenix hinzugefügt hat, welcher fir die erschließende Funktion der Sozialwissenschaften als »Labor für eine bessere Gesellschaft« steht (vgl. Rosa 2013, o. S.) und etwa in den Jenaer Forschungen zu den Konturen einer Postwachstumsgesellschaft durchaus eine materielle Anreicherung erfahrt (vgl. Dörre u.a. 2019). Verbreitet ist in diesem Zusammenhang die beflissene Beteuerung, dass die Integration einer utopischen Komponente keinesfalls in die sozialwissenschaftliche Produktion finalistischer Utopien in Form von Blaupausen und konkreten Anweisungen münden solle (z. B. Rosa 2019,241; Cooke 2009, 119), worin in eigentümlicher Weise eine Überschätzung des eigenen Status von Intellektuellen (dazu Adamczak 2017, 264) sowie eine theoriepolitische Unterwerfungsgeste angesichts der Wirkmächtigkeit eines auf Pop'
15 Diesen Ausdruck verdanke ich meinem Freund und langjährigen Kollegen Martin Oppelt. Fur eine ganz anders gelagerte Auseinandersetzung mit Utopie und Utopismus im Kontext der K/kritischen Theorie der jüngeren Zeit siehe Chrostowska (2019).
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per und andere zurückgehenden (neo-)liberalen Antiutopismus zusammenfließen. Wenn ich nun fur eine auch utopistische kritische Theorie der Politik plädiere, so geht es auch mir freilich nicht um intellektuelle Blaupausen, die die politischen Philosoph*innen als »Auflösung aller Rätsel in ihrem Pulte« (Marx 1844b, 344) liegen haben, nicht um ein für alle Male feststehende Modellierungen, die einen absoluten Geltungsanspruch erheben, technizistisch umzusetzen und zu diesem Zwecke bloß an >die Massen( weiterzugeben wären. Zugleich aber sollte — und kann — eine kritische politische Theorie mehr leisten, als sich auf ihren »befragenden( Aspekt zu beschränken, die Negativität zu fetischisieren und die Offenheit emanzipatorischer Kämpfe grundsätzlich zu hypostasieren (so auch Adamczak 2017,265). Freilich sollen nicht unbedingt wieder klassische Staatsromane geschrieben werden; vielmehr müsste die utopistische kritische Theorie — um einen Ausdruck Walter Benjamins aus einem anderen Kontext aufzugreifen — »irgendwie anders« verfahren.
1.3 »Irgendwie anders« — Theorie der Zellen einer neuen Welt und Theorie als Zelle der neuen Welt Worin könnte dieses Wie also könnte dieses »irgendwie anders« bestehen? Wie könnte — dabei die der utopistischen Selbstbeschränkung zugrundeliegenden Bedenken ernst nehmend — der Hinweis Herbert Marcuses begriffen und umgesetzt werden, dass kritische Theorie zwar »keine Angst vor der Utopie hat« (Horkheimer/Marcuse 1937,637), es aber »nicht mit der Verwirklichung von Idealen zu tun [hat], die an die gesellschaftlichen Kämpfe herangetragen werden« (ebd., 639)? Nicht viel mehr als einen Fingerzeig, wie man sich dieser Problemstellung nähern könnte, liefert Horkheimer selbst in seinem programmatischen Aufsatz zur kritischen Theorie, wenn er ganz beiläufig vermerkt, dass bereits »[i]n der Organisation und Gemeinschaft etwas von der Freiheit und Spontaneität der Zukunft der Kämpfenden aufscheint]« (Horkheimer 1937, 271). Diesen Fingerzeig gibt deutlich später auch Herbert Marcuse in seinem Eindimensionalen Mensch, wenn er in den diversen Praktiken und Organisationsformen emanzipatorischer und herrschaftskritischer Bewegungen einen auf »empirischem Boden« realisierten »transzendenten Entwurf« erkennt, mit dem »reale Möglichkeiten« vorweg-
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genommen werden (vgl. Marcuse 1994, 235, 231, 227).16 Damit bekommt eine nicht distanziert normativ konstruieren wollende kritische Theorie eine Richtung gewiesen für eine erste Annährung an »Utopie«. Eine auch utopistische kritische Theorie der Politik müsste, so ließe sich nämlich daraus folgern, den Blick zuvorderst auch auf bestehende politische Bewegungen richten und dabei wahrnehmen und analysieren, dass, wo und wie in deren Praktiken und eigenen Theorien der Anspruch auf ein anderes und besseres Miteinander explizit wie implizit verkörpert ist — wo also Utopien, so kleinteilig und unzureichend das auch der Fall sein mag, im Hier und Jetzt »von unten« experimentell produziert und gelebt werden. Sie würde dann nicht vorrangig selbst Utopien produzieren, sondern theoretische wie praktische Utopien aus emanzipatorischen Bewegungen zum Gegenstand machen — und zwar zum Gegenstand der Analyse wie auch des dialogischen Austauschs mit den Bewegungsakteuren selbst, um so dem Anspruch auf die Herausbildung einer dynamischen Einheit von Theorie und Praxis gerecht zu werden (dazu Horldieimer 1937, 269).0 Eine solche kritische Theorie der Politik würde die Utopien organischer Bewegungsintellektueller sowie konkrete Utopien, die im Hier und Jetzt 16 Für Marcuse, darauf sei hingewiesen, ist Transzendenz in diesem Zusammenhang durch und durch innerweltlich zu verorten: »Die Ausdrücke ,transzendieren( und )Transzendenz. werden durchweg im empirischen, kritischen Sinne verwandt: sie bezeichnen Tendenzen in Theorie und Praxis, die in einer gegebenen Gesellschaft fiber das etablierte Universum von Sprechen und Handeln in Richtung auf seine geschichtlichen Alternativen (realen Möglichkeiten) ,hinausschie!km.« (Marcuse 1994, 13) Auf die Lesart Herbert Marcuses als Denker antizipatorischer, sprich prifigurativer Praktiken bin ich durch Oliver Marchart (2019) aufmerksam geworden, der darin ein Denken gegenhegemonialer Politik erkennt. 17 Unweigerlich wirft das die Frage nach den Charakteristika emanzipatorischer Bewegungen auf. Wenngleich dies letztlich umkämpft bleiben dürfte und ein gewisses dezisionistisches Moment im Forschungsprozess bedeutet, so möchte ich einem Vorschlag Oliver Marcharts folgend die Selbstverortung im «demokratischen Horizont« zum Kriterium machen (vgl. Marchart 2019,155). Es handelt sich dann urn Bewegungen, die sich in den — seinerseits umkämpften — Wertekontext der Französischen Revolution einschreiben und für eine verschränkte Realisation von Freiheit, Gleichheit, Solidarität und demokratischer Selbstregierung kämpfen sowie deren Vertiefung und Ausweitung in immer weitere Gesellschaftsbereiche forcieren. Anknüpfend an Judith Butlers jüngste Studie wären soziale Bewegungen zudem dann als emanzipatorisch zu bewerten, sofern sie sich — zumindest im Inneren bedingungslos — der Gewaltlosigkeit verschreiben, Gewaltlosigkeit dabei verstanden als Signum «eines neuen egalitiren Imaginären« (Butler 2020, 67). Ein weiteres, anders gelagertes Kriterium könnte die selbstreflexive Beantwortung der oben genannten, theorieprogrammatischen Fragen durch eine Bewegung sein. Ein in diesem Sinne paradigmatischer Ausdruck eines emanzipatorischen Bewegungsbewusstseins ist etwa der zapatistische Slogan Preguntando caminamos (Fragend schreiten wir voran).
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Transformation und Anders-sein-Können experimentell erproben, kritisch reflektierend begleiten, sie sichtbar(er) machen und verbreiten. Sie könnte somit für emanzipatorische Bewegungen ebenso als Dokumentarin und als kritische Gesprächspartnerin dienen, wie auch — in ihrer ideengeschichtlich informierten Ausprägung — als Archivarin fungieren, die konkrete historische Experimente und Erfahrungen speichert, kritisch reflektiert und durch die Zeit transportiert, um künftigen emanzipatorischen Kämpfen als Munition oder auch als Warnschild zu dienen (vgl. dazu Llanque 2008; Ranci&-e 2013). Im Aufweisen gegenwärtiger, wie auch im Aufbewahren vergangener experimenteller utopischer Praktiken besteht dabei auch der wesentliche delegitimatorische Beitrag, den sie zu leisten imstande ist, insofern damit der performative Nachweis von realen Alternativen zu vermeintlichen Alternativlosigkeiten erbracht wird. Praktisch delegitimiert wird dabei also die behauptete Unverfügbarkeit, die angebliche Alternativlosigkeit einer spezifischen gesellschaftlichen Formation. Orientierung für ein derartiges Unterfangen einer »utopian extrapolation« (Graeber 2007, 310) können Ansätze bieten, die nicht dem Spektrum Kritischer Theorie im engeren Sinne zuzuordnen sind. So kann stellvertretend air ein ganzes Bündel an Arbeiten aus dem Bereich der Utopieforschung etwa auf die Studien Rhiannon Firths (z.B. 2012, 2019) hingewiesen werden, die die Erträge einer ethnographisch unterfütterten politikwissenschaftlichen Beschäftigung mit bereits im Hier und Jetzt existierenden Utopien hervorhebt, wovon sie sich eine Inspirationsleistung für künftige soziale Kämpfe ebenso erhofft, wie auch einen Beitrag zum internen Selbstverstindigungsprozess von Bewegungen über Spannungen und Probleme, die sich im Rahmen derartiger utopischer Praktiken ergeben. Die von ihr genannte Bestimmung eines mit sogenannten intentionalen utopischen Gemeinschaften befassten methodologischen Utopismus weist deutliche Parallelen zu einer von mir anvisierten, in zweierlei Hinsicht delegitimatorischen kritischen politischen Theorie auf: »A key function of utopianism is to critique and transgress taken-for-granted assumptions and to reveal them as political choices rather than ontological necessities. Intentional communities posit alternatives: gift economies, face-to-face relationships and consensus decisions in small, loosely federated groups. In so doing, they de-naturalise taken-forgranted assumptions about human nature, economy and belonging. This is both a critical and a utopian approach.,(Firth 2019, 504)
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Aus dezidiert politiktheoretischer Perspektive hat vor einigen Jahren auch der kanadische Politikwissenschaftler James Tully eine Lanze fur die dialogische Erforschung praktischer Utopien gebrochen. Aufgrund einer unverhohlenen Skepsis hinsichtlich der Problemlösungsfähigkeiten von Staaten und ihrer repräsentativen Institutionen angesichts globaler Krisen, richtet Tully seinen Blick auf diverse aktivistische Praktiken, in denen er Manifestationen einer gegenhegemonialen transformativen cooperative citizenship erkennt, die »begin to bring the other world of change into being here and now« (Tully 2010, 28). Mit Verweis auf Kropotkin erkennt er in derartigen konkret-experimentalistischen Projekten vielfältige mutualistische Sorgepraktiken, die den Sozialwissenschaften als »social science laboratories« (ebd., 15) dienen sollten, in denen mögliche innovative und emanzipatorische Probletnlösungs- und Vergesellschaftungsmodi praktisch erprobt werden. Solcherart aktivistisches Wissen und Erfahrungen einerseits für die politiktheoretische Forschung frucht- und nutzbar zu machen, sowie andererseits politiktheoretische Expertise in die Bewegungen zurückzuspielen, war bereits das zentrale Anliegen des von ihm Anfang der 2000 Jahre propagierten Ansatzes einer Political Philosophy as Critical Activity (vgl. Tully 2008,15-38) bzw. einer Public Philosophy, die er zwar im akademischen Betrieb verankert sieht, aber »in a relationship of reciprocal elucidation with the parties engaged in struggles« stehend wissen will, »where research illuminates the limitations and possibilities in practice and practice tests the relevance of theory« (ebd., 315).18 Als von diesem Geist getragen kann etwa das von Erik 0. Wright initiierte und mit einem theoretischen Unterbau einer emanzipatorischen Sozialwissenschaft versehene (vgl. Wright 2017) Real Utopias-Project gelten, aus dessen mehrjähriger Arbeit eine mittlerweile sechsbändige Buchreihe hervorgegangen ist, die sich den alternativen Entwürfen und existierenden Praktiken realer Utopien in den »Räumen und Rissen der kapitalistischen Welt« (ebd., 11) widmet und dabei Themenfelder wie alternative Ökonomien, partizipatorische Demokratieformen und Geschlechtergerechtigkeit adressiert. Auch die ganz wesentlich von Ernst Bloch inspirierten Forschungsarbeiten der britischen Politikwissenschaftlerin Davina Cooper zu alltäglichen Utopien (vgl. Cooper 2014) und 18 Ähnlich auch
in seinem Paper zu Cooperative Citizenship: »This would be a kind of academic research that enters into a dialogical relationship of mutual learning between academic knowledge of the global problems and the practical knowledges generated by democratic citizens confronting these global problems on the ground.. (Tully 2010, 37)
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Ruth Levitas' (2013) sozialwissenschaftlicher Ansatz einer Imaginary Reconstitution of Society (IRS) widmen sich explizit einer dialogischen Erkundung präsentischer Utopien, wobei insbesondere Letztere auch den proaktiven Beitrag der politik- und sozialwissenschaftlichen Theorie beim Entwerfen alternativer institutioneller Konstellationen betont, das sie im architectural mode des IRS-Projekts verortet: »The architectural mode is precisely what characterizes the literary form of utopia, and gives it its sociological character. It involves the institutional design and delineation of the good society — and, in the case of intentional communities or prefigurative practices, its partial concrete instantiation.« (Levitas 2013, xvii) In beiden Ansätzen, Davina Coopers ebenso wie Ruth Levitas', wird die welterschließende und transformationsermöglichende Potenzialität intentionaler, präsentischutopischer Projekte hervorgehoben, aus der auch eine kritische politische Theorie schöpfen könnte. Indem die politik- und sozialwissenschaftliche Forschung sich explizit reale Utopien, Orte des Anders-seins, als Objekte der Analyse vorlegt, erhalt, wie eingangs bereits angedeutet, auch der Topos des Prafigurativen Einzug in die Theorie. Präfigurative Praktiken, gelebte Antworten auf die Frage, wie es anders bzw. besser sein könnte, werden als ihr Gegenstand Teil eines entsprechenden utopistischen Theorieprojekts. Insofern sich die jeweilige Theorieproduktion dabei in ein kritisch-solidarisches Verhältnis zu solchen Praktiken setzt, nimmt sie die Form einer — nach innen wie außen — kritischen politischen Theorie an.I9 Damit ist jedoch lediglich eine Dimension des Präfigurativen in kritischen politischen Theorien angesprochen. Daneben, so möchte ich zeigen, lassen sich noch zwei weitere Dimensionen identifizieren. 19 Adornos vielzitiertes Diktum von der (vermeintlichen) Unmöglichkeit des richtigen im falschen Leben könnte nahelegen, dass Alctivist"innen wie Theoretiker*innen tunlichst ihre Finger von solcherart prifigurativen, Befreiung nur vorgaukelnden Experimenten im Kleinen lassen sollten (vgl. Adorno 20036, 43). Dem steht eine Bemerkung aus der 1956/57 gehaltenen Vorlesung Probleme der Moralphilosophie entgegen, mit der Adorno geradezu zur Präfiguration aufruft: .Man sollte, so weit es nur irgend möglich ist, so leben, wie man in einer befreiten Welt glaubt leben zu sollen, gleichsam durch die Form der eigenen Existenz, mit all den unvermeidbaren Widersprüchen und Konflikten, die das nach sich zieht, versuchen, die Existenzform vorwegzunehmen, die die eigentlich richtige wire. Dieses Bestreben ist notwendig zum Scheitern und zum Widerspruch verurteilt, aber es bleibt nichts anderes übrig, als diesen Widerspruch bis zum bitteren Ende durchzumachen. a (Adorno 1957, S. 227) Wenngleich präfigurative Politik keineswegs per se vor eskapistischen, ideologischen Tendenzen gefeit ist, so erkennt Adorno damit zumindest grundsätzlich ihre transformatorische Potenzialität an.
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Das Präfigurative kann in einer kritischen politischen Theorie zum einen
auch insofern aufscheinen, als sie selbst auf konzeptueller, begrifflicher und modellierender Ebene welterschließend wirksam wird. Die Sozial- und Rechtsphilosophin Margaret Davies greift zur Beschreibung dieser Leistung explizit auf die in aktivistischen Kontexten verwendete Terminologie der präfigurativen Politik zurück, und versucht diese auch Far die (akademische) Theorieproduktion fruchtbar zu machen: »Mheory has an important role in reimagining the world and prefiguring the future [...] For many years, activists have used the term prefigurative politics< to refer to a mode of activism that imagines the future and to bring it into the present as a model of life. In the absence of epic revolutionary change, prefigurative politics encourages people to >be< the change, or to live as far as possible as though the conditions for an improved society are already with us. In this way, activism becomes constructive rather than negative, critical or idealistic. [...) The theoretical parallel, developed in conjunction with materialist-performative-new empiricist approaches, is that theorists also have choices over our abstractions and can prefigure and thereby test alternative conceptual resources. I...1 Clearly, as theorists, we cannot make anything, since even a theoretical performance has to be meaningful and therefor relate at some point to existing constructions, even as it might attempt to move beyond them. The present and past are a constraint on what can be prefigured. At the same time, a thought of utopia [...) is intrinsic to prefigurative theory.« (Davies 2016, 39)
In ganz ähnlicher Weise hat auch Davina Cooper in jüngeren Arbeiten ffir eine Modellierung politischen Theoretisierens als — aktivistische präfigurafive Praktiken flankierende — conceptual prefiguration plädiert, die »centres on developing new meanings and imaginaries rather than tracing prefigurative forms of practical politics« (Cooper 2017, 336; auch Cooper 2020). Tritt diese — dem »klassischen« Genre des Utopismus am nächsten kommende — Komponente hinzu, so rangiert eine solchermaßen utopistische bzw. präfigurafive kritische politische Theorie gegenüber ihren Adressat*innen nicht nur als Dokumentarin und Archivarin, sondern auch als Stichwortgeberin flit sozialen Wandel. Versteht man dieses Tun nicht nur in einem deskriptiv-erschließenden Sinne,20 sondern als dezidiert präfigurative Überlegungen, die auf Model-
20 In einer solchen Erschließungsfimktion erkennt Mattias Iser einen wesentlichen Beitrag gesell
schaftstheoretischer Analysen fir Gesellschaftskritik. Dabei geht es um das Offenlegen bisher ungesehener Zusammenhänge ode r der Freilegung tieferliegender Ursachen spezifischer Fhinomene (vgl. Iser 2008,66). Als erschließend in konzeptuell-präfigurativer Hinsicht könnte bsptv auf Kimberle Crenshaws Ende der 1980er Jahre eingeftthrten Begriff der Intersektionalitit tier-
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lierungen guter bzw. besserer Formen des Miteinanders zielen, so sähe sich eine derart verfahrende kritische politische Theorie mit einer unaufhebbaren Widersprüchlichkeit konfrontiert, zöge doch mit dem präfigurativen Anspruch unbestreitbar ein begründendes, legitimatorisches Element — und damit eine gehaltvolle Normativität — in sie ein. Im Kontext der Kritischen Theorie sind demgegenüber bekanntlich zumindest zwei Bedenken vorgebracht worden. Einerseits bezüglich der damit potenziell einhergehenden paternalistischen Bevormundung politischer Akteure, andererseits hinsichtlich der möglichen Verstrickung in bestehende Herrschaftsverhältnisse.' Beide Bedenken sind nicht von der Hand zu weisen und sollten durchaus ernst genommen werden. Wenngleich meines Erachtens keine Möglichkeit besteht, diese Bedenken grundsätzlich aus der Welt zu räumen, so lässt sich womöglich ein Weg kritischen Theoretisierens skizzieren, wie ihnen gleichzeitig auf eine Weise begegnet werden kann, die sie weder leugnet noch sich von ihnen paralysieren lässt. In Ermangelung einer besseren Bezeichnung werde ich von kritischer Normativitätn sprechen. Zunächst zu Zweiterem: Das positive Reden über oder von Normen, so eine verbreitete, nicht völlig unplausible Annahme, laufe Gefahr, sich ungewollt zum Komplizen der herrschenden Verhältnisse zu machen, da es sich unvermeidlich begrifflich und kategorial in deren Bahnen bewegen muss und damit an ihrer Reproduktion mitwirkt. Bei Horkheimer begegnet diese Befürchtung im entschiedenen Verdikt, dass der kritische Theoretiker den »Kategorien des Besseren, Nützlichen, Zweckmäßigen, Produktiven, Wertvollen« (Horlcheimer 1937, 261) ausschließlich als etwas ihm Verdächtigem zu begegnen habe. Für die Theoriebildung kann das a-normativistische Konsequenzen haben. Angesprochen ist damit eben jenes Dilemma, das Micha Brumlik einmal als Wurzel eines utopischen Quietismus im politischen Handeln identifiziert hat und das gleichermaßen auch auf das (normative) politische Theoretisieren übertragen werden kann: »In dem Ausmaß, in dem die Heillosigkeit der Welt nach veränderndem Handeln schreit, wird
wiesen werden (vgl. Crenshaw 1989). Derartige Erschließungen reagieren somit gewissermaßen auf die von Miranda Fricker (2007) als hermeneutical injustice bezeichneten Konstellationen. 21 Ein hervorragender Aufsatz zur Normativität der Kritischen Theorie stammt von Bittlingmayer, Demirovie und Bauer (2011). Lesenswert in diesem Zusammenhang ist auch Raymond Geuss' (2019) jüngste Attacke auf )reinnormative< Ansätze im Umfeld der Kritischen Theorie. 22 Damit meine ich wohlgemerkt gerade nicht dasselbe wie Flügel-Martinsen (2010, S. 147), der die Begrifflichkeit schon vor Jahren gebraucht hat, sie jedoch zur Charakterisierung des rein negativistischen, befragenden Kritikmodells reserviert.
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jede Handlung durch die Einsicht in ihre Verstrickung in eben diese heillose Gegenwart diskreditiert. Ein utopischer Quietismus ist die Folge« (Brumlik 1986, 39). Eben darin gründet der oben verhandelte Grundimpuls zu einer negativistischen Theorie und eingedenk einer als >total verwaltet< empfundenen Welt ergibt es durchaus Sinn, jegliche positiv-normative Betätigung radikal und kategorial zu verweigern. Gleichwohl aber nötigt Horlcheimers Postulat der Verdächtigkeit keineswegs zwangsläufig zu einem umfassenden utopietheoretischen Defitismus, muss Normativität nicht rundheraus eine Absage erteilt werden. Entscheidend dürfte vielmehr sein, einen Zugang zu und Umgang mit Normativität zu finden, der deren Verdächtigkeit in Sachen Komplizinnenschaft zu den herrschenden Verhältnissen gerecht wird. Einen Zugang zu einer die kritische Theorie orientierenden Normativität legt Horkheimers oben bereits erwähnte Überlegung nahe, dass in den Praktiken widerständiger emanzipatorischer Bewegungen etwas anzutreffen sein könnte, worin die noch zu erkämpfende Zukunft bereits aufscheint (vgl. Horkheimer 1937, 217), worin also eine neue Normativität zumindest in Umrissen erkennbar wird, die auch als Stimulans normativer Modellierungen einer kritischen politischen Theorie fungieren kann. In dieser Weise, der Verpflichtung auf Praxis als — auch in normativer Hinsicht — »Kraftquelle von Theorie« (Adorno 2003d, 782), wird der Versuchung prozedural Vorschub geleistet, bloß hehre Ideale von außen an die gesellschaftlichen Kämpfe heranzutragen und dadurch womöglich gar als Kritik Ideologie zu sein (dazu Reitz 2017; Geuss 2019). Eben darin sieht Marcuse die Differenz zur Philosophie, die in seinem Verständnis in etwa dem gleichkommt, was oben mit Flügel- Martinsen als begründender Diskurs des Politischen eingefithrt wurde: »Minders als die Philosophie gewinnt sie [die kritische Theorie; PS] ihre Zielsetzung immer nur aus den vorhandenen Tendenzen.« (Horkheimer/Marcuse 1937, 637). In puncto Zugang wäre somit festzuhalten, dass die primäre Quelle von kritisch-theoretischer Normativität in emanzipatorischen Bewegungen verortet werden sollte. Dieser Primat der Bewegtmgsnormativitä.t in Fragen des »Zugangs zu« impliziert aber keine prinzipielle *Unantastbarkeit« derer Normen bei ihrer Aufnahme in eine kritische politische Theorie. Damit ist die Frage nach dem »Umgang mit« angesprochen. Denn kritische Normativität kann und soll nicht bedeuten, entsprechende Praktiken und Ideale der Bewegungen bloß affirmativ zu duplizieren oder mit theoretischen Weihen zu versehen. Auch auf diesen Punkt hat bereits Horlcheimer in einer näheren Bestimmung der Beschaffenheit der von ihm
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propagierten dynamischen Einheit von Theorie und Praxis mit Blick auf die suspekt gewordene Arbeiter*innenschaft hingewiesen: »Eine Haltung, welche (...) ihre Richtschnur von Gedanken und Stimmungen der Massen bezöge, geriete selbst in sklavische Abhängigkeit vom Bestehenden. Der Intellektuelle, der nur in aufblickender Verehrung die Schöpferkraft des Proletariats verkündigt und sein Genüge darin findet, sich ihm anzupassen und es zu verklären, übersieht, dass jedes Ausweichen vor theoretischer Anstrengung, die er in der Passivität seines Denkens sich erspart, sowie vor einem zeitweiligen Gegensatz zu den Massen, in den eigenes Denken ihn bringen könnte, diese Massen blinder und schwacher macht, als sie sein müssen.« (ebd., 267 1.; Hervorh.: PS)
Horkheimer ist in dieser Hinsicht zuzustimmen und gleichwohl ist darauf zu insistieren, dass kritische Normativität auch keine »Einbahnstraße« sein sollte. Bei aller Berechtigung der Horldieimerschen Haltung, trägt sie potenziell doch eine gewisse Arroganz des Theoretikers zur Schau, die die Herstellung eines »zeitweiligen Gegensatzes« einseitig aufdessen Seite sieht und in der Marx' fragwürdige Unterscheidung von Kopf und Herz der Emanzipation widerhallt (vgl. Marx 1844c, 391; dazu auch C,elikates 2009). Den Gefahren einer Verstrickung in bestehende Herrschaftsverhältnisse, aber auch der paternalistischen Bevormundung von politischen Akteuren wire am ehesten dann beizukommen, wenn das Verhältnis von kritischen Theoretiker*innen und Aktiviseinnen als ein mutualistisches Verhältnis der wechselseitigen Inspiration und Kritik angesehen werden würde. (Normative) Theorieproduktion wird dann nicht ausschließlich als innerakademisches Unterfangen begriffen. Vielmehr wird anerkannt, dass auch aus den Bewegungen selbst heraus eigene (normative) Theorien entwickelt werden, die ihrerseits wiederum in eine Beziehung der kritisch-solidarischen Bezugnahme auf die akademische Theorieproduktion treten können. Eine dahingehende Modellierung wurde oben bereits mit Blick auf James Tullys Public Philosophy gestreift, aber auch die von Michael Burawoy (2005) und anderen propagierte und praktizierte Public Sociology könnte hier als Inspirationsquell ftir eine auch in dieser Hinsicht aktivistische kritische politische Theorie dienen. Die Aktivistin ist dabei immer auch ein Stück weit kritische Theoretikerin, der kritischer Theoretiker immer auch ein Stück weit Aktivist."
23 Ein interessantes Plädoyer fir eine aktivistische politische Theorie hat vor einigen Jahren Lea Ypi vorgebracht, die darauf insistiert, dass politische Theorie die Anliegen von politischen Aktiviseinnen zur Kenntnis nehmen und keine distanzierte Lehnstuhl-Philosophie betreiben solle. Auch ihr Ansatz bleibt aber letztlich monodirektional, insofern die Theoretikerin sich zwar der
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Eine kritische politische Theorie könnte in mehrerlei Hinsicht davon profitieren, auch die nicht-akademische Wissensproduktion zu berücksichtigen, sie ernst und in sich aufzunehmen. Zum einen, darauf hat nicht zuletzt die feministische standpoint theory hingewiesen, ermöglicht es, mehr und besser zu sehen, was wie der Fall ist und was dahinter steckt, insofern Herrschaftsunterworfene, Benachteiligte und Ausgeschlossene in gewissen Hinsichten eine epistemische Privilegierung für sich beanspruchen können (dazu z.B. Wylie 2.003). Ihre spezifischen Erkenntnisse und Ansichten können spezifische Formen und Funktionsweisen von Repression und Herrschaft überhaupt erst fir andere Perspektiven eröffnen und es einer kollaborativen Theorieproduktion damit erleichtern, die hegemoniale Wissens- und Machtformation adäquat auszuleuchten, ihren Filter zu durchdringen und gegebenenfalls zu durchbrechen (so z.B. Luchies 2015; Cox 2014). Zum zweiten wird durch die Einbindung subalterner Stimmen und Perspektiven in die Wissensproduktion vermieden, vorschnell einem epistemologischen Autoritarismus zu verfallen, der sich auch in der Tradition kritischer Theorien immer wieder bemerkbar machte und stets Gefahr läuft, sich zusätzlich in einen ethischen Autoritarismus zu übersetzen (dazu Cooke 2005). Den epistemologischen und ethischen Autoritarismus durch das Dialogprinzip bestmöglich zu vermeiden versuchend, wird eine solche kritische Theorie der Politik somit auch in ihrem eigenen Prozessieren emanzipatorisch wirksam, nicht nur, indem sie eine organisierende Wirkung auf emanzipatorische Bewegungen entfaltet (dazu Gramsci 2012, H. 7, § 19, 876), sondern gerade auch dadurch, dass sie klassische Hierarchien der Wissensproduktion unterläuft und erodiert, somit ein emanzipiertes Miteinander auch »im Aufbau der Theorie« präfiguriert. In dieser wechselseitig korrektiven Weise kann kritische Normativität vermutlich am besten gewährleistet und einer dogmatischen Verhärtung von >reinnormativen< Begründungsansprüchen entgegengewirkt werden. Sie geht das unvermeidliche Risiko des Begründens ein, ist aber bestrebt, sich durch das mutualistische Ko-Theoretisieren selbst unter experimentalistischen, für Selbstkorrekturen offenen
aktivistischen Anliegen annimmt, ihr Ziel aber darin besteht, »to provide agents engaged in politics with justified principles on the basis of which to seek political transformation., (Ypi 2016, 239). Der Bidirektionalität gerecht zu werden versucht hingegen die Studie Breaks in the Chain des in London lehrenden Politiktheoretikers Paul Apostolidis, was auch deren Untertitel zu betonen versucht: What Immigrant Workers Can Teach America about Democracy (vgl. Apostolidis 2010 sowie unlängst auch Apostolidis 2019).
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Vorbehalt zu stellen. Die Frage 3, also die Frage nach der Notwendigkeit des Konstatierten, so wäre anknüpfend an obige Schematisierung zu sagen, müsste im Rahmen einer kritischen politischen Theorie eben stets auch auf sich selbst gerichtet mitverhandelt werden. Darin scheint abschließend nun auch die dritte Dimension des Präfigurativen auf, wie es sich in kritischen politischen Theorien zu manifestieren vermag. Trotz des bei ihm letztlich dominierenden Monodirektionalismus der Theoriearbeit lassen sich auch dazu bei Horkheimer zumindest Spuren einer dahingehenden Intuition identifizieren, etwa wenn er das Vorscheinen der Zukunft, die freiheitlich-egalitäre Kooperation, als Marker einer emanzipatorischen Normativität nicht nur in der kämpferischen Praxis sieht, sondern sie insbesondere auch fur den »Aufbau der Theorie« selbst einfordert (Horkheimer 1937, 271). Horkheimer äußert jedoch nicht, was eine derartige Ausrichtung für den Stil eines kritischen Theoretisierens bedeuten würde. Eine Anregung kann in diesem Zusammenhang Antonio Gramsci liefern, in dessen Werk sich die Figur des »demokratischen Philosophen« findet, den er — ähnlich wie den »modernen Fürsten« — eher als Kollektivsubjekt, denn als Einzelperson begreift. Mit Verweis auf reformpädagogische Ansätze seiner Zeit beschreibt Gramsci den demokratischen Philosophen als eine Art Konglomerat aus — nach herrschendem Verständnis — intellektuellen wie nichtintellektuellen Individuen, die in einer Art wechselseitigem Lehrer-SchülerVerhältnis stehen, das er als »ein aktives Verhältnis wechselseitiger Beziehungen« propagiert, in dem »jeder Lehrer immer auch Schüler und jeder Schüler Lehrer ist« (Gramsci 2012, H.10, § 44, 1335 f.). Ein solcherart demokratisiertes und demokratisierendes Verständnis von Wissens- und Theorieproduktion funktioniert als kollaborativ-dialogisches Weltinterpretieren zum Zwecke der Veränderung von Welt. Dies käme einer 1938 von Horkheimer in seinem berühmten Montaigne-Aufsatz formulierten Intuition entgegen, die sich als Plädoyer far eine Symbiose von emanzipatorischer Theorie und Praxis im Projekt kritische Theorie lesen lässt und sogar auf die präfigurativen Züge eines solchen Kollaborativprojekts verweist: »Was im 16. Jahrhundert Reformation und Skepsis einander entgegensetzte, einerseits die fanatische Spontaneität, andererseits der Humanismus, hat sich aus diesen Lebensformen gelöst und ist in eine Theorie und Praxis übergegangen, die als aktiver Humanismus den Gegensatz überwindet und bewahrt. Es ist die kritische Theorie und die historische Anstrensung, zu der sie gehört. Konkret ist sie bei denen anzutreffen, die in den autoritären Staaten
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und solchen, die es werden wollen, die Zellen einer neuen Welt bilden.« (Horkheimer 1938, PS)
52; Hervorh.:
Eine derart ausbuchstabierte kritische politische Theorie würde emanzipatorischen Bewegungen als Dokumentarin und Archivarin, als Stichwortgeberin und als ebenbürtige, kritische Gesprächspartnerin dienen. Im Aufweisen und Entwerfen gegenwärtiger, wie auch im Aufbewahren vergangener experimenteller utopischer Praktiken besteht dabei auch der wesentliche delegitimatorische Beitrag, den sie zu leisten imstande ist, insofern damit der performative Nachweis von (realen) Alternativen zu vermeintlichen Alternativlosigkeiten erbracht wird. Eine so verfahrende kritische Politikwissenschaft beschäftigt sich nicht nur mit den Zellen einer neuen Welt, den praktisch-prä.figurativen Experimenten politischer Bewegungen, sondern sie ist selbst auch bereits eine. Das Präfigurative, so ließe sich das nochmals in anderen Worten zusammenfassen, erscheint damit als Gegenstand, Aufgabe und Wesensmerkmal einer auch utopistischen kritischen Theorie der Politik. Handelt es sich bei einer solcherart bestimmten Modellierung einer kritischen politischen Theorie zuvorderst um eine orientierende Programmatik far künftige Forschungsvorhaben, so sind einzelne ihrer Elemente in Grundzügen auch in den nachfolgenden Kapiteln vorzufinden.
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I.
Verortungen präfigurativer Politik
2. Das Morgen im Heute — Ein Panorama des zeitgenössischen Begriffsgebrauchs
In der vorliegenden Arbeit geht es um Präfiguration als eine soziale und potenziell politische Praxis. Folgt man Hannah Arendts interner Differenzierung von Politik als *Änderung oder Erhaltung oder Gründung von Welt« (Arendt 2003, 192), so geht es präziser ausgedrückt um eine politische Praxis in zumindest ändernder, das heißt transformativer, mitunter aber auch gründenderAbsicht. In diesem Verständnis hat die Begrifflichkeit der Präfiguration bzw. der präfigurativen Politik in den letzten Jahren eine beachtliche Karriere hingelegt und insbesondere im Kontext und Nachgang der Occupy-Bewegung, als deren zentrales Charakteristikum sie identifiziert wurde (vgl. Pickerill/Krinsky 2012, 282 f.), Eingang in aktivistische Selbst- und Fremdbeschreibungen wie vor allem auch sozialwissenschaftliche Analysen gefunden. Der Begriff wurde in diesem Zusammenhang zwar nicht neu erfunden, aber die Geschichte der Präfiguration als ein Begriff sozialwissenschaftlicher Analysen und aktivistischer Selbstverständigungen ist dennoch vergleichsweise kurz. Sein Aufkommen datiert zurück in die späten 1960erJahre und soll im Folgenden entlang der Beiträge André Gorz', Carl Boggs', Sheila Rowbothams und Wini Breines' illustriert werden (2.2). Werden die entsprechenden Referenz(autor*inn)en im aktuellen Diskurs zwar in aller Regel aufgerufen und mehr oder weniger detailliert referiert, so gibt es wohlgemerkt noch eine andere, deutlich weiter zurückreichende christlich-theologische Vorgeschichte. Die christlich-theologischen Wurzeln des Begriffs finden allerdings in den meisten aller Fälle der aktuellen Auseinandersetzungen mit der Begrifflichkeit der Präfiguration keine Beachtung (Ausnahmen sind: Gordon 2018; Raekstad 2018; Scholl 2016). Auch wenn der in diesem Zusammenhang gemeinte Bedeutungsgehalt hier nicht ausführlich dargelegt werden kann und soll, so sind einige knappe Hinweise auf diese Vorgeschichte durchaus instruktiv, vor allem auch, weil — wie Uri
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Gordon (2018) hervorgehoben hat, worauf an späterer Stelle noch zurückzukommen sein wird — mit dem christlich-theologischen Ballast bestimmte Probleme der gegenwärtigen, »säkularen< Begriffsverwendung einhergehen (2.1). Im dritten Abschnitt dieses Kapitels wird sodann entlang einiger zentraler Themenfelder und Aspekte der sich gegenwärtig um den Begriff der Präfiguration entspinnende Diskurs dargestellt und in diesem Rahmen abschließend erstmals auch die Frage nach der Politizität adressiert werden (2.3).
2.1 Die christlich-theologische Vorgeschichte des
zeitgenössischen Diskurses Im Kontext christlicher Theologie taucht Präfiguration als Begriff eines Interpretationsverfahrens auf, in dem zumeist eine Person, ein Phänomen oder ein Ereignis des Alten Testaments mit einer Person, einem Phänomen oder einem Ereignis des Neuen Testaments referenzialisiert wird. Die später auch als Typologie benannte Ausdeutungsweise des Alten Testaments sollte nicht zuletzt ein Konvergenzverhältnis von Altem und Neuem Testament unter Beweis stellen und die aus den alttestamentarischen Prophezeiungen abgeleitete Legitimation Jesus Christus' bekräftigen — etwa wenn der Apostel Paulus in den Römer- und Hebräer-Briefen Adam als »Vorfigur, Jesu deutet. Als paradigmatisch für das Vorgehen kann eine Sentenz des Kichenvaters Augustinus gelten, dessen Bestimmungen des Verhältnisses von Altem zu Neuem Testament mit dem II. Vatikanischen Konzil verbindlich gemacht wurden. In seinen Quaestiones in Heptateuchum heißt es im Kapitel >Fragen zum Buch Exodus': »Multum et solide siginificatur ad vetus testamentum timorem potius pertinere sicut ad novum dilectionem, quaquam et in vetere novum latest et in novo vetus pateat.g In deutscher Übersetzung, entscheidend ist dabei der zweite Halbsatz, lautet es wie folgt: »Vielfach und unerschütterlich wird angezeigt, daß die Furcht eher zum Alten Testament gehört wie zum Neuen die Liebe, obgleich sowohl im Alten Testament das Neue verborgen als auch im Neuen das Alte offenbar ist.« (Augustinus 2018, 392 f. [qu. 2,73]) Wie der Literaturwissenschaftler Erich Auerbach (1938/2018) in seinem Figura-Aufsatz herausarbeitete, kann der Kirchenvater Tertullian (ca. 150 —220 n.Chr.) als der Erste gelten, der Paulus' Deutungsart zu einem systematischen Interpretationsansatz geformt hat, welcher dann ab dem 4,
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Jahrhundert in weiten Teilen der christlich-theologischen Literatur Verbreitung fand. UH Gordon, der seine Untersuchung wiederum auf Auerbach stützt, verortet die erste explizite Verwendung des Begriffs der Präfiguration in der ca. 380 nach Christus erschienenen lateinischen Übersetzung der Schrift Adversus haereses von Irenäus von Lyon, die zuerst etwa 180 nach Christus auf Griechisch veröffentlicht wurde (vgl. Gordon 2018, 524). In diesen christlich-theologischen, bibelexegetischen Zusammenhängen steht Präfiguration fir »a recursive temporal framing in which events at one time are interpreted as a figure pointing to its fulfilment in later events, with the figure cast in the model of the fulfilment« (ebd., 525). Handele es sich dabei in der Regel um retrospektive Einordnungen, sowohl Typos wie auch Antitypos sind vergangen, so gäbe es in der christlichen Theologie durchaus auch prospektive Varianten, etwa wenn Johannes der Täufer in der Darstellung des Matthäus-Evangeliums sich selbst als Vorverkörperung des kommenden Erlösers gibt (vgl. ebd.). Eingebettet ist diese Selbstcharakterisierung freilich dennoch in eine Retrospektive, eben das Matthäus-Evangelium, und vor allem ist beiden Spielarten das Element der Vorbestimmtheit gemein, die dem menschlichen Handeln und Wollen entzogenen Determination des Geschehens, ganz gleich, ob es nun für die Vergangenheit oder far künftige Entwicklungen konstatiert wird.1 Mit Politik, die — in Arendts Worten — die diesseitigen Wurzeln des »Es-hätte-auch-anders-kommen-Können nie ganz aus den Augen verliert« (Arendt 1994, 344), bzw. politischem Handeln, das potenziell einen Unterschied zu machen in der Lage ist, ist ein solches Präfigurationsverständnis nicht in Übereinstimmung zu bringen. Letztlich ist es auch dieses im christlich-theologischen Bedeutungszusammenhang von Präfiguration verkörperte Element, das Hans Blumenberg (2014) im Sinn hat, als er sich im Rahmen seiner Arbeiten zum Mythos dessen politischen Indienstnahmen zuwendet und dabei die Begrifflichkeit der Präfiguration aufgreift. In den Blumenberg interessierenden Konstellationen dient der Aufweis einer Präfiguration politischen Akteuren als rhetorisches Instrument in entscheidungs-/handlungslegitimatorischer Absicht, insofern der Aufiveis< einer Vorbestimmtheit einer anvisierten Handlung, die in einem vergangenen Ereignis bereits vorgezeichnet war oder sich in diesem abgezeichnet hat, in Ungewissheitssituationen (vermeintlich) kontingenzreduzierend (oder gar -annihilierend) wirkt und damit »als gar nicht 1 Genau darin sieht Gordon (2018) ein Problem auch Eit die zeitgenössischen Verwendungsweisen; vgl. dazu unten Kap. 2.3.4.
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mehr dispositionsfähig hinstellt, was zu entscheiden ware (ebd., 14). Beide Zugänge bauen somit zentral auf dem Element der Unverfügbarkeit eines Geschehens im Rahmen eines linearen Zeitverlaufs auf. Ein scheinbarer Unterschied besteht darin, dass der Unverfiigbarkeit ein jeweils unterschiedlicher Status und eine unterschiedliche »ontologische Verfasstheit4 zugesprochen wird. Die Akteure der Blumenberg interessierenden Vorginge behaupten intentional und in politischer Absicht - das heißt, auf eine wie auch immer geartete Beeinflussung der Machtverhältnisse zielend - ein Präfigurationsgeschehen, urn bestimmte Handlungen in der Zukunft zu erwirken, wohingegen die theologische Verwendung gerade von der generellen Unverfügbarkeit des Handelns - also umfassender Nicht-Kontingenz - ausgeht. Die sich in Prifigurationsvorgingen manifestierende Unverfügbarkeit im blumenbergschen Sinn ist vermeintlich und muss konstruiert werden, far die christlichen Bibelinterpreten ist sie tatsächlich und kann konstatiert werden. Die Bibelexegeten und die von ihnen betrachteten Personen haben in ihrem Selbstverständnis das Geschehen erklärtermaßen nicht selbst in der Hand, sondern können ein Präfigurationsgeschehen nur passiv konstatieren, nicht aber narrativ initiieren. Sie erkennen ein Präfigurationsgeschehen, wo die blumenbergschen Akteure eines postulieren.2 Gemeinsam ist beiden Verwendungen jedoch - und darin besteht ein elementarer Unterschied zu den gegenwärtigen, in dieser Arbeit vorrangig interessierenden Verwendungsweisen der Präfigurationsbegrifflichkeit eine, wenn auch unterschiedlich geartete, Verbindung zu jenen Formen menschlichen Tätigseins, die man mit Hannah Arendt als Verhalten bezeichnen und vom Handeln abgrenzen kann. Das intentionale, bewusste und entschiedene Wollen und Handeln eines Menschen oder eines Kollektivs von Menschen spielt im christlich-theologischen Kontext überhaupt keine Rolle bei der Bestimmung eines Geschehens als Prifigurationsgeschehen: »Clio prefigure something in this sense is not actually to do it or to try to do it. For Moses to prefigure Christ does not entail that Moses aspires to the same goals as Christ, or that Moses consciously and deliberately works towards what Christ achieves.4 (Raekstad 2018,361) Und auch bei Blumenberg handelt es sich bei Prifiguration um etwas, das erzählt wird, um die NichtNotwendigkeit des Geschehens zu negieren und bloßes Verhalten zu erwir2 Die Grenzen sind gleichwohl fließend und man kann die christlich-theologische Interpretationstätigkeit ja durchaus im blumenbergschen Sinne als Mythenbildung in machtpolitisch anspruchsvoller, auf Legitimation zielende Absicht deuten.
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ken. Für sämtliche zeitgenössische Varianten des Begriffsgebrauchs kann hingegen das genaue Gegenteil konstatiert werden, wie in der bereits in der Einleitung aufgerufenen, sehr formal und knapp gehaltenen Arbeitsdefinition von Raekstad und Gradin deutlich zutage tritt: »We define prefigurative politics as the deliberate experimental implementation of desired future social relations and practices in the here-and-now.« (Raekstad/Gradin 2019, 10; Hervorh.: PS) Präfigurativ in diesem Sinne ist ein intentionales Handeln, das ein Anders-sein-können praktisch-performativ unter Beweis zu stellen sowie aktiv in das Geschehen einzugreifen und dessen Ablaufbahnen zu verändern trachtet. Die antizipierte Zukunft ist eine ersehnte, erhoffte Zukunft, keineswegs aber eine unausweichliche.3 Auf die Problematik des persistierenden Bestands dieses Moments der Unausweichlichkeit im zeitgenössischen politischen Präfigurations-Diskurs werde ich weiter unten noch zurückkommen.
2.2 Die sozialwissenschaftliche Vorgeschichte des
zeitgenössischen Diskurses Als Begriff der sozialen und politischen bzw. der sozialwissenschaftlichen Sprache taucht Präfiguration zuerst ab Ende der 1960er Jahre im Rahmen von Abhandlungen zu den Studierendenprotesten, der sogenannten Neuen Linken und den Neuen Sozialen Bewegungen auf. In diesem Zusammenhang, der die unmittelbare Vorgeschichte des aktuellen Diskurses bildet, wird die christlich-theologische Vorgeschichte des Begriffs in keiner Weise reflektiert, wenngleich sich bei André Gorz (1968), der den Begriff in einem Beitrag far die New Left Review von 1968 mutmaßlich als Erster verwendete, mit dem Verweis auf Präfiguration als ein Inkarnationsgeschehen durchaus ein theologisches Element identifizieren lässt. Neben Gorz werde ich mein Augenmerk auf die gegenwärtig häufig rezipierten Beiträge Carl Boggs' und Wini Breines' richten, sowie auf eine weniger beachtete, aber zentrale Aspekte betonende Schrift Sheila Rowbothams.
3 Ein theologisches Spurenelement findet sich in der deutschen Fassung des Buchs Beautiful Trouble
des US-amerikanischen Autors Andrew Boyd, wo *prefigurative intervention* völlig unerklärlicherweise mit prophetischer Intervention Elbersetzt wird. Vgl. Boyd (2012) bzw. air die deutsche Fassung (2014).
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2.2.1 André Gorz In seinem Aufsatz The Way Forward, in dem Gorz die in seinen Augen gescheiterten Aufstände des Pariser Mai '68 reflektiert und Überlegungen zu künftigen Organisations- und Transformationsstrategien anstellt, findet sich zwar kein klarer Definitionsversuch, sondern eher beiläufige Bemerkungen, die aber gleichwohl bereits wesentliche Elemente des später verbreiteten Begriffsgehalts enthalten. Gescheitert seien die Aufstände letztlich aufgrund einer Dominanz anarcho-syndikalistischer Einflüsse und der damit transportierten spontaneistischen und insurrektionalistischen Ablehnung sowohl von eigener Organisation als auch von Staatlichkeit. Gorz identifiziert die zentrale Herausforderung für zukünftige Kämpfe in der Herausbildung einer revolutionären Partei neuen Typs. In diesem Zusammenhang taucht erstmals die Begrifflichkeit der Präfiguration auf »Mhe unifying political perspective of a revolutionary movement cannot be the immediate construction of socialism and of communism, i.e. a post-revolutionary society. lt can only be that ofa revolutionary transformation of the present society by means ofa range of intermediary objectives. [...) [T]he function of intermediary objectives is to make evident the necessity for the transition to socialism, to prefigure it in certain concrete aspects, to set in motion the revolutionary process without necessarily taking socialism as its explicit short-term aim.* (Gorz 1968, 52)
Eben diese, die Antizipation eines in einer ungewissen, nicht unmittelbar zugänglichen Zukunft liegenden Sozialismus ermöglichende Rolle soll in Gorz' Sichtweise die neue revolutionäre Partei mittels ihrer eigenen Verfasstheit gewährleisten und dadurch motivationale und edukative Funktionen erfüllen. Neben den Aufgaben der theoretischen Analyse und der Organisation und Zusammenführung verschiedener, mitunter auch widersprüchlicher Forderungen und Kämpfe spricht Gorz daher von der »Function of education and of political leadership« (ebd., 58), die er als dritte von vier Funktionen einer künftigen revolutionären Partei bestimmt. Dabei gehe es darum, »to incarnate the permanence of the struggle and its objectives even in periods when the tide of revolution is on the ebb. It prefigures the proletarian State, and reflects for the working class its capacity to be a ruling class. It incarnates the presence of socialism within capitalism, since it is a positive negation of the latter.« (ebd.) Deutlicher wird das damit verbundene, einübend-erzieherische Anliegen in Verbindung mit der vierten Parteifunktion, die mit der dritten eng verwoben ist. In Abgrenzung zu den im Mai '68 dominanten Positionen sieht Gorz diese vierte Funktion
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im Anspruch auf entschlossene Machtübernahme im Staat, unterlegt diese Funktion aber, dabei die anarchistische Staatskritik durchaus reflektierend, mit der zusätzlichen Aufgabenstellung, im Zuge der Machtübernahme im Staat zugleich die überkommene Staatsförmigkeit selbst zu transformieren: »Mhe new revolutionary party should define itself by its ability both to seize and wield central power (an ability which, by definition, broad movements and trade unions lack), and to destroy at its very roots the authoritarian nature of that central power.« (ebd., 60; Hervorh.: PS)4 Den Topos der Präfiguration wieder aufgreifend fährt Gorz fort: »What would be involved in this act of destruction? Notably: to allow, in every area, the sovereignty and initiative of the base; to make the party, preeminently, the site of free debate and direct democracy; to encourage collective self-determination by the workers of the means and objectives of their struggle; to aim at the conquest of workers' power over the centres of production, not merely as an end in itself, but as the prefiguration of social self-management by the sovereign producers.« (ebd.)
Die Gorz vorschwebende Partei neuen Typs, die man im heutigen Sprachgebrauch der Parteienforschung am ehesten wohl als »Bewegungspartei« bezeichnen könnte (vgl. Porta 2020, Kap. 4; mit einem genuin eigenen Vorschlag auch Kim/Nonhoff 2022), soll im Hier und Jetzt durch ihre innere Verfasstheit und ihr Agieren im Umgang mit der Außenwelt einen Vorgeschmack der angestrebten Gesellschaftsordnung geben, deren Funktionsweise explorativ demonstrieren, sie subjektiv einzuüben erlauben und aufgrund des »Vorgeschmacks« motivationale Effekte bei der Gefolgschaft, aber auch bei Außenstehenden zeitigen (vgl. Gorz 1968, 61 f.).
2.2.2 Carl Boggs
Wenngleich Gorz damit bereits einige zentrale Elemente des zeitgenössischen Begriffsgehalts aufruft, wie etwa die subjektformierende Wirkung präfigurativer Praktiken, so wird sein Aufsatz, vermutlich aufgrund der eher beiläufigen Verwendung der Terminologie, gegenwärtig so gut wie 4 Vor diesem Hintergrund erscheint mir der Vorwurfvon RaekstadiGradin (2019, 19) verfehlt, Gorz
habe einem hierarchisch-autoritären Präfigurationsmodell das Wort geredet. In Gorz' Überlegung zur Gleichzeitigkeit von Machtübernahme und Machttransformation kann eine prototypische Modellierung eines Ansatzes gesehen werden, wie er unlängst etwa von der munizipalistischen Plattform Barcelona en Coni verfolgt wird, auf die ich in Kap. 7 näher eingehen werde.
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gar nicht rezipiert. Anders verhält es sich hingegen mit Carl Boggs, der in fast allen aktuellen Abhandlungen als »Namensgeber« und Diskursstifter identifiziert und referiert wird. Boggs veröffentlichte ein knappes Jahrzehnt nach Gorz zwei Aufsätze — zum einem in dem eher aktivistisch ausgerichteten Magazin Radical America (Boggs 1977a), zum anderen in der soziologischen Fachzeitschrift Theory and Society (Boggs 1977b) —, in denen er die Präfiguration als soziale bzw. politische Praxis ins Zentrum rückt. Zwar schreibt auch Boggs vor dem unmittelbaren Hintergrund der neuen sozialen Bewegungen, vor allem den Studentsfir a Democractic Society (SDS) in den USA, und beansprucht, wie auch Gorz, einen Beitrag zur Überwindung deren strategischer und organisationaler Unzulänglichkeiten zu leisten, aber seine Arbeitsweise ist ideengeschichtlicher ausgerichtet, insofern er die aktuellen Kämpfe in ein größeres Bild linker politischer Bewegungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts einzuordnen versucht. In den besagten Aufsätzen bietet er, vor allem darin dürfte auch die stärkere Rezeption im Vergleich zu Gorz begründet liegen, eine griffige Definition prä.figurativen Handelns: »By prefigurative, I mean the embodiment, within the ongoing political practice of a movement, of those forms of social relations, decisionmaking, culture, and human experience that are the ultimate goal.« (Boggs I977a, 100) Eine solche »anticipation of the future in the present« ziele darauf, »Rol generate new ways of thinking and new modes of authority that will gradually erode and supersede the prevailing, seemingly indestructible institutions of state power« (Boggs 1977b, 363 und 383). Definitorisch treten damit weitere Elemente zu den bereits von Gorz aufgerufenen hinzu: Präfiguration als Politik der praktischen Antizipation angestrebter gesellschaftlicher Zustände ist welterschließend, insofern sie neue Sicht- und Denkweisen eröffnet, und es wird damit der Anspruch verbunden, die bestehenden Institutionen und die in ihnen geronnenen Praktiken durch diese Praxis erodieren und jene an die Stelle dieser treten zu lassen. Obgleich Boggs immer wieder als der zentrale Denker präfigurativer Politik eingefuhrt wird, ist seine Haltung zu dieser durchaus ambivalent. Zum einen attestiert Boggs dem Modell präfigurativer Politik, dessen historischen Ausgangspunkt er zuvorderst im kommunistischen Anarchismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dann aber auch bei einigen linkssozialistischen und -kommunistischen Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts verortet (dazu Kap. 11.3), einen Lösungsansatz für ein revolutions- bzw. transformationstheoretisches Dilemma bereitzustellen, das in den anderen beiden archetypischen Transformationsmodellen der
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politischen Linken mit gravierenden Folgen unterbelichtet geblieben sei: wie nämlich das Neue — in diesem Fall die herrschaftsfreie, sozialistische Gesellschaft — in die Welt kommen könne. Sowohl das jakobinische Revolutionsmodell, für Boggs paradigmatisch verkörpert in Lenins Bolschewismus, als auch der sozialdemokratische Reformismus hätten es verpasst, einerseits »to specify the actual character of this transformative process« (Boggs 1977b, 361), anderseits sich Gedanken zu machen über »a conception of the particular socialist forms that would replace the established models of domination« (Boggs 1977a, 99). In Marx' Ablehnung des Utopismus bereits angelegt, sodann verstärkt durch die stark deterministischen Geschichtsentwicklungsmodelle der II. Internationale, in denen konkrete Überlegungen zu revolutionären Handlungsstrategien und Zielvorstellungen keine große Rolle spielen konnten, sei innerhalb der radikalen Linken ein Selbstverständnis vorherrschend gewesen, das zu einer Vernachlässigung bzw. sogar Ignoranz gegenüber Fragen des Wie und des konkreten Ziels der Transformation geführt habe. Damit sei in eigentümlicher Weise einer Vorstellung Vorschub geleistet worden, die den Übergang vom »schlechten< Heute in die »gute« Zukunft als einen abrupten >Sprung< erscheinen ließe: »The transition to socialism assumed a mythical quality: the consciousness, social relations, and political habits necessary to build a socialist order would seem to spring from nowhere, with no lengthy and organic process of transformation within civil society.« (ebd., 102)5 Bar jeglicher konkreten Vorbilder und Erfahrungsräume einer klassenlosen oder gar staatsfreien Gesellschaftsform sei Lenin nichts anderes übriggeblieben, als die überkommenen Methoden and Institutionen zu übernehmen und fortzuführen. Der sozialdemokratische Strukturreformismus hingegen, dies expliziert Boggs mit Blick auf die Kommunistische Partei Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg, habe sich nur allzu bereitwillig in die Institutionen der bürgerlichen Demokratie begeben und darüber den Anspruch aufgegeben, eine tiefgehende Transformation voranzutreiben. »In the end, structural reformism and Leninism appear as two diametrically opposed strategies that lead to twin versions of state bureaucratic capitalism.« (ebd., 103) Eben
S Eine entsprechende Kritik am Modell der Revolution als einem einzigen »Kladderadatsch« formulierte bereits Gustav Landauer, vgl. dazu unten Kap. 4.2.1. Bei Boggs' Zeitgenossen Herbert
Marcuse, einem der zentralen Vordenker der Studierendenproteste, findet sich ebenfalls das Modell eines großen Sprungs, zugleich aber auch Überlegungen, die in Richtung prifigurativer Politik verweisen. Darauf werde ich im nächsten Kapitel noch zurückkommen (vgl. Kap. 3).
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dieser Schwachstelle der die anvisierte Gesellschaft betreffenden Ideen- und Erfahrungslosigkeit revolutionär ambitionierter Politik, aus der die jeweils unterschiedlich gelagerte Reproduktion der überkommenen hierarchischen Autoritätsbeziehungen infolge der Vertagung der Frage nach der Utopie in eine unbestimmte Zukunft resultierte, versucht Boggs' Deutung zufolge die als präfigurativ bezeichnete Praxis zu begegnen.6 Durch die Errichtung und Erprobung alternativer Institutionen und Beziehungsformen im Hier und Jetzt und im Kleinen (»local, collective structures that anticipate the future liberated society«; Boggs 1977a, 103), sollen die subjektiven und objektiven Voraussetzungen einer tiefreichenden und umfassenden Umwandlung der Gesellschaft geschaffen werden. Dabei gilt Boggs' Hauptaugenmerk der Errichtung von Gegeninstitutionen, die die bestehenden Institutionen nach und nach verdrängen und ersetzen sollen, wenngleich immer auch der Aspekt einer Einübung anderer, postrevolutionärer Subjektivitäten mitschwingt (vgl. Boggs 1977b, 382). Boggs ist keineswegs zurückhaltend bei der Anerkennung der Vorzüge präfigurativer Praxis. Er würdigt die in und mit ihr geleistete »revolutionäre Vorarbeit«, da dadurch verhindert werden könne, unbedarft und unvorbereitet in eine revolutionäre Situation zu geraten und infolgedessen Gefahr zu laufen, die überkommenen Institutionen, Umgangs- und Bez iehungsweisen zu übernehmen und zu reproduzieren. Zugleich aber, und daraus speist sich die Ambivalenz seiner Haltung, formuliert Boggs jedoch einen schwerwiegenden Vorbehalt, der sich aus seinen historischen Analysen der »präfigurativen Tradition« ergibt. Wenngleich es wichtig ist, im Kopf zu behalten, dass dieser Vorbehalt historisch-empirisch informiert ist und keine theoretisch-systematische Absage an präfiguratives Handeln impliziert, so nimmt 6 Im Grunde hat Marx selbst dieses Dilemma besonders wortgewaltig bereits in seiner Schrift Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte beschrieben: »Die Menschen machen ih re eigene Geschich-
te, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschif tigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neuen Weltgeschichtsszene aufzuruhren..i (Marx 1852,116) Marx Folgerung kann dabei durchaus als Empfehlung für einen prifigurativen Ansatz gelesen werden: *Die soziale Revolution des neunzehnten Jahrhunderts kann ihre Poesie nicht aus der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft.« (ebd., 117) Aufdieses Dilemma werde ich weiter unten nochmal zurückkommen, vgl. Kap. 6.
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Boggs in diesem Zuge eine für den späteren Diskurs folgenreiche (und für Teile der Skepsis oder gar Ablehnung präfigurativer Politik verantwortliche) Weichenstellung vor, indem er den (gelingenden) revolutionären Transformationsprozess als aus zwei sauber voneinander unterscheidbaren Komponenten bestehend ausweist: zum einen »the instrumental [task], which includes above all the struggle to conquer and maintain political power«, zum anderen »the prefigurative [task], which expresses the ultimate ends of the revolutionary process itself: popular self-emancipation, collective social and authority relations, socialist democracy« (Boggs 1977b, 359).7 Boggs' historisch informierte These lautet, dass sich die Proponenten des Präfigurationsansatzes stets rigoros oder zumindest übermäßig gegen die instrumentelle Komponente verwehrt hätten, was letztlich deren Scheitern bedingt oder zumindest begünstigt habe. Boggs verweist dazu auf drei Konjunkturen in der Tradition präfigurativer Praxis: zunächst, ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, der wesentlich von Bakunin geprägte kommunistische Anarchismus bzw. Anarcho-Syndikalismus, wozu man bei Boggs im Grunde aber gar nichts erfährt; sodann die Rätebewegungen in Russland, Italien, Deutschland und den Niederlanden am Ende des Ersten Weltkriegs, denen Boggs' Hauptaufmerksamkeit gilt; sowie schließlich die Neue Linke in den USA seiner Zeit (vgl. Boggs 1977a). Wenngleich die jeweiligen Ausgestaltungen, die Entstehungs- und vor allem auch die Niedergangskontexte selbstverständlich höchst unterschiedlich geartet sind, so eint sie in Boggs' Lesart allesamt ein übersteigerter Spontaneismus und Lokalismus, die Abgrenzung zu »klassischen« politischen Akteuren wie Parteien und Gewerkschaften sowie eine starke Skepsis gegenüber dem Staat und seinen Institutionen (u.a. Boggs 1977a, 100).8
7 Diese Entgegensetzung deckt sich weitestgehend mit der in der aktuellen Literatur zumeist Winni Breines zugeschriebenen Unterscheidung von präfigurativer und strategischer Politik, wobei Breines strategische Politik mit instrumenteller Vernunft verquickt (vgl. z.B. Breines 1989, 50). Auf Breines gehe ich sogleich noch detaillierter ein. 8 Boggs' eigene Darstellungen sind durchaus differenziert und betonen sehr deutlich die Unterschiede zwischen diesen Konjunkturwellen. Während er den Rätebewegungen große Sympathie entgegenbringt und lobend hervorhebt, dass diese die Obernahme der Staatsmacht keineswegs umfassend zurückgewiesen und die lokale Basisarbeit als Bestandteil einer übergreifenden politischen Strategie begriffen batten (vgl. Boggs 1977a, 105 f. sowie noch detaillierter mit Blick auf einzelne Staaten: 106-118), ist seine Diagnose der Neuen Linken vernichtend: .New left spontaneism eventually reproduced the limitations of prefigurative strategy in even more exaggerated form. Because of its tendency to avoid politics it could never build an effective revolutionary strategy.s (Boggs 1977b, 386)
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Insbesondere die frühen anarchistischen und die zeitgenössischen neulinken Praxisformen werden von Boggs als eskapistisch, als »a flight from larger societal issues« (Boggs 1977a, 105; Hervorh.: PS), gebrandmarkt und schlussendlich als politikverachtend (vgl. ebd.) bzw. sogar politikvermeidend (vgl. Boggs 1977b, 386) etikettiert. Präfiguratives Handeln allein, so die auch für die übergreifende Fragestellung der vorliegenden Arbeit bedeutsame Feststellung, gilt Carl Boggs als unpolitisch, sie ist ein »retreat from politics altogether« (Boggs 1977b, 359). Ausschließlich in Kombination mit dem instrumentellen, auf Machtübernahme im engeren Sinne zielenden Handeln kann präfiguratives Handeln dieser Konzeptualisierung folgend somit eine zumindest mittelbar politische Handlung sein. Boggs lässt zwar erkennen, dass er im anarchistischen Ansatz ein anders gelagertes Verständnis von Macht aufscheinen sieht, dass auch ein anderes Vorgehen hinsichtlich der Frage der Übernahme, Veränderung oder Abschaffung von Macht mit sich bringen könnte, wischt diese Überlegung dann aber sogleich mit dem historisch argumentierenden Hinweis zurück, dass »all such prefigurative moments were in fact destroyed because their hostility to coordination and leadership enabled the ruling forces to monopolize the political terrain, (Boggs 1977a, 105; ähnlich auch 1977b, 383).9 Was aber schwebt Boggs als Lösung des transformationstheoretischen Dilemmas vor? Wie zuvor bereits erwähnt, hegt er keine grundlegenden Vorbehalte gegen präfigurative Praxis, sondern nur gegen deren ausschließliche Verfolgung. Anders als in den bisherigen Transformationsansätzen der politischen Linken gälte es beide Komponenten des idealtypischen Transformationsmodells — die präfigurative ebenso wie die instrumentelle — gewinnbringend zu vermitteln. Dem Ansinnen Gorz' nicht unähnlich, plädiert Boggs daher für eine die instrumentelle, auf Machtergreifung im Staat zielende, und die präfigurative Komponente verbindende Vorgehensweise, von der allein er sich »politische Effektivität« verspricht (vgl. Boggs 1977a, 120). Während seine Wunschvorstellung im Radical America-Beitrag nur äußerst vage angedeutet wird, wird Boggs im Aufsatz in Theory and
9 Obgleich der (kommunistische) Anarchismus von Boggs als Ausgangspunkt der präfigurativen
Tradition identifiziert wird, findet außer einer Nennung Bakunins und dessen Gegnerschaft zu Marx in der Internationalen Arbeiterassoziation keine Auseinandersetzung mit den anarchistischen Überlegungen zum Warum und Wie einer prifigurativen Praxis statt. Auf die friihsozialistischen Experimente und Transformationstheorien geht Boggs ebenfalls nicht ein. Ich werde darauf in Karl. 4 etwas näher eingehen.
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Society etwas konkreter, wenn er neben den drei archetypischen Transformationsmodellen des Leninismus, des sozialdemokratischen Reformismus und des anarchistischen Kommunismus noch zwei Mischformen instrumenteller und präfigurativer Praxis ins Spiel bringt, die den »traditional dualism« (Boggs 1977b, 387) unterliefen. Zum einen ist dies die von ihm als lakobinismus II benannte Strategie, in der er eine gramscianisch-maoistische Variante des Leninismus erkennt: »lt represents a synthesis of the global, centralizing features of the vanguard party and the localist, prefigurative elements of anarcho-communism — but maintains emphasis on the former.« (ebd., 363) In eben dieser Gewichtung liege aber auch das Problem, da dadurch die Vorzüge präfigurativen Handelns nicht zur Geltung kommen könnten, weshalb Boggs für eine Umkehrung der Gewichtung votiert: »Mhe new Mandan synthesis would reverse this relationship by asserting the predominance of the prefigurative over the Jacobin-instrumental. [...] Since the prefigurative function can be fully carried out only through local structures, it is they — rather than the partystate — that must become the primary agencies of the revolutionary process. Hence the party would not be super-imposed upon mass struggles as prime mover, but would emerge out of these struggles as a coordinating mechanism.4 (Boggs 1977b, 388 f.)
Hinsichtlich der Frage der Politizitä.t präfigurativen Handelns kann resümierend an dieser Stelle also festgehalten werden, dass Boggs der präfigurativen Praxis für tiefgreifende Transformationen unverzichtbare Wirkpotenziale zuspricht, er ihr aber nur in Verbindung mit auf Machtübernahme in staatlichen Institutionen zielenden instrumentellen Praktiken einen politischen Charakter zuspricht. Auf Grundlage seines impliziten Politikverständnisses ist präfiguratives Handeln in transformationstheoretischer Hinsicht somit eine conditio sine qua non, aber nur mittelbar politisch.
2.2.3 Sheila Rowbotham
So gut wie gar nicht wird im aktuellen Diskurs über präfigurative Politik ein Beitrag der englischen Soziologin Sheila Rowbotham von 1979 wahrgenommen, der in einem gemeinsam mit Lynne Segal and Hilary Wainwright herausgegebenen Band zum Verhältnis von Feminismus und Sozialismus erschien und explizit die Terminologie präfigurativer Politik verwendet sowie
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auf die Arbeiten Boggs' verweist.10 Die Überlegungen Rowbothams können als (noch) explizitere Intervention in den innerlinken, aktivistischen Selbstverstä.ndigungsdislcurs des Entstehungszeitraums gelesen werden, als dies bei Boggs der Fall ist, mit dessen Analysen sie gleichwohl vieles teilt. Rowbothams Auseinandersetzung mit präfigurativen Praktiken liegt in einer zweifachen Kritik herkömmlicher Transformationsmodelle begründet: Zum einen, wie auch Boggs, prangert sie die in weiten Teilen der mehr oder weniger revolutionären Linken vorherrschende Politik des Atifichiebens der Gesellschaftsgestaltungsfrage in eine unbestimmte Zukunft an (»politics ofdeferment«; vgl. Rowbotham 1979, 140). Zum anderen übt sie Kritik am maskulinistischen Avantgardismus vor allem der leninistischen und trotzkistischen Linken ihrer Zeit, aber auch an der generellen Vernachlässigung von Fragen die Geschlechterverhältnisse betreffend. Beide Aspekte sind miteinander verknüpft und zielen auf denselben Punkt wie Boggs, wenn dieser den leninistischen und sozialreformerischen Kräften eine weitreichende Ideenund Erfahrungslosigkeit bzgl. der Ziele der Transformation, den möglichen Gestalten einer befreiten Gesellschaft bescheinigt. Die verbreitete alleinige Fokussierung auf die politische Machtübernahme im engeren Sinn in Staat und Produktion blende zum einen wesentliche Bereiche einer umfassenden gesellschaftlichen Transformation aus und vernachlässige zudem in sträflicher Weise die subjektiven Voraussetzungen einer wahrhaft sozialistischen Gesellschaft. Für beides böten Rowbotham zufolge präfigurative Strategien eine Lösung. Den Aspekt der subjektiven Voraussetzungen betreffend, führt Rowbotham ein transformationstheoretisches Argument ins Feld, das der Sache nach mit Boggs' Überlegungen übereinstimmt, das subjektive Moment der Transformation jedoch weit stärker betont. »They [die Vertreter präfigurativer Strategien; PS] do not assume that we will one day in the future suddenly come to control how we produce, distribute and divide goods and services and that this will rapidly and simply make us new human beings. They see the struggle for survival and control as part of the here and now. They can thus contribute towards the process of continually making ourselves anew in the movement towards making socialism. (Rowbotham 1979, 140)
10 Rowbothams Beitrag ist der einzige des Bandes, der ins Deutsche übersetzt wurde (vgl. Rowbotham 1993), aber in dieser Version wird präfigurative Politik mit antizipatorischer Politik übersetzt und der Verweis auf Boggs' Aufsatz vom Übersetzer eigenmächtig gleich ganz gestrichen.
