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German Pages 200 Year 2023
Cornelia Andriof
Praxisbuch für wirksame Führung – mit der Theorie U arbeiten
Praxisbuch für wirksame Führung – mit der Theorie U arbeiten
Cornelia Andriof
Praxisbuch für wirksame Führung – mit der Theorie U arbeiten Illustrationen von Katherina Büttner
Cornelia Andriof Kraft & Partners Deutschland Oberursel, Deutschland
ISBN 978-3-662-68091-9 ISBN 978-3-662-68092-6 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-68092-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Mareike Teichmann Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany Das Papier dieses Produkts ist recyclebar.
Prolog: Über dieses Buch
Noch ein Buch über Führung? Tatsächlich mangelt es nicht an Literatur zum Thema. Und doch: Obwohl schon das erste Buch von Otto Scharmer zur Theorie U mit dem Untertitel „Von der Zukunft her führen“ einen Hinweis gibt, ist der Frage bisher nur sporadisch nachgegangen worden: Wie kann uns die Theorie U in der Führungspraxis helfen? Für wen habe ich dieses Buch geschrieben? • Sie sind Führungskraft oder bereiten sich gerade auf Ihre erste Führungsaufgabe vor? Dann finden Sie hier Reflexionen und konkrete Tools. Führung ist nicht einfach, „schwieriger als Schach“, meinte neulich ein Coachee. Jede und jeder hat da so „Painpoints“. Ich möchte für Sie sehr konkret machen, wie Sie sich für sich selbst, für Ihre Mitarbeiter, für Ihr Team entwickeln können. Gerne auch mit ein wenig Leichtigkeit und Freude. Denn ich bin ein echter Fan von positivem Denken. • Sie sind Berater oder Coach? Sie können die Ansätze nutzen, um mit Ihren Gesprächspartnern konkrete Entwicklungen in Führung und Kommunikation anzustoßen. Ich arbeite sehr gerne mit Modellen. V
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Diese rücken das Thema kurz vom aktuellen Problem weg. Sie zeigen so ganz nebenbei, dass offensichtlich andere auch schon an diesem Punkt waren. Und dann öffnen sie einen Lösungsraum. Gerne teile ich hier meine Ansätze mit Ihnen. • Sie beschäftigen sich mit der Theorie U? Dies sind Gedanken und Erfahrungen eines Praktikers. Wie kann ich die hochwirksamen Methoden und Ansätze der Theorie U im beruflichen Alltag nutzen? Vielleicht haben Sie beim ersten Durchblättern den Eindruck, hier sammeln sich alle möglichen Modelle und die Theorie U gerät zwischenzeitlich aus dem Blick. Ich denke, das scheint nur so. Immer wieder fädeln wir ein in das große Thema Theorie U. Immer wieder sehen Sie, wie aus einer Theorie gelebte Praxis wird. Und so sieht das im ersten Teil des Buches aus: Vier Gedanken zu Führung bilden die Basis. Sie zeigen Ihnen mein Verständnis und meinen Fokus. Der Anschluss an verschiedene Führungsmodelle mag Ihnen den Einstieg erleichtern, wenn Sie bereits eine eigene Sichtweise haben. Dann wird es sehr konkret: Selbstreflexion, Führen von Mitarbeitern und Führen von Teams. Für diese Situationen beschreibe ich Ansätze und Tools, teils direkt aus der Theorie U oder anderen Führungsmodellen, teils in meiner Praxis entwickelt. Praxisbeispiele aus ganz unterschiedlichen Kontexten zeigen Ihnen, wie das in der Umsetzung aussieht. 2020 habe ich im ersten Lockdown mein „Praxisbuch für wirksame Veränderung – mit der Theorie U arbeiten“ geschrieben. Ihr Feedback dazu hat mich zum zweiten Teil dieses Buches inspiriert, denn: Immer wieder wurde mir gespiegelt, dass gerade die konkreten Fallbeispiele wertvoll für meine Leserinnen und Leser sind. Darum habe ich mit einigen (!) der großartigen Führungskräfte gesprochen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte. Mit ihnen spreche ich über das Öffnen von Denken, Fühlen und Willen, über Presencing, darüber, wie man Ideen findet, verdichtet und umsetzt. Sehr offen sprechen wir auch über den Weg, den diese Führungskräfte gegangen sind, Umwege und Irrtümer inklusive. So werden die Erfahrungen dieser Menschen – aus ganz
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unterschiedlichen Branchen und Kontexten – für Sie greifbar und nutzbar. Sieben Fragen erleichtern die praktische Anwendung der Theorie U. Und zu jeder dieser Fragen finden Sie im zweiten Teil ein Interview. 1. Herwarth Brune zu „Von der Wertung zur Neugier: Was ist das vorherrschende Denken? Was könnte neugierig machen auf andere Sichtweisen?“ 2. Beate Ibiß zu „Vom Zynismus zu Empathie: Wie können wir uns in die verschiedenen Perspektiven zum Thema hineinfühlen?“ 3. Andreas Lindner zu „Von Angst zu Mut: Wie können wir erkennen, was uns bremst? Wie gelingt Loslassen?“ 4. Stephan Rathgeber zu „Wendepunkt: Wie gestalten wir Presencing? Hej, was geht?“ 5. Christine Dübler zu „Kreativ denken: Wie können wir Ideen sammeln? Wie können wir die Ideen dann verdichten?“ 6. Hansjörg Votteler zu „Prototypen: Wie können wir daraus Maßnahmen erarbeiten? 7. Maren Otte zu „Umsetzen: Wie verproben wir diese? Wie machen wir weiter?“ Ich habe mit inspirierenden Frauen und Männern zusammengearbeitet, von ihnen gelernt, mit ihnen etwas bewegt. Und: Mir ist gendersensible Sprache wichtig. Vor allem immer dann, wenn das Wort ein Bild in meinen Kopf projiziert, das ich nicht will, das ich für veraltet halte. Dann habe ich das geklärt. Sie werden das merken. Allein um das Lesen zu erleichtern, habe ich im Text auf / und * verzichtet. Insgesamt gilt: Natürlich beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter. Und noch ein Hinweis vorweg: Natürlich gibt es zwischen meinen beiden Praxisbüchern Überschneidungen. Veränderung ist eben auch Führung und umgekehrt. Bei einigen Themen verweise ich daher für ein vertieftes Verständnis auf mein erstes Buch. Bei einigen anderen Themen, die mir hier unverzichtbar erschienen, habe ich
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die methodischen Beschreibungen übernommen. Sie dann aber mit anderen Fallbeispielen in den neuen Kontext gesetzt. Meinem ersten Buch habe ich ein literarisches Zitat vorangestellt. Um Sie einzustimmen in das, was Sie erwartet. Hier möchte ich starten mit einem meiner zahlreichen Lieblingssätze aus den Interviews (Sie finden selbst heraus, wer das gesagt hat): „Wer Menschen nicht mag, sollte aus meiner Sicht keine Führungskraft sein.“ Ja, in diesem Buch geht es um Menschen. Um Sie, um mich, um die Menschen um uns herum. Und wie wir gemeinsam Dinge voranbringen.
Inhaltsverzeichnis
Teil I Theorie und Praxis der Führung 1
Theorie U und Führung 3 1.1 Meine Gedanken zu Führung 6 1.2 Anschluss an weitere Führungsmodelle 10 Literatur 16
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Theorie U in der Führungspraxis 19 2.1 Selbstführung 20 2.1.1 Startpunkt der Selbstreflexion 21 2.1.2 Ist Authentizität das Wichtigste? 27 2.1.3 Der blinde Fleck von Führung 36 2.1.4 Von der Selbstreflexion aus ins Tun kommen 47 2.2 Mitarbeiter führen 50 2.2.1 Wirksame Kommunikation 52 2.2.2 Empfängerorientierte Kommunikation 62 2.2.3 Mit Zielen führen 74 2.2.4 Standardsituation Feedback 82 IX
X Inhaltsverzeichnis
2.2.5 Lösungsorientiertes Führen von Mitarbeitern 90 2.2.6 Führen im Konflikt 95 2.3 Teams führen 102 2.3.1 Den Rahmen schaffen: psychologische Sicherheit 103 2.3.2 Motivation – so wichtig! 105 2.3.3 Fehler-Kultur als Führungsaufgabe 115 2.3.4 Führen bei rauer See 122 Literatur 129 Teil II Gespräche über Führung 3
Dialog-Interview als Methode 133
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Herwarth Brune: Das Denken öffnen 137 Literatur 144
5
Beate Ibiß: Das Fühlen öffnen 145
6
Andreas Lindner: Den Willen öffnen 155
7
Stephan Rathgeber: Presencing 163
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Christine Dübler: Ideen sammeln 171 Literatur 178
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Hansjörg Votteler: Prototypen bauen 179
10 Maren Otte: Umsetzen 187 Epilog: Und nun? 195
Teil I Theorie und Praxis der Führung
1 Theorie U und Führung
Als junge Unternehmensberaterin wurde ich – wie so viele – in die erste Führungsverantwortung unvorbereitet hineingeworfen. Gefühlt „plötzlich“ war da ein Team, für das ich zuständig war. Bei entspannter Marktlage war das auch kein Problem. Doch um die Jahrtausendwende, mit dem Platzen der Dotcom-Blase, wurde das anders. Es ging nicht mehr nur darum, großartige Talente zu finden und das kleine Schiff durch aufregende Zeiten zu steuern. Mit der ersten notwendigen Entlassung wurde allen klar: Es braucht Unterstützung für die Führungskräfte. Und tatsächlich kam es zu einer sehr prägenden Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Führungskräftecoach. Bis heute bin ich sowohl unseren Chefs als auch dem Coach sehr dankbar. Heute, über zwanzig Berufsjahre später, möchte ich meine Sicht auf Führung in vier Gedanken fassen: • • • •
Führen ist gelerntes Verhalten Führung ist Kommunikation. Muss sich Führung verändern? Theorie U hilft.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 C. Andriof, Praxisbuch für wirksame Führung – mit der Theorie U arbeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68092-6_1
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Bevor ich diese Sätze erkläre und vertiefe, möchte ich das zweite Thema dieses Buches dazu nehmen: die Theorie U. Otto Scharmers Theorie U habe ich im Jahr 2008, also erst einige Jahre nach meinem Berufsstart, kennen gelernt. Ich habe eine Workshopreihe moderiert, die ich nicht selbst designt hatte. Schon nach den ersten Tagen hatte ich das Gefühl „das ist anders“. Und: „Das ist besser“. Die Interaktionen waren intensiver, die Veränderungen sofort spürbar und sehr konkret. Ich habe dann die „Macher“ des Seminarkonzeptes gefragt: „Was ist das? Was passiert hier?“ und die etwas lässige Antwort war „Theorie U halt“. So begann meine Reise in die Welt der Theorie U. Zunächst mit der Lektüre, oder eher mit dem Durchackern, von Scharmers Büchern. Und dann sehr schnell mit eigener Anwendung und Lernen in der Praxis. Immer wieder habe ich beides erlebt: Das ist anders. Und besser. Doch was ist diese Theorie U? Ein Denkmodell. Eine ganz eigene Welt und sicherlich viel mehr als eine Anleitung für Führung. Man kann sie in ganz verschiedene Richtungen lesen und nutzen. Wie schon mit meinem „Praxisbuch für wirksame Veränderung“ (Andriof 2021) ist es meine Intention, einen einfachen und breiten Zugang zur Theorie U zu schaffen, dabei Anwendungsbeispiele aus der und für die Praxis zu schildern. Mit dem Ansatz „einfach“ bleiben viele kluge Gedanken und Reflexionen von Otto Scharmer und der Community unerwähnt. Das können Sie dann im Original vertiefen, wenn Sie mögen. Die Steigerung von „einfach“ ist „Theorie in a Nutshell“. Theorie U – in a Nutshell Otto Scharmer bezeichnet die Schlüsselidee der Theorie U als drei „Bewegungen“ Otto Scharmer 2019, S. 41): Sie finden sie, wenn Sie sich das U ansehen (siehe Abb. 1.1). Die linke Seite des U nennen wir Abwärtsbewegung Dieses „abwärts“ führt uns in Tiefe, in Intensität, ausdrücklich nicht ins „Tal der Tränen“. Indem wir uns hier öffnen, finden wir zu einer neuen Haltung zum Thema. Man könnte versucht sein, dies als „Analysephase im Prozess“ zu verstehen. Das greift aber zu kurz. Zwar sind beobachten, untersuchen, analysieren wichtig – das Denken öffnen. Aber es geht um mehr. Hinzu
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Abb. 1.1 Das U – in a Nutshell
kommt die empathische Hinwendung zu anderen Menschen – das Fühlen öffnen. Und, ganz wichtig, das Loslassen des Alten – den Willen öffnen. Der Scheitelpunkt des U heißt Presencing Ein Kunstwort aus Presence/ Gegenwart und Sensing/Fühlen. Das ist ein sehr besonderer Moment, ein Wendepunkt oder auch Kristallisationspunkt. Hier wenden wir uns um von der Vergangenheit in die mögliche Zukunft. Hier verbinden wir individuelle und gemeinsame Ziele, emotionale und rationale Aspekte. Ohne Presencing kein U-Prozess. Die rechte Seite des U ist die Aufwärtsbewegung Von unserem neu gefühlten und verstandenen Ausgangspunkt aus entwickeln wir Ideen und Prototypen für die Umsetzung. Viele klassische Prozesse bestehen „nur“ aus dieser Bewegung. Sie wird Ihnen also vermutlich recht vertraut sein. Insgesamt: U-Prozesse zielen darauf ab, „den inneren Ort, von dem aus wir handeln, zu verändern“ (Otto Scharmer 2019, S. 57). Wenn das gelingt, sind Veränderungen wirksam. Dafür gibt es Abwärtsbewegung – Presencing – Aufwärtsbewegung.
Im Folgenden geht es darum, was diese „Bewegungen“ mit Führung zu tun haben. Nach und nach wird sich dabei Ihr Verständnis für die Theorie U vertiefen. Fragen, die Sie jetzt bestimmt haben – zum Beispiel was ist Presencing genau? – werden beantwortet.
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1.1 Meine Gedanken zu Führung Führen ist gelerntes Verhalten Die allermeisten von uns lernen zunächst, was es bedeutet „geführt zu werden“, bevor wir eigene Führungsverantwortung bekommen. Und: Die allerwenigsten von uns werden auf die erste Führungsaufgabe vorbereitet, im Sinne von Schulungen, Trainings, Coaching oder auch nur aktiver Reflexion. Wenn ich also sage, Führen ist gelerntes Verhalten, meint das im ersten Schritt vor allem Lernen von Vorbildern. Im Coaching spreche ich mit Führungskräften über ihre ersten Chefinnen und Chefs. Für viele erschütternd ist, dass sie in ihrem eigenen Führungsverhalten nicht nur die Dinge übernommen haben, die sie aus heutiger Sicht für richtig und wichtig halten. Auch die eine oder andere Schwäche ihrer frühen Vorbilder finden sie wieder. Darum ist „Führen ist gelerntes Verhalten“ für mich ein wichtiger Gedanke: • Er führt uns zu unseren – oft unbewussten – Vorbildern und macht eine aktive Auseinandersetzung möglich: Was will ich übernehmen? Was loslassen? • Er sagt uns, dass wir niemals „nach Lehrbuch“ führen. Wir setzen auch nicht Leitbilder um oder bestimmte Methoden. Wir führen aus unserer Erfahrung heraus, die ein Mosaik verschiedenster Einflüsse ist. • Außerdem macht der Aspekt „lernen“ Mut für Veränderung, Entwicklung. Es mag Naturtalente geben. Und auch Menschen, die kein Interesse an Führung haben. Aber vor allem gibt es ganz viele Menschen in der Mitte, die von einer aktiven Beschäftigung mit ihrer Führungspraxis profitieren können. Vor allem im Abschnitt „Selbstführung“ Abschn. 2.1 finden Sie dazu Anregungen und konkrete Tools.
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Führung ist Kommunikation Was mache ich denn, wenn ich führe? Zuhören, sprechen, schreiben – verbale und nonverbale Kommunikation. Führung und Kommunikation sind untrennbar. Die kommunikativen Fähigkeiten einer Führungskraft entscheiden darüber, wie erfolgreich er oder sie die eigene Position ausfüllen kann. Darum ist „Führen ist Kommunikation“ für mich ein wichtiger Gedanke: • Paul Watzlawicks „Man kann nicht nicht kommunizieren“ ist allgemein bekannt. Was nicht bedeutet, dass wir uns unserer umfassenden Wirkung wirklich bewusst sind. Führungskräfte sind Vorbilder. Was sie tun oder eben nicht, was sie sagen oder eben nicht, hat Einfluss auf jeden Mitarbeiter, auf die Stimmung im Team, ja es prägt die Unternehmenskultur. • Kommunikation ist unfassbar machtvoll. Jeder von uns hat schon mal mit einem einzigen Satz etwas bewegt. Und mit einem einzelnen Wort etwas zerstört. Letzteres meist unbeabsichtigt. • Auf die Frage, wie wichtig Kommunikation für ihre Arbeit sei, antworten die meisten Menschen mit „sehr wichtig“. Und dennoch – auf die Frage, wie viel Zeit sie in die Ausbildung der kommunikativen Fähigkeiten investieren, antwortet so mancher mit: „Ich verstehe die Frage nicht.“ Darum geht es ganz viel um Kommunikation bei den Anregungen und konkreten Tools in den Abschnitten „Mitarbeitern führen“ Abschn. 2.2 und „Teams führen“ Abschn. 2.3. Muss sich Führung verändern? Auf diese Frage antworte ich gerne mit einem klaren Ja und einem ebenso klaren Nein. Ja, denn die Welt hat sich verändert. Nennen Sie es Komplexität, Beschleunigung, VUCA- oder BANI-Welt. Der Kontext von Führung ist heute sicherlich ein anderer als in den 1960erJahren, als die intensivere Beschäftigung mit Führung begann. Change ist zum
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Normalzustand geworden. Krise auch schon fast. Und ganz wichtig: Wir gehen heute anders miteinander um. Darum besteht in der Literatur eine große Einigkeit, Führung muss sich verändern. Man kann das zum Beispiel Führung 4.0 nennen. Nein, denn bei genauer Betrachtung stellt sich die Frage, ob es denn wirklich so viel Neues gibt. Die Basis nahezu aller Führungsmodelle ist eine selbst-reflektierte Persönlichkeit. Heute heißt das vielleicht Mindful Leadership. Den Grundgedanken gab es aber schon in der Kontingenztheorie in den 1960ern. Führungskräfte sollen sich selbst kennen, mit sich selbst im Reinen sein, angemessene Kommunikationsformen finden. Da ein gleichzeitiges Ja und Nein nun wirklich nicht hilfreich ist, geht es im nächsten Abschnitt um verschiedene Führungsmodelle (Abschn. 1.2). Unabhängig davon, wie neu oder anders sie sind – wir können von den verschiedenen Schwerpunkten und Perspektiven lernen. Theorie U hilft Schon Otto Scharmers erster Buch trägt den Untertitel „Von der Zukunft her führen“. Tatsächlich ist damit aber nur teilweise das gemeint, was Führungskräfte in ihrem Alltag tun. Die Bedeutung geht – so mein Verständnis – weit darüber hinaus. Es geht um das Führen durch Veränderungen, das Führen von sozialen und gesellschaftlichen Prozessen. Dafür öffnen wir – in der Abwärtsbewegung des U – das Denken, das Fühlen und den Willen. Im Presencing verstehen wir das Vergangene und wenden uns aktiv der Zukunft zu, wir spüren und verstehen „die im Entstehen begriffene Zukunft“. Darum können wir in der Aufwärtsbewegung des U das Neue finden, beschreiben, ausprobieren. Scharmer formuliert: „Führung ist ihrem Wesen nach die Fähigkeit, den inneren Ort, aus dem heraus wir handeln, zu verändern.“ Und: Wir können den „Schritt von der Opferhaltung zu der schöpferischen Haltung aktiv moderieren.“ (Otto Scharmer 2009, S. 375) All dies sind Impulse, die uns in der Führungspraxis helfen werden. Darum bin ich überzeugt: „Theorie U hilft“:
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• Der U-Prozess führt uns zu Selbstreflexion, Basis für jede wirksame Führung. • Gerade die Abwärtsbewegung des U mahnt uns immer wieder, keine Dimension zu vergessen. Es geht um denken, fühlen und wollen. • Das Loslassen im U Prozess und der Sprung in die im Entstehen begriffene Zukunft – das sind Elemente, die jedes weiter-so und mehr-vom-Gleichen überwinden. So wichtig in Führung. • Die Aufwärtsbewegung führt uns in die Umsetzung, in die unternehmerische Praxis. Im „Praxisbuch für wirksame Veränderung“ habe ich den U-Prozess in sieben Fragen strukturiert. Um einen kleinen Vorgeschmack darauf zu bekommen, wie Theorie U hilft, gehen Sie diese doch einmal durch – in Gedanken an eine aktuelle Führungsherausforderung. 1. Von der Wertung zur Neugier: Was ist das vorherrschende Denken? Was könnte neugierig machen auf andere Sichtweisen? 2. Vom Zynismus zu Empathie: Wie können wir uns in die verschiedenen Perspektiven zum Thema hineinfühlen? 3. Von Angst zu Mut: Wie können wir erkennen, was uns bremst? Wie gelingt Loslassen? 4. Wendepunkt: Wie gestalten wir Presencing? Hej, was geht? 5. Kreativ denken: Wie können wir Ideen sammeln? Wie können wir die Ideen dann verdichten? 6. Prototypen: Wie können wir daraus Maßnahmen erarbeiten? 7. Umsetzen: Wie verproben wir diese? Wie machen wir weiter? Im zweiten Teil des Buches werde ich über jede dieser Fragen mit einer großartigen Führungskraft sprechen. Führen ist gelerntes Verhalten, das hat ganz viel zu tun mit Selbstreflexion. Führung ist Kommunikation, und da gibt es immer wieder Neues zu entdecken, zu lernen. Muss sich Führung verändern? Einer Antwort nähern wir uns im nächsten Abschnitt an. Dass Theorie U hilft, ist meine tiefe Überzeugung. Vielleicht mögen Sie mir folgen.
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1.2 Anschluss an weitere Führungsmodelle Dies ist keine akademische Arbeit. Es ist nicht mein Anspruch, Begriffe messerscharf zu definieren und abzugrenzen. Was vielleicht schon wichtig ist: Führung hat bei den meisten Autoren eine andere Bedeutung als Management. Ich schließ mich dem an – (vgl. Asana, 2022). Ich sehe die Aufgabe von Führung sehr stark auf die Menschen im Unternehmen bezogen. Management dagegen eher operativ. Historie Wer sich für bessere Definitionen und die Historie von Führungsmodellen und -stilen interessiert, dem sei die Studie „Zeitgemäße Führung – Ansätze und Modelle“ von Stefanie Sohm – im Auftrag der Bertelsmann Stiftung – aus dem Jahr 2007 ans Herz gelegt (Sohm 2007). Sie beschreibt sehr übersichtlich und anschaulich die Entwicklung der Leadership-Forschung: Waren es zu Beginn vor allem einzelne Führungspersönlichkeiten, die untersucht wurden, kamen dann Fähigkeiten, Verhaltensweisen, der Zusammenhang von Situation und Verhalten, Ziele / „Objectives“ und schließlich Werte und Beziehungen als Forschungsschwerpunkt hinzu. Erst im transformationalen Ansatz „New Leadership“ werden diese – doch alle gleichermaßen wichtigen – Dimensionen zusammenbetrachtet. (Sohm, 2007, S. 5). Kurt Lewin Wer inhaltlich einsteigt, stößt unweigerlich auf Kurt Lewin (Lewin 1963). Bereits früh hat er Führungsstile beschrieben, seine Klassifikation ist bis heute präsent. • Autoritärer Führungsstil: Führungskräfte setzen zentral getroffene Entscheidungen durch. • Demokratischer oder partizipativer Führungsstil: Entscheidungsfindung als Prozess mit mehreren Beteiligten. Führungskräfte organisieren Zusammenarbeit. • Laissez-faire oder delegierender Führungsstil: Teams haben Freiraum bei der Entscheidungsfindung und -umsetzung. Führungskräfte greifen nur selten ein.
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Vielleicht haben Sie auf den ersten Blick den Eindruck, die Stile schlössen sich gegenseitig aus. Und die meisten Unternehmen seien doch heutzutage irgendwo in der Mitte, im partizipativen Führungsstil angekommen. In der Coaching-Praxis erlebe ich etwas anderes. Ja, in den Leitsätzen des Unternehmens wird ein partizipativer Führungsstil beschrieben. Wenn es aber hart auf hart kommt, weichen Führungskräfte davon ab. Je nach Temperament in Richtung Autorität, „Da muss man doch mal auf den Tisch hauen“. Oder durch vollständiges Abtauchen, wenn Rat- und Tatenlosigkeit als „Ich habe das delegiert“ verbrämt wird. In den wenigsten Unternehmen gibt es den einen Führungsstil. Sie leben die Vielfalt der Anwendungen durch unterschiedliche Menschen, in verschiedenen Situationen. Meine Empfehlung: Machen Sie sich dafür unbedingt mit dem Modell „Communicate & Influence“ (2.5) vertraut. Es hilft Ihnen sehr konkret und bewusst, verschiedene Führungsstile einzusetzen. Situatives Führen Ebenfalls nicht mehr ganz jung und doch in der Praxis immer noch gefragt ist der situative Führungsstil, beziehungsweise das Reifegradmodell, das Paul Hersey, Kenneth Blanchard und Dewey Johnson (Hersey et al. 2012) Anfang der 1970er Jahre entwickelt haben. Hier kommen Motivation und Fähigkeiten der Mitarbeiter in den Fokus. Die Führungskraft wählt ihren Stil je nach Situation und „Reifegrad“ des Mitarbeiters. Dies geschieht dann entweder aufgaben- oder beziehungsorientiert. Ein Verdienst von Hersey und Blanchard ist sicher, dass sie Flexibilität in den Diskurs um Führungsstile eingebracht haben. Es gibt eben nicht die eine richtige und die andere falsche Führung. Verschiedene Aspekte müssen berücksichtigt werden. Und sie haben deutlich gemacht, dass sich Führung verändern und der Entwicklung von Mitarbeitern entsprechen muss. Dennoch überwiegt inzwischen deutlich die Kritik an dem Modell, am „Schubladendenken“, der starken Fokussierung auf bestimmte Reifegrade, den stereotypen Reaktionen auf diese Reifegrade etc. (vgl. Wirtschaftspsychologische Gesellschaft o. J.).
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Und doch: In Unternehmen begegnen mir immer wieder Hinweise auf die „Reifegrade“, wie sie Hersey und Blanchard 1982 beschrieben haben: • • • •
Reifegrad 1: nicht willig und nicht fähig Reifegrad 2: willig, aber nicht fähig Reifegrad 3: nicht willig, aber fähig Reifegrad 4: willig und fähig
Versuchen Sie mal einen eleganten Perspektivwechsel: Sie sind nicht die Führungskraft, die versucht, den Mitarbeiter richtig zu verstehen und zu führen. Sie sind der Mitarbeiter, der eingestuft wird als, zum Beispiel, „nicht willig, aber fähig“. Sie spüren sofort eine rechtschaffene Empörung, oder? Warum sich das Modell dennoch hartnäckig hält? Ich vermute, es befriedigt ein Bedürfnis nach Einfachheit: wenn a, dann b. Wenn Mitarbeiter so, dann Führung so. Nur ist Führung nicht einfach. Und lässt sich auch nicht beliebig standardisieren oder simplifizieren. Meine Empfehlung: Nehmen Sie die wichtigen Impulse des Modells mit: Zum Beispiel, sich über Mitarbeiter und deren Entwicklung Gedanken zu machen. Auch: Alle gerecht zu behandeln, meint nicht, all gleich zu behandeln. Und legen Sie den Rest beiseite. Emotionale Führung Mehr spannende Anregungen und zeitlose Gültigkeit finde ich bei Daniel Goleman. Die sechs Führungsstile, die er beschreibt, beruhen alle auf Selbstreflexion. Sie werden situativ genutzt. Die Führungskraft hat die Kompetenz und emotionale Intelligenz, den jeweiligen Stil auszuwählen und zu leben – je nach Situation und Mitarbeiter. Zusammen mit Richard Boyatzis und Annie McKee hat Golemann diese Formen der „Emotionale Führung“ beschrieben: • • • •
Visionär – durch Inspiration führen Coaching – führen durch Mentoring Gefühlsorientiert – ein gutes Miteinander schaffen Befehlend – Abläufe einführen
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• Beispielhaft – führen durch Vorbild • Demokratisch – Partizipation ermöglichen Eine umfassende und treffende Antwort auf verschiedene Herausforderungen von Führung, je nach Menschen, Situation und gewünschtem Impuls (vgl. Redaktion business-wissen.de 2022). Transformative und transaktionale Führungsstile Auch Bernard M. Bass beschreibt verschiedene Führungsstile. Transformative Führungskräfte gewinnen das Vertrauen und den Respekt ihrer Mitarbeiter. Diese wiederum sind auch bereit, sich führen zu lassen. Bekannt ist das Modell auch als die vier I’s: • • • •
Individuelle Unterstützung Intellektuelle Anregung Inspirierende Motivation Idealbildfunktion bzw. Vorbildfunktion
Als Gegenentwurf zur transformativen Führung hat Bass die transaktionale Führung beschrieben, die letztlich auf Gedanken von Max Weber beruht. Hier geht es um „Zuckerbrot und Peitsche“, um Belohnungen und Sanktionen als Mittel der Führung. Beides soll Teammitglieder motivieren, klaren Vorgaben zu folgen. Aufgabe der Führungskraft ist command & control (vgl. Asana 2022). Sie sehen, es wird nicht einfacher: Je länger wir uns mit Führung beschäftigen, umso mehr Anforderungen an die Führungskraft werden formuliert. Im nächsten Kapitel finden Sie dann ganz viele Antworten auf die Frage: Wie soll das denn gehen? Leadership 4.0 Vielfach wird heute Führung durch Leadership ersetzt und kombiniert mit verschiedenen Begriffen wie Mindful, Digital und Agile Leadership, um nur einige zu nennen. Sie richten das Thema neu aus, fokussieren einen bestimmten Aspekt von Führung und können in der Praxis sehr hilfreich sein.
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Mindful Leadership Mindful Leadership wird uns durch das Buch begleiten. Denn auch Theorie U basiert auf Mindfulness, Achtsamkeit. „Achte auf Deine Aufmerksamkeit. Wo Du sie hinlenkst, das wird lebendig“ heißt ein Achtsamkeits-Mantra. Oder “Pay attention to your attention”, wie Otto Scharmer es zuspitzt (Otto Scharmer 2018). Mindfulness ist eine wichtige Säule der Theorie U. Selbstreflexion ist ein zentraler Impuls in jedem U-Prozess. „Turn the camera“ heißt das in der Theorie U: Richte den Blick nicht nur auf das Außen, sondern auch auf Dich selbst. Und finde eine Verbindung mit Dir selbst. Das führt uns dann auch zum Kern, zu uns selbst, denn „issues outside are a mirror of the issues inside“ (Scharmer o. J.). In einem Interview (Otto Scharmer 2016, S. 32) verweist Otto Scharmer darauf, dass Mindfulness auf Ergebnissen der Gehirnforschung aufbaut, insbesondere bezogen auf Neuroplastizität – der Fähigkeit des Gehirns, sich selbst zu ändern. Das Gehirn entwickelt sich anhand dessen, was wir tun. Achtsamkeit sei daher Voraussetzung für zukunftsfähige Führungskonzepte, so Scharmer. Digital Leadership Mein Kollege Michael Groß definiert Digital Leadership als Führung in Unternehmen durch Nutzung von neuen Methoden und Instrumenten durch die Führungskräfte (Vgl. Groß 2019). Ich habe ihn gefragt: „Was ist für Dich der Kern von Digital Leadership?“ Und Michael Groß sagt: Beidhändigkeit – es geht darum, das bestehende Geschäft zu managen und gleichzeitig das Neue zu erfinden und Zukunft zu gestalten. Dabei wünschen wir uns Ambidextrie, also Beidhändigkeit oder die gleich ausgebildete Geschicklichkeit beider Hände.
Was, wollte ich wissen, bedeutet das für die Führungskräfte? „Neues Denken lernen. Digital Leader müssen eine neue Denkstrategie annehmen und sich dafür von einigen Grundüberzeugungen trennen“, sagt Michael Groß. Ob es das in der Praxis wirklich gäbe, frage ich, er ist überzeugt:
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Ja, überraschenderweise auch in Organisationen, in denen man das nicht vermutet, z.B. Maschinenbau. Wir müssen uns neu erfinden. Neue digitale Ideen für Service, bis hin zu digitalen Geschäftsmodellen. Je effizienter das bestehende Geschäft geführt wird, desto größer sind die Handlungsmöglichkeiten für neue Abläufe oder Angebote. Beide Bereiche sollten gemeinsam die Fortschritte reflektieren. Diese Resonanz zu ermöglichen, ist eine wesentliche Aufgabe der Digital Leader.
Agile Leadership Nicht wegzudenken aus einer modernen Arbeitswelt sind agiles Mindset und agile Methoden. Sie tragen der Tatsache Rechnung, dass wir in einer komplexen Welt leben. Dass comand & control und WasserfallLogiken nicht mehr wirklich funktionieren. Agile Führung meint genau das: Nicht hierarchisch durch Macht und Kontrolle zu führen, sondern in Zusammenarbeit und durch Vorleben. Servant Leadership wird hier oft als Hinweis genannt: Ein dienendes Verständnis von Führung. Diesen Zusammenhang bildet auch Tobias Kortas (o. J.) in seinem Beitrag „Theorie U: Wahre Veränderung von Führung orientiert sich an der Zukunft“. Er sagt: Theorie U und agiles Führen gehören zusammen. Disruptionen und steigende Komplexität machen es unmöglich, sich als Führungskraft rein auf die Empirie zu verlassen. Offenheit und Intuition, die in der Theorie U wirken, müssen das ergänzen. Er betont auch die Relevanz der Selbstreflexion einer Führungskraft – ein echter Dialog beginnt beim Dialog mit sich selbst und es wird immer wichtiger in der Lage zu sein, den inneren Handlungsort zu verändern, sich also als Führungskraft zu entwickeln. Sie erkennen bestimmt das Muster: Wer auch immer sich Gedanken über Führung macht, möchte beschreiben, wie unternehmerische Ziele erreicht werden können, wie dafür die Stärken der Mitarbeiter eingesetzt werden können. Selbstreflexion der Führungskraft ist ein großes Thema, ebenso Ziele und Motivation. Wir werden das in den folgenden Abschnitten vertiefen.
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Exkurs: Rosalinde Torres Gerne verweise ich (erneut) auf den inspirierenden TED-Talk von Rosalinde Torres (Torres 2013). Ihr Fazit: Die meisten Programme zur Entwicklung von Führung wirken nicht oder geben Impulse in die falsche Richtung. Sie unterstützen Menschen nur ungenügend darin, „a great Leader“ zu werden, da sie starren Modellen folgen und in ihrer Ausrichtung schlimmstenfalls vergangenheitsbezogen sind. In ihrem TED-Talk fragt Rosalinde Torres, Senior Partnerin der Unternehmensberatung BCG: „Was eine Führungspersönlichkeit ausmacht“ (Torres 2013). Drei Aspekte arbeitet sie heraus: 1. Offenheit für Change. Heute gehört zu Führung immer auch Veränderung. Führen und vorleben kann ich das nur, wenn ich Veränderung als Grundprinzip akzeptiere, offen bin für das Neue. In der Theorie U nennen wir es die Stimmen von Wertung, Zynismus und Angst, die eine Führungskraft überführen möchte in Neugier, Empathie und Mut. 2. Ein wirklich diverses, vielfältiges Netzwerk. Torres fragt, woher beziehen Sie Ihre Informationen? Und ich finde, das ist ein ganz wichtiger Gedankenanstoß. Das Neue kann nur in die Welt kommen, wenn ich mich unbekannten Fakten, ganz anderen Menschen, überraschenden Erfahrungen zuwende. 3. Loslassen. Wirklich großartige Führungskräfte werden mutig genug sein, einen anderen Weg als in der Vergangenheit zu gehen, denn was erfolgreich war, ist es nicht unbedingt jetzt und morgen. Torres nutzt hier das gleiche Vokabular wie die Theorie U: Loslassen. Erkennen, was uns bremst. Platz machen für das Neue. Das bedeutet nicht, dass das alte falsch oder schlecht war. Nur, dass es uns nicht in die Zukunft trägt.
Literatur Cornelia Andriof (2021) Praxisbuch für wirksame Führung – mit der Theorie U arbeiten, Springer Gabler Verlag, Berlin Asana (2022) Führungsstile: Die verschiedenen Modelle und Stile im Vergleich! https://asana.com/de/resources/leadership-styles. Zugriff: 01.07.2023 Michael Groß (2019) Digital Leader Gamebook, Haufe, Freibug Paul H. Hersey, Kenneth H. Blanchard, Dewey E. Johnson (2012) Management of Organizational Behavior: Leading Human Resources, Pearson, London
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Tobias Kortas (o.J.) Theorie U: Wahre Veränderung von Führung orientiert sich an der Zukunft, https://www.sherpany.com/de/ressourcen/agilefuehrung/agile-organisation/theorie-u/Zugriff: 01.07.2023 Kurt Lewin (1963) Feldtheorie in den Sozialwissenschaften. Ausgewählte theoretische Schriften, herausgegeben von Dorwin Cartwright. Hans Huber, Bern u. a. Redaktion business-wissen.de (2022) Emotionale Führung – Führungsstile nach Goleman anwenden, https://www.business-wissen.de/artikel/ emotionale-fuehrung-fuehrungsstile-nach-goleman-anwenden/Zugriff: 01.07.2023 C. Otto Scharmer (2009) Theorie U. Von der Zukunft her führen. Presencing als soziale Technik, Carl-Auer, Heidelberg C. Otto Scharmer (2016) „Verlässlich ist nur das eigene Selbst“, managerSeminare, Heft 225, Dezember 2016, https://ottoscharmer.com/ videos. Zugriff: 01.07.2023 C. Otto Scharmer (2018) Three Stages of Global Movement Building: Soil, Seed, & Eco-system Activation https://medium.com/presencing-instituteblog/three-stages-of-global-movement-building-soil-seed-eco-systemactivation-a383a6d3fc8b Zugriff: 01.07.2023 C. Otto Scharmer (2019) Essentials der Theorie U, Carl-Auer, Heidelberg C. Otto Scharmer (o.J.) Theorie U, https://www.ottoscharmer.com/theoryu Zugriff: 03.07.2020 Stefanie Sohm, Zeitgemäße Führung – Ansätze und Modelle. Eine Studie der klassischen und neueren Management-Literatur. Bertelsmann Stiftung Leadership Series 2007. http://docplayer.org/7200312-Zeitgemaessefuehrung-ansaetze-und-modelle.html Zugriff: 01.07.2023 Rosalinde Torres (2013) Was eine Führungspersönlichkeit ausmacht, https:// www.ted.com/talks/roselinde_torres_what_it_takes_to_be_a_great_ leader?language=de Zugriff: 01.07.2023 Wirtschaftspsychologische Gesellschaft (o.J.) Reifegradmodell: Das HerseyBlanchard-Modell der Führung, https://wpgs.de/fachtexte/fuehrung-vonmitarbeitern/das-reifegradmodell-der-fuehrung/Zugriff: 01.07.2023
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Wir haben gesehen: Es gibt sicher nicht „das eine Modell für alle“. Und: Veränderungen in Führungskultur und Führungsverhalten sind immer schwierig, da viele – auch unbewusste – Muster wirken. Ganz wichtig, aus meiner Sicht, ist zu Beginn die Frage, auf welcher Ebene eine Entwicklung ansetzen soll. Wir sehen im U drei Ebenen: Was, Wie und Warum (siehe Abb. 2.1). Otto Scharmer erklärt es gerne mit der Metapher von der leeren Leinwand, die ich absolut stark und überzeugend finde. Wenn wir eine Situation vor uns haben, schauen wir quasi auf ein fertiges Bild. Wir sehen Motiv, Perspektive, Linienführung und überlegen, was wir ändern wollen. Wir beschäftigen uns mit dem Was. Bezogen auf unser Thema – mit der täglichen Führungspraxis, mit dem, was wir als Führungskräfte tun. Wenn wir intensiver einsteigen, dann fragen wir nach dem Prozess, durch den das Bild entstanden ist. Der Prozess des Malens – des Führens – rückt in den Fokus: Wie hat der Künstler das gemacht, wie führen wir? In diesem Bereich gibt es in Unternehmen in der Regel auch eine Art Gerüst: Feedback-Gespräche, Jahresgespräche, Zielverein© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 C. Andriof, Praxisbuch für wirksame Führung – mit der Theorie U arbeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68092-6_2
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Abb. 2.1 Das U – horizontale Logik
barungen, auch Incentivierungsmodelle und Karrierepläne. All das sind Elemente des Wie. Im U-Prozess reisen wir weiter, an den Punkt, an dem der Künstler vor der leeren Leinwand steht. Was ist da geschehen? Warum hat er oder sie dieses Bild gemalt? Wir lassen das, was jetzt auf dem Bild ist, los. Wir denken und fühlen uns ein in den ursprünglichen Impuls. Von hier aus denken wir das Neue. Die leere Leinwand ist der innere Ort, aus dem das Handeln entsteht. Hier sind wir bei der Selbstreflexion der Führungskraft. Die sich dann selbst besser versteht und aus ihren Quellen heraus bewusst führt.
2.1 Selbstführung Basis jeder Selbstführung ist Selbstreflexion. Eine entwickelte Führungskraft kennt sich selbst. Sie reflektiert ihr Denken, Fühlen, Handeln. Sie kann sich auf andere gut einstellen, weil sie mit sich selbst klar ist. Neugier statt Wertung, Empathie statt Zynismus, Mut statt Angst. Wenn Sie sich schon ein wenig mit der Theorie U beschäftigt haben, kennen Sie diese Begriffspaare aus der Abwärtsbewegung des U. Eine reife,
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selbstreflektierte Führungskraft wird diese Widerstände wahrnehmen und achtsam umgehen mit sich und den Mitarbeitern. Sie wird eine Haltung finden, die zum eigenen Selbst ebenso passt, wie zum Unternehmen, bzw. der Wirkungsstätte der Führungskraft. Wie kann ich Selbstreflexion anstoßen, wie mache ich Selbstführung? Folgende konkrete Anregungen möchte ich Ihnen im Folgenden vorstellen: • Wie beginne ich eine Reflexion? Startpunkt kann die erste eigene Führungserfahrung sein – Stichwort „Führen ist gelerntes Verhalten“. Und es kann ein tieferes Eintauchen in die eigene Persönlichkeit sein. Die eigenen Werte und Glaubenssätze. Holen Sie ruhig schon mal Ihr Insights-Profil oder die Ergebnisse Ihres letzten 360-GradFeedback aus der Schublade. • Vielleicht der häufigste Hinweis, den ich in Vorbereitung auf dieses Buch erhalten habe: Es geht um Authentizität. Das schauen wir uns mal genauer an. • Und dann wenden wir uns dem zu, was wir nicht wissen: Dem blinden Fleck von Führung. Abschließend möchte ich einige Ideen mit Ihnen teilen, wie wir von diesen Selbstreflexionen ausgehend ins Tun kommen. Das kann Work Hacks heißen. Vor allem aber hat es mit den sieben Fragen zu tun, die uns durch U-Prozesse führen.
2.1.1 Startpunkt der Selbstreflexion Meine erste Führungskraft Führung ist gelerntes Verhalten, so habe ich es anfangs beschrieben. Besonders prägend dabei sind unsere ersten Führungskräfte. Darum ist es inspirierend, diese frühen Erfahrungen in die Gegenwart zu holen. Sie können das für sich selbst reflektieren oder gemeinsam mit einem Coach oder Sparringspartner. Ziel ist es, unbewusste Prägungen bewusst zu machen. Das kann durchaus Basis sein, um künftig Dinge anders zu machen.
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Wenn wir uns Vergangenes gegenwärtig machen, hilft es, sehr konkret zu werden. Ich frage Sie also nicht, wie war Ihre erste Führungskraft? Denn dann antworten Sie mir mit der über Jahre gereiften und verarbeiteten Version. Ich frage: • Wie hieß Ihre erste Führungskraft? • Erzählen Sie mir eine Begebenheit, die Ihnen in Erinnerung geblieben ist. • Wann war Ihre Führungskraft stolz auf Sie? • Wie konnte man ihn oder sie garantiert auf die Palme bringen? Erst wenn wir in den vergangenen Alltag eingetaucht sind, frage ich danach, wie Ihre Führungskraft geführt hat. Ich frage auch, was haben Sie übernommen? Was fanden Sie ganz schrecklich? Und: Finden Sie davon etwas in Ihrer Führungspraxis wieder? Oft werde ich gefragt, ob denn auch ein Lehrer ein erstes Vorbild sein kann. Letztlich müssen Sie entscheiden, was Sie als erste Führungserfahrung definieren. Ich finde einen irgendwie gearteten Arbeitskontext schon relevant. Also eher kein Lehrer, sicherlich aber der Meister, wenn Sie eine Ausbildung gemacht haben. Es ist nicht nötig, wirklich alle vergangenen Führungskräfte ins Bewusstsein zu rücken. Die ersten ein bis drei. Und dann natürlich die, die Sie selbst bis heute als prägend empfinden. Ich habe alle meine Gesprächspartner im zweiten Teil des Buches gefragt: Wie bist Du zum Thema Führung gekommen und warst Du auf Deine erste Führungsrolle vorbereitet? Die Metapher vom „kalten Wasser“ fiel da recht häufig. Was mir noch auffiel: • Jede und jeder berichtet von wichtigen Lernprozessen. Von Erfolgen und Scheitern. Praktischen Erfahrungen also. Ja, Führung ist Praxis und lernt sich in der Praxis. Daher auch der wichtige Blick auf die Vorbilder. • Daneben geht es aber auch immer wieder um die theoretische Fundierung durch Management-Programme, Trainings und
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Coachings. Keiner möchte das missen. Mancher hätte es lieber früher gemacht, so in der Rückschau. Besonders positiv sprechen Führungskräfte darüber, wenn sie eine Coaching-Ausbildung haben. • Und dann sind da noch wichtige Menschen auf dem Weg. Mentoren, Coaches. Und auch Netzwerke, die helfen. Hier kann ich als Führungskraft deutlich aktiver sein in der Auswahl. Ich kann mir Vorbilder und Sparringspartner suchen – sicherlich eine wichtige Ergänzung. Meine Persönlichkeit Ein weiterer spannender Ausgangspunkt für Selbstreflexion ist die eigene Persönlichkeit. Im Coaching nutze ich gerne eine sehr einfache Abwandlung eines Modells, das sich Persönlichkeitstypographie nennt. Anders als Insights, Meyer-Briggs, Leadership-Circel etc. brauche ich keine langen Fragebögen, um damit zu arbeiten. Es ist schnell erklärt und gibt doch wertvolle Hinweise, wie ich mich und andere verstehen und annehmen kann. Ich sehe das nicht als „Schubladendenken“, sondern als Anstoß für ein tieferes Verständnis. Und das besagt die Persönlichkeitstypographie in Abb. 2.2: Denken, Fühlen und Handeln – das ist es, was wir den ganzen Tag über tun. Sonst nichts. In den ersten Lebensjahren, so das Modell, entwickeln wir einen bevorzugten Modus. Wir stellen fest, in der Regel durch das Feedback unserer Bezugspersonen, was uns am sichersten voranbringt. So entstehen drei Ursprungstypen:
Abb. 2.2 Persönlichkeitstypographie
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• Beziehungstyp. Er/sie bevorzugt das Fühlen. Beziehungstypen sind empathisch, entscheiden aus dem Bauch heraus, intuitiv und spüren eine große Sicherheit, dass eine gefühlsmäßige Entscheidung die richtige ist. • Sachtyp. Er/sie bevorzugt das Denken. Sachtypen analysieren Situationen genau und entscheiden dann auf dieser auf Basis. Entscheidungen sind durch Argumente begründet und für ihn oder sie klar und richtig. • Handlungstyp. Er/sie fühlt sich in Aktivität, im Handeln am wohlsten. Wollen Handlungstypen etwas entscheiden, werden sie es ausprobieren, sie gehen die nächsten Schritte, sie machen einfach. Das Muster im Dreieck mag aussagen, dass wir alle integrierte Persönlichkeiten sind – oder zumindest auf dem Weg dahin. Der Ursprungstyp bleibt dabei aber ein Leben lang erhalten. Die Pfeile an den Seiten besagen: Es gibt eine Strömungsrichtung. Jeder Typ hat eine weitere gut erreichbare Fähigkeit und eine, die weiter weg und schwerer zu aktivieren ist. • Der Beziehungstyp ist noch ganz gut im Denken. Jeder Beziehungstyp kennt aber diese kleine Schwelle, die es zu überwinden gilt, um ins Handeln zu kommen. • Der Sachtyp hat es noch recht leicht im Handeln. Aber diese ganzen Gefühlsdinge erscheinen ihm fremd und unverständlich. Ich habe schon Sachtypen erlebt, die gar nicht glauben konnten, dass man in unserer Welt auch mit Empathie und Intuition gut klarkommt. • Der Handlungstyp dagegen fühlt sich recht leicht in andere Menschen ein. Er wird aber immer mal wieder in Situationen kommen, in denen er oder sie feststellt: „Darüber hätte ich wohl besser noch mal in Ruhe nachgedacht“. Mehr über die 3-Typen-Lehre finden Sie in Dietmar Friedmanns Buch: Denken Fühlen Handeln (Friedmann 2004). Hier noch einige Hinweise, die uns in der Selbstreflexion unserer Führungspraxis helfen können:
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• Wie erkenne ich die Typen? – Sie „verraten“ sich in der Sprache: Ich habe kein gutes Gefühl dabei/Für mich ergibt das keinen Sinn/Ich weiß nicht, wie das gehen soll. – Sie zeigen sich in der Entscheidungsfindung: Ein Beziehungstyp fand den Autoverkäufer wirklich sympathisch und vertrauenserweckend. Der Sachtyp hat das Angebot genau studiert. Der Handlungstyp eine Probefahrt gemacht. – Manchmal wird der Ursprungstyp überdeckt durch die aktuelle Situation. Mitten in einem Umzug beispielsweise ist jeder Mensch in seiner Handlungsebene gefordert, unabhängig davon was sein Ursprungstyp ist. – Die Verteilung über die Gesamtbevölkerung ist ungefähr gedrittelt. In bestimmten Kontexten tummelt sich aber der eine oder andere Typ mehr oder weniger. Unter Steuerberatern finden Sie vermutlich mehr Sachtypen, im Vertrieb mehr Handlungstypen, viele Coaches sind Beziehungstypen. • Wer passt zu wem? – Gleiche Typen fühlen sich wohl miteinander. Sie haben aber auch einen gemeinsamen blinden Fleck. – Teams sind am besten gemischt. Das funktioniert gut, wenn sie sich in ihrer Unterschiedlichkeit wertschätzen. • Wie kann mir das Modell helfen? – Den eigenen Typus zu kennen hilft, die eigene Schwachstelle liebevoll anzuerkennen und kraftvoll zu entwickeln. – Den Typus des anderen zu kennen, ermöglicht es mir, einen Weg zu ihm zu finden, ihn da anzusprechen und zu motivieren, wo er seine Stärke hat. Unabhängig von meinem Typus. – Ich kann andere auch in einem Prozess begleiten; eine SachtypFührungskraft beispielsweise über die Handlungsebene in guten Kontakt mit seinem Team bringen, sodass die Beziehungsebene einfacher wird. Für die Selbstreflexion ergeben sich spannende Fragen: Sie sehen sich als Handlungstyp/Sachtyp/Beziehungstyp? Wie konkretisiert sich das in Ihrer Führungspraxis? Was können – und sollten – Sie entwickeln?
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Natürlich können Sie auch andere Modelle nutzen. Insights ist sehr weit verbreitet und ich höre oft Sätze wie, „Ich bin halt sehr blau“. Wichtig ist, dass Ihnen der Denkanstoß hilft. Dass Sie nicht nur theoretisch wissen, dass Menschen unterschiedlich sind. Sondern dass Sie es in Führung und Kommunikation aktiv mitdenken und berücksichtigen. Fallbeispiele Selbstreflexion/Persönlichkeit Ein Handlungstyp in der Krise In einem komplexen Restrukturierungsprojekt bin ich einem Geschäftsführer begegnet, der ein sehr ausgeprägter Handlungstyp war. Das hat ihn doppelt stark gemacht: Er hat viel bewegt. Und er konnte über seine zweite Stärke – die Beziehungsorientierung – die Menschen im Unternehmen gut mitnehmen. In der aktuellen Krise half ihm die Selbstreflexion anhand der Persönlichkeitstypographie umzudenken: Jetzt war auch eine Orientierung an Zahlen gefragt sowie ein, zwei- oder dreimaliges Nachdenken über die nächsten Schritte. Sachtypische Fähigkeiten, die er bisher weder ausgeprägt genutzt hat noch besonders schätzte. Im Gegenteil, diese eher langsamen „Zahlenfüchse“ und „ewigen Bedenkenträger“ waren ihm deutlich suspekt. Er hat zwei Wege gefunden, damit umzugehen: Die eigenen rationalen Anteile stärken und ganz bewusst Berater ins Team holen, die diesen Part übernehmen. Ein komplexer Sachtyp In einem Veränderungsprozess war mein Kunde ein großartiger Sachtyp. Bis heute bewundere ich seine analytischen Fähigkeiten, wie er Fakten souverän im Kopf hatte und flexibel zu neuen Ansätzen umformen konnte. Aber! Tatsächlich gab es immer wieder Themen, bei denen seine Vorgehensweise zu sehr komplizierten Lösungsansätzen führte. Da war in Gedanken schon ein Dashboard geformt, mit allen Variablen, die – gewichtet – zu einer Entscheidung führen sollten. Ich machte ihm Mut, ruhig vorab das Team mal nach seiner Meinung, Tendenz, Expertise zu fragen. Oft vereinfacht das den Lösungsweg.
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Ein getriebener Sachtyp Ein anderer Sachtyp, dem ich begegnet bin, war für mich gar nicht als solcher erkennbar. Ich hätte sie für einen Handlungstyp gehalten. Im Gespräch wurde deutlich, dass das die sehr hohen Anforderungen der Position mit sich brachten. Sie fühlte sich gedrängt in einen ewigen machen-machen-machen-Modus. Und sie vermisste es, in Ruhe über Dinge nachzudenken. Eine tiefe innere Erschöpfung, auch Leere war die Folge. Höchste Zeit, umzusteuern. Ein überfordernder Beziehungstyp Natürlich bin ich auch Beziehungstypen begegnet. Eine junge Führungskraft wirkte mit großem Enthusiasmus in seinem Team. Er schlug immer wieder neue, spannende Ansätze zur Entwicklung der Zusammenarbeit vor. Mit großem persönlichem Einsatz und viel Herzblut. Den einen oder anderen im Team hat er damit überfordert. In der Selbstreflexion und im Abgleich mit den anderen Persönlichkeiten im Team wurde ihm deutlich, er muss auch andere „Kanäle“ bespielen, andere Formen von Führung anbieten. Und er muss einen Weg finden, damit umzugehen, dass nicht alle seinen Enthusiasmus teilen, bzw. es nicht auf eine Art zeigen, die er versteht. All diese Beispiel zeigen Ihnen, dass Selbstreflexion, Abgleich mit dem Team und der Situation Ihnen helfen kann, neue wirksame Ansätze für Ihre Führung zu finden.
2.1.2 Ist Authentizität das Wichtigste? Authentizität einer Führungskraft sei das Wichtigste, so wurde mir oft gesagt. Ja, jemand der sich ständig verstellt und verbiegt, wird sicher weder überzeugend noch glücklich sein. Aber was ist diese Authentizität? Ein Hinweis vorweg, manchmal gibt es da Missverständnisse: Authentizität ist keine Entschuldigung für Disziplinlosigkeit, Sichgehen-lassen, schlechtes Benehmen. Ein „Ich bin halt aufbrausend“ ist eine Selbstreflexion und ein Anstoß für Entwicklung. Kein Freibrief für wiederkehrendes Rumpoltern unter dem Deckmantel der Authentizität. Der Begriff Authentizität kommt vom griechischen „authentikós“, was „echt“ bedeutet. Das umfasst zwei Perspektiven: sich selbst als echt
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zu empfinden und auch von anderen so gesehen zu werden. Selbstund Fremdwahrnehmung sollen hier also deckungsgleich sein. Was ansonsten eher selten der Fall ist. • Wie mache ich „echt“? Nun, Basis dafür ist, sich selbst ziemlich gut zu kennen. Und dann geht es darum, sich nicht zu verstellen. Nicht vorzugeben, etwas oder jemand zu sein, der ich nicht bin. „Fake it, till you make it“ kann da eine Ausnahme sein. Schließlich nehme ich hier mein künftiges Ich vorweg. Vorausgesetzt, ich nehme mir das selbst ab. Definitiv heißt Authentizität nicht, dass ich immer, überall und jederzeit gleich bin. Dazu gleich mehr. • Und wie werde ich als „echt“ gesehen? Vermutlich nur, wenn ich es wirklich bin. Oder ein hervorragender Schauspieler. Körpersprache und Stimme sind hier die entscheidenden Faktoren. Darum geht es im Exkurs zu „Ich mag meine Stimme nicht“. Ich sehe Authentizität nicht statisch; Variation in den Rollen und die persönliche Entwicklung gehören dazu. Rollen und Status Wir alle bewegen uns in verschiedenen Rollen. Wenn wir eine Hundebaby streicheln, agieren wir anders als im Aufsichtsrat. In beiden Fällen sind wir authentisch. Und doch ganz unterschiedlich. Haltung, Fokus, Körpersprache, Stimme und vieles mehr passt sich der Situation an. Jeden von uns gibt es in ganz verschiedenen Rollen: in der Ursprungsfamilie, im Freundeskreis, beim Sport, beim Hobby, vielleicht als Mutter/Vater und eben auch beruflich. Die Integration verschiedener Rollen geschieht auf zwei Ebenen: In uns selbst und als Zuschreibung von außen. Die Rolle, die wir uns wählen und – mehr oder weniger bewusst – nach außen zeigen nennt man auch Status, bestehend aus zwei Dimensionen1: 1 Anmerkung zu dem Modell: Ich habe es in meiner Coaching-Ausbildung kennen gelernt. Leider ohne Quellen-Angabe. Ich habe seitdem vielfach und gerne recherchiert und Menschen gefragt: Es bleibt unklar, wo es herkommt. Für sachdienliche Hinweise bin ich dankbar. Für eine vertiefende Lekrüre zum Thema empfehle ich das „Status und Rolle“ (Thomas 2011).
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• Innerer Status/Kognition, das meint die Gesamtheit unserer Gedanken, Gefühle, Einstellungen • Äußerer Status/Verhalten, das meint das, was wir nach außen sichtbar – verbal und nonverbal – transportieren. In beiden Dimensionen spricht man von hohem oder tiefem Status. Was keine Wertung ist, sondern sich so erklärt: • Höherer Status betont Distanz, Sichtbarkeit, Durchsetzungsvermögen
Abb. 2.3 Status Formen
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• Tieferer Status betont Nähe, Zugehörigkeit, Anpassungsvermögen In Abb. 2.3 sehen Sie nun die vier verschiedenen Kombinationen. Es mag Menschen geben, die sich dauerhaft in einem Status befinden. Sicher haben wir alle eine oder zwei bevorzugte StatusFormen. Authentisch bin ich, wenn ich meine Rolle aktiv ausfülle, mir meines Status dabei bewusst bin. Dann kann ich auch nachsteuern, wenn es nicht in die Situation passt (Stichwort Hundebaby/Aufsichtsrat). Damit eignet sich dieser Gedankenanstoß übrigens auch für die Fehlersuche: Wenn Kommunikationen, Interaktionen wiederholt schief gehen, reflektiere ich mein Rollenverhalten. Vielleicht ist gerade hier ein wenig mehr Alpha/Diplomat/Empath gefragt. (Wann genau ich den Trotz wirklich gut brauche, erschließt sich mir nicht. Aber kennen, tut ihn wohl jeder.) Authentizität – so verstehe ich das – ist also dynamisch, weil sie je nach Situation und meiner Rolle variieren kann. Fallbeispiel Status In immer mehr Unternehmen und Organisationen werden MentoringProgramme aufgebaut. Was gut ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sehr wichtig ist für Führungskräfte, ihre (neue) Rolle als Mentor zu kennen. Und sie ganz bewusst abzugrenzen und anders zu gestalten als ihre Rolle als Führungskraft. Selbst wenn der Mentee nicht in hierarchischer Abhängigkeit steht – was er nicht sollte – ist die Gefahr doch recht groß, dass ich ihm oder ihr in meinem Führungskraft-Status begegne. Und der ist hier eventuell nicht gefragt. Darum spreche ich mit den angehenden Mentoren darüber: • Sie sind nicht Papa/Mama (Sie haben keinen Erziehungsauftrag), nicht Lehrer/Lehrerin (Sie vergeben keine Noten), nicht Führungskraft (Ihr Mentee ist nicht weisungsgebunden), auch nicht Coach oder Sparringspartner. • Als Mentor teile ich im beruflichen Kontext mein fachliches und implizites Wissen und insbesondere meine Erfahrungen mit einer lernbereiten Person. • Dabei bin ich führend, denn ich gestalte einen zielorientierten Prozess (am besten den sieben Fragen der Theorie U folgend).
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• Gleichzeitig bin ich offen und flexibel. Gutes Zuhören und kluge Fragen sind wichtig, um den Mentee zu verstehen. Und dann auch seinen oder ihren Impulsen für den weiteren Prozess zu folgen. Oder einfacher formuliert: Gerade der ausgeprägte Silberrücken/Alphatyp muss seinen Status wechseln. Denn als Mentor müssten Sie schon sehr „Diplomat“ sein. So denke ich. Growth Mindset Eine zweite Dynamik ergibt sich in Sachen Authentizität auf der Zeitachse – entlang der persönlichen Entwicklung. Ich mag in diesem Kontext besonders das Konzept Growth Mindset. Es beschreibt eine mental-positive Haltung, verbunden mit der tiefen Überzeugung, dass Fähigkeiten entwickelbar sind. Wir können lernen, Erfahrungen machen und Herausforderungen annehmen und so unser Potenzial ausschöpfen, ja erweitern. Ausgehend von den Gedanken der Psychologin Carol Dweck (2007) geht es beim Growth Mindset darum, sich selbst wahrzunehmen, besonders die eigene Einstellung zu Lernen und Entwicklung. Menschen mit einem Growth Mindset sehen Fehler als Chancen zum Wachstum. Sie sind offen für Neues. Raus aus der Komfort-Zone also. Und das brauchen wir (da sind sie wieder die drei Widerstände gegen Veränderung und wie wir damit umgehen): • Neugier, statt Wertung – Wir denken von: „Das haben wir immer schon so gemacht“ zu „Wie könnte es anders gehen?“ Zum Beispiel durch Kreativität und agile Methoden. • Empathie statt Zynismus – Wir bewegen uns von „Gefühle ignorieren (eigene und die des anderen)“ zu „Gefühle wahrnehmen und berücksichtigen“. Das ist zum Beispiel in Sachen Fehlerkultur wichtig. • Mut statt Angst – Wir wechseln von: „verharren, sich nicht trauen, Komfort-Zone“ zu „etwas wagen, Risiken eingehen“. Dabei helfen gute Teams und echte Zusammenarbeit.
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Mit einem Growth Mindset werden wir uns entwickeln. Und wenn wir ein anderer geworden sind, auch neu und anders authentisch sein. Mich hat eine Begegnung neulich sehr berührt. Ich habe einen Kunden nach längerer Zeit wieder gesehen. Es kam mir gar nicht so lange vor, da wir über LinkedIn in regem Austausch waren. Doch dann, im persönlichen Kontakt, wurde mir klar, dass aus der „jungen Führungskraft“ eine „reife Führungskraft“ geworden war. Nicht unbedingt in Altersjahren. Aber in Haltung, Reflexion, Ausstrahlung. Fallbeispiel: Vom Kollegen zur Führungskraft Besonders spürbar werden die Veränderungen in der persönlichen Entwicklung, wenn sie mit sichtbaren Veränderungen der Position bzw. der Rolle verbunden sind. Ein großer Schritt ist dabei der vom Kollegen zur Führungskraft. Dieser Wechsel gelingt tatsächlich „authentisch“ besser. Ich meine damit, dass ich nicht von einem Tag auf den anderen mein ganzes Verhalten ändere. Vielleicht auch den Ton und die Art, mit meinen – jetzt – Mitarbeitern zu sprechen. In der Regel ist die Situation für beide Seite schwierig. Selbstreflexion ist die Basis. Kommunikation baut die Brücke. Und in vielen Fällen nötig: Etwas über Führung zu lernen. Bei einem meiner mittelständischen Industriekunden standen gleich vier Menschen vor diesem Schritt. Ich wurde gebeten, das mit diesen gemeinsam vorzubereiten. Den Ablauf des halbtägigen Workshops sehen Sie in der Tab. 2.1 – ein (für mich) typischer U-Prozess. Was ich sehr spannend fand, jede der vier Personen hatte andere „Baustellen“: • „Kann ich dann noch mit den anderen in die Mittagspause gehen?“ – Von mir ein klares Ja, warum nicht? • „Kann ich meine operativen Projekte 1:1 weiterführen?“ – Eher schwierig. Damit Zeit für Führung ist, muss ich Aufgaben abgeben. Führung darf nicht einfach on-top sein. • „Das ist für meine Kollegen doch total irritierend, wenn ich plötzlich so geschwollen daher rede!“ – Ja, das denke ich auch. Darum authentisch bleiben, auch in der persönlichen Entwicklung. • „Ich mach mir da nicht so ein Kopp. Dass ich Führungskraft bin, sieht man ja am Einzelbüro.“ – Ups, nein. Statussymbole machen aus mir natürlich keine Führungskraft.
2 Theorie U in der Führungspraxis 33 Tab. 2.1 Workshop „Vom Kollegen zur Führungskraft“
Zeit
Ziel
Inhalt
60’
Welcome Das Denken öffnen
Vorstellung, Erwartungen • „Etwas“ mitbringen (einen Gegenstand, der in besonderer Weise das Thema Führung symbolisiert) und darüber sprechen • Impuls: Wissenswertes über Führung
30’
Kaffeepause Das Fühlen öffnen
30’
30’ 60’
Den Willen öffnen/Loslassen
Mittagspause Presencing Ideen sammeln und verdichten Prototypen beschreiben Weiterdenken Feedback und Ende
• Bildersuche zum Ziel: Wo stehe ich heute – wo möchte ich hin? (Die Methode erkläre ich im Fallbeispiel Führungsstil Abschn. 2.2.3) • Verschiedene Positionen zum Thema einnehmen: Was denken, fühlen, wünschen sich Menschen, die von der Veränderung „betroffen“ sind? • Was wird schlechter, wenn ich in der neuen Rolle bin? Was kostet das Ziel? • Was kann ich? Was mache ich in Zukunft nicht mehr? Journaling zu Führung (Selbstreflexion, schreibend, anhand von Fragen) • Wie kann meine Führung konkret aussehen? • Offene Fragen und nächste Schritte
Von den vielen Ansätzen, die in diesem Workshop entwickelt wurden, möchte ich gerne die mit Ihnen teilen, die weder sehr persönlich noch zu sehr auf den konkreten Kontext bezogen waren: 1. Ich denke über meine neue Rolle nach. Ich überlege mir auch, was für mich „gute“ Führung ist und wie ich das machen kann. 2. Führung beginnt mit Kommunikation. Ich spreche mit meinen neuen Mitarbeitern. Einzeln, in Ruhe und mit ausreichend Zeit. 3. Ich bereite die Gespräche gut vor. Ich folge zunächst den drei Fragen: Was beschäftigt Dich gerade? Was ist Dir wichtig? Wobei brauchst Du meine Unterstützung? Und bin dann offen für den weiteren Verlauf des Gespräches.
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4. Vor allem in den ersten 100 Tagen nehme ich mir regelmäßig Zeit, über mich als Führungskraft nachzudenken. 5. Ich frage nach Feedback im Team. 6. Wenn es nicht so läuft, hole ich mir Hilfe. Das vielleicht schönste Ergebnis des Workshops: Alle vier haben sich auf die neue Aufgabe und Rolle gefreut. Es war nicht länger eine Entscheidung des jeweiligen Vorgesetzten. Jede und jeder hatte es zu „seinem Ding“ gemacht. Insbesondere durch die schriftliche Reflexion im Journaling. Exkurs: Ich mag meine Stimme nicht Die Stimme. Gleichzeitig Ausdruck unserer Persönlichkeit und definitiv ein Hinweisgeber für andere, wenn wir uns verstellen. Dann rutscht sie nämlich gerne mal nach oben, unten, hinten. Als Ausdrucksform von Kommunikation ist die Stimme das wohl wichtigste Instrument einer Führungskraft. Und doch selten Thema von Schulungen oder persönlicher Weiterentwicklung. Ich weiß nicht, warum das so ist. Zwei Vermutungen dazu: • Vielleicht weil sich viele darauf konzentrieren, was sie sagen. Nicht wie sie es sagen. Das ist insofern schade, da mindestens 75 % der Glaubwürdigkeit durch das Wie entsteht. Haltung, Mimik, Gestik und vor allem: Stimme. • Vermutlich auch, weil wir unsere Stimme als gegeben annehmen. Ich habe neulich eine smarte Führungskraft gefragt, ob sie abends oft heiser ist. Ein verblüfftes Ja war die Antwort. Ich konnte das Kratzen im Hals hören. Das muss nicht sein. Und auch wenn Sie nicht heiser werden – fast jeder kennt das Gefühl von Fremdheit, wenn er seine eigene Stimme „von außen“ hört, über Mikrofon, als Sprachnachricht. Für so manchen folgt aus der Fremdheit eine Ablehnung: „Ich mag meine Stimme nicht“. Daher auch gleich: Tipp 1 – Gewöhnen Sie sich an Ihre Stimme. Je öfter Sie sich „von außen“ hören, umso weniger fremd ist sie Ihnen Sie hören Ihre Stimme durch die Luft von außen und über die Kopfresonanz von innen. Diese Kombination aus Luft- und Knochenleitung ergibt Ihren persönlichen Höreindruck. Aber Achtung: Diesen Stimmklang kennen nur Sie. Niemand sonst. Und er weicht deutlich von der Fremdwahrnehmung ab. Ein Coachee sagte mir
2 Theorie U in der Führungspraxis 35 neulich, nachdem er auf meinen Wunsch seine allererste Sprachnachricht aufgezeichnet hat, „jetzt verstehe ich erst, warum man mich so leicht mit meinem Bruder verwechselt.“ Ihre „eigentliche“ Stimme, das was sonst jeder hört, ist die aus der Sprachnachricht. Tipp 2 – Gute Atmung ist legales Doping Was kann ich aber darüber hinaus tun, um meine Stimme zu entwickeln oder Aspekte, die mich stören, zu verändern? Stimme ist „tönende Ausatmung“. Eine gute Atmung ist also Voraussetzung für eine starke Stimme. Die optimale Atmung beim Sprechen ist eine Mischung aus Brust- und Zwerchfellatmung. Versuchen Sie mal: Ausatmen – das Zwerchfell hebt sich, indem die Muskelspannung gelöst wird, Bauch rein. Einatmen – das Zwerchfell senkt sich, indem es sich zusammenzieht, Bauch raus. Interessanterweise haben sich das viele Menschen andersherum angewöhnt. Unbedingt trainieren. Vor dem Sprechen ist das Ausatmen wichtig (Einatmen kommt dann schon von allein). Ganz abgesehen davon, dass die Stimme die Atmung braucht, ist auch das Gehirn sehr dankbar für Sauerstoff. Tipp 3: Finden Sie Ihre Sprechstimmlage Menschen, die ihre Stimme nicht mögen oder Schwierigkeiten mit langem Sprechen haben, sprechen oft außerhalb ihrer eigenen Sprechstimmlage, genannt Indifferenzlage. Sie haben sich angewöhnt zu hoch oder zu tief zu sprechen. Das strengt an. Es raubt gleichzeitig Authentizität und Glaubwürdigkeit. Eine kleine Übung dazu: Suchen Sie sich ein langes, schönes Gedicht aus – mein Favorit ist „Dunkel war‘s, der Mond schien helle …“. Lesen es laut vor und hören Sie sich die Aufnahme an. Ihre Stimme wird sich vielleicht im Laufe des Gedichtes verändern, wird höher oder tiefer werden. Sie werden merken, wenn Sie in Ihrer Indifferenzlage angekommen sind. Tipp 4: Üben. Üben. Üben. Es gibt noch zahlreiche weitere Einflussfaktoren für die Stimme: • Haltung, Mimik – das hört man an der Stimme. • Tempo – zu schnell zu langsam, beides schwierig für die Zuhörer. 130 Wörter pro Minute ist gut. Den doch recht weit verbreiteten Schnellsprechern unter uns sei gesagt: Sie müssen gar nicht unbedingt Ihr Tempo ändern. Achten Sie nur auf Pausen. Dann werden Sie verstanden. • Lautstärke – zu laut, zu leise, auch hier leidet die Verständlichkeit (und Ihr Zuhörer). Ein Blick auf die Reaktion des anderen ist hier sehr hilfreich. • Sprachmelodie – abwechslungsreiches Sprechen macht, das man Ihnen gerne zuhört. Sprechen Sie mit Betonungen, allerdings nur eine pro Hauptsatz. Gönnen Sie sich und dem anderen Pausen. Senken Sie die Stimme am Satzende.
36 C. Andriof All das lässt sich üben und Schritt für Schritt entwickeln. Vorlesen, Singen und beim Sprechen auf die Stimme achten – das hilft. Ein Training mit vielen Wiederholungen und „mehr Gewicht“ – das kennt man ja vom Sport. Da aber die meisten Sprech-Muskeln unwillkürlich bewegt werden, muss eines unbedingt dazu kommen: Sie sollten ganz oft anhören, was Sie gesprochen haben. Nur über diese Rückkopplung stoßen Sie Veränderungen an. Zwei Anmerkungen zum Schluss. 1. Manch einer mag den Gender-Aspekt vermissen. Ja. Den gibt es wohl. Nur finde ich es schade, dass neun von zehn Artikeln zum Thema Stimme Frauen in den Mittelpunkt stellen. Meine Erfahrung ist, auch Männer „mögen ihre Stimme nicht“. Sie sprechen nur noch seltener darüber als Frauen. 2. Es gibt unglaublich gute Expertinnen und Experten zum Thema Stimme und die wissen noch viel mehr darüber als ich. Nur begegnen wir den Stimmtrainern und Sprechcoaches meist nicht im Business Alltag. Daher dieser kleine Anstoß: Stimme ist so wichtig! Es ist Ihr Führungsinstrument.
2.1.3 Der blinde Fleck von Führung Sie kennen vielleicht den Begriff des „blinden Flecks“ aus anderen Kontexten? Ursprünglich bezeichnet er die Stelle auf der Netzhaut, an der der Sehnerv endet. Da dort keine Zäpfchen und Stäbchen Informationen aufnehmen, ist die Stelle tatsächlich blind. Was mir an der Metapher gefällt: Wir merken es normalerweise nicht, weil der sehende Bereich das Gesamtbild ergänzt. Nur bei gezielten optischen Übungen erleben wir unsere partielle Blindheit. Was wir also brauchen, ist eine bewusste Reflexion. Das geht zum Beispiel im Gespräch mit einer vertrauten Person oder einem Mentor/Coach. Wann sollte ich mich – Stichwort Selbstführung – dem „blinden Fleck“ zuwenden? Sicherlich immer dann, wenn ich feststelle, dass ein Thema, ein Problem, eine kritische Situation wiederholt auftritt. Dann kann ich ziemlich sicher sein, dass ich bisher die Lösung auf einer „falschen Ebene“ gesucht habe oder der gewählte Lösungsansatz nicht „passt zu mir“ ist. Wenn ein neues Verhalten nicht tief in mir verwurzelt ist, greift es nicht. Mehr noch, wenn andere Teile meines Selbst „dazwischenfunken“, sabotiere ich mich quasi selbst.
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Ich habe anfangs mit Ihnen Otto Scharmers Metapher von der leeren Leinwand geteilt. In diesem Zusammenhang spricht er auch von dem „blinden Fleck von Führung“: Wir sehen, was wir tun (Resultate). Wir sehen, wie wir es tun (Prozess). Aber meistens wissen wir nichts über das Woher. Über den inneren Ort bzw. die Quelle, aus der unser Wirken entspringt. (Scharmer 2019, S. 23)
Für unsere Selbstreflexion als Führungskraft ist das ein wichtiger Impuls. Er gemahnt uns daran, in die Tiefe zu denken. Das ist jetzt kein originärer Gedanke der Theorie U. Sie finden ihn auch – zum Beispiel – in den logischen Ebenen bei Robert Dilts. (Mehr zu dem Modell zum Beispiel hier Migge 2005; Abb. 2.4). So erklärt sich das Modell: Umwelt ist das, was uns täglich umgibt. In ihr bewegt sich der Mensch mit seinem Verhalten. Hier ist die Pyramide noch sehr breit – in unserem Verhalten sind wir flexibel. Limitiert wird unser Verhalten durch die erlernten Fähigkeiten. Diese
Abb. 2.4 Logische Ebenen nach Robert Dilts
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ermöglichen es schließlich erst, irgendein Verhalten überhaupt auszuführen. Ich kann mich nur dann in einer Fremdsprache unterhalten, wenn ich diese gelernt habe. Mit Fähigkeiten sind nicht nur Wissen und Können gemeint, sondern auch umfassende mentale Strategien. Werte und Glaubenssätze begründen, welche Fähigkeiten ich mir aneigne. Bin ich beispielsweise ein weltoffener Mensch und sehe meine Berufung darin, international zu arbeiten, werde ich Fremdsprachen lernen. Werte sind Orientierungspunkte für meine Entscheidungen. Glaubenssätze beschreiben, wie ich die Welt sehe. Man erkennt Glaubenssätze im Gespräch sehr schnell an ihrer Formelhaftigkeit: „Man bekommt ja im Leben nichts geschenkt, ohne Fleiß, kein Preis.“ Schaut man auf die ägyptischen Pyramiden, so stimmt das Bild: Diese sind im unteren Bereich aus einzelnen Steinen gemauert, tragen an der Spitze aber oft einen Monolithen. Auch unsere oberen logischen Ebenen sind deutlich weniger variabel. Identität fasst zusammen, wer wir sind, was wir sind, was zu uns dazugehört und was nicht. Vision meint – kurz gesagt – das, was mir wichtiger ist als ich selbst. Wenn Sie damit arbeiten möchten, um Ihren „blinden Fleck von Führung“ zu sehen, reisen Sie gedanklich in einem umgekehrten U durch die Pyramide. Sie starten bei dem konkreten Thema in der Umwelt und Ihrem aktuellen Verhalten. Sie fragen sich: Welche Fähigkeiten habe ich in der Situation eingesetzt? Wie sind diese Fähigkeiten in meinem Selbst begründet? Habe ich hier, also „oben in der Pyramide“, vielleicht andere Werte, die mir bei dem Thema helfen könnten? Kann ich andere Fähigkeiten aktivieren oder erlenen? So, dass ich mein Verhalten und damit das Thema nachhaltig verändere. Fallbeispiel: Kamera an! Ein konkretes Beispiel? Wenn schon OnlineMeeting, dann bitte mit Kamera, so Ihre Einstellung. Inzwischen sind Sie vielleicht auch minimal genervt, dass die immer gleichen Kollegen sich nicht daran halten. Sie haben dazu eine klare Ansage gemacht oder auch mit dem Team gemeinsam „unsere Regeln für Online-Meetings“ erarbeitet. Denn: Die Zusammenarbeit gut und professionell zu gestalten, dass ist einer Ihrer Führungsgrundsätze. Fragen Sie sich selbst: Habe ich noch einen anderen Glaubenssatz, der hier wirken könnte. Zum Beispiel „Ich kümmere mich um meine Mitarbeiterinnen und
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Mitarbeiter“? Und können Sie von hier aus Ihre Fähigkeit aktivieren, gute, wirksame Gespräche zu führen. Vermutlich hilft es, wenn Sie da ansetzen. Wenn Sie jeden einzelnen im persönlichen Gespräch bitten, sein Kamera-aus zu erklären. Wirklich zuhören, wenn er oder sie Ihnen das erläutert. Ihre eigene Wahrnehmung und Ihren Wunsch formulieren und erklären. Das erscheint Ihnen jetzt recht zeitaufwendig? Einfache Ansage muss reichen? Nun ja, entscheidend ist doch, was funktioniert. Und wenn es das eine nicht tut, ist das andere einen Versuch wert. Gelingen wird es, wenn der andere Ansatz verankert ist in Ihren Glaubenssätzen. Wenn ich meine Kommunikation und Führung entwickeln möchte, reicht es nicht, auf den Ebenen Umwelt/Verhalten/Fähigkeiten oder Was/Wie herumzustöbern. Ich brauche den mutigen Schritt an die Spitze der Pyramide/ins Warum/Woher. Da finde ich meinen blinden Fleck. Da finde ich auch mein Entwicklungs-Potenzial. Natürlich hilft uns dabei die Theorie U. Sie folgen den sieben Fragen, das machen wir gleich gemeinsam. Vorher geht es darum, zentrale Führungsfähigkeiten zu aktivieren. Lassen Sie sich dafür jetzt bitte kurz auf die Sprache Scharmers, auf Gedanken der Mindfulness ein. Das ist wichtig, um wirklich in die Tiefe zu denken. Das ist gemeint mit „zentralen Führungsfähigkeiten“: (Vgl. Scharmer, 2019, S. 13) Zurückhaltung und Staunen Meist übersetze ich das als Neugier statt Wertung, wir öffnen unser Denken für das Neue. Nur – können Sie das umsetzen? Zurückhaltung meint, die eigenen Wertungen für einen Moment tatsächlich zu ignorieren. Und Staunen – was für ein wundervolles Wort! Ich verstehe das so: Sie sitzen mal wieder im Lenkungsausschuss. Der junge Projektleiter berichtet über den Fortschritt. Sie wissen das natürlich, weil Sie die Berichte gelesen und darüber hinaus Vertrauen in den Projektleiter haben. Sie sind gar nicht wirklich anwesend. Ihre Wertung versperrt Ihnen in diesem Moment den Weg dazu, wirklich zuzuhören. Sie werden nie erfahren, was Sie nicht gehört haben. Und Sie verpassen die Chance, erstaunt, ja begeistert zu sein über den Fortschritt – und
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das entsprechend zu spiegeln. Wann haben Sie das letzte Mal – im positiven Sinne – gestaunt in einer Lenkungsausschusssitzung? Gemeinsames Erspüren Erkläre ich als Empathie statt Zynismus, wir öffnen unser Fühlen für andere Menschen und lernen ihre Perspektiven kennen. Umsetzbar wird das für Sie, wenn Sie alle Sinne aktivieren. Was sehen Sie, wenn Sie den Projektleiter anschauen? Geht es ihm oder ihr wirklich gut? Sehen Sie Stresssymptome? Ist vielleicht Unterstützung oder Entlastung gefragt? Gemeinsam wird das Erspüren dann im Dialog. Wenn Sie aktiv einfordern, verschiedene Perspektiven zum Thema sehr konkret zu machen. Wir konkretisieren das im später Abschn. 2.2.2. Die Kraft der Intention Das meint, mutig zu sein und zu sich selbst zu reisen im Presencing. Viele von uns haben im Alltag kaum die Inseln der Ruhe, um zu uns zu kommen. In uns hineinzuhören. Zu reflektieren. Ebenso viele von uns haben es schon erlebt, dass wir wichtige Signale – zum Beispiel aus der Bauchregion – überhört haben und das nicht gut ausging. Was will ich wirklich? Bin ich ganz bei mir? Oder habe ich mich irgendwie entkoppelt, renne vom Autopiloten gesteuert durch die Wochen. Das gilt auf der individuellen Ebene ebenso wie in Gruppen und Organisationen. Vermutlich ist der Lenkungsausschuss nicht das richtige Setting, um die Kraft Ihrer Intention zu aktivieren? Vielleicht wäre es aber für das Projekt sehr wichtig, immer wieder vor Augen zu haben, was das tiefergelegte Ziel ist. Ich habe vor einigen Wochen einen neuen Kunden kennen gelernt. Eine sehr wertegebundene Organisation. In jedem Raum wurden die Teilnehmer daran erinnert, was das Why der Organisation ist und welche Werte sie leben. Sehr bunt. Sehr konkret. Für mich waren diese Tafeln inspirierend. Vermutlich sieht man sie nicht mehr, wenn man jeden Tag in diesen Besprechungsräumen sitzt. Aber der Ansatz war schon sehr wertvoll, fand ich. Gemeinsam Erschaffen Ich nenne das die Aufwärtsbewegung im U: Ideen finden und gemeinsam verdichten, sie sehr konkret machen in Prototypen. Für die Umsetzung sind zwei Gedanken wichtig:
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Gemeinsam meint, tatsächlich kreative, kollektive Prozesse zu gestalten und zuzulassen. Und nicht „durchzuregieren“, wenn es nicht zu Ihrer Linie passt. Ja, das braucht Zeit. Führt aber in der Regel auch zu besseren Ergebnissen. Und Erschaffen meint, dass wirklich etwas Neues entsteht. Wenn wir uns von dem Alten gelöst haben, ist das möglich. Haben wir? Waren wir „vor der leeren Leinwand“? Das ist Ihnen zu wolkig? Lassen Sie uns die sieben Fragen jetzt gemeinsam durchlaufen, die einzelnen Schritte oder Phasen noch besser verstehen und dann anhand des konkreten Szenarios sehen, wie uns das in der Selbstreflexion der Führungspraxis helfen kann. Wir starten mit der Abwärtsbewegung. Das Ziel: das Öffnen von Denken, Fühlen und Willen. Überspringen Sie das nicht mit einem gemurmelten „ist doch eh klar“. 1. Von der Wertung zur Neugier: Was ist das vorherrschende Denken? Was könnte neugierig machen auf andere Sichtweisen? Das ist ein rationaler Einstieg in das Thema. Sie fragen nach Denkmustern und Überzeugungen. Sie bohren noch mal tiefer und erkennen, was Sie alles unbewusst voraussetzen. 2. Vom Zynismus zu Empathie: Wie können wir uns in die verschiedenen Perspektiven zum Thema hineinfühlen? Sie vertiefen das Thema emotional. Gefühle im Business? Ja, sicher. Wir sind als Menschen niemals reine Denkwesen, es geht nicht „nur um die Sache“. Tatsächlich können Sie sich erst dann auf „die Sache“ fokussieren, wenn Sie Klarheit über Ihre emotionale Einfärbung haben. Ganz wichtig jetzt: Es geht nicht nur um Ihre Emotionen. Stellen Sie sich in die Schuhe der anderen Menschen im Prozess. Erst dann ist das Bild komplett. 3. Von Angst zu Mut: Wie können wir erkennen, was uns bremst? Wie gelingt Loslassen? Zu diesem Aspekt bekomme ich die meisten Rückfragen. Wille – Mut – Loslassen. Vielleicht ist nicht ganz klar, wie die drei zusammenhängen? Darum geht es: Ich erkenne, dass und wie etwas Altes, Bremsendes gehen kann. Das Neue bekommt Raum – auch im Kalender, vor allem aber in Herz und Hirn.
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Wenn Sie durch diesen Prozess der Öffnung gegangen sind, hat sich etwas für Sie verändert. Vielleicht drängt es Sie in die Umsetzung. Doch vorher wollen wir sammeln, verdichten und uns bewusst umwenden. 4. Wendepunkt: Wie gestalten wir Presencing? Hej, was geht? In der Theorie U ist Journaling die wichtigste Methode für Presencing. Wir folgen schreibend den Fragen, die uns durch das gesamte U führen. Wir erleben die Öffnung, die Verbindung mit uns selbst und skizzieren die Umsetzung des Neuen. Wenn Sie nicht schreiben, ein Mind-Map oder ein Bild malen möchten, finden Sie eine eigene Form. Wichtig ist das Momentum. Das Innehalten und bewusste Umwenden von dem Vergangenen ins Künftige, vom Gemeinsamen in das Individuelle. Hier sind wir beim blinden Fleck und beginnen zu sehen. 5. Kreativ denken: Wie können wir Ideen sammeln? Wie können wir die Ideen dann verdichten? Folgen Sie ruhig der ersten Idee. Und halten Sie daran nicht fest. Fragen Sie nach dem Gegenteil. Überlegen Sie, wie zum Beispiel Steve Jobs, Otto Waalkes oder Momo das Thema angehen würde. Kurz – nutzen Sie Kreativitätstechniken. 6. Prototypen: Wie können wir daraus Maßnahmen erarbeiten? Wenn Sie ganz viele Ideen haben, beginnen Sie zu verdichten, zu bewerten, zu fokussieren. Die besten (oder verrücktesten) Ideen machen Sie ganz konkret. 7. Umsetzen: Wie verproben wir diese? Wie machen wir weiter? Es beginnt das Ausprobieren, Experimentieren, Verbessern. Es gibt nicht die eine Umsetzung. In der Regel brauchen Sie mehrere Iterationen, um zum Ziel zu gelangen. Das ist okay. Fallbeispiel „Sichtbarkeit“ In der Vorbereitung auf dieses Buch habe ich mein hochgeschätztes LinkedIn-Netzwerk gefragt, welche Herausforderungen in der Führungspraxis sie sehen. Unter anderem erreichte mich diese spannende Frage einer ehemaligen Kundin:
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„Ich möchte einfach mal ein Thema loswerden, dass mich seit mehreren Jahren immer wieder beschäftigt: Ich denke von mir selbst, dass ich ein modernes Führungsverständnis habe. Ich halte es für meine wichtigste Aufgabe, als Führungskraft für Rahmenbedingungen zu sorgen, damit mein Team die bestmögliche Arbeit erbringen kann. D. h. für mich, sie mit Informationen zu versorgen, den richtigen Rollen, dem richtigen Maß an Verantwortung, ausreichender Freiheit, aber auch Leitlinien und einem definierten Ziel. Und zum Beispiel auch ihnen eine Bühne zu geben und die Lorbeeren selbst ernten zu lassen (z. B. im Führungskreis ein erfolgreiches Projekt selbst vorzustellen). Ich halte das für den richtigen Weg und habe auch die Erfahrung gemacht, dass die Kollegen daran wachsen. Auf der anderen Seite arbeite ich – wie Sie ja vielleicht etwas erlebt haben – in einem in manchen Teilen noch sehr traditionellen und hierarchischen Unternehmen. D. h., dass nicht alle Führungskräfte dieses Verständnis haben. Um beim Beispiel der Projektpräsentation zu bleiben: Diese Führungskräfte präsentieren den Projekterfolg selbst, und zwar als ihren persönlichen („Ich habe xy erfolgreich gemacht“). Nach dieser langen Vorrede nun meine Frage: Wo bleibe denn ich? Wo/ Wie kann (und muss?) ich denn präsent sein, wenn ich auf der einen Seite meinem Team den verdienten Raum gebe, auf der anderen Seite sich aber Vorgesetzter und Peers selbst viel Raum einräumen. Ich habe öfter die Angst, dass man von mir nichts mehr sieht und ich in einer solchen Organisation untergehe. Und dann frage ich mich, wie es mit der modernen Führung und funktionieren soll in der Praxis.“ Natürlich freue ich mich über diese Frage und den ausführlichen Hintergrund. Ich mache ihr Thema zu meinem und nutze die sieben Fragen zur Reflexion. 1. Von der Wertung zur Neugier: Was ist das vorherrschende Denken? Was könnte neugierig machen auf andere Sichtweisen? Wertungen, die ich sehe, sind zum Beispiel: • Mein Führungsverständnis ist richtig. • Das Verhalten der „traditionellen“ Führungskräfte ist falsch. • An dieser Situation hat sich, seit ich hier bin, nichts verändert. Ich glaube auch nicht an Veränderungen bei diesem Thema.
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Mein Fazit: Ich befinde mich in einem Dilemma. Ich sehe keinen Ausweg.
Ich suche nach Fragen, die neugierig machen können und offen für eine Neubewertung: • Wie sehen meine Vorgesetzten/Peers meine Sichtbarkeit? Weiß ich das aus meinen letzten Jahresgesprächen etc., oder sollte ich vielleicht mal nachfragen? • Wo ist meine Aufmerksamkeit, während mein Mitarbeiter präsentiert? Wenn ich in die Gesichter meiner Kollegen gucke, finde ich dort vielleicht die Anerkennung, die ich suche? • Wie präsent bin ich, während mein Mitarbeiter präsentiert? Was sagt meine Körpersprache? • Brauche ich diese Form von Sichtbarkeit („Ich habe xy erfolgreich gemacht“)? 2. Vom Zynismus zu Empathie: Wie können wir uns in die verschiedenen Perspektiven zum Thema hineinfühlen? Aus meiner Sicht die wichtigste Reflexion: • Wie fühlt sich mein Mitarbeiter? Gut, nehme ich an. • Wie fühlen sich meine Vorgesetzten/Peers? Vermutlich ist es ihnen von Herzen egal, wer xy gut gemacht hat? • Wie sehen mich meine Vorgesetzten/Peers? Vielleicht sehen Sie ja, dass ich es bin, die die Mitarbeiter auf die Bühne bringt? 3. Von Angst zu Mut: Wie können wir erkennen, was uns bremst? Wie gelingt Loslassen? Mein Dilemma ist doch im Kern darin begründet, dass ich die Unternehmenskultur hier – mindestens in Teilen – für veraltet halte. Dass ich sie ablehne. Was möchte ich loslassen: • Die Bewertung der Situation? • Oder die Situation selbst? – Wenn es die Situation ist, kann ich etwas ändern? – Oder brauche ich eine andere Wirkungsstätte?
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4. Wendepunkt: Wie gestalten wir Presencing? Hej, was geht? Ich gehe in einer schriftlichen Reflexion noch mal durch meine Wertung und das, was ich Neues erfahren habe. Ich nehme verschiedene Perspektiven ein. Schließlich kann ich entscheiden, was ich loslassen will. Ich bin ganz bei mir. Es öffnet sich ein Lösungsraum. 5. Kreativ denken: Wie können wir Ideen sammeln? Wie können wir die Ideen dann verdichten? / 6. Prototypen: Wie können wir daraus Maßnahmen erarbeiten? / 7. Umsetzen: Wie verproben wir diese? Wie machen wir weiter? Je nach dem, was ich loslassen möchte, sammle ich Ideen, arbeite sie aus und starte die Umsetzung: • Neubewertung der Situation: – Es ist gut so wie es ist. – In jedem Führungskreis einen aktiven, eigenen Beitrag einbringen (vorbereiten!). – Sichtbarkeit in anderen Formen finden, z. B. Social Media/ LinkedIn. • Veränderung der Situation: – Entwicklung Unternehmenskultur anstoßen. – Meine Art zu führen zum Thema machen/sichtbar machen. – Das Gespräch suchen. – Feedback von Mitarbeitern mit Vorgesetzten/Peers teilen. • Eine neue Wirkungsstätte: – Wo möchte ich arbeiten? – Wo finde ich die Unternehmenskultur, in der meine Stärken wirken können und gesehen werden? Haben die Fragen geholfen? Ich habe nachgefragt. Und folgende Antwort erhalten:
„Ja, denn ich lese konkrete Antworten auf mein geschildertes Problem. Hier sind einige Erkenntnisse, die für mich sehr wertvoll gewesen sind beim Lesen: • Ich bin in einer wertenden Situation. • Die Beschreibung des Dilemmas: veraltete Unternehmenskultur und die Folgefrage, was ich loslassen möchte. • Danke dafür!
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Und so bin ich mit meinem Dilemma bisher umgegangen: Ich habe zum einen das positive Feedback von meinen Vorgesetzten bekommen, dass eine meiner Stärken das Fordern und Fördern von Mitarbeitern ist – also die Bestätigung, dass mein Weg gesehen wird. Meine Mitarbeiter haben mir gesagt, dass sie die Freiheit und Eigenständigkeit im Team schätzen. Und außerdem engagiere ich mich weiterhin im Thema Unternehmenskultur und habe zuletzt einen großen Führungskräfteworkshop dazu moderiert.“
Vielleicht mag Ihnen dieses recht umfangreiche und sehr konkrete Beispiel zeigen, wie Sie in der Selbstreflexion mit den sieben Fragen arbeiten können. Wenn Sie dem U folgen, wird es Sie an ihren „blinden Fleck“ führen. Und der weitere Gedankengang wird diesen nicht nur erhellen, sondern im Idealfall auch zu Ideen und schließlich zur Veränderung führen. Exkurs: Stress, Erschöpfung Wir alle kennen Stress und Erschöpfung. Und es gibt kluge Menschen und Bücher, die das in der Tiefe behandeln. An dieser Stelle möchte ich nur einen kleinen Hinweis mit Ihnen teilen. Meiner Erfahrung nach für viele Führungskräfte relevant. Wenn Sie Stress haben, dann ist das ein uraltes Muster. Es hat zu tun mit Kampf und Flucht, mit Löwe und Zebra – wobei beide Stress haben. Die Folge von Stress sind sehr konkrete körperliche Reaktionen: Eine erhöhte Leistungsfähigkeit der langen Muskulatur, eine Fokussierung (Tunnelblick), die emotionale Ebene ist eingeschränkt. Systeme wie Kreativität, Konzentration und Merkfähigkeit werden heruntergefahren. Wenn die Situation länger andauert, kommen Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und eine allgemeine Schwächung des Immunsystems hinzu. All dies ist für Löwe und Zebra in der konkreten Situation gleichermaßen hilfreich. In unseren Arbeitskontexten aber maximal kontraproduktiv. Genau das, was wir unter hoher Arbeitsbelastung brauchen, fehlt uns. Hinzu kommt, dass viele von uns dysfunktionale Strategien haben, um „runterzukommen“. Rückzug, Fastfood und Schokolade, Alkohol, Binge Watching – all das gibt uns kurzfristig ein gutes Gefühl. Ohne dass wir es wirklich merken, verschärft es aber unseren Stress und unsere körperliche Notlage. Es ist so wichtig – und auch Teil der Selbstreflexion als Führungskraft – dass Sie bessere Wege finden, um Ihre Akkus wieder aufzuladen. Um in Balance zu kommen und zu bleiben. Gute Ansätze sind:
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2.1.4 Von der Selbstreflexion aus ins Tun kommen Sie kennen das: Sie haben sich Gedanken gemacht. Sind, so hoffe ich, in die Tiefe gegangen. Haben das eine oder andere verstanden und konkrete Ansätze für eine Entwicklung Ihrer Führung gefunden. Und dann kommt der Alltag und frisst die auf. Im Trubel der täglichen Aufgaben geht das Vorhaben unter. Ich möchte Ihnen drei Hinweise geben, damit Sie von der Reflexion erfolgreich ins Tun kommen. Damit Sie dann auch spüren, dass Sie etwas verändert haben und dass das etwas verändert mit Ihnen, Ihren Mitarbeitern, Ihrem Team. Ziele ankern Was unterscheidet Neujahrsvorsätze von Zielen, die magnetisch sind? Die Sie wirklich wollen und dann auch erreichen? Solche Ziele sind tiefergelegt. Sie sind verankert in Ihren Glaubenssätzen und Werten. Sie sind „passt-zu-mir“. Wie Sie zu solchen Zielen kommen, beschreibe ich hier Abschn. 2.2.3 und auch im „Praxisbuch für wirksame Veränderung“ finden Sie dazu Gedanken und Übungen. Wenn Sie ein solches Ziel haben, dann geben Sie ihm doch bitte einen Anker. Etwas, das sie immer wieder daran erinnert, dieses Ziel anzusteuern. Auf meinen Langstreckenwanderungen auf dem Jakobsweg möchte ich mir etwas Gutes tun. Ich möchte fröhlich sein. Auch wenn der Rucksack drückt und die Beine müde werden. Auch wenn es regnet oder der Berg steil ist. Darum habe ich meine Fröhlichkeit mit den Wegweisern, den Jakobsmuscheln, verbunden. Ja, ich lächle jede Muschel an. Das klingt vielleicht etwas irre. War auch bei den ersten 73 Muscheln unfassbar gekünstelt. Aber dann verselbständigt sich das. Jede Muschel erinnert mich an mein Ziel. Und klar, wenn Sie 100-mal am Tag lächeln, geht es Ihnen schon allein deshalb besser. Das geht auch bei Business-Zielen. Ein Coachee von mir hat sich einen Kaktus auf den Schreibtisch gestellt, Sie können sich in etwa denken, an was der gemahnt.
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Anker setzen ist ein aktiver Vorgang. Sie überlegen sich eine gute, hilfreiche und für Sie verständliche Verbindung. Optisch, akustisch, auch olfaktorisch geht. Und dann pflegen Sie diese. Sie müssen Ihren Anker immer wieder nutzen und so verstärken. Nach einiger Zeit werden Sie belohnt. Denn Ihr Anker wird Sie unterstützen bei der Erreichung von Zielen. Das ist übrigens kein Hokuspokus. Sie kennen alle die Verbindung von Dingen, Gerüchen oder Musik mit ganz bestimmten Situationen. Auch das sind Anker. Nur dass sie sich selbst gebildet haben. Wir nutzen diesen vorhandenen Mechanismus, wenn wir Anker aktiv setzen. Sich selbst zuhören Klingt seltsam – sich selbst zuhören. Ist aber sehr hilfreich. Letztlich sind es auch Anker, die Sie da setzen. Nur eben sprachliche. Hier ein paar Vorschläge für die Verbesserung Ihrer Führungskommunikation: • „Aber“ ist ein kleiner Giftzwerg. Vor allem, wenn im Satzteil davor etwas Nettes gesagt wurde. Dann tilgt das „aber“ einen Teil der positiven Botschaft. „Sie sind hervorragend im Team angekommen. Aber es wäre schön, wenn Sie sich in Meetings noch aktiver beteiligen.“ Sie können „aber“ fast immer durch „und“ ersetzen. Schauen Sie mal, was dann passiert. „Sie sind hervorragend im Team angekommen. Und es wäre schön, wenn Sie sich in Meetings noch aktiver beteiligen.“ Wenn Sie das für sich als Thema erkennen, werden Sie sehr schnell feststellen, dass jedes kleine „aber“, das Sie nutzen, Sie anstupst. Es fragt: Wolltest Du das? Wenn Sie sich selbst aufmerksam zuhören, werden Sie schnell Veränderung spüren und den kleinen Giftzwerg aus Ihrer Kommunikation verbannen. • Bei „Weichmachern“ ist das ähnlich. Damit meine ich „eigentlich“, „ein bisschen“, „einfach“, „irgendwie“ und viele andere Füllwörter. In der Regel nutzen wir sie aus guter Absicht. Wir wollen unsere Aussage geschmeidiger, gefälliger, vielleicht auch höflicher machen. Was wir damit erreichen, ist das Gegenteil. Unsere Botschaft wird unklar und für den anderen schwieriger zu verstehen. Finden Sie heraus, was – aktuell, so etwas wechselt – Ihre Lieblings-Weichmacher sind.