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Ohne derartig vorbereitete Sub jektivitäten könne der Übergang in die befreite Gesellschaft nicht gelingen bzw. münde in die Reproduktion der überommenen Beziehungen und Subjektivitäten auch am Tag nach der Revolu-k tion. Starker als bei Boggs, bei dem die Errichtung von Gegeninstitutionen im Mittelpunkt steht, werden bei Rowbotham mit Verweis auf den »neuen Mensch« Fragen des Bewusstseins und der Subjektivität ins Zentrum gerückt. Dabei handelt es sich aber wohlgemerkt um zwei Seiten derselben Medaille, insofern die murualistisch verfassten Gegeninstitutionen zentrale Orte der Vorbereitung, Erprobung und Ausbildung postrevolutionärer Subjektivitäten seien: »they are [...] part of a crucial process of learning and feeling towards alternative relationships from those predominant in capitalism.« (ebd., 134; Hervorh.: PS) In prägnanter Form bringt Rowbotham damit zwei zentrale Charakteristika präfigurativer Politik zum Ausdruck, die auch im gegenwärtigen Diskurs immer wieder aufgerufen werden: präfigurative Politik ist welterschließend, insofern die durch sie ins Leben gerufenen Institutionen und Beziehungsformen »different ways of interpreting, and perceiving the world« (ebd., 129) mit sich bringen bzw. ermöglichen, und sie vermittelt in eigentümlicher Weise die Mittel und Zwecke transformativen Handelns, insofern es bei präfigurativer Politik darum gehe, »to make new kinds of relationships which can be the means of growth and transformation in the making of socialism« (vgl. ebd., 133) — auf beides wird weiter unten in der Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Diskurs noch zurückzukommen sein." Übereinstimmungen mit Boggs weist Rowbothams Ansatz auch hinsichtlich des anderen Aspekts auf, dem der Ausweitung der transformationsrelevanten Gegenstandsbereiche durch präfigurative Praktiken. Hatte schon Boggs beobachtet, dass sich die präfigurative Tradition nahezu durchgängig dadurch auszeichne, dass tendenziell »every aspect of social existence is brought into the class struggle [...] all spheres of social life and all structures of domination« (Boggs 1977a, 104 und 119) und sich diese Tendenz im Rahmen der neuen Linken insbesondere unter feministischen 11 Einen weiteren nicht ganz unwichtigen Aspekt erwähnt Rowbotham eher beiläufig, indem sie auf die durch präfigurative Räume gewährleistbare »protective culture. (Rowbotham 1979,120), beispielsweise in weiblichen Selbstermächtigungsgruppen, hinweist. Bedeutsam ist dieser Hinweis insofern, also der oftmals unterstellte abschottende Eskapismus präfigurativer Praktiken aufgrund dieser Schutzwirkung durchaus auch weltzugewandte Effekte zeitigen kann, indem er Aktiviseinnen in derartigen Rückzugsräume Möglichkeiten zur Regeneration eröffnet. Siehe dazu auch Kap. 3.5,
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Einfluss nochmals intensiviert hatte, so betont auch Rowbotham, dass es der Feminismus gewesen sei, der der Neuen Linken die Idee präfigurafiver Politik (wieder) nahegebracht habe (vgl. Rowbotham 1979, 140). Die besondere feministische Sensibilität far die Politizität des Privaten und die Machtdurchdrungenheit auch des Bereichs der Reproduktionsarbeit habe schon früh die Auseinandersetzung mit anderen, tieferreichenden und ausgreifenderen Modi der Transformation in Theorie und Praxis begünstigt — wie Rowbotham, ideengeschichtlich weiter zurückgehend als Boggs, unter anderem mit dem interessanten Hinweis auf alternative, antibürgerliche Hochzeits- und Erziehungspraktiken im Kontext feministischer Strömungen des Owenismus zu plausibilisieren versucht (vgl. ebd., 120). Bei aller Wertschätzung prä.figurativer Praktiken ist wohlgemerkt auch Rowbotham keine Beftirworterin einer ausschließlich präfigurativen Politik. Sie widerspricht derartigen Strategien sogar vehement (vgl. z.B. ebd., 136 E) und reiht sich neben Boggs und Gorz ein, indem sie eine vermittelnde Strategie propagiert und Vereinseitigungen zurückweist, die sie jeweils auf eigene Weise fir verkürzt hilt: »If the anarchists close their eyes and wish the state would float away, Trotskyists present the state as a big balloon. If we all blow hard enough it goes pop. When it does not go pop the answer is that we must blow harder. The trouble is we tend to burst before the state.« (ebd., 138) Rowbotham votiert letztlich für eine Strategie der Etablierung prifigurativer Räume des Lernens und Erprobens, flankiert von einer Parteistruktur, die sich auf dem Terrain des Staates auch in den Kampf urn politische Macht im engeren Sinn begibt. Anders als bei Boggs handelt es sich dabei fir Rowbotham aber nicht nur um ein sowohl-als-auch-Ansatz, die Parallelisierung zweier an sich unverbundener Vorgehensweisen, sondern — und damit ist sie näher bei Gorz — auch die auf Staatsmachtübernahme zielende Partei selbst müsse in ihrer inneren Organisation dem prä.figurativen Ethos verpflichtet sein. Sie bezieht damit das Präfigurationspostulat nicht nur auf Gegeninstitutionen im engeren Sinn, sondern auch auf die Organisationsform der auf Transformation sinnenden Bewegung selbst. Das Ziel einer herrschaftsfreien Gesellschaft könne nicht durch eine Organisation erreicht werden, die aufgrund ihrer inneren autoritären Verfasstheit den proklamierten Werten Hohn spotte. »[H]ow can we«, so lautet ihre eher rhetorische Frage, *struggle for prefigurative changes through an organization which reproduces the relationships of power dominant in capitalism?« (ebd.) 132). Diese Positionierung ist insofern bedeutsam, als im gegenwärtigen Diskurs bei Vertreter*innen präfigurativer Politik häufig eine Ausrichtung ent-
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weder nur auf die innere Organisation einer Bewegung, oder nur auf die Errichtung von Gegeninstitutionen zu beobachten ist (siehe dazu auch Raekstad/Gradin 2019). Ersteres dürfte vor allem auch der starken Rezeption Wini Breines' geschuldet sein, die in ihren Untersuchungen die innerorganisationale Prä.figuration priorisiert und nun noch als vierte Vertreterin der Vorgeschichte( des zeitgenössischen Diskurses betrachtet werden soll.
2.2.4 Wini Breines
Wini Breines schaltete sich zu Beginn der 1980er-Jahre in die (akademischen) Debatten über die Errungenschaften und das häufig unterstellte Scheitern der Neuen Linken in den USA ein. Anders als Boggs und Rowbotham ist Breines nicht an der Geschichte präfigurativen Handelns interessiert, sondern beschäftigt sich ausschließlich mit der Studierendenund Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre. Sie richtet sich in diesem Zuge vehement gegen die vorherrschenden Einordnungen, welche allesamt die Ansicht teilten, »that the new left was a utopian, antiorganizational, even antipolitical movement which, for these very reasons, was bound to fail.« (Breines 1980, 420) Derartige Kurzschlussdiagnosen, sie arbeitet sich insbesondere an einer Studie Seymour Martin Lipsets ab, lägen in deren eingeschränkten und einseitigen Analyseraster begründet, die zu »organizational or [...] instrumental political biases« (ebd.) führten und notwendigerweise den genuin eigenen und durchaus politischen Charakter der neu-linken Praxisformen invisibilisierten. Upset und andere gingen von einem verengten Politikverständnis aus, das Breines als strategische Politik bezeichnet und mit einem Konzept instrumenteller Rationalität verbindet. Dem Ansinnen und den Praxisformen der Neuen Linken — ebenso wie der übergeordneten Frage nach deren Erfolg oder Scheitern — sei analytisch jedoch nur beizukommen, wenn man zusätzlich noch ein weiteres Politikverständnis in Rechnung stellt, das von Breines — mit einer beiläufigen Referenz auf Boggs — als präfigurative Politik betitelt wird und einer expressiven Rationalität korrespondiere (vgl. ebd.). Breines nähere Bestimmungen präfigurativer Politik identifizieren diese als eine Praxis, die sich wesentlich in der Bewegung und bezogen auf deren Organisationsweise vollzieht. »The term prefigurative politics is used to designate an essentially anti-organizational politics (...I and may be recognized in counter institutions, demonstrations and the attempt to embody personal and anti-hierarchical values in politics. f...] Anti-organizational< should
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not be construed as disorganized. (...] My use of the term anti-organizational should be understood to mean principally a wariness to hierarchy and centralized organization. The crux of prefigurative politics imposed substantial tasks, the central one being to create and to sustain within the live practice of the movement, relationships and political forms that >prefigured< and embodied the desired society.. (Breines 1989,6; Hervorh.: PS)
Bei präfigurativer Politik geht es nach Breines zuvorderst um die Herausbildung von Gemeinschaft innerhalb der Bewegung, die dem eigenen Selbstverständnis nach in erster Linie als basisdemokratisch verfasst begriffen wird und durch diese gelebte andere Gemeinschaftlichkeit ein Gegenbild zu den hierarchischen Organisationsmodi in Staat und Gesellschaft, aber auch innerhalb der *klassischen« Linken, darstellen soll. *The notion ofcommunity is integrally connected with prefigurative politics. (...) (Bly community I mean the more direct, more total and more personal network of relationships than the formal, abstract and instrumental relationships characterizing state and society. (...] In saying that the new left sought community I refer not only to the desire to create a sense of wholeness and communication in social relationships, but to the effort to create noncapitalist and communitarian institutions that embodied such relationships (for example, counter-institutions).4 (Breines 1980, 421)
Das showing und doing von Alternativen im präfigurativen Handeln, das Breines zeitlich als *prior to in the process of revolution« (ebd.) bestimmt, zielt auf die Konvergenz von Mitteln und Ziel politischen Handelns und gerät damit notwendigerweise in Konflikt mit — in Breines' Diktion — strategischen Transformationsansätzen, in denen der Zweck die Mittel heiligt und auf Machtübernahme um jeden Preis zielt. Wie auch die anderen drei Positionen, sieht Breines die Wahl prä.figurativer Praktiken in einer Angst vor der Reproduktion überkommener, hierarchischer Institutionen und Beziehungen begründet. Während präfigurative Praktiken bei Boggs, Rowbotham und Gorz aber durchaus als Bestandteil eines auf die Verschiebung der Machtverhältnisse zielenden Ansatzes firmieren, erscheinen sie in Breines' Darstellung an vielen Stellen als an Machtfragen absichtsvoll vollkommen desinteressiert, da ein Einlassen auf die damit verbundenen Vorgänge die Gefahr einer *duplication of the hierarchical and manipulative relationships« (ebd., 422) der gegenwärtigen Gesellschaft berge. »Prefigurative politics was hostile to bureaucracy, hierarchy and leadership, and it took form as a revulsion against large-scale centralized and inhuman insti-
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tutions« (ebd.)." Wird präfiguratives Handeln solchermaßen strikt gegen jegliche Form strategischen Handelns abgegrenzt, bleibt ihr in ihrer Reinform letztlich nur die kollektive Introspektion und Selbstreferenzialität, die große Verweigerung — ein Begriff, den Breines erklärtermaßen in Referenz an Herbert Marcuse sodann auch in den Untertitel ihrer Studie aufnimmt (vgl. Breines 1989). Für das übergeordnete Anliegen der vorliegenden Arbeit ist dabei insbesondere von Interesse, dass Breines nachdrücklich darauf beharrt, bei präfigurativen Praktiken handele es sich auch um Politik — wenn auch um eine andere Politik. Instruktiv ist auch der von Breines ganz beiläufig gegebene Hinweis auf eine mögliche Differenz im Erfolgsverständnis, der nahelegt, dass ein von einem instrumentell-rationalen, strategischen Politikverständnis unterschiedenes, expressiv-rationales, prä.figuratives Politikverständnis auch auf einen anderen Maßstab von Erfolg verweisen könnte." Letztlich bleibt in Breines' Arbeiten aber weitestgehend unterbelichtet, worin dieses andere Politikverständnis genau bestehen könnte und inwiefern es womöglich mit einem anders gearteten Machtverständnis — wie es Boggs zumindest andeutungsweise im anarchistischen Denken identifiziert — verknüpft sein könnte. Das hat nicht zuletzt dahingehende Konsequenzen, dass auch als ungeklärt zu gelten hat, wie Transformation tatsächlich vor sich gehen könnte, wie die postulierte Vermittlung von Mitteln und Zielen gedacht ist und inwiefern die vor allem innerorganisationale Präfiguration auch darüber hinausgehende Effekte zeitigen könnte. Breines' Darstellung verharrt letzten Endes in der nicht weiter elaborierten Feststellung, dass »[t]he process, the means, the participation and the dialogue were as important as the goal« (Breines 1980, 422).H Diese Unzulänglichkeit ist gar nicht so sehr Breines selbst anzukreiden — wenngleich sie deutliche Sympathien fur die Verfechter des präfigurativen Ansatzes bekundet —, sondern in erster Linie auf
12 In dieser Bestimmung offenbart sich, worauf Raekstad und Gradin (2019) zurecht hinweisen, die Geschichtsvergessenheit von Breines. Während sie für die Neue Linke zutreffend sein mag, ist die Zurückweisung auch großflächigerer Gestaltungansprüche der Idee präfigurativer Politik keineswegs per se eingeschrieben und kann empirisch durchaus auch entkräftet werden. 13 Darauf werde ich ganz am Ende der Studie nochmal zurückkommen. Siehe Kap. 9. 14 Breines' Beobachtungen sind in diesem Punkt etwas widersprüchlich. Während sie verschiedentlich davon spricht, dass präfigurative Politik in der Neuen Linken »within and alongside. (Breines 1989, 7) strategischer Politik betrieben worden sei, heißt es an anderer Stelle, dass beide Politikformen in einem dilemmatischen Verhältnis zueinander stünden (vgl. Breines 1980, 422) oder gar notwendig in unvereinbarer Weise kollidieren massten (vgl. Breines 1989, 7).
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eine dahingehende praxistheoretische Leer- bzw. Schwachstelle in der Bewegung selbst zurückzuführen — ein Makel, der auch von zeitgenössischen Beobachtern der Occupy-Bewegung immer wieder kritisiert wurde und worauf sogleich noch zurückzukommen sein wird. Nach dem Abflauen der Aktivitäten der in den späten 1960er- und 1970erJahren entstandenen Neuen Sozialen Bewegungen ist auch ein (akademischer) Aufmerksamke itsverlust bezüglich des Begriffs der präfigurativen Politik zu konstatieren. Nachdem lange Zeit kaum oder gar keine nennenswerten Beiträge zu verzeichnen waren, kehrte die Begrifflichkeit erst gegen Ende der 1990er-Jahre mit dem Aufkommen der altermundialistischen Bewegungen rund um den Globus wieder verstärkt in den Fokus zurück, um dann im Zusammenhang der Occupy-Bewegung ab 2009 eine geradezu omnipräsente Rolle bei der Analyse und Kritik politischer Protestbewegungen einzunehmen. In den jüngeren Abhandlungen wird dabei fast immer in der einen oder anderen Art und Weise auf die Arbeiten Boggs' und Breines' Bezug genommen, wohingegen Rowbotham und Gorz nicht oder allenfalls von einigen wenigen am Rande genannt werden. Boggs' und Breines' Überlegungen werden auch von Raekstad und Gradin (2019) in ihrem Überblickswerk als paradigmatische Vorformen zweier zeitgenössischer Verständnisse von präfigurativer Politik, einem engeren und einem weiteren, identifiziert. Breines rangiert dabei als Vordenkerin eines Modells innerorganisationaler Präfiguration, Boggs als Vordenker eines ausgreifenderen, gegenkulturellen Präfigurationsmodells. Bevor ich mich den gegenwärtigen Beschäftigungen mit prä.figurativer Politik zuwende, sei noch ein grundsätzlicher Hinweis gegeben: vermutlich den ideen- und praxisgeschichtlichen Wurzeln geschuldet, wird präfigurative Politik in aller Regel als eine Strategie der politischen Linken eingeordnet bzw. widmen sich an Präfiguration interessierte Analysen gemeinhin Handlungspraxen aus dem im weitesten Sinne linken Spektrum. Bis in die Definitionen hinein, so etwa bei Boggs, wird die präfigurative Praxis als sozialistisch oder auf Sozialismus zielend gefasst. Eine Ausnahme unter den bisher thematisierten Autor* innen ist Rowbotham, die zumindest darauf hinweist, dass präfigurative Politik durchaus auch eine Strategie der politischen Rechten sein könne (vgl. Rowbotham 1979, 137). Nicht ganz zu Unrecht wird von Daniel Jaster (2018) darauf hingewiesen, dass die nahezu umfassende analytische Beschränkung der Beschäftigung auf Untersuchungsobjekte aus dem linken Spektrum auch in systematisch-
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theoretischer Hinsicht zu Horizontverengungen führen kann. Er schlägt daher vor, von figurativer Politik als einer übergeordneten Kategorie für prtifigurative und refigurative Praktiken zu sprechen, wobei refigurative Praktiken einen riicicwärtsgewandten Transformationsanspruch verfolgen, zu einstmals bestehenden oder solchermaßen erinnerten Praktiken »zurückkehren« möchten. Als eine nennenswerte Ausnahme in der überwiegend an »linken« Manifestationen interessierten Forschungslandschaft kann zudem eine Studie von Robert Futrell und Pete Simi (2004) angeführt werden, in der sich die beiden Autoren mit den präfigurativen Praktiken US-amerikanischer White Power-/Aryan Dominance-Gruppen befassen und dabei an Francesca Pollettas (1999) Studien zu »Befreiten Zonen« im Kontext europäischer sozialer Bewegungen anknüpfen.'s Wenngleich Jasters Hinweis ganz generell zu berücksichtigen ist, so spielt die Frage der Links- bzw. Rechtsreferenzialität in der vorliegenden Studie zunächst einmal keine Rolle. Für die Frage nach der Politizitä.t und den Manifestationsformen von präfigurativer Praxis an sich ist es unerheblich, welchen politisch-ideologischen Gehalt die jeweiligen Praktiken transportieren.
2.3 Der zeitgenössische Diskurs Nachdem die Begrifflichkeit der Präfiguration mit dem Abebben der Neuen Sozialen Bewegungen weitestgehend aus dem Aufmerksamkeitsbereich der akademischen Analysen verschwunden war, kehrte sie an der Wende zum 21. Jahrhundert mit dem Aufkommen der globalisierungskritischen, altermundialistischen Bewegungen vereinzelt wieder auf die Tagesordnung zurack. In dieser frühen Phase des zeitgenössischen Diskurses wird die Terminologie jedoch noch eher beiläufig eingestreut und findet nur vereinzelt Verwendung. Als einer der Ersten dürfte der anarchistische Ethnologe David Is Polletta beschreibt die Errichtung *befreiter Zonen« explizit als prifigurative Politik. Ihre Unter-
suchungsobjekte entstammen zwar dem linken bzw. feministischen Protestbewegungen, aber anders als Futrell und Simi behaupten, verweist sie sehr wohl auf entsprechende Praktiken rechter Bewegungen (vgl. Polletta 1999, 31). Der Sache nach verwandt mit den von Futrell und Simi untersuchten rechtsradikalen Strategien ist im deutschsprachigen Raum das Konzept der *National befreiten Zone« (vgl. dazu Röpke/Speit 2019). Teivainen (2016) schlägt vor, demokratische Präfiguration als eine Unterform von Präfiguration an sich zu begreifen, neben der noch weitere, etwa auch faschistische, Unterformen bestehen. Siehe zu rechten präfigurativ-politischen Ansätzen auch Sorensen (i.V.).
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Graeber (2002) den Terminus in seiner Analyse der Gipfelproteste gegen das WTO-Ministertreffen in Seattle 1999 aufgegriffen haben. Insofern er dabei
auf die inneren Organisationsformen und die damit verbundenen Aspirationen der Bewegung fokussiert, steht Graebers Begriffsgebrauch zu diesem Zeitpunkt in deutlicher Nähe zu den Arbeiten Breines'. Die Taktiken, Organisations- und Entscheidungsfindungsmodi der Bewegung seien in sich präfigurativ-politisch und ziehen auf eine Neuerfindung von DemokratiePrefiguration< or prefigurative politics< refers to a political action, practice, movement, moment or development in which certain political ideals are experimentally actualised in the ‚here and now, rather than hoped to be realised in a distant future. Thus, in prefigurative practices, the means applied are deemed to embody or >mirror< the ends one strives to realise.* (Sande 2013, 230)
Explizit wird in van de Sandes Bestimmung das in besonderer Weise geartete Beziehungsverhältnis von Mitteln und Zwecken aufgerufen, welches im zeitgenössischen Diskurs häufig thematisiert und weiter unten noch genauer betrachtet werden soll (vgl. 2.3.4).21 Übergreifende Einigkeit besteht ferner auch dahingehend, dass es sich bei präfigurativen Praktiken um eine intentionale Praxis in transformativer Absicht handelt, das heißt, die intendierten Effekte auf die Veränderung der bestehenden Machtverhältnisse zielen.22
20 Dabei gibt es durchaus Differenzen. Eine Ausnahme ist z.B. Williams (2017), die etwa auch politische Konsumpraktiken von Individuen dazu zählt. Gegen diese individuellen bzw. individualistischen Praktiken richten sich wohlgemerkt einige der schärfsten Kritiken an präfigurativem Handeln, wie bspw. schon frith in Murray Bookchins Kritik des Lifestyle-Anarchismus (Bookchin 1995) oder unlängst bei Soborski (2018). Erwiderungen finden sich bspw. bei Gordon (2010,44-46) oder Raekstad/Gradin (2019,140-145). 21 Beide Definitionen heben zentral auf den experimentellen Charakter ab. Mit Blick auf die weiter oben aufgeworfene ideologische Grundierung ist hier aber Vorsicht geboten, insofern die Betonung des Experimentellen schon einen Schritt von einer formalen hin zu einer substantiellen Bestimmung von präfigurativer Politik bedeutet. Zwar sind prifigurative Praxiszusammenhänge immer in gewisser Hinsicht ein Experiment — eine Erprobung einer möglichen Zukunft aber nicht alle präfigurativen Praxiszusarnmenhänge weisen der kontinuierlichen experimentellen Erprobung und Modifikation innerhalb des Zusammenhangs einen Status des Erstrebenswerten zu, wie es etwa von zahlreichen Autor"innen far die Occupy- Bewegung behauptet wurde. 22 Das gilt auch fir besagte refigurative Formen, aufdie Jaster (2018)verweist, insofern auch die Reetablierung vergangener Strukturen einen Transformationsvorgang erfordert.
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2.3.2 Direkte Aktion und die drei Dimensionen der »Unmittelbarkeit« Will man der Vielzahl an Aspekten Herr werden, die mit präfigurativer Politik in Verbindung gebracht werden, so erscheint mir als analytischer Zugriffspunkt ein ebenfalls der anarchistischen Tradition entstammender Begriff äußerst hilfreich: die Direkte Aktion (vgl. dazu Graeber 2013a). Hatte bereits Graeber (2002) in seinem Artikel zu den Gipfelprotesten in Seattle auf die Verwandtschaft von präfigurativer Politik und Direkter Aktion verwiesen, so wird diese Verbindung auch in der jüngeren Literatur verschiedentlich aufgerufen. Wahrend Benjamin Franks (2003) präfiguratives Handeln umstandslos mit Direkter Aktion gleichsetzt, differenzieren etwa Uri Gordon (2009) oder Cindy Milstein (2013) eingedenk der auch zerstörerischen, gewalttätigen Manifestationsformen Direkter Aktion in der Geschichte des Anarchismus zwischen destruktiven und schöpferischen bzw. proaktiven Formen von Direkter Aktion. Mit letzterer bringen sie das präfigurative Handeln in Verbindung: »This constructive form of direct action is also known as prefigurative politics — a term combining both dual power strategies for creating a new society >within the shell of the oldbe the change< they want to see in society, recursively building their goals into their daily activities, collective structures and methods of organization.« (Gordon 2009, 269)
In all ihren Formen, auch in der schöpferischen, verweist das Handlungsverständnis der Direkten Aktion auf Unmittelbarkeit und eben darin besteht meines Erachtens ein geeigneter Zugang für die Durchdringung der gegenwärtigen mit dem Konzept präfigurativer Politik assoziierten Aspekte. Für eine feinere Sortierung empfiehlt sich dabei eine dreifache Differenzierung untereinander natürlich in Verbindung stehender Ausprägungen von Unmittelbarkeit: a) räumliche Unmittelbarkeit, b) zeitliche Unmittelbarkeit und c) politische Unmittelbarkeit. a) räumliche Unmittelbarkeit: hier machen!
Zumeist werden präfigurative Praktiken im unmittelbaren, mitunter auch privaten, Nahraum verortet und mit diversen Mikropraktiken bzw. -polltiken assoziiert. »Activists who engage in prefigurative politics attempt to create social change by structuring their awn practice according to the principles they want to see govern the whole society« (Leach 2013b, 182;
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Hervorh.: PS). Aufgrund der gesteigerten Aufmerksamkeit für die OccupyBewegung im gegenwärtigen Diskurs sind es oftmals deren Protestcamps und die zugehörige Infrastruktur (z.B. Brisette 2013; Graeber 2012), daneben aber auch besetzte Häuser (Yates 2015), Frauenräume (Williams 2017), Stadtgärten (Mudu/Marini 2018), Food-Coops, Nachbarschaftsräte oder selbstverwaltete Betriebe (Cornell 2011), die als Manifestationsformen präfigurativen Handelns Erwähnung finden. Transformation und politischer Wandel, so die dahinterstehende Überlegung, beginnt vor oder gar hinter der eigenen Wohnungstür, entsprechende Bemühungen müssen »hier« ansetzen, transformative Erwartungen nicht auf anderswo — etwa im Parlament der Hauptstadt — agierende Akteure projiziert werden. Im politisch-sozialen Nahumfeld könnten die Akteure selbst aktiv werden und vom je konkreten Ort aus den Wandel von unten wachsen lassen, anstatt auf dirigistische Anweisung aus der Ferne zu warten.23 Wenngleich wohl keiner der Proponenten präfigurativer Politik die lokal-räumliche Verankerung präfigurativer Praktiken grundsätzlich infrage stellt, so mehren sich zuletzt auch Stimmen, die infolge entsprechender Kritiken auf die Gefahren derart lokalistischer Verengungen verweisen und großflächigere Aspirationen oder zumindest die forciertere Verknüpfung kleinräumiger Projekte anmahnen (z.B. Raekstad 2018, 362 f.; Teivainen 2016; Graeber 2013a, 28), bzw. auf historische Manifestationsformen präfigurativer Politik verweisen, die sich keineswegs einer aufKleinrä.umigkeit setzenden Selbstbegrenzung unterwarfen (so z.B. mit Blick auf die argentinische FORA oder die spanische CNT: Raekstad/Gradin 2019, Kap. 4). zeitliche Unmittelbarkeit: jetzt machen!
Die zweite Unmittelbarkeitsdimension neben dem räumlichen »Hier< wird durch das zeitliche »Jetzt< beschrieben. Dieses Jetzt kann in zweifacher Weise ausgelegt werden. Zum einen setzt präfigurative Politik darauf, »augenblicklich eine neue Welt zu schaffen« (Srnicek/Williams 2015,50; ähnlich Naegler 2018, 507), anstatt beispielsweise erst einen bestimmten Grad der Entwicklung der Produktivkräfte oder die Ausbildung einer ihrer selbst
23 Benjamin
Franks macht flankierend einen anderen Punkt stark, indem er betont, der prifigurativen Praxis liege eine Ethik der Direkten Aktion zugrunde, die besage, dass .direct action must primarily be for the benefit of those who carry it out* (Franks 2003, 27), was gezwungenermaßen einen lokalistischen Ausrichtungsfokus zur Folge habe.
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bewussten Massenbasis abzuwarten, wie es von bestimmten marxistischen Spielarten der Revolutions- und Transformationstheorie propagiert wurde. Die Zeit ist in diesem Verständnis stets reif, es bestehen zu jedem Zeitpunkt zumindest rudimentäre Potenziale — gerade im Alltagsleben — fir Verb derungen. Zum anderen aber, darauf hatte bereits Rowbotham in ihren Auseinandersetzungen mit den Vorzügen präfigurativer Politik verwiesen, beansprucht die antizipatorische politische Transformationsarbeit im Jetzt auch einem transformations- und revolutionstheoretischen Dilemma zu begegnen, nämlich jenem »Zirkel der Emanzipation« zu entkommen, der darin besteht, dass Emanzipation nur dann gelingen kann, »wenn sie in irgendeiner Weise schon im Handeln und Denken der Akteure präfiguriert ist« (Marchart 2019, 169). Die Ermöglichung und Erprobung anderer Subjektivitäten und Beziehungsweisen ist damit immer schon essentieller Bestandteil der gegenwärtigen Kämpfe fir eine andere Zukunft, die nur durch diese vorbereitende und einübende Praxis überhaupt erreicht werden und auf nachhaltigen Bestand hoffen könne. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Maeckelbergh als zentrales Charakteristikum prä.figurativen Handelns die Aufhebung des Trennstrichs zwischen Vergangenheit und Zukunft benennt: »Practicing prefigurative politics means removing the temporal distinction between the struggle in the present and a goal in the future; instead, the struggle and the goal, the real and the ideal, become one in the present.« (Maeckelbergh 2011, 4) Beide Aspekte zusammengenommen stehen fir ein Verständnis von Revolution bzw. Transformation, das diese nicht als *ein künftiges Ereignis, sondern vielmehr als gegenwärtiger Prozess und potenzielle Dimension des täglichen Lebens« (Gordon 2010, 68) begreift. Angesichts dessen muss einer präfigurativen Transformationslogik zufolge nicht nur hier, sondern auch jetzt mit dem verändernden Handeln begonnen werden. c) politische Unmittelbarkeit: selber machen!
Die dritte Unmittelbarkeitsdimension betrifft politisch-organisationale Fragen und kann als eine spezifische Ausformung der anderen beiden Unmittelbarkeitsdimensionen gesehen werden. Die Direkte Aktion besteht hierbei darin, das politische Schicksal (wieder) in die eigenen Hände zu nehmen. Geradezu zwangsläufig ergeben sich daraus die Ablehnung repräsentativ-demokratischer Strukturen und der Anspruch auf radikalere, partizipatorischere und umfassendere Formen von Demokratie, wie sie von
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den diversen Bewegungen des Protestzyklus zu Beginn der 2010er-Jahre — von Occupy über den Movimiento 15-M bis zu den Aganaktismenoi — nicht nur eingefordert, sondern auch präfigurativ zu praktizieren beansprucht wurden (vgl. z.B. Lorey 2013; Douzinas 2013, Kap. 10; Howard/Pratt-Boyden 2013, 734 f.). In paradigmatischer Form ist beides in einer der ersten Verlautbarungen von Occupy Wall Street erkennbar: »Occupy Wall Street is an exercise in >direct democracy.< [...] Since we can no longer trust our elected representatives to represent us [...l, we are creating a microcosm of what democracy really looks like.« (New York City General Assembly 2011; vgl. mit Blick auch auf andere Bewegungen: Sitrin 2012a). Wie von zahlreichen Beobachtern festgestellt wurde, korrespondierte der Anspruch, Politik selber zu machen, häufig mit der Weigerung, Forderungen zu erheben und diese an den Staat oder andere intermediäre Instanzen wie Parteien und Gewerkschaften zurichten, mit denen die Zusammenarbeit aufgrund ihrer vertikalhierarchischen Verfasstheit zudem häufig prinzipiell abgelehnt wurde (vgl. z.B. Klein 2011; SrnicekfWilliams 2015; Rohgalf 2013; Brisette 2016). Im Inneren der Bewegung — in den Protestcamps in Form einer »General Assembly« oder von Sprecher*innenräten — wurde der Anti-Repräsentationalismus häufig in die Praxis einer konsensualistisch-horizontalistischen Beteiligungsdemokratie übersetzt (vgl. z.B. Maeckelbergh 2012; Azzelini/Sitrin 2014; Graeber 2013b) und führte mitunter soweit — wie Howard und PrattBoyden far Occupy London beschreiben — dass das Verfassen schriftlicher Verlautbarungen abgelehnt wurde, da Schriftstücke nicht in der Lage seien, die plurale und fluide Vielfalt der Perspektiven abzubilden (Howard/PrattBoyden 2013, 735). Einer der zentralen Slogans der häufig auch als Demokratiebewegung zusammengefassten Proteste zu Beginn der 2010er, »This is what democracy really looks like«, kann stellvertretend far den präfigurativen Anspruch in politisch-organisationaler Hinsicht gedeutet werden. »In essence, the GAs [General Assemblys; PS] were an attempt to put the process/means of democracy ahead of its end. Rejecting the consequentialist position that underpins constitutional democracy in its dominant liberal format, GA processes posited an alternative in which the end of getting things done or taking a decision is not privileged over the process of not alienating, steam-rolling, or excluding those upon whom such decisions may impact.« (ebd.; dazu auch Teivainen 2016; Graeber 2013b)
Wie Jan Rohgalf betont, seien mit der horizontalistisch-demokratischen Praxis in den Protestcamps und auf den Plätzen in präfigurativ-politische-
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rer Hinsicht zwei unterschiedlich weitreichende Ansprüche verbunden gewesen. Zum einen, weniger weitreichend, sei der Gestaltungsanspruch lediglich auf das Camp und dessen innere Organisation selbst bezogen gewesen, um den Beteiligten eine politische Lebensführung gemäß ihren eigenen Ansprüchen und Werten zu ermöglichen. Zum anderen, sehr viel weitreichender, der Anspruch, dass diese »democracy of the many is taken for a model that is actually capable of supplanting representative government in the long tun« (Rohgalf 2013, 160). Ob und inwieweit diese Beschreibungen und die — sowohl von wohlmeinenden (z.B. Teivainen 2016) wie auch weniger geneigten (z.B. Dean 2012) Kommentatoren vorgebrachten Kritiken des Antirepräsentationalismus der Platzbesetzungsbewegungen in Gänze zutreffend sind, muss an dieser Stelle nicht interessieren.24 Entscheidend ist hier zunächst einmal nur, dass im zeitgenössischen Diskurs abet Präfiguration aufgrund der expliziten Fokussierung demokratischer Prozeduren in den dislcursprägenden Bewegungen eine enge Verbindung von präfigurativer Praxis und innerorganisationalen Entscheidungsfindangsund Aushandlungsmodalitäten besteht, die sich entsprechend auch in der akademischen Forschung niederschlägt (kritisch dazu aber z.B. Raekstacl/ Gradin 2019, 1Cap 4 und 6).
2.3.3 Propaganda der Tat Fragt man nach den im zeitgenössischen Diskurs mit präfigurativem Handeln assoziierten Aspirationen und den erhofften oder zugeschriebenen Wirkweisen, so lässt sich ein wesentlicher Teil der immer wieder genannten Aspekte mit dem ebenfalls der anarchistischen Tradition entstammenden Konzept einer Propaganda der Tat beschreiben. Dem Anspruch, »[to] spread
24 Die präfigurativen Praktiken der auf radikale Demokratisierung drängenden Bewegungen der 2010er-Jahre umstandslos mit einer umfassenden Unvereinbarkeit und Ablehnung jeglicher Art von Repräsentation in eins zu setzen, ist zu vorschnell. Zwar werden entsprechende Einordnungen immer wieder prominent vorgebracht (z . B. Azzelini/Sitrin 2014; Hardt/Negri 2013), aber zum einen kommt bereits in dem wohl berühmtesten Slogan der Occupy-Bewegung — We are the 99% — unbestreitbar ein Repräsentationsanspruch zum Ausdruck, zum anderen sind präfigurative Praktiken in sich und notwendigerweise stets Repräsentationen einer wie auch immer imagi• nierten Zukunft. Far eine äußerst differenzierte Auseinandersetzung mit der Kritik der Reprisentation in den Bewegungen, der Kritik der Repräsentationskritik und den in den Bewegungen beobachtbaren Repräsentationsformen siehe jetzt Sande (2020).
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our principles, not with words but with deeds, for this is the most popular, the most potent, and the most irresistible form of propaganda« (Bakunin 1870), korrespondiert die zuvor genannte, in den Bewegungen weitverbreitete Ablehnung, Forderungen an den Staat oder andere intermediäre Instanzen zu richten.25 Stattdessen wird zuvorderst auf die demonstrative Wirkung der eigenen autonomen Praxis, des Machens — oder besser: des Anders-machens — gesetzt, der eine stärkere Wirkkraft attestiert wird als dem sprachlichargumentativen Aushandeln, das sich immer schon auf das Terrain des »Gegners« begeben müsse. Ganz getreu dem Sponti-Slogan »Taten statt Worte« beschreibt Raekstad den Transformationsanspruch präfigurativer Politik wie folgt: »Prefigurative practice can change all this, and it can do so without argument, in fact, without uttering a single word.« (Raekstad 2018, 364; ähnlich Graeber 2013b, 89). Vermittels der Schaffung gegeninstitutioneller Alternativen im Hier und Jetzt, die nicht nur die konkreten Lebenssituationen der aktiv Involvierten verbessern (so z.B. Cornell 2011), sondern darüber hinaus auch praktisch ein Anders-sein-Können unter Beweis stellen und damit entselbstverstä.ndlichend und welterschließend wirken können, sollen zu Nachahmung ermutigende Vorbilder geschaffen werden (vgl. z.B. Maeckelbergh 2011; Swain 2019; Naegler 2018), die sodann über eine *Strategie der Ansteckung« sukzessive in die weitere Gesellschaft diffundieren (Graeber 20I3a, 28; vgl. Milstein 2013; Yates 2015; kritisch dazu: Srnicek/Williams 2015). Die weiterreichende, zugleich aber in den vorrangig empirisch-deskriptiven Beiträgen in aller Regel unzureichend sozialund machttheoretisch grundierte Hoffnung zielt darauf ab, dass durch die allmähliche Verbreitung und Verbreiterung präfigurativer Projekte den bestehenden Institutionen die Bestandskraft entzogen wird (vgl. Brisette 2016; Naegler 2018), diese durch jene ersetzt und obsolet gemacht werden (vgl. Yates 2015; Day 2005).26 Man mag eine gewisse Skepsis angesichts einiger allzu optimistischer Einschätzungen der Wirkeffekte hegen, aber unbestreitbar wird im Rahmen der Diskussionen präfigurativer Praktiken immer wieder auf einen trans25 Vgl. zur — auch inneranarchistischen — Debatte um das Konzept der Propaganda der Tat und dessen mitunter auch gew-alttätigen Ausprägungen Kellermann (2016). 26 Mir geht es an dieser Stelle wohlgemerkt nicht um eine Bewertung oder Plausibilititsprüfung dieser Annahmen, sondern lediglich um die Darstellung der im zeitgenössischen Diskurs vertretenen Positionen. In evaluativer Hinsicht gibt es durchaus skeptische bis radikal ablehnende Stimmen — auch im Kreis der Befürworter präfigurativer Praktiken (z.B. Graeber 2013a, Smicek/ William 2015; Soborski 2018; Smucker 2014).
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formationstheoretisch höchst bedeutsamen Aspekt verwiesen, der von anderen Transformationstheorien häufig vernachlässigt wurde und bereits in früheren Diskurs der 1960er- und 1970er-Jahre eine zentrale Rolle spielte. Eine erfolgsversprechende, auf Nachhaltigkeit zielende Transformationsbemühung, so schon die im frühen Präfigurationsdiskurs immer wieder anklingende Warnung, dürfe die Ebene der (handelnden) Subjekte nicht außer Acht lassen und habe dafiir Sorge zutragen, dass die Bewegung sowohl institutionell wie auch subjektiv auf die Revolution und auch den Tag danach vorbereitet sei. Eine tiefreichende, dauerhafte und nicht nur aufdie Übernahme bestehender Machtpositionen in Staat und Gesellschaft zielende Transformation des Alltagslebens, so die gegen avantgardistische top-down-Modelle gerichtete Annahme, »is possible only if there already are, at least to some extent, revolutionary subjects who have developed the powers to organize social life in different, namely free and democratic ways, and have the needs and consciousness that drive and enable them to do so. This does not assume that all the powers, needs, and consciousness of a future society are possible under capitalism, or can fully develop in the latter system. All that is needed is to assume that the requisite powers, needs, and consciousness can be developed to some extent despite capitalism« (Raekstad 2018,364).
Nur wenn diese anderen, post-transformatorischen Subjektivitäten bereits vor und im Prozess der Transformation erprobt und eingeübt werden können, könne die Gefahr der Reproduktion überkommener hierarchischer Beziehungen und autoritärer Verhaltensmuster gebannt werden. Eben diese auch edukative und sub jektformative Funktion beansprucht die präfigurafive Errichtung alternativer Gegeninstitutionen ebenfalls zu gewährleisten: »On this approach, the primary motivation for attempting to embed practices of the future is to enable participants to ,try our and exercise alternative social relations and forms within the course of a movement, in order both to prepare for an alternative and hasten its arrival.« (Swain 2019,58; ähnlich argumentiert Milstein 2013, 83; ausführlich dazu auch Raekstad/Gradin 2019, 74-78).
2.3.4 Zweck, Mittel und die Politizität der Präfiguration
Dieses Kapitel beschließend, möchte ich mich gesondert noch der Verhältnisbestimmung von Zweck und Mittel im Diskurs über präfigurative Praktiken zuwenden (a) sowie schließlich die Behandlung der Frage nach der Po-
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litizität der präfigurativen Politik in den Fokus rücken (b). Während erstere Thematik in nahezu allen Verlautbarungen und wissenschaftlichen Analysen zumindest gestreift wird, wird letztere nur selten in expliziter Weise und manchmal indirekt verhandelt. a) Mittel ohne Zweck oder Mittel als Zweck Die große Aufmerksamkeit für die Zweck-Mittel-Beziehung ist insofern wenig verwunderlich, als in diesem Feld das zentrale trennende Merkmal zur Unterscheidung präfigurativer Praktiken von anderen Transformationsmodellen zu verorten ist. Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass dem Beziehungsverhältnis in der Reflexion auf präfigurative Politik generell eine Bedeutung zugesprochen wird. Mit Chris Dixon lässt sich das so ausdrücken: »how we get ourselves to a transformed society (the means) is importantly related to what that transformed society will be (the ends)« (Dixon 2014, 84 f.). Eine — zugegebenermaßen etwas simplifizierende — Abgrenzung zu anderen Trans formationsansätzen besteht eben darin, dass die Art dieser Beziehung im Kontext präfigurativer Praktiken für wichtig erachtet wird. Exemplarisch tritt dies etwa in den Arbeiten Benjamin Franks zutage, der sich aus moralphilosophischer Perspektive mit präfigurativer Politik beschäftigt und im Zuge dessen eine korrespondierende prä.figurative Ethik von konsequentialistischen Ansätzen abgrenzt, wie er sie etwa in einem leninistischen Revolutionsmodell erkennt (vgl. Franks 2003, 23). Dieses sei gekennzeichnet von einer völligen ethischen Indifferenz gegenüber den eingesetzten Mitteln der Transformation. Es zähle einzig und allein die unterstellte maximale Wirksamkeit eines angewandten Mittels hinsichtlich der Erreichung eines vorgegebenen bzw. vorab eindeutig identifizierten Ziels. Eben diese Option steht für Verfechter eines präfigurativen Revolutionsmodells nicht offen und lässt sich mit Verweis auf das schon einige Male aufgerufene Motiv der Verhinderung der Reproduktion überkommener sozialer Beziehungsmuster erläutern. Maeckelbergh beschreibt dieses Anliegen mit Blick auf die innere Organisation von sozialen Bewegungen so: »The association [...1 between means and ends of movement organizing is expressed as fears that the movement will become what they are fighting against unless they practice a very different form of politics« (Maeckelbergh 2011, 8). Es ist nicht gleichgültig, so ist das präfigurativ- politische Ethos zu verstehen, mit welchen Mitteln ein gutes Ziel zu erreichen versucht wird, da mit der Art des Mittels ganz wesentlich das Erreichen und die Nachhaltigkeit des erstrebten Zielzustands beein-
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flusst wird. Infolgedessen gälte es Ziel und Mittel in ein nicht nur instrumentell-rationales, sondern auch in ethischer Hinsicht bestehendes Korrespondenzverhältnis zueinander zu setzen. Der gewünschte Grad und die genaue Art der Verwobenheit von Mitteln und Zielen wird dabei in der Debatte unterschiedlich angesetzt und ausbuchstabiert, woraus sich jeweils auch unterschiedliche Problemlagen ergeben. Wie einige empirisch ausgerichtete Arbeiten zeigen, werden in aktivistischen Kontexten durchaus solcherart weitreichende Positionen eingenommen, die eine vollkommene Übereinstimmung von Ziel und Mittel postulieren (vgl. z.B. Yates 2015; Naegler 2018). Wie Dan Swain herausgearbeitet hat, finden in diesen Zusammenhängen häufig Metaphern wie »Spiegelung« oder >Verkörperung< Verwendung, um das Beziehungsverhältnis von Mittel und Ziel zu beschreiben. Die Beziehung wire demzufolge als eine Identitätsbeziehung zu verstehen und letztlich auch als eine Determinationsbeziehung, bei der eine (wie auch immer identifizierte) Zielvorstellung die Art der im Jetzt anzuwendenden Mittel festlegt (vgl. Swain 2019,52-54). Es ist dieser determinierende Zug, den Gordon — wie oben geschildert als aus der christlich-theologischen Vorgeschichte der Prä.figurationsterminologie ererbt betrachtet und mit einem far emanzipatorische Politiken untragbaren Ballast versehen erachtet. Das dabei vorauszusetzende, (quasi-)theologische Wissen um die anzustrebende »gute« Zukunft unterbinde die freiheitliche Potenzialität menschlichen Handelns, indem es dieses unter den Vorbehalt einer quasi vorpolitischen Teleologie stelle. Dem christlich-theologisch geprägten Präfigurationsmodell entspräche ein rekursives zeitliches Muster, das für die streng regelhafte, identische Wiederholung bzw. Entsprechung stehe. Gordon — der sich in einer jüngeren Schrift (Gordon 2018) sogar dafür ausspricht, in anarchistisch-emanzipatorischen Kontexten künftig ganz auf die Begrifflichkeit der Prä.figuration zu verzichten, um der gewünschten experimentellen Offenheit auch auf begrifflicher Ebene gerecht zu werden — stellt dem christlich-theologischen Präfigurationsmodell einen davon klar zu scheidenden anarchistischen Strang antizipatorischer Politik entgegen, der gänzlich anders gelagert sei, da er das historische Geschehen dem freiheitlichen menschlichen Handeln gerade nicht gänzlich enthebt. Gordon spricht in diesem Fall von einem generativen Zeitlichkeitskonzept und verweist zu illustrativen Zwecken auf die Metapher des Embryos, wie sie etwa im Sonvilier-Circulaire der JuraFöderation von 1871 (vgl. Sonvilier Circular 1871 und unten Kap. 4) zu finden ist. Ein solch generatives Zeitlichkeitsverständnis denkt nicht vom Ziel
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her und verpflichtet das aktivistische Handeln infolgedessen nicht auf ein ganz bestimmtes, unverhandelbares Tun, es löst das Handeln aber auch nicht gänzlich von Zielvorstellungen, insofern es nachdrücklich auf ein Gewahrwerden der — hierbei bedient Gordon sich eines in der historischvergleichenden Politikwissenschaft verbreiteten Modells — Pfadabhängigkeit jeglichen Handlungsverlaufs insistiert. Antizipatorisches Handeln dürfe sich nicht dazu versteigen, im Jetzt schon zu wissen, was die gute Zukunft auszeichnet und wie dementsprechend im Jetzt gut zu handeln sei, solle gleichwohl aber stets bedenken, dass Handlungen im Heute das Morgen — im Guten wie im Schlechten — stets beeinflussen und prägen. Für Gordon resultiert daraus eine Strategie selbstreflexiven Experimentierens: »This generative temporal framing is situated in forward-looking time, without recursion. [...] Maturation is not guaranteed (the child >is to bewill beaccomplishment, rendering it too unstable to coherently serve as a source ofrecursive prefiguration. Such a partial indeterminacy of ends is only intelligible within a generative temporal framing, wherein the future is seen as the product of the affordances and contingencies preceding it.« (Gordon 2018, 530 1.)
Etwas anders gelagert, im Ergebnis aber nicht zwangsläufig unterschiedlich, sind die moralphilosophischen Überlegungen Benjamin Franks, der zunächst auf einer basalen Ebene auch eine Übereinstimmung von Zielen und Mitteln einzufordern scheint. Wirft er einerseits (Ieninistisch-)konsequentialistischen Ansätzen eine ausschließliche Fokussierung auf die Ziele und deren ethisch unbedingte Erreichung vor, so attestiert er andererseits den von liberalen oder anarchokapitalistischen Positionen vertretenen deontologischen Ansätzen eine alleinige Priorisierung der Mittel (vgl. Franks 2003, 25-27). Für präfigurative Ansätze nimmt Franks hingegen in Anspruch, dass diese den Mitteln und Zielen gleichermaßen Rechnung trügen und diese dabei in einem Konsistenzverhältnis stünden (vgl. ebd., 22). Wie genau dieses Konsistenzverhältnis beschaffen ist oder sein könnte, darüber erfdhrt man wenig. Im Grunde geht Franks jedoch ohnehin sogleich einen
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Schritt weiter, indem er die Kategorie der Ziele im Vergleich zu konsequentialistischen Ansätzen nicht nur dezentriert, sondern sie letztendlich Ea. präfigurative Ansinnen gänzlich zuriickzuweist bzw. in der Kategorie der Mittel aufgehen lässt. Das zeigt sich etwa dort, wo er präfigurative Politik von der Protestform des zivilen Ungehorsams abgrenzt und das Unterscheidungsmerkmal darin sieht, dass letztere Aktionsformen »are justified in terms of civil disobedience towards reaching a given end« (ebd., 18; Hervorh.: PS). Damit fallen Akte zivilen Ungehorsams für Franks unter die Rubrik der konsequentialistischen Handlungsformen, far welche folgendes Credo gälte: »Actions are judged by whether they assist or hinder the revolutionary goal.« (ebd., 23; ähnlich auch Franks 2006, 133). Zielbestimmungen bzw. -erreichung, so wäre sodann aber in Umkehrung zu formulieren, können zur Qualifizierung präfigurativen Handelns nicht herangezogen werden. Da Franks sich jedoch in seiner Apologie einer präfigurativen Ethik auch nicht mit deontologischen Ansätzen gemein machen möchte, bleibt ihm nichts anderes, als besagtes Konsistenzverhältnis zu postulieren, das er jedoch nicht in theoretisch zufriedenstellender Weise bestimmt bzw. nicht bestimmen kann. Sein Hinweis auf das qualifizierende Gütekriterium in Abgrenzung zu deontologischen Ansätzen, dass nämlich präfiguratives Handeln »must primarily be for the benefit of those who carry it out, (ebd., 27), wirkt etwas hilflos, verlagert er die Beantwortung der Frage doch einerseits in die Empirie und setzt andererseits mit der nicht weiter problematisierten Kenngröße »benefit« implizit ebenfalls eine zumindest rudimentär bestimmbare Zielvorstellung voraus. Davon einmal abgesehen, wurde zu Recht und auch von Verfechtern präfigurativer Praktiken darauf hingewiesen, dass eine derart rigorose, theoretische Aversion gegenüber jeglichen Arten von Zielvorstellungen einem Handlungsmodell Vorschub leistet, dass sich mit diversen Unzulänglichkeiten konfrontiert sieht, wie etwa einem rigoristischen Selbstisolationismus (z.B. Brisette 2013; Naegler 2018), einem Apolitizismus, der jegliche Verbindung von präfigurativem Handeln und strategischer Planung unterbindet (z.B. Maeckelbergh 2011 und hier weiter unten) und einem beide zuvor genannten Aspekte verbindenden Prasentismus, wie ihn Dan Swain unter der Bezeichnung ends-effacing prefiguration kritisiert, weil dadurch die gesellschaftstransformativen Ziele
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aus dem Blick zu geraten oder einmal gewählte Praktiken fetischisiert zu werden drohen (vgl. Swain 2019, 55-58).27 Generell ist jedoch zu konstatieren, dass im gegenwärtigen, überwiegend von empirisch-deskriptiven Beiträgen gespeisten Diskurs über präfigurative Politik eher lose, nicht tiefergehend theoretisierte Darstellungen des Mittel-Zweck-Verhältnisses vorherrschend sind, die der Beziehung nicht weiter nachgehen bzw. keine identitäre Beziehung postulieren. Ebenfalls, wie auch Gordon, den experimentellen Prozesscharakter prä.figurativen Handelns betonend, beschreibt etwa Maeckelbergh das Verhältnis von Zielbestimmungen und gewählten Mitteln hinsichtlich der inneren Organisationsformen der globalisierungskritischen Bewegungen der späten 2000er-Jahre wie folgt: »Prefiguration posits a cyclical process of social change, in which the means become ends, which in turn become the means to other ends, and so on. [...] This prefigurative strategy is no longer cloaked in the language ofconsequentialist revolutionary strategy. Instead it is a strategy that is more concerned with creating than predicting, practicing over theorizing. [...) The assumption underlying prefiguration is that the means are important because they have consequences.. (Maeckelbergh 2011, 15 f.)
Zwar wird auch in dieser Fassung nicht klar, wie genau ein solch zyklisches Prozessmodell vorzustellen ist, diese Frage aber mit Verweis auf die Unerwünschtheit theoretischer Vorstrukturie rung ohnehin beiseite gewischt. Interessant an Maeckelberghs Definition ist aber vor allem, dass in ihr ganz bewusst der strategische Charakter präfigurativer Praktiken herausgestrichen wird, womit sich Maeckelbergh einerseits gegen die Einordnung präfigurativer Praktiken als radikal nicht-zielorientiert durch Franks richtet (vgl. ebd., 5 f.), vor allem aber andererseits auch gegen die bis zu diesem Zeitpunkt durchaus diskursprägende Abgrenzung von präfigurativen und strategischen Praktiken nach Breines wendet. Interessant und bedeutsam ist die Weichenstellung vor allem mit Blick auf die Frage der Politiziteit prä.figurativer Politiken.
27 Ein solch zukunftsausblendender, zwangsläufig im reinen Jetzt verfangener Prisentismus könnte durchaus auch aus Gordons generativen Modell antizipatorischer Politik resultieren, wie er selbst auch eingesteht. Zum jetzigen Zeitpunkt ohne weitere theoretische Elaboration zum Status etwaiger Zukunftsreflexionen hält Gordon infolgedessen — vielleicht etwas zu lapidar — fest: »llsllo threat to lived ethical practice is posed by imagining long-term social scenarios, or thinking generations ahead.« (Gordon 2018, 532)
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b) Die Politizität der Präfiguration
Die zumeist Breines zugeschriebene dichotome Abgrenzung von präfigurativer und strategischer Politik wird im aktuellen Diskurs häufig und von zahlreichen Beobachtern und Befürwortern wie Kritikern präfigurativen Handelns aufgerufen (z.B. Brisette 2013, 2016; Engler/Engler 2014; Maeckelbergh 2011, 2016; Wilding u.a. 2014; Swain 2019; Raekstad/Gradin 2019, Smucker 2014). Während einige Stimmen in den Debatten um eine Einordnung der Occupy-Bewegung an Breines' starrer Gegenüberstellung festhalten und deren Aktionsformen entweder ausschließlich oder zumindest überwiegend im präfigurativen Bereich verorten (z.B. Engler/Engler 2014; Brisette 2013; Smucker 2014), sind zunehmend auch Stimmen zu vernehmen, die diese idealtypisierende Unterscheidung an sich infrage stellen und den durchaus vorhandenen strategischen Charakter der prä.figurativpolitischen Dezentrierung einer ausschließlichen Zielorientierung zugunsten einer spezifischen Relationierung von Ziel und Mittel hervorheben.' »Es geht nicht nur darum«, so heißt es bei David Graeber, »dass der Zweck nicht die Mittel heiligt [...), sondern darum, dass dieser Zweck überhaupt nicht erreicht wird, wenn diese Mittel kein Abbild der Welt, die geschaffen werden soll, sind.« (Graeber 2012, 29; ähnlich gelagert auch Gordon 2018, 529 und Raekstad/Gradin 2019, 124) In dieselbe Kerbe schlägt auch Maeckelbergh, die bereits in ihrer Analyse der globalisieru.ngskritischen Bewegungen der späten 2000er die These vertrat, »that the alterglobalization movement rests upon a practice of social change that takes prefiguration as the most strategic means for bringing about the social change they desire. [...] [P]refiguration represents a fundamentally different, but equally strategic, way to conceptualize processes of social change.« (Maeckelbergh 2011, 2; ausführlicher auch Maeckelbergh 2009) Ebenso wie Maeckelbergh hob Dan Swain unlängst hervor — mit Verweis darauf, dass an präfigurativen Aktionsformen beteiligte Akteure ihr Tun selbst durchaus als strategisch interpretieren und entsprechende Begründungen zu liefern imstande sind
28 Wie Maeckelbergh (2016) in ihrer Untersuchung einer Reihe von Streiks in Spanien im Kontext
der 1.5M-Bewegung zeigt, ist empirisch auch nicht so leicht zu trennen, wo — so man denn an der Unterscheidung festhalten möchte — die Grenze zwischen strategischen und präfigurativen Handlungsformen verläuft. Am Beispiel des Generalstreiks hat im Übrigen schon Gustav Landauer die Verquickung strategischer und präfigurativer Elemente aufgewiesen. Auf Gustav Landauer, den ich als zentralen Vordenker präfigurativ-politischen Handelns ausweisen möchte, komme ich in Kap. 4 zurLick.
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(Swain 2019, 48) —, dass diejenigen Ansätze, die präfigurative Praktiken als un- oder auch antipolitisch bewerten, ihren Urteilen ein verengtes Strategieverständnis zugrundelegen (vgl. ebd., 52). Indem er auf den seinerseits umkämpften, interpretationsoffenen und damit politischen Charakter einer jeden Definition von Strategie pocht, kann er zu Recht folgern: »What is at stake, then, are disagreements over strategy, not between strategy and something else.« (ebd.) Die Ablehnung des Erhebens von Forderungen und die verbreitete Zurückweisung einer Kooperation mit staatlichen und anderen intermediären Institutionen zugunsten einer experimentell-laborativen Erschaffung neuer und andersartiger politischer, sozialer und ökonomischer Institutionen und Beziehungen wäre demzufolge als nicht minder strategisch, wohl aber als anders strategisch zu begreifen. Infolgedessen und weil bisher in der Regel die Strategiehaftigkeit zum Marker der Politizität gemacht wurde, wäre auch zu folgern, dass präfiguratives Handeln nicht nur nicht nicht-strategisch, sondern ebensowenig a- oder antipolitisch ist. Vielmehr steht es — wie man mit dem Titel einer Studie Chris Dixons (2014) sagen könnte — far another politics, eine andere Art der Politik, der es im Sinne Holloways (2010a) darum geht, die Welt zu verändern, ohne die (Staats)Macht zu übernehmen oder gar zu adressieren. Die Kritiker, die präfigurativen Praktiken vorwerfen, apolitisch zu sein, verkennen das Spezifische der Präfiguration bzw. die anderen konzeptuell-theoretischen Grundlagen, die dem präfigurativen Transformationsmodell — zugegebenermaßen häufig tmtertheoretisiert — zugrunde liegen, wie mitunter etwa mit Blick auf das Machtverständnis zutage tritt. Jonathan Smucker etwa, von dem eine der elaboriertesten und zugleich am wenigsten polemische Kritik präfigurativer Aspirationen innerhalb der Occupy-Bewegung stammt, knüpft Politizittit aktivistischen Handelns unter Berufung auf etwas tendenziös wiedergegebene Überlegungen Antonio Gramscis an ein »engagement with extant power relations and structures«: »Mo be political, requires engagement with the terrain of power, with an orientation towards the broader society and its structures.« (Smucker 2014, o. S.) Smucker spricht sich keineswegs gegen präfigurative Praktiken per se aus — wie das etwa Srnicek und Williams (2015) tun, wenn sie gegen eine die politische Linke paralysierendefi/k politics polemisieren — und benennt sogar Vorzüge wie die gemeinschaftsbildende, solidaritätsstiftende Wirkung, die er in ihnen zu erkennen vermag. Eben deshalb sollten präfigurative Praktiken in übergeordneten strategischen Politprojekten
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ihren Platz finden - aber ihrerseits strategisch und politisch, das seien sie keinesfalls. Diese Folgerung ist keineswegs zwangsläufig und beruht in erster Linie auf einem verengten Verständnis von Macht, das diese nur in zentralen (staatlich-)politischen Institutionen im engeren Sinn verortet - im Übrigen ganz im Gegensatz zu Antonio Gramsci selbst, dessen hegernonietheoretisch erweiterter Staatsbegriff ja gerade auch die ausgreifenderen, potenziell alle Lebensbereiche durchdringenden Machtverhältnisse in den Blick zu nehmen und zum Gegenstand politischer Transformationsarbeit zu machen erlaubte (vgl. Gramsci 2012, 783; siehe auch Kap. 4/Exkurs). Wird Macht hingegen als kapillar begriffen, als sämtliche gesellschaftlichen Beziehungen durchdringend, dann kann zum einen gerade auch das Ansetzen an vermeintlich vor- oder unpolitischen Gegenstandsbereichen als in transformativer Absicht nicht minder zielgerichtet verstanden werden. Zudem aber ließe sich auch auf ein alternatives Politikverständnis verweisen, dass das prä.figurative Erproben anderer Formen der Vergesellschaftung geradezu zur politischen Handlung par excellence erhebt. Vergegenwärtigt man sich die zuvor aufgerufenen, von Verfechtern präfigurativen Handelns propagierten Effekte und Wirkungen wie das welterschließende, gründende Potenzial, den Aufweis der Nichtnotwendigkeit der bestehenden Verhältnisse und Strukturen, deren hegemonialer Status dadurch untergraben werden kann, so deckt sich dies mit einem Politikverständnis, wie es etwa von Jacques Ranci&e vertreten und anhand zweier exemplarischer Zitate verdeutlicht werden soll. Zum einen, mit besonderem Fokus auf den Aufweis der Nichtnotwendigkeit: »Das Wesentliche der Politik ist die Demonstration eines Dissens als Vorhandensein zweier Welten in einer einzigen.« (Ranci&e 2008, 33). Zum anderen, mit besonderem Fokus auf den welterschließenden Aspekt: »Die politische Tätigkeit [...I lässt sehen, was keinen Ort hatte, gesehen zu werden, lässt eine Rede hören, die nur als Lärm gehört wurde.« (Ranci6re 2002, 41) Legt man ein derartiges, die Schaffung des Neuen und Anderen betonendes Politikverständnis zugrunde, wie es allen voran natürlich auch bei Hannah Arendt (z.B. 2003), aber auch bei Wendy Brown (1995, 38; zu präfigurativer Politik: Brown 2017) zu finden ist, so kann das kollektive präfigurative Handeln als politisches Handeln durch und durch gelten (ähnlich argumentieren auch Brisette 2016; Swain 2019), Hannah Arendts eingangs des Kapitels aufgerufene interne Differenzierung des Politikbegriffs aufgreifend, ließe sich infolgedessen sagen, dass präfigurative Praktiken nicht nur auf die Änderung von Welt zielen, sondern stets
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auch gründende Elemente in sich tragen — und damit sogar in zweierlei Hinsicht als politisch zu begreifen sind. Damit ist auch auf die in dieser Arbeit insbesondere interessierende Perspektivität der jeweiligen Einordnungen und Kategorisierungen verwiesen, die von entscheidender Bedeutung ist, wenn es zu klären gilt, in einem welcherart theoretisch strukturierten, begriffspolitisch machtvoll gestalteten Raum sich die Frage nach der Politizität bestimmter Handlungsweisen wie und mit welchen Implikationen beantworten lässt. Je nachdem, mit welchem Politikverständnis entsprechende Analysen arbeiten, so die äußerst triviale Einsicht, lassen sich präfigurative Praktiken als mehr, weniger oder gar nicht politisch beschreiben. Betrachtet man die Frage nach der Politizität vollkommen losgelöst von derjenigen nach der Erfolgsträchtigkeit unterschiedlicher trans formativer Handlungsformen, was im aktuellen Diskurs aber eher selten der Fall ist, dann spricht wenig dagegen, präfiguratives Handeln mit einiger Plausibilität als politisches Handeln auszuflaggen, das hinsichtlich seiner Politizität auf einen durchaus lebendigen Strang des Nachdenkens über Politik von Arendt bis Ranci&e verweisen kann. Das Zubzw. Absprechen des Qualitätsmerkmals »politisch« muss daher, wie bereits in der Einleitung mit Verweis auf Carl Schmitt und Slavoj 2iiek angedeutet, als politischer und umstrittener Akt gelesen werden, dessen Durchführung stets konkrete Interessen zugrunde liegen — und nicht zuletzt von der akademischen Wissensproduktion (mit)betrieben wird. In dieser Hinsicht sei abschließend daher insbesondere auf einen Aufsatz Emily Brisettes (2016) verwiesen, in welchem sie herausarbeitet, inwiefern die Sozial- und Politikwissenschaften an der (Festigung der) Wahrnehmung von Occupy als einer nicht-politischen, weil präfigurativ ausgerichteten Bewegung mitwirken. Ihr besonderes Augenmerk gilt dabei dem vor allem im nordamerikanischen Sprachraum weitverbreiteten contentious politics-Ansatz in der Protest- und Bewegungsforschung, der auf die Arbeiten Charles Tillys, Sidney Tarrows und Doug McAdams zurückgeht. Deren Analyseansatz basiere auf einem übermäßig verengten Politikverständnis, dass politischen Protest nur dort zu erkennen in der Lage ist, wo mindestens eine staatliche Institution mit spezifischen Klagen und Forderungen adressiert wird (vgl. dazu bspw. Tilly 1999, 216; McAdam u.a. 2001, 5).29 Entsprechende Verengungen führen selbstverständlich auch zu einer 29 Die Dominanz des amtentious-politics-Ansatzes hat rasch auch Kritik hervorgerufen, so z.B. aus feministischer Perspektive hinsichtlich der mit ihm einhergehenden Invisibilisierung großer
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Verengung des zu betrachtenden Gegenstandsfeldes und im selben Zuge werden Bewegungen definitorisch entpolitisiert und damit in gewissen Hinsichten auch invisibilisiert, die bestehenden Verhältnisse nicht zuletzt auch konserviert. Brisettes Folgerung lautet: »[T]he movement's prefigurative attempts to envision and actualize a new social order are particularly difficult to grasp within such a definition of social movements, as the definition forecloses the possibility of any thoroughgoing, trans formative change. Instead, it binds the movement to existing norms for legibility and leaves fundamental frameworks and distributions of power unquestioned. [...] If politics exists only within this institutional frame, then properly political goals, fully legible movement demands, can only concern specific policies that might be reformed or introduced. Visions of more radical transformations, and prefigurative efforts to realize those visions, on however small a scale as exemplar and practicum of what-might-be, are not (fully) political. (...) The prefigurative dimensions of movements are thus occluded, rendered extraneous colour or flair, if visible at all. In the dominant theoretical model(s), social movements are rationalized and if they camp out on the lawns of power, disenchanted [...] If they refuse to go quietly insistently within the frame, then they are often disparaged as irrelevant, childish out bursts.. (3risette 2016,111 f.)3°
Sind präfigurative Praktiken somit unter entsprechenden Vorzeichen durchaus plausibel als politisch zu begreifen, so wird von nahezu allen Proponenten präfigurativen Handelns in aller Regel zusätzlich betont, dass damit — um als politisch zu gelten — ein gewisser Wirkungsanspruch in die Außenwelt verbunden sein muss. Bei Andrew Cornell etwa findet sich dieser Aspekt in einer Unterscheidung, mit der er weltzugewandte counterinstitutions von weltabgewandten alternative institutions abgrenzt. Präfiguration karui zwar durchaus politisch sein, so soli damit verdeutlicht werden, aber dies ist nur dann der Fall, wenn die Präfiguration im Offenen erfolgt, fir die Umwelt sichtbar und zumindest vermittelt erfahrbar ist. Nur dann kann sie über den Kreis der unmittelbar Beteiligten hinaus Ansteckungseffekte zeitigen und zu Nachahmung motivieren. In der Unterscheidung von weltzugeTeile der Kämpfe der Frauenbewegung (vgl. Staggenborg/Taylor 2009. Auf das spezifische, unipolare Machtverständnis, das dem contentious-politics-Ansatz zugrunde liegt, verweisen z.B. Armstrong und Bernstein (2008), die ihm einen multi-institutional-politics-Ansatz gegenüberstellen, der Beherrschungsverhältnisse als um multiple Orte der Macht gruppiert und sowohl symbolische wie auch materielle Dimensionen von Macht einbezieht. Alternative Perspektiven im deutschsprachigen Raum versammelt nun das Handbuch Poststrukturalistische Perspektiven auf so. ziale Bewegungen (Vey u.a. 2019). 30 Auf den Versuch der Infantilisierung präfigurativer Praktiken durch sozialwissenschaftliche Analysten hatte bereits Breines in ihrer Studie hingewiesen (vgl. Breines 1980,420).
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wandten und weltabgewandten Formen der präfigurativen Praxis deutet sich eine Überschneidung mit einer transformationstheoretischen Debatte der vergangenen Jahre an, die den politischen Status sogenannter ExodusPraktiken zum Gegenstand hat(te). Während in dieser Auseinandersetzung aber vor allem unversöhnliche, stark dichotomisierende Stimmen zu vernehmen waren, so überwiegen in den bisher untersuchten Beiträgen zur Präfiguration diejenigen, die für eine Verbindung experimentell-laborativer und institutionenorientierter, oftmals als vertikal-repräsentativ beschriebener Handlungsmodi votieren (vgl. z.B. Brisette 2013, 226; Cornell 2011, 157; Dixon 2014, 104 f.; Engler/Engler 2014; Smucker 2014; Teivainen 2016, 28 f.; Young/Schwartz 2012, 220). Im folgenden Kapitel möchte ich besagte Transformationsdebatte in den Blick nehmen, um einerseits das Konzept der Präfiguration vor ihrem Hintergrund zu situieren sowie andererseits die sich aus dem Präfigurationskonzept für diese Debatte möglicherweise ergebenden Vermittlungspotenziale auszuloten und nicht zuletzt weitere Hinweise in Sachen Politizitä.t präfigurativer Praktiken herausarbeiten.
3. Exodus als Stellungskrieg. Transformationstheorien im Widerstreit
Im Jahre 1962 veröffentlichte der afro-amerikanische Schriftsteller William Melvin Kelly seinen Debut-Roman A Diffirent Drummer, dessen Handlung 1957 in einer Kleinstadt eines nicht näher identifizierten Südstaates der USA spielt.1 Das Buch handelt vom beispiellosen und letztlich umfassenden Verlassen des Bundesstaates durch die schwarze Bevölkerung, aus — wie es zu Beginn im Stil einer knappen Zeitungsnotiz heißt — »noch ungeklärten Gründen« (Kelley 2019, 10). Die Grande bleiben auch am Ende des Romans ungeklärt und ebenso wenig erfährt die Leserin, wohin die Schwarzen ihr Weg führt. Ebenfalls ungeklärt bleibt die Rolle des »Schwarze Jesuiten«Reverends Bennet Bradshaw, der gegen Ende des Buches von einem aufgebrachten Mob aus weißen Bewohnern des Städtchens als mutmaßlicher Rädelsführer des für sie unbegreiflichen Geschehens gelyncht wird. Wenn auch die Bezeichnung von Kelley selbst nicht verwendet wird, so kann der Plot des Buches ohne weiteres als Adaption des alttestamentarischen Exodus-Motivs — der Schilderung des Auszugs der von Moses angeführten Israeliten aus der Sklaverei des ägyptischen Pharao — gedeutet werden, wie es in literarisch-belletristischen Darstellungen immer wieder zur Modellierung mehr oder minder politischer Handlungsformen herangezogen wird.z
1 Erste Überlegungen zu diesem Kapitel habe ich in einem Vortrag mit anschließendem Workshop im Rahmen der Reihe Wilde Theorie an der Uni Bremen im Sommer 2016 vorgestellt, zu der mich Martin Nonhoff und Frieder Vogelmann eingeladen haben. Ihren und insbesondere auch Christian Leonhardts Kommentaren verdankt die vorliegende Version so manche Präzisierung. Dieter Senghaas hat mich in diesem Zusammenhang auf seine instruktiven Arbeiten zu Leopold Kohr hingewiesen (Senghaas 2010), dessen Überlegungen in der Tat einige Obereinstimmungen mit den von mir verhandelten Exodus-Politiken aufweisen, hier jedoch nicht eingehender berücksichtigt wurden. 2 /ds jüngeres Beispiel kann der Roman Die Verdunkelten des französischen Autors 16r6me Leroy (2018) gelten. Kelley selbst nimmt mit dem Titel seines Buches im Übrigen Bezug auf eine Text-
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Der Exodus kann als ein wirkmächtiges Befreiungsmotiv gelten, das gerade auch in der Widerstandsgeschichte versklavter Schwarzer eine besondere Rolle spielt und in diesem Zusammenhang insbesondere in den sogenannten Maroons eine eindrückliche Manifestationsform fand (vgl. dazu Price 1996).3
Michael Walzer kommt das Verdienst zu, der politischen Theorie und Ideengeschichte das Exodus-Motiv als »Paradigma revolutionärer Politik, (Walzer 1988, 17) erschlossen zu haben - mit einer glänzenden Studie, die, wie er zu Beginn notiert, motiviert wurde durch die Teilnahme an einem Gottesdienst einer kleinen schwarzen Baptistengemeinde in Montgomery, Alabama, im Jahre 1960 (also durchaus in zeitlicher und räumlicher Nähe des von Kelley entfalteten Handlungsszenarios), bei der die Exodus-Erzählung im Mittelpunkt der Predigt stand und als Leitmotiv schwarzer Widerständigkeit interpretiert wurde. Walzer spürt in seiner Studie den politischen Indienstnahmen der in den Büchern Exodus, Numeri und Deuteronium dargestellten (Selbst-)Befreiung Israels aus Ägypten nach und gelangt zu der Einschätzung, dass die in der Exodus-Erzählung verkörperte Vorstellung einer »diesseitigen Erlösung, Befreiung, Revolution« eine lebhafte, durch und durch weltliche Rezeption erfahren habe - etwa in den Reden Oliver Cromwells oder den Schriften des Frühsozialisten Moses Hess - und sich mithin als charakteristisch auch fir »moderne Formen politischen Handelns« (ebd., 7) erwiesen habe.4 In jüngerer Zeit wurde das Exodus-Motiv erneut von Chantal Mouffe auf die Agenda politiktheoretischer Analysen gesetzt, als sie sich zunächst 2005 unter dem Eindruck der massiven globalisierungskritischen Gipfelproteste um die Jahrtausendwende sowie später dann im Nachgang der Platzbesetzungs- und Occupy-Proteste zu Beginn der 2010er-Jahre kritisch mit bestimmten politischen Bewegungen und deren »organischen Intellektuellen,
zeile Henry David Ihoreaus, der mit seinem »Rackzug in die Wälder« seinerseits als Praktiker und Chronist eines — wenn auch individuellen — Exodus gelten kann Moreau 2008). 3 Kelleys Roman widmet sichnur dem Verlassen und damit streng genommen lediglich dem Handlungsabschnitt des 2. Buch Mose, also dem Exodus im engeren Sinn. Häufig wird unter die Exodus-Erzählung aber auch die Wanderung durch die Waste und die Ankunft an der Grenze zum verheißenen land rubriziert, also die Inhalte der Barber Numeri und Deuterronium. Die Neugründung in Form von Maroons ereignet sich damit im Grunde erst danach. Als eine dezidiertpolitischt Praxis werden die Maroons von Watkins (2016) gedeutet. 4 Vgl. zum Motiv des Exodus und Mr eine Kritik der liberalen Deutung durch Michael Walzer setzt aber auch Hindrichs (2017,296-322).