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Die meisten Menschen haben so etwas. Und hören Sie diese bewusst. Sie werden sehen: Erst stellen Sie fest, wie unglaublich oft Sie „vielleicht“ sagen. Und dann verschwindet es. Sich selbst zuhören kann natürlich auch mithilfe von Technik geschehen. Kaum jemand mag Kameratrainings. Und doch sind sie so hilfreich. Die Lernkurve wird steil, wenn wir Feedback nicht nur von anderen bekommen, sondern uns selbst sehen und hören. Work Hacks Auch sogenannte Work-Hacks mag ich, wenn es darum geht, Selbstreflexion in die Tat umzusetzen. Lydia Schültken (2017) zum Beispiel beschreibt in ihrem Buch solche „Angriffe auf eingefahrene Arbeitsabläufe“. Die Grundidee ist, dass wir ausgehend vom Ziel einen Prozess, eine neue Routine beschreiben. Wir übersetzen, das „Ich würde gerne“ in ein „Ich mach jetzt“. Dabei gibt es einen strukturierten Prozess für die Einführung sowie Feedback-Schleifen zur Optimierung. Work-Hacks funktionieren meiner Erfahrung nach auch allein, ursprünglich sind sie für die Entwicklung von Teams gedacht. Meine Lieblings-Hacks sind: • Fokus-Zeit – regelmäßige Phasen der Ruhe. Verpflichtend im Kalender. In der Fokus-Zeit ist das Telefon aus, die Mailbox zu, keine Meetings, keine Gespräche. Ich habe zwei Veränderungen durch Fokus-Zeit erlebt: Ich schaffe darin unglaublich viel. Und: Ich kann bestimmte Aufgaben, die genau diesen Fokus brauchen, in dieses Zeitfenster terminieren. Das nimmt Druck raus. • Kröten-Zeit – Sie kennen diese ungeliebten Aufgaben? Vermutlich bei jedem etwas anderes. Und doch bei jedem bekannt. Ohne Kröten-Zeit werden Sie diese eventuell immer wieder verschieben. Und irgendwann werden die Kröten dann so laut, dass sie zur Unzeit bearbeitet werden müssen. Ich habe ein Zeitfenster fürs Krötentöten. So en-block erledigt, ist das ungemein befriedigend. Und auch hier gilt, wenn ich einen festen Termin für die ungeliebten Aufgaben habe, entlastet mich das im gesamten Arbeitsprozess. Wenn Sie Kröten-Zeit im Team einführen, haben Sie darüber hinaus noch den solidarischen Effekt: „Da müssen wir jetzt grad alle durch!“
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Ich mag es, Work-Hacks als Experiment auf Zeit anzulegen. Ich teste die neue Routine für mindestens 21 Tage. Denn das ist der Zeitrahmen, den Veränderungen brauchen, um zu wirken. Und dann entscheide ich, ob es mich meinem Ziel näherbringt. Ob es mein Leben leichter und fröhlicher macht. Dann behalte ich es bei. Dann wird Schritt für Schritt aus dem neuen Ansatz ein gewohntes Verhalten. Oder eben nicht. Dann suche ich nach einem anderen Weg. In den Führungsmodellen haben wir es als roten Faden nahezu aller Ansätze gesehen: Selbstreflexion ist die Quelle guter Führungspraxis. Wenn Sie sich selbst kennen (lernen) und kraftvoll entwickeln, finden Sie zu Authentizität. Sie begegnen mutig Ihren blinden Flecken. Sie finden einen Weg von Reflexion und Einsicht in die Umsetzung.
2.2 Mitarbeiter führen Gibt es eine Standardsituation für Führung? Klar gibt es die Highlights: Dem Team den entscheidenden Impuls geben, ein Projekt erfolgreich präsentieren, den Unterschied machen. Und doch ist es, so denke ich, das tägliche Gespräch mit Mitarbeitern, das den Kern von Führung ausmacht. Dass Gespräche eine verzwickte Angelegenheit sein können, erleben wir regelmäßig – privat und beruflich. Und das hat gar nicht in erster Linie damit zu tun, was wir sagen. Es fängt vorher an. Nennen Sie es Konstruktivismus. Oder „Perception is Reality“. Wichtig ist, dass wir uns immer wieder vor Augen führen: Wir reden nicht über eine objektive Wirklichkeit (die der andere Trottel grad nicht verstehen kann oder will). Wir reden immer über unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit. Ganz viel von dem, was unsere Sinnesorgane ans Gehirn melden, wird getilgt. Es gelangt gar nicht ins bewusste Denken. Das ist übrigens auch gut so. Stellen Sie sich vor, Sie würden ständig Statusmeldungen erhalten „Temperatur in Ordnung“, „Atmung in Betrieb“, „Rasen weiterhin grün“ etc. Wir würden ja irre werden. Nur ein Bruchteil der aufgenommenen Informationen gelangt ins Bewusstsein. Ausgewählt und dann geprägt von unseren subjektiven Filtern. Diese wiederum
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sind über Jahre entstanden. Beeinflusst von unserem kulturellen Hintergrund, von Werten, Erfahrungen, Wissen. Natürlich passiert das gleiche auch bei Ihrem Gesprächspartner. Die „objektive Wirklichkeit“ ist niemals Gegenstand eines Gespräches. Wir sprechen immer über unsere beiden subjektiven Wahrnehmungen. Bitte nehmen Sie das in dieser Radikalität als Aussage hin. Schon Platons Höhlengleichnis lehrt uns: Mit der Objektivität ist das so eine Sache. Gerne erinnere ich mich auch an meine Abiturprüfung zu Kleists Kant-Krise. „Was“, so fragte sich Kleist, „wenn wir alle unbewusst eine blaue Brille tragen?“ Gelegentlich widersprechen mir Coachees energisch, Zahlen zum Beispiel seien doch objektiv. Doch selbst, wenn wir uns darauf einigen können, was 100 € sind – spätestens bei der Frage, ob das viel oder wenig ist, werden wieder subjektive Filter aktiv und die Einschätzungen weichen stark voneinander ab, je nach Lebenskontext. Im NLP2 nennen wir das eine individuelle Landkarte. Die Landkarte ist nicht das Gebiet. Doch für jeden einzelnen gibt sie vor, wie wir die Welt verstehen und uns in ihr orientieren. Dabei geht es niemals um richtig oder falsch. Nun können Sie Glück haben und Ihre subjektiven Filter laufen teilweise synchron mit denen Ihres Gesprächspartners, Ihre Landkarten passen zueinander. Sie sehen und beurteilen die Situation ähnlich. Prima. Dann sollte die Kommunikation gelingen. Das ist ein Grund, warum es absolut sinnvoll ist, wenn Unternehmen über gemeinsame Werte sprechen oder Führungsleitsätze vereinbaren. Sie erhöhen damit die Chance, dass sie sich verstehen. In vielen Fällen wird das aber nicht so sein. Unvergessen ist für mich ein Workshop zum Thema „Empowerment“. Ich habe zunächst gefragt, ob der Begriff klar sei. Das wurde allgemein bejaht. Dann habe ich gebeten, Empowerment zu zeichnen. Von einem stolzen König bis zu einem Fußballteam war alles dabei. Gerade abstrakte und/oder aus dem Englischen entlehnte Begriffe bergen die Gefahr einer Pseudo-Einigkeit.
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Programmieren; ein methodischer Ansatz zu Wahrnehmung und Kommunikation. Er beschreibt eine offene, positive Haltung und lehrt kommunikative Fähigkeiten und Techniken. NLP wurde 1975 von John Grinder und Richard Bandler begründet.
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Und wenn das so ist, wenn die subjektiven Wahrnehmungen der Wirklichkeit stark voneinander abweichen? Ja, dann wird es schwierig mit der Kommunikation. Wir reden schnell mal aneinander vorbei. Stellen Sie sich vor, da ist jemand auf ein Kaugummi getreten. Ist das „Mücke“ oder „Elefant“? Und nein, wir sprechen nicht über den Fakt an sich. Wir sprechen über das, was unsere subjektiven Filter daraus gemacht haben. Für die Entwicklung Ihrer Führungskompetenz gibt es drei Punkte, an denen Sie jetzt ansetzen können, damit Kommunikation mit Ihrem Mitarbeiter gelingt: • Wirksame Kommunikation • Die Sichtweise des Gesprächspartners verstehen • Die eigene Sichtweise reflektieren Wenn wir uns diese Grundprinzipien der Mitarbeiterkommunikation und -führung gleich angesehen haben, möchte ich Sie noch in verschiedene Situationen begleiten: • Wie führe ich mit starken, magnetischen Zielen? • Feedback, das wissen wir alle, ist so wichtig und dabei gar nicht so einfach. • Wie führe ich „nach vorne“, ich nenne das „lösungsorientiertes Führen“. • Und schließlich, wie kann ich gut umgehen mit Konflikten.
2.2.1 Wirksame Kommunikation Lassen Sie uns zu Beginn fragen, was kann ich konkret in der Mitarbeiterkommunikation tun? Was ist wichtig, worauf soll ich achten? Dafür beschreibe ich drei Säulen. Und spreche über eines meiner Lieblingsthemen: Zuhören und Fragen. Zum Abschluss ein Geschenk: Das Modell „Communicate & Influence“. Das stellt den Bezug zu verschiedenen Führungsstilen her. Dabei geht es nicht um ein entweder oder. Sondern um angemessen integrierte Kommunikation, je nach Situation. Viele Entwicklungsmaßnahmen setzen bei solchen sehr
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konkreten Kommunikationsthemen an: Gesprächsführung, Fragetechnik etc. Das machen wir jetzt auch, ohne zu vergessen, dass sie nicht funktionieren ohne die anderen, später thematisierten Aspekte, insbesondere die Fähigkeit zum Perspektivwechsel. Drei Säulen In Workshops lasse ich gerne einen Teilnehmer ein Foto beschreiben, alle anderen Teilnehmer zeichnen das Beschriebene – so wie sie es eben verstehen. Es ist erlaubt, Fragen zu stellen. Der Beschreibende darf alles sagen, nur Gestik ist verboten. Eine Vorstellung, die wir klar vor Augen haben, jemand anderem verständlich zu vermitteln – das ist doch eigentlich eine einfache Aufgabe? Nun ja, bei den meisten Gruppen zeigen Foto und Zeichnungen nur einige wenige Übereinstimmungen. Wenn die Zeichnungen dann untereinander und mit dem Originalbild verglichen werden, sind zwei Fragen spannend: Was von dem Gesagten hat geholfen, möglichst nah an das Original zu kommen? Und: Was hätte geholfen? Die Antworten zeigen, dass wirksame Kommunikation drei Säulen braucht: 1. Gesamtkontext. Interessanterweise vergessen wir oft zu sagen, worum es eigentlich geht. Ein Energiesparprogramm des Gehirns, denn „das ist ja klar“. Nur dass unser Gegenüber das vielleicht nicht weiß. Wir brauchen diese Gesamtperspektive, den Kontext, das Big Picture. 2. Zahlen, Daten, Fakten. Es gibt so viele Orientierungspunkte, auf die wir uns geeinigt haben. Drei Quadrate in der Mitte, zwei links, ein Strich schräg nach oben – einer solchen Beschreibung können wir folgen. 3. Sprachliche Bilder. Metaphern, Analogien, Vergleiche – nur wer diese nutzt, kann bei der oben beschriebenen Aufgabe punkten. „Das sieht aus wie der Knick eines Knickstrohhalmes“ bringt mein Bild in die Köpfe der Zeichnenden. Ohne Analogie ist der entsprechende Bereich des Fotos kaum vermittelbar. Wichtig natürlich: treffende und verständliche Bilder auswählen. Fehlt eine der Säulen, gelingt die Kommunikation weniger gut. Und das ist natürlich nicht hilfreich, oft zeitraubend und manchmal wirklich übel.
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Wann haben diese drei Säulen mit Führung zu tun? Gesamtkontext, Daten, Bilder – ich nutze das ganz oft: • Klären wir zu Beginn des Gespräches den Kontext. Auch wenn wir denken, dass sei doch klar. • Viele tun sich mit der zweiten Säule, den Fakten, nicht so schwer. Überschätzen wir deren Einfluss aber nicht und sprechen darüber hinaus bildhaft. • Die drei Säulen gelten auch für die schriftliche Kommunikation: Enthält eine Mail, eine Einladung, eine Ideenskizze alle drei Aspekte? Zuhören Auf diese Art wirksam(er) zu kommunizieren, ist noch nicht mal die Hälfte des Weges. Bevor und nachdem Sie etwas sagen, geht es um den anderen. „Zuhören ist so anstrengend, weil ich immer so lange warten muss, bis ich widersprechen kann.“ Lächeln Sie ruhig über dieses Zitat eines Coachees. Und dann fragen Sie sich selbst: Geht es Ihnen nicht auch oft so? Dass das so nicht hilfreich ist, ist klar. Denke ich. Wir kommen nur dann wirklich in Kontakt mit einem anderen Menschen, wenn wir uns ihm ganz zuwenden. Ich habe im „Praxisbuch für wirksame Führung“ einen ganzen Abschnitt dem Zuhören gewidmet. Auch mit Übungen für Ihre persönliche Entwicklung. Nur ganz kurz, weil es untrennbar mit Führungskommunikation verbunden ist, hier eine Wiederaufnahme: In der Theorie U unterscheiden wir vier Stufen des Zuhörens (vgl. Scharmer 2009, S. 240): (1) Zuhören als Download von Information Wir sind „Ich–in– mir“ – ganz mit uns selbst beschäftigt. Wir sehen und hören, was wir erwarten. Das mag ein Effizienzprogramm des Gehirns sein. Um Komplexität zu reduzieren. Für einen echten Austausch mit anderen Menschen ist es denkbar ungeeignet. Unsere Aufgabe jetzt: Den Download beenden. Das wird möglich, wenn wir unser Denken öffnen. Wenn wir uns nicht länger selbst im Mittelpunkt sehen, sondern wirklich hinsehen. Das ist die Bewegung von „Ich–in–Mir“ zu „Ich–in–Es“.
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(2) Faktisches Zuhören Eine Bewegung also von „Ja, ja, weiß ich schon“ zu „Wow, schau Dir das an!“. Diese neue, erweiterte Art des Zuhörens nennen wir faktisch. Wir fokussieren uns auf zuvor unbekannte oder widersprechende Daten also auf das, was von dem abweicht, was ich schon weiß. Der neue Ausgangspunkt heißt „Ich–in– Es“. Stellen Sie sich vor, jemand erzählt von einem Fußballspiel, das Sie selbst gesehen haben. Dann ist der Download naheliegend und Sie fassen das Gespräch zusammen als „er findet auch, dass wir dringend was mit unserer Abwehr machen müssen.“ (Weitgehend unabhängig davon, was Ihr Gegenüber wirklich gesagt hat.) Oft fällt uns das faktische Zuhören bei ganz neuen Themen leichter. Wenn Ihnen also jemand von seiner Arbeit als Brückenbauingenieurin erzählt, sie noch nie über Brücken nachgedacht haben, aber regelmäßig welche benutzen, dann werden Sie wie gebannt zuhören und viel Neues erfahren. Die Kunst ist es, auch bei bekannten Themen offen zu sein. (3) Empathisches Zuhören Wir sind jetzt also neugierig geworden auf das Neue. Unser nächster Schritt ist es, die rein sachliche, rationale Welt zu verlassen, uns dem anderen Menschen zuzuwenden, hinzuspüren. Wir machen die Grenzen unseres Selbst durchlässig für die Welt des anderen. Wir bewegen uns von „Ich-in-Es“ zu „Ich-in-Dir“. Erst wenn wir die Gegenwart aus der Perspektive eines anderen erleben, können wir empathisch zuhören. Wir sehen die Welt mit den Augen eines anderen. Wir öffnen uns auch für Zwischentöne und sogar für Ungesagtes. Wir gelangen an den Ausgangspunkt „Ich–in–Dir“. Als Coach lernt man das in der Regel in der Ausbildung. Sich tatsächlich freizumachen von den eigenen Vorstellungen und ganz beim anderen zu sein. Ich finde das sehr wichtig, denn wenn ich nicht innerlich „leer“, oder besser „frei“ bin, denke ich mehr über mich als über meinen Coachee nach. Es käme zu Ratschlägen wie, „Ich an Ihrer Stelle würde …“ oder „Als ich in Ihrer Situation war, habe ich …“. Das kann zwar im Einzelfall hilfreich sein. Ist aber – meiner Meinung nach – kein Coaching.
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Wie kann ich empathisches Zuhören lernen? Schweigen, Stille ist ganz wichtig. Lassen Sie Gesagtes auf sich wirken. Antworten Sie nicht gleich. Spüren Sie auch dem Stimmklang, der Stimmfarbe und dem Stimmdruck nach. Und schauen Sie genau hin, denn auch die Körpersprache gehört zum Gesagten. (4) Schöpferisches Zuhören Und das ist der nächste Schritt: Die Du-Welt verlassen und gegenwärtig werden. Wann erlebt man solche Gespräche? Sicherlich nicht tagtäglich. Aber vielleicht erinnern Sie sich an einen intensiven Austausch, vielleicht ein Abend unterm Sternenhimmel am Lagerfeuer oder ein wirklich kreatives Brainstorming… und plötzlich wurde in einem Gespräch ganz viel möglich, vielleicht ist eine Idee geboren oder eine Entscheidung gereift. Es hat etwas Magisches. Und ist doch – ganz irdisch – ein Ergebnis von Öffnen und Zuwenden. Schöpferisches Zuhören ist, ähnlich wie das Runners-High, ein FlowErlebnis. Unser Zielpunkt heißt „Ich–in–Gegenwärtigung/Quelle“. Zuhören und Fragen Für mich gehören darüber hinaus Zuhören und Fragen zusammen. Mit guten Fragen rege ich den anderen zum Denken an und führe ihn/unser Gespräch zu mehr Tiefe. Wenn ich von Coachees oder Workshop-Teilnehmern wissen möchte, was gute Fragen sind, antworten viele „offene Fragen“. Das haben Rhetoriktrainer jahrzehntelang gepredigt: Beginne Deine Fragen mit W-Worten und Du bekommst mehr als ein ja oder nein. Nur in Entscheidungssituationen seien geschlossene Fragen – also jene, die mit einem Verb beginnen – hilfreich. Ich sehe das anders: Gute Fragen sind Fragen, bei denen mich die Antwort interessiert. Darum geht es. Wenn ich die richtige Haltung habe, meinem Gesprächspartner wirklich zugewandt bin, dann ist die grammatikalische Formulierung meiner Frage nebensächlich. Ganz nebenbei vermeide ich damit rhetorische Fragen und Suggestivfragen, die in der persönlichen Kommunikation nun mal nichts verloren haben (es sei denn Sie suchen Streit). Gute Fragen sind Fragen, bei denen mich die Antwort interessiert – probieren Sie es aus, der Unterschied ist enorm.
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Darüber hinaus gibt es natürlich noch Fragetechniken: 1. Warum – das ist nicht nur eine Frage, sondern in vielen Fällen ein Gesprächsstörer. Das investigative Warum führt in die Vergangenheit, an den Punkt, an dem – zum Beispiel – etwas schief gegangen ist. Damit löst Warum beim Gesprächspartner negative Gefühle aus und dann, ja dann startet die Rechtfertigungsmaschine. Ganz ehrlich, es ist noch niemals und nirgendwo auf der Welt mit Rechtfertigungen ein Blumentopf gewonnen worden. Und Sie wollen die ja auch gar nicht hören. Statt Warum hilft: „Was müsste passieren, damit…“. So richten Sie die Frage in die Zukunft und das Denken auf die Lösung. 2. Wunderfragen – sie haben viele Namen, diese kleinen, höchst wirksamen Helfer: „Stellen Sie sich vor, Sie hätten drei Wünsche frei, welche wären das?“ „Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgens auf, das Problem ist gelöst, was ist über Nacht geschehen?“ „Meine Kollegin ist Fee. Die kann alles. Was kann sie für Sie tun?“ Wie Sie es formulieren, hängt entscheidend vom Setting und vom Empfänger ab. Das Prinzip bleibt: Wunderfragen führen in eine Situation, in der alles möglich ist. So befreien sie von Scheren im Kopf und führen zu neuen Einsichten. 3. Zirkuläre Fragen – generell sind Fragen so wunderbar, weil sie das Denken in Bewegung bringen. (Vorausgesetzt es sind gute Fragen – aber das haben wir ja schon geklärt). Zirkuläre Fragen laden ein zu einem Perspektivwechsel. Ich frage nicht, „Was denken Sie über die Strategie?“, ich frage „Was denken Sie, wie sehen Ihre Führungskräfte die neue Strategie?“. Zirkuläre Fragen bringen Ihren Gesprächspartner in die „Schuhe“, in die Denkweise eines anderen und das ist so hilfreich für eine wirksame, empfängerorientierte Kommunikation. Communicate & Influence Sie kennen bestimmt Gespräche, die so ablaufen: • FK: Hallo, lieber Mitarbeiter, alles gut bei Ihnen(?) – MA: Naja, also ehrlich gesagt, habe ich etwas zu viel auf dem Schreibtisch.
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• FK: Klar, normal. Folgendes – ich fände es super, wenn Sie unseren neuen Go-to-Market-Ansatz beim nächsten Management-Meeting präsentieren. – MA: Ich? Aber wieso… • FK: Ja, das ist eine Riesenchance für Sie! Das ganze Team würde davon profitieren. Das bringt uns wirklich voran. – MA: Hm, Danke. Allerdings ist das ein Team-Projekt. Vielleicht können wir das auch gemeinsam präsentieren? • FK: Nein, wie soll das gehen. – MA: Wir könnten… • FK: Das ist wirklich nicht üblich im Management-Meeting. Nein, nein. Sie machen das. Ich habe das auch schon entsprechend weitergegeben und das steht so in der Agenda. Was meinen Sie: Hat die Führungskraft erreicht, was sie wollte? Vermutlich nicht. Der positive Gedanke scheitert an der kommunikativen Umsetzung. Und das ist nicht nur eine Frage von Zuhören, ausreden lassen und auf den anderen eingehen. Das hat auch damit zu tun, dass hier vier verschiedene Kommunikationsstile genutzt wurden. Für den Gesprächspartner bedeutet das eine maximale Verwirrung. Das Modell Communicate & Influence3 hilft uns, solche Situationen anders zu gestalten. Die Grundfrage lautet: Welchen kommunikativen Hebel will ich nutzen? Wenn ich das weiß, bereite ich ein Gespräch entsprechend vor, wähle meinen Kommunikationsansatz bewusst aus und bleibe im Gespräch konsequent dabei. Das Ergebnis ist mehr Klarheit in der Kommunikation. Das Modell (siehe Abb. 2.5) unterscheidet zwei Push-Ansätze: Ich will etwas zu dem anderen bringen. Und zwei Pull-Ansätze: Ich möchte, dass der andere sich zu mir bewegt.
3 Anmerkung zu dem Modell: Ich habe es in meiner Coaching-Ausbildung kennen gelernt. Leider ohne Quellen-Angabe. Ich habe seitdem vielfach und gerne recherchiert und Menschen gefragt: Es bleibt unklar, wo es herkommt. Für sachdienliche Hinweise bin ich dankbar.
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Abb. 2.5 Communicate & Influence
1. Push-Ansatz Behaupten/klare Ansage – „Ich“ habe eine Botschaft. Diese kann nicht durch Diskussion verändert werden. 2. Push-Ansatz Überzeugen – „Es“ geht um die Sache. Ich bringe Argumente, mache Vorschläge und bin offen für die Vorschläge meines Gegenübers. 3. Pull-Ansatz Mitteilen und Verstehen – Das „Du“ steht im Mittelpunkt. Ich möchte mehr erfahren von dem anderen. 4. Pull-Ansatz Begeistern – „Wir“ haben einen gemeinsamen Zielpunkt – das ist hier meine Botschaft. Mitteilen und Verstehen – In unserem Beispiel startet die Führungskraft im Modus Mitteilen und Verstehen: „Alles gut bei Ihnen?“ Dieses Gespräch möchte er oder sie zu diesem Zeitpunkt aber gar nicht führen. Daher geht die Antwort des Mitarbeiters unter. Für Mitteilen und Verstehen gilt: Nehmen Sie sich Zeit. Es geht darum, ein tieferes Verständnis einer anderen Person zu erlangen. Dafür müssen Sie auf einer Wellenlänge schwingen. Ein sehr guter Kontakt zu einer Person ist die ideale Voraussetzung, um später Einfluss zu nehmen.
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In einem solchen Gespräch nutzen Sie verschiedene kommunikative Techniken: • Zuhören. Klar, sonst wissen Sie ja nicht, was der andere sagt. • Erkunden. Das Gespräch ist ergebnisoffen. Sie zeigen das durch nicht-konfrontative Fragen. • Reflektieren. Mit eigenen Worten Inhalte noch einmal wiedergeben, haben wir uns wirklich verstanden? Auch zugrunde liegenden Bedeutungen der Worte/Inhalte klären. Und die verbal oder nonverbal von der anderen Person ausgedrückte Gefühle ansprechen. • Selbstoffenbarung. Sprechen Sie auch von Ihren eigenen Gedanken und Gefühlen. Sonst entstehen weder Offenheit noch Vertrauen. Typische Einsatzgebiete für den Stil Mitteilen und Verstehen sind Jahresgespräche, Gespräche zu Teamdynamik, Motivation. Es ist wichtig, dass sie diese Form von Gesprächen mit Ihren Mitarbeitern führen. Dafür brauchen Sie Zeit und Ruhe. Begeistern – Weiter geht es in unserem Beispiel mit dem Stil Begeistern: „Das ist eine Riesenchance für Sie!“ Dieser Stil nutzt die Kraft gemeinsamer Werte und Visionen. Dabei erzeugen Sie – Stichwort „Pull“ – eine Sogwirkung durch Enthusiasmus und positives Commitment in Richtung eines bestimmten Ziels oder einer Vorgehensweise. Sie nutzen dafür vor allem zwei Verhaltensweisen: Sie betonen Gemeinsamkeiten – fassen also in positiver Weise in Worte, wo die beteiligten Personen Gemeinsamkeiten aufweisen (mit Ihnen bzw. untereinander). Und: Sie kommunizieren visionär – zeichnen ein Bild der Zukunft, in dem andere sich als Teil wiederfinden können. Begeistern meint nicht nur Chaka! auf großen Bühnen. Das entscheidende ist nicht die Lautstärke. Vielmehr ist es das Wir, das im Mittelpunkt steht. Wenn Sie das gemeinsame Ziel stark und magnetisch machen, wenn man Ihnen dann noch anmerkt, dass Sie die Emotion selbst teilen, dann gelingt begeisternde Kommunikation. Das wäre in der Tat ein sehr starker Ansatz für das Anliegen der Führungskraft
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gewesen. Allerdings folgt er oder sie dieser Spur nicht, sondern wechselt in den Stil Überzeugen. Überzeugen – Hier wollen Sie Einfluss ausüben mittels der Kraft der Logik. Es ist ein Push-Ansatz. Sie bringen einen Vorschlag oder eine Idee ein. Sie argumentieren und wollen den anderen für Ihre Sichtweise gewinnen. Ganz wichtig: In diesem Stil ist Raum für Gegenargument und auch für einen Gegenvorschlag. Ein guter Stil also für jede Form der Projektbesprechung oder des fachlichen Austausches. Das Gespräch ist ergebnisoffen. Ansonsten macht der Stil keinen Sinn. So wie in unserem Beispiel: „Nein, wie soll das gehen, das ist nicht üblich“ und vor allem: Die Führungskraft hatte ja schon Fakten geschaffen. Behaupten – Ein letzter Wechsel. Ein letzter kommunikativer Ausweg: „Sie machen das.“ Der Stil Behaupten oder klare Ansage hat zum Ziel, das Gegenüber dazu zu bringen, ein bestimmtes erwünschtes Verhalten einzuhalten oder zu akzeptieren. Klingt einfach. Tatsächlich empfehle ich aber, diesen Stil nur sehr sparsam einzusetzen. Sie haben vielleicht Ihr Ziel erreicht, allerdings nicht auf Basis von Verständnis, Begeisterung oder Überzeugung. Sondern durch formale Macht, durch Autorität. Wichtig ist jetzt, dass Sie klar formulieren, was Sie wollen/ nicht wollen. In vielen Fällen wird es auch darum gehen, was die Konsequenzen für die andere Person sind, wenn sie Ihren Erwartungen nicht nachkommt. Sie müssen mit einer negativen Reaktion rechnen. Vielleicht führen Sie aus, was Sie im Gegenzug für die andere Person tun werden, wenn sie Ihre Erwartungen erfüllt. Sie werden – früher oder später – einen Preis zahlen für diese Form der Kommunikation. Sei es, dass Menschen mehr und mehr aufhören mitzudenken – „wird ja eh über meinen Kopf hinweg entschieden“. Sei es, dass Sie bei jedem und allem gefragt werden – „am Ende entscheidet er/sie ja doch“. Sparen Sie sich diesen Stil auf für Fälle, bei denen es nicht (mehr) möglich ist, anders zu kommunizieren. Unvergessen für mich, wie meine Mitarbeiter wartend vor dem Fahrstuhl standen bei einem Bombenalarm! Klare Ansage: Pumps aus, Taschen stehen lassen und
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zehn Stockwerke die Treppe runter. Häufiger vorkommen wird der Stil bei Kündigungsgesprächen, disziplinarischen Maßnahmen etc. Es geht aber nicht zwingend um negative Botschaften. Es kann auch ein fürsorgliches: „Gehen Sie nach Hause, Sie sind doch total erkältet“ sein. Zurück zu unserem Beispiel. Tatsächlich wäre es ein Fall für eine klare Ansage. Denn die Fakten waren ja schon geschaffen, das gewünschte Verhalten alternativlos. Mal ganz abgesehen davon, dass es natürlich besser gewesen wäre, erst mit dem Mitarbeiter zu sprechen und dann die Absprache zu treffen – eine gedankliche Vorbereitung des Gespräches hätte sicherlich geholfen. Auch für die eigene Reflexion im Nachhinein ist das Modell hilfreich. Folgen Sie diesen Fragen und handeln Sie entsprechend: • Was für ein Gespräch habe ich geführt? Wollte ich das? • Hat mir mein Gesprächspartner Signale gegeben, dass es in Sachen Mitteilen und Verstehen Nachholbedarf gibt? Wenn ja, terminieren. • Teilt mein Mitarbeiter/Team meine Begeisterung? Wenn nein, was fehlt? • Habe ich vielleicht gute Argumente oder Vorschläge verpasst, weil ich schon ganz auf meinem Lösungspfad war? Welche? Lohnt es, diesen zu folgen? • Habe ich meine klare Ansage begründet? Wenn ich einem Coachee dieses Modell vorschlage, kommen berechtigte Einwände: Was, wenn der andere argumentiert? Was, wenn der andere den Stil wechselt? Oder ich auf dem geplanten Weg nicht zum Ziel komme? Nun, das ist natürlich möglich. Sie können „das andere Gespräch“ anbieten und terminieren. Oder Sie gehen auf den Wechsel ein. Dann tun Sie dies aber bewusst. Damit ist schon viel gewonnen.
2.2.2 Empfängerorientierte Kommunikation All diese Kommunikationsansätze – drei Säulen, Zuhören und Fragen, selbst Communicate & Influence – funktionieren nur aus
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der richtigen Haltung heraus. Und da müssen wir über „empfängerorientierte Kommunikation“ sprechen. Es gibt verschiedene Ansätze, die Ihnen dabei helfen können, andere Sichtweisen zu verstehen, ja vorwegzunehmen. Damit Sie sich dann in der Kommunikation auf den anderen einstellen können. Vorstellen möchte ich Ihnen drei „Klassiker“: Vier Seiten der Kommunikation, JoHari-Fenster und die Phasen der Kompetenzwahrnehmung. Grundlage für jede Form der empfängerorientierten Kommunikation ist das, was ich auch gerne mal „Gedankenlesen für Einsteiger“ nenne. Das hat nichts Magisches. Um Ihr Gegenüber zu verstehen, müssen Sie vor allem richtig hingucken, auch Körpersprache lesen. Und Sie brauchen Perspektivwechsel als eine Grundfertigkeiten von Führung. Perspektivwechsel Die Welt mit den Augen des anderen sehen. Sich in seine Position versetzen. Oder auch, in den Schuhen des anderen gehen. Es gibt zahlreiche Beschreibungen für Perspektivwechsel. Und ganz sicher ist: Es macht unsere Kommunikation und Führung besser, wenn wir das regelmäßig üben. Die Perspektive des anderen kennen zu lernen, heißt nicht, sie anzunehmen oder auch nur gut zu finden. In der Theorie U heißt es, „turn the camera“. Nicht um ein Selfie zu machen. Sondern um mich selbst aus einer anderen Perspektive zu sehen. Otto Scharmer teilt diese Reflexion, ausgelöst durch den Film “The Overview Effect” (Borges 2022): “What resonated with me was the fragility and the presence of the planet. We go out into space, and at some point, an astronaut points the camera back on planet earth, and we are in awe at the planet’s beauty and in shock by the unintentional impact that we are having. […] We find that pattern in many of our life journeys. We have an education, we make progress, and we have a career. Somehow we progress one way or another. But at some point, life and work present challenges that invite us to do something different; invite us to look back, not only on planet Earth but also on planet Self, by asking the two root questions of all creativity and all leadership. Who is mySelf, my highest future possibility? And, what is my work? What am I here for?”
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Ich denke, jeder findet Anlässe für Perspektivwechsel. Und dadurch ausgelöste Reflexionen. Da meine Kinder mit 17 Führerschein gemacht haben, hatte ich einige Monate lang ein ungewohntes Lernfeld für Perspektivwechsel. Es nennt sich „begleitetes Fahren“ und setzt mich auf den Beifahrersitz meines eigenen Autos. Nach zahlreichen Kilometern, Kurven, Ampeln und Verkehrsschildern habe ich folgendes gelernt: 1. Der Bordstein ist irgendwie verdammt nah und „Meinst Du nicht vielleicht, Du fährst etwas zu weit rechts?“ gehörte zu meinem Standardrepertoire. Nein, tut sie/er nicht. Die Welt sieht nur halt ein wenig anders aus vom Beifahrersitz. Darum sind Perspektivwechsel so wichtig: Wir sehen das Gewohnte neu und anders. 2. Das erste Mal eine lange Strecke auf der Autobahn gefahren – danach ist das Kind erschöpft auf der Rückbank eingeschlafen. Ja, wir vergessen manchmal, wie anstrengend das Neue ist. Im Modell „Vier Phasen der Kompetenzwahrnehmung“ heißt das „bewusste Kompetenz“. Das Gelernte kann abgerufen werden, aber die Automatismen fehlen noch. Darum die Erschöpfung. Ein wichtiger Hinweis an alle Führungskräfte in Change-Prozessen. 3. Beim Einfädeln auf die Autobahn schlage ich vor: „Du kannst jetzt bremsen und hinter dem schwarzen Auto einfädeln oder Gas geben und vor dem Roten da auffahren“. Sie entscheidet sich für Lenken (nichts passiert!). Mein Learning: In kritischen Situationen sind komplexe Botschaften komplett fehl am Platz. Sie können nicht verarbeitet werden. Es gilt: KISS, keep it simple and stupid. 4. Andere Eltern berichten von Stress im Auto. Haben wir nicht. Weil wir uns eh gut verstehen. Und weil im Zweifel Humor hilft. Zum Beispiel habe ich den Hinweis „brims!“ eingeführt. Imperativ von bremsen. Im Deutschen wird der Imperativ doch mit „i“ gebildet, oder nicht? 5. Und vielleicht das wichtigste von allem: Vertrauen. Wenn wir etwas Neues fordern von einem Menschen, einer Gruppe, einer Organisation, dann braucht diese unser Vertrauen. Angst ist ein schlechter Motivator. Mut und auch Freude, an dem was wir tun, sind so viel besser.
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Es gibt jede Menge Gelegenheiten, Perspektivwechsel zu üben. Ja, es sich zur Gewohnheit zu machen, auch andere Sichtweisen mitzudenken. Für die Arbeit mit Gruppen habe ich dafür ein Modul entwickelt. Es geht darum, das Verhalten der Menschen in verschiedenen Stories zu bewerten. Spannend wird es, wenn wir verstehen, dass unsere Bewertung von der – zumeist unbewusst – eingenommenen Perspektive abhängt. Lesen Sie mehr dazu im Fallbeispiel Fehler-Kultur Abschn. 2.3.3. Innenfokus – Außenfokus Perspektivwechsel hat damit zu tun, wohin wir unsere Aufmerksamkeit schicken. „Jetzt haben wir aber genug von mir geredet. Was halten Sie denn von meinem neuen Buch?“ Dieses wunderbare Beispiel für einen nahezu 100 %igen Innenfokus teile ich immer wieder gerne. Hat jemand eine Idee, von wem es stammen könnte? Fragt man Wikipedia nach Innenfokus, erfährt man „Innenfokussierung, abgekürzt IF, ist eine Konstruktionsart von Objektiven.“ Das meine ich natürlich nicht. Mit Innenfokus meine ich die Beschäftigung mit sich selbst, mehr noch, die Fokussierung auf die eigene Welt, die eigenen Gedanken, die Konstruktion von Wirklichkeit in der eigenen Vorstellung. Wir alle tun das. Klar. Wir sind im ständigen Gespräch mit uns selbst. Wir bewerten alles, was geschieht, mit unseren Maßstäben. Innenfokus hat zu tun mit den Themen, die uns beschäftigen (siehe das Zitat oben). Vor allem aber hat es etwas damit zu tun, wie offen wir durch die Welt gehen. Nicht missverstehen bitte: Innenfokus im Sinne von Konzentration oder Meditation ist unglaublich wichtig. Dann ist es eine bewusste Entscheidung und passt in den Kontext. Als Außenfokus verstehe ich es, wenn wir uns bewusst und aktiv der Außenwelt zuwenden. Wirklich hingucken, was wir sehen. Wirklich hin- und zuhören. Wahrnehmen, auch ohne gleich zu interpretieren. Meiner Ansicht nach gehört der bewusste Umgang mit diesem nach Innen- / nach Außen-Wenden zu den wichtigsten Fähigkeiten, die wir erwerben können. Wenn ich den Außenfokus pflege, werde ich:
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• So viel Neues sehen in der Welt. Mein Leben wird bunter. • Meinen Mitmenschen ganz anders begegnen. Ich bin mir sicher, gute Zuhörer führen spannendere Gespräche, haben weniger Stress mit Missverständnissen und Streit. • Mehr fühlen, einfach mehr mitbekommen. Sie können das gerne auch Achtsamkeit nennen. Ein Selbsttest; fragen Sie sich: Was weiß ich über den Kollegen im letzten Meeting, was hatte er an, was hat mir sein Gesichtsausdruck über seinen mental-emotionalen Zustand verraten, was hat er mir zwischen den Zeilen gesagt? Und dann führen Sie das fort im nächsten Gespräch: Schauen Sie Ihre Gesprächspartnerin genau an. Bleiben Sie einen Moment bei den „Rohdaten“, also dem, was Sie sehen und hören. Erst dann interpretieren Sie. Also: Sie zieht die Schultern hoch. Und dann erst: Ob ihr wohl kalt ist? Oder kann es sein, dass sie sich mit dem Thema unwohl fühlt? Unser Interpretations-Apparat ist unglaublich schnell. Das ist in vielen Kontexten sinnvoll. Doch vergessen Sie nicht: Es ist Ihre, innere Interpretation. Diese hat mehr mit Ihnen zu tun als mit Ihrem Gegenüber. Daher empfehle ich: Ab und zu innehalten, hingucken und neu denken. Mit der Zeit werden Sie immer bewusster den Umschlagpunkt von Innenfokus und Außenfokus ansteuern können. Dann können Sie das nutzen. Zum Beispiel: Bei jeder Form von Rede oder Präsentation neigen wir dazu, im Innenfokus zu sein. Aufregung, Konzentration all das führt uns in unsere Welt. Wie viel wirksamer werden Sie sein, wenn Sie sich stattdessen ganz bewusst Ihrem Publikum zuwenden. Schon in der Vorbereitung, bei der Auswahl der Themen und Beispiele. Und dann während des Auftritts: Sie sehen Reaktionen. Sie erkennen Fragen. Sie können Stärke ziehen aus Zustimmung. Vier Seiten der Kommunikation Sie kennen dieses Modell von Friedemann Schulz von Thun (2019)? Sehr gut. Wie ich von meinen Kindern weiß, ist es so ziemlich das einzige Häppchen kommunikativer Basics, das sogar Eingang in Lehrpläne gefunden hat. Sie kennen es nicht oder haben es zumindest nicht mehr
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ganz so parat? Dann hier ein Schnelldurchlauf: Schulz von Thun macht uns darauf aufmerksam, dass Kommunikation immer (!) vier Seiten hat: • Inhalt: Das, was ich sage. Was ich „rüberbringen“ möchte. Meist eher unproblematisch. • Appell: Das, was ich mit meiner Kommunikation beim anderen auslösen möchte. Je nach Thema, aber sehen Sie selbst… • Selbstkundgabe: Das, was ich mit meiner Kommunikation über mich selbst aussage. Ist Ihnen das bewusst? • Beziehungsaussage: Das, was unsere Kommunikation darüber aussagt, wie wir zueinander stehen. Diese vier Ebenen sind immer da. In jeder Kommunikation. Wenn ich Sie begrüße mit den Worten: „Schönes Wetter heute!“ bedeutet das zum Beispiel: • Inhalt: Es regnet, aber nur ein bisschen. • Appell: Lassen Sie uns mit etwas Smalltalk starten. • Selbstkundgabe: Ich mag Nieselregen. • Beziehungsaussage: Uns verbindet eine mittlere Vertrautheit. Wir sprechen miteinander. Aber zunächst nur über das Wetter. So in der Art. Schulz von Thun erklärt das lieber anhand folgenden Beispiels: Mann und Frau sitzen im Auto. Sie sitzt am Steuer. Er sagt: „Die Ampel ist grün!“ Das kann gut gehen. Muss aber nicht. Je nachdem, welches Ohr bei der Frau gespitzt ist. Es kann sein, dass sie „Oh, danke für den Hinweis“ sagt. Es kann aber auch sein, dass sie hört: „Warum fährst Du nicht los. Ich kann besser Auto fahren als Du. Bin hier wohl grad so eine Art Fahrlehrer für Dich etc.“ Dann bleibt es vermutlich nicht friedlich. Vier Seiten meint, wir sprechen in diesen vier Dimensionen. Wir hören in diesen vier Dimensionen. Wir setzen jeweils unsere eigenen Schwerpunkte, was wir sagen und was wir hören. Sollte beides irgendwie asynchron aufeinanderprallen, nun, dann kann die Kommunikation scheitern.
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Ganz konkret hilft uns dieses Modell so: • Machen Sie sich die vier Seiten der Kommunikation bewusst. Schon allein das wird Ihre Kommunikation wirksamer machen. • Nutzen Sie das Modell gerne auch zur Fehlersuche: Was habe ich gesagt vs. was wollte ich sagen vs. was hat mein Gesprächspartner gehört? Was habe ich gehört vs. habe ich alles gehört vs. was hat mein Gesprächspartner eigentlich wirklich gesagt? • Je kritischer das Thema, desto aufmerksamer sind die Ohren für Selbstkundgabe und Beziehungsaussage. Achten Sie daher bei schwierigen Themen darauf, diese ganz klar zu formulieren und an den Anfang zu stellen. Das gedankliche Hüpfen durch die vier Seiten kann ich nur empfehlen – sei es als Vorbereitung von Kommunikation (besser) oder als Hinweisgeber, wenn etwas schief gegangen ist. Es ist auch eine Form von Perspektivwechsel. Lassen Sie uns noch einen anderen Klassiker ansehen, der uns helfen kann bei einer empfängerorientierten Kommunikation. JoHari-Fenster Dieses Modell haben die amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham entwickelt, ca. 1995 (vgl. Steubel 2022). Jetzt wissen Sie auch gleich, woher der Name kommt. Sie finden darin einen Begriff wieder, den wir schon in hier Abschn. 2.1.3 ausführlich angesehen haben: den blinden Fleck. Hier geht es sehr fokussiert um Sie und das Verhältnis zu einer Gruppe. Das Johari-Fenster besteht aus vier Bereichen (siehe Abb. 2.6). Weiß – der Bereich des freien Handels, hier findet sich alles, was Ihnen und anderen bekannt ist Doch Achtung: Was wissen wir wirklich alle? Sie haben in den ersten 30 min Ihres Meetings in fragende Gesichter geblickt? Vielleicht haben Sie nicht klar genug gemacht, worum es geht? Vielleicht haben Sie zu viel vorausgesetzt? Der Anstoß hier: Überschätzen Sie den Bereich des freien Handelns nicht.
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Abb. 2.6 JoHari-Fenster
Grau – der Bereich des Verbergens, was nur Ihnen bekannt ist Was verberge ich – bewusst oder unbewusst? Das kann recht banal sein. Sie haben schlecht geschlafen, wollen es sich nicht anmerken lassen. Ihre Gesprächspartner registrieren mindestens unbewusst, dass etwas nicht stimmt. Und schon sind Fehleinschätzungen und Missverständnissen Tür und Tor geöffnet. Daher: Minimieren Sie den Bereich des Verbergens. Das können Sie, in dem Sie Dinge offen ansprechen. Gelb – der Bereich des „Blinden Flecks“, was nur anderen bekannt ist In diesem Modell wird das eigene Nicht-Sehen ergänzt durch den Gedanken, dass andere das sehr wohl sehen. Ich hatte mal eine Mitarbeiterin, die nach jedem (!) Urlaub ein paar Tage krank war. Ihr war
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dieses Muster nicht bewusst. Es war sehr hilfreich für sie, es durch mein Feedback zu sehen und dann auch in der Selbstreflexion zu verstehen. Erfahren Sie unbedingt mehr über Ihren blinden Fleck, indem Sie Feedback einholen. Und helfen Sie anderen durch Ihre Führungspraxis, Ungesehenes zu verstehen. Schwarz -der Bereich des Unbewussten, was weder Ihnen noch anderen bekannt ist Was soll das? Wie wird es Teil der Kommunikation und Interaktion, was keiner kennt? Nun, seien Sie gespannt auf den Bereich des Unbewussten – er bedeutet Potenzial! Fallbeispiel: Jahresgespräch Auch so eine Standardsituation von Führung – das Jahresgespräch. So konnte eine Führungskraft im Coaching das JoHari-Fenster nutzen. Sie sehen die vier Perspektiven. Sie sehen auch, dass etwas Vorbereitung wirklich hilfreich sein kann: • FK: Meine Mitarbeiterin weiß, was ich von ihrer Arbeit halte. Das merkt sie ja. – CA: [Ich erkläre das Model.] Dem JoHari-Fenster folgend, ist es keine gute Idee den Bereich des freien Handelns zu überschätzen. Was heißt das für Ihr Jahresgespräch? • FK: Echt jetzt? Naja, es kann ja nicht schaden, noch mal eine generelle Rückmeldung zu geben und auch auf die zwei, drei Highlights des Jahres einzugehen. Da müsste ich noch mal nachgucken, was und wann das genau war. – CA: Gibt es in dem Gespräch einen Bereich des Verbergens, etwas, das nur Ihnen bekannt ist? • FK: Gut, dass Sie das ansprechen. Tatsächlich möchte ich die Mitarbeiterin eigentlich für ein Entwicklungsprogramm vorschlagen. Ich bin mir aber noch nicht hundert Prozent sicher. Darum dachte ich, ich check das noch mal so nebenbei im Gespräch. Ob das passt, ob Sie das auch will. – CA: Es kann sein, dass dieser „Test-Modus“ Ihre Mitarbeiterin verunsichert. Meine Empfehlung ist, das lieber offen anzusprechen. Zumal ich Ihren „Test-Modus“ in unserem ersten Gespräch auch ein wenig kennen gelernt habe, Sie erinnern sich?
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• FK: [lacht] Das haben Sie gemerkt? Na, ich musste doch wissen, ob Sie Ahnung haben und ob es passt zwischen uns. War das ein Problem? – CA: Nicht, dass Sie das wissen wollten. Das ist völlig okay. Allerdings habe ich Ihren „Test-Modus“ als ziemlich investigativ wahrgenommen. Da war eine gewisse Härte in Ihrer Stimme, die ich sonst so nicht von Ihnen kenne. • FK: Okay, das wusste ich nicht [blinder Fleck] Und das will ich auch gar nicht. Jetzt, wo ich das weiß, kann ich darauf achten. – CA: Haben Sie eine konkrete Vorstellung vom Verlauf und Ausgang des Gespräches? • FK: Ja, nee, sollte ich? – CA: Nein, nicht unbedingt. Wenn Sie ergebnisoffen in das Gespräch gehen, ergeben sich vielleicht spannende und unerwartete Entwicklungen. Das meint der schwarze Bereich: Potenzial. Sie können das JoHari-Fenster nutzen für jede Art von Meetings, Vorstandklausurtagungen oder andere Highlights. Wie bei dem Modell „Vier Seiten der Kommunikation“ geht das in der Vorbereitung. Oder in der Analyse, insbesondere, wenn etwas nicht so geklappt hat. Wieder haben Sie eine Logik, die Sie in verschiedene Perspektiven führt. Und das hilft. Phasen der Kompetenzwahrnehmung Das passiert: Ich stelle meinem IT-Berater (= meinem Sohn) eine wirklich knifflige Frage zur Nutzung meines neuen Handys. Er erklärt mir, wie man telefoniert. „Danke! Ich telefoniere schon länger als Du Schleife binden kannst.“ Oder: Ich frage die mehr oder weniger freundliche Finanzbeamtin, was es mit der letzten überraschenden Abbuchung auf sich hat. Sie wirft mit Begriffen um sich, die ich trotz abgeschlossenen Germanistikstudiums weder kenne noch herleiten kann. „Danke! Können Sie mir diese „Nachzahlung auf die Vorauszahlung“ bitte so erklären, dass ich es verstehe?“ Was ist in beiden Fällen passiert? Mein Gesprächspartner hat sich, was meine Kompetenz beim Thema angeht, gründlich verschätzt. Perspektivwechsel hätte geholfen.
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Den Ansatz Vier Phasen der Kompetenzwahrnehmung halte ich für wichtig in der Führungskommunikation. Das Modell stammt ursprünglich aus der Entwicklungspsychologie und wurde von Noel Burch entwickelt (vgl. Cuofano 2022). Für mich gehört es zu den vielen Modellen, die helfen, Kommunikation vorzubereiten. Wenn ich mir kurz Gedanken darüber mache, in welcher Phase mein Gegenüber ist und meine Kommunikation darauf einstelle, vermeide ich negative Reaktionen (siehe oben). Ich erhöhe die Chance, dass Kommunikation gelingt. Ich erkläre das Modell gerne mithilfe von Paul: 1. Phase: Unbewusste Inkompetenz Als Paul auf die Welt kam, war ihm nicht klar, dass es Autos gibt. Es wäre ihm auch egal gewesen. Dieses Lernfeld war außerhalb seiner Welt. Er war unbewusst inkompetent. Ein recht friedlicher Zustand. Es sei denn, jemand spricht einen darauf an und setzt voraus, dass man wüsste, wovon er spricht. 2. Phase: Bewusste Inkompetenz Im zarten Kindesalter, wenn Pauls ersten Worte Auto und Saab sind, beginnt es: Paul ist bewusst inkompetent. Und das hält an bis zu den ersten Fahrstunden. Er weiß, es gibt Autos, man kann sie fahren und ICH DARF/KANN DAS NICHT: Diese Phase kann von zunehmender Frustration, bis hin zu Schmerz gekennzeichnet sein. 3. Bewusste Kompetenz Erinnern Sie sich selbst: Auto fahren ist am Anfang unglaublich schwierig und anstrengend, das muss Paul nun in der Fahrschule erleben. Die Automatismen fehlen noch. Selbst geradeaus fahren erfordert höchste Konzentration (und jede Menge Lenken). Am Anfang ist diese Phase der bewussten Kompetenz vor allem anstrengend. Später kann sie auch von Selbstüberschätzung gekennzeichnet und damit gefährlich sein. 4. Unbewusste Kompetenz Mit der Fahrpraxis kommt die Routine. Und schließlich denken wir gar nicht mehr darüber nach. Wir sind
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unbewusst kompetent. Echte Aufmerksamkeit widmen wir dem Thema nur, wenn besondere Situationen das erfordern: Nebel, Schnee oder wenn wir – wie der Fahrlehrer – Vermittlungskompetenz brauchen. Was das mit Führung und Kommunikation zu tun hat? So viel. Schätzen Sie die Kompetenz Ihres Gegenübers falsch ein, gibt es garantiert Stress: • Überschätze ich die Kompetenz meines Gegenübers, höre ich: „Keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Muss ich das wissen?“ und Aggressivität liegt in der Luft. Keiner gesteht gerne fehlende Kompetenz ein. • Unterschätze ich die Kompetenz meines Gegenübers, höre ich: „Sie halten mich wohl für dumm/naiv/uninformiert!“ und die Stimmung ist mindestens genauso angespannt. In einer komplexen Welt gibt es so viele Themen, über die der eine ganz viel, von denen der andere so gar nichts weiß. Wenn ich mir kurz Gedanken über die vermutete Kompetenz des anderen mache, ist das kein Problem. Ich kann das kommunikativ auffangen. Und wenn ich es so gar nicht einschätzen kann, frage ich nach. Alles besser, als die Kommunikation blind ins Scheitern zu führen. Kompetenzwahrnehmung ist ein Grund, warum ich bei positivem Feedback davor warne, Selbstverständlichkeiten zu loben. Dazu später mehr Abschn. 2.2.4. Geht es übrigens um die falsche Wahrnehmung der eigenen Kompetenz, hat das sogar Namen: Als Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet man es, wenn relativ inkompetenter Menschen systematisch das eigene Wissen und Können überschätzen und die Kompetenz anderer unterschätzen. Als Hochstapler-Syndrom oder ImpostorPhänomen wird es bezeichnet, wenn sich jemand seine nachgewiesenen Erfolge aufgrund starker Selbstzweifel nur mit Glück, Zufall oder mit der Überschätzung der eigenen Fähigkeiten durch andere erklären kann. Um diesen und anderen kognitiven Verzerrungen zu entkommen, ist es vielleicht eine gute Idee, das Modell „Phasen der Kompetenzwahrnehmung“ gelegentlich auch zur Selbstreflexion zu nutzen.