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auseinandersetzte. Richtete sich Mouffes mitunter heftige Kritik zunächst (vgl. Mouffe 2005) nur gegen Michael Hardt und Antonio Negri, die Verfasser des damals breit rezipierten Buches Empire (vgl. Hardt/Negri 2000), so rücken später auch Paolo Virno und Isabell Lorey in Mouffes Visier (vgl. Mouffe 2014). Bei allen Genannten spielt das Exodus-Motiv in ihren transformationstheoretischen Modellierungen eine wesentliche Rolle. Hardt/Negri und Virno referieren dabei mehr oder weniger umfangreich auf die biblische Erzählung des Auszugs der Israeliten aus Ägypten, wohingegen sich Lorey explizit von diesem Vorbild abgrenzt (wenngleich sie sich als stark von Negri, Virno und dem [Post-10peraismus beeinflusst beschreibt) und stattdessen zu Illustrationszwecken aufTitus Livius' Schilderungen der Auszüge der Plebejer aus der Stadt Rom in der frühen Phase der Republik zurückgreift. Vereinfachend gefasst — etwas detaillierter werde ich auch darauf weiter unten eingehen wirft Mouffe besagten Positionen vor, mit einem falschen Verständnis des Politischen zu operieren und — infolgedessen — in transformatorischer Hinsicht ineffektive Handlungsanweisungen zugeben, vergeblichen oder gar kontraproduktiven Strategien das Wort zu reden.5 Die von Mouffe und verwandten Positionen (z.B. Marchart 2005a; Srnicek/Williams 2015) erhobenen Vorwürfe sind far das Anliegen meiner Studie insgesamt vor allem auch deshalb interessant, weil sie im Kern als Apoiitizitiitsvorwiirfe gefasst sind. Es steht bei der Debatte nicht nur eine Entscheidung für oder wider diese oder jene Transformationsstrategie auf dem Spiel, sondern es geht zuvorderst um ein »adäquates Verständnis der Natur des Politischen« (Mouffe 2005, 31) — welches Hardt/Negri und Konsorten abgesprochen wird, da sie von einer »Ontologie der Immanenz« ausgingen, die unfihig sei, »radikale Negativität, sprich Antagonismen abzubilden« (Mouffe 2014, 123; selbiger Vorwurf findet sich auch bereits in Laclaus Rezension von Empire: Laclau 2001). Im Einklang mit Mouffe attestiert auch Marchart den beiden eine »a-politische Vorstellung von Politik« (Marchart 2005a, 22): Ihr »verkappte[r] katholisch-humanistischer Apolitizismus« stehe, wie er mit Blick auf die legendäre Schlusspassage von Empire formuliert, far ein heilsgeschichtliches Projekt absoluter Versöhnung, die »Politik des Exodus« letztlich far einen
5 Mouffe selbst nimmt auf Walzer nicht explizit bzw. namentlich Bezug. Dieser Bezug wird erst von Marchart in seinem Vorwort zu dem auch von ihm übersetzten Text Mouffes hergestellt (vgl. Marchart 2005a, 13 f.) und ist nicht restlos überzeugend begründet. Marchart selbst versucht in seinem Text letztendlich das mouffesche Stellungskriegmodell seinerseits als ein — im walzerschen Sinne — gutes, weil innerweltlich situiertes Exodus-Geschehen auszuweisen.
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*Exodus aus der Politik« (ebd., 12). Exodus-Praktiken werden in dieser Lesart also umstandslos als a- bzw. antipolitisch eingeordnet.' Mouffes mitunter überkonfrontative und vereinseitigende Beiträge, die erklärtermaßen Beiträge zur Strategiedebatte der Linken sein sollen, sind meines Erachtens jedoch nicht wirklich um eine redliche Auseinandersetzung bemüht und infolgedessen theorieanalytisch unzureichend. Sie zeitigen zudem auch einen ihrem eigenen Anliegen kontraproduktiven Effekt, indem Mouffe mit ihnen letztlich nur das Schisma der I. Internationale reproduziert und dadurch sowohl transformationspolitische Bestrebungen an sich, wie auch Bemühungen für verbindende Strategien untergräbt. Ich möchte in diesem Kapitel auf der Grundlage von und in kritischer Auseinandersetzung mit Mouffes Differenzierung von Exodus und Stellungskrieg so die in dem früheren Beitrag postulierte Frontstellung, die im späteren in die Alternative von Rückzug aus den Institutionen vs. Auseinandersetzung mit Institutionen überfiihrt wird — eine Sichtung des durch diese Intervention wirkmächtig strukturierten Feldes >linker( Transformationstheorien7 sowie den Versuch einer Verortung präfigurativ-politischer Praktiken innerhalb dieses Feldes unternehmen. Dabei werde ich den Vorschlag unterbreiten, zumindest gewisse Exodus-Praktiken auch als Teil von Stellungskriegen und damit als dezidiert politisch — zu begreifen und eben diese, ich spreche
6 Nur am Rande sei erwähnt, dass eine derart kategorische Bestimmung von richtigen und fal-
schen bzw. politischen und unpolitischen Politikverständnissen ihrerseits konfliktnegierende oder -beendende Züge trägt und sich damit als Theorieproduktion jenseits des Bereichs des Politischen verortet. Aufein entsprechend .totalen. Anspruch fiir die Hegemonietheorie Laclaus und Mouffes im Allgemeinen hat auch Benjamin Arditi (2014) hingewiesen, worauf ich weiter unten nochmal zurückkommen werde. Ein wenig amüsant ist bei der ganzen Sache dann aber doch, dass Marchart mit Blick auf die von Hardt/Negri inspirierten Globalisierungskritikeeinnen zugesteht, dass es durchaus möglich sei, »dass man mit der 'falschen. Theorie (...] auch die 'richtige. Praxis verfolgen könnte. (Marchart 2005a, 22). Das Bewusstsein bestimmt das Se in in diesem Fall nicht. 7 Eine verwandte, aber nicht komplett deckungsgleiche Differenzierung unterscheidet zwischen Vertikalismus und Horizontalismus, wobei die Hegemonietheoretiker und Stellungskriegerinnen (alien voran Ernesto Laclau und Mouffe) dem Vertikalismus, die Exodus-Proponemen (neben Hardt/Negri und Virno bspw. John Hollowy, Richard Day und Saul Newman) dem Horizontalismus zugeordnet werden bzw. sich diesem jeweils selbst zuordnen. Vgl. für diese Differenzierung z. B. Robinson/Tormey (2005) sowie den von Kioupkiolis und Katsambekis (2014) herausgegebenen Band, der zudem auch einige Ober diese Trennung hinausreichende Perspektiven aufzuzeigen beansprucht. In Kap. 7 unterbreite ich am Beispiel kommunalpolitischer Bewegungen einen eigenen, verbindenden Zugang, den ich als »querend« bezeichne.
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von weltzugewandten Exodus-Praktiken, als präfigurativ-politische Praktiken ausweisen.
3.1 Transformation: Drei idealtypische Modelle Für eine Sichtung des transformationstheoretischen Feldes der Linken ist es zunächst hilfreich, von Mouffe und ihrer dichotomen transformationstheoretischen Sortierung zu abstrahieren, da eine zu große Nähe zu einer unmittelbar beteiligten Konfliktpartei den Blick verstellen könnte. Mit Erik Olin Wright (2017; 2019) lassen sich — wie im Grunde schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts drei idealtypische transformationstheoretische Strategien der politischen Linken identifizieren, die er als Bruch (Ruptural Transformation), Freiraum (Interstitial Transformation) und Symbiose (Symbiotic Transformation) bezeichnet.8 Für das Bruch-Modell gälte das Credo »erst zerschlagen, dann aufbauen«: es gehe »um die Schaffung neuer Institutionen gesellschaftlicher Ermächtigung durch einen deutlichen Bruch innerhalb der bestehenden Institutionen und Gesellschaftsstrukturen« (Wright 2017, 414), der durch eine in einer Avantgardepartei organisierte Klassenbewegung in einem »Frontalangriff auf den Staat« (ebd., 416) zu bewirken sei. Pate far dieses »jakobinische« Revolutionsverständnis, das in Wrights Augen zwar nicht vollkommen abzuschreiben, in jüngerer Zeit aber fraglos nicht mehr wirklich verbreitet oder aussichtsreich gewesen sei, steht innerhalb der Geschichte der Linken die bolschewistische Machtübernahme Lenins. In den auf interstitiellen Wandel zielenden Transformationsmodellen, die Wright im Wesentlichen in der Tradition des Anarchismus verortet, »wird versucht, neue Formen gesellschaftlicher Ermächtigung in den Nischen, Freiräumen und an den Rändern der kapitalistischen Gesellschaft zu entwickeln« (ebd., 414 f.). Getragen von sozialen Bewegungen, die absichtsvoll »außerhalb des Staates« (ebd., 416) agieren, geht es um »eine schrittweise Veränderung der grundlegenden Strukturen eines Gesellschaftssystems und seiner Mechanismen gesellschaftlicher Reproduktion« (ebd., 435). Staat
8 Raekstad/Gradin bieten in ihrem Buch über Prifigurative Politik eine ähnlich gelagerte Sortie-
rung von Revolutionsmodellen, indem sie das »one big evento-Modell, das »flash-flash-bang«. Modell und das *process view«-Modell unterscheiden. Ersterem ordnen sie Slavoj iiek und Alain Badiou zu, zweiterem John Holloway, far letzteres nennen sie keine Referenzen (vgl. Raekstad/ Gradin 2019, S8)
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und Staatlichkeit gelten in diesem Zugang als Teil des Problems, die es daher rigoros zu vermeiden gilt, um stattdessen den »Aufbau[] alternativer Instineuer gesellschaftlicher Verhältnisse Noranzutreiben11.-1, tutionen und die die angestrebte alternative Welt bereits im Hier und Jetzt verkörpern. (ebd., 439 und 441). Wenngleich Wright einem derartigen Experimentalismus durchaus einiges abgewinnen kann, so distanziert er sich zum einen von der häufig damit verflochtenen, problematischen Wahrnehmung des Staates als »monolithische, ganzheitliche Institution« (ebd., 451) und warnt zum anderen — wenn auch in zurückhaltenderer Weise als Mouffe — vor den politiknegierenden Versuchungen, die mit derartigen, vom Gedanken des Fliehens oder Entziehens durchdrungenen Strategien einhergehen können (vgl. ebd., 441; Wright 2019, 50 f.). Mit symbiotischen Transformationen werden schließlich Strategien beschrieben, die in sozialreformerischer bzw. -demokratischer Manier auf die sukzessive pragmatische Lösung punktueller praktischer Probleme zielen und dazu Parlamente und »den Star [...] nutzen« (Wright 2017, 416) wollen. Zentrale Akteure sind nach Wright Parteiorganisationen, die »populate Koalitionen« zu schmieden versuchen und zur Erreichung ihrer Ziele auch auf die »positive Zusammenarbeit« mit der gegnerischen Klasse setzen (ebd., 416). Versucht man nun, die hier interessierenden Konfliktparteien inWrights transformationstheoretischen Koordinatensystem zu lokalisieren, so sind — wie weiter unten deutlich zu Tage treten wird — die von Hardt/Negri und anderen propagierten Exodus-Politiken einigermaßen gut dem Bereich der interstitiellen Freiraumstrategien zuzurechnen. Chantal Mouffes Überlegungen hingegen sind — in unterschiedlichen Nuancierungen seit dem gemeinsam mit Ernesto La.clau verfassten Werk Hegemonie und radikale Demokratie (vgl. Laclau/Mouffe 2006) bis in die Gegenwart — dem Bereich der symbiotischen Transformationsstrategien zuzuschlagen. Die von ihr propagierte Hegemoniestrategie zielt auf eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse mittels einer Formierung eines kollektiven, popularen Willens durch die Herstellung von Äquivalenzketten zwischen diversen demokratischen Forderungen und Kämpfen. Eine solche Transformationsstrategie, die Mouffe in Anlehnung an Antonio Gramsci als »Stellungskrieg« bezeichnet, kann nicht geführt werden, »ohne dass nicht auch Verknüpfungen mit politischen Parteien, Gewerkschaften und verschiedenen Typen von Institutionen hergestellt warden. Wer es ablehnt, sich mit Institutionen einzulassen« — das ist es, was Mouffe den Exodus-Proponenten unterstellt »verdammt sich selbst zur Machtlosigkeit« (Mouffe 2005, 39). Anstatt eine
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falsche Opposition von Staat und Zivilgesellschaft zu postulieren, gelte es, diesen und seine Institutionen als umkämpfte Kräfteverhältnisse zu begreifen (vgl. ebd., 45) und als kämpferische Linke um des Erfolgs Willen stets auch einen »historischen Block [...] mit wichtigen Sektoren der Mittelklasse« (ebd., 63 und 57) zu bilden zu versuchen. Nicht die Vermeidung, sondern die »Auseinandersetzung< mit Institutionen zum Zweck der Konstruktion einer anderen Hegemonie« (Mouffe 2014, 115) sei das Ziel. Im werksgeschichtlichen Verlauf artikuliert Mouffe immer klarer, dass es sich bei den zentralen Akteuren in diesem Geschehen um linkspopulistische Parteiorganisationen handeln solle, »mit dem Ziel, über Wahlen an die Macht zu gelangen, um eine Reihe radikaler Reformen durchzuführen« (ebd., 117).9 Hat man nun dieses dreigeteilte Panorama möglicher Transformationsstrategien vor Augen, so ist durchaus bemerkenswert, welche Position Mouffe nicht attackiert. Von Gramsci kommend (so schon Mouffe 1979) und die eigene Modellierung in ein Abstammungsverhältnis zur gramscianischen Vorstellung eines Stellungskriegs setzend, wäre es ja naheliegend, die Kritik zuvorderst gegen Bewegungskrieg-Modelle der Transformation zu richten (vgl. z.B. Gramsci 2012, 873 f.). Wenn auch, wie Wright betont, rupturale, explosive Transformationen unter gegenwärtigen Bedingungen weit unwahrscheinlicher geworden sind, so sind sie in der politischen Praxis vereinzelt und zumindest ansatzweise durchaus zu beobachten (so z.B. in einigen Ausformungen des Arab Spring), aber auch im Bereich der linken politischen Theoriebildung gibt es wirkmächtige Vertreter dieses Paradigmas. Neben Alain Badiou kann Slavoj 2iiek als dessen wohl schillerndster Vertreter gelten. 2iieks Modellierung politischer Transformation
9 Kamin Hegemonie und radikale Demokratie den sozialen Bewegungen noch eine weit bedeutsamere
Rolle zu, so fand Mouffes stark von Laclaus jüngeren populismustheoretischen Studien (v.a. Laclau 2005a) beeinflusste Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt in dem 2015 gemeinsam mit dem damaligen Chefstrategen von Podemos, fnigo Errejön, erstveriiffintlichten Buch Podemos. In the Name of the People (Ern*/Mou 2016) sowie dem 2018 in Alleinautorinnenschaft veröffentlichten Manifest Für einen linken Populismus (Mouffe 2018). Mouffes wiederkehrende Musterbeispiele sind neben Podemos die griechische Syriza und die von Jean-Luc Milenchon geahrte Partei La France insoumise. Aus heutiger Sicht (Sommer 2022) trifft der von Mouffe gegenüber Exoduspolitiken erhobene Vorwurf der Erfolgs- und Wirkungslosigkeit zumindest (auch) für diese populistischen Parteiprojekte zu. Podemos konnte nicht im erhofften Maß reüssieren bzw. hat eine maßgeblich von Errejön betriebene Spaltung hinter sich, Syriza wurde in den Mühlen der EU-gesteuerten Regierungsarbeit zermalmt und Melenchon konnte ebenso wenig in der entscheidenden Runden der französischen Präsidentschaftswahl von 2017 und 2022 mitmischen, wie er Strahlkraft innerhalb der 2018/19 wirkmächtigen Celbwestenbewegung zu entfalten vermochte.
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böte, wie ich im Folgenden zeigen möchte, zahlreiche — und treffendere Anknüpfungspunkte für die Mouffesche Kritik, als dies mit Blick auf die Freiraumstrategien der Fall ist. Zwar zielt auch seine Modellierung auf die Übernahme von Staatsmacht (z.B. 2iiek 2009,211), aber 2ilek hat dabei keineswegs einen mühseligen und langwierigen Kampf auf einem von Graben und Festungsanlagen durchzogenen Terrain vor Augen, sondern eben jenen, in zeitlicher Hinsicht punktuellen, »aus jakobinischem Holz geschnitzten Begriff von >Revolutiondie Partei< ist [...) der formale Vorgang demokratischer Wahl sekundär gegenüber der politischen Dynamik >expressiv< wirksamer Bewegungen. [...] Sie betrachtet/setzt sich vielmehr als Selbstaufhebung der Bewegungen. Sie verhandelt nicht mit Bewegungen, sie ist eine in die Form der politischen Allgemeinheit umgewandelte Bewegung, die bereit ist, die staatliche Macht vollkommen anzunehmen und die als solche ne s'autorise que le luiname.* (2iiek 2009, 177)
Die dabei anklingende Ablehnung (liberal-)demokratischer Verfahren und Akteure gründet in eben jener Ursache, die 2fiek auch fur eine als radikalen Bruch bzw. Sprung verstandene Transformation votieren lassen bzw. 10 In dem zunächst 2011 auf Englisch erschienen Werk The Year of Dreaming Dangerously ist diese Liebe dann etwas abgekühlt, da das bolivarische Revolutionsprojekt zu einem seichten Caudillo-Populismus verkommen sei (vgl. 2ilek 2013a, 188). Der Regierungsstil des von 2013 an amtierenden Nachfolgers Chavez', Nicolas Maduro, dürfte 2iiek mutmaßlich wieder mehr zusagen.
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zu. votieren zwingen. Diesem Votum liegt eine Einschätzung des globalen Kapitalismus als einer geradezu total integrierten und transhistorischen Gesellschaftsformation zugrunde, einem als »>das Ende der Geschichte< (iiek 2005, 395) gedeuteten Kapitalismus, der — so hätten es die letzten Dekaden gezeigt — »indestructible« (2iiek 2007, o.S.) sei." Die »heilige Kuh« (iiek 2013a, 131) Liberaldemokratie rangiert in dieser Konstellation als ideologisch verschleierndes Stützkorsett, insofern sie den Menschen suggeriere, es sei möglich, systemimmanent etwas an den Verhältnissen zu ändern. Gerade diese simulierte Partizipations- und Trans formationsmächtigkeit aber, sei es in Form von Wahlen, Protestmärschen oder auch Akten des zivilen Ungehorsam, festigten das bestehende System nur noch mehr: »[A]ll die Aktivitäten des >Widerstandssubversiven< (ökologische, feministischen, antirassistischen, globalisierungskritischen ...) Forderungen, erscheinen als interner Prozeß, mit dem die Machtmaschine weiter gefüttert wird, durch die sie die Nahrung erhält, die sie in Gang halt.« (iiek 2006, 434) Weit entfernt, ein emanzipatorisches Instrument zu sein, stelle sich die Demokratie bei näherer Betrachtung rasch als eine Palle heraus, in die die linken Radikaldemokraten allzu blauäugig getappt seien (vgl. u.a. 2fiek 2005, 176). Die hochstilisierte Verdammung der liberalen Demokratie und der ihr inhärenten ideologischen Verschleierungsfunktion fart dazu, dass 2iiek nicht den Kapitalismus, sondern die Demokratie als Hauptfeind identifiziert und deren schlagartige, nicht auf demokratisch-rechtsstaatlich gedeckte Handlungsoptionen zurückgreifende Überwindung als wesentliches Element einer progressiven Transformation veranschlagt (vgl. ebd., 155): »Es ist die >demokratische Illusionden Linken, unter seinen Zeitgenossen an anderer Stelle vorwirft, den Kapitalismus zu enthistorisieren (vgl. z.B. 2iiek 2005, 260 f.).
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In transformationstheoretischer Hinsicht stehen in Z. iieks Werk aber keineswegs aktive Handlungen im Vordergrund, wie es der Verweis auf die Terrormaßnahmen nahelegen könnte. Wenngleich es Abweichungen gibt (vgl. z.B. 2fiek 2015, 243; 2iiek 2013a, 194), so wählt 2iiek zumeist einen Weg, der — bei näherer Betrachtung wenig überraschend — parallel zu bestimmten Gedankengängen von Vertretern der Kritischen Theorie in ihrer pessimistischsten Phase verläuft. Finden sich etwa bei Horkheimer und. Adorno spätestens seit der Dialektik der Aufklärung immer wieder die Hinweise auf die »total verwaltete Welt« als zentrales Werkmotiv, so ist es vor allem Herbert Marcuse, der die Vorstellung einer nur noch eindimensionalen Gesellschaft (v.a. Marcuse 1994) auch mit demokratietheoretischen Überlegungen verknüpft und — wie später auch 2iiek in ähnlicher Weise — betont, dass der »demokratische Prozeß derart diskreditiert list], daß sich kein Teil aus ihm herauslösen läßt, der nicht beschmutzt mare*: »[D]die konzentrierte Macht kann es sich leisten, die radikale andere Meinung so lange zu tolerieren (vielleicht sogar zu verteidigen), wie sie sich den etablierten Regeln und Gewohnheiten fügt (und sogar ein wenig darüber hinaus). Die Opposition wird so gerade in die Welt hineingezogen, der sie opponiert — und von eben den Mechanismen, die es ihr erlauben, sich zu entwickeln und zu organisieren [...) Unter diesen Umständen erscheint ein Tätigsein gemäß den Regeln und Methoden demokratischer Legalität als Kapitulation vor der herrschenden Machtstruktur.« (Marcuse 1969, 96 und 98)
Auch Marcuse kann sich den Weg ins »Reich der Freiheit«, die Überwindung der »Kluft zwischen dem Gegenwärtigen und seiner Zukunft« (Marcuse 1994,268), im Grunde nur noch als einen Sprung vorstellen (vgl. z. B. Marcuse 2004), der aufgrund der alles integrierenden und neutralisierenden liberaldemokratischen Totalität nicht durch innerweltliche Aktivität erreicht oder auch nur befördert werden kann." Die von Marcuse propagierte und von ihm in der Hippiebewegung beobachtete Reaktion auf diese Konstellation ist bekanntlich die Große Weigerung. Auch für 2iiek gilt unter den gegenwärtigen Bedingungen einer umfassenden Symbiose von Kapitalismus und liberaler Demokratie, in der jegliche Form kleinteiligen widerständigen Handelns korrumpiert und systemreproduktiv absorbiert werde, dass der erste Schritt wahrhafter Transformation im »Rückzug in die Passivität, in der Weigerung, teilzunehmen« 2005,8 f.) bestehe. »Besser nichts tun«, so heißt es an zahlreichen Stellen sei12 Es gibt wohlgemerkt und wie schon weiter oben erwähnt auch eine andere Lesart Marcuses bzw. einen »anderen« Marcuse. Vgl. dazu Marchart (2019) und hier Kap. 1.
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nes Schaffens, »als sich an vereinzelten Aktionen zu beteiligen, deren Funktion es letztlich ist, das System reibungsloser laufen zu machen [..J. Die große Gefahr heute ist nicht Passivität, sondern Pseudoaktivität, der Drang, >aktiv zu seinIch möchte Lieber nicht( als lediglich ersten Schritt, um sozusagen >reinen Tisch zu machenc, um eine Distanz zum bestehenden gesellschaftlichen Universum aufzubauen; auf diesen müsse als zweiter Schritt der langwierige Aufbau einer neuen Gesellschaft folgen (...) Aus unserer Sicht ist das freilich genau die Schlußfolgerung, die es zu vermeiden gilt: In politischer Hinsicht ist Bartlebys >Ich möchte lieber nicht( eben kein Ausgangspunkt im Sinne der >abstrakten Negationbestimmten Negation( des existierenden Gese]schaftsuniversums zu überwinden ist, sondern eine Art archi, das bestimmende Prinzip, >überwelches der gesamten Bewegung zugrunde liegt: Die anschließende Aufbauarbeit indetkonstruktiveren( zweiten Stufe des Aufbaus einer neuen, alternativen Ordnung; sie ist vielmehr die eigentliche Quelle, der Hintergrund und die beständige Grundlage dieser Ordnung.« (iiek 2006, 434 f.) 2iieks Vorwurf gegen Hardt und Negri lautet also, nicht rigoros genug »Bartleby zu sein'. Wie eine Gesellschaft oder Politik aussehen könnte, in der ein bartlebysches »Nichts an Willen« (Deleuze 1994, 14) herrscht, darüber erfährt man bei 2. iiek freilich wenig und muss sich mit Verweis auf Belletristik begnügen. In der von dem portugiesischen Schriftsteller José
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Saramago in seinem Buch Stadt der Sehenden (Saramago 2007) geschilderten mehrmaligen Wahlverweigerung eines Großteils der Bevölkerung einer fiktiven Landeshauptstadt meint er »ein Gedankenexperiment in Sachen bartlebyscher Politik« (2iiek 2011, 185; auch: 2iiek 2009, 223)13 erkennen zu können, weil die Verweigerung, sich far eine der zur Wahl stehenden Alternativen zu entscheiden, den Raum für das ganz Andere eröffne. Auch dieses »Gedankenexperiment« verharrt damit aber an der Schwelle zum Neuen, über das man nichts weiter erfahrt. Verliert 2iiek darüber also wenige Worte und Gedanken, so rät er für zeitlich nicht näher bestimmte bzw. bestimmbare Übergangsphasen — wie schon erwähnt und in plötzlicher Übereinstimmung etwa mit Agamben14 — zu Entzug und Abschottung: »[Eis ist an der Zeit, etwas aufzubauen, das man versucht sein könnte, befreite Gebiete zu nennen, wohldefinierte und klar umrissene soziale Räume, in denen die Herrschaft des Systems aufgehoben ist: eine Religions- oder Künstlergemeinschaft, eine politische Organisation und andere Formen eines >eigenen Ortes(.« (iiek 2009, 2.61 f.) Als illustratives Paradebeispiel einer solch entziehenden Politik dient ihm wiederholt
13 2iiek verweist dort filschlich auf einen anderen Roman Saramagos, Ensaio sabre a cegueint (dt.: Stadt der Blinden), die von ihm geschilderte Handlung entstammt aber Ensaio sobre a lucidez (dt.: Stadt der Sehenden). 14 Auch Agamben setzt sich mit der Figur des Bartleby auseinander, der als personifizierte destituierende Macht dargestellt und messianisch gedeutet wird, wenn auch in ganz eigentümlicher Weise:*(Wlenn Bartleby ein neuer Messias ist, kommt er nicht, wie Jesus, um das zu erlösen, was gewesen ist, sondern um das zu retten, was nicht gewesen ist.» (Agamben 1998, 71) Das Nichts an Willen ist hier geradezu ethisches Gebot, schränkt doch bereits jeglicher Wille — und erst recht seine Umsetzung — die an sich unbegrenzte Menge an Möglichkeiten und damit die Freiheit ein. Gute Politik wird von Agamben sodann auch als zweckfrei gefasst, wenn er für eine Politik der »reinen Mittel. votiert, »der Mittel also, die sich, eben als solche, von ihrer Relation auf einen Zweck hin emanzipieren. (Agamben 2001, 9). Ein solchermaßen verstandenes politisches Handeln aber will nichts, kann nichts wollen und soll nichts wollen — womit sich die Frage stellt, ob überhaupt noch in einem sinnvollen Sinn von Politik oder Handeln zu sprechen ist. Juliane Rebentisch betont zu Recht, dass vor dem Hintergrund eines Denkens, »in dem >die< (zumal juridische) Macht einseitig als zurichtende Gewalt über das Leben gedacht wird, 1...] eine Ethik des reinen Offenhaltens paradoxerweise in dem Maße als radikal politisch erscheinen kann, wie sie jede Berührung mit konkreten Machtkonstellationen, wie sie jede Politik also meidet. (Rebentisch 2014, IU). Auch Oliver Marchart schlägt in diese Kerbe, wenn er Agambenvorwirft, ein Modell .politikloser Politik. (Marchart 2010, 237) zu vertreten. Wie Agamben unlängst nochmal kundgetan hat, sieht er den politischen Ausweg dann tatsächlich auch in der Abkehr von einem von der Französischen Revolution geprägten, auf Konstitution und Kontestation basierenden Modell politischen Handelns und empfiehlt eine isolationistische »Strategie des Rückzugs und der Flucht. (Agamben 2015,40).
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die Canudos-Gemeinde, eine isolationistische Enklave religiös-fanatischer Sektierer im brasilianischen Hinterland der 1890er, der es gelungen sei, einen Rückzugsraum frei von staatlicher Repression zu schaffen (ebd., 261 ff.): *Ms >befreite Territorium< von Canudos in Bahia wird immer das Modell eines befreiten Raumes, einer alternativen Gemeinschaft bleiben, die den bestehenden staatlichen Ran uneingeschränkt negiert. [...] Es ist so, als wenn in solchen Gemeinschaften die Benjaminsche Seite desgeschichtlichen Fortschritts, die der Besiegten, einen eigenen Raum erhielte. Die Utopie
war hier im Brasilien von 1897 für einen kurzen Zeitraum existent« (iiek 2005,170).6
Bei diesem Aufbau geht es 2fiek wohlgemerkt nicht um den Aufbau einer »neuen Gesellschaft«, sondern um den Aufbau von Orten des »überwintems, in Erwartung der kommenden Revolution. Der scheinbare Theoretiker des revolutionären Bruchs hat sich damit in die Position eines Exodus-Proponenten manövriert, wenn auch in die eines weltabgewandten Verständnisses von Exodus. Letztlich aber stellt das eine durchaus konsequente und alternativlose Entwicklung dar. Die im Canudos-Beispiel versinnbildlichte reine Desertion und der radikale Entzug ans >Ende der Welt< — so der Untertitel eines Canudos-Romans von Mario Vargas Llosa erscheinen als einzig >sichereverunreinigtes< Handeln erfordert, bleibt letzten Endes nichts anderes tibrig, als sich am Rande der Welt einzuigeln und der Dinge zu harren, die da kommen (oder auch nicht). Dazu passt dann schließlich auch, dass 2iiek, von einigen anderslautenden Stellen abgesehen (z.B. 2iiek 2015, 243; 2009, 194 f.; 2013a, 194), revolutionäre Umbrüche als von menschlichem Wollen und vorsä.tzlichem Handeln unabhängige Ereignisse(Events)begreift und radikalen politischen Wandel als Wunder ausflaggt. Könnte man, eingedenk der arendtschen Verwendung, IS 2if,ek
bezieht sich in seiner Darstellung wohlgemerkt nicht auf geschichtswissenschaftliche Quellen, sondern auf die belletristisch aufbereitete Version Mario Vargas Llosas (1987). Fiir eine frühe, eher geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Canudos siehe da Curb (2000) sowie in kirchengeschichtlicher Perspektive Stuntebeck (2016).
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den Begriff des Wunders zunächst einmal nur als gegen stark deterministische, Verhalten erzwingende Geschichtsdeutungen gerichtet begreifen (z.B. Arendt 2003, 34; vgl. auch Sörensen 2016, 131 f.), so kommt im Falle 2iieks hinzu, dass er diese Wandlungen als Schöpfungen ex nihilo versteht. Als wahrer Akt sei eine derartige, radikale politische Intervention völlig ungebunden durch den gegebenen, je konkret existierenden Rahmen einer sozialen Konstellation. Durch ein, bzw. im Moment eines Ereignisses in einem emphatischen Sinn, erhalte das Erhabene (Sublime) momenthaft Einzug in den Bereich des Politischen: »The Sublime, on the contrary, marks the moment at which something emerges out of Nothing — something new that cannot be accounted for by reference to the pre-existing network ofcircumstances. We are dealing here with a radical rupture in the chain of (natural and/or 2000,43; Hervorh.: PS). Der radikale revolutionäsocial) causality.« (2iiek re Bruch im 2fiekschen Sinne ist damit nicht das Ergebnis menschlichen Handelns — oder allenfalls dessen unintendierte Nebenfolge —, sondern ein Widerfahrnis. Alexandros Kioupkiolis hat treffend auf die Handlungsmächtigkeit negierenden Züge dieser Modellierung und damit auch auf die Unbrauchbarkeit hingewiesen, die dieses Denken in orientierender Hinsicht fur (emanzipatorisches) politisches Handeln bedeutet. »(f an act is the invention of something radically new that cannot be derived from established structures and does not originate from the actual habits, principles and desires of the agent, if it is an unaccountable emergence out of nowhere and out ofjoint, then it could not be deliberately conceived, intended, and produced by historical agents as they actually are.« (Kioupkiolis 2017,29 f.)16
Menschen und menschliches Handeln sind für ereignishafte Umbrüche schlicht irrelevant, der Rückzug in entlegene »befreite Territorien« dann —
16 Der politische Denker des 20. Jahrhunderts, der wohl am stärksten mit dem Gedanken einer creatio ex nihilo in Verbindung zu bringen ist, ist Cornelius Castoriadis. Vor allem in seinem Hauptwerk Gesellschaft als imaginäre Institution (Castoriadis 1984) finden sich zu 2iieks Bestimmungen analoge Ausfiihrungen. Wenn Kioupkiolis in seinem ansonsten hervorragenden Aufsatz Castoriadis als ideales Gegenstuck zu 2itek einahrt, dann sieht er dabei über die analog zu 2iieks Problemen gelagerten Probleme Castoriadis' einfach hinweg. Vgl. fur Castoriadis' diesbezügliche Überlegungen und deren (teilweise) späteren Modifikationen bzw. Abschwächungen Sörensen (2016, 282-288).
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zumindest fir diejenigen, denen diese Option offenstehe' — die vermutlich angenehmste Option. Liest man meinen Hinweis auf das »Ende der Welt« nicht (nur) in räumlicher, sondern (auch) in zeitlicher Hinsicht und nimmt 2fieks Überlegungen zu aus dem Nichts kommenden politischen Wandlungen ernst, so lässt sich in seinen transformationstheoretischen Überlegungen neben der isolationistischen und weltabgewandten Form von Exodus-Politik wohlgemerkt auch noch eine weitere, mit Michael Walzer als messianisch bezeichenbare Variante des Exodus identifizieren — die mit der weltabgewandten aber durchaus Hand in Hand gehen kann. Wie Walzer in seiner Studie betont, habe der Exodus in der jüdischen Geschichte oft auch als Vorbild für ein messianisches und chiliastisches Denken gedient. Der Messianismus als »Versprechen der endgültigen Erlösung« (Walzer 1988, 26) schlage sich in politischer Hinsicht in der Vorstellung einer »Errettung nicht nur aus Ägypten, sondern auch aus Sinai und Kanaan« (ebd., 143) nieder. Getrieben vom Unwillen, »sich mit dem schwierigen, vielleicht nie endenden Kampffür Heiligkeit und Gerechtigkeit [zu) bescheiden, wenn es ein anderes Gelobtes Land gibt, in dem die Befreiung endgültig, die Erfüllung vollkommen ist« (ebd.), strebe der politische Messianismus danach, die diesseitige Welt und ih re Geschichte hinter sich zu lassen. Die von Walzer als Charakteristika des messianischen Exodusdenkens benannten Aspekte lesen sich wie eine steckbriefliche Beschreibung 2iieks. Diagnostiziert Walzer bei den Denkern des messianischen Exodus eine »außerordentliche Empfänglichkeit fir apokalyptische Ereignisse, wenn nicht sogar eine Sehnsucht nach ihnen« (ebd., 146), die Anrufu.ng »apokalyptischer Kriege« (ebd., 143) und die »Bereitschaft, das Ende der Zeiten zu erzwingem«, was die Zurückweisung jeglicher »Anforderungen von Moral wie Besonnenheit« legitimiere und dazu tendiere, Gewalt zu heiligen (ebd., 147), so findet sich far all das eine Entsprechung bei 2iiek. Da ist die Rede von der »letzten Schlacht« (iiek 2009, 195) und der Wunsch, »Heber ein Desaster (das katastrophale Ergebnis eines Ereignisses) als ein 17 Die Ärmsten der Armen massen in 2i1eks Perspektive far ihren Exodus allerdings gar nicht weit wandern, sie leben bereits im >gelobten Land,: »Die Echos von Canudos sinddeudich in den heutigen Favelas in lateinamerikanischen Megalopolen zu vernehmen: Sind sie nicht in gewissem Sinne die ersten >befreiten Territorien, die Keimzelle zukanftiger selbstorganisierter Gesellschaften?. (Mick 2005, 170) Sucht man jenseits der Slums nach >realpo1itischen4 Entsprechungen is 2ileks Kombination von revolutionärer Ekstase und eremitischer Selbstreferenzialitit im Angesicht der umfassenden Ausweglosigkeit, so könnten wohl die Verfasseeinnen des Pamphlets Der kommende Aufttand genannt werden (vgl, Unsichtbares Komitee 2010).
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ereignisloses Überleben in einem hedonistisch-utilitaristischen Universum [...], lieber das Schlimmste des Stalinismus als das Beste des liberal-kapitalistischen Wohlfahrtsstaats« (fiek 2015, 226) durchleben zu dürfen. Anstatt »kleine Schlachten gegen die Starrheit des Systems zu schlagen und hier und dort die Dinge zu verbessern«, gälte es, »das Terrain für die große kommende Schlacht vor[zu]bereiten«, bei der es um nichts geringeres gehe, als »das Schicksal selbst, seine grundlegenden Koordinaten zu ändern« (iiek 2013a, 164 f.). Zwar behauptet 2iiek explizit und wiederholt, »die apokalyptische Erfahrung von der Eschatologie trennen« (iiek 2015, 203) zu wollen und auf einen a-religiösen Begriff von Wunder zu rekurrieren (z.B. 2iiek 20I3b, 98 1.), aber mit Blick auf die oben geschilderte, von menschlichem Handeln losgelöste, ereignishafte Modellierung von Transformation ist zu konstatieren,dass ihm das nicht gelingt. Auch die Heiligung der Gewalt fehlt nicht. So sehr 2iiek Recht zu geben ist, dass die Ablehnung bzw. Ausblendung von Gewalt als solcher im Politischen (Denken) wenig hilfreich und zielführend ist, so abstoßend sind etwa seine Rechtfertigungen von Verstümmelungsmaßnahmen seitens des Vietcongs, die bei aller Brutalität der »zugrundliegendetn) Intention (nach) gutzuheißen« (2iiek 2005, 171) seien. In der Gesamtschau lässt sich daher konstatieren, dass anders als Oliver Marchart in nochmaliger Steigerung und Zuspitzung der Mouffschen Vorwürfe gegen Hardt und Negri nahelegt (vgl. Marchart 2005a), nicht deren Empire als zeitgenössische Version eines politischen Mess ianismus in Walzers Sinn zu verstehen ist, sondern vielmehr die Einlassungen 2iieks, die auch dadurch nicht besser werden, dass mitunter auf ihren gewiss nur provokativ gemeinten, bloß rhetorischen Hyperbolismus verwiesen wird. Mouffe und Marchart liegen aber insbesondere an einem Punkt falsch, an dem 2iiek richtig liegt und dabei handelt es sich um dessen zuvor bereits erwähnte Lesart der Bartleby-Referenz in Hardts und Negris Empire. Das ist deshalb von zentraler Bedeutung, weil Mouffes gegen Hardt, Negri und andere Exodus-Verfechter gerichteter Vorwurf letztlich ein Vorwurf des »Bartlebyismus« ist, dessen grundlegende Stoßrichtung sich bis in das gemeinsam mit Laclau verfasste Buch zurückverfolgen lässt, wo sie einer »Strategie der Konstruktion einer neuen Ordnung« die »Strategie der Opposition« bzw. die »Enklavenpolitik« gegenüberstellt (Laclau/Mouffe 2006, 234). Letztere erschöpfe sich in radikaler Negation, in Abständigkeit und Verweigerung, weshalb sie »zur Marginalität verdammt« (ebd.) und apolitisch sei. Der Vorwurf des selbstmarginalisierenden, apolitischen Bartlebyismus würde gegenüber iäeks Bewegungskriegmodell mitsamt dessen
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paralysierenden Implikationen durchaus Sinn ergeben, ergreift dieser doch angesichts der allgegenwärtigen Gefahr einer liberaldemokratischen Absorption und Neutralisation von Widerständigkeit explizit far eine Strategie reiner Desertion Partei. Eben dies — anders als Mouffe und Marchart erkennt 2iiek das richtig — ist aber nicht das Ansinnen von Hardt und Negri, wie unschwer in der einschlägigen Passage aus Empire erkennbar wird: »Bartleby would prefer not to. The mystery of Herman Melville's classic story is the absoluteness of the refusal. [...1 This refusal certainly is the beginning of a liberatory politic, but it is only a beginning. The refusal in itself is empty. [...] In political terms, too, refusal in itself (ofwork, authority, and voluntary servitude) leads only to a kind of social suicide. [...] What we need is to create a new social body, which is a project that goes well beyond refusal. Our lines of flight, our exodus must be constituent and create a real alternative. Beyond the simple refusal, or as part of that refusal, we need also to construct a new mode of life and above all a new community.« (Hardt/Negri 2000, 203 1.; Hervorh.: PS)
Hardt/Negri und andere, so möchte ich im Folgenden herausarbeiten, stehen damit für ein Paradigma weltzugewandter Exodus-Politik , der durchaus eine eigenständige — Politizität zugesprochen werden kann. In den weltzugewandten Formen von Exodus-Politik geht es mitnichten um reine Desertion, sondern vielmehr — in den in diesem Zusammenhang vielzitierten Worten Gilles Deleuzes — darum, im Fliehen eine Waffe zu suchen." Worin dieses aaffe-Suchen< und die (nur in Teilen) eigenständige Politizität besteht, möchte ich nun in Auseinandersetzung mit den Vorwarfen Mouffes und einigen zentralen Exodustheoretiker*innen erhellen.
3.3 Zugleich außen und innen: Weltzugewandte Formen des
Exodus »There is no more Winter Palace to storm., Saul Newman (2011,349)
Die zeitgenössischen Vertreter einer Exodus-Politik sind insbesondere im Lager eines heterodoxen Marxismus (Hardt/Negri, Virno, Hollowoy und mit Einschränkungen Lorey) wie auch des sogenannten Postanarchismus (Day,
18 Der Ausspruch wird ursprünglich dem von Deleuze zitierten Black-Panther-Aktivisten George Jackson zugeschrieben. Siehe Deleuze/Parnet (1980,147) oder Deleuze/Guattari (1992, z.8. 279).
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Newman und mit Einschränkungen Lorey; zum Postanarchismus vgl. Rous-
selle/Evren 2011) zuverorten. Politische Transformation wird von allen — und bei allen verbleibenden Unterschieden — als eine spezifische Art der Auseinandersetzung mit Macht verstanden. Wie ich zeigen werde, ist es — anders als Mouffe es deutet — nicht keine Auseinandersetzung mit Macht, sondern eine, die anders agiert, als Mouffe es propagiert und als einzig politische Form der Auseinandersetzung mit Macht behauptet. Wenngleich Paolo Virnos Überlegungen zu einem »Paradigma der Desertion« (Virno 20I0a, 27) als politische Transformationsstrategie weiter zurückdatieren, ist die Auseinandersetzung mit der Exodus-Thematik vor allem durch die breite Rezeption der kollaborativ verfassten Trilogie von Michael Hardt und Antonio Negri — Empire (2000), Multitude (2004) und Commonwealth (2009) — befördert worden, weshalb ich zunächst in groben Zügen deren Grundüberlegungen skizzieren und erst später auch auf andere Stimmen aus dem Lager der ExodusBefürworter eingehen werde.
3.3.1 Empire, Multitude und die hegemonietheoretische Kritik
Ausgangspunkt des gut zehn Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer veröffentlichten, unter dem Eindruck einer immer umfassenderen und unaufhaltsamen kulturellen wie ökonomischen Globalisierung verfassten Gemeinschaftswerks Empire ist die Diagnose, dass eine neue *global order, a new logic and structure of rule — in short, a new form of sovereignty« (Hardt/ Negri 2000, xi) entstanden sei. Hardt und Negri beschreiben darin den Übergang von einer als Disziplinargesellschaft bezeichneten Herrschaftsform zu der des Empire, in dem weltumspannende Herrschaftsstrukturen durch örtlich nicht eindeutig lokalisierbare biopolitische und imperiale Machteffekte produziert und reproduziert werden. Die neue Souveränität ist ganz wesentlich auf die — mehr oder weniger bewusste — Mitwirkung der Herrschaftsunterworfenen an ihrer Beherrschung angewiesen. Die neue, imperiale Macht des Empire »is a parasite that draws its vitality from the multitudes capacity to create ever new sources of energy and value« (ebd., 361). »Die Stabilität des >EmpireMultitude< die Rolle des vernutzbaren, verwertbaren Körpers auch wirklich zu spielen bereit bleibt.« Wenngleich die Form der sie interessierenden, erdumspannenden Souveränität auch neu ist, so erkennen Hardt und Negri darin gewissermaßen das Grundmotiv einer
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Funktionsweise von Herrschaft, das der Protoanarchist Etienne de la Boaie bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in seinem Discours dela servitude volontaire identifizierte (vgl. Bo6tie 1981). Gewissermaßen auch von de la Bo6tie beeinflusst — auf den sie im Zuge ihrer Bartelby-Lektüre beiläufig verweisen (Hardt/Negri 2000, 204; zum Motiv auch Hardt/Negri 2004,333; 2009, 368) — ist ihre These, dass die zu bekämpfende, neue Souveränität; Herrschaft auch neue, anders gelagerte und auf die spezifische Herrschaftsfunktionsweise reagierende Formen widerstä.ndigen politischen Handelns erforderlich machen.° Wenn das eigene Tun Herrschaft stabilisiert, dann darf man — in widerständiger Absicht — eben nicht mehr »mittun«. In dieser Hinsicht befinden sich Hardt und Negri also durchaus noch in Übereinstimmung mit 2iiek.2° Leitbegriffe eines solchen Widerstandsverständnisses sind dann Desertion, Exodus und Nomadismus: »Whereas in the disciplinary era sabotage was the fundamental notion of resistance, in the era of imperial control it may be desertion. [...] Battles against the Empire might be won through subtraction and defection. This desertion does not have a place; it is the evacuation of the places of power.« (Hardt/Negri 2000, 212) Der Akteur des Exodus ist in Hardts und Negris Modellierung die äußerst diffuse Entitat »Multitude«, eine in sich plurale Menge von »productive, creative subjectivities of globalization« (ebd., 60; siehe auch Negri 2004). Die Multitude wird in einem weiten Sinne ökonomisch-produktivistisch bestimmt und teilt bei aller internen Heterogenität die Teilhabe an einer Welt immaterieller Arbeit, »made up of communication and social networks, interactive services, and common languages. Our economic and social reality [die der Multitude; PS] is defined less by the material objects that are made and consumed than by co-produced services and relationships. Producing increasingly means constructing cooperation and communicative commonalities.« (ebd., 302; vgl. dazu auch Ziegler 2004) Etwas diffus an der Kategorie der Multitude ist auch ihre mitunter als quasi-naturwüchsig angenommene Organisiertheit als handelndes Kollektivsubjekt, ein Sachverhalt, den Hardt und Negri ab und an mit beiläufigen Hinweisen auf eine »biopolitical self-organizations (Hardt/Negri 2000, 411) der Multitude übergehen. Wie gleich noch zu zeigen 19 Dieses Motiv de la Baties findet sich bei allen im Folgenden dargestellten Exodustheoretiker'isnen, wenn auch nicht immer explizit und nicht immer gleichermaßen ausbuchstabiert. 20 Die Differenz zeichnet sich dann aber bereits mit Blick auf den Widerstandsbegriffab. WIhrend ulir 2i2.ek selbst Widerstand im passiven Sinne schon zu viel ist (resistance is surrender), propagieren Negri und Hardt (1997) bereits in ihrem ersten gemeinsamen Buch — Die Arbeit des Dionysos einen proaktiven, konstituierenden Widerstandsbegriff.
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sein wird, hat dies nicht ganz zu Unrecht Kritik provoziert, ebenso wie die geschichtsphilosophischen Anklänge der die Überwindung des Empire betreffenden Annahmen, die unter anderem in oben angeführter Metapher des Parasitentums zutage tritt. Da das Empire aufgrund der ihm eigenen Funktionsweise von Herrschaft auf exzessives Parasitentum verpflichtet ist, tendiert es dazu, seinem »Wirt« mehr Kraft abzusaugen, als dieser entbehren kann, weshalb Hardt und Negri im Rahmen ihrer »materialist teleology« (Hardt/Negri 2009, 378) folgern können: »The functioning of imperial power is ineluctably linked to its decline.« (Hardt/Negri 2000, 361)u An genau dieser Stelle setzen die Vorwürfe Mouffes ein, die insgesamt auf die unterstellte Apolitizitä.t des Ansatzes von Hardt und Negri zielen und einerseits auf das Theoriegebäude an sich (a), anderseits ganz spezifisch auf die Strategieempfehlung eines Exodus gemünzt sind (b). (a) Unpolitisch sei die Theorie schon in ihren Grundlagen, da sie auf einer »Ontologie der Immanenz« (Mouffe 2014, 123) basiere. Dieser auch schon von Laclau in seiner Rezension von Empire thematisierte Sachverhalt (vgl. Laclau 2001) verhindere es, die — far Laclau und Mouffe alles andere als kontingente, nämlich »unauslöschliche« (Mouffe 2014, 123) — radikale Negativität des Politischen (an) zu erkennen, was sie von der grundsätzlichen Möglichkeit des Erreichens einer »versöhnten Gesellschaft« (ebd., 124) ausgehen ließe. Mouffe — und in deutlich schärferen Worten auch Marchart (vgl. Marchart 2005a, 9-11) — interpretiert dies als eine messianische Erlösungshoffnung und greift, um die unterstellte Unvermitteltheit der zwei Welten zu unterstreichen, auf die Begrifflichkeit des Sprungs zurück, tun die von Hardt und Negri propagierte Transformationsmodalität zu beschreiben, also genau jene Vokabel, die 2iiek (und auch Marcuse) zur Beschreibung des Bruchmodells von Transformation verwendeten. Transformation ala Hardt/Negri rekurriere auf der »Möglichkeit eines erlösenden Sprungs in eine Gesellschaft jenseits von Politik und Souveränität [...) einen Sprung in eine Gesellschaft, in der es keine Antagonismen mehr gibt.« (Mouffe 2014, 124; zum Messianismus dort auch 128) Kombiniert werde
21 Vor diesem — und nur vor diesem — deterministischen Hintergrund ergibt dann etwa auch das Transformationsmodell der sogenannten Akzelerationisten Sinn (z.B. Srnicek/Williams 2013). Srnicek und Williams folgen dabei aber keineswegs der Exodus-Strategie Hardts und Negris, sondern postulieren eine an Laclaus Populismusmodell orientierte Machtilbernahmepolitik, die in Exodusstrategien nur einen »linken Survivalismusi,, allenfalls aber >Folk-Politik, zu erkennen vermag (vgl. Srnicek/Williams 2015).
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diese »postmoderne Sehnsucht« (Mouffe 2005, 37) mit der geschichtsphilosophisch-deterministischen Gewissheit die Entwicklung und Überwindung des Empire betreffend, von der Mouffe sich — wie die oben angeführten Passage zeigen — nicht ganz zu Unrecht an die Totengräber-Passage aus dens Kommunistischen Manifest erinnert fühlt (u.a. Mouffe 2005, 34; 2014,114; Zuni Proletariat als Totengräber: Marx/Engels 1847/48, 474). Gerade diese Annahme zeitigt aus Mouffes Perspektive fatale Konsequenzen, insofern sie die im Hegemonieansatz zentrale — Notwendigkeit der verknüpfenden Artikulation, der Bildung von Äquivalenzketten verschleiere oder gar als obsolet erscheinen lasse. »Hardt und Negri nehmen als selbstverständlich an, dass die immanenten Mächte der multitude die konstituierte Macht des Empire besiegen werden. Sie stellen nie die Frage nach der politischen Artikulation der verschiedenen Kämpfe, da für sie die Tatsache, dass diese Kämpfe nicht miteinander kommunizieren, keinesfalls ein Problem darstellt, sondern sich vielmehr als Vorteil erweist« (Mouffe 2005, 34). Die Annahme einer »natürlichen Einigkeit« (Mouffe 2014, 119) und Vereinigtheit der Multitude unterstelle die unproblematische Vorhandenheit eines revolutionären Subjekts, blende in Wahrheit aber »[alle wesentlichen Fragen einer politischen Analyse« aus und überlasse die »globale multitude in ihrer Entwicklung sich selbst« (Mouffe 2005, 34, 29). Nicht nur werde den Fragen organisierender Verbindung kein Stellenwert beigemessen, an manchen Stellen bei Hardt und Negri erkennt Mouffe gar die Aufforderung, »du Modell der horizontalen Artikulation von Kämpfen aufzugeben« (ebd.,35). Daran schließt ein weiterer, aus hegemonietheoretischer Perspektive ebenfalls essentiell bedeutsamer Kritikpunkt an. Infolge der Annahme einer zentrumslosen Souveränität, befördert durch die als zwangsläufig angenommene autodestruktive Entwicklungsdynamik des Empire und in Ermangelung eines durch horizontale Äquivalenzverkettung selbstbewussten Kollektivsubjekts, werde kein eindeutiger, für politische Mobilisierung absolut unerlässlicher Gegner identifiziert, gegen den sich politische Maßnahmen zu richten hätten und der seinerseits qua Gegnerschaft den Zusammenhalt des stets prekären Kollektivsubjekts gewährleistet (vgl. z.B. ebd., 28; Marchart 2005a, 19).22
22 Weitere, an der Schnittstelle von Kritik an der Theorie bzw. der implizierten Praxis angesiedelte Vorwiirfe lauten, dass Hardt und Negri infolge ihres Souveränitätsverständnisses die Angriffspunkte politischen Widerstandshandelns ausschließlich auf globaler Ebene vernrten and dadurch »lokale, regionale und nationale Strukturen« (Mouffe 2005, 27, 35) als Orte der Austin.
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(b) Vor dem Hintergrund dieser allgemeiner gelagerten Vorwürfe ist sodann die spezifische Kritik der von Hardt und Negri nahegelegten ExodusPolitik situiert. Durchaus richtig, aber ohne viel Liebe zum Detail versteht Mouffe Exodus-Politik als »Modus radikaler Negation als Strategie der Weigerung, sich in existierenden Institutionen zu engagieren« (Mouffe 2005, 29). Die Exodus-Proponenten zielten damit auf das »Austrocknen« bestehender institutioneller Strukturen und Verhältnisse (vgl. Mouffe 2014, 124). In ihrer jüngeren Abhandlung fasst sie die Frontstellung von Hegemonie- und Exodus politiken dementsprechend auch als den Gegensatz der einander widerstreitenden Strategieparadigmen des »Rückzugs aus den Institutionen« und der »Auseinandersetzung mit Institutionen« (ebd., 107). Insofern es aber das von den Exodus-Theoretikern unterstellte »Jenseits der Macht« nicht gäbe, in das die Flucht fuhren solle — mitunter sieht Mouffe sich diese Annahme im Gegenüberstellen von »guter« Zivilgesellschaft und »schlechtem« Staat manifestieren (z.B. Mouffe 2005, 29) —, müsste sich die Aufmerksamkeit auf die bestehenden Machtverhältnisse richten, fir deren Veränderung eine Auseinandersetzung mit ihren »Schlüsselinstitutionen« (Mouffe 2014, 172) erfolgen und Bündnisse mit Schlüsselakteuren, namentlich Parteien und Gewerkschaften (vgl. z.B. Mouffe 2005, 39), gebildet werden. Eine Verweigerungsstrategie bleibe im besten Fall politisch wirkungslos, drohe aber darüber hinaus sogar dem Gegner einen Dienst zu erweisen, insofern anstatt »in Richtung einer Alternative zur neoliberalen Hegemonie zu arbeiten, Empire höchstwahrscheinlich die gegenteiligen Effekte produzieren wird« (ebd., 31). Während Mouffe nicht en detail darauf eingeht, worin diese herrschaftsstabilisierenden Effekte bestehen könnten, sekundiert Marchart mit Verweis darauf, dass das »Modell der Desertion« andersetzung ablehnen. Spätestens mit Commonwealth, worin Hardt und Negri auf die Stadt als zentralen Ort des politischen Kampfes rekurrieren, kann dieser Vorwurf zumindest in Teilen als ausgeräumt gelten (vgl. Hardt/Negri 2009 und hier Kap. 7), Mit dem Vorwurf, die Multitude ausschließlich als demokratisch-progressives Kollektivsubjekt zu modellieren (z.B. Saar 2007), befassen sich Hardt/Negri in ihrem jüngsten Buch in Form einer Auseinandersetzung mit den zuletzt global erstarkten radikal rechten Bewegungen (vgl. Hardt/Negri 2018, Kap. 4). Ein weiterer Kritikstrang zielt auf die »kategorischen Ablehnung der repräsentativen Demokratie» (Mouffe 2014,122) durch Hardt und Negri. Auf diese, häufig auch als Horizontalismus vs. Vertikalismus gerahmte Debatte kann ich nicht ausführlicher eingehen. Isabel! Lorey, in der horizontalistischen, von Negri, Hardt und Virno kommenden Tradition stehend, hat unlängst darauf hingewiesen, dass die Frontstellung an sich irreführend sein könnte (vgl. Lorey 2013). Mouffe ihrerseits liest Lorey als »besonders eloquent(e). (Mouffe 2014, 167) Vertreterin des horizontalistischen Lagers.
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ausschließlich als individualistisch les- und praktizierbar sei und insofern in radikalem Gegensatz zu jeglicher - stets in irgendeiner Art und Weise auf Kollektivität verweisenden - Form von Politik stehe (vgl. Marchart 2005a, 17). In abstrakteren, hegemonietheoretischen Begrifflichkeiten formuliert, geht es Mouffe zufolge den Exodus-Politiken in »austrocknender« Absicht ausschließlich um Akte der Desartikulation der gesellschaftlichen Struktur, die fir Transformation absolut erforderliche Reartikulation werde ausgeblendet, vergessen oder schlichtweg in seiner Bedeutsamkeit negiert (u.a. Mouffe 2014,117 f.; 2005, 29 1.). Aufgrund dessen handele es sich bei ExodusPolitiken per definitionem stets um »bloße11 Negation«, sie drängen auf das »Verlassen dieser Welt« (Marchart 2005a, 8, 14) — sie sind, so könnte man den Vorwurf in meiner Terminologie formulieren, weltabgewandt.
3.3.2 Im Fliehen eine Waffe suchen! Exodus als produktive Praxis
Während manche der Mouffschen Vorwürfe durchaus zutreffend sind, beruhen andere teils auf Fehllektüren - die mitunter durch missverständliche Formulierungen Hardts und Negris befördert werden wieder andere sind schlicht haltlos. Richtig ist etwa, dass das Werk Hardts und Negris - besonders deutlich in den Schlusspassagen von Empire - Elemente eines kosmologischen Erlösungsdenkens in sich trägt (vgl. Hardt/Negri 2000,413), einer - in Marcharts Worten - »frömmlerischen Transzendenzphantasie« (Marchart 2005a, 11. f.). Richtig ist auch, dass es eine gewisse, in den theoretischen Prämissen gründende Unbedarftheit die Organisationsfrage der Multitude betreffend gibt, wenn auch weniger eindeutig und einseitig, als Mouffe das nahelegt." In ihrer oben zitierten Behauptung, Hardt und Negri empfohlen explizit die Nicht-Kommunikation zwischen einzelnen politischen Kämpfen, überliest sie geflissentlich ein »vielleicht« (vgl. Hardt/Negri 2000, 58),
23 Bei dem oben bereits erwähnten Paolo Virno scheint mir das eher der Fall zu sein. Virno borgtsich von Marx die Figur desgeneral intellect, aufdessen Grundlage die Kollektivsubjektivität der Multitude immer schon stehe, weshalb auch Organisierung keine wirklich relevante Frage sei. So he& es bei Virno: »Die Vielen schließen keine Übereinkünfte, (...) weil sie schon über eine gemeinsame ,Partitur, verftigen; sie stimmen nie in einer volanti giniral überein, weil sie schon einen seller& intellect teilen.» (Virno 2010b, 59) Kann man die als unproblematisch stets schon vorausgeseute Vorhandenheit dieser geteilten Basis aus empirischen Gründen ohnehin schon für zweifelhaft halten, so weist Juliane Rebentisch zudem kritisch auf die fragwürdigerweise unterstellte gleiche soziale Zugänglichkeit zum Feld des general intellect hin (vgl. Rebentisch 2014,117).
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aber auch sonst alle Hinweise Hardts und Negris, die an der gemeinsamen Artikulation durchaus interessiert sind und in deren Ausbleiben ein zentrales Problem erkennen, welches sie bemerkenswerterweise gerade in der fehlenden Feind-Bestimmung wurzeln sehen: »The struggles do not communicate [...). We can certainly recognize real obstacles that block the communication of struggles. One such obstacle is the absence of a recognition of a common enemy against which the struggles are directed. [...] Clarifying the nature of the common enemy is thus an essential political task. A second obstacle, which is really corollary to the first, is that there is no common language of struggles that could >translate< the particular language of each into a cosmopolitan language. Struggles in other parts of the world and even our own struggles seem to be written in an incomprehensible foreign language. This too points toward an important political task: to construct a new common language that facilitates communication, as the languages of antiimperialism and proletarian internationalism did for the struggles of a previous era.a (ebd., 56 f.)
Wenngleich die diesbezüglichen Bemühungen durchweg vage bleiben, bestimmen Hardt und Negri auch am Ende des Buches nochmal die vordringliche Aufgabe darin, herauszuarbeiten »specifically how the multitude can become apolitical subject in the context of Empire« (ebd., 394; ähnlich Hardt/ Negri 2009, 195 f.). Zumindest auf Grundlage dieser Passagen lässt sich der Vorwurf des Determinismus und Kollektivsubjektessentialismus nicht halten.24 Gänzlich falsch aber erscheint mir die grundsätzliche Stoßrichtung gegen die Exodus-Praktiken, die diese als radikale, bloße Negation ausweisen und ausschließlich im Bereich der Desartikulation verorten. Sicherlich ist es richtig, dass mit Formulierungen wie »Evakuierung der Orte der Macht« einer solchen Lesart und dem korrespondierenden Vorwurf des Bartlebyismus in unglücklicher Weise Vorschub geleistet wird, aber diese Lesart blendet aus, dass Hardt und Negri, wie oben bereits zitiert, gerade über Bartlebys Verweigerungshaltung hinausgehen, die Verweigerung mit konstituierenden Elementen verknüpfen wollen und damit durchaus Anspruch auf Rückwirkung in die bestehende Welt erheben. Gerade darin besteht ja auch die von 2iiek selbst hervorgehobene Differenz zu seinen eigenen Überlegungen. Was Mouffe und andere übersehen (wollen), ist eben jene Intention, die schon von Deleuze hervorgehoben wurde, auf den sich die
24 Im Gegensatz zu Mouffe erkennt der Postanarchist Richard Day dieses Anliegen Hardts und Negris sehr deutlich, sieht gerade darin aber wiederum ein autoritäres Abgleiten in ein leninistisches Transformationsmodell sich abzeichnen (vgl. Day 2011,109 f.).
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meisten Exodus-Proponenten mehr (z.B. Hardt/Negri) oder weniger (LB. Virno) explizit beziehen: Fliehen heißt, so betont Deleuze gegen eskapistische Deutungen von Flucht gerichtet, »Reales erschaffen, eine Waffe finden. (Deleuze/Parnet 1980, 56).25 Das Exoduskonzept von Hardt und Negri wird in allen Teilen der Trilogie als proaktive und kollektive Widerstandspraktik eingefiihrt und zeigt sich in dieser Weise etwa in Empire im dort explizierten Militanzverständnis: tancy today is a positive, constructive, and innovative activity. [...] Militants resist imperial command in a creative way. In other words, resistance is linked immediately with a constitutive investment in the biopolitical realm and to the finnation ofcooperative apparatuses ofproduction and community.« (Hardt/Negri 2000, 413; Hetvorh.: PS) Im zweiten Buch, Multitude, verweben Hardt und Negri Exoduspraktiken mit dem von Negri schon früher (vgl. Negri 1999) elaborierten Konzept konstituierender Macht: »Every exodus requires an active resistance f...] Not only must the multitude configure its exodus as resistance, it must also transform that resistance into a form of constituent power, creating theseaal relations and institutions of a new society.« (Hardt/Negri 2004, 341, 348; Hervorh.: PS) Besonders interessant ist auch die in Commonwealth vorgenommene Verknüpfung mit der Praxis des Generalstreiks26, die sie in Auseinandersetzung mit W.E.B. Du Bois' Deutung der Aufstände von Versklavten in den Vereinigten Staaten entwickeln (vgl. Hardt/Negri 2009, 76) und sodann in den »Maroons« eine paradigmatische Verkörperung ihres Exodus-Verständnisses identifizieren, wenn auch mit einem zentralen Unterschied: »Like the slaves who collectively escape the chains of slavery to construct self-governing communities and quilombos, biopolitical labor-power subtracting from its relation to capital must discover and construct new social relationships, new firms oflift that allow it to actualize its productive powers. But unlike that of the maroons, this exodus does not necessarily mean going elsewhere. We can pursue a line of flight while staying right here, by transforming
2.5 Auch in dem monumentalen Werk Tausend Plateaus, gemeinsam mit Felix Guattari verfasst, betont Deleuze, dass es sich keinesfalls per se um eine eskapistische Strategie handelt, schon gar nicht um die eines Individuums (vgl. Deleuze/Guattari 1992, 279). Nicht nur vor diesem Hintergrund ist fragwürdig, wie Marchart zu seinem zuvor genannten Urteil gelangt, dass die Strategie der Desertion stets individualistisch sei. 26 Wie ich im nachfolgenden Kapitel noch zeigen werde, benutzte schon Gustav Landauer die IIgut. des Generalstreiks, um die Eigenheit der - von ihm so noch nicht bezeichneten - Exodusbzw. prifigurativen Politiken aufzuzeigen. In einem 2014 geführten Roundtable-Gespräch zum Them Exodus-Politiken schlug auch Diedrich Diederichsen vor, Exodus in politischen Zusammenhängen als einen Nachfolgebegriff des Streiks zu begreifen, allerdings ausgeweitet von der Fabrik auch auf die Organisationsformen des Alltagslebens (vgl. Loick u.a. 2014,129).
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the relations of production and mode of social organization under which we live.« (ebd., 152f.; Hervorh.: PS)
Die genannte Differenz zu den Maroons, die nicht notwendigerweise räumliche Distanzierung, spielt insbesondere auch für Isabell Loreys Modellierung eine zentrale Rolle und wird sogleich noch vertieft werden. Festgehalten werden kann: Anders als in 2iieks messianischer, weltabgewandter Exodus-Vorstellung, die auf Räume zielt, in denen einigermaßen gesichert vor staatlichen Zumutungen auf das kommende Ereignis der Revolution gewartet wird, soll in Hardts und Negris Modellierung von Exodus also schon jetzt - und mitunter: hier - mit der Errichtung von Gegeninstitutionen begonnen werden, die die Herrschaft des Empire angreifen - wenn auch nicht »frontal«. Ein solcher Exodus ist weltzugewandt, will verändernd in sie eingreifen. Auch bei Paolo Virno, der bereits 1981 seine von der damaligen Jugendbewegung in Italien inspirierten Überlegungen zu einem »Paradigma der Desertion« und der damit verbundenen »Strategie der Flucht« (Virno 2010a, 27) unterbreitete, wird der Exodus explizit als »konstruktives Abfallen« (Virno 2010b, 56) bzw. »offensive[r] Entzug« (ebd., 50) gefasst. Virno wirft der Linken vor, der »Kultur des Abfallens« als wirkungsvoller politischer Strategie bisher zu wenig oder auch gar keine Beachtung geschenkt zu haben und verdeutlicht den proaktiven, durch und durch weltzugewandten Charakter derartiger Exoduspraktiken unter Rekurs auf Albert 0. Hirschman (1970): »Die Linke hat es nicht verstanden, dass die Option exit (eine nachteilige Situation verlassen, sobald es nur möglich ist) zunehmend schwerer wiegt als die Option voice (aktiver Protest gegen diese Situation). Vielmehr hat sie die Verhaltensweisen des >Aussteigens< moralisch angeschwärzt. Ungehorsam und Flucht sind jedoch keine negativen Gesten, die uns des Handelns und der Verantwortlichkeit entheben. Im Gegenteil. Desertieren heißt, die Bedingungen zu verändern, unter denen sich ein Konflikt entfaltet, anstatt sich ihnen zu unterwerfen. Und die positive Herstellung eines günstigen Szenarios bedarf größerer Initiative als der Zusammenstoß mit vorher festgelegten Bedingungen. Ein affirmatives >Tun< charakterisiert das Abfallen, das der Gegenwart einen sinnlichen und operativen Anstrich einprägt. Der Konflikt beginnt genau da, wo wir etwas im Fliehen herstellen, um soziale Beziehungen und neue Lebensformen zu verteidigen, die wir schon zu erfahren im Begriffsind. Zur alten Idee des Fliehens, um dadurch besser angreifen zu können, kommt die Sicherheit hinzu, dass der Kampf umso wirksamer sein wird, wenn wir etwas zu verlieren haben außer unseren Ketten.« (Virno 2010a, 30)
Exoduspraktiken in Virnos Modellierung verändern die Bedingungen, insofern sie nicht auf »Übernahme der Staatsmacht im Land des Pharaos« (Virno 2010b, 69) zielen, sondern den Pharao (bis auf weiteres) Pharao sein lassen,
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andere Formen und Institutionen der Vergesellschaftung experimentell-antizipatorisch erproben, anderen ein Vorbild geben und damit dereinst vielleicht den Pharao — ohne direkte Konfrontation — »verschwinden machen«. Besonders deutlich wird der keineswegs bloß negative, sondern explizit schöpferische, diesseitige und weltzugewandte Charakter in den Schriften Isabell Loreys, die die im Exodus manifeste Ablehnung und Verweigerung ebenfalls »als eine produktive Praxis« (Lorey 2008, o. S.) verstanden wissen will. Die Deutlichkeit erlangt Loreys Modellierung durch die explizite Zurückweisung des alttestamentarischen Auszugs der Israeliten aus Ägypten als orientierendes Leitnarrativ. Während Deleuze und Guattari (1992, dort z.B. 535, 308, 527) ebenso wie Hardt und Negri (z.B. 2004, 34114 2009,164) und Virno (z.B. 2010b, 50, 66, 69)" immer wieder auf das biblische Motiv Bezug nehmen, sieht Lorey mit der Beibehaltung dieser Bezugnahme eine Problematik verbunden. Stets verbleibe eine gewisse Ambivalenz, da das Modell eines räumlichen Auszugs, wie von den Israeliten praktiziert, zumindest die Deutung zulasse, es werde eine Flucht »in ein Außerhalb von Macht« (Lorey 2012b, 130) angestrebt, und Kritiken wie jene von Mouffe und anderen provoziert. Zwar haben auch Hardt/Negri betont, etwa in oben zitierter Abgrenzung zu den Maroons, dass heutige Exoduspraktiker »can pursue a line offlight while staying right here«, aber insofern nur wenige Seiten später eine erneute Bezugnahme auf Moses erfolgt (vgl. Hardt/Negri 2009, 164), ist Lorey Recht zugeben, dass damit eine unnötige Ambivalenz evoziert wird. Lorey bezieht sich dementgegen auf die Darstellung der Kämpfe zwischen Patriziern und Plebejern im Rom des 5. Jh. vor Christus auf Grundlage der Historiographie von Titus Livius und fokussiert dabei insbesondere auf die Sezessionen der Plebejer, die sie als Exodus in interventionistischer Absicht, das heißt mit Riickwirkungsanspruch auf die (temporär verlassenen) Gesellschaftsstrukturen interpretiert (vgl. Lorey 2008). »Anders als der biblische Auszug der
27 Wesentlich bedeutsamer Mr Virnos Exodus-Denken ist wohlgemerkt die Mancsche Krisendiagnose bezüglich des kapitalistischen Akkumulationsregimes im ,.neu entdeckten. Amerika (vgl. Marx 1867a, 792-802), die mit dem Überfluss an unbesiedelten Land sowie der damit verbundtnen Möglichkeit der Arbeiterinnen zum Entzug aus dem Fabrikregime erläutert wird. Es habt dort schlicht das Druckmittel der Reservearmee gefehlt und keine Notwendigkeit zur abhängigen Erwerbsarbeit bestanden (vgl. dazu Virno 20I0a, 23-25; 20I0b, 54). Kein Wort verliert Virno jedoch über die — zumindest mit diesem konkreten Beispiel einhergehenden — kolonialistischen Implikationen dieser Möglichkeit zum Entzug. Womöglich sind sie der Praxis des Exodus in Ire räumlichen Variante per se inhärent, worauf auch der ähnlich gelagerte Vorwurf Edward Saids gegenüber Walzers Modell schließen lässt (vgl. Said 1986).
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Israeliten aus Ägypten«, so heißt es an anderer Stelle, *in dem es um die radikale Neugründung einer Ordnung ging, ist es mein Interesse, die Potenzialität und die Bewegung des Exodus in den Machtverhältnissen selbst zu unterstreichen [...] Es geht darum, dass im Exodus der Vielen eine Konstituierung, eine Organisierung der mannigfaltigen Singularitäten entsteht, um 'zurückzukehren< und die bestehenden Verhältnisse grundlegend zu verändern.« (Lorey 2012b, 129 f.: Hervorh.: PS; siehe auch thick u.a. 2014, 129 f.)28 Auch bei den Vertretern des (post)anarchistisch geprägten Strangs des Exodus-Denkens findet sich die von de la Bo6ties Einsicht geprägte Haltung, dass eine im hegemonietheoretischen Sinne forderungsbasierte Transformationspraxis die bestehenden Herrschaftsverhältnisse letztlich nur perpetuiere oder gar bestärke, weshalb eine wahrhaft transformatorische Politik gerade nicht an den >Schlüsselinstitutionen< der Macht anzusetzen habe. Das von Richard Day in Anlehnung an Martin Buber und den de la Bo6tie-Übersetzer Gustav Landauer entwickelte Modell einer gesellschaftlichen Restrukturierung ist dadurch gekennzeichnet, *that it does not provide positive energy to existing structures and processes in the hope of their amelioration. Rather, it aims to reduce their efficacy and reach by rendering them redundant. Structural renewal therefor appears simultaneously as a negative force working against the colonization of everyday life by the state and corporations and a positive force acting to reverse this process.« (Day 2011, 112) Die mit einem Entzug kombinierte positive Kraft wird durch »small-scale experiments in the construction of alternative modes of social, political, and economic organization« (Day 2005, 16) generiert, die im Hier und Jetzt ihre Praktikabilität und Attraktivität performative unter Beweis stellen, was wiederum — so die Hoffnung — in negativer Hinsicht sukzessive zur Erosion der bestehenden herrschaftsförmigen Strukturen fiihrt. Wie Day, so situiert auch Saul Newman — der seine Überlegungen ebenfalls immer wieder in Auseinandersetzung mit de la Bo6tie und anderen anarchistischen Klassikern entwickelt (z.B. Newman 2012), die er mit poststrukturalistischen Positionen kurzschließt — Exoduspolitiken als transformative Alternative zu den jeweils staatsbezogenen Varianten von Revolution und Reformis-
28 Auf den Entzug als nur tine: Moment einer umfassenderen Exodus-Politik verwies zuletzt auch Bonnie Honig in ihrer Feminist Theory of Refusal. Ein weiterer Moment sei die Rückkehr in die Stadt und die Auseinandersetzung mit ihren Strukturen (vgl. Honig 2021, 104). Auch Honigs Ansatz kann damit als eine Spielart des von mir als weltzugewandt bezeichneten Exodus-Modells gelten, wobei sie selbst von »refusal as world-building practice» (ebd.) spricht.
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mus. Exoduspolitik *disengages from established political institutions and discourses and invents something new« (Newman 2011,353). Auch Newman geht dabei nicht davon aus, dass ein derartiger Entzug in ein Jenseits der Macht führen soll oder überhaupt könnte, sondern sieht den Wirkeffekt solch autonomer Zonen in der Herstellung eines *utopian rupture within the present« (ebd., 360). Wenngleich vor allem bei Day an manchen Stellen — mutmaßlich motiviert von der Gegnerschaft zum Hegemoniemodell betont wird, dass Exodus-Projekte »do not seek irradiation effects on any spectrum at all« (Day 2011, 107) und seine Position infolgedessen durchaus als eskapistisch und apolitisch bezeichnet werden könnten, so überwiegen doch auch bei ihm bei weitem die weltzugewandten, interventionistischen Zuschreibungen, die die bestehenden Machtverhältnisse zu beeinflussen trachten und dies auch in der Absicht einer Ausbreitung des emanzipatorischen Anliegens tun. Stets, bei allen hier angeführten Modellierungen, geht es um eine Verquickung von entziehenden und konstituierenden Praktiken, die in ihrem Zusammenwirken auf graduelle Transformationsakte und gerade nicht auf einen sprungartigen Schritt in die umfassend neue Welt setzen. Liegen die marxistisch-postoperaistischen und die postanarchistischen Positionendamit in strategischer Hinsicht durchaus nahe, so könnte eine — fur das hier verfolgte Erkenntnisinteresse jedoch nicht zentrale — Differenz darin identifiziert werden, dass die postoperaistischen Vertreter sich gegen Aspirationen der Staatsmachtübernahme stellen, weil sie ihnen nicht mehr zeitgemäß bzw. zielführend erscheint, wohingegen in den postanarchistischen Positionierungen Staatsmachtübernahme abgelehnt wird, weil sie unter normativen Gesichtspunkten nicht erstrebenswert ist (und niemals war). Wenngleich mir die Normativität hinsichtlich der Frage nach der Politizitä.t von Exoduspraktiken unerheblich erscheint, so entstammt dem (post)anarchistischen Gesprächsfeld ein wichtiger Hinweis, der einen Zugang zum Verständnis der Politizität derartiger Praktiken eröffnet, die meines Erachtens in deren eigens gearteter Form der Auseinandersetzung mit Macht besteht. Sofern also den hier thematisierten Exodus-Praktiken zweifelsohne ein proaktiver, weltzugewandter und interventionistischer Anspruch innewohnt, so kann das Wie und der Gegenstandsbereich eines solchen Handelns im Sinne des vornehmlich in der anarchistischen Tradition vetbreiteten Terminus der sozialen — in Abgrenzung zu einer bloß politischen Revolution begriffen werden (so z.B. Day 2011, 110; Newman 2011, 353). Es geht, in den Worten Rosa Luxemburgs, weniger bis gar nicht um die *bloße
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Übertragung des Taktstocks« (Luxemburg 1979, S. 431), sondern vielmehr um eine breit und gerade auch im Alltagsleben ansetzende Transformationsbemiihung, die auf ein basales Umkrempeln der sozialen Verhältnisse und Subjektivitäten einer Gesellschaft zielt. Wenngleich die Benennung als soziale Revolution oberflächlich den Eindruck erwecken mag, es handele sich dabei um apolitische Vorgänge, so kann dieser Vorbehalt unter Verweis auf ein entsprechend geweitetes Politik- und Machtverständnis entkräftet werden. Versteht man Politik und politisches Handeln ganz grundsätzlich als ein auf die Beeinflussung von Machtverhältnissen zielendes Handeln und Macht im Sinne Foucaults — von dem alle hier verhandelten Exodus-Theoretiker*innen in nennenswerter Weise beeinflusst sind — als allgegenwärtig und auch nicht-subjektiv, als »die Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren« (Foucault 1983, 93), dann liegt politisches Handeln auch dort vor, wo Auseinandersetzungen mit Macht(verhältnissen) gesucht werden, die nicht unmittelbar auf )Schlüsselinstitutionen< bzw. den »Kopf des Königs« gerichtet sind. Insofern Exoduspraktiken den bestehenden Machtverhältnissen die aufrechterhaltende Mitwirkung — zumindest graduell — aufkündigen, das ist der Gedanke de la Bokies, und stattdessen andere Arten des Zusammenlebens in ökonomischer, politischer und sozialer Hinsicht ins Werk setzen, andere Beziehungs- und Subjektivierungsweisen konstituieren, kann keineswegs ein Abfallen von der Macht bzw. eine Flucht in ein Jenseits von Macht unterstellt werden. Vielmehr handelt es sich auch um eine Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen, wenn auch um eine andere Art der Auseinandersetzung als die schlüsselinstitutionenzentrierte Variante. Infolgedessen sind auch Exoduspraktiken — in ihrer weltzugewandten Form — als durch und durch politisch, wenn auch anders politisch, zu begreifen. Es handelt sich weniger bis gar nicht um eine >von oben< programmierende Art der Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen, sondern vielmehr um eine »von unten« umbauende, ent- und ersetzende Form, worauf ich im Detail sogleich noch eingehen werde.
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3.4 Hegemonie der Hegemoniestrategie: Zur Fragwürdigkeit des
Apolitizitätsvorwurfs Es ist nun keineswegs so, dass Mouffes harsches Abkanzeln der Exoduspraktiken als unpolitisch zwangsläufig ist oder Sinn ergeben würde, sind ihre diskurs- und hegemonietheoretischen Überlegungen doch ihrerseits neben Gramsci ganz maßgeblich von Foucault geprägt. Entsprechend weitgreifend ist etwa auch die Bestimmung politischen Handelns an manchen Stellen des Gemeinschaftswerkes mit Laclau. »Wenn wir hier vom politischem Charakter dieser Kämpfe sprechen«, so heißt es dort zum Beispiel, »dann zweifellos nicht im restriktiven Sinn von Forderungen auf der Ebene der Parteien und des Staates. Wir beziehen uns auf einen Handlungstyp, dessen Ziel die Transformation eines sozialen Verhältnisses ist [...] Natürlich wollen wir nicht leugnen, daß bestimmte Praxen eine Intervention des Politischen im restriktiven Sinne erfordern. Was wir hervorheben wollen ist, daß Politik als eine Praxis des Erzeugens, der Reproduktion und Transformation sozialer Verhältnisse nicht auf einer bestimmten Ebene des Gesellschaftlichen verortet werden kann, da das Problem des Politischen das Problem der Einrichtung des Sozialen ist, das heißt der Definition und Artikulation sozialer Beziehungen auf einem kreuz und quer von Antagonismen durchzogenen Feld.« (Laclau/Mouffe 2006, 193) Auf dieser Grundlage wären Exodus-Praktiken in ihrer weltzugewandten, interventionistischen Form keineswegs (per se) als unpolitisch zu. rubrizieren und müssten einer Stellungskriegstrategie nicht diametral gegenübergestellt werden. Es ist daher zu vermuten, dass Mouffes (zunehmende) Ablehnung von Exoduspraktiken mit ihrer zunehmenden Ausrichtung auf parlamentarische Machtübernahmestrategien in Verbindung zu bringen ist, die spätestens mit ihren Schriften zum Linkspopulismus das ausschließliche Zentrum ihres praktisch-politischen Denkens bildet. Vor diesem Hintergrund wäre daher ferner anzunehmen, dass Mouffes mitunter arg polemische Parteinahmen sich eher aus einem Zweifel an der Erfolgsträchtigkeit spezifischer Strategien speisen und sie die eine befürworten lassen, während andere zurückgewiesen werden. In der Tatlassen einige Äußerungen das als zutreffend erscheinen, etwa wenn sie in der oben bereits zitierten Passage aus Hegemonie und radikaler Demokratie zu »Enklavenpolitikeng nicht deren Apolitizität, sondern die Gefahr der Selbstmarginalisierung anprangert (vgl. oben bzw. Laclau/Mouffe 2006, 243), oder in Agonistik an einigen Stellen nicht an der Politizität, sondern der politischen »Wirksamkeit solcher Praktiken« (Mouffe 2014, 71) zweifelt. Derartige Fra-
-"owl
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gen sind durchaus verhandelbar und werden ja auch verhandelt, aber es gibt in Mouifes (und Laclaus) Überlegungen noch eine anders gelagerte, »tiefer« ansetzende Argumentation, die Exoduspolitiken nicht nur als politisch erfolglos einzuordnen versucht, sondern gerade als in sich apolitisch aufzufassen zwingt. Die Apolitizitätsvorwürfe von Mouffe und Laclau setzten auf einer sehr grundlegenden, wenn nicht sogar der grundlegendsten Ebene überhaupt an, nämlich derjenigen einer Ontologie. Wie schon vermerkt, seien Hardt/Negri und andere Exodus-Theoretiker*innen nicht in der Lage, die radikale Negativität des Politischen anzuerkennen und könnten daher auch nicht die »unauslöschliche Dimension des Antagonismus« (Mouffe 2014, 123) zur Kenntnis nehmen. Abgesehen davon, dass mir das zumindest für die alleinigen Arbeiten Negris nicht durchgängig zuzutreffen erscheint, ergibt sich daraus nicht zwingend eine Kritik von Exodus-Strategien, insofern das eine die ontologische Ebene betrifft, die Strategiefrage aber auf der der Ontik zu verorten ist. Die Frage des Exodus als Strategie betrifft das »Wie« von Politik, nicht das »Was« des Politischen. Eben hierin aber liegt ein Problem begründet, denn Mouffe und Laclau wissen ganz — vielleicht sogar: zu — genau, wie Politik zu betreiben ist: nämlich als ein auf Repräsentationsmechanismen basierender Kampf um hegemoniale Vorherrschaft, der ganz wesentlich mittels Äquivalenzkettenbildung und deren maximaler Ausweitung betrieben wird. Wie Benjamin Arditi (2014) in einem Beitrag sehr überzeugend herausgearbeitet hat, ist im Verlauf der Argumentation in Hegemonie und radikale Demokratie eine Verschiebung den Status von Hegemoniepolitik betreffend zu konstatieren, der in der ausschließlichen Gleichsetzung von Hegemoniestrategie und Politik mündet. Heißt es zunächst noch, dass Hegemonie »eine Form [...] von Politik« (Laclau/Mouffe 2006,181; Hervorh.: PS) neben anderen ist, die erst in der Moderne — in Abgrenzung zu mittelalterlichen Sozialformationen *in dem Maße, wie der offene, nicht-genähte Charakter des Sozialen zunimmt« (ebd., 180), aufkommt und katalysiert durch die demokratische Revolution zunehmend dominanter wird, so ist das augenscheinlich eine auf den Bereich der Ontik bzw. der Politik gemünzte Aussage. In der Schlusspassage des Buches aber kommt es sodann zu einer, die Ontologie des Sozialen betreffenden Aussage, mit der die theoretische »Bescheidenheit« der Bestimmung von Hegemonie als nur einer Form von Politik aufgegeben wird. Hier wird das *Feld des Politischen als der Raum für ein Spiel« bezeichnet und »Edlieses Spiel (...) hat zumindest einen Namen: Hegemonie« (ebd., 238). Nimmt man diese Bestimmung ernst, so ist mit Arditi
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die Schlussfolgerung zu ziehen, dass *hegemony, a form of politics, morphs into politics proper: hegemony becomes the universal form of politics or at least of democratic politics« (Arditi 2014, 21). In begrifflich anderem Gewand taucht der Ausschließlichkeitsanspruch auch in Laclaus Populismusschrif ten auf, wenn er sein formales Populismusverständnis explizit auf der ontologischen Ebene verortet (vgl. Laclau 2005b, 44) und Populismus — verstanden als das Zusammenkommen einer Äquivalenzkettenbildung aus diversen Forderungen an die jeweiligen Machthaber, der Konstruktion eines soziopolitischen Feindes und der Repräsentationsleistung eines (personalen) leeren Signifikanten — zum Bestandteil jeglicher Form politischen Interwnierens erklärt (vgl. Laclau 2005a, 154): *populist reason [...] amounts [...] to political reason tout court« (ebd., 225)." Wie Arditi betont und mit Verweis auf zahlreiche empirische Beispiele untermauern kann, ist keineswegs abzustreiten, dass Politik immer in der einen oder der anderen Weise auf der Artikulation und Herstellung von verbindender Kollektivität basiert, die als solche in die bestehenden Verhältnisse zu intervenieren trachtet, aber keinesfalls sei die aufrepräsentationalistische Äquivalenzkettenbildung zielende HegemonieStrategie im Laclau/Mouffe'schen Sinne die einzige Möglichkeit, um dies zit bewerkstelligen (vgl. Arditi 2014, u.a. 22-26). Vielmehr handelt es sich bei dieser — andere Strategien entpolitisierenden — Behauptung ihrerseits urn eine nicht unerfolgreiche (theorie-)politische Intervention, die nicht zuletzt fir den Umgang mit Exoduspolitiken Konsequenzen hat. Ganz in diesem Sinne ist die Aussage Richard Days zu verstehen, der in seiner — mit Gramsd is dead ebenfalls arg polemisierend betitelten — Studie von einer *hegemony of hegemony« (Day 2005, u.a. 45; Day 2011,101 f.) im aktuellen transformationspolitischen Diskurs der Linken spricht. Von Mouffe (und Laclau.) wird damit wohlgemerkt nicht nur ein sehr verengter Politikbegriff zugrunde gelegt, sondern auch der der Hegemonie ist im Vergleich zu seinem deutlich weiteren Begriffsgehalt bei ihrer zentralen Referenzfigur, Antonio Gramsci, stark verkürzt. Anders als mit Mouffe, die den politischen Charakter und Gehalt von Exoduspraktiken rundweg negiert, ist ein solches Vorgehen mit Gramscis Überlegungen durchaus verein-
29 Air eine aufdieser Grundlage basierende Kritik an 2iieks Modell eines transformativen Bruchs vgl. Laclau (2006).
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bar.3° Für Gramsci vollzieht sich sozio-politischer Wandel in strategischer Hinsicht *fast immer durch >sukzessive Kombinationen nach äußerst disparaten und >qua Autorität( nicht kontrollierbaren Formeln«c Interventionistische, weltzugewandte Exoduspraktiken können Teil einer solchen »molekulareIn] Anhäufung von Elementen darstellen«, die in ihrer Gesamtheit womöglich eine Transformation herbeifiihren. Insofern sie zumindest dazu angetan sind, »Veränderungen in den Denkweisen« (fir alle: Gramsci 2012, 2178) zu bewirken — darauf werde ich gleich noch zu sprechen kommen —, können sie Teil eines Kampfes um Hegemonie bzw. eine andere, eigene Art, den Kampf um Hegemonie zu führen sein, ohne sich notwendigerweise in eine auf Äquivalenzkettenbildung ausgerichtete und in aller Regel parteiförmige und staatszentrierte Strategie restlos einpassen zu müssen."
3.5 Zur Politizität von Exoduspraktiken, oder: Weltzugewandter Exodus als präfigurative Politik Was die exklusive Bestimmung von Politik nach Mouffe übersieht, ja, aufgrund ihrer theoretischen Prämissen übersehen muss, ist zweierlei: das sphärenübergreifende Auftauchen von Politik (a) und die Dimension der Gründung des Neuen (b). Nur wenn diese beiden Gesichtspunkte in Rechnung gestellt werden, lässt sich meines Erachtens die politische Potenzialität von Exoduspraktiken erfassen. (a) Mouffes staats- und parteienzentrierter Politikbegriff ist ein an die konstituierte Macht gebundener und damit auch juridischer Politikbegriff, der im zeitgenössischen Diskurs in Theorie und Praxis gewiss als hegemonial zu bezeichnen ist und die Wahrnehmung von Handlungen als un-/politische Handlungen wirkmächtig strukturiert. Es gibt jedoch gute Gründe — in analytischer wie auch normativer Hinsicht — Politik nicht nur im politischen System im engeren Sinn zu verorten, also im juridisch-
30 Darauf hat auch der oben als zentraler Prafigurationstheoretiker eingeffthrte Carl Boggs in seinen Studien zu Gramsci hingewiesen. Vgl. neben den oben genannten Arbeiten insbesondere auch Boggs (1976). Auf Gramsci werde ich zudem in Kap. 4.2.2 nochmal zu sprechen kommen. 31 In ihrem Buch Return ofthe Political lässt Mouffe in Auseinandersetzung mit dem Denken des assoziativen Sozialism us durchaus auch ein gewisses Wohlwollen flir alternativ-ökonomische Strukturen erkennen, die man als weltzugewandte Exoduspraktiken im hier umrissenen Sinn bezeichnen könnte. Vgl. Mouffe (1993, 97-100).
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politischen Bereich, sondern auch und gerade im Bereich des »Sozialen, im Alltagshandeln. Weist man die dem juridischen Politikmodell zugrun• deliegenden, herrschaftlichen »Trennungsdispositive« Privat-Öffentlich und Politisch-Sozial in ihrer vermeintlich vorpolitischen Naturgegebenheit zurück (vgl. Sauer 2001), heißt das für die politische Analyse, auch *die widerstä.ndige und gesellschaftsverändernde Kraft von Alltagshandeln, sozialen Beziehungen, Weisen des Zusammenlebens, Lebensformen und vor allem Subjektivierungsweisen in den Blick zu nehmen« (Lorey 20I2a, 30). Die damit aufscheinende »Deprivilegierung des Staates« und die damit einhergehende »Repolitisierung des Sozialen« können als zentrale Charakteristika eines postjuridischen Politikverständnisses gelten, wie es Daniel Loick exemplarischen in diversen Praktiken der Arbeiter*innen• und Frauenbewegung erkennt: »Politische Akteur*innen haben versucht, einzelne soziale Sphären — die Ökonomie oder den Haushalt — direkt zu transformieren, ohne den Umweg über den Staat zu gehen. Sie haben Formen der direkten Aktion entwickelt, die sich nicht an den Staat adressieren, und Forderungen aufgestellt, die sich nicht auf rechtsförmige Weise implementieren lassen.« (Loick 2017a, 289). Politik, so kann damit gesagt werden, findet keineswegs nur in der Sphäre des politischen Systems in engeren Sinn start, sie findet nicht ausschließlich rechtsförmig und in repräsentantenvermittelten Auseinandersetzungen start. Die Gestaltung und Umgestaltung von Machtverhältnissen findet immer auch in den vermeintlich un- oder vorpolitischen Sphären statt, in denen gewöhnliche Akteure in ihren alltäglichen Lebenspraktiken (politisch) handelnd tätig sind.32 (b) Zum zweiten tendiert der mouffeianisch verengte Politikbegriffdazu, die mit dem Gründen, dem Neu-Beginnen und dem Instituieren des Anderen verbundene Dimension von Politik zu übersehen. In dieser Hinsicht kann Hannah Arendt — neben Cornelius Castoriadis wohl die politische Denkerin des Neuen schlechthin — helfen, die den hier interessierenden Unterschied in Vita activa anhand einer Auseinandersetzung mit Handlungsformen der 32 In Auseinandersetzung mit nicht-westlichen Praktiken ist dies auch die zentrale Beobachtung James Scotts, wenn er gegen verengende, auf den Staat und die Öffentlichkeit fixierte Verständnisse von Politik die Politizität alltäglicher Widerstandspraktiken und von sogenannter Infrapolitä der Unterworfenen herausarbeitet (vgl. Scott 1989;1990, Kap. 7). In eine ähnliche Richtung weist das Konzept des silent encroachment, das Asef Bayat in seinen Studien zu alltäglichen sozialen derstandspralctiken im Nahen Osten entwickelt hat. Um die Abgrenzung zur Staatsbezogenheit und öffentlichen Sichtbarkeit herkömmlicher Politik zu betonen, spricht Bayat von den Trägern dieses Widerstands als Social Nonmovements (vgl. Bayat 2010, insb. Kap. 3).
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Arbeiter*innenbewegung illustriert. Während die Gewerkschaftsbewegung »rein wirtschaftlich-soziale Forderungen« gestellt und »normale Interessenpolitik« betrieben habe, habe die »politische Organisation« der Arbeiterbewegung »politische Forderungen« gestellt und »eine wirkliche Transformation der Gesellschaft und der sie repräsentierenden Institutionen« (Arendt 2008, 273 f.) anvisiert, »einen neuen öffentlichen Raum mit neuen politischen Maßstäben« (ebd., 277) angestrebt. Was Arendt schildert, ist genau das, was Virno vor Augen hat, wenn er vom Desertieren als dem Verändern von Bedingungen durch positives Herstellen anderer Beziehungen spricht, anstatt sich diesen zu unterwerfen und in ihren Logiken gefangen zu bleiben (vgl. Virno 20I0a). Ein rein auf der Reartikulation bestehender Elemente eines Diskurses basierender Ansatz verpflichtet auf das Agieren in vorgegebenen Mustern und kann bestenfalls »change the content of structures of domination and exploitation, but it cannot change their forms« (Day 2011, 107). Die einzelnen Farbtupfer eines Bildes können zwar wieder verflüssigt und andersartig disloziert werden, so ließe sich in Anlehnung an Wittgenstein sagen, aber der Rahmen selbst bleibt unangetastet. Erst unter Berücksichtigung dieser beiden Gesichtspunkte — den Aspekten also, dass sich Politik nicht nur im politischen System im engeren Sinn ereignet und potenziell immer auch mehr als bloße Reartikulation zu leisten vermag — kann sinnvoll nach der politischen Potenzialität von Exoduspraktiken gefragt werden. Nach dieser Potenzialität zu fragen heißt, nach dem deleuzeschen Wa5ncharakter von Exoduspraktiken zu fragen, fir dessen Aufweis sich grob zwei Argumentbündeln gruppieren lassen, die freilich nur heuristisch eindeutig voneinander zu trennen sind. Ersteres umfasst eher funktionalistische Aspekte (Exodus dient der Transformation; a), letzteres kann als im engeren Sinne politikbezogen bezeichnet werden (Exodus ist die Transformation; p). (a) Zu ersterem Bündel sind derartige Hinweise zu zählen, dass durch Exoduspraktiken Rückzugsräume, mutualistische Fürsorgepraktiken oder alternative Strukturen zur Gewährleistung anderer Reproduktionsaufgaben geschaffen werden, beispielsweise in Form von solidarisch-kooperativen Netzwerken ökonomischer Produktion und Distribution, autonomen Freiräumen oder selbstverwalteten Bildungszusammenhängen. Durch derartige Projekte können Existenz- und Lebensbedingungen verbessert oder überhaupt sichergestellt werden und darüber vermittelt auch die Bedingungen für politische Auseinandersetzungen vorteilhafter gestaltet werden. Die Effekte von Exoduspraktiken sind in diesem Sinne ganz grundlegend
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als zur Politik ennächtigend zu begreifen (vgl. etwa Tsomou 2014; Redeckes 2014). Carlson und Manning machen zudem auf einen damit verbundenen motivationalen Effekt aufmerksam, der darin bestehe, dass durch die gelebte Erfahrung derartiger solidarischer Unterstützungsstrukturen auch die Bereitschaft zum politischen Kampf und der Verteidigung der selbst konstituierten Alternativen wachse (vgl. Carlson/Manning 2010, 951) - elm Einschätzung, die sich in Abgrenzung zur berühmten, von Marx und Engels auch ins Kommunistische Manifest übernommenen Einstiegssentenz von Rousseaus Contract social auch bereits bei Virno findet: »Zur alten Idee des Fliehens, um dadurch besser angreifen zu können, kommt die Sicherheit hinzu, dass der Kampf umso wirksamer sein wird, wenn wir etwas zu verlieren haben außer unseren Ketten.« (Virno 2010a, 30) Ferner sind dazu jene Überlegungen zu zählen, die auf die Frage der subjektiven Voraussetzungen eines gelingenden Transformationsgeschehens zielen. Exodus-Praktiken sind dazu angetan, »'neue Subjekte< herauszubilden, deren Habitus uns einer Transformation näher bringen« (Tsomou 2014, 89) kann, oder — wie Eva von Redecker in Auseinandersetzung mit Gustav Landauer und Martin Buber herausarbeitet — die sogar »transformativ ausschlaggebend« sind, weil die Revolution für ihre Machbar- und Nachhaltigkeit auf Antizipation angewiesen ist: *Nur wo ihr entsprechende Praktiken und Subjektivitäten bereits vorbereitet und eingeübt sind, hat diese [die Transformation; PS] aus Sicht des vielleicht revolutionsskeptischsten Revolutionärs Erfolgsaussichten.« (Redecker 2014, 96, 98) Die im und mit dem Exodus geschaffenen Orte bieten dafiir die erforderlichen Gelegenheitsstrukturen. Eine entsprechende zeitliche Dehnung des Revolutions- bzw. Transformationsbegriffs zugrunde gelegt heißt das, dass Exoduspraktiken die politische Transformation in subjektiver Hinsicht nicht nur vorbereitend begünstigen, sondern auch ganz essentieller Bestandteil des transformativen Polit-Geschehens selbst sind (vgl. dazu Kap. 6.). Es werden in den »Fluchtorten« Haltungen, Verhaltensweisen, Formen des Zusammenlebens und des Streits praktisch erprobt und gear, die die Transformation begünstigen und diese im Falle des Vollzugs nachhaltiger macht, indem sie sie auf subjektiv standfestere Pfeiler zu stellen verspricht. Ein dritter Aspekt unter funktionalistischen Gesichtspunkten ist der Stimulations- und Vorbildeffikt, den Exodus-Praktiken auch auf andere zu zeitigen vermögen. Wie Margarita Tsomou am Beispiel der griechischen alternativen Ökonomien im Post-Finanzkrisen-Griechenland der frühen
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2010er-Jahre konstatiert, wird im Zuge derartiger Praktiken »ein antikapitalistisches Begehren produziert und damit auch die Frage des Bruchs oder der radikaleren sozialen Transformation für breite soziale Kontexte überhaupt erst auf die Tagesordnung gesetzt« (Tsomou 2014, 87). Wenn Virno von Exodus-Projekten als Prototypen einer künftigen, besseren Sozialität spricht (vgl. Virno 20106, 63), so ist damit gemeint, dass die im Hier und Jetzt gelebten Praktiken über den unmittelbaren Kreis der daran beteiligten Personen hinaus Ansteckungseffekte zeitigen können. Sie sind, so heißt es ebenfalls bei Tsomou, »eine Ressource, die die Umrisse einer durch Gegenseitigkeit, Reziprozität und Kooperation geprägten Gesellschaft sichtbar werden lässt« (Tsomou 2014, 84)33 und damit die von Gramsci angesprochene Veränderung der Denkweisen praktisch ermöglicht. (ß) Dieser letzte Punkt reicht bereits in das zweite, im engeren Sinne politisch ausgerichtete Argumentenbündel hinein und verweist auf die politische Potenzialität von Exodus-Praktiken als Konti ngenzinarkern, als Wahrzeichen oder zumindest als Stimuli der Imagination eines Anders-Sein-Könnens (dazu z.B. Kirkpatrick 2019, 137; Tsomou 2014, 91; Newman 2011, 360). Sie lassen eine andere Einrichtung von Welt jetzt und hier aufblitzen (vgl. Virno 2010h, 63), demonstrieren — in den Worten Rancieres — das »Vorhandensein zweier Welten in einer einzigen« (Ranciere 2008, 33). Sie schlagen eine Bresche in die herrschenden Verhältnisse und werden damit in eben jenem Sinne >reaktivierend( wirksam, wie Ernesto Laclau es in losem Anschluss an
33 Zwar nimmt Tsomou wesentliche Impulse von Virnos Denken auf, unterscheidet sich meines Erachtens aber in einer zentralen Hinsicht von ihm, wenn sie — vom griechischen Beispiel beeinflusst — zu Recht darauf verweist, dass die Entstehung von solidarischen Exodus-Projekten oftmals .in erster Linie Ausdruck und Ergebnis von Not ist.. (Tsomou 2014, 81). Virno dagegen, angefangenvon seinem Beispiel der amerikanischen Frontier-Bewegung bis hin zur Grundsicherheit gewährleistenden Wohlfahrtsstaatlichkeit im Italien der 1970er, sieht die zentrale Bedingung von Exodus im Oberfluss. *Ms Abfallen 1...1 stützt sich (...I aufeinen versteckten Reichtum, auf eine überft).11e an Möglichkeiten, kurz: auf das Prinzip des tedium datur.. (Virno 20106, 55) Der zumindest instrumentell positive Bezug aufWohlfahrtsstaatlichkeit ist durchaus problematisch. Zum einen stütztersich damit aufetwas, was er eigentlich bekämpfen will (ein ähnliches Problem zeigt sich auch bei Hardt/Negri, die am Ende von Empire im Grunde rechtsstaatliche Forderungen erheben;vgl. Hardt/Negri 2000,396-407). Zudem richtete sich in den letzten Jahrzehnten die geballte Kraft der neoliberalen Revolution mit Erfolg auf die Zerschlagung von Wohlfahrtsstaatlichkeit — was aus Mouffescher Perspektive nicht zuletzt Exodus-Politiken anzulasten wäre. An dieser Stelle mag das zumindest als Anregung verstanden werden, aus Exodus-Perspektive eindringlicher darüber nachzudenken, wie emanzipatorische Errungenschaften gesichert werden können.
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Edmund Husserl als Charakteristikum politischer Interventionen ins »sag. mentierte Soziale« vorschwebt (vgl. Laclau 1990, 34 f.). Noch weitergehend ist schließlich das Argument, dass Exoduspraktiken an sich als der Wandel selbst fungieren, worin erneut das Grundmotiv der Herrschaftsanalyse de la Bokies aufscheint. Basierend auf einem relatia nalen, performativ-reproduzierenden Verständnis der Macht von sozialen Verhältnissen und Institutionen, stellt in dieser Perspektive das in Exoduspraktiken verkörperte Anders-Machen, die Nicht-Mitwirkung an den überkommenen Strukturen und Verhaltensweisen eine Schwächung dieser dar, die mittelfristig zu deren Erosion oder gar vollständigen Entenachtung fuhren könne (z.B. Day 2005, 45, 124 f.). Vor allem gegen Vorstellungen von Transformation als Bruch gerichtet, die letztlich die bestehenden Institutionen intakt ließen, besteht die Annahme darin, dass es durch ein konsequentes und von immer mehr Beteiligten vollzogenes Anders-Machen zu einer sukzessiven, radikalen Umgestaltung der bestehenden Machrver hältnisse kommen kann. Diese Vorstellung findet ihren wohl elaboriertesten Vordenker in ideengeschichtlicher Hinsicht in Gustav Landauer, auf den ich im nächsten Kapitel detaillierter eingehen werde, im gegenwärtigen Diskurs insbesondere in queer- und gendertheoretischen Ansätzen unter dem Etikett des Undoing gender verhandelt (z.B. Butler 2011; Hirschauer 2013), Im Grunde ist diese Vorstellung wohlgemerkt sowohl mit weitab- wie auch weltzugewandten Formen des Exodus kompatibel, aber nur im letzteren Fall, so denke ich, kann sinnvoll von einer politischen Ambition gesprochen werden, da erstere im Zweifelsfall gar nicht daran interessiert sind, was außerhalb der jeweiligen Enklave passiert, ob die abgelehnte Außenwelt fortbesteht oder nicht. Man mag die mit diesem Ansatz verbundenen Ansprüche (in Teilen) fir überzogen halten oder an ihrer Wirkkraft zweifeln, aber dadurch allein wird die Strategie als Strategie weder umfassend diskreditiert noch un. politisch. Eine solche Einordnung als unpolitisch funktioniert nur, wenn man Exoduspraktiken umfassend und ausschließlich als weltabgewandte Praktiken begreift und wie Oliver Marchart — in Auseinandersetzung mit Deleuze — dem Register des Minorittir-Werden zuschlägt (vgl. Marchart 2010, Kap. 10.3). Stellt man aber auch das von mir soeben als im engeren Sinne politisch bezeichnete Argumentbündel sowie das Vorbild-Argument in Rechnung, so sind auch spezifischen Exoduspraktiken — eben jenen von mir als weltzugewandt bezeichneten — Ambitionen auf ein numerisches und symbolisches Majoritär-Werden zu attestieren, die Marchart als Grundchark
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teristikum einer jeden Handlungsform bestimmt, die legitimerweise far sich reklamieren kann, politisch zu sein. Zwar fügen sich weltzugewandte Exodusprojekte nicht unbedingt in populistisch-parteiförmige Aquivalenzkettenbildungsvorhaben ein, sehr wohl aber treffen sie gerade auch mit den anvisierten Vorbild- und Ansteckungseffekten ein zentrales Kriterium der von Marchart befürworteten minimalen Politik: Politische Exemplarität, so heißt es dort, »gewinnt eine Handlung, sobald sie allgemein, d.h. öffentlich als ein Verweis aufweitläufigere politische Frontverläufe interpretiert wird« (ebd., 297). Eben das, so habe ich darzulegen versucht, beanspruchen auch die entziehenden, weltzuwandten Modellprojekte, indem sie ihre Praxis als Teil eines umfassenderen Kampfes erkennbar werden lassen und an diesem in spezifischer Weise mitwirken. Anders als Mouffes polemische, rhetorisch hochgerüstete Haltung suggeriert, bedeutet eine Parteinahme für Exoduspraktiken wohlgemerkt auch keineswegs eine zwingende Ablehnung anderer Strategien. Ein solcher Manichäismus mag für analytische Übersichtlichkeit sorgen, politisch aber nicht unbedingt zielfiihrend sein. Bei aller Differenz bezüglich der zu beschreitenden Wege, so eine schon beim Exodustheoretiker Landauer zu findende Einschätzung, gelte es mit der parlamentarisch agierenden Sozialdemokratie eine »innige Interessengemeinschaft« (Landauer 2010, 203) um des Wandels Willen zu bilden. Mit der Adaption von Hirschmans dichotomer Gegenüberstellung von Voice und Exit leistet freilich auch Virno solch manichäischen Denkweisen Vorschub und die stellenweise stark eskapistisch anmutende Rhetorik Hardts und Negris — etwa besagte Rede von der Evakuierung der Orte der Macht — begünstigt eine ablehnende Lesart ala Mouffe.34 Hat dies im Nachgang der ersten Intervention Mouffes (2005) zunächst zu einer Blockade in der um Synthesen bemühten Theoriebildung geführt — die von der Praxis in dieser Hinsicht häufig überholt wurde —, so zeichnen sich in dieser Hinsicht zuletzt einige Bemühungen ab, die entsprechende Vorstöße unterbreiten (z.B. Teivainen 2016; Purcell 2012; Haysom 2014, Kolioulis/Süß 2018 und zuletzt auch Hardt/Negri selbst: 2018).35 34 Fir Albert 0. Hirschman war wohlgemerkt jedoch stets gesetzt, dass auch der Variante des Exit ein Rückwirkungsanspruch innewohnt. Siehe dazu auch Kirkpatrick (2019). 35 Unter der Oberfläche lassen sich zumindest beiläufig aber aufbeiden Seiten immer schon »Zugeständnisse., an das andere Lager finden. Bei den Exodus-Proponenten Newman (z.B. 2011, 353), Arditi (2014, z.B. 41 f.) und auch Day (z.B. 2011, 113) finden sich stets mehr oder weniger nachdriicklich eingestreute Hinweise, dass Exodus-Praktiken allein nicht genügen dürften und auch Mouffe gesteht ein, dass der Stellungskrieg »auf einer Vielzahl von Ebenen. (Mouffe 2005, 36)
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In solcherart, vielleicht als querend zu bezeichnenden Strategien hätten neben institutionenorientierten, in Zusammenarbeit bzw. Auseinandersetzung mit »klassischen« politischen Akteuren erfolgenden Strategien auch Exoduspraktiken ihren Platz. Ohne sich vollends in eine äquivalenzkettenbasierte Strategie einfügen zu müssen, kann Exit dabei auch als Witt wirksam werden, können Exoduspraktiken Teil eines Stellungskrieges sein. Sofern man unbedingt an der bellizistischen Metaphorik festhalten möchte, so könnte man die Exoduspraktiken vielleicht mit den Verbriderungen feindlicher Soldaten in den Frontgräben des Ersten Weltkriegs analogisieren. Solche Akte standen quer zu den üblichen Frontverläufen, sie stellten — gewiss flüchtige — Formen anderer Subjektivierungsweisen sowie das Aufblitzen eines anderen Miteinanders dar und wurden bezeichnenderweise von den wenigen verbliebenen linken Anti -Kriegs-Medien als Zeichen der Hoffnung gefeiert.36 In derartigen Praktiken scheint der von Virno beschriebene Entzug aus einer dualistischen Konstellation auf, der die Bedingungen des Konflikts zu verändern erlauben könnte. Nicht die Einnahme einer anderen Stellung steht dabei im Vordergrund, sondern die Schaffung von Querverbindungen und neuen Allianzen, die einen neue (oder vielleicht auch: alte), womöglich bessere Konfliktkonstellation (wieder)entstehen lassen. Gegen Kaiser Wilhelm II. und seine Burgfriedenrhetorik wire damit die Grundlage einer schützengrabenübergreifenden, die Frontlinie querenden Solidarität gelegt, die zur Basis solidarischer Kämpfe gegen jene Kräfte hätte werden können, die den nationalstaatlich strukturierten Krieg aus einiger Distanz betrieben. Eine Aufnahme des Bildes der Querung von Frontverläufen kann zudem in theoretischer Hinsicht auch der Einsicht die-
und mit einer *Vielzahl an Strategien« (ebd., 62) geführt werden muss. In der jüngeren Imk tive gegenüber Exoduspraktiken verweist Mouffe beiläufig auf de ren durchaus wertzuschätzta• den Beitrag zur *Entstehung neuer Subjektivitäten« und bei der Bereitstellung eines bTerrain)) fir die Kultivierung andersartiger sozialer Beziehungen« (Mouffe 2014, 186). Beendet wird der Beitrag letztlich aber doch mit der Aufforderung, der *Strategie des Rückzugs ablzu1schwörsr« (ebd., 187). Die umfassendsten Zugeständnisse, die auch als eine Form der theoretischen Fort. entwicklungsbereitschaft zu würdigen sind, finden sich allerdings bei Hardt und Negri, die hi ihrem neuesten Buch Assembly (2018) *Exodus* neben der »Hegemoniestrategie« und dem ant. a gonist ischen Reformismus« explizit als nur eine von drei Strategien ausweisen, die es milled mit den anderen zu kombinieren gälte. Darauf werde ich weiter unten in Kap. 7 noch ems nuftthrlicher zu sprechen kommen. 36 Siehe dazu z.B. den Bericht in der Tageszeitung Bergische Arbeiterstimme vom 8. Januar 195, der unter https://archivewkl.hypotheses.org/7076 abgerufen werden kann [zuletzt besucht am 30.04.2020].
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nen, dass in der politischen Transformation nicht immer nur das Geschehen an der vordersten Verteidigungs- bzw. Angriffslinie relevant ist, sondern auch im Hinterland erfolgen und gelingen muss. Die Revolution findet nicht nur im Parlament oder auf den Barrikaden statt, sondern immer auch in den Küchen, den Kinderzimmern und den Produktionsstätten — kurzum: im Alltag, dem vermeintlich Un- oder Vorpolitischen. Präfigurative Politik im zuvor dargestellten Verständnis (vgl. Kap. 2), so dürfte im Verlauf unschwer deutlich geworden sein, kann ohne größere Umstände als eben jene Form von Exoduspraxis verstanden werden, die ich hier als weltzugewandt beschrieben habe. Wie auch far die weltzugewandte Form des Exodus kann damit einerseits als gesichert gelten, dass sich ihre politische Potenzialität keinesfalls bestreiten lässt. Da es sich aber andererseits immer auch >nun um eine Potenzialität handelt, versteht sich die je aktuale Politizität keinesfAlls von selbst und muss unter je konkreten Bedingungen ins Werk und unter Beweis gestellt, darf nicht einfach nur rigoros behauptet werden. In diesem Sinne bleibt — bei aller ihr innewohnenden Polemik — die Mouffesche Kritik der Stachel im Fleisch des Exodus.
JINN.
4. Präsentische Utopie — Eine ideengeschichtliche Spurensuche »Man würde mich sehr falsch verstehen, wenn man glaubte, ich predige Quietismus oder Resignation, Verzicht auf Aktion und auf Wirken nach außen. 0 nein! Man tue sich zusammen, man wirke fur Munizipalsozialismus, auch für Siedlungs- oder Konsum- oder Wohnungsgenossenschaften; man gründe öffentliche Gärten und Bibliotheken., Gustav Landauer (2009, 278)
Als Begriff der politischen Sprache ist Präfiguration, wie in Kapitel 2 zu sehen war, relativ jung, sein Aufkommen kann auf die späten 1960er-Jahre datiert werden.' Wenn ich im Folgenden dennoch einige ideen- und praxis geschichtliche Tiefenbohrungen vornehme, die in tieferliegende Zeitsegmente vorstoßen, so tue ich dies in der Annahme, dass es — insbesondere in Teilen der in sich vielfältigen sozialistischen Tradition — eine Praxis der Präfiguration avant la lettre gab, ebenso wie eine begleitende theoretische Reflexion auf derartige Praktiken. Es soll an dieser Stelle jedoch keine umfassende Ideengeschichte zur Darstellung gebracht werden, sondern vielmehr schlaglichtartig vor allem der anarchistische Strang dieses Diskurszusammenhangs beleuchtet werden. In diesem Rahmen gilt meine Aufmerksamkeit insbesondere Gustav Landauer, dem in meinen Augen paradigmatischen Denker (und Praktiker) einer solchen präfigurativen Politik avant la lettre .2 Eine umfassende Ideengeschichte der präfigurativen Politik hätte zumindest mit den von Marx, Engels und anderen später als »utopische Sozialisten« gebrandmarkten Personen einzusetzen, etwa bei Robert Owen, Etienne Cabet und ihren Musterkolonien New Harmony und Nau-
1 Einige wenige Passagen dieses Kapitels habe ich bereits in einem Beitrag Mr den von Irene Leser und Jessica Schwarz herausgegebenen Band utopisch dystopisch. Visionen einer >idealen, Gesellschaft verwendet. 2 Eine Art Ideengeschichte der präfigurativen Politik findet sich auch bei Raekstad/Gradin (2019), die jedoch u.a. den flit mich zentralen Landauer ebenso ausspart wie Martin Buber, über dessen Schriften ich mir eine utopietheoretische Deutung Landauers erschließe.
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voo/Ikarien, oder auch dem fourieristisch geprägten Victor Considerant,' Ich werde hier darauf verzichten bzw. ihre Überlegungen nur am Ranh streifen, was neben dent knappen Raum und ihrer besseren wissenschaftlichen Erschlossenheit (Für einen guten Überblick: Sotelo/Bambach 1986) vor allem auch dem Umstand geschuldet ist, dass in Landauers Schriften die zentralen Denkmotive und sozialtheoretischen Grundannahmen einet transformativen Präfigurationspolitik in elaborierterer und umfassenderer Form zutage treten. Dargestellt wird diese kleine Ideengeschichte der prä.figurativen Politik als ein spezifischer Strang des Diskurses der Utopie und des Utopismus. Lassen sich Sachverhalte und Phänomene stets au mehreren, vielleicht sogar unzähligen Perspektiven zur Darstellung bringen, so glaube ich in diesem besonderen Fall zum einen, dass die gewählte utopietheoretische ‚Brille< für das hier interessierende Anliegen besonders gewinnbringende Einblicke verschaffen kann, die ansonsten nicht erkennbar warden. Zum anderen erlaubt die Verwendung dieses Begriffsregisters einen Brückenschlag zu den einleitend aufgerufenen utopischen Komponenten einer kritischen Theorie der Politik (vgl. Kap. 1). Vor nun schon fast 40 Jahren diagnostizierte Jürgen Habermas eine »Erschöpfung utopischer Energien« und allem Anschein nach gilt dies auch heute noch (vgl. Habermas 1985), Die globale Hegemonie einer etwas anpräzise als Neoliberalismus zu bezeichnenden Sozialformation hat die Weltwirtschaftskrise der Jahre 2008/09 und folgende überstanden, geht vielleicht sogar noch gestärkt daraus hervor — mit all ihren verheerenden Implikationen, etwa fir die Ökologie oder auch die demokratische Vetfasstheit des Miteinanders. Trotz multipler Krise (Demirovie 2013) aber werden offenkundig keine gesamtgesellschaftlichen Entwürfe im Stile einer klassischen Sozialutopie breitenwirksam diskutiert. Mehr denn je scheint das häufig dem Kulturwissenschaftler Frederic Jameson (1998, SO) zugeschriebene Diktum zu gelten, dass es den heutigen Menschen leichter falle, sich allerhand Varianten eines apokalyptischen Weltuntergangs auszumalen, als positive Alternativen zur herrschenden Gesellschaftsordnung zu imaginieren.4 Im Folgenden soll jedoch nicht die Utopielosigkeitsdiagnose
3 Diesen »Prominenten»-Projekten wurde stets viel Aufmerksamkeit zuteil. Für zahlreiche weni-
ger beachtete utopische Kommunen in Nordamerika: Stumberger (2015). 4 Das heißt freilich nicht, dass keinerlei solche Entwarfe zu finden sind. Als Beispiele können et-
wa das Konvivialistische Manifest (Les Convivialistes 2014), verschiedene Skizzen einer postwaehs.
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thematisiert werden, die letztlich auf ein klassisch-morussches Utopieverständnis verweist, das vereinfachend gesagt als häufig literarisch gehaltene Darstellung einer anders-wo und/oder wann-anders situierten, perfekten Sozialordnung charakterisiert werden kann. Stattdessen soll ein anderer, minoritärer Strang des reichhaltigen Utopiediskurses aufgegriffen werden, dem ein anders geartetes Utopieverständnis innewohnt, das ich als präsentische Utopie bezeichnen werde. Ich möchte es als im Kern dem anarchistischen Diskurs entstammend vorstellen, wohl wissend, dass das, was ich darlege, auch in anderen politischen Zusammenhängen verhandelt wurde und wird.5 In diesem anderen Utopieverständnis, so möchte ich behaupten, ist die Vorgeschichte der präfigurativen Politiken der Gegenwart zu verorten, bzw. ist den präfigurativen Politiken der Gegenwart stets das präsentische Utopieverständnis immanent. Zuletzt manifestierte es sich wieder in Verlautbarungen und Praktiken verschiedener Protestbewegungen, wie etwa im Kontext der Occupy-Bewegung, des Movimiento 15-M, der Tahrirplatz-Besetzungsbewegung, der Black-Live-Matter-Proteste, aber auch an anderer Stelle, bei Phänomenen, die häufig unter dem Radar der weitestgehend staatsfixierten Protestforschung liegen. Nachdem einleitend eine knappe Verhältnisbestimmung von Anarchismus und Utopie vorgenommen wird (4.1), werde ich mich einer Verortung der ideengeschichtlichen Basis des Konzepts präsentischer Utopie zuwenden. Ausfiihrlich werden dazu zunächst die transformationspolitischen Überlegungen Gustav Landauers dargelegt und utopietheoretisch gedeutet (4.2.1), dann in Form eines Exkurses die Umrisse und Hintergründe der Utopiekritik von Marx und des Marxismus erläutert (Exkurs) sowie schließlich mit Antonio Gramsci die präsentisch-utopischen Überlegungen eines unorthodoxen Marxismus herausgearbeitet (4.2.2). Sehr kursorisch und nur mit knappen Verweisen auf einige zentrale Merkmale wird daran anschließend das Fortleben der Idee des präsentischen Utopismus auch in zeitgenössischen Bewegungspraktiken aufgewiesen. Gerät dabei in zeitlicher und phänome-
tumsgesellschaft (z.B. Muraca 2014; Rosa 2016), Rutger Bregmans Utopia for Realists (2018) oder Ulrike Guernts (2018) Entwurf eines republikanischen Europas genannt werden. S Es soll also nicht behauptet werden, dass es sich um ein ausschließlich anarchistisches bzw. in anarchistischen Kontexten zu findendes Phänomen handelt. (Ideengeschichtliche) Spuren sind auch in linkssozialistischen und rätekommunistischen Zusammenhängen zu verorten, die zeitgenössischen Manifestationen speisen sich mindestens ebenso sehr auch aus dem marxistisch geprägten (Post)Operaismus und dem Open Marxism. Inspiriert ist meine Begriffswahl von Isabel! Loreys Theorie präsentischer Demokratie; vgl. Lorey (2016) sowie jetzt auch Lorey (2020).
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naler Hinsicht ein Kontext in den Blick, der bereits in Kapitel 2 im Zuge der Bestandsaufnahmen zum Begriff der präfigurativen Politik analysiert wits. de, so wird der Fokus nun auf einen anderen Aspekt gerichtet, nämlich die aktivistische Selbstinterpretation und die Theoretisierung dieser Praktiken als dezidiert utopisch bzw. als utopistische Praxis (4.3). Das Kapitel beenden werde ich mit einigen Überlegungen zur Frage der politischen Bewertung prä.sentischer Utopismen und dem Versuch, abschließend doch noch einen Bogen zu Thomas Morus' Utopieverständnis zu schlagen (4.4).
4.1 Zum Verhältnis von Anarchismus und Utopie
Das Verhältnis von Anarchismus — oder besser: Anarchismen — und Utopie ist zwiespältig, die Verhältnisbestimmungen — sowohl aus der Binnenwie auch der Außenperspektive — sind ambivalent (vgl. etwa die teils konträren Beiträge in Davis/Kinna 2009; ferner Honeywell 2007; Kinna 2016; Firth 2019). Zunächst einmal gibt es die auf einem abwertenden Utopieverständnis basierende Beziehungsdiagnose: So wurde die anarchistische Vorstellung eines Zusammenlebens ohne asymmetrische Herrschaftsbeziehungen oft als ein bloßes Hirngespinst diskreditiert, als unrealistisch und somit: utopisch. Wie die Utopie per se, so werde auch der Anarchismus stets vom »clunkle(n1 Schatten [seiner] Nichtrealisierbarkeit begleitet« (Koselleck 2010,255). Diese Verbindung klingt nicht zuletzt auch in der bekannten Bestimmung Immanuel Kants (1968, 330) an, Anarchie sei »Gesetz und Freiheit ohne Gewalt« — womit sie für Kant bei aller theoretischen Sympathie als ein System firmiert, das allenfalls für ein Volk von Engeln zu realisieren sei. Im Kreis anarchistischer Autor*innen selbst hatte die Utopieterminologie auch nicht unbedingt einen guten Leumund. Einerseits war man aus politisch-strategischen Gründen, nicht zuletzt aufgrund der heftigen Kritiken Marx' und Engels', darum bemüht, die eigene Programmatik als durchaus realisierbar — und damit gerade nicht utopisch — im umkämpften Terrain der politischen Linken zu positionieren. Andererseits wurde aus politisch-konzeptionellen Gründen die Bezeichnung als Utopie aufgrund des der Begrifflichkeit angeblich inhärenten, freiheitsverneinenden Blaupausencharalcters zurückgewiesen. Beispielhaft zeigt sich diese Haltung in einer Passage aus dem Werk des deutschen Anarchisten Rudolf Rocker von 1947:
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»Der Anarchismus ist keine Patentlösung far alle menschlichen Probleme, keine Utopie einer perfekten Gesellschaftsordnung (wie er so oft bezeichnet wurde), weil er grundsätzlich alle absoluten Schemata und Konzepte verwirft. Er glaubt nicht an eine absolute Wahrheit oder an bestimmte Endziele der menschlichen Entwicklung. Vielmehr an eine unbegrenzte Vervollkomm nun gs fähi gkeit von sozialen Modellen und menschlichen Lebensbedingungen, die sich ständig um höhere Ausdrucksformen bemühen, und de nen man, aus diesem Grund, keinen bestimmten Endpunkt und kein festes Ziel zuweisen kann.« (Rocker 1947, 0.S.)6
Entgegen den abgrenzenden Stellungsnahmen gilt aber natürlich auch, dass dem anarchistischen Denken seit jeher eine utopische Dimension zu eigen war, insofern stets viel Aufhebens darum gemacht wurde, radikale Alternativen des Zusammenlebens zu entwerfen und zu thematisieren. Hierzu wire etwa auf tlis6e Reclus' Gartenstädte oder, jüngeren Datums, die Entwürfe Murray Bookchins zum Kommunalismus zu verweisen. Ferner gibt es bekanntlich auch anarchistische Utopien im engeren, d.h. dem literarischen Gattungsbegriff entsprechenden Sinne, wie etwa Ursula Le Guins Planet der Habenichtse oder bolo' bolo des schweizerischen Anarchisten Hans Widmer. Das Verhältnis von Anarchismus und Utopie betreffend sind nicht zuletzt aber auch die Studien Richard Saages (1990) erwähnenswert, in denen er einen »anarchistischen« Diskursstrang bereits in der klassischen Utopietradition freilegt.' Saage ist sich dabei im Klaren, dass der Anarchismus als politische Denkströmung und Praxisform erst mit dem beginnenden 19. Jahrhundert einsetzt (dazu Lösche 1975), weist jedoch eine weitreichende Konvergenz der Strukturmerkmale der von ihm analysierten *staatsfreien« Utopien - er hat Francois Rabelais' Abtei Thelema, Gabriel de Foignys Australien, Denis Diderots Tahiti und William Morris' Nirgendwo vor Augen - und dem, was er als anarchistisches Selbstverständnis bestimmt, auf. Bei diesen Kerncharakteristika handelt es sich in seiner Darstellung um den Vorrang individueller Freiheit, die Vision eines herrschaftsfreien Miteinanders in Gesellschaft und Ökonomie sowie die Ablehnung starrer Institutionen und Ideolo-
6 Ebenfalls von 1947 stammt Karl Poppers vielzitierte Kritik der Utopie als gewaltsam und totalitär,
die wesentlich dazu beigetragen hat, Utopien und Utopismus aus liberaler Perspektive als unbzw. antipolitisch zu brandmarken (vgl. Popper 1986). 7 Begrifflich knüpft Saage an die von Andreas Voigt (1906) vorgenommene Gegenüberstellung archistischer,d.h. beherrschungsfixierter und anarchistischer, d.h. freiheitlicher Utopien an. Ähnlich gelagerte Unterscheidungen finden sich bei Marie Berneri (1982; authoritarian vs. anti-authoritarian utopias), Tom Moylan (1986; critical utopia vs. utopia as blueprint) und Lucy Sargisson (1999; transgressive vs. blueprint utopias).
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gien. Lediglich in einem Punkt sieht er die von ihm als an-archisch bestimmten Utopien vom Selbstverständnis des Anarchismus abweichen: anders ah im Anarchismus gibe es darin keinen voluntaristischen Revolutionsbegriff keine totalrevisionistische Konzeption des Bruchs als Modell der Transformation. So seien bei Rabelais und de Foigny gar keine Verwirklichungsstra• tegien thematisiert, wohingegen bei Diderot zwar der Anspruch auf reale Gesellschaftsveränderung durchaus vorhanden sei, aber eben nicht als Totalrevision, sondern vielmehr als »schleichende Unterminierung des totalen Staates und seiner gesellschaftlichen Stützmächte« (Saage 1990, 42). Saages Deutungen dieser Utopien als an-archisch sind weitestgehend plausibel, in seiner vereinheitlichenden Bestimmung des Anarchismus und des diesem zugeschriebenen Transformationsmodells ist er aber zu undifferenziert. Insbesondere die Tatsache, dass Gustav Landauer als Gewährsmann der totalrevisionistischen Bruchkonzeption angeführt wird (vgl. ebd., 41), muss als problematisch gelten. Wenn auch zweifellos ein Voluntarist sondergleichen, so steht Landauer wie vermutlich kein Zweiter im anarchistischen Diskurs des 19. und frühen 20. Jahrhunderts far ein Transformationsmodell schleichender Unterminierung und Umwandli. Landauer wies ein verdinglichendes Staatsverständnis und damit in Verbin. dung stehende Transformationsstrategien d.h. als ereignishafte Brüche gedachte Revolutionen - stets vehement zurück und setzte ihnen das prozessuale Modell einer sukzessiven strukturellen Erneuerung entgegen. Sein Weggefdhrte Martin Buber (1950, 7) bezeichnete es als die Vorstellung einer »Erneuerung der Gesellschaft durch Erneuerung ihres Zellgewebes«. Auch dabei handelt es sich zwar um ein voluntaristisches Transformationsmodell, aber es ist gerade keine Parteinahme für eine explosionsartige, plötzliche Revolution, weshalb auch der zuvor genannte Zugang Diderots - contra Saage - nicht per se als »dem anarchistischen Transformationskonzem gänzlich entgegengesetzt« (Saage 1990, 43) verstanden werden kann. Saages Fehldeutung erweist sich aber zumindest insofern als produktiv, als sie den Brückenschlag zum prä.sentischen Utopiekonzept erlaubt, das mit diesem Trans formationsmodell eng verquickt ist.
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4.2 Präsentische Utopie — Landauer, Gramsci und die Garküchen der Zukunft Dieses Utopieverständnis unterläuft die von Reinhard Koselleck (2000; 2010) popularisierte und mittlerweile in der Utopieforschung gängige Unterscheidung von Raum- und Zeitutopien. Koselleck verwies mit dieser Differenzierung auf die ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzende *Verzeitlichung« der Utopie, d.h. auf die Situierung des idealen Gemeinwesens nicht mehr an einem anderen Ort, sondern in einer anderen Zeit, nämlich der Zukunft.8 Der nun heraus zu präparierende anarchistische Utopismus unterzieht den vorherrschenden Utopiebegriff a la Monts einer praktischen Wendung und hebt dabei auch die auf literarische Texte gemünzte Unterscheidung in Raum- und Zeitutopien in gewisser Weise auf. Von präsentischer Utopie spreche ich deshalb, weil dieses Konzept sowohl eine (erneute) »Verräumlichung« — ins Hier — als auch eine spezifische »Verzeitlichung« — eine Vergegenwärtigung ins Jetzt — beinhaltet. Es ist ein praxeologischer Utopiebegriff, mit dem ein tätig-schaffender Praxiszusammenhang beschrieben wird. Neben den eingangs bereits erwähnten »Frühsozialisten« wie Owen und Cabet, die ihrerseits bereits als Theoretiker und Praktiker präfigurativer Politik zu sehen sind, ist die Idee einer praktisch schaffenden, modellhaften Antizipation der angestrebten Gesellschaftszustände vor allem im anarchistischen Diskurs der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts präsent. So wäre etwa im Zusammenhang der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) C6sar de Paepe zu nennen, ein Delegierter der belgischen Sektion, der dem *antiautoritären« Lager um Bakunin zugerechnet und dem die Autorschaft des Papiers Les institutions actuelles del'Internationale au point de vue de aven ir (1869) zugeschrieben wird. Darin sind der Sache nach bereits zentrale Elemente des präsentisch-praktischen Utopieverständnisses enthalten, wie etwa die in der antizipatorischen Praxis angelegte Verquickung von Gegenwart und Zukunft, der Unterminierungsanspruch sowie die enge Verkopplung von Zweck und Mittel der Transformation. In Distanzierung von der Auffassung der IAA als einem bloßen Instrument zur Machtübernahme, wie sie im Marx-/Engels-Lager verbreitet war, heißt es dort: 8 Louis-Sebastien Merciers Das Jahr 2440 von 1771 wird meist als erste Zeitutopie genannt. Dem Aufkommen von in die Vergangenheit blickenden Retrutopien widmete sich unlängst Zygmunt Bauman (2017).
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»We want to show that the International already offers the model of the society to coward that its various institutions, with the required modifications, will form the future toad order. [...] The different societies gathered in the Federal Council are societies of resistance These societies also belong as much to the fisture as to the present. [...] We [..] believe chatf-lie International contains within itselfthe seeds of all the institutions of the future. Let a section of ±e International be established in each commune; the new society will be formed and dui will collapse with a sigh.. (Paepe 1869, o.S.; Hervorh.: PS)
Neben weiteren Vorstößen der belgischen Sektion in der Folgezeit, ist insbesondere der Sonvilier-Circular der Jura-Föderation von 1871 ein bedeutendes Dokument der Ideengeschichte des präsentischen Utopismus, wo inei• nes Wissens erstmals auch die Embryo-Metapher in Stellung gebracht wird, auf die ich weiter unten in Kapitel 6 nochmals zurückgreifen werde: »The society of the future should be nothing other than the universalisation of the organe• zation with which the International will have endowed itself. We must, therefore, 1e carr to ensure that this organization comes as close as possible to our ideal. How can we expect an ea. itarian and free society to emerge from an authoritarian organization? Impossible. International, as the embryo of the human society of the future, is required in the here andem to faithfully mirror our principles of freedom and federation and shun any principle leasing towards authority and dictatorship.. (Sonvilier Cirrcular 1871; Hervorh.: PS)
In ganz ähnlicher Weise wird deutlich später auch der bereits erwähnte, auf der Flucht vor der NS-Verfolgung in die USA emigrierte Anarchist Rudolf Rocker eine prä.figurativ-politische Interpretation von klassenkämpferischen Gewerkschaften und Syndikaten vorlegen, in denen er diese als »die fruchtbare[n] Keimzelle[nl der zukünftigen Gesellschaft, die elementarejn] Seimle[n] des Sozialismus« (Rocker 1947, o.S.) darstellt und neben der bildenden, vorbereitenden Funktion vor allem auch auf die mit ihnen gegebene Chance auf Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Selbstermächtigung verweist. Zweifellos aber kommt dem deutschen Anarchisten Gustav Landauer (1870-1919) eine ideengeschichtliche Schlüsselstellung in der Theorie- und Praxisgeschichte der präfigurativen Politik avant la lettre zu, insofern sich bei ihm umfassende und konsistente Überlegungen zur realutopischen Antizipation, zu präsentischen Utopien als Medien und Motor der Transfinnation, formuliert finden, die durch und durch programmatisch ausgerichtet sind und von ihm selbst in verschiedenen Zusammenhängen und an wechselnden Orten auch in die Tat umzusetzen versucht wurden.9 Bereits an dieser 9 Martin Buber zeichnet in seinem 1950 veröffentlichten Werk Pfade in Utopia eine ideengeschichdi• che »Entwicklungslinie. (Buber 1950, 33) von den Frühsozialisten Saint Simon, Fourier unci
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Stelle sei darauf hingewiesen, dass ich mich in meinen Ausführungen wohlgemerkt nicht auf das dialektische Begriffspaar von Utopie und Topie aus Die Revolution (Landauer 2003 [1907]) stütze, sondern auf Überlegungen aus Landauers im engeren Sinne praktisch-politische Schriften, mit denen er in das politische Tagesgeschehen und insbesondere auch die innerlinken Debatten seiner Zeit eingriff. Bei der in Die Revolution dargelegten, am Modell des Chiliasmus der Wiedertäufer des 16. Jahrhunderts gewonnenen Utopiebegrifflichkeit handelt es sich, im Zusammenspiel mit ihrem Gegenpart, der Topie, um ein vergleichsweise abstraktes, sozialgeschichtlich und -theoretisches Beschreibungsmuster gesellschaftlicher Dynarniken, das etwa in Karl Mannheims wissenssoziologischer Darlegung eines Wechselspiels von Ideologie und Utopie (vgl. Mannheim 1985 [19291), wie insbesondere auch in den utopietheoretischen Überlegungen Ernst Blochs Eingang und Nachhall fand (z.B. Bloch 1985 [19231)10. Die von Landauer in Die Revolution formulierten Bestimmungen lassen sich zwar in die Richtung des hier im Folgenden interessierenden Sachverhalts ausbuchstabieren, tauchen dort jedoch in abstrakterer Form als individuelle Willenstendenzen bzw. als in gesellschaftlichen Krisenmomenten verkollektivierte, rauschhafte »Mitlebensformen« auf.ii Im Vordergrund der folgenden Ausführungen werden hingegen gerade bewusst-intentionale, alltägliche Praktiken stehen, die sich jedoch mithilfe des präsentischen Utopiebegriffs als nicht minder utopisch deuten lassen können.
über Proudhon und Kropotkin zu Landauer als Kulminationspunkt dieses Strangs eines sozialistischen Transformationsdenkens. Auch im gegenwärtigen anarchistischen Diskurs wird Landauer immer wieder als Referenz geführt. Vgl. Z.B. Newman (2011), Day (2005), Gordon (2010), Firth (2019) und auch die Landauer-Sektion in Seyferth (2015). Ich werde im Folgenden wohlgemerkt nur den >Theoretiker der PraxisAktivisten( Landauer unter die Lupe nehmen, d.h., ich werde mich auf eine Rekonstruktion seiner transformationstheoretischen und -politischen Modellierungen konzentrieren. Insofern Landauers Theorie in aller Regel in P-arnphleten und Streitschriften entfaltet wurde, lässt sich beides freilich nicht immer leicht trennen. Für den aktivistischem Landauer siehe z.B. die einschlägigen Kapitel in Steininger (2020). 10 Zu beiden, Bloch und Mannheim, siehe Saage (2004), wo sie dem Register eines intentionalen Utopiebegriffs zugerechnet werden. 11 Eine bündige Formulierung aus Die Revolution lautet: »Unter Utopie verstehen wir ein Gemenge individueller Bestrebungen und Willenstendenzen, die immer heterogen und einzeln vorhanden sind, aber in einem Moment der Krise sich durch die Form des begeisterten Rausches zueiner Gesamtheit und zu einer Mitlebens form vereinigen und organisieren; zu der Tendenz nämlich, eine tadellos funktionierende Topie zu gestalten, die keinerlei Schädlichkeiten und Ungerechtigkeiten mehr in sich schließt.» (Landauer 2003, 32)
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4.2.1 Präsentischer Utopismus als >Revolution anderer Artorthodox-marxistischen< Epigonen in der deutschen Sozialdemokratie. Die »lustigen Konstruktionen des ökonomischen Materialmus« (Landauer 1895, 213), mitsamt ihres mechanistischen Entwicklungsdogmas, so Landauer, habe nicht nur in wissenschaftlicher, sondern gerade auch in politischer Hinsicht Konsequenzen und dadurch den emanzipatorischen Bestrebungen einen Bärendienst erwiesen. In einem 1895 anlässlich Engels' Todes verfassten Beitrags far die Zeitschrift Sozialist bringt Landauer dies prägnant zum Ausdruck: »Marx und Engels sind die Väter der dünkelhaften Behauptung, es gehe aus der Betrachtung der Vergangenheit und aus der Erkenntnis der ökonomischen Entwicklungsgesetze mit unbedingter Sicherheit hervor, welche Entwicklung unsere Zustände in Zukunh nehmen müßten. Der ganze sogenannte >wissenschaftliche< Sozialismus ist voll von der Anmaßung, an den spärlichen Brocken, die man von der Vergangenheit und Gegenwart weiß, die Zukunft mit mathematischer Sicherheit berechnen zu wollen. Wenn so schon auf dem Gebiete der Wissenschaft und der Betrachtung der Vergangenheit die Marx-Engelssche Lehre zum Mechanisieren und zur dogmatischen Verknöcherung geführt hat, so war das in noch viel verhängnisvollerer Weise der Fall bei den Versuchen, aus dem Dogma der Wissenschaft ein Dogma der Politik zu machen.« (ebd., 212)
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Politisch verhängnisvoll ist in Landauers Augen die passivierende Wirkung, die das Postulat einer sich naturgesetzlich vollziehenden, dem menschlichen Wollen gänzlich unverfügbaren Gesellschaftsentwicklung zeitigt und zu seiner Zeit etwa in manchen Verlautbarungen Karl Kautskys (z.B. 1894) paradigmatisch zutage tritt: »Folge dieser Lehre ist es, dass die Sozialdemokratie die geistige Propaganda und das selbstständige Eingreifen in die wirtschaftlichen Verhältnisse vernachlässigt und sich auf die automatisch funktionierende Entwicklung verläßt.« (Landauer 1895, 212) Wie Landauer in einem knapp zwanzig Jahre später verfassten Artikel schreibt, werde dieser Attentismus geradezu zwangsläufig flankiert von einer Vorstellung der Transformation als momenthaften Bruch, in dessen Folge alles radikal anders und gänzlich gut sei. Die entsprechende Passage liest sich wie eine vorwegnehmende Beschreibung der im vorherigen Kapitel (vgl. 3.2) zur Darstellung gebrachten, nur vordergründig widersprüchlichen Ausführungen Slavoj 2fieks: Sie »erwarten alles von der Plötzlichkeit, vom unbekannten Augenblick, vom Wunder. Weil sie gar nicht wahrhaft daran denken, ihre Ideen Schritt für Schritt, Stein um Stein zu verwirklichen, darum gibt es nur zweierlei für sie: das wie ein träges Rinnsal fortschleichende Einerlei ihres gegenwärtigen erbärmlichen Zustands, ihre langsame Wirklichkeit, oder den fieberhaften Traum einer Augenblicksverwandlung, wo aus Nacht Licht, aus Schlamm Gold werden soll. So ist ihr ganzer Sozialismus: Wie im Märchen kommt eins, zwei, drei, hast du nicht gesehen, der Knüppel aus dem Sack oder der große Kladderadatsch, und dann im Handumdrehn das lischlein-deck-dich und das Zauberland des Zukunftsstaates, wo sie selber die staatlich beaufsichtigten Esel sind, denen aus allen Öffnungen eitel Gold herausfällt. Nur immer rasch, nur immer plötzlich, nur immer zauberhaft, märchenhaft, wundervoll!« (Landauer 2010, 272)12 Gegen das Warten auf die Entwicklung des vermeintlich erforderlichen Stands der Produktivkräfte und die in ferner Zukunft liegende Revolution setzt Landauer einen radikalen Präsentismus, ein revolutionäres Agieren im Jetzt: 12 Die oben bei 2iiek und Marcuse hervorgehobene Vorstellung einer unvermittelten, sprunghaften Transformation kritisiert übrigens auch Buber: Nicht durch einen .dereinstigen >Sprung,. verlasse man die schlechte Gesellschaft, sondern man müsse sich »im Jetzt den im Jetzt möglichen Baum« air die gesellschaftliche Restrukturierung nehmen respektive schaffen (Buber 1950, 2.9). Eva von Redecker (2014, 97 f.) verweist darauf, dass eine analoge Kritik, ebenfalls unter Verwendung des Begriffs »Sprung*, auch bei Eduard Bernstein zu finden ist (Bernstein 1896/1897, 165). Beide, Buber wie Bernstein, erkennen darin einen »nachrevolutionär(enl« (Buber 1950, 25) Utopismus.