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Sie merken sicher, ich arbeite gerne mit Modellen. Sie systematisieren das Denken. Sie zeigen uns auch, dass wir nicht die einzigen oder ersten sind, die mit einer kommunikativen Herausforderung hadern – sonst hätte sich schließlich niemand die Mühe gemacht, das Thema in einem Modell abzubilden und ihm einen fancy Namen zu geben. Und: Modelle erhöhen die Merkbarkeit. Verbunden mit den konkreten Themen aus dem Führungsalltag bleiben sie im Gedächtnis und können in der nächsten, vielleicht ähnlichen Situation helfen, einen anderen Lösungsweg zu gehen. Aus meiner Sicht sind Modelle immer dann anschlussfähig an die Theorie U, wenn sie einer ähnlichen Grundhaltung entspringen. Wenn Sie also achtsam sind und in die Tiefe führen.
2.2.3 Mit Zielen führen Ziele sind ein zentrales Führungsinstrument, Zielgespräche sind elementarer Bestandteil der Führungspraxis. In vielen Unternehmen gibt es dazu Prozesse und auch Vorlagen. Ich möchte hier zwei Fragen folgen: Was sind eigentlich Ziele? Und welche Formen gibt es, ein wirksames Zielgespräch zu führen, zum Beispiel indem Sie der Theorie U folgen? SMART sollen Ziele sein – spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert. Da ist viel Wahres dran und doch ist mir etwas anderes wichtig. Zu oft führt SMART zu „Zielen in Zahlen“ / „Zielen in Schlagworten“. Ich habe mit einem Gründer über die Ziele für sein Start-up gesprochen. Und immer wieder kamen Umsatzzahlen, Mitarbeiterzahlen, messbare Wachstumsziele. Im weiteren Gespräch wurde deutlich, wie unkonkret das war. Was für ein Unternehmen ist es, wenn er diese Zahlen erreicht? Was bedeutet das für die Unternehmenskultur, für das Miteinander, für den Spirit? Ich meine damit nicht, dass es keine Planung oder auch Vorstellung in Zahlen geben soll. Nur reicht das eben nicht. Wirksam werden vor allem von der Zukunft her gedachte Ziele – sie basieren auf dem was war und ist, greifen aber schon voraus in das, was möglich ist. Ergänzen Sie „Ziele in Zahlen“ darum unbedingt. Die Methode Bildersuche, die ich im Fallbeispiel weiter unten vorstelle, ist dafür ein guter Ansatz.
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Im agilen Arbeiten sind uns Iterationen sehr wichtig. Ja, es gibt schon zu Beginn eine Zielvorstellung. Diese ist aber nicht in Stein gemeißelt. Sie wird regelmäßig im Prozess überprüft. Und gerne neu formuliert. Gerade die letzten Jahre haben uns doch gezeigt, wie sehr unsere Ziele auch von außen beeinflusst werden, von Pandemie, Krieg, tiefgreifenden Veränderungen der Märkte. Darum ist Flexibilität in Bezug auf Ziele aus meiner Sicht so wichtig. Und noch ein Aspekt ist bei der Frage, „Was sind eigentlich Ziele?“, bedenkenswert. Viel zu oft führen wir in Zielkonflikte. Der Klassiker ist: Sie fordern von Ihren Mitarbeitern Teamarbeit – und incentivieren individuelle Leistung. Bonussysteme sind ja in der Regel an das Erreichen von Zielen gekoppelt. Umso wichtiger, dass diese regelmäßig auf dem Prüfstand stehen. Zielkonflikte können aber auch entstehen, wenn Sie keine guten Zielgespräche führen. Zum Beispiel, wenn die Perspektive Ihrer Mitarbeiter zu wenig vorkommt und eigene Ziele nicht ausgesprochen werden. NLP-Zielbestimmung Aus meiner Sicht gute Anregungen finden Sie in folgender Zielbestimmung. Sie stammt aus dem Methodenkoffer des NLP. Diese Zielbestimmung ist durchdacht, auf innere Widersprüche hin geprüft und vor allem verankert in der eigenen Welt. Dahin führen uns sechs Schritte, die Sie in der Tab. 2.2 sehen. 1. Das Ziel positiv formulieren Ein Ziel kann nur dann „magnetisch“ sein, wenn es positiv und absolut formuliert ist. Also nicht „Ich möchte weniger…“ oder „mehr…“. Nicht „Ich möchte mehr lernen“ oder „Weniger auf der Stelle treten“, sondern „Ich mache eine Ausbildung zum agilen Coach“. Eine positive Formulierung des Zieles klärt schon ganz viel. Einfach ist sie oft nicht. Wie oben beschrieben bleibt diese erste Zielformulierung offen für Iterationen. Wenn ich bei einem der nächsten Schritte nicht weiterkomme, kommt der erste Entwurf auf den Prüfstand. Vielleicht ist es nicht die Ausbildung zum agilen Coach, die ich anstrebe, vielleicht heißt mein Ziel eher: „Ich finde einen Einstieg in das Thema agiles Arbeiten“.
76 C. Andriof Tab. 2.2 NLP-Zielbestimmung 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Das Ziel positiv formulieren Das Ziel ganz konkret machen Das Ziel selbst erreichbar machen Den Kontext (mit wem, wann und wo) der Zielerreichung beschreiben Ist das Ziel wirklich das Ziel? Beweis: Woran merken Sie schon morgen, dass Sie auf dem Weg sind, das Ziel zu erreichen?
2. Das Ziel ganz konkret machen „Ziele in Zahlen“ und „Ziele in Schlagworten“ fliegen hier raus. Denn es geht darum, sich das Ziel sinnlich konkret vorzustellen. Wie sieht es aus? Wie hört es sich an? Wie riecht und schmeckt es? Sie können sich das Ziel nicht vorstellen? Dann stimmt etwas mit dem Ziel nicht, dann gehen Sie zurück zu eins. Sie können sich das in einem Mitarbeitergespräch nicht vorstellen? Nun, die berühmte Frage: „Wo sehen Sie sich in einem Jahr?“ geht in die gleiche Richtung. Sie müssten nur den Mut aufbringen, diese Vorstellung ganz konkret werden zu lassen. Ein Coachee von mir war unentschlossen, welche Karriereoption für sie am besten sei. Ich habe Sie gedanklich in die Zukunft geführt. Es ist der 35. Mai des nächsten Jahres. Der Tag beginnt … was tun Sie … Sie kommen in der Bank an … Sie steigen in den Fahrstuhl, der losfährt. Dann habe ich gefragt, welche Etage sie gedrückt hat. Selbstverständlich die 10, war die Antwort – die Karriereoptionen lagen auf unterschiedlichen Stockwerken. Unbewusst war eine erste Entscheidung gefallen, die kleine Gedankenreise, die sinnliche Konkretisierung hat ihr diese Information aufgeschlossen. 3. Das Ziel selbst erreichbar machen Ich kann ein Ziel nur dann autonom erreichen, wenn es nicht von anderen Personen oder nicht beeinflussbaren Faktoren abhängig ist. Darum prüfe ich hier: Kann ich mein Ziel erreichen? Ein Coachee beschrieb einmal als Ziel – im Jahr nach einer Tumorerkrankung – „gesund leben“. Sie bestätigte, dass dies selbst erreichbar sei. Sie hatte Ihren eigenen Beitrag im Fokus und fühlte sich nicht als Opfer oder der Krankheit ausgeliefert. Auch das ist Selbsterreichbarkeit.
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4. Den Kontext (mit wem, wann und wo) der Zielerreichung beschreiben Jetzt wird es konkret. Was genau werde ich tun, um mein Ziel zu erreichen? Ich plane den Weg zum Ziel und prüfe, ob ich wirklich Klarheit darüber habe, wie ich mein Ziel erreichen kann. In einem Mitarbeitergespräch geht es jetzt sehr konkret um Aufgaben, Projekte, auch Weiterentwicklung. 5. Ist das Ziel wirklich das Ziel? Vielleicht ist es dieser Schritt, der den größten Unterschied zu den immer wieder scheiternden SilvesterVorsätzen ausmacht. Eine hilfreiche Frage lautet: „Was wird schlechter, wenn ich mein Ziel erreiche/was kostet mich die Zielerreichung – und bin ich bereit damit umzugehen?“ Jede Zielerreichung hat ihren Preis. Wenn ich mich ganz und gar Ziel A widme, muss ich auf Ziel B verzichten. Wenn ich ein wirklich großartiges Ziel erreiche, verändert es vielleicht mein Selbstbild – will ich das? Habe ich eine Idee davon, wie es nach der Zielerreichung weitergeht – oder werde ich zum Ende hin langsamer, weil danach ein schwarzes Loch droht? Hier gilt es schonungslos ehrlich zu sein mit sich selbst. Denn wenn ich Barrieren oder sogar eine Erklärung/Entschuldigung für Scheitern schon unbewusst formuliert habe, werden diese mich ausbremsen. Sie werden zur Self-Fulfilling-Prophecy. In Mitarbeitergesprächen werden Sie erleben, dass über Geld gesprochen wird. Dass aber das Ziel hinter diesem Ziel ein ganz anderes ist: Sichtbarkeit, Wertschätzung, Entwicklungswunsch. Der motivatorische Effekt einer Gehaltserhöhung ist schnell verpufft. Wenn Sie nicht über die echten Ziele gesprochen haben, können Sie Ihren Mitarbeiter verlieren. 6. Beweis: Woran merken Sie schon morgen, dass Sie auf dem Weg sind, das Ziel zu erreichen? Meilensteine helfen, vor allem bei großen Zielen, den Weg in sinnvolle Etappen zu gliedern. Noch eine Anregung: Vielleicht gelingt es, diese Meilensteine nicht nur rational nachprüfbar, sondern auch emotional erfahrbar zu machen. Also nicht nur: „Bis zum Zeitpunkt X die Aufgabe Y erledigen“. Sondern auch: „Mich sicher fühlen in Bezug auf meine Zielerreichung“.
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Und dann? Am Ende einer Zielbestimmung sind die ersten Schritte zur Zielerreichung schon getan. Das Ziel ist nicht nur – inklusive Kontext und Meilensteinen – durchgeplant und beschrieben, es ist tief verankert. Eine gute Zielbestimmung ist wie ein zusätzlicher Motor, sie gibt Energie. Diese Zielbestimmung beschreibt eher Wellen als ein U. Und dennoch finden wir hier wesentliche Impulse aus der Theorie U wieder: Das Ziel liegt in der Zukunft, wir holen es in die Gegenwart. Es ist sicherlich mehr als beispielsweise eine angestrebte Umsatz-Zahl, es ist positiv und sinnlich konkret. (Schritt eins und zwei). Und: Es hilft nicht, Urteile oder Ängste zu ignorieren. Nur wenn wir uns aktiv mit dem auseinandersetzen, was gegen die Zielerreichung spricht, was uns blockiert oder blockieren könnte, kann der Weg gelingen. Wir brauchen das, damit wir loslassen können. (Schritt drei und fünf).
Fallbeispiel: Führungsstil Wenn wir Themen in Bildern besprechen, haben wir sofort eine andere Ebene. Das gewohnte Sprechen muss übersetzt werden. Es muss konkreter werden. Und durch die Bilder kommt auch eine andere, nicht rein rationale Ebene dazu. Darum habe ich eine Form der Bildersuche entwickelt, der Prozess besteht immer aus fünf Schritten: 1. Die Fragen werden vorgestellt – zum Beispiel: Wo stehen wir heute? Wo wollen wir hin? 2. Es gibt eine große Auswahl an Bildern, die im Raum verteilt sind und jeder Teilnehmer sucht sich zu jeder Frage ein Bild aus. Die Motive habe ich nach bestimmten Schlagworten ausgewählt, dazu gleich mehr. 3. Nacheinander hängt jede und jeder sein erstes Bild, zu der ersten Frage an eine Wand. Wobei das ruhig etwas dauern darf und die Gruppe über die Erklärungen zu den Bildern ins Gespräch kommt. Es entsteht eine gemeinsame Kollage. 4. Genauso entstehen ein Austausch und eine Kollage zu der zweiten Frage. 5. Schließlich schauen wir uns beide Kollagen als Ganzes an. Was ist der Unterschied? Fehlt vielleicht etwas? Was kann uns von Bild eins zu Bild zwei bringen?
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Die beiden Bilder, insbesondere das Zielbild, begleiten uns durch den weiteren Prozess. Die Bilder öffnen eine neue Sprachebene und machen den Austausch über Gefühle einfacher. Für eine wirksame Bildersuche empfehle ich: • Die „richtigen“ Bilder anbieten. Mindestens vier Mal so viele Bilder wie Teilnehmer. Ich wähle sie nach Schlüsselworten aus einer Datenbank aus. Für eine Strategietagung waren das zum Beispiel die Begriffe: Strategie, Wachstum, Internationalisierung, Digitalisierung, Offenheit, Leidenschaft, Innovation, Qualität, Sicherheit, Team, Druck, Stress, Veränderung, Beratung, Service, Vernetzung, Zusammenarbeit, Generationswechsel. Wichtig ist eine gute Mischung aus verschiedenen, rationalen und emotionalen, positiven und negativen Aspekten. • Die Komplexität im Griff behalten: 20 Bilder pro Kollage ist noch machbar. Darüber hinaus wird es unübersichtlich. Bei größeren Gruppen modifiziere ich die Aufgabe so, dass sich jeweils zwei (oder mehr) Teilnehmer auf ein Bild einigen, während sie dieses aussuchen. Dabei kommen sie auch schon ins Gespräch. • Sich Zeit nehmen. Es geht nicht darum, möglichst schnell die Bilder an die Wand zu bringen. Einige aus der Gruppe werden das wollen. Der Austausch, der gemeinsame Prozess ist das entscheidende. Entschleunigung. Dann öffnen sich Denken und Fühlen für die Sichtweise und Perspektive des anderen. Auch Fragen können helfen. • Wenn wir uns den Unterschied zwischen den Bildern angucken, wollen wir tatsächlich die Kollagen als Ganzes sehen. Zum Beispiel: Auf dem ersten Gesamtbild ist viel weniger Farbe, sind wenige Menschen/Menschen allein. Auf dem zweiten Gesamtbild sehen wir Menschen in Gruppen, es ist irgendwie kraftvoller. So erschließen sich die gemeinsamen Botschaften. • Wenn Sie Ihre Bilder gut kennen, sehen Sie auch Abweichungen von einer möglichen Normalverteilung. Sie haben zum Beispiel in etwa gleich viele Bilder mit oder ohne abgebildete Menschen angeboten. Eine der Kollagen enthält keine Bilder mit Menschen, darüber sollten wir sprechen.
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• Gerne stelle ich zwischen die beiden Kollagen am Ende ein Flipchart. Hier können wir sehr konkret das Gap beschreiben. Und auch Lösungsansätze dafür finden, wie wir vom Ist zum Ziel kommen. Bei einer Bildersuche mit der Geschäftsführung eines mittelständischen Unternehmens ging es um den bisherigen und den gewünschten Führungsstil. Die Kollage zu Frage eins – wie führen wir heute? – war insgesamt blass und nichtssagend. Die Manager waren selbst erschrocken über diese Ist-Darstellung. Als „indifferenten Führungsstil“ bezeichneten sie diesen mit Blick auf die Bilder. Im Gespräch konnten sie vertiefen, wie sich das für die anderen Führungsebenen und die Mitarbeiter anfühlt. Sie konnten zahlreiche Probleme und Barrieren im Unternehmen mit diesem Führungsstil, den ja nie jemand gewollt oder beschlossen hat, in Verbindung bringen. Sehr schön war dann das kraftvolle Speedboot, auf das sie sich als Zukunftsbild einigten. Die Arbeit mit Bildern, Filmen, Geschichten ist immer mehrschichtiger, emotionaler als reines Sprechen. Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, weil das Auge 1000-mal mehr Informationen aufnimmt als alle anderen Sinnesorgane. Weil das Bildgedächtnis 1000-mal größer ist als das Wortgedächtnis. Weil ein Bild eine 1000fache Informationstiefe hat im Vergleich zum Wort und weil Bilder 1001 Geschichten im Kopf auslösen. Fallbeispiel: Die Kommunikation für ein schwieriges Thema vorbereiten Auch die sieben Fragen führen uns in Perspektivwechsel und empfängerorientierte Kommunikation. Ein Kunde plant die Erweiterung einer bestehenden Industrieanlage. Eigentlich, so die Aussage, ein No-Brainer. Es ging darum, künftig auch Fernwärme auszukoppeln. Wer sollte da etwas dagegen haben angesichts der aktuellen Diskussion um Energiekrise und Heizformen. Allerdings galt es, in diesem Zusammenhang auch eine erweiterte Genehmigung für die Verbrennung von belastetem Altholz zu beantragen. Ein guter Grund, den sieben Fragen zu folgen:
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1. Von der Wertung zur Neugier: Was ist das vorherrschende Denken? Was könnte neugierig machen auf andere Sichtweisen? Wir klären die Faktenlage. Wir sehen uns vergleichbare Projekte an. Wir sehen: Ganz so einfach wird es wohl nicht. 2. Vom Zynismus zu Empathie: Wie können wir uns in die verschiedenen Perspektiven zum Thema hineinfühlen? Wir versetzen uns in die Perspektive von politischen Entscheidern, von Anwohnern, Bürgerinitiativen. Das Thema wird jetzt größer, denn es gilt, auch Sorgen zu berücksichtigen, die die Fachleute für unbegründet und daher unwichtig halten. 3. Von Angst zu Mut: Wie können wir erkennen, was uns bremst? Wie gelingt Loslassen? Die Bereitschaft wächst, eine wirklich offene Kommunikation zu beginnen. Also nicht zu versuchen, das auf dem kurzen Dienstweg irgendwie möglichst unauffällig zu erledigen. Sondern mutig auf Menschen zuzugehen. Die Gruppe kann den Anfangsimpuls „No-Brainer“ loslassen. Sie wird offen für eine echte Auseinandersetzung mit anderen Sichtweisen. 4. Wendepunkt: Wie gestalten wir Presencing? Hej, was geht? Wir machen die künftige Situation sehr konkret. Wir sind in der künftigen Situation. Und entwickeln von diesem Punkt aus, Ansätze für die Umsetzung. 5. Kreativ denken: Wie können wir Ideen sammeln? Wie können wir die Ideen dann verdichten? Ganz wichtig dabei, eine zentrale Metapher für das Vorhaben zu finden. Und ein Narrativ zu entwerfen, das die Bedenken integriert, statt sie zu ignorieren. 6. Prototypen: Wie können wir daraus Maßnahmen erarbeiten? Kommunikations- und Beteiligungsformate werden beschrieben. 7. Umsetzen: Wie verproben wir diese? Wie machen wir weiter? So „gestärkt“ und durchdacht geht es in die ersten Gespräche.
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2.2.4 Standardsituation Feedback Feedback – auch so eine Standardsituation der Mitarbeiterführung – wie beim Fußball verbunden mit echten Chancen, und so bedauerlich, wenn diese vertan werden. Auch zum Feedback gibt es eine Unmenge an Ansätzen und in vielen Unternehmen konkrete Leitsätze. Auch hier möchte ich den Fokus darauflegen, wie die Theorie U uns helfen kann. Insgesamt: Es gibt so Dinge, die bleiben einfach. Wider jede Vernunft. Fehlendes Feedback zum Beispiel. So viele Kunden von mir hadern mit ihrer Feedback-Kultur. Alle wollen irgendwie, aber dann… Warum ist das so? Mein Eindruck ist, dass es da viele Missverständnisse gibt. Gipfelnd in dem unsägliche Sandwich-Feedback. Wer hat sich das ausgedacht? Wer glaubt, dass Menschen das Positive hören, wenn sie doch wissen, dass es nur das eigentlich Gemeinte abpuffert? Weitere Irrtümer aus meiner Sicht: • Feedback braucht irgendeine spezielle Form, ein – Trommelwirbel – formales Setting. • Wenn ich lobe, wird der andere übermütig oder formuliert unangemessene Ansprüche. Oder: Loben ist irgendwie unangenehm, peinlich. • Feedback ist total sachlich. Und wenn ich das so angehe, kann es nicht falsch sein. • Feedback ist etwas, was ich äußere, der andere nimmt es bitte an. Am liebsten schweigend und mit gesenktem Haupt. Als Gegenstück zu diesen von mir beobachteten Irrtümern formuliere ich meine vier Regeln für wirksames Feedback: 1. Routine: Geben Sie gerne, aktiv und zeitnah Rückmeldung – positiv und negativ. 2. Loben: Wenn es positiv ist – easy (oder etwa nicht?) Tun Sie es ganz oft. Es ist extrem motivierend und vergleichsweise günstig zu haben. 3. Kritisieren: Wenn es negativ ist – achten Sie auf Klarheit, seien Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit bei Ihrem Gesprächspartner, seien Sie
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freundlich und respektvoll. Es geht nicht um Sie! Es geht auch nicht „nur um die Sache“. Es geht darum, einen anderen Menschen zu unterstützen. 4. Feedback ist ein Gespräch. Keine Einbahnstraße. Rückfragen sind erlaubt. Gemeinsame Suche nach Lösungen erwünscht. Und ja, hier und da darf mein Gesprächspartner auch widersprechen. Warum nicht? Die Grundfragen beim Feedback sind aus meiner Sicht: Aus welcher Haltung heraus gebe ich Feedback? Wo ist meine Aufmerksamkeit? Und da sind wir auch bei dem Punkt, bei dem uns die Theorie U entscheidende Hinweise gibt. Beim Thema wirksame Kommunikation (Abschn. 2.2.1) habe ich Ihnen zum Thema Zuhören bereits die vier Feldfunktionen der Aufmerksamkeit vorgestellt. Dort heißen Sie Download von Information – faktisches Zuhören – empathisches Zuhören – schöpferisches Zuhören. Vier Feldfunktionen der Aufmerksamkeit Im ersten „Feld“ bin ich ganz im Innenfokus. Ich bewege mich in meiner eigenen Welt, in meinen Gewohnheiten. Ich höre und sehe nur, was ich erwarte. Ja, mehr noch, das, was ich wahrnehme, bestätigt meine gewohnten Muster und verstärkt sie. Feedback aus diesem Feld heraus, sagt mehr über mich aus als über den anderen. Feedback kann nur gelingen, wenn ich aus mir heraustrete. Ansonsten sage ich vielleicht meine Meinung. Oder ich gebe – mehr oder weniger angemessen – meinen Gefühlen Ausdruck. Insgesamt geht es bei Rückmeldungen aus dem Innenfokus um mich. Durch eine Öffnung des Denkens, wenn ich also meine Wertungen erkenne und neugierig werde für Neues, kann ich in das zweite Feld eintreten. Ich richte mich nach außen. Ich nehme die Welt differenzierter wahr. Ich hinterfrage alte Muster und schaffe Raum für neue. Es reicht allerdings nicht, aus meiner Innenperspektive herauszutreten. Um wirklich Feedback geben zu können, brauche ich diesen mutigen Sprung in andere Sichtweisen, insbesondere natürlich die des Gesprächspartners. So trete ich ein in das dritte Feld: Ich öffne mein Fühlen, wende mich dem anderen empathisch zu. Perspektivwechsel.
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Erst jetzt haben Sie die Chance, mit Ihrem Feedback den anderen wirklich zu unterstützen. Und Feedback als Gespräch? Das geschieht, wenn Sie in das vierte Feld eintreten. Sie öffnen den Willen, werden mutig statt ängstlich. Sie verbinden sich mit der möglichen, mit der entstehenden Zukunft. Das ist ihnen zu „nebulös“? Dann starten Sie vielleicht mit dieser einfachen Frage: Richtet sich mein Feedback auf Vergangenes oder ist es für die Zukunft wertvoll? Am Beispiel erklärt: • Ein stets pünktlicher Mitarbeiter kommt einmal zu spät. Sie ärgern sich, weil sich ein wichtiges Meeting verzögert. Ärger ist okay. Aber müssen Sie das mit dem Mitarbeiter in Form von Feedback teilen? Ich denke nein. Sie wissen, dass er normalerweise pünktlich ist. Es gibt also für die Zukunft nichts zu klären. Jetzt ist ein bisschen Selbstdisziplin gefragt. Mund halten. • Eine Mitarbeiterin, in der sie großes Potenzial sehen, bleibt defensiv. Sagt immer wieder nein zu Fortbildungen, Projekten, Herausforderungen. Sie können über das Nein sprechen und wie sehr Sie es bedauern. Oder über das Potenzial und wo Sie die Mitarbeiterin sehen. In diesem Gespräch können Sie auch erfahren, ob Ihre Mitarbeiterin Ihr Zukunftsbild teilt. • Auch der Zeitpunkt für Feedback kann entscheidend sein. Sie zischen dem Mitarbeiter ohne Krawatte zu, dass das bei Kundenbesuchen gar nicht geht. Sie haben nichts gewonnen und höchstens erreicht, dass der Mitarbeiter in verunsicherter Stimmung in den Termin geht. Am Tag vor dem nächsten gemeinsamen Kundenbesuch einen Hinweis zu geben, ist dagegen hilfreich. Denn jetzt kann Ihr Mitarbeiter die Rückmeldung aufnehmen und entsprechend handeln. Insgesamt ist Feedback aus dem dritten oder vierten Feld heraus ein bisschen aufwendiger, Sie sehen das in der Übersicht in Tab. 2.3. Ich muss aus mir heraustreten, die Situation reflektieren, mich in andere hineinversetzen und über den aktuellen Anlass hinausdenken. Meiner Ansicht nach lohnt der Aufwand.
2 Theorie U in der Führungspraxis 85 Tab. 2.3 Feedback
Feld
Haltung
Inhalt
Gesprächsrichtung
1. Download
Innenfokus
Einbahnstraße
2. faktisch
Außenfokus
3. empathisch
dem anderen zugewandt Gegenwärtig
Sie sprechen von sich selbst Sie sprechen über die Sache Sie geben Feedback Das ist echte Unterstützung
4. schöpferisch
Diskurs/Streit Austausch Flow
Noch eine Empfehlung für die praktische Umsetzung. Meine Feedback-Lieblingsregeln sind meine. Das müssen nicht Ihre sein. Finden Sie für sich, im Unternehmen, im Team Ihren eigenen Weg. Wenn ich Menschen dabei begleite, formuliere ich meine Regeln in Fragen um. Vielleicht hilfreich? 1. Routine: Wann und wie möchten wir uns Rückmeldung geben? 2. Loben: Wie wollen wir positive Rückmeldung geben? 3. Kritisieren: Wie wollen wir negative Rückmeldung geben? 4. Feedback ist ein Gespräch: Was erwarten wir vom Gelobten/ Kritisierten? Und noch ein Nachtrag: Was passiert eigentlich, wenn wir uns von einer KI Feedback geben lassen? Sie können das ausprobieren, indem Sie bei einem Testdurchlauf Ihrer nächsten PowerPoint-Präsentation den Microsoft Coach aktivieren. Und das werden Sie sehen: Wenn es ein objektiv richtig oder falsch gibt, ist die Rückmeldung der KI hilfreich. Das ideale Sprechtempo liegt zwischen 130 und 150 Worten pro Minute. Das ist messbar und der „Coach“ wird Sie korrekt darauf hinweisen, wenn Sie zu schnell sprechen. In anderen Fällen funktioniert das nicht. Eine – aus KI-Sicht – zu lange Pause kann richtig sein, wenn Sie über Mimik oder Körperspannung den Kontakt halten. Ein – aus KI-Sicht – plötzlicher Übergang kann sinnvoll sein, wenn es ein bewusst gewähltes rhetorisches Mittel ist. Eine gute Ergänzung also, aber sicherlich kein Ersatz für Feedback von Mensch zu Mensch.
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Fallbeispiel: „Das hast Du wirklich gut gemacht“ Ein Kollege in der Beratung hat an einem Kundenworkshop teilgenommen, den ich moderiert habe. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon seit einigen Jahren nicht mehr in der klassischen Kommunikationsberatung tätig. Nach verschiedenen Ausbildungen und vielen Erfahrungen verstand ich mich mehr und mehr als Coach und Moderator. Im Anschluss an den Workshop sagte der Kollege – leicht verwundert wirkend – zu mir: „Das hast Du wirklich gut gemacht.“ Meine spontane (zum Glück nicht ausgesprochene) Reaktion: „Ja, Tab. 2.4 Fallbeispiel Lob
Feld
Lob
1. Download
„Das hast Du wirklich gut gemacht“ Hej, was denkt er denn, Ich könnte das nicht. Ich was ich kann oder mache? wusste das auch gar Natürlich kann ich einen nicht, dass die Kollegin Workshop moderieren moderationserfahren ist „Als wir am Punkt xy waren, dachte ich der Workshop sei gelaufen. Und dann hast Du diese Fragen gestellt und der Knoten hat sich gelöst. Das war super.“ Ja, stimmt, das war ein Wirklich interessant, wie sie Wendepunkt. Schön, dass er die Situation gedreht hat das realisiert hat „Ich habe Dich in Deiner Moderatorenrolle ganz neu gesehen. Da war Energie.“ Ja, das ist ganz mein Ding. Sehr cool. Ihre Begeisterung Schön, dass er das gefühlt ist ansteckend hat „Mir ist erst heute klar geworden, wie viel Potenzial in diesen Meetings steckt. Und wie wichtig dabei die Moderatorenrolle ist. Danke Dir. Hast Du Ideen, wie wir das ausbauen können?“ Ja, auf jeden Fall. Wir Da geht doch was für könnten das Thema künftige Meetings. Doch Moderation in unserer wie kommen wir dahin? Academy aufnehmen. Oder mal rumfragen, wer von den Kollegen Interesse hat, mehr zu lernen. Wow, echtes Interesse an dem, was ich mache. Das motiviert mich
2. faktisch
3. empathisch
4. schöpferisch
Meine Reaktion
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was denkt der denn, was ich kann oder mache?“ Auch ein Lob kann daneben gehen. Wenn es keine Resonanz findet, verpufft es. Wenn es für den Gelobten eine Selbstverständlichkeit ist, kann es sogar negativ ankommen. Schauen wir doch mal kurz in seinen und meinen Kopf hinein, in der Tab. 2.4. Das mag deutlich machen, was in den vier Feldern möglich ist. Fallbeispiel: „Nimm Dich zurück!“ Und kritisches Feedback? Einen der wertvollsten Hinweise hat mir eine Kollegin im Projekt gegeben. Es ging um eine tiefgreifende Veränderung der HR-Strategie eines mittelständischen Unternehmens. Wir arbeiteten mit dem HR-Team zusammen. Meine Kollegin sagte in der Nachbesprechung zu einem Workshop zu mir: „Nimm Dich zurück! Du musst die mehr einbeziehen. Das soll ja deren Strategie sein, die die dann umsetzen. Und unsere Budget-Planung beruht auch auf Arbeitsteilung.“ Sie hatte so recht. Und ich konnte das gut annehmen: • Weil sie die Situation umfassend verstanden hat, nicht nur ihre Perspektive, sondern auch die der anderen im Prozess, einschließlich meiner. • Weil sie einen zukünftigen Zustand gesehen hat, der noch viel partnerschaftlicher und kollaborativer ist, als der Prozess bis dahin. • Und weil sie all das auch rübergebracht hat, nicht in der knappen Rückmeldung, sondern vor allem in Stimme und Mimik. Ihre tiefe Beteiligung, das echte Interesse am gemeinsamen Erfolg war ganz klar. Es braucht kein großes Tamtam um kritisches Feedback. Kein „Kann ich Dir mal Feedback geben“ oder „Ich muss mit Dir mal über einen kritischen Punkt sprechen. Meine Wahrnehmung ist…“. Haltung und Beziehung sind Grundlage wirksamen Feedbacks. Und definitiv eine Bewegung aus Feld drei oder vier. Fallbeispiel: „Wie geht das konkret?“ Feedback sei unfassbar wichtig, so ein Kunde, theoretisch sei das allen klar. Doch in der Praxis wäre das dennoch schwierig. Tatsächlich
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wünschte sich der Kunde vermutlich ein konkretes Format. Einen einfachen Ablauf, an den sich die Führungskräfte halten und dann passt das mit dem Feedback. Ich weiß, dass es da sehr kluge Ansätze gibt. Und doch glaube ich nicht recht daran. Ich schlage daher eine vertiefte Beschäftigung der Führungskräfte mit dem Thema Feedback vor. Erst etwas „Theorie“ von mir zum Thema – das Denken öffnen. Dann ganz viel Praxis in für den Kunden maßgeschneiderten Aufgaben, vulgo Rollenspielen. Damit eigenes Erleben und jede Menge Perspektivwechsel. Gerade die Rückmeldung durch einen „Beobachter“ bei jedem Rollenspiel war wichtig. Im Journaling durfte das dann alles reifen und jede und jeder seine eigene Rolle und Verantwortung sehen. Danach konnten wir dann in einer dynamischen Aufwärtsbewegung „meine Regeln“ durch die frischen Erfahrungen konkretisieren: Was habe ich in der Praxis hier im Seminarraum erlebt? Was und wie nehme ich das mit in meinen Führungsalltag? Mir gefällt gut, was die Gruppe erarbeitet hat. Daher hier – leicht verkürzt – das Arbeitsergebnis. Vielleicht mögen Sie sich davon inspirieren lassen: 1. Routine: Geben Sie gerne, aktiv und zeitnah Rückmeldung – positiv und negativ. Heißt für mich konkret • „Ich entwickle meine kommunikativen Fähigkeiten weiter.“ • „Ich achte auch auf meine Körpersprache, auf Spiegelung und insbesondere auf meine Stimme.“ • „Gute Fragen sind Fragen, bei denen mich die Antwort interessiert.“ • „Weichmacher wie einfach, ein bisschen, vielleicht machen meine Aussagen unklarer/schwieriger zu verstehen. Ich vermeide sie daher.“ • „Das Wort ‚aber‘ ist ein kleiner Giftzwerg und lässt sich durch ‚und‘ ersetzen.“ • „Das Wort ‚Warum‘ ist ein Gesprächsstörer. Ich frage in die Zukunft, in den Lösungsraum ‚Was müsste passieren, damit…‘.“ • „Metaphern und sprachliche Bilder machen meine Aussage verständlicher.“
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2. Loben: Wenn es positiv ist – easy (oder etwa nicht?) Tun Sie es ganz oft. Es ist extrem motivierend und vergleichsweise günstig zu haben? Heißt für mich konkret • „Ich folge der Frage: Was ich großartig an Ihnen finde.“ • „Ich lobe sehr konkret und gebe Beispiele.“ • „Ich behalte den Fokus, ich mische nicht Kritik unter mein Lob.“ • „Auch in einer ausgeprägten Leistungskultur, kann ich Leistung hervorheben.“ • „Wann habe ich zum letzten Mal gelobt?“ 3. Kritisieren: Wenn es negativ ist – achten Sie auf Klarheit, seien Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit bei Ihrem Gesprächspartner, seien Sie freundlich und respektvoll. Es geht nicht um Sie! Es geht auch nicht „nur um die Sache“. Es geht darum, einen anderen Menschen zu unterstützen. Heißt für mich konkret • „Ich bereite Feedback-Gespräche vor. Je kritischer das Thema, umso intensiver die Vorbereitung.“ • „Ich frage mich: In welcher Form könnte ich diese Kritik gut annehmen?“ • „Ich kritisiere sehr konkret und gebe Beispiele.“ • „Ich denke auch an die Stärken der Person, die ich kritisieren werde. So behalte ich das Gesamtbild im Blick.“ • „Im Gespräch bin ich kurz und präzise. Das ist nicht unfreundlich, sondern klar.“ • „Wenn mich das Gespräch sehr fordert, hilft mir eine gute tiefe Atmung, um ruhig zu bleiben.“ 4. Feedback ist ein Gespräch. Keine Einbahnstraße. Rückfragen sind erlaubt. Gemeinsame Suche nach Lösungen erwünscht. Und ja, hier und da darf mein Gesprächspartner auch widersprechen. Warum nicht? Heißt für mich konkret
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• „Ich plane ausreichend Zeit ein und einen geeigneten Raum für ein Feedback-Gespräch.“ • „Feedback ist eine Botschaft von mir an den anderen. Ich bleibe bei dieser Perspektive und ‚verstecke‘ mich nicht hinter Aussagen dritter.“ • „Ich achte auf meinen Gesprächsanteil. Insgesamt und bei jedem einzelnen Redebeitrag.“ • „Immer wieder denke und fühle ich mich in die Perspektive des anderen hinein. Das ist Grundlage für ein gutes Gespräch.“
2.2.5 Lösungsorientiertes Führen von Mitarbeitern Ein wunderbarer Coach stellte mal bei einer Veranstaltung seinen Ansatz zum lösungsorientierten Kurzzeitcoaching vor und teilte die Erfahrung, damit ließen sich eigentlich alle Probleme aus der Welt schaffen. Auch wenn die Zuspitzung vielleicht etwas extrem ist, der Ansatz gehört auf jeden Fall in den Werkzeugkasten einer Führungskraft. Der Coach stellte übrigens diese Frage voran: „Warum ist Dornröschen aufgewacht?“ War es der Kuss? Das glaubt der Prinz (die Führungskraft, der Coach, der Berater). Tatsächlich waren aber irgendwann einfach die 100 Jahre um und der Zauber endete. Sie ist aufgewacht. Sie wurde nicht aufgeweckt. Diese Geschichte gibt die Handlungsfähigkeit in die Hände des „Opfers“ und das ist gut so. Sie fordert ein wenig Demut des Küssenden, überschätzen Sie also Ihre Rolle nicht. Skalierungsfragen Lösungsorientiertes Coaching basiert auf einer Skalierungsfrage: Sie besteht immer aus drei Schritten: (1) Eine Skala vorstellen und einen Ist-Wert festlegen. (2) Einen Soll-Wert festlegen. (3) Das Gap bestimmen und Maßnahmen zum Schließen des Gaps beschreiben. 1. Frage: Auf eine Skale von 0 (= Katastrophe) bis 10 (perfekt!) – wo stehen Sie heute? 2. Frage: Wo wollen Sie hin? Was ist Ihr Zielwert? 3. Frage: Was ist der Unterschied zwischen Status und Ziel? Wenn der Zielwert erreicht ist, was ist anders? Was haben Sie gemacht?
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Wichtig ist: Die Antworten auf die Skalierungsfragen sind eher subjektiv, das ist kein Dashboard. Wenn Sie diese Frage in einer Gruppe stellen, ist es nicht nötig, dass sich alle einig sind über den Wert. Jeder Mensch hat so seine eigene Kalibrierung (Glas halbvoll/halbleer). Es geht nicht um den absoluten Wert, sondern um das Gap. Achten Sie darauf, dass die Skala klar ist, z. B. Prozente, Schulnoten gehen auch. Nennen Sie extreme Endpunkte: Geht gar nicht bis perfekt. Wenn Ihr Gesprächspartner sich auf der null sieht und auf die zehn möchte, ist nicht viel gewonnen. Eine Veränderung erscheint machbarer, wenn sie einen Schritt von z. B. drei auf sieben bedeutet. Erreichbare Ziele sind gut für die Motivation. Außerdem relativiert sich die Dramatik eines Themas, wenn es immer noch schlechter/ besser ginge. Auch das entspannt. Wirksam sind Skalierungsfragen von Beginn an: Schon die Notwendigkeit, einen Wert festzulegen, öffnet das Denken. Ich kann nicht mehr mit meinem Standardsatz antworten, den ich schon allein deshalb für wahr halte, weil ich ihn so oft gesagt habe. Ich muss umrechnen, um-denken, einen neuen Ausdruck finden. Wie kann das im konkreten Mitarbeitergespräch aussehen? • FK: Sie möchten Ihre Präsentations-Skills verbessern? Wo sehen Sie sich da heute auf einer Skala von 0 = geht gar nicht bis 10 = perfekt? – MA: Heute, naja, eine 5 vielleicht. • FK: Und was ist Ihr Ziel? Wo möchten Sie in einem Jahr stehen? – MA: Eine gute 9 sollte es schon sein. • FK: Springen wir mal in die gute 9. Wie ist das? – MA: Ich fühle mich wohl beim Präsentieren. Kann frei sprechen. Verhasple ich mich nicht dauernd und schweife nicht mehr so viel ab. Dadurch komme ich auch mit Zeit klar… so Dinge. • FK: Was haben Sie gemacht, um von der 5 zur 9 zu kommen? – MA: Eine Mischung aus Training, persönlichem Coaching und auch einfach sehr viel Praxis. Denke ich. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit noch einmal auf einen besonderen Moment im Zusammenhang mit der dritten Frage richten: „Springen wir mal in die gute 9“ heißt in der Theorie U-Sprache Presencing. Die
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Zukunft, die noch nicht da ist, für die wir uns aber bereits geöffnet haben, erspüren wir in der Gegenwart. Von dieser Zukunftsvorstellung lassen wir uns durch die Veränderung führen. Lösungen zweiter Ordnung Lösungsorientierte oder Skalierungsfragen sind großartig. Vor allem Menschen, die Zahlen mögen, profitieren davon. Aus meiner Sicht sollten sie aber bei vielen, gerade komplexeren Themen unbedingt ergänzt werden um einen Ansatz, der viele Namen hat. Ich folge Paul Watzlawick und nenne ihn Lösungen zweiter Ordnung: Lösungen zweiter Ordnung heben die zu lösende Situation aus dem paradoxen, selbstrückbezüglichen Teufelskreis heraus, in den sie die bisherigen Lösungsversuche geführt haben, und stellen sie in einen neuen, weiteren Rahmen. (Watzlawick et.al., 1992, S. 13)
Und so kann das gehen: Sie sehen in der Abb. 2.7 die kleine Bombe? Das ist unser Ausgangspunkt. Wir haben eine Situation, in der ja und nein unvereinbar erscheinen. Jeder Versuch, auf dieser Ebene eine Lösung zu
Abb. 2.7 Lösungen 2. Ordnung
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finden, führt zu lahmen Kompromissen, zum kleinsten gemeinsamen Nenner, zu anderen Ansätzen, die nicht funktionieren werden. Fragen Sie nun genau nach: Was meint Position Ja. Fragen Sie nicht nach unten: „Auf was könnten Sie verzichten?“ Fragen Sie nach oben: „Was wäre, wenn Ja perfekt realisiert würde. In einer idealen Welt? Was meint Ja wirklich? Wie sieht das konkret aus?“ Sie kommen durch diese Fragen von der Position zu den tieferliegenden Motiven, zu dem Interesse. Das wiederholen wir mit der Position Nein. Erneut: Optimieren. Das beste Nein aller Zeiten. Wir haben dann die zweite Ordnung erreicht oder den „neuen, weiteren Rahmen“ gesetzt. Meiner Erfahrung nach, findet sich auf dieser Ebene eine Lösung. Ein Konsens. „Wer möchte ich wirklich sein?“ – und nicht „Welche Rolle möchte ich spielen?“ und auch „Wo möchte ich Nutzen und Sinn stiften?“ können – fast unabhängig vom konkreten Thema – zentrale Fragen der Optimierung sein. Und damit sind wir wieder beim Grundgedanken des Presencing. Wir bewegen uns in einem anderen Feld der Aufmerksamkeit. Wir sind bei den Quellen unseres eigenen Selbst. In den Fallbeispielen sehen Sie die konkrete Anwendung. Im nächsten Kapitel vertiefen wir den Unterschied zwischen Position und Interesse. Denn diese Unterscheidung – und vor allem dann die Konzentration auf gemeinsame Interessen – ist der Schlüssel für erfolgreiche Konfliktlösung. Fallbeispiel „Bleiben oder gehen“ Der Einwand, man könne ja schlecht bleiben und gehen, ist berechtigt. Dennoch hilft der Ansatz auch bei dieser Ja-oder-Nein Frage. Nicht nur, weil er Klarheit bringt. Sondern auch, weil er deutlich macht, was ich verändern muss, damit Bleiben gut ist. Oder was ich mitnehmen, wenn Gehen richtig ist. Wenn ein Mitarbeiter mit Ihnen als Führungskraft über diese Frage spricht, haben Sie offensichtlich ein gutes Vertrauensklima. Häufiger noch wird diese Frage in der Selbstreflexion oder in der Rolle als Coach oder Mentor auftauchen. Aus meiner Tätigkeit als Mentor stammt auch diese Situation.
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• CA: Was bewegt Dich? – M: Ich muss mich entscheiden, ob ich in dem bisherigen Bereich A weiterarbeiten möchte oder ob ich in den Bereich B wechseln soll. Ich komme bei dieser Frage nicht weiter. [Es folgte eine lange Darstellung der inneren Zerrissenheit.] • CA: Beam Dich mal in Bereich A, in einem Jahr. Was tust Du? Wer bist Du? Was macht Dich glücklich? Was trägst Du bei? – M: [In der Darstellung liegt der Schwerpunkt ganz klar auf dem guten menschlichen Miteinander in Bereich A, in der Zusammenarbeit mit den Kollegen und der Förderung durch ihre Chefin.] • CA: Wow, großartige Vorstellung. Was weißt Du denn schon über Bereich B? Wo siehst Du Dich dort in einem Jahr? Wer bist Du? Was macht Dich glücklich? Was trägst Du bei? – M: [In der Darstellung steht die fachliche Herausforderung im Mittelpunkt. Ein neues Thema. Eines, das sie wirklich bewegt. Das sie für ein relevantes Zukunftsthema hält und in das sie sich gerne vertiefen möchte.] Ohne weitere Unterstützung – Dornröschen war halt aufgewacht – hat mein Mentee die unterschiedliche Sichtweise erkannt. Die Menschenvs. Aufgabenorientierung, in der der Unterschied für sie lag. Und sie hat sich für einen Weg entschieden: Bereich B soll es sein. Sie möchte dort die Menschen kennen lernen, um weiterhin Zusammenarbeit zu erleben. Und sie möchte ihre jetzige Chefin als Mentorin gewinnen, um auch künftig nicht auf ihren Rat verzichten zu müssen. Fallbeispiel „Kind & Karriere“ Immer wieder spreche ich – vor allem mit jungen Frauen – über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das hat auch mit meinem eigenen Weg als berufstätige Mutter zu tun. Die Antwort auf die Frage „Wie geht das?“ liegt aber nicht in meiner Biografie, sondern im Selbstverständnis der jeweiligen Frau (und ihres Partners). Darum frage ich: „Wer möchtest Du als Mutter sein? Wie möchtest Du das leben? Wer sind Deine Vorbilder? Was ist Dir wichtig?“ Und ich frage: „Was meinst Du mit Karriere? Wo möchtest Du Nutzen und Sinn stiften? Was ist
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Dein beruflicher Traum? Wie sieht der aus? Wie kommst Du dahin? Was möchtest Du nicht?“ Tatsächlich habe ich es noch nie erlebt, dass in der zweiten Ordnung irgendeine Form von Unvereinbarkeit entstand. Aufgaben, ja. Auch echte Herausforderungen. Und vielleicht Voraussetzungen, die erst noch geschaffen werden müssen. Vor der Optimierung waren da zwei Stereotypen: „Mutter“ – möglichst perfekt und versehen mit allerlei tradiertem Ballast – sowie ebenso perfekt „Karrierefrau“. Danach fanden sich höchst individuelle Vorstellungen von Mutterschaft und Berufstätigkeit. Verankert in den eigenen Werten. Aufgeladen mit Wünschen und Hoffnungen. Dabei sehr konkret. Und beides: vereinbar und umsetzbar.
2.2.6 Führen im Konflikt Nicht immer läuft alles rund, Konflikte gehören zum Führungsalltag dazu. Wenn ich als Coach zum Thema „Konfliktkommunikation“ angefragt werde, erwarten mich ganz unterschiedliche Themen. Der gemeinsame Nenner und damit auch die wichtigsten Charakteristika für einen Konflikt sind: • Es sind mindestens zwei Parteien beteiligt. Natürlich gibt es auch intrapersonelle Konflikte, die sind hier aber nicht im Fokus. • Es gibt ein gemeinsames Konfliktfeld und unterschiedliche Absichten, Vorstellungen, Sichtweisen. • Es sind negative Gefühle vorhanden wie Angst oder Wut. Je stärker die Emotion, desto höher der Leidensdruck. • Es gab und gibt einen dynamischen Verlauf. Als Konflikt wahrgenommen wird ein Thema meist erst dann, wenn es schon mächtig eskaliert ist. Wenn wir mit einem Konflikt aktiv umgehen, nennen wir das „verhandeln“. Nicht zu verwechseln mit Gehalts- oder Honorarverhandlungen. Obwohl, das werden Sie sehen, die Dynamiken durchaus vergleichbar sind. Das Thomas-Kilmann-Modell, entwickelt von
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Abb. 2.8 Thomas-Kilmann-Modell
Kenneth Thomas und Ralph Kilmann (Kilmann 2023), beschreibt zwei Dimensionen und fünf Konfliktlösungsstile. Das Bild in Abb. 2.8 zeigt: • Nur der Konsens ist win-win. Nur wenn die eigenen und die Interessen des anderen Berücksichtigung finden, bekommen wir eine Lösung, von der beide Seiten profitieren. Und die daher auch Bestand hat. • Wenn wir uns durchsetzen, verliert der andere. Das fühlt sich in dem Moment vielleicht gut an. In der Regel gibt es aber negative Konsequenzen auf anderer Ebene oder der Konflikt ist nicht dauerhaft befriedet. • Wenn wir nachgeben, haben unsere eigenen Interessen kein Gehör gefunden. Es mag Themen geben, bei denen das okay ist – dann ist die Frage erlaubt, warum überhaupt ein Konflikt eingegangen wurde. Meist gilt aber, wie beim Durchsetzen, das Thema kommt wieder. • Konfliktvermeidung ist tatsächlich eine sehr beliebte Strategie. Allerdings nicht auf Dauer. Wenn tatsächlich ein gemeinsames Konfliktfeld mit unterschiedlichen Absichten vorhanden ist, wird diese Lösung keinen Bestand haben.