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»Wir warten nicht auf die Revolution, damit dann Sozialismus beginne sondern wir fangen an, den Sozialismus zur Wirklichkeit zu machen, bait dadurch der große Umschwung komme!« (ebd., 131; ähnlich auch Landauer 2009, 277) Auf Grundlage dieser Formulierungen kann nochmal Rückbezug auf Saage genommen werden: In der zweiten offenbart sich unverhohlen der Voluntarismus Landauers, in der ersten hingegen tritt mit Landauers Wendung gegen die Vorstellung eines radikalen Bruchs, den »großen deradatschkorrumpiert< sind. Auf Letzteres verweist Landauer zumindest indirekt, in folgendem, ansonsten durch und durch avantgardistisch geprägten Zitat: «Wir sind zu weit voran, als daß unsere Stimmen von den Massen noch verstanden werden könnte. L.] [W]ir dürfen nicht zu den Massen hinuntergehen, wir müssen ihnen vorangehen. [...] Schaffen wir, wir Wenigen, [...] eine kleine Gemeinschaft in Freude und Tätigkeit, schaffen wir uns um als vorbildlich lebende Menschen (...]. Fangen wir an!« (Landauer 2011,133 und 147; Hervorh.: PS)
Lässt man die etwas paternalistischen Avantgarde-Anklänge beiseite, so weist Landauer damit zumindest implizit auf die diversen Möglichkeiten einer blockierten oder verzerrten sprachlich-argumentativen Kommunikation hin, die emanzipatorischen Transformationsbestrebungen im Wege stehen könnten. Derartiges wird etwa in einigen kritischeren Varianten der deliberativen Demokratietheorie ansatzweise ja auch reflektiert. Insofern Landauer diese Gedanken mit der Frage nach anderen Formen der Welterschließung und herrschaftsfreien Vermittlung verknüpft, können seine Überlegungen zu einer präfigurativen Praxis in welterschließender Absicht einer dahingehend vertieften Forschung meines Erachtens wichtige Impulse geben und sollen im nachfolgenden Kapitel aufgegriffen werden (siehe Kap. 5). (2) Zum zweiten ist in kritischer Absicht auf einen Aspekt zu verweisen, den Landauer zwar anspricht, in seiner zumeist aber überaus optimistischen Einschätzung der unterstellten Wirkmächtigkeit von Ansteckungseffekten nicht ausreichend berücksichtigt. »Haben wir erst begonnen«, so schreibt er beispielsweise, »zeigen wir allen, die uns sehen können, was Sozialismus, was Freude, was Gemeinschaft ist« (Landauer 2010, 135; Hervorh.: PS). Wenngleich Landauer damit zumindest implizit andeutet, dass Sichtbarkeit — als zwingende Voraussetzung fiir Affizierungs- und Nachahmungseffekte — nicht zwangsläufig und unproblematisch gegeben ist, so findet eine dahingehend vertiefte Reflexion über Erfolg und Scheitern präsentisch-utopischer Transformationsansätze so gut wie nicht statt. Zwar finden sich allenthalben die im anarchistischen Diskurs nicht ungewöhn-
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lichen Appelle an ein Größer-werden in Form von Aufrufen zur Begründr; übergreifender, föderierter Republiken von Minden der Freiwilligkeit (z3, Landauer 2010, 126; siehe auch Buber 1950, 219 f.), darüber hinaus ale
erfolgt keinerlei dahingehende Reflexion. In dieser Hinsicht ist es wichtig auf eine gerade auch im inner -anarchistischen Diskurs zum Teil vehement geäußerte Kritik hinzuweisen, die in den »Raus-aufs-Land«-Parolen,wiesk von Landauer zumeist vorgetragen wurden, einen verhängnisvollen lam erkennen. Das von Landauer anvisierte einfache Leben auf dem Land - SOD dem Beobachter denn überhaupt attraktiv erscheint — hat mit dem Mankoza kämpfen, weit entfernt von den in Städten und städtischen Ballungszentre lebenden Massen zu sein und läuft damit Gefahr, bei aller Vorbildaspi ration letztlich doch unsichtbar zu bleiben. In dieser Kerbe schlug erwa der französische Anarchist Elis6e Reclus, vermutlich einer der schärfste Kritiker solch utopischer Experimente, in welchen er eine Weltflucht erkennt, die letztlich dem politischen Gegner in die Hände spiele (vgl. Reclus 19 auch ders. 1895). Für Reclus kommt der freiwillige Rückzug in die ländlich Abgeschiedenheit einer uneingestandenen Kapitulation gleich, weshalb fordert: »[Wie shall prosecute our work where our sphere of action is no extensive, in the big cities and in densely-populated rural areas.« (Reeks 1900, o.S.) Ähnlich lautet die Einschätzung Kropotkins, der sich etwa zeit• gleich wie Landauer mit kommunistischen »Versuchskolonien« und dem »Gemeindesozialismus« (Kropotkin 1913, 68) auseinandersetzt und deren transformative Potenzialität als Medium einer sukzessiven Verwirldichung des Sozialismus anerkennt, indem auch er den vorbereitenden und eia übenden Wirkeffekt hervorhebt: ofW)ir müssen alle diese Tendenzen ale Experimente betrachten gleich jenen, die Owen, Fourier und Saint-Simon in ihren Kolonien betrieben als Experimente, die den menschlichen Vet. stand daraufvorbereiten, Formen für eine Praxis zu ersinnen, in denen eine kommunistische Gesellschaft ihren Ausdruck finden könnte.« (ebd.,68)In aller Regel aber, das gilt auch für die von ihm bewunderte Pariser Commune, seien solcherartige Projekte »rein kommunalistischg (ebd., 66) verblieben, wohingegen es eines entschiedenen, tatkräftigen Willens zum Größer- und Mehr-werden bedürfe, wobei es aber auch ganz wesentlich auf gut gewählte Ausgangspunkte ankomme: »Die freien agro-industriellen Kommunen brauchen keine kleinen Phalansares oder Gemeinden von 2000 Personen zu sein. Sie müssen ausgedehnt Agglomerationen wie Paris oder, besser noch, kleine Territorien sein. Diese Kommunen würden sich föderieren, um in einigen Fallen Nationen zu konstituieren, sogar unerachtet der gegen•
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wärtigen Nationalgrenzen (wie die Cinque Ports oder die Hanse).« (ebd., 66)18 Entgegen der vornehmlich rural ausgerichteten Strategien Landauers und Bubers steht Kropotkin damit wie Reclus für den Strang eines dezidiert urban-föderativen Anarchismus, der aber — wie Kropotkins Ausführungen zeigen — keineswegs auf ein präfigurativ-politisches Vorgehen zu verzichten braucht, sondern derartige Strategien lediglich an (möglicherweise) aussichtsreichere Orte verlegt. Diesen urban-präfigurativen Strang werde ich in Kapitel 7 im Rahmen einer Diskussion neuerer munizipalistischer Bewegungen wieder aufgreifen. (E) Wenngleich also an Landauers konkreter Ausgestaltung präsentischer Utopistik aus guten Gründen Zweifel angemeldet werden können, so wird der transformationstheoretische Wert seiner präfigurativ-politischen Strategieüberlegungen damit nicht geschmälert. Mit und gegen Landauer wäre festzuhalten, dass präfigurative Praktiken durchaus einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zu Transformationsbemühungen leisten können, ja, in ihrem Prozessieren bereits Teil von (und nicht nur Vorbereitung für) gesellschaftliche Transformation sind. Diese enge Kopplung und Verquickung von aussteigend-antizipatorischen, gründenden Praktiken mit dem Transformationsgeschehen erlaubt auch eine Interpretation als durch und durch politisch. Gustav Landauer selbst operierte mit einem enorm weiten Politikbegriff, wenn er etwa gegen juridisch-etatistische Modellierungen darauf insistiert, dass Politik »keineswegs bloß Gesetzgebung« ist. »Politik ist jeglicher Kampf, der für oder gegen Wortgebäude, als wären sie Wirklichkeit, geftihrt wird.« (Landauer 2010, 181). Eingedenk der anti-essentialistischen, sozialkonstruktivistischen Grundannahmen in Landauers Sozialtheorie und der zentralen, proto-poststrukturalistischen Rolle, die der sprachlichdiskursiven Konstitution sozialer Strukturen und Institutionen von ihm zugebilligt wird, ist dies als Ausweis eines auf den Machtbegriff bezogenen Politikverständnisses zu begreifen, das Macht nicht nur »im Kopf des Königs« verortet, sondern vielmehr als in allen Kapillaren einer Gesellschaft anzutreffend, als »die Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren« (Foucault 1983, 93) auffasst. Begreift man das von Landauer propagierte Vorgehen als Aufbau von Gegenmacht in einem
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18 Der marxistische Geograph David Harvey kommt in seiner vielrezipierten Studie Rebellische Shiite zu einem ganz ähnlichen Schluss und ruft — ohne sich auf Kropotkin zu beziehen — ebenfalls die Hanse als Vorbild eines transnationalen »Band sozialistischer Städte« auf (vgl. Harvey 2014, 2634).
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komplexen Netz von Machtbeziehungen, als strategisches Verhalten, das frei nach Weber, wenn auch ohne den dort enthaltenen Staatsbezug, auf »Beeinflussung der Machtverteilung« (Weber 1993 [1919], 8) zielt, so ist es als preisentischer Utopismus politisch.
Während Landauer die Utopiebegrifflichkeit im Kontext seiner praktisch-politischen Schriften zwar in aller Regel meidet und sich nur ab und an von Blaupausen-Verständnissen von Utopie abgrenzt (z.B. Landauer 2010, 184 f.), so artikulierte er in einem Beitrag aus dem Jahre 1892 in programmatischer Hinsicht gewisse Nähen oder sogar Übereinstimmungen mit der Tradition der »utopischen Sozialisten«: »Wir suchen uns eine erwünschte Zukunft herbeizufiihren, von der noch keineswegs ohne jeden Zweifel feststeht, daß sie ohne unser Dazutun kommen muss. Was uns von den Utopisten trennt; ist nur graduell, nicht prinzipiell.« (Landauer 1892, 102) Während Landauer selbst keine näheren Bestimmungen dieser geteilten Prinzipien< vornimmt, so findet sich eine bündige utopietheoretische Einordnung des hier umrissenen Verständnisses preisentischer Utopien bei Buber. In seinem Buch Pfade in Utopia, mit dem er die Tradition des als utopisch gebrandmarkten Sozialismus zu rehabilitieren trachtete und Landauer als deren elaboriertesten Vertreter identifizierte, formuliert er: »Der 'utopische< Sozialismus kann in einem besonderen Sinn als der topische bezeichnet werden: er ist nicht »ortlos,, sondern will sich jeweils am gegebenen Orr und unter den gegebenen Bedingungen, also gerade >hier und jetzt< in dem hier und jetzt möglichen Maße verwirklichen« (Buber 1950, 139). Nicht durch einen »dereinstigen »Sprunglianden, anwendet; daß, uni Früchte zu tragen, die Mittel der Arbeit nicht monopolisiert zu werden brauchen als Mittel der Herrschaft über und Mittel der Ausbeutung gegen den Arbeiter selbst, und daß wie Sklavenarbeit, wie Leibeigenenarbeit so Lohnarbeit nur eine vorübergehende und untergeordnete gesellschaftliche Form ist, bestimmt zu verschwinden vor der assoziierten die ihr Werk mit williger Hand, rüstigem Geist und fröhlichen Herzens verrichtet. In England wurde der Samen des Kooperativsystems von Robert Owen ausgestreut; die auf dem Kontinent versuchten Arbeiterexperimente waren in der Tat der nächste praktische Ausgang der Theorien, die 1848 nicht erfunden, wohl aber laut proklamiert wurden it (ebd., S. 11 f.)
Marx schwächt dieses Lob sodann zwar gleich wieder ab, verwirft aber das praktisch-antizipierende Handeln keineswegs rundum, sondern verweist vielmehr auf Fallstricke, die sich aus einer isolationistischen Form solch einer Praxis ergeben, die sich nicht in umfassendere, vor allem auch parteiförmig geführte politische Kämpfe einzuschreiben bereit sind: »Zur selben Zeit bewies die Erfahrung, daß, wie ausgezeichnet im Prinzip und wie nützlich in der Praxis, kooperative Arbeit, wenn beschränkt auf den engen Kreis gelegentlicher Versuche vereinzelter Arbeiter, unfähig ist, das Wachstum des Monopols in geometrischer Progression aufzuhalten, die Massen zu befreien, ja die Wucht ihres Elends auch nur merklich zu erleichtern. [...1 Um die arbeitenden Massen zu befreien, bedarf das Kooperativsystem der Entwicklung auf nationaler Stufenleiter und der Förderung durch nationale Mittel. [...] Politische Macht zu erobern ist daher jetzt die große Pflicht der Arbeiterklassen. Sie scheinen dies begriffen zu haben, denn in England, Frankreich, Deutschland und Italien zeigt sich ein gleichzeitiges Wiederaufleben und finden gleichzeitige Versuche zur Reorganisation der Arbeiterpartei statt.« (ebd., 12)
Wenngleich sich hierin durchaus eine gewisse Offenheit für eine verbindende politische Strategie abzeichnet, so dominiert — auch in der Rezeption — letztlich die Aburteilung praktischer Bemühungen einer antizipatorischtransformativen Strategie. Im Manifest bereits wird den »utopischen So-
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zialisten«, auf Grundlage eines extrem verengten Politikbegriffs und im Grunde in der selben Weise wie Mouffe es etwa 160 Jahre später mit den Exoduspolitiken macht, rundheraus die Politizität abgesprochen: »Sie verwerfen daher alle politische, namentlich alle revolutionäre Aktion, sie wollen ihr Ziel auf friedlichem Wege erreichen und versuchen, durch kleine, natürlich fehlschlagende Experimente, durch die Macht des Beispiels dem neuen gesellschaftlichen Evangelium Bahn zu brechen.« (Marx/Engels 1847/1848, 490) Der Vorwurf der Apolitizität ist an dieser Stelle durchaus pikant, insofern Marx und Engels im Manifest ja besonders prominent ihr geschichtsphilosophisches, produktivkraftbasiertes Modell gesellschaftlicher Entwicklung positionieren, das Landauer — wie auch andere — später nicht ganz zu Unrecht als »mechanisches Entwicklungsdogma« (Landauer 1895, 214) bezeichnen wird, das depolitisierende Konsequenzen zeitige: *Folge dieser Lehre ist es, dass die Sozialdemokratie die geistige Propaganda und das selbstständige Eingreifen in die wirtschaftlichen Verhältnisse vernachlässigt und sich auf die automatisch funktionierende Entwicklung verläßt« (ebd., 212). Die Fortschrittsteleologie bildet insgesamt auch die theoretische Grundlage für die Aburteilung der »utopisch-sozialistischen« Aspirationen durch Marx und Engels, die vereinfachend ausgedrückt darin besteht, zu konstatieren, dass Saint-Simon, Fourier, Owen und ihre Anhänger*innen die tiefliegenden menschheitsgeschichtlichen Entwicklungsgesetze verkannt haben bzw. diese zeitbedingt notwendigerweise verkennen mussten. Zeitbedingt notwendigerweise verkannt insofern, als die »Stifter des Sozialismus« (Engels 1880, 193) — damit sind Owen, Fourier und Saint Simon gemeint — aufgrund des »unreifen Stand[s] der kapitalistischen Produktion, der unreifen Klassenlage« keine fundierten Einsichten in die geschichtlichmaterialistischen Gesetzmäßigkeiten gewinnen hätten können, so Engels im Anti-Diihring, und infolgedessen auch »unreife Theorien« zu produzieren gezwungen waren (vgl. Engels 1878, 241; wortgleich auch in Engels 1880, 193 f.). »Die ersten Sozialisten (Fourier, Owen, Saint-Simon etc.)«, so auch Marx, *mussten sich — da die sozialen Verhältnisse noch nicht genug entwickelt waren, um der Arbeiterklasse die Konstituierung als politische Partei zu ermöglichen — auf Träume von der Mustergesellschaft der Zukunft beschränken« (Marx 1873b, 301).19 Die solchermaßen falsche bzw. unreife 19 Dieser Umstand erklärt auch, wie David Leopold (2005) hervorragend herausgearbeitet hat, warOn Marx und Engels mit den nachfolgenden Generationen .utopischer Sozialisten. weit flirter
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Theorie, die einzig »einen rein utopischen Sinn« (Marx/Engles 184711848, 491) besitze, lege sodann auch falsche praktische Schlüsse nahe, sowohl das Subjekt wie auch die Maßnahmen der Transformation betreffend, weshal die »utopischen Sozialisten« mit ihren gewiss wohlgemeinten Ambitionen aus marx-engelscher Perspektive »dem geschichtlich sich verschärfenden Klassengegensatz in die Speichen greifen« (Redecker 2014, 97). Ihre prifigurative Politik ist damit bestenfalls überflüssig, im schlechtesten gar konterrevolutionär. Diese fortschrittstheoretische Perspektive zeugt aber eben nichtnur,wie David Leopold zu Recht hervorhebt, von einem gehörigen Optimismus, sondem redet zugleich einem bemerkenswerten A- bzw. Antipolitizismus das Wort, insofern dem politischen Handeln allenfalls eine peripher-befördernde Rolle zugesprochen wird, die in den Worten Landauers im Warten aufden Tag der eruptiven, sich aus dem Nichts ereignenden Revolution besteht. »When it comes to issues of socialist design, they [Marx und Engels; PS] do not primarily criticize the Utopian socialists for the inadequacy and implausibility of their blueprints, they criticize them for supposing that we need blueprints at all. 1...) Mhe tasks ofsocialists, on this account, is not to design solutions to social problems but rather to facilitate the delivery of the optimal solution which is already being produced by historical development. Marx and Engels maintain that blueprints are redundant because the optimal solution to the social and political problems of humankind is immanent in the historical process.. (Leopold 2005, 464 und 462).
Genau damit aber manövriert der Marxismus sich nicht nur in die Position eines apolitischen Verharrens, des Warten auf das naturwüchsige, emergente oder eruptive »Eintreten« der befreiten sozialistischen Gesellschaft, sondern auch in das zuvor aufgegriffene Dilemma einer umfassenden transformatorischen Orientierungslosigkeit. Denn in transformationspolitischer Hinsicht, so schreibt Bini Adamczak in ihrer großen Studie zu den Revolutionen von 1917 und 1968, ist es »nicht zielführend, die Offenheit des ins Gericht gehen als mit den .Gründervätern., denen sie durchaus einiges abgewinnen können, insbesondere natürlich deren kritisch-negativistische, aufklärerische Auseinandersetzung mit den Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft (vgl. z.B. Marx/Engels 1847/1848,490). Deren Adepten und Nacheiferer jedoch seien - in Zeitgenossenschaft zu Marx und Engels - durchaus in der Lage, auf Grundlage der neuestens wissenschaftlichen Erkenntnisse die richtigen, sprich marxschen Schlüsse zuziehen. Wo sie es nicht tun und .noch immer die versuchsweise Verwirklichung ihrer gesellschaftlichen Utopien, Stiftung einzelner Phalanstere, Gründung von HomeKolonien, Errichtung eines kleinen Ikariens. (ebd., 491) träumen, sei infolgedessen durchaus von konterrevolutionären Bestrebungen zusprechen.
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Kampfes zu hypostasieren und jede Diskussion über dessen erwünschten Ausgang zu tabuisieren« (Adamczak 2017, 265). Die Verweigerung schon jeglichen Vordenkens über die Umrisse der postrevolutionären Gesellschaft unter institutionellen und subjektiven Gesichtspunkten — von einer präfigurativen Praxis ganz zu schweigen — läuft Gefahr, dem transformatorischen Bestrebungen letztlich zu schaden, träfe doch ein revolutionärer Umbruch die Akteure selbsterklärtermaßen in jeglicher Hinsicht unvorbereitet. An eben diesem Punkt haken wie gezeigt einige Stimmen des anarchistischen Diskurses mit Verweis auf die Gefahren eines radikalen Verzichts auf jegliches »Auspinseln der Utopie« (Adorno) ein. Deren Intuition kann mit den Worten Gerald Cohens in folgender programmatischer, das marxsche Diktum aufgreifenden Sentenz gefasst werden: »Unless we write recipes for future kitchens, there's no reason to think we'll get food we like.« (Cohen 2000, 77)
4.2.2 Kooperativen und unsichtbare Heere: Antonio Gramsci Gleichwohl lässt sich aber auch im marxistischen Diskursstrang eine Art Unterströmung identifizieren, die zwar zu keinem Zeitpunkt hegemonial, wohl aber beständig präsent ist und die rigorose Utopiekritik infrage stellt. Neben Autorenwie Eduard Bernstein, Karl Korsch, Ernst Bloch und — wie im einleitenden Kapitel thematisiert — zu einem späteren Zeitpunkt seines Schaffens Theodor Adorno, kann hierzu auch Antonio Gramsci gerechnet werden, dem für das hier interessierende Anliegen eine besondere Bedeutung zukommt, nicht zuletzt, weil sowohl Carl Boggs seine Modellierung präfigurativer Politik explizit unter Rückgriff auf ihn entwickelte (vgl. Kap. 2), sondern er auch von Chantal mouffe, als einer der vehementesten Wortfilhreringegen präfigurative Exoduspolitiken, als zentrale theoretische Referenz positioniert wird (vgl. Kap. 3). Während Mouffe sich freilich auf den Gramsci der Gefiingnishefte bezieht, rückt bei Boggs vielmehr der junge Gramsci in den Blick, der in der Phase vor seiner immer stärker leninistisch geprägten Ausrichtung und unter dem Eindruck der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Fabrikkämpfe im Italien der Zeit nach dem I. Weltkrieg Vorstöße zu einer präfigurativ- und parteipolitische Zugänge verbindenden Strategie machte. Der stark ins politische Geschehen involvierte Gramsci der Zeit des Biennio Rosso (1919/1920), in der es von Turin ausgehend zu massiven proletarischen Aktionen auf den Straßen und in den Fabriken Norditaliens kam, entwickelte seine Überlegungen dabei gerade auch im Austausch mit den
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damals in der Arbeiterbewegung durchaus bedeutsamen anarchistischen und anarchosyndikalistischen Kräften. Wie vereinzelt herausgearbeitet wurde, allen voran von Carl Levy (vgl. Levy 1999; 2012), manifestieren sich in Gramscis im Kontext der Turiner Fabrikrätebewegung entstandenen Schriften gewisse Affinitäten seines unorthodoxen Marxismus zu liberrar ' sozialistischen Ansätzen des Anarchismus und Synclikalismus, die, wie auch Jens Kastner (2011) vermerkt, ihm zu dieser Zeit häufig als Hintergrundfolie bei der Entwicklung seiner eigenen Überlegungen dienen.2° Kasmer wie Levy gehen freilich nicht so weit, zu behaupten, dass es sich beim jungen Gramsci »um einen libertären Denker im anarchistischen Sinne gehandelte (ebd., 87) habe, wohl aber, dass einige sozialanarchistische Denkfiguren und Praxisformen großen Einfluss auf ihn ausübten und sich so - mit gewissen autoritären Elementen amalgamiert - Motive herausbildeten, die zentrale Gedanken des späteren, leninistisch(er) geprägten Gramsci vorwegnahmen.21 Die zentrale Voraussetzung für Gramscis sogleich zu zeigende Offenheit und Wertschätzung präfigurativer Praktiken zur experimentellen Erprobung sozialistischer Formen des Miteinanders als Teil einer umfassenderen Transformationsstrategie, dürfte in seiner Zurückweisung eines geschichtsteleologischen Entwicklungsmodells begründet liegen, welches - wie soeben mit Verweis auf die Studien Leopolds herausgearbeitet ganz wesentlich die reservierte Haltung Marx' und Engels' gegenüber den utopisch-sozialistischen Antizipationsbestrebungen bedingte. In einem 20 Gramscis Offenheit gegenüber anarchistischen Gruppierungen und ihrem Denken dürfte zuvorderst aus realpolitischen Abwägungen resultiert haben, vor allem angesichts seiner zunehmenden Abgrenzung gegenüber der Sozialistischen Partei und deren reformistischen Kurs mit Blick auf die Fabrikritebewegtuig. Die Kommunistische Partei Italiens wird ihrerseits erst 1921 gegründet. 21 Carl Levy vertritt in einem hervorragenden Aufsatz die These, dass Gramsci gerade auch über die Auseinandersetzung mit anarchistischen Stimmen zu einem Vorläuferkonzept der Hegemonietheorie der Gefiingnishefte gelangte. Neben dem Topos der Hegemonie identifiziert Levy zwei weitere zentrale Pfeiler seines Denkens, die sich beide in großen Teilen aus anarchistischen Überlegungen speisten: den Voluntarismus seines antiteleologischen Geschichts- und Revolutionsma dells sowie die Praxis der Prifiguration (vgl. Levy 2012). Für den Topos der Präfiguration verweist Levy dabei auch auf die Studien von Boggs (1976). Levys Aufsatz liegt auch in deutscher Sprache vor (vgl. Levy 2016), allerdings kehrt dabei das oben erwähnte Übersetzungsproblem wieder. »Prefiguration.i wird hier als Vorwegnahme bzw. Antizipation übersetzt und kurioserweise in Klammern ohne weitere Kenntlichmachung auf diese Intervention des Obersetzers auf das italienische Wort *prefi gurazione. verwiesen — ein Verweis, der sich bei Levy selbst nicht findet und auch Gramsci selbst hat das Wort meines Wissens nie verwendet.
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1918 für die Zeitschrift Avanti verfassten Beitrag mit dem Titel Utopie weist Gramsci nicht nur ein starres, einseitiges und simplifizierendes Beeinflussungsverhältnis von Basis und Überbau zurück, sondern pocht zudem auf die Berücksichtigung der »unbekannte[n] Größe 'Menschheitnormative Diskreditierung,, so soll herausgearbeitet werden, können insbesondere auch präfigurative Praktiken nicht als Formen (legitimen) politischen Handelns in den Blick geraten. Solch welterschließende Praktiken normativ und praktisch marginalisierend, laufen deliberativ-demokratische Ansätze ihrerseits Gefahr, Herrschaftspraktiken zu verschleiern und zu zementieren (Kap. 5). Wurden zuvor im Kontext der Auseinandersetzung mit präfigurativen Praktiken verschiedentlich schon sogenannte Protestcamps als exemplarische Manifestationsformen aufgerufen, so gilt ihnen im zweiten Kapitel dieses Teils das Hauptaugenmerk als Objekt eines vor allem auch gerichtlich geführten Deutungskampfes. Am Beispiel der Auseinandersetzungen um ein geplantes Protestcamp im Umfeld des 2017 veranstalteten G20-Gipfels in Hamburg soll aufgewiesen werden, inwiefern eine in die Rechtsprechungspraxis eingelagerte spezifische Begrifflichkeit des Politischen in ihrer Partikularität entpolitisierende Effekte zeitigt und das Feld politischen Handelns normiert. In diesem Fall wire von einer juristischen Apolitizitätserklärung zu sprechen (Kap. 6). In beiden Konstellationen, dem demokratietheoretischen wie dem gerichtlichen Diskursraum, so wird sich zeigen, dominiert eine Wahrnehmung politischer Vermittlung als sprachlich-argumentativen Vorgang in einem engen Sinn, dem bereits Gustav Landauer ein anderes, bildhaft-welterschließendes Modell der Vermittlung an die Seite stellte.
1 Beide Instanzen werden in Kap. 6 eine Rolle spielen, erstere freilich in weit größerem Maße als zweitere.
5. Privileging Argument — Eine demokratietheoretische Apolitizitätserklärung und ihre praktischen Implikationen
In den vergangenen Jahrzehnten ist die Idee deliberativer Demokratie zu einem das Feld der politischen und Demokratietheorie derart weitgreifend bestellenden Konzept geworden, dass der publizistische Ertrag in seiner schieren Quantität kaum mehr umfassend zu bestimmen sein dürfte.' Prominente Protagoniseinnen des Diskurses der deliberativen Demokratie, alien voran Jürgen Habermas und John Rawls, sind aus demokratietheoretischen Einfahrungswerken nicht mehr wegzudenken, die Selbstkanonisierung und Traditionsstiftung schreitet ebenso voran wie die interne Ausdifferenzierung und zunehmende Verästelung dieser Theoriefamilie (dazu z.B. Bächtiger u.a. 2018). Der oft und selbstbewusst vorgetragene Anspruch, eine besonders inklusive und emanzipatorische Modellierung von Demokratie zu offerieren, war freilich nie unumstritten. Ganz in Gegenteil begleitet die deliberative Demokratietheorie im Grunde seit ihrem Entstehen ein wirkmächtiger, in sich seinerseits sehr heterogener Strang der Kritik, der das von den Deliberations-Verfechter*innen beanspruchte emanzipatorische Potenzial infrage stellt und auf konservative oder gar
1 air hilfreiche Anmerkungen im Entstehungszusammenhang dieses Kapitels danke ich Regina Kreide und den Teilnehmer`innen des von ihr organisierten Symposiums Democracy without shortcuts im Juni 2019 in Gießen. Frauke Höntzsch, Max Klein und Adrian Paukstat haben den Text im Augsburger Kolloquium zur Politischen Theorie im Sommersemester 2020 gelesen und kommentiert sowie mich zu wichtigen Präzisierungen genötigt. Bill Scheuerman verdanke ich einen interessanten Hinweis bzgl. der Political Question Doctrine im Zusammenhang der Rechtsprechung des US Supreme Courts. Einige der im Folgenden entwickelten Überlegungen finden sich auch in einem in der Zeitschrift Philosophy & Social Criticism veröffentlichten kurzen Beitrag, auf den Cristina Lafont an selbiger Stelle antwortet.
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anti-demokratische Züge der deliberativen Demokratiemodelle verweist? Diese Kritiken speisten sich von Anfang an aus unterschiedlichen theoretischen Lagern und richteten sich neben den starken und unitarischen Vernunftpostulaten (z.B. bei Habermas 1992) und der »institutionellen Schlagseite« (Nonhoff 2019, 301; z.B. bei Habermas 2001) vor allem auch gegen die trotz aller propagierten Inklusionsambitionen unabweisbaren Exklusionseffekte, die sich aus den anspruchsvollen Modellierungen hyperrationalistischer Deliberationsordnungen ergeben. Die diskursprägende, explizite Verpflichtung auf eine sprachvermittelte, spezifisch rationale Teilhabe führe zumindest implizit zum Ausschluss bestimmter Akteure, so die nicht unplausible Annahme, weshalb etwa Sue Donaldson und Will Kymlicka von einer »linguistic agency« als der absolut unentbehrlichen »threshold capacity« sprechen, die als Eintrittsbillett zum Deliberationsgeschehen erforderlich sei und zwangläufig odcludierende bzw. paternalistisch entmündigende Konsequenzen zeitige: »Those seen as lacking this capacity have been relegated to the margins of political community, situated as passive wards to whom society owes duties of care rather than as co-citizens with equal rights.« (Donaldson/Kymlicka 2016,169) Befassen sich Donaldson und Kymlicka vor diesem Hintergrund mit dem Ausschluss von geistig Behinderten, Kindern und Tieren, so sind zuletzt mit ähnlicher Stoßrichtung auch immer mehr Studien entstanden, die sich zum Beispiel mit dem Status stummer Menschen befassen oder solcher, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht deliberieren wollen (z.B. Afsahi 2020; Rollo 2017).° Bei der Frage nach der linguistic capacity geht es im Kontext der deliberativen Demokratietheorien freilich, das zeigen bereits die Referenzgruppen von Donaldson und Kyrnlicka, nicht nur um die rein klanglich-akustische Sprachbegabung, sondern immer auch um die in spezifischer Hinsicht als rational qualifizierte Rede. Die Modellierungen deliberativer Demokratie, so hat es auch die US-amerikanische politische Theoretikerin Iris Marion Young in ihrem demokratietheoretischen Hauptwerk Inclusion and Democracy ausgedrückt, basieren auf der unhinterfragten, exklusiven Identifikation der vernünftigen öffentlichen Debatte mit »polite, orderly, dispassionate, gentlemanly
2 Eine hervorragende Darstellung der Debattenlandschaft und eine differenzierte Beurteilang lieferten unlängst Andreas Schafer und Wolfgang Merkel (2020) unter dem Titel Emanzipation oiler Reaktion: Wie konservativ ist die deliberative Demokratie?.
3 Siehe jedoch auch Hatzisavvidou (2015) ftir einen interessanten Beitrag zum Schweigen als politischer Handlungsform.
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argument« (Young 2000, 49). Diese ausschließliche Gleichsetzung gerinnt zum normativen Ideal — das unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten wohlgemerkt bereits als normatives Ideal problematisch ist und impliziert zugleich eine implizite wie explizite Normierung des politischen Geschehens. Mit dem beständigen Insistieren auf rationalen Diskursen zur rationalen Willensbildung (statt vieler: Habermas 1994,138), so die Kritiker*innen, warden auch dem zugrundeliegenden Rationalitätsverständnis korrespondierende »Charaktereigenschaften« propagiert und zum Kriterium fir die Zulassung zum Diskurs gemacht. In aktorialer Hinsicht bedeutet das, dass es, um im Diskurs zu bestehen oder zu diesem überhaupt erst als vollwertige*r Teilhaber*in zugelassen zu werden, gilt, sich als emotionsloser, klar und widerspruchsfrei argumentierender Redner zu präsentieren und zu profilieren. Demzufolge »irrationale«, »unvernünftige« Personen, die diese Kriterien nicht (z.B. stumme oder geistig behinderte Menschen) oder erklärtermaßen nicht (»die Frau« als »emotionale« Ausprägung der Gattung Mensch) erfüllen können oder wollen, weil sie andere Arten der Kommunikation, wie etwa das von Iris Young aufgerufene Storytelling, vorziehen (vgl. Young 2000, 70-77; dazu auch Conradi 2013), fallen damit zwangsläufig durch das Raster bzw. werden mehr oder minder gewaltsam durchs Raster gepresst. Letzteres verweist bereits darauf, dass die Normierungseffekte auch auf das Spektrum (legitimer) politischer Handlungspraktiken einwirken, insofern ein enges Korsett nix Handlungen geschnürt wird, die den deliberativ-demokratischen Gütekriterien genügen und deshalb als politische Handlungen überhaupt erst anerkannt werden (können). Darauf werde ich im weiteren Verlauf des Kapitels noch ausführlicher zu sprechen kommen. Zugegebenermaßen wurden im Zuge des sogenannten Systemtic turn der deliberativen Demokratietheorien in den letzten Jahren (dazu Parkinson/Mansbridge 2012, darin insb. Mansbridge u.a. 2012) zwar zunehmend nicht nur andere Orte der deliberativen Demokratie zu Kenntnis genommen, jenseits der ansonsten dominierenden, klassisch-institutionellen Bühnen der bürgerlichen Demokratie, sondern auch die (analytische) Wahrnehmung anderer Handlungsformen geschärft, die nicht den hohen Gütestandards aufgeklärt-deliberativen Agierens entsprechen. Mitunter wird etwa besagtes Storytelling als dezidiert nicht rational-argumentative Kommunikationsform von Iheoretiker*innen der deliberativen Demokratie durchaus als legitimer Bestandteil eines umfassender verstandenen Deliberationsgeschehens begriffen (siehe Bächtiger u.a. 2010). Wie jedoch Polletta und Lee schon 2006 in einer gemeinsamen Studie hervorgehoben haben,
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sind derartigen Praktiken in einer spezifisch rationalistisch strukturierten Gesellschaft enge Wirksamkeitsgrenzen gesetzt, deren demokratietheoretischen Ausblendung letztlich doch eine — wenn auch unbewusste Privilegierung rationalen Argumentierens befördert, andere Handlungspraktiken und die diese praktizierenden Akteure hingegen marginalisiert und aus dem Aufmerksamkeitsbereich verdrängt. Nicht zuletzt aufgrund der damit umrissenen und bei aller Öffnung gegenüber nicht-deliberativen Handlungsformen und -orten fortbestehenden, zumindest latent in den normativen Prämissen angelegten Dddusionseffekten kommt die Kritik an deliberativ-demokratischen Ansätzen nicht zum Verstummen. Das vorliegende Kapitel schreibt sich in diesen Strang der Kritik ein. Aus den eingangs erwähnten Gründen der ausufernden Literatur und eingedenk all der damit gewiss einhergehenden Vergröberungen dient mir dabei nach dem Prinzip des pars pro toto einer der jüngsten und versiertesten Beiträge zur deliberativen Demokratietheorie als Ansatzpunkt meiner kritischen Auseinandersetzung. Mit ihrem Werk Democracy without shortcuts hat Cristina Lafont (2019)4 ein Buch vorgelegt, das in interessanter Weise eine Art Vermittlerrolle einnimmt, zwischen den vornehmlich liberal-konstitutionalistischen Ansätzen der deliberativen Demokratietheorie einerseits, wie sie vor allem im US-amerikanischen Kontext verbreitet sind, und den starker von Habermas beeinflussten, partizipatorisch-kritischen Modellierungen andererseits (dazu Dryzek 2002, Kap. 1). Nicht zuletzt aufgrund ihrer erklärtermaßen partizipatorischen Stoßrichtung stellt Lafonts Studie ein zu begrüßendes Gegengewicht zu dem im Feld deliberafiver Demokratietheorien zuletzt äußerst wirkmächtigen Lager elitistischexpertokratischer Interpretationen von Deliberation dar, ohne dabei repräsentativ-demokratische oder konstitutionelle Institutionen rundheraus zurückzuweisen. Den Blick auf ein umfassendes (staatliches) politisches System richtend, adressiert Lafont Fragestellungen und Zusammenhänge, die im Klein-Klein der zuletzt verbreiteten, empirisch gewendeten Deliberationsforschung mitunter verloren gegangen sind und stellt mit einer eigenwilligen Betonung von Öffentlichkeit und Partizipation sowohl eine Intervention ins Feld der deliberativen wie auch der pluralistischen Demokratietheorien dar. In meiner Auseinandersetzung möchte ich einige der bereits aufgerufenen Aspekte am konkreten Beispiel vertiefen und 4 Im Weiteren beziehen sich in diesem Kapitel alle Seitenangaben ohne weitere Informationen auf
Lafont (2019),
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neben demokratietheoretisch bedenklichen, weil herrschaftsverschleiernden Aspekten, auch die für die vorliegende Studie insgesamt bedeutsame Herrschafteirmigkeit politischer Theorien aufweisen, insofern gezeigt wird, wie und welche Handlungsformen infolge der deliberativ-demokratischen Modellierungen aus der Sphäre der Politik ausgegrenzt und marginalisiert werden. Beide Gesichtspunkte, so wird sich im Verlauf der Argumentation zeigen, hängen eng miteinander zusammen. Den Entstehungshintergrund von Lafonts Studie bilden die zahlreichen Krisendiagnosen und Verfallserscheinungen liberaler Demokratien in den vergangenen Jahren, die sich nicht zuletzt auch in Ohnmachtserfahrungen der Bürger*innen und deren Abwendung vom politischen System manifestierten. Um politischer Entfremdung und Unzufriedenheit entgegenzuwirken, plädiert Lafont für eine Steigerung des bargerschaftlichen Vermögens »to participate in forms of decision-making that can effectively influence the political process such that it once again becomes responsive to their interests, opinions and policy objectives« (2). Lafont diskutiert zahlreiche institutionelle Reformvorschläge für die demokratischen Gegenwartsgesellschaften seitens der politischen Theorie, attestiert diesen aber allesamt, sich im Bemühen um rasche Lösungen auf den Holzweg begeben zu haben und den Verlockungen vermeintlicher Abkürzungen erlegen zu sein. Die bestehenden Krisen und Defizite der demokratischen Verfasstheit drohten dadurch ungewollt gar noch intensiviert zu werden. Lafont belässt es wohlgemerkt nicht bei der Kritik, sondern unterbreitet ihrerseits institutionelle Vorschläge für eine Modellierung einer wahrhaft partizipatorischen deliberativen Demokratie, die die zuvor von ihr identifizierten Unwägbarkeiten, Irrwege und Abgründe zu umgehen erlaube. Dabei spielt die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit (judicial review) und die Normenkontrolle eine zentrale Rolle, deren Rechtfertigung als einegenuin demokratische Institution als Kernelement ihres Buches gewertet werden kann. Wenngleich Lafonts Interpretation der demokratischen Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit durchaus attraktiv und weitestgehend nachvollziehbar ist, besteht meinerseits ein gewisses Unbehagen, das zuvorderst darin grander, dass das damit transportierte große Vertrauen in die Verfassungsgerichtsbarkeit dazu verleiten könnte, gewisse Formen von Macht, Ungerechtigkeit und Beherrschung aus dem Auge zu verlieren. Das ist, so meine These, weniger der Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit an sich anzulasten, sondern der Ausblendung von Ideologie und (ideologischen) Machtverhältnissen geschuldet,
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die Lafonts idealtheoretischer Ansatz (vgl. 240 f.) mit sich bringt und der die rationale Argumentation als politische Handlungsform absolut »privilegiert« sowie deren machtfreie Realisation als weitestgehend unproblematisch unterstellt. Insofern Lafonts Demokratietheorie in dieser Weise verfährt, ist sie ausschließlich auf Legitimation ausgerichtet, wo Delegitimation (oder zumindest kritische Analyse) unter Umständen auch angebracht wäre. Zwar delegitimiert sie diverse demokratietheoretische Modellierungen, wendet aber die hier in Kapitel 1 erläuterte befragende Komponente nicht auf ihre eigenen an. Im ersten Teil des Kapitels werde ich dieses »Ideologie-Problern, genauer unter die Lupe nehmen und mit Blick auf die von Lafont mit hohen demokratischen Erwartungen versehene Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit diskutieren (5.1). Im zweiten Teil werde ich sodann den Konsequenzen eines solchermaßen ideologie-vernachlässigenden Ansatzes hinsichtlich der Frage nachgehen, was damit als (legitime, demokratische) politische Handlung wahrgenommen werden kann und aufzuweisen versuchen, welche Probleme sich daraus in herrschaftskritischer Perspektive ergeben. Ich gehe dabei davon aus, dass eine jede normative Theorie demokratischer Legitimität auch dahingehend Vorstellungen beinhaltet, auf welche Art sich Bürger*innen politisch betätigen sollten, oder — in anderen Worten — was eine gute Bürgerin als politisches Subjekt ausmacht (vgl. Young 2001, 672). Die Ausblendung der Ideologiethematik, so meine in diesem Zuge zu explizierende These, hat in herrschaftskritischer Hinsicht problematische Implikationen fur die Frage, was als legitimes politisches Handeln gilt (5.2). Zu diesem Zwecke werde ich Aspekte des 2001 veröffentlichten Aufsatzes Activist Challenges to Deliberative Democracy von Iris Marion Young aufgreifen, deren Werk im deutschsprachigen Raum nach wie vor leider kaum Aufmerksamkeit zuteil wird,5 aber gerade auch deshalb interessante Zugänge eröffnet, als sie aus einer der deliberativen Demokratietheorie durchaus wohlwollend verbundenen Position argumentiert. Ihre zum damaligen Zeitpunkt an den vorherrschenden Ansätzen im Feld der Demokratietheorie formulierte Kritik galt der in ihnen manifesten Vernachlässigung außerinstitutioneller und konfrontativer politischer Handlungsformen, die meines Erachtens gerade mit Blick auf deliberativdemokratische Modellierungen immer noch Gültigkeit beanspruchen kann und wunde Punkte auch in Lafonts Ansatz 5 Eine Ausnahme ist der von Peter Niesen (2013) editierte Sammelband Zwischen Demokratie end Abater Verantwortung; siehe far einen Überblick jetzt auch Kerner (2019).
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aufzuweisen vermag. Zwar kann Lafont, so werde ich zu zeigen versuchen, einigen der von Young erhobenen Einwände begegnen, andere jedoch nicht entkräften bzw. werden diese unter Umständen sogar verschärft, insofern durch besagte demokratietheoretische Apologie der Verfassungsgerichtsbarkeit eine Lösung der von Young aufgerufenen Problemstellung zwar suggeriert wird, letztlich aber nicht (zwingend) eingelöst werden kann. Der in der Lobpreisung der Verfassungsgerichtsbarkeit kulminierenden Argumentation Lafonts unterliegt ferner ein Verständnis politischen Handelns, das intensivere Formen bargerschaftlichen Kontestationshandelns bestenfalls sehr eingeschränkt gutheißen kann, nämlich nur dann, wenn es sich — in den Worten James Tullys — um »,acting otherwise( within the rules of the game« (Tully 2008, 23; Hervorh.: PS) handelt. Eine solche Begrenzung des Spektrums bilrgerschaftlichen politischen Handelns trägt einerseits dazu bei, dass nicht-regelimmanente Handlungsformen analytisch gar nicht erst in den Blick geraten und befördert andererseits unter Umständen die Aufrechterhaltung von Herrschaftsverhältnissen, indem zumindest vermittelt die Marginalisierung und/oder Diskreditierung »grundstiirzenderer« Handlungsformen mit theoretischen Weihen versehen wird.
5.1 Möglicherweise ideologisch verfasst: Judicial Review und
Demokratie Deliberative Demokratie hat sich in Lafonts Deutung strikt am Ideal kollektiver demokratischer Selbstregierung zu orientieren, die mit keiner Form des blinden Gehorsams vereinbar sei und auf dem Prinzip der wechselseitigen Rechtfertigung unter gleichen Bilrger*innen (bzw. Regelungsbetroffenen) in öffentlichen Debatten beruhe. Konkretisiert wird das Idealmodell deliberativer Demokratie sodann als »the rule of considered public opinion« (102). Entscheidend ist dabei freilich, was unter »considered« verstanden wird: »Mn the case of >considered public opinion( deliberation must not only be informed and aim to reach correct decisions, but it must also be sensitive to the interests, values, and ideas of the citizenry. Deliberation must reflect their ways ofcaring and their ways of reasoning about the issues in question.« (102 f.)Auf dieser Grundlage wendet sich La.font zunächst gegen tendenziell expertokratische >shortcuts‹, die sie in epistemisch verengten Modellen der deliberativen Demokratie erkennt (vgl. Kap. 3; fir einen Überblick Marti
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2006). Sie können als output-orientiert bezeichnet werden, insofern sie ausschließlich auf die vermeintlich objektiv bestimmbare (Wahrheits-)Qualitit der Resultate des Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesses rekurrieren, die idealerweise in die Hände von Technokraten zu legen sind. Demokratie ist in diesem Verständnis nur Politik Pr den Demos, der sich der Expertise der Expereinnen blind zu fügen hat — und wird insofern dem lafontschen Ideal demokratischer Selbstbestimmung nicht gerecht. Lafonts partizipatorisches Verständnis von deliberativer Demokratie zieh jedoch auch nicht auf die Vorstellung einer umfassenden Zustimmung des gesamten Demos — »democratic legitimacy does not require every single person to agree on the reasonableness of each coercive law to which they are subject at any given time« (12) — , ohne sich infolgedessen aber mit den von ihr als »deep pluralists« bezeichneten Vertreter*innen (z.B. Nadia Urbinati 2014) einer agonistischen Demokratie gemein machen zu wollen, da derartige Ansätze mit ihrer latenten Befürwortung von Mehrheitsherrschaft letzten Endes darauf hinausliefen, Minderheiten in einen Status des blinden Gehorsams zu zwingen. Um auch diesen »shortcut« zu vermeiden, bedürfe es »institutions to be in place such that citizens can contest any laws and policies that they cannot reasonably accept by asking that either proper reasons be offered for them or that they be changed« (12). Vor diesem Hintergrund entfaltet Lafont ihre Diskussion der Verfassungsgerichtsbarkeit. Durch einen Aufweis von deren demokratisierenden bzw. (re-)politisierenden Potenzial soll die Vereinbarkeit dieser dezidiert nicht-majoritären Institution mit einem partizipatorischen Demokratiemodell demonstriert werden. Im Gegensatz zu verbreiteten Interpretationen der Verfassungsgerichtsbarkeit als expertokratisches und demokratiefeindliches Unterfangen (prominent: Waldron 2006) — als einer Prozedur, in der Bürger*innen *blindly defer to the political decisions of judges« (163), denen eine absolute Autorität zugeschrieben wird —, hebt Lafont ihre Rolle als »conversation initiator« (u.a. 70) demokratischer Debatten hervor: »[F]rom a democratic perspective, the main contribution of judicial review is that it empowers citizens to call the rest of the citizenry to publicly debate the proper scope of the rights and freedoms. [...] Mt empowers [them]«, so heißt mit der wohl schönsten Formulierung des Buches, »to call the rest of the citizenry to put on their robes« (238 und 240). Die Deutung von Waldron und anderen wird dadurch radikal umgekehrt: die Verfassungsgerichtsbarkeit ist keine Institution, von der, in Isolation von der politischen Debatte und mit dem Ziel, den demokratischen Aushandlungsprozess zu beenden, sub-
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stantielle Entscheidungen getroffen werden. Als »mechanism of correction« (162) beendet die Verfassungsgerichtsbarkeit demzufolge nicht, sondern ermöglicht vielmehr überhaupt erst (wieder) den far Demokratien erforderlichen Prozess der wechselseitigen Diskussion und Rechtfertigung. Sie wird in dieser Deutung geradezu zur Paradeinstitution einer vitalen, partizipativ-pluralistischen Demokratie: »Lt gives citizens a right to be listened to, to open or reopen a conversation based on arguments about the constitutionality of a statute or policy, so that explicit and reasoned justifications for and against it become available for public deliberation.« (230) Was bedeutet das konkret? Die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit »guarantees that all citizens can, on their own initiative, open or reopen a deliberative process« (212 f.) und diese (Wieder-)Aufnahme erfolge über das Vorbringen begründeter Einwände. »In order to trigger judicial review«, so hebt La.font wiederholt hervor, »citizens [...] must argue their case in court on the basis of reasons, considerations, and arguments that are suitable [meine Hervorh.: PS] to demonstrate the unconstitutionality« (210 f.) spezifischer Policies oder Gesetze. »[I]t must first be discerned and plausibly argued«, so heißt es an anderer Stelle, »that the policy in question touches upon some constitutional essentials« (211; Hervorh.: PS). Diesen Aspekt gilt es fur die spätere Diskussion im Hinterkopf zu behalten, insofern der Hinweis auf die damit verbundene Maßgabe des »providing appropriate reasons and evidence« (193) die (alte) Frage aufwirft, was einen adäquaten oderguten Grund ausmacht. Darauf werde ich zurückkommen. In Anbetracht von Jürgen Habermas' Postulat eines internen Zusammenhangs von Rechtstaat und Demokratie (vgl. Habermas 1999), in dessen Nachfolge sich Lafont explizit situiert, ist ihre Zuspitzung auf die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit als deliberativ-demokratische Institution par excellence durchaus konsequent. Habermas selbst diskutiert die Rolle von Verfassungsgerichten in seinem politiktheoretischen Hauptwerk Faktizität und Geltung, wo er der Frage nachgeht, »wie offensiv das Verfassungsgericht in die legislativen Befugnisse eingreifen darf« (Habermas 1994, 336 sowie insgesamt dort Kap. VI), ohne dabei demokratische Selbstbestimmungsansprüche zu untergraben. Wenn Habermas sich dort vornehmlich skeptisch äußert, so stehen Lafonts Ausführungen keineswegs im Gegensatz dazu, richten sich seine Vorbehalte doch lediglich gegen eine Verfassungsgerichtsbarkeit, die »die Rolle eines Regenten über[nimmt], der an die Stelle des unmündigen Thronfolgers tritt« (Habermas 1994, 340) und dadurch in Konkurrenz zur demokratisch legitimierten Legislative gerät.
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Keine Probleme kann Habermas hingegen dort erkennen, wo es nur in prozeduraler Hinsicht *um die Durchsetzung des demokratischen Verfahrens und der deliberativen Form politischer Meinungs- und Willensbildung geht« (ebd.). Insofern Habermas die Verfassungsgerichtsbarkeit in der Rolle eines auf Verfahrenskorrektheit dringenden »Tutors« (ebd.) des demokratischen Aushandhangsprozesses sieht, können Lafonts Ausführungen zum Verfassungsgericht als »conversation initiator« als Ausbuchstabierung des habermasschen Ansinnens verstanden werden, wobei sie ihm eher sogar noch eine etwas aktivere, in prozeduraler Hinsicht diskurstimulienmde Rolle zuweist.6 Wie aber ist diese spezifische, justizzentrierte Modellierung einer panizipativen deliberativen Demokratie angesichts der von Iris Young im Jahre 2001 gegen nahezu alle damals verhandelten Ansätze deliberativer Demokratie vorgebrachten Bedenken zu bewerten? In besagtem Aufsatz unterbreitet Young einen inszenierten Disput zwischen einer Vertreterin des deliberativen Demokratiemodells und einem politischen Aktivisten,' im Zuge dessen der Aktivist vier Vorwürfe gegen deliberativ-demokratische Modelle vorbringt, die deren Anhängerinnen seines Erachtens nicht zu kontern in der Lage sind.8 Während die Verfechterin deliberativ-demokratischer Verfahrensmodelle grundsätzlich für die (kritische) Mitwirkung an allen sich bietenden Teilhabemöglichkeiten votiert, plädiert der Aktivist für eine ebenso grundsätzliche Verweigerung und den Entzug (*withdrawal«) aus den bestehenden Institutionen, seien sie noch so deliberativ verfasst. Young bezieht sich dabei wohlgemerkt nicht auf die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit, aber ihre Überlegungen lassen sich gewinnbringend auch auf deren kritische Diskussion übertragen. Die ersten beiden Herausforderungen beziehen sich auf das vom Aktivisten unterstellte Unvermögen deliberativer Institutionen und Prozeduren, *to satisfy the ideals of publicity, ac-
6 Unberührt davon bleibt der u.a. von James Tully gegen Habermas vorgebrachte Einwand, dass auch die Verfahren und Prozeduren der demokratischen Willensbildung selbst flit Befragung. !Contestation und Veränderung zugänglich sein müssten. Die Rolle eines dem politischen Ge-
schehen prinzipiell enthobenen »Schiedsrichtern« ist demokratisch nicht zu rechtfertigen (rgl. Tully 2009,96 sowie Tully 2007). 7 Im Folgenden behalte ich Youngs darstellerische Entscheidung fiir einen männlichen Aktivisten und eine weibliche Verfechterin der deliberativen Demokratie bei. Für Youngs Erläuterungen darn siehe Young (2001,671). 8 Eine hervorragende Darstellung des Austauschs sowie eine deliberativ-demokratisch inspirierte Erwiderung findet sich bei Talisse (2005).
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countability, and inclusion« (Talisse 2005,431; Young 2001,676-681). Sie sollen an dieser Stelle nicht weiter interessieren, denn wie auch Young selbst betont, stellen diese Anklagen keine nennenswerten Herausforderungen für demokratisch oder partizipatorisch gesinnte Vertreterinnen der deliberativen Demokratie dar. Wenn auch womöglich mit anderen Mitteln, so würden sie ebenso wie der Aktivist die mangelnde faktische Irildusivität und unzureichende Öffentlichkeit anprangern und zu bekämpfen versuchen. Selbiges gilt zweifelsohne fir Lafont. Die anderen beiden Vorwürfe erachtet Young fir weitaus gravierender. Der dritte Einwand besteht in massiven Vorbehalten des Aktivisten gegenüber der Implementierung deliberativer Prozeduren im Rahmen einer institutionellen Landschaft, »that seriously constrain[s] policy alternatives in ways that, for example, make it nearly impossible for the structurally disadvantaged to propose solutions to social problems that might alter the structural positions in which they stand« (Young 2001, 684). Man kann dies als Hinweis auf ein historisch geronnenes Depolitisierungsgeschehen begreifen, insofern sedimentierte Machtbeziehungen und Ungleichheitsstrukturen die Behandlung (bestimmter) die soziale und ökonomische Grundstruktur einer Gesellschaft betreffender Fragen ausschließen. Eher akteurszentriert formuliert wäre mit Bachrach und Baratz vom zweiten Gesicht der Macht zu sprechen, das sich in Form von NichtEntscheidungen manifestiert und ganz wesentlich dafür verantwortlich ist, was überhaupt auf die politische Agenda gesetzt wird und was nicht (vgl. Bachrach/Baratz 1962). Insofern es unter Bedingungen solch institutionell geronnener, machtvoller Policyselektivität nicht möglich ist, so die Einschätzung des Aktivisten, wahrhafte Alternativen zu verhandeln oder gar durchzusetzen, sei von deliberativen Prozeduren nichts zu erwarten, so eine Teilnahme nicht sogar dem Status quo Legitimation verschafft, weshalb er fur die Verweigerung jeglicher Mitwirkung optiert. Vielmehr sei es angesichts dessen angebracht, Gegenmacht »outside of and opposed to ongoing settings of official policy discussion« (Young 2001, 685) zu organisieren, um so die bestehenden Strukturen aufzubrechen und Schritte zu ihrer Oberwindung einzuleiten. Unschwer ist zu erkennen, dass diese Überlegungen etwa in der polit-strategischen Entscheidung der Occupy-Aktivist*innen widerhallt, keine Forderungen an staatliche Repräsentant*innen zu richten. Obgleich der Einwand des Aktivisten gewichtig ist und die Existenz derartiger machtbasierter, institutionell gefestigter Depolitisierungen nicht geleugnet werden kann, denke ich, dass Lafont mit dieser Kritik — zumindest
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in Teilen — umgehen kann. Anders als Youngs Aktivist, der sich fir den Weg des zivilen Ungehorsams zum Zwecke der Repolitisierung ausspricht, präferiert Lafont zwar einen »liberaleren« Zugang, ist aber nichtsdestotrotz an wirkungsvollen Akten der Repolitisierung interessiert, wenn auch vermittels einer Verfassungsklage.9 In Lafonts Verständnis ist die Verfassungsgerichtsbarkeit ja gerade eine Institution, die auf derartige strukturelle Ungerechtigkeit zu reagieren beansprucht und darauf zu reagieren vermag, in dem sie vormals depolitisierte Sachverhalte in ihrer Rolle als »conversation initiator. (re-)politisiert. Lafonts Zugang kann insofern als eine entgegenkommende Antwort auf den aktivistischen Einwand gewertet werden, die zumindest insoweit trägt, als die Verfassung selbst von den kontestatorischen Akteuren als legitim anerkannt wird, sie hinreichend Offenheit fur das Angehen auch von grundstrukturellen Fragen bietetm undvorausgesetzt den Fall, class die Existenz einer im weitesten Sinne verstandenen politischen Justiz ausgeschlossen werden kann, wie sie im Zusammenhang der Kritischen Theorie etwa von Otto Kirchheimer (1965) thematisiert wurde. Als ganz grundsätzliche Bedingung, um diese Lasting als adäquate Antwort zählen zu lassen, tritt ferner freilich hinzu, dass alle Betroffenen gleichermaßen Zugang zu den entsprechenden Gerichtsverfahren haben und dabei — in den Worten Miranda Frickers — auch keine Mechanismen der testimonialen und/oder hermeneutischen Ungerechtigkeit wirksam sind, wenn also keine Zweifel an der grundsätzlichen Glaubwürdigkeit aller Akteure walten und alle gleichermaßen über die darstellerisch-sprachlichen Ressourcen far das Vorbringen erfahrener Ungerechtigkeit verfugen (vgl. dazu nicker 2007;
9 Während Habermas zumindest ein liberal-konstitutionalistisches Verständnis von zivilem Un-
gehorsam präsentiert, das auf *die Rückkoppelung der verfaßten politischen Willensbildung an die Kommunikationsprozesse der Öffentlichkeit» (vgl. Habermas 1994,463) zielt, tauche der Sachverhalt in Lafonts Buch gar nicht auf. Ungehorsam wird hier per Verfassungsklage artikuliert Obgleich Habermas sich zu einem dynamischen Verständnis der Verfassung bekennt, verpflichtet auch er ungehorsames Handeln letztlich doch auf einen pristabilisierten Rahmen, insofern er die Dynamik auf Vorgänge der Neurealisation bzw. Neuinterpretation des bestehenden.Systemfsl der Rechte» (ebd., 464) begrenzt und die aktivistische Entscheidung zu Akten des tinge. horsam Am Lichte geltender Verfassungsgrundsätze, (ebd., 462) getroffen wissen will. Für eine radikaldemokratische, die konstituierenden Effekte in den Mittelpunkt rückende Interpretation des zivilen Ungehorsams vgl. Celikates (2010). 10 Hierzu würde bspw. auch die im bundesrepublikanischen Kontext immer wieder verhandelte Frage nach der grundgesetzlichen Festgelegtheit der Wirtschaftsordnung and damit der Eigentumsfrage zählen. Für einen zentralen Beitrag zu dieser Debatte siehe Abendroth (1972).
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insb. Kap. 1& 7•h1 Mit explizitem Bezug auf die habermassche Gesellschaftstheorie und Diskurstheorie des Rechts hat Axel Honneth bereits 1990 einen ähnlich gelagerten Hinweis gegeben, als er auf die demokratietheoretische Gefahr »strukturelle [r] Restriktionen von Gerechtigkeitsansprüchen« (Honneth 2000, 129) aufmerksam machte und unter dem Stichwort des Sprachraubs mit Verweis auf Foucault auf subkutan wirksame Ausschließungsprozesse verwies, die als eine spezifische Form von Klassenherrschaft »latent die Möglichkeiten, Erfahrungen von Unrecht zu artikulieren, einengen« (ebd., 119).'2
Der Topos des »Sprachraubs« reicht bereits in den Gegenstandsbereich des vierten Vorwurfs des Aktivisten hinein. Er geht davon aus, dass der deliberative Prozess ganz grundlegend von einem »common discourse« beeinflusst und vorstrukturiert sein könnte, »that itself is a complex product of structural inequality« (Young 2001, 685). Das hieße, dass nicht nur die »greifbaren« Institutionen, sondern auch das Denken und Fühlen der Gesellschaftsmitglieder machtdurchdrungen ist. Solch ein Diskurs umfasst und vermittelt in Youngs Darstellung »the widely accepted generalizations about how society operates as well as the social norms and cultural values to which most of the people appeal when discussing their social and political problems and proposed solutions« (Young 2001, 685). Mit Charles Taylor (2003) oder Cornelius Castoriadis (1984) ware von einem sozialen Imaginären zu sprechen, dass die gesamte Gesellschaft und die Gesellschaftsmitglieder in ihrer Selbst- und Wehinterpretation sowie ihrem Handeln durchdringt. Insofern das soziale Imaginäre Machtverhältnisse naturalisiert oder fälschlicherweise eine partikulare Sichtweise universalisiert, spricht Young von Ideologie bzw. mit Verweis auf Gramsci von Hegemonie oder, auf Habermas bezugnehmend, von systematisch verzerr-
11 Der von Simone Chambers (2007) analysierte, 1991 vor dem kanadischen Supreme Court verhandelte Fall Delgamuukw vs. British Columbia kann m.E, als geradezu paradigmatisches Analyseobjekt far beide Ausformungen epistemischer Ungerechtigkeit herangezogen werden. Tiefgehendc rassistische Normierungen machten es dabei unmöglich, das Anliegen der indigenen Bevölkerung überhaupt als justiziabel bzw. juristisch satisfalctionsfähig anzuerkennen. Nicht zuletzt stand dabei etwa die Frage der (nicht-)schriftlichen Kodifizierung von Grundeigentumsansprilthen im Raum. Eine über diesen konkreten Sachverhalt hinausgehende, hervorragende Studie zur kolonial-rassistischen Durchdrungenheit von Eigentumspolitiken liefert Bhandar (2018). 12 Der Sache nach analog, wenn auch intersektional ausgeweitet und an einer dahingehenden Sensibilisierung der Diskurstheorie interessiert, hat auch Regina Kreide unlängst auf Handlungsblockaden infolge interaktionistischer Herrschaftsverhältnisse hingewiesen (vgl. Kreide 2019).
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ten Kommunikationsverhältnissen.' Das Phänomen der Ideologie »refers to how the conceptual and normative framework of the members of society is deeply influenced by premises and terms of discourse that make it difficult to think critically about aspects of their social relations or alternative possibilities of institutionalization and action.« (Young 2001, 685 f.) Der von Youngs Aktivisten vorgetragene Vorwurf gegenüber den deliberativen Demokratietheorien lautet dahingehend, dass in ihnen die Effekte von Ideologien nicht gebührend zu Kenntnis genommen werden (falls überhaupt) und diese dadurch negiert oder zumindest verschleiert werden. Das damit verbundene Problem ist offensichtlich: Verfechterinnen der deliberativen Demokratie verpflichten die Akteure auf ein argumentatives, sprachbasiertes Handeln und verlangen ihnen damit ab, sich in einem immer schon konstituierten Raum der Grande zu bewegen, der nicht zuletzt festlegt, was als guter bzw. schlechter Grund zählt und was überhaupt in den Rang eines Grundes erhoben wird. Hier offenbart sich nun der Zusammenhang mit der zuvor bereits aufgerufenen Frage nach der »Adäquatheit« von Gründen und Belegen im Deliberationsgeschehen, was zweifelsohne für jegliche Theorie und Praxis der deliberativen Theorie ein Problem birgt, weil stets und zwangsläufig bestimmt Sprechakte als unangebracht, irrational oder — wie Jacques Ranci&re (2002, 41) es ausdrückt — als »Lärm« ausgewiesen und damit aus dem Bereich »sinnvoller« politischer Auseinandersetzung ausgeschlossen werden müssen. Problematisch ist das insofern, als das »Vokabular«, mit dem die öffentliche Debatte geführt wird — oder: geführt werden muss —, möglicherweise selbst zum Fortbestand und auch der Vet.
13 Siehe dazu Habermas (1970). Young betont jedoch zu Recht, dass Habermas diesen Sachverhalt spätestens mit Faktizität und Geltung aus den Augen verloren hat. In ihren eigenen Worten: es sei »surprising and disappointing that his own theory of deliberative democracy f...) gives almost no space to theorizing distorted communication and its effects on the legitimacy of political outcomes.« (Young 2001,690). Das gelte, so insistiert Young, freilich fur nahezu alle Theoretiker'in. nen der deliberativen Theorie. Als Ausnahme nennt sie lediglich James Bohman. Bohman definiert Ideologic in einem auch für meine Überlegungen bedeutsamen Sinn und verbindet sie zudem mit dem bereits aufgerufenen Topos der Nicht-Entscheidungen Eine Ideologie »restricts or limits social processes of communication by structures of domination or power. Such distortions certainly can affect both the conditions under which discourses take place and the processes of communication within them. I...] If an issue or demand is prevented from reaching the public arena for discussion, there has been a successful nondecision. Nondecisions function to distort communication by disallowing legitimate conflict and creating a psetidoconsensus.« (Bohman 1990,102 und 104) Für eine weitere Auseinandersetzung mit der deliberativen Demokratietheorie in um Ideologiekritik bemühter Absicht siehe Przeworski (1998).
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stärkung bestehender Ungerechtigkeiten beiträgt (darauf verweisen z.B. Talisse 2005, 432 f.; Haslanger 2017,15; Rollo 2017, 595; Jörke 2013, 154 f.) und unter Umständen keine vokabularimmanente Möglichkeit besteht, eben darauf zu reflektieren. Derartige Bedenken werden wohlgemerkt nicht nur von hinlänglich bekannten, scharfen Kritikern der deliberativen Demokratie wie Rancire vorgebracht, sondern durchaus auch aus den Reihen ihrer (selbst-)kritischeren Vertreter*innen selbst (z.B. Cooke 2014a; Young 2000; Kreide 2019). Cristina Lafonts Ansatz ist gegen diese Vorwürfe nicht gefeit, wie meines Erachtens insbesondere auch mit Blick auf die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit deutlich gemacht werden kann.m In der einen oder anderen Art und Weise wird es im Rahmen derartiger Vorgänge stets einen Gatekeeper-Moment geben, in dem die Zulässigkeit einer Klage geprüft und die Entscheidung getroffen wird, ob ein Verfahren einzuleiten ist oder nicht. Ideologische Verzerrungen können dabei dazu fuhren, dass bestimmte Gesuche als bloßer »Lärm« klassifiziert und als solcher im Prozess der Fallauswahl abgelehnt werden. In solchen Fällen haben die Richter*innen keineswegs eine, wie Lafont es postuliert, »legal obligation to examine the complaints of litigants, to listen to their arguments, and to provide a reasoned answer« (233)25 14 Es gibt in ihrem Buch wohlgemerkt eine Stelle, an der erkennbar wird, dass Lafont sich tiler die Existenz der hier interessierenden hegemonialen bzw. ideologischen Wirkweisen durchaus im Klaren ist. So vermerkt sie relativ zu Beginn im Zuge einer Abgrenzung von häufig abwertenden Darstellungen .inkompetenter« Bürgerinnen in zahlreichen demokratietheoretischen Schriften: pThis view about citizens is eagerly propagated through a line of research that relies on empirical evidence regarding citizens' political ignorance. The parallel between this line of argument and the history of arguments against women's rights, including political rights is striking. The empirical evidence provided to supposedly )prove< women's ignorance, irrationality, apathy, irresponsibility and the arguments put forth to perpetuate their subjection to others in the not too distant past are remarkably similar to the arguments and evidence currently provided by the >voter ignorance< literature.« (5 1.) Damit verweist Lafont auf die auch ideologisch gestützte, auf der Naturalisierung sozialer Zuschreibungen basierende Exklusion von Frauen, die sich bekanntlich in mehrerlei Hinsicht manifestiert(e), Mit Iris Young wire etwa zwischen edema/ exclusion, wozu der faktische Ausschluss von Teilhabe gemeint ist, und internal exclusion, wozu auch die oben genannten Formen epistemischer Ungerechtigkeit nach Fricker zu rechnen wären, zu unterscheiden (vgl. Young 2000; siehe dazu auch Conradi 2013). 15 Wihrend beispielsweise das Verfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland eine zumindest rudimentäre Begründung für eine Ablehnung als unzulässig abgeben muss, müssen die Richterinnen am US-amerikanischen Supreme Court ihre Entscheidungen gar nicht begründen. Es steht zu vermuten, dass Lafont eine solche Begründungspflicht befürworten würde, aber das lost nicht das Problem, dass der Raum der Gründe, in dem auch die Ablehnungsbegrandung situiert ist, möglicherweise selbst ideologisch verzerrt ist. Ein jüngerer Ablehnungsbescheid des
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Sofern man also davon ausgeht, dass ein verfassungsgerichtliches Prüfverfahren stets mit einer vorgängigen Zulässigkeitsüberprüfung der eingegangenen Klage verbunden ist, so ist hervorzuheben, dass solche Prozeduren die Klagenden dazu zwingen, im bestehenden >Sprachspiel, auf Grundlage der »tacit norms of reasonableness« (T'alisse 2005, 424) - zu operieren. Positionen, die nicht in das vorherrschende Sprachspiel passen - oder nicht eingepasst bzw. intelligibel gemacht werden können - werden dadurch effektiv zum Schweigen gebracht.'6 Es ist nur schwer von der Hand zu weisen, dass sich solcherart ideologisch bedingte Ausschlussmechanismen ereignen. Sofern sie sich ereignen, ereignen sie sich noch bevor der eigentliche Vorgang der »judicial review« als »conversation initiator« in Funktion treten kann. In der Konsequenz, so wäre zu konstatieren, wird nicht jeder vor Gericht gebrachte Fall Erfolg damit haben, zu einem Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung zu werden und dadurch die demokratischen bzw. politisierenden Effekte auszulösen, die Lafont sich von diesem Verfahren - mitunter möglicherweise zu Recht - erhofft. Lafont kann dieses Problem auf Grundlage ihres Ansatzes nicht erkennen. Geschuldet ist dies der Abwesenheit einer differenzierte(re)n Theorie deutschen Bundesverfassungsgerichts erging beispielsweise bzgl. der Verfassungsbeschwerde gerichtet auf geschlechtergerechte Sprache in Formularen, weil sie den Begriindungsanforderumgen nicht genügte (vgl. BVerfG 2020). Im Fall des US-Supreme Courts tritt verschärfend die sogenannte Political Question Doctrine hinzu, die es den Bundesrichter'innen ermöglicht, ihrer Einschätzung nach »politische. Fragen rundheraus abzuweisen (vgl. dazu bspw. Harvard Law Review 2016). Hinweise zu diesem Sachverhalt verdanke ich Bill Scheuerman. Angesichts der jüngsten Entwicklungen, Z.B. in Sachen Abtreibungsrecht, ist jedoch auch zu konstatieren, dass sich die derzeit ultrakonservative Mehrheit explizit von dieser Doktrin verabschiedet und parteiliche Politik betreibt. Eher »liberal. gesinnte Richterinnen wie Elena Kagan pochen angesichts dessen hingegen wieder auf eine ausgeprägtere Enthaltsamkeit des Gerichts. Die Frage nach der (Nicht-)Neutralität des Gerichts ist — das lässt sich daran zumindest ablesen — seinerseits also politisch höchst umkämpft. So oder so: Lafonts Hoffnungen in eine per se progressive, von Verfassungsgerichten ausgehende Stimulanz scheint empirisch derzeit wenig Nahrung zu finden. 16 Damit soll nicht gesagt sein, dass sich (emanzipatorischer) Wandel grundsätzlich nicht ereignen kann, wohl aber, dass es sich dabei wenn um einen sprachspielimmanenten Wandel handelt, der sich innerhalb der bestehenden und rechtlich kodifizierten Lebensform ereignet. Man kann sich das exemplarisch an der von Lafont verschiedentlich (2019, z.B. 214 f.) aufgerufenen gleichgeschlechtlichen Ehe vor Augen fuhren: Die gleichgeschlechtliche Ehe bleibt der traditionellen Vorstellung von Ehe als der exklusiven Vereinigung zweier Menschen durch und durch verhaftet und die Forderung nach homosexueller Eheschließung operiert im Rahmen des bestehenden Sprachspiels. Andere Beziehungsformen, wie etwa queere oder polyamouröse Konstellationen, sind darin nicht wahrnehmbar, weil nicht vorgesehen und infolgedessen auf rechtlichem Wege nur schwer zu erkämpfen.