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Ziel einer guten Verhandlung ist also ein Konsens, eine kluge und vernünftige Übereinkunft, die die verschiedenen Interessen berücksichtigt. Zwei weitere Kriterien für gute Verhandlungen gibt es: Sie sollen effizient sein, das heißt Zeit, Kosten, Energie sparend, bzw. dem Thema angemessen sein. Und sie sollen gütlich sein. Verhandeln sollte das Verhältnis zwischen den Parteien verbessern, zumindest nicht verschlechtern. Wenden wir dieses Verständnis von Konflikt, Konfliktlösung und die Kriterien guter Verhandlung auf den Führungsalltag an: • Konflikte sind normal und müssen nicht gleichgesetzt werden mit Streit. Sie mögen unangenehm sein, wenn wir sie aber zu einem guten Ergebnis geführt haben, bedeuten sie Fortschritt, Entwicklung. Auch in der Beziehung zueinander. • Um zu einem guten Konfliktpartner zu werden, muss ich vor allem zwei Dinge lernen: Interessen erkennen und berücksichtigen. Meine eigenen und die des anderen. Und mit Emotionen angemessen umgehen, wiederum – mit meinen eigenen und denen des anderen. Der Klassiker zu diesem Thema ist das Harvard-Konzept für sachorientiertes Verhandeln (Fisher et al. 2013). Ich habe mich seitdem schon mit den verschiedensten Verhandlungs- und Konfliktlösungsansätzen befasst. Meine Wahrnehmung ist: Das Harvard-Konzept schimmert doch irgendwie immer durch. Auch wenn andere Aspekte hinzukommen und andere Schwerpunkte gesetzt werden. Harvard-Konzept für sachorientiertes Verhandeln Lassen Sie uns daher in aller Kürze die vier Prinzipien des HarvardKonzeptes ansehen. Bevor wir konkreter verstehen, wie uns das in der Führungspraxis helfen kann. 1. Menschen und Sachprobleme trennen Dieses erste Prinzip meint nicht, Emotionalität außen vor zu lassen. Das geht bei Konflikten nicht. Menschen haben sowohl sachliche Interessen als auch emotionale. Der Ansatz meint, beides getrennt voneinander zu behandeln. Das
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hilft: In die Lage des anderen versetzen. Offen in Verhandlung gehen. Die andere Seite am Ergebnis beteiligen („Gesicht wahren“). Aufmerksam, aktiv zuhören. Ganz wichtig: Den Standpunkt des anderen zu verstehen, heißt nicht, diesen zu teilen. Um diesem Prinzip folgen zu können, müssen Sie Emotionen erkennen und verstehen lernen. Stimmungen zulassen und ansprechen, ggf. ausgleichen, zum Beispiel mal mit einer Entschuldigung. Ein Kunde erzählte mir, er habe die Verhandlung, da er den Anwalt der Gegenseite von früher kannte, mit den Worten begonnen: „Mensch Thorsten, bist Du aber fett geworden!“ Der war dann erst mal ruhig, so mein Kunde. Auf meine Rückfrage, ob das dauerhaft geholfen habe, sagte er, eher nein. Die Vorstellung, dass man Konfliktlösungen voranbringt, in dem man den anderen runter macht oder gar beleidigt, gehört in die Mottenkiste. Eine gute Beziehung ist Grundlage einer guten Verhandlung. Respekt und Wertschätzung dem anderen gegenüber sollten immer bleiben, so abwegig ich seine Vorstellung oder Forderung auch finde. Das meint: Menschen und Sachprobleme trennen. 2. Nicht auf Positionen, sondern auf Interessen konzen trieren Solange sich zwei Positionen gegenüberstehen und das Verhandlungsziel die Erreichung einer dieser beiden Positionen ist, stockt die Verhandlung. Wie bei den Lösungen zweiter Ordnung im letzten Kapitel geht es jetzt um ein Umdenken: Wir richten unseren Blick auf die Bedürfnisse und Interessen, die hinter den Positionen liegen. Wir fragen nach der inneren Motivation (= Interesse) statt nach der bewussten Entscheidung (= Position). Voraussetzung dafür ist, dass wir die eigenen Interessen offenlegen, deren Legitimität hervorheben und einfordern. Wir können lernen, Gespräche auf ein Ziel hin auszurichten und erst als zweiten Schritt Positionen zu formulieren. Außerdem ist es wichtig, sich in den anderen hineinzuversetzen: Warum nimmt jemand eine Position ein? Finden Sie mehr heraus über Erwartungen, Befürchtungen. Erneut: Verstehen bedeutet nicht zustimmen. Vielleicht kennen Sie die Standardgeschichte, mit der dieses Prinzip erklärt wird? Zwei Schwestern haben eine Orange, jede möchte die Frucht. Sie teilen sie in der Mitte durch. Eine gute Lösung? Die eine Schwester presst den Saft aus, den sie trinken möchte. Die andere
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raspelt die Schale ab, die sie für ihren Kuchen braucht. Eine bessere Lösung wäre ganz einfach gewesen, hätten die zwei über ihre Interessen gesprochen, statt auf der Position „Ich will die Orange“ zu bestehen. 3. Vor der Entscheidung verschiedene Optionen zum beiderseitigen Nutzen entwickeln Das Ziel sollte es sein, eigene und fremde Interessen in einer Lösung zu verschmelzen. Dabei möglichst alle Interesse zu würdigen und zum Teil der Lösung zu machen. In der kreativen Phase des Verhandelns versuchen wir, solche Lösungen zu finden. Das kann gerne mehr als ein Ansatz sein. Überwinden Sie mutig Denkbarrieren. Machen Sie das Spielfeld groß. Je mehr Variablen Sie haben, um so variantenreicher sind die möglichen Auswege mit Nutzenteilung. Sie machen ein Fortschreiten des Prozesses möglich, in dem Sie Akzeptanz schaffen: Zeigen Sie, dass verschiedene Interessen gesehen und berücksichtigt werden, vermitteln Sie Sicherheit, visualisieren Sie Varianten. Oft, aus meiner Sicht sehr oft, steckt hinter einer als „unverschämt“ empfundenen Gehaltsforderung etwas ganz anderes. Der Wunsch nach Anerkennung. Der Wunsch nach Entwicklung. Wenn Sie im Jahresgespräch nur über Geld reden, muss dieses all die anderen Interessen mit befriedigen. Das wird teuer. Und das wird in den seltensten Fällen gelingen, zumal wir heute wissen, dass die Motivation durch mehr Geld maximal zwei Wochen anhält. Darum gehören in das Jahresgespräch ganz verschiedene Elemente: nicht-monetäre Kompensationen, Aus- und Weiterbildung, Förderung jeder Art. In den meisten Unternehmen ist das heute so. Für die Führungspraxis mag uns „verschiedene Optionen zum beiderseitigen Nutzen entwickeln“ daran erinnern. 4. In der Verhandlung objektive Kriterien heranziehen Das vierte Prinzip besagt: Wenn Sie konsequent auf den gegenseitigen Nutzen hingearbeitet haben und doch widersprechende Interessen bleiben, müssen am Ende objektive Kriterien entscheiden. Objektive Kriterien sind Gesetze, Normen, Präzedenzfälle. Im Zweifel muss ein Dritter entscheiden, welche Kriterien herangezogen werden sollen. Das vierte Prinzip besagt auch: Akzeptieren Sie niemals Druck oder Macht als Entscheidungskriterium, bestehen Sie immer auf objektiven Kriterien.
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Meine Erfahrung mit diesem Prinzip ist eine doppelte. 1. Menschen glauben nicht, dass es gerade zu ihrem Konflikt eine irgendwie geartete objektive Richtschnur gibt. Und 2. In verblüffend vielen Fällen gibt es sie doch. Im Rahmen der Erarbeitung einer HR-Strategie wurden wir immer wieder nach KPIs, Benchmarks und Business Cases gefragt. Kennen Sie Cost-of-Vacancy? Es lässt sich berechnen, was es kostet, eine Stelle nicht zu besetzen. Wissen Sie, wie groß eine Personalabteilung sein sollte? Auch hier gibt es bewährte Relationen und Industrie-Benchmarks. Was bringen eigentlich Benefits und Rewards? Studien haben Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit untersucht. In der Praxis werden Sie wohl selten lupenreine, elegante HarvardVerhandlungen finden. Und doch, so meine Erfahrung, können die Prinzipien wirklich helfen. Machen wir das an einem Beispiel konkret. Fallbeispiel Homeoffice Aktuell erlebe ich in Unternehmen vielfach Konflikte um das Thema Homeoffice. Zu oft werden diese ausgetragen auf der Ebene: Wie viele Tage sind erlaubt? Tatsächlich ist das ja nur eine sehr formale Betrachtungsweise. Hier geht es um Positionen. Die zugrunde liegenden Interessen habe ich mit einem Coachee, Führungskraft eines mittelständischen Unternehmens, zu ergründen versucht. Um dann auf einer anderen Ebene zu einer Lösung zu finden. Spoiler: Es ist mir nicht gelungen. Aber vielleicht Ihnen, in Ihrem Kontext? • FK: Ich denke, ich werde meiner Mitarbeiterin die Homeoffice-Tage streichen. Sie macht einfach zu viele Fehler. – CA: Sehen Sie einen direkten Zusammenhang zwischen Homeoffice und Fehlern? • FK: Nein, nicht wirklich. Aber ich denke einfach, dass ich sie besser im Blick habe, wenn sie im Büro ist. Sie kann dann ja auch einfacher nachfragen. – CA: Würde „im Blick haben“ helfen gegen Fehler? Fragt sie im Büro eher nach? • FK: Nein, weiß nicht. Ich habe einfach kein gutes Bauchgefühl bei dieser ganzen Homeoffice-Sache. [Es folgt eine lange Tirade gegen mobiles Arbeiten insgesamt. Im Kern geht es um fehlendes Ver-
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trauen. Um den Wunsch nach Kontrolle. Um eine tiefsitzende Ablehnung des Konzeptes mobiles Arbeiten: Arbeiten finde nun mal im Büro statt. Bis hin zu der Aussage, dass das ja sowieso nur so ein Corona-Ding sei, das bald wieder verschwinden würde.] Ich versuche, die berechtigten Interessen einer Führungskraft in den Mittelpunkt zu stellen: Arbeit, die „in time, in quality, in budget“ erledigt wird. Dafür braucht es gute Absprachen und ein starkes Team. Aber braucht es dafür Anwesenheit im Büro? Was sagen Studien und Analysen zum Thema etc. Ich versuche außerdem, die Interessen der Mitarbeiterin in den Raum zu holen: Weiß die Führungskraft, warum ihre Mitarbeiterin zu Hause arbeiten möchte? Anfahrtsweg? Ruhe? Flexibilität? So richtig klar wird das leider nicht. Aus meiner Sicht wäre es für eine Lösung nun wichtig, • das eigene Führungsverhalten zu reflektieren. Insbesondere zum Thema Vertrauen/Kontrolle. Die sehr extreme und hochemotionale Ablehnung von Homeoffice insgesamt macht es meinem Coachee fast unmöglich, sich auf das Sachproblem zu konzentrieren. • auf eine Selbstreflexion könnte lernen folgen – Aufgabe wäre es, das Führungsinstrumentarium zu erweitern: Meetingkultur, Fehlerkultur, Absprachen, Team-Spirit. Wir geht das in hybriden Teams? • natürlich: Im Gespräch mit der Mitarbeiterin mehr über ihre Interessen und Motive zu erfahren. Wirklich herauszufinden, wie es zu den vielen Fehlern kommt. Und dann dort anzusetzen mit Unterstützung. All das wären – so denke ich – Ansätze, um „verschiedene Optionen zum beiderseitigen Nutzen“ zu entwickeln, wie es im Harvard-Konzept heißt. Um die Ja/Nein Positionen zu überwinden. Und den zugrunde liegenden Interessen gerecht zu werden. Auch der Ansatz, in der „Verhandlung objektive Kriterien heranziehen“, kann hier helfen. Wie machen es andere, vergleichbare Unternehmen? Was ist Best Practices? Was sagt die Forschung? Die letzten Jahre haben uns hier eine solide Datenbasis erbracht.
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Ich kann noch nicht wirklich sagen, wie mein Coachee mit dem Thema weiter umgeht. Das ist bei Abgabe des Manuskriptes noch offen. Ich hoffe sehr, dass ihn die eine oder andere Anregung erreicht. Mir hat dieses wirklich nicht einfache Gespräch gezeigt, wie sehr die vier Prinzipien des Harvard-Konzeptes in der Praxis helfen: 1. Menschen und Sachprobleme trennen 2. Nicht auf Positionen, sondern auf Interessen konzentrieren 3. Vor der Entscheidung verschiedene Optionen zum beiderseitigen Nutzen entwickeln 4. In der Verhandlung objektive Kriterien heranziehen Sie helfen, weil sie mich an die Hand nehmen. Mir Handlungsoptionen, ja einen Prozess geben. In ihrer unaufgeregten Sachlichkeit bringen sie uns weiter. Und das, so meine Erfahrung, gerade dann, wenn die Emotionen ansonsten blockieren. Das Gespräch oben habe ich als herausfordernd erlebt, obwohl ich ja Sparringspartner und nicht Konfliktbeteiligte war. Ja, Konflikte sind anstrengend. Dennoch gehören Sie in die Kommunikation mit Ihren Mitarbeitern. Mitarbeiter führen heißt im Kern, gut und wirksam mit Mitarbeitern kommunizieren. Perspektivwechsel ist – aus meiner Sicht – die Schlüsselkompetenz dafür. Tools rund um „empfängerorientierte Kommunikation“ helfen bei der Umsetzung. Und das in verschiedensten Führungssituationen: In Ziel- oder Feedback-Gesprächen, bei der Suche nach Lösungen oder auch bei Konflikten.
2.3 Teams führen Im letzten Kapitel lag der Fokus weitgehend auf der Kommunikation zwischen zwei Menschen. In den meisten Kontexten führen wir mehr als eine Person. Darum jetzt Teams. Was ist anders, wenn es um eine Gruppe geht, nicht eine Einzelperson? Auf jeden Fall ist meine Aufmerksamkeit stärker gefragt. Denn es gibt nicht nur mehrere Einzelne, sondern auch eine systemische Dynamik zwischen ihnen. Auch wenn
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ich die Gruppe als Gruppe, das Team als Team sehe – neben der kollektiven gibt es immer auch die individuelle Perspektive. Und vor allem: Die Handlungsebene ist immer der Einzelne. Im Folgenden geht es darum, durch Führung den Rahmen zu schaffen für erfolgreiche Teams – das sind die Themen Vertrauen, Motivation, Fehler-Kultur. Und abschließend darüber zu sprechen, wie wir auch bei rauer See, das Schiff auf Kurs halten, insbesondere in Veränderungsprozessen und Krisen.
2.3.1 Den Rahmen schaffen: psychologische Sicherheit Vertrauen – ein großes Wort, ein hoher Anspruch. In unzähligen meiner Workshops und Coachings wird Vertrauenskultur zum Thema. Und das ist auch richtig so: • Vertrauen ersetzt Kontrolle. Es zeichnet eine moderne, erst recht eine agile Unternehmenskultur aus und ist dazu noch effizient. • Vertrauen ist die Grundlage einer reifen Feedback- und Fehlerkultur. Ohne Vertrauen leiden selbständiges Handeln und innovatives Denken. Vor einiger Zeit entdeckte ich in einem Artikel einen anderen Begriff. Und er gefällt mir gut. Die Rede war von einem (psychologisch) sicheren Umfeld. Forschungsergebnisse zeigen, dass die psychologische Sicherheit ein wichtiger Faktor für einen effizienten Arbeitsplatz ist (Edmondson und Lei 2014). Und: Psychologische Sicherheit führt durch verbessertes gemeinsames Lernen im Team zu einer höheren Teamleistung. Ein sicheres Umfeld leistet also, was wir von Vertrauenskultur erwarten. Und ist doch anders: Der Hauptunterschied besteht darin, dass sich psychologische Sicherheit auf den Glauben an die Gruppennorm und die Gemeinschaftspraxis bezieht. Vertrauen dagegen basiert auf dem Glauben einer Person an eine andere. Ich finde, das nimmt ein wenig den Druck raus. Kann und will ich wirklich jedem vertrauen? Wie geht das in neu formierten Teams? Der Anspruch ist ein anderer:
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In einem sicheren Umfeld glauben alle dran, dass sie Risiken eingehen können, ohne dass dies negative Konsequenzen für ihre Position im Unternehmen hat. Das klingt doch machbar, oder? Interessant fand ich auch die Analyse „sicherer Teams“. Festgestellt wurden zwei Phänomene: 1. Mitglieder wechselten sich während der Kommunikation ab. Die Anteile in der Gesprächsführung waren über alle Mitglieder gleichmäßig verteilt. Fragen und aktives Zuhören sind die Treiber für eine gute, gleichmäßig verteilte Kommunikationskultur. 2. Diese Teams weisen eine hohe soziale Sensibilität auf. Sie konnten erkennen, wenn ein Teammitglied sich ausgeschlossen fühlte oder verärgert war. Teammitglieder sind im guten Kontakt, im Rapport. Sie achten auf ihre Sprache, können daher offen sein, ohne respektlos zu werden. Das sind sehr konkrete Verhaltensweisen. Sie können von der Führungskraft und auch im Team insgesamt reflektiert und gefördert werden. Ein sicheres Umfeld – vielleicht lässt sich darüber leichter sprechen und wirksamer die Teamdynamik beeinflussen als mit dem hohen Anspruch „Vertrauenskultur“. Was meinen Sie? Fallbeispiel „Kugel-Teams“ Nein, den Begriff Kugel-Teams gibt es nicht. Das Phänomen, das ich damit beschreibe, begegnet mir aber immer wieder: Teams, die sich von außen/aus der Organisation angegriffen oder zumindest nicht akzeptiert fühlen. Die sich dann zunehmend abschotten. Glatt, rund, ohne Andockstelle (wie eine Kugel). Dabei nehmen sie mindestens unbewusst eine gemeinsame Opfer-Haltung ein, das stärkt sie nach innen. Die Abteilungsleiterin eines Pharmaunternehmens hatte sich an mich gewandt mit folgender Bitte: Wir (das Team) wissen nicht recht weiter. Die anderen Abteilungen sind uns irgendwie sprachlich überlegen. Die reden uns an die Wand. Die manipulieren uns. Die akzeptieren unsere Expertise nicht. Und am Ende stehen Entscheidungen, die wir nicht mittragen können. Das kostet sehr viel Kraft. Wir sind uns da sehr einig. Wir müssen lernen, uns da zu wehren.
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Im weiteren Gespräch, beim Shadowing eines Team-Meetings, dann in der Zusammenarbeit mit ihr und mit den anderen Team-Mitgliedern konnten wir einen anderen Lösungsansatz als „sich-wehren“ finden. • Sie können lernen, wie sie sprachliche Manipulation, „schwarze Rhetorik“, erkennen. Sie müssen dann nicht in gleicher Form zurückschießen. Besser ist es, zu lernen, wie ich solche Attacken erkenne, entlarve und ins Leere laufen lasse. Das hat dem Team geholfen. • Sie können sich Gedanken machen über Ihr Team-Selbstbild. Auch über die Sache mit der Kugel. Werden Sie auch von anderen so gesehen? Passt dieses gelebte Selbstbild wirklich zu Ihnen? Können Sie es erweitern, verändern, überwinden? Es gab ein klares Ja dazu, die Opferhaltung zu verlassen und sich im Unternehmen neu und anders zu zeigen. Auch das hat geholfen. • In diesem Fall aber vermutlich zentral: Es war für das Team undenkbar, den anderen Bereichen zu vertrauen. Zu viel war in der Vergangenheit vorgefallen. Zu schwierig war und blieb die Zusammenarbeit. Erst der Ansatz „psychologische Sicherheit“ konnte hier eine Brücke bilden. Glauben an die Gruppennorm – ja, das ist in einem stark wertegebundenen Unternehmen gut machbar. Schritt für Schritt gelang es dem Team und jedem einzelnen, neu auf die anderen Bereiche zuzugehen. Mit mehr Kommunikationsinstrumenten, neuem Selbstverständnis, vor allem aber anderer Grundhaltung.
2.3.2 Motivation – so wichtig! Wenn ich mit Führungskräften über Motivation spreche, stelle ich gerne diese Thesen an den Anfang: • Man kann niemanden motivieren. • Du kannst helfen, eine Umgebung zu schaffen, in der die Eigenmotivation zum Tragen kommt.
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• Alle Menschen sind motiviert. • Menschen tun etwas aus Gründen, die sie selbst wichtig finden, und nicht aus Gründen, die andere wichtig finden. Wie sehen Sie das? Über Motivation ist viel geforscht und geschrieben worden. Ich empfehle gerne das RSA-Animate (2010): „The surprising Truth about what motivates us“. Zumal es mit dem Irrtum aufräumt, Geld sei der entscheidende Motivator. Ebenso gerne stelle ich die Ideen des Buches „Gung Ho! Wie Sie jedes Team in Höchstform bringen“ von Kenneth Blanchard und Sheldon M. Bowles (2018) vor. Im Kern sind es immer wieder die gleichen Faktoren, die hier und in anderen Quellen als Motivatoren genannt werden: Sinn Menschen sind motiviert für sinnvolle Tätigkeiten. Bei Blanchard/ Bowles heißt das „der Geist des Eichhörnchens“ und meint, dass wir mit unserer Arbeit die Welt ein bisschen besser machen. Auch eine vergessene, vergrabene Nuss ist sinnvoll. Aus ihr wächst ein Baum. Nachhaltigkeit also. Für Führung meint das zweierlei: Unternehmen kennen und kommunizieren ihren Sinn, ihre Art, die Welt ein bisschen besser zu machen. Und: Wir erreichen unsere Ziele gemeinsam, jeder Beitrag zählt. Dass ist es, was jede und jeder im Unternehmen spüren sollte. Autonomie „Den Weg des Bibers – selbst bestimmen, wie das Ziel zu erreichen ist“ heißt das bei Gung Ho. Verbunden mit dem Hinweis, dass Biber gigantische Dämme bauen, ohne Architekt, Statiker oder Bauaufsicht. Das Bild sagt: Jeder Biber weiß, was zu tun ist – kennt das Ziel – und handelt entsprechend. So entsteht aus einzelnen Aktionen ein sinnvolles Ganzes. Das entscheidende Learning hier: Menschen möchten mitentscheiden können über das, was sie tun und vor allem, wie sie es tun. Die ersten Burnout-Fälle gab es nicht in Chefetagen. Das Phänomen wurde zunächst am Fließband beobachtet. Es macht Menschen fertig, wenn sie keine Freiräume, keine Autonomie haben. Es ist gut, wenn Aufgaben klar abgegrenzt, ruhig fordernd, aber machbar sind.
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Begeisterung Die letzte Metapher heißt „das Geschenk der Gans – andere begeistern und anfeuern“. Warum schnattern Gänse, wenn sie in Formation gen Süden oder Norden fliegen? Man könnte doch meinen, fliegen sei anstrengend genug. Da muss man nicht auch noch schnattern. Nun, es ist vielleicht keine ornithologische Antwort, das weiß ich nicht. Aber Gung Ho sagt, die Gänse schaffen damit ein Gefühl von Zusammenhalt, sie feuern sich gegenseitig an, sie schaffen eine Stimmung von Begeisterung. Ein motivierendes Umfeld ist ganz sicher eines, in dem Menschen sich gegenseitig Kraft geben. Es geht darum, Leistungen sichtbar zu machen. Fortschritt und Erfolge zu feiern. Lob ist dafür ganz wichtig. Personal Mastery In dem RSA-Animate wird noch ein anderer Aspekt betont: Warum sind Wikipedia und Linux entstanden? Weil Menschen, neben ihrem normalen Job, Zeit und Energie investiert haben, um etwas Besonderes zu schaffen. Hier heißt das Personal Mastery. Der Wunsch nach Sichtbarkeit. Nach Nutzung der eigenen Stärken. Auch danach, etwas Bleibendes zu schaffen. Sie können anderen Ansätzen folgen. Andere Logiken nutzen. Sie werden diese Elemente immer wieder finden: Sinn, Autonomie, Begeisterung, Personal Mastery. Und noch etwas anderes ist zentral für Motivation: Sie wird immer auf zwei Ebenen wirken: Individuell und im Team. Zwei Ebenen Die Unternehmensberatung Blessing White hat dazu ein sehr treffendes Bild, genannt X-Modell entwickelt (Capaldi, 2012). Eine Matrix bildet ab, Sie sehen das auch in der Tab. 2.5: • Befriedigung durch die eigene Arbeit – bezogen auf die Erreichung individueller Ziele. • Beitrag zum Erfolg des Unternehmens – bezogen auf die Erreichung gemeinsamen Ziele.
108 C. Andriof Tab. 2.5 Blessing White X-Modell
Hoher Erfolg beim Erreichen der Unternehmens-Ziele Hoher Erfolg beim Erreichen individueller Ziele Geringer Erfolg beim Erreichen individueller Ziele
Geringer Erfolg beim Erreichen der Unternehmens-Ziele
Engaged/almost engaged Honeymooners & Hamsters Crash & Burners
Disengaged
Engaged/almost engaged nennt das Modell diejenige, die in beiden Dimensionen stark sind. Disengaged den Gegenpol. Besonders spannend finde ich die beiden anderen Felder: Diejenigen, die maximalen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten, aber ihre eigenen Ziele aus dem Blick verlieren, heißen hier Crash & Burners. Selbsterklärend. Und sicherlich kein guter Zustand. Führung ist gefragt. Diejenigen, die zwar ihren eigenen Zielen folgen, aber nicht wirklich maximal zum Unternehmenserfolg beitragen, heißen Honeymooners & Hamsters. Ich verstehe das so: Honeymooners sind noch nicht lange dabei. Ihr Beitrag wird sich entwickeln. Hamster sind da problematischer. Sie packen sich die Backen voll mit all dem, was das Unternehmen bietet, mit 13tem Monatsgehalt, Fortbildungen, Reputation. Und leisten nicht. Bei einem meiner Kunden wurden diese mal in einem Workshop als „Unternehmensbewohner“ bezeichnet. Auf jeden Fall eine Aufgabe für Führung. Für die Praxis noch ein wichtiger Hinweis: Stellen Sie sich vor, Sie haben einen „Hamster-Mitarbeiter“. Er oder sie folgt den eigenen Zielen. Leistet dabei aber nicht den erwarteten Beitrag zu den Unternehmenszielen. Wenn Sie dieser Person jetzt das Erreichen der eigenen Ziele erschweren, „fällt“ sie in den Bereich Disengaged. Tendenziell ist jetzt niemandem geholfen. Es sei denn, Sie möchten, dass diese Person krank wird oder kündigt. Was können Sie also tun, um einen höheren Beitrag zum Unternehmenserfolg einzufordern? Fehlen Informationen, Fähigkeiten, Chancen? Reicht schon die Ansprache und ein entsprechendes Feedback?
2 Theorie U in der Führungspraxis 109
Engels- und Teufelskreis Gerade in der täglichen Führungskommunikation entscheidet sich, ob wir motivierend oder demotivierend wirken. Bei Haberleitner et.al. wird das beschrieben als Engels- und Teufelskreis (Haberleitner et al. 2009, S. 55–56). Im Engelskreis hat die Führungskraft Vertrauen in den Mitarbeiter, es wird zum Selbst-Vertrauen und führt zu guten Ergebnissen, der Vertrauensvorschuss wird bestätigt und gerne verstärkt. Der Teufelskreis, klar, funktioniert auch: Wenn ich meinem Mitarbeiter wenig zutraue, wird er oder sie verunsichert reagieren, vermutlich mehr Fehler machen und ich fühle mich in meiner skeptischen Haltung bestärkt. Zurück zu den Eingangsthesen: Man kann niemanden motivieren? Doch, ich denke schon. Indem ich ein motivierendes Umfeld schaffe. Nur dann können intrinsische Motivationen wirken – Stichwort: Alle Menschen sind motiviert. Dabei behalte ich die individuelle Ebene ebenso im Blick wie die Unternehmens-Ziele. Denn: Menschen tun etwas aus Gründen, die sie selbst wichtig finden, und nicht aus Gründen, die andere wichtig finden. Besonders wirksam ist es, wenn die Schnittmenge zwischen beiden groß ist. Dazu noch eine kleine Inspiration: Ein hochgeschätzter Kunde drückte mir, ebenso wie jedem neuen Mitarbeiter, John Streleckys Buch „The Big Five for Life“ in die Hand (Strelecky 2009). Was wirklich zählt im Leben … ja, darum geht es. Die „Big Five“ sind tiefergelegte Ziele, sind Herzenswünsche und es braucht eine kleine Entdeckungsreise zu sich selbst, um sie zu finden. Doch der Aufwand lohnt: Wer seine „Big Five“ kennt, entscheidet leichter und besser bei den kleineren und größeren Fragen des Lebens. Ziel ist es, gar nicht erst eine Kluft zwischen „Work“ und „Life“ entstehen zu lassen. Sie haben vielleicht beim Lesen den Eindruck, dass wir uns jetzt doch recht weit vom Thema Theorie U entfernt haben. Nun, ich finde die zitierten Ideen zum Thema am hilfreichsten. Die Fallbeispiele mögen Ihnen zeigen, wie Sie das mit konkreten Ansätzen aus der Theorie U kombinieren können.
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Fallbeispiel: Team-Motivation Sinn, Autonomie, Begeisterung, Personal Mastery. Dazu die beiden Ebenen: Beitrag zu persönlichen und Unternehmensziele. Schließlich Vertrauen. Wie können wir all das in ein schönes U übersetzen und so wirksam machen? Projekt-Teams werden oft crossfunktional zusammengestellt. Es entsteht eine Gruppe aus Menschen, die sich mehr oder weniger gut kennen (und mögen). Die eigene Ziele haben und sich doch jetzt zumindest einen Teil ihrer Arbeitszeit auf ein neues, großes und erfolgskritisches Ziel hin ausrichten sollen. In der Tab. 2.6 sehen Sie einen möglichen Ablauf und wie sich hier die beschriebenen Ansätze zu Motivation in einer klaren U-Struktur wiederfinden. Fallbeispiel: Motivation schnell gemacht Als horizontale Logik des U bezeichnen wir die Ebenen Was – Wie – Warum, die sich sowohl in der Abwärtsbewegung als auch in der Aufwärtsbewegung finden. Und so können Sie damit arbeiten: • Was: Eine Führungskraft „beschwerte“ sich bei mir über das scheinbar unmotivierte Team. • Wie: Im Gespräch nannte er viele Beispiele. Angeregt durch Fragen/ Perspektivwechsel, sah er die Beispiele in neuem Licht. • Warum: Seine Erkenntnis: „Ich habe aus meinem Elternhaus mitgebracht den Glaubenssatz ‚ganz oder gar nicht‘. Wenn Du etwas nicht perfekt und in Meisterschaft machen kannst, kannst Du es auch gleich lassen. Ich dachte eigentlich, dass ich den Glaubenssatz schon weggepackt hätte. Aber jetzt erkenne ich ihn wieder.“ • Wie: Wenn ich mich mehr auf die kleinen Fortschritte und jede einzelne positive Veränderung konzentriere, sehe ich mein Team neu. • Was: Mein Team ist motiviert. Braucht aber etwas mehr Zeit und hier und da vielleicht auch mehr Unterstützung, um so zu performen, wie ich mir das wünsche. Der Prozess führt von einem Problem-Was zu einem Lösungs-Was. Das zunächst übermächtige Wie konnte er loslassen, ein neues Wie kommen lassen. Ohne Eintauchen in das Warum wäre eine Veränderung nicht möglich gewesen.
2 Theorie U in der Führungspraxis 111 Tab. 2.6 Workshop Team-Motivation
Zeit
Ziel
90’
Das Denken öffnen
60’
90’
90’
90’
90’
Inhalt
Wir starten auf einem „Markt der Möglichkeiten“. Das Projekt wird an verschiedenen „Marktständen“ vorgestellt von den jeweiligen Verantwortlichen. In Kleingruppen besuchen die Teilnehmer die Themen, lernen, können Fragen stellen und sich einbringen Im Plenum stellen wir die Markt-Ergebnisse vor, vernetzen und diskutieren sie. Das Team ist „im Sinn“ des Projektes angekommen, dabei neugierig geworden, auf das, was kommt Wir schauen auf die Menschen im Raum, lernen uns in Das Fühlen kleinen Übungen besser kennen, auch die „Personal öffnen Mastery“ der Kolleginnen und Kollegen. Im sozialen Panorama werden Netzwerke sichtbar. Die Team-Matrix zeigt den aktuellen Status als „Zweckgemeinschaft“ und das Ziel „High Performing Team“. Gemeinsam sammeln wir Ideen für den Weg, der vor uns liegt In der Projektarchitektur sind Rollen beschrieben und Den Willen auch Regeln der Zusammenarbeit. Haben wir hier ein öffnen gleiches Verständnis? Was hilft? Was bremst? Wo ist Raum für mich, für „Autonomie“? Und vor allem, wie können wir das leben? Was mache ich künftig nicht mehr, damit Zeit und Raum da ist für das Projekt? In Kleingruppen arbeiten die Sub-Teams an diesen Fragen Noch konkreter machen wir das im Storytelling: Zu den Rollen und Aufgabe brechen wir die doch recht abstrakten Beschreibungen runter in konkretes Tun und Erleben. Wir machen „das“ Projekt zu „unserem“ Projekt Nach so viel Gespräch in der Gruppe folgt nun das Presencing Gespräch mit sich selbst: Journaling. Aus „unserem“ Projekt wird jetzt – auch – „mein“ Projekt Eine gemeinsame Team-Aktivität im Freien. Das macht Walk of Spaß, man lernt den anderen noch einmal von einer Change neuen Seite kennen, das führt zueinander. Stichwort „Begeisterung und sich gegenseitig anfeuern“ Bilder helfen uns, Ideen zu sammeln und zu verdichten: In die Umsetzung Wie sehen Ist und Ziel der Zusammenarbeit aus? Wie schließen wir das Gap zwischen beiden? So werden die kommen nächsten Schritte für das Team sehr konkret
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Fallbeispiel: Sieben Fragen für mehr Motivation Aus meiner eigenen Führungspraxis stammt folgendes Beispiel: Eine Mitarbeiterin war Coach. In einem kleinen, neu gegründeten Bereich wie Kraft & Partners gehörte dazu allerdings auch die Akquisition neuer Kunden und Aufträge. Das war vor der Einstellung so besprochen. Sie hatte es sogar explizit als ihre Stärke benannt. In der konkreten Zusammenarbeit mit ihr musste ich feststellen, dass sie sich komplett auf die Abarbeitung der (wenigen) vorhandenen Projekte konzentrierte. Von Akquisition keine Spur. 1. Von der Wertung zur Neugier: Was ist das vorherrschende Denken? Was könnte neugierig machen auf andere Sichtweisen? Wie, wollte ich wissen, stellst Du Dir Akquisition in einer Unternehmensberatung vor? Sie sagte darauf hin, sie erwarte da einfach mehr von unseren Chefs. Da käme ja nichts. Und so könne das nichts werden. Kontrastierend zu dieser Sichtweise habe ich ihr aufgezeigt, was funktioniert, was nicht. Meiner Erfahrung nach. 2. Vom Zynismus zu Empathie: Wie können wir uns in die verschiedenen Perspektiven zum Thema hineinfühlen? Immer wieder verwies sie auf unsere Chefs. Die doch ein starkes Netzwerk hätten. Wo es doch eine Leichtigkeit sein sollte, Kontakte zu nutzen. Wir surften gedanklich durch verschiedene Perspektiven zum Thema. In meiner Wahrnehmung blieb sie unmotiviert, was eigene Aktivitäten zur Neukundengewinnung anging. 3. Von Angst zu Mut: Wie können wir erkennen, was uns bremst? Wie gelingt Loslassen? Was bremst Dich? Eine wichtige Frage. Neben dem – aus meiner Sicht – unvollständigen Verständnis ihrer Aufgabe, war es auch schlicht Angst. Was, wenn es ihr nicht gelänge, Kunden zu gewinnen? In ihrer vorherigen Position hatte sie ähnliches erlebt mit fatalen Konsequenzen. Natürlich ist das ein wenig irrational. Ihre fehlenden Aktivitäten „gefährdeten“ ihre Position viel eher, als wenn etwas nicht klappt. Kein einfacher Weg. Es galt für mich, hier Vertrauen aufzubauen.
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4. Wendepunkt: Wie gestalten wir Presencing? Hej, was geht? Ich bat sie nach langen Gesprächen, schriftlich zu reflektieren. Ein Journaling nur für sie selbst. Ich gab ihr noch eines mit auf den Weg: „Sieh’ unsere Chefs bitte eher als Aufsichtsrat, denn als Vorstand. Das hier ist unser Baby, unsere kleine Firma. Wir machen das Business.“ So in der Art. 5.–7. Kreativ denken: Wie können wir Ideen sammeln? Wie können wir die Ideen dann verdichten? Prototypen: Wie können wir daraus Maßnahmen erarbeiten? Umsetzen: Wie verproben wir diese? Wie machen wir weiter? Hochmotiviert kam sie ein paar Tage später wieder zu mir. Immer wieder war sie für sich selbst durch das U gegangen. Vor allem aber hatte sie die Aufsichtsrat-Metapher weitergedacht. Ein Bündel voller Ideen, ein paar konkrete Ansätze und vor allem unfassbar viel Elan. Das waren die konkreten Ergebnisse. Dabei waren es nicht so sehr die Gespräche, die sie ganz neu motiviert haben. Die waren nur Input. Sondern vor allem des intensiven Journaling. Mit den richtigen Fragen und Bildern im Gepäck. Es macht absolut Sinn, wenn Sie von hier aus noch mal auf meine Eingangsthesen schauen: • Man kann niemanden motivieren. • Du kannst helfen, eine Umgebung zu schaffen, in der die Eigenmotivation zum Tragen kommt. • Alle Menschen sind motiviert. • Menschen tun etwas aus Gründen, die sie selbst wichtig finden, und nicht aus Gründen, die andere wichtig finden. Natürlich kann Journaling ein absoluter Motivations-Booster sein. Denn es ist eine Technik, die uns ganz zu uns selbst führt. Die uns dabei sichtbar macht, was wir wichtig finden. Und wie wir das in einen Prozess oder auf dem Weg zu einem Ziel operationalisieren können. Sie können die Methode Journaling für sich selbst nutzen oder auch für Ihr Team. Sie stellen die Fragen, jede und jeder schreibt. Sie lassen ausreichend Zeit zwischen den Fragen, mindestens zwei Minuten. Es geht nicht darum, die Fragen konkret zu beantworten. Die Idee ist, die
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Gedanken fließen zu lassen. Die Fragen geben Impulse in den Schreibprozess. Trauen Sie sich ruhig, diese wunderbare Methode zu nutzen. Die skeptischen Blicke vorab können Sie aushalten. Und Sie werden durch blitzende Augen danach belohnt. Um Ihnen den Einstieg in ein Journaling zu erleichtern, hier die neun Fragen, denen ich im Journaling folge. Ausführlicher vorgestellt finden Sie die Methode in der Presencing-Community oder in meinem „Praxisbuch für wirksame Veränderung“. 1. Challenges Es geht um Veränderung, Weiterentwicklung. Themen wie Ziele, Zusammenarbeit, Kommunikation. Blicken Sie kurz auf sich selbst und Ihren Arbeitsbereich. Was sind die zwei oder drei größten Herausforderungen, die Sie für sich sehen? 2. Ressourcen Wenn Sie sich diesen Herausforderungen stellen, was gibt Ihnen da die nötige Kraft und Entschlossenheit? Woher nehmen sie die Energie für diesen Prozess? Welche Ressourcen brauchen Sie? 3. Your Community Wer gehört zu diesem Team? Was erwartet und hofft das Team für die Zukunft? Was wünscht sich dieses Team? 4. Helicopter Betrachten Sie jetzt Ihr Team und sich selbst von oben, als säßen Sie in einem Hubschrauber. Heute. Was sind heute Ihre Schwerpunkte? Worum kümmern Sie sich? Was tun Sie zurzeit? 5. Letting-go Was von dem, was sie heute tun, werden Sie in Zukunft nicht mehr tun? Was lassen Sie los? Und für was nutzen Sie den freiwerdenden Raum? 6. Seeds Was haben Sie sich vorgenommen? Was von dem, was Sie jetzt tun, entspricht schon der neuen Ausrichtung? Was davon trägt bereits den Keim der Zukunft in sich? 7. Prototyping Wenn Sie in den nächsten Wochen arbeiten, wenn Sie stärker auf Ziele gucken und aktiv den Wandel unterstützen – was tun Sie dann? Welche Prototypen des Neuen probieren Sie aus?
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8. People Wer kann Ihnen dabei helfen, das Neue zu gestalten? Mit wem sprechen Sie? Wer sind Ihre wichtigsten Helfer und Partner? 9. Action Wenn Sie jetzt den kulturellen Wandel leben, welche praktischen ersten Schritte werden Sie in den nächsten Tagen angehen? Was brauchen Sie dafür? Was bringen Sie ein? Was ist die Herausforderung? Woher nehmen Sie Energie?
2.3.3 Fehler-Kultur als Führungsaufgabe Waren Sie schon mal bei einer Fuck-up-Night? Als Ursprungsgeschichte wird berichtet, dass sich im Jahre 2012 in Mexiko ein paar Freunde über ihre unternehmerischen Erfahrungen unterhielten. Auch und gerade über ihre Fehler. Ihnen wurde bewusst, dass dieser Austausch wertvoll war, und sie gründeten eine Bewegung. Auf Fuck-upNights berichten Menschen von ihrem Scheitern, sie teilen es, um ihre Erfahrungen für andere nutzbar zu machen. Doch es ist noch mehr: Fehler werden aus den Ecken „Schuld“ und „Scham“ herausgezogen. Sie gehören zum mutigen Handeln dazu und können zu wertvollen Treibern für die weitere Entwicklung werden. Auch in vielen Unternehmen gibt es ein Umdenken zum Thema Fehler. Von „Fehler dürfen nicht passieren“ zu „Lass uns aus Fehlern lernen“, gerne verbunden mit dem Hinweis, dass sie aber dennoch nicht, oder zumindest nicht mehrfach vorkommen sollten. Klar ist, wenn es keine gute Fehler-Kultur gibt, werden trotzdem Fehler passieren. Diese werden dann tendenziell vertuscht, was die Konsequenzen noch verschlimmern kann. Die Lernchance wird definitiv vertan, gerade wenn die – doch tatsächlich ziemlich uninteressante – „Schuldfrage“ zum zentralen Thema gemacht wird. Fehlende Fehler-Kultur ist gleichzeitig Ursache, Folge und Verstärker einer Angst-Kultur. Das wollen Sie nicht. Wie kann ich in meinem Team zum Thema Fehler eine Entwicklung anstoßen? Vier Bewegungen können helfen. Für alle gilt: Sie müssen konsequent gelebt werden und ehrlich, authentisch sein.
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Vorbild Wie gehen Sie als Führungskraft mit eigenen Fehlern um? Offen, Sie sprechen darüber, Sie zeigen, wie Sie daraus lernen? Das ist Basis für eine gute Fehler-Kultur. Wann immer ich es erlebt habe, dass Führungskräfte aktiv eigene Fehler ansprechen, war es beides: beeindruckend und wirksam. Ich war einmal dabei, als der vor Monaten in den Ruhestand gegangene Firmeninhaber, eine sehr prägende und starke Führungskraft, seinem Nachfolger und dem gesamten Management-Team sagte: „Sie müssen alte Zöpfe abschneiden. Ich habe das versäumt. Ich habe aus meiner Weltsicht heraus Dinge beibehalten, die uns heute lähmen. Und anderes nicht angestoßen, was uns heute schmerzlich fehlt. Bitte, Sie müssen das anpacken.“ Was für eine Haltung! Es ging schließlich um sein Lebenswerk und um ein sehr erfolgreiches Unternehmen. Solche Vorbilder haben Wirkung. Falls es Ihnen persönlich schwerfällt, über eigene Fehler zu sprechen, empfehle ich Ihnen folgende kleine Übungen: „Ich bin schuld!“ – bestimmen Sie, wer an welchem Tag „Schuld hat“. An allem. Wir haben das früher bei Familienurlauben so gemacht. Ganz egal, was passiert ist, selbst für das Wetter oder den Stau – jeden Tag hatte einer (im Wechsel) Schuld an allem. Abgesehen davon, dass es zu einer lässigen, lustigen Atmosphäre führt, trainiert es ungemein den eigenen entspannten Umgang mit „Fehlern“. Das geht auch im Team. „Wie peinlich“ – blamieren Sie sich. Drei Wochen lang. Jeden Tag. Tun Sie jeden Tag etwas, das für Sie ein wenig unangenehm ist. Sollte sich über den Tag keine Möglichkeit ergeben, gehen Sie abends in eine Kneipe und benehmen sich ein bisschen (!) daneben. Sie werden merken, wie sie Schritt für Schritt entspannter dabei werden, auch Unangenehmes zu tun oder anzusprechen. Alles nicht so schlimm. Diese Erfahrung kann Ihnen helfen, wenn Sie offen über eigene Fehler sprechen möchten. Mut machen Wie gehen Sie mit Fehlern um, die passiert sind? Das hat auch mit Selbstdisziplin zu tun. Denn natürlich ist es ärgerlich, wenn etwas schief
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geht. Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen, auch das zu trainieren. Ihre erste Reaktion wird direkt wahrgenommen, auch Mimik, Gestik, Stimme. Nur wenn Sie in sich selbst ganz klar sind, werden Sie auch überzeugend kommunizieren. Mitten in der Dotcom-Krise, als es wirklich schwierig war, wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben, ja, sogar schon die erste Entlassung im Raum stand, hat mein Team einen wichtigen Kunden verloren. Die zuständige Beraterin konnten mir kaum in die Augen schauen, als sie mir davon berichtete. Ihre Körperhaltung zeigte Resignation. Ich musste etwas tun. Wir haben uns dann zusammengesetzt und ich habe nur eine Frage gestellt: „Was ist gut daran, dass wir den Kunden verloren haben?“ Die erste Reaktion war körperlich spürbar: aufrichten, Luft holen, umgucken. Und dann sprudelte es nur so. Am Ende war nicht nur der Fehler verstanden. Es war auch klar, wie wir diesen Fehler bei anderen Kunden vermeiden konnten. Und es war Mut da, die Erfahrungen aus dem verlorenen Mandat anderen Unternehmen anzubieten, also aktiv in die Akquise zu gehen. Sichtbarkeit Gibt es eine „Bühne für Fehler“? Sie müssen es nicht Fuck-up-Night nennen. Auch in den regelmäßigen Meetings oder bei eher informellen Teamevents kann eine Bühne entstehen. Was passiert, wenn Fehler-Kultur hauptsächlich in der Gerüchteküche stattfindet, habe ich vor einigen Jahren bei einem Kunden erlebt. Mir wurde im Coaching von verschiedenen Führungskräften der gleiche Vorfall berichtet: Ein Kollege hatte einen Fehler gemacht und wurde deshalb (!) entlassen. Alle waren sich einig: Offener Umgang mit Fehlern wurde zwar von der Unternehmensführung eingefordert. Aber das seien nur Lippenbekenntnisse. In der Praxis solle man das doch lieber sein lassen. Ich habe dann ein wenig nachgeforscht. Tatsächlich war der Vorfall viele Jahre her und es waren andere Gründe für die Entlassung ausschlaggebend. Solche Geschichten halten sich hartnäckig. Schaffen Sie daher aktiv ein Forum, eine Routine – insgesamt Sichtbarkeit für Fehler.
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Aufmerksamkeit Schauen Sie genau hin: Was sind die tieferen Gründe für Fehler, wo besteht Handlungsbedarf? Zu enge Vorgaben oder zu hohe Erwartungen laden geradezu dazu ein, darum herumzubauen. Und schon gibt es eine Abweichung von den Vorgaben, ein erstes Fehlverhalten. Fragen Sie auch: Was ist mein Anteil als Führungskraft an diesem Fehler? Wenn ich eine Angst-Atmosphäre schaffe oder zulasse, werden Fehler eher vertuscht. Gerade dieser Aspekt war wichtig, in dem Fallbeispiel, das ich mit Ihnen teilen möchte. Noch ein anderes Phänomen braucht Ihre Aufmerksamkeit als Führungskraft: Laut einer Studie von EY (Vgl. Taapken 2023) gibt es bei dem Thema eine asynchrone Bewertung durch Führungskräfte und Mitarbeiter: • „Wir haben eine offenen Diskussionskultur zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten“ sagen 60 % der Führungskräfte, aber nur 50 % der Mitarbeiter. • „Fehler werden nicht angesprochen“ sagen 37 % der Führungskräfte, aber 57 % der Angestellten. • Und warum werden Fehler nicht angesprochen? Führungskräfte sehen vor allem alte Gewohnheiten (50 %), die Angst vor Gesichtsverlust (48 %) und fehlendes unternehmerisches Denken der Mitarbeitenden (38 %) als Hindernisse. Die Mitarbeitenden nennen zudem verstärkt, dass Führungskräfte kein vorbildliches Verhalten an den Tag legen (38 %). Ihre eigene Sichtweise muss also nicht zwingend auch die Ihrer Mitarbeiter sein. Hingucken! Fallbeispiel: Fehler oder Manipulation? Ein Kunde bat mich um Unterstützung bei diesem Thema: Es war mehrfach vorgekommen, dass Service-Mitarbeiter die notwendigen Wartungen an den Maschinen beim Kunden nicht 100 % korrekt durchgeführt hatten. Da gab es alles von kleineren Abweichungen von der vorgeschriebenen Prozedur, eine Abdeckplatte wurde nicht demontiert, man konnte ja auch so alles sehen. Bis hin zu echtem
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Betrug, es wurde gar nicht gewartet, sondern ein altes Protokoll hochgeladen. Zwei Aspekte haben das – latent vorhandene und bekannte – Thema eskaliert. Schon immer galt, wurde tatsächlich Betrug festgestellt, erfolgte eine sofortige Entlassung. Das war geschehen. Und: Durch digitale Systeme wurde das Handeln der Mitarbeiter vor Ort transparenter, Abweichungen wurden automatisiert festgestellt. Das Ziel der Bereichsleitung war: Wir möchten bei den nächsten Mitarbeitermeetings darüber offen sprechen. Wir erwarten, dass stets korrekt gearbeitet wird. Wir möchten vermeiden, dass der große Anteil an Mitarbeitern, der das eh tut, sich angegriffen fühlt. Wir möchten Klarheit schaffen bezüglich der Kündigung des langjährigen Mitarbeiters. Wir wissen, dass er aus Überforderung betrogen hat und nicht aus bösem Willen. Es sollen keine Gerüchte entstehen. Auch was das neue digitale System kann und tut, ist noch nicht wirklich klar. Wir vertrauen unseren Mitarbeitern, es soll nicht der Eindruck entstehen, sie würden überwacht. Das System ist als Hilfestellung gedacht. Das ist eine komplexe Aufgabe. In einem schönen U haben wir in einem Workshop daran gearbeitet, eine Übersicht dazu in der Tab. 2.6. Das Denken öffnen Wir starten mit einem Impuls des Kunden zu Situation, vermuteten Gründen, möglichen Konsequenzen. Und einem Impuls von mir zu Fehlerkultur vs. Manipulation. Der rationale Einstieg ist wichtig. Auch und gerade, weil es um so viele Emotionen geht bei dem Thema. Im Impuls des Kunden werden alle abgeholt, können ihre Sichtweise ergänzen. Letztlich ist jetzt alles angesprochen, was sowieso schon zu dem Thema gesagt und gedacht wurde. Es kann uns damit bei der weiteren Arbeit nicht „stören“. Wir wollen ja einen neuen Zugang finden. Dafür gilt es, das Bestehende zu würdigen. In meinem Impuls war es mir wichtig, wirklich neue und überraschende Fakten in den Diskurs zu bringen. Beispielsweise das oben angesprochene Phänomen der asynchronen Sichtweisen. Das Fühlen öffnen Als nächstes diskutieren wir zu verschiedenen Stories, die ich mitgebracht habe: Ist das dort beschriebene Fehlverhalten „okay“, „naja“ oder „geht gar nicht“? Bei unterschiedlichen
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Bewertungen gilt es zu verstehen: Aus welcher Perspektive habe ich das Verhalten gesehen? Danach wenden wir uns erneut dem eigentlichen Thema zu, indem wir uns in die Schuhe des anderen stellen: Sei jemand, der einen Fehler gemacht hat. Sei jemand, der manipuliert. Sei jemand, der immer korrekt arbeitet. Sei der Kunde. All das war aus meiner Sicht der wichtigste Öffnungsschritt: Perspektivwechsel. Immer wieder. Zu Themen, die nichts mit mir zu tun haben. Weil das leichter fällt. Und dann zum Kern der Sache. Nur wenn wir wirklich verstehen, was Menschen zu ihrem Fehlverhalten bewegt, können wir angemessen auf sie eingehen. Besonders spannend: Eine der Geschichten, die ich mitgebracht habe, lautete: Die Mitarbeiterin eines Impfzentrums bei Schortens hat eingeräumt, sechs Spritzen, statt mit dem Biontech-Impfstoff mit Kochsalzlösung gefüllt zu haben. Ihr sei zuvor beim Anmischen ein Fläschchen mit dem Vakzin heruntergefallen, was sie anschließend vertuschen wollte. Danach wurde der Impfschutz von mehr als 100 Menschen, die an diesem Tag geimpft wurden, zunächst mit Antikörpertests überprüft. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln seitdem in dem Fall. (Vgl. Kals 2020)
Natürlich fand niemand das Verhalten der Mitarbeiterin okay. Doch sehr schnell verlagerte sich das Gespräch auf ihre Führungskraft. Was hat diese getan oder gelassen, dass die Mitarbeiterin ihren Fehler vertuscht hat. Den Willen öffnen Es folgte eine gemeinsame Reflexion zu den Fragen: Was können/müssen wir tun? Was machen wir in Zukunft nicht mehr? Hier begann bereits, was dann nach dem Journaling und in der Maßnahmenplanung sehr konkret wurde: Es ist nicht nur eine Kommunikation an die Mitarbeiter nötig. Es muss auch darum gehen, welche Rahmenbedingungen Mitarbeiter haben. Wo bereiten überkomplexe Checklisten oder zu enge Taktung von Terminen den Boden für Fehlverhalten? Wo fehlt es an Vertrauen und offener Kommunikation, um mit Fehlern umzugehen. Auch wichtig: Wir sollten unterscheiden zwischen „ups!“-Fehlern und Betrug.
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Presencing Im Journaling schreibt jeder zu den Fragen: Was kann/ muss ich tun? Was mache ich in Zukunft nicht mehr? Jeder ist ganz bei sich. Blickt auf die eigene Verantwortung und die eigenen Handlungsoptionen. Das ist gut und wichtig. Aufwärtsbewegung des U Nach all diesem Öffnen, Perspektivwechseln, Reflektieren fällt das Folgende leicht: Ideen, Maßnahmen, Umsetzungsplanung. Was sind konkrete Ansätze für Veränderung wie halten wir das nach? Wir sammeln all das, was wir bisher besprochen und verstanden haben ein. Zuerst in sprachlichen Bildern. Wären wir eine Fußballmannschaft, was würden wir tun? Wären wir eine Rock-Band, was wäre die Herausforderung? Ein Formel-1-Team? Andere Analogien? Dann entsteht am Whiteboard ein Mind-Map der zentralen Botschaften. Die Aufbereitung zu einer Kommunikation und einem Prozess nehme ich als Aufgabe mit. Tatsächlich gelingt es, das ganze Thema in ein Bild/PowerPointChart zu bringen. Die zentrale Botschaft: Die Tätigkeit vor Ort machen wir gemeinsam, nur eben mit unterschiedlicher Zuständigkeit: • Zentral geht es darum, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Zum Beispiel Checklisten und Dokumentation zu verschlanken. Dabei sind die Erfahrungen und Anregungen jedes einzelnen wichtig. Da ist wohl in der Vergangenheit das eine oder andere liegen geblieben. Lösungen sollen gemeinsam erarbeitet werden. • Dezentral ist dann die Umsetzung beim Kunden. Dort bleibt der Anspruch, 100 % korrekter Arbeit. Hinzu kommt der Hinweis „Ups! Fehler passieren. Das ist kein Problem, wenn offene Kommunikation und Lösung folgen. Vertuschen geht gar nicht. • Das verbindende Element ist eine offene und ehrliche Kommunikation. Das meint auch Klarheit über Konsequenzen. Im Sinne von, wenn ein Fehler passiert – wir sprechen darüber und finden eine Lösung. Jede Form von Manipulation, Lüge, Betrug bedeutet Exit. Klare Kommunikation beschreibt auch, dass die neue Transparenz durch das IT-System erklärt wird und man gemeinsam lernt, damit umzugehen, es als Unterstützung zu verstehen (Tab. 2.7).
122 C. Andriof Tab. 2.7 Workshop Fehler-Kultur
Zeit
Schritt
60’
Impuls Kunde: Status Quo Impuls extern: Das Thema verstehen Perspektivwechsel anhand Stories Das Fühlen öffnen Perspektivwechsel zum Thema Zusammenfassung. Fokussierung auf Den Willen öffnen Barrieren, was tun wir nicht mehr? Journaling Presencing Übersetzung in Bilder Ideen finden, Mind-Map Konkretisieren, Umsetzung beschreiben Kommunikation und Prozess
60’ 30’ 30’ 60’
Methode
Das Denken öffnen
Das sehr positives Feedback von der Veranstaltung, auf der dies mit allen Mitarbeitern besprochen wurde, bestätigte meine subjektive Wahrnehmung: Es ist dem Führungsteam gut gelungen, einen neuen und zu Aufgabe und Menschen passenden Ansatz zur Fehler-Kultur zu finden.
2.3.4 Führen bei rauer See Als Nordlicht sei mir diese Metapher erlaubt: Raue See. Jetzt ist nicht nur der Kapitän/die Kapitänin gefragt, jede und jeder an Bord ist wichtig und wird gebraucht. Eine Herausforderung für Führung – und das unter deutlich erschwerten Bedingungen. Oft richtet sich der Fokus jetzt auf das Operative, auf das Krisenmanagement. Dabei ist der Blick auf die Menschen, die Teams so wichtig. Nicht immer läuft es rund in Unternehmen. Veränderungen sind zum Normalfall geworden. Und Krisen auch fast. Was Krisen sind, liegt durchaus auch im Auge des Betrachters – das habe ich in vielen Jahren als Krisenberater gelernt. Natürlich gibt es die Unglücke, Havarien, Cyberattacken, Krieg, Pandemie – dramatischen Ereignisse, meist von außen oder durch höhere Gewalt verursacht. Dann kennen Unternehmen Krisen, die von innen kommen, zum Beispiel durch individuelles Fehlverhalten wie gravierende Compliance-Verstöße. Aber da ist auch der große Graubereich: tiefgreifende Marktveränderungen, anhaltend schlechte Performance, Fachkräftemangel, Veränderungen, die nicht greifen wollen – auch diese können sich krisenhaft zuspitzen.
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Von Krisen spreche ich, wenn es echte Gefahr gibt und sich die Situation dynamisch negativ entwickelt. Wie ein Unternehmen mit einer Krise umgeht, wird im Verlauf der Krise selbst zum Thema. Vielleicht haben Sie das während oder nach der Pandemie erlebt: Die Verbundenheit der Mitarbeiter mit dem Unternehmen wird größer oder kleiner geworden sein, je nachdem wie gut Sie Ihren Bereich durch diese Zeit gebracht haben. Wie Sie durch Veränderungen führen, mit der Theorie U, das ist Thema meines „Praxisbuches für wirksame Veränderung“. Hier daher nur ein paar Grundregeln, die wir als Führungskräfte aus der KrisenKommunikation lernen können und – natürlich – ein wenig U. Ergreifen Sie die Initiative! Viele Mitarbeiter wünschen sich in kritischen Situationen Klarheit „von oben“. Sie müssen jetzt sichtbar und hörbar sein. Die meisten Krisen sind auch Kommunikationskrisen, die sich durch das Verhalten der Führungskräfte ver- oder entschärfen. Je offener, umfassender und frühzeitiger Sie informieren, desto größer ist Ihr Einfluss auf die Meinungsbildung. Menschen werden sich auf jeden Fall ihre eigenen Gedanken machen, andere Quellen fragen. Dennoch gilt: Je weniger Fragen Sie offenlassen, desto stärker wird Ihre Botschaft und Sicht der Dinge ankommen. Und: Je vollständiger Sie zu Beginn der Krise informieren, desto schneller ist diese –zumindest kommunikativ – geklärt. Das bedeutet auch: Erklären Sie, warum Sie eine Frage nicht beantworten. Geben Sie immer eine inhaltliche Antwort. Wenn Sie eine Frage ignorieren, abblocken oder ausweichend beantworten, wecken Sie den Verdacht, dass Sie etwas zu verbergen haben. Wenn Sie eine Frage nicht beantworten können, sagen Sie, warum Sie es nicht können. Erklären Sie, wann Sie fehlende Informationen nachliefern können. Sprechen Sie mit einer Stimme! Sie haben im Führungskreis über die Krise gesprochen. Natürlich. Klären Sie auch, was gesagt wird. Und dann: Halten Sie sich strikt an die vereinbarten Aussagen. Jede Information, die darüber hinausgeht oder davon abweicht, sollte vorher abgestimmt werden. Je öfter Sie Ihre Kernbotschaften in Gesprächs-
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situationen wiederholen – ohne dass es aufgesetzt wirkt –, desto nachhaltiger werden sich diese einprägen. Äußern Sie nur Gewissheiten! Vermeiden Sie jegliche Spekulation. Sagen Sie nichts, was nicht vollständig abgesichert ist. Treffen Sie keine Aussagen, die eine Verschlechterung der Rechtsposition nach sich ziehen könnten. Und denken Sie immer daran: Es geht nicht darum, was Sie eigentlich sagen wollten. Sondern was Sie gesagt haben. Nicht die Fakten entscheiden, sondern die Wahrnehmung der Fakten. Seien Sie daher sehr klar. Kommunikation ist Führung – Führung ist Kommunikation In der Krise gilt das mehr denn je. Dazu brauchen Sie ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Sie müssen sich Zeit nehmen für Kollegen und Mitarbeiter, auch wenn keine Zeit ist. Schauen Sie unbedingt auf ihr ganzes Team, jeden einzelnen. Erfahrungsgemäß gibt es Menschen, die sich in Krisen „verstecken“ und die Sie jetzt besonders brauchen. Last but not least – als ob das noch nicht genug wäre – achten Sie auch auf sich selbst und darauf, wie Sie in Balance bleiben können. Von der Zukunft her führen Auch in Krisen gilt: Nicht aus der Vergangenheit, sondern aus der Zukunft führen. Und ja, das ist schwierig, weil die Krise so viele höchst aktuelle und dringende Fragen mit sich bringt. Dennoch meine Empfehlung: Springen Sie gedanklich an das Ende der Krise und fragen Sie sich: Wie wollen wir dann sein? Und fragen Sie sich dann, was müssen wir jetzt tun, um zu diesem Punkt zu kommen? Nehmen wir an, Sie haben eine Havarie. Ein Tank mit gar nicht so ungiftigen Stoffen ist ausgelaufen. Natürlich liegt der Fokus darauf, die Folgen zu beseitigen, weitere Kontaminationen zu verhindern. Doch das Thema ist größer: Ein Kunde von mir hat viel Zeit und Kraft investiert in den Aufbau guter Beziehungen zu Anwohnerinnen, Anwohnern und Bürgerinitiativen. Das ist wichtig, denn es sichert die Licence-to-operate. Darum ist eine aktive, offene Kommunikation zur Havarie genauso wichtig, wie das operative Management. Sonst haben
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Sie am Ende zwar das Unglück eingedämmt und im Griff. Aber gleichzeitig Vertrauen zerstört und eine neue Krise begründet. Wichtig für diesen Kunden war, nicht rein fachlich einzuschätzen, dass die vorhandene Bodenwanne und Wasserschutzsysteme funktionieren würden. Sondern sich in die Perspektive anderer zu versetzen: Welche Fragen, Emotionen, Ängste haben die Nachbarn? Wie können wir darauf eingehen? Reisen Sie durch ein Mini-U: Denken, Fühlen, Willen – was ist jetzt wichtig? Wie kann die Zukunft aussehen und was müssen wir dafür tun? Wenn Sie stärker von der Zukunft her führen, sind Sie besser gefeit vor zu schnellen, nur scheinbar hilfreichen Lösungen. Ich nenne sie Notlösungen und zeichne dafür gerne ein Bild (siehe Abb. 2.9). Da ist ein Problem. Der Weg zur langfristigen Lösung erscheint zu komplex, zu teuer, zu anstrengend – was auch immer. Sie wählen die Notlösung. Und stellen kurz danach fest, dass diese das Problem verschärft. Das ist leider eine weit verbreitete Nebenwirkung von Notlösungen. Absurdes kleines Beispiel dazu: Nachdem ein Kunde mir einen Auftrag erteilt hatte, bekam ich von der Einkaufsabteilung des Unternehmens einen Anruf: Ich würde jetzt demnächst zwei schriftliche Auftragsbestätigungen bekommen. Auf meine Frage, was es mit diesem Anruf auf sich habe, war die Antwort: „Wir haben festgestellt, dass unsere Dienstleister irritiert sind, wenn sie zwei Bestätigungen bekommen, daher haben wir zur Klarstellung dieses Prozesses, diesen Anruf eingeführt.“ Ohne Worte. Ein folgenreicheres Beispiel werden Sie vermutlich aus Ihrer Führungspraxis kennen: Sie haben eine wichtige Stelle zu besetzen. Zu den von Ihnen definierten Konditionen finden Sie niemanden. In vielen Unternehmen bleibt die Position jetzt zunächst unbesetzt. Mindestens hinter vorgehaltener Hand wird angemerkt, dass die so gewonnene Budgeteinsparung hochwillkommen sei. Doch Achtung: Sie sparen kein Geld. Eine unbesetzte Stelle kostet Geld. Und das gleich zweifach. Es gibt eine Formel für Cost-of-Vacancy, mit der Sie die direkten Kosten berechnen können. Sie hatten ja eigentlich von dem Mitarbeiter einen Wertbeitrag erwartet. Der fehlt nun. Darüber hinaus entstehen Ihnen indirekte Kosten: Das Team übernimmt Aufgaben, das kann zu viel
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Abb. 2.9 Notlösungen vermeiden
werden, Motivation leidet, bis hin zu einem steigenden Krankenstand oder Kündigungen. Machen Sie sich all diese Kosten bewusst, könnte es sein, dass die „überzogenen Forderungen“ des einen Bewerbers vielleicht doch gar nicht so hoch sind? Allemal günstiger als die Notlösung, eine Stelle unbesetzt zu lassen. Auch hier helfen Perspektivwechsel, Sprung in die Zukunft. Auch hier hilft das das Mini-U: Denken, Fühlen, Willen – was ist jetzt wichtig? Wie kann die Zukunft aussehen und was müssen wir dafür tun? Auch diese Situation werden Sie kennen: Ein Kunde hat einen Change-Prozess angestoßen; es ging um ein neues Go-to-MarketModell. Parallel arbeitete man in der IT an einer komplett neuen Systemlandschaft. Die Marktlage wurde durch externe Einflüsse schwieriger, aus der Zentrale erreichte den Kunden eine klare Anforderung, zu sparen und die Vertriebserfolge zu steigern. Eine neue EU-Gesetzgebung betraf das Unternehmen im Kern und musste umgesetzt werden. Natürlich (?) hat mein Kunde versucht, all dies zu stemmen. Und natürlich (!) ist das nicht gelungen. Komplette Über-
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lastung der Organisation ist eine Notlösung, die definitiv das Problem verschärft. Nicht zuletzt, weil in einer solchen Situation früher oder später gerade die Leistungsträger ausfallen oder gehen. Leider muss ich sagen, dass in diesem Fall die Führung das Zuviel zwar gesehen hat, dass wir aber keinen echten Lösungsweg gefunden haben. Das hat auch etwas mit „Führen-nach-oben“ zu tun. Also damit, wie ich mit zentralen Entscheidungen umgehe. Lesen Sie dazu Praxiserfahrungen im zweiten Teil dieses Buches. Krisenprävention Wir wissen, dass Führung in Zeiten von Krisen so unfassbar schwierig ist. Wir wissen auch, dass die nächste Krise ganz bestimmt nicht lange auf sich warten lässt. Krisenprävention wäre da ein guter und sinnvoller Ansatz. Krisenszenarien kennen, Themen vorbereiten, Mitarbeiter sensibilisieren – all das macht Sinn. Dennoch begegne ich in Unternehmen immer noch einer „Wird-schon-nicht-passieren“- oder „Wirdschon-nicht-so-schlimm-werden“-Haltung. Auch hier wieder ein Blick in die Praxis. Ein Unternehmen möchte in eine neue IT-Infrastruktur investieren. Der Business-Case ist klar. Die Maßnahme sinnvoll. Der Zeitpunkt ideal. So „rein sachlich“ betrachtet, keine große Sache. Zumal die Verantwortlichen wissen, wie sich der Stand der Technik entwickelt hat und dass die neuen Systeme wirklich benutzerfreundlicher sind. Und dennoch: Krisenprävention bedeutet Perspektivwechsel: Was denken, fühlen, wollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Sie gehen ganz anders in ein solches Projekt, wenn Sie hier von Beginn an klar sind und die Themen aktiv angehen. Es gibt Branchen, da kann man Krisen vorhersehen. Als PharmaUnternehmen wissen Sie zum Beispiel, welche Präparate, wann den Patentschutz verlieren und was an neuen Medikamenten aus der Pipeline kommt. Ich habe ein großes Projekt begleitet, bei dem die Führung zwei Dinge gesehen hat: Wir haben – was den Umsatz angeht – schwierige Jahre vor uns. Und: Wir brauchen eine andere Form von Führungskultur und Zusammenarbeit, um da gut durchzukommen. Die Architektur der kulturellen Veränderung war sehr gelungen und
128 C. Andriof Tab. 2.8 Veränderungen Führungskultur Öffnen
Presencing
Umsetzen
Die Transformation verstehen, annehmen, • Öffnen • Presencing kommunizieren können • Umsetzen • Öffnen Encouraging Communication • Presencing • Umsetzen • Öffnen Encouraging Leadership • Presencing • Umsetzen • Öffnen Mein encouraging Leadership-Style • Presencing • Umsetzen
konnte gut greifen. Wir haben dann das aufgesetzt, was wir später den „Handshake zwischen Kommunikation und HR“ genannt haben. • Kommunikation: Es ging darum, die Veränderungen zu kommunizieren. Sehr aktiv und über verschiedene Kanäle neue Inhalte und Strukturen bekannt zu machen. • HR: Gleichzeitig ging es darum, die Veränderung der Führungskultur tatsächlich in die Köpfe und Herzen der Führungskräfte zu bringen. Vor allem durch individuelles Coaching. Geplant wurde der Gesamtprozess als großes U, strukturiert in vier kleine Us. Und das sah so aus, wie in Tab. 2.8. Führen bei rauer See meint – so verstehe ich das – von der Zukunft her führen. Nehmen Sie darum unbedingt die sieben Fragen mit in die nächste Krise, oder besser noch in die Krisenprävention. Sie führen ein Team? Das ist eine wunderbare Aufgabe! Und großartig zu erleben, wenn es gemeinsam gelingt, Herausforderungen zu meistern. Die Basis dafür schaffen Sie auf drei Ebenen: Sie sind mit sich selbst klar durch Selbstreflexion. Sie sind mit jedem einzelnen Mitarbeiter in gutem Kontakt. Und Sie schaffen für das Team ein Umfeld von Vertrauen, Motivation, erwachsenem Umgang mit Fehlern, bei ruhiger und auch bei rauer See.
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Literatur Ken Blanchard und Sheldon Bowles (2018) „Gung Ho! Rowohlt, Reinbek Helio Borges (2022) Otto Scharmer Teaches How to Shift the Inner Place From Where We Operate, https://helio-borges.medium.com/facingdisruption-with-theory-u-5467bf204c30 Zugriff: 01.07.2023 Edward Capaldi (2012) The X model of employee engagement BlessingWhite, https://www.youtube.com/watch?v=UXPUqm6sN6I Zugriff: 01.07.2023 Gennaro Cuofano (2022) Was Sind Die Vier Stufen Der Kompetenz? https:// fourweekmba.com/de/vier-Stufen-der-Kompetenz/ Zugriff: 01.07.2023 Carol S. Dweck (2007) Mindset. The New Psychology of Success. How we can learn to fulfill our potential, Ballantine, New York Amy C. Edmondson, Zhike Lei (2014) Psychological Safety: The History, Renaissance, and Future of an Interpersonal Construct. Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior Vol. 1:23–43 (Volume publication date March 2014) https://www.annualreviews.org/doi/ full/https://doi.org/10.1146/annurev-orgpsych-031413-091305 Zugriff: 01.07.2023 Roger Fisher, William Ury, Bruce Patton (2013) Das Harvard-Konzept: Der Klassiker der Verhandlungstechnik, Campus, Frankfurt am Main Dietmar Friedmann, Klaus Fritz (2004) Denken Fühlen Handeln, Deutscher Taschenbuch Verlag, München Elisabeth Haberleitner, Elisabeth Deistler, Robert Ungvari (2009) Führen, Fördern, Coachen, Piper, München Ursula Kals, Vertuschte Fehltritte: Geständnisse aus dem Job-Alltag, https:// www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/vertuschte-fehltritte-siebengestaendnisse-aus-dem-job-alltag-16609462.html#:~:text=Wie%20 immer%20war%20im%20Pflegeheim,ich%20ihn%20da%20vergessen%20habe Zugriff: 15.07.2023 Ralph Kilmann (2023) Mastering the Thomas-Kilmann Conflict Mode Instrument, Kilmann Diagnostics, Newport Coast Björn Migge (2005) Handbuch Coaching und Beratung, Beltz, Weinheim, Basel Rsa Animate (2010): The surprising truth about what motivates us. https:// www.youtube.com/watch?v=u6XAPnuFjJc Zugriff: 01.07.2023 C. Otto Scharmer (2009) Theorie U. Von der Zukunft her führen. Presencing als soziale Technik, Carl-Auer, Heidelberg C. Otto Scharmer (2019) Essentials der Theorie U, Carl-Auer, Heidelberg
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Lydia Schültken (2017) Workhacks, Haufe, Freiburg Friedemann Schulz von Thun (2019) Miteinander reden, Rowohlt, Hamburg Philipp Steubel (2022) Johari Fenster: Aufbau, Anwendung und Beispiele! https://asana.com/de/resources/what-is-johari-window Zugriff: 01.07.2023 John Streleckys (2009) The Big Five for Life, dtv, münchen Nelson Taapken, Fehlerkultur-Report 2023, Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, https://www.ey.com/de_de/news/2023/03/zweidrittel-der-fuehrungskraefte-sprechen-nicht-ueber-eigene-fehler Zugriff: 15.07.2023 Alexander Thomas (2011) Interkulturelle Handlungskompetenz, Gabler Verlag, Springer Fachmedien, Wiesbaden Paul Watzlawick, John H. Weakland, Richard Fisch (1992) Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels, Verlag Hans Huber, Bern, Göttingen, Toronto
Teil II Gespräche über Führung
3 Dialog-Interview als Methode
Ich habe mit Menschen gesprochen. Das waren aufregende, bewegende und inspirierende Stunden. Mein Dank geht an meine Gesprächspartner für ihre Zeit, ihre Offenheit und ihre Bereitschaft sehr persönliche Wege und Erfahrungen hier zu teilen. Über die Methode des „Dialog Interviews“ habe ich im „Praxisbuch für wirksame Veränderung“ schon einiges geschrieben. Wie immer, wenn es aus der U-Community kommt, geht es im Kern darum, in die Tiefe, zu den Quellen zu kommen. Sehr verkürzt gesagt, starten wir mit vorbereiteten Fragen. Das ist also der „Interview“-Teil. Durch empathisches Zuhören, im Verlauf des Gespräches wird es möglich, von dort in den „Dialog“ zu kommen. So führen Dialog-Interviews – in dem nicht-vorbereiteten Part – beide Gesprächspartner auf neues Terrain. Da wird’s spannend. Kein Wunder daher, dass es ganz unterschiedliche Gespräche waren, obwohl die Frageliste bei allen zumindest teilweise identisch war. Ebenso wenig überraschend, aber dennoch faszinierend zu hören, wie strukturiert und auf den Punkt die Antworten zu den vorbereiteten Fragen waren. Und wie viel stärker fraktal das Sprechen wurde, wenn die Gedanken sich erst in dem Moment zu Sätzen formten. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 C. Andriof, Praxisbuch für wirksame Führung – mit der Theorie U arbeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68092-6_3
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Ich hatte ja eine Idee, mit wem ich über welches Thema sprechen wollte: 1. Wie ist es mit Ideen zu führen? Das wollte ich von Herwarth Brune wissen, der einem gerne mal ein Buch zur Begrüßung überreicht. Es ging also um die erste Frage – „Neugier: Was ist das vorherrschende Denken? Was könnte neugierig machen auf andere Sichtweisen?“ Tatsächlich ging es dann ganz schnell und viel um Empathie und Menschen. Wie ich sie erreiche, auch wenn ich große Organisationen führe. 2. Mit Beate Ibiß wollte ich über Emotionalität und Leidenschaft in der Führung sprechen. Konkret zu der zweiten Frage – „Empathie: Wie können wir uns in die verschiedenen Perspektiven zum Thema hineinfühlen?“ Ist es Zufall, dass dieses Gespräch vielleicht am stärksten autobiographisch wurde? Oder ist es gerade unser persönlicher Weg, der uns zu emotionaler Führung befähigt? 3. Volltreffer. Das war mir aber auch klar. Ich musste mit Andreas Lindner über die dritte Frage sprechen, über „Mut: Wie können wir erkennen, was uns bremst? Wie gelingt Loslassen?“ Denn nirgendwo sonst habe ich bisher den Wandel einer Angstkultur zu einer Vertrauens-Kultur so erlebt, wie unter seiner Führung. 4. „Presencing? Hej, was geht?“ Die vierte Frage und der Wendepunkt des U sind, finde ich, am schwierigsten zu fassen. Der von Stephan Rathgeber formulierte Ansatz “Naked Leadership” hat mich zu ihm geführt. Ebenso wie in seinem Team erlebte Momente, die verdammt nah dran waren an Presencing. Spannend, wie er als Digital Native mit größter Selbstverständlichkeit remote und in Präsenz führen verbindet. 5. „Kreativ denken: Wie können wir Ideen sammeln? Wie können wir die Ideen dann verdichten?“ Über die fünfte Frage wollte ich unbedingt mit Christine Dübler sprechen, schon allein, um Ihnen das Schaffhaus vorzustellen. Mit Galileos Aussage „Neugier steht immer an erster Stelle eines Problems, das gelöst werden will“, hat sie dem Gespräch eine weitere Dimension gegeben. Was braucht es in der Haltung, in der Führung, damit die Menschen im Unternehmen kreativ sein können?
3 Dialog-Interview als Methode 135
6. Hansjörg Votteler kenne ich von all meinen Gesprächspartnern am längsten. Und schon vor über zwanzig Jahren hat er mich damit begeistert, wie er vom Produkt und vor allem vom Kunden kommend zum Denken in Lösungen kam. Das war der Anstoß für mich, mit ihm über die sechste Frage zu sprechen – „Prototypen: Wie können wir aus Ideen Maßnahmen erarbeiten?“ 7. Und schließlich – „Umsetzen: Wie verproben unsere Prototypen? Wie machen wir weiter?“ In der Zusammenarbeit mit Maren Otte habe ich ein unfassbar umsetzungsstarkes Team kennen gelernt. Ich wollte wissen, wie das geht, welche Art von Führung uns dahin bringt. Tatsächlich waren dann alle Gespräche vielschichtiger. Schwangen immer alle Ebenen mit. Immer wieder gelingt die Integration von Denken, Fühlen und Willen und dann der Sprung in die Umsetzung. Großartig. Eine Anmerkung noch vorweg. Es gibt so unterschiedliche Führungskontexte: Konzerne, mittelständische Unternehmen, kleine Strukturen. Dienstleistungsunternehmen, Industrie und eben auch New Work. Mein Eindruck war, die Führungskräfte, mit denen ich gesprochen habe, konnten gerade deshalb so wirksam sein, weil sie für sich den richtigen Ort gefunden haben. Sie lernen gleich sieben Menschen kennen, sieben Führungskräfte, die ihre Erfahrungen mit Ihnen teilen. Die Idee ist, dass diese „Führung Live“ Einblicke helfen, all die Theorien, Modelle und Tools mit der Wirklichkeit zu verknüpfen. Eine „Testleserin“, die dieses Manuskript für mich gelesen hat, schreibt dazu: „Ich habe mich beim Lesen immer wieder beim Dauernicken erwischt.“ Aber überzeugen Sie sich selbst.
4 Herwarth Brune: Das Denken öffnen
Herwarth Brune ist eine leidenschaftliche Führungspersönlichkeit, für den Personalentwicklung und erfolgreiche, wachstumsorientierte Transformationen im Mittelpunkt stehen. Er hat über 20 Jahre internationale Management-Erfahrung in der chemischen Industrie und 13 Jahre Führungserfahrung auf C-Level in der Dienstleistungsbranche, zuletzt als Country President einer Landesgesellschaft mit 1 Mrd. Umsatz und 22.000 Mitarbeitern. General Electric, JohnsonDiversey, Caparol, ISS, ManpowerGroup, Securitas – das waren die Stationen von Herwarth Brune.
Herwarth Brune habe ich als CEO der ManpowerGroup kennengelernt. Wenige Tage vor unserem ersten gemeinsamen Geschäftsführungs-Workshop drückte er mir vier Bücher in die Hand und sagte: „Lies das bitte. Das ist mir wichtig.“ Auch in der weiteren Zusammenarbeit habe ich ihn erlebt als jemanden, der immer wieder „das Denken öffnet“. Das eigene und das der Menschen, für die er verantwortlich ist. Seine Begeisterung dabei ist absolut ansteckend. Ich wollte mehr darüber erfahren. Im Gespräch beginne ich mit der Frage nach seinen ersten Erfahrungen als Geschäftsführer: Das war bei JohnsonDiversey. Er erzählt mir vom Start © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 C. Andriof, Praxisbuch für wirksame Führung – mit der Theorie U arbeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68092-6_4
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in die erste wirklich große Führungsaufgabe – 500 Mitarbeiter, 100 Mio. € Umsatz, eine Chemiefabrik. Wie startet man da? Ich habe versucht, immer offen, authentisch, mit viel Kommunikation und ohne Dünkel zu führen. Und ich glaube, das hat mir auch den Start erleichtert. Ich wollte gleich von Anfang an viel lernen. Darum habe ich mich vorab mit dem Personalchef getroffen und ihm gesagt: Mensch, lad doch bitte mal diese Gruppe ein in einen Meeting-Raum und dann lass die Post-its schreiben mit Fragen an mich, an den Neuen. Lad bitte auch den Betriebsrat ein. Und nicht nur das Management, sondern auch ein, zwei Ebenen darunter. Die erste Reaktion war: „Das ist bei uns nicht üblich.“ Mir war das wichtig. Auch das mit den Post-its. Wenn Du als Neuer um Fragen bittest, bekommst Du genau Null. Wenn Du die aufschreiben kannst, geht das. Der Personalchef liest die dann vor. Das kam total klasse an und da war schon mal das Eis gebrochen. Auch die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat von Beginn an war unheimlich hilfreich, wir haben ein sehr vertrauensvolles Verhältnis entwickelt, was wichtig war bei den vielen Veränderungen, die wir durchführen mussten. Was ist das Wichtigste für Dich, in Sachen Führung?, möchte ich von Herwarth wissen Mir ist es immer wichtig, die Menschen im Unternehmen kennenzulernen und dann so schnell wie möglich starke Teams zu bauen, immer von oben nach unten. Dafür muss ich in der Geschäftsleitung anfangen und dort ein starkes Team aufbauen. Nur diverse Teams sind starke Teams. Das ist für mich nicht nur ein Schlagwort. Das meint auch nicht nur Mann/Frau. Das wäre für mich zu wenig Diversität. Für mich geht es auch darum, verschiedene Typen, Alter, Herkunft, Erfahrungen, Berufserfahrung zusammenzubringen. Und dann soll so ein Team auch gemeinsam Spaß haben. Das hast Du ja auch erlebt. In Deutschland wird das oft kritisch gesehen – Beruf und Spaß, das darf nicht sein. Ich sehe das so: Wenn es keinen Spaß macht, dann kann man auch nicht nachhaltig erfolgreich sein. Natürlich, wir wollen Geld verdienen, das Unternehmen nach vorne bringen, besser als der Wettbewerb sein. So viele Dinge. Das braucht Energie. Ich glaube, dass das Leben nicht daraus besteht, Energie in der Firma zu
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verlieren und dann wieder irgendwo aufzutanken. Idealerweise sollte es möglichst konstant sein. Da sind wir ja bei den Big-Five-for-Live. Einem der Bücher, die Herwarth mir in die Hand gedrückt hat, als wir uns kennenlernten. Ich möchte wissen, welche Denkanstöße er noch gerne teilt Wenn jemand eine gute Idee schon aufgeschrieben hat, dann können wir doch davon profitieren, oder? Ja, ich mag „Big- Five“ von John Strelecky (2009). Für die Strategie-Entwicklung empfehle ich gerne „Start with WHY“ von Simon Sinek (2009). Und in Sachen Veränderung hat mich Ray Dalio „Weltordnung im Wandel: Vom Aufstieg und Fall von Nationen“ (Dalio, 2022) nachhaltig beeindruckt. Was er auch propagiert, ist: Geschichte ist wichtig. Ich sag das auch gerne meinen Kindern, jammert nicht über Geschichte in der Schule! Geschichte ist spannend und wenn wir sie verstehen, können wir besser in die Zukunft blicken. In der Theorie U gehen wir davon aus, dass der erste Widerstand gegen Veränderungen die vorhandene Wertung ist, also festgefahrene Urteile wie „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Fragesession, Denkanstöße, was – frage ich Herwarth – ist noch wichtig, um das Denken zu öffnen und dann weiter das Fühlen und den Willen zu erreichen? Der klassische Weg ist meines Erachtens auch der vielversprechendste: Dass man sich erstmal Verbündete sucht, die auch Veränderungen wollen. Ja, darauf gewartet haben. Ganz allein sowas durchsetzen funktioniert nicht. Also nehme ich erstmal die mit, die ich gar nicht so sehr begeistern muss. Selbst begeistert sein ist wichtig. Nur dann erreiche ich auch die Kolleginnen und Kollegen. Manchmal ist es schwierig. Gerade bei Menschen, die sagen, Hauptsache, ich habe meinen Job, meine Sicherheit, meine Planbarkeit. Die bekommst Du dann mit den ersten Erfolgen. Und tatsächlich finde ich auch wichtig, dass, wenn es im Management-Team Menschen gibt, die das so gar nicht wollen, dass man dann irgendwann Klartext spricht. Es gibt ja auch andere Unternehmen. Veränderungen brauchen die volle Unterstützung der Führung.
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Herwarth spricht das Führen auf der gleichen Ebene und dann auch das Führen „nach oben“ an. Darüber möchte ich mehr wissen Spannender Punkt. Den Chef mal bitten zu gehen, ist ja eher keine Option. Es ist in der Tat eine große Herausforderung. Im besten Fall hat man die Unterstützung und zieht an einem Strang. Es gibt aber auch Situationen, da wird von Aufsichtsräten, Anteilseigner etc. sehr viel gewollt. Und wenn ich dann sage, dann müssen wir investieren und forschen, dann müssen wir schulen, dann müssen wir vielleicht auch restrukturieren … alles Dinge, die halt zunächst Geld kosten, dann bröckelt die Unterstützung. Ganz klar, wer einen Marathon laufen will, muss auch trainieren. Da braucht es einen langen Atem. Ich habe auch echte Enttäuschungen erlebt. Mit über 20 Jahren Geschäftsleitungsverantwortung bin ich natürlich nicht naiv und weiß um die menschlichen Neigungen und menschlichen Schwächen. Aber ein, zwei Mal hat es mich schon kalt erwischt. Wie sehr Leute ihre eigenen Interessen vorantreiben, auf Kosten des Ganzen. Da waren schon Momente dabei, wo ich heute sage: Wow, das hätte ich jetzt nicht gedacht. Stichwort aus Fehlern, oder negativen Erlebnissen lernen – ich habe mir fest vorgenommen, deswegen nicht auch so zu werden, sondern weiterhin offen zu bleiben, auch zu vertrauen, eine ehrliche Kommunikation und ein transparentes Management zu pflegen. Das ist es, was ich für mich als authentisch definiere. Sind das die Eigenschaften, die es braucht: Vertrauen, Kommunikation, Transparenz? 27.000 Mitarbeiter bei der ManpowerGroup, 21.000 Mitarbeiter bei der Securitas Deutschland. Ich frage mich – und Herwarth – wie führt man da? Wie bekommt man die Übersicht über so große Organisationen? Vereinfacht gesagt: Menschen und Zahlen. Wenn ich in eine neue Aufgabe komme, spreche ich mit den Menschen. Und gleichzeitig gucke ich mir die Zahlen an. Umsatz und Kosten-Entwicklungen, aber auch Margen und Kundendaten im Prinzip die G.u.V. von oben nach unten und das für alle Geschäftseinheiten und Regionen (ggf. bis auf Niederlassungsebene). Da stecken viele Informationen drin. Ich geh wirklich in die Tiefe. Versuche, Entwicklungen zu verstehen. Dann sieht man sehr schnell, wo läuft es gut, wo wächst man, wo läuft es nicht gut. Du findest so auch die „Lehmschicht“, die es in den
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meisten Unternehmen gibt. Und die blockiert. Die musst Du sprechen, aber weil die Dir nie alles erzählen, auch die ein, zwei Ebenen darunter. Ich brauche wirklich einen guten Überblick. Wie ist die Stimmung in dem Team oder einer Niederlassung oder dem Bereich oder in der Business Unit? Das ergibt sich aus Zahlen und Gesprächen. Oftmals wird man ganz klar sehen, ok, wenn ein Bereich wirtschaftlich erfolgreich ist, ist auch die Führung gut und ist auch die Stimmung entsprechend. Also zusammengefasst, ich verstehe ein Unternehmen einmal von oben über die Zahlen und einmal von unten über die Leute, am besten in allen Ebenen. Und, frage ich, was ist dann in der täglichen Praxis wichtig? Leadership ist meines Erachtens eine ganze Kette von Eigenschaften, von Authentizität, über klare Ziele, klare Visionen bis zur Kommunikation. Leidenschaft ist wichtig, damit die Leute angesteckt werden. Und ganz viel Kommunikation über die verschiedenen Medien, Intranet, Internet, selbst den Gehaltszettel. Ich bin in der Kommunikation gar nicht zu professionell oder perfekt. Extra so, dass jeder die Chance hat, das gut zu verstehen. Ich möchte mit den Menschen sprechen, nicht irgendwas ablesen. Egal ob beim Town Hall Meeting oder digital. Gerade wenn Deine Mitarbeiter über das ganze Land verteilt arbeiten, sind digitale Kanäle wichtig. Damit Du einen Weg findest, die Leute zu erreichen, die Du gerade nicht physisch treffen kannst. Eine gute Mischung ist wichtig. Ich führe gerne sehr direkt und besuche die verschiedenen Niederlassungen und Büros. Corona war da echt hart für mich, ich mochte es nicht, von den Leuten so abgeschnitten zu sein. Das hat mir gefehlt, die Energie. Als Du bei Securitas verantwortlich warst, hast Du ja zwangsläufig Deine Mitarbeiter auch bei der Arbeit gesehen, am Flughafen zum Beispiel. Wie war das? Frage ich Das war schon immer wieder ein Realitätscheck. Unabhängig davon, ob ich erkannt wurde oder nicht. Manche Jobs sind echt anstrengend. Ich habe großen Respekt vor den Leistungen, die Leute bringen und ein gutes Beispiel ist tatsächlich der Flughafen. In der Tat finde ich es immer schade, wenn dann etwas nicht so läuft,
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wie es sollte. Und ich habe mich gefreut, wenn ich schon von der anderen Seite der Schlange her gesehen habe, dass alle lächeln und guten Morgen sagen. Egal wie es gerade war, ich habe immer versucht, die Situation für ein persönliches Gespräch zu nutzen. Du erfährst so direkt, was Deine Leute bewegt. Eine kleine Rolle rückwärts zu den Büchern, die Herwarth wichtig sind. Ich möchte wissen, ob es mit seinen Big Five zu tun hat, dass ihn Menschen motivieren und er gerne direkt führt Absolut! Du musst einen Weg finden, das für Dich umzusetzen. Du kannst halt nicht jeden Deiner 20.000 Mitarbeiter jeden Morgen anrufen. Darum brauchst Du klare Ableitungen: von der Strategie für einen Milliarden Konzern bis zu dem Rahmen für eine Niederlassung, eine Abteilung, jeden einzelnen. Am Ende muss jeder verstehen, was bedeutet das für meinen täglichen Job? Und dann musst Du das als Führung vorleben. Wenn Du sagst, wir wollen ehrlichen Umgang, wir wollen hilfreich sein, wir wollen freundlich sein, wir wollen kollegial sein – dann sei das auch. Walk the talk. Bei der ManpowerGroup habe ich mal erlebt, wie holprig es war, dass einige mich bei einem Besuch in der Niederlassung Leipzig geduzt haben und einige gesiezt. Einige Tage später hatte ich einen VideoCall mit der ganzen Belegschaft. Ich habe dann spontan gesagt: „Mich können jetzt alle duzen. Das ist kein Zwang. Ich reagiere auch auf Herr Brune. Auch untereinander können das alle natürlich selbst entscheiden.“ Ich kann Dir sagen, Minuten später hatte ich 20 Anrufe, angefangen vom Betriebsratsvorsitzenden. Das ginge doch nicht, das sei nicht üblich und es seien doch auch ganz verschiedene Menschen etc. Ich glaube schon, dass das „Du“ unserer Kultur gutgetan hat. Dass wir uns nähergekommen sind. Mehr Augenhöhe zwischen den Hierarchien. Einige Monate später, beim Abendessen mit den Top-Performern, wurde mir gespiegelt, die Stimmung sei insgesamt lockerer. Und ich fand es auch völlig okay, wenn mir jemand gesagt hat, „Nein, das kann ich nicht. Ich möchte bitte beim Sie bleiben“. Wenn Du zum Beispiel bei LinkedIn guckst, sind da viele Sonntagsreden zum Thema Kultur. Das hilft nicht, Du musst das wirklich, authentisch und sehr konkret leben.
4 Herwarth Brune: Das Denken öffnen 143
LinkedIn, spannendes Stichwort. Ist Social Media wichtig für Führung? Was meint Herwarth (sicher kein Digital Native) dazu Für die tägliche Mitarbeiterführung – ganz eindeutig Nein. Von meinen Mitarbeitern, wie viele sind da bei LinkedIn? Das ist doch im einstelligen Prozentbereich. Und die gehen auch nicht auf Facebook oder Instagramm, um etwas über ihre Firma zu erfahren. Das sind private Interessen, Hobbys, Freunde, die die da suchen. Nur während Corona habe ich Videos gemacht und auch über YouTube gepostet. Einfach um die Leute zu erreichen, auch über ihre privaten Handys. Aber ja, LinkedIn ist relevant. Vor allem in Sachen Recruiting von Fach- oder Führungskräften. Für beide Seiten. Und natürlich ist es ein Ort, an dem sich Führungskräfte treffen. Zum Austausch und zum Lernen. Ich habe diese und andere Themen vertieft. Auch über internationales Führen gesprochen. Vielleicht teilen wir diese Inhalte mal bei LinkedIn. Abschließend frage ich ihn, worüber wir noch hätten sprechen sollen Ich mag den Titel des Buches „Praxisbuch für wirksame Führung“. Denn das möchte ich als Führungskraft: wirksam sein. Und Führung ist vor allem Praxis. Ist Lernen und persönliche Entwicklung. Wir leben in einer Zeit, in der KI, Roboter und Automatisierung den einen oder anderen Job ersetzen werden. Und vermutlich auch besser machen werden. Führung können Roboter noch nicht und sie wird dadurch umso wichtiger. Wir brauchen Leader, die nicht – wie beim Fahrradfahren – nach oben buckeln, nach unten treten und nur an ihr eigenes Fortkommen denken. Die vielmehr empathisch sind, die versuchen, ihre Mitarbeiter und Teams zu verstehen. Und die ein Umfeld schaffen, in dem die Menschen gerne arbeiten. Wo sie gerne zur Arbeit kommen, nicht ständig auf die Uhr gucken, wann Feierabend ist. In so einem Umfeld entsteht Erfolg. Weil die Teams aus eigener Kraft heraus Ideen entwickeln und umsetzen. So bringen wir das Neue in die Welt. Und das brauchen wir. Die größte Herausforderung – und das trifft, glaube ich, speziell für Deutschland zu – ist es, Ängste zu legen. Gerade Digitalisierung und Automatisierung machen den Menschen Sorgen. Werde ich meinen Job noch haben? Kann ich das? Und doch
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sieht man, dass Länder, die besonders hoch automatisiert sind, die Länder sind mit der geringsten Arbeitslosigkeit. Wir brauchen eine Atmosphäre des Vertrauens. Das können nur authentische Führungskräfte. Danke, Herwarth Brune. Ich habe von Dir gelernt, wie das in der Praxis geht: Das Denken öffnen. Durch Zahlen. Auch durch Ideen und Gespräche. Und wie wichtig es ist, die nächsten Schritte zu gehen: Das Fühlen öffnen, indem ich mit Menschen im Gespräch bin. Ihre Perspektive sehe und ernst nehme. Mut statt Angst durch offene, authentische Führung. Das nehme ich mit.
Literatur Ray Dalio (2022) Weltordnung im Wandel: Vom Aufstieg und Fall von Nationen. FinanzBuch Verlag, München Simon Sinek (2009) Frag immer erst: Warum, Redline, München John Streleckys (2009) The Big Five for Life, dtv, münchen
5 Beate Ibiß: Das Fühlen öffnen
Beate Ibiß ist Geschäftsführerin der Rhein-Main Deponie/Main-TaunusRecycling GmbH. Ihren Weg beschreibt sie so: Von der Produktionsleiterin „Schweinemast“ einer Agrargenossenschaft, über die Leitung des Umweltamtes eines Landkreises und Geschäftsführung eines Abfallzweckverbandes, zu Konzernen wie ALBA, SITA/Suez und schließlich auf die Sonderabfalldeponie Ihlenberg. Sie ist Profi in Umwelt, Energie und Entsorgung. Und sie ist eine erfahrene Managerin. Dass sie zusätzlich Coach ist und wie ihr das hilft – auch dazu mehr im Interview.
Auch Beate Ibiß, Geschäftsführerin der Rhein-Main Deponie GmbH (RMD), habe ich in der Zusammenarbeit kennengelernt. Mich beeindruckt ihr Umgang mit Menschen und darüber haben wir uns unterhalten. Wir beginnen mit dem Weg, der sie geprägt hat Meine erste Verantwortung für Führung habe ich direkt nach meinem Betriebswirtschaftsstudium/ Landwirtschaft bekommen. Ich wurde Produktionsleiterin für eine Schweinemast- und Zucht-Anlage mit 4000 Mastschweinen und 100 Zuchtsauen. Ich war 24 Jahre jung und führte zehn ältere Bäuerinnen. Die Arbeit kannte ich, ich hatte neben dem Studium in der Agrarwirtschaft erste Erfahrungen gesammelt. Aber das war keine Vorbereitung © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 C. Andriof, Praxisbuch für wirksame Führung – mit der Theorie U arbeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68092-6_5
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auf Führung. Die hat mich tatsächlich kalt erwischt und das war aus heutiger Sicht auch gut für mich. Es war dadurch sehr intensiv. Es hat mich geprägt und mich gelehrt, wie kann ich auf Menschen eingehen, die jahrelang körperlich hart und im Schichtsystem arbeiten? Wie kriegt man in der Mangelwirtschaft trotzdem die Materialien, die man braucht? Wie kommuniziert man mit so unterschiedlichen Ebenen? Mein beruflicher Werdegang ist davon geprägt, dass ich immer wieder Ja gesagt habe, wenn es um neue Herausforderungen ging. Weil ich Herausforderungen liebe und weil ich Verantwortung und Entscheidungen liebe. Unmittelbar nach der Wende habe ich eben auch ja gesagt, als man mich fragte, ob ich ein Umweltamt aufbauen könnte. So kam ich in eine Kreisverwaltung. Wenige Akten, weil fast alle verschwunden waren. Wenige Mitarbeiter, die eben nicht Stasi-belastet waren. Diese Aufbauarbeit war spannend und hat mich zum Thema Entsorgung gebracht, das mich bis heute nicht mehr losgelassen hat. In dieser Zeit habe ich eine Ausbildung im Verwaltungsdienst gemacht. Was ich eigentlich nur jedem raten kann, um diese Welt zu verstehen. Ich habe dann aber für mich entschieden, dass das nicht meine Welt ist, und bin mit einem kleinen Umweg über den „Abfallzweckverband Anhalt-Mitte“ in der Privatwirtschaft angekommen. Zunächst sieben Jahre bei ALBA, dann bei SITA/Suez. Da haben wir uns das erste Mal getroffen. Es ging um Krisenkommunikation. Aber diese Zeit war von ganz vielem geprägt für Frau Ibiß. Vor allem wohl von der Erfahrung „Konzern“ Ein Headhunter hat mich zu SITA/Suez gebracht. Auch wieder so ein Ja. Und dass, obwohl ich bereits als Geschäftsführerin gearbeitet hatte und zunächst „nur“ Vertriebsleiterin wurde. Mich hat das Neue interessiert, die neue Struktur, die größere Region, die größere Firma, der Aufbau gerade im Osten. Und dort habe ich dann auch schnell eine Geschäftsführung übernommen. Ein Führungs-Highlight war für mich, dass ich in einer sehr kurzen Zeit einen neuen Standort für eine Anlage finden musste. Das ist eine komplexe Angelegenheit – vertrieblich, politisch, vergaberechtlich. 100 Mio. EUR Investition, da müssen sie schon vor dem Start
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an Ausschreibungen teilnehmen, Aufträge gewinnen und so eine Auslastung garantieren. Ich erinnere mich gerne an die Einweihung dieser Anlage. Das war auch eine echte Teamleistung, eine thermische Anlage auf privatrechtlicher Grundlage nicht nur zu errichten, sondern auch betreiben und auslasten zu können. Ich freue mich heute noch, wenn ich daran vorbeifahre. In der Rückschau muss ich auch sagen, dass es gerade Krisensituationen waren, in denen ich gewachsen bin. Das konnten finanzielle Krisen seien, aber auch Havarien. Ich erinnere mich an einen Brand in einer unserer Müllverbrennungsanlagen. Über 6 Mio. EUR Schaden. Ich habe das früh erfahren. Wie kann man das – dazu noch kurz vor Weihnachten – in den Griff bekommen? Von der Technik bis hin zur Kommunikation. Ich habe gelernt, ganz ruhig und klar zu werden, wenn rund um mich herum Krise ist. Und das strahlt ja dann auch auf das Umfeld ab. Wenn der Kopf des Krisen-Teams ruhig und genau strukturiert ist, dann funktioniert es. Dann können andere Menschen sich daran anlehnen und sagen ok, so kommen wir jetzt durch diese Zeiten. Aufbau, Management auch Krisenmanagement – das ist ganz meine Welt. Die Strukturen eines so großen Konzerns fand ich dabei allerdings nicht immer hilfreich. Das kann zum Beispiel das Thema IT sein. Da geht es dann nicht darum, das beste System zu finden für den deutschen Markt, sondern das beste internationale System. Für meinen Verantwortungsbereich vielleicht nicht die optimale Lösung. Erfahrungen wie diese haben dann auch dazu geführt, dass ich nach 13 Jahren selbst den Konzern verlassen habe. Mir war klar, dass ich nur in verantwortlicher Position sein kann, wenn es nicht zu viele Vorgaben zu Führung und Umsetzung gibt. Und dann geht’s in den hohen Norden und schließlich zur Rhein-MainDeponie Dann ging es tatsächlich an die Ostsee, zunächst mit der Überlegung „ist das eine Weiterentwicklung“? Ich war die meisten Jahre doch in der alleinigen Geschäftsführung und hier sollte es eine doppelte Geschäftsführung geben. Ich habe trotzdem ja gesagt und es nicht bereut. Was ich hier lernen und erleben durfte war, dass Teamarbeit auf Geschäftsführer-Ebene funktionieren kann. Sogar sehr gut. Daraus ist eine Freundschaft entstanden und das hat mich auch positiv geprägt.