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der Macht. Obgleich Lafont in ihrem Buch bestimmte die Unabhängig der Justiz betreffende Aspekte zumindest beiläufig anspricht — wie etwa die Frage nach den Chancen und Risken einer Berufung in das Richter*innenamt auf Lebenszeit (240 f.) —, so werden diese sogleich in den Aufgabenbereich einer nicht-idealen Theorie überantwortet. Subtilere Formen der Abhängigkeit — wie etwa eine ideologiebedingte Abhängigkeit — kommen gar nicht erst in den Blick. Indem ausschließlich die diskursstimulierenden und demokratieförderlichen Aspekte der Verfassungsgerichtsbarkeit in den Blick genommen werden, nicht aber über die potenzielle Machtdurchdrungenheit dieses Geschehens reflektiert wird, begibt sich Lafont ihrerseits auf eine fragwürdige »Abkürzung«, die im blinden Vertrauen auf einen machtfreien rationalen Diskurs — zu dem alle gleichermaßen befähigt sind und der nicht von ideologischen Verzerrungen geprägt ist — das demokratischemanzipatorische Funktionieren einer judicial review als unproblematisch unterstellt. Man mag die Analyse derartiger machtförmiger Einschränkungen als sekundär erachten und in den Bereich nicht-idealer Theoriearbeit verschieben, nimmt damit aber zugleich in Kauf, dass der praktisch-politischen Problematisierung derartiger Sachverhalte Steine in den Weg gelegt werden, insofern die idealtheoretische Weltbeschreibung diskursiv daran mitwirkt, solch problematisierende Praktiken normativ herabzuwürdigen und diese dadurch analytisch zu invisibilisieren und moralisch in Verruf zu bringen. Diese Thematik bringt mich zu meinem zweiten, damit eng verbundenen Punkt.
5.2 Die weltverschließende Macht der deliberativen Demokratietheorie Die Ausblendung des Topos der Macht und der Ideologie — ganz gleich, ob man Ideologie dabei als falsches bzw. eingeschränktes Bewusstsein versteht (vgl. Owen 2002) — bildet eine Grundlage far ein Verständnis demokratischer Verfahren, die ihre demokratische Qualität und epistemische Kraft ausschließlich aus rational-sprachlichen Argumentationsvorgängen zieht. Unbekümmert freiheitliches Deliberieren propagieren kann nur, wer von der Nichtexistenz von Machtverhältnissen ausgeht oder sich nicht dafür interessiert. Das wäre nicht weiter schlimm, verbliebe die Idealkonstruklion als Richtwert bloß im Bereich der Ideen. Problematisch aber kann es
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sein, wenn davon auszugehen ist, dass Idealkonstruktionen — bei item guten Willen — normierend auch auf die Realität und deren Deutung und Evaluation rücicwirken. Wie Maeve Cooke in einem anderen Zusammenhang kritisch angemerkt hat, suspendieren derartige Ansätze aufgrund ihrer normativen wie epistemischen Überhöhung des Argumentierens ein »understanding of epistemic quality that is non -argumentative« (Cooke 2013,264). Cooke zielt mit ihrem Hinweis auf die Existenz auch anderer als rein rational-argumentativer Formen des Wahrnehmungs- und Präferenzenwandels, die von orthodoxen Vertreter*innen der deliberativen Demokratietheorie in aller Regel negiert oder zumindest vernachlässigt werden.17 Ist Cooke in ihren Ausfiihrungen in erster Linie an der Ermöglichung der Vermittlung zwischen unterschiedlichen, scheinbar inkommensurablen Epistemen gelegen, so findet sich ihre grundsätzlich gehaltene Diagnose der Sache nach auch schon bei Iris Young, die den deliberativen Demokratietheorien in Inclusion and Democracy eine ebenso problematische wie rigorose Privilegierung desArgumentierens attestierte (»privileging argumento; vgl. Young 2000, 37) und in diesem Zuge auch auf die damit verwobene Frage nach der spezifischen Handlungsformen zugeschriebenen Legitimität bzw. Politizität fokussiert. Ein ausschließlich auf rationalen Argumentationen aufruhendes Demokratiemodell, so lässt sich in Anschluss an Cooke und Young formulieren, bietet keinen (legitimen) Raum far nicht-argumentative Formen des politischen Handelns bzw. begünstigt es eine Klassifikation derartiger Handlungsformen als a- oder antipolitisch und ermöglicht dadurch auch spezifische gesellschaftliche Umgangsweisen mit ihnen — sei es deren Ächtung oder Verbot, ihre Infantilisierung oder anderweitig betriebene Formen der Marginalisierung qua Apolitizitätserldirung. Ich werde zunächst zu zeigen versuchen, wie es hinsichtlich dessen um Lafonts Modellierung bestellt ist, um daran anschließend darzulegen, inwiefern damit in herrschaftskritischer Hinsicht problematische Implikationen verbunden sind. Lafonts Ansatz ist ein Paradebeispiel für einen argumentationsprivilegierendenAnsatz. Wie in Kapitel 5.2 ihres Buches unter dem Titel Deliberative Activism dargelegt wird, handelt es sich bei der guten Bürgerin der partizipatori schen deliberativen Demokratie um eine Person, die besonnen und rational mit ihren Mitbürger*innen auf (guten) Gründen basierende Argumente 17 In einem hervorragenden Beitrag illustriert Maeve Cooke das ethisch-erschließende Potenzial
von Belletristik am Beispiel von Kafkas Strafkolonie (vgl. Cooke 2014b).
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austauscht, um so zu allgemeinverbindlichen Entscheidungen zu gelangen oder - in ihrer kontestatorischen Ausprägung - die allgemeinverbindlichen Regeln auf der Grundlage adäquater Grande und Belege vor Gericht anficht. Für Lafont gilt, was Young in Inclusion and Democracy schon vor gut zwanzig Jahren der deliberativen Demokratietheorie allgemein attestierte: »argument constitutes the primary form of political communication« (Young 2000, 37) und leiste damit einer Identifikation öffentlicher Debatten als »polite, orderly, dispassionate, gentlemanly argument« (ebd., 49) Vorschub. Wie Young an selbiger Stelle plausibel macht, geht mit dieser theoretischen Operation zumindest implizit zugleich ein »discrediting or excluding modes of political communication deemed disorderly or disruptive« (ebd., 47) einher. Aus der Perspektive des Youngschen Aktivisten muss das als problematisch erachtet werden, befürwortet er doch angesichts der Gefahren einer den deliberativen Prozess in seiner Ergebnisoffenheit beschränkenden ideologischen Schließung dezidiert (wenn auch nicht ausschließlich) >kommunikative< Handlungen, die *disruptive, annoying, or distracting« (ebd., 49) sind und »confront rather than engage in discussion« (Young 2001, 670). Als beispielhafte Manifestationsformen nennt Young das Aufstellen von Streikposten, Guerillatheater, Demonstrationen, Sit-ins oder andere Formen direkter Aktion, wie etwa Boykotts oder Blockaden (vgl. ebd., 673). Der Aktivist bevorzuge die Anwendung außerinstitutioneller, nicht-diskursiver Mittel, wie etwa »pictures, song, poetic imagery, and expression of mockery and longing performed in rowdy and even playful ways aimed not at commanding assent but disturbing complacency« (ebd., 687). Dabei gilt es zu beachten, dass der Aktivist sich fir die nicht-deliberativen Handlungsformen nicht - oder zumindest nicht notwendigerweise - aus reiner Lust an Krawall und Nonkonformität entscheidet. Iris Young ist es wichtig zu betonen, dass es sich dabei nichtsdestotrotz um Akte der Kommunikation handelt, wenn auch nicht in einem engen, idealtypisch-haberrnasianischen Sinn von Kommunikation.'s Es ist Kommunikation mit anderen Mitteln und 18 Eine weitreichendere Bestimmung von Kommunikation legt Young auch ih rem Verständnis von kommunikativer Demokratie zugrunde: '.Because for many the term deliberation< carries connotations of the primacy of argument, dispassionateness, and order in communication, IA I will often use the term >communicative( democracy instead, to denote a more open context of political communication.« (Young 2000, 40) Kommunikation wird dabei weit gefasst: »While not deliberative, then, in the sense of engaging in orderly reason giving, most activist political engagements aim to communicate specific ideas to a wide public.« (Young 2001, 676) In analytischer Hinsicht bedeutet das, darauf hat Hauke Brunkhorst im Rahmen des von Regina Kreide im Juni
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zu anderen Zwecken, insofern es nicht um die Befriedung von Interessenkonflikten innerhalb eines bestehenden normativen Koordinatensystems geht, sondern das Koordinatensystem selbst aufgebrochen und transformiert werden soll. Die Entscheidung des Aktivisten gründet darin, dass nicht-diskursive Handlungsformen, anders als argumentationsbasierte Kommunikationsweisen, welche notwendigerweise im bestehenden Rahmen des hegemonialen Sprachspiels verbleiben müssen, dazu angetan sind, »to make us wonder about what we are doing [...] and to rupture a stream of thought rather than to weave an argument« (ebd., 687). Nicht aus prinzipieller Geringschätzung des rationalen Argumentierens, sondern eingedenk der Möglichkeit, dass — wie Sally Haslanger es formuliert — »ideology is part of what gives people their tools of reasoning in the first place« (Haslanger 2017, 7): »Argumentation and public discourse can be useful, but there is a risk that it will only move us along the tracks that the ideology has set down.« (ebd., 15). Das aktivistische Handeln zielt somit zum einen darauf ab, das >aufzumischem, was die anderen Mitbürger* innen bis dahin »may have found normal and acceptable« (Young 2001, 675). Mit und gegen Ludwig Wittgenstein, dem Young ihre Doktorarbeit unter dem Titel From Anonymity to Speech widmete, ließe sich sagen, dass damit der Felsen, an dem sich der Spaten biegt, aufgesprengt (Wittgenstein 1984, § 217), der Bilderrahmen, der uns gefangen hält, zerbrochen (ebd., § 115) und das vermeintlich unveränderbare Flussbett der Gedanken, der überkommene Hintergrund des Denkens, schlagartig grundlegend verändert wird (Wittgenstein 2006, § 94-99). Zugegebenermaßen gibt es an einer Stelle ihres Buches eine Passage, an der Lafont, eine Polemik Raymond Geuss'aufnehmend, erkennen lässt, dass politisches Handeln aus guten Gründen nicht immer ausschließlich in Form einer »idealisierten akademischen Diskussion« (Geuss 2011, 49) vorzustellen sei. Wenngleich dahingehende Zugeständnisse im Zuge des eingangs erwähnten systemic turn der deliberativen Demokratietheorie durchaus häufiger zu vernehmen sind, so lässt sich Lafonts Ausführung auch als eine direk-
2019 an der Justus-Liebig-Universität Gießen organisierten Buchsymposiums »Democracy without shortcuts., zu Becht hingewiesen, dass auch die Anwendung von Gewalt als politisch-kora munikativer Akt gilt. Dem hätte Young vermutlich nicht widersprochen, zieht ihrerseits aber eine normative Legitimititsgrenze, sobald Gewaltanwendungen gegenüber Menschen in Betracht gezogen werden (vgl. Young 2000).
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te Antwort auf die von Iris Youngs 2001 vorgebrachten aktivistischen Bedenken verstehen, auch wenn ihr Name nicht Falk: 'There is no reason to assume that the best way to do this essential political work is by providing abstract arguments, instead of mobilizing the citizenry with slogans, chants, photos, documentaries, demonstrations, first-personal testimonies of affected individuals or groups, 'naming and shaming' of governments and other powerful actors, and so on. However, in my view, it would be wrong to infer from this fact that a lot of political action simply has nothing to do with deliberation or is even contrary to deliberation and thus falls outside the purview of a deliberative conception of democracy. [...) Confrontational actions such as sit-ins and demonstrations can be proper means for reaching deliberative democracy's aims.« (30)
Freimütig dürfte Lafont demzufolge auch der deliberationsskeptischen Position Toby Rollos beipflichten, dass »[s]ometimes action must be noncooperative in order to force issues onto the table and promote respect for marginalized beliefs and practices« (Rollo 2017, 594). Letzten Endes aber werden von Lafont auch solch nicht-deliberativen, konfrontativen politischen Handlungsformen auf einen zumindest vermittelten Beitrag zu argumentativer Kommunikation verpflichtet und damit unter das Dach des deliberativen Diskurses und der vorherrschenden Rechtfertigungsordnung gezwungen: 'SX) long as the goal of such forms of political action is to transform actual public opinion
into considered public opinion over time so that citizens can endorse the laws to which they are subject and identify them as their own, [...] they are of necessity an integral element of a deliberative conception [...]. What sets apart deliberative activism from forms of political engagement incompatible with the deliberative ideal is (...] that the goal of the former is engaging and transforming hearts and minds so that citizens can endorse the policies that are supported by better reasons.« (30)
Nicht-deliberatives Handeln und außerinstitutioneller Protest werden dann, erneut in den Worten Rollos, »as contributing only to the extent that it articulates something akin to a reason that could be admissible as a statement in [deliberative; PS] public discourse« (Rollo 2017, 594; Hervorh.: PS) betrachtet. Lafonts Modellierung ware somit — auf Grundlage dieser beiläufigen Ausführung — in der Lage, auch weniger »gesittete« und konsensualistische, vielmehr störende Praktiken als zumindest vermittelt politisch, weil deliberationsbezogen, zu begreifen. Als eine Art »notwendiges Übel« werden auch rauere politische Vorgehensweisen akzeptiert, sofern sie letztlich auf das Weiterdeliberieren im bestehenden Raum der Grande zielen. Mag dies
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als Zugeständnis an antagonistische Demokratiemodelle gelesen werden, so hat Lafonts Demokratietheorie dennoch kein Sensorium fiir eine weitere Form politischen Handelns, die bei Young zwar auch unterbelichtet bleibt, der Sache nach aber zumindest angelegt ist. Ich habe dabei eine weitere, als proaktiv-konstituierend und welterschliefiend zu bezeichnende Dimension aktivistischer Praktiken vor Augen, die ausschließlich rational-argumentativen Zugängen verschlossen bleiben muss und einen Schritt über das bloße Aufbrechen eines ideologisch geschlossenen Zusammenhangs hinaus zu tun erlaubt. Während das institutionell gehegte, biirgerschaftliche politische Handeln bei Lafont ohnehin nahezu ausschließlich als reaktiv konzipiert wird,19 wird auch bei Young das darüber hinausgehende welterschlief3ende Potenzial des aktivistischen Handelns nicht ausbuchstabiert. Die Überlegungen Youngs erweiternd gilt es daher darauf hinzuweisen, dass nicht-diskursive Handlungsweisen nicht per se bzw. nicht ausschließlich reaktiv-disruptiv in Erscheinung treten müssen, sondern durchaus auch den Anspruch auf eine eher proaktiv-konstituierende, praktisch-welterschließende Wirkung verkörpern können, wie es in den zahlreichen in den vorangegangenen Kapiteln immer wieder aufgegriffenen Beispielen der Fall ist (etwa dem Occupy Wallstreet-Protestcamp oder den acampadas des Movimiento 15-M etc.). Es geht bei dieser Form des prafigurativen Handelns darum, »that it demonstrates to the people, rather than argues, that an alternative is possible [and] reasonable« (Rollo 2017, 595) — wenn auch nicht nach den vorherrschenden Standards von >VernünftigkeitLebensgefühls< handele und ein geplanter Redebeitrag sowie die Flugblätter im Gesamtkonzept der Veranstalter nur eine marginale Rolle spielten! Nimmt man eine in diesem Sinne verstandene Meinungsäußerung zuni Maßstab, so ist es nicht abwegig, dass die Stadt Hamburg, in ihrem Bestreben das Camp zu verhindern, dahingehend argumentierte, dass Schlaf-, Wasch- und Küchenzelte — und damit Schlafen, Waschen, Kochen - gerade nicht Teil der politischen Meinungsbildung und -artikulation sein könnten und daher nicht zu bewilligen seien — was in der Folge wiederum einer faktischen Verunmöglichung des Camps als Gesamtkonzept entsprochen hätte. Im Eilentschluss vom 28. Juni 2017 ließ das Bundesverfassungsgericht die endgültige Beantwortung der von Klägern und Beklagten aufgeworfenen Fragen zwar offen, ermöglichte aber faktisch die Durchfiihrung des Camps unter von der Hamburger Versammlungsbehörde zu erlassenden Auflagen. Das Camp sei bis auf weiteres und mit eingeschränkter Anzahl an Schlafplätzen prinzipiell als Versammlung genehmigbar. Allerdings das ist für das Folgende im Kopf zu behalten — wertete das Bundesverfassungsgericht die Schlaf- und Versorgungseinrichtungen in seinem Urteil als meinungsbildungsstützende Infrastruktur, nicht aber als Teil der politischen
3 Eine Darstellung der Vorgange sowie eine juristische Einordnung liefert Rusteberg (2017). 4 Vgl. die Beschlüsse 1 BvQ28/01 und 1 BvQ 30/01 des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 2.001. Siehe auch die Analyse von Christoph Mailers, der auf den heiklen Charakter einer juristisches Unterscheidung von schutzwardiger und sonstiger Kommunikation hinweist, insofern die Frage danach, was eigentlich als öffentlich und was als privat gilt, politisch umstritten sein kann (vgl. Mailers 2005).
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Meinungsäußerung selbsts Zwar wurde im Urteilstext angedeutet, dass es
im zeitgenössischen politischen Protest möglicherweise neue Formen und Qualitäten gäbe, die erst noch versammlungsrechtlich zu analysieren und in ihren Implikationen abzuwägen seien, eine präzisierende Ausfiihrung erfolgte (bis dato) jedoch nicht.6 Bis aufweiteres also, so ließe sich sagen, hat Schlafen, Essen und Waschen (im Protestcamp) als nicht politisch bzw. nicht politisch meinungsbildend/-artikulierend zu gelten.7 Bei den Vorgängen rund um das geplante Hamburger Protestcamp haben wir es also allem Anschein nach mit einer juristischen bzw. gerichtlichen Apolitizitätserklärung Zutun. Während der juristische Deutungsakt im konkreten Fall also noch nicht final beendet ist und erste Forderungen nach einem versammlungsrechtlich gedeckten, prinzipiellen Verbot von Protestcamps durch einige Politikerinnen schon kurz nach dem G 20-Gipfel laut wurden, möchte ich im Folgenden einer anderen Frage nachgehen. Die Debatte darüber, was als politische Meinungsartikulation gelten kann und was infolgedessen als Versammlung zu werten ist, verweist auf die tieferliegende Frage nach dem Politischen bzw. nach Art, Gestalt und Gegenstand politischen Handelns. Es ist offensichtlich, dass es hierzu konkurrierende Bestimmungsversuche gibt und meine Grundthese ist daher zunächst einmal nur die, dass dem Camp-Streit unterschiedliche Verständnisse von Politik und politischem Handeln zugrunde liegen, die es freizulegen gilt. In dieser Weise kann am konkreten Beispiel eine Antwort gegeben werden, in einem welcherart theoretisch strukturierten, Sin Kap. 3.5 habe ich bei der Charakterisierung der Politizität präfigurativer Praktiken analy-
tisch zwischen funktionalen, zur Politik ermächtigenden und im engeren Sinne politischen, die Machtverhältnisse bearbeitenden Zügen unterschieden, worin die Unterscheidung von meinungsb ildun g s st fuze nd und der Me i n ungsbildung/ -art ikulation selbst widerhallt. Der Clou präfigurativer Praktiken besteht letztlich darin, dass beide (zusammen) politisch sind, die Unterscheidung also nur in analytischer Hinsicht Sinn ergibt. 6 Vie. den Beschluss 1 BvR 1387/17 des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Juni 2017. 7 Depolitisierende Lesarten von Protestcamps sind auch jenseits des juristischen Diskurses nicht unüblich. Bereits in der Einleitung wurde auf Joachim Gauck verweisen, der die New Yorker Occupy-Bewegung — far die das Camp im Zucotti Park Herzstück des Protests war — einst als pKunstform4 (vgl. Michelsen, Walter 2013, S. 24) bezeichnete und das Phänomen damit kurzerhand in die Sphäre der Ästhetik verabschiedete. Auch die Einordnung des in Hamburg geplanten Protestcamps als Planungszelle fur Gewaltausiibungen durch Gerhard Kirsch, Landeschef der Hamburger GdP, kann als Versuch interpretiert werden, das Protestcamp jenseits der Sphäre der (legitimen) Politik zu verorten (vgl. Süddeutschen Zeitung 2017). Emily Brisette (2016) hat aufgezeigt, inwiefern auch die Prämissen und Konzepte des in der Bewegungsforschung verbreiteten Ansatzes der Contentious Politics zu einer Depolitisierung derartiger Protestpraktiken beitragen.
2.18
EINE JURISTISCHE APOLITIZITÄTSERKLÄRUNG
begriffspolitisch machtvoll gestalteten Raum sich die Frage nach der Politizität spezifischer Praktiken wie und mit welchen Implikationen beantworten lässt und inwiefern gesellschaftliche Akteure an der Gestaltung eines solchen Raums mitwirken. Legt man einen engen, bisher auch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts prägenden Politikbegriff zugrunde, so meine weitergehende Annahme, ist man nicht in der Lage, den auch spezifisch politischen Charakter der Camps in den Blick zu bekommen. Infolgedessen kommt eine Einordnung als Versammlung schon grundbegrifflich nicht in Betracht. Will man mögliche Verkürzungen des engen Politikbegriffs und deren Implikationen ado.sen — was letztlich auch dazu beitragen könnte, die Protestcamps in einem anderen, nämlich politischen Licht zu betrachten — so wäre ein erweitertes bzw. anders gelagertes Politikverständnis zu explizieren. Zu diesem Zwecke soll im Folgenden eine Kontrastierung von Hannah Arendt (6.1.) und Martin Buber (6.2.) vorgenommen werden, wohl wissend, dass dichotome Gegenüberstellungen oftmals auch zu Unschärfen fuhren und den jeweiligen Polen nicht umfassend gerecht zu werden vermögen. Insofern sollten die Ausführungen nicht dahingehend verstanden werden, dass Arendt gegen Buber (oder andersherum) ausgespielt bzw. eine prinzipielle Überlegenheit des einen oder des anderen Ansatzes behauptet werden soll. Vielmehr erhoffe ich mir von einer solcherart »idealtypisierend zurechtgemachten« Gegenüberstellung ein heuristisches Analyseraster, das zur Erhellung des hier interessierenden Sachverhalts beitragen kann. Präziser ausgedrückt geht es um die Kontrastierung zweier Metaphern — Zeugung und Geburt —‚ über die sich die jeweiligen Verständnisse von Politik und politischem Handeln (die in beiden Fällen auch Verständnisse politischer Transformation sind) erschließen lassen. Insofern mit Zeugung und Geburt unterschiedliche Zeitlichkeiten bzw. Zeitpunkte aufgerufen sind, geraten in dem damit jeweils verbundenen Politikverständnis unterschiedliche und unterschiedlich viele Phänomene als politisch oder überhaupt erst in den Blick. Indem ich danach frage, was es bedeutet, Politik von der Zeugung her zu denken, im Unterschied zu einem Denken der Politik von derGeburt her, erhoffe ich mir Einsichten, die es gestatten, die Position der CampOrganisator*innen nachvollziehbarer zu machen, nämlich dass es sich bei den Camps samt Küchen-, Wasch- und Schlafzelten um eine politische Ar-
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tikulation handele.' Der für diese Bewertung erforderliche, erweiterte und anders gelagerte Politikbegrifflässt sich meines Erachtens gut mit dem KonzeptpräfigurativerPolitik erfassen, das auch konzeptgeschichtlich mit der Semantik der Zeugung ko rrespondie rt.' Für das hier im Weiteren verfolgte Anliegen kann an dieser Stelle ein rekapitulierender Verweis auf die bereits in Kapitel 2 unterbreitete Bestimmung Carl Boggs' genügen: »By >prefigurative, I mean the embodiment, within the ongoing political practice of a
movement, of those forms of social relations, decision-making, culture, and human experience that are the ultimate goal. [...] In the broadest sense, prefigurative structures can be viewed as f...1 a nucleus of a future socialist state. They would create an entirely new kind of politics.« (Boggs 1977a, 100, 104)
Diese »neue«, demonstrativ-weiterschliefiende Art der Politik gilt es in nochmals anderer, auf das Zeitlichkeitsverständnis und die Kontrastierung Bubers und Arendts fokussierender Weise zu umreißen (6.3.), um sodann auf dieser Grundlage zu den Protestcamps und nicht zuletzt auch der Frage nach der Politizität des Schlafens zurückzukehren (6.4.). Wie sich zeigen wird, schreibt das Bundesverfassungsgericht mit seiner Beurteilung auf Grundlage eines von der Geburt her gedachten Politikverständnisses auch die Depolitisierung und zumindest im westlichen politischen Denken stark vergeschlechtlichte (Dis-)Qualifizierung reproduktiver Tätigkeiten — und dear stehen die Küchen-, Wasch- und Schlafzelte letztlich — fort, die zu unterlaufen gerade den politischen Kern der Protestcamppraxis ausmacht.
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8 Die hier verfolgte Frage nach den Zeitlichkeiten von Politik aufGrundlage der Metaphern von Geburt und Zeugung überlagert sich in mancher Hinsicht — insofern die mit dem Protestcamp aufgerufenen Praktiken des Schlafens, Waschens und Kochens zum Bereich reproduktiver Tatigkeiten zu zahlen sind — auch mit einer Infragestellung der überkommenen »Vergeschlechtlichung« von Politik. Siehe zur vergeschlechtlichten Qualifizierung politischen bzw. unpolitischen Handelns im westlichen Denken insbesondere auch die Studie von Wendy Brown, in der sie die maskulinistische Konnotation politischen Handelns exemplarisch in Auseinandersetzung mitAristoteles, Machiavelli und Weber herausarbeitet und auch Arendts Beitrag dazu freilegt (siehe Brown 1988, zu Arendt dort 23-31). 9 Für die konzeptgeschichtliche Verwurzelung im Kontext anarchistischer Theorie und Praxis siehe Kap. 2.3. Für die Verbindung von Prifiguration und Zeugung kann exemplarisch nochmals auf den dort schon behandeltenen Sonvilier Circular verwiesen werden, eine der Bakunin-Fraknon zugeordnete Intervention in den Richtungsstreit der Internationalen Arbeiterassoziation von 1871: »The society of the future should be nothing other than the universalisation of the organization with which the International will have endowed itself. [...] The International, as the emb?yo ofthe human society of the fitture, is required in the here and now to faithfully mirror our principles of freedom and federation.« (Sonvilier Circular 1871, o.S.; Hervorh.: PS)
220
EINE JURISTISCHE APOLITIZITÄTSERKLÄRUNG
6.1 Hannah Arendt: Politik und Revolution als Geburtsereignis
Im Falle Hannah Arendts ist die Metapher der Geburt von entscheidende Bedeutung, nicht nur, aber auch die Zeitlichkeit von Politik betreffend.' Wenngleich Arendt an einer Stelle zwar betont, dass dem Lebensprozes entnommene Metaphern soziopolitische Phänomene »niemals adäquat er fassen« (Arendt 1970, 82) können, so spielt doch die der Geburt eine zentral! und wiederkehrende Rolle in ihrem politischen Denken. Die Befahiguni zum Handeln ist es, die den Menschen zu einem politischen Wesen mach und, so Arendt, »philosophisch gesprochen ist Handeln die Antwort de Menschen auf das Geborenwerden« (ebd., 81). Politik und politisches Han dein werden als zweite Geburt explizit mit dem Geborenwerden, der Natalia eines jeden Menschen verknüpft und somit an das Geburts-Ereignis gekop pelt (vgl. z.B. Arendt 2008,215). Im Gegensatz zum rein reaktiven Verhalter ist es in Arendts Deutung das Handeln, das das radikal Neue ermöglich und in die Welt bringt. Insofern ist es konsequent, dass Arendt dieses ni einem radikal innovierenden Zug versehene Verständnis des Handelns dem wohl »innovierendsten« politischen Phänomen kurzschließt, das di( neuzeitliche politische Sprache kennt: der Revolution. Revolutionen, st schreibt sie in Ober die Revolution, sind »die einzigen politischen Ereignisu [...], die uns inmitten der Geschichte direkt und unausweichlich mit einer Neubeginn konfrontieren« (Arendt 2000, 23; siehe dort auch 24.). »Im Phi nomen der Revolution«, so hat Oliver Marchart deshalb einmal formuliert »verwirklicht sich fair Arendt] die existenziale bzw. transzendentale Be. stimmung der Natalität und damit des Anfangenkönnens — im Bereich des Historisch-Politischen.« (Marchart 2005b, 63; ähnlich auch Straßenberge 2015, 64 1.) Die Verwendung der Geburtssemantik und die Kopplung mit dem Er. eignis der Revolution ist ideengeschichtlich betrachtet weder ungewöhnlich noch abwegig und erlaubt auch weitergehende interne Differenzierungen: etwa mit Blick auf den Vorgang selbst — es gibt »einfache« oder »schwere, Geburten — oder auf dessen Dauer — es gibt >schnelle< und sich »lange hinziehende« Geburten. Arendt selbst hat in Abgrenzung zu bloßen Rebellionen in zeitlicher Hinsicht auf die Zweiphasigkeit von Revolutionen hingewiesen, die sich in den aufeinanderfolgenden Akten der Befreiung, dem Abschütteln
10 Air eine hervorragende Darstellung des Stellenwerts von Metaphern bei Arendt:1'rimgev (2018, Kap. 6).
EINE JURISTISCHE APOLITIZITATSERKLÄRUNG
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221
von Herrschaft, und der Gründung der Freiheit, das heißt der Institutionengebung, manifestiert. So bedeutsam dieser Hinweis in analytischer und politischer Hinsicht auch ist, so geht doch mit dem Gebrauch der Geburtsmetaphorik in Arendts Fassung eine zeitliche Verengung auf einen ereignishaften Bruchmoment und das »Nach« eines Sturzes einer politischen Autorität einher (vgl. Arendt 2000, 184 E, 41 f.).11 Wenn Politik — wie es in Ober die Revolution über weite Strecken der Fall ist — derart eng an ein — wenn auch zweiphasig gedachtes — Revolutionsereignis gekoppelt wird, so können dem Revolutionsgeschehen vorausgehende Handlungsformen nicht als politisch erfasstwerden.il Umsturz und Gründung werden demnach politiktheoretisch privilegiert, wohingegen das »Vor« der Revolution vernachlässigt bzw. sogar analytisch aus dem Bereich der Politik ausgegrenzt wird. Politik, verstanden als Geburtsereignis, beginnt erst mit der Befreiung, die Arendt negativ-freiheitlich und damit als von der »Freiheit als einem positiven Lebensmodus« (ebd., 39) unterschieden begreift. Der Geburtsmetaphorik und der damit einhergehenden Privilegierung eines ereignishaften Bruchmoments einer Revolution korrespondiert auch Arendts Beschwörung der Spontaneität menschlichen Handelns, die sie im Revolutionsbuch dazu veranlasst, revolutionäre Akte als »gleichsam aus dem Nirgendwo« (ebd., 265) erscheinend auszuweisen. Verschiedentlich wird auch eine Deutung politischen Handelns als Wunder-Tun aufgerufen (vgl. z.B. ebd., 184). Nun ist Arendt gewiss nicht wundergläubig, aber durch 11 Eine solch analytische Unterscheidung von »verschiedenen Stadien des revolutionären Prozesses. (Arendt 2000, 184) unternimmt bereits Pjotr Kropotkin mit den Bezeichnungen bloße Insurrektion bzw. Arbeit nach der Revolution. Anders als bei Arendt spielt fir Kropotkin in transformationstheoretischer Hinsicht aber gerade auch das Vor der Revolution eine entscheidende Rolle (vgl. Kropotkin 1973,88 f.). 12 Hieran tritt das eingangs angesprochene »Zurechtmachen. von Positionen deutlich zutage, denn eine die Gleichsetzung von Politik und Revolution postulierende Lesart Arendts ist ohne Frage nicht alternativlos. Marchart (2005b, S. 134 f.) etwa unterbreitet eine »entdramatisierende. Lesart, die in Arendts Skizzen einer ritefärmig organisierten fbderalen Republik geradezu das Ergebnis einer Dekonstruktion des *emphatisch revolutionären Augenblicks. erkennt. David Watkins (2016) liefert in seinem äußerst anregenden Aufsarz über die Maroon Societies entflohener Sklaven in den USA gar eine arendtianische Interpretation dieser als Exodus-Politik bezeichenbaren Praktik — und damit einer Form von Politik, die dem klassischen Revolutionsverständnis diametral entgegen zu stehen scheint. Ferner ist natürlich auch auf Arendt selbst zu verweisen, die in ihrer Diskussion des zivilen Ungehorsams den Akt der Revolution gewissermaßen »veralltäglicht. (vgl. Arendt 1986; Bernstein 2010,127) oder im Revolutionsbuch (z.B. Arendt 2000,154) die »einübende. Wirkung der Townhall Meetings hervorhebt. Neben all dem gibt es aber eben stets auch die Arendt, die Politik, Geburt und Revolution eng verkoppelt.
22.2
EINE JURISTISCHE APOLITIZITÄTSERKLÄRUNG
ihren spezifischen Metapherngebrauch und indem sie das Phänomen der Revolution derart exzeptionell auflädt — der »Lauf der Welt« wird unterbrochen, »etwas ganz Neues« zeige sich und eine »neue Geschichte« (ebd., 24) hebe an —, beraubt sie sich zumindest in begrifflicher Hinsicht in entscheidender Weise der Möglichkeit, eine Verbindung zwischen dem Vor und Nach einer Revolution zu denken bzw. Vorgänge vor dem ereignishaften Moment als politisch zu erfassen. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch Arendts in Macht und Gewalt geäußertes Postulat, dass »Revolutionen nicht >gemacht( [werden] und am wenigsten durch eine lernbare Prozedur« (Arendt 1970, 49). Arendt verwehrt sich damit zwar an dieser Smile — völlig zu Recht — der Vorstellung, dass Revolutionen einem vorab feststehenden und erlernbaren Ablaufplan folgen, mithin rein technische Vorgänge seien, verwirft dadurch zugleich aber auch jede Möglichkeit der Wahrnehmung von transforrnatorischer 'Vorbereitung< oder »Einübung« als politisch. Mir geht es wohlgemerkt also nicht um den immer wieder gegen Arendt vorgebrachten, dadurch aber nicht richtiger werdenden Einwand, dass ihre »theoretische Privilegierung des revolutionären Urknalls« eine Abwertung der nach-revolutionären, institutionellen Dimension impliziere.'3 Mein Vorbehalt besteht vielmehr darin, dass Arendt ihrem Nachdenken über Revolutionen als politische Akte schlechthin — bzw. ihrem Nachdenken über Politik als schlechthin revolutionär — eine verkürzte Zeitlichkeitsannahme zugrunde legt, die es verhindert, auch dem Revolutionsereignis vorangehende, dabei gleichwohl aber möglicherweise revolutionsbezogene oder vielleicht sogar auch ihrerseits revolutionäre, Praktiken als politisch in den Blick zu bekommen mithin also nur Elemente, nicht aber die Ursprünge von Revolutionen politisch bzw. politiktheoretisch zu thematisieren in der Lage ist. Diese verkürzte Zeitlichkeitsannahme gründet meines Erachtens in Arendts Indienstnahme der Geburtsmetaphorik bzw. einem dabei zugrunde gelegten verkürzten Modell von Geburt. Als verkürzt hat es insofern zu gelten, als es deren Voraussetzungen nicht mitdenkt. Wie erwähnt, weist Arendt zwar selbst auf die Gefahr unzulänglicher Abbildungseffekte beim Gebrauch von Metaphern hin, aber — so ließe sich etwas spitz formulieren — bei einer derart herausgehobenen Stellung, die der Geburtsmetapher in ihrem politischen Denken zukommt, wire durchaus zu berücksichtigen gewesen, dass wir es in aller Regel nicht — weder im Bereich der biologischen Reproduktion 13 Diesen Vorwurf erhebt beispielsweise Helmut Dubiel (1994, 52). Vgl. dagegen die hervorragende Studie zu Arendts Institutionenverständnis von Jurgen Förster (2009).
EINE JURISTISCHE APOLITIZITÄTSERKLÄRUNG
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noch dem der Politik — mit biblischen qungfrauengeburten« zu tun haben. Das ist natürlich auch Arendt klar und so geht es mir zuvorderst nur um den Hinweis, dass ihre womöglich nicht bis zum Ende durchdachte Metaphernwahl gewisse problematische Implikationen mit sich bringt bzw. das Wesen von Politik betreffende problematische Schlüsse evoziert. Kurzum: Insoweit Arendt Politik und politisches Handeln derart eng an ein verkürzt gedachtes Geburtsereignis koppelt, ist es ihr zumindest begrifflich-konzeptuell nicht möglich, das Geschehen vor einer Revolution als politisches Geschehen zu begreifen.
6.2 Won diesem scheinbar so Geringen...< — Mit Buber
Transformation von der Zeugung her denken Einen flit. diese Belange sensibleren Ansatz findet man bei Martin Buber, einem Zeitgenossen Arendts, der uns zuvor bereits im Rahmen der Ideengeschichte einer präfigurativen Politik avant ha lettre begegnet ist. Arendt, die Buber zwar kannte, aber nicht durchweg mit Sympathie begegnete,m beschäftigte sich meines Wissens nie substantiell mit der Tradition des »utopischen Sozialismus«, dessen Ideengeschichte und kritische Verteidigung, insbesondere gegen marxistische Verächtlichmachungen, Bubers oben verschiedentlich aufgerufenes Werk Pfade in Utopia gewidmet ist (vgl. Buber 1950).15 Hatten Marx und Engels unter diesem Etikett die Überlegungen und Praxismodelle Saint Simons, Charles Fouriers, Robert Owens und Etienne Cabets vor Augen, so bezieht Buber auch die dem anarchistischen Kontext zuzurechnenden Autoren Pierre Proudhon, Pjotr Kropotkin und vor allem Gustav Landauer in seine Analyse mit ein. Dabei lässt Buber ein Politik- und Transformationsmodell aufscheinen, das seinen Ausgang ebenfalls von einer Metapher nimmt, wenngleich er sie nur an dieser einen Stelle gebraucht. Buber schreibt:
dazu etwa die einschlägigen Passagen im Briefwechsel von Hannah Arendt und Kurt Blumfeld: Arendt; Slumfeld (1995, 83,191, 206). 15 Arendt streift das Thema in Ober die Revolution nur einmal, nennt Proudhon und Bakwain als Hauptprotagonisten und kanzelt den »im wesentlichen anarchistisch orientierten« Diskurs als »heute leicht überschätzt« ab. Siehe dazu Arendt (2000,335). An anderer Stelle lobt sie Marx dalilt, den Sozialismus vom Moralismus der utopischen Sozialisten befreit zu haben; vgl. Arendt (2002a, 309). 14 Siehe
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EINE 1URISTISCHE APOLITIZITÄTSERKLÄRUNG
»Kropotldn verkennt, wie Bakunin, die grundlegende Tatsache, daß IA die Revolution keine schaffende, sondern lediglich auslösende, freimachende und machtverleihende Krah hat, d.h., daß sie nur das vollenden, nur das frei, mächtig und vollständig machen kann, was sich bereits im Schoße der vorrevolutionären Gesellschaft vorgebildet hat, daß, auf das soziale Werden betrachtet, die Stunde der Revolution nicht die Stunde der Zeugung, sondern eine der Geburt ist, - wenn eine Zeugung voranging (Buber 1950,79; Hervorh.: PS)
Die Kritik an Bakunin und Kropotkin soll hier nicht weiter interessieren. Entscheidend ist vielmehr der letzte Halbsatz: Bubers ebenfalls metaphorisch grundierte Darstellung impliziert offensichtlich eine deutliche Erweiterung der Zeitlichkeit von Transformation. Zwar bringt auch er Revolution mit Geburt in Verbindung und verweist wie Arendt auf deren zwei Bestandteile — den freimachenden und den schaffenden —, lässt das Schaffende aber anders als Arendt nicht erst im Moment nach der Befreiung ansetzen, sondern lenkt den Blick auch auf die der Geburt vorausgehende Zeugung und damit auch den Zeitraum zwischen Zeugung und Geburt. Dahinter steckt nicht zuletzt auch die in anarchistischen Kontexten immer wieder propagierte Priorisierung der sozialen gegenüber einer bloß politischen Revolution, die lediglich auf den Austausch politischer Führungsämter ziele, anstatt eine tiefreichende Umstrukturierung des Sozialen anzustreben. Mit der sozialrevolutionären Perspektive geht, wenig verwunderlich, auch die Annahme eines langwierigeren und gerade auch schon vor der Übernahme politischer Machtpositionen einsetzenden Transformationsprozesses einher.'6 In Anlehnung an eine gramscianische Terminologie wire eher von einem Stellungskrieg- denn von einem Bewegungskriegsmodell der Transformation sprechen. Tiefreichender ist eine solche Transformation nicht zuletzt auch in der Hinsicht, dass dabei auch die in der Regel nicht als politisch klassifizierten Bereiche — insbesondere auch die hier interessierenden reproduktiven Tätigkeitsfelder — zum Gegenstand praktischen Umbaus gemacht werden."
16 Vgl. exemplarisch Berkman (1999, 50, 53) sowie aus zeitgenössischer Perspektive Loick (20I7b, 198-211, insb. 199 f.) Aber auch Arendt geht es mit dem Begriff der Revolution wohlgemerkt um tiefgehende Umstrukturie run ge n, die sie von *Staatsstreiche [n) und Palastrevolutionen» abgrenzt, welche *sich auf den engsten Bereich der gerade Herrschenden beschrink(enl und das Leben des Volkes kaum berahrlenl* (Arendt 2000,41). 17 Diesem weiten Verständnis sozialrevolutionärer Aktivität korrespondiert die von Daniel Loick identifizierte Dimension des Anarchismus als Lebensfirm, worunter er Versuche fasst, »anarchistische Ideen wie die der gegenseitigen Hilfe, der Solidarität und der Selbstorganisation bereits innerhalb der bestehenden Gesellschaft praktisch werden zu lassen* (Loick 20176,13, auch: 36-47).
EINE JURISTISCHE APOLITIZITÄTSERKLÄRUNG
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Es ist offensichtlich, dass man mehr, andersartige und auch anderweirig verortete Praktiken sehr wohl als politische, auf Transformation zielende Praktiken in den Blick bekommen kann, wenn man Politik und Transformation nicht nur an den momenthaften Akt der Geburt koppelt, sondern von der Zeugung her denkt. Es sind dann nicht nur die im Moment des großen Bruchs, sich auf einer hervorgehobenen historischen Bühne ereignenden und unmittelbar antagonistischen Praktiken, die als politisch betrachtetwerden müssen bzw. können, sondern mitunter auch eher unscheinbare, nicht die direkte Konfrontation suchende Formen des Tätigseins. Es kommen damit auch all jene experimentierend-vorbereitenden, prifigurativen Praktiken in den Blick, die in mal mehr, mal weniger großem Abstand zur Gesellschaft und dem Staatsapparat andere, »gegenlculturelle, Lebensweisen erproben und vorleben. Für Martin Buber ist ein derartiges Vor-Leben und Erproben von essentieller Bedeutung fir eine gelingende Transformation: »Von diesem scheinbar so Geringen, davon, ob es entsteht oder nicht, hängt es in wesentlichem Maße ab, ob die Revolution etwas vorfinden wird, dem sie Raum und Macht zu erkämpfen hat — und das zu schaffen die revolutionäre Stunde selber unfdhig wäre« (Buber 1950, 96). Es sind die »Zeugungsakte« einer neuen Gesellschaft und die Phase des embryonalen Heranwachsens, ohne die das Geburtsereignis gar nicht sinnvoll gedacht werden könne. Wie oben ausführlich dargestellt, sind fir Gustav Landauer, der Zentralfigur dieses von Buber skizzierten transformationstheoretischen Diskursstrangs, grob gesagt zwei miteinander verknüpfte Grande ausschlaggebend, die solch präfiguratives Handeln als bedeutsam erscheinen lassen und auch auf deren Politizität verweisen. Zum einen ist es die aus seinem relationalen Machtverständnis resultierende Annahme destituierender Effekte gegenüber den herrschenden Institutionen und Strukturen infolge eines Entzugs aus deren Wirkungsbereich.'8 Zum anderen misst Landauer der Antizipation an sich einen politischen Wert bei, weil mit ihr die Transformation bzw. die Nachhaltigkeit von die Transformation begünstigenden Effekten einhergehen können, insofern Antizipationsprojekte sowohl vorbildhaft wirken und auch zur Formierung post-revolutionärer Subjekte beitragen.n Arendt kommt dem Gedanken einer antizipatorischen, nicht zuletzt auf die Einübung freiheitlicher Praxis zielenden Funktion von vorrevolutio-
18 Vgl. u.a. Landauer (2010, 123). Ausführlicher dazu MArnken (201S) und oben 1Cap. 4.2.1. 19 Vgl. u.a. Landauer (2010, 126) sowie oben Kap. 4.2.1.
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EINE JURISTISCHE APOLITIZITÄTSERKLÄRUNG
nä.rem Handeln mitunter durchau.s nahe: So erkennt sie in den Sektionen der Pariser Kommune von 1789 die »Keime 1...] einer neuen politischen Organisationsform« (Arendt 2000, 313; dort auch 328, 336) oder in den Räten und Sowjets der nachfolgenden europäischen Revolutionen die »Keimzellen fiir eine grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft« (ebd., 330), die eine künftige, wenngleich letztlich nie realisierte Staatsform vorweggenommen und die praktische Einübung freiheitlichen Handelns und fdderaler Organisation ermöglicht hätten (vgl. ebd., 320, 315 f.).2° Und doch gewinnt letztlich die spontaneistische, nur den Moment des Umbruchs, nicht aber eine ein weiteres Zeitkontinuum berücksichtigende Deutung die Oberhand: Die Rite entstehen erst »mitten in den Wirren der Revolution« (ebd., 320), es seien »spontan gebildete Volksorgane« (ebd.), die ohne Wissen der Akteure um historische Vorläufer quasi-automatisch aus dem Nichts entstehen (vgl. ebd., 336, 328). Insofern kann Arendt über die Ursprünge von Revolutionen auch nicht viel sagen und verweist lediglich auf »sehr plötzlich einsetzende Desintegrationen der alten Regime« (ebd., 328). Wenngleich Revolutionen sicherlich nicht rein technisch herbeigeführt werden können und stets eine komplexe Gemengelage an Faktoren far ihren Ausbruch ausschlaggebend ist, so kann der Vorarbeit durchaus eine bedeutsame politische Rolle zukommen und das nicht nur mit Blick auf den Sturz des bestehenden Regimes, sondern gerade auch hinsichtlich der Verfasstheit der postrevolutionären Gesellschaft. Eben diese, in einem bestimmten Sinne verstandene Vorarbeit ist es, die im von Buber rekonstruierten Strang und insbesondere bei Landauer eine entschiedene Aufwertung erfährt. Für Arendt könnten derartige, die Vorbereitung und auch die subjektive Einübung betreffende Überlegungen durchaus von Interesse sein, treibt sie doch in Ober die Revolution eine Sorge um, die in ganz ähnlicher Weise auch Marx in seinen Reflexionen über die Geschehnisse in Frankreich nach der Februarrevolution von 1848, insbesondere über den Staatsstreich Napoleons III. 1851, zum Ausdruck brachte und die für alle auf »Freiheit« zielenden, emanzipatorisch gesinnten politischen Bewegungen von bleibender Bedeutung sein dürfte. In seiner Schrift Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte hilt Marx in der bekannten Passage gleich zu Beginn fest:
20 Arendt ist in diesem Zusammenhang metaphorologisch und begrifflich nicht ganz konsequent: Sie spricht von .Organen einer Republik, die nie geboren werden sollte. (Arendt 2000,316). Wer-
den die Me an dieser Stelle also als vorgeburtlich eingeordnet, so heißt es an anderer Stelle, sie seien die »aus der Revolution geborenea Staatsform. (Arendt 1970, 25).
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EINE JURISTISCHE APOLITIZITÄTSERKLÄRUNG
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aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp ad dem Gehirne der Lebenden. sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch chtDagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwön sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen amen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser borgten Sprache die neuen Weltgeschichtsszene aufzufiihren.4 (Marx 1852, 115)
rid wenn
ngesichts der Herausforderungen der Schaffung des Neuen, so Marx, emächtige sich ob der zu füllenden Leere eine Art angstgetriebener »Wieerholungszwang« der Akteure, die dadurch das Vergangene, eigentlich L zu Überwindende wieder ins Neue einpflanzen.2' Anstatt Herrschaft zu berwinden, so die Beobachtung, sei nur eine anders geartete oder bena.nn!Form der Herrschaft etabliert worden. Genau das beobachtet auch Arendt: Nichts scheint für eine geschichtliche Betrachtung selbstverständlicher, daß Art und Gang einer Revolution von dem Regime bestimmt sind, dem e ein Ende bereitet [...] Die großen revolutionären Ereignisse in Europa scheinen einleuchtend zu demonstrieren, dass absolute Monarchien m despotischen Diktaturen abgelöst werden« (Arendt 2000, 203, 205). lie revolutionären Bemühungen seien allesamt gekennzeichnet von der so verderbliche[n] Nachahmung des Vergangenen« (ebd., 335).22 Wahrend rendt sich nicht weiter dazu verhält (bzw. die Problematik nur als postevolutionär bearbeitbar erachtet), hat Marx zur Lösung der Problematik ur die etwas kryptische Feststellung zu bieten, dass die »Revolutionen es neunzehnten Jahrhunderts E...1 ihre Poesie nicht aus der Vergangenheit :höpfen [könnten], sondern nur aus der Zukunft« (Marx 1852,117). Dass Marx dazu nicht mehr einfillt, so ein von Buber in Pfade in Utopia rhobener Vorwurf, gründe genau in seinem eine radikale Ruptur proagierenden, sich nur fur den Moment des Umbruchs interessierenden evolutionsverständnis sowie der damit einhergehenden Verkennung der 21 Siehe dazu auch Loick (i.E.). 22Arendt kommt Marx damit bis in die Formulierungen hinein ziemlich nahe. Bei ihrem Verweis aufdie Versuche einiger Protagonisten der Pariser Commune von 1871, die Monatsnamen des Revolutionskalenders von 1790 wiederzubeleben, bedient auch sie sich der Interpretation als theatralischer Reinszenierung. Allerdings verweist sie ohne konkrete Angabe auf Alexis de Tocquevilles Beschreibung der 1848er-Februarereignisse, welche ja auch Marx zum Anlass seiner Überlegungen nahm. Dabei dürfte es sich um Tocquevilles Erinnerungen handeln (vgl. Tocqueville 1954, dort vermutlich 95 f.). In der 1850/S1 abgefassten, auf Verffigung de Tocquevilles erst 1893 veröffentlichten Schrift wirft dieser den Protagonisten der Februarrevolution vor, bloße Reinszenierungsversuche der Französischen Revolution von 1789 zu betreiben, anstatt sie in einem freiheitlichen Sinne fortzuführen.
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transformatorischen Potenziale des kritisierten utopischen Sozialismus.0 Wie zu einem früheren Zeitpunkt in ganz ähnlicher Weise schon Eduard Bernstein, erhebt Buber seinerseits einen Utopievorwurf gegen Marx: »Die Utopie der sogenannten Utopisten ist vorrevolutionär, die marxistische ist nachrevolutionär« (Buber 1950, 25).24 Der Marxsche Utopismus bestehe darin, dass er sich im Vertrauen auf Geschichtsgesetze in der Hoffnung wiege, »nach der Revolution warden sich die richtigen Verhältnisse wie von selbst einstellen« (von Redecker 2014, 98), wohingegen der utopische Sozialismus Landauerscher Prägung gerade die vorbereitende und einübende Praxis in den Vordergrund rückt. Wenngleich Arendt an einer Stelle eine durchaus an Landauer anschlussfähige Kritik an Marx' verkürzt-verkennendem Staatsverständnis übt, das ihn Revolution als bloße Machtergreifung im Sinne der Übernahme des Gewaltmonopols begreifen lasse,23 kann ihr aus den oben genannten Gründen eines verkürzt gedachten Revolutionsgeschehens und der damit einhergehenden Ausblendung der vorrevolutionären Bedingungen einer (gelingenden) Revolution im Grunde der selbe Vorwurf gemacht werden. Wenn sie das »Versagen des nachrevolutionären Denkens« (Arendt 2000, 298) anprangert und beklagt, die Protagonisten der russischen wie auch der französischen Revolution seien den *revolutionären Ereignissen nicht gewachsen« (ebd., 232) gewesen, so könnte dies durchaus damit zusammenhängen, dass ihnen ein entsprechendes Handlungswissen, aber auch die charakterlich-subjektive Vorbereitung fehlte. Von Arendt sind zwar keine verächtlichen Äußerungen über derart vorbereitende Praktiken bekannt, wie jene von Marx und Engels gegenüber den Frühsozialisten geäußerten, aber durch ihre zeitlich enge Passung des politischen Handelns
23 Die folgenden Überlegungen wie auch der Beitrag im Ganzen verdanken einem hervorragenden
Aufsatz Eva von Redeckers viel. Vgl. von Radecker (2014). 24 Für Eduard Bernsteins Kritik: Bernstein (1896/1897, 165). 25 Siehe dazu Arendt (2000, 328 f.) Arendt wirft Marx dort auch vor, nur kurz nach seiner Begeisterung fir die Graswurzelorganisation der Commune von 1871 wieder auf sein autoritäres Topdown-Modell zurückgeschwenkt zu sein. Nur zwei Jahre später habe er wieder die Diktatur des Proletariats propagiert. Wie Urs Marti (1992, 525, Fn. 42) aufzeigt, liegt Arendt hiermit falsch: nicht zwei Jahre nach, sondern zwanzig Jahre vor der Pariser Commune entstand der Text, auf den Arendt sich bezieht. Ganz so einfach machen es einem Marx und Engels freilich sowieso nicht: 1866 erkennt Marx »die Kollektivbewegung als eine der Triebkräfte zur Umwandlung der gegenwärtigen Gesellschaft» (Marx 1867, 195) an und auch Engels gesteht den Projekten Robert Owens 1880 zu, ein »erster Schritt zu einer weit radikaleren Umgestaltung der Gesellschaft» (Engels 1880, 200) gewesen zu sein. Der von Saber attackierte Marx ist insofern ebenfalls nur ein zurechtgemachter Strohmann. Siehe dazu den Exkurs in Kap. 4.
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verunmöglicht sie eine politiktheoretische Reflexion der Bedeutsamkeit solcher Praktiken. Der Buber-Landauersche Zugang, der von der Zeugung her denkt, kann dagegen den Blick auch auf den Zeitraum zwischen Zeugung und Geburt richten und dadurch auch solch vorbereitende Praktiken politikund transformationstheoretisch reflektieren bzw. als politische Handlungen begreifbar machen — auch wenn diese nicht unmittelbar konfrontativ, in direkter Auseinandersetzung mit opponierenden Akteuren und auf einer hervorgehobenen »Bühne« stattfinden, also so, wie Revolutionen häufig imaginiert wurden und werden.26
6.3 Nicht stumm! Prifigurative Politik als Praxis, die fir sich
selbst spricht Mit dem Hinweis auf die Bane ist ein weiterer Aspekt aufgerufen, der Arendts Politikverständnis eigen ist und eine Erfassung präfigurativer Praktiken als politisch zusätzlich erschwert. Auch dieser Aspekt kann mit dem Gebrauch der Geburtsmetaphorik sowie dem damit zusammenhängenden Zeitlichkeitsverständnis von Politik in Verbindung gebracht werden, denn deren Gebrauch bringt nicht nur ein bestimmtes — verkürzendes — Zeitkontinuum Etr die Analyse und Bewertung von Politik und Transformation mit sich, sondern es gehen auch die Sicht- und Hörbarkeit von Politik betreffenden Annahmen damit einher. So wie mit dem Geburtsakt etwas Sichtund Greifbares in die Welt gelangt, so räumt auch Arendt im Zuge ihrer phänomenologischen Kopplung von Politik und Geburt dem Erscheinen und der Sichtbarkeit eine herausragende Bedeutung als Charakteristikum politischen Handelns ein. Paradigmatisch kommt dies in ihren oft auch von Theatermetaphern geprägten Schriften mit der Rede vom >Betreten einer Bühne immer wieder zum Ausdruck (siehe z.B. Arendt 2008, 219, 233 f.). Während eine solche Perspektive geneigt ist, im Verborgenen ablaufende
26 In diesem Kontext ist auf eine Differenz zwischen Buber und Landauer hinzuweisen. %Wahrend Buber Transformation konventionell in einem zeitlichen Davor-Danach-Modell denkt, so transformiert Landauer den Transforrnationsbegriffselbst. Prifigurationsprolekte sind for ihn bereits der Wandel selbst und bereiten diesen nicht nur vor. Eva von Redecker (2014,103) spricht infolgedessen von einer Oberwindung der .Dissoziation von Gegenwart und Zukunft. durch Landauer und zieht vermutlich auch deshalb den Begriff des Exodus zur Charakterisierung der Transformationsüberlegungen gegenüber dem der Prifiguration vor.
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Praktiken als per se unpolitisch abzutun - ein Vorwurf, der in ähnlicher Weise auch gegen Jacques Rancire erhoben wurde (so z.B. Wilcke/Lambert 2015) —, so stellt dieses Charakteristikum an sich noch kein Problem fir die Analyse und Bewertung präfigurativer Praktiken dar, insofern die darunter rubrizierten Handlungen in der Regel durchaus gesehen und wahrgenommen werden wollen." Die arendtsche Auffassung der Öffentlichkeit und des sich auf dieser Bühne abspielenden Handelns ist jedoch zudem eng an eine Vorstellung des Wettstreits im Sinne einer interaktiv-konfrontativen und verbalsprachlich-argumentativen Auseinandersetzung gekoppelt. Charakterologisch wird dieses Politikverständnis fiir Arendt durch die Figur des >rebellischen Paria< verkörpert, der »handelnd auf die Bühne der Politik tritt« (Arendt 1976, 57) und in die Menschenwelt eingreift. Mit Arendt könnte man von der Sorge um die Welt als Movens sprechen. Davon grenzt Arendt den Charaktertypen des >gesellschaftlichen Paria< ab, der sich - so er sich angesichts widriger Weltverhältnisse nicht individualistisch in Natur- oder ästhetische Erfahrungen flüchte - mit Gleichgesinnten an einen Ort »außerhalb der Gesellschaft« (ebd., 47) zu begeben versuche, in ein vermeintliches - »Jenseits von Herrschaft und Knechtschaft« (ebd., 52). Anders als der von der Sorge um die Welt getriebene rebellische Paria motiviere den gesellschaftlichen Paria in foucaultschen Worten die bloße Sorge um sich: er habe keinen Willen mehr, »etwas in dieser Welt auszurichten« (ebd., 70) und lediglich den Wunsch, »wenigstens in einer noch so kleinen und verlorenen Ecke der Welt ein Bewußtsein von Freiheit und Menschlichkeit aufrecht [zu) erhalten« (ebd., 72). Arendts Urteil hinsichtlich der Politizität eines solchen Vorgehens ist vernichtend: es sei von »politischer Wesenlosigkeit« (ebd., 53) gekennzeichnet, ergo unpolitisch, von einer »Affinität zum Utopismus« (ebd., 52) geprägt und politisch wirkungslos. Für die vorliegende Untersuchung ist das insofern von Relevanz, als prä.figurative Praktiken ja durchaus als Akte des Entziehens, als »nicht am üblichen Betriebsgeschehen mitspielend« verstanden werden können - und somit eher eine *gesellschaftliche« denn eine »rebellische« Paria-Praxis darzustellen scheinen. Gerade deshalb werden sie zu Recht ja immer wieder auch als eine Exodus-
27 Das entspricht dem von mir in den Kap. 2 und 3 hervorgehobenen Zug der Weitzugewandtheit. Eine gegenläufige Einschätzung propagierte hingegen das Unsichtbare Komitee in seinem 2010 auf Deutsch erschienenen Pamphlet Der kommende Aufttand: »Die Sichtbarkeit ist zu fliehen. Das würde ich als weltabgewandte Form des Exodus klassifizieren; zudem ist zu bezweifeln, ob die Autor"innen überhaupt ernsthaft einen präfigurativen Anspruch erheben wollen.
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EINE JURISTISCHE APOLITIZITÄTSERKLÄRUNG
231
raktik (z.B. Lorey 2012a; von Redecker 2014) bezeichnet, wenngleich dabei ich, meinen obigen Ausfiihrungen folgend, eine weitere Differenzierung igebracht wäre. Arendt echot mit ihrer Einordnung und Bewertung in mancher Hinsicht nd zum Teil bis in die Wortwahl hinein die Kritik Marx' und Engels' am rühsozialismus und nimmt gleichsam auch die viel später und ebenfalls kritischer Absicht von Chantal Mouffe vorgetragene Gegenüberstellung in Exodus und Stellungskrieg vorweg.28 In Teilen ist Arendts — wie auch louffes — Kritik unter Gesichtspunkten der Politizität und der politischen rirksamkeit durchaus berechtigt, aber Arendt —wie auch Mouffe — verkennt wines Erachtens, dass entziehende, nicht die unmittelbare Konfrontation ichende Praktiken nicht per se eskapistisch und apolitisch sind, sondern urchaus einen politischen Wirkungsanspruch erheben können, wenn auch men anders gearteten, als das in einer als klassisches Oppositionsverhältnis u bezeichnenden Handlungsform der Fall sein mag. Eben dabei handelt es ich um die oben terminologisch als weltzugewandt bestimmte prä.figurative zw. Exodus-Politik. Prä.figurative Politik ereignet sich zwar nicht oder nicht vorrangig im rerborgenen, aber auch nicht in dem Sinne und nach den Regeln im Licht er Öffentlichkeit, wie es Arendts Politikverständnis als charakteristisch estimmt. Hier kann ein weiteres — und letztes — Mal Bezug auf die von xendt bemühte Metapher der Geburt genommen werden. Denn so wie as Neugeborene sich zuallererst mit einem Schrei vernehmbar macht, ich artikuliert, so sind fur Arendt auch nur solche Handlungen politisch, le akustisch vernehmbar sind. Immer wieder erfolgt bei ihr der Aufweis is A- oder gar Antipolitischen über das Stummsein — sei es im Fall der ;ewalt oder auch (der Stimme) des Gewissens.28 Für eine Wahrnehmung iräfigurativer Praktiken (als politisch) hat das Konsequenzen, denn auch in ler Phase zwischen Zeugung and Geburt ist akustisch im Grunde nichts zu emehmen. Aus arendtscher Perspektive könnte man von einer stummen 'hase sprechen und stumm sind somit auch jene Praktiken, die sich nicht uf der Bühne ereignen, sich dem interaktiven Bühnengeschehen entzie28 Beide Kritiken wurden weiter oben bereits verhandelt. Für Marx und Engels siehe Kap. 4.2./Exkurs, für Mouffe Kap. 3. 29 Siehe mit Blick auf Gewalt Arendt (2000.20; 1970,64; 2008,252; 2002b, 340). Bzgl. des Gewissens siehe Arendt (1986, 126 f.). Dass >stumme Ausdruckslosigkeit< auch nur eine Zuschreibung der »Siegera sein kann, zeigt Jacques Ranciere (2013) eindrucksvoll mit seiner Dokumentation proletarisch-politischer Schriftstellerei in Frankreich zwischen 1830 und 1850.
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hen. Sie suchen nicht das Gespräch, bleiben vermeintlich sprachlos. So wie Arendt aber verkennt, dass es neben voice und exit, neben der eingreifenden Praxis des rebellischen Paria und der eskapistisch-entziehenden Strategie des gesellschaftlichen Paria noch etwas Drittes geben kann, was man mit Paolo Virno als >offensiven Entzug< bezeichnen könnte (vgl. Vim° 2010b, 50 und oben Kap. 3), so verkennt sie auch die Bandbreite dessen, was als »politisches Sprechen« überhaupt in Betracht gezogen werden kann. In instruktiver Weise hat Judith Butler unlängst vermerkt, dass »wenn ein Körper im politischen Sinn >sprichtRückabwicIdung< durch Landflucht fir illusorisch und derartige Versuche air vergebliche Liebesmüh. In ihnen erkennt er eine Entsprechung zu einem interessanten Fall frühindustriellen Protests, den Maschinenstilrmern: .[Els wäre romantisch und utopisch, die Städte zerschlagen zu wollen, wie es einst romantisch und utopisch war, die Maschinen zerschlagen zu wollen; aber es ist konstruktiv und topisch, die Städte im engen Zusammenhang mit der technischen Entwicklung organisch aufzugliedern und in Aggregate kleinerer Einheiten zu verwandeln.« (Buber 1947,28)
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bindung zu bringen, erscheint zunächst vielleicht unplausibel." Insofern das Prä.figurationskonzept zuletzt nahezu ausschließlich in horizontalistischen und antiinstitutionalistischen Kontexten geprägt wurde und solchermaßen gedeutet auch in die akademische Theoriebildung Eingang fand, bedarf die Etablierung eines Konzepts »munizipalistischer Präfiguration« als analytisches Deutungsmuster für eine Transformationsstrategie einer gewissen Modifikation. Um den munizipalistischen Projekten als präfigurative Politik analytisch gerecht werden zu können, bedeutet dies zuvorderst die Anerkennung einer Ausweitung des als >legitim< erachteten transformationspolitischen Terrains der Präfiguration, womit vor allem das Verhältnis zu (repräsentativen) Institutionen und dem Staat angesprochen ist. Die munizipalistische Bewegung lässt in vielen Fällen den fir das »horizontalistische Lager« charakteristischen, institutionenaversen Andrepäsentationalismus hinter sich und widmet sich theoretisch wie praktisch der Frage nach anderen, besseren Formen der Repräsentation, anstatt diese rundheraus zu desavouieren. Damit wird die Idee der Präfiguration auch in die Institutionen getragen.14 Noch vor der Ebene spezifischer policies kommen damit die kommunalen Institutionen selbst als Orte (transformatorischer) präfigurativer Praxis in den Blick, die demzufolge gerade nicht per se — wie anarchistisch-antiinstitutionell geprägte Autor*innen und Aktiviseinnen" einwenden könnten — nur als hierarchisch strukturierte, wahre Demokratie untergrabende Beherrschungsinstrumente verstanden werden müssen. Der asalto institutional, die Erstürmung der Institutionen durch die munizipalistischen Bewegungen in Spanien und andernorts zielte gerade nicht darauf ab, die Macht an der Spitze einfach zu übernehmen und fortan »von oben« zu dirigieren, sondern sie mit und in der Übernahme auch zu verändern, »von unten« umzukrempeln und eine neue Institutionalität herzustel13 Meiner Kenntnis nach ist Davina Coopers (2017) Auseinandersetzung mit dem British municipal radicalism der 1980er der bisher einzige Versuch, das Konzept der Prifiguration explizit auf den Umgang mit (kommunalen) staatlichen Institutionen zu übertragen. 14 Um das politiktheoretisch nachvollziehen zu können, muss das Konzept der Präfiguration auch im sozialwissenschaftlichen Diskurs aus dem Korsett einer radikal-horizontalistischen Deutung befreit werden. Einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet Teivainen (2016). 15 Wie grundsätzlich gilt auch hier, dass es den Anarchismus4 nicht gibt. In einem instruktiven Beitrag arbeiten Ordöriez u.a. (2018) bspw. die Motive und Rechtfertigungen anarchistischerAkteure in Spanien Mr ihre Mitwirkung am kommunalen Wahlprozess der letzten Jahre heraus. Ein zentraler Theoretiker eines anarchistischen Munizipalismus ist außerdem natürlich Murray Bookchin (2015).
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2.55
len. Wie Niki Kubaczek und Gerald Raunig in ihrer Darstellung der munizipalistischen Bewegungen in Spanien hervorheben, geht es diesen nicht darum, 'den institutionellen Apparat einfach zu übernehmen, sondern ihn zu verändern, instituierende Praxen und konstituierende Prozesse zu starten, die die Form der Institutionen selbst in Frage und auf die Probe stellen. Die munizipalistischen Bewegungen greifen in die städtischen Apparate ein, sie versuchen sie umzubauen, sie versuchen die Subjelctivierungsweisen der in und mit ihnen arbeitenden zu verändern. (Kubaczek/Raunig 2017, 11f; vgl. auch Zelinka 2018).
In aller Deutlichkeit findet sich dieser Anspruch in einer Passage des vorn International Committee of Barcelona en Comtz herausgegebenen Handbuchs fur munizipalistische Nachahmerprojekte festgehalten und als das Ergebnis eines sukzessiven Lern- und Erfahrungsprozesses infolge der Erfahrungen mit den Platzbesetzungen ausgewiesen: Me took the social networks, We took the streets and We took the squares. However, we found that change was being blocked from above by the institutions. (...) So, we decided that the moment had arrived to take back the institutions and put them at the service of the common good. (...) For us, 'winning back the city< is about much more than winning the local elections. It means putting a new, transparent and participatory model of local government, which is under citizen control, into practice. (...I Our strategy has been to start from below (...): our streets, our neighbourhoods. The proximity of municipal governments to the people makes them the best opportunity we have to take the change from the streets to the institutions.. (International Committee of Barcelona en Comi 2016,4)
Diese im spanischen Kontext häufig als Bürger*innenprotagonismus bezeichnete, auch unter dem Etikett der »Feminisierung der Politik« verhandelte (vgl. Roth/Shea Baird 2017), integrative Verbindung horizontaler und vertikaler Elemente geht somit noch über den von Hardt und Negri (2018, 339 f.) in ihrem jüngsten Debattenbeitrag unterbreiteten Vorschlag einer komplementären Verknüpfung von präfigurativen Exodus- und antagonistischen Hegemoniestrategien hinaus, indem sie das präfigurative Ansinnen ins Terrain der politischen Institutionen selbst trägt, Präfiguration und Machtübernahme als Veränderung der Macht zusammenftihrt."
16 Die grundstarzend transformatorische Ausrichtung kommt in besagtem Anspruch aufeine Feminisierung der Politik insbesondere zum Ausdruck, dadiese weir mehr umfasst als die .bloß. bessere Repräsentation von Frauen in der Politik, sondern eine grundsätzlich andersartige Modalität des Politischen anstrebt und etwa die Aufhebung des bürgerlichen Trennungsdispositivs von »öffentlich, und »privat. sowie die Realisation horizontalistischer Entscheidu.ngsfindungsprozeduren
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Über diesen strukturell-institutionellen Aspekt hinaus können Kommunen im Zusammenspiel institutioneller und zivilgesellschaftlicher Akteure im Rahmen ihrer mal mehr, mal weniger großen Spielräume auch in spezifischen Politikfeldern präfigurative Politiken praktizieren, etwa indem sie unkonventionelle neue Wege gehen, ihre Befugnisse expansiv auslegen oder neue erschließen und diese soweit möglich auch institutionell und juridisch zu konsolidieren versuchen (vgl. Cooper 2017). Insbesondere etwa mit Blick auf Fragen des Eigentums lassen sich zahlreiche Beispiele nennen, die eine diskursiv-rebellierende Wirkkraft auch über den Stadtraum hinaus zu entfalten vermögen: So erproben Städte wie Barcelona alternative digitale urbane Infrastrukturen und experimentieren mit anderen Formen des Dateneigentums, womit auf kommunaler Ebene Gegenkonzepte zu neoliberalen Smart-City-Modellen entwickelt werden sollen (vgl. Morozov/Bria 2018; Grossi/Pianezzi 2017). Die Wahrnehmung des urbanen Lebensraums als Ware und Kapital wird durch die Implementierung gebrauchswertorientierter Nutzungsmodelle von Gemeineigentum infrage gestellt, etwa mit dem BUITS-Plan in Barcelona (vgl. Subirats 2017), der kommunal gestützten Legalisierung von okkupierten Immobilien in Neapel, die in zivilgesellschaftlicher Regie zu Sozial-/Kulturzentren »instandbesetzt« wurden (European Alternatives 2017, 47), dem Konzept der »horizontalistischen Subsidiarität«, wie es unter anderem in Bologna im Rahmen des Beni Comuni bei der Organisation der öffentlichen Daseinsversorge auf Grundlage einer innovativen Interpretation des § 118(4) der italienischen Verfassung erprobt wird (vgl. Feola 2014), oder nicht zuletzt auch mit der Umstellung der Liegenschaftsvergabe von einem Höchstpreis- zu einem Projektverfahren wie in Leipzig oder Augsburg, woraus neue, nicht spekulationsgetriebene Modelle der Wohnpolitik entstehen können, die beispielsweise aus der Kooperation städtischer Institutionen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen wie dem Mietshäusersyndikat eg erwachsen. Die Auffassung von Städten als präfigurativen Knotenpunkten einer umfassenderen Transformationsstrategie kann wohlgemerkt auf historische
und auf Diversität und Relationalität basierender Beziehungsweisen im Bereich des Politischen und des Sozialen umfasst. Zum Topos der Feminisierung vgl. u.a. Gakerin Huguet/Carmona Pascual (2017) oder den Beitrag von Perez (2019) im unlängst von Barcelona en Conui infolge des Fearless Cities-Kongresses 2017 (hap://2017.fearlesscities.com) herausgegebenen Guide to the Global Municipalise Movement.
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Vorläuferprojekte verweisen. Als nach wie vor paradigmatisch, wenn auch häufig mit leicht verklärenden Untertönen beschrieben, kann die Pariser Commune von 1871 gelten, in der Marx (1871, 349) eine »neue Welt« aufscheinen sah und die von Kristin Ross unlängst als »working laboratory of political inventions« (Ross 2016, 11; vgl. auch Honneth 2017) bezeichnet wurde - ein Ort, wie Manuell Castells (1983, 21) es nannte, an dem marxistischer Jakobinismus und föderalistischer Proudhonismus in produktiver Weise verschmolzen.I7 Daneben wäre insbesondere auf den »antizipatorischen Sozialismus« (Rabinbach) des Roten Wiens zu verweisen, der »als Versuch verstanden werden [kann], die Stadt als einen Ort der Emanzipation, der Vorwegnahme einer besseren Zukunft, der Konkretisierung einer kulturellen Utopie zu definieren« (Maderthaner 2017, 208). So wie der Historiker Rabinbach für das Rote Wien festhält, dass es »nur ein Übergangsstadium zu einer Gesellschaft [darstellen sollte], in der die Sozialisten die gesamte und nicht nur die lokale Hegemonie ausüben können« (Rabinbach 1989, 32), hebt auch Ross den keineswegs lokalistisch begrenzten, sondern von der Stadt lediglich seinen Ausgang nehmenden Transformationsanspruch der Pariser Commune hervor: »lt [der Transformationsanspruch; PS] was at once smaller and far more expansive than that. The Communal Imagination operated on the preferred scale of the local autonomous unit within an internationalist horizon.« (Ross 2016, 5) Diese Potenzialität kommunaler politischer Räume als Laboratorien und Ausgangspunkte der Transformation hat Isabell Lorey jüngst auch mit Blick auf die neuen spanischen Munizipalismen betont, da dort »Experimente und Inventionen jenseits traditioneller Formen« möglich seien. »Es geht urn eine andere Demokratie, die [...] im Lokalen, in der Nähe, der Nachbarschaft, der Kommune beginnt und dort eine Stadt schafft, die für jede und jeden ein Leben in Würde ermöglicht, in der nachhaltig und gerecht agiert wird. Aufkommunaler Ebene wird ausprobiert, was landes- und europaweit ausgebreitet werden soll.« (Lorey 2016, 2.73 f.; Hervorh.: PS) Die darin aufscheinende Idee kann als Spielart der Präfigurationsstrategie verstanden werden, der etwas anspruchsvollere staatstheoretische Annahmen zugrunde liegen, die den Staat als eine auch in skalarer Hinsicht dif-
17 Auch flit Landauer bildet die Pariser Commune einen zentralen positiven Bezugspunkt, in deren Ereignis er gewissermaßen die Verschmelzung von »Zeugung. und »Geburt. (dazu Kap. 6) erkennt, insofern mit und in ihr »eine neue Einheit (...) zur Welt kommen (sate). (Landauer 2008, 86).
258 PRÄFIGURATIVE PRAXIS ALS TRANSNATIONALE POLITIK REBELLISCHER STÄDTE
ferenzierte »materielle Verdichtung von Kräfteverhältnissen« (Poulantzas) zu begreifen erlauben.18 Zwar weisen auch Landauer und seine Nachfolger ein nicht-relationales Staats-/Institutionenverständnis und entsprechende »Bruchmodelle« der Transformation zurück (vgl. Landauer 2010, 234, 272), aber die Nichtthematisierung einer auch skalar differenzierten Relationalitä.t verbaut den Blick darauf, dass eine Aneignung kommunaler »Residuen« (Cumbers) durchaus auch eine - wenn auch nicht so radikale - Form des Entzugs darstellen kann, der gleichsam die Basis für ein auf transformative Expansion zielendes Umkrempeln oder Umprogrammieren der Kräfteverhältnisse von unten bietet (vgl. Isin 2007), indem er »Landgewinnung« von unten betreibt und konsolidiert sowie exemplarisch für andere Initiativen an anderen Orten wirkt.
7.4 Widerstand, transnational »Our example can and must serve to motivate other municipalist movements to take the step to build, from the bottom up, an unstoppable global revolution,. Enrit gircena u.a. (2016)
Zieht man in diesem Sinne in Betracht, das zuletzt in aller Regel anti(staats)institutionell konnotierte Konzept der Präfiguration in praktischer wie auch theoretisch-analytischer Hinsicht auch auf die politische Auseinandersetzung mit, in und durch (kommunale) Institutionen auszuweiten, können die in jüngerer Zeit beobachtbaren munizipalistischen Projekte auch als eine genuin eigene, nämlich präfigurativ-we1terschlief3ende Form des Widerstandshandelns erfasst werden.19 Damit teile ich zwar Walzers Interpretation der Sanctuary Cities als Politik des Widerstands, weiche aber in der Bewertung dieser und anderer gegenwärtig beobachtbarer Stadtpolitiken von seinem Widerstandsver18 Vgl. fftr eine skalare Erweiterung der Poulantzasschen Staatstheorie u.a. Brenner (2004). 19 Eine widerstandstheoretische Einordnung nahmen auch die Herausgeberinnen der neuesten Auflage des Handbuchs Kritische Stadtgeographie vor: »Seit einiger Zeit stehen StIdte unter dem Begriff des Munizipalismus (erneut) im Fokus der Hoffnung auf erfolgreichen Widerstand und emanzipatorischen Wandel« (Selina u.a. 2018,11). Wenngleich sie der Beschaffenheit des Widerstands zwar nicht tiefergehend nachspftren, so nehmen sie mit der Kopplung von Widerstand und Wandel eine Verbindung vor, die auch für meine Deutung zentral ist.
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ständnis ab, das einem einseitigen, in der sozialwissenschaftlichen Forschung gleichwohl durchaus verbreiteten Verständnis entspricht, welches diesen in aller Regel als reaktiv-konservierende Praxis begreift. So formulierte Christopher Daase unlängst in einem programmatischen Aufsatz über Widerstand: »Sein Ziel ist (...] immer, die gute, von den Herrschenden pervertierte Ordnung zu erhalten oder wiederherzustellen. Damit liegt dem Widerstand, anders als der Revolution, zumindest deklaratorisch eine konservative Absicht zugrunde.« (Daase 2014,3) Einer solchen Bestimmung von Widerstand als bloß abwehrende, bestenfalls Status-quo-erhaltende Praxis liegt zentral das Moment der »Gehorsamsverweigerung« (ebd.) zugrunde, was ja angesichts der Verweigerung der Mitwirkung bei Abschiebungen im Falle der US-Sanctuary-Cities ganz offensichtlich auch der Fall ist. Jedoch erschöpft sich Gehorsamsverweigerung nicht in solch »abwehrenden« Handlungen bzw. erschöpfen sich Widerstandshandlungen nicht in eng gefassten Vorstellungen von Gehorsamsverweigerung. Wie etwa Vicki Squire und Jennifer Bagelman (2012) am Beispiel der Sanctuary-Praktiken gezeigt haben, tritt zur abwehrend-reaktiven Handlung ein weiteres, proaktives Moment hinzu, das darin besteht, andere Formen der Sozialität und andere Subjektivitäten zu etablieren und vorzuleben. Mit Philip Wallmeier kann von einem »widerstä.ndigen Moment« gesprochen werden, insofern »durch das Vorleben [...] performativ [...] der Alternativlosigkeit des status quo« (2015,193) widersprochen wird. In Anschluss an Überlegungen Rahel Jaeggis spricht er von einer »nicht-antagonistische[n] Form von Widerstand«, im Rahmen derer vorrangig »alternative Ordnungen [geschaffen werden], anstatt sich primär gegen bestimmte Gruppen oder Institutionen zu wehren« (ebd., 181). Auf Grundlage zahlreicher empirischer Studien gelangen auch Jeffrey Juris und Marina Sitrin zu der Schlussfolgerung, dass nur auf Abwehr< verweisende Widerstandsverständnisse allein nicht befriedigend sind. In Anschluss an Foucault unterbreiten sie ein »produktives« Widerstandsverständnis, das sie dem verbreiteten defensiven an die Seite stellen: »[Wie see resistance as more than a reflexive pushback against power. Instead, we view resistance as an enactment of alternative power relations, a creative mode of potentia [...] that constructs alternative forms of subjectivity and sociality even as it challenges dominant expressions of potestas [...] [Proactive resistance] combine[s] forthright opposition to the prevailing social and economic order with the construction of alternative subjectivities, ideas, and social relations.« ouris/Sitrin 2016, 32 und 3$)
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Letztlich formulieren Wallmeier und Juris/Sitrin damit in widerstandstheoretischem Vokabular genau das, was hier zuvor als politische PrAguration dargestellt wurde. Es geht um »die Vorstellung einer besseren Welt« (Wallmeier 2015, 183), die in und mit ihrem faktischen Bestehen die Nicht-Notwendigkeit und das Anders-sein-können der vorherrschenden Verhältnisse unter Beweis stellt, zu dieser »Ordnung der Dinge« in ein konkurrenzhaft-herausforderndes Verhältnis tritt, indem sie neue oder andere Weltverhältnisse erschließt.20 Widerstand und proaktive Transformation sind dementsprechend nicht als gegensätzliche, sich wechselseitig ausschließende Konzepte, sondern in ihrem Zusammenwirken als präfigurative Hervorbringung sozialer und politischer Institutionen zu verstehen. Genau in dieser Synthese ist die Möglichkeit angelegt, die munizipalistischen Praktiken als transformative, welterschließende Widerständigkeit lesbar zu machen. Die mit und in ihnen vollzogene Schaffung alternativer Ordnungen im Kleinen kann als geradezu paradigmatische Manifestation eines konstruktiv-schöpferischen Widerstandsverständnisses gelten, das zuletzt vereinzelt und entgegen der Dominanz des auf Konservierung zielenden Verständnisses auch im sozialwissenschaftlichen Diskurs vernehmbar wird.2i Eine solche Deutung deckt sich durchaus auch mit dem Selbstverständnis betreffender Akteure, die ihr Handeln explizit als widerständige Praxis mit Präfigurationspotenzial interpretieren.n Die spezifische Kopplung von Widerstand und Transformation kommt exemplarisch etwa im Ankündigungstext des Fearless-Cities--Summit zum Ausdruck, der im Juni 2017 auf Initiative von Barcelona en Coma veranstaltet wurde und über 600 Vertreter*innen aus mehr als 150 Städten weltweit versammelte:
20 Vorstellung ist hier durchaus theatralisch, als Inszenierung zu verstehen, Eben diesen Aspekt hatte auch Marx vor Augen, als er das »arbeitende Dasein« der Pariser Commune lobte (Mars 1871,347). 21 Für einen Systematis ie run gsvers uch vgl. Sorensen (2016). Naegler (2018) unternimmt eine an diesem Widerstandsverständnis orientierte Erkundung präfigurativer Praktiken im Occupy-Kontext, die meinem Anliegen durchaus nahekommt, dabei allerdings auf die Mikrophänomenebene fokussiert. Wie oben hervorgehoben, findet sich ein proaktiv-schöpferisches Widerstandskonzept aber wohlgemerkt auch schon bei Landauer als *aktiver Generalstreik« verhandelt (vgl. Landauer 2010, 139 sowie oben Kap. 4.2.1). 22 Siehe exemplarisch die Interviews mit Bürgermeistern und Stadtvertreter*innen aus Neapel, Madrid, Barcelona, Messina, A Corufia und Belgrad in European Alternatives (2017,45-77).
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Around the world, towns and cities are standing up to defend human rights, democracy and the common good. The Fearless Cities summit will allow municipalist movements to build global networks of solidarity and hope in the face of hate, walls and borders. Join us in Barcelona for political debate, policy exchange, and practical workshops featuring mayon and councilors and municipalist movements that are transforming society from below.. ktp://2017.fearlesscities.comi, Hervorh.: PS; vgl. auch Vollmer 2017).
Mit und in diesem Kongress, dessen Nachfolgekongresse im Sommer 2018 in New York und Warschau sowie im Herbst 2018 in Brüssel, im Winter 2018 in Valparaiso, im Frühjahr 2019 in Neapel und im Sommer 2019 in Belgrad stattfanden, ist nun auch jene hier insbesondere interessierende Frage angesprochen, inwiefern die munizipalistische Widerstandspraxis nicht nur eine Widerstandspraxis, sondern eine transnationale Widerstandspraxis ist. In der Widerstandsforschung kann der Topos der Transnationalität nach wie vor als Desideratum gelten." Orientierung könnte ein Blick in das benachbarte Feld der Protest- und Bewegungsforschung bieten, wo insbesondere im Kontext der globalisiertmgskritischen Bewegung der 1990er und 2000er intensiv über transnationale Manifestationsformen nachgedacht wurde. Für den hier interessierenden Fall erweist sich die dort verbreitete Bestimmung jedoch als ungeeignet, insofern neben der Herkunft der Protestakteure aus mehr als einem Staat vor allem die direkte Adressierung staatlicher Regierungen oder supra-/internationaler Organisationen als definitorisches Zentralmoment genannt wird (vgl. u.a. Porta/Marchetti 2013). Derartige Adressierungen mögen zwar mitunter vorkommen, stehen jedoch für ein nicht-antagonistisches Widerstandshandeln nicht im Vordergrund. Eine Deutung als transnational muss also anders gelagert sein. Wie ich abschließend zeigen möchte, sind in die präfigurativ-welterschließende Widerständigkeit der neuen Munizipalismen in zumindest zweierlei Weise transnationale Wirkansprache (mit unterschiedlicher Reichweite) eingewoben. Zunächst ist dies der Anspruch aufAustausch und Vernetzung, der unter anderem in besagten Kongressen seine Verkörperung findet. Von den Akteuten wird stets die Bedeutung einer transnationalen munizipalistischen Vernetzung betont, mit dem Ziel, Ansteckungseffekte wahrscheinlicher zu machen, präfigurativ-experimentelle Erfahrungen transnational zu teilen und auszutauschen, um so zu einer Ausbreitung alternativer Formen des Mit23 Siehe jetzt aber das von Frauke liöntzsch und Robin Celikates editierte Schwerpunktheft der Zeitschriji Pr Politische Theorie (1/2019) zu transnationalem Widerstand.
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einanders von unten beizutragen (vgl. u.a. Subirats 2017; Barcena u.a. 2016). Transnational ist diese Praxis nicht im Sinne der zuvor genannten Postulate der Protestforschung, sondern vielmehr könnte mit Peeren u.a. von Global Cultures ofContestation gesprochen werden, worunter sie transnationale *relations of influence« (Peeren u.a. 2018, 4) zwischen Akteuren und Bewegungen verstehen, die ansonsten hauptsächlich auf staatlicher oder auch substaatlicher Ebene agieren. Insofern das Vernetzungsbestreben explizit auch mit Verweis auf globale Dynamiken begründet wird, denen Städte in ihrer lokalen Politikgestaltung ausgesetzt sind, kann darin wohlgemerkt auch eine Antwort auf die oben genannten Kritiken und Warnungen vor der »File des Lokalismus« gesehen werden. Kate Shea Baird, Mitglied des International Committee ofBarcelona en Gomzi, schreibt dazu: *Letzten Endes ist eine der größten Beschränkungen des Munizipalismus die Schwierigkeit, die sich in der Auseinandersetzung mit grenzüberschreitenden Mächten und Interessen ergibt: transnationale Spekulationen am urbanen Grundstücks- und Immobilienmarkt, die Bedrohung von lokalen Ökonomien und ökologischer Nachhaltigkeit dumb multinationale Konzerne, Vertreibung und erzwungene Migration. Nur die Antwort eines starken Netzwerks wird in der Lage sein, als Gegengewicht zur Zentralregierung und der Macht der Konzerne in diesem Bereich zu fingieren.« (Shea Baird 2017, 30)
Durch den Erfahrungsaustausch und die sukzessive Etablierung alternativer Praktiken von unten soll diesen globalen Dynamiken etwas entgegengesetzt werden. »Eine Alternative zur gegenwärtigen Form der Globalisierung«, so schreibt auch Harvey in seinem fir die Bewegung in vielerlei Hinsicht programmatischen Buch Rebellische Städte, »wird aus mehreren lokalen Räumen — insbesondere urbanen Räumen heraus entstehen, die sich zu einer breiten Bewegung zusammenschließen.« (Harvey 2014, 199) Neben diesem eher pragmatischen Anliegen ist in den munizipalistischen Projekten noch ein zweiter, weiterreichender transnationaler Anspruch zumindest implizit angelegt. Der neue Munizipalismus, so könnte er verknappt wiedergegeben werden, zielt auf die Transzendierung des Nationalen, die Aufhebung einer nationalstaatlich verfassten Weltordnung von unten. Im alltäglichen Praxiszusammenhang urbaner Räume, so die Hoffnung zahlreicher Aktivist*innen (vgl. u.a. Dieterich 2017), werde diese neue Form der Vergesellschaftung vorweggenommen. Erahnbar wird dieser Anspruch insbesondere im Kontext und in Gestalt der bereits erwähnten Zufluchtsstädte, Sanctuary oder Solidarity Cities. Unter Sanctuary-Praktiken kann ein ganzes Bündel von Politiken verstanden werden, die von Stadt zu Stadt mitunter sehr verschiedenen, mal
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mehr, malweniger formalisiert sind und denen es zunächst einmal lediglich um mehr oder weniger geschützte Orte der Zuflucht geht, an denen der Zugang zu kommunalen Dienstleistungen aller Art auch flit Personen mit eingeschränktem oder ohne Aufenthaltsstatus gesichert ist, aber auch die Zusammenarbeit bezüglich Abschiebungen mit staatlichen Institutionen verweigert wird.' Könnte man all das Walzer folgend zunächst einmal als nur abwehrend-reaktive Widerstandspraktiken verstehen, mit denen Bollwerke gegen die Tendenz zur Abschottung und Deportationspolitiken auf nationalstaatlicher Ebene errichtet werden, so tritt auch hier das Moment einer prä.figurativ-welterschließenden Widerständigkeit hinzu. Wie Agnes Czajka schreibt, das »Ineinsfallen« von Widerstand und präfigurativer Praxis andeutend, können Sanctuary- Praktiken »be true acts of resistance that create micro-alternatives through which living out a different logic becomes possible« (Czajka 2013, 53). Was ist mit der »different logic« gemeint? Sanctuary-Praktiken eignet ein widerständiges, prä.figurativ-transformatives Potenzial, insofern sie das staatliche Monopol auf territoriale Souveränität infrage stellen (vgl. ebd.; Bauder 2017, 104; Squire/Bagelman 2012; Jungfer/Reimers 2017). Indem Bache oder urbane Bewegungen mit diversen Maßnahmen beanspruchen, 'as Verhältnis von Rechten und Zugehörigkeit neu [zu] definieren« (SchilEger 2018,17; siehe dazu auch Braun u.a. 2019), wird die (national)staatlichherrschaftsförmige Einteilung von Citizens und Non-Citizens unterlaufen, die sich im Zuge der verstärkten Innenverlagerung des Grenzregimes gerade und in zunehmenden Maße auch in Städten massiv manifestiert. Bei allen Ambivalenzen, die den Sanctuary-Praktiken anhaften, so die Hoffnung von aktivistischer Seite, bergen sie das Potenzial, neue Subjektivitäten und Sozialitäten entstehen zu lassen (vgl. McDonald 2012), die kleine Risse im nationalstaatlichen Imaginären darstellen. Der städtische Raum wäre damit ein praktisch-utopisches Experimentierfeld für eine post-territoriale Bürgerschaft (vgl. Loick 2017c) und — wie es Jacques Derrida schon 1995 in seiner Begrüßungsnote zum Kongress der Fluchtstädte des Internationalen Parlaments der Schriftsteller in Straßburg formulierte — Vorbote »eines künftigen Rechts und einer künftigen Demokratie« (Derrida 2003, 21). In den Rahmen der abwehrend-karitativen Praktiken wire damit als »antizipatorische Repräsentation« (De Cesari) der Keim einer künftigen Gesellschaft 24 Far einen breiten Überblick: Li ppe rt/ Reeha g (2013) (2016).
air den deutschen Kontext: Scherr/Hofmann
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eingebettet, der zumindest diskursiv einen Nach- und Umdenkprozess bezüglich überkommener Formen der Zugehörigkeit in Gang zu setzen, das nationalstaatliche Imaginäre infrage zu stellen und verschüttete Alternativen — wie etwa das ius domicilii — in Erinnerung zu rufen vermag (so auch Bauder 2016, insb. 260-262). Die derzeitig vielerorts geführten Kämpfe uni Urban Citizenship (vgl. Schilliger 2018) können als Ausdruck dessen gelten.15 Mit Einführung der New York City ID oder jüngst auch der Ziiri Card ist eine solche Vision bereits institutionelle Realität geworden, an anderen Orten ist sie bisher in der Regel nur Gegenstand symbolischer Bewegungspolitik. Selbst in letzteren Fallen aber, also dort, wo wie beispielsweise im Falle der Ausstellung fiktiver Stadtausweise im Hamburger Arrivati-Park während des G20-Gipfels im Sommer 2017 nur das spielerische Element des ,als ob. vorhanden ist,26 besteht die Möglichkeit einer Entfaltung konkreter präfi.gurativer Widerständigkeit (vgl. Cooper 2016), die in Form eines Vorgriffs auf eine alternative Form des Miteinanders jenseits des Nationalstaates als »Kosmopolitismus von unten« (James Ingram) wirksam werden kannY Mittels der gelebten urbanen Alternative soll die »nationalstaatliche Logik, entselbstverstä.ndlicht und entkräftet werden. Ist mit Letzterem ein radikaler, vielleicht vermessener Wirkanspruch benannt, so sei abschließend darauf verwiesen, dass es nicht das Anliegen des vorliegenden Kapitels war, die Erfolgsträchtigkeit munizipaler Strategien zu bewerten oder nach der Wünschbarkeit einer Welt zu fragen, in der »mayors rule the world«.28 Aus strategischer, aber auch aus normativer Perspektive (vgl. u.a. Young 1990, 250) ist immer wieder auf Risiken eines solchen Szena-
25 Für eine beeindruckende historische Darstellung des Sachverhalts vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution siehe jetzt Prak (2018). 26 Die Aktiviseinnen des Arrivati-Parks sind sich dessen durchaus bewusst gewesen, stellten sie ihr Projekt doch unter den augenzwinkernden Titel .1.1rban Citizenship — its (not) a game!.. 27 Der von Niki Kubaczek und Monika Mokre (2021) herausgegebene Sammelband Die Stadrals Slane der Solidarität versammelt eine ganze Reihe aktivistisch engagierter wissenschaftlicher Abhandlungen, die allesamt um ein Verständnis von Städten als Knotenpunkte der Migration ausgehen und Ptenzialen einer solidarischen und emanzipatorischen Praxis in diesem terrain nachspüren. 28 So fällt beispielsweise die Bilanz der madrilenischen Ahora-Madrid!-Stadtregierung unter Manuela Carmena von 2015 bis 2019 äußerst durchwachsen aus. Siehe dazu Romviri (2019). Eine ebenfalls verhaltene Erfolgsbilanz der munizipalistischen Projekte in Belgrad. Zagreb and Barcelona ziehen Sarnow und Tiedemann, die davor warnen, dass die aktivistisch anvisierten otnikturelle(n) Veränderungen an der Materialität institutioneller Apparate abzuprallen drohen. (Saxnow/Tiedemann 2019,279). Ganz grundsätzliche Fallstricke emanzipatorisch gesinnter Stadtpolitiken skizzieren Braun u.a. (2019, 88-90).
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riosverwiesen worden. Vielmehr ging es hier darum, die munizipalistischen Projekte weltweit als Widerstandshandeln mit welterschließendem Anspruch lesbar zu machen. Widerstand in diesem Sinn kann nicht (ausschließlich) defensiv verstanden werden, sondern als proaktiv. Er speist sich aus dem Errichten von Gegeninstitutionen und dem demonstrativen Vorleben dieser alternativen Formen des Miteinanders. Widerständig sind derartige Praktiken also nicht in einem personal-antagonistischen Sinn, sondern indem sie Städte zu »heterotopischen Orten der Abweichung« machen, die den bestehenden Verhältnissen und deren oftmals behaupteter Alternativlosigkeit im Hier und Jetzt — präfigurativ — Alternativen entgegensetzen. Als transnationaler Widerstand sind die je konkreten Projekte der munizipalistischen Bewegungen zum einen insofern zu verstehen, als sie explizit den Schulterschluss mit anderen Städten weltweit suchen. Auch dabei steht nicht die Abwehr eines klar definierten Gegners im Zentrum, sondern der Austausch von Erfahrungen aus prä.figurativ erprobten Praktiken, um sukzessive dem Aufbau einer anderen Weltverfasstheit von unten Vorschub zu leisten. Zum anderen, eher perspektivisch, ist im Munizipalismus die Vorstellung einer Welt jenseits einer nationalstaatlich verfassten Ordnung angelegt. Der erneuten und wachsenden Wirkmächtigkeit des national(staatlich)en Imaginären leistet der transnationale Munizipalismus damit ganz praktisch Widerstand, indem er eine andere, die Nationalstaatlichkeit transzendierende Logik des Miteinanders sowohl denk- als auch sichtbar macht — und damit präfigurativ politisch ist. Präfigurativ agieren, um politisch zu sein, so könnte hingegen das Credo meines Deutungsangebotes lauten, das ich im folgenden Kapitel in ganz anderem Zusammenhang und auf ganz anderem Abstraktionsniveau unterbreiten möchte. So wie in diesem Kapitel das Konzept der Präfiguration zueiner Ausweitung politikwissenschaftlicher Analyseperspektiven genutzt wurde, so soll es in folgendem einen Ausweg aus einer radikaldemokratietheoretischen Problemkonstellation zu weisen versuchen.
8. Eine >Genossenschaft von Lernenden und Lehrenden< — Pädagogik als Herausforderung des radikaldemokratischen politischen Denkens Theorien radikaler Demokratie sind aus dem Kanon zeitgenössischer Demokratien nicht mehr wegzudenken.1 Die vielfaltigen Indienst- und Bezugnahmen werden freilich auch von skeptischen bis unverhohlen ablehnenden Stimmen flankiert. Im Rahmen kritischer Auseinandersetzungen mit radikaldemokratischen Theorieangeboten finden sich nebst anderen immer wieder jene mitunter nicht unberechtigten Vorwürfe, die den Theorien radikaler Demokratie Institutionenblinclheit oder bestenfalls eine institutionentheoretische Leerstelle attestieren (z .B. Jörke 2005, Hirsch 2007, Wallaschek 2017, Buchstein 2020; siehe jetzt aber auch Hermann/Flatscher 2020 und Westphal 2021), welche sowohl in analytisch-theoretischer Hinsicht Verkürzungen erzwinge, als auch in praktischer Hinsicht demokratiegefahrdende Effekte zu zeitigen vermöge.' Indem sich dieses Kapitel Fragen der Erziehung und (politischen) Bildung' aus radikaldemokratischer Perspektive widmet — bzw. der Radikal1 Für gebtindelte Überblicke siehe Comtesse u.a. 2019b und Flüget-Martinsen 2020. Bei diesem Kapitel handelt es sich um eine überarbeitete und erweiterte Fassung eines Beitrags, der in Heft 112020 der Politischen Vierteljahresschrift erschienen isr. Frühere Versionen konnte ich im Kolloquium zur Politischen Theorie an der Jusrus-Liebig-Universitat Gießen sowie im Panel .Die Entgrenzung der radikalen Demokratie. aufdem DVPW-Kongress .Grenzen der Demokratie. in Frankfurt vorstellen und diskutieren. Den Teilnehmer" innen und Organisatorinnen, insbesondere Regina Kreide, Susanne Martin, Andreas Mix, Dagmar Comtesse, Oliver Flügel-Martinsen, Franziska Marcinsen und Martin Nonhoff, sei an dieser Scene Mr die Einladung und wertvolle Anregungen und Hinweise gedankt. Besonders profitiert habe ich, bei alien verbleibenden, kleineren inhaltlichen Differenzen, vom Austausch mit Werner Friedrichs. 2 Diese doppelte Ausrichtung verfolgt auch ein unlIngst erschienener Beitrag von Grit Straßenberger (2018. 66), die den radikalen Demokratietheorien vorwirft, .die Ambivalenzen politischer Autorität in der Demokratie. zu verkennen. 3 Ich verwende die BegriMichkeiten .(politische) Bildung. und .Erziehung. in diesem Kapitel mehr oder weniger synonym.
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demokratietheorie aus einer an Fragen der politischen Bildung respektiv Erziehung interessierten Perspektive —, kann es in spezifischer Weise vo dem Hintergrund dieser Diagnosen verortet werden, insofern die radi kaldemokratischen Theorien auch eine weitreichende erziehungstheoretisch Leerstelle kennzeichnet. Zwar taucht der Befund einer pädagogischen Leer stelle von politischen Theorien im Allgemeinen bzw. eines grundsätzliche »Nicht-Verhältnis[es] [...] von Politischer Theorie und Politischer Bildung, immer wieder auf (Gloe und Oeftering 2017, 10; Brumlik 1997; Honned 2012),4 aber nach meinem Dafiirhalten gilt diese Diagnose für den radikal demokratischen Diskurs in sehr spezifischer Weise — und das hat explizi theorieimmanente Grande. Die radikale Demokratie und die Theorie der ra dikalen Demokratie — so die im Folgenden vertretene, grundlegende The's( — stoßen in Fragen der Bildung und Erziehung aufgrund ihres konstitiaii selbstentgrenzenden Charakters an Grenzen. Entweder, so soll im Weiterer gezeigt werden, wird eine radikaldemokratische Erziehung dem ihr eige. nen Anspruch der Abbildung von Grundlosigkeit nicht gerecht, oder si( ist durch Einsicht in dieses Problem gezwungen, die Frage der Bilduni radikaldemokratischer Subjekte unbeachtet zu lassen und damit dem 2ufal zu überantworten. Beginnen werde ich mit einer knappen Bestimmung des hier inter. essierenden Verständnisses von radikaler Demokratie sowie der darnii verbundenen, bereits angedeuteten Problematik radikaldemokratischerSubjek tivität. Die Frage radikaldemokratischer Subjektivität wiederum verweisi auf den Topos der Bildung und Erziehung, der im radikaldemokratischen Denken eine problematische Leerstelle darstellt (8.1). Von Leerstelle sol hierbei nicht in dem Sinne die Rede sein, dass derartige Themen gar nick' verhandelt werden warden. Sofern das aber der Fall ist, bringt es — womög. lich unlösbare — Probleme mit sich, die von einer vertieften Behandlung absehen lassen und die in einer sehr spezifischen Prämisse radikaldemokratischen Denkens gründen. Dem Topos der Erziehung und Bildung, Si
4 Der von den Politikdidaktikern Markus Gloe und Tonio Oeftering (2017) editierte Sammelbod
Politische Bildung meets Politische Theorie kann als gelungener Auftakt einer die Subdisziplinen ver. bindenden Beziehungsstiftung gewertet we rden. Ganz grundsätzlich gilt m.E.,dass die mit Wick auf das dort konstatierte Nicht-Verhältnis durchaus selbstkritische Subdisziplin der Politischen Bildung weit größere Bemühungen erkennen lässt, politiktheoretische Überlegungen aufzunehmen und zu integrieren, als dies andersherum der Fall ist. Exemplarisch sei hier auf den seit theorieaffinen Sammelband von Lösch u.a. (2010) verwiesen, wie auch auf die Obersicht entsprechender Ansätze in Gloe/Oeftering (2017), 10-18.
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möchte ich im längeren zweiten Teil in Auseinandersetzung mit Chantal Mouffe (8.2.1) und Jacques Ranci&e (8.2.2) zeigen, kann sich die Radikaldemokratietheorie theoretisch konsistent nur in politisch unbefriedigender Weise widmen. Genau darin star sie — wenn man sie nicht ausschließlich als (erkenntnistheoretisches) Befragungsunterfangen oder Instrument der Krisenanalyse (vgl. z .B. Flügel-Martinsen 2017a; Nonhoff 2016), sondern and: als materielles politisches Emanzipationsprojekt verstehen will — an eine Grenze (8.2.3). Abschließend sollen sodann in solidarisch-kritischer Absicht einige erste Gedanken skizziert werden, wie dieser problematischen Konstellation begegnet werden könnte. An dieser Stelle kommen Begriffund Konzept der Prä.figuration ins Spiel, wovon ich mir zumindest andeutungsweise einen experimentellen wie experimentalistischen Ausweg aus der scheinbar aporetischen Konstellation erhoffe. Sich aus der zuvor entfalteten Argumentation bezüglich der Unmöglichkeit einer radikaldemokratischen Bildung im strengen Sinne ergebend, kann diese Modellierung freilich nicht umfassend im radikaldemokratischen Rahmen verbleiben, versucht jedoch, Impulse radikaldemokratischer Theoriebildung zu integrieren (8.3).
8.1 Kontingenz und Kontingenzvermittlung — eine radikaldemokratische Aporie Zumindest für die poststrukturalistisch geprägten Positionen des in sich sehr heterogenen Diskursfeldes radikaler Demokratietheorien möchte ich vorschlagen, einen kleinsten gemeinsamen Nenner darin zu identifizieren, Demokratie als eine Form des Miteinanders zu begreifen, die wesentlich und primär durch radikale dynamische Stabilisierung gekennzeichnet ist.5 Demokratie kann sich demzufolge nur insofern >treu bleiben, d.h. sich stabilisieren, als sie auch für radikalen dynamischen Wandel offen ist. Um die spezifische Differenz der hier gemeinten Ansätze hervorzuheben, wäre hinzuzufügen: indem sie sich beständig radikal selbst entgrenzt bzw. beständig potenziell radikal selbstentgrenzend ist.6 Denn dem Credo dynamischer Sta-
it Wick
ischen lunchsehr itsprt-
Hierbei bediene ich mich einer im Kontext des Jenaer DPG-Kollegs »Postwachstumsgesellschaften. elaborierten Bezeichnung (z.B. Rosa u.a. 2017), versehe sie jedoch mit einer anderen Bedeutung. 6 Das deckt sich auch mit der Bestimmung der Organisator*innen besagten Panels auf dem DVPW-Kongress 2018 (vgl. FN I). In deren Beteiligungsaufruf hieß es: Demokratie muss 5
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bilisierung könnten sich oberflächlich betrachtet durchaus auch andere zeitgenössische Demokratietheorien verpflichtet wissen, seien es etwa systemtheoretisch oder auch liberal gefasste Modellierungen. Radikal sind die radikalen Demokratietheorien demgegenüber insofern, als sie die Dynamik der dynamischen Stabilisierung der Sache nach in keiner Weise begrenzt denken, weder durch die Bestimmung von Gegenstandsbereichen oder »Operationslogiken«, noch durch bestimmte, als »vernünftig« bestimmte Institutionen, die das Miteinander in einer postessentialistisch begriffenen Gesellschaft kanalisieren und hegen. Ausgangspunkt aller diesem DiskursStrang zuzuordnenden Positionen ist das Postulat der Abwesenheit letzter Grande des Sozialen, also dessen umfassende und unhintergehbare Kontingenz. Für Claude Lefort etwa, einer zentralen Figur des »französischen« Diskursstranges, ist fdr die radikaldemokratische Lebensform »das Wesentliche, daß die Demokratie sich dadurch instituiert und erhält, daß sie die Grundlagen aller Gewißheit auflöst« (Lefort 1990,296). Der radikaldemokratische Weltentwurf basiert demgemäß auf der Akzeptanz der Kontingenz sämtlicher Strukturierungen und Identitäten, sowie dem Anspruch, diese bewusst zu machen und zu halten, ihr institutionell und kognitiv Raum zu geben. Radikal verstandene Demokratie, so schreibt Oliver Marchan (2010, 331), steht zu diesem »Faktum ultimativer Gnmcilosigkeit« in einem Verhältnis »institutionalisierter Akzeptanz«. Unter einer solchen Bestimmung können so unterschiedliche Ansätze wie die von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, Claude Lefort, Etienne Balibar oder auch William Connolly gefasst werden, wenngleich es auch extremere Positionen wie die Jacques
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verstanden werden als eine stete Bewegung der Entgrenzung bestehender institutioneller Begrenzungen.
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Rancires7 oder vor allem Miguel Abensours gibt, der völlig auf den Aspekt der Dynamisierung setzt (z.B. Abensour 2012, 222 f.). Gerade wegen der unbedingten Anerkennung der Abwesenheit vorsozialer Grande aber steht die radikale Demokratie auch für ein äußerst fragilesVersprechen. Sie ist gerade deshalb radikal, so könnte man mit den Herausgeber*innen des Handbuchs Radikale Demokratietheorie sagen, »weil sie sich selbst immer wieder hervorbringen und absichern muss« (Comtesse u.a. 2019a, 14). Gerade weil sie als System radikaler dynamischer Stabilisierung die Kontestabilität aller sozialen Formationen in den Vordergrund rückt, ist ihr eigener Status prekär. Die radikaldemokratische Freiheit ist — so heißt es bei Lefort — einegefiihrliche Freiheit (vgl. dazu Flügel-Martinsen 2015; Oppelt 2,017). Sie steht für eine »angreifbare Verheißung«,8 gerade weil sie keine unerschütterlichen Grenzen aufweist. Trotz oder gerade wegen der ihr inhärenten Grundlosigkeit bietet sie stets auch die Möglichkeit zu »fundamentalistische[n] Neugrundlegungsversuche[n]« (Marchart 2010, 330). Ein damit verbundenes Unbehagen lässt sich im radikaldemokratischen Gesprächsfeld immer wieder vernehmen: bei Lefort ist es die Sorge vor der »totalitären Versuchung« (Flügel-Martinsen 2017a, 238; Oppelt und Sörensen 2015), Wendy Brown (2012, 69) warnt vor einem »Faschismus durch das Volk«. André Brodocz hat diesen Sachverhalt in Erweiterung der bekannten Sentenz Jacques Derridas vor einigen Jahren pointiert zum Ausdruck gebracht: Die radikale Demokratie sei nicht nur dauerhaft im Kommen, sondern stets auch im Gehen begriffen (vgl. Brodocz 2015, 39). Radikale Demokratie, ihre Realisation und ihr Erhalt, ist demzufolge äußerst voraussetzungsvoll. Damit ist nicht zuletzt auch aufdie aktoriale Ebe-
7 Urn einem möglichen Einwand vorzugreifen: bei Ranciire finden sich fraglos Passagen, die ihn als Antipoden eines überhaupt an Stabilisierung und Form interessierten demokratietheoretischen Denkens ausweisen. Gleichwohl aber wird diese Haltung an anderer Stelle unterlaufen, vgl. z.B.: «Die Demokratie ist die Form der ,Macht,-Ausübung, in der keinerlei Natal» mehr die PLitz e der Regierenden und der Regierten verteilt.« (Ranci2re 2000,102) Oder: .(Dlie Formen der Demokratie sind nichts anderes als die Formen der Verfassung der Politik als spezifische Weise eines menschlichen Zusammenseins.« (Ranci2re 2002, Ill) Man könnte vielleicht sagen, dass Ranci2re nicht Form, sondern HerrschaftsPrmigkeit zurückweist (vgl. auch Ranciere 2002, 110 f.) und damit in diesem Punkt analog zu Pierre Proudhons Unterscheidung von Ordnung und herrschaftsförmiger Ordnung gelesen werden kann, wobei dieser Anarchismus bekanntlich als Ordnung ohne Herrschaft beschrieb (vgl. Proudhon 1%9). Zu Ranci2res Verhältnis zum Anarchismus siehe z.B. das Interview mit Todd May u.a. (2008). 8 Auch diese Formulierung stammt von den Organisator*innen des Panels ,Die Entgrenzung der radikalen Demokratie< (vgl. FN 1).
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ne verwiesen, was auch Oliver Marchart andeutet, wenn er in seinem Buch zur Politischen Differenz konstatiert, dass die radikale Offenheit der Demokratie »eine gehörige psychologische Zumutung« (Marchart 2010, 337) darstelle. Radikale Demokratie, verstanden als System radikaler dynamischer Stabilisierung, bedarf zu ihrer Hervorbringung und zu ihrem Erhalt radikaldemokratischer Subjekte, die sie beständig dynamisch stabilisieren — ohne dabei einer >totalitären Versuchung< zu verfallen. Genau damit ist jedoch ein wunder Punkt einer jeden kontingenzbasierten Theorie der radikalen Demokratie benannt. Einerseits erscheint es zwar ohne weiteres möglich, Überlegungen zu den idealen Eigenschaften radikaldemokratischer Bürger*innen anzustellen (vgl. z.B. Rasmussen/Brown 2002). Andererseits aber kann es natürlich nicht nur um die wünschenswerten »Produkte« gehen, sondern es sind damit stets auch prozedurale und modale Fragen des Bildungs- und Erziehungsvorgangs verbunden. Diese aber, so will ich im Weiteren zeigen, stellen für diese Theoriefamilie eine besondere, womöglich unlösbare Herausforderung dar. Für diese Annahme spricht, dass der Sachverhalt im radikaldemokratischen Denken eine weitgehende Leerstelle darstellt: Zwar ist zuletzt immer wieder von einer erforderlichen »Einübung demokratischer Subjektivität« (Saar 2013,409), der »kulturelle En] und soziale[n] Einübung von Akzeptanz« der Kontingenz (Marchart 2010, 347 und 345) und dem »freiheitlichen Umgang mit der gefährlichen Freiheit« (flügel-Martinsen 2015, 111) die Rede gewesen, oder es wurden Überlegungen zu einer radikaldemokratischen Ethik angestellt (ebenfalls Marchart 2010, 329 if., aber auch Connolly 1995 oder Mouffe 2010, 132 aber nach konkreten Überlegungen zum Inhalt und vor allem dem Wie der Hervorbringung eines solchen Ethos, sprich: Fragen der Bildung und Erziehung, sucht man nahezu vergeblich.' Hie und da finden sich Überlegungen, die in der Tradition Alexis de Tocquevilles auf die demokratisch subjektivierende, soll heißen, der Demokratie zuträgliche Verhaltensdispositionen ausbildende Wirkung von Institutionen setzen. Zweifelsohne kann einer derartigen Subjektformung eine wichtige Bedeutung zugesprochen werden, aber es erscheint fraglich, ob ein Vertrauen
9 Darauf haben bspw. auch Nancy Lwcon (2013) und Leszek Koczanowicz (2013) hingewiesen. Eine dezidierte Ausnahmen aus dem Feld der Politischen Theorie im deutschsprachigen Raum ist Westphal (2018), deren Aufmerksamkeit jedoch im Grunde nur dem inhaltlichen Was, nicht aber dem Wie gilt, weshalb sie dem weiter unten aufgeworfenen Problemen m.E. nicht entgeht.
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auf solch ein eher passives »Sich-Ereignen-Lassen« radikaldemokratischer Sub jektivierung ausreichend ist.rn
Vor dem Hintergrund einer Diagnose Axel Honneths, der auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft ftir Erziehungswissenschaft 2012 konstatierte, dass ganz grundsätzlich die einstmals enge »Verknüpfung von Demokratie- und Erziehungskonzept, von politischer Philosophie und Pädagogik zerrissen« (Honneth 2012, 430) sei, scheint dieser Befund nichts Außergewöhnliches zu sein. Auch die radikaldemokratietheoretische pädagogische Leerstelle ware dann unter dem generellen politiktheoretischen Verlust des Interesses »an dem einzigen Organ«, so Honneth, »mit dem sich wenigstens versuchsweise und bei steter Anstrengung die fragilen Voraussetzungen einer demokratischen Willensbildung des Volkes immer wieder regenerieren ließen« (ebd., 438), zu rubrizieren. Aufgrund der soeben genannten akrorialen Voraussetzungshaftigkeit stellen pädagogische Fragen meines Erachtens jedoch für radikale Demokratietheorien eine besonders dringliche Herausforderung und zugleich ein besonders substantielles, theorieimmanentes Problem dar." Einmal abgesehen von einer möglichen anarchischen Grundströmung des Diskurses, die ein Desinteresse an vermeintlich notwendigerweise autoritativen Beziehungsverhältnissen (wie es das Erziehungsverhältnis wohl auch ist) erklären könnte, gründet die Problematik (und infolgedessen die weitreichende Nichtthematisierung pädagogischer Fragen) meines Erachtens in erster Linie in der theoriearchitektonischen Zentralstellung der als absolut postulierten Kontingenzannahme.0 Ein radi10 Exemplarisch kann in diesem Zusammenhang auf Tocquevilles (2006, 172 ff.) Darstellung des Jurywesens in Amerika verwiesen werden. Für den zeitgenössischen Kontext Z.B. auf Connolly (1993, 210) oder Castoriadis (2006, Ss). Castoriadis erkennt explizit auch die Möglichkeit eines solchen Zuwenig., wenn er davor warnt, sich lediglich auf die erzieherischen Effekte des Formalen der Demokratie, ihrer Institutionen, zu verlassen. Diese Einschätzung ist es, die Castoriadis im Unterschied zu anderen Radikaldemokrat*innen dazu veranlasste, auch über die Idee einer passiv-institutionellen Formung hinausgehende Überlegungen zu einer radikaldemokratischen Erziehung anzustellen (vgl. Sorensen 2016,410 f.). Insofern Honneth die von ihm dargestellte Entwicklung unter anderem aufein »falsch verstandene[s] Neutralitätsgebot des Staates« (Honneth 2012, 431) zurückruhrt und dies mit der Vorherrschaft liberalen politischen Denkens in Verbindung bringt, veranschlagt er zumindest indirekt jedoch auch theorieimmanente — in diesem Fall dem politischen Liberalismus inhärente— Grande. 12 Zur Idee einer anarchischen Grundströmung im radikaldemokratischen Denken der Gegenwart vgl, Flügel (2006) und May (2009). Gleichwohl ist festzuhalten, dass sich die anarchistische Theorie und Praxis durchaus und immer wieder intensiv mit dem Thema der Erziehung beschäftigt hat. Vgl. dazu Suissa (2010).
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kaldemokratisches Bildungsprojekt müsste ganz wesentlich Kontingenzakzeptanz und -sensibilität vermitteln und dürfte dabei unweigerlich auf die Frage nach dem kontingenten Status der Kontingenzannahme stoßen, was wiederum die Frage nach der autoritativen Vennittelbarkeit dieser Annahme aufwirft. Die Problematik ist natürlich weder neu noch unbekannt, stellt sich aber mit Blick auf das pädagogische Szenario in spezifischer Form dar. Die spezifisch radikaldemokratische Problematik besteht freilich vor dem Hintergrund eines grundsätzlichen Dilemmas, mit dem zunächst einmal sämtliche freiheitlich gesinnten Theorien konfrontiert sind — wozu ja nicht nur liberale Theorien im engeren Sinne gehören — und das sich im Feld der Pädagogik als basales »Strukturproblem moderner Erziehung« schlechthin manifestiert: »Dieses kulminiert in der Frage, wie trotz des notwendigen Zwanges Freiheit möglich wird und bleibt, mitsamt den Folgefragen nach der Legitimität freiheitsbeschränkender, -ermöglichender und -erhaltender pädagogischer Arrangements und Strukturvorgaben.« (Drerup 2012, 640) Diesem Dilemma wird bekanntlich häufig so begegnet, dass eine erzieherische, zwangsbewehrte Asymmetrie mit Verweis auf die anvisierte Realisation eines höheren, letztbegründeten Wertes — eben der Freiheit — legitimiert wird. Eben so beantwortet Immanuel Kant sich die selbst vorgelegte Frage, wie *Freiheit bei dem Zwange« kultivierbar sei (vgl. Kant 197711803i) und auch in zeitgenössischen pädagogischen Debatten lässt sich dieses Vorgehen beobachten." Dem radikaldemokratischen Denken steht eine solchermaßen inkonsistente Ausflucht ganz offensichtlich nicht zur Verfügung, operiert diese doch angesichts des Rekurses auf den höheren Wert Freiheit auf dem Terrain eines »letzten Grundes«. Wird die Kant'sche Frage also, wie eben angedeutet, häufig mit Verweis auf die Legitimität temporärer Asymmetrien beantwortet, sofern diese der Realisation eines höheren, letzten Wertes dienen, so kann sich ein Kontingenzerziehungsprojekt auf eine derartige Position gerade nicht zurückziehen — außer es gibt sich seinerseits einem »Kontingenzfundamentalismus« hin und stellt das Kontingenzpostulat nicht selbst unter einen Kontingenzvorbehal0 13 Johannes Drerup (2012) etwa plädiert in Auseinandersetzung mit und in Anschluss an Rousseau fiir einen strukturierten bzw. libertiiren Paternalismus zum Zwecke der Realisation einer »wohlge-
ordneten Freiheit«. 14 So lautet die Kritik von Oliver Flügel- Martinsen (2017a, 177 f.), nicht zuletzt an Oliver Mardian,
der die Grundlosigkeit ihrerseits ontologisiere. Insofern Marchart der Kontingenzannalune eine »über-historische oder supra-kontextuelle Geltung« (Marchart 2010, 79) zuspricht, ist dieser Vorwurf nicht völlig abwegig.
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Ein Kontingenzfundamentalismus aber stellt eine Antinomie dar und auch die Kontingenz lehrende Lehrperson ist in sich antinomisch. Mit einer ironischen Formulierung des schottischen Scholastikers Duns Scotus kann man sich etwas polemisch vor Augen fuhren, wie es in einem radikaldemokratischen Klassenzimmer zugehen müsste: »Wer leugnet, daß einiges Seiendes kontingent ist«, schreibt Scotus (zit. nach Arendt 2006, 270), *sollte solange gefoltert werden, bis er zugibt, es sei möglich, daß er nicht gefoltert werde«. In dieser Antinomie, so meine ich, gründet nachvollziehbarer Weise — vielleicht sogar zwingend — die pädagogische Leerstelle des radikaldemokratietheoretischen Diskurses.
8.2 Radikaldemokratie und Pädagogik — zwei konträre
Positionen (Mouffe und Ranci6re) Wirklich zutreffend ist die Behauptung einer Leerstelle freilich nur, wenn die Aufmerksamkeit allein den Theoretikerinnen des radikaldemokratischen Diskurses gilt, die die Erforderlichkeit radikaldemokratischer Subjekte allenfalls postulieren. Angesichts der soeben geschilderten aporetischen Konstellation mag es zwar erstaunen, aber davon unbenommen finden sich im Bereich der Politischen Bildung durchaus einige Versuche, die in Anschluss an radikaldemokratische Autor* innen die Umrisse and mitunter ganze Curricula einer radikaldemokratischen Erziehungs- und Bildungspraxis skizzieren (LB. Kirschner/Moll 2011; Moll u.a. 2013; Riefling u.a. 2012; Rodrian-Pfennig 2010; Wimmer 2011; Ruitenberg 2009, 2010; Spoto 2014; Wanggren und Sellberg 2012). Da ist dann beispielsweise von »Kontingenzorientierung«, »Veruneindeutigungsprinzip«, »Ausgeschlossenenorientierung« oder auch einer »Unterbrechungskompetenz« die Rede, die als zentrale Pfeiler eines radikaldemokratischen Erziehungsprojekts fungieren sollen. In den allermeisten Fallen beziehen sich diese Arbeiten auf Chantal Mouffe oder Jacques Randire und in beiden Fällen — wenn auch aus unterschiedlichen Gründen — Ist die Bezugnahme meines Erachtens verkehrt.'s Wie im Folgenden gezeigt 15 Ausnahmen stellen in meiner Sicht die hervorragenden Arbeiten Werner Friedrichs (z.B. 2017) und ein Aufsatz von ltay Snir (2017) dar. Beide identifizieren die tieferliegende Problematik eines radikaldemokratischen Bildungsvorhabens zwar treffend und versuchen damit kompatible Atnwormers uche zu geben, die in der jetzigen Fassung aber (noch) nicht zu überzeugen vermögen. Darauf werde ich weiter unten nochmal zurückkommen.
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werden soll, ist die Bezugnahme auf Mouffe insofern verkehrt, als man sich dabei — mit Mouffe — eine Situierung außerhalb der eigenen radikaldemokratischen Theorieprämissen einhandelt (8.2.1), wohingegen die Bezugnahme auf Ranci&e deshalb verkehrt ist, weil dieser bei genauer Lektüre keine theoretische Grundlage flit die Entwicklung curricularer Bemühungen anbieten kann und das auch gar nicht will (8.2.2).
8.2.1 Freundschaftliche Feinde erziehen (Mouffe)
Zunächst in aller Kürze zu Chantal Mouffe: Wenngleich Mouffe den Sachverhalt der Bildung und Erziehung zwar nicht explizit verhandelt, so scheint sie durchaus Ansatzpunkte für die Entwicklung einer radikaldemokratischen Pädagogik zu bieten, denn letztlich ist nichts anderes als ein Bildungsvorgang impliziert, wenn von einer Transformation des Antagonismus in einen Agonismus die Rede ist (z.B. Mouffe 2007, Kap. 1). Den Anderen nicht als Feind zu begreifen, den man auch physisch zu attackieren und letztlich sogar zu töten bereit ist, sondern als Gegner, »dessen Position im politischen Meinungsstreit bekämpft, aber nicht die Berechtigung abgesprochen wird« (Flügel-Martinsen 2017a, 245) — das will gelernt sein. Mouffe deutet diese pädagogische Dimension mal impliziter, mal expliziter an. Implizit etwa in ihrem Buch Das demokratische Paradox, wenn sie aus der Unüberwindbarkeit des Antagonismus folgert, dass es die »zentrale Aufgabe demokratischer Politik [sei], die Bedingungen zu erzeugen, die es weniger wahrscheinlich machen, dass solch eine Möglichkeit entsteht« (Mouffe 2010, 29), in der sich die beteiligten Akteure als letztinstanzlich tötungsbereite Feinde begegnen. Expliziter in Über das Politische, wo sie von »Zähmung«, »Sublimierung« und der Erforderlichkeit spricht, »eine Art gemeinsames Band« (Mouffe 2007, 29) auszubilden. Verantwortlich für ein derartiges »set of ethico-political values« (Mouffe 1991, 79) — oder, wie es in einer neueren Veröffentlichung heißt: eine »politische Verhaltensgrammatik« (Mouffe 2018, 80) — könnte dann durchaus eine radikaldemokratische Wertekunde oder — wenn man den bundesrepublikanischen Kontext einbezieht — eine am Beutelsbacher Konsens orientierte radikaldemokratische politische Bildung sein.16 16 Far entsprechend radikale bzw. radikaldemokratische Auseinandersetzungen mit dem Beutels-
bacher Konsens siehe Friedrichs (2016) und Westphal (2018). Hubertus Buchstein hat unLingst
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Was der Sache nach auch nicht unbedingt schlecht sein muss, bringt jedoch eine Problematik auf Ebene der Theorieprämissen mit sich. Mit der »gemeinsamen Bindung an ethisch-politische Prinzipien« (Mouffe 2010,103) führt Mouffe nämlich Konsensprämissen ein (vgl. dazu FlügelMartinsen 2017b, 56; ders. 2017a, 245), die mit der ansonsten postulierten Konfliktlogik nur schwer in Einklang zu bringen und, als politisches Bildungs-Projekt verstanden, nur »autoritativ« zu vermitteln sind. Der ansonsten hochgehaltenen, im Kontingenzpostulat gründenden Offenheit wird dadurch eine Beschränkung auferlegt. Das heißt freilich nicht, dass Kontingenz geleugnet wird, aber es wird ihr ein Riegel vorgeschoben, was aus radikaldemokratischer Perspektive, die der Kontingenz umfassend Raum geben möchte, durchaus als problematisch zu erachten ist. Um eine gelingende Entfaltung von Kontingenz zu gewährleisten, sieht Mouffe sich gezwungen, radikale Kontingenz einzuschränken, was politisch wünschenswert sein mag, theoretisch aber nicht konsistent ist. Um einer »gelingenden« radikalen Demokratie Willen ist Mouffe bereit, die (politik)bildnerische, autoritative Vermittlung bestimmter radikaldemokratiefiirderlicher Werte zu propagieren. Ein so verstandenes radikaldemokratisches Bildungsprojekt kann damit jedoch nicht seinen »eigentlichen« Ansprüchen gerecht werden, Kontingenz umfassend abzubilden. Richtig sind die oben genannten Anknüpfungen seitens der Politikdidaktik somit insofern, als sie tatsächlich bei Mouffe angelegte Überlegungen materiell ausbuchstabieren. Verkehrt sind sie hingegen insoweit, als sie — wie auch Mouffe selbst — damit zugleich die behauptete kontingenztheoretische Grundierung unterlaufen.17
mit Recht darauf hingewiesen, dass sich derartige Überlegungen in weniger pritentiös-radikakm Vokabular auch schon bei Ernst Fraenkel und seiner Unterscheidung vom erforderlichen unkontroversen Sektor in pluralistischen Demokratien finden (vgl. Buchstein 2020). 17Zugegebenermaßen verhehlt Mouffe das auch gar nicht, sondern bringt den Sachverhalt mit dem Ausdruck »demokratisches Paradox» begrifflich auf den Punkt (vgl insb. Mouffe 2010). Mit der Bezugnahme auf Freiheit und Gleichheit als unhintergehbare (gleichwohl aber nicht letztbegrii ndbare) Werte eines radikaldemokratischen Projektes wird Mouffes Theorie zu einer dezidiert politischen bzw. hegemonie-politisch intervenierenden Theorie. Auch damit hat Mouffe freilich nie hinter dem Berg gehalten, wie bereits mit dem Hinweis auf die sozialistische Strategie im 'Mel ihres gemeinsam mit Laclau verfassten, in radikaldemokratietheoretischer Hinsicht bahnbrechenden Buches von 1985 ersichtlich (vgl. Laclatt/Mouffe 1985). Insofern geht sie mit der hier konstatierten Inkonsistenz offen um — und befindet sich (auch) in dieser Hinsicht durchaus in Übereinstimmung mit Gramsci (2012,1335), insofern dieser vermerkt: »Jedes Verhältnis von .Hegemonie< ist notwendigerweise ein pädagogisches Verhältnis».
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8.2.2 Ignorante Lehrmeister und die Verabschiedung der Pädagogik (Ranci&e) Spiegelbildlich stellt sich der Sachverhalt bei Jacques Ranci&e dar. Bietet Mouffe durch die dargelegte Inkonsistenz tatsächlich die Möglichkeit fir politikbildnerische Anschlüsse, so sind die entsprechenden, an Ranciire orientierten curricularen Bemühungen aus dem Feld der Politischen Bildung durch und durch überraschend. Zwar ist Ranci&e meines Wissens der einzige Autor aus dem radikaldemokratischen Gesprächsfeld, der pädagogische Fragen explizit adressiert. Da er diese jedoch, wie gezeigt werden soll, radikaldemokratietheoretisch konsistent adressiert, muss er dear den Preis zahlen — und ist diesen zu zahlen bereit —, letztlich jeglicher Form von Bildung und Erziehung eine Absage zu erteilen. Zu erklären sind die engagierten Entwürfe (vermeintlich) ranci&escher Curricula einer Radikaldemokratiepädagogik deshalb eigentlich nur mit einer möglicherweise etwas eklektizistische Lektüre seitens der Politikdidaktiker*innen, die sich in der Regel nur einiger Passagen aus Das Unvernehmen bedienen, nicht aber die explizit mit Fragen der Pädagogik befasste Schrift Der unwissende Lehrmeister heranziehen.18 Mit dieser 1987 veröffentlichten Schrift19 intervenierte RancRre hintergründig auch in die Debatten um die Bildungsreformen der 1981 an die Macht gekommenen Regierung Francois Mitterands, an denen auch Pierre Bourdieu als Berater mitwirkte. Vor allem gegen Bourdieu richtete sich bereits Ranci&es 1983 unter dem Titel Der Philosoph und seine Armen veröffentliche Fundamentalkritik an den Sozialwissenschaften, in der er Bourdieu als modernen Platon und Soziologenkönig verunglimpfte (RanRanci&es Kritik der Pädagogik ist in Analogie zur dort ci&e 2010a, 225 explizierten Kritik der Sozialwissenschaften zu verstehen. Beide eint, so Ranci&e, ein erkenntnistheoretischer Überlegenheitsanspruch, der sich in der Logik des Erklärens manifestiere. Das Erklären der Pädagogik, auch der vorgeblich anti-autoritären, wie auch das Erklären der Soziologie, auch
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18 Als Ausnahme Ist erneut auf Werner Friedrichs (u.a. 2017) zu verweisen sowie — im englischsprachigen Kontext — auf Daniel Friedrich u.a. (2010). 19 Das französische Original ist damit zwar bereits deutlich vor Texten wie La Misentente (1995), Dix theses sur la pol itique (2000) oder La haine de la dimocratie (2005) erschienen, mit denen Ranciare sich explizit dem radikaldemokratischen Gesprächsfeld zuordenbar machte, aber wie spare Veröffentlichungen zeigen (z.B. Ranciare 2010b), halt er an den dortigen Überlegungen fist Zu Ranciares Verhältnis zur radikalen Demokratie siehe Bohmann (2018) oder Abbas (2019).
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r vorgeblich herrschaftskritischen, verkörpern eine herrschaftliche, soziale gik, insofern sich die bestehende soziale Ordnung in und durch Erklälg vergegenwärtigt und reproduziert, jene diese dadurch perpetuiert d stärkt (vgl. Ranci&e 2010b, 6)." »[D]ie Erklärung«, schreibt Ranciire, »nicht nur die verdummende Waffe der Pädagogen, sondern auch das sammenhaltende Band der gesellschaftlichen Ordnung selbst. [...I Die tägliche Erklärarbeit ist nur das Derivat der herrschenden Erklärung, die ie Gesellschaft charakterisiert.« (Ranciire 2007, 137) Die herrschende Erirung einer Gesellschaft materialisiert sich Ranciire zufolge sodann auch den Institutionen, gerade auch den Bildungsinstitutionen, der jeweiligen .sellschaft:»Jede Institution ist eine Erklärung der Gesellschaft« (ebd.,123). Dem Erklären ist für Rancire — das erscheint unmittelbar einleuchtend Ungleichheit eingeschrieben und — das erscheint nicht zwingend zutreffend entgegen anderslautender Behauptungen sei durch Erklären auch nie ein !stand der Gleichheit erreichbar. Denn dem Akt des Erklärens wohne per eine selbsttätige und unaufhebbare, ungleichheitsreproduzierende Dynaik infiniten Regresses inne: »Die Logik der Erklärung beinhaltet [...] das inzip eines unendlichen Regresses. [...] Was die Regression beendet und m System seine Grundlage gibt, ist ganz einfach, dass der Erklärende als nziger darüber entscheidet, an welchem Punkt die Erklärung selbst erklärt :.« (Ranci&e 2007, 14; vgl. auch Wetzel und Claviez 2016, 13) Wenngleich :h Ranci&e in erster Linie wegen der Ungleichheit voraussetzenden Herigehensweise und der diese produzierenden und reproduzierenden Wiring gegen jegliche Art des Erldärens ausspricht, so ist die Zurückweisung igleich auch als kontingenztheoretisch grundierte zu verstehen, da das Erären Kontingenz negiere bzw. unterdrücke, insofern es eine feststehenOrdnung und damit auch die fixierte »Verteilung der Ränge« (Ranci2007, 137) der gesellschaftlichen Ordnung behaupte. Seinen paradigma;chen Ausdruck findet das Erklären für Ranci&e daher in den Status quo
10 Neben Bourdieu stellt fur Ranci2re wenig verwunderlich auch sein früherer Mentor und akademischer Lehrer Louis Althusser und dessen ideologietheoretischer Ansatz ein bevorzugtes Kritikobjekt dar. In seiner Schrift Die Lektion Althussers findet sich daher paradigmatisch verdichtet ebenfalls seine Kritik alter, auch der vorgeblich emanzipatorischen, Bildungs- und Aufklärungsprojekte: »Wede Erziehungstheorie strebt danach, eine Mac ht aufrechtzuerhalten, die sie aufidären will.» (Ranci2re 2014, 83) Eigentümlicherweise klingt in dieser Feststellung jedoch zugleich auch wieder ein ideologiekritischer Unterton an. Diese Spannung durchzieht Rancihres Überlegungen freilich insgesamt und tritt nicht zuletzt auch mit seiner Rolle als Öffentlich intervenierender Intellektueller zutage.
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zementierenden Aussagen *Das ist der Fall«, »Das steckt dahinter» und »Anders kann es nicht sein«. Für die Frage nach den Möglichkeiten einer radikaldemokratischen Bildung ist das folgenreich, denn hiermit tritt die oben umrissene antinomische Konstellation erneut deutlich zutage: Zu erklären, dass die soziale Verfasstheit kontingent ist, ist ein herrschaftlicher, kontingenznegierender, polizeilicher Akt. Das radikale Verdikt gegen das Erklären richtet sich notwendigerweise auch gegen ein Erklären oder Aufklären der kontingenten Grundlagen des Sozialen. Auch die Radikale Demokratie, die sociiti dimocratique (Lefort), kann - oder besser: darf - sich nicht selbst erklären, will sie sich nicht einer grundlegenden Grundlosigkeit entziehen und hem schaftsförmig, polizeilich werden. Insofern jede Bildung oder Erziehung mit dem Erklären scheinbar auf einer polizeilichen, kontingenznegierenden Operation basiert, ist sie etwas, das aus radikaldemokratischer, die Grundlosigkeit zum Grund erklärenden Perspektive per se nicht konsistent als radikaldemokratisch gedacht werden kann. Anders als Mouffe geht Ranciire über diesen Punkt nicht einfach hinweg. Eine radikaldemokratisch-emanzipatorische Pädagogik - eine Pädagogik der Politik - kann es fur ihn nicht geben. Radikaldemokratische Bildung ist ein Oxymoron.' Und doch lässt es Ranci&e dabei nicht bewenden. Auf Grundlage einer womöglich etwas idealisierenden Auseinandersetzung mit den Erlebnissen des französischen Gelehrten Jean Joseph Jacotot und dessen Methode des >Universellen Unterrichts, stellt Ranci&e der klassischen Pädagogik eine Art gelingenden, angeblich emanzipatorischen Unterricht entgegen. Für die hier interessierende Frage ist eine knappe Darstellung des Szenarios ausreichend: um 1820 gelingt es dem nach Löwen emigrierten Jacotot, der kein Flämisch spricht, mithilfe einer zweisprachigen Ausgabe des Jugendbuches Telemach von Frangois Faelon, seinen flämischen Schülern, die zu Beginn kein Wort Französisch sprechen, die französische Sprache beizubringen oder besser: sie bringen es sich selber bei. Für Ranci&e widerlegt dieses Beispiel die These von der Erforderlichkeit der Erklärung für Bildung und steht ftir einen radikalen pädagogischen Zugang, der seinen Ausgangspunkt
21 Darauf weist auch Non Sternfeld in ihrer instruktiven Studie zu Fragen des Lehrens und Ler-
nens bei Foucault, Gramsci und Rancie re hin. Flir Ranciere könne es .keine politische Pädagogik geben, denn diese wire bereits wieder Unterweisung, Anleitung, Autorität. (Sternfeld 2009,41). Aus diesem Grund hake ich auch die Einschätzung von Wänggren und Sellberg (2012,548) fiir falsch, bei Ranciere lasse sich eine politische Pädagogik des Dissenses finden.
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nicht - anders als die klassische Pädagogik - in der Ungleichheit habe (vgl. dazu Ranci&e 2olob, n, sowie insg. Ranci&e 2007). Man könnte nun denken, dass darin doch noch die Möglichkeit einer radikaldemokratischen Bildung aufscheint. Aber nimmt man Ranciires Überlegung ernst und denkt sie radikal zu Ende - was auch hieße, das von Ranciire gewählte Beispiel Jacotots zurückzuweisen -, dann wäre die Rolle und Funktion der Lehrperson letztlich derart reduziert, dass im Grunde nicht einmal mehr die Auswahl der Gegenstände des Unterrichts zulässig ist.22
Genau das tut Jacotot allerdings. Darin besteht folglich auch eine Schwäche des ranci2reschen Beispiels, welches es daher konsequenterweise auch zurückzuweisen gelte. Selbst wenn, wie Wetzel und Claviez (2016, 13) schreiben, die Aufgabe des unwissenden Lehrmeisters .lediglich darin lbestehtl, den Schülern und Schülerinnen Aufgaben zu stellen und allen den Glauben an ihre eigene und prinzipiell gleiche Lernahigkeit einzuimpfen., so ist es doch ein Stellen von Aufgaben über etwas, das die Lehrpersonfir erlenienswert erklärt - in diesem Fall die französische Sprache -, sowie die Vorgabe einesprgeeigneterklärten Instruments zur Erffillung der, wenn auch autodidaktisch zu vollziehenden, Aufgaben - in diesem Fall die zweisprachige Ausgabe des Telemark. Problematisch erscheint das Beispiel noch aus einem anderen Grund. Denn der Unterrichtsgegenstand (Fremd)Sprache ist keineswegs so unkompliziert, wie es Rancieres Darstellung nahekgt. Durch seine Fixierung auf die Lehrperson droht dies jedoch in den Hintergrund zu treten und subtilere Machtkonstellationen durch die offen zutage liegende, personale Autoritätskonstellation überdeckt zu werden. Diese subtileren, von Ranciire hier ausgeblendeten Machtkonstellationen liegen in zweifacher Weise vor: Zum einen scheint Ranciere in seinen pädagogischen Überlegungen davon auszugehen, dass beherrschende Macht und Autorität nur durch personak Erklärung ins Spiel kommen. Aus diesem Grund kann er völlig bedenkenlos auf die kindliche Befähigung zum Erlernen der Muttersprache verweisen und diesen Vorgang als herrschaftsfrei behaupten (vgl. Ranci2re 2010b, 2f.). Sieht man einmal davon ab, dass Erwachsene in der Regel durchaus - bspw. durch Verbesserung und Korrektur - in diesen Vorgang eingreifen, so werden auch jenseits davon Machteffekte wirksam, indem sich Kinder nachahmend - oder mit Wittgenstein: blind einer Regel folgend - in die Sprache 'einarbeiten, deren zumindest vergleichsweise festgeffigten Sinn- und Bedeutungsmuster übernehmen. Indem Ranci2re diesen Vorgang als einen neutralen, und Sprache hier als eine unbelebte, nicht von Macht durchzogene Entität erscheinen lässt, verkennt er, was ihn seine Feststellung, dass gjlecle Institution J..) eine Erklärung der Gesellschaft. (Ranci2re 2007,123) ist, eigentlich zuerkennen erlaubt hätte: dass Sprache, wie man mit Castoriadis bzw. Wittgenstein sagen könnte, auch eine Institution bzw. materieller Ausdruck einer Lebensform (vgl. Castoriadis 1986, Wittgenstein 2006) und damit von Macht durchzogen, diese ausübend und reproduzierend ist. Auf dieser grundlegenden subtilen Machtkonstellation sitzt eine zweite auf; die Ranciere in seinem Beispiel ebenfalls verkennt bzw. zumindest als unproblematisch erscheinen Lissy Die Macht der Obersetzung. Wie der Komparatist Peter Zima prägnant bemerkt, ist der Obersetzer stets .zugleich ein Vermittler, der auf den Rezeptionsprozess und die ästhetische Normbildung einwirkt. (Lima 2011,251). Selbiges gilt freilich auch &a politische und soziale Normen, die selbstverständlich auch - auch daraufverweist Zima - durch belletristische Texte und deren Obersetzungen vermittelt werden können. Indem sich Ranciire ausschließlich auf die Autoritätseffekte der Lehrperson konzentriert, ignoriert er die normbil-
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Daniel Loick hat insofern mit seinem Hinweis völlig Recht, dass sich der ranciresche Lehrmeister streng genommen »einem curricularen Agnostizismus zu verschreiben« (Loick 2012, 291) habe. Auch vermittels eines universellen Unterrichts a. la Jacotot kann es dementsprechend also keine Radikaldemokratie- Erziehung geben, schlichtweg deshalb, weil die Vermeidung des Erklä.rens — auch des Für-bedeutsam-Erkkirens — eine absolute inhaltliche Enthaltsamkeit in jeglicher Hinsicht erzwingt. In Verbindung mit der radikal individualistischen Aufladung, mit der Rancire das Projekt eines universellen Unterrichts nach Jacotot versieht — »Der universelle Unterricht kann sich nur an Individuen richten, niemals an Gesellschaften.« (Ranci&e 2007,123) — und der damit verknüpften Absage an eine Vorstellung des universellen Unterrichts als öffentliches politisches Projekt — »Er kann sich weder durch die noch in den Institutionen der Gesellschaft verbreiten« (ebd.) —, ist es nur folgerichtig, dass Ranci&e selbst festhält, dass sich der universelle Unterricht nicht »auf die Herstellung einer bestimmten Kategorie von gesellschaftlichen Akteuren spezialisieren« (ebd., 121) kann. Auch und gerade die Herausbildung radikaldemokratischer Subjekte, so wird hier nochmal aus anderer Perspektive ersichtlich, kann dadurch nicht bewirkt werden.
denden Autoritätseffekte, die in der nur vermeintlich neutralen Unterrichtsmaterialie eingelagen sind. Aber selbst wenn Ranciire das einzubeziehen bereit wire, dürfte der unwissende Lehrmeister - dem Verdikt des Erklärens Folge leistend - dies nicht problematisieren. Gerade darin aber könnte die Aufgabe eines emanzipatorisch gesinnten Lehrmeisters ja bestehen: er soll und muss nicht die richtige übersetzung liefern (die es ohnehin nicht gibt), sondern könnte - um beim Beispiel zu bleiben - über die MachtformigIceit von Obersetzung und die konkreten machtvollen Wirkungen je konkreter Obersetzungen aufklären und damit einem Kontingenzunterricht dienen, der Kontingenz nicht mit bloßer Beliebigkeit verwechselt, sondern deren Verwobenheit mit Macht reflektiert. So verstanden wire dann auch der generellen These Ranciires zu widersprechen, dass »the distribution of knowledge does not, in itself, include any egalitarian consequences for the social order» (Ranci2re 20106,10). Die Distribution des Grundlosigkeitspostulats und die Problematisierung der je konkreten Gewordenheiten kann durchaus die Grundlage Fir egalitär gesinnte politische Kämpfe schaffen bzw. derartige Kämpfe überhaupt erst als möglich und sinnvoll wahrnehmbar erscheinen lassen. Vor diesem Hintergrund ist auch die obige Kritik (vgl. FN 21) an Wanggren und Sellberg zu relativieren. Wenn man nämlich eingesteht, dass der unwissende Lehrmeister letztlich doch zumindest seine eigene Unwissenheit zu vermitteln versucht, so liegen sie mit ihrer Feststellung richtig, dass sich damit gewisse Parallelen zur Figur des Sokrates als »Geburtshelferin des Wissens» auftun (ebd., 553) - auch wenn Ranciire sich davon (filschlicherweise) explizit distanziert.