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Anders als im Konzern kann ich seitdem alle Facetten der Führung erleben und auch umsetzen. Das Schöne an einem mittelständischen Unternehmen ist, dass von der Betriebsratsarbeit bis hin zu strategischen Themen alles auf dem Tisch der Geschäftsführung liegt. Die Gesellschafter erwarten, dass alles bearbeitet wird, da gibt es keine Konzernebene dazwischen. Das macht mir viel Spaß, gerade auch mit den Führungskräften zu arbeiten und diese zu animieren, zu motivieren in offene Diskussionen zu gehen. Das ist eine Bewegung raus aus der immer wieder vorhandenen Starre, „ach, das macht schon die Geschäftsführung“. In der Arbeit bei der RMD- Unternehmensgruppe fließt jetzt eigentlich alles ein, was ich bisher gemacht habe. Natürlich das Thema Entsorgung. Dazu kommunale Anteilseigner. Verantwortung für ein sehr diverses Team. Dazu eine belastende Vergangenheit mit vielen Führungswechseln. Eine wirtschaftlich schwierige Situation. Und jede Menge Kommunikationsaufgaben. Neben den Themen und Situationen, die Sie ansprechen, gibt es auch eine innere Haltung, die sich auf diesem Weg geprägt hat. Mögen Sie uns diese beschreiben, frage ich Ja, tatsächlich. Ich folge der Maxime: „Die positive Absicht des anderen zu verstehen.“ Das habe ich nicht von Anfang gehabt, das ist tatsächlich eine Entwicklung bei mir gewesen, die immer noch anhält. Ich frage zum einen, welche Absicht steckt hinter dem Handeln des anderen oder der anderen? Und ich gehe immer davon aus, dass es eine positive Absicht ist. Das ist oftmals nicht einfach, hilft mir aber meine Emotionen in manchen Punkten zu verlassen. Dann kann ich – auch so ein Lieblingssatz von mir – vom Stammhirn wieder ins Großhirn kommen. Dann kann ich über Denkprozesse in Entscheidungen oder Lösungen kommen. Ich weiß ja, dass meine „Landkarte“ nicht die Landkarte des anderen ist. Und so frage ich mich. Wie kann ich ihn oder sie da abholen? Wer sich ein bisschen damit auskennt, hört hier Grundannahmen des NLP. Frau Ibiß hat eine Ausbildung zum Business Coach und gerne möchte ich mehr darüber wissen Ich kann das jeder Führungskraft nur empfehlen. Ich habe das nach einer kritischen Erfahrung für mich beschlossen. Ich
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hatte einen Menschen falsch eingeschätzt, eine Situation nicht gesehen. Und für mich festgestellt, dass mir hier „Werkzeug“ fehlt. Ich habe das damals privat finanziert und an Wochenenden ein Jahr lang gelernt. Heute, zurückblickend, sage ich mir, ich hätte das eigentlich schon eher machen sollen. Trotz all des „ich habe keine Zeit dafür.“ Zeit ist immer eine Frage von Priorität. Die Business Coach Ausbildung hat mir dahingehend geholfen, dass ich mir Zeit genommen habe. Dass ich mich mit mir selbst beschäftigt habe. Das ist, finde ich, ein sehr wichtiger Punkt. Wie reagiere ich, warum reagiere ich so? Was kann ich noch ändern in meinem Verhalten? Und natürlich dann auch das ganze Thema Kommunikation. Es hat mir sehr geholfen, Tools kennenzulernen, die es mir einfacher machen in der Führung. Das war eine vergleichsweise lange Reise durch die Biographie. Ich finde das spannend und wichtig. Aber nun wollen wir uns energisch der Praxis zuwenden. Was machen Sie wie, wollte ich von Frau Ibiß wissen. In der Führung nach oben zu Anteilseignern, nach außen Richtung Bürgerinitiativen, nach unten in die Organisation und nicht zuletzt auch nach innen, in der Selbstführung. Starten wir mit dem Umfeld: Ist Führen in so einem kommunalen Umfeld anders als in der Wirtschaft? Ja, ja, definitiv ja. In der privatrechtlichen Wirtschaft ist es schon einfacher, weil ich es mit Zahlen zu tun habe. Wenn die Zahlen stimmen, dann habe ich auch den Weg, die Richtung und kann das umsetzen. Im Kommunalen habe ich ganz, ganz viele andere Themen mit zu berücksichtigen. Sie müssen nicht nur die Gesellschafterstruktur kennen, sondern auch das kommunalpolitische Umfeld. Welche Themen sind für wen wichtig, wer hat welche Fragen? Da hat jeder so seine Perspektive und seinen Fokus. Die muss ich kennen und dann ist es vor allem eine Frage von guter Vorbereitung und Zuverlässigkeit. Vorbereitung meint, genau den richtigen Grad an Informationen zu geben, klar strukturiert und so verständlich, dass die überwiegend ehrenamtlich tätigen Aufsichtsratsmitglieder das gut erfassen können. Auch Fotos sind wichtig. Ich kann den Aufsichtsrat nicht jedes Mal auf die Deponie bringen, aber ich kann die Deponie zum Aufsichtsrat bringen.
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Zuverlässigkeit trägt dazu bei, dass man gut miteinander arbeiten kann, dass sich beide Seiten akzeptieren. Hier bei der Rhein-Main Deponie ist es die Sanierungsvereinbarung, die zählt. Und wenn die eingehalten wird, hilft das auch den politischen Entscheidungsträgern. Als Beate Ibiß anfing, war nicht nur die wirtschaftliche Situation ein großes Thema. Durch das – letztlich gescheiterte – Projekt „Deponie-aufDeponie“ war auch in der Öffentlichkeit eine große Unruhe, ja Misstrauen entstanden. Was, möchte ich wissen, hat sie hier getan? Neben ganz vielen Gesprächen und einem unermüdlichen Vertrauensaufbau war es wohl auch die Gründung des Dialogforums, die unser Verhältnis zu unseren Nachbarn entscheidend verändert hat. In der Entsorgungsbranche bringt unsere Tätigkeit es mit sich, dass sich Anwohner Sorgen machen: Was kann da passieren? Was ist mit dem Staub in der Luft? Dem LKWVerkehr? Was wird da abgelagert? Für mich ist es wichtig, sich in diese Perspektiven hineinzuversetzen. Diese Fragen sind kein Angriff auf die Firma, sondern ganz legitime Ängste – wie kann ich denen begegnen? Im Dialogforum laden wir Bürgerinitiativen, die Winzer, Behörden und Kommunalvertreter ein. Wir haben zum Beispiel Steckbriefe für jeden einzelnen Tätigkeitsbereich hier im Unternehmen erarbeitet. Diese besprechen wir und vertiefen so das Verständnis. Wir organisieren auch Führungen und gucken uns die Themen vor Ort gemeinsam an. Jede und jeder kann dort alle Fragen stellen. Wir beantworten diese mit einem höchsten Maß an Offenheit. Und wir übersetzen immer wieder das stark Fachliche ins allgemein Verständliche. Auch in der Organisation steht Frau Ibiß vor einer komplexen Führungsaufgabe. Zum Teil in der Historie begründet. Zum Teil in der Diversität der Aufgaben und Mitarbeiter. Wie geht sie das an? Als ich hier anfing gab es aufgrund eines relativ schnellen Wechsels in der Geschäftsführung eine hohe Verunsicherung in der Belegschaft. Ich habe meine erste Aufgabe darin gesehen, wieder eine Zukunftsperspektive und Sicherheit zu geben. Wir brauchen hier gleichermaßen LKW- und Baggerfahrer wie Ingenieure und Ingenieurinnen. Nichts wäre fataler, als wenn die dann alle weggegangen wären. Schließlich haben wir ja
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doch große und auch langfristige Aufgaben zu gewährleisten in der Stilllegung und Nachsorge der Deponien. Ich habe natürlich meinen eigenen Führungsstil mitgebracht und auch sonst viele Veränderungen. Das war gerade für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die schon sehr lange hier sind, das heißt 20, 30 sogar 40 Jahre, sicherlich nicht einfach. Da gibt es welche, die das ablehnen. Die „früher war alles besser“ sagen (wirklich alles? frage ich dann). Es gibt aber auch ganz viele, die neugierig sind auf das Neue. Der beiden Pole, die ich dort habe, das ist schon anspruchsvoll. Ich persönlich glaube, dass mir meine berufliche Erfahrung da hilft. Auf Belegschaftsversammlungen stelle ich auch unsere Ziele, unsere Zahlen, unsere Strategie dar. Ich versuche das so runterzubrechen, dass es jede und jeder versteht. Und dass es insgesamt motiviert. Und das Feedback, das ich bisher bekommen habe, war durchaus positiv. Richtig begeistert war neulich bei einem Workshop die zweite Führungsebene, als sie in einem Markt-der-Möglichkeiten die Ziele der ersten Führungsebene kennengelernt und vertieft hat. Jedes Mitglied der Leitungskonferenz hatte dafür eine Poster-Session vorbereitet. Sehr direkt und sehr konkret wurden so auch abstrakte Themen greifbar. Meine Beobachtung ist, dass zu der Führungspraxis von Frau Ibiß auch so etwas wie Mediation gehört. Dass es hier manchmal ganz schön derb zugehen kann und sie dann als Streitschlichter gefragt ist Ja, das stimmt. Ob in der Leitungskonferenz oder auf dem Gelände, wenn es zu Konflikten kommt, kümmere ich mich darum. Was meiner Erfahrung nach nicht funktioniert, ist in der Emotion, in der Situation das sofort klären zu wollen. Ich gehe dann zunächst in Einzelgespräche, um den Konflikt und seine Historie zu verstehen. Dafür brauche ich viel Empathie und die Fähigkeit, beide Perspektiven zu sehen. Wenn die Bereitschaft zu einem gemeinsamen Gespräch besteht, sind wir auf einem guten Weg. Und dann gelingt es in der Regel auch, die positive Absicht des anderen zu verstehen, sachlicher zu werden und Lösungen zu finden, im Idealfall sich am Ende die Hand zu reichen. Natürlich kann ich als Geschäftsführerin auch sagen, was geht mich das an, das sind doch erwachsene Menschen, sollen die das klären (oder „einer fliegt raus“). Ich bin da anders. Ich möchte, dass wir wieder miteinander
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arbeiten können. Darum gucke ich hin und bringe mich ein. Wenn das gewünscht ist. Eine große operative Verantwortung. Ein forderndes menschliches Umfeld in jede Richtung. Wie geht das? Was ist wichtig in Sachen Eigenmotivation und Selbstführung möchte ich wissen Tatsächlich motivieren mich messbare Erfolge. Zum Beispiel dass wir jetzt das dritte Jahr in Folge unserer Sanierungsvereinbarung einhalten konnten. Und dann die vielleicht eher kleineren Dinge im Miteinander, wie eine gelungene Konfliktlösung. Oder das spürbar wachsende Engagement in meinem Führungsteam. Auch mein privates Umfeld stärkt und motiviert mich. Selbstführung ist natürlich gerade in den kritischen Momenten wichtig. Beim Verhältnis zum Betriebsrat habe ich einen Weltenwechsel erlebt: In meiner vorherigen Position war das echte Zusammenarbeit und zum Abschied gab es für mich einen Kaffeebecher mit der Aufschrift: „Zahme Vögel träumen vom Fliegen, wilde Vögel fliegen“. Ich nutze den bis heute sehr gern. Bei der RMD gab es anfangs auch offene Ablehnung. Nicht mal eine gemeinsame Belegschaftsversammlung war denkbar. Stattdessen kam ich mir eher vor wie auf einem Tribunal, bei dem ich angeklagt wurde, mich aber nicht äußern sollte. Selbstführung bedeutet für mich dann, eine innere Ruhe zu suchen. Vor allem nicht in diese Emotionen der anderen mit einzusteigen. Sich von aufkeimender negativer Emotion – Wut, Ärger, Ablehnung – zu dissoziieren. Ich brauche jetzt eine Pause, die kann ich mir aber auch innerlich nehmen, indem ich in mich hinein höre und zu mir finde. Es passiert mir schon das ich wütend werde. Und es für sinnvoller halte, zu gehen. Aber es passiert mir mit den Jahren immer seltener. Ich kenne diesen Moment, wo ich weiß, ich werde wütend. Ich wende mich dann mehr der Frage zu, warum werde ich wütend und was hilft mir das jetzt. Ich kann nicht so gut Emotionen weg atmen, aber ich kann anders mit ihnen umgehen, indem ich umdenke. Mittlerweile, nach einer Betriebsratswahl, gibt es keine Tribunale mehr. Wir suchen immer häufiger auch gemeinsam nach Lösungen. Allerdings agiert der Betriebsrat extrem formal. Was sein gutes Recht ist. Aber auch das ist manchmal schwierig, finde ich.
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Auch Frau Ibiß bitte ich zum Abschluss, die Frage zu stellen und zu beantworten, die ich nicht gestellt habe. Und Sie möchte über Frauen in Führungspositionen sprechen. Sehr gerne Was mir sehr wichtig ist, ist gerade junge Frauen in Führungspositionen mitzugeben, dass sie selbstbewusst sein dürfen und können. Meist ist ja eine sehr hohe Fachlichkeit da. Und doch erlebe ich gerade bei Frauen, dass dies gekoppelt bleibt an Selbstreflexion bis zum Selbstzweifel: „Schaffe ich das? Traue ich mir das zu?“ Ich habe dazu mal eine sehr schöne Erfahrung machen dürfen. Ich habe eine junge Frau mit genau dieser Kombination aus Können und Selbstzweifel quasi „auf Probe“ befördert. Ich habe in ihren Vertrag reinschreiben lassen, dass sie mehr Geld, Dienstwagen, Prokura bekommt. Dies aber, wenn sie das möchte, nach einem halben Jahr zurückgeben und in ihre Sachbearbeiter-Funktion zurückkehren kann. Das hat für sie die Zustimmung möglich gemacht und klar, sie ist ihren Weg gegangen. Gerade bei dem letzten Beispiel konnte ich sehen, wie sich in der Führungspraxis der empathische Beitrag verschränkt mit dem rationalen und dann dem energischen Schritt ins Tun: Ich verstehe die Situation der Mitarbeiterin. Ich kann mich in ihre Perspektive einfühlen. Ohne sie zu meiner eigenen zu machen. Und ich kann einen Vorschlag machen, wie aus Angst Mut wird. Vom Zynismus zur Empathie, heißt es in der Theorie U. Vom Leugnen der Gefühle zu einer bewussten Wahrnehmung und einem bewussten Umgang damit. Und das nicht nur im Privaten, sondern ganz sicher auch in der Führung. Vielen Dank, liebe Beate Ibiß, im Gespräch mit Ihnen habe ich erlebt, wie stark der Weg zum empathischen Führen von der eigenen Entwicklung geprägt ist. Aus Erfahrungen wird ein Mosaik aus Fähigkeiten und damit sind wir nie fertig.
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31 Jahre in einem Unternehmen – das gibt es im deutschen Mittelstand. Andreas Lindner hat die Bimatec Soraluce Zerspanungstechnologie GmbH in dieser Zeit entscheidend geprägt. Gestartet im Vertrieb hat er schnell Gesamtverantwortung übernommen. Und sich dann – im Team – an den kompletten Umbau der Unternehmenskultur gewagt. Heute ist er beratend tätig und teilt seine Expertise mit anderen Unternehmern, die sich auf den Weg machen.
An Andreas Lindner habe ich sehr konkrete Fragen. Denn ich habe sehr konkret erlebt, wie er eine Unternehmenskultur der Angst überwunden hat. Durch ganz viel Führung und Kommunikation. Auch durch neue Strukturen und Ansätze. Doch schauen wir uns erst mal die Ausgangssituation an Ich möchte eines vorweg sagen: Das ist natürlich alles meine persönliche Wahrnehmung. So habe ich die Situation und die Entwicklung gesehen. Zu der Zeit als ich bei Bimatec Soraluce angefangen habe, war es für ein mittelständisches Maschinenbauunternehmen absolut üblich, dass es stark hierarchisch geführt wurde. Erst kamen die Inhaber, dann kam der Verkaufsleiter, dann kam lange nichts. Das war in Zeit der 70, 80 und 90-iger normal und auch © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 C. Andriof, Praxisbuch für wirksame Führung – mit der Theorie U arbeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68092-6_6
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erfolgreich. Es gab an der Unternehmensführung allerdings nicht nur Positives und ich habe viele Dinge kennengelernt, die negativ waren. Die waren nicht für mich negativ, sondern auch für das Unternehmen. Bis hin zu wirtschaftlichen Auswirkungen. Führungsinstrumente waren Druck und Angst. Ich möchte eigentlich morgens auf die Arbeit gehen mit einem Lächeln und abends mit einem Lächeln wieder raus. Statt dessen ist man eigentlich jeden Abend fast mit einer Träne im Auge nach Hause gegangen, nach 12 bis 14 Stunden Arbeit ohne Wertschätzung. Wie wurde dieser Druck konkret? Wie hat man das gemerkt, möchte ich wissen Im Umgangston auf jeden Fall. Und dann war es so, dass Dir einer der Geschäftsführer für den Tag zehn Aufgaben gegeben hat. Du wusstest genau, das ist nicht zu schaffen. Dann hast Du hart gearbeitet, acht geschafft und abends wurde Dir dann gesagt, wie schlecht Du bist, weil noch zwei offen sind. Und wo wurde die Angst konkret? Also hat man das gesehen oder gemerkt, dass es da Angst gab? Wir hatten eine extrem hohe Fluktuation. Das war gerade für mich als Verkaufsleiter und später als Geschäftsführer ein Riesenproblem. Du baust junge Leute auf. Und bevor sie richtig erfolgreich sein können, gehen sie wieder. Werden durch Worte vertrieben. Und jedes Mal, wenn einer geht, verlierst Du viel. Das sind ja nicht nur die Kosten für eine Wiedereinstellung. Du verlierst Erfahrungen und Kundenbeziehungen. Letztlich hing die Verkaufsarbeit fast ausschließlich an mir und ich musste die Umsätze realisieren. Gefährlich für ein Unternehmen, sich von einer Person abhängig zu machen und darauf habe ich immer hingewiesen. Was hat Dich in dieser Zeit stabilisiert, also warum bist Du nicht einfach gegangen? Ich bin ein einfacher Mensch, komme aus einer einfachen Familie und liebe die Technik. Ich habe nie gedacht, dass ich mal die Chance haben würde, Verkaufsleiter und Prokurist oder dann Geschäftsführer und Gesellschafter zu werden. Ich habe die Chance gesehen. Außerdem bin ich sehr treu, sehr loyal. Und: Ich gebe nicht auf. Ich war vielleicht der Einzige, der keine Angst hatte – trotz des Stresses. Ich hatte immer den Mut, etwas anzusprechen, auch wenn es
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schwierig war. Und letztlich war ich ja fast von Anfang an dabei, zwei Monate, nachdem die Firma quasi in der Garage gegründet wurde. Insofern war es schon auch ein bisschen irgendwie mein Kind. Lass uns zu diesen Kipp-Punkt gehen. Das war im Jahr 2015 Ich war körperlich immer fit. Habe sehr hoch und viel Fußball gespielt. Und auch gedacht, mir kann nix passieren. Ich war bereits seit 2003 MitGeschäftsführer und auch Gesellschafter. Da wurde der Stress zu viel. Mein Körper hat mir ein sehr klares Signal geschickt und ich lag drei Wochen im Krankenhaus mit einer Gesichtsparese. Ich wusste lange nicht, ob ich gelähmt bleibe. Und da habe ich gesagt, Nein, das kanns einfach nicht sein. Ich arbeite gerne. Ich mag auch hohes Tempo. Aber die Unternehmenskultur machte alles kaputt, die Leute, das Unternehmen, mich. Ich habe mich gefragt, wie können wir das Unternehmen modern führen, so dass es Spaß macht und erfolgreich ist? Für mich war auch das Stichwort „internes Marketing“ wichtig, von dem mir eine spanische Kollegin erzählt hat. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir 65 Leute. Sie hat gesagt, 65 Leute gehen jeden Tag nach Hause, gehen abends in die Bar, treffen Freunde, was erzählen die da? Dasselbe tun Service-Techniker jeden Tag draußen, sie vertreten Dein Unternehmen. Und sehen das gerade negativ. Das war ein wichtiger Anstoß für mich. Zu sagen, das muss man umdrehen. Denn ohne die Mitarbeiter bist Du gar nichts. Wenn die Service-Techniker, die die Maschinen installieren, Interesse haben – toll. Haben sie kein Interesse, dann passieren viele Fehler. Genauso ist es im Vertrieb und allen anderen Unternehmensbereichen. Ich habe dann als erstes in jede Ecke geguckt, wo hapert es? Was hindert die Menschen daran, mit Spaß zu arbeiten? Du hast mit einer Analyse begonnen – im Sinne von Zahlen und Prozesse. Aber auch mit der Frage, wie geht es den Kolleginnen und Kollegen, was macht ihnen das Leben schwer? Ja, genau. Tatsächlich haben sich die Menschen zu der Zeit 40 % ihrer Arbeitszeit damit beschäftigt, was der Geschäftsführer heute wieder gesagt hat, wie er einen wieder vor der Truppe zusammengestaucht hat. Und auch die Mitarbeiter unter-
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einander waren giftig, haben schlecht übereinander geredet und sich gegeneinander ausgespielt. Da war Führung sozusagen „ansteckend“. Das hat einen Egoismus gefördert, das passt in eine Unternehmung heute überhaupt nicht mehr rein. Nun wissen wir, dass diese kulturellen Dinge recht stabil sind, dass man die nicht mit dem Zauberstab einfach weg macht und sagt, so – ab morgen machen wir das anders. Da war erst Nachdenken, Analyse, die Menschen verstehen. Was kam dann? Du kannst so etwas nicht allein angehen. Meine damalige Assistentin Claudia Ferri hatte Jahre mit mir die schwierigen Zeiten erlebt und das schweißte uns zusammen. Wir gemeinsam holten unsere Marketingexpertin mit an Bord und holten meinen spanischen Geschäftsführungskollegen mit ab. Als dann der letzte Geschäftsführer der älteren Generation in Rente ging, haben wir losgelegt. Wir haben uns zusammengesetzt und ein generelles FirmenLeitbild entwickelt. Wir haben uns überlegt, was sind die Säulen des Unternehmens? Und das sind ganz klar die Abteilungsleiter. Darum haben wir sie hinzugezogen und denen gesagt, das ist unsere Idee: Ein Unternehmen mit flachen Hierarchien, mit Eigenverantwortung. Ein Unternehmen, dass sich um seine Mitarbeiter kümmert. Und mit Spaß erfolgreich ist. Da ist die Firmenkultur BS 2020 entstanden. Und, haben wir gesagt, ihr habt jetzt 14 Tage Zeit, für eure eigene Abteilung ein Leitbild zu schreiben. Und die konnten das annehmen? Die konnte an die Veränderung glauben? Am Anfang waren vermutlich nur Claudia Ferri und ich wirklich überzeugt. Alle anderen mussten wir abholen. Zumal ich ja jahrelang an der Seite des älteren Geschäftsführers war und uns dadurch keiner glaubte, was wir vorhatten. Warum sollte man uns glauben? Ganz viele Gespräche und auch konsequentes Abgeben von Verantwortung, Mitspracherecht, Respekt und besonders Kommunikation. Das war der Weg. Warum hast du beim Leitbild angefangen und nicht zum Beispiel bei der Struktur oder den Prozessen? Um den Leuten erstmal eine Linie zu
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geben, ein Ziel. Die einzelnen Leitbilder der Abteilungen haben wir dann alle gemeinsam besprochen. Jeder durfte Vorschläge zur Entwicklung machen. Jeder sollte am Ende mit dem Gesamtbild einverstanden sein. Der Zielpunkt war ja drei Jahre später, also 2020. Das war wichtig, damit man sich überhaupt vorstellen konnte, dass das geht. So etwas braucht Zeit. Und dann haben wir die Abteilungsleiter in die Pflicht genommen, selbst zu überprüfen, ob sie es umsetzen. Dafür haben wir den BS-Circle gegründet. Alle Abteilungsleiter – das waren damals elf – an einen Tisch. Alle relevanten Themen auf den Tisch. Jeder hat eine Stimme bei Entscheidungen, auch der Geschäftsführer nur eine und das gab jeder Menge Vertrauen. Jeder hat eine Aufgabe, zum Beispiel vom Fortschritt und auch von negativen Aspekten aus seiner Abteilung zu berichten. Dafür macht jeder Abteilungsleiter alle sechs Wochen mit seinem Team einen sogenannten Team-PulsCheck. Wir haben ein wirklich einfaches Formular mit Schulnoten entwickelt. Er prüft so, ob wir auf dem Weg sind, das Leitbild umzusetzen. Klar kann es dann passieren, dass der Abteilungsleiter meint, er hat alles super im Griff und gibt sich eine zwei und der Mitarbeiter gibt nur eine fünf. So kamen aber unsere Mitarbeiter endlich ins Gespräch und waren beteiligt. Und so waren alle Mitarbeiter Teil der Veränderung, vom Hausmeister bis zur Geschäftsführung. Und? Haben die sich von Anfang an alle getraut ihre Meinung zu sagen? Nein, sicher nicht. Am Anfang haben wir auch persönlich unterstützt, Meetings moderiert. Die Kollegen mussten erleben, dass Offenheit möglich ist, auch und gerade, wenn der Geschäftsführer mit am Tisch sitzt. Sie mussten erleben, dass es uns ernst ist mit der neuen Firmenkultur und dass sie uns wichtig sind. Wir haben ihnen über die Firma sehr viele Möglichkeiten für sie als Mensch geboten und manchmal hat auch geholfen, eine schöne Atmosphäre mit Pizza oder Kuchen bei den Team-Puls-Checks der Abteilungen zu schaffen. Das kannten unsere Mitarbeiter ja gar nicht, dass sich die Geschäftsführung um sie kümmert. Im ersten Jahr haben uns ungefähr 10 % der Mitarbeiter verlassen, das war gut so, denn das waren die „Egoisten“, die das Neue nicht wollten und ständig Unruhe im Unternehmen schürten. Alle anderen
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nahmen unser Konzept an. Jedes Meeting wurde abwechslungsreicher, die Kommunikation stieg, es wurde freiwillig protokolliert, berichtet und dadurch änderte sich Tag um Tag unser Unternehmen nachhaltig. Bald haben sich die Leute richtig darauf gefreut, ihre Dinge zu besprechen. Das Schöne war, nach einem Jahr wurde es in dem Unternehmen viel ruhiger. Es gab keinen Streit mehr zwischen den Mitarbeitern, kein übereinander Herziehen und das Unternehmen profitierte von der freigewordenen Energie. Was habt Ihr noch verändert, um das Miteinander zu fördern? Ganz viel. Dort, wo die Puls-Checks ergeben haben, dass die Leute überlastet sind, haben wir Personal aufgebaut. Team-Events und ein Sommerfest eingeführt, damit die Leute auch neben der Arbeit ins Gespräch kommen. Angebote gemacht wie Job-Rad oder Fitness-Studio-Mitgliedschaft. Auch eine Kantine als Ort der Begegnung geschaffen. Die Abteilungsleiter, von denen Du gesprochen hast, waren ja vorher 100 % operativ tätig und wurden auf einmal dann mehr und mehr als Führungskräfte gefordert. Wie ging das? Auch das haben wir aktiv begleitet. Durch Trainings und – wie Du weißt – durch Coaching. Da konnte jeder und jede genau das entwickeln, was ihm oder ihr für die Aufgabe vielleicht fehlte. Für mich war es wichtig, das immer wieder einzufordern. Und auch konsequent vorzuleben. Jede Führungskraft hat für ihren Bereich die Personal- und Budgetverantwortung übernommen. Wir haben das transparent gemacht, wer für was verantwortlich ist. Und kontinuierlich entwickelt. Ich erinnere mich daran, wie ein Abteilungsleiter in mein Büro kam mit einer großen Materialanforderung. Er fragte, „Kann ich die kaufen?“ Ich sagte, „Ich glaube schon, dass Du die kaufen kannst! Aber das musst Du entscheiden“. Das Schöne war, er hat zum Schluss deutlich weniger gekauft. Früher hat er eine große Menge beantragt und nur eine kleine genehmigt bekommen. Jetzt konnte er das selbst entscheiden und selbst verantworten. Keine „Spielchen“ mehr. Konsequent sein bedeutete für mich auch, die BS-CircleEntscheidungen anzunehmen. Wie gesagt, jeder eine Stimme. Das kann
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dann auch schon mal sein, dass die Mehrheitsmeinung nicht meine war. Das muss man dann aushalten und akzeptieren. Auch der Umgang mit Fehlern musste sich ändern. Niemand wurde mehr an die Wand gestellt. Über Fehler kann man sprechen. Gemeinsam Lösungen finden für die Situation. Und Wege, damit sich Fehler nicht wiederholen. Das war am Anfang sehr schwierig, da war eine Abwehrhaltung. Da musst Du wirklich kontinuierlich und konsequent dranbleiben. Woran hast Du gemerkt, dass da was wirklich etwas anders geworden ist? Was waren so Indikatoren für Dich, dass da weniger Angst ist und mehr Mut und Zutrauen und Zusammenarbeit? Zunächst das Verhalten der Mitarbeiter, mehr lächelnde Gesichter. Kein „Wegducken“ mehr, wenn der Geschäftsführer vorbei geht. Man sieht das ja an der Körpersprache. Ja, die Leute sind auch mal durchs Haus gelaufen, vorher ist jeder stur in seinem Büro geblieben. Und ganz deutlich war, dass gar nicht mehr der eine über den anderen redet, sondern die Kollegen miteinander. Und dann wurde das auch mehr und mehr mit mir geteilt. Bei einem Teamevent hat eine Kollegin mal zu mir gesagt, „Ich wusste gar nicht alles, was mein Kollege aus der anderen Abteilung macht, das ist ja hochinteressant“. Austausch fördert Respekt. Mitarbeiter sagen, „Herr Lindner, das macht jetzt Spaß, hier zu arbeiten“. Dazu ging die Fluktuation dramatisch nach unten. Die Arbeitsleistung und das Interesse rauf. Die wirtschaftlichen Ergebnisse wurden – sieht man mal von dem Corona-Knick ab – immer besser. Vielleicht das größte Kompliment hat uns ein Kunde gemacht, er sagte: „Ihre Firmenkultur kommt bei uns an. Wissen Sie eigentlich, wie freundlich und zuvorkommend auf einmal Ihre Mitarbeiter mit uns sind. Sie geben uns Sicherheit. Freitag mittags ist bei uns die Maschine kaputt gegangen, der Fräskopf hatte ein Problem, der Mitarbeiter hat mit einer Bärenruhe gesagt, in einer Stunde kriegen Sie von mir einen Rückruf. Er hat alles geklärt und am Samstag ist die Maschine wieder gelaufen.“ Klar, dass der Service-Bereich immer erfolgreicher wird, wenn er so agiert.
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Wenn Veränderung bei Mitarbeitern und Kunden ankommt, dann wurde viel richtig gemacht. Mich hat der Prozess beeindruckt. Und ich habe es selbst erlebt, wie engagiert jede und jeder den Weg in diese Veränderung gesucht und gestaltet hat. Zusammenarbeit, Beteiligung, Verantwortung, Ziele – das sind tatsächlich wichtige Schritte, um von der Angst zum Mut zu kommen. Auch ein Kümmern um die Menschen, genaues Hingucken und Hinfühlen. Ja, und schließlich Kommunikation, respektvoll, wertschätzend und konsequent. Lieber Andreas Lindner, weniger gearbeitet hast Du durch BS 2020 vermutlich nicht. Aber glücklicher, wie Du sagst, Du gehst mit einem Lächeln im Gesicht nach Hause. Danke, dass Du das mit uns geteilt hast. Das macht Mut.
7 Stephan Rathgeber: Presencing
Stephan Rathgeber ist begeisterter Teil des New Work SE-Teams, in dem er das Marketing von onlyfy verantwortet. Er sagt: „Ich liebe es zu führen. Ich liebe Menschen. Sie sind meine Motivation. Mein Führungsstil basiert auf Vertrauen, Befähigung und hoher Leistung.“ Vor der Aufgabe bei der New Work SE war Stephan Head of Digital bei Hays sowie Director Marketing, Communications & Digital der ManpowerGroup Deutschland. Er lebt mit Familie in Erlangen.
Ich möchte mit Stephan Rathgeber über Presencing sprechen. Warum mit Stephan? Es war vor allem sein TEDx-Talk „Naked Leadership“, der mich angestupst hat. Presencing ist dieser besondere, ja vielleicht „nackte“ Moment im U-Prozess. Wenn in der Gegenwart aus dem, was war – nach dem Öffnen von Denken, Fühlen und Willen – etwas Neues vorstellbar wird. Wenn einzelner und Gruppe sich verbinden, auch Vergangenheit und Zukunft. Wenn wir uns mit unseren Quellen verbinden können. Stephan, wie kam es zu „Naked Leadership“ und was ist die Idee? Ich erinnere mich gut daran: Gemeinsam mit zwei Menschen aus meinem Team haben wir uns immer wieder sonntags in einer entspannten und © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 C. Andriof, Praxisbuch für wirksame Führung – mit der Theorie U arbeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68092-6_7
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coolen Location – witzigerweise der Lobby eines Hotels in Frankfurt – getroffen, guten Kaffee getrunken und an einem Führungsmodell für die Zukunft gearbeitet. Gemeinsam haben wir die Idee von „Naked Leadership“ entwickelt und dann auf die TEDx-Bühne gebracht. Wir haben drei Buckets beschrieben, um die es geht: Ability, Caring und Integrity. Trust, Vertrauen, ist der Kern. Vertrauen in einen selbst. In das System, das einen umgibt und das man ja aktiv mitgestaltet. Und in die Menschen um einen herum. Über Vertrauen haben wir ganz lange gesprochen, es erst für uns dekonstruiert und dann neu zusammengesetzt. Uns wurde klar, Vertrauen braucht „I care for you. I care for people. I care for myself.“ Es geht also darum, Menschen etwas zuzutrauen, aber gleichzeitig auch auf sie aufzupassen. Als Führungskraft bin ich doch derjenige, der den Überblick hat. Derjenige, der schon frühzeitig sieht, „Ok, da kommt jetzt ein Wolf aus dem Wald, da müssen wir aufpassen“. In diesem Umfeld ist dann Ability die Hauptaufgabe von Führung: Menschen dazu zu holen, auszubilden, zu entwickeln. Und dabei auch selbst immer weiter zu lernen. Das ist die Basis: Werte und Kultur im Umgang miteinander, die Art und Weise der Kommunikation, der Respekt von Mensch zu Mensch. Wer Menschen nicht mag, sollte aus meiner Sicht keine Führungskraft sein. Ich will jetzt nicht so vermessen sein zu sagen, dass das irgendwie alles ganz neu ist. Aber uns hat es bewegt. Dieses Vertrauens-Modell. „Naked“ meint dabei, dass ich das als Führungskraft nur leben kann, wenn ich selbst vertraue, wenn ich mich verletzlich zeige, wenn ich offen und nahbar bin. Im gedanklichen Sinne stehe ich nackt da, ohne Rüstung. Ich stimme zu. Aus meiner Sicht ist diese Form von Nacktheit das, was im Presencing gebraucht wird und gleichzeitig das, was entsteht. Gerne möchte ich von Stephan wissen, wie denn das im konkreten Arbeitsumfeld funktioniert. Und weil ich schon viele inspirierende Meetings mit ihm erlebt habe, noch konkreter, wie wir Meetings gestalten können, die uns in die Tiefe bringen Zunächst einmal ist das ganz einfach eine Frage von guter Vorbereitung. Es klingt ein bisschen banal, ist es aber nicht. Gute Vorbereitung meint die Ausrichtung auf diesen einen Moment: Was willst Du als Ergebnis, am Ende dieser Stunde?
7 Stephan Rathgeber: Presencing 165
Mir ist wichtig, dass die Menschen erstmal verstehen, warum sie da sind. Neben der Vorbereitung auf das Zusammenkommen, aka Meeting, bedingt das auch eine Pre-Kommunikation. Ich finde es nicht zielführend, einfach Einladungen rauszuschicken und die Leute im Blauen zu lassen. Außerdem ist es mir wichtig, den Leuten die Freiheit zu geben, abzusagen. Wir können Meetings wirklich optional machen. Das kann bedeuten, dass nur 30 % teilnehmen. Wenn es die richtigen sind, ist das okay. Und wenn die, die absagen, das gut begründen: „Nein, jetzt nicht, weil ich alles verstanden habe und in der Umsetzung bin“. Es geht also darum, das Setting zu klären und diese Freiheit zu haben. Außerdem finde ich es zentral, den Abschluss aktiv zu gestalten: Was nehmen wir jetzt mit? Das muss klar sein. In der Vorbereitung mache ich mir auch Gedanken darüber, das richtige Format zu wählen und es mit Leben zu füllen. Bei der ManpowerGroup haben wir ein Daily Stand-up gehabt. Die ganze Gruppe kommt zusammen, jeder hat seinen Zettel vorbereitet, mit den drei wichtigsten Sachen: Was mache ich heute? Wo brauche ich vielleicht jemanden? Was möchte ich kurz mitteilen? Das war auch emotional. Diese Stand-ups waren beliebt und erfolgreich, weil die emotionale Verbundenheit der Gruppe da war und weil tiefes Vertrauen da war. Ich habe danach bei Hays versucht, das Format einfach zu übertragen. Ich habe mich über Wochen gewundert, warum uns das nicht viel gibt, warum da keine Freude war. Bis ich verstanden habe, dass die das nur tun, weil ich es sage. Dass ich es mit Zwang eingeführt habe und es weder zu den bisherigen Arbeitszeiten noch zu der Natur des Teams passte. Ich führe ja inzwischen Teams, die an verschiedenen Orten verstreut arbeiten. Auch remote Meetings müssen daher intensiv sein. Wir haben in der New Work SE immer wieder mal umgebaut. Natürlich fangen die Leute dann an, sich Gedanken zu machen und vielleicht auch Sorgen zu haben. Ich stelle regelmäßig 45-min-Meetings ein. Optional, für alle, ganz bewusst ohne Agenda. Es geht darum, dass ich da bin, aufmerksam bin und Fragen beantworte, so offen es geht. Manchmal steige ich mit einer persönlichen Geschichte ein, mit Dingen, die mich beschäftigen oder auch treffen. Ich möchte vorleben, dass Emotionalität möglich ist. Und dann entsteht diese Offenheit in der Gruppe.
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Dann können wir über Wichtiges reden. Dann trauen sich die Leute, sich zu entmuten und sagen: „Das fand ich unmöglich, Stephan, da habe ich Angst, da mache ich mir Sorgen. Ich bin in der Probezeit, hab eine Familie zu Hause, ich habe Angst um meinen Job.“ Und wenn Menschen das in einer Runde von 20 Leuten sagen, dann weißt Du, dass in dem Team eine gute Basis da ist. Es ist mir total wichtig, diese Momente bewusst zu schaffen, Menschen dazu zu bewegen, sich auf diese Reise einzulassen. Und dann kommt als Feedback, „Das war super wertvoll“ und ganz viele Herzen. So kann ich dafür sorgen, dass keine Angst entsteht, sondern psychologische Sicherheit bleibt. Meetings sind das eine. Doch als Führungskraft möchte ich ja auch erreichen, dass die Arbeit getan wird. Was, frage ich, ist da aus Deiner Sicht wichtig? Ja, gute Exekution und Dinge zur rechten Zeit umsetzen, das sehe ich als zentrale Aufgabe. Ich glaube starke Exekution gibt es nur in starken Teams. Es ist eine hohe Kunst, das Miteinander in der Gruppe zu haben. Das kann nicht in einem Meeting gelingen. Dafür braucht es lange Zeiträume und auch operative Maßnahmen. Wir machen anonyme Checks alle vier Wochen im Team. Mit so zentralen Fragen wie, „Bin ich happy?“ und „Verstehe ich unser Ziel und unsere Strategie?“ Wir haben da sehr hohe Beteiligungsquoten. Wir schauen sehr genau auf die Ergebnisse und agieren dann sofort. Keine Arbeitsgruppe, keine Man-müsste-mal-Projekte. Ich frage dann: Wer geht mit mir ins Gespräch und hilft mir, das Feedback zu verstehen? Und sage: Folgende Aktionen werden wir dazu unternehmen. So haben wir jeden Monat Aktionen, die explizit auf das anonyme Feedback antworten. Insgesamt finde ich es wichtig, als Führungskraft Impulse aufzunehmen. Und auch Impulse von außen in die Struktur, ins Team reinzugeben. Und wenn sie vom Team akzeptiert werden, für gut befunden werden, auch dafür zu sorgen, dass sie umgesetzt werden. Was ich dabei erst lernen musste, ist eine Grundhaltung von: Ich hör Dir zu. Ich akzeptiere auch das Nein. Wenn also mein Growth Marketing Director, mit 20 Jahren mehr Berufserfahrung als ich, sagt, „Stephan, nette Idee, aber funktioniert nicht, weil erstens, zweitens, drittens…“ dann kann ich das heute auch gut abhaken. Wenn die Idee aber dann
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nochmal kommt, dann insistiere ich auch. Dann suche ich nochmal das Gespräch und sage, „Mensch, mach Dir doch mal Gedanken dazu und lass uns in zwei Wochen drüber sprechen.“ Dann steht das als Vorbereitung in unserem 1:1-Planner und dann reden wir auch darüber. Für mich ist das ein guter operativer Ansatz, Menschen mit auf den Weg zu bekommen. Ich möchte mit Stephan noch darüber sprechen, was uns in Sachen Führung künftig erwartet. Im Presencing nennen wir das „die im Entstehen begriffene Zukunft“. Und da wird es erst mal ein wenig wild, finde ich Ich glaube schon, dass wir uns durch technischen Fortschritt so in fünf bis sieben Jahren auch ganz viel virtuell, aber sehr Real Life begegnen. Vielleicht zuerst als Avatare, aber dann auch als Hologramme. So werden wir vom Arbeitsort noch unabhängiger. Wir werden trotzdem das Gefühl haben, dass wir ein persönliches Gespräch führen. Du könntest zu Hause sitzen, hier ein Programm sein und wir würden den Unterschied nicht merken. Da unterschätzen wir, glaube ich, was da gerade abgeht. Und ich glaube, dass wir uns als People oriented Leaders damit nochmal ganz anders auseinandersetzen müssen. Stephan wendet sich dann der Herausforderung zu, die er als die wichtigste Aufgabe von Führung in der Zukunft sieht Das zweite Führungsthema der Zukunft ist eigentlich ein No-Brainer. Es ist das Thema Talent, das uns die nächsten 10, 15 Jahre massiv beschäftigen wird. Habe ich die richtigen Menschen in meinem Team? Wenn ich nicht mehr die richtigen oder überhaupt ausreichend Menschen in meinem System habe, dann kann ich als Führungskraft nicht mehr wirksam sein, dann verwalte ich nur noch. Ich verstehe auch wirklich nicht, warum Führungskräfte das immer noch unterschätzen. Deswegen meine ich, dass Recruiting und Retention der Kern von Führung ist und da massiv mit reingehört. Und das mache ich auch operativ so. Gerade in Aufbauphasen von Teams, wenn Du also wirklich viele Leute suchst, da erwarte ich von Führungskräften 20 % Zeitinvest in Recruiting. Das meint für mich: Talent Pools aufzubauen und auch selbst Active Sourcing zu machen. Das ist nicht HR, sondern das mache ich selbst. Ich will mit den Leuten ja auch in Kontakt treten,
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in jedes Interview reingehen, vorbereitet sein, mit dem Menschen sich auch außerhalb dieser Interview-Szenarien treffen. Nach der Entscheidung „Wir wollen zusammenarbeiten“ dauert es ja oft noch drei bis sechs Monate, bevor jemand startet. Ich halte den Kontakt. Jede Woche. „Hey Isa, wir freuen uns immer noch mega auf dich. Ich habe grad auch Deinen Laptop beantragt, der sollte dann rechtzeitig zum ersten Tag da sein. Wie geht es Dir?“ Und 14 Tage später wieder: „Hey Isa, wir machen ein Teamevent, willst Du abends dazu kommen in die Kiezkneipe und wir spielen Kicker zusammen.“ Jeder, der bei uns in die Teams einsteigt, hat die Menschen vorher schon mal kennengelernt in einer zwanglosen Atmosphäre. Das ist ein Riesen-Erfolgsfaktor. Und verhindert weitgehend dieses Ghosting, dass die Leute einfach ja sagen im Interview, aber die anderen Prozesse parallel weiterlaufen lassen und nie bei Dir anfangen. Das ist kein Einzelfall. Das passiert im hohen zweistelligen Prozent Bereich mittlerweile, dass Menschen einfach nicht den Job antreten oder vorher kündigen, weil sie die Wahl haben. Da hilft es, wenn Du ständig Nähe zeigst, wenn Du Commitment schaffst. Bei meinem letzten Jahresabschlussgespräch ging es – natürlich – um meine Performance. Ich spreche dann mit meinem Chef über Business Kennzahlen. Für mich war aber auch das wichtig: Ich habe in eineinhalb Jahren 35 Menschen in die New Work SE gebracht, alle sind noch da. Für mich ist das mein Top-Erfolg. Abschließend möchte ich von Stephan wissen, wie er zu dem „Naked Leader“ geworden ist, der er heute ist Die erste Führungsaufgabe war schon ein Sprung ins kalte Wasser. Allerdings meine ich, dass ich mich vorher schon kalt abgeduscht und gefühlt eine Badehose dabeihatte. Durch mein Studium und auch durch eine Ausbildung zum systemischen Coach und Berater. Von da an war es ganz klar eine Lernreise. Ich habe eine fachliche Ausbildung, ein Leadership-Training und ein Coaching in mein erstes „Package“ hineinverhandelt. Später habe ich noch eine Design Thinking Innovations Ausbildung in Stanford gemacht. Und natürlich habe ich ganz viel gelernt durch Feedback, durch Fehler und durch Vorbilder.
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Erst kürzlich habe ich Feedback zu der Frage bekommen: „Was schätzt Du an Stephan ganz besonders?“ Es war eine ganz dicke WortBubble „Besonnenheit“. Das hat mich echt gefreut. Das habe ich vorher nie so gesehen. Ich komme da eher von einem „Action“-Stephan. Aber es passt zu mir heute. Wenn eine schwierige Situation da ist, frage ich mich: „Kann ich das ändern, kann ich es annehmen?“ Also „change it, love it or leave it“ als Maxime. In diesem Autonomie Prinzip bin ich unterwegs. Mein Credo als Leader: Ich bin für meine Emotionen selbst verantwortlich und damit auch für mein Verhalten. Ich wähle jeden Moment wieder meine Einstellung und handle danach. Das war ein sehr intensives Gespräch. (Und gar nicht so leicht, zusammenzufassen.) Vermutlich naheliegend, haben wir doch über Presencing gesprochen. Darüber, in die Tiefe zu führen. Aus der Tiefe heraus zu agieren, naked, ohne Rüstung. Es war auch ein Gespräch mit einem Vertreter einer anderen Generation. Ich denke, das merkt man. Allein schon die Selbstverständlichkeit, in der virtuelles Führen und solches in Präsenz sich verschränken. Danke Dir, Stephan Rathgeber.
8 Christine Dübler: Ideen sammeln
Seit dem Jahr 2000 ist Christine Dübler bei ZwickRoell. Gestartet als Assistentin des CEO und Inhabers, Dr. Stefan Roell. Dann auf verschiedenen Positionen in Sales und Customer Service. Heute ist sie Vorstand, Chief Sales & Service Officer. Sie sagt: „Ich bin auf der Suche nach Inspiration und kreativen Menschen, neuen Wegen und innovativen Ideen.“ Wie sie das konkret macht, darum geht es in unserem Gespräch.