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8.2.3 An den Grenzen der Selbstentgrenzung — ein Zwischenfazit An dieser Stelle ist daher mit Blick auf das hier interessierende Thema ei-
ne etwas ernüchternde Schlussfolgerung zu ziehen. Einmal abgesehen davon, dass Ranci&e mit seiner radikalen Privatisierung eines jeden Bildungs-
schicksals in bemerkenswerte Nähe zu konservativen oder neoliberalen Positionen rückt, die »eine Erweiterung der Bildungschancen mit dem Argument ablehnen, dass alle schon jetzt etwas erreichen konnten, wenn sie sich nur richtig anstrengten« (Loick 2012, 300),23 zeigt seine Perspektive in aller Radikalität auf, inwiefern eine auf dem Paradigma der dynamisch stabilisierenden Selbstentgrenzung basierende radikale Demokratie an ihre Grenzen kommt. Wenn man am Erhalt, der Verstetigung oder gar dem Florieren radikaler Demokratie als System dynamischer Stabilisierung interessiert ist, muss man sich entweder um die erzieherische Herausbildung radikaldemokratischer Subjekte bemühen oder aber hoffen, dass die Bürger*innen immer schon als Radikaldemokrat*innen geboren werden. Beide Zugänge stellen sich aus radikaldemokratietheoretischer Perspektive als dilemmatisch dar. Der erste Weg ist einem sich selbst »rein« haltenden radikaldemokratischen Zugang verbaut, denn theoretisch konsistent kann die Vorstellung einer radikaldemokratischen Bildung wie gezeigt nur zurückgewiesen werden. Der zweite Weg ist hingegen in politischer Hinsicht nicht überzeugend und letztlich apolitisch: die radikale Demokratie ist zwar zu ihrem Erhalt and ihrer Vertiefung auf radikaldemokratische Subjekte angewiesen, kann deren Existenz aber nur dem Zufall überlassen24. Ranci6re selbst gesteht das implizit ein, wenn er im Unwissenden Lehnmeister die den universellen Unterricht orientierende »Methode der Gleichheit« mit einer »Methode des Zufalls« (Ranciere 2007, 22) gleichsetzt. Insofern aber das von Rancire ersehnte, emanzipatorische Zerbrechen der Aufteilung des Sinnlichen (z.B. Ranciere 2002, 41) eines Wissens um deren Nicht-Notwendigkeit, ihrer Kontingenz bedarf, dieses aber nicht vermittelt werden kann bzw. darf, wird auch die radikale Demokratie dem Zufall über-
23 Einen gegen Rancieres padagogische Überlegungen gerichteten Konservatismusvorwurf erhebt auch Perica (2016, 307). Auf mögliche anti-emanzipatorische Effekte - allerdings mit Blick auf Rancieres Kritik kritischer Sozialwissenschaften - verweist auch Celikates (2014,139).
24 Vollkommen berechtigt unterstellt Ruth Sonderegger daher bei Ranciire einen »somewhat naive optimism with regard to the subjects of resistance ( -) Ranci2 re's hero seems to be born as master of radical disagreement« (Sonderegger 2012,256 E; Ihnlich auch Davis 2014,55).
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lassen.25 Vor diesem Hintergrund kann es sodann auch nicht verwundern,
dass Ranciere Politik nicht nur fiir »selten« erachtet - darauf wird ja immer wieder und zu Recht kritisch verwiesen -, sondern auch als »lokal und zu.P1lig« (Ranciere 2002, 148; Hervorh.: PS). Wenn aber Radikaldemokratie nur ein Zufallsprojekt ist, dann ist sie noch in einer weiteren Hinsicht begrenzt, nämlich in ihrer Attraktivität als politisches Projekt, für das es sich unter Umständen zu kämpfen lohnt.
8.3 Präfigurative Pädagogik — Umrisse einer >unreinen(
radikaldemokratischen Bildung Ist radikaldemokratische Erziehung somit also grundsätzlich unmöglich? Wenn man dem Rigorismus Rancieres folgt, ist das sicherlich zutreffend aber womöglich steht Rigorismus einem Projekt radikaler Demokratie ja gar nicht so gut zu Gesicht und es könnte sich lohnen, der Frage nach einer Ausgestaltung radikaldemokratisch motivierter Bildungsverhältnisse noch einmal nachzugehen. Ich möchte abschließend einige Gedanken skizzieren, wie ein solches Verhältnis zu bewerkstelligen bzw. über welche Fragen nachzudenken, wie also diese - mit den Worten Sigmund Freuds (1950, Kap. 7) - unmögliche Aufgabe anzugehen wire. Eine unmögliche Aufgabe, die aber nichtsdestotrotz und um einer radikalen Demokratie Willen angegangen werden sollte.26
25 Aus diesem Grund halte ich auch den sehr inspirierenden Ansatz von Friedrichs air unzurei-
chend. Er erkennt die Autoritätsproblematik im Rahmen eines Kontingenzerziehungsprojeku und folgert deshalb, dass radikaldemokratische Bildungsvorgänge «ohne den Vermittler zu denken« (Friedrichs 2017, 318) seien. Aufbauend auf Michel Foucaults Überlegungen zu Heterotopien konnte das nach Friedrichs durch die Bereitstellung von Räumen zur Erfahrbarmachung von Kontingenz geschehen, in denen die herrschende sinnliche Ordnung außer Kraft gesetzt ist. Abgesehen davon aber, dass diese Räume von irgendwem autoritativ eingerichtet und gestaltet werden, handelt es sich dabei, mit der frühen Kritischen Theorie gesprochen, um ein Flastintpost-Modell. Verweigert man sich der Einnahme einer notwendig autoritativen Vermittlerroller, kann man auf das Auffinden und Betreten derartiger Mime bloß hoffen, weshalb ein tatsächlicher Bildungsvollzug auch hier letztlich dem Zufall überlassen bleibt. 26 Einen weiteren Inspirationsquell fir Modellierungen radikaldemokratischer Erziehungstellt natürlich John Dewey dar (v.a. 2011). Freilich einem anderen Strang radikaldemokratischen Denkens entstammend (vgl. Jörke/Selk 2019 bzw. Bernstein 2010), expliziert Dewey an verschiedenen Stellen (z.B. Dewey 1978) einen von Indoktrination unterschiedenen, (radikalidemokratischkooperativen Erziehungsvorgang unter Bedingungen umfassender Ungewissheit, die dynami.
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Für die Frage einer radikaldemokratischen Erziehung gilt das freudsche Diktum der Unmöglichkeit zweifellos in besonderem Maße, muss sie sich doch nicht nur »auf eine Autonomie stützen, die noch nicht existiert, um an der Erschaffung der Autonomie des Subjekts mitzuwirken« (Castoriadis 1989,68), sondern zudem, wie oben erläutert, mit der Aporie der Kontigenzvermittlung umgehen. Das macht offenbar eine in gewisser Weise paradoxe pädagogische Intervention erforderlich, insofern diese — in Ranci6res Begrifflichkeit — eine polizeiliche Operation sein müsste, die auf das Transzendieren oder die Transgression von Polizeilichkeit selbst zielt. Anders aber als es in liberalen Erziehungsprojekten häufig der Fall ist,27 sollten dabei die Zwecke nicht die Mittel rechtfertigen, sondern — mit den oben bereits zitierten Worten Gustav Landauers formuliert — »das Mittel schon in der Farbe des Ziels gefärbt« (2009 [19011, 276) sein. Es dürfe, so hielt auch Cornelius Castoriadis (1989, 68) in einem der freudschen Unmöglichkeitsthese gewidmeten Aufsatz fest, im Rahmen einer emanzipatorischen Pädagogik »keine von den Zwecken getrennte Mittel« geben — womit wohlgemerkt nicht gesagt ist, dass gar keine emanzipatorische Pädagogik vorstellbar ist, sondern sie von einer bestimmten — emanzipatorischen — Modalität zu sein habe.28 Wie mit dem erneuten Verweis auf Landauer bereits angedeutet, bietet das Konzept der Präfiguration — verstanden als der Vollzug von Praktiken, die im Jetzt und Hier experimentell und im Wissen um die eigene Imperfektibilität Beziehungsformen erproben, die einen als ideal imaginierten Zustand vorwegzunehmen und sich ihm dadurch auch reflexiv korrigierend anzunähern gedenken (siehe Kap. 2) — in meinen Augen die Möglichkeit, in produktiver Weise mit dieser offenbar aporetischen Konstellation umzugehen. Erklärtermaßen beabsichtigt sie es, im politischen Handeln eine spezifisch geartete Konvergenz von Mittel und Zweck zu realisieren und fokussche Stabilisierung im Sinne eines kontinuierlichen und kontinuierlich einzuübenden Problemlösungshandelns erforderlich machen. Siehe dazu mit besonderem Fokus auf Politik und Erziehung Jörke (2007). Aus dezidiert pädagogischer Perspektive und mit Blick auf die hier folgenden Ausathrungen interessant: Knoll (2018). 27 Ganz unverhüllt z. B. bei John Stuart Mill (2008 (1859),17), nicht zuletzt mit vorteilhaften Implikationen für die britische Kolonialpolitik (vgl. dazu Ebert 2011). 28 Ein weiterer Protagonist des radikaldemokratischen Diskurses, der die Zweck-Mittel-Relation problematisiert, ist Giorgio Agamben (z.B. Agarnben 2001: siehe auch Fliig•el-Martinsen 2019b). Allerdings bleiben die daraus resultierenden Überlegungen zu einer anderes Lebens-Fan*, einer kommenden Politik bestenfalls schemenhaft und scheinen in weltabgewandte Exodusprojekte zu münden (vgl. Agamben/Radisch 2015). Nicht zuf3llig erkennt Agamben (2012, ins& III) einen Vorschein in monchisdien Ordenspraktiken der Franziskaner.
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siert dabei explizit auch die subjektivierenden Wirkungen auf die am Geschehen Beteiligten, weshalb eine pädagogische Indienstnahme auch keineswegs fernliegt? Würde das Modell präfigurativen Handelns ein pädagogisches Unterfangen orientieren, so hieße das far Fragen des Vollzugs von Bildung im radikaldemokratischen Kontext, dass Kontingenz nicht nur vorrangiger Inhalt, das heißt, das Lernziel ist, sondern auch in der Form, in der Modalität des Bildungsvorgangs, bestmöglich zur Geltung zu bringen wire. Es gelte dann, Räume der Ermöglichung des Lernens und Sich-Bildens zu schaffen, in denen die Möglichkeit des personalen Wissens und auch des Wissensvorsprungs als Ausgangspunkt nicht — ebenso wenig wie die Wissensvermittlung — kategorial abgelehnt. Wissen aber auch nicht als unhinte rfragbar und Wissensvorsprünge nicht als ewige Gegebenheit hypostasiert werden.3° Derridas Sentenz von der kommenden Demokratie ernst nehmend, wäre eine radikaldemokratische Erziehungspraxis zudem eine präfigurative Praxis, die beständig im Prä.figurativen verbleibt31 — das aber gleichwohl nicht als Makel begreift. Gegen Rancires von Sonderegger (2012) identifizierte naiv-optimistische Einschätzung wäre mit Aletta Norval (2007,139) zu formulieren, dass Radikaldemokrat* innen immer wiederauft Neue Radikaldemokrat*innen werden müssen. Dieses Credo gilt wohlgemerkt far »Schlero wie »Lehrerinnen« gleichermaßen. Eine beiläufige Notiz Antonio Gramscis aus den Gefiingnisheften könnte vielleicht zur Orientierung dienen, wie deren Beziehungsverhältnis in einem radikaldemokratischen Setting beschaffen 29 Tatsächlich finden sich im bildungswissenschaftlichen Kontext auch sehr vereinzelte Bezugnah-
men auf das Konzept. Eine explizite Behandlung des Bildungsbezugs von Präfiguration findet sich bei Suissa (2009), des Weiteren ware auf Michael Fielding (2007), Tristan McGowan (2010), Sarah Amsler (2015) und der Sache nach Stephanie Spoto (2014) zu verweisen. Aus dem Bereich der (historischen) Bewegungsforschung mit Bildungsbezug siehe Niemi/Plante (2008) sowie Isaac u.a. (2020). 30 In diese Richtung weisen m. E. auch die Überlegungen zu einer »Kontingenzpäda gogik» von Norbert Ricken (1999, insb. 407-409 und 413). 31 Auch deshalb handelt es sich um eine unmögliche — weil unvollendbare — Aufgabe. Damit gehe ich fiber Tristan McCowans Modell präfigurativer Bildungspraktiken hinaus. Bei ihm heat es: *Prefigurative forms differ from other approaches giving intrinsic value to democratic structures in that they have an explicit commitment to the creation of a new form of society, rather than solely preparing citizens for effective participation in the current one.» (McGowan 2010, 23) Einer radikaldemokratischen Zugangsweise zufolge kommt eine Gesellschaft jedoch nie endgültig »zu sich selbst», ist stets ein unmögliches Objekt (vgl. Marchart 2013) und kann daher auch nicht auf die präfigurative Herausbildung eines konkreten, substantiell gestalteten Bürger"innenmodells setzen.
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zu sein hätte: »[D]as Lehrer-Schüler-Verhältnis«, schreibt Gramsci, sollte sein aktives Verhältnis wechselseitiger Beziehungen [sein], [in dem] jeder Lehrer immer auch Schüler und jeder Schüler Lehrer ist.« (Gramsci 2012, 1335)" Hatte ich bereits oben im Rahmen meiner ideengeschichtlichen Spurensuche auf gewisse transformationstheoretische Parallelen des jungen Gramsci und Landauers hingewiesen, so findet sich auch im hiesigen Kontext bei Landauer eine verwandte Überlegung. Es gelte, so schreibt er in einem 1910 publizierten Aufruf zur freien Schule, »dem Verhältnis des Lehrers zum Schüler den gräßlichen Charakter der Autorität und des Gehorsams nehmen« und dies könne nur gelingen, insofern sich Lehrer und Schüler zu einer auf Wechselseitigkeit basierenden »Genossenschaft von Lernenden und Lehrenden« vereinigen (Landauer 1988, 117; zu Landauers Bildungsüberlegungen auch Wolf 1995). Eine radikaldemokratische, postfundamentalistische Lehrperson ware dann perspektivisch nicht so sehr ein unwissender — in Wahrheit: ignoranter — Lehrmeister im Sinne Rancires, sondern eine sich selbst und ihr eigenes Wissen zur Disposition stellende Person in einem auf Oszillation basierenden pädagogischen Verhältnis. Man könnte sie sich in Anlehnung an das Gedicht Kinder und Linke von Erich Fried (1988, 77) vorstellen, in dem man »rechts« mit »fundamentalistisch« und »links« mit »postfundamentalistisch« ersetzt: Eine solche Lehrperson ergeht sich nicht in ignoranter Indifferenz — ihr ist es nicht gleich, was die Kinder denken. Diese Verantwortungsübernah-
Ivan Illich (2003). Interessant ist wohlgemerkt auch der daran anschließende Satz Gramscis:.Aber das pädagogische Verhältnis kann nicht auf die spezifisch ,schulischen, Beziehungen eingegrenzt werden.. (Gramsci 1994, 1335) Damit verweist er darauf, dass eine entsprechende Konzeptualisierung sich auch dahingehend zu öffnen hätte, nicht nur aber andere Modi, sondern auch über andere Orte des Erziehens nachzudenken. Entsprechende Überlegungen haben aus einem anarchistischen Kontext heraus etwa Colin Ward und Anthony Fyson 09733 angestellt. Far einen radikaldemokratisch inspirierten Versuch wire auf das von Werner Friedrich und dem Kiinstler'innenkolleictiv JAJAJA (http://jajaja.in/) verantworte Experiment Atopic Polities zu verweisen (siehe Friedrichs 2021a), Diese Verschiebung heißt gleichwohl nicht, dass nicht auch klassisch-staatliche Schulen Orte einer präfigurativ-experimentellen, radikaldemokratischen Bildung sein könnten. In diese Richrung gehen die Überlegungen von Michael Fielding (2007). Einige der von mir benannten .Charakteristika< radikaldemokratisch-prifigurativer Bildungsprozesse finden interessanterweise in gewissen Hinsichten eine Entsprechung in Howards und Pratt-Boydens Darstellung der Tent City University im Rahmen von Occupy London (vgl. Howard/Pratt-Boyden 2013, 735 E).
32 Nahezu identisch formuliert findet sich dieser Gedanke auch bei
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Wer Kindern sagt Ihr habt rechts zu denken der ist ein Rechter Wer Kindern sagt Ihr habt links zu denken der ist ein Rechter
Wer Kindern sagt Ihr habtfundementalistisch zu denken der ist ein Fundamentalist Wer Kindern sagt Ihr habt posndamentalistisch zu denken der ist ein Fundamentalist
Wer Kindern sagt Ihr habt gar nichts zu denken der ist ein Rechter Wer Kindern sagt Es ist ganz gleich was ihr denkt der ist ein Rechter
Wer Kindern sagt Ihr habt gar nichts zu denken der ist ein Fundamentalist Wer Kindern sagt Es ist ganz gleich was ihr denkt der ist ein Fundamentalist
Wer Kindern sagt was er selbst denkt und ihnen auch sagt dass daran etwas falsch sein könnte der ist vielleicht ein Linker
Wer Kindern sagt was er selbst denkt und ihnen auch sagt dass daran etwas falsch sein könnte der ist vielleicht ein Postfu ndamentalist
me mündet jedoch nicht in eine doktrinär-autoritäre Vermittlungsarbeit.m
Die Lehrperson verordnet keinen Kontingenzfundamentalismus und ist mit den Worten Duns Scotus' - nicht Willens, diesen notfalls mit Folter einzubläuen. Vielmehr - das symbolisiert die letzte Strophe des Gedichts von Erich Fried - wird die Zielsetzung in die Modalität des Unterrichts hineingezogen, der in noch näher auszuarbeitender Weise als »experimentell« verfasst zu begreifen wäre.54 Eben darin könnte auch eine Antwort auf die Frage aufscheinen, wie aus radikaldemokratischer Perspektive mit Arendts Diktum umzugehen sei, dass sich »Mil der Erziehung diese Verantwortung für die Welt in der Autorität« (ebd., 270) äußere. Im Rahmen des zuletzt wiedererwachten,
33 Neben der radikalen Ablehnung von Wissensvermittlung betont Ranciere zwar wiederholt auch die motivierenden Züge eines unwissenden Lehrmeisters, aber ob diese Wirkung zeigen und worauf überhaupt sich ein dadurch motiviertes Verhalten richten kännte, bleibt fraglich. 34 Experiment und Experimentalismus als Form und Signum radikaler Demokratie propagiert überzeugend Rahel Süß (2019). In sehr groben Umrissen skizziere ich ein aus drei Komponenten bestehendes Modell experimenteller politischer Bildungspraxis in Sörensen (2021). Zta Idee radikaldemokratischer politischer Bildung als Experiment siehe Friedrichs (2021b).
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explizit auch demokratietheoretisch ausbuchstabierten Interesses an Autorität (z.B. Michael/Straßenberger 2018; Landweer/Newmark 2018), wäre eine dezidiert radikaldemokratische Autorität im Detail freilich erst noch zu entwickeln. Autorität in einem radikaldemokratischen Sinne wäre dabei dialektisch und differenziert zu denken. Anders als häufig behauptet, könnte dafiir die ältere, keineswegs ausschließlich autoritätsfeindliche Kritische Theorie Inspirationspotenzial bieten, sei es in Form von HorIcheimers (1963, 48) Kritik eines voluntaristischen Anarchismus, Adornos (1971, 140) Überlegungen zu Autorität als unerlässlichem Baustein einer Erziehung zur Mündigkeit, Löwenthals Thesen zu Autorität als »unentbehrliche[r] Voraussetzung des gesellschaftlichen Lebens« (Löwenthal 1962, 253) und insbesondere Marcuses Gedanken, die fur die hier entworfene Skizze besonders anschlussfähig zu sein scheinen, insofern er in seinem Versuch über die Befreiung nachdrücklich auf der Konvergenz von Zweck und Mittel in auf Emanzipation zielenden Projekten beharrt (Marcuse 1969, 130), wie auch in diesem Zusammenhang explizit auf präfigurative Sub jektivierungspraktiken als modus operandi verweist (ebd., 24 f.).35 Ein solches Denken einer »anderen Autorität« (Horkheimer 1963, 48) findet seine Fortsetzung in den Schriften von Vertreter*innen der jüngeren Kritischen Theorie, etwa bei Maeve Cooke oder Hartmut Rosa. Während Rosa (2016, 414 f.) insbesondere auch auf die unhintergehbare Erforderlichkeit eines personal-autoritativen Moments der Initiation von Bildungsprozessen verweist,36 erlaubt Cookes (2019) institutionentheoretischer Zugang das Nachdenken über eine Auffassung von Autorität, die nicht ausschließlich oder in erster Linie als personale Autorität begriffen wird, sondern auch als eine situations- oder raumbezogene. Ein solche Verständnis ebnet den Weg, jene hier angesprochenen prä.figurativen Orte der Erfahrbarmachung von Kontingenz, als Manifestationen einer nicht-autoritären, radikaldemokratischen Autorität zu durchdringen. Autorität wäre dann nicht (nur) die Eigenschaft einer Lehrperson, sondern die Bezeichnung eines Settings, das das Erfahren, Erproben und Praktizieren von Kontingenz ermöglicht und in der das Verhältnis von Lehrerin und Schuler eine andere als die klassisch-hierarchische Form annähme, ohne zugleich völlig annulliert zu werden. In derartigen
35 Darauf verwies jungst auch Marchart (2019,167-171). 36 Auf Rosas resonanztheoretische Überlegungen als anschluss5higes Konzept für einen positiven, demokratiekompatiblen Autoritätsbegriff verweisen etwa auch Landweer und Newmark (2017, 472).
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Konstellationen wird die Utopie radikaldemokratischer Bildung, so ließe sich Bubers oben angeführte Einschätzung paraphrasieren, in einem besonderen Sinne topisch: sie »ist nicht >ortloshier und jetzt< in dem hier und jetzt möglichen Maße verwirklichen« (Biker 1950,139).
Es dürfte einigermaßen naheliegend sein, dass die Frage des Erfolgs einer radikaldemokratisch inspirierten politischen Bildungspraxis anders zu bestimmen wäre, als dies im hegemonialen Strang der kognitiv-lernenden Modellierungen (dazu Friedrichs 2020) von Bildung der Fall ist. Nicht (nur) das erlernte und abfragbare Wissen stünde im Fokus des Interesses, sondern (gerade auch) die kontinuierliche praktische Bereitschaft - frei nach Adorno -, sich selbst und allen anderen zu gestatten, immer wieder aufs Neue angstfrei verschieden zu sein, und an den gesellschaftlichen Ermöglichungsbedingungen dieser Zielperspektive mitzuwirken, die Utopie der Herrschaftsfreiheit beständig zu konkretisieren. »Erfolg als akademischer Lehrer«, so hat es Theodor Adorno in einem Radiogespräch einmal formuliert, dabei ein alternatives Erfolgsverständnis andeutend, »verdankt man offenbar der Abwesenheit einer jeden Berechnung auf Einflussnahme, dem Verzicht aufs Überreden. [...] Max Scheler sagte einmal, er habe padagogisch nur deshalb gewirkt, weil er niemals seine Studenten pädagogisch behandelt habe.« (Adorno 1971; 75 f.) Was hier zunächst vielleicht, ähnlich wie bei Ranci&e, als umfassende Absage an die Pädagogik insgesamt verstanden werden könnte, verweist zuvorderst darauf, dass es alternative, konkurrierende Verständnisse von Pädagogik und dementsprechend auch konkurrierende, alternative Verständnisse pädagogischen Erfolgs gibt. Mit den Maßgaben und Instrumenten der hegemonialen Bildungsforschung im Stile PISAs oder 1GLUs dürfte ein solch radikaldemokratischer Erfolg nicht zu messen sein und es wird auch gar nicht beabsichtigt. Wenngleich hier nicht der Platz ist - und mir auch die entsprechende Expertise fehlt -, um über alternative Erfolgskriterien für eine radikaldemokratische Bildungspraxis nachzudenken, so ist damit jedoch ein Punkt angesprochen, der auch für die in dieser Studie basal interessierende Frage nach der Politizität prafigurativer Praktiken von großer Bedeutung ist. Ebenso wie es konkurrierenden Pädagogikverständnissen entsprechende konkurrierende Verständnisse von Bildungserfolg gibt, so ist auch davon auszugehen, dass konkurrierenden Politikverständnissen auch konkurrierende Verständnisse politischen Erfolgs entsprechen. Sollte man also am Ende dieser Studie der
Fint.COGIE AIS HELAI:STCYPEICNG
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Ansicht erwas al,gewinnen können, dass prlEgurativen Praktiken durrn eine, wenn and-t genuin eigene Politizitit zugrunde liegt, so dürfte auch der Gee2r1(f. eines entsprechend efierartfien Erfolgsverständnisses nicht irritieren. Erst vor diesem Hintergrund dürften die einleitend angeführten Erfolglosigkeitsdiagnosen zu Occupy und anderen Bewegungen sinnvoll zu bewerten sein. ZlImindest zaghaft und tentativ möchte ich mich in den nun folgenden Schlussbemerkungen auch einer Erkundung eines solch alternativen ErfolgsverstinrInicses widmen. Politikwissenschaftlich und damit machtanalytisch interessant ist ein solches Unterfangen gerade auch deshalb, weil das Erringen von Deutungshoheit in Sachen Erfolgsträchtigkeit ihrerseits ein wesentlicher Teil erfolgreichen politischen Handelns sein dürfte. Sieger sehen unter anderem und stets auch deshalb wie Sieger aus, so könnte man in Anlehnung an Walter Benjamin formulieren, weil sie die Verliereeinnen in diversen Weisen daran hindern, ihre eigenen (Erfolgs-)Geschichten nach eigenen Parametern zu schreiben.
I11. Resümee
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9. Präfigurative Praxis — ihre Politizität und ihr politischer Erfolg
In einem wekherart theoretisch strukturierten, begriffspolitisch machtvoll gestalteten
Diskurs- undAnalyseraum lässt sich die Frage nach der Politizitätpräfigurativer Praxis wie beantworten? So lautete das diese Studie rahmende Anliegen, dem mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen nachgegangen wurde. Entscheidend für die theoretische Strukturierung und begriffliche Gestaltung dieser Räume ist, so die basale, für sich allein triviale Einsicht, letztlich der Politikbegriff bzw. das Politikverständnis, das in ihnen wirksam ist. Wie bereits dem Kapitel 2 implizit zu entnehmen war, ist die Frage, ob präfigurative Praktiken politisch sind, keineswegs neu. Von Beginn der Begriffsverwendung als Terminus der politischen und sozialwissenschaftlichen Sprache an steht sie zur Debatte, die — wie mit Blick auf die Positionierungen der Protagonistinnen der »ersten Generation« sozialwissenschaftlicher Auseinandersetzungen exemplarisch erkennbar — eine große Bandbreite konkurrierender Antworten aufweist. Für Carl Boggs war klar, dass die präfigurative Praxis allein flir sich ein *retreat from politics altogether« (Boggs 1977b, 359) ist. Nur in Verbindung mit einem instrumentellen, auf Machteroberung im Staat und anderen Schlüsselinstitutionen gerichteten Handeln könne der Prä.figuration ein immerhin mittelbar politischer Charakter zugebilligt werden. Prä.figuration kann hier allenfalls als mittelbar politisch erscheinen, da Boggs zumindest implizit ein staatszentriertes Politikverständnis zugrunde legt. Zeitgenössisch hallt das >Modell Boggs' in Chantal Mouffes populismustheoretischer Abkanzelung sogenannter Exodus-Praktiken nach, insofern sie — zumindest in ihren jüngeren Schriften in Alleinautorinnenschaft — die Ausrichtung auf den Staat und seine Institutionen zur conditio sine qua non von Politik erklärt und den Verzicht darauf als illusorischen Traum von Machtfreiheit brandmarkt. Sheila Rowbotham hingegen konnte in präfigurativen Praktiken sehr wohl
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eine unmittelbare, wenn auch genuin eigene Politizität erkennen, weil ihre feministisch informierte Perspektive eine sehr viel größere Sensibilität far eine auch staatsjenseitige Existenz von Politik gestattet, die es ihr erlaubt, Politik und Politizität gerade auch im Bereich alltäglicher oder >privater< Beziehungsweisen aufzuspüren und als politisch anzuerkennen, die ja in aller Regel das Bezugsfeld prä.figurativer Bestrebungen bilden. Bei Winnie Breines schließlich findet sich gewissermaßen eine Verknüpfung beider Positionen. Ganz explizit reklamierte sie far präfigurative Praktiken einen politischen Charakter, der aber von einer genuin eigenen, nämlich expressiven politischen Rationalität gekennzeichnet sei, die sie der strategischen Rationalität des herkömmlichen oder zumindest vorherrschenden Politikverständnisses gegenüberstellte, das, entsprechend der boggsschen Fassung instrumentellen Handelns, einzig auf Machtübernahme in überkommenen Institutionen ziele. Als politisch können präfigurative Praktiken, so kann bereits auf dieser Grundlage festgehalten werden, in aller Regel nur dann in Erscheinung treten, wenn Politik nicht ausschließlich staatlich oder staatsbezogen gedacht wird. Mit Boggs geht das nicht. In einem, wie man in Anlehnung an James Scott sagen könnte, Seeing-like-a-State-Modell von Politik und Macht, das häufig von einer starren, oft auch vergeschlechdichten Trennung von öffentlicher und privater Sphäre flankiert wird, werden öffentliche Angelegenheiten ausschließlich staatsbezogen oder -vermittelt aufgefasst und die politische Gestaltung der res publica lediglich rechtsvermittelt oder als auf Rechtsetzung zielend verstanden. Vereinfacht ausgedrückt besteht Politik dabei in der Manifestation von Macht qua Rechtsetzung bzw. dem Ausüben von Einfluss auf rechtsetzende Akteure. Spätestens seit den machttheoretischen Arbeiten Michel Foucaults dürfte klar sein, dass das nicht die ganze Wahrheit der Macht ist und entsprechende Verengungen auch analytische Blindstellen mit sich bringen. Während Boggs Politik also staatlich denkt und mit einem juridisch-programmierenden, souveränen Machtverständnis verknüpft, scheint Breines eine größere Offenheit des Politikbegriffs zu bieten. Ihr Denken der Politik ist zumindest insofern pluraler, als sie neben dem von ihr als strategisch bezeichneten Politikverständnis noch besagtes zweites, expressives Politikverständnis andeutet, das analytisch den Weg ebnet, auch Präfiguration als eine politische Praxis zu erfassen. Zugleich aber schießt Breines über das Ziel hinaus. Wie in meinen obigen Ausführungen angesprochen, entsteht bei Breines' Darstellung der Eindruck, dass präfigurative Praktiken an Machtfragen jeglicher Art absichtsvoll voll-
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kommen desinteressiert seien. Macht, ihre Erringung, Gestaltung und Sicherung ist ein schmutziges Geschäft, mit dem die neue, andere Politik nichts zu schaffen haben möchte. Im Bestreben, sich von einem power-overModell von Macht zu distanzieren bzw. präfigurativen Praktiken eine solche Distanzierung einzuschreiben, schüttet Breines das Kind mit dem Bade aus. Diese Deutung findet ihre zeitgenössische Entsprechung wiederum an manchen Stellen des Werks von Toni Negri und Michael Hardt, etwa wenn diese die »Evakuierung der Orte der Macht« als Strategie empfehlen — und Mouffe hat zumindest damit nicht Unrecht, dass in derartigen Vorstellungen eine irritierende Reinigung der Sphäre des Politischen von der Macht aufscheine. Beide Einschränkungen, Boggs' etatistische ebenso wie Breines machtaversive, sind fir ein umfassendes Verständnis von Politik unbrauchbar und unnötig. Breines verändert zwar im Vergleich zu Boggs den theoretischen »Grundriss« und das begriffliche »Interieur« des analytischen Raums, reißt aber einem adäquaten Verständnis präfigurativer Praktiken mit dem Machtbezug gleichzeitig einen Teil des Fundaments weg. Denn Politik kann meines Erachtens sinnvoll nur als eine, wie auch immer geartete, strategische Beeinflussung von Machtverhältnissen gefasst werden — oder zumindest muss politisches Handeln, am sich als solches zu qualifizieren, diesen Anspruch erheben. In einer früheren Studie habe ich Politik bzw. politisches Handeln als Modus der kollektiven, reflexiven und intentionalen Bezugnahme auf und Gestaltung von Strukturen, Beziehungsweisen und Institutionen des mensch ( lichen Miteinanders ausgewiesen, die allesamt als mehr oder weniger a Dauer gestellte Formen menschlichen Interagierens — und damit von »geronnener« Macht — begriffen werden können (vgl. Sörensen 2016,47 f.). Die Institutionen, Strukturen und Beziehungsweisen sind das Terrain der Macht und eine jede — wie auch immer konkret geartete — Handlung kann als politisch gelten, so fern sie weltzugewandt ist, das heißt, di eses Terrain zu »bearbeiten« beabsichtigt und auf Etablierung, Ausbreitung oder sogar Universalisierung des ihr zugrundeliegenden Ordnungsmodells zielt. An diesem Kriterium hätte sich die Frage nach der Politizität zu entscheiden und auf dieser Grundlage habe ich oben weltabgewandte von weltzugewandten, politischen Exodus-Praktiken voneinander unterschieden. Eine solchermaßen weit gefasste Bestimmung von Politik, die diese an den Aspekt der Macht koppelt, welche wiederum als vielgestaltig begriffen wird, erlaubt es, ein umfassenderes Bild politischer Praktiken zu Gesicht zu bekommen, ohne im selben Zuge auf Feindifferenzierungen
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verzichten zu müssen und wider besseren machttheoretischen Wissens nur ganz spezifische Formen der Macht zu erfassen. Auch weltzugewandte Exoduspraktiken bzw. präfigurative Praxis können auf dieser Grundlage als politisch registriert werden, ohne sie zwingend in ein Verhältnis zu anderen, etwa juridischen, staatlichen oder repräsentativen Modi des politischen Handelns setzen zu müssen. Wie hervorgehoben wurde, besteht der Anspruch zahlreicher, wenn nicht aller weltzugewandter präfigurativer Praktiken gerade in der Bearbeitung von Machtverhältnissen. In einer ihr eigentümlichen Weise, so wurde gezeigt, zielt präfigurative Politik auf die Auseinandersetzung und Beeinflussung, Veränderung und Verschiebung von Macht- und Kräfteverhältnissen. Allerdings muss, um dies sichtbar zu machen, Macht beispielsweise mit Foucault als kapillar und sämtliche gesellschaftlichen Beziehungen durchdringend, begriffen werden (pointiert z.B. Foucault 2003, 305, 604). Gerade auch das Ansetzen an vermeintlich vor- oder unpolitischen Gegenstandsbereichen kann dann nämlich als in transformativer Absicht machtbezogen und damit als politisch verstanden werden. Man muss ein solches Politikverständnis nicht unbedingt teilen — über die Richtigkeit von Politikverständnissen zu befinden, ist nicht Anliegen der Studie —, aber wenn man mit Jacques Ranciere Politik (auch) als »die Demonstration eines Dissens als Vorhandensein zweier Welten in einer einzigen« (Ranciere 2008, 33) begreift und (auch) davon ausgeht, dass » [dJie politische Tätigkeit [...]sehen lässt, was keinen Ort hatte, gesehen zu werden« (Ranciere 2002, 41), so sind die nur vermeintlich an einer Augenwelt-Interaktion uninteressierten, gründenden, innovierenden und weherschließenden Praktiken in ihrer theatralischen Inszenierung von Gegenwelten auf jeden Fall als politisch zu betrachten — sofern ihnen daran gelegen ist, wahrgenommen zu werden sich zu verbreiten. Auf Grundlage eines Foucault- oder, wie oben verschiedentlich angedeutet, de la BoetieModells von Macht kann darin keineswegs ein prinzipielles Abfallen von der Macht bzw. eine Flucht in ein Jenseits von Macht unterstellt werden. Es ist lediglich eine andere Art der Auseinandersetzung mit Macht als die schlüsselinstitutionenzentrierte oder akustisch-sprachliche Variante und das damit in Verbindung stehende politische Handeln ist weniger ein »von oben« programmierendes, denn ein »von unten« umbauendes, ent- und ersetzendes. Mit einem entsprechend geweiteten Macht- und Politikverständnis bliebe festzustellen, dass Politik keineswegs nur in der Sphäre des politischen Systems im engeren Sinn stattfindet, sich nicht ausnahmslos in repräsentantenvermittelten Auseinandersetzungen ereignet und sich
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nicht ausschließlich rechtsförmig ausdrückt. Die Gestaltung und Umgestaltung von Machtverhältnissen findet immer auch in den vermeintlich un- oder vorpolitischen Sphären start, in denen gewöhnliche Akteure unvermittelt in ihren alltäglichen Lebenspraktiken (politisch) handelnd tätig sind und alternative Beziehungs- und Umgangsformen sowie mehr oder weniger starr kodifizierte Gestaltungen des Miteinanders hervorbringen. Wie Maeckelbergh gegen Breines zu plausibilisieren versucht hat, ist das der präfigurativen Praxis eigene Vorgehen dabei durch und durch strategisch und machtbewusst, wenn auch ein anderes Strategie- und Machtverständnis orientierend ist. Die expressive Rationalität, so ließe sich mit und gegen Breines sagen, ist nicht a- oder antistrategisch, sondern anders strategisch. Die Frage der Strategie verweist auf einen weiteren Aspekt, dem ich abschließend einige Überlegungen widmen möchte. Mit der Rede von Strategien bzw. Strategizität sind immer auch Fragen des (politischen) Erfolgs angesprochen, wozu mir keine nennenswerten, systematischen politiktheoretischen Auseinandersetzungen vorzuliegen scheinen. Bereits bei einer ersten Betrachtung der Thematik deutet sich freilich an, dass es sich dabei um einen überaus komplexen Sachverhalt handeln dürfte, der auf den verbleibenden Seiten keinesfalls adäquat adressiert werden könnte. Wenn ich dennoch einige wenige, erste tastende politiktheoretische Überlegungen dazu anstellen möchte, so deshalb, weil der dieser Arbeit zugrunde gelegten Frage nach der Politizität bestimmter Praktiken mitunter die Frage des politischen Erfolgs — meines Erachtens kategorial unzulässig — untergeschoben bzw. beigemengt wird. Einen entsprechenden Verdacht habe ich oben bereits mit Blick auf Mouffe geäußert. Wurde in ihrem gemeinsam mit Laclau verfassten Buch der »Strategie der Opposition« bzw. der »Enklavenpolitik« noch nicht rundheraus die Politizität abgesprochen, sondern lediglich deren selbstmarginalisierende Tendenz kritisiert, so macht Mouffe in ihrem Werk Agonistik die »Wirksamkeit solcher Praktiken« (Mouffe 2014, 71) selbst zu einem Kriterium der Politizität. Als unpolitisch zurückgewiesen werden dort vermeintlich erfolglose Exoduspraktiken, als politisch hingegen parlamentarisch-parteipolitische Ämtereroberungsstrategien begrüßt. Mouffe koppelt damit die Politizität einer Praxis mehr oder weniger explizit an deren Erfolgsträchtigkeit. Einmal abgesehen von der Frage, ob sich die von Mouffe noch vor einigen Jahren im Taumel einzelner Wahlerfolge propagierten Parteiprojekte wie Syriza, Podernos oder La France insoumise im Zuge manifester Erfolgslosigkeit zuletzt selbst entpolitisiert haben, erscheint mir diese strenge Kopplung eine wenig überzeugende
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kategoriale Vermengung. Die Frage des politischen Erfolgs setzt ihrerseits Bestimmungen voraus, die als höchst umstritten zu gelten haben und ist mithin eine politische Frage durch und durch, die aus politiktheoretischer Perspektive nicht final beantwortet werden muss, sehr wohl aber in ihrer politisch umkämpften Verfasstheit ausgeleuchtet werden kann. Meinen abschließenden, kursorischen Ausfiihrungen basieren auf der Annahme, dass ein genuin eigenartiges Politikverständnis, dem ein spezifisches Machtverständnis zugrunde liegt, auch auf ein eigentümliches Erfolgsverständnis verweist — prä.figurative Praktiken mithin auf Grundlage von nicht präfigurativ-politischen Erfolgsmaßstäben nicht oder nur unzureichend evaluiert werden können. Was also ist politischer Erfolg und wie kann man sich dieser Frage annähern? Zunächst einmal erscheint unmittelbar einsichtig, dass politischer Erfolg ein graduelles Phänomen ist. Bedient man sich des neben der Übernahme von Ämtern und Regierungsposten wohl konventionellsten politikwissenschaftlichen Markers von Erfolg in liberalen Demokratien — dem parlamentarischen Wahlerfolg —, so können dabei beispielsweise ein, zwei oder womöglich alle Mandate errungen werden. Je fir sich ist das ein (unterschiedlich großer) Erfolg. Von der »Wahlschlappe« bis zum »Erdrutschsieg4 ist alles möglich. Eine Erfolgsbestimmung, die einzig die Übernahme von Ämtern und Staatsregierungsmacht als Marker gelten lässt, greift jedoch zu kurz und kann nicht überzeugen. Einen in diesem Zusammenhang und auch far den Themenkomplex präfigurativer Politik bedeutsamen Hinweis aben vor nun schon mehr als 30 Jahren Stephan Leibfried und Wolf DieterNarr in ihrem Vorwort zur deutschen Übersetzung der bewegungsforscherisch bahnbrechenden Studie Aufttand der Armen von Francis Fox Piven und Richard A. Cloward gegeben. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist der strategiebezogene Befund Fox Pivens und Clowards, dass »[s]oweit soziale Bewegungen und ihr Protest erfolgreich waren, sich [dieser Erfolg] nicht einer großen, einflußmächtigen, auf Parteien und Regierungen Druck ausübenden, mühsam aufgebauten Organisation [verdankt]. Entscheidend war vielmehr die Verletzung herrschender Formen, der nicht berechenbare, der nicht organisatorisch vermittelte und stillgelegte Protest« (Leibfried/ Narr 1986, IV). Entgegen vorherrschender Deutungen sei es Fox Piven und Cloward gelungen, die von ihnen untersuchten Protestbewegungen als durchaus erfolgreiche Bewegungen zu beschreiben, was gerade auch damit zusammenhänge, dass sie sich nicht auf ein enges, den üblichen bewegungsforscherischen und politikwissenschaftlichen Konventionen
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folgendes Erfolgsverständnis beschränkten, dem seinerseits ein verengtes Politikverständnis zugrunde liege. *Wer sozialen Protest untersucht, muß sick über die eigne Wahrnehmung, die eigenen Urteilskriterien, den eigenen Politikbegriff im besonderen Rechenschaft ablegen. 1...] Erfolg und Mißerfolg läßt sich bei sozialen Bewegungen nicht allein oder primär an einem äußeren Erfolgsindikator messen, etwa an Wahlerfolgen und Positionsgewinnen. [.3 Piven und Cloward hängen keinem Politikbegriff an, fir den der Erfolg unwichtig wäre, im Gegenteil. Allerdings unterscheiden sie sehr deutlich zwischen kurzfristiger und langfristiger Wirkung.« (ebd., VII; Hervorh.: PS) Leibfrieds und Narrs Kommentar ist insofern bedeutsam, als zum einen auf die Zeitlichkeit und den Zeitpunkt der Eifolgsbemessung als relevante Faktoren verwiesen, sowie zum anderen explizit die Varianz von Erfolgsbewertung infolge diffirenter Politikbegriffe hervorgehoben wird. Dass beide Aspekte durchaus miteinander zusammenhängen und sich wechselseitig beeinflussen können, zeichnete sich oben in Kapitel 6 im Rahmen der Debatte des Versammlungscharakters von Protestcamps zwischen den Zeilen bereits ab. Für politiktheoretische Analysen ließe sich daraus folgern, dass fiir ein möglichst umfassendes Bild und differenzierte Diagnosen politischen Erfolgs Erfolgsbemessungskriterien in Abhängigkeit von einem möglichst pluralen Politikbegriff formuliert und berücksichtigt werden müssen. In Anlehnung an obiges, weit gefasstes Politikverständnis wäre ein sehr abstraktes Kriterium politischen Erfolgs die Erringung von Machtpositionen und/oder die Beeinflussung von Machtverhältnissen. Politischer Erfolg ist ferner nicht nur eingraduelles und in gewissem Maße relatives, sondern zudem auch ein historisch und im Zweifelsfall auch geographisch relatives Phänomen. Verschiedene Strategien zum Zwecke der Erringung von Machtpositionen oder der Beeinflussung von Machtverhältnissen können zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich erfolgsversprechend sein. Sie haben also einen *Zeitkern«. Friedrich Engels etwa vermerkt in einem 1895 fir eine im Verlag der Expedition des Vorwärts geplante *Gesammelte Lieferungsausgabe« seiner und Marx' Schriften zu der 1850 erstveröffentlichen Analyse Marx' über die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850, dass »Kampfweisen veralten« können. Was gestern noch adäquat und erfolgsversprechend schien, kann sich heute als unangebracht, kontraproduktiv und verhängnisvoll erweisen. Engels äußert diese erfolgstheoretische Einsicht bekanntlich unter dem Eindruck der —1850 noch völlig unmöglichen und auch unabsehbaren — parlamentarischen Wahlerfolge der deutschen Sozialdemokratie, wofiir erst mit Einfiihrung des allgemei-
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nen Stimmrechts die Bedingungen der Möglichkeit geschaffen wurden. *Mit der erfolgreichen Benutzung des allgemeinen Stimmrechts war«, so Engels, »eine ganz neue Kampfweise des Proletariats in Wirksamkeit getreten« (Engels 1895,519). Der einstmals wichtige und erfolgsversprechende »Straßenkampf« habe unter den aktuellen Bedingungen vorerst bzw. als zentrale Maßnahme ausgedient. Ganz im Gegenteil erweise er sich sogar als schädlich und man diirfe sich nicht von der Reaktion, den »herrschenden Gewalten«, dahin bringen lassen, »wo die Flinte schießt und der Sabel haut« (ebd., 522): »Wir, die >Revolutionäre, die >Umstürzler, wir gedeihen weit besser bei den gesetzlichen Mitteln als bei den ungesetzlichen und dem Umsturz.« (ebd., 525) Nicht zuletzt fließen in Engels Analyse auch Bewertungen der gewandelten städtebaulichen und damit auch geographische Voraussetzungen ein.' Einen strukturell ähnlichen Hinweis auf die zeitliche Relativität hat der US-amerikanische Politikwissenschaftler Joseph S. Nye in einem unmittelbar nach Ende des Kalten Kriegs im Herbst 1990 geschriebenen Aufsatz im Kontext der Internationalen Beziehungen gegeben und später in einem gleichnamigen, mit dem Untertitel The Means to Success versehenen Buch vertieft, in dem er mit seinem Konzept der »Soft Power« auf andere, gewandelte und zeitlich scheinbar adäquatere Formen der internationalen (Macht-)Politik jenseits von militärischer Kriegsführung verweist (vgl. Nye 1990; 2004). Auf Nye werde ich sogleich nochmal zurückkommen. An dieser teile sei vermerkt, dass beider Analysen politischen Erfolgs, Engels' wie yes, *politischer« sind als Chantal Mouffes, die — zumindest zuletzt, in ihren linkspopulistischen Schriften — lediglich eine, aus einem »richtigen« Verständnis des Politischen abgeleitete Art von Politik absolut setzt und folglich auch nur eine Art des Erfolgsstrebens akzeptieren kann. 1 Interessant ist auch ein weiterer, durchaus verblüffender machtanalytischer Hinweis Engels', mit dem nochmal eine ganz andere, a- bzw. antistaatliche Strategie der Beeinflussung der Machtverhältnisse aufgerufen wird: »Es sind nun fast aufs Jahr 1.600 Jahre, da wirtschaftete im Römischen Reich ebenfalls eine gefährliche Umsturzpartei. Sie untergrub die Religion und alle Grundlagen des Staates; sie leugnete geradezu, daß des Kaisers Wille das höchste Gesetz, sie war vaterlandslos, international, sie breitete sich aus über alle Reichslande von Gallien bis Asien und über die Reichsgrenzen hinaus. Sie hatte lange unterirdisch, im verborgenen [sic!] gewühlt; sie hielt sich aber schon seit Lingerer Zeit stark genug, offen ans Licht zu treten. Diese Umsturzpartei, die unter dem Namen der Christen bekannt war« (Engels 1895, 526). Auch ein solches Vorgehen kann sich also, zu gegebener Zeit und unter günstigen Voraussetzungen als erfolgsträchtig erweisen. Engels' Darstellung findet eine gewisse Entsprechung in Gramscis in Kap. 4 erwähnter Schilderung der die Französische Revolution vorbereitenden punsichtbaren Heere'.
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Anders gelagert, aber ebenfalls verengend, ist die Perspektive Max Webers, dessen in Politik als Beruf gleich zu Beginn zugrunde gelegter Politikbegriff durchaus weit gefasst ist und eine große Vielfalt an Handlungsformen als politische Praxis anzuerkennen erlaubt. Politik ist für Weber bekanntlich das *Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung« (Weber 1993, 8) und somit in etwa deckungsgleich zu meiner obigen Bestimmung. In selbiger Schrift findet sich jedoch an späterer Stelle im Rahmen seiner Unterscheidung gesinnungs- und verantwortungsethischen Handelns auch eine erfolgstheoretische Betrachtung, in der Webers Verengung erkennbar wird. Für Weber ist der Gesinnungsethiker an den *Folgen seines Handelns« — und damit auch am Erfolg — uninteressiert, wie er am Beispiel >des Christen< illustriert, der »den Erfolg Gott anheim« stellt (ebd., 56). Bedenkt man, dass präfigurative Praktiken auch von einigen ihnen wohlgesonnenen Diskursbeteiligten aufgrund des Insistierens auf einer Konvergenz von Mittel und Zweck mit gesinnungsethischem Handeln in Verbindung gebracht werden (z.B. Franks 2006,101-103), so überrascht nicht unbedingt, dass Weber in diesem Zusammenhang als weitere paradigmatische Personifikation eines überzeugten Gesinnungsethikers *den Syndikalisten« ins Feld führt, der sich lediglich dafür »,verantwortlich,« Ethlt — Weber setzt das vorsorglich in Anführungszeichen, damit niemand auf die Idee kommt, es könne sich doch um eine echte Form von Verantwortlichkeit handeln dass »die Flamme der reinen Gesinnung, die Flamme z. B. des Protestes gegen die Ungerechtigkeit der sozialen Ordnung, nicht erlischt« (Weber 1993, 56; zu Webers zwiespältigen Verhältnis zum Anarchismus:SVhimster 1998). Die Erfolgsfrage wieder aufgreifend fahrt Weber fort: *Sie stets neu anzufachen, ist der Zweck seiner, vom möglichen Erfolg her beurteilt„ ganz irrationalen Taten, die nur exemplarischen Wert haben können und sollen.« (ebd., 56 f.; Hervorh.: PS) Weber legt hier einen, wenn auch nicht weiter explizierten, Erfolgsbegriff zugrunde, auf dessen Grundlage sich hinsichtlich der Erfolgsträchtigkeit mehr oder weniger »rationale« Handlungsformen klassifizieren lassen. Das Streben nach Exemplarität gehört far Weber nicht zu den in Erfolgshinsicht rationalen Handlungsweisen, also eben jene Zielsetzung, die fur präfigurative Praktiken einen absolut zentralen Status genießt. Mit Blick aufWebers weites, die Beeinflussung von Machtverhältnissen zum Kriterium machendes Politikverständnis ist dieses Urteil durchaus überraschend, denn unzweifelhaft kann Exemplarität und (massenhaftes) Nacheifern zu deren Umstrukturierung führen — selbst wenn dies nicht immer umfassend inten-
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tional geschieht. Auch einige der von ihm in seiner Studie zur Protestantischen Ethik beschriebenen Wirkeffekte etwa lassen sich als solcherart kulturverändernde Vorgänge begreifen. Was Weber in Politik als Beruf nicht in den Blick bekommt ist, dass Politik nicht nur innerhalb des Registers instrumenteller Rationalität plural sein kann, sondern zudem auch eine Pluralität politischer Rationalitä.ten existieren kann, die je unterschiedliche Bedingungen und Möglichkeiten für Erfolg hinsichtlich der Beeinflussung von Machtverhältnissen mit sich bringen. Eben dies anzuerkennen war das Verdienst von Breines' Aufweis einer konkurrierenden expressiven politischen Rationalität in der Studierendenbewegung, auch wenn sie dabei den Faktor Macht gänzlich auf der Strecke ließ. »Activists opted for prefigurative politics«, so schreibt sie, »not because they were ignorant, unconcerned or unaware of organizational issues, and not because they were unable to be disciplined. [...] It is my conviction that the new left [...I chose to fail according to traditional political standards and definitions. [...] In a dramatic break with these political assumptions — a break which entailed redefining >success( to include the means, as well as the goal.« (Breines 1980, 422, 424; Hervorh.: PS)
Anders als Mouffe stünden Weber die politikbegrifflichen Grundlagen zur Verfügung, um ein differenzierteres Bild politischen Erfolgs zu zeichnen, was er aber mit einer an nur bestimmten Formen der Beeinflussung von Machtverhältnissen interessierten Haltung verspielt. Die Wirkweisen und or allem die Wirkmächtigkeit exemplarischen Handelns bekommt man ingegen mit dem oben bereits erwähnten Joseph Nye in den Blick, der anstatt konfrontativ-kriegerischer Maßnahmen die Bedeutung attraktiver Ausstrahlungseffekte betont und als deren Instrumente auch auf scheinbare Banalitäten wie Kleidung und kulturindustrielle Produkte verweist (vgl. Nye 1990), womit — bei aller Unterschiedlichkeit der Bezugspunkte — auch eine Lanze für die potenzielle Erfolgsträchtigkeit präfigurativer, womöglich auch als gesinnungsethisch zu bezeichnender Praktiken gebrochen werden kann. So wie präfigurative Politik auf Grundlage eines eigenen Politikverständnisses operiert, welches auf ein andersartiges Machtverständnis verweist, als es herkömmliche, staats- und ämterbezogene Politikmodelle verkörpern, so müssen infolgedessen auch andere Wirkweisen und andere damit in Verbindung stehende Erfolgskriterien in den Blick rücken — oder zumindest für möglich erachtet werden. Was also als politisch erfolgreich gilt, unterliegt somit nicht zuletzt einer Deutung dessen, was als Politik begriffen wird. Zudem gilt aber
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auch, dass die Frage, ob eine Strategie zur Erringung politischen Erfolgs erfolgsträchtig bzw. letztlich erfolgreich ist, nur ex post bestimmt werden kann. Die ex post-Bestimmung unterliegt ihrerseits freilich Deutungen und Deutungskämpfen. Diese Deutungsoffenheit kann etwa auch soweit gehen, Rückschläge oder Niederlagen als Erfolg oder erfolgsnotwendig zu interpretieren. Derartiges legt etwa Rosa Luxemburg mit einigen etwas nebulösen Formulierungen ihrer letzten Veröffentlichung vor ihrer Ermordung durch rechtsradikale Freikorpsmitglieder nahe, wenn sie schreibt, dass die »historischen Niederlagen IA der Stolz und die Kraft des internationalen Sozialismus« (Luxemburg 1974, 536) seien, unvermeidlich, aber letztlich als erfolgskonstitutiv zu erachten. Denn: »Mile Revolution ist die einzige Form des )Krieges< [...], wo der Endsieg nur durch eine Reihe von Niederlagen< vorbereitet werden kann.« (ebd., 534) Abgegrenzt werden diese in Anführungszeichen gesetzten Niederlagen von den ebenfalls in Anführungszeichen gesetzten parlamentarischen Siegen der Sozialdemokratie, womit Luxemburg ganz unzweifelhaft zum Ausdruck bringen möchte, dass es sich in ihren Augen um nur vermeintliche Niederlagen und nur vermeintliche Siege handelt. Karl Marx ging 70 Jahre zuvor im Grunde noch weiter, wenn er in seiner Schrift über die Klassenkämpfe in Frankreich sogar die »Erzeugung einer geschlossenen, mächtigen Konterrevolution« als einen Erfolg verbucht, da dadurch erst die Voraussetzungen des Heranreifens »einer wirklich revolutionären Partei« (Marx 1850, 11) geschaffen ward. Mag in den Einordnungen Marx' und Luxemburgs eine gehörige Portion geschichtsphilosophisch gestützten Optimismus mitschwingen, so werden durchaus auch in der zeitgenössischen sozialpsychologischen Forschung die erfolgsbefördernden Effekte des — adäquat aufgearbeiteten — Scheiterns betont (z.B. Eskreis-Winkler/Fishbach 2019). Lässt sich aus all dem ableiten, dass politischer Erfolg letztlich immer nur subjektiv zu bestimmen ist? Das ist in Teilen sicherlich richtig. Nicht zu Unrecht wird immer wieder darauf verwiesen, dass die Maßstäbe, Erfolgsabsichten und Politikverständnisse der betreffenden Akteure selbst ernst zu nehmen seien. Gerade die in der Bewegungsforschung nach wie vor stark verbreiteten Analysemodelle, die nur auf die Inklusion ins vorherrschende (politische) System abzielende Praktiken wahrzunehmen bereit bzw. in der Lage sind, bleiben blind gegenüber anderen Formen von Veränderung der Machtverhältnisse, die womöglich neben und jenseits staatlicher Institutionen stattfinden und mitunter durchaus gravierende machttektonische Verschiebungen bewirken (dazu Kastner 2012, 58). Dem
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entgegen gilt es zweifellos, das Blickfeld zu weiten und in der Tat etablieren sich in Teilen der Bewegungsforschung nach und nach explizit alternative Wahrnehmungs- und Deutungsmuster (siehe z.B. Vey u.a. 2019), die auch hinsichtlich der Erfolgsfrage neue Wege zu beschreiten haben werden. Mit Blick auf präfigurative Politiken wäre angesichts dessen etwa dem Erfolg der beanspruchten »kulturellen Imprägnierung« (Gramsci) und der anders subjektivierenden Wirkkräfte bei der Veränderung der »Seelenverfassungen« (Landauer) nachzuspüren. Es wäre mit geeigneten Instrumentarien zu prüfen, ob sie ihrem Anspruch auf Ermächtigung und Motivation, auf Kontingenzaufweis und Gegenmachtaufbau gerecht werden, ob sie, in den Worten Martin Bubers, als Prototypen der neuen Gesellschaft faktisch eine »anziehende und erziehende Wirkung« (Buber 1950,220) aufdie im Moment bestehende Gesellschaft ausüben.' Dabei kommt es, wie schon Rosabeth Moss Kanter in einer historisch-soziologischen Studien zu intentionalen, utopischen Gemeinschaften in den USA der 1960er-Jahre zu zeigen versucht hat, nicht zwingend auf eine stabile Dauerhaftigkeit als Marker des Erfolgs solcher Prototypen an (vgl. Kanter 1972,127 f.), da sich die welterschließende Kraft auch ohne dauerhaften Fortbestand des Initiationsortes entfalten kann. Auch sehr oder vergleichsweise kurze Manifestationen präfigurativen Agierens, wie es ja auch die Protestcamps von Occupy waren, könnten demzufolge politische Wirkkräfte freisetzen, indem sie, wenn auch nur omenthaft, im ranci&eschen Sinne die Existenz zweier Welten in einer emonstrieren oder mit dem Durchbrechen der Vereinzelung künftige kollektive Organisation befördern. Dessen eingedenk wire zudem übergreifend aber far eine alternative, an präfigurativ-politischen Vorgängen interessierte Bemessung von Erfolg insbesondere eine andere Zeitlichkeit der Transformation in Rechnung zu stellen, wie sie zuvor mit Verweis auf Leibfrieds und Narrs Unterscheidung kurz- und langfristiger Erfolge bereits angeklungen ist. Marianne Maeckelbergh hat in ihren Studien zu prä.figurativ-politischen Bewegungen auf die2 Martin Buber hat in einem lesenswerten Beitrag aber die Kibbuzim-Bewegung, aus dem zahlreiche Überlegungen auch in sein Pfatle in Utopia Eingang fanden, eine interessante Differenzierung vorgenommen, die ich an dieser Stelle zum jetzigen nicht weiter vertiefen kann. Neben Erfolg und Scheitern politischer Projekte fart Buber dort das »vorbildliche Nicht-Scheitern. politischer Projekte ein (vgl. Buber 1947, 34). Einen vergleichbaren Zwischenton versuchte unlängst auch Micah White, einer der Occupy-Initiator"innen, zu treffen, als er in seinem New Playbook fir Revolution die Wirkungen der Protestbewegung als »constructive failure. beschrieb (vgl. White 2016, 27).
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sen bedeutsamen Aspekt hingewiesen. Es sei eine entscheidende, letztlich begriffspolitische Frage, «when exactly we can determine whether an attempt to prefigure an alternative future has succeeded or failed. [...I One thing that becomes clear in relation to prefigurative politics is the power wielded by the time frame we choose Pr assessing our successes and faitures. In most cases, when a shorter time frame is used, we see more failures than success.« (Maeckelbergh 2016, 122 und 129; Hervorh.: PS)
Sofern es eben nicht nur um die »bloße Übertragung des Taktstocks« (Luxemburg), sondern um eine breit und gerade auch im Alltagsleben ansetzende Transformationsbemühung geht, die auf ein basales Umkrempeln der sozialen Verhältnisse und gerade auch der Subjektivitäten einer Gesellschaft zielt, so dürfte einleuchtend sein, dass es sich dabei um linger zu veranschlagende Zeitspannen handelt, folglich erst (weit) später Erfolgsmeldungen zu verzeichnen sein dürften. Gerade von diesem basaler ansetzenden Zugang versprechen sich Präfigurationspolitikeeinnen jedoch auch eine stärkere Durchschlagskraft, einen größeren Tiefgang und eine ausgeprägtere Nachhaltigkeit der Transformation. Als Gegenstände einer solchermaßen ausgerichteten >Erfolgsforschung< kämen dabei auch zunächst nicht unmittelbar politisch erscheinende Phänomene wie das im Kontext der Wirtschaftskrise zu Beginn der 20I0er etablierte Solidarnetzwerk solidarity4all in Griechenland in den Blick, das auch zum jetzigen Zeitpunkt noch, und lange nachdem Alexis Tsipras und Syriza sich wieder von der Macht verabschieden mussten, äußerst beeindruckend und breit wirkt (ffir einen frühe Darstellung Tsomou 2014; siehe aber auch https://www.solidarity4all.gri). Nicht zuletzt bekäme man im Sinne eines übergreifenderen und zugleich intern differenzierten Erfolgsverständnisses dann auch in den Blick, inwiefern präfigurative Praktiken auch positive Effekte für eher konventionelle Politiken zeitigen. Die US-weiten lokalen Occupy-Stützpunkte und Protestcamps etwa dürften bei dem sich an Mitgliederzuwachs und gesteigerter Diskursrelevanz bestimmbaren relativen Erfolg der Democratic Socialists ofAm erica in den letzten Jahrendurchaus eine wichtige Rolle gespielt haben. Und ganz gewiss wäre die Entstehung, die anfinglich beeindruckenden Erfolgsaussichten und die Regierungsbeteiligung von Podemos im spanischen Stoat ohne die Mareas des Movimiento BM undenkbar gewesen. Selbiges gilt Ea die zumindest vorübergehend eroberten Rathäuser in Barcelona, Madrid, La Cortuia und anderswo.
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Es ist somit gewiss richtig, dahingehende Überlegungen und Aspirationen der betreffenden Akteure nicht zu ignorieren und sich von ihnen womöglich auch bisher analytisch unberücksichtigte Aspekte erschließen zu lassen. In diesem Sinne hat Pierre Bourdieu einmal zu bedenken gegeben, dass gewisse »Fragen der Macht und der Politik« den akademischen Sozialwissenschaften bis auf weiteres verborgen geblieben wären, »wenn sie nicht durch [...] Studentenproteste ins universitäre Feld gelangt wären« (Bourdieu 2002,14 f.). Allerdings ist die mitunter mit der Anmahnung einer Einbeziehung der Akteursperspektive einhergehende Neigung, den Akteuren die alleinige Definitionsmacht zu übertragen (so z.B. Sitrin 2012b, 204), in ihrer bedingungslosen Akteurszentrierung analytisch unbefriedigend und kann nicht wirklich überzeugen. Jens Kastner, in meinen Augen einer der umsichtigsten Kommentatoren der Platzbesetzungsbewegungen, betont völlig richtig, dass ein derartiges Vorgehen Gefahr läuft, in eine normative Falle zu tappen: »Denn die Betonung von Dynamiken und Formen der Bewegungen — Ströme, Kreisläufe, Netzwerke — ist immer eine doppelte Aktivität: sie rückt in den sozialwissenschaftlichen Fokus und stimmt formal und inhaltlich zu.. Dadurch geraten aber nicht selten die Kontexte aus dem Blick [...] Es entsteht die Tendenz, das Vernetzen und Fließen als immer schon gelingend und sich quasi automatisch vollziehend zu begreifen.« (Kastner 2012, 61)
Gerade auch die aus der Wirtschaftskrise Anfang der 2010er hervorgegangenen Bewegungen gegen die diversen Ausformungen des Austeritätsregimes hätten sich der simplen Tatsache zu stellen, dass sich die bekämpfte Politik keineswegs auch nur annähernd aufgelöst habe, sondern im Gegenteil noch gestärkt aus der Krise hervorgegangen zu sein scheint. Und selbst dort, so wäre hinzuzufügen, wo kleinere Erfolge und Landgewinne auf dem Terrain der Macht zu verbuchen waren, stellt sich die schon von Gramsci gegen radikalanarchistische Positionen vorgebrachte Frage nach der institutionellen Sicherung von Errungenschaften, die in einem auf Dynamik und Vermeidung von jeglicher Institutionalisierung basierenden Politikmodell nicht zu beantworten ist. Während es sich dabei urn von den Bewegungsakteuren selbst praktisch auszuhandelnde Strategiefragen handelt, die — wie in Kapitel 7 zu sehen war womöglich und situationsbezogen in einer strategieverbindenden Variante ihre Auflösung finden, so sollte die politikwissenschaftliche Forschungsperspektive auf derartige Fragen gar nicht unbedingt eine Antworten zu geben beanspruchen, sondern unter Offenheit für plurale Formen politischen
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Handelns dieses kritisch reflektierend begleiten. Weder muss noch sollte eine politikwissenschaftliche Forschung politische und soziale Bewegungen klein und apolitisch schreiben. Ebenso wenig aber ist der analytischen Sache nach — und im Übrigen auch nicht far die betreffenden Bewegungen - etwas gewonnen, wenn die Reflexion in sympathisierender Absicht »halbiert wird. Das zusammen genommen heißt nicht, dass eine daran orientierte Forschung nicht auch politisch Partei ergreifen kann und sollte. Sie tut es dann aber womöglich mit offenerem Visier als jene, die unter dem Mantel der Neutralität entpolitisierend Politik betreiben, etwa indem sie Politik äußerst selektiv als unpolitisch beschreiben.
Dank
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine überarbeitete Version meiner im Frühsommer 2021 an der Philosophisch-Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg zur Begutachtung eingereichten Habilitationsschrift. Einzelne Bausteine daraus sind bereits in einer unverbundenen Vorfassung an anderer Stelle veröffentlicht worden. Jeweils zu Beginn eines Kapitels finden sich Hinweise darauf', ob und in welcher Art und welchem Umfang dies der Fall ist. Ich danke Marcus Llanque, Peter A. Kraus und Oliver Flügel-Martinsen sehr herzlich, dass sie sich zur Mitwirkung an meinem Fachmentorat bereiterklärt und meine manchmal vielleicht etwas unakademische Art toleriert haben. Insbesondere Olivers Kolloquien in Bielefeld und seine beständig wertschätzende, ermutigende und theoretisch anregende Unterstützung haben zum Fertigstellen und Gelingen dieser Arbeit enorm beitragen. Dank gebührt auch den Student*innen, die in Augsburg und Wien an meinen Seminaren teilgenommen haben. Ich bin mir nicht sicher, ob es stets ein Vergnügen Far sie war, aber sie haben mir bei der Entwicklung, Klärung und Präzisierung meiner Gedanken und Argumente geholfen. In verschiedenen Kontexten und in ganz unterschiedlicher Weise haben mir Matthias Flatscher, Regina Kreide, Oliver Marchart, Martin Nonhoffund Frieder Vogelmann Anregungen verschafft und Räume des Austausches bereitet, für die ich ob ihres kritisch-solidarischen Charakters ausgesprochen dankbar bin. Martin Oppelt, Frauke Höntzsch, Mi Paukstat, Max Klein und Susan Böhm haben das Leben am Lehrstuhl schäner gemacht. Hartmut Rosa, der im Vergleich zu meiner Doktorarbeit thematisch scheinbar weit weniger präsent ist, hat mich in seiner unnachahmlichen, alles andere als oberlehrerhaften Art aufeine Weise politiktheoretisch zu denken gelehrt, die weder disziplinäre Grenzen allzu ernst nimmt, noch sich — letztlich an Politik
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DANK
desinteressiert — ausschließlich in der Rekonstruktion von Texten erschöpft und darüber die Frage nach der Politik und dem guten Leben aus dem Auge verliert. Dalar bin und bleibe ich ihm äußerst dankbar. Und Dank gebührt schließlich auch Ulf Bohmann, der in Augsburg wie Jena, Frankfurt wie Prag, ein hervorragender und geduldiger, keineswegs nur akademischer Weggefährte ist. Ohne privaten Rückhalt und Freundschaft wäre aber all das ohnehin nichts wert und nicht zu schaffen gewesen. Neben meinen Eltern und Kathi Weiß, die mich bei weitem nicht nur mit den tollen Graphiken in diesem Buch und beim Korrekturlesen unterstützt hat, ist in diesem Zusammenhang vor allem und insbesondere Lena Kroll zu nennen. Wie Maike Rosa Vogel mal gesungen hat: Die Welt ist schlecht, aber sie, sie es nicht. Die Anregung, die Herausgeber*innen der Schriftenreihe Philosophie und Kritik um eine Aufnahme des Buches zu ersuchen, verdanke ich ebenfalls Oliver Flügel-Martinsen. Dass Julia Christ, Daniel Loick, Titus Stahl und Frieder Vogelmann dem nachgekommen sind, freut mich ausgesprochen und schmeichelt mir sehr. Catharina Heppner vom Campus Verlag hat far eine immer unkomplizierte und rasche Abwicklung aller editorischen Anliegen gesorgt. Dafür gebührt ihr ebenso mein Dank, wie Magda Haug und Lena Kroll, von denen die Graphik auf dem Titelblatt stammt. Dabei handelt es sich um eine modifizierte Version der ursprünglich von Ralph Chaplin stammenden Sab Cat, die häufig auch im Umfeld der Wobblies Verwendung fand und findet. In diesem Sinne: Let's form the structure of the new society within the shell of the old! Die Seiferei GbR, d.h. Andre, Anne, Diizgiin, Simon, Tobi und noch einige andere mehr, hat mir bereitwillig die Gelegenheit zur teilnehmenden Beobachtung in einem präfigurativ-politischen Kleinbetrieb mit all seinen Potenzialen, Fallstricken und Beschränkungen gewährt. Auch dafür ein herzliches Dankeschön, bleibt sauber!
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