Mit Christine Dübler möchte ich darüber sprechen, wie das Neue in die Welt kommt. Konkret, wie Ideen entstehen im Unternehmen. Und natürlich, was Führung damit zu tun hat. Christine ist CSO bei ZwickRoell und ihr Weg dahin war schon besonders Ich habe angefangen als Assistentin vom CEO und Eigentümer Dr. Jan-Stefan Roell. Ich war also immer überall „live dabei“ und hab Führung letztendlich mit-erlebt. Schon damals hatte ich wahnsinnig Lust, das selbst zu machen. Als man mir eine Aufgabe im Vertriebs-Außendienst anbot, die Führung beinhaltete, habe ich natürlich zugegriffen. Ich hatte ein starkes Vorbild. Und doch ist völlig klar, das ist etwas völlig anderes, ob der Eigentümer eine Gruppe Menschen führt oder ob ich das mache. Also insofern war © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 C. Andriof, Praxisbuch für wirksame Führung – mit der Theorie U arbeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68092-6_8
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das schon eine starke Linkskurve, die ich da mitgemacht habe. Es war kein einfaches, aber ein tolles Team. Einiges hat gleich funktioniert, Vieles musste ich lernen, zum Beispiel Menschen nicht zu überfahren, nicht nur auf Schwächen zu schauen, sondern Stärken zu stärken und ehrlicherweise lerne ich jeden Tag dazu. Da ich aus der Betriebswirtschaft komme, konnte ich nicht die sein, die immer die beste technische Lösung hat. Aber ich konnte meine Mitarbeiter unterstützen, die Lösungen zu finden und Fragen stellen, die Kundenprobleme erfassen, vor allem auch Zuhören gehört dazu. Akzeptanzprobleme hatte ich nicht. Es war immer anerkannt, dass ich fleißig war und leistungsbereit. So konnte ich mich von der Assistenz-Rolle lösen und so ging das immer weiter. Das zweite, was ich immer einbringe, ist meine Begeisterungsfähigkeit. Ich bin leidenschaftlich bei der Aufgabe. Dazu Offenheit und Fairness im Umgang. Als ich Christine frage, ob sie einen Leitsatz, eine Maxime für ihre Führung hat, sind wir schon mitten im Thema neue Ideen. Denn was sie beschreibt, ist genau die Haltung, aus der heraus Innovationen möglich werden Mir kommen da so zwei Sätze in den Sinn. Der eine ist von Galileo Galilei: Neugier steht immer an erster Stelle eines Problems, das gelöst werden will. Darum geht es doch, sich diese Neugier zu erhalten. Der zweite ist von Einstein und besagt, immer das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten, sei die Definition von Wahnsinn. Ganz praktisch ist für mich auch wichtig, was ich in Führungskräftetrainings gelernt habe, „wer, fragt der führt“ und gute, offene Fragen zu stellen. Wo, frage ich, seid Ihr besonders gefordert? Vor welchen Herausforderungen steht Ihr, bei denen Ideen gefragt sind? Der größte Change, der dieses Unternehmen bewegt und den ich tatsächlich begleite, ist es, den Generationswechsel zu gestalten. Und das ist tatsächlich eine Reise. Das fing schon an mit wirklichen Bereichsleiter-Strukturen, Erweiterung der Geschäftsführung und des Vorstands dann dem Wechsel des Eigentümers in den Aufsichtsrat und geht weiter hin zu einer konsequenten Internationalisierung. Auch wenn die Familie operativ nicht mehr Teil des Unternehmens ist, wollen wir ja trotzdem dieses Werte-Setting erhalten. Das Entkoppeln vom Eigentümer war auch deshalb heraus-
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fordernd, weil er das Unternehmen natürlich sehr, sehr stark mit Ideen geprägt hat. Jetzt müssen diese Ideen im Unternehmen entstehen. Es geht um Neugier, Perspektiven zu wechseln und darum, Mut zu haben, Entscheidungen zu treffen. Wir können da nicht mehr auf den einen im Unternehmen schauen, der Ideen hat und entscheidet. Das ist ein Prozess. Und ich glaube, es gelingt uns in Summe immer besser. Das Unternehmen lernt natürlich, zum Beispiel die internationalen Kollegen besser einzubinden, nicht nur hier vom Ulmer Standort aus zu denken. Dass wir als Unternehmen weiter lernen, davon bin ich fest überzeugt! Wie, frage ich weiter, kann Führung konkret wirksam werden, wenn es um Veränderung, wenn es um das Neue geht Das war und ist ein manchmal durchaus schmerzhafter Lernprozess. Zum Beispiel haben wir hier vor jetzt fast zwölf Jahren mal Bereiche zusammengeführt. Zum Thema Change-Management haben wir im Vorfeld eigentlich nichts gemacht. Und dabei habe ich erlebt: Das funktioniert so nicht. Wir haben es den Mitarbeitern und natürlich auch uns unnötig schwer gemacht. Du schaffst erstmal ganz, ganz viele Barrieren und es braucht enormen Aufwand, die aufzulösen. Seitdem mache ich das anders. Inzwischen haben wir es geschafft, Führung zum echten Bestandteil unserer tagtäglichen Arbeit zu machen. Das klingt jetzt total seltsam, aber Führung braucht Zeit. Und – wie alle – haben unsere Führungskräfte/habe ich davon eigentlich ständig zu wenig. Dennoch: Ich nehme mir gerne Zeit für Führung, weil ich weiß und merke, dass das das Wirksamste ist. Ganz konkret: Ich habe bei mir mehrere Bereiche, die sich wirklich explizit einmal in der Woche Zeit nehmen, um sich über Führung auszutauschen. Das beginnt beim sehr speziellen Einzelfall – „Ich habe gerade einen Mitarbeiter, der kommt nie pünktlich aus der Pause zurück“. Und geht bis zu den großen Führungsherausforderungen – „Wie wollen wir das angehen? Wie wollen wir Mitarbeiter einbinden etc.?“ Da bist Du ja sonst oft allein. Wenn die Dinge gemeinsam diskutiert werden, kriegst Du neue Ideen, Du kriegst auch eine neue Perspektive auf dich selbst. Für mich hat Führung viel mit Reflexion zu tun. Manchmal steckst Du in so einem Tunnel, Du guckst auf was Falsches bei Mitarbeiter,
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Du konzentrierst dich vielleicht doch auf die Schwächen. Beim Führen macht man halt auch viele Fehler. Darum Selbstreflexion. Wenn etwas schiefläuft, ist mindestens ein Teil der Ursache meist auch die Führungskraft. Man guckt in der Regel in den Spiegel. Ich bin überzeugt, wenn man mit Problemen feststeckt, dann hängt das oft am Thema Führung. Warum kommen wir eigentlich nicht auf neue Ideen? Es hilft, wenn wir das adressieren, also das gemeinsam diskutieren. Darüber schafft man einfach noch mal eine ganz andere Ebene nach vorne. Die Bereiche, die explizit und frühzeitig auf Führung gesetzt haben, sind heute in Qualität und Geschwindigkeit besser. Die sind besser vorbereitet, wenn es um Veränderungen geht, die sind kreativer. Die sind mehr nach vorne gerichtet. Und das macht mir richtig Freude. Führung als Möglichmacher für Kreativität, das können wir schon mal festhalten. Ich möchte mehr wissen. Wie, frage ich, kommst Du selbst auf Ideen? Am besten komme ich auf Ideen, indem ich mal Freiräume habe. Ich bekomme tolle Ideen, wenn ich in ganz andere Bereiche, Unternehmen oder auch zu unseren Kunden schaue. Das finde ich sehr, sehr reizvoll. Und ich finde, neue Ideen entstehen besser in Gruppen. Es ist immer wieder faszinierend, wie unterschiedliche Ideen aus diversen Gruppen entstehen. Wenn man mal in die Breite ins Unternehmen geht, jung, alt, weiblich, männlich, aber auch international. Ausgangspunkt ist ja oft ein Problem. Dann finde ich es wichtig, nach vorne gerichtet, neue Ideen zu finden. Sich also mit zusätzlicher Energie, aus der Problemorientierung zu lösen und für das Neue zu öffnen. Nur so funktioniert auf lange Sicht ein Unternehmen. Neudenken meint auch, keine „heiligen Kühe“ im Raum zu akzeptieren, die man nicht anfassen darf. Und doch gibt es die. Ich glaube, es sind zwei Dinge, die man dann machen muss. Erstens muss man klar sagen, es gibt keine Denkverbote. Wir sind dafür verantwortlich, dass die Situation ist, wie sie ist. Und jetzt denken wir neu und nach vorne. Und zweitens musst Du den Mitarbeitern den Raum geben und sie ermuntern, auch links und rechts, vor allem auch zu unseren Kunden zu schauen. Dabei hilft es, ganz bewusst auch neue Mitarbeiter zu „nutzen“, um das, was wir kennen, zu hinterfragen. Es ist wichtig,
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hinter die Mauer zu gucken und zu sagen, lass uns doch mal vorstellen, die Kuh wäre nicht da, wie könnte dann eine Welt aussehen? Ohne diese Mauer, ohne diese Kuh, ohne diese Restriktion? Nicht jeder mag das. Um bei Albert Einstein zu bleiben, wir wollen uns weiterentwickeln und dafür müssen wir etwas Neues tun. Ja, aber es gibt eben auch Reichsbedenkenträger. Da hilft nur sprechen und sich mit dem auseinanderzusetzen, was die Bedenken sind. Man darf ja auch nicht alles nur wegwischen, es ist wichtig, sich damit zu beschäftigen. Und dann hilft es auch, auf die Gruppe zu vertrauen. Wenn Du die Masse auf Deiner Seite hast und wir den Weg gut finden, dann ist es wahrscheinlich auch ein guter Weg. Sie kennen es nicht. Ich schon. Das Schaffhaus. Ein wunderbarer Ort für Kreativität am Rande des Firmengeländes. Ich bitte Christine, uns etwas über diesen besonderen Ort zu erzählen Ja, das Schaffhaus. Ohne unseren Unternehmer, Dr. Jan-Stefan Roell, gäbe es das nicht. Wir hatten spontan ein zusätzliches Haus und den Wunsch, für uns einen Raum zu schaffen, der es ermöglicht, aus dem Alltag auszubrechen. In eine andere, eine deutlich kreativere Umgebung. Die Überschrift für die Gestaltung hieß „Berliner Kaffeehaus“ und so sieht es heute aus. Im Schaffhaus ist alles bunter und vielfältiger. Jeder Stuhl ist anders, nichts von der Stange. Zu dem Namen gibt es eine Geschichte. Weil die Firma mit Amsler, Zwick und Roell ihre Wurzeln in Schaffhausen (Merishausen, ganz präzise), Einsingen und Solingen hat, sollten die drei Meetingräume so heißen. Aber wie nennen wir das ganze Haus? Nach einigem hin und her sagte Herr Roell, der Standort von Amsler sei doch Merishausen. Dann könne man ja auch Schaffhaus(en) fürs Ganze nehmen. Und da im Schwäbischen gerne „geschafft“ wird, passt das. Im Schaffhaus ist alles ausgerichtet auf Teams, auf Zusammenarbeit. Man hat viele Flächen, um daran zu arbeiten, Wände, Whiteboards, Tafeln. Mobile Möbel und Elemente für verschiedene Settings. Im offenen Eingangsbereich gibt es einen großen Tisch, an dem wir im Stehen arbeiten. Und eine Küche, in der wir auch schon gemeinsam gekocht haben, Kässpätzle natürlich. Das Schaffhaus ist eigentlich nur ein paar hundert Meter entfernt. Aber ist wirklich eine andere Welt. Ideal, um sich kreativ mit neuen Themen zu beschäftigen.
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Jetzt haben wir einen Raum für Kreativität. Wie findest Du die richtige Gruppe für die Aufgabe? Du hast schon gesagt divers ist wichtig Ja, das ist interessant. Mir geht es häufig so, dass ich mal quer durchs Unternehmen denke – wer fällt mir ein, wer könnte mitwirken? Vielleicht auch von extern? Ich wünsche mir, dass wir das noch ein bisschen mehr in Richtung „Marktplatz“ entwickeln. Diversität gelingt uns immer besser, aber Team-Zusammensetzung bleibt ein spannendes Entwicklungsfeld. Von der Gruppengröße her gibt es ja heute kaum noch Grenzen, wenn man die Technik dazu nimmt. Aber meist sind es dann doch maximal 15 Köpfe. Gibt es Tools, auf die Du vertraust oder Methoden oder Techniken, von denen Du sagst, damit kann man gut arbeiten? Klar, wir haben hier schon viel probiert. Meist klassisch mit Kärtchen. Wir haben aber auch schon Lego Serious Play genutzt, damit haben wir nicht alle gleichermaßen abgeholt, aber ich fand es spannend. Ich finde kreative Methoden gut. Es geht doch darum, sich wirklich die Zeit zu nehmen. Ob das jetzt Kärtchen schreiben ist, oder auch mal Bilder zu nutzen, wie sehen wir uns eigentlich heute in einem Bild, unseren Status – und wie sehen wir uns in Zukunft? Es muss zum Thema und zur Gruppe passen, auch in den Zeitrahmen und auf jeden Fall Struktur geben. Und meine Lieblingsmethode ist klar, die Case Clinic1. Ich mag auch kleine Anregungen, Übungen, Denksportaufgaben zu Beginn. Ich glaube, es ist schön, erst mal alle in einen Raum zu bringen. Ich bin da und ich bin aus diesem Alltagsgeschäft raus. Mit einer kreativen Anregung fällt es jedem leichter, anzukommen, sich zu öffnen, sich ganz diesem Tag zu widmen. Und wir können erste Bilder schaffen, die zeigen, wo stehen wir heute? Wo wollen wir hin? Insgesamt wollen wir methodisches Arbeiten und Methodenvielfalt im Unternehmen nachhaltig wirksam machen. Und da stelle ich dann immer wieder fest, es fehlt an Zeit, sich mit Methoden auseinander-
1 Case Clinic stammt aus dem Methodenkoffer der Theorie U. Mehr dazu in meinem „Praxisbuch für wirksame Veränderung“ (Andriof, 2021, S. 136) oder in der Presencing Community Verfasser 2023.
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zusetzen, dass man sich mit dieser Methode wirklich gut fühlt. Selbst die Case Clinic, die einfach ist, braucht ja einen geschulten Moderator mit ein bisschen Liebe zum Detail. Führungskräfte brauchen selbst dieses Können oder Experten in ihrem Team – insgesamt brauchen wir mehr Leuchtturm-Köpfe. Denn die sind es dann auch, die immer wieder sage, hey, aber wir haben doch da ein Tool. Sonst geht es wieder unter. Auch beim Thema Tools und Methoden sind wir also wieder bei Führung. Bei ZwickRoell gibt es noch etwas ganz Wunderbares – nämlich die Lernwoche. Die gehört unbedingt zum Thema „Ideen finden“ dazu Die Lernwoche ist ein Angebot an alle Mitarbeiter, Dinge zu lernen, die jetzt nicht unmittelbar auf deren Schreibtisch liegen. Es geht darum, sich wirklich eine Woche im Jahr aus dem Alltagsgeschäft rauszunehmen und für Neues zu öffnen. Jeden Mittag gibt es eine Keynote – von Kunden, von interessanten Unternehmern, Wissenschaftlern. Von Menschen, die uns spannende Impulse geben können. Nachmittags gibt es eine breite Palette an Lern-Angeboten. Internes – da zeigt Dir ein Kollege seinen Arbeitsplatz, wie man eine Maschine zusammenbaut oder schweißt. Externes – von Stimmtraining über schnelles Lesen bis zur Rücken-Schule. Und eben auch methodische Schulungen zu Agilität, Kreativität, Insights, Change und vielem mehr. Die Idee ist, dass Mitarbeiter sich das mal ganz breit angucken können, dass sie auswählen können und durch einen hohen Praxisbezug das wirklich zum Bestandteil ihrer Arbeit machen können. Die Lernwoche machen wir jetzt mehr als 10 Jahre. Und ja, ich glaube auch, dass das ein wichtiges Element ist in dem ganzen Komplex „Wie komme ich eigentlich zu neuen Ideen?“ Ich habe eingangs gesagt, Neugier ist der Schlüssel und dass man auch Ideen ins Unternehmen reinholt. Also nicht immer sagt, ja klar, wir wissen alles, wir können alles. Ich habe nicht den Anspruch, dass wir alles können. Dafür sind wir dann auch am Ende zu klein. Wenn Du in einem Großunternehmen bist, dann hast Du wahrscheinlich eine Gruppe, die sich mit – zum Beispiel – Agilität auseinandersetzt. Das hast Du in so einem mittelständischen Unternehmen nicht. Da hast Du interessierte
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Mitarbeiter, die sich dann einbringen. Und die stärkst Du, zum Beispiel durch die Lernwoche. Na, sind Sie neugierig geworden auf Schaffhaus und Lernwoche? Zu Recht. Das sind großartige Ansätze, um Kreativität im Unternehmen zu stärken. Voraussetzung dafür, ganz klar, eine offene, neugierige Haltung. Und eine Führung, die das Thema im Blick hat. Liebe Christine Dübler, vielen Dank für diese Einblicke.
Literatur Cornelia Andriof (2021) Praxisbuch für wirksame Führung – mit der Theorie U arbeiten, Springer Gabler Verlag, Berlin Ohne Verfasser (2023), Case Clinic, https://www.u-school.org/case-clinic Zugriff: 15.07.2023
9 Hansjörg Votteler: Prototypen bauen
Hansjörg Votteler ist ein Stratege und steht für nachhaltiges Veränderungsmanagement mit einem modernen operativen Fachwissen. Ihm geht es darum, erfolgreiche Strategien zur Verbesserung der Markposition, Effizienz und zur Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle vorzulegen. Im Mittelpunkt dabei immer der Kunde. Ein Denken vom Produkt zur Lösung. Hansjörg war zuletzt Managing Director Germany von APCOA. Seine Stationen zuvor waren die ManpowerGroup, Tempton, CWS boco, DHL und 3D Systems. Um Innovationen und deren Umsetzung geht es in unserem Gespräch.
Als ich Hansjörg Votteler kennen lernte, war er bei 3DSystems. Stereolithographie-Druck war in den 1990er wirklich revolutionär. Ihm waren zwei Dinge wichtig: Wir bieten kein Produkt an, sondern eine Lösung, die aus Kundenperspektive gedacht ist. Und: Wir kommunizieren das nicht als komplexes technisches Produkt, sondern in dem wir Anwendergeschichten erzählen. Beides – aus meiner Sicht – unfassbar gute Ansätze, um von der Idee zur Umsetzung zu kommen. Darum spreche ich mit ihm über „Prototypen: Wie können wir aus Ideen Maßnahmen und Projekte erarbeiten?“ © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 C. Andriof, Praxisbuch für wirksame Führung – mit der Theorie U arbeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68092-6_9
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Bevor wir dazu sehr konkret werden, möchte ich wissen, was ihn als Führungskraft zu diesen Ansätzen gebracht hat Meine erste Führungsaufgabe war „rein ins kalte Wasser“. Davor hatte ich aber bereits gelernt, als Vertriebsingenieur Teams für meine Ideen zu gewinnen, für die ich nicht der formale Vorgesetzte war. Als ich zu 3DSystems kam, war ich ein Top-Verkäufer. Das gleiche habe ich nach innen gemacht: Mitarbeiter, Kollegen begeistern, sodass sie meine Idee „kaufen“. Schwieriger war es für mich zunächst, auch „nach oben“ zu verkaufen. Dafür brauchst Du Pläne, Zahlen, Strategien und musst das sauber aufbauen. Einer unserer Vorstände, der auch Professor an einer amerikanischen Hochschule war, hat mir dann Methoden gezeigt: Wie komme ich von Status und Analyse zur Strategie? Wie kann ich das letztendlich auch in Maßnahmen abbilden und die Leute involvieren? Da habe ich begonnen mit diesem unternehmerischen Denken. Ein wichtiger Mentor für mich, im Nachhinein muss ich sagen, entscheidend für meine Karriere. Vielleicht, denke ich mir, sind es Hansjörgs Wurzeln in Technik und Vertrieb, die ihn zu seinem Denken in Lösungen aus Kundesicht gebracht haben. Das schauen wir uns genauer an Bei 3DSystems war es ein absoluter Meilenstein, als wir Porsche dazu bewegt haben, mit uns eine Entwicklungspartnerschaft einzugehen. Wir waren eine wirklich kleine Company. Prototyping war weit weg von dem, was es heute ist. Und doch haben wir es geschafft, als Werkspartner auf die Rennwagen zu kommen. Unsere Maschinen wurden im Rennsport eingesetzt. So haben wir Visibilität bekommen. Und damit auch den Zugang in die Automobilindustrie, zu BMW, zu Mercedes und anderen. Mit den Formel1-Teams zu arbeiten und um die Welt zu fliegen, das war schon etwas, wo ich viel Spaß hatte. Aber das war mehr: Es ging darum, aus einem Produkt einen Service zu gestalten und über den Service dann das Produkt breiter zu entwickeln. Das war praktisch meine Grundidee und die habe ich dann umgesetzt. Später bei DHL konnte ich das weiterdenken. Ich nenne es Industrie-orientiertes Verkaufen und das hat viel damit zu tun, mit dem Kunden und dann auch die Sprache des Kunden zu sprechen. Ein Beispiel war Infineon. Lagerhaltung und hohe Bestände an Chips sind
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echt teuer. Wir haben dann Storage in unser Produkt integriert. Die Verfügbarkeit wurde über unser Netzwerk dargestellt. Durch unsere Logistik-Lösung konnte der Bestand signifikant reduziert werden. Ein Riesenvorteil für den Kunden und als Unternehmen haben wir gezeigt: Wir können mehr, als ein Paket von A nach B zu verschicken. Spannend war auch eine Lösung, die wir für Ratiopharm entwickelt haben. Der Verantwortliche sagte zu uns: Wir wissen ja genau, wann ein Patent ausläuft und wir unser Produkt auf den Markt bringen können. An dem Tag wollen wir als erster in der Apotheke sein. Vor allen anderen Generika-Herstellern. Wir haben gesagt ok, wir begleiten das Projekt. Dort, wo das Medikament produziert wurde, haben wir zwei große Flugzeuge hingestellt und so beladen, dass die eine Minute nach Mitternacht in den deutschen Luftraum eingeflogen sind. Auch das Umladen war perfekt organisiert und um 09:00 Uhr haben hunderte Fahrzeuge Apotheken praktisch in ganz Deutschland beliefert. Damit war unser Kunde ganz weit vorn. Wieder: Ja, wir haben letztlich nur Pakete von A nach B transportiert. Aber durch die Zusammenarbeit mit dem Kunden war es am Ende eine komplette Industrie-Lösung. Ich versuche immer wieder, solche Ansätze zu finden und umzusetzen. So war das auch bei der Packstation. Kennt ja heute jeder. Die Idee war praktisch schon tot. Nach ersten Tests hieß es, das will keiner. Wir haben dann eine Industrie-Lösung daraus gemacht. Wir haben Packstationen bei Infineon und bei SAP in den Zentralen aufgestellt. Die Mitarbeiter haben das schnell angenommen. Und seitdem läuft das. Bei CWS habe ich wirklich gute Produkt vorgefunden, aber wenig Service drumherum und alles recht isoliert. Wir haben angefangen, den Waschraum als Ganzes zu sehen. Also nicht den einzelnen Spender, sondern eine Hygiene-Lösung zu verkaufen. Das hat sehr schnell Erfolge gebracht. Das sind ja ganz unterschiedliche Produkte und Lösungsansätze. Wie, möchte ich wissen, kommst Du zu diesen? Tatsächlich ist für mich das entscheidende der Kontakt mit den Leuten. Sowohl direkt mit dem Kunden als auch mit den Mitarbeitern, die im täglichen Kundenkontakt sind. Darum ist es mir so wichtig, mit den Menschen an der Basis zu sprechen. Ich glaube, da liegt der größte Schatz. Für mich gibt
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es im Unternehmen keinen Menschen, der irgendwie wichtiger ist oder wertvoller als andere. Im Austausch mit dem Fahrer lerne ich, was der Kunde zu der ausgelieferten Ware sagt. Das weiß ein Manager sonst nicht. Bei APCOA bin ich durch die Parkgaragen gelaufen, habe mit den Leuten gesprochen und mir alles vor Ort angesehen. Dann merkst Du, wenn die Abfahrt einfach nicht optimal gestaltet ist, sodass die Leute sich das Auto anhauen. Und Deine Mitarbeiter vor Ort wissen über die konkreten Probleme halt am meisten. Wenn ich das, was ich vor Ort sehe, was Mitarbeiter und Kunden sagen und ich vom Markt weiß, zusammennehme, ja, dann entwickle ich eine Business-Idee. Du beschreibst eine Idee und beginnst das dann in Ziel und Maßnahmen runterzubrechen. An diesem Punkt wird dann auch Kommunikation ganz wichtig. Wie spreche ich so über das Neue, dass sich Menschen das vorstellen können, dass es Menschen begeistert? Früher hieß das noch nicht Storytelling, da haben wir von Customer Success Stories gesprochen. Aber die Idee ist die gleiche: Wir sagen nicht nur, hier ist das Produkt. Sondern wir erzählen eine Geschichte darüber, was das Produkt kann. Nehmen wir das Parkhaus. Heute ein Kasten aus Beton. Wenn Du aber genau hinguckst, ein Ort voller Möglichkeiten mitten in unseren Innenstädten. Hier könnten wir viel einfacher und effizienter parken, wenn das automatisiert wäre. Wir könnten es als zentralen Hub nutzen, wo wir auch unsere Klamotten von der Reinigung abholen oder sogar den neuen Führerschein. Über ein Schranksystem ähnlich den Packstationen. Auch Unternehmen könnten Parkhäuser ganz anders nutzen. Wenn eine zentrale Anlieferung hier erfolgt und der weitere Transport dann über Lastenräder in die Geschäfte – das wäre doch großartig für die Fußgängerzonen. Mit Solarzellen auf dem Dach tanken die E-Autos hier direkt von der Sonne. Und so weiter. Wir haben bei APCOA ein Bild gemalt von einem solchen Parkhaus der Zukunft, wie so ein Wimmelbild. Und jeder findet sich darin wieder. Und jeder sagt, wow, cool, das wäre echt gut. So kannst Du über das Geschichten erzählen, Menschen einladen, sie begeistern und dann auch überzeugen mitzumachen.
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Ich kenne das Parkhausbild und weiß, wie spannend es ist. Und doch denke ich gerade, dass eine Produkt- oder Lösungsidee nicht reicht. Was ist mit dem Kontext. Was ist noch wichtig, um in Unternehmen in Sachen Umsetzung voranzukommen, frage ich Ganz klar: Hierarchien abbauen. In vielen alten Companies hängt das Geld in den Hierarchien fest. Die Leute sind nicht zufrieden. Sie sind nicht Teil des Geschäftes und die Wertschöpfung ist minimal. Darum frage ich immer: Welche Hierarchie braucht man nicht? Und dann geht es darum, jedem klarzumachen, wo wir als Firma hinwollen. Vision, Mission – das dürfen keine Schlagwörter bleiben. Sondern in klaren Zielen definiert und machbar sein. Dafür brauchst Du eine Führung, die das zulässt, ja, die das auch will. Wenn Führung oder Eigentümer rein Controller-getrieben sind, nur Zahlen hören wollen, keine Ideen, dann wird das nichts. Ich habe das leider mehrfach erlebt. Dann bekommst Du als Führung die Aufgabe, noch mal an allen Schrauben zu drehen, noch ein bisschen mehr Geld rauszuquetschen. Das kann man machen, nur nach vorne passiert dann wenig. So werden Chancen vertan. Ich weiß noch, als wir bei CWS-boco über den Bereich Berufsbekleidung nachgedacht haben. Da ging es auch um Kauf-Ware. Nicht wirklich unser Ding, wir hatten ja Wäschereien und wollten Berufsbekleidung vermieten. Uns ist es nicht gelungen, das in unser Firmenziel einzubauen. Und auf dem Markt: Tja, damals war Engelbert Strauß eine kleine Firma. Inzwischen sind die eine fette Company geworden. Sie haben es geschafft, eine starke Marke aufzubauen, auch zu zeigen, dass gekaufte Berufsbekleidung steuerlich absetzbar ist und Sinn macht. Es reicht also nicht, eine Idee zu haben. Du musst Dir Partner suchen in der Firma. Du musst die Idee weiterentwickeln bis zum konkreten Strategieplan. Und das musst Du dann dem Eigentümer verkaufen. Dafür brauchst Du schlanke Strukturen, flache Hierarchien, agile Methoden. Bei APCOA habe ich zum ersten Mal mit OKR1
1 OKR = Objectives
and Key Results, eine agile Managementmethode, die Unternehmensziele mit den Zielen von Teams und Mitarbeitenden verbindet.
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gearbeitet Das finde ich spektakulär. Aber auch für mich anfangs schwierig. Du musst Dir immer Gedanken machen, was willst Du nächste Woche, was willst Du in zwei Monaten etc.? So beschreibst Du Deinen Weg viel genauer und immer in Abstimmung mit dem Team. Motivation, die Leute begeistern und mitnehmen. Davon spricht Hansjörg immer wieder Für mich ist es Teil meines unternehmerischen Denkens, die Leute abzuholen. Das geht für mich nicht mit Vorgaben oder Ansagen. Ich brauche Köpfe, die Spaß haben, die mitgehen wollen. Und diese Motivation kann ich auch verstärken. Es ist schon so, dass ich die Energie, die ich habe, täglich ein Stück weitergebe. Begeisterung ist ansteckend. Ich glaube, darum geht es, dass Du jeden Tag den Willen zeigst, dass Du die Menschen wertschätzt und weiterentwickeln möchtest. Es ist auch vorgekommen, dass ich Menschen überfordert habe mit meinem Tempo und meinen Ideen. Ich wollte immer mal wieder Dinge mache, von denen ich weiß, wie sie funktionieren. Aber ich konnte noch nicht den klaren Plan darstellen. Und dann sagen die Leute, ok, komm wieder, wenn Du den Plan genau hast. Das war in der Vergangenheit teilweise extrem schwierig und da habe ich auch viel gelernt. Auch Hansjörg frage ich am Ende des Interviews, welche Frage ich noch hätten stellen sollen. Über welches Thema wir noch hätten sprechen können. Das bringt uns zu Gedanken über „die Führungskraft von morgen“. Aber lesen Sie selbst Mir hat mal ein Freund gesagt, der Grundfehler ist doch, dass der Manager sich oben an der Spitze sieht und nach unten regiert. Können wir das Bild nicht umdrehen? Die Führungskraft ist unten und stützt die Firma. In der Praxis finden wir das selten. Und ich denke, das hemmt ein Stückchen unsere Wirtschaft. Manager sollten es schaffen, sich nicht so wichtig zu nehmen. Natürlich musst Du führen, die Leute begeistern und mitnehmen. Aber genauso wichtig ist es doch, sich nicht so wichtig zu nehmen und andere Meinungen zuzulassen. (Wenn Frauen in Macht-Positionen gehen, sind die in der Regel ganz anders aufgestellt.) Am besten ist es, wenn wir Eigenschaften kombinieren. Zum Beispiel auch in einer Doppelspitze. Ich war früher kein Fan davon,
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aber ich glaube an das Modell für die Zukunft. Weil sich so Stärken kombinieren und Schwächen ausgleichen. Weil schon in der Spitze immer Gespräch ist. Und nicht zuletzt auch, weil es andere Arbeitszeitmodelle möglich macht. Und der Manager als solches? Der muss vor allem flexibel im Kopf bleiben. Das Leben hört nicht mit 55 auf. Wenn wir bis 70 körperlich fit sind, sollten wir uns auch im Kopf fit halten. Ich denke, wir werden künftig deutlich länger arbeiten. Und dafür müssen wir offen sein und offen bleiben. Wir haben in Deutschland in den letzten Jahrzenten versucht, das angelsächsische System Richtung Zahlen aufzuholen und haben das auch den Managern beigebracht. Wenn das dazu führt, dass wir um den letzten Euro ringen und nicht mehr den Menschen in den Mittelpunkt stellen, haben wir etwas falsch gemacht. Und: Wenn das auch dazu führt, dass wir nicht mehr ins Risiko gehen, haben wir etwas falsch gemacht. Wir brauchen Innovationen. Und das bedeutet auch, als Manager Risiken einzugehen. Wenn ich jetzt meine History anschaue: Natürlich habe ich Fehler gemacht. Aber hätte ich die nicht gemacht, hätte ich vieles nicht erreicht. Mit und für meine Kunden und Mitarbeiter. Dialogisch, flexibel, offen, innovativ und auch risikofreudig. Ja, vielleicht sind das genau die Eigenschaften, die eine Führungskraft braucht, um mit dem Team von der Idee zur Umsetzung zu kommen? Wenn Sie dazu noch sich selbst nicht so wichtig nehmen, ist es der Erfolg aller. Ich denke auch das begeistert und motiviert. Last but not least fand ich es spannend, was Hansjörg über die Scharnierfunktion der innovativen Führungskraft zwischen Eigentümer und Mitarbeiter erzählt hat. Kommunikation in beide Richtungen ist herausfordernd und erfolgskritisch. Danke auch Dir, lieber Hansjörg Votteler, fürs Teilen.
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Maren Otte ist ein Kommunikationsprofi durch und durch. Gerne zitiert sie Humes: „The Art of Communication is the Language of Leadership“. 18 Jahre hat sie die CWS Group, Teil des Haniel Konzerns, geprägt, zuletzt als Group Director Corporate Communications & Sustainability. Neben der klassischen Unternehmenskommunikation wirkt sie in den Bereichen Marke, Change, Krise, Nachhaltigkeit. Für die CWS Climate Strategy wurden ihr Team und sie mit dem „Enkelfähig Award" ausgezeichnet, für den Aufbau der Dachmarke mit dem German Brand Award. Heute ist sie Head of Corporate Communications und Member of the Global Leadership Team der Röhm GmbH. Wie schafft man das alles? – darüber sprechen wir.
In allen Projekten, die ich gemeinsam mit Maren Otte und ihrem Team gemacht habe, ist mir vor allem eines aufgefallen: Wie unfassbar viel hier umgesetzt wird. Und das auf der ganzen Skala von kommunikativen Routinen, über professionelle Markenführung, starke Nachhaltigkeitskonzepte bis hin zu komplexem Krisenmanagement. Ich wollte wissen: Wie geht das? Gleich zum Start des Gespräches stolpern wir in ein anderes spannendes Thema: Vom Kollegen zur Führungskraft Zur Führungskraft wurde ich über Nacht. Ich habe damals als Kommunikationsexpertin © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 C. Andriof, Praxisbuch für wirksame Führung – mit der Theorie U arbeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68092-6_10
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im Team gearbeitet. Dann wurden Abteilungen zusammengelegt und ich wurde als Führungskraft für beide Abteilungen ausgerufen. Das war schon eine Herausforderung, 24 Stunden vorher hatte ich noch mit den Kollegen zusammengearbeitet und dann war ich plötzlich ihre Vorgesetzte. Ich glaube, wir haben das am Ende ganz gut hinbekommen, aber der Anfang war natürlich holprig. Später habe ich dann ein General Management Programm gemacht. Das war sehr hilfreich. Vor allem, weil ich so Teil eines Netzwerks von Führungskräften wurde, mit dem ich mich austauschen konnte: Wie geht man um mit Konflikten? Wie geht man in sein erstes Trennungsgespräch? Wie schafft man eine Vision fürs Team? Theorie und Praxis sind ja immer noch zwei unterschiedliche Dinge. Bevor wir konkreter hineinschauen, wie Maren in die Umsetzung führt, frage ich sie high-level nach so etwas wie einem Leitspruch, einer FührungsMaxime. Ich möchte mehr wissen über ihre allen Aktivitäten zugrunde liegende Haltung Für mich ist Führen auf Augenhöhe ein wichtiger Punkt. „Per Order de Mufti? – wer ist eigentlich Mufti?“ Dieses Prinzip, dass es von oben eine Ansage gibt, und die müssen wir jetzt umsetzen, das funktioniert nicht. Das funktioniert heute viel weniger als es jemals funktioniert hat. Insofern ist es für mich wichtig, dass man Respekt voreinander zeigt. Im Arbeitsalltag ist mir auch extrem wichtig zu überlegen, wie sieht die Welt aus den Augen des anderen aus? Also was sind seine Hürden, was ist seine Agenda und wie können wir eine gemeinsame Agenda schaffen? Stakeholder Management wird aus meiner Sicht oft unterschätzt. Natürlich dauert es manchmal länger, alle an Bord zu holen. Aber ich glaube, dass Menschen motivieren und Führen auf Augenhöhe der beste Weg ist. Das bedeutet auch, dass alle das Gefühl haben, sie können Themen offen ansprechen. Besonders wichtig ist dies in Situationen, die wirklich in die Hose gegangen sind. Keiner soll damit beschäftigt sein, Fehler irgendwie zu vertuschen. Stattdessen kommen wir alle an den Tisch und wissen, ok, solche Sachen passieren und was können wir gemeinsam tun, um das zu lösen? Das ist in der Theorie eine sehr einfache Maxime. Aber in der Praxis funktioniert es nur, wenn man auch den Menschen
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sieht, wenn man das Vertrauen zueinander hat, wenn man auch weiß, man hat das Backing. Ganz persönlich muss ich sagen, Lachen, also Führen mit Humor, ist für mich total wichtig. Im Arbeitsalltag passieren einfach absurde Sachen, es gibt irgendwie vollkommen ineffiziente Meetings oder so – und man muss dann auch mal darüber lachen können und sagen: Das war jetzt wirklich ne Vollkatastrophe. Respekt, Perspektivwechsel, Fehler-Kultur und auch Lachen. In welchem Rahmen kann diese Art von Führung wirken, möchte ich wissen Mein Team hatte eine super spannende Aufgabe, weil es strategisch und operativ war. Kommunikation, Verantwortung für 15 europäische Länder, Nachhaltigkeit, Marken-Kommunikation und Rebranding. Ich habe das Team strukturiert, Teamleiter etabliert und dann auch Verantwortung delegiert. Es gab damit einen kleinen Führungskreis, einen Kreis von Vertrauten, der gemeinsam die Strategie umsetzt und auch versteht, wohin man gehen will. Und in dieser Struktur gibt es natürlich auch eine klare Aufgabenverteilung im Team. Es gibt Standard-Prozesse, die kosten Zeit, die muss man einfach abarbeiten. Und dann gibt es andere Themen, so wie zum Beispiel diese Krisen-Situationen, da wird es spannend und da sind auch alle Feuer und Flamme zu überlegen, wie gehen wir da ran und schaufeln uns frei, um diese Aufgaben zu erledigen? Wir haben klassische Projektmanagement-Tools, die für alle transparent machen, welche Projekte laufen. Wer kümmert sich, wieviel Zeit geht da rein? Dazu daily Stand-ups. In der Kommunikation gibt es immer eine gewisse Dynamik, da kann man nicht einmal in der Woche Team Meeting machen und den Rest der Woche läuft das. Man braucht eine sehr enge Zusammenarbeit. Wir arbeiten in TeamRäumen, in denen wir Projekt-Fortschritte zeigen, Dokumente für alle zugänglich machen, auch den Status der Projekte miteinander teilen und in die Chats stellen. Diese Transparenz hilft. Unschlagbar ist aber auch eine gewisse Leidenschaft für die strategischen Themen, die dann da so rein flattern. Ich bin ein großer Freund davon, Teams situationsspezifisch zusammenzustellen. Wenn jemand sagt, dass er gerade Luft hat oder Interesse an einem bestimmten Thema, dann wird das im
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Team Meeting auf den Tisch gelegt und Projekte neu zugeordnet. Nicht nur um es zu schaffen, sondern auch um einfach mal andere Dinge zu bearbeiten. Das hat uns geholfen, die Dynamiken zu managen. Ich weiß, dass Maren in ihrem Team ein Führungs-Tandem hat. Eine – zumindest bisher – besondere Struktur. Das möchten wir mit Ihnen teilen Was wir auf jeden Fall, glaube ich, als Gesellschaft lernen müssen, ist, dass Teilzeit und Verantwortung sich nicht ausschließen. Ich habe auch einen großen Teil meiner Karriere in Teilzeit gearbeitet. Leadership und Verantwortung haben nichts mit Arbeitszeiten zu tun. Es braucht nur etwas Flexibilität auf beiden Seiten. Gerade jetzt, im Kontext des remote Arbeitens, ist das noch viel einfacher geworden. Ich glaube, es tut allen gut, verschiedene Perspektiven und Modelle zu integrieren und dann mutig voranzugehen. Ja, ich habe ein Führungs-Tandem in meinem Team etabliert. Wir haben also eine Führungsposition, die auf zwei Personen aufgeteilt ist, beide Kolleg:innen füllen die Rolle mit 50 % Arbeitszeit aus. Alle Anfragen, alle Themen gehen immer an beide und sie stimmen miteinander ab, wer was bearbeitet. Dadurch muss man nicht irgendwelche künstlichen Zuordnungen schaffen. Und gleichzeitig profitieren wir immer von zwei Perspektiven. Für uns als Organisation war das natürlich ein Schritt, das zu machen. Auch ich war anfangs etwas skeptisch. Aber das funktioniert perfekt. Nicht nur organisatorisch, sondern auch inhaltlich. In der Bearbeitung profitieren die Themen von den doppelten Perspektiven, Ideen und Stärken, die beide einbringen. Voraussetzung ist natürlich eine kompromisslos offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Wir haben den Auswahlprozess extern begleiten lassen und ich habe gelernt, dass die fachliche Passung der Personen eine untergeordnete Rolle spielt. Entscheidend für das Matching ist der Faktor Mensch. Mit „unschlagbar ist eine gewisse Leidenschaft“ waren wir eben ja schon mitten im Thema Motivation. Auch darüber möchte ich mehr wissen Ich gehe das auch mit meinem Team immer von der Seite an „whats in it for me?“. Wenn ich so ein Projekt abliefere, dann natürlich, um das Unternehmen erfolgreich zu machen, aber eben auch, um selbst an
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einer Aufgabe zu wachsen oder neue Erfahrungen mitzunehmen. Dann kommt Motivation von innen. Was ich außerdem wichtig finde, ist der Team Zusammenhalt. Dafür haben wir uns mindestens zweimal im Jahr eine komplette Auszeit genommen. Raus aus dem Alltag und ganz andere Sachen machen. Kanu fahren, Lama-Wanderung, Flugsimulator, dann auch mal von Leuten hören, die extreme Erfahrungen gemacht haben, zum Beispiel als Bergsteiger. So können wir außerhalb des eigenen Berufsalltags reflektieren, wie funktionieren Teams, wie geht man mit Krisen um? Ich finde beides ganz wichtig, zum einen den Input zu bekommen, zum anderen aber auch dem Team Gelegenheit zu geben, einfach miteinander zusammenzuwachsen und auch mal private Dinge zu besprechen. So wächst Vertrauen. Motivation ist übrigens auch der Schlüssel, wenn man ohne disziplinarische Funktion führt. Das ist in meinem Job sehr häufig so gewesen. Vor allem im Bereich der Nachhaltigkeit hatte ich eigentlich ständig mit Fachbereichen zu tun, denen ich erstens nichts zu sagen hatte und die zweitens auch viele andere Dinge zu tun haben. Ich habe ein großes Klimastrategie-Projekt geführt. Kurz zuvor waren wir als Firma von einer Cyber-Attacke getroffen worden. Wir mussten viele Abläufe ganz neu aufbauen und ich kam mit dem Thema Klimastrategie. Klar, dass unsere Kollegen sicher waren, dass ungefähr eine Millionen Dinge jetzt wichtiger sind. Und wir haben es trotzdem geschafft, vor allem durch eine klare Projekt-Struktur und auch einen zeitlich begrenzten Fokus. Wir haben gesagt, es sind zwölf Wochen, wir brauchen euer Brain. Wir versuchen, die Zeit zu minimieren, die ihr reinstecken müsst. Es hat sehr gut funktioniert, weil wir die Menschen dann auch haben sehen lassen, was sie bewirken können mit ihrem Input. Es wurde viel im Hintergrund mit dem Input weitergearbeitet, es kam eine konkrete Strategie raus mit Zahlen und Fakten, die allen Unternehmensbereichen weitergeholfen hat. Ich habe im Projekt gemerkt, dass sich das gelohnt hat, dranzubleiben. Immer wieder die Menschen – zur Not einzeln – anzusprechen und zu erläutern, warum ihr Input jetzt notwendig ist. Die Motivation kam auch daher, dass wir stetig sichtbar gemacht haben, was das gemeinsame Ziel ist und was wir auch schon geschafft
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haben auf dem Weg. Ich denke, auch das ist ein großer Hebel: Zu sehen, ich kann hier wirksam handeln. Im Prozess entsteht dann für jeden Einzelnen dieses Gefühl der Selbst-Wirksamkeit. Weil man sieht, was daraus wird. Wir haben uns da gemeinsam als Team aus meiner Sicht etwas wirklich Großes vorgenommen. Mit dem Ergebnis waren wir alle sehr zufrieden. Das, was letztes Jahr noch PowerPoint war, sind heute konkrete Projekte, die umgesetzt werden. Die in den Wäschereien und in der Logistik tatsächlich stattfinden. In der Zusammenarbeit haben wir uns mal mit dem Team gemeinsam die Teamrollen nach Belbin angesehen. Die handlungsorientierten Rollen waren stark vertreten und sie waren visualisiert… ja, ja, mit einer Peitsche. Das Bild des Peitschen-Teams hat mich damals etwas erschreckt. Weil es natürlich impliziert, dass man ein Team gegen Widerstand vorantreibt. So war das nicht. Aber starke Handlungsorientierung – klar. Dazu kommt wohl auch meine Begeisterungsfähigkeit. Ich bin nicht besonders gut darin, mich rauszuhalten. Wenn ich sehe, dass es irgendwo Arbeit gibt oder einen sinnvollen Beitrag der Kommunikation, der Nachhaltigkeit, der Marke – dann bin ich dabei und möchte natürlich auch mein Team entsprechend positionieren. Insofern gibt es kein „Wir sind nicht zuständig“, ich bin allergisch gegen „Ich bin nicht zuständig“. Ich habe viele Netzwerke gesponnen und mich in viele Bereiche eingebracht. Das hat dazu geführt, dass die Projekt-Dichte zum Teil relativ groß war. Was natürlich aber auch die Reichweite der Abteilung und der Arbeit immer weiter erhöht hat. Und das hat – glaube ich – am Ende auch extrem motiviert. Du siehst, Du kannst was bewirken, Du kannst vorangehen und eben auch Deinen Beitrag leisten. Was, frage ich weiter, sind Barrieren? Wann wird es schwierig, mit dem Team in die Umsetzung zu kommen? Ich finde es besonders dann schwierig, wenn ich Dinge umsetzen muss mit meinem Team, hinter denen ich nicht stehe. Auch das passiert natürlich hin und wieder. Man kann nicht an jedem Projekt beteiligt sein und man kann auch nicht jede Entscheidung selbst treffen. Es gibt auch mal strukturelle oder
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auch strategische Themen, die ich inhaltlich nicht richtig finde, die aber trotzdem umgesetzt werden müssen. Da stehen sich Mensch und Profi gegenüber. Ich versuche dann, in der Kommunikation mit meinem Team Informationen und meine Bewertung klar voneinander zu trennen. Ich versuche, die Leute trotzdem mitzunehmen. Das geht eigentlich nur, wenn man das Licht am Horizont im Auge behält und das Aktuelle im Kontext eines größeren Ganzen bespricht. Gibt es, möchte ich wissen, auch Momente der Ruhe oder Pausen? Was passiert, wenn ein Projekt abgeschlossen ist? Ich muss mich selbst immer ein bisschen bremsen, um innezuhalten und einen Erfolg auch zu genießen. Mir geben erfolgreiche Projekte einen Push, das gilt auch für Teams. Erfolg macht eben Spaß. Wir haben das aber im Team reflektiert und uns klassische Projekt-Reviews zur Aufgabe gegeben. Das ist gar nicht so leicht, wenn 3000 andere Dinge brennen. Trotzdem haben wir uns die Zeit genommen und gemeinsam auf ein Projekt zurück geschaut mit einer Stopp-Start-Keep-Logik. Was würdest Du stoppen? Was würdest Du beim nächsten Mal starten? Was würden wir genauso beibehalten? Das hat uns immens geholfen, die Erfolgsfaktoren unserer Zusammenarbeit noch mal klar zu besprechen und auch die Dinge zu würdigen, die gut funktioniert haben. Und Erfolge feiern? Früher – also vor remote work – habe ich oft Käsekuchen gebacken. Im Ernst, mir ist es extrem wichtig, Anerkennung zu geben. Es ist ja immer schön, wenn der Chef dann irgendwie zum Projektleiter sagt, „Hast Du gut gemacht“. Was ich aber viel wirksamer finde ist, dass auch das ganze Team sich Zeit nimmt. Und dass Anerkennung öffentlich wird. Auch Social Media hilft im Zusammenhang mit „Erfolge feiern“. Wir haben im Gespräch noch das eine oder andere Thema vertieft. Social Media als Bühne für Erfolg und zum Austausch von Erfahrungen. Frauen in Führung, was Maren schon allein wegen der Diversität der Sichtweisen schätzt. Generation X, Y, Z, Alpha, deren Einstellung zur Arbeit Maren gut findet: Sie wollen nicht weniger arbeiten, aber achten auf Sinnhaftigkeit, so die Essenz. Ja und dann war unsere Zeit um und Maren fasst ihren „Just-
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do-it-Modus“ für uns noch mal zusammen Gerade im Konzern-Kontext beschäftigst Du Dich oft lange mit Vorbereitung, Abstimmung und irgendwie Steering des Projekts. Ich denke dann, lass uns doch jetzt einfach mal anfangen. Wenn wir beginnen, sehen wir die Eigendynamik, die alle Themen entwickeln. Und es wird am Ende sowieso irgendwie anders als geplant. Nicht nur Projektpläne und Steering Committees sind wichtig, sondern People und Passion. Wenn man an eine Aufgabe ran geht, dann ist für mich der Blick für die Menschen besonders wichtig: Wer ist hier, was haben die Leute für eine Agenda? Was wollen die auch vielleicht von mir, was kann ich tun, um ihnen auf ihrem Weg zu helfen? Die Menschen zu gewinnen ist das, was am meisten Zeit kostet und am wichtigsten für den Erfolg ist. Faktor Mensch schlägt jeden Projekt-Plan. Natürlich braucht es Vorbereitung. Und immer wieder Checks, sind wir auf dem Weg? Aber ansonsten gilt auch hier die 80:20 Regel. In vielen Fällen sorgen 20 % des Inputs für 80 % des Outputs. Oder anders ausgedrückt: Starte doch erstmal dort, wo der Impact am größten ist und Veränderung spürbar und sichtbar wird. Ein pragmatischer erster Schritt oder eine erste Vorlage helfen, die strategische Richtung zu klären. Dabei dafür sorgen, dass man Dinge nicht überkompliziert. Natürlich braucht es auch eine gewisse Flexibilität in der Herangehensweise auch mit Umwegen. Ja, auch Umwege genießen. Ein Störfaktor ist vielleicht gerade etwas, an dem wir wachsen. Enjoy the journey. Mein Lieblingssatz: „Das, was letztes Jahr noch PowerPoint war, sind heute konkrete Projekte, die umgesetzt werden.“ Und ja, wir haben über Strukturen, Tools, Ansätze gesprochen. Vor allem aber über Fragen der Haltung und des konkreten Führungsverhaltens. Danke, Maren Otte, für Deine Zeit und Deine geteilten Erfahrungen.
Epilog: Und nun?
Hat Ihnen die Lektüre „geholfen“? Sie inspiriert? Konnten Sie konkrete Anregungen für sich finden? Das hoffe ich so sehr. Natürlich gibt es viele Bücher über Führung. Und natürlich hätte Chat-GPT auch einen umfangreichen Text geliefert, wenn ich es nach Führung gefragt hätte. Aber darum ging es mir ja nicht. Ich wollte meinen vier Gedanken zu Führung folgen: Führen ist gelerntes Verhalten. Führung ist Kommunikation. Muss sich Führung verändern? Theorie U hilft. Und Ihnen dafür Erfahrungen und Ansätze zugänglich machen, die Sie so nicht im Internet finden. Und von denen Sie vielleicht profitieren können. Das Ganze nicht „im luftleeren Raum“, sondern eingebettet in ein methodisches Framework. Die Theorie U gibt uns Praktikern immer wieder hilfreiche Denkanstöße und auch Methoden. Das „Praxisbuch für wirksame Veränderung“ habe ich im Lockdown geschrieben. In fast klösterlicher Kontemplation. Das war bei diesem Schreibprozess natürlich ganz anders. Organisatorisch war es deutlich schwieriger, schließlich ist es nicht ganz einfach, neben der täglichen Arbeit Zeit dafür zu finden. Ich habe für mich dann die „Buchwochen“ eingeführt. Nahezu kundenfreie © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 C. Andriof, Praxisbuch für wirksame Führung – mit der Theorie U arbeiten, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68092-6
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196 Epilog: Und nun?
Phasen, in denen ich mich auf Denken und Schreiben konzentrieren konnte. Inhaltlich wurde es deutlich dialogischer. Damit meine ich, dass der Schreibprozess immer wieder von der täglichen Praxis inspiriert wurde. Und umgekehrt. Das hat, hier und da, Aktualität in das Manuskript gebracht. Vielleicht aber auch den einen oder anderen Bruch. Dieser Dialog war es, der mich immer wieder zu der Frage geführt hat, soll ich das Thema xy noch mit aufnehmen? Die, die den Weg ins Buch gefunden haben, haben Sie gesehen. Außen vor geblieben sind zum Beispiel: • Remote/hybrid führen. Es ist meine tiefe Überzeugung, dass wir uns mehr und mehr in die veränderte Arbeitswelt hinein-lernen werden. Und dass Sie dafür nicht so grundsätzliche andere Ansätze brauchen. Außer natürlich Offenheit und Vertrautheit mit Technik. • Frauen als Führungskräfte/Diversität. Für mich gilt: Ich weiß, dass es für Frauen anders ist in der Arbeits- und Führungswelt. Das habe ich durchaus erlebt. Und das war auch mal weit entfernt von lustig. Und: Ich habe das für mich selbst nie als Hürde gesehen (meine Gesprächspartnerinnen auch nicht). Ich wünsche mir, dass wir uns in all unserer Vielfalt als Menschen sehen. Dann bräuchte es diesen Fokus nicht. • Generation X, Y, Z, Alpha und Führung: Wollen bestimmte Generationen gar nicht führen? Oder führen sie ganz anders? Ich persönlich finde diese Genrationen-Logik ganz spannend als Denkanstoß. Aber definitiv limitiert, was ein tieferes Verständnis angeht. Dafür ist die Welt, sind die Generationen meiner Ansicht nach viel zu bunt. Und das ist gut so. Ich wünsche mir, dass – wie bei meinem ersten Praxisbuch – die Veröffentlichung kein Schlusspunkt, sondern ein Startpunkt ist. Ein Startpunkt für Begegnungen und Gespräche. In vielen Podcast, Webinaren, Beiträgen bin ich mit Menschen ins Gespräch gekommen über die Theorie U. Ihr offenes, vielfach positives und immer konstruktives Feedback war es schließlich, dass mich zu diesem zweiten Buch bewegt hat. Lassen Sie uns gerne darüber sprechen.
